Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes: Band 1, Teil 1 Allgemeiner Teil, §§ 1–240 [Reprint 2020 ed.] 9783112313329, 9783112302255

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Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes: Band 1, Teil 1 Allgemeiner Teil, §§ 1–240 [Reprint 2020 ed.]
 9783112313329, 9783112302255

Table of contents :
Vorwort zur 11 Auflage
Inhaltsverzeichnis
Erstes Buch. Allgemeiner Teil
Einleitung
Erster Abschnitt. Personen
Zweiter Abschnitt. Sachen
Dritter Abschnitt. Rechtsgeschäfte
Erster Titel. Geschäftsfähigkeit
Zweiter Titel. Willenserklärung
Dritter Titel. Vertrag
Vierter Titel. Bedingungen. Zeitbestimmung
Fünfter Titel. Vertretung. Vollmacht
Sechster Titel. Einwilligung. Genehmigung
Vierter Abschnitt. Fristen. Termine
Fünfter Abschnitt. Verjährung
Sechster Abschnitt. Ausübung der Rechte. Selbstververteidigung. Selbsthilfe
Siebenter Abschnitt. Sicherheitsleistung

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G r o ß k o m m e n t a r e der P r a x i s

Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes

Kommentar herausgegeben von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern Elfte Auflage I. Band, 1. Teil Allgemeiner Teil, §§ 1—240

bearbeitet von

Johannes Denecke

Kurt Herbert Johannsen

Reichsgerichtsrat u. Bundesrichter i. R.

Bundesrichter

Dr. Wilhelm Kregel

Dr. Gerda Krüger-Nieland

Landgerichtspräsident

Bundesrichterin

Dr. Georg Kuhn Bundesrichter (Zitierweise: B G B - R G R K )

Berlin 1959

WALTER DE G R U Y T E R & CO. vormals G. J . Cöschen'sche Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J . Trübner • Veit & Comp.

Archiv-Nr. 22 Ol S9 Satz: Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35 Druck: Berliner Buchdruckerei Union G m b H . , Berlin S W 6 1 Alle Rechte, einschließlich des Rechts der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, vorbehalten

Vorwort zur IL Auflage Der Reichsgerichtsräte-Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch war, wie schon das Vorwort zur i. Auflage hervorhob, von jeher den Bedürfnissen der Praxis gewidmet. Seine besondere Aufgabe bestand schon immer darin, eine Darstellung des bürgerlichen Rechts an Hand der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu geben und die Rechtsprechung dabei auch unter Einschluß nicht veröffentlichter Entscheidungen möglichst erschöpfend zu berücksichtigen. Demgegenüber trat von Anfang an in diesem Kommentar die selbständige Auseinandersetzung mit widerstreitenden Auffassungen im Schrifttum zurück. Der Gerichtspraxis, aber auch allen sonstigen am Rechtsleben unmittelbar interessierten Kreisen sollte auf diese Weise ein möglichst lückenloses Bild von der höchstrichterlichen Rechtsprechung, also vom lebenden Recht, vermittelt werden. An diesem besonderen Charakter des Reichsgerichtsräte-Kommentars ist auch in der neuen Auflage festgehalten worden. Er soll auch weiterhin der Rechtsprechungskommentar bleiben, der er bisher gewesen ist. Das nötigt unmittelbar zu einer gewissen Beschränkung, namentlich dort, wo von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichende Auffassungen im Schrifttum besondere Bedeutung haben und ferner dort, wo mit Rücksicht auf die Zuständigkeit des Revisionsgerichts verhältnismäßig wenige höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind. Immerhin sind in solchen Teilbereichen die Erläuterungen so gehalten, daß Abweichungen von der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Schrifttum, die besondere Bedeutung haben, kenntlich gemacht sind, und daß auch beim Fehlen höchstrichterlicher Rechtsprechung das lebende Recht im ganzen zur Darstellung gebracht ist. Die Mitarbeiter sind aus dem Kreis der Senatspräsidenten und Bundesrichter am Bundesgerichtshof ausgewählt, einer von ihnen ist freilich jetzt wieder an einem Landesgericht tätig. Nur einer der jetzigen Mitarbeiter ist noch Mitglied des Reichsgerichts gewesen. Als Herausgeber haben wir aber gleichwohl für diese Auflage noch an dem alten Namen „Reichsgerichtsräte-Kommentar" festgehalten, als ein kleines Zeichen der Hochachtung und des Traditionsgefühls, die die Richter des Bundesgerichtshofs dem Reichsgericht entgegenbringen; das Reichsgericht ist uns nicht nur Vorbild in der Art seiner souveränen und oft so wirklichkeitsnahen Rechtsfindung, sondern es ist auch das Gericht, das wir in der unglücklichen Lage unseres Vaterlandes nur unter einem anderen Namen fortsetzen. Wie auch schon in den früheren Auflagen trägt jeder Bearbeiter die Verantwortung für den von ihm bearbeiteten Teil. Damit hängt es zusammen, daß mitunter auch die für notwendig gehaltene Kritik an höchstrichterlichen Entscheidungen geübt wird. Das ist namentlich bei zeitlich weiter zurückliegenden Entscheidungen geschehen, gegenüber denen sich in der Zwischenzeit ein Wandel der Rechtsauf fassung durchgesetzt hat. Bei besonderen Spezialgebieten des bürgerlichen Rechts ist nach Möglichkeit versucht worden, die Bearbeiter aus dem Kreis der entsprechenden Fachsenate des Bundesgerichtshofs heranzuziehen. Dadurch ist es möglich, bei der Bearbeitung von Spezialfragen auch solche Vorstellungen des betreffenden Fachsenats zu berücksichtigen, die noch keinen besonderen Niederschlag in einer seiner Entscheidungen gefunden haben. Das ist

von einer besonderen Bedeutung, wenn der Fachsenat geneigt ist, in einer Frage von der bisherigen Rechtsprechung des Reichsgerichts abzuweichen, aber noch keine Gelegenheit hatte, seine abweichende Meinung auszusprechen. Die i i . Auflage des Reichsgerichtsräte-Kommentars stellt eine völlige Neubearbeitung des Kommentars dar. Bis zur 9. Auflage war der ReichsgerichtsräteKommentar auch in seinem äußeren Erscheinungsbild ein Kommentar, in dem die Erläuterungen Anmerkungen zu bestimmten Worten des Gesetzestextes waren. Daran ist in der 10. Auflage, in der die Anmerkungsziffern im Gesetzestext gestrichen wurden, sachlich nichts geändert worden. Durch diese Gestaltung des Kommentars hatten die Erläuterungen, namentlich was ihre Reihenfolge anlangt, etwas Zufälliges und Systemwidriges an sich; dadurch litt, und zwar von Auflage zu Auflage stärker die Übersichtlichkeit und damit die praktische Brauchbarkeit des Kommentars. Nunmehr sind die Erläuterungen zu den einzelnen Paragraphen an Hand des Rechtsprechungsmaterials systematisch völlig neu gegliedert und dargestellt. Dabei ist besonderer Wert darauf gelegt worden, die systematische Aufgliederung des Erläuterungstextes möglichst weit durchzuführen und die unübersichtlich gewordene Länge der Anmerkungen in der vorausgegangenen Auflage zu vermeiden. Darüber hinaus ist für den Regelfall den Erläuterungen zu den einzelnen Paragraphen eine Übersicht über die Gliederung vorausgeschickt, um so dem Benutzer das Auf finden der von ihm gesuchten Anmerkung zu erleichtern. Bei der Neubearbeitung sind alle zitierten Entscheidungen nachgeprüft worden. Dabei sind alte Entscheidungen, die inzwischen überholt sind oder keine praktische Bedeutung mehr haben, ausgeschieden worden. Auch ist eine Kürzung der Rechtsprechungszitate dort vorgenommen worden, wo sich die Zitate für eine bestimmte Frage besonders gehäuft hatten; diese Kürzung ist in der Weise erfolgt, daß nur die Entscheidungen aus der neueren Zeit weiter zitiert wurden. Die Zitate nicht veröffentlichter Entscheidungen des Reichsgerichts sind zu einem großen Teil gestrichen worden; der Wert dieser Zitate ist dadurch recht gering geworden, daß diese Urteile bis auf wenige, die sich in der Bibliothek des Bundesgerichtshofs befinden, nicht mehr vorhanden sind. Dagegen erschien eine gleiche Beschränkung bei den nicht veröffentlichten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs nicht am Platz, da diese Entscheidungen auch für den Außenstehenden jederzeit greifbar sind, und es für den Einzelfall immer von Bedeutung sein kann zu wissen, daß der Bundesgerichtshof auch eine vielleicht weniger bedeutsame Frage in diesem oder in jenem Sinn beantwortet hat. Sehr zu begrüßen ist es, daß sich der Verlag aus Anlaß der völligen Neubearbeitung des Kommentars entschlossen hat, den bisherigen Kleindruck aufzugeben und nunmehr einen Drucksatz zu verwenden, der die Benutzung des Kommentars für jeden ganz wesentlich erleichtert. Freilich ist damit und mit der neuen systematischen Gliederung des Kommentars der Nachteil verbunden, daß der Umfang des Werkes ganz erheblich zugenommen hat, und daß deshalb die Anzahl der bisherigen Bände nicht mehr aufrechterhalten werden konnte. Möge der Reichsgerichtsräte-Kommentar in seiner neuen äußeren Form und mit seinem alten besonderen Charakter weiterhin der Praxis die bisherigen Dienste leisten. den 15. September 1959 Die Herausgeber

Inhaltsverzeichnis zum I.Band, l . T e i l

Erstes Buch. Allgemeiner Teil Seite

Einleitung

i —18

Erster Abschnitt. Personen

§§

i—89

18—186

Erster Titel. Natürliche Personen

§§

1—20

18—90

Hierzu: Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen. Vom 5. Januar 1938

47—49

Verschollenheitsgesetz. Vom 15. Januar 1951 . .

66—85

Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Verschollenheitsrechts. Vom 15. Januar 1951 . . . . Verordnung über die Zulässigkeit von Anträgen auf Todeserklärung von Kriegsteilnehmern. Vom 22. Februar 1949 Durchführungsverordnung zur Verordnung über die Zulässigkeit von Anträgen auf Todeserklärung von Kriegsteilnehmern. Vom 23. J u l i 1949

86—89

89 90

Verordnung über die Abkürzung der Verschollenheitsfristen. Vom 15. November 1951 Zweiter Titel. Juristische Personen I. Vereine 1. Allgemeine Vorschriften 2. Eingetragene Vereine II. Stiftungen III. Juristische Personen des öffentlichen Rechts

90—91 §§ 21—89 §§ §§ §§ §

21—54 55—79 80—88 89

91—186 95—153 153—168 168—180 180—186

Zweiter Abschnitt. Sachen

§§ 90—103

187—276

Dritter Abschnitt. Rechtsgeschäfte

§§ 104—185

277—647

Erster Titel. Geschäftsfähigkeit Zweiter Titel. Willenserklärung Dritter Titel. Vertrag Vierter Titel. Bedingungen. Zeitbestimmung Fünfter Titel. Vertretung. Vollmacht Sechster Titel. Einwilligung. Genehmigung

§§104—115 §§ 116—144 §§ 145—157 §§ 158—163 §§ 164—181 §§ 182—185

284—315 316—497 490—557 557—576 577—634 635—642

Vierter Abschnitt. Fristen. Termine

§§ 186—193

647—652

Fünfter Abschnitt. Verjährung

§§ 194—225

655—732

Sechster Abschnitt. Ausübung der Rechte. Selbstververteidigung. Selbsthilfe

§§ 226—231

734—751

Siebenter Abschnitt. Sicherheitsleistung

§§ 232—240

753—757

Es haben b e a r b e i t e t : §§ §§ §§ §§ §§

1—89 : . . . . Reichsgerichtsrat und Bundesrichter i. R. J o h a n n e s D e n e c k e 9°—103: 104—157: 158—185: 186—240:

Landgerichtspräsident Dr. W i l h e l m K r e g e l Bundesrichterin Dr. G e r d a K r ü g e r - N i e l a n d Bundesrichter Dr. G e o r g K u h n Bundesrichter K u r t H e r b e r t J o h a n n s e n

Bürgerliches Gesetzbuch Vom 18. August 1896 (Reichs-Gesetzblatt 1896, S. 195 fr.)

Erstes Buch

Allgemeiner Teil Einleitung Ubersicht I. Recht und Rechtsquellen 1. Die Grundlagen des Rechts 2. Rechtsquellen a) Gesetze b) Rechtsverordnungen c) Staatsverträge, Völkerrecht d) Gewohnheitsrecht e) Autonome Satzungen. Allgemeine Geschäftsbedingungen ^Rechtsprechung II. Anwendung des Rechts 1. Richterliches Prüfungsrecht 2. Auslegung des Gesetzes a) Allgemeines b) Die Auslegungstheorien c) Die Bedeutung des Wortlautes 3. Ergänzende Auslegung 4. Rechtsändernde Auslegung III. Grundrichtung des bürgerlichen Rechts und seine Wandlung 1. Der Geist des Bürgerlichen Gesetzbuchs und seine Zeit 2. Der soziologische und wirtschaftliche Strukturwandel 3. Der Strukturwandel in der Rechtsauffassung und Rechtsprechung . .

Anm. 1.2 3 3 4 5 6, 7 8, 9 10—12 13, 14 15 16 17, 18 19 20,21 22, 23 24 25—27

I. Recht und Rechtsquellen. Anm. 1 1. Die Grundlagen des Rechts: Das Recht dient; der Ordnung des Zusammenlebens der Menschen, es enthält die Regeln für die Stellung des Menschen in der Gemeinschaft (Sippe, Stamm, Volk, Staat) und für sein Verhältnis zu den anderen Gliedern der Gemeinschaft. Diese Ordnung wird verschieden sein, j e nachdem die Menschen in durch Klima und Boden begünstigten großen Flußniederungen, wie in Nordafrika, Vorderasien, Indien und Ostasien, dicht zusammengedrängt leben, in Steppen und Wäldern als Hirten oder Jäger herumziehen I

Komm. z. B G B , Ii. Aufl. I. Bd. (Denecke)

1

Einl.

Allgemeiner Teil

Anm. 1 oder in klimatisch ungünstigen, kargen Gebieten in geschlossenen oder zerstreuten Siedlungen, wo jeder mehr auf sich selbst gestellt ist, hausen. Sie wird anders sein für ein kriegerisches Herrenvolk, für ein Bauernvolk oder für ein Handelsvolk, anders in Theokratien, wo das gesamte Leben von der Religion und einer Priesterhierarchie beherrscht wird, in auf Gewalt gegründeten Despotien, in Autokratien oder in Demokratien mit gleichberechtigten Bürgern. Auch die tragenden Grundlinien des Rechtes sind nicht bei allen Völkern und zu allen Zeiten dieselben. Es hängt von den gegebenen Verhältnissen ab, wie weit es ein Privateigentum gibt, ob es sich nur auf die persönliche Habe (Kleidung, Waffen, Werkzeuge) beschränkt, den Boden nicht ergreift, weil — wie in Steppen — zur Ernährung auch kleinerer Gruppen von Menschen große Flächen erforderlich sind oder der Boden nur durch Schaffung und Instandhaltung umfangreicher Bewässerungsanlagen genutzt werden kann und deshalb außerhalb jedes Verkehrs steht, ob gebundenes oder freies Eigentum, ob Obereigentum eines Herrn und Untereigentum der Landsassen vorhanden ist, weil eine kleine Kriegerschar ein weites Land beherrscht oder eine Kriegerkaste zur Sicherung des Staates nach außen erforderlich ist. Auch die Vorstellungen über Recht und Unrecht sind unterschiedlich und wechselnd. Vielfach wird nur die Tötung eines Stammesgenossen als ein Verbrechen angesehen, die Tötung eines Fremden aber erlaubt sein oder gar als ein Zeichen kriegerischer Tüchtigkeit begünstigt und unter dem Gesetz der Blutrache sogar zur heiligen Pflicht gemacht werden. Ebenso kann der Geschlechtsverkehr einer Ehefrau mit einem fremden Mann ein Verbrechen sein, das nur durch den Tod beider gesühnt werden kann, aber auch eine dem Gast gegenüber obliegende Pflicht. Die vergleichende Betrachtung ( S c h n i t z l e r , Vergleichende Rechtslehre 1945, A d a m e c k , Ideologie des Rechts 1944) zeigt also, daß das Recht nach Völker und Zeiten verschieden ist. Nicht bloß die Grundrichtung, sein Stil, sondern auch die Einzelbestimmungen werden durch die religiösen Anschauungen und die natürlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Lebensraumes bestimmt und unterliegen beim Wechsel dieser Verhältnisse Wandlungen, die zwar jenen Änderungen meistens nur zögernd folgen, aber durch Ausscheiden veralteter und Schaffung neuer Institutionen allmählich zu einer völligen Änderung, führen können. Selbst das sog. Naturrecht, das die einzige Quelle des wahren und richtigen Rechtes sein will, aber doch nur der auf dem römischen Rechte beruhende Rechtsspiegel des abendländischen Kulturkreises ist, ist wandelbar, wie R a d b r u c h (Rechtsphilosophie, S. 4 u. 5) meint, schon aus Wesen und Begriff der Vernunft heraus, weil diese nur die Anwendung bestimmter Werturteile auf bestimmte Gegebenheiten, für gewisse Zustände und bestimmte Zeiten sei. Es war im Mittelalter nach der Lehre der Scholastik die von Gott gegebene Ordnung für die gesamte Christenheit, erfaßte nicht nur das staatliche Leben, sondern auch den Menschen in allen seinen Beziehungen, behandelte ihn als Glied dieser Gemeinschaft und verlangte als höheres Recht unbedingten Vorrang vor den Gesetzen der einzelnen Völker. Im Zeitalter der Aufklärung verlor es diese religiös-moralische Grundlage, wurde aus der Natur des Menschen, aus der ihm innewohnenden Vernunft abgeleitet, ging von einem vorstaatlichen Z u stande aus, in dem ursprünglich Freiheit und Gleichheit für alle Menschen bestanden,, war also individualistisch ausgerichtet und diente zunächst der Loslösung des Menschenaus den religiösen und kirchlichen Bindungen, nachdem schon Renaissance und Humanismus die Freiheit der Wissenschaft gebracht hatten. Später, im 18. und im 19.Jahrhundert, erstrebte es mit der Lehre vom Gesellschaftsvertrag die Aufhebung der Standesvorrechte und die Gleichberechtigung der Bürger, indem es diese Ideen als von der Natur gegebenes Recht, als höheres Recht gegenüber der bestehenden Ordnung darstellte und damit auf eine Änderung dieser hinwirkte ( R o m e n , Die ewige Wiederkehr des Naturrechts, 1936). Ein absolutes, von den bestehenden Sitten und den politischen, gesellschaftlichen Verhältnissen unabhängiges Recht gibt es somit nicht. Es wird vielmehr von dem Geist der jeweils herrschenden Kultur, ebenso wie alle anderen kulturellen Regungen eines Volkes geprägt ( R i e z l e r , Das Rechtsgefühl, 1946, S. 52, 90; T r i e p e l , V o m Stil des Rechts, 1947, S. 67). Mit Gewalt läßt sich deshalb eine neue Rechtsordnung nicht durchsetzen. Denn mag auch das Recht ohne Macht, die seine Durchführung sichert und damit die Rechtssicherheit gewährleistet, nicht bestehen können, so ist doch auch. 2

Recht und Rechtsquellen

Einl. Anm. 2, 3

die Anerkennung des Rechtes durch die Gesamtheit der ihr Unterworfenen als nützliche und gewünschte Ordnung für seinen Bestand erforderlich. Solange nicht die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse grundlegend und dauernd geändert und vor allem seine tragenden Ideen Gemeingut des gesamten Volkes, nicht nur der herrschenden Gruppe geworden sind, wie es bei den Ideen der Aufklärungszeit und der Französischen Revolution der Fall war, ist die neu eingeführte Ordnung nur der äußeren Form nach, nicht aber ihrem inneren Gehalt nach Recht. Die gesetzte neue Ordnung verschwindet ohne weiteres, wenn die Macht, die sie bisher zu verwirklichen suchte, zusammenbricht. Nur soweit das neue Recht eine Fortführung der bisherigen Entwicklung enthält, bleibt es bestehen. Umgekehrt können neue Ideen, wenn sie Gemeingut des Volkes werden, also die Rechtsüberzeugung und das Rechtsgefühl beeinflussen, eine Änderung des Rechtes ohne förmliche Änderung des Gesetzes herbeiführen, indem Rechtslehre und Rechtsprechung, zum Teil unbewußt, den alten Bestimmungen einen neuen Inhalt geben oder die vorhandenen Möglichkeiten ausnutzen, das Recht den neuen Anschauungen und Erfordernissen anzupassen. Erst wenn dies wegen des eindeutigen Wortlautes der Gesetze nicht möglich ist, muß der Gesetzgeber eingreifen und das gesetzte Recht auch förmlich abändern, da auch er sich den neuen Auffassungen und Anschauungen auf die Dauer nicht entziehen kann ( L o b e , D J Z 1925, S. 1 5 ; L Z 1929, S. 865).

Anm. 2 Die ursprüngliche Quelle jedes Rechtes ist das aus dem Zusammenleben entstehende Bedürfnis nach festen Regeln für das Verhalten der Gemeinschaftsglieder untereinander, um Streitigkeiten zu vermeiden oder entstandene Streitigkeiten zu schlichten. Es entstehen zunächst gewisse Gebräuche und Sitten, die sich zu Sprüchen und Weistümern verdichten und entweder Allgemeingut oder Besitz eines kleinen Kreises von Personen (Priester, Schöffen) werden, die sie mündlich weitergeben, von Fall zu Fall zur Geltung bringen und auch weiterentwickeln. Später werden sie schriftlich niedergelegt und zusammengefaßt. Es entstehen Rechtsbücher und Gesetzbücher, die aber meistens nicht die gesamte Rechtsordnung enthalten, weil daneben immer noch das im Volke lebende Recht seine Geltung behält, namentlich dort, wo das Volk entweder unmittelbar oder durch seine Vertreter in wichtigen Angelegenheiten selbst Recht spricht. Erst im Laufe der späteren Entwicklung tritt das ungesetzte Recht immer mehr zurück, ohne jedoch jegliche Bedeutung zu verlieren. Es wird auch heute noch bei der Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen auf den einzelnen Fall zur Ausfüllung von Lücken oder bei der vorgesehenen Berücksichtigung von Verkehrssitte, Treu und Glauben, Entscheidungen nach billigem Ermessen, dem gesunden Volksempfinden herangezogen ( R i e z l e r , Rechtsgefühl, S. 1 8 1 ) . Aber auch bei der in den letzten J a h r e n viel erörterten Frage nach einem, dem positiven Recht übergeordneten, höchsten Recht, dem sog. Naturrecht, handelt es sich um ungesetztes Recht, dem nach einer viel vertretenen Meinung das positive Recht zu weichen hat, wenn es die Idee der Gerechtigkeit nicht erfüllt.

Anm. 3 2. Die Rechtsquellen: Nach jetzigen Rechtsanschauungen sind Rechtsquellen: a ) in erster Linie die formellen Gesetze, die nach den zur Zeit ihres Erlasses geltenden Verfassungsvorschriften erlassen und ausgefertigt sind ( B G H 5, 94). Deshalb gehören dazu auch die früheren Kabinettsorder der Monarchen, selbst wenn sie nicht verkündet waren, falls sie allgemeines Recht schaffen, nicht nur Anweisungen an die Behörden geben sollten ( R G i n , 121), ebenso die veröffentlichten Führerbefehle aus der Zeit des Nationalsozialismus, soweit sie nicht wegen ihres Inhaltes ihre Geltung verloren haben. Ferner auch die Gesetze und Verordnungen des Kontrollrates, der Militärregierungen und der Alliierten Hohen Kommission, weil diese für die Dauer der Besetzung nach Völkerrecht die Gesetzgebungsbefugnisse ausüben. Uber die Wirkung zeitlich begrenzter Gesetze vgl. R G 139, 186. Den Gesetzen stehen gleich die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, soweit sie gemäß § 31 B V e r f G G im Bundesgesetzblatt veröffentlicht sind.

3

Einl. Anm. 4—6

Allgemeiner Teil

Anm. 4 b ) R e c h t s v e r o r d n u n g e n , d. s. die Verordnungen mit allgemeinem Inhalt, die sich rechtssatzmäßig an die dem Gesetz unterworfenen Personen wenden, nicht nur den Behörden für die Durchführung der Gesetze Anweisung geben (sog. V e r w a l t u n g s v e r o r d n u n g e n ) . — Uber die Rechtsnatur der Zuständigkeitsordnungen von Behörden vgl. R G 162, 134 fr. — Die Rechtsverordnung muß sich im Rahmen der erteilten Ermächtigung halten, und jetzt auch ihre Rechtsgrundlage anführen (Art.80 S. 3 G G ) , während dies früher nicht unbedingt notwendig war ( R G 162, 135). Sie kann also grundsätzlich nur Ausführungs- und Durchführungsbestimmungen der Gesetze enthalten, Ergänzungen nur insoweit, als sie die Durchführung des Rechtsgedankens des Gesetzes in besonderen Fällen verwirklichen soll. Die in den Jahren der Weimarer Verfassung und der späteren Zeit vielfach benutzte und mißbrauchte Möglichkeit, die Änderung oder Ergänzung des Gesetzes oder gar den Erlaß neuer Vorschriften bestimmten Regierungsstellen zu überlassen, besteht nach Art. 129 I I I G G nicht mehr. Die früher erteilten Ermächtigungen sind erloschen, neue Ermächtigungen dürfen nicht gegeben werden. Dagegen sind durch die Aufhebung dieser Ermächtigung die bereits erlassenen Anordnungen nicht berührt, sie gelten weiter fort, soweit sie nicht zeitlich begrenzt wurden (h. M.).

Anm. 5 c) S t a a t s Verträge, aber nicht schon mit ihrer Ratifizierung, sondern erst, wenn sie in der für Gesetze vorgesehenen Form veröffentlicht und damit für die Staatsbürger verbindlich geworden sind. Solche früheren Staatsverträge gelten nach Art. 123 II G G fort.

Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes, sie gehen gemäß Art. 25 GG den Ge-

setzen vor und erzeugen unmittelbare Rechte und Pflichten für die Bewohner des Staatsgebietes. Bei Zweifeln über die Anwendbarkeit solcher Regeln entscheidet nach Art. 100 II G G das Bundesverfassungsgericht.

Anm. 6 d ) G e w o h n h e i t s r e c h t . Die Entstehung des Gewohnheitsrechtes setzt eine gleichmäßige Ü b u n g der Beteiligten, namentlich der Gerichte (ständige Rechtsprechung) während längerer Zeit und die Uberzeugung voraus, daß das Geübte Recht sein soll, nicht aber das Bewußtsein, in Verfolgung eines bestimmten, vom Gesetz aufgestellten Rechtssatzes zu handeln ( R G 75, 4 1 ; 76, 103; J W 1910, 944). Die Entstehung von Gewohnheitsrecht ist nicht dadurch gehindert, daß es einen zu mißbilligenden Inhalt oder in Mißverständnis eines bestehenden Rechtes seinen Ursprung hat (anders für das preuß. Recht Warn. 1922 Nr 23; Gruch. 49, 1154), es darf indessen nicht gegen die staatliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstoßen. Beruht es auf einer ständigen Rechtsprechung, so verliert es seine Geltung, wenn der höchste Gerichtshof die bisherige Rechtsprechung aufgibt, da es alsdann nicht mehr der allgemeinen Rechtsüberzeugung entspricht ( B H G 18, 93). Zeitweise Nichtanwendung eines Gesetzes kann nicht eine Gewohnheit und damit ein Außerkrafttreten des Gesetzes begründen, namentlich wenn in Zeiten der Not und allgemeiner Verwirrung die Behörden Zweifel über die Fortgeltung hatten ( B H G NJW. 53, 1802). Gewohnheitsrecht, das sich im ganzen Reichsgebiet herausgebildet hatte, konnte auch gesetztes Reichsrecht überwinden, Landesgewohnheitsrecht aber nur auf dem dem Landesrecht vorbehaltenen Gebiete entstehen ( R G 123, 104; 155, 345), also insbesondere nicht im Bereiche des bürgerlichen Rechtes ( R G 170, 32). Dieser Grundsatz muß auch für das Verhältnis von Bund und Ländern hinsichtlich der konkurrierenden Gesetzgebung des Art. 72 G G gelten. Soweit die Rechte der konkurrierenden Gesetzgebung Bundesrecht nach Art. 72 oder 125 G G geworden sind, kann es durch Landesgewohnheitsrecht nicht geändert werden. Das gilt auch für das etwa in der Zeit von 1945 bis 1949 in den einzelnen Ländern entstandenen Gewohnheitsrecht, da es nach Art. 125 G G Bundesrecht geworden ist. Dagegen wird es zur Zeit nicht erforderlich sein, daß gleiches Gewohnheitsrecht in der Sowjetzone sich gebildet hat, da dort die Rechtsentwicklung eigene Wege geht.

4

Recht und Rechtsquellen

Einl. Anm. 7—9

Anm. 7 Nahe verwandt dem Gewohnheitsrecht sind Observanzen im Sinne einer objektiven Rechtsnorm, eines örtlich begrenzten Gewohnheitsrechtes (RG 12, 292; 102, 12; H R R 1931, Nr. 134). Sie verlangen zu ihrer Bildung die fortdauernde und gleichmäßige Übung einer bestimmten Rechtsnorm innerhalb einer korporativen Gemeinschaft. Diese gleichmäßige Übung ist die Tätigkeit, durch die die Uberzeugung, daß das Geübte Recht sei, erkennbar gemacht und verkörpert wird. Fehlt die Überzeugung hiervon, so können die äußerlich vorgenommenen Handlungen für sich allein nicht zu einem Gewohnheitsrecht führen. Daß gerade sämtliche Handelnde dieser Uberzeugung sind, ist nicht erforderlich (RG 76, 114). Durch Geschäftsgebräuche innerhalb bestimmter Verkehrskreise (Handelsbräuche) wird das Vorhandensein eines bestimmten Rechtssatzes ausgedrückt (RG 53, 147). Seine Feststellung ist Sache des Tatrichters. Auch für einen bestimmten Teil eines Geschäftszweiges kann sich ein Handelsbrauch bilden (RG 135, 345). Für die zu diesem Kreise gehörigen Personen gilt der Geschäftsgebrauch auch dann, wenn sie von ihm keine Kenntnis haben, und zwar nicht kraft stillschweigender Unterwerfung zufolge der vorgenommenen Geschäfte mit diesen Personen, sondern kraft der gesetzlichen Vorschrift des § 346 HGB. Wie das Gewohnheitsrecht auch gesetztes Recht abzuändern die Kraft hat, muß diese Kraft auch ein allgemeiner Geschäftsgebrauch gegenüber autonomen Satzungen (Anm. 8) haben, dagegen nicht ein örtlicher Brauch, die Duldung einer einzelnen Behördenstelle (RG 162, 149, vgl. auch R G 116, 255; 157,207; OHG 1,244; OLG Braunschweig, MDR 50, 237). Im Gegensatz zu den Observanzen und Geschäftsgebräuchen steht das Herkommen, das eine Übung bei einem dauernden Rechtsverhältnis nur zwischen zwei Beteiligten ist und in dieser beständigen Übung durch gegenseitige Anerkennung eine vertragsgemäße Abmachung ersetzt (RG 102, 12). Anm. 8 e) Autonome Satzungen. In Betracht kommen zunächst die von öffentlichen K ö r p e r s c h a f t e n (Gemeinden, andere Gebietskörperschaften, Kirchen, öffentliche Anstalten) für die ihnen unterworfenen Personen erlassenen Anordnungen materiellen Inhaltes (Ortsstatute, Ortssatzungen), soweit sie sich im Rahmen der ihnen zustehenden Befugnisse halten und ordentlich bekanntgemacht sind (RG JW 1938, 599; R G 158, 27). Auch V e r b ä n d e des privaten Rechtes können objektives Recht, Normensetzen, sofern sie dazu gesetzlich ermächtigt sind. So istden Verbänden der Arbeitgeber undArbeitnehmer die Ermächtigung erteilt, in T a r i f v e r t r ä g e n Rechtsnormen über den Inhalt, den Abschluß und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen mit unabdingbarer Wirkung für die tarifgebundenen Mitglieder zu schaffen (§§ 1, 3 TVG v. 9.4.49) und Arbeitsschutznormen zu setzen (Denecke AZO §7 Anm. 3 undRdAso, 268). Auch die Betriebs Vereinbarung ist in diesem Sinne eine autonome Satzung. Die bindende, normative Wirkung ihrer Bestimmungen ergab sich für die frühere Arbeitsordnung aus § 134 c GewO, für die Betriebsordnung aus §30 AOG, für die Betriebsvereinbarung aus dem BGR 1920 § 78 II und ist, wenn auch das Betriebsverfassungsgesetz vom 11. 10.52 (BGBl. I, 681) es nicht ausdrücklich ausspricht, auch jetzt allseitig anerkannt. (BAG 3, 4 GrS). Über die betriebliche Übung vgl. § 611 Vorbem. 30. Anm. 9 Zu den autonomen Satzungen gehören dagegen nicht die allgemeinen Geschäftsbedingungen, die von großen Unternehmen oder Wirtschaftsverbänden (Banken, Verkehrsgesellschaften, Spediteuren, Lagerhaltern, Maschinenbauanstalten u. a.) aufgestellt werden und im allgemeinen eine Einschränkung der gesetzlichen Haftung enthalten. Sie bringen zwar, wie die Gesetze und Verordnungen, allgemeine Regeln und sind deshalb auch nach den für die Gesetze maßgebenden Grundsätzen auszulegen (RG 170, 240). Sie werden auch kraft einer Machtstellung einseitig festgelegt, der Vertragsgegner kann kaum eine Änderung erreichen, sondern muß sie annehmen, auch wenn sie ihm ungünstig sind, er ihre Bedeutung nicht übersehen kann, den ganzen Inhalt nicht mal kennt. Es handelt sich also weniger um eine echte vertragliche Vereinbarung

5

Einl. A n m . 10, 11

Allgemeiner Teil

als um eine Unterwerfung unter eine fertige Rechtsordnung ( R G 171, 46; B G H I, 83; 17, 2). Alles dies reicht aber nicht hin, um ihnen unmittelbare Wirkung auch für Dritte zu geben, sie zu objektivem Recht zu machen. Denn entgegen dem mittelalterlichen Recht, in dem jeder Verband, jede Genossenschaft weitgehend die Befugnis zur Rechtsetzung hatte, bedarf es nach modernem Recht aus Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsschutzes zur Schaffung objektiven Rechtes der staatlichen Ermächtigung und dies insbesondere, wenn man eine über die Verbandsgenossen hinausgreifende, erweiterte Autonomie zulassen will ( B o g s , Festschrift für J . v. Gierke 1950 S. 60). Fehlt eine solche Ermächtigung, wie in der Regel bei den allgemeinen Geschäftsbedingungen, so sind diese ihrem inneren Wesen nach nur Vertragsrecht; ihre Wirkung ist abhängig von einem Einverständnis des anderen Vertragspartners, das freilich auch eine Unterwerfung sein kann ( R G D R 4 1 , 1 2 1 1 ; B H G i, 8 5 ; 6, 1 4 7 ; 12, 1 3 9 ; 17, 2). Ein solches Einverständnis wird bei einem K a u f m a n n , der mit dem Bestehen solcher allgemeinen Geschäftsbedingungen zu rechnen hat, im allgemeinen ohne weiteres anzunehmen sein, falls sie nicht außergewöhnliche Klauseln enthalten ( R G 103, S. 86; B H G 1, 8 5 ; 7, 190). Bei einem Privatmann bedarf es aber eines Hinweises auf diese Geschäftsbedingungen vor oder bei Abschluß des Vertrages, insbesondere, wenn mehrere solcher Geschäftsbedingungen in Frage kommen können ( B G H 3, 2 0 1 , 9, 1, 3 0 1 ) . Ist ein solcher Hinweis erfolgt, so ist es Sache des Betroffenen, sich von dem Inhalt dieser Bedingungen Kenntnis zu verschaffen. T u t er das nicht, so muß er sie gegen sich gelten lassen, es sei denn, daß wegen besonderer Umstände gemäß dem Grundsatz des § 242 B G B eine Pflicht zur weiteren Aufklärung besteht ( B G H 7, 190). Vgl. § 4 3 3 Anm. 54.

A n m . 10 f ) Auch die R e c h t s p r e c h u n g ist Rechtsquelle. Denn wenn auch — anders als im englisch-amerikanischen Recht — die Entscheidungen selbst des höchsten Gerichtes für die anderen Gerichte keine bindende K r a f t haben, so wird doch durch eine ständige, gleichmäßige Rechtsprechung dem gesetzten Recht nicht nur ein bestimmter Inhalt gegeben und einzelne Rechtssätze auf andere, bisher nicht geregelte Fälle ausgedehnt, sondern es werden auch rechtsschöpferisch an Stelle des Gesetzgebers neue Rechtsregeln und Rechtsbehelfe geschaffen. ( B G H 1 1 , Anh. 5 1 . ) Also nicht die einzelne Entscheidung, sondern nur die ständige Anwendung bestimmter Rechtsgrundsätze auf eine größere Zahl nicht einheitlicher Rechtsfälle ist die Quelle des neben dem gesetzten Recht entstehenden neuen Rechtes. Dieses erlangt aber nicht als Gewohnheitsrecht Geltung, da die Voraussetzungen für die Entstehung solchen Rechtes meistens nicht gegeben sind. Denn nur ein kleiner Teil dieses neuen Rechtes, wie etwa die Sicherungsübereignung, entsteht durch die Übung der Beteiligten, die später die Billigung und Anerkennung der Gerichte findet. Bei einem größeren Teile handelt es sich um Rechtsbehelfe zur Entscheidung von Streitigkeiten, die weniger Rechte geben als Pflichten begründen, und zwar aus dem allgemeinen Rechtsgefühl fließen müssen, aber nicht von den Beteiligten, sondern von den Gerichten geschaffen werden und, falls sie den Bedürfnissen des Verkehrs und dem Billigkeitsgefühl der Beteiligten entsprechen, die Anerkennung beim Volke findet. Der Entstehungsgrund ist also mehr ein einmaliger bewußter Schöpfungsakt, die wiederholte Anwendung bringt nur die Abgrenzung und Ausgestaltung zu einem allgemeinen Rechtssatz. Auch bedarf dieser zu seiner Geltung nicht, wie beim Gewohnheitsrecht, einer langjährigen Übung. Handelt es sich nämlich um eine das gesamte Volk oder einen bestimmten Kreis angehende, wichtige Rechtsfrage, so kann schon durch wenige Entscheidungen binnen kurzer Zeit neues Recht entstehen, wie gerade das Beispiel der Aufwertung gezeigt hat (vgl. auch L e s s , V o m Wesen und Wert des Richterrechts 1954 u. insbesondere E s s e r , Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Rechts 1956 S. 10, 12.

A n m . 11 Der Gesetzgeber hat schon immer die Entstehung eines solchen Rechtes dadurch begünstigt, daß er zur Aufrechterhaltung der Rechtseinheit und im Interesse der Rechtssicherheit in §§ 1 3 6 — 1 3 9 G V G d i e Entscheidung des Großen Senates oder der vereinigten Großen Senate vorgesehen hat, wenn ein Senat des Reichsgerichts von der

6

Recht und Rechtsquellen

Eirtl. Anm. 12

Entscheidung eines anderen Senates abweichen wollte. Er hatte damit auch den einzelnen Senaten die Aufgabe einer möglichst gleichbleibenden Rechtssprechung gestellt. Demgemäß haben diese zwar ihre Entscheidung ständig überprüft, sind allen Einwendungen und Anregungen der Praxis und der Rechtslehre nachgegangen, haben aber, namentlich wenn es sich mehr um theoretische Meinungsverschiedenheiten handelte, an der einmal ausgesprochenen Ansicht festgehalten, vor allem wenn diese die Billigung des Gesetzgebers dadurch gefunden hatte, daß die fragliche Bestimmung bei späteren Änderungen oder Neufassungen des Gesetzes unverändert blieb (RG 172, 104). Anderseits hatte das Reichsgericht es immer als seine Aufgabe betrachtet, die Rechtsprechung den Fortschritten des Verkehrs und der wirtschaftlichen Entwicklung anzupassen (RG 133, 155; 154, 164; 159, 137; 167, 22) und nicht gezögert, seine Rechtsprechung zu ändern, wenn die veränderten Verhältnisse und Rechtsanschauungen dies erforderten. So wurde nicht nur den Bestimmungen des BGB ein den veränderten Verhältnissen entsprechender Inhalt gegeben, sondern auch Bestimmungen die Anwendung versagt, wenn sie mit den neuen Verhältnissen nicht mehr im Einklang standen, z. B. die Anwendung von Gesellschaftsrecht bei nicht rechtsfähigen Vereinen (vgl. " §54), die nachträgliche Geltendmachung von Nichtigkeits- und Anfechtungsgründen bei Dauerrechtsverhältnissen, insbesondere Gesellschaften, durch die Kündigung aus wichtigem Grunde ersetzt (RG 127, 1 9 1 ; 142, 105; 162, 103), die Anwendung schuldrechtlicher Bestimmungen, namentlich der §§ 323 fr., beim Arbeitsvertrag weitgehend verneint (RG 106, 272; 1 1 3 , 8 9 ; RAG ArbRS 43, 168; 37, 230; 40, 3 5 1 ; § 6 1 1 , Vorbem. 15), die Haftung des Arbeitnehmers bei fahrlässiger Nichterfüllung seiner Pflichten abweichend von dem allgemeinen Grundsatz beschränkt (RAG ArbRS 41, 529; 43,108; vgl. §611 Vorbem. 17—19), aus dem neu aufgestellten Grundsatz der Gleichbehandlung wichtige Rechte für den Arbeitnehmer hergeleitet (RAG ArbRS 42, 141 mit Nachweisungen; vgl. Vorbem 12—14 § 611). Vor allem wurden unter Billigung der Rechtslehre und der anderen Gerichte neue Rechtsinstitutionen entwickelt, die wichtige Lücken des gesetzten Rechtes ausfüllten; um nur die bedeutendsten zu nennen, die Sicherungsübereignung, Verschulden beim Vertragsschluß, die positive Vertragsverletzung, die Lehre von der Geschäftsgrundlage, der Verwirkung und der unzulässigen Rechtsausübung und vor allem die Aufwertung, „dieses ganz große und einzigartige, in seiner Reichweite ungeheuerliche Beispiel einer schöpferischen Rechtsfindung, die für die Lebensführung von Millionen Volksgenossen bestimmend wurde und eines der grundlegendsten öffent-rechtlichen Gesetze beiseite schob" ( H e d e m a n n , Die Flucht in die Generalklauseln, S. 12, 64). So war also schon vor dem letzten Krieg durch Zusammenwirken von Rechtslehre und Rechtssprechung, wenn auch meistens in der Form der Auslegung und Ausgestaltung des vorhandenen Rechtes, dem Wesen nach aber rechtschöpfend, schrittweise ein umfangreiches Recht neben dem gesetzten Recht entstanden, ein Juristenrecht im Sinne K o s c h a c k e r s (Europa und das römische Recht, 1947,8.147/48), das dank der Autorität, die sich das Reichsgericht erworben hatte, allgemeine Geltung, und zwar auch beim Volke, gefunden hat, also wahres Recht war. Anm. 12 Diese r e c h t s s c h ö p f e r i s c h e T ä t i g k e i t der G e r i c h t e hat aber besondere Bedeutung erlangt, seit durch Gesetz von 1935 in § 137 G V G (jetzt auch in §45 ArbGG, § 43 BSozGG, § 47 BVerwGG) den höchsten Gerichten ausdrücklich die Fortbildung des Rechts zur Aufgabe gemacht ist und sich nach dem Kriege in weitem Umfang die Notwendigkeit der Anpassung des gesetzten Rechts an die veränderten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse ergab. Dazu genügten vielfach nicht die anerkannten Grundsätze der analogen und ergänzenden Auslegung, sondern es fragte sich, ob die Gerichte befugt seien, einzelne Gesetzesbestimmungen unter Aufgabe der bisherigen Auslegung einen den neuen Verhältnissen und Rechtsanschauungen entsprechenden anderen Inhalt zu geben, selbst wenn dies mit dem ursprünglichen Wortsinn nicht mehr vereinbar ist, oder ob sie an der bisherigen Auslegung bis zu einer gesetzlichen Änderung festhalten müßten, auch wenn dies mit den neueren sozialen Anschauungen in Widerspruch steht und zu völlig unbefriedigenden Ergebnissen führt.

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Einl. Anm. 13

Allgemeiner Teil

Während ein Teil der Rechtslehre solche gesetzesändernde Auslegung nach wie vor als unzulässig ansah, weil sie mit den Grundsätzen der Gewaltenteilung nicht im Einklang stehe, haben die oberen Bundesgerichte sie grundsätzlich bejaht. Denn das Recht erschöpfe sich nicht in seinen geschriebenen Normen, es habe dem Leben zu dienen und müsse die entsprechenden Rechtsgrundsätze zur Verfügung stellen. Deshalb seien die Gerichte nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, das Recht entsprechend den veränderten rechtlichen und sozialen Verhältnissen und Anschauungen fortzubilden und den in Betracht kommenden Gesetzesbestimmungen, selbst abweichend von seinem Wortlaut, einen entsprechenden anderen Inhalt zu geben. Höher als der Wortlaut stehe der Sinn und Zweck des Gesetzes (BGH 3, 3 1 5 ; 13, 367; 17, 367, 18, 4g; B A G 1, 279; AP Nr. 4 zu §§ 898, 899 R V O (GS.); BSozG 2, 164; BVerfG 3, 243). So ist u. a. abweichend von § 400 BGB eine Abtretung von Unfallrenten an denjenigen, der dem Berechtigten Versorgung gewährt, zugelassen worden (BGH 4, 1 5 3 ; 5, 342; 13, 367), der § 1007 BGB nicht nur bei beweglichen Sachen, sondern auch hinsichtlich von Mieträumen für anwendbar erklärt (BGH 7, 215), der Anspruch auf Krankenlohn aus § 616 BGB auch bei längeren Erkrankungen für die Zeit anerkannt (BAG 1, 338 und die Haftung der juristischen Personen erweitert, vgl. § 89 A 4 ) . Auch von der ergänzenden Auslegung der Ausdehnung von Vorschriften auf Verhältnisse, die zur Zeit des Erlasses noch nicht berücksichtigt werden konnten, ist mehrfach Gebrauch gemacht (BGH 2, 176; 6, 2 7 1 ; 17, 276), vgl. auch §89 A 7.

II. Anwendung des Rechts. Anm. 13 1. Richterliches Prüfungsrecht:

Die Anwendung des Rechts setzt zunächst eine Prüfung voraus, welches Gesetz auzuwenden ist, bei mehreren in Frage kommenden Gesetzen, Rechtsverordnungen und Satzungen, welches den Vorrang gebührt, weiter, ob das anzuwendende Gesetz, Verordnung und Satzung ordnungsmäßig erlassen und verkündet ist, bei den abgeleiteten Rechtsquellen auch, ob sie sich im Rahmen der erteilten Ermächtigung halten (Art. 80 S. 2 GG), wozu auch die Frage gehört, ob sie mit dem sonstigen allgemeinen Recht, insbesondere den Verfassungsbestimmungen im Einklang stehen (BVerfG N J W 52, 496; Weiter ist der maßgebende Wortlaut festzustellen. Er ergibt sich aus der A u s f e r t i g u n g d e r O r i g i n a l u r k u n d e . Die bei der Veröffentlichung wider deren Text unterlaufenen D r u c k f e h l e r haben keine rechtliche Wirkung, können sowohl vom Herausgeber und Drucker des Gesetzblattes als vom Richter ohne weiteres berichtigt werden. Eine besondere Form für die Berichtigung ist nicht vorgeschrieben (RGSt. 5 1 , 135). Erkennbar muß aber sein, daß es sich um einen Druckfehler handelt, nicht darf ein anderer Fehler unter dieser Bezeichnung gedeckt werden. Ist der I r r t u m bereits in der O r i g i n a l u r k u n d e vorhanden, muß der A u s f e r t i g e r der Originalurkunde auch deren Berichtigung vornehmen. Handelt es sich um eine irrige E r k l ä r u n g und einen fehlerhaften Ausdruck ( R e d a k t i o n s v e r s e h e n ) , so kann nur der Gesetzgeber, die falsche Erklärung berichtigen. Inwieweit sich der Richter an sie für gebunden hält, ist eine Frage der Auslegung. Liegt ein Irrtum nicht nur in der Erklärung, sondern schon in der Bildung des Willens vor, so kann erst recht der Gesetzgeber allein berichtigen, die Verbindlichkeit des irrig gefaßten Willens bleibt bis zum Widerruf bestehen ( L o b e , Berichtigungen D J Z 1916, 606; H a n s w e r n e r M ü l l e r , Zur Lehre von den Fehlern im Gesetzgebungsverfahren 1924). Verschieden von der Berichtigung eines Gesetzes ist die a u t h e n t i s c h e I n t e r p r e t a t i o n , die lediglich dem Gesetzgeber zusteht. Für sie gelten dieselben Auslegungsregeln und Prüfungsregeln wie bei allen anderen Gesetzen. Bei den von den Besatzungsbehörden erlassenen Gesetzen ist maßgebend der fremdsprachliche Wortlaut, der aber vielfach nicht einheitlich ist, weil der Text in mehreren Sprachen, meistens englisch und französisch, gefaßt ist. Alsdann ist aus dem Vergleich der fremden Sprachen mit dem deutschen Wortlaut, der Sinn und Zweck der einzelnen Bestimmung zu erforschen, wobei grundsätzlich die deutschen Rechtsanschauungen maßgebend sein müssen, da deutsche Verhältnisse geregelt werden sollen (vgl. D ö l l e , Festschrift für Raape, S. 161).

8

Anwendung des Rechts

Einl.

Anm. 14—16

Anm. 14 Eine weitere Nachprüfung steht den Gerichten jetzt nicht mehr zu. Denn die Prüfung, ob ein Landesgesetz mit dem Bundesrecht (früherem Reichsrecht, Art. 1 2 5 G G ) vereinbar ist, obliegt jetzt allein dem Bundesverfassungsgericht. A u c h die früher umstrittene Nachprüfung der Gesetze — in formellem Sinne, nicht Rechtsverordnungen — auf ihre Verfassungsmäßigkeit in formeller und materieller Hinsicht ist jetzt nach A r t 100 G G dem Bundesverfassungsgericht, bei Landesgesetzen den für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichten der Länder übertragen ( B V e r f G 1, 17; 3, 325). Diese haben damit auch die Entscheidung darüber, ob ein Gesetz der Gerechtigkeit und Sittlichkeit widerspricht und ihm deswegen die Gültigkeit zu versagen ist. Denn hierbei handelt es sich wohl immer u m einen Verstoß gegen die in dem G G Art. 1 — 1 4 aufgeführten Grundrechte; ein mit diesem nicht in Einklang stehendes Gesetz ist aber verfassungswidrig. D a m i t ist auch die in der Nachkriegszeit viel erörterte Frage, ob allen Gerichten die Entscheidung darüber ohne Gefährdung der Rechtssicherheit anvertraut werden kann, verneint, ohne aber der Willkür der jeweiligen Machthaber freie Bahn zu geben. Denn der Einwand der Verfassungswidrigkeit kann in j e d e m Rechtsstreit erhoben werden und das Gericht hat, falls es ihn nicht für unbegründet hält, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herbeizuführen (vgl. § 80 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht v o m 12. 3. 51 [BGBl. I S. 243]). A u c h wenn Zweifel bestehen, ob Bundesrecht vorliegt, m u ß das B V e r f G entscheiden ( B V e r f G 5, 238). Anders in der Sowjetzone. A u c h hier ist z w a r den Gerichten die Nachprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze und ihrer Ubereinstimmung mit der Gerechtigkeit entzogen, die Entscheidung darüber aber nach Art. 66 der Verfassung der D D R dem gesetzgebenden O r g a n , der Volkskammer übertragen, nachdem die Verfassungsmäßigkeit von einem Verfassungsausschuß geprüft ist, der aber wiederum überwiegend aus Mitgliedern der Volkskammer besteht. Z u d e m kann die Verfassungswidrigkeit nur von einem Drittel der Mitglieder der Volkskammer, deren Präsidium, den Präsidenten der Republik, der Regierung oder den Länderkammern geltend gemacht werden. Ähnlich ist die Regelung in den Verfassungen der einzelnen Länder. Diese Bestimm u n g ist aber trotz vieler Willkürlichkeiten nicht praktisch geworden.

Anm. 15 2. Auslegung des Gesetzes: a ) A l l g e m e i n e s : Die A n w e n d u n g des Gesetzes erfordert weiter, I n h a l t u n d U m f a n g s e i n e r V o r s c h r i f t e n zu erforschen, d. h. es a u s z u l e g e n . Diese Tätigkeit bezieht sich immer nur auf das v o r h a n d e n e Gesetz und seine Erklärung und ist z u u n t e r s c h e i d e n v o n e i n e r A u s f ü l l u n g v o n L ü c k e n , d i e d a s Gesetz gelassen hat (ergänzende Auslegung). Die Auslegung will den Gesetzeswillen, wie er sich aus dem Wortlaut, seinem Sinn und Zweck ergibt, deutlich ans Licht bringen, bewegt sich also im R a h m e n u n d a u f d e m B o d e n d e s G e s e t z e s . Die Ausfüllung von L ü c k e n bewegt sich auf dem Boden des u n g e s e t z t e n R e c h t s , ebenso die rechtsändernde Auslegung, die eine Fortentwicklung des gesetzten Rechts ist.

Anm. 16 b ) D i e A u s l e g u n g s t h e o r i e n : Es wird eine s u b j e k t i v e und eine o b j e k t i v e A u s l e g u n g s t h e o r i e unterschieden. Erstere geht davon aus,daß ein persönlicher Gesetzgeber vorhanden ist, sucht dessen Willen und Absicht zu erforschen und berücksichtigt zu diesem Z w e c k vor allem die Gesetzesmaterialien, die Entwürfe, Denkschriften und Parlamentsverhandlungen und die damaligen Verhältnisse, die das Gesetz veranlaßten (so noch R G 141, 85). Letztere will lediglich aus dem Gesetz selbst, aus dem gegebenen Wortlaut im Zusammenhang mit den übrigen Bestimmungen und ihrem Zweck und Ziel den objektiven Sinn, den Rechtsgedanken für die Gegenwart ermitteln. Der objektiven Auslegungstheorie ist der V o r z u g zu geben. Denn jedes Gesetz, einmal erlassen, wird zu einem selbständig verkörperten Willen der Rechtsordnung, ruht in sich selbst und wird von dem Willen des Gesetzgebers immer unabhängiger, j e länger es angewendet wird ( B i n d i n g , H a n d b u c h des Strafrechts I434, S t a u d i n g e r - R i e z l e r , I 18). Es soll nicht nur eine Rechtsordnung für die Zeit des Erlasses, sondern auch für die spätere Zeit ent-

9

Ein).

Allgemeiner Teil

A n m . 17 sprechend den jeweiligen Erkenntnissen und Bedürfnissen sein (RG 145, 366; B G H 5, 90). Der Entstehungsgeschichte kommt nur insofern Bedeutung zu, als sie bei Zweifel über die Auslegung den Sinn und Zweck des Gesetzes zu erkennen gibt (BGH 1,31a). Zu fragen ist aber nicht danach, was wollte das Gesetz, sondern, was will es heute. Andernfalls würde gerade in Zeiten, in denen die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse und die Rechtsanschauungen ganz andere geworden sind, ein großer Teil des bestehenden Rechts nicht mehr die Rechtsquelle zur Lösung der neu aufgetauchten Rechtsfragen sein. Das war auch der Grund dafür, daß das Reichsgericht in letzter Zeit immer mehr von der subjektiven zur objektiven Auslegungstheorie übergegangen ist (RG 144, 1 1 2 ; 145, 360; 150, 1; 153, 302). An diesem Grunde hat sich nichts geändert. Denn die Abkehr vom nationalsozialistischen Gedankengut bedeutet nicht etwa eine Rückkehr zu den Rechtsanschauungen des BGB zur Zeit seines Erlasses. Das würde den heutigen Verhältnissen und Rechtsanschauungen nicht mehr entsprechen (s. u. III). Um diesen gerecht werden zu können, kommt es nicht darauf an, was der Gesetzgeber vor 50 Jahren gedacht und gewollt hat, sondern was der Sinn und Zweck der Gesetzesbestimmungen ist, welche Rechtslage geregelt werden sollte und jetzt geregelt werden muß (DOG M D R 49, 470; 50, 1 1 5 ; B G H 1, 90; 2, 132, 23, 390). Es kann und muß also einer gesetzlichen Bestimmung abweichend von der bisherigen Auslegung ein den heutigen Verhältnissen und Rechtsanschauungen entsprechender Inhalt gegeben werden B G H 3, 3 1 5 ; 13, 367; 17, 276; B A G 1, 279, 333; 3, 118. Anm. 17 c) Die Bedeutung d e s W o r t l a u t s : Das vornehmste Erkennungsmittel des Gesetzesinhalts bleibt immer dessen W o r t l a u t . Das Wort ist allerdings nur ein Symbol für einen Vorstellungsinhalt, durch das bei dem andern derselbe Vorstellungsinhalt hervorgerufen werden soll, es kann aber auch Symbol für verschiedene Vorstellungen und daher mehrdeutig sein. Ist das Wort ein e i n d e u t i g e s und k l a r e s S y m b o l für einen sicheren und bestimmten Vorstellungsinhalt, den gisetzgebrischen Gedanken, und entspricht er insoweit dem allgemeinen Sprachgebrauch, bei technischen Gesetzesbegriffen dem Gesetzessprachgebrauch, so ist bei der Anwendung des Gesetzes grundsätzlich von diesem auszugehen und bedarf es einer sorgfaltigen Überlegung, inwieweit der Grundgedanke des Gesetzes in den Worten einen hinreichenden oder zu engen oder zu weiten Ausdruck gefunden hat, der Gesetzgeber von anderen Vorstellungen ausgegangen ist (RG 57, 222; 81, 282; 145, 40, 163). Die Grenze für den m ö g l i c h e n Umfang der Wortbedeutung bildet auch die Grenze f ü r die A u s l e g u n g des W o r t e s . Indessen werden die Worte in v e r s c h i e d e n e n R e c h t s o r d n u n g e n , dem Privatrecht und dem Strafrecht, zuweilen in verschiedenem Sinne gebraucht, z. B. Vormund, Angehöriger, Beamter, Geheimnis, Fahrlässigkeit (RG 148, 165). Auch i n n e r h a l b des P r i v a t r e c h t s kann eine verschiedene Bedeutung desselben Wortes vorkommen. So kann z. B. mit den „guten Sitten", wenn das Gesetz sie in einer Blankettnorm aufnimmt, für das Wettbewerbsrecht ein besonderes, anderes Verhalten gemeint sein als bei anderen vom Recht geregelten Gebieten (RG 134, 342). J a sogar i n n e r h a l b d e s s e l b e n G e s e t z b u c h e s kann je nach dem Zusammenhang und der systematischen Stellung die Bedeutung der Worte verschieden sein (RG 153, 20). Es gilt also bei solcher M e h r d e u t i g k e i t des Wortes diejenige Bedeutung bei der Auslegung herauszustellen, die das Gesetz in dem besonderen Falle damit verbindet. Bei dieser Auswahl ist für die Beziehung des Worts auf einen von ihm mit umfaßten Begriff der S i n n und Z w e c k der ganzen gesetzlichen Vorschrift zu erforschen, indem man die Interessen feststellt, deren Abwägung und Regelung das Gesetz sich vorgenommen hat, indem man ermittelt, aufweiche Interessenlage die Vorschrift zugeschnitten ist (RG 111,20; 142,40, B G H 2,' 184; 3, 89; 17, 276). Dafür können die Vorarbeiten eines Gesetzes allerdings von Bedeutung sein (RG 141, 85, 161, 49, 240), immerhin haben sie nur bedingten Wert, da aus den parlamentarischen Beratungen häufig sich nicht feststellen läßt, was für die Fassung der Bestimmung entscheidend war (RG 142, 236; BGH 1, 312). Auf den erkennbaren Willen des Gesetzgebers zur Einschränkung einer Auslegung nach Sinn und Zweck legt zuviel Gewicht R G 142, 316. Zur Feststellung des Sinnes und

10

Anwendung des Rechts

Einl. A n m . 18, 19

Zweckes hat das R G z. B. herangezogen: die frühere Fassung einer Vorschrift (RG 142, 364; 1 6 1 , 49) den A u f b a u des Gesetzes (RG 143, 11) die Änderung des Wortlautes einer auf rechtsähnlichem Gebiet schon geltenden Vorschrift (RG 143, 103), neuen Gesetzentwurf ( H G B § 266) R G 149, 309; 150, 69. Ausnahmebestimmungen sind nicht ausdehnend auszulegen (RG 150, 339). Hierbei kann sich ergeben, daß sich der Inhalt des Begriffs, den das Gesetz anfänglich mit dem Worte bezeichnet, mit der Zeit ändert, weil das Wort zum Symbol für eine andere Vorstellung geworden ist. Dies tritt ein, wenn ein Wertungswandel des vom Wort bezeichneten Begriffs stattfindet ( R G J W 29, 249, z. B. hinsichtlich der Sittenwidrigkeit). Den veränderten tatsächlichen Verhältnissen muß das Gesetz angepaßt werden, da es j a auch für die Gegenwart gelten will (RG 145, 366; J W 1935, 1018). Diese Auslegung nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes bezeichnet man als „ t e l e o l o g i s c h e " und sie kann zu einer E r w e i t e r u n g oder zu einer E i n e n g u n g gegenüber der bei Erlaß des Gesetzes vorhandenen Bedeutung führen, ist also nur im Verhältnis zu dieser zu verstehen, ist „relativ". Immerhin darf diese erweiternde oder einengende Auslegung nicht über den Rahmen der möglichen, im Worte liegenden Bezugnahme auf Vorstellungen hinausgehen und zur völligen Beseitigung des Gesetzes durch ein anderes führen ( B G H 4, 158). Die Auslegung dient nur zur Klarlegung des Inhalts des v o r l i e g e n d e n Gesetzes und stellt seine u n m i t t e l b a r e Anwendung dar, nicht einer nur s i n n g e m ä ß e n Anwendung (Analogie) oder einer A u s f ü l l u n g von L ü c k e n (Ergänzung) (s. Anm. 19). Die Grenze ist allerdings flüssig und ist auch vom R G nicht immer eingehalten.

A n m . 18 4. Zuweilen ist die Auslegung durch gesetzliche Vorschriften nach einer bestimmten Richtung g e b u n d e n , insbesondere an die v o n a n d e r e n B e h ö r d e n g e t r o f f e n e A u s l e g u n g , z. B. an die Entscheidungen der F i n a n z b e h ö r d e n (Finanzgericht und Finanzhof) nach R A b g O § 468.

A n m . 19 3. Ergänzende Auslegung: Kein Gesetz kann lückenlos sein, sei es, daß es bewußt oder unbewußt von vornherein nur bestimmte Lebensverhältnisse regeln will, sei es, daß im Wandel der Zeit die Lebensverhältnisse, auf die die gesetzliche Regelung zugeschnitten ist, sich ändern oder völlig neue mit den Fortschritten des Verkehrs und der Technik hinzukommen. Während aber im Strafrecht die Ausfüllung solcher Lücken versagt ist, eine T a t nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die T a t begangen wurde (Art 103 Abs. 2 G G , § 2 StGB), eine analoge Anwendung einer Strafbestimmung also nicht zulässig ist, ist es auf dem Gebiete des Zivilrechts Aufgabe der Gerichte, Lücken im Gesetz auszufüllen. In manchen Fällen hat der Gesetzgeber im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit des Lebens von einer bis ins einzelne gehenden Regelung abgesehen, sondern nur eine allgemeine Regel aufgestellt und als Maßstab für die Regelung der besonderen Verhältnisse auf die Berücksichtigung von Verkehrssitte, Treu und Glauben, die guten Sitten, dem allgemeinen Recht- und Billigkeitsgefühl hingewiesen. Hier ist also der Sinn und Zweck der allgemeinen Bestimmung zu erforschen und dieser bei den besonderen Verhältnissen zur Geltung zu bringen. In anderen Fällen wird ausdrücklich auf eine entsprechende Anwendung anderer Gesetzesbestimmungen verwiesen. Eine entsprechende Anwendung ( G e s e t z e s a n a l o g i e ) ist aber auch ohne solchen besonderen Hinweis zulässig, wenn ein bestimmter Tatbestand im Gesetz nicht geregelt ist, aber einem anderen doch so ähnlich ist, daß die Anwendung dieser Gesetzesbestimmung naheliegt und angebracht erscheint, selbst wenn es sich um einen Ausnahmetatbestand oder um eine Ausnahmevorschrift handelt. Ist aber ein Tatbestand bei Erlaß des Gesetzes, sei es auch mittelbar, überhaupt nicht berücksichtigt oder konnte er nicht berücksichtigt werden, weil er damals noch außerhalb des Gesichtskreises lag, unterscheidet sich dieser Tatbestand so wesentlich von anderen, daß die für diesen gegebene Regel nicht anwendbar erscheint, so ist die Entscheidung aus dem Geiste des gesamten, als ein Ganzes aufgefaßten Rechts, dem Grundgedanken der Rechtsordnung abzuleiten ( R e c h t s a n a l o g i e ; B G H 2, 176, 17

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Einl. Anm. 20—22

Allgemeiner Teil

286) Der Richter muß dann, wie es Art 1 des Schweizer Zivilgesetzbuches vorschreibt, wie ein ordentlicher und gewissenhafter heutiger Gesetzgeber, also an dessen Stelle rechtsschöpferisch eine Lösung zu finden suchen, die den Bedürfnissen der Beteiligten, aber auch den Interessen der Allgemeinheit und dem allgemeinen Rechtsgefühl gerecht wird (RG 162, 242).

Anm. 20 4. Rechtsändernde Auslegung: Von der ergänzenden ist die rechtsändernde Auslegung zu unterscheiden. Sie kommt in Frage, wenn nicht Lücken im Gesetz, die bei dem Erlaß nicht erkannt oder infolge der Entwicklung der Verhältnisse erst später entstanden sind, nach dessen Grundgedanken auszufüllen sind, sondern wenn der Wortlaut des Gesetzes mit den gewandelten sozialen Verhältnissen und Anschauungen nicht mehr vereinbar ist, ihnen angepaßt werden muß, um eine gerechte, der jetzigen Interessenlage entsprechende Entscheidung zu finden. Solche rechtsändernde Auslegung kann notwendig sein, wenn die sozialen Verhältnisse und die Rechtsanschauungen sich allmählich gewandelt haben und einem Rechtssatz ein entsprechender Inhalt gegeben werden soll (BGH 4, 153; 13, 367; 18, 149; B A G 1, 338) oder wenn infolge einer Staatsumwälzung auf bestimmten Gebieten neue Rechtsgrundsätze zur Herrschaft gekommen sind, durch neue Verfassungsgrundsätze bisher bestehende Rechte (z. B. Standesrechte, Vorrechte einzelner Personen, z. B. des Mannes), sei es auch nur durch eine allgemein gefaßte Rechtsnorm aufgehoben sind oder neue Rechte (Grundrechte) geschaffen und ihre Beachtung insbesondere auch den Gerichten zur Pflicht gemacht ist (Art. 1 I I I GG). Auch in diesen Fällen ist aber im Interesse der Rechtssicherheit, die Rechtsänderung auf das zur Lösung des neuen Interessenkonflikts notwendige Maß, zu beschränken nicht etwa das ganze Gesetz oder ein großer Teil für ungültig zu erklären (BGH 13,367; BVerfG 3, 243). Sollen dagegen Gesetzesbestimmungen, die auf überholten Rechtsanschauungen beruhen, im Interesse der Rechtseinheit und der Rechtsgleichheit an das neuere Recht angepaßt werden, so müssen objektive Grundlagen für die Wandlung der Rechtsanschauungen vorhanden sein, sei es eine von der früheren Anwendung abweichende allgemeine Übung, sei es neue Gesetze, Verwaltungsvorschriften oder eine Verwaltungspraxis auf gleichen oder ähnlichen Rechtsgebieten, die den neuen Rechtsgedanken schon verwirklicht haben ( B G H 4, 153; 13, 367; B A G 1, 279). Dagegen genügt nicht schon, daß eine Änderung zur Erfüllung bestimmter Sozialforderungen nach Anschauung bestimmter Bevölkerungskreise oder des Gerichts wünschenswert erscheint. Noch weniger darf der Richter sich über den klaren Wortlaut eines neueren Gesetzes hinwegsetzen, weil der Grundgedanke des Gesetzes in ihm oder in einer einzelnen Bestimmung nicht hinreichend Ausdruck gefunden habe. Denn inwieweit ein Gesetz sozialen Forderungen zu entsprechen hat, hat allein der Gesetzgeber zu entscheiden (BAG 1, 27g). Vgl. im übrigen Anm. 10 ff und BAG GrS. AP Nr 4 zu § 898, 899 R V O .

Anm. 21 Uber rechtsändernde Auslegung tariflicher Normen vgl. B A G 3, 159.

III. Grundrichtung des bürgerlichen Rechtes und seine Wandlung. Anm. 22 1. Der Geist des Bürgerlichen Gesetzbuchs und seine Zeit: Das BGB sollte die langersehnte und langerstrebte Rechtseinheit verwirklichen. Es faßte zu diesem Zwecke, wie alle Kodifikationen, im wesentlichen nur das damals in den verschiedenen Gebieten herrschende Recht zusammen, brachte nur in geringem Ausmaße aus den verschiedenen Rechtsgedanken heraus Neugestaltungen. Die Grundlage bildete das gemeine Recht, wie es aus dem von den Postglossatoren entwickelten usus modernus pandectarum unter Verwertung einzelner deutschrechtlicher Gedanken im Laufe zweier Jahrhunderte durch Rechtslehre und Rechtsprechung geschaffen worden war. Wie das römische Recht stellte das BGB in den Mittelpunkt des Privatrechtes den Menschen als Einzelwesen und zwar auch da, wo er im Verein mit anderen

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Grundrichtung des Bürgerlichen Rechts

Einl. Anm. 23

tätig wird. Denn auch der Verein, die Gesellschaft, die Korporation, selbst wenn sie als juristische Person eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, wird mehr als eine Summe von Einzelwesen als eine soziale Gemeinschaft betrachtet (vgl. Vorbem. vor § 21). Rechte und Pflichten fließen nicht wie im Mittelalter aus der Gemeinschaft, sondern entscheidend für die Entstehung, Ausgestaltung und den Fortbestand von Rechtsbeziehungen des Menschen als Rechtsperson zu anderen Personen sind der eigene Wille und der eigene Nutzen, denen gegenüber die Interessen der Gemeinschaft möglichst zurückzutreten haben. Zur Durchsetzung dieses eigenen Willens und eigenen Nutzens wird ihm auch die volle Herrschaft über die zu seiner Lebensgestaltung notwendigen Güter gegeben, er kann über sie grundsätzlich nach freiem Belieben verfügen und am Ende seines Lebens frei bestimmen, wem das von ihm ererbte Gut, einschließlich der Grundstücke, zufallen soll. Selbst die nächsten Verwandten haben kein zwingendes Erbrecht, sondern nur einen schuldrechtlichen Pflichtteilanspruch. Neben der Betonung der Einzelpersönlichkeit ist die Sicherung des Eigentums das Hauptziel des BGB. Beides, Vertragsfreiheit und die Fähigkeit freier Verfügung über die sächlichen Güter sowie die Sicherung des Erworbenen soll dem Verkehr dienen, wie auch das klassischrömische Recht ein Recht für den Weltverkehr war. Das BGB ist also, abgesehen von dem Familienrecht, in dem die germanischen Rechtsgedanken vorherrschen, im wesentlichen individualistisch und materialistisch ausgerichtet. Es entsprach damit den im 19. Jahrhundert herrschenden sozialen und wirtschaftlichen Anschauungen. Denn in diesen herrschten noch die Ideale der Aufklärungszeit von Freiheit und Gleichheit, die dem Menschen die Möglichkeit geben sollte, frei von allen Bindungen sein Leben zu gestalten, sich seine Stellung in der Gesellschaft selbst zu schaffen und danach am kulturellen und politischen Leben der Nation teilzunehmen. In gleicher Richtung lagen auch die Grundsätze der Wirtschaft. Auch hier stand im Mittelpunkte der einzelne, selbständige Unternehmer, der möglichst unbehindert durch staatliche Aufsicht und Lenkung im Wettbewerb mit anderen zum eigenen Nutzen wirken sollte. Angebot und Nachfrage — so lehrte man — würden nicht nur die Preise und Löhne angemessen regeln, sondern auch den Ansporn zur Verbilligung der Erzeugung und zur Schaffung neuer Güter geben. Dieses freie Spiel der Kräfte würde letztlich auch in der Gesamtwirtschaft einen harmonischen Ausgleich herbeiführen. Zwar stellte sich allmählich heraus, daß das freie Spiel der Kräfte nicht überall seine Aufgabe erfüllen konnte, daß es insbesondere wegen der wirtschaftlichen Unterlegenheit zu einer Unterdrückung der Arbeiter führte, so daß der Staat hinsichtlich der Arbeitszeit, Kranken- und Altersversorgung eingreifen und hinsichtlich der Löhne der für sich allein schwache einzelne Arbeitnehmer durch die Koalition ersetzt werden mußte, um einen gleichberechtigten Partner zu schaffen. Im allgemeinen herrschten aber noch die liberalistischen, individualistischen Grundsätze der freien Wirtschaft, zumal auch die allgemeine Weltanschauung der Zeit auf derselben Grundlage beruhte. Denn die Lehren der für diese Zeit maßgebenden Philosophen Kant, Fichte, Schopenhauer, Nietzsche waren ebenfalls von der Vorstellung getragen, daß der menschliche Wille der schöpferische Grund seines Wesens sei.

Anm. 23 Das BGB stand somit nicht im Widerspruch mit den zur Zeit seiner Abfassung herrschenden allgemeinen Anschauungen. Wenn es trotzdem von Anfang an nur wenig populär war, so beruhte das auf dem übersteigerten Doktrinarismus, der allzu scharfen Systematik, die zu einer schwerfälligen Sprache und zur Fassung vieler Bestimmungen führte, welche dem Laien kaum verständlich waren, aber nicht darauf, daß es ein aufgezwungenes, dem Volksempfinden fremdes Recht war. Das war dem größten Teile der Bevölkerung nicht bewußt, war auch mehr eine These in dem Gelehrtenstreit der romanistischen und germanistischen Rechtsschulen ( K o s c h a c k e r , Europa und das römische Recht, 1947, S. 154/55). Ebenso trifft es nicht zu, daß das BGB damals als ein der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft dienendes Recht empfunden wurde. Der Klassenkampf hatte noch nicht die Schärfe, die Forderung nach grundsätzlicher Wandlung der Gesellschaftsordnung, wie sie in dem Erfurter Programm der sozialdemokratischen Partei von 1891 im Anschluß an das kommunistische Manifest gefordert wurde,

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Einl.

Allgemeiner Teil

Anm. 24 war noch nicht Gemeingut der Arbeiterschaft, wie man rückschauend häufig annehmen möchte. Das zeigen die im allgemeinen geringen Mitgliederzahlen der sozialistischen Parteien und namentlich der Gewerkschaften zur damaligen Zeit, die zwar in Krisenzeiten stark anwuchsen, aber in den Zeiten des Aufschwunges und der wirtschaftlichen Blüte, wenn die alten liberalistischen Wirtschaftsgrundsätze bei dem Lohn sich zugunsten der Arbeiter auswirkten, stets erheblich absanken. Auch entsprachen die Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes über die Vertragsfreiheit und den Schutz des Eigentums im allgemeinen den Wünschen und Interessen der Arbeitnehmer. Die These von der Arbeiterfeindlichkeit des BGB ist erst eine Kampfparole späterer Zeit.

Anm. 24 2. Der soziologische nnd wirtschaftliche Strukturwandel: Spiegelt somit das BGB die zu seiner Zeit herrschenden Anschauungen im wesentlichen wider, so stand es doch am Abschluß einer Epoche, die zwar infolge ihrer Grundsätze zu einem ungeahnten wirtschaftlichen Aufschwung, zu einer unerwarteten Volksvermehrung und auch zu einer erheblichen Verbesserung der allgemeinen Lebenshaltung geführt hatte, aber doch den Keim zur Wandlung der Anschauungen schon in sich trug. Gerade der freie Wettbewerb zwang dazu, die industriellen Anlagen ständig der technischen Entwicklung anzupassen und zu vergrößern. Dazu reichte aber die Kapitalkraft des einzelnen Unternehmers immer weniger aus. An seine Stelle traten in immer größerem Ausmaße die sog. anonymen Gesellschaften (AG und GmbH), die die erforderlichen Kapitalien aus den Händen vieler, nicht unmittelbar an der Erzeugung Beteiligten sammeln. Damit schieden sich aber die beiden Unternehmerfunktionen, die Bereitstellung der Kapitalien und die Lenkung und Leitung der Unternehmen, voneinander. J a die letzte zerfiel wiederum in die technische Betriebsführung und die allgemeine Wirtschaftsführung. Beide Aufgaben wurden von Direktoren und anderen leitenden Angestellten übernommen (sog. Manager-System), während die Kapitalgeber immer mehr den Einfluß auf die Führung des Unternehmens verloren, zu Rentnern wurden, deren Interesse an dem Unternehmen sich in einer möglichst hohen und gleichmäßigen Dividende erschöpfte. Die überwachende und lenkende Tätigkeit des Kapitalgebers ging auf die Banken, d. h. wiederum auf deren Leiter, oder auf den Staat über. Die Unternehmeraufgabe war somit in weitem Maße aus der Hand des privaten Unternehmers, der seinen eigenen Nutzen verfolgt, aber selbst das Risiko trägt und dadurch beschränkt wird, in die Hand von Personen übergegangen, die solchen Beschränkungen nicht unterliegen und auch nicht die Interessen einzelner Personen, sondern einer größeren Anzahl mit dem Unternehmen nur wenig verbundener Kapitalgeber, wenn nicht gar des Unternehmens als solchen oder einer Gruppe von Unternehmen vertreten. Zwar wurde entgegen den sozialistischen Theorien der kleine selbständige Unternehmer durch die großen Kapitalgesellschaften keineswegs völlig aufgesogen, nach der Zahl der Betriebe und auch der beschäftigten Arbeitnehmer überwogen sie noch immer bei weitem, und zwar nicht bloß im Handel, sondern auch im Gewerbe, j a sie gewannen in letzter Zeit neue Gebiete, z. B. Autoreparaturwerkstätten, Lieferung von einzelnen Maschinenteilen und Ausrüstungsstücken (sog. verlängerte Werkbank). Aber selten waren diese Unternehmer völlig selbständig, meistens hingen sie von größeren Betrieben nicht nur hinsichtlich der Preisgestaltung, sondern auch nach Art und Umfang der Erzeugung ab, oder sie waren Mitglieder eines Wirtschaftsverbandes (Kartell, Syndikat), der mehr und mehr nicht nur die Preise und Lieferungsbedingungen, sondern auch Art und Umfang der Produktion nach den Gesamtinteressen der Mitglieder bestimmte. Der Leistungswettbewerb verlor seine Bedeutung, an seine Stelle trat in manchen Gewerbezweigen die monopolartige Herrschaft einzelner Unternehmer. Auch wurden die Lieferungsbedingungen nicht mehr von Fall zu Fall ausgehandelt, sondern es wurden von den großen Unternehmen oder Wirtschaftsverbänden allgemeine Lieferungsbedingungen aufgestellt, denen der andere Vertragspartner sich unterwerfen mußte, selbst wenn sie ihm ungünstig erschienen, er ihre Bedeutung nicht erkennen konnte oder ihren vollen Inhalt nicht kannte. Auf dem für die soziale Ordnung wichtigsten Gebiete, dem Arbeitsleben, hatte die Einzelvereinbarung überhaupt nur noch Bedeutung für die leitenden Angestellten und besonderen Fachkräfte, im übrigen wurde der Inhalt

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Grundrichtung des Bürgerlichen Rechts

Einl. A n m , 25

des Arbeitsvertrages durch die Tarifverträge gestaltet, die nur selten von einzelnen Unternehmern, sondern überwiegend von Verbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zwar nur mit bindender Wirkung für ihre Mitglieder geschlossen wurden, aber durchweg auch für die Außenseiter bestimmend waren. Überdies traten Unternehmer, Angestellte und Arbeiter nicht mehr als einzelne Personen zueinander in Beziehung, sondern als Glieder einer organischen Einheit, des Betriebes. Dessen Ordnung wurde nicht durch den Willen des Unternehmers allein, sondern nur im Zusammenwirken mit den Arbeitnehmern geschaffen. Aus dieser Eingliederung in den Betrieb flössen für beide Teile Pflichten, die nicht rein schuldrechtlicher Natur waren, nicht im Verhältnis von Leistung und Gegenleistung standen, sondern aus der jeder Gemeinschaft eigenen Treupflicht kamen. Auch in der Politik trat immer mehr an die Stelle des einzelnen Menschen, der kraft seiner Persönlichkeit Einfluß auf die Führung von Gemeinden und Staat gewann, die Partei, nur im Rahmen und als Glied einer politischen Partei konnte der einzelne Mensch noch wirken.

Anm. 25 3. Der Strukturwandel in der Rechtsauffassung und Rechtsprechung: A m Ende dieser Epoche — etwa 1930 — hatten sich also die Stellung des Menschen und sein Wirken grundsätzlich geändert. An Stelle des „sehr eigennützigen, aber in seinem Eigennutz auch sehr klugen Individuums, das nur seine eigenen Interessen kannte, aber auch nur auf sich selbst vertraute" ( R a d b r u c h , Der Mensch im Recht, 1927), ist ein Mensch getreten, der bei der Verfolgung seiner egoistischen Ziele in weitem M a ß e auf die Allgemeinheit und seine Mitmenschen Rücksicht zu nehmen hat, der in vielen Hinsichten einer größeren oder kleineren Gemeinschaft eingeordnet ist, dadurch nicht bloß in der Ausübung seiner Rechte beschränkt ist, sondern auch Pflichten hat, die nicht nur von seinem Willen abhängen. Andererseits erwartet er aber auch, daß die Gemeinschaft und ihre Mitglieder für ihn eintreten, ihn fördern und unterstützen. Dieser Wandlung in der für jedes Rechtssystem so wichtigen Stellung des Menschen konnte sich die Rechtsentwicklung nicht entziehen, wenn anders nicht das B G B in Widerspruch zu den Anschauungen des gesamten Volkes, dem allgemeinen Rechtsgefühl treten und zum absterbenden Recht werden sollte. Rechtslehre und vor allem die Rechtsprechung haben deshalb unter Ausnutzung der im B G B gegebenen Möglichkeiten, insbesondere der sog. Generalklauseln (§§ 157, 242, 826), den individualistischen Charakter des B G B gemäßigt, den Pflicht- und Gemeinschaftsgedanken, die soziale Verbundenheit zur Geltung gebracht. Zunächst wurde die S t r e n g e d e r W i l l e n s t h e o r i e e i n g e s c h r ä n k t . Die Auffassung des Erklärenden von dem, was er gewollt und erklärt hatte, mußte zurücktreten gegenüber dem, was nach Treu und Glauben und nach den Verkehrsanschauungen darunter zu verstehen ist ( R G 91, 426), wobei es nicht nur auf die Zeit der Erklärung ankommt, sondern bei Erklärungen für einen größeren Kreis oder die Allgemeinheit, wie etwa Lieferungsbedingungen oder Gesellschaftsverträgen, auch darauf, was künftig darunter verstanden werden könnte (RG 141, 206). Die Geltendmachung von W i l l e n s m ä n g e l n u n d N i c h t i g k e i t s g r ü n d e n und damit die rückwirkende Vernichtung der Erklärung wird aus Gründen der Rechtsund Verkehrssicherheit bei Kapitalgesellschaften ( A G , G m b H ) überhaupt versagt ( R G 123, 1 0 2 ; 127, 1 9 1 ) , für Personalgesellschaften (Gesellschaften des bürgerlichen Rechtes, offene Handelsgesellschaft und K G ) , die bereits ins Leben getreten sind, wenigstens gegenüber Außenstehenden ( R G 142, 1 0 5 ; J W 33, 1996), während im Verhältnis der Gesellschafter untereinander zunächst noch an der Anfechtung und Geltendmachung der Nichtigkeit festgehalten wird, wenn auch nur mit der Folge der Auseinandersetzung, und erst später die Anfechtung durch fristlose Kündigung ersetzt wird ( R G 165, 203; B G H 3, 285). Auch der Grundgedanke der V e r t r a g s f r e i h e i t , daß jeder seine Interessen ohne Rücksicht auf die anderen wahrnehmen kann ( R G 68, 245) und Verpflichtungen nur bestehen, soweit sie aus eigenem Entschluß übernommen sind, wurde zurückgedrängt. Die Vertragsparteien wurden auf Grund des § 242 B G B gehalten, den ihnen bekannten Interessen des anderen Teiles Rechnung zu tragen und Benachteiligungen tunlichst zu vermeiden ( R G 1 0 1 , 49). Schon bei den Verhandlungen über den Abschluß des Vertrages haben sie einander auf Umstände aufmerksam zu

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Einl. Anm. 25

Allgemeiner Teil

machen, die zu einer Vereitelung des Vertragszweckes führen könnten, und auf Fragen gewissenhaft Auskunft zu geben ( V e r s c h u l d e n b e i m V e r t r a g s a b s c h l u ß . R G 102, 2 5 1 ; 132, 79, 309) und nach Vertragsschluß nicht nur die zur Erbringung der vertraglichen Leistungen erforderlichen Handlungen vorzunehmen, sondern daneben noch Schutzpflichten (Obhut, Erhaltung, Aufbewahrung), Mitteilungspflichten und Auskunftspflichten zu erfüllen, die u. U. auch nach Vertragsende fortbestehen können (RG 122, 355; 126, 52; 1 3 1 , 246; i6r, 338) und bei deren Nichtbeachtung ebenfalls aus dem Vertrage gehaftet wird (Lehre von den sog. p o s i t i v e n V e r t r a g s v e r l e t z u n gen). Solche Nebenpflichten ergeben sich zwar noch nicht bei Austauschgeschäften des täglichen Lebens, bei einmaligen Leistungen, aber doch schon, wenn aus einem Vertrage nacheinander mehrere Leistungen zu machen sind (Sukzessivlieferungsvertrag), und zwar vor allem bei länger dauernden Geschäftsverbindungen, bei denen aus früheren Vertragsbeziehungen ein gewisses Vertrauensverhältnis, eine engere Verbundenheit entstanden ist, wenn auch nicht ein echtes Gemeinschaftsverhältnis, da das gemeinschaftliche Interesse und das gemeinschaftliche Ziel fehlen. Bei echten personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnissen aber, der bürgerlichen Gesellschaft in ihren verschiedenen Erscheinungsformen, wie Interessengemeinschaft, Konsortialbeteiligung, Wirtschaftsverbänden, der stillen Gesellschaft, der oHG und der K G , nicht aber der Gemeinschaft des § 741, und bei Kapitalgesellschaften (AG und GmbH) nicht im Verhältnis der Kapitalbeteiligten untereinander ( H u e c k , Der Treugedanke im modernen Privatrecht, B G H BB 53, 336), hat das einzelne Mitglied nicht nur die Interessen der Gemeinschaft und ihrer Mitglieder zu berücksichtigen und jede Benachteiligung zu vermeiden, sondern darüber hinaus in Erfüllung seiner Gemeinschaftspflicht durch positives Tun zu fördern, es entsteht eine echte Treupflicht, die seine Person als solche ergreift, sein gesamtes Handeln beeinflußt. Hierher gehören weiter die Grundsätze über den A b s c h l u ß z w a n g (RG 133, 391), d. h. die Verpflichtung des Inhabers einer rechtlichen oder tatsächlichen Monopolstellung, mit denjenigen, die auf seine Leistung angewiesen sind, zu den allgemeinen Bedingungen Lieferungsverträge abzuschließen. Hier wird gewissermaßen zum Ausgleich dafür, daß der eine Vertragsteil wegen der Monopolstellung des anderen sich nicht den Vertragspartner aussuchen kann, auch dessen Vertragsfreiheit eingeschränkt (vgl. § 16 Energie WirtschaftsG. v. 13. 12. 35 R G B l . I 1451). Es kommt darin auch weiter der Grundgedanke der Gleichbehandlung zum Ausdruck, der im Arbeitsrecht eine so wesentliche Bedeutung erlangt hat ( R A G A r b R S 42, 141 mit Nachweisungen), vgl. § 6 1 1 Vorbem. 12—14. Bedeutungsvoll für die Wandlung der Rechtsanschauungen ist aber vor allem die Lehre von der u n z u l ä s s i g e n R e c h t s a u s ü b u n g , die zusammen mit der Rechtslehre von der Rechtsprechung an Hand der einzelnen Fälle aus der exceptio doli generalis allmählich entwickelt worden ist. Danach verliert die Ausübung eines an sich zustehenden Rechtes ihre innere Berechtigung, wird zum Mißbrauch, wenn sie mit der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die schutzwürdigen Interessen anderer, mit den sittlichen Anschauungen der Allgemeinheit, insbesondere mit Treu und Glauben im Verkehr nicht im Einklang steht. Dazu genügt bei bestehenden Rechtsbeziehungen schon, daß die Ausübung des vertraglichen Rechtes mit Sinn und Zweck des Vertrages oder mit dem früheren Verhalten der Vertragspartner nicht vereinbar ist, z. B. wenn Formmängel des Rechtsgeschäftes, auf die beide Parteien zunächst kein Gewicht gelegt haben, später geltend gemacht werden, oder eine für einen ganz anderen Fall berechnete Vertragsbestimmung nur benutzt wird, um sich den Folgen eines eigenen Verstoßes gegen die Treupflicht zu entziehen (sog. unrichtige Rechtsausübung). Ähnlich bei Ausnutzung einer gesetzlichen Bestimmung vgl. B G H 5, 186. Aber auch Personen gegenüber, mit denen bisher keinerlei Rechtsbeziehungen bestanden, darf die Ausübung eines Rechtes, sei es im Hinblick auf das frühere Verhalten des Berechtigten, sei es auf die besonderen Verhältnisse des Anspruchsgegners, sei es auf die begleitenden Umstände, etwa die gegenseitigen Machtverhältnisse (RG 167, 65), nicht im Widerspruch stehen mit dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, dem gesunden Volksempfinden oder der im Verkehr herrschenden Anschauung von Treu und Glauben. In diesem Bereich liegen auch die späteren Entscheidungen, daß ein i n d u s t r i e l l e r

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Grundrichtung des Bürgerlichen Rechts

Einl. A n m . 26, 27

B e t r i e b , auch wenn er sich im Rahmen der ortsüblichen Benutzung der Grundstücke hält, doch auf die Nachbarschaft Rücksicht nehmen muß, die von ihm ausgehenden Einwirkungen nicht so stark werden dürfen, daß die Benutzung der anderen Grundstücke in der bisherigen Art völlig unterbunden oder ü b e r m ä ß i g b e e i n t r ä c h t i g t wird, daß in solchen Fällen aus dem nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis heraus ein Ausgleich gefunden werden muß, sei es, daß die Einwirkungen durch besondere Einrichtungen gemildert werden oder letzten Endes die Benachteiligung der betroffenen Grundstücke durch eine Geldentschädigung ausgeglichen wird (RG 154, 1 6 1 ; 159, 139; 162, 369; 167, 14; 169, 180; O G H 2 , 1 8 2 ; dagegen v. d. G o l t z , BB 50, 268, der aber die Entscheidung nur von der dinglichen Seite aus betrachtet).

Anm. 26 Unter der Herrschaft des Nationalsozialismus wurde dann allerdings die Abkehr von dem Individualismus übersteigert, j a durch die Ausdehnung des Gemeinschaftsgedankens fast in das Gegenteil verkehrt. Der Mensch wurde mit allem seinem Streben in Gemeinschaften eingegliedert (Reichsnährstand, Reichsärztekammer, Reichskulturkammer und die verschiedenen Wirtschaftsgruppen), einer besonderen Standeszucht unterworfen und die Regelung seiner Beziehungen zu den anderen Mitgliedern und anderen Gemeinschaften weitgehend den Organen dieser Gemeinschaften übertragen und damit sein bürgerlicher Rechtskreis mehr oder weniger eingeschränkt. Nach dem Schlagwort „ D u bist nichts, dein Volk ist alles!" — „Gemeinnutz geht vor Eigennutz!" sollten auch auf privatrechtlichem Gebiete die Interessen der Volksgemeinschaft und der einzelnen Gemeinschaften den Vorrang haben. Die Eigensphäre des Menschen wurde also nicht bloß auf politischem Gebiete, sondern auch auf dem privatrechtlichen Gebiete stark eingeschränkt, wenn auch nicht so vollständig beseitigt, wie in der kommunistischen Gesellschaftsordnung sowjetischer Prägung, wo nicht bloß die gesamte wirtschaftliche Betätigung auf staatliche oder staatlich gelenkte Körperschaften übergegangen ist, sondern auch das persönliche Leben des einzelnen Menschen durch staatliche Anordnungen und Verbrauchsregelungen bestimmt wird, so daß der Mensch überhaupt kaum Möglichkeit zur Gestaltung seines Lebens hat, sondern nur noch ein Teilchen der für den Staatsorganismus notwendigen Massen ist. Mit der Abkehr vom Nationalsozialismus hat die übertriebene Zurücksetzung der Persönlichkeitswerte und die Ubersteigerung des Gemeinschaftsdenkens wieder ihre Grundlage verloren, wenigstens in der Bundesrepublik, während für den Osten Deutschlands, die D D R und Ost-Berlin, zunächst noch die orientalische Auffassung von der Würde und Bedeutung des Menschen Geltung hat. Allerdings hat sich das nationalsozialistische Gedankengut auf dem eigentlichen Gebiete des bürgerlichen Rechtes, mit Ausnahme des Eherechtes und anderer Teile des Statutarrechtes, am wenigsten ausgewirkt, da gesetzliche Änderungen insoweit nicht ergangen sind. Auch hat die Rechtsprechung die Grundsätze des BGB im allgemeinen aufrecht erhalten und nach wie vor die Rechte der Persönlichkeit betont und geschützt (vgl. etwa R G 168, 127, 139). Sie hat im wesentlichen nur die oben angeführten Grundsätze weiter fortgebildet, wenn sie sich auch vielfach dabei des nationalsozialistischen Wortschatzes bediente, z. T. wohl aber nur, weil Worte wie Volksgemeinschaft und gesundes Volksempfinden kennzeichnender und ausdrucksvoller sind als das farblose und gehaltlose Wort Allgemeinheit oder der geschraubt-abstrakte und daher unvolkstümliche Begriff des Anstandsgefühls aller gerecht und billig Denkenden, der allzu sehr an die verpönte, doktrinäre Sprache des BGB erinnert.

Anm. 27 Eine Rückkehr zu den ursprünglichen Grundsätzen des BGB kommt indessen nicht in Frage, da die Abkehr von dem Individualismus und die stärkere Betonung der Verbundenheit der Menschen untereinander dem Zuge der Zeit entspricht, nicht nur der deutschen, sondern z. B. auch der amerikanischen Rechtsentwicklung eigen ist (vgl. R o s c o e P o u n d , Der Geist des gemeinen Rechtes. Amerika 1921, Dtsch. Ubers. 1947). Uberall ist das Schwergewicht von der Einzelperson auf Verbände und Gemeinschaften übergegangen. In der Politik herrscht nach wie vor die Partei, und auch auf wirtschaftlichen und sozialen Gebieten haben die Verbände die größere Bedeutung, i

Komm. 2. BGB, I i . Aufl. I. Bd. (Denecke)

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Vor § \ Anm. 1

Allgemeiner Teil. Personen

zumal in der freien Wirtschaft, wie die bisherige Entwicklung gezeigt hat, Lenkungsmaßnahmen nicht entbehrlich sind, die am besten der Selbstverwaltung der Unternehmer in Verbindung mit den Arbeitnehmervertretern überlassen bleiben. Denn das kennzeichnende Merkmal unserer Zeit ist, nicht nur in Deutschland, das Auftreten der A r b e i t e r s c h a f t als m i t b e s t i m m e n d e r F a k t o r , nicht bloß bei der Staatsführung, sondern auch bei der Wirtschaftsführung. Vertreter der Arbeitnehmer erhalten in den Aufsichtsorganen der Kapitalgesellschaften mit den Vertretern des Kapitals die volle Gleichberechtigung und ihre Mitwirkung auf sozialem Gebiete hat sich verstärkt. Der Unternehmer ist nicht nur bei der Schaffung der betrieblichen Ordnung und der Verwaltung der Sozialeinrichtungen, sondern auch in Personalfragen, bei der Einstellung, Entlassung, Versetzung und Beförderung der Arbeitnehmer, an das Einverständnis der Betriebsvertretung gebunden und muß diese auch bei der technischen und wirtschaftlichen Führung des Betriebes hören. Die freie Kündigung ist schon nach kurzer Betriebszugehörigkeit (6 Monate) versagt, wenn sie nicht sozial gerechtfertigt ist (Kündigungsschutzgesetz v. io. 8. 51 BGBl. 99). Die Ablösung des Einzelvertrages durch kollektive Regelung ist sowohl auf wirtschaftlichem wie auf sozialem Gebiete stärker geworden als vorher, nachdem auf letzterem wiederum die volle Autonomie der Sozialpartner an die Stelle der staatlichen Ordnung getreten ist. Andererseits ist die U n a n t a s t b a r k e i t d e r M e n s c h e n w ü r d e und das Recht auf f r e i e G e s t a l t u n g d e r P e r s ö n l i c h k e i t durch das Bonner Grundgesetz zum unmittelbar geltenden Rechtssatze erhoben. Beide Prinzipien miteinander in Einklang zu bringen, ist die Hauptaufgabe der künftigen Rechtsentwicklung. Die einzelnen Bestimmungen des bürgerlichen Rechts müssen von diesen beiden Grundprinzipien aus daraufhin geprüft werden, ob nicht der Wortlaut des Gesetzes einen anderen Inhalt, die daraus fließenden Rechte andere Grenzen erhalten haben, als es früher nach dem reinen Individualitätsprinzip der Fall war. Denn auch die Grenzen der subjektiven Rechte und ihrer entsprechenden Pflichten werden von dem Geiste der Zeit bestimmt; sie werden durch die jeweils herrschenden Weltanschauungen, durch den Stil der Gesamtkultur geprägt und müssen in ihrer äußeren Form damit in Einklang gebracht werden (vgl. T r i e p e l , V o m Stil des Rechts, 1947, S.66; R i e z l e r , Das Rechtsgefühl, 1946, S. 52; B ü c h e r t , J W 51, 102; B G H 1, 90, 316; 2, 132 und oben Anm. 10—21).

Erster Abschnitt Personen Erster Titel Natürliche Personen Vorbemerkungen Übersicht Anm.

I. Allgemeines Persönlichkeitsrecht II. Rechtsfähigkeit Begriffsbestimmung III. Beachtung der Grundrechte 1. Allgemeines 2. Der Grundsatz der Gleichheit 3. Gleichberechtigung von Mann und Frau

1,2 3—5 6 7 8

I. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Anm. 1 I. Ein allgemeines Personlichkeitsrecht kannte das BGB nicht, es war sowohl von der Rechtslehre wie insbesondere auch von der Rechtsprechung als zu wenig faßund abgrenzbar stets abgelehnt worden. (RG 51, 176; 114, 414; R A G J W 33, i g i 1).

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Natürliche Personen

Vor §1 Anm. 2, 3

Nur einzelnen Persönlichkeitsrechten wurde ein Schutz insoweit gewährt, als es sich aus positiven Bestimmungen wie §§ 12, 823 I, 824, 825 und den Urheberrechtsgesetzen, aus der Schutzgesetzklausel des § 823 I I oder aus den Generalklauseln der §§ 826, 1004 B G B ergab. Nach dem letzten Krieg ist jedoch ein solches allgemeines Recht der Persönlichkeit in den Länderverfassungen von Bayern, Bremen, Hessen, BadenWürttemberg und vor allem im Bonner Grundgesetz anerkannt. Denn der Satz des Art. 1 G G über die Unantastbarkeit der Menschenwürde, mag er nur ein allgemeiner Verfassungsgrundsatz sein, der erst durch die einzelnen Grundrechte seine Ausgestaltung erhält (so M a n g o l d - K l e i n Grundgesetz S. 147, 168) oder schon selbst ein Grundrecht sein (so N i p p e r d e y - S c h e u n e r Grundrechte I I S. 1 1 , 40), zeigt in Verbindung mit dem Absatz 2, daß der Mensch als individuelles Wesen mit allen seine Würde und Eigenwert kennzeichnenden Merkmalen und Rechten geschützt sein soll. Die Eigenständigkeit und der Eigenwert der Menschen ist zum beherrschenden Grundsatz der Gesamtordnung geworden, sie sind nicht nur von der Staatsgewalt zu schützen, sondern auch für das Verhältnis der Menschen oder ihrer Gruppen untereinander bedeutsam. Das Persönlichkeitsrecht ist ein subjektives Recht auch Dritten gegenüber, ein sonstiges Recht i. S. des § 823 I ( B G H 13, 338; 24, 72, B A G 2, 2 2 1 , N i p p e r d e y a. a. O. S. 13, 37), allerdings nicht in dem alten liberalen Sinne ( M a n g o l d - K l e i n S. 165). Denn durch seine Ausübung darf nicht das Recht anderer beeinträchtigt werden, sie muß sich vielmehr im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung, der Schranken der allgemeinen und insbesondere der Sittengesetze halten (Art. 2 I, 5 I I G G ) . Das Persönlichkeitsrecht ist somit nicht nur von der einzelnen Person aus zu betrachten, sondern findet seine Grenzen in der Stellung des Einzelnen in größeren oder kleineren Gemeinschaften, ohne daß jedoch seine Würde als Mensch unterdrückt werden darf; seine Reichweite richtet sich im Streitfall nach dem Prinzip der Güter- und Interessenabwägung ( B G H 24, 72). Anm. 2 Auf privatrechtlichem Gebiet werden zwar nach wie vor die obengenannten Sonderbestimmungen über den Schutz einzelner Persönlichkeitsrechte maßgebend sein, der allgemeine Grundsatz über die Achtung der Menschenwürde und die einzelnen Grundrechtsbestimmungen nur zur Vertiefung und etwaigen Anpassung an die neueren Anschauungen heranzuziehen seien. Auch können sie auf anderen Gebieten zur Abgrenzung der gegenseitigen Befugnisse dienen, z. B. hinsichtlich der Frage der Beschäftigungspflicht im Arbeitsverhältnis ( B A G 2, 221). Bedeutsam sind sie aber vor allem bei Eingriffen in die sogenannte Geheimsphäre, d. h. des Rechtes der Persönlichkeit auf Geheimhaltung von Gedanken, Aufzeichnungen, Briefe oder Tatsachen, die der allgemeinen Wahrnehmung entzogen sind und die der Betreffende geheimhalten will oder deren Behanntgabe seine Würde als Menschen herabsetzen, ihn moralisch, gesellschaftlich, beruflich oder wirtschaftlich in irgend einer Weise schädigen würde (vgl. S ü ß in Festgabe für Lehmann I 189fr.; N i p p e r d e y - S c h e u n e r , Grundrechte I I 43). In diesen Fällen kann nunmehr auf Grund der allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Betreffende oder seine Angehörigen, unter Umständen auch seine Freunde, nach seinem Tode die Veröffentlichung solcher Tatsachen, Briefe usw. verhindern, auch wenn die Voraussetzungen der §§ 826, 1004 B G B oder der Urheberrechtsgesetze nicht gegeben sind, weil etwa die Aufzeichnungen der Briefe noch keine schutzwidrige Gestalt gewonnen hatten ( B G H N J W 54, 1404). Auch heimliche Tonbandaufnahmen sind ein unzulässiger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, ebenso heimliche Bildaufnahmen ( B G H 24. 200) z. B. auch von Arbeitswilligen bei Streiks. Ob auch über § 253 B G B hinaus für immateriellen Schaden eine Geldentschädigung verlangt werden kann, ist strittig. II. Die Rechtsfähigkeit. Anm. 3 Die Rechtsfähigkeit ist ein allgemeines Persönlichkeitsrecht. Sie kommt auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts grundsätzlich jedem Menschen zu, und kann weder durch rechtsgeschäftliche noch durch behördliche Verfügung entzogen werden. Somit ist von dem BGB, das in dieser Beziehung ausschließliche Geltung beansprucht (Art. 30 E G ) , soweit deutsche Gerichte entscheiden, auch die Rechtsfähigkeit des Sklaven, Leib2'

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Vor §1

Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 4—7 eigenen, Erbuntertänigen im Ausland anerkannt. Aus der Nichtanerkennung der Sklaverei folgt aber nicht, daß zugleich alle Wirkungen des Dienstverhältnisses beseitigt wären. Anm. 4 Das BGB enthält keine Begriffsbestimmung der Rechtsfähigkeit. Allgemein wird darunter die Fähigkeit verstanden, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Von ihr ist zu unterscheiden die H a n d l u n g s f ä h i g k e i t , d.i. die Fähigkeit, durch eigene Handlungen Rechtswirkungen auszulösen; sie zerfällt wiederum in die Fähigkeit zur Abgabe und Entgegennahme rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen, die G e s c h ä f t s f ä h i g k e i t und in die Verantwortlichkeit für die eigenen Handlungen, D e l i k t s fähigkeit. Anm. 5 Eine a l l g e m e i n e , nach Inhalt und Umfang g l e i c h e R e c h t s f ä h i g k e i t gibt es nicht, sie ist vielmehr für die einzelnen Rechtsgebiete verschieden, erfährt vielfach durch öffentlich rechtliche Einflüsse Abwandlungen, so daß die Rechtsfähigkeit der Angehörigen einzelner Berufskreise verschiedenen Inhalt haben kann. Vor allem gibt es keine für alle Völker und Staaten gleiche Rechtsfähigkeit. Maßgebend ist immer die gesetzliche Ordnung des Heimatstaates. Für die Anwendung deutschen Rechts ist also entscheidend, ob der Einzelne deutscher Staatsangehöriger im Sinne des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. 7. 13 (RGBl. 383) und des Gesetzes vom 15. 5. 35 (RGBl. I 431) ist. Zu den deutschen Staatsangehörigen gehören aber nach dem Gesetz vom 22. 2. 55 (BGBl. I 65) auch die Personen, denen durch Sammeleinbürgerung während des Krieges die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen worden war und gemäß Art. 1 1 6 G G die Flüchtlinge und Vertriebenen deutscher Volkszugehörigkeit und deren Ehegatten und Abkömmlinge, die in dem Gebiete des deutschen Reichs nach dem Stande vom 3 1 . 12. 37 Aufnahme gefunden haben. Für A u s l ä n d e r richtet sich der Umfang der Rechtsfähigkeit somit nach ihrem Heimatrecht, für S t a a t e n l o s e gemäß Art. 29 E G i. d. F. vom 12. 4. 38 (RGBl. I 380) nach den Gesetzen des Staates, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder mangels eines solchen ihren Aufenthalt haben oder zu der maßgebenden Zeit gehabt haben. III. Beachtung der Grundrechte. Anm. 6 1. Allgemeines: Die Grundrechtsbestimmungen des Bonner Grundgesetzes sollen nicht wie früher nur dem Schutze der Einzelnen gegen Eingriffe der Staatsgewalt dienen oder Programmsätze für die künftige Gesetzgebung aufstellen, sondern auch das soziale Leben unmittelbar ordnen. Da sie also nicht nur das Verhältnis der Einzelnen zum Staat bestimmen oder gewisse Institutionen diesem gegenüber garantieren sollen, sondern Regeln für das Gemeinschaftsleben geben, entscheidende Grundsatznormen sind, müssen sie auch unmittelbare Geltung für das Privatrecht haben, dürfen sich privatrechtliche Abmachungen, Rechtsgeschäfte und Handlungen mit ihnen nicht in Widerspruch setzen (BVerfGG 9 , 2 2 5 - J Z 1957, 268; B G H 13,334; B A G N r . 1 z u § 6 G G ; a . M . zum Teil das Schrifttum vgl. M a n g o l d t - K l e i n , Vorb. A I I 4 u. A I V 9 zu Art. 3). Als solche Grundsatznormen sind von der Rechtsprechung insbesondere anerkannt die Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1) und das Recht auf freie Gestaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 ; B G H 13, 334; N J W 1957, 1146) und die Gleichberechtigung von Mann und Frau ( B A G 1, 185, 250; 4, 126 u. a.). Auch Bestimmungen privater Verträge darüber, daß ein Dienstverhältnis bei Verheiratung endet oder fristlos oder vorzeitig gekündigt werden könne (sog. Zölibatsklausel) sind als mit dem Grundsatz des Art. 6 Abs. 1 G G nicht vereinbar nichtig ( B A G 4, 2741). Anm. 7 2. Der Grundsatz der Gleichheit: Gleichheit vor dem Gesetz bedeutet nicht gleiches Recht für alle, sondern nur, daß Gleiches gleich behandelt werden, daß das jeweils bestehende Recht ausnahmslos.

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Natürliche Personen

Vor § 1 Anm. 8

ohne Ansehen der Person, nicht willkürlich und unter Ermessensmißbrauch verwirklicht wird, schließt also eine unterschiedliche Behandlung aus sachlichen Gründen, z. B. w e g e n gewisser körperlicher Fähigkeiten, geistigen A n l a g e n , a u c h w e g e n der funktionellen Unterschiede zwischen M a n n und F r a u nicht aus ( B V e r f G i , 52, 207, 265; 2, 343; 3, 85; 135, 182; B G H 22, 9; B A G 1, 5 1 ; A P Nr. 13 z u A r t . 3 G G ) . Z u solchen sachlichen G r ü n d e n gehören aber nach Art. 3 nicht Geschlecht, A b s t a m m u n g , Rasse, Herkunft, politische Gesinnung (Zugehörigkeit z u einer bestimmten politischen Partei), a u c h nicht das religiöse Bekenntnis. D e m n a c h wird die Rechtsu n d Geschäftsfähigkeit nicht durch das v o n M ö n c h e n und Nonnen abgelegte Gelöbnis der A r m u t noch durch das G e l ü b d e des Gehorsams aufgehoben oder beeinträchtigt. D e r sog. Klostertod, wie er nach dem A L R und anderen Partikularrechten bestand, w a r schon d u r c h A r t . 55,87 I I E G abgeschafft ( R G 9 7 , 1 2 4 ) . U b e r die vermögensrechtliche Bedeutung des Klostergelübdes vgl. B r ü n n e c k Gruch. 4 5 , 1 9 3 . A r t . 87 E G ist durch das Vereinheitlichungsgesetz v o m 8. 5. 53 aufgehoben, damit haben a u c h die darauf beruhenden Beschränkungen ihre Geltung verloren. D a s in A r t . 3 nicht erwähnte A l t e r kann für gewisse Rechtsgebiete nicht nur eine Beschränkung, sondern a u c h einen Fortfall der Rechtsfähigkeit begründen, so bei der Ehemündigkeit, hier sogar verschieden für M a n n und Frau (§ 1 E h e G ) oder bei der Testierfähigkeit (§§2229 Abs. 1, 2238 Abs. 3, 2247 Abs. 4). Eine Beschränkung der Rechtsfähigkeit bedeutet a u c h die A b e r k e n n u n g der bürgerlichen Ehrenrechte nach § § 3 2 — 3 4 S t G B , da sie nicht nur öffentlich-rechtliche W i r k u n g hat, sondern d e m Betreffenden die Fähigkeit nimmt, bei gewissen privatrechtlichen A k t e n — als Z e u g e — tätig z u werden oder gewisse Ä m t e r auszuüben ( V o r m u n d , Pfleger usw.) oder A n l a ß für gewisse Rechtsfolgen gibt (§ 1666 B G B u. a.).

Anm. 8 3. Gleichberechtigung von Mann und Frau: D a s Schwergewicht dieses Grundsatzes liegt auf d e m Gebiete des Familienrechts und hat nunmehr seine D u r c h f ü h r u n g in d e m Gleichberechtigungsgesetz v o m 18. 6. 57 (BGBl. I 609) gefunden. V o n besonderer Bedeutung ist er aber a u c h für das Arbeitsleben. D i e früher übliche geringere B e z a h l u n g d e r F r a u e n a r b e i t ist d e m n a c h nicht mehr zulässig. Leistet die Frau sowohl der A r t wie dem Werte n a c h dieselbe Arbeit wie der M a n n , so m u ß sie a u c h denselben L o h n erhalten. Allgemeine Abschläge etwa mit der Begründung, d a ß Frauenarbeit im allgemeinen nicht gleichwertig sei, sind nicht statthaft. Sollen die Frauenlöhne geringer sein wie die der M ä n n e r , so müssen die v o n ihnen z u leistenden Arbeiten genau abgegrenzt werden oder es sich u m Arbeiten handeln, z u denen M ä n n e r nicht herangezogen werden. Entgegenstehende tarifliche R e g e lungen, oder Einzelvereinbarungen sind nichtig ( B A G 1, 185, 255, 348; 4, 126, 240). D a g e g e n sind besondere Schutzbestimmungen (z. B. hinsichtlich der Arbeitszeit oder Hausarbeitstag) für die F r a u aus biologischen, soziologischen oder funktionellen G r ü n den mit d e m Grundsatz des A r t . 3 vereinbar ( B A G 1, 60, 240). Desgleichen Bestimmungen, die im Hinblick auf die K ö r p e r v e r a n l a g u n g der F r a u ihre Beschäftigung in gewissen Betrieben und Gewerben einschränken oder gänzlich untersagen. D e r Grundsatz wird ferner von den Gerichten bei K ü n d i g u n g z u beachten sein. Eine K ü n digung also, die nur i m Hinblick auf die Verheiratung einer weiblichen Angestellten erfolgt, entbehrt der W i r k u n g . D a g e g e n steht der Art. 3 K ü n d i g u n g v o n verheirateten Frauen nicht entgegen, w e n n in einem Betrieb wegen Einschränkung der Erzeugung oder bei einer V e r w a l t u n g wegen Organisationsänderungen eine A n z a h l von Arbeitnehmern entlassen werden müssen und nun eine weibliche Arbeitnehmerin im Hinblick auf den anderweiten Verdienst ihres M a n n e s entlassen werden soll, ebenso wie umgekehrt, w e n n ein M a n n gekündigt wird, weil seine F r a u ein gut gehendes Geschäft betreibt. Hier sind A n l a ß z u der Entlassung soziale E r w ä g u n g e n , nicht aber das G e schlecht ( L A G H a m m A P 51 N r . 185; L A G M a i n z A P Nr. 13 z u Art. 3 G G ) . A u c h hinsichtlich der Versorgung (Witwengeld, Witwenrente) ist der Grundsatz bedeutsam, vgl. B S G A P Nr. 25 u. 26 zu A r t . 3 G G mit A n m .

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§1

Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 1—3

§ 1 Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt. EI

3 II i ; M i 2 8 f f . ; P i 4 ; 6 106,

107.

Anm. 1 1. Der Beginn der Rechtsfähigkeit: Rechtsfähig ist nur der lebende Mensch,

nicht der totgeborene. Die Rechtsfähigkeit beginnt mit Vollendung der Geburt. Vollendet ist die Geburt mit der Trennung des Kindes vom Mutterleib, nicht schon mit dem Beginn des Austritts. Dieser Zeitpunkt ist nur strafrechtlich für das Verbrechen der Kindertötung ( § 2 1 7 StGB) von Bedeutung. Nicht nötig ist die vollständige Aufhebung des Zusammenhangs mit der Mutter durch Lösung der Nabelschnur. Auch Lebensfähigkeit ist nicht erforderlich, anders franz. Recht, wohl aber, daß das Kind n a c h d e m v o l l e n d e t e n — nicht nur während d e m A u s t r i t t aus dem Mutterleibe gelebt hat. Das ist Feststellung der Sachverständigen. „Beschreien der W ä n d e " nicht erforderlich. Leben kann auch vorhanden gewesen sein, wenn es erst durch künstliche Atembewegung fühlbar gemacht wird. Ein totgeborenes Kind hat keine Rechtsfähigkeit erlangt. Vorschriften darüber, inwieweit das Kind menschliche Gestalt aufweisen muß, sind nicht gegeben. Auch das von der Mutter geborene mißgestaltete Kind ist ein Mensch. Die Regeln über Vollendung der Geburt haben ihre Hauptbedeutung auf dem Gebiete des Erbrechtes. Maßgebend ist deshalb das für die Beerbung des Erblassers geltende Recht (Art. 24,25 EG). Einen Anhalt für die Beurteilung gibt § 29 der D V desPStG. 1. „ L e b e n d i g g e b o r e n e Kinder sind Neugeborene, bei denen die natürliche Lungenatmung eingesetzt hat. 2. T o t g e b u r t e n sind Früchte von mindestens 35 cm Länge, bei denen die natürliche Lungenatmung nicht eingesetzt hat. 3. F e h l g e b u r t e n sind totgeborene Früchte, die weniger als 35 cm lang sind." Die Geburt und das Geschlecht des Neugeborenen sind nach dem PStG i. F. v. 8. 8. 57 (BGBl. I, 1126), vom Standesbeamten im „Geburtenbuch" z u b e u r k u n d e n Etwaige Änderungen im Geschlecht sind nachzutragen. Das Abstammungsverhältnis wird nicht bewiesen durch das Familienstammbuch ( K G J W 1937, 46020). Die Mündelmutter hat den Namen des Erzeugers zu nennen ( L a n g e J W 1937, 597). Nach § 27 II hat bei Z w i l l i n g s g e b u r t e n auch die Feststellung der R e i h e n f o l g e zu geschehen. Außer dem Geburtenbuch sind als Personenstandsbücher zu führen die „Familienbücher" und „Sterbebücher". Auch die Todesursache ist einzutragen.

Anm. 2 2. Die Rechtsstellung der Leibesfrucht: Die Leibesfrucht (nasciturus) ist nicht rechtsfähig. Da sie aber für den Fall der Geburt rechtsfähig wird, nimmt das BGB darauf Rücksicht und trifft Fürsorge, wenn dieser Fall eintritt. Der Zeitpunkt, von wann an Leibesfrucht vorhanden ist (§ 1923) ist durch medizinische Sachverständige festzustellen. Die ihr anfallende Erbschaft und der ihr anfallende Vermächtnisanspruch ist ein durch die Geburt b e d i n g t e s R e c h t (§§ I 923, II, 2108, 2043 I). Schon vor der Geburt werden dem Kinde die ihm mit der Geburt anfallende Rechte gesichert. Das Kind hat in der Person der Mutter ein Recht auf Unterhalt aus dem Erbteil (§ 1963, vgl. § 1716). Das für den Fall der Geburt ihr zustehende Unterhaltungsrecht kann durch Tötung des Unterhaltspflichtigen verletzt werden (§ 844, Art. 42 EG). Die vor der Geburt des Kindes von dem Unterhaltspflichtigen zur Vereitelung des Unterhaltungsanspruches vorgenommenen Rechtshandlungen können nach Maßgabe des Anfechtungsgesetzes angefochten werden (a. A . R G S t . 44, 251). Der Leibesfrucht kann ferner durch Vertrag zugunsten eines Dritten eine Zuwendung gemacht werden (§ 331 II). Zur Wahrung seiner Rechte ist die Bestellung eines Pflegers zulässig (§ 1912, § 38 J W G v. 9. 7. 22), auch zur Wahrung des erst mit der Geburt entstehenden Unterhaltungsanspruchs, SeuffA 74 Nr. 85; a. M. G o i n g bei Staudinger Anm. 14. Vgl. auch § 1716 (einstweilige Verfügung). — S c h r e u e r , Der

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Natürliche Personen

§1

A n m . 4, 5

menschliche Körper und die Persönlichkeitsrechte. Uber den Schutz der Leibesfrucht gegen unerlaubte Handlungen vgl. S c h n e i d e r , JZ 1952, 167. Anm. 3 3 . Die Rechtsstellung der noch nicht erzeugten Nachkommenschaft: Auch der noch nicht erzeugten Nachkommenschaft können für den Fall der Geburt Rechte zugewandt werden, sofern ein Dritter vorhanden ist, dem die diesem Rechte entsprechende Verbindlichkeit auferlegt wird. Dies kann geschehen durch Vertrag zugunsten eines Dritten (§ 331) durch Einsetzung als Nacherbe oder Hinterlassung eines Vermächtnisses — wobei jedoch für die Regel ein Schwebezustand von längerer als 3ojähriger Dauer nicht geschaffen werden darf (§§ 2101, 2109, 2162 II, 2163, 2178), durch Eintragung einer Nachkommenschaftshypothek, Anmeldung im Zwangsversteigerungsverfahren, Erhebung einer Widerspruchsklage (vgl. R G 65, 277, welches Urteil hinsichtlich der Zulässigkeit von Zuwendungen noch weiter geht und ebenso wie R G JW 1911, 36210 der noch nicht erzeugten Nachkommenschaft geradezu eine gewisse [fingierte] Rechtspersönlichkeit nach Art einer juristischen Person beilegen will; dagegen zutreffend die Rechtslehre, die auch hier nur eine Anwartschaft oder einen durch die Geburt subjektiv bedingten Rechtserwerb annimmt). Zur Wahrung der Rechte der Nachkommenschaft kann ein P f l e g e r bestellt werden (§ 1913). Die Rechtsfähigkeit der Nachkommenschaft ist jedenfalls hierdurch nicht zur Anerkennung gebracht. Es wird nur ein der Rechtsfähigkeit ähnlicher Zustand dadurch erreicht, daß ihnen Rechte vorbehalten werden können. Auch die Bestellung eines Pflegers, die nur die praktische Durchführung der künftigen Rechte der Nachkommenschaft im Einzelfall sichern soll, führt nicht dazu, daß über ihre Rechte eine über den Zweck der Sicherung hinausgehende Verfügung getroffen werden kann. Der Pfleger der als Nacherben eingesetzten künftigen Nachkommenschaft kann die Verwaltung des Nachlasses niemals beanspruchen (RG L Z 1919, 124723). Ein Kind kann gegen den Erzeuger Schadensersatzansprüche wegen Ansteckung mit Lues weder aus § 823 Abs. 1 noch aus Abs. 2 erheben, da § 5 des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten v. 18. 12. 27 (RGBl. I 61) kein Schutzgesetz zugunsten einer künftigen Leibesfrucht ist, B G H J Z 51, 758. Dagegen ist in B G H 8, 243 ein solcher Schadensersatzanspruch gegen den Arzt und Krankenanstalt bejaht, wenn dessen Mutter durch Übertragung mit Lues verseuchtem Blut angesteckt war. Sehr umstritten ist auch die Frage, ob das uneheliche Kind bei Verlust der Unterhaltsansprüche wegen Mehrverkehrs Schadensersatzansprüche geltend machen kann, wenn die Beiwohnung von den mehreren Schwängerern nur erfolgt ist, um die Ansprüche zu vereiteln (so K G DR 44, 189; Frankfurt JW 25, 383; München SeuffA 70 Nr. 62). Anm. 4 4. Die Rechtsstellung eines Z w i t t e r s : Zwitter gibt es nicht, es entscheidet das ü b e r w i e g e n d e G e s c h l e c h t . Ist dies nicht festzustellen, können die an ein bestimmtes Geschlecht geknüpften Rechtsfolgen nicht eintreten. Ist das Geschlecht erst später in seinem wahren Zustand erkennbar geworden, so wirkt dies rückwärts, da angenommen werden muß, daß es — vielleicht nur unentwickelt — schon von der Geburt an vorhanden war. Anm. 5 5. Rechtsverhältnisse a m L e i c h n a m : Das Recht der Persönlichkeit reicht auch nach dem Tode insofern fort, als der Leichnam — auf Kosten der Erben, § 1968 — bestattet werden und die in denKirchhofsordnungen bestimmte Ruhezeit eingehalten werden muß. Die Hinterbliebenen (nach verwaltungsrechtlichen Vorschriften auch öffentliche Krankenhäuser, wenn kein Angehöriger des im Krankenhause Verstorbenen sich meldet) können über den Leichnam in gewissem Umfange verfügen, können ihn abbilden oder sezieren lassen. Dieses Verfügungsrecht beruht auf Gewohnheitsrecht. Einen Gegenstand sachenrechtlicher Herrschaft bildet der Leichnam (vgl. jedoch über das Bewahrungsrecht der Hinterbliebenen §§ 168, 367

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§1

Anm. 5

Allgemeiner Teil. Personen

Nr. i StGB und J W 1928, 22941 nebst Anm. von E b e r m a y e r ) nur ausnahmsweise, wenn er zu wissenschaftlichen Präparationszwecken einer Anatomie usw. überlassen ist. Zu einer solchen Überlassung sind die Angehörigen nur aus besonderen Gründen befugt. Uber das Recht von Krankenanstalten zur Obduktion vgl. B e c k e r J R S. 51, 328. Sachbeschädigung kann an einem Leichnam nicht begangen werden, da er keine fremde Sache ist, (RGSt. 64, 313). Das den Hinterbliebenen zustehende Recht der Verfügung über den Leichnam beruht auf privatrechtlicher Grundlage, und es ist deshalb bei Streitigkeiten hierüber (soweit nicht besondere landesrechtliche Vorschriften eingreifen) der Rechtsweg nicht ausgeschlossen ( R G 7 1 , 2 0 ; 100, 172; 108, 219). Vorschriften darüber, wer berechtigt ist, über die Art der B e i s e t z u n g zu bestimmen, sind im BGB, nicht gegeben. In den §§ 1968,1360 Abs. 3, 1615 Abs. 2 ist nur die Pflicht zur Tragung der Begräbniskosten geregelt. (Vgl. Erläuterung zu § 1968, R G 13g, 393). Pflicht und Recht der Angehörigen an der Leiche ist eine Nachwirkung des familienrechtlichen Verhältnisses und hat mit der Frage, wer Erbe ist, nichts zu tun. Maßgebend ist in erster Linie die von dem Erblasser selbst getroffene Anordnung, mit der aus § 138 folgenden Beschränkung, daß die Anordnung nicht wider die guten Sitten verstoßen darf, wozu auch ein Verstoß gegen die gute Familiensitte zu rechnen ist ( R G 100, 173; 108, 220; 154, 270; vgl. auch § 22 des Kunstschutzges. vom 9. 1. 07). Der Wille des Verstorbenen braucht nicht in einer bestimmten Form kundgegeben zu sein, besonders nicht in der Form, die für letztwillige Verfügungen bestimmt ist. Es genügt, daß er aus Tatsachen und Umständen mit Sicherheit gefolgert werden kann. Die in J W 1912, 54019 als naheliegend bezeichnete Ansicht, daß derjenige, welcher die Kosten der Beerdigung zu tragen habe, auch den Ort und die Art der Beerdigung bestimmen dürfe, ist in der späteren Rechtsprechung des R G nicht aufrechterhalten, R G 154, 271. Kommt eine Einigung über die Begräbnisstätte (oder den Aufbewahrungsraum für die Aschenurne) nicht zustande, so wird diejenige Meinung den Vorzug verdienen, welche den persönlichen Anschauungen des Verstorbenen am meisten Rechnung trägt (vgl. R G SeuffA 59 Nr. 308). Richtungweisend ist die Regelung in § 2 I I I des RGes. über die F e u e r b e s t a t t u n g vom 15. 5. 34 (RGBl. I, 380). Danach geht der Wille des überlebenden Ehegatten dem der Verwandten, insbesondere auch der Eltern und Geschwister vor. Die Bestattungsart darf aber keine unangemessene sein (vgl. L Z 1920, 6644) und der Erbe nicht mit unangemessen hohen Begräbniskosten belastet werden. Schließt der Erblasser einen Familienangehörigen als Erben aus, so ist dies im Zweifel dahin zu verstehen, daß ihm zugleich das Verfügungsrecht über die Beerdigung hat entzogen werden sollen. Durch die Anordnung des Erblassers können die Angehörigen verpflichtet werden, die von ihm vorgeschriebene Bestattungsart, auch die Bestimmungen über die Zuweisung des Leichnams an eine Anatomie, sofern die Anordnung mit der guten Sitte vereinbar ist, zur Ausführung zu bringen. Die Klage hierauf kann auch von dem Erben und dem Testamentsvollstrecker erhoben werden. Wegen der Klage der Witwe auf Gewährung eines ehrlichen Begräbnisses für ihren Mann nach preußischem Recht s. R G 106, 188. Aus dringenden Gründen können die Angehörigen auch die Wiederausgrabung und anderweite Beerdigung (Umbettung der Leiche oder Beisetzung an einem anderen Orte) verlangen ( R G 71, 22; 108, 220; J W 1925, 2125 1 4 ; SeuffA 80 Nr. 95). Uber das durch die öffentlich-rechtliche Zweckbestimmung eingeschränkte Eigentum der Gemeinde am Friedhofs. R G 100, 213, über das Recht auf Benutzung eines kommunalen Friedhofs R G H R R 1932 Nr. 66. Die F e u e r b e s t a t t u n g ist durch das Ges. über die Feuerbestattung vom 15. 5. 34 näher geregelt. Nach § 1 wird die Feuerbestattung der Erdbestattung grundsätzlich gleichgestellt. Asche "und Leichnam genießen den gleichen Anspruch auf pietätvolle Behandlung. Umbettung einer einmal beigesetzten Aschenurne ist ebenfalls nur aus besonderen Gründen gestattet. V g l . D V v. 26. 6. 34 (RGBl. I, 519), R G 154, 274. Nach 2. V O über Änderung der D V v. 13. 10. 37 (RGBl. I, 1132) wird § 10 I V dahin geändert, daß die Ruhefrist für Aschenreste 20 Jahre beträgt. Der Besuch der Grabstätte der Mutter kann dem Kinde von dem Vater, auf dessen Grundstück die Grabstätte belegen ist, nicht unbeschränkt untersagt werden ( R G 72, 251). — Wegen der rechtsgeschäftlichen Verpflichtung einer Kirchengemeinde zur Unterhaltung eines Erbbegräbnisses vgl. R G 112, 210; 120, 237.

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Natürliche Personen

§3

§2

Anm. 1, 2

Die Volljährigkeit tritt mit der Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres ein. E I 25 I I I i ; M i J2, 53; P l 45?.

Anm. 1 1. Die rechtliche Bedeutung des Lebensalters: Vollendet ist das 21. Lebensjahr n a c h der Berechnungsweise des § 187 I I 2, § 188 mit d e m A b l a u f d e s l e t z t e n T a g e s d e s 21. L e b e n s j a h r e s , so d a ß der T a g der G e b u r t bei Berechnung des J a h r e s stets als voller T a g eingerechnet wird. M i t Beginn des d e m Ablauf folgenden Geburtstages ist die Volljährigkeit v o r h a n d e n . Die Volljährigkeit ist privatrechtlich in vielen Beziehungen wichtig; f ü r unbeschränkte Geschäftsfähigkeit (§ 106), Ehemündigkeit des Mannes(§ 1 EheG), Zulässigkeit der Bestellung als V o r m u n d oder Testamentsvollstrecker (§§ 1781 Nr. 1, 2201), Beendigung der elterlichen Gewalt, der V o r m u n d s c h a f t usw. Bedeutungsvoll sind a u ß e r d e m andere Altersstufen, so die Vollendung des 7. Lebensjahres (Erlangung der beschränkten Geschäftsfähigkeit nach §§ i o 6 f f . ) ; des 14. Lebensjahres n a c h §§ 1728 I I , 1750 Abs. 1, 1827 I u n d § 59 F G G ; n a c h § 5 Ges. ü b e r die religiöse Kindererziehung v. 15. 7. 21 (RGBl. I, 939) h a t das K i n d die Entscheidung, zu welchem religiösen Bekenntnis es sich halten will. N a c h Vollendung des 12. Lebensjahres k a n n es nicht gegen seinen Willen in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden. Das 16. Lebensjahr n a c h § i E h e G (Ehemündigkeit der Frau) u n d § 2 I I Ges. über Ä n d e r u n g des Familien- u n d V o r n a m e n s v. 5. 1. 38 (RGBl. I, 9), 1708, 2229 (vgl. auch §§ 1650 I I , 1658 I I R V O u n d § 7 I I R u S t A G v. 22. 7. 13), das 18. Lebensjahr nach §§ 3, 828 Abs. 2, 1827 das 5°- Lebensjahr n a c h § 1744 usw. Auf d e m Gebiete des Arbeitsschutzes sind bedeutsam das Alter von 14 u n d 18 J a h r e , da f ü r K i n d e r (bis 14 J a h r e ) grundsätzlich volles Beschäftigungsverbot besteht, f ü r Jugendliche (14—18 J a h r e ) in d e m Reichsjugendschutzgesetz v. 30. 4. 38 (RGBl. I S. 437) u n d den a n dessen Stelle getretenen Landesgesetzen (Niedersachsen, Württemberg-Hohenzollern) über die Beschäftigungszeiten, Pausen, R u h e zeiten von den allgemeinen Vorschriften der Arbeitszeitordnung abweichende Regelungen getroffen sind, z. B. Nachtarbeit (20—6 U h r ) n u r in bestimmten Ausnahmefällen zulässig ist u n d in den Ausführungsvorschriften die Beschäftigung von J u g e n d lichen f ü r viele Gewerbezweige z. B. Bergbau, Eisen schaffende Industrie usw. weitere Beschränkungen getroffen sind u n d getroffen werden können. I n der Sowjetzone ist das Schutzalter f ü r Jugendliche d u r c h das Gesetz der Arbeit v. 19. 4. 50 (GBl. S. 349) wieder auf 16 J a h r e festgesetzt. O b die Bestimmung von Familienstatuten, d a ß f ü r Mitglieder ehemaliger landesherrlicher Familien die Volljährigkeit schon mit d e m 18. Lebensjahr eintritt, mit W R V Art. 109 f ü r beseitigt angesehen waren, w a r bestritten. Art. 109 I I 1 h a t t e aber die Vorschriften des Privatfürstenrechtes nicht beseitigt, sondern der Regelung d u r c h die Landesgesetzgebung überlassen (RG 103, 192). Dieses w a r also f ü r die Frage m a ß g e b e n d . F ü r P r e u ß e n das p r e u ß . Adelsgesetz v. 23. 6. 20 (GS S. 367).

Anm. 2 2. Der zeitliche und räumliche Anwendungsbereich des § 2: W e r n a c h f r ü h e r e m R e c h t die Volljährigkeit erlangt h a t , der sollte in seiner Rechtslage, obwohl sich diese nicht als ein wohlerworbenes Recht darstellt, d u r c h Einf ü h r u n g des BGB nicht verschlechtert werden. Es verblieb i h m deshalb die Volljährigkeit, die n a c h BGB i h m nicht zustehen würde, w ä h r e n d ihre Wirkungen u n t e r der H e r r schaft des BGB sich lediglich n a c h diesem bestimmen (Art. 153 E G ) . Aus gleichem G r u n d e ist, was die ö r t l i c h e H e r r s c h a f t d e s G e s e t z e s betrifft, von d e m allgemeinen Grundsatz, d a ß sich die Volljährigkeit nach d e m R e c h t der Staatsangehörigkeit richtet, die A u s n a h m e zugelassen, d a ß der A u s l ä n d e r , der die Reichsangehörigkeit erwirbt, die nach bisherigem R e c h t i h m zustehende Rechtsstellung eines Volljährigen beibehält (Art. 7 I u n d 2 E G ) . — I m Interesse der Verkehrssicherheit ist die weitere A u s n a h m e gemacht, d a ß sich der i m I n l a n d e ein Rechtsgeschäft abschließende Ausländer f ü r

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§2

Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 3, 4 dieses Rechtsgeschäft, soweit dies für den Bestand des Geschäfts günstiger ist, die Beurteilung seiner Geschäftsfähigkeit nach inländischem Recht gefallen lassen m u ß (Art. 7 II). Auf Rechtsgeschäfte des Familienrechts oder Erbrechts und auf Rechtsgeschäfte über ausländische Grundstücke ist diese Ausnahme, da hier das Verkehrsinteresse zurücktritt, nicht ausgedehnt. Uber die Prozeßfähigkeit des Ausländers s. § 55 Z P O .

Anm. 3 Der Satz „Heirat macht mündig" gilt für BGB nicht. Ausnahme nach § 4 I I für Volljährigkeitserklärung der verheirateten Frau. Die durch Heirat nach ausländischem Recht mündig gewordene Frau bleibt es aber auch nach ihrer deutschen Einbürgerung.

Anm. 4 3. Die Regelung in der Sowjetzone: In der sowjetisch besetzten Zone und Ostberlin ist durch Gesetz v. 17. 5. 1950 (GBl. 437) bzw. V O v. 8. 6. 50 (VOB1. I 149) d a s V o l l j ä h r i g k e i t s a l t e r a u f 18 J a h r e herabgesetzt. Uber die Auswirkung des Gesetzes in der Bundesrepublik gehen sowohl im Schrifttum wie in der Praxis die Meinungen auseinander. Zwar wird allseitig anerkannt, d a ß dem Gesetz nicht etwa auf Grund des Art. 30 E G jegliche Wirkung zu versagen sei. Während aber die einen (vgl. P a l a n d t Vorb. 14g aa Art. 7 E G ; S c h u m a c h e r N J W 51, 169; K G J R 51, 508 und wohl auch BVerfG N J W 56, 985) glauben, im Hinblick auf Art. 7 E G die in der Sowjetzone erlangte Geschäftsfähigkeit auch für den Rechtsverkehr im Bundesgebiet anerkennen zu müssen, vertritt insbesondere R a a p e (NJW 51, 457) mit beachtlichen Gründen die Meinung, d a ß Art. 7 nach seinem Sinn und Zweck auf das interzonale Recht nicht anwendbar sei und die Folgen des Gesetzes in Westdeutschland gerade aus dem Schutzgedanken für die Jugendlichen soweit wie möglich einzuschränken seien. Deshalb müßten nicht bloß bei den in Westdeutschland getätigten Rechtsgeschäften, sondern auch bei den in der Sowjetzone getroffenen Verfügungen und geschlossenen Verträgen über in Westdeutschland befindlichen Gegenstände, insbesondere Grundstücke und Forderungen die Geschäftsfähigkeit nach den Grundsätzen des BGB beurteilt werden. Auch sonst sei der Jugendliche, wenn er seinen Aufenthalt oder gar seinen Wohnsitz nach Westdeutschland verlege, dort wie ein Minderjähriger zu betrachten. Es gehe nicht an, ihn hier anders wie seine Altersgenossen zu behandeln, nur weil er eine Zeitlang nach Vollendung des 18. Lebensjahres in Mitteldeutschland gelebt habe. Etwa erforderliche Schutzmaßnahmen (Schutzaufsicht, Fürsorgeerziehung) dürften nicht unzulässig sein. Auch müsse die elterliche Gewalt fortbestehen, namentlich wenn der Inhaber der elterlichen Gewalt in Westdeutschland lebe oder seinen Wohnsitz mit dem Jugendlichen dort nehme. Für die in der Sowjetzone ohne Genehmigung des gesetzlichen Vertreters geschlossene Ehe müsse es, wenn einer der Jugendlichen aus Westdeutschland komme oder dorthin seinen dauernden Aufenthalt oder Wohnsitz verlege, die Aufhebungsklage gemäß § 30 EheG geben, u m ihn von einem leichtfertig geschlossenen Band zu befreien. Für die Eheschließung in Westdeutschland wird, auch wenn der Jugendliche in der Sowjetzone mit der Großjährigkeit nach dem genannten Gesetz die Ehemündigkeit erworben hat, allgemein mindestens Befreiung gemäß § 11 I I EheG gefordert, weil die Verweisung des Art. 13 E G nicht durchgreife, da es eine verschiedene Staatsangehörigkeit zwischen West und Ost nicht gebe. R a a p e fordert auch hier die volle Anwendung des BGB, also zugleich noch eine Vollj ährigkeitserklärung.

Vorbemerkung zu §§ 3—5 Während nach § 2 die Volljährigkeit von selbst mit Erreichung des vorgeschriebenen Lebensalters eintritt, kann nach §§ 3—5 die Volljährigkeit schon zu einem früheren Zeitpunkt durch das Gericht herbeigeführt werden, um j e m a n d die Vorteile einer Rechtsstellung zu verschaffen, die dem Volljährigen zukommt. Sie ist ein rechtsgestaltender Staatsakt, kein Rechtsgeschäft und dem Heimatstaat vorbehalten. Die Volljährigkeitserklärung bringt aber zugleich Nachteile für den Minderjährigen, da sie ihm den durch die Minderjährigkeit gewährten Schutz durch Beschränkung der Geschäfts-

26

Natürliche Personen

§3

A n m . 1, 2 fähigkeit entzieht. Sie dient dem Ausgleich, den mehr oder minder willkürlich festgesetzte Zeiten bringen können. Die Wirkung der Volljährigkeitserklärung ist dieselbe wie die Erlangung der Volljährigkeit durch Erreichung der Altersgrenze nach § 2. Die Bestimmungen der §§ 3 — 5 sind für die D D R und Ostberlin infolge Herabsetzung des Mündigkeitsalters auf das 18. Lebensjahr ohne Bedeutung.

§3

H

Ein Minderjähriger, der das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, kann durch Beschluß des Vormundschaftsgerichts für volljährig erklärt werden. Durch Volljährigkeitserklärung erlangt der Minderjährige die rechtliche Stellung eines Volljährigen. E I 26, 27 Abs. 1 Satz i , Abs. z Satz i II 12, 13 Abs. 1 Satz 1; M 1 53n.; P 1 49ff.; 6 382.

Anm. 1 Das 18. Lebensjahr ist vollendet mit Beginn des 19. Geburtstages (vgl. § 2 Anm. 1).

Anm. 2 Dem V o r m u n d s c h a f t s g e r i c h t ist allein die Befugnis gegeben, die Minderjährigkeit im gegebenen Falle dadurch abzukürzen, daß es den Minderjährigen für volljährig erklärt, V O v. 10. 11. 36 (RGBl. I 488). Der Beschluß wird wirksam mit

der R e c h t s k r a f t (§§ 56 Abs. 2, 60 Nr. 6, FGG). Beschwerdeberechtigt ist

nach § 20 das. — die Vorschrift des § 57 Abs. 1 Nr. 9 kommt wegen Abs. 2 und § 60 Nr. 60 hier nicht in Anwendung — , wer durch die Volljährigkeitserklärung in seinen Rechten beeinträchtigt wird. Hauptsächlich kommen hier in Betracht der für volljährig Erklärte, da dieser ein Recht auf Fortbestehen des vormundschaftlichen Schutzes hat, sein gesetzlicher Vertreter in persönlichen Angelegenheiten sowie der Gewalthaber auch dann, wenn seine Einwilligung zur Volljährigkeitserklärung nach § 4 nicht erforderlich ist. Diesen Personen ist daher —- mit Ausnahme des Gewalthabers, gegen den das Ruhen der elterlichen Gewalt nach § 1677 vor dem Vormundschaftsgericht festgestellt ist (KGJ 37 A 51) — der Beschluß zuzustellen (§ 16 Abs. 1 F G G ) . Nicht beschwerdeberechtigt ist der zur Ausführung der Zwangserziehung verpflichtete Kommunalverband ( K G J 34 A 72) oder das Jugendamt. Die Verwandten können ein Beschwerderecht nicht darauf stützen, daß sie bei der Volljährigkeitserklärung nach dem Testament des Erblassers schlechter gestellt sind (RJA 13, 74). Auf einen späteren Zeitpunkt als den der Rechtskraft des Beschlusses kann die Wirksamkeit der Volljährigkeitserklärung nicht hinausgeschoben werden (a. A . H o l d e r A 1). Die Volljährigkeitserklärung ist nur zulässig, wenn die vom Gesetz für unbedingt wesentlich erachteten Voraussetzungen des § 3 I u. § 4 vorliegen, eine für die Zukunft erst wirksam werdende Volljährigkeitserklärung ist nicht zulässig. Hat das Vormundschaftsgericht die Volljährigkeit entgegen den gesetzlichen Voraussetzungen erklärt, so kann dieser Beschluß auf Beschwerde hin oder von Amts wegen aufgehoben werden, bevor diese Aufhebung erfolgt ist, bleibt die Volljährigkeitserklärung aber wirksam, und die Aufhebung hat damit keine rückwirkende Kraft auf die Gültigkeit der Handlungen des volljährig Erklärten. Die Aufhebung kann nur von dem Vormundschaftsgericht oder dem übergeordneten Gericht, nicht im Prozeßwege ausgesprochen werden. Nur eine S o l l v o r s c h r i f t enthält § 56 I F G G , welcher zur Volljährigkeitserklärung den Antrag des Minderjährigen oder seines gesetzlichen Vertreters in persönlichen Angelegenheiten (vgl. § 1631 A 1) erfordert. Uber das Vorhandensein der Voraussetzung des § 5 hat das Vormundschaftsgericht nach pflichtmäßigem Ermessen zu befinden; ein Anspruch des Minderjährigen besteht nicht (streitig). Die Volljährigkeitserklärung bedarf eines äußeren beachtlichen Anlasses, sie darf nicht nur der Beseitigung einer von der Familie des Mündels als lästig empfundenen Vormundschaft dienen ( K G J W 1938, 368®), oder weil das Mündel als Angestellter sich geschäftsgewandt zeigt. Die Eheschließung, Führung eines ererbten Geschäfts, Auswanderung kann dagegen einen berechtigten Grund abgeben (§5).

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§ 3 Anm. 3, 4 § 4 Anm. 1, 2

Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 3 Die Volljährigkeitserklärung eines Deutschen steht ausschließlich der deutschen Behörde zu. Der Beschluß der ausländischen Behörde würde für deutsche Gerichte keine Wirksamkeit haben. Gleicherweise hat die deutsche Behörde sich der Volljährigkeitserklärung des Ausländers zu enthalten, falls nicht das Recht des Heimatsstaates die Wirksamkeit des Beschlusses anerkennt. Die von seinem Heimatsstaat erfolgte Volljährigkeitserklärung wirkt auch für deutsches Recht. Anm. 4 Der für volljährig Erklärte hat auf dem Gebiete des Privatrechts die gleiche Rechtsstellung wie der Volljährige, allerdings nicht hinsichtlich der Ehemündigkeit, da diese an die Erreichung des 21. Lebensjahres gebunden ist, bei Volljährigkeitserklärung es einer Befreiung bedarf (§ 1 EheG). Einschränkungen in bezug auf die Wirkung der Volljährigkeitserklärung können im Beschluß nicht festgesetzt werden. Ist durch P r i v a t w i l l e n s e r k l ä r u n g der Erwerb von Rechten von der Vollendung des 21. Lebensjahrs abhängig gemacht, so ist zu untersuchen, ob nach dem Willen des Erklärenden die Volljährigkeitserklärung dem gleichstehen soll. Auch für das öffentliche R e c h t hat § 3 II an sich keine Geltung, falls nicht die einzelne Vorschrift die Volljährigkeit im Sinne des bürgerlichen Rechts versteht. Nach dem RuStAG v. 22. 7. 13 kann, was die Wirkung der Aufnahme, der Einbürgerung oder des Verlustes der Staatsangehörigkeit auf die Kinder betrifft, ein Zweifel in dieser Beziehung nicht mehr aufkommen, da das Ges. in §§ 16, 29 von den kraft elterlicher Gewalt gesetzlich vertretenen Kindern spricht. § 4 Die Volljährigkeitserklärung ist nur zulässig, wenn der Minderjährige einwilligt. Steht der Minderjährige unter elterlicher Gewalt, so ist auch die Einwilligung der Eltern erforderlich. Die Einwilligung eines Elternteils ist nicht erforderlich, wenn ihm weder die Sorge für die Person noch die Sorge für das Vermögen des Kindes zusteht. Eine minderjährige Tochter, die verheiratet ist oder verheiratet war, kann ohne Einwilligung der Eltern für volljährig erklärt werden. HI 27II 13 Abs. 1; P I 55 ff.; P x 49 ff. Fassung des Glcichberechtigungsgcsetzes Tom 18.6. 57 (BGBl. 1609) in Kraft seit 1.7. ;8.

Anm. 1 1. Die Einwilligung der Minderjährigen: Der durch die Beschränkung der Geschäftsfähigkeit dem Minderjährigen gewährte Schutz soll ihm ohne seine Einwilligung nicht entzogen werden dürfen. Die Einwilligung hat der Minderjährige persönlich zu erteilen, was auch in der Weise geschehen kann, daß er persönlich den Antrag auf Volljährigkeitserklärung gemäß § 56 I FGG stellt. Insofern ist er also geschäftsfähig, sein Vormund als gesetzlicher Vertreter ist nicht berechtigt, für ihn die Einwilligung zu erklären. Steht das Kind aber unter elterlicher G e w a l t , so ist die Einwilligung beider Eltern in der Regel erforderlich. Einer bestimmten Form bedarf es nicht. Wem gegenüber die Einwilligungserklärung abzugeben ist, wird im Gesetz nicht gesagt. Als Voraussetzung für eine Amtshandlung des Gerichts muß sie auch diesem gegenüber abgegeben werden. Das verlangt schon die Rechtssicherheit (A. M. Coingbei Staudinger Anm 1; Planck Anm. 1 zu § 4). Die Einwilligung kann bis zur Rechtskraft des die Volljährigkeitserklärung aussprechenden Beschlusses widerrufen werden, was durch Einlegung der Beschwerde gegen den Beschluß geschehen kann. Die nur für Rechtsgeschäfte geltenden Bestimmungen der §§ 182, 183 können hier nicht zur Anwendung kommen (bestr.). Anm. 2 2. Die Einwilligung der Eltern: Den Eltern ist das Recht der Einwilligung nicht nur im Interesse des Kindes, sondern auch im eigenen Interesse gegeben. Das Recht der Einwilligung stellt sich nicht 28

Natürliche Personen

§ 4 Anm. 3 § 5 Anm. 1, 2

als eine Vertretungshandlung dar, sondern hat in dem Recht der Sorge für die Person und das Vermögen seine sachliche Grundlage. In der V e r w e i g e r u n g d e r E i n w i l l i g u n g kann deshalb nur dann ein M i ß b r a u c h d e r e l t e r l i c h e n G e w a l t gefunden werden, wenn sie ohne jedes eigene Interesse in wirtschaftlicher und sittlicher Hinsicht und lediglich in Benachteiligungsabsicht für das Kind oder nur aus Haß oder Abneigung gegen den anderen Elternteil erfolgt. Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ist ein familienrechtliches Treueverhältnis, nach dem auch die Eltern dem Kinde gegenüber die Treue zu wahren haben, unter Umständen sogar durch Aufgabe der elterlichen Gewalt. A. M . C o i n g bei Staudinger Anm. 6. Nicht nötig ist die Einwilligung eines Elternteiles, wenn es die Sorge für die Person und das Vermögen verloren hat, und zwar auch in dem Falle nicht, daß das Recht zur Vertretung des Kindes ihm verblieben sein sollte (vgl. §§ 1666—i676n.F.). Bei tatsächlicher Verhinderung eines Elternteils oder Ruhen seiner elterlichen Rechte hat der andere Elternteil allein zuzustimmen. Stimmt der eine Elternteil zu, der andere nicht, so wird, falls die Verweigerung nicht als Mißbrauch anzusehen ist, die Volljährigkeitserklärung nicht zulässig sein, nur ausnahmsweise wird das Vormundschaftsgericht gemäß § 1628 n. F. entscheiden können. Das Recht der Sorge für das Vermögen fehlt nicht etwa schon dann, wenn tatsächlich das Kind kein Vermögen besitzt. Trotz des Verlustes des Einwilligungsrechts verbleibt dem Inhaber der elterlichen Gewalt das Recht der Beschwerde nach § 20 F G G gegen den auf Volljährigkeitserklärung lautenden Beschluß ( R A J 1 1 , 83). — Auch die Einwilligung kann widerrufen werden, da es sich um keine rechtsgeschäftliche Vertretung handelt.

Anm. 3 3. Die Stellung der verheirateten Tochter: Nach Verheiratung der Tochter, gleichgültig ob sie geschieden oder Witwe ist, bedarf es der Einwilligung der Eltern nicht mehr. Insofern gilt der alte Satz: „ E h e macht mündig."

§5 Die Volljährigkeitserklärung soll nur erfolgen, wenn sie das Beste des Minderjährigen befördert. E I 27 n 1} Abs. 2; M l 55ff.;P 1 51, 52.

Anm. 1 Dem Vormundschaftsgericht ist die selbstverständliche Pflicht auferlegt, vor Entscheidung über die Volljährigkeitserklärung eine Prüfung eintreten zu lassen, ob sie zum B e s t e n d e s M i n d e r j ä h r i g e n — nicht dritter Personen — gereicht. Dabei ist nicht bloß auf das wirtschaftliche Wohl des Kindes, sondern auf die gesamten Lebensverhältnisse, so bei einej beabsichtigten Eheschließung, insbesondere auch auf den Altersunterschied, Rücksicht zu nehmen. Auch sittliche Rücksichten können von Bedeutung sein, z. B. der Umstand, daß der Minderjährige Gelegenheit erhält, die von ihm Geschwängerte zu ehelichen und dem zu erwartenden Kinde die Rechte eines ehelichen Kindes zu verschaffen. (OLG 9, 441, 443; BayObLG 29, 303; J F G 6, 47; K G J W 1937 472 22 ). Doch auch hier kommt es auf die besonderen Umstände an, namentlich muß auch eine vollwertige Ehe gewährleistet sein und es dürfen keine gesundheitlichen Bedenken bestehen. Auch muß nach § 1 EheG noch Befreiung von dem Erfordernis der Ehemündigkeit vorliegen oder gleichzeitig erteilt werden. Die Volljährigkeitserklärung bedarf eines äußeren beachtlichen Anlasses, es darf mit ihr nicht die Beseitigung der von der Familie des Mündels als lästig empfundenen Vormundschaft erstrebt werden. Dagegen kann die Führung eines ererbten Geschäfts, Auswanderung einen berechtigten Anlaß geben. K G J W 1938, 368®.

Anm. 2 Jeder, der durch die Volljährigkeitserklärung in seinen Rechten beeinträchtigt wird, hat dagegen das Recht der B e s c h w e r d e , auch, wer in seinem Recht zur Wahr29

Vor § 6 Anm. 1—3

Allgemeiner Teil. Personen

nehmung der Erziehungsbelange des Kindes beeinträchtigt wird, wie der Jugendwart. Aber es besteht weder für den Minderjährigen noch für einen Dritten ein Rechtsanspruch, da es sich lediglich um eine E r m e s s e n s f r a g e des Gerichts handelt.

Anm. 1 1. Die Entmündigung:

Vorbemerkung zu § 6

Wie die S e l b s t m ü n d i g k e i t , auf der die Geschäftsfähigkeit ruht, ohne weiteres mit Erreichung eines bestimmten Alters eintritt, weil man mit diesem erfahrungsgemäß im Durchschnitt die Erlangung genügender körperlicher und geistiger Reife des Menschen annimmt, oder durch Volljährigkeitserklärung, so kann trotz des Alters diese geistige Reife für die Geschäftsfähigkeit ganz fehlen oder gemindert sein. Dann kann die erlangte Selbstmündigkeit durch Richterspruch als rechtsgestaltender Staatsakt des Heimatstaates e n t z o g e n werden. Diese Entziehung ist die E n t m ü n d i g u n g . Die geistige und körperliche Reife kann für einzelne Rechtshandlungen auch schon bei einem von der Volljährigkeit verschiedenen Alter angenommen werden, z. B. für E h e m ü n d i g k e i t , T e s t i e r f ä h i g k e i t (§ 2229 I I ) . Dann liegt zum Teil insoweit Selbstmündigkeit vor. Es kann weiter mit Rücksicht auf die gesetzlich durch das Alter zu erwartende Selbstmündigkeit die Entmündigung auch eines Unmündigen erfolgen, damit nach Vollendung des 2 1 . Lebensjahres keine Unterbrechung der Fürsorge eintritt. Die Entmündigung dient der s t a a t l i c h e n F ü r s o r g e für den einzelnen Menschen mit geminderter oder fehlender geistiger Reife und für die Belange der Allgemeinheit im Rechtsverkehr überhaupt. Der Schutz der Allgemeinheit vor der Belastung durch minderwertige Menschen soll erzielt werden (RG H R R 1937 Nr. 544). Die mit der Entmündigung vorgenommene Feststellung der fehlende Reife wirkt daher sowohl f ü r den Entmündigten selbst als für und gegen jeden Dritten im Verkehr und ohne Zulassung eines Gegenbeweises, solange die Entmündigung besteht, selbst wenn sie zu Unrecht erfolgt ist. „Lichte Zwischenräume" (lucida intervalla) werden nicht anerkannt, auch nicht z. B. für die Errichtung eines letzten Willens. Sie wirkt aber auch erst von dem Zeitpunkt der rechtskräftigen Entmündigung an, wenn diese nicht im Anfechtungsprozeß aufgehoben worden ist. Das schließt nicht aus, daß eine etwa vorher schon bestehende Störung der Geistestätigkeit auf Grund der im Erörterungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse nachgewiesen werden kann (§ 105).

Anm. 2 Das B G B bestimmt in § 6 die V o r a u s s e t z u n g e n , unter denen eine Entmündigung stattfinden kann. Die Entmündigung darf bei Vorhandensein der gesetzlichen Voraussetzungen trotz des Ausdrucks „ k a n n " nicht etwa nach Ermessen des Gerichts wegen Fehlens eines Bedürfnisses abgelehnt werden. Sie wird wirksam mit Zustellung des Beschlusses an den Entmündigten, im Falle der Entmündigung wegen Geisteskrankheit mit Zustellung an den gesetzlichen Vertreter in persönlichen Angelegenheiten (vgl. § 1631 I) oder, wenn ein solcher fehlt, mit Bestellung des Vormundes (§§ 661, 683 Z P O ) . I m Falle der Entmündigung wegen Verschwendung oder Trunksucht ist der Entmündigungsbeschluß gemäß § 176 Z P O dem Prozeßbevollmächtigten zuzustellen (RG 135, 182).

Anm. 3 2 . Das E n t m ü n d i g u n g s v e r f a h r e n : Das Verfahren ist durch §§645 ff. Z P O geregelt. Es findet nur auf A n t r a g statt. E r ist nur rechtswirksam, wenn er von einem A n tragsberechtigten bei dem zuständigen Amtsgericht gestellt worden ist (RG J W 1937, 474 23 ). Das Gericht ist aber an den Antrag nicht in der Weise gebunden, daß es, wenn die Entmündigung wegen Geistesschwäche beantragt ist, verhindert wäre, die Entmündigung wegen Geisteskrankheit zu beschließen ( R G J W 00, 867; 1 9 1 5 , 1263 8 ). Ebensowenig ist das Prozeßgericht gehindert, an Stelle der im Entmündigungsverfahren festgestellten Geistesschwäche Geisteskrankheit anzunehmen ( R G 21. 10. 07 I V 88/07). A n t r a g s b e r e c h t i g t ist bei der Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche auch die Staatsanwaltschaft (§ 646 I I ) — über die ihr zu machende Anzeige

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Natürliche Personen

§6

von der Aufnahme in eine Irrenanstalt vgl. A V des PrJM v. 28. 11. 99 — , bei Entmündigung wegen Verschwendung oder Trunksucht nach Maßgabe landesgesetzlicher Bestimmungen (§ 680 V) auch die Gemeinde und der Armen verband, nicht aber die Aufsichtsbehörde (RG 28. 2. 07 IV 429/06). Der Beschluß kann binnen Monatsfrist, welche Frist für den Entmündigten erst von Kenntnis des Entmündigungsgrundes läuft (s. hierüber R G 68, 402; 107, 28; LZ 1923, 398; Wiedereinsetzung unzulässig R G Warn 1918 Nr. 91), durch Klage a n g e f o c h t e n werden (§§ 6640*. ZPO), falls die Voraussetzungen der Entmündigung zur Zeit des Erlasses des Entmündigungsbeschlusses nicht gegeben waren. Prozeßgegner des Entmündigten (der für den Prozeß als prozeßfähig gilt) ist der Staatsanwalt des Landgerichts, der die Beklagtenrolle für die folgenden Instanzen beibehält, so daß ihm die Rechtsmittelschrift zugestellt werden darf (RG JW 1915, 12638), bei der Entmündigung wegen Verschwendung oder Trunksucht der Antragsteller, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob er zur Stellung des Antrags berechtigt war und ob die Berechtigung später weggefallen ist (RG 30. 10. 07 IV 303/07). Das im Anfechtungsprozeß ergangenene Urteil wirkt für und gegen alle (RG 108, 133; Gruch. 58, 1066); es beseitigt im Falle der Aufhebung des Entmündigungsbeschlusses die Entmündigung rückwirkend, § 115 (RG 135, 183). Stellt sich heraus, daß die wegen Geisteskrankheit angeordnete Entmündigung nur wegen Geistesschwäche, wegen Verschwendung oder Trunksucht gerechtfertigt ist, so kann die Aufhebung der Entmündigung und die neue Entmündigung in demselben Verfahren beschlossen werden (vgl. R G Gruch. 47, 897). Ebenso ist es zulässig, den wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche gestellten Entmündigungsantrag im Laufe des Verfahrens mit einem solchen wegen Verschwendung zu verbinden (RG 108, 308). Uber die Verwendbarkeit der Beweishandlungen des amtsgerichtlichen Entmündigungsverfahrens für den Anfechtungsprozeß s. RG 81, 193. Asm. 4 3. Wirkungen der Entmündigung: Der wegen Geisteskrankheit Entmündigte ist geschäftsunfähig (§104 Nr. 3), der wegen Geistesschwäche, Verschwendung oder Trunksucht Entmündigte ist nur beschränkt geschäftsfähig (§ 114) — vgl. hierzu RG 130, 69; K G HRR 1938 Nr. 198. Wegen der Wirkung im Erbrecht vgl. §§ 2064, 2229 III, 2253 II, 2275 II, im Familienrecht §§ 1676 II, 1780, 1896, im ehelichen Güterrecht §§ 1447 Nr. 4; 1469 Nr. 5; 1495 Nr. 3.

Entmündigt kann werden:

§6

1. wer infolge von Geisteskrankheit oder von Geistesschwäche seine Angelegenheiten nicht zu besorgen v e r m a g ; 2. wer durch Verschwendung sich oder seine Familie der Gefahr des Notstandes aussetzt; 3. wer infolge von Trunksucht seine Angelegenheiten nicht zu besorgen verm a g oder sich oder seine Familie der Gefahr des Notstandes aussetzt oder die Sicherheit anderer gefährdet. Die Entmündigung ist wieder aufzuheben, wenn der Grund der Entmündigung wegfällt. E I 28,19, 1739 II 14; M 1 6off.; P x 3 1 & ; 4 839IF.; 6 112, 121.

Ubersicht I. Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche 1. Geisteskrankheit oder Geistesschwäche 2. Unfähigkeit zur Besorgung eigener Angelegenheiten II. Entmündigung wegen Verschwendung 1. Verschwendung 2. Die Gefahr eines Notstands

Anm.

i 2 3 3 4

31

§ 6

Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 1, 2 Ann.

III. Entmündigung wegen Trunksucht 1. Die Trunksucht 2. Weitere Voraussetzung a) Unfähigkeit zur Besorgung eigener Angelegenheiten b) Gefahr eines Notstands c) Gefahrdung der Sicherheit I V . Aufhebung der Entmündigung V . Internationales Entmündigungsrecht

5 5 6 6 7 8 9 10

I. Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche. Der Begriff der Geistesstörung ist in § 44 EheG wie in § 104 Nr.a ein anderer ( R G 56, 203, 162, 233) Voraussetzung ist:

Anm. 1 1. Geisteskrankheit oder Geistesschwäche: Die Unterscheidung beruht nicht

auf einer Verschiedenartigkeit der Krankheitsform, sondern hat in praktischen Rücksichten ihren Grund. Die Fähigkeit, sich durch vernünftige Beweggründe leiten zu lassen, ist bei dem Geisteskranken infolge krankhafter Vorstellungen oder Triebe so gering, daß er einem Kinde gleichsteht (vgl. § 104 Nr. 2), während diese Fähigkeit bei einem Geistesschwachen noch so weit vorhanden ist, daß er einem Minderjährigen gleichgestellt werden kann (§ 114). Geisteskrankheit und Geistesschwäche sind somit nur dem G r a d e nach voneinander verschieden ( R G 50, 203; 130, 71). Geistesschwäche ist nicht bloß vorhanden im Falle angeborenen oder später durch Entwicklungshemmung erworbenen Schwachsinns. Sie kann auch trotz vorhandenen Intellekts bei einer auf psychopathischer Grundlage beruhenden Entartung des Charakters (des Gefühlsund Trieblebens) vorhanden sein ( R G J W 1925, 937', R G I V 173/23 18. 2. 24). Das Vorliegen einer Geisteskrankheit oder Geistesschwäche setzt voraus, daß nach den Regeln der ärztlichen Wissenschaft eine Störung der Geistestätigkeit festzustellen ist, worüber der Richter nach §§ 655, 671 Z P O nur nach persönlicher Vernehmung des zu Entmündigenden und nach Anhörung von Sachverständigen entscheiden kann (Ausnahmen R G 170, 341). Erst auf dieser Grundlage kann die Entscheidung ergehen, inwieweit die G e s c h ä f t s f ä h i g k e i t beeinflußt wird, ob Geisteskrankheit oder ob Geistesschwäche anzunehmen ist ( R G Warn. 1917 Nr. 232). Die letztere Frage ist eine Rechtsfrage, über welche dem Richter selbständig die Entscheidung zusteht, ohne daß er an den Ausspruch der als Sachverständige gehörten Ärzte gebunden ist ( R G Gruch. 49, 882). Durch das Bestehen l i c h t e r Z w i s c h e n r ä u m e wird das Vorhandensein der Geisteskrankheit im Sinne des § 6 nicht ausgeschlossen. Auch im übrigen deckt sich der Begriff der Geisteskrankheit des § 6 nicht mit dem der krankhaften Störung der Geistestätigkeit im Sinne des § 104 Nr. 2, welche Vorschrift weitergehend auch die Geistesschwäche umfaßt ( R G J W 09, 411 2 ; 1911, 179 1 , R G 162, 223). Die Geschäftsunfähigkeit einer Person kann für ein bestimmtes Rechtsgeschäft nach § 104 Nr. 2 angenommen werden, obschon sie in Rücksicht auf ihre allgemeinen geistigen Fähigkeiten nach § 6 nur wegen Geistesschwäche entmündigt werden könnte ( R G 130, 71). Der Prozeßrichter wird übrigens dadurch, daß die Entmündigung nur wegen Geistesschwäche ausgesprochen ist, nicht gehindert, das Vorhandensein von Geisteskrankheit festzustellen. Besondere Voraussetzungen hinsichtlich der Geisteskrankheit gelten nach § 45 und insbesondere nach § 44 EheG für die Scheidung der Ehe ( R G Warn. 1917 Nr. 233, R G 161, 106; B G H 1, 132). An die Geistesschwäche schließt sich als leichtere Form die g e i s t i g e G e b r e c h l i c h k e i t (geistige Unbeholfenheit u. dgl.) an, welche einen Grund zur Einleitung der Pflegschaft, nicht zur Entmündigung gibt, auch nicht eine Beschränkung der Geschäftsfähigkeit zur Folge hat (§ 1910).

Anm. 2 2. Die Unfähigkeit zur Besorgung der eigenen Angelegenheiten: Sie muß eine dauernde, nicht nur eine vorübergehende sein ( R G 65, 201; 130, 71). Dazu gehören nicht nur die Vermögensverhältnisse und die Angelegenheiten der eigenen Person und der Familie, sondern auch die Besorgung seiner Pflichten im sozi-

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Natürliche Personen

§6

Anm. 3 alen und öffentlichen Leben, d. h. ob er seiner Stellung im gesellschaftlichen und öffentlichen Leben gerecht zu werden imstande ist, wie er sich öffentlichen Behörden gegenüber verhält, wie seine krankhaften Ideen diesen gegenüber zutage treten und ob daraus geschlossen werden kann, daß sein Wahn die gesamten Lebenss Verhältnisse beherrscht und gefährdet. Anlaß zur Entmündigung ist insbesondere gegeben in Fällen des Q u e r u l a n t e n w a h n s i n n s , wenn der zur Entmündigende aus krankhaftem Mißtrauen und Verfolgungswahn in zahlreichen Fällen unbegründete Eingaben und Beschwerden an die Behörden gerichtet, aussichtlose Rechtsstreitigkeiten geführt, sich in Konflikte mit Strafbehörden gebracht, aus seinem Wahn heraus Behörden mit allen möglichen unsinnigen Eingaben und Vorschlägen belästigt, in solcher Weise seine Zeit und K r a f t einer unfruchtbaren und krankhaften Tätigkeit geopfert und dadurch seine gesamten Lebensverhältnisse gefährdet hat ( R G 170, 3 4 1 , Warn. 1 9 1 0 Nr. 309, 3 1 0 ) . Diese Erfordernisse sind nicht als Merkmale der Geistesschwäche usw. (als deren Vorfrage), sondern nur als ihre Folge zu werten ( R G Warn. 1 9 1 7 Nr. 232). Die Unfähigkeit zur Besorgung der Angelegenheiten braucht noch nicht die Wirkung gehabt zu haben, daß die Angelegenheiten tatsächlich in Verwirrung geraten sind, es genügt vielmehr, die Gefahr, daß der zu Entmündigende sich durch seine Wahnideen zu unvernünftigen Handlungen hinreißen läßt und dadurch die Grundlage seiner Lebensführung beeinträchtigt werden kann ( R G Warn. 1927 Nr. 88; 1942 Nr. 34). Beschränkt sich die Störung der Geistestätigkeit auf e i n z e l n e oder einen b e s t i m m t e n K r e i s von Angelegenheiten, so kann nur durch Einleitung einer Pflegschaft (§ 1910) geholfen werden ( O G H D R Z 50, 495). Die Entmündigung wird aber nicht dadurch ausgeschlossen, daß der zu Entmündigende zur Besorgung gewisser Angelegenheiten, sei es wegen ihrer Einfachheit, sei es wegen der erlangten Übung, oder aus anderen Gründen, befähigt bleibt ( R G Warn. 08 Nr. i n ; 1 9 1 0 Nr. 309; Recht 1 9 1 0 Nr. 2790). Hier kann auch Entmündigung usw. wegen Geistesschwäche in Frage kommen. Möglich ist die Unterbringung in einer Heilanstalt (RG J W 1935, 2367). Daß in der Tätigkeit eines Geisteskranken eine G e m e i n g e f a h r besteht, rechtfertigt für sich allein noch nicht die Entmündigung. Das folgt daraus, daß die Sicherheitsgefährdung in Nr. 3 besonders hervorgehoben ist, nicht aber in Nr. 2. Auch können solche Gefahren durch Sicherungsmaßnahmen auf Grund der zur Ausführung des Art. 104 G G ergangenen Landesgesetze (Baden-Württemberg v. 16. 5.54 GBl. 87; Bayern v. 3 0 . 4 . 5 2 G V O B 1 . 1 6 3 ; Berlin v. 24. 7. 52 G V B 1 . 630; Hamburg 17. 8. 49 [GVB1. 177]; Hessen 19. 5. 53 G V B 1 . i n ; Niedersachsen § 9ff. des Ges. v. 2 1 . 3. 5 1 G V B 1 . 79) abgewendet werden. Das BGes. v. 29. 6. 56 (BGBl. I 599) über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitentziehungen findet aber keine Anwendung. Uber die Zulässigkeit einer Pflegschaft auch bei Unfähigkeit zur Besorgung der gesamten Angelegenheiten s. § ig 10 I. Diese Möglichkeit muß versagen, wenn die Voraussetzungen der Entmündigung in ihrer Gesamtheit gegeben sind, R G 12. 1. 31 I V 176/30.

II. Entmündigung wegen Verschwendung. Anm. 3 Voraussetzung ist: 1. V e r s c h w e n d u n g : Als Verschwender ist nicht schon anzusehen, wer unverhältnismäßig große Ausgaben oder Schulden macht, sondern wer den Hang zu sinnloser, den Vermögensverhältnissen nicht entsprechender V e r g e u d u n g d e s V e r m ö g e n s hat (RG I V 92/01 20. 5. 01). Die unwirtschaftlichen Aufwendungen müssen, wie das R G J W 05, 166 1 sagt, in Zusammenhang stehen mit persönlichen Eigenschaften, die, wie z. B. Leichtsinn, Liederlichkeit, Prunkliebe u. dgl., einen Hang zu unvernünftigen Ausgaben oder unwirtschaftlichem Gebaren erkennen lassen, ebenso R G 7, 346; 2 1 , 167; H R R 1932 Nr. 929. Ein solcher Hang wird um so eher anzunehmen sein, wenn es sich um zweckund nutzlose Ausgaben handelt, was indes keine unbedingte Voraussetzung der Verschwendung bildet. Die Verwendung zu öffentlichen und idealen Zwecken schließt Verschwendung nicht aus, wenn sie über die wirtschaftliche K r a f t hinaus geht, besonders wenn sie nur aus Eitelkeit erfolgt. Der Hang kann in unangebrachter Vertrauensseligkeit begründet sein (so R G L Z 1 9 1 7 , 966 1 ); in diesem Falle hatte der in hohem Alter stehende und geistig gebrechliche Mann sein gesamtes, nicht unerhebliches Ver1

Komm. 2. B G B , I I . Aufl. I. Bd. (Denccke)

33

§6 A n m . 4, 5

Allgemeiner Teil. Personen

mögen an seine Wirtschafterin nur gegen die Pflicht der Unterhaltsgewährung ohne jede Sicherung weggegeben). Der Hang kann auf Geisteskrankheit oder Geistesschwäche beruhen. Dann ist d o p p e l t e E n t m ü n d i g u n g m ö g l i c h (RG 108, 307). Nach R G J W 1925, 9376 soll dann nur Entmündigung nach Nr. 1 möglich sein. Dem ist nicht beizupflichten, schon wegen der verschiedenen Möglichkeiten der Aufhebung. Zum Begriff der Verschwendung ist nicht erforderlich, daß die Aufwendungen dem eigenen Vorteil des Ausgebenden dienen, und es ist ebensowenig nötig, daß der Hang zur Verschwendung sich unterschiedslos einem jeden gegenüber zeigt (RG Warn. 1911 Nr. 3 1 4 ; J W 1908, 234). Die Verschwendungssucht einer Person kann sich darin betätigen, daß sie dem Reize zum Erwerbe von Kunstgegenständen nicht widerstehen kann, obschon nach ihren Vermögensverhältnissen der Ankauf unvernünftig erscheint (RG Warn. 1913 Nr. 391). Auch eine verschwenderische Geschäftsführung, die auf einem Hange zu sinnloser Vergeudung beruht, kann zur Entmündigung Anlaß geben, desgleichen die auf persönlichen Eigenschaften beruhende Vernachlässigung der Wirtschaft, wenn sie einen so hohen Grad erreicht, daß hierdurch der wirtschaftliche Verderb herbeigeführt werden muß (vgl. M 1 64, Prot. 1 72f.). Das R G (JW 1914, 862 1 ) hat die Entmündigung aus diesem Grunde in einem Falle ausgesprochen, wo der Entmündigte längere Zeit hindurch sich um die Wirtschaft nicht gekümmert hatte, die Ernte auf dem Felde hatte verkommen lassen und das Land nicht wieder bestellt, sonst aber sparsam gelebt hatte. Sind außergewöhnliche Ausgaben wirtschaftlich berechtigt, ist Kreditgeben nur unvorsichtigt erfolgt, liegt noch keine Verschwendung vor. Voraussetzung ist weiter, daß er das Vermögen verschwendete, nicht nur, daß er Verschwendung in Aussicht stellte (RG I V 399/21 4. 5. 22). Anm. 4 2. Die Gefahr eines Notstands: Mit Entmündigung kann erst vorgegangen werden, wenn der Verschwender es dahin kommen läßt, daß er selbst oder seine F a m i l i e , das sind die Angehörigen, die gesetzlich ein Recht auf Unterhalt haben, der Gefahr des Notstandes ausgesetzt sind. Die Gefahr eines Notstandes für die F a m i l i e liegt vor, wenn auch nur die E h e f r a u davon betroffen wird (RG 3 . 6 . 12 I V 621/11), §§ 1360 fr., oder V e r w a n d t e g e r a d e r L i n i e , §§ 1589, 1601, insbesondere durch Beiseiteschaffen von Familienhabe. Ist die Gefahr nach Lage der Sache nicht zu besorgen, weil der Verschwender z. B. nur über einen Teil seines Vermögens verfügen kann oder ihm noch andere Hilfsquellen zur Verfügung stehen, so muß die Entmündigung unterbleiben. Die Gefahr des Notstandes wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Familienmitglieder durch zweckentsprechende prozessuale Maßregeln sich würden schützen können. Auch die Beschlagnahmefreiheit eines Teiles der Einkünfte(vgl. § 850 ZPO) und die Vorschriften über den Vollstreckungsschutz sichern nicht unter allen Umständen gegen die Gefahr des Notstandes. Es kann die Gefahr bestehen,, daß der Verschwender die ihm hiernach zur Verfügung bleibenden Mittel ebenfalls zur Befriedigung seiner verschwenderischen Neigungen verwendet. Die unsichere Hoffnung auf bessere Verhältnisse beseitigt nicht die gegenwärtige Gefahr eines Notstandes. III. Entmündigung wegen Trunksucht. Anm. 5 Voraussetzung ist: 1. Die T r u n k s u c h t : Sie ist ein Hang zum übermäßigen Genuß geistiger Getränke, beidem die Kraft, dem Anreiz zu widerstehen — abgesehen von außergewöhnlichen Vorkommnissen — regelmäßig verlorengegangen ist. Der Hang braucht nicht notwendig auf" inneren krankhaftem Zwang zu beruhen, sondern auch auf Leichtsinn oder Gleichgültigkeit, einer Willens- und Charakterschwäche (RG H R R 1937 Nr). 544. Notgedrungene Enthaltsamkeit ohne innere Abkehr vom Alkohol behebt die Trunksucht noch nicht (RG Warn. 1919 Nr. 129), es ist auch nicht nötig, daß sich jemand sehr häufig und stark betrinkt. Wer aber aus öffentlichen Zuwendungen oder Mildtätigkeit Mittel empfängt und sie vorwiegend zur Anschaffung von Alkohol verwendet, ist trunksüchtig. — Wenn das Gesetz seinem Wortlaut nach auch nur von alkoholischen G e 34

Natürliche Personen

§6

Anm. 6—10

tränken spricht, so ist doch eine e n t s p r e c h e n d e A n w e n d u n g a u f R a u s c h g i f t s ü c h t i g e (Morphium, Kokain u.a.) geboten. F r a e b , J W 1934, 2 7 5 5 ; P a l a n d t A 4 , L e h m a n n S. 3 1 3 . G o i n g bei Staudinger Anm. 27 und E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y , Lehrb. I 359 halten das für bedenklich. Im § 330 a StGB ist aber die Rauschgiftsucht der Trunksucht gleichgestellt.

Anm. 6 2. W e i t e r e V o r a u s s e t z u n g ist entweder a ) Der Trunksüchtige vermag wegen des Rückganges seiner geistigen Fähigkeiten seine Angelegenheiten nicht m e h r zu b e s o r g e n . Der Umstand, daß er während des Zustandes der Trunkenheit selbst einzelne Geschäfte nicht besorgen kann, entscheidet nicht, wenn er durch die Gesamtheit seiner Tätigkeit gleichwohl seine Wirtschaft erhält oder gar bessert ( R G J W 1909, 654). In diesem Erfordernis kommt zum Ausdruck, daß die Entmündigung eine staatliche Fürsorgemaßnahme ist. Sie dient dem Interesse des Trunksüchtigen wie dem Schutz der Allgemeinheit vor der Belastung mit Minderwertigen.

Anm. 7 b ) Die Entmündigung ist weiter geboten, wenn er sich o d e r seine F a m i l i e der

Gefahr des Notstandes aussetzt (dazu Anm. 6.) Anm. 8

c ) Endlich ist die Entmündigung geboten, wenn der Trunksüchtige die S i c h e r h e i t a n d e r e r g e f ä h r d e t . Es braucht nicht gerade eine Gemeingefahr zu bestehen, es genügt die Gefährdung einzelner Familienglieder, Arbeitskameraden, Mitglieder einer Gemeinschaft, Vereins u. a. Die drei letzteren Voraussetzungen sind gleichwertige Tatbestände, lassen sich aber nicht ohne Klageänderung gegenseitig ersetzen.

IV. Aufhebung der Entmündigung. Anm. 9 Für die Wiederaufhebung der Entmündigung (§§ 675 AT., 679fr. Z P O ) kommt es nur darauf an, daß z u d i e s e r Z e i t ein Entmündigungsgrund n i c h t v o r l i e g t , nicht darauf, daß der Zustand des Entmündigten sich gebessert hat ( R G J W 0 1 , 475; 09, 189 1 ). Der Entmündigungsbeschluß muß aufgehoben werden, sowohl wenn eine seiner Voraussetzungen später weggefallen ist als auch wenn der Richter bei der durch das frühere Urteil nicht beschränkten Würdigung des Sachverhalts zu der Uberzeugung kommt, daß sie niemals vorgelegen haben ( R G 8 1 , 2 1 1 , 135, 183). Hier sind auch die nach dem Entmündigungsbeschluß liegenden Tatsachen zu beachten ( R G J W 1925, 770 23 ). Die Anfechtungsklage des § 664 Z P O kann dagegen nur darauf gestützt werden, daß die Voraussetzungen der Entmündigung zur Zeit des Erlasses des Entmündigungsbeschlusses nicht vorhanden waren ( R G J W 0 2 Beil. 280 230 ; Warn. 1 9 1 6 Nr. 260). Im Anfechtungsverfahren gilt der Entmündigte als prozeßfähig (RG 68, 404). Allgemeine Auflassung ist, daß das Entmündigungsverfahren gegenstandslos werde, wenn derjenige stirbt, den es betrifft ( B a u m b a c h - L a u t e r b a c h Anm. 4 zu § 664). Nicht in allen Fällen trifft dies zu, da die Entscheidung auch Wirkung für die Vergangenheit haben kann, es ist daher nach sachlich-rechtlichen Normen zu prüfen, z. B. B G B § 2230 Abs. 2. Daher ist Fortsetzung des Verfahrens, auch Wiederaufhebung einer Entmündigung nach dem Tode des Entmündigten grundsätzlich zulässig, wo sie der Verwirklichung des Erbrechts dient. Unbeschadet bleibt der Nachweis für den Testator aus § 104. Der Mangel der Voraussetzung für die Entmündigung ist nur auf dem vorgeschriebenen Wege geltend zu machen (RG 8 1 , 2 1 1 ) .

V. Internationales Entmündigungsrecht. Anm. 10 Zugelassen ist in Art. 8 E G nicht bloß die Entmündigung des Inländers, sondern im Interesse der Sicherheit des inländischen Rechtsverkehrs auch die 1

35

Allgemeiner Teil. Personen

§7

Entmündigung des im Inland wohnenden oder, falls wohnsitzlos, im Inlande sich aufhaltenden A u s l ä n d e r s . Der Aufenthalt darf nicht bloß ein vorübergehender sein. Es ist aber nicht notwendig, daß er auf längere Dauer berechnet oder ein freiwilliger ist (RG J W 1912, 914 12 ). Der inländische Wohnsitz oder Aufenthalt muß noch zur Zeit des Erlasses des Entmündigungsbeschlusses vorhanden sein. Die Voraussetzungen und Wirkungen der Entmündigung bestimmen sich nach deutschem Recht. Wegen Entmündigung eines A u s l ä n d e r s wird indes regelmäßig erst vorzugehen sein, wenn der Heimatstaat hierzu sich nicht bereit findet. Die von dem Heimatstaate ausgesprochene Entmündigung des Ausländers (einschließlich der Beistandsbestellung) ist auch von den deutschen Gerichten anzuerkennen für die im Inland vorgenommenen Verkehrsgeschäfte, aber nicht über das Maß der Geschäftsunfähigkeit hinaus, die für entmündigte Inländer gilt (Art. 7 Abs. 3 E G ; RG 80, 262). Für die Vertragsstaaten Deutschland, Österreich, Italien, die Niederlande, Portugal, Rumänien ist laut Bek. des R K v. 30. 7. 12 und bez. Schwedens laut Bek. v. 8. 12. 24 das H a a g e r A b k o m m e n über die Entmündigung usw. v. 17. 7. 05 in Kraft treten und gilt noch. Für die Entmündigung und ähnliche Fürsorgemaßregeln sowie die Bevormundung des Entmündigten ist danach das Gesetz des Heimatstaates maßgebend und die Behörde des Heimatstaates zuständig. Die Behörde des gewöhnlichen Aufenthalts ist nur aushilfsweise zuständig. (Art. 6 u. 11). Sie entscheidet nach dem Recht ihres Staates, hat aber zugleich das Recht des Heimatstaats hinsichtlich der Voraussetzungen der Entmündigung und tunlichst hinsichtlich der Berechtigung zur Führung der Vormundschaft zu beachten (Art. 7, 8 Abs. 2, 11 Abs. 2). Unter diesen Voraussetzungen ist auch die Entmündigung eines Deutschen in einem nicht zum Haager Abkommen gehörenden Staates wie der Schweiz wirksam, jedoch bleiben daneben die deutschen Gerichte zur Entmündigung und Aufhebung zuständig (BGH 19, 240). Die Wirkung der Entmündigung (wegen der Veröffentlichung s. indes Art. 9 Abs. 2) richtet sich allgemein nach dem Recht der anordnenden Behörde. Die zum Schutze der Person und des Vermögens forderlichen vorläufigen Maßregeln können bis zum Einschreiten der Heimatbehörde vor der örtlich zuständigen Behörde, in deren Bezirk sich der zu Entmündigende befindet, getroffen werden (Art. 3). Siehe auch Erläuterungen zu Art. 8 des E G z. BGB. V o r b e m e r k u n g zu § 7 Man unterscheidet n a t ü r l i c h e n Wohnsitz und g e s e t z l i c h e n Wohnsitz. Ferner Wohnort, Wohnung, gewöhnlichen Aufenthalt, gewerbliche Niederlassung, Amtssitz. Der Wohnort kann vom Wohnsitz , namentlich dem gesetzlichen, verschieden sein. Einen Wohnort hat nur die natürliche Person, die juristische Person hat einen Sitz, §§ 23, 24, 57, 80. Für das i n t e r n a t i o n a l e P r i v a t r e c h t entscheidet nicht mehr das Recht des Wohnsitzes, sondern das des Heimatstaates, E G z. BGB Art. 7—9, 13—25.

Wer s i c h an e i n e m Orte ständig niederläßt, begründet a n d i e s e m Orte seinen Wohnsitz. Der Wohnsitz kann gleichzeitig an m e h r e r e n Orten bestehen. Der Wohnsitz w i r d aufgehoben, w e n n die N i e d e r l a s s u n g m i t d e m Willen aufgehoben w i r d , sie a u f z u g e b e n . E I 34 II 17; M I 68ff.; P 1 ; 7 ff.

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 36

Ubersicht

Die Begründung des Wohnsitzes Die gewerbliche Niederlassung Der gewöhnliche Aufenthalt Voraussetzung für die Begründung des Wohnsitzes Rechtliche Bedeutung des Wohnsitzes Mehrfacher Wohnsitz Die Aufhebung des Wohnsitzes

Anm.

1 2 3 4 5 6 7

Natürliche Personen

§7

Anm. 1, 2

Anm. 1 1. Die Begründung des Wohnsitzes: Die Begründung des natürlichen Wohnsitzes ist nach deutschem Recht zu prüfen, R G 146, 1 4 ; als räumlicher Mittelpunkt des gesamten Lebens einer Person ( R G 67, 193) setzt sie voraus die t a t s ä c h l i c h e N i e d e r l a s s u n g an einem Orte mit dem durch die Niederlassung in Erscheinung tretenden Willen, diesen Ort bleibend zum Mittelpunkt der Lebensverhältnisse zu machen (ständige Niederlassung?— vgl. R G 15, 367, 368; Warn. 1 9 1 6 Nr. 269). Beruht die Niederlassung auf Z w a n g , wie beim Gefangenen, fehlt der rechtserhebliche Wille. Die Niederlassung braucht nicht in eigener Wohnung, sondern kann auch in einem Gasthaus, einer Pension usw. erfolgen. Nur die Niederlassung, nicht der Rechtserfolg des Wohnsitzes, braucht gewollt zu sein. Die Niederlassung ist kein Rechtsgeschäft, sondern ein rechtserhebliches Tun, fällt aber zum Teil unter die Regeln des Rechtsgeschäftes, § 8. Die bloße Herrichtung der Wohnung, ohne daß sie in persönliche Benutzung genommen wird, genügt nicht zum Erwerbe des Wohnsitzes (vgl. P r O V G 52, 230). Dagegen steht dem Erwerb nicht entgegen, daß die Niederlassung in der Absicht erfolgt, später nach geraumer Zeit zu einem bestimmten Zeitpunkt oder bei sich bietender Gelegenheit den Wohnsitz zu ändern. M a n darf sich aber nicht bloß auf einen vorübergehenden Aufenthalt eingerichtet haben. Sommerwohnungen, die einem Aufenthalt mit Wirtschaftsführung für bestimmte Jahreszeit dienen, können Wohnsitz begründen, nicht bloße Landhäuschen für Wochenende mit notdürftiger Einrichtung, nicht ein Ausstellungsraum. Ob die Begründung eines „Haushalts" genügt, ist Tatfrage. Auch wenn dieser fehlt, kann ein Wohnsitz begründet werden. Der Abschluß eines Mietvertrags für längere Zeit deutet auf Begründung eines Wohnsitzes hin. K e i n W o h n s i t z wird erworben durch vorübergehenden Aufenthalt eines Miterben in der erbengemeinschaftlichen Wohnung, auch wenn er keine andere eigene Wohnung hat. E r ist dann ohne Wohnsitz; auch nicht durch den länger dauernden Aufenthalt zu Zwecken der Ausbildung (wie bei Schülern und Studenten, Z P O § 20), durch den Aufenthalt in einer Heilanstalt (anders bei dauernder Unterbringung in einer Pflegeanstalt) oder durch den zur Erfüllung der Wehrpflicht genommenen Aufenthalt, da es hier an der Absicht der ständigen Niederlassung fehlt. Aus dem gleichen Grunde wird auch durch Eingehung eines Dienstverhältnisses der Regel nach, falls nicht das zeitige Dienstverhältnis den Charakter einer dauernden Erwerbsstellung hat, kein Wohnsitz begründet (vgl. L Z 1920, 396; S e u f f A 56 Nr. 69). O b d a c h l o s e können einen Wohnsitz weder begründen noch haben. Denn sie haben keine ständige Niederlassung. A u s l a n d s d e u t s c h e können schon dann einen Wohnsitz in Deutschland haben, wenn sie hier zur regelmäßigen Ausübung von Geschäften Wohnung nehmen und zu diesem Behufe vom Ausland nach Deutschland kommen. Daß jemand nach geltenden fremdenpolizeilichen Vorschriften von Zeit zu Zeit seine Aufenthaltserlaubnis verlängern lassen muß, steht der Begründung eines Wohnsitzes nicht entgegen, ebensowenig, daß er ohne eigene Wohnungseinrichtung dauernd im möblierten Zimmer zur Miete wohnt, R G 146, 17.

Anm. 2 2. Die gewerbliche Niederlassung: Verschieden von dem Begriff des Wohnsitzes ist der Begriff der g e w e r b l i c h e n (geschäftlichen) oder b e r u f l i c h e n N i e d e r l a s s u n g zu einem begrenzten Zweck, z. B. einem bestimmten Geschäftsbetrieb, der persönliches Wohnen nicht erfordert (vgl. § 21 Z P O , § 42 G e w O , §§ 29, 30, 3 1 , 55 H G B ) . Wer an einem Orte sein Geschäftslokal hat oder seiner beruflichen Tätigkeit nachgeht, kann an einem anderen Orte seinen Wohnsitz haben. Eine Niederlassung ist eine gewerbliche, wenn von ihr aus ein Gewerbe betrieben wird, auch wenn der Gewerbetreibende dort nicht persönlich anwesend ist. Ein Rechtsanwalt, der am Orte des Gerichts, bei dem er zugelassen ist, wohnt, wenn auch nur in einer möblierten Wohnung, und dort seine Tätigkeit als Rechtsanwalt ausübt, hat daselbst seinen Wohnsitz, auch wenn er sich demnächst anderweit niederzulassen beabsichtigt ( R G 26. g. 19 I I I 62/19).

37

§7 Anm. 3—7

Allgemeiner Teil.

Personen

Anm. 3 3. Der gewöhnliche Aufenthalt: U n t e r A u f e n t h a l t wird i m Gegensatz z u m Wohnsitz das tatsächliche V e r w e i l e n an einem O r t e verstanden, ohne d a ß die Anwesenheit eine gewollte oder b e w u ß t e z u sein braucht (vgl. R G J W 92, 461 3 ). Für das Vorhandensein des gewöhnlichen Aufenthalts ist nur zu erfordern, d a ß das Verweilen von einer gewissen D a u e r und Regelmäßigkeit ist, nicht auch, d a ß der Mittelpunkt der Lebenshaltung für einige Zeit an dem O r t e des Aufenthaltes begründet wird ( R G 91, 287). E x t e r r i t o r i a l e werden so behandelt, als ob sie außerhalb des Heimatstaates keinen Wohnsitz hätten.

Anm. 4 4. Voraussetzung für die Begründung des Wohnsitzes: Allgemeine Voraussetzung für die Begründung des Wohnsitzes ist, d a ß die Niederlassung nicht verboten ist (vgl. § 3 des Freizügigkeitsges. v. 1. 11. 1867). I m übrigen besteht W a h l f r e i h e i t für die Begründung des Wohnsitzes (Art. 11 G G ) , j e d o c h sind zeitliche Beschränkung durch beamtenrechtliche Dienstvorschriften (Residenzpflicht) oder V e r t r a g , z . B . bei einem A r z t (vgl. V o r b e m . 52 § 6 1 1 ) oder bei W i d e r r u f eines Geschäfts aus Wettbewerbsrücksichten nicht ausgeschlossen ( R G W a r n . 1910 Nr. 4 1 2 ; 1915 Nr. 8; B G H 16, 71) j e d o c h h a b e n diese nicht die W i r k u n g , d a ß dementgegen ein Wohnsitz nicht erworben werden kann, ebensowenig wie das n a c h § 1 0 1 K O für den Gemeinschuldner bestehende V e r b o t , sich ohne Erlaubnis des Gerichts sich von seinem W o h n o r t zu entfernen ( B a y O b L G S e u f f A 64 Nr. 10). D e r Wohnsitz i. S. des B G B braucht sich mit d e m des Steuerrechts nicht z u decken ( R G W a r n . 1912 Nr. 24).

Anm. 5 5. Rechtliche Bedeutung des Wohnsitzes: D e r Begriff des Wohnsitzes ist v o n Wichtigkeit sowohl für das bürgerliche R e c h t (vgl. namentlich §§ 269, 270, 1433 A b s . 2, 1944 A b s . 3, 1954 A b s . 3 und A r t . 29 E G , § 15 E h e G ) , als für das ö f f e n t l i c h e R e c h t . D u r c h den O r t des Wohnsitzes, der a n sich nur den Punkt der Erdoberfläche bedeutet, auf dem die Niederlassung sich befindet, wird die allgemeine Zugehörigkeit z u einer bestimmten politischen Gemeinde, z u den Verwaltungsbezirken und Gerichtsbezirken hergestellt. Nicht ist unter O r t des W o h n sitzes im Sinne des § 7 B G B die politische G e m e i n d e als eine f ü r alle anderen Bezirke m a ß g e b e n d e kleinste Einheit z u verstehen, so d a ß die Landesgesetzgebung bei A b grenzung der Gerichtsbezirke durch den reichsrechtlichen Begriff des Wohnsitzes, der a u c h d e m § 1 3 Z P O zugrunde liegt, verhindert wäre, die Gemeinde in mehrere Bezirke zu teilen ( R G 67, 191). F ü r die örtliche Zuständigkeit des Gerichts ist in diesem Falle nicht der Wohnsitz in der Gemeinde, sondern i m Gerichtsbezirk m a ß g e b e n d .

Anm. 6 6. Mehrfacher Wohnsitz: Mehrfacher Wohnsitz ist möglich, w e n n sich an m e h r e r e n W o h n o r t e n — nicht demselben O r t , R G 67, 191 — gleichmäßig der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse in ihrer Gesamtheit befindet, w e n n insbesondere mit d e m W o h n e n an mehreren Wohnorten zeitweilig in der Weise abgewechselt wird, d a ß der jedesmalige W o h n o r t den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse u n d der V e r m ö g e n s v e r w a l t u n g bildet (vgl. P r O V G 54, 185 Nr. 50) oder w e n n j e m a n d zugleich als Gutsbesitzer auf d e m L a n d e und in der Stadt seinen Wohnsitz hat. Ständiger persönlicher Aufenthalt an beiden O r t e n ist nicht erforderlich. A u c h für M i l i t ä r p e r s o n e n ist neben dem gesetzlichen des § 9 ein mehrfacher Wohnsitz möglich, R G 126, 8.

Anm. 7 7. Die Aufhebung des Wohnsitzes: Der bloße W i l l e , die Niederlassung aufzugeben, genügt allein nicht zur A u f hebung des Wohnsitzes. Es m u ß die w i r k l i c h e A u f g a b e d e r N i e d e r l a s s u n g hin-

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Natürliche Personen

§8

Anm. 1 zukommen. Ebenso wird der Wohnsitz dadurch nicht aufgehoben, daß der Wohnungsinhaber zeitweilig in der Absicht der Rückkehr sich entfernt. Der Wohnsitz kann unter Umständen selbst bei Aufgabe der Wohnung beibehalten werden, wenn die Aufgabe nur vorübergehend erfolgt, weil der bisherige Wohnungsinhaber auf Reisen geht, seine geschäftlichen, amtlichen usw. Beziehungen jedoch auch fernerhin in dem bisherigen Wohnorte ihren Mittelpunkt finden ( O L G 15. 328). Der Wohnsitz ist nicht aufgehoben, wenn jemand, der an einem anderen Orte Wohnung nimmt, die frühere, für seine Bedürfnisse eingerichtete Wohnung zu seiner Verfügung behält. In solchem Falle kann das Bestehen eines doppelten Wohnsitzes angenommen werden (vgl. P r O V G 58, 230), so z. B. bei längerem Aufenthalt zur K u r in einem Badeorte, zur Ausführung einer Arbeit. Mit dem Aufenthalt in einer Gefangenenanstalt ist die Aufgabe des bisherigen Wohnsitzes nicht notwendig verbunden, auch noch nicht mit dem Wegzug der Familie von dem bisherigen Wohnort während der Strafhaft, SeufFA 56 Nr. 240. Aber die z w a n g s w e i s e angeordnete und durchgeführte Verschiebung aus der bisherigen Heimat mit der Folge der Niederlassung an einem anderen Ort hat mit dem a u f g e n ö t i g t e n W i l l e n die Aufgabe des Wohnsitzes herbeigeführt, R G 152, 60. Die Aufhebung kann ohne Begründung eines neuen Wohnsitzes erfolgen. § 8 Wer geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, kann ohne den Willen seines gesetzlichen Vertreters einen Wohnsitz weder begründen noch aufheben. Eine minderjährige Frau, die verheiratet ist, kann selbständig den Wohnsitz begründen und aufheben. Das gleiche gilt für eine Frau, die verheiratet war und das 18. Lebensjahr vollendet hat. E I 36 II 18; M

x

72; P

I

39; 6

Il9ff.

In der F a s s u n g des Gleichberechtigungsgesetzes v . 1 8 . 6.

J7.

Anm. 1 Die Begründung und Aufhebung des Wohnsitzes stellt sich als eine für die verschiedensten Rechtsverhältnisse bedeutsame Rechtshandlung dar, für welche deshalb ebenso wie für lästige Rechtsgeschäfte u n b e s c h r ä n k t e G e s c h ä f t s f ä h i g k e i t gefordert wird. Ist diese Geschäftsfähigkeit nicht vorhanden, so entscheidet der Wille des gesetzlichen Vertreters, d. h. gemäß § 1629 des Vaters allein, an dessen Stelle die Mutter, wenn der V a t e r g e m ä ß §§ 1673—1678 die elterliche Gewalt nicht ausüben kann oder der Mutter die Entscheidung gemäß § 1628 I I übertragen ist. Die letztere Bestimmung zeigt, daß, wenn auch aus Gründen der Klarheit und Rechtssicherheit davon abgesehen ist (vgl. B G H 20, 3 1 3 ) , für die Begründung oder Aufhebung des Wohnsitzes die Zustimmung beider Eltern zur Voraussetzung zu machen, der Vater bei seiner Entscheidung an die Grundsätze des § 1627, a n das gegenseitige Einvernehmen mit der Mutter gebunden ist, und daß unter Umständen der Wille der Mutter gemäß § 1628 I I entscheidend werden kann. Darauf, wer von den beiden Eltern die Sorge für die Kinder hat, kommt es nicht an, noch weniger wer sie tatsächlich ausübt, insbesondere kann der mit der Vermögensverwaltung gemäß § 162g betraute Pfleger den Wohnsitz nicht bestimmen, J W 1927 2595-

Die Zustimmung ist an keine F o r m gebunden, bedarf keiner ausdrücklichen Erklärung, kann sich auch aus den Umständen ergeben. Von Bedeutung hierfür kann sein, daß der unheilbar Geisteskranke unter Aufgabe der ihn mit andern Orten verknüpfenden Beziehungen dauernd in einer Irrenanstalt untergebracht ist (vgl. O L G 33, 19; SeuffA 55 Nr. 64). Auch der vorläufige Vormund eines Geisteskranken kann für ihn einen Wohnsitz begründen. Läßt sich hiernach ein Geschäftsunfähiger oder ein beschränkt Geschäftsfähiger, der nicht die rechtliche, aber die tatsächliche (natürliche) Handlungsfähigkeit besitzt, an einem Ort nieder, so begründet er dort den Wohnsitz nur, wenn es der gesetzliche Vertreter will. Eine Zustimmung des letzteren zu einem rechtsgeschäftlichen Handeln kommt dabei nicht in Frage. Es läßt sich aber sagen, daß der Wille des Vertreters den — fehlenden —• Willen des Geschäftsunfähigen ersetzt oder daß er den

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§ 8 A n m . 1, 2 § 9 A n m . 1, 2

Allgemeiner Teil. Personen

tatsächlichen Vorgang der Niederlassung nach der rechtlichen Seite der Wohnungsbegründung hin ergänzt. Das längere Zeit fortdauernde Belassen des Kindes bei der geschiedenen Ehefrau wird als Einverständnis zur Begründung des Wohnsitzes an deren Wohnort anzusehen sein, auch wenn dem Vater gemäß § 1671 die elterliche Gewalt übertragen ist. Der gesetzliche Vertreter kann aber auch z. B. bei einem Kinde selbst den Ort der Niederlassung (den Aufenthaltsort, vgl. §§ 1631, 1800) und somit zugleich den dortigen Wohnsitz bestimmen, z. B. durch d a u e r n d e Unterbringung in einer Irrenanstalt. Darum handelt es sich bei der Vorschrift des § 8 nicht. Anm. 2 Zufolge des A b s a t z e s 2 wird wie früher nach dem aufgehobenen § 10 in der Regel, d. h. wenn die Eheleute einen gemeinsamen Haushalt führen, der Wohnsitz des Ehemanns auch der der Frau sein, da in dem Zusammenleben auch bei der minderjährigen Frau der Wille zur Begründung des Wohnsitzes an dem des Mannes hinreichend zum Ausdruck kommt, anders wenn die Frau zunächst bei ihren Eltern bleibt oder ihre bisherige Haltung weiterbehält. § 9 Ein Soldat hat s e i n e n Wohnsitz a m Standort. A l s Wohnsitz eines S o l d a t e n , der i m Inlande keinen Standort hat, gilt der letzte inländische Standort. Diese Vorschriften finden keine A n w e n d u n g auf Soldaten, die n u r auf Grund der Wehrpflicht Wehrdienst leisten oder die nicht s e l b s t ä n d i g e i n e n Wohnsitz begründen können. E I 37 II 19; M 1 72ff.; P 1 40.

Anm. 1 Durch §68 des Soldatengesetzes v. 1 9 . 3 . 5 6 (BGBl. I 114) ist der Wortlaut des § 9 den neuen Wehrbestimmungen angepaßt, sachlich bringt er aber nichts Neues. Die besondere Wohnsitzregelung gilt nach wie vor nur für die Soldaten, die über die regelmäßigen Wehrdienstzeiten in einem Wehrdienstverhältnis stehen, d. h. die Berufsoffiziere und die Unteroffiziere (früher Kapitulanten genannt), die auf Lebenszeit oder über die Pflichtzeiten hinaus freiwillig in ein Dienstverhältnis getreten sind (§ I Abs. 3 des Soldatengesetzes). Dagegen werden die, die nur zur Erfüllung des Grundwehrdienstes (12 Monate) einberufen sind oder sich freiwillig zu einem Grundwehrdienst von 18 Monaten verpflichtet haben (§§5 u. 6 des Wehrpflichtges. v. 2 1 . 7 . 5 6 [BGBl. I 651] u. § 2 des Ges. über die Dauer des Grundwehrdienstes v. 24. 12. 56 [BGBl. I ioif.]) oder zu einer Wehrübung eingezogen sind, von der Wohnsitzregelung nicht erfaßt; sie behalten ihren bisherigen Wohnsitz. Mit den zur Erfüllung der Wehrpflicht dienenden Personen des Abs. 2 hat nur der Gegensatz zu den Personen, die den Heeresdienst als B e r u f ausüben, bezeichnet werden sollen ( K G J 48, 74; J W 1916, 2 1 1 ; L Z 1917, 137). Die in § 9 bezeichneten Personen haben, k r a f t G e s e t z e s , ohne daß es auf i h r e n W i l l e n oder das V o r h a n d e n s e i n e i n e r t a t s ä c h l i c h e n N i e d e r l a s s u n g (RG Warn. 08 Nr. 112) a n k o m m t , ihren Wohnsitz (nicht den ausschließlichen Wohnsitz) an ihrem i n l ä n d i s c h e n S t a n d o r t e oder, wenn ein solcher fehlt, am letzten inländischen Standorte, im Falle eines langfristigen Kommandos am Orte des Kommandos (SeuffA 96 Nr. 209). § 9 regelt auch den Wohnsitz der im Ausland befindlichen deutschen Militärpersonen. N e b e n dem gesetzlichen Wohnsitz kann außerdem ein s e l b s t g e w ä h l t e r Wohnsitz nach § 7 bestehen (RG 126, 8; J W 1930, 51). Dies ist z. B. von Wichtigkeit bei längerer Beurlaubung, für die Möglichkeit der Beibehaltung eines schon begründeten allgemeinen Wohnsitzes bei nur vorübergehendem Wehrdienst, für die Beibehaltung des bisherigen Wohnsitzes. Der Gerichtsstand der Niederlassung (§21 ZPO) und der aus der Niederlassung sich ergebende Erfüllungsort (§ 269) I I wird selbstverständlich durch diesen Wohnsitz nicht berührt. Anm. 2 Ein gesetzlicher Wohnsitz des B e a m t e n besteht nicht. Die Beamten haben zwar an dem Orte, wo sie ihre dienstliche Tätigkeit zu versehen haben, ihren A m t s s i t z ,

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Natürliche Personen

§ 10 § 11 A n m . 1

und sie können von der vorgesetzten Behörde angehalten werden, dort ihre W o h n u n g zu nehmen, auch eine Dienstwohnung beziehen, ( § 1 9 DBG, § 74 BGB und ähnlich die Ländergesetze sowie Reichsnotarordnung 13. 2. 37 [RGBl. I 191] § n ) . O b sie aber an diesem Ort ihren Wohnsitz haben, ist lediglich nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 7 ff. zu beurteilen, in der Regel freilich wohl zu bejahen. Denjenigen Deutschen, welche das Recht der Exterritorialität besitzen oder welche als Beamte des Reiches oder eines Landes im Auslande tätig sind und keinen inländischen Wohnsitz haben, ist ein gesetzlicher Wohnsitz nur in Ansehung des Gerichtsstandes, und zwar am letzten inländischen Wohnort oder in der Hauptstadt des Heimatstaates zugewiesen ( § 1 5 Z P O ) . § 1 0 Fortgefallen durch das Gleichberechtigungsgesetz. Dies ist zwar erst mit Wirkung vom i. 7. 58 in Kraft getreten, die Bestimmung des § 10 aber war schon seit dem 1. 3. 53 auf Grund des Art. 3 G G als absolet anzusehen.

§ 1 1 Ein eheliches Kind teilt den Wohnsitz der Eltern; haben die Eltern nicht denselben Wohnsitz, so teilt das Kind den Wohnsitz des Elternteiles, der das Kind in persönlichen Angelegenheiten vertritt. Ein uneheliches Kind teilt den Wohnsitz der Mutter, ein für ehelich erklärtes Kind den Wohnsitz des Vaters, ein an Kindes Statt angenommenes Kind den Wohnsitz des Annehmenden. Das Kind behält den Wohnsitz, bis es ihn rechtsgültig aufhebt. Die Legitimation eines volljährigen Kindes oder seine Annahme an Kindes Statt hat keinen Einfluß auf den Wohnsitz. E I 40 II 11; M 1 7)ff.; P 1 42;; 6 113. Anm. 1 Die Familiengemeinschaft hat im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern regelmäßig auch eine Wirkung für den Wohnsitz des Kindes. Dessen Wohnsitz ist aber nur ein abgeleiteter von den in § 11 genannten Personen. a) Das e h e l i c h e Kind, dem das durch nachfolgende Ehe legitimierte Kind gleichsteht, §§ 1719, teilt den Wohnsitz der Eltern, wenn diese keinen gemeinsamen Wohnsitz haben, den Wohnsitz des Elternteils, der das Kind in den persönlichen Angelegenheiten vertritt. Ein für ehelich erklärtes K i n d teilt aber nur den Wohnsitz des Vaters und angenommene Kinder den Wohnsitz des Annehmenden. Haben die Eltern bei der Geburt des Kindes keinen Wohnsitz, ist auch das Kind zunächst ohne einen solchen. Geben die Eltern den Wohnsitz auf, ohne einen neuen zu gründen, so fällt auch für das Kind der abgeleitete Wohnsitz fort. Kraft der besonderen Vorschrift behält aber das Kind den für es einmal begründeten Wohnsitz, bis es selbst ihn rechtgültig aufhebt. Aber das Kind kann, wenn es geschäftsfähig ist, diesen abgeleiteten Wohnsitz nunmehr als eigenen nach § 7 begründen oder durch seinen gesetzlichen Vertreter nach § 8 begründet erhalten (RG 169, 192). Zieht der v o l l j ä h r i g e S o h n an einen anderen Ort zur selbständigen auskömmlichen Berufsausübung, so gründet er dort einen eigenen Wohnsitz. Der eigene Wohnsitz kann von ihm auch am Ort des abgeleiteten Wohnsitzes begründet werden. Für die v o l l j ä h r i g e T o c h t e r wird ohne Grund dies geleugnet. Nur wenn sie von vornherein bloß vorübergehend in Stellung als Dienstmädchen oder Kellnerin tritt, fehlt bei ihr regelmäßig der Wille, einen selbständigen Wohnsitz zu begründen, nicht aber, wenn sie eine Dauerstellung etwa als Geschäftsgehilfin, Wirtschafterin bekleidet. Die Scheidung der Eltern hat keinen Einfluß auf den abgeleiteten Wohnsitz des Kindes; auch hier entscheidet, bei wem das Kind sich aufhält und welcher Elternteil es in persönlichen Angelegenheiten vertritt. b) Für F i n d e l k i n d e r bestimmt der Vormund den Wohnsitz, § 1773 II, 1800. c) Ein u n e h e l i c h e s K i n d hat den Wohnsitz der M u t t e r , auch wenn letztere nur einen abgeleiteten Wohnsitz des Vaters hat. Daran ändert auch die Bestimmung

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§11 Anm. 2, 3

Allgemeiner Teil. Personen

des Vormundes nichtr. J e d e r Veränderung des Wohnsitzes der Mutter folgt auch die Änderung des Wohnsitzes des Kindes. Mit der Z u r ü c k n a h m e d e r E h e l i c h k e i t s e r k l ä r u n g wird das Kind wieder ein uneheliches und erhält damit den Wohnsitz der Mutter.

Anm. 2 Die zu 1 behandelte Gemeinschaft des Wohnsitzes hat nicht die Bedeutung, d a ß damit ein s e l b s t ä n d i g e r W o h n s i t z des Kindes ausgeschlossen wäre. Schon vor erreichter Volljährigkeit kann das Kind mit Willen des gesetzlichen Vertreters oder kann der gesetzliche Vertreter für das Kind (§ 8 i) einen besonderen Wohnsitz begründen, vorausgesetzt, daß der hierauf gerichtete Wille zur Durchführung gebracht ist. Ebenso können die Eltern bei Veränderung ihres Wohnsitzes dem Kinde den bisherigen Wohnsitz belassen. Nach Erreichung der Volljährigkeit kann das Kind selbständig einen Wohnsitz nehmen. Dies kann auch dadurch geschehen, d a ß es, wenn die Eltern verziehen, den bisherigen Wohnsitz beibehält. Es kann auch ohne Begründung eines neuen Wohnsitzes den früheren Wohnsitz a u f g e b e n . Die Gemeinschaft des Wohnsitzes erlischt in diesen Fällen und lebt nicht etwa dadurch wieder auf, d a ß das Kind den erworbenen Wohnsitz später wieder verliert.

Anm. 3 I n Ubereinstimmung mit dem selbständigen Wohnsitzrecht des v o l l j ä h r i g e n Kindes (vgl. A 2) steht es, d a ß eine erst nach der Volljährigkeit eintretende Legitim a t i o n o d e r A n n a h m e a n K i n d e s Statt auf den Wohnsitz des Kindes o h n e E i n -

fluß ist.

Vorbemerkungen zu § 12 Ü b ersieht Anm.

I. Der Begriff des Namens I I . Die rechtliche Natur des Namens I I I . Der Erwerb des Namens der natürlichen Personen 1. Der Name des Rindes a) Der Familienname b) Der Vorname 2. Der Name der Ehefrau IV. Verlust des Namens einer natürlichen Person V. Änderung des Familiennamens und Vornamens 1. Gesetz über Änderung des Familiennamens oder Vornamens . . . 2. Formelle Voraussetzungen für die Namensänderung a) Die deutsche Staatsangehörigkeit b) Antrag bei der Verwaltungsbehörde 3. Materielle Voraussetzungen für die Namensänderung a) Allgemeines b) Die Namensänderung c) Die Zulässigkeit der Namensänderung 4. Die Wirkung der Namensänderung 5. Der Widerruf der Namensänderung VI. Adelsbezeichnung V I I . Decknamen. Monogramme. Marken. Wappen V I I I . Firma I X . Namen von Gesellschaften, Vereinen u. sonstigen juristischen Personen

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1 2, 3 4 5 5, 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15, 16 17, 18 19—22 23 24—29 30—33 34> 35 36—39

Natürliche Personen

Vor §12 Anm. 1—3

I. Der Begriff des Namens. Anm. 1 Name bedeutet sprachlich „Erkennung", ist also ein Wort zur K e n n z e i c h n u n g einer Person oder eines Gegenstandes für diejenigen, die das mit dem Namen Belegte wahrnehmen können und sollen (RG 91, 352). Der Mensch kann verschiedene Namen haben, nach der Verschiedenheit seiner Stellung im öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Verkehr (Handelsname, Hofname). Außer dem Namen gibt es noch andere Bezeichnungsmittel für die Person, wie Firma, Warenzeichen, Bildzeichen, Wappen. Die Kennzeichnung einer Person oder eines Gegenstandes dient zugleich zu ihrer U n t e r s c h e i d u n g v o n a n d e r e n g l e i c h a r t i g e n , wenn noch andere von ihnen vorhanden sind. Diese Aufgabe erfüllt in einer Gemeinschaft natürlicher Personen vornehmlich der Personenname. Die von ihm bewirkte K e n n z e i c h n u n g des einzelnen Gemeinschaftsmitglieds bringt zugleich die U n t e r s c h e i d u n g von a n d e r e n M i t g l i e d e r n der Gemeinschaft. Das Bedürfnis nach einer solchen Unterscheidung ist die Ursache für die Entstehung des Namens. Das Bedürfnis liegt vor sowohl bei der G e m e i n s c h a f t selbst zur Wahrung ihrer Belange als bei dem e i n z e l n e n G e m e i n s c h a f t s g e n o s s e n zur Wahrung seiner Belange als Mitglied der Gemeinschaft und gegenüber den anderen Gemeinschaftsgenossen. Jenes Bedürfnis befriedigt die P f l i c h t zur Namensführung. Nur mit letzterem befaßt sich § 1 2 BGB. II. Die rechtliche Natur des Namens. Anm. 2 Da der Mensch durch seinen Namen als rechtliche Persönlichkeit gekennzeichnet und abgegrenzt wird (RG 137, 2 1 5 ) , ist der Name nicht nur eine Eigenschaft seiner Person, sondern auch ein subjektives Persönlichkeitsrecht (RG 69, 403; 100, 182; 1 1 3 4 1 4 ; 1 1 9 , 47). Dieses Recht war zwar schon durch § 12 anerkannt und geschützt, findet jetzt aber seine Grundlage in dem durch Art. 1 G G anerkannten allgemeinen Persönlichkeitsrecht undist ein Grundrecht, das nicht nur dem Staat, sondern auch Dritten gegenüber im privaten Rechtsverkehr Anerkennung und Schutz genießt, wenn die Vorschriften des B G B nicht ausreichen sollten (vgl. § 1 Vorbem. 1 , 2 ) . Bestritten ist, ob ihm V e r m ö g e n s w e r t zukommt. Dafür entscheidet der Wert der Beziehung, der die Kennzeichnung durch den Namen dient. Sie kann rein familienrechtlich sein, aber auch materieller Art, wie z. B. der Handelsname nach H G B § 37 (RG J W 1 9 3 1 , 1919 3 2 ). Die ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e N a t u r zeigt sich in dem schon seit längerer Zeit bestehenden Zwang zur Führung eines Familiennamens und mindestens eines Rufnamens (BGB § 1 3 5 5 ; H G B § § 1 7 , 1 9 ; StGB § 366®), und daß die Änderung des Namens nur nach Maßgabe des Ges. über Änderung von Familiennamen und Vornamen zulässig ist. Nach dem P S t G v. 8. 8. 57 (BGBl. I 1126) müssen außerdem Familienname und Vorname dem Standesbeamten mitgeteilt werden, das Vorhandensein dieser Namen wird also vorausgesetzt. Maßgebend für das Namensrecht ist das R e c h t des S t a a t e s , d e m d e r N a m e n s t r ä g e r a n g e h ö r t (RG 29, 1 2 7 ; 95, 272; 103, 193), nicht das Recht des Staates, in dem der Name geführt wird. So hat sich in der Schweiz ein Gewohnheitsrecht gebildet, wonach den dortigen Staatsangehörigen ganz allgemein dieBerechtigung zusteht, den Namen ihrer Ehefrauen als Zusatznamen mit Trennungsstrich ihrem eigenen Namen beizufügen und diesen Gesamtnamen als „Ehenamen" zu führen (RG 95, 272). Dagegen bestimmt den U m f a n g des S c h u t z e s das inländische Recht (RG 100, 185; 1 1 7 , 218). Anm. 3 Das R e c h t zur Namensführung verbindet sich regelmäßig mit der Pflicht zur Namensführung (RG 158, 163). Diese Verpflichtung kann aber auch unabhängig von dem Recht bestehen, so z. B. die öffentlich-rechtliche Pflicht nach StGB § 360 8 . Hier wird die Verletzung der Pflicht sogar mit Strafe bedroht. Ebenso ist die in H G B § 18 vorgesehen Pflicht zur Führung der Firmen in besonderer Form § 30, nach § 37 H G B mit Strafsanktion versehen. Auch das Recht der kaufmännischen Firma und des Unter-

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Vor §12

Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 4, 5 nehmens richtet sich nach dem Recht des Orts der Handelsniederlassung; Pariser Union 1883, 1925 Art. 8.

III. Der Erwerb des Namens der natürlichen Person. Anm. 4 Uber den u r s p r ü n g l i c h e n E r w e r b trifft das B G B keine Vorschriften. E r ist in geschichtlicher Entwicklung gewohnheitsrechtlich entstanden. Dagegen behandelt das

BGB den Erwerb

des Familiennamens durch Ableitung v o n e i n e m anderen

N a m e n s t r ä g e r . Diese Ableitung erfolgt u n m i t t e l b a r d u r c h g e s e t z l i c h e V o r s c h r i f t oder m i t t e l b a r durch g e s e t z l i c h z u g e l a s s e n e E r t e i l u n g des Namensträgers. Auf andere Weise, etwa durch Vertrag kann eine Übertragung des Namens in der Weise, daß der bisherige Namensträger seinen Namen aufgibt und ein Dritter ihn an seiner Statt erhält, nicht erfolgen. Auch die Erteilung durch Ableitung ist beschränkt, die Gestattung, den Namen im Verkehr zu führen, ist unter Umständen zulässig. In Betracht kommt für die Ableitung nur der dem Namensträger rechtlich zustehende Familienname, nicht ein Deckname.

Anm. 5 1. Der Name des Kindes: a ) D e r F a m i l i e n n a m e : E r bezeichnet die Familiengemeinschaft, nicht die blutmäßige Abstammung, die sich nicht decken. Das e h e l i c h e K i n d erhält den Familiennamen kraft seiner Zugehörigkeit zur Familie u n m i t t e l b a r mit der Vollendung der Geburt, ebenso wie die Rechtsfähigkeit. Der Familienname bestimmt sich nach dem Heimatrecht des Vaters, in Deutschland zur Zeit der Geburt des Kindes (Art. 18, Art. 19, E G BGB) durch die Familie des V a t e r s , § 1 6 1 6 . Die Eintragung des Kindes in das Geburtsregister des Standesamts hat nur beurkundende, keine rechtsbegründende Wirkung. Einer besonderen Rechtshandlung der Anerkennung (Aufhebung des Kindes durch den ehelichen Vater) bedarf es nicht. Das u n e h e l i c h e K i n d erhält den Familiennamen der M u t t e r (§ 1706 Abs. 1, Art. 20 E G BGB). Kinder aus n i c h t i g e n E h e n sind nach § 25 E h e G den ehelichen gleichzuachten, sofern sie im Falle der Gültigkeit der Ehe gemäß § 1 5 9 1 ehelich wären; auf die Bösgläubigkeit der Eltern bei Eingehung der Ehe kommt es also nicht mehr an, sie behalten in jedem Falle den durch die Geburt erlangten Familiennamen. Dies gilt auch, wenn die Ehe gemäß §§ 28ff. E h e G aufgehoben (früher angefochten) wird. Das K i n d verliert seinen bisherigen Namen und erhält den seiner Mutter, wenn seine Unehelichkeit auf K l a g e des Ehemannes oder gemäß des noch geltenden § 1595 a auf K l a g e des Staatsanwalts festgestellt wird. Durch Wiederverheiratung der Mutter wird der Familienname, den das K i n d erster Ehe erhalten hat, nicht nach den Familiennamen des Stiefvaters geändert. Auch aus sog. „ h i n k e n d e n E h e n " , wo Ehe nach einer in Deutschland nicht anerkannten, aber nach ausländischem Recht gültigen Form geschlossen ist (RG 138, 215) können eheliche Kinder hervorgehen. Nach manchem Rechten gelten die B r a u t k i n d e r als eheliche. Durch b e s o n d e r e n e i n s e i t i g e n E r t e i l u n g s a k t kann jedoch der neue Ehemann der Mutter einem vorehelichen, unehelichen Kinde, das sie in die Ehe mitgebracht hat, seinen Familiennamen erteilen. Diese Erteilung ist dem zuständigen Standesbeamten zu erklären, ebenso die hierzu erforderliche Einwilligung der Mutter und des Kindes (§ 1706 II). Geht der w i r k l i c h e E r z e u g e r eines vorehelichen Kindes mit der Kindesmutter die E h e ein, so erlangt das K i n d mit der Stellung als eheliches auch den Familiennamen des Vaters (§ 1719). Ist der Ehemann jedoch nicht der Erzeuger, hat das K i n d diese Stellung nicht erworben und bleibt uneheliches, selbst wenn der Ehemann die Vaterpflicht anerkannt hat und dieses Anerkenntnis dem Standesregister eingetragen ist. Für die A b k ö m m l i n g e des K i n d e s tritt diese Wirkung der Eheschließung selbst da: n ein, wenn sie erst nach dem Tode des Kindes erfolgt (§ 1722.) Weitere Voraussetzung ist, daß das K i n d bereits geboren ist, denn erst nach der Eheschließung geborene Kinder gelten ohnehin nach § 1591 als eheliche. Das K i n d kann ferner auf Antrag seines unehelichen Vaters durch Hoheitsakt der Staatsgewalt für e h e l i c h e r k l ä r t werden, auch wenn keine Legitimation durch

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Natürliche Personen

Vor § 12 Anm. 5—7

nachfolgende Ehe erfolgt oder möglich ist. Dieser staatliche Hoheitsakt allein gibt der Ehelichkeitserklärung die Kraft, auch wenn die blutmäßige Abstammung fehlt. Damit erhält das Kind den Familiennamen des Vaters (§§ 1723, 1736). Endlich erhält das Kind nach zwingendem Recht (RG 109, 248) gemäß § 1758 I durch A n n a h m e a n K i n d e s S t a t t den F a m i l i e n n a m e n d e s A n n e h m e n d e n . Das ist bei der A n n a h m e durch die Frau der Ehename, es sei denn, d a ß in dem Annahmevertrag bestimmt ist, d a ß das Kind den Familiennamen der Frau führen soll. Bei gemeinschaftlicher Annahme durch die Ehegatten erhält das Kind den Namen des Mannes (§ 1757 n. F). Es erhält jedoch den Mädchennamen der Frau, wenn diese Annahme erst nach dem Tode des Ehemannes erfolgt. In der D D R kann aber nach den insoweit übereinstimmenden Gesetzen der Länder zur Erleichterung der Annahme an Kindes Statt das f ü r die Bestätigung zuständige Gericht auf Antrag bestimmen, d a ß das Kind den Namen erhält, den sie zu dieser Zeit führt (vgl. Brandenburg GVB1. 1948 I S. 15. Sachsen GVB1. 1948, S. 326. Thüringen RegBl. 1948 I 69. Sachsen-Anhalt GBl. 1948 S. 105). Durch die Annahme an Kindes Statt wird dessen Ehelicherklärung und Legitimation durch Eheschließung nicht ausgeschlossen, es führt den hierdurch neu erworbenen Namen neben dem durch die Adoption erlangten weiter. Auf die schon vorhandenen Abkömmlinge des Angenommenen erstreckt sich der neu erworbene Name nicht, sie behalten ihren früher erworbenen Familiennamen, dagegen erhalten die nach der Annahme geborenen Kinder des Angenommenen nunmehr dessen neuen N a m e n (§ 1762 Satz 2). Die Annahme eines Kindes kann nur mit Zustimmung des anderen Ehegatten erfolgen, ebenso wenn eine Ehegatte an Kindes Statt angenommen werden soll (§§ 1746, 1756). Das Kind darf dem neuen Namen an zweiter Stelle seinen früheren Familiennamen hinzufügen (§ 1758 III). Durch Vertrag kann dies sowohl angeordnet als verboten werden (RG 109, 249, 251). Hatte der Annahmevertrag nur den Zweck, dem Kinde den Namen des Annehmenden zu verschaffen, so war dies schon vor dem Ges. v. 23. 11. 33 ein gegen die guten Sitten verstoßender nichtiger Vertrag, Art. V, R G 29, 123, auch wenn er vor dem 8. 11. 18 geschlossen worden war. Jetzt ist der Vertrag zwar nicht ohne weiteres nichtig, nach § 1754 ist aber die Bestätigung zu versagen, wenn begründete Zweifel bestehen, ob durch die Annahme ein dem Eltern- und Kindesverhältnis entsprechendes Familienband hergestellt werden soll. Damit verliert der Vertrag seine Kraft. Mit der A u f h e b u n g d e r A n n a h m e an Kindes Statt v e r l i e r t das Kind u n d seine Abkömmlinge den Familiennamen des Annehmenden (§§ 1772, 1768, R G 114, 341). Der Verlust tritt jedoch nicht ein, wenn beide Eheleute gemeinsam das Kind angenommen haben und erst nach dem Tode des einen Ehegatten durch den überlebenden die Aufhebung erfolgt, (§ I 77 1 )- Nach § 1735a kann auch die E h e l i c h k e i t s e r k l ä r u n g z u r ü c k g e n o m m e n werden. Damit wird das Kind wieder unehelich und erhält den ihm als solchen zukommenden Namen.

Anm. 6 Das F i n d e l k i n d erhält ebenfalls durch e i n s e i t i g e n b e h ö r d l i c h e n E r t e i l u n g s a k t bei Unkenntnis des wirklichen Familiennamens einen Familiennamen. Die Vorschriften gehören dem öffentlichen Recht an. Das BGB enthält keine Vorschriften hierüber, dagegen § 25 I I des PStG v. 8. 8. 57 (RGBl. I 1125). Für e r w a c h s e n e N a m e n l o s e (z. B. Kaspar Hauser) erfolgt ebenfalls die Namenerteilung durch die staatliche Behörde.

Anm. 7 b) Der Vorname: Der Vorname (ursprünglich der einzige Personenname) wird dem Kind beigelegt von demjenigen, dem die Sorge über es zusteht, den Eltern, der unehelichen Mutter, dem Vormund. Er gehört dem Gebiet des öffentlichen Rechts an. Der N a m e m u ß dem Geschlecht des Kindes entsprechen; ist dieses bei Kindern nicht mit Sicherheit festzustellen, so ist der Name vorläufig nach dem wahrscheinlich vorliegenden Geschlecht zu wählen. Die Bildung des Namens erfolgt häufig für das weibliche Geschlecht in Ableitung aus dem männlichen

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V o r § 12 Anm. 7, 8

Allgemeiner Teil. Personen

Namen (Hermann — Hermine, Josef — Josefine). In römisch-katholischen Kreisen ist auch für Knaben die Beilegung des Wortes „Maria" üblich (OLG Darmstadt DJZ 1931, 1592). Nachdem die Richtlinien des Runderlasses v. 18. 3. 38 mit der Aufhebung der 2. DV zum Gesetz v. 5. 1. 38 durch das K R G Nr. 1 und der Abkehr von nationalsozialistischen Anschauungen im wesentlichen überholt sind, gilt wieder folgender Rechtsstand: Auch religiöse Gefühle sind für die Namenswahl maßgebend, so oft für die Wahl von Namen aus der biblischen Geschichte (David, Ruth), die auch für Christen zeitweilig bevorzugt wurden. Der Name kann auch künstlich gebildet werden und richtet sich nach dem Zeitgeschmack und den politischen Verhältnissen (Napoleon — Lincoln). Der Name darf jedoch keinen unanständigen und anstößigen, die Gefühle der Volksgesamtheit beleidigenden Klang haben. Fremdsprachige Vornamen sind ebenfalls zulässig, Ignatius für Ignaz (OLG München, ZAkDR 1937, 377). Zu beachten sind Familieninteressen, längerer Aufenthalt im Ausland, Andenken der Vorfahren. Erwünscht, aber nicht geboten ist, daß deutsche Kinder deutsche Vornamen erhalten. Dem Standesbeamten steht es aber nicht zu, fremden die Eintragung zu verweigern. Nach K G DJZ 1927, 1485 soll sogar Anwendung fremder Schriftzeichen bei der Anmeldung zum Standesamt zulässig sein. Man wird hier jedoch erfordern müssen, daß gleichzeitig die Anmeldung in den entsprechenden deutschen (oder lateinischen) Schriftzeichen erfolgt, denn vor deutschen Behörden hat man sich der deutschen Sprache zu bedienen. Daher ist eine Anmeldung nur etwa in hebräischen Schriftzeichen oder in griechischen unzulässig. Abkürzungen in Kosenamen sind als selbständige Vornamen zulässig (Heinz, Kurt, Grete, Lotte, Liese). Ebenso zusammengesetzte Namen (Karlheinz, Liselotte). Der Vorname ist nicht für sich allein, aber im Zusammenhang mit dem Familiennamen geschützt (RG IV 26/27, 29. 9. 27). Denn der Gebrauch auch des eigenartigsten Vornamens ist für jedermann frei und vermag daher für sich allein kein Unterscheidungszeichen für eine bestimmte Person zu sein. Anm. 8 2. Der Name der Ehefrau: Die Ehefrau erhält den Namen des Ehemannes als abgeleiteten, aber nunmehr ihr gesetzlich als eigenen zukommenden mit der rechtsgültigen Eheschließung kraft ihrer Zugehörigkeit zur Familie des Ehemannes, sie ist jedoch berechtigt durch notariell beglaubigte Erklärung gegenüber dem Standesamt ihren Mädchennamen dem Namen des Mannes zuzufügen (§ 1355), sie wird aber nach wie vor entsprechend der allgemeinen Verkehrssitte auch ohne solche Erklärung ihren Mädchenname als geborene hinzusetzen können, im Rechtsverkehr muß jedoch immer nur der nach § 1355 zulässige Name zur Anwendung kommen. Nichtige Eheschließung bringt keine Namensübertragung. Uber sog. Namensehe, bei der die eheliche Lebensgemeinschaft nicht begründet werden soll, vgl. § 19 EheG. Der Umstand, daß die Ehefrau den Familiennamen ihres Ehemannes erhält, bedeutet nicht, daß sie ihren eigenen Familiennamen gänzlich verliert, er tritt nur im Rechtsverkehr zurück, bleibt aber des Schutzes nach § 12 teilhaftig (RG J W 1912, 338). Sie darf ihn sogar weiterführen, wenn er für sie zum Künstlernamen oder Schriftstellernamen geworden ist oder sonst ein erhebliches Interesse für sie daran besteht. Die Witwe behält zunächst den erworbenen Familiennamen ihres Ehemannes, ebenso die schuldlos geschiedene Ehefrau (§ 54 EheG). Beide verlieren jedoch den Namen durch Eingehung einer neuen Ehe, die ihr den neuen Familiennamen des Ehemannes bringt. Sie darf sich aber als verwitwet vom verstorbenen Ehemann auch in der neuen Ehe bezeichnen. Auch der Familiennamen des Ehemannes, mit dem sie vor der Scheidung vom zweiten Ehemann verheiratet war, kann die Frau wieder annehmen, wenn aus dieser Ehe Nachkommenschaft vorhanden ist, es sei denn, daß sie allein oder überwiegend für schuldig erklärt ist. Den eigenen Mädchennamen kann sie immer nach der Scheidung wieder annehmen durch mündliche oder schriftliche Erklärung an die zuständige Behörde (§55 EheG). Ist sie für den schuldigen Teil erklärt worden, kann der geschiedene Ehemann der Frau die Fortführung seines Familiennamens untersagen. Die Frau erhält dann ihren Familiennamen wieder (§56). Ebenso kann das Vormundschaftsgericht in den Fällen des § 57 die Führung des Namens des früheren Ehemanns untersagen.

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Natürliche Personen

Vor §12 Anm. 9—11

Die Führung der Bezeichnung „ F r a u " durch u n v e r h e i r a t e t e w e i b l i c h e P e r s o n e n ist jetzt auf Wunsch gestattet (vgl. RdErl. d. B M I v. 9. 2. 55 — G M B J . 1955, 47). Ursprünglich wurde der Name „ F r a u " und „Fräulein" (frowe — Herrin) nur den Adligen gegeben („bin weder Fräulein weder schön"). Die Beifügung der Amtsbezeichnung des Mannes für die Ehefrau und Witwe ist, soweit es nicht zur Kennzeichnung erforderlich ist, im amtlichen Verkehr nach V O des R J M v. 22. 7. 38 untersagt (DJ 1938, 658). IV. Verlust des Namens einer natürlichen Person. Anm. 9 Ein dauernder Verlust des angeborenen Namens des Kindes tritt n i c h t e i n bei der A n n a h m e a n K i n d e s S t a t t , denn das Annahmeverhältnis ist jederzeit durch Vertrag aufhebbar. Ferner darf das Kind seinen alten Namen neben dem neuen weiterführen (§ 1758 Abs. 2). Dagegen v e r l i e r t das Kind den neuen Namen des Annehmenden mit der Aufhebung der Annahme an Kindes Statt. Die Ehefrau verliert mit ihrer Verheiratung n i c h t ihren e i g e n e n Familiennamen (RG J W 1 9 1 2 , 338). Sie erhält ihn nach der Scheidung wieder und v e r l i e r t den abgeleiteten Familiennamen ihres E h e m a n n e s in den in Anm. 8 angegebenen Fällen. Wegen des Verlustes des Familiennamens durch N a m e n s ä n d e r u n g und bei W i d e r r u f d e r Ä n d e r u n g s. unter Anm. ig—23. Wie die Ersitzung eines Familiennamens ausgeschlossen ist (RG in SeuffA 76 Nr. 133), so ist auch der V e r l u s t des Familiensnamens d u r c h N i c h t g e b r a u c h a u s g e s c h l o s s e n . Denn der Gebrauch beruht auf öffentlich-rechtlicher Verpflichtung, der sich niemand einseitig entziehen kann. Durch den Tod bleibt die Bezeichnung des Verstorbenen mit dem erworbenen Namen erhalten. Der Mensch kommt nicht nur als Einzelwesen, sondern als Mitglied einer Gemeinschaft in Betracht, und in dieser bleiben die Wirkungen seiner Lebenstätigkeit auch nach seinem Tode erhalten. Zur Bezeichnung dieser Wirkungen dient weiter der Name. Auf dem Grabstein, in der Todesanzeige, ist daher der richtige, der Person beim Tode zustehende Name anzugeben. V. Änderung des Familiennamens und Vornamens. Anm. 10 Nach gemeinrechtlicher Auffassung war bis ins späte Mittelalter die Änderung der Familien- und Vornamen mit der freien Namenswahl überhaupt gestattet. Nach Landesrecht wurde jedoch mit Rücksicht auf die Rechtssicherheit schon bald staatliche und landesherrliche Genehmigung erfordert. Nunmehr ist die Zulässigkeit und Wirkung der Ä n d e r u n g v o n F a m i l i e n n a m e n u n d V o r n a m e n eines deutschen Staatsangehörigen oder eines Staatenlosen, der in Deutschland seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat, durch das R e i c h s g e s . v. 5. 1. 38 (RGBl. I, 9) geregelt. Das Gesetz betrifft nur den wirklichen Familiennamen, nicht den Decknamen und ander Personenbezeichnungen, die dem Namen gleichgestellt werden, wie die Firma als den Handelsnamen. Anm. 11 1. Das

Gesetz über

die Änderung von Familiennamen und Vornamen. Vom 5. Januar 1938 (RGBl. I, 9)

§ 1 Der Familienname eines deutschen Staatsangehörigen oder eines Staatenlosen, der seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Deutschen Reich hat, kann auf Antrag geändert werden. §2 Für die beschränkt geschäftsfähige oder geschäftsunfähige Person stellt der gesetzliche Vertreter den Antrag; ein Vormund oder Pfleger bedarf hierzu der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Hat der beschränkt Geschäftsfähige das 16. Lebensjahr vollendet, so hat ihn das Vormundschaftsgericht über den Antrag zu hören.

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Vor §12 Anm. 11

Allgemeiner Teil. Personen § 3

Ein Familienname darf nur geändert werden, wenn ein wichtiger Grund die Änderung rechtfertigt. Die für die Entscheidung erheblichen Umstände sind von Amts wegen festzustellen; dabei sollen insbesondere außer den unmittelbar Beteiligten die zuständige Ortspolizeibehörde und solche Personen gehört werden, deren Rechte durch die Namensänderung berührt werden. § 4

Die Änderung des Familiennamens erstreckt sich, soweit nicht bei der Entscheidung etwas anderes bestimmt wird, auf die unter elterlicher Gewalt stehenden Kinder der Person, deren Name geändert wird, und wenn diese eine Frau ist, auf ihre unehelichen minderjährigen Kinder. § 5 Der Antrag auf Änderung eines Familiennamens ist schriftlich oder zu Protokoll bei der unteren Verwaltungsbehörde zu stellen, in deren Bezirk der Antragsteller seinen Wohnsitz oder beim Fehlen eines Wohnsitzes seinen Aufenthalt hat. Hat er im Deutschen Reich weder Wohnsitz noch Aufenthalt, so bestimmt der ÄeicAsminister des Innern die zuständige Behörde. Beantragen mehrere Angehörige einer Familie dieselbe Namensänderung, so kann der Antrag bei jeder Behörde gestellt werden, die zur Entgegennahme auch nur eines Antrags zuständig ist. § 6 Zur Änderung eines Familiennamens ist die höhere Verwaltungsbehörde zuständig. Der Reichsminister des Innern kann sich die Entscheidung vorbehalten. § 7

Eine Namensänderung, die vor dem 30. Januar 1933 genehmigt worden ist, kann bis zum 31. Dezember 1940 widerrufen werden, wenn diese Namensänderung nicht als erwünscht anzusehen ist. Durch Widerruf verlieren außer den Personen, deren Name geändert worden ist, auch diejenigen Personen den Namen, die ihr Recht zur Führung dieses Namens von jenen Personen ableiten; die von dem Widerruf betroffenen Personen dürfen nur noch den Namen führen, der ihnen oder ihren Vorfahren vor der Namensänderung zustand. Der Widerruf wird wirksam mit der Zustellung der Widerrufsverfügung an denjenigen, dessen Name durch den Widerruf betroffen wird. Zum Widerruf einer Namensänderung ist der Äei'cAjminister des Innern zuständig. § 8 Ist zweifelhaft, welchen Familiennamen ein deutscher Staatsangehöriger oder ein Staatenloser, der seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Deutschen Reich hat, zu führen berechtigt ist, so kann der ÄezVAjminister des Innern diesen Namen auf Antrag eines Beteiligten oder von Amts wegen mit allgemein verbindlicher Wirkung feststellen. Die Vorschriften des § 2, § 3 Abs. 2, •§§ 4 und 5 finden entsprechende Anwendung. Ist in einem auf Antrag eines Beteiligten eingeleiteten Verfahren die Entscheidung von der Beurteilung einer familienrechtlichen Vorfrage abhängig, so kann der Äiicfominister des Innern das Verfahren auf Antrag oder von Amts wegen aussetzen und den Antragsteller zur Herbeiführung einer Entscheidung über diese Vorfrage auf den Rechtsweg verweisen. Hat ein gerichtliches Verfahren das Recht zur Führung eines Namens zum Gegenstand, so ist es auf Verlangen des i?«cfaministers des Innern auszusetzen, bis der Name nach Abs. 1 festgestellt ist. § 9

Die untere Verwaltungsbehörde veranlaßt die Eintragung eines Randvermerks über die Namensänderung, den Widerruf einer Namensänderung oder die Namensfeststellung im Geburtsregister und im Heiratsregister. Sie benachrichtigt die zuständige Strafregisterbehörde und die Ortspolizeibehörde des Wohnsitzes oder Aufenthaltsorts der Person, deren Name geändert ist, die von dem Widerruf einer Namensänderung betroffen wird oder deren Name festgestellt ist. § 10 Die §§ 1355, 1577, 1706, 1719, 1736, 1758 und 1772 des Bürgerlichen Gesetzbuches bleiben unberührt. §

"

Die §§ 1 bis 3, § 5, § 7 Abs. 1 und 2 Satz 2 und § 9 finden auf die Änderung und den Widerruf einer Änderung von Vornamen mit der Maßgabe Anwendung, daß die Entscheidung der unteren Verwaltungsbehörde zusteht; die Beschwerde geht an die höhere Verwaltungsbehörde, die endgültig entscheidet.

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Natürliche Personen

V o r § 12

Anm. 12, 13 § 12 D e r üWc/uminister des I n n e r n k a n n V o r s c h r i f t e n ü b e r die F ü h r u n g v o n V o r n a m e n erlassen u n d v o n A m t s w e g e n die Ä n d e r u n g v o n V o r n a m e n , die diesen V o r s c h r i f t e n nicht entsprechen, v e r anlassen.

§ 13 D e r Reichsminister

des I n n e r n erläßt die z u r D u r c h f ü h r u n g u n d E r g ä n z u n g dieses Gesetzes

erforderlichen R e c h t s - u n d V e r w a l t u n g s v o r s c h r i f t e n .

§ 14 Dieses G e s e t z tritt m i t W i r k u n g v o m 1. J a n u a r 1938 in K r a f t .

Hierzu ergingen zwei D V , die erste vom 7. 1. 38 (RGBl. I 12), die im wesentlichen die zuständigen Verwaltungsbehörden bestimmte und einige Verfahrensvorschriften gab, die im Hinblick auf Art. 83, 84 G G ihre Bedeutung verloren haben, während die 2. V O v. 17. 8. 38 (RGBl. I 1044) sich mit den Vornamen der Juden befaßten und durch das K R G Nr. 1 aufgehoben ist.

Anm. 12 2. Formelle Voraussetzungen für die Namensänderung: a ) D i e d e u t s c h e S t a a t s a n g e h ö r i g k e i t : Maßgebend hierfür sind die Vorschriften des R e i c h s - u n d S t a a t s a n g e h ö r i g k e i t s g e s e t z e s v. 22. 7. 13 (RGBl. 383) und der Gesetze v. 22. 5. 1955 (BGBl. I 65) und v. 17. 5. 1956 (BGBl. I 431). Nach Art. 116 G G ist deutscher Staatsangehöriger, ferner wer als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling im Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. 12. 37 Aufnahme gefunden hat. Der E r w e r b findet statt auf Grund familienrechtlicher Verhältnisse: durch Abstammung, Legitimation, Eheschließung, Anstellung, ferner durch Verleihung, Aufnahme, Einbürgerung (Naturalisation), Wiedereinbürgerung. Der V e r l u s t findet statt: ebenfalls aus familienrechtlichen Gründen: Eheschließung der Ehefrau mit einem Ausländer, Legitimation eines unehelichen Kindes durch einen Ausländer; ferner durch Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit, Verletzung der Wehrpflicht; endlich durch Entlassung und Entziehung. S t a a t e n l o s e können die Namensänderung erlangen, wenn sie in Deutschland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Fremde Staatsangehörige außerhalb des Deutschen Reiches trifft das Gesetz nicht. Auch der V o r n a m e kann nur von deutschen Staatsangehörigen und Staatenlosen geändert werden.

Anm. 13 b ) A n t r a g b e i d e r V e r w a l t u n g s b e h ö r d e : Die Namensänderung erfolgt nicht von Amts wegen, sondern nur auf einen bei der u n t e r e n V e r w a l t u n g s b e h ö r d e zu stellenden A n t r a g nach den Vorschriften des § 2 und 5 durch die h ö h e r e V e r w a l t u n g s b e h ö r d e (§ 6), nicht durch eigenmächtigen Akt des Namensträgers. Erst mit der Aushändigung der Genehmigungsurkunde wird die Namensänderung wirksam. Der Antrag muß von demjenigen gestellt werden, der seinen Namen geändert haben will. Für geschäftsunfähige oder beschränkt geschäftsfähige Personen stellt den Antrag derjenige, der zur Vertretung in p e r s ö n l i c h e r Angelegenheit nach BGB befugt ist. Eines besonderen Antrags bedarf es nicht, wenn die Namensänderung schon nach dem Gesetz ohne weiteres auf den abgeleiteten Namen wirkt, wie nach § 4. Den beschränkt Geschäftsfähigen, der 16 Jahre alt ist, hat das Vormundschaftsgericht über den Antrag zu hören. Die zuständigen Behörden ergeben sich aus den Verwaltungsordnungen der einzelnen Länder (Art. 84 Nr. 1 G G ) . An Stelle des Reichsminister des Innern ist gemäß Art. 83, 129 G G der Minister des Innern der einzelnen Länder getreten. Über das V e r f a h r e n zur Herbeiführung einer Entscheidung treffen § 3 Abs. 2, § 8 Bestimmungen. Für die Entscheidung selbst gilt, wie im Strafprozeß, die Offizialmaxime, die Behörde ist nicht an das Vorbringen des Antragstellers gebunden, sondern hat sich von aus alle Umstände festzustellen, die für ihre Entscheidung von Bedeutung sind. Die Änderung steht im Ermessen der Behörde und kann auch abgelehnt werden, wenn in der Person des Antragstellers Bedenken vorliegen. Aber einen anderen als den im Antrag gewünschten Namen darf sie nicht erteilen. 4

Komm. z. BGB, n . Aufl. I. Bd. (Denecke)

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Vor § 1 2 Anm. 14—17

Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 14 3. Materielle Voraussetzungen für die Namensänderung: a ) A l l g e m e i n e s : Der zu ä n d e r n d e N a m e muß zweifelsfrei dem Antragsteller r e c h t l i c h z u s t e h e n . Beruhen die Zweifel darüber, welchen Namen der Antragsteller zu führen berechtigt ist, auf der Beurteilung einer f a m i l i e n r e c h t l i c h e n V o r f r a g e , wie z. B. bei Ehescheidung, Unehelichkeit des Kindes, so k a n n von Amts wegen oder auf Antrag zunächst auf den Rechtsweg zur Feststellung des Familienverhältnisses durch das Gericht verwiesen werden. Beruht der Zweifel auf einem s o n s t i g e n R e c h t z u r N a m e n s f ü h r u n g , z. B. eines Namens mit Adelsbezeichnung, so kann der Minister des Innern auf Antrag eines Beteiligten, de rnicht der Antragsteller zu sein braucht, oder von Amts wegen mit allgemein verbindlicher Wirkung den Namen selbst feststellen und verlangen, daß ein gerichtliches Verfahren über das Recht zur Führung des Namens bis zu der von ihm vorgenommenen Feststellung ausgesetzt werde. Einer Fortführung des gerichtlichen Verfahrens wird es dann nicht mehr bedürfen.

Anm. 15 b ) D i e N a m e n s ä n d e r u n g : Eine Ä n d e r u n g d e s N a m e n s liegt vor, wenn der neue Name eine andere Person kennzeichnet und unterscheidet als der alte Name. B e i d e m F a m i l i e n n a m e n bringt auch die Ä n d e r u n g d e r S c h r e i b w e i s e , anders als früher, wo es eine feste Schreibweise überhaupt noch nicht gab, eine Änderung des Namens ( K G D J Z 1900, 484; 1904, 47). Die Schreibweise ist namentlich für allgebräuchliche Namen von Bedeutung. So bezeichnen, Schmid, Schmidt, Schmied, Schmit, Schmitt heute verschiedene Familien. Ferner ist die Z u f ü g u n g eines neuen Namensbestandteiles und die W e g l a s s u n g eines alten eine Namensänderung, so die Zufügung einer Ortsbezeichnung, des Mädchennamens für die Ehefrau (vgl. aber Anm. 8), einer Adelsbezeichnung, des mütterlichen Namens zum Familiennamen des Mannes. Keine Namensänderung enthält der Zusatz „ j ü n g e r " , „ ä l t e r " (Junior, Senior), auch nicht die Umwandlung der männlichen Namensform in die weibliche, wie sie in der polnischen Sprache üblich ist (ka aus ki) und früher lange Zeit auch im Deutschen üblich war. Die Führung von Doppelnamen ist eine Namensänderung; bei Sammelnamen ist die Zufügung einer Berufs- und Geschäftsbezeichnung gebräuchlich (Kaffee-Meyer) und bedeutet keine Namensänderung.

Anm. 16 D e r V o r n a m e hat eine Kennzeichnungskraft nur im Zusammenhang mit dem Familiennamen und soll die einzelnen Familienmitglieder voneinander unterscheiden. Diese Unterscheidung ist für den allgemeinen Gebrauch im gewöhnlichen Verkehr nicht von der jeweiligen Rechtschreibung abhängig. Daher bringt eine von der Eintragung im standesamtlichen Register gegen die Schreibweise der Zeit der Eintragung abweichende Schreibweise nach einer neueren Rechtschreibung keine Namensänderung. I m Zusammenhalt mit dem Familiennamen bleibt die Kennzeichnungskraft die gleiche. So etwa „ C a r l " und „ K a r l " , „ A d o l p h " und „ A d o l f " . Anders verhält es sich, wenn der Vorname mit zur Bildung einer F i r m a verwendet wird. Dann kann die verschiedene Schreibweise zur Unterscheidung der Firma von Bedeutung sein. K ü r z u n g von vollen Namen und K o s e n a m e n , wie Heinz statt Heinrich, K u r t statt Konrat und umgekehrt sind Namensänderungen. Ebenso ist die Zusammenziehung bei Doppelnamen, wie „ K a r l h e i n z " , „Liselotte", „ M a r i e l u i s e " die Bildung eines selbständigen, von den einzelnen Namensteilen verschiedenen Namens. Daher ist die Trennung in Einzelnamen, K a r l und Heinz, Lise und Lotte, Marie und Luise eine Namensänderung.

Anm. 17 c ) D i e Z u l ä s s i g k e i t d e r N a m e n s ä n d e r u n g : Nicht jede Namensänderung ist zulässig. Gerade weil regelmäßig der geänderte Name auf eine andere Person hinweist und somit eine G e f ä h r d u n g d e s R e c h t s v e r k e h r s bringt, müssen b e s o n d e r s w i c h t i g e G r ü n d e vorliegen, um diesen Nachteil in K a u f zu nehmen.

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Natürliche Personen

Vor § 1 2

Anm. 17—21

D a der Name sowohl den Privatinteressen des Einzelnen und der Familie dient als den Gemeininteressen des Volks, so geben die Belange beider möglicherweise einen wichtigen Grund zur Änderung. Auch hier gehen aber Belange der Allgemeinheit und Rechtssicherheit den Belangen des einzelnen vor bei der Erwägung, ob der Name geändert werden oder die Änderung unterbleiben solle. Wie schon das Erfordernis der Feststellung der Namensänderung durch den Staat erkennen läßt, handelt es sich um eine Frage des öffentlichen Rechts. Die Beurteilung richtet sich immer nur nach der B e s o n d e r h e i t d e s E i n z e l f a l l e s , allgemein gültige Regeln sind nicht aufzustellen. In einem Zirkularerlaß des preuß. Ministeriums v. 9. 8. 1867 (MinBl. S. 247) werden einige Anweisungen hierüber erteilt, die teilweise auch jetzt maßgebend sein können: „ D i e Kontrolle der Führung fester Familiennamen erfolgt wesentlich im polizeilichen Interesse, das Augenmerk ist darauf zu richten, daß keine Verdunkelung von Familiennamen erfolgt, etwa für einen schlechtbeleumundeten Namen ein Familienname von gutem R u f genommen wird; die nächsten Angehörigen müssen gehört werden, ob sie dem Antrag zustimmen; einem im Ehebruch gezeugtem K i n d kann der Familienname des unehelichen Vaters beigelegt werden. Eine bloß unbegründete Abneigung gegen den bisherigen Namen soll nicht genügen." Unbegründet ist aber die Abneigung gegen den Namen nicht, wenn er im gesellschaftlichen Verkehr lächerlich und beschämend wirkt, wie vielfach bei Namen, die s. Z . von der Behörde in dieser Absicht den J u d e n gegeben worden sind (Kanalgeruch u. a.). Ferner wenn ein Familienangehöriger sich eines so ehrlosen Verhaltens schuldig gemacht hat, daß dadurch das Ansehen und der gute R u f der Familie verletzt wird (Fall Nobiling). Neuerdings sind von der Bundesregierung allgemeine Verwaltungsvorschriften über Änderung und Feststellung von Familiennamen sowie Änderung von Vornamen erlassen worden (Erl. v. 18. 12. 51 BMB1. 267).

Anm. 18 Der N a m e , d e r d u r c h Ä n d e r u n g e r t e i l t w e r d e n soll, muß den guten Sitten entsprechen und darf die Belange anderer Beteiligter, insbesondere der Familienangehörigen und der Volksgemeinschaft nicht beeinträchtigen. Es darf vor allem durch die Annahme eines anderen Familiennamens nicht der Anschein der Zugehörigkeit zu dieser Familie hervorgerufen werden, welcher Anschein nur dann ausgeschlossen ist, wenn es sich um allgemein gebräuchliche Namen, wie Müller, handelt. Ebenso darf der neue Name nicht die Bezeichnung eines Adels enthalten, wenn der Antragsteller nicht bereits dem Adelsstand und dem besonderen G r a d des Standes früher angehört hat. Gerade hier ist zu vermeiden, daß der Anschein der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht erweckt wird. Die einfache Bezeichnung „ v o n " ist hierzu nicht geeignet. Die Weglassung der Adelsbezeichnung bedeutet ebenfalls eine Namensänderung.

Anm. 19 4 . Die W i r k u n g d e r N a m e n s ä n d e r u n g : Das Gesetz behandelt nicht die Wirkung der Änderung des F a m i l i e n n a m e n s für den N a m e n s t r ä g e r s e l b s t , der diese beantragt hat. Nach H G B § 21 kann trotz der Änderung des Vor- und Familiennamens der frühere Name, der zur Bildung einer Firma benutzt worden ist, fortgeführt werden, nicht anders, als wenn die Namensänderung nach den Vorschriften des B G B erfolgt. Die Vorschrift gibt aber nur das Recht zur Führung der Firma, nicht die Pflicht zur Beibehaltung des alten Namens in der Firma.

Anm. 20 Der V o r n a m e ist kein abgeleiteter Name, sondern ein vom Berechtigten einem andern g e g e b e n e r Name. Die Änderung dieses Namens trifft sonach den Träger unmittelbar.

Anm. 21 Das Gesetz behandelt nur die m i t t e l b a r e Wirkung für den a b g e l e i t e t e n F a m i l i e n n a m e n , §§4 und 7, und zwar ausdrücklich nur für den abgeleiteten Fa4'

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Vor § 12

Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 22, 23 miliennamen des e h e l i c h e n K i n d e s , d a s u n t e r e l t e r l i c h e r G e w a l t s t e h t und des u n e h e l i c h e n m i n d e r j ä h r i g e n K i n d e s e i n e r F r a u . Danach erstreckt sich die Namensänderung auch auf den abgeleiteten Familiennamen dieser Kinder. Stehen sie nicht mehr unter elterlicher Gewalt oder ist das uneheliche Kind einer Frau bei der Namensänderung schon volljährig, so erstreckt sich die Namensänderung auf sie nicht. Sie müssen dann dem Antrag der Eltern auf Namensänderung für ihre Person beitreten. Dem stehen Kinder gleich, die für volljährig erklärt worden sind. Eine vorher sie berührende Namensänderung behält aber ihre namensändernde Wirkung auch nach Erlangung der Volljährigkeit und Entlassung aus der elterlichen Gewalt. Möglich ist, bei der Entscheidung über die Namensänderung etwas anderes zu bestimmen, dieses andere kann aber nur in der Beschränkung der Wirkung bestehen darin, daß sie sich auch nicht auf die Kinder unter elterlicher Gewalt beziehen soll. Eine Erweiterung dahin, daß sie auch volljährige Kinder treffen soll, ist unzulässig. Anm. 22 D i e W i r k u n g der Namensänderung g r e i f t a b e r w e i t e r als in § 4 ausdrücklich bestimmt ist. Der Name der E h e f r a u , den diese nach § 1355 zu führen hat, folgt der Änderung des Familiennamens des Ehemannes. Es widerspräche der engen ehelichen Gemeinschaft, wenn sie nicht an der Namensänderung teilnähme. Die Namensänderung eines einzelnen Ehegatten ist also nicht möglich. Voraussetzung ist eine r e c h t s g ü l t i g e Ehe. Die Ehefrau nimmt auch n a c h d e r S c h e i d u n g an der Änderung des Familiennamens ihres geschiedenen Mannes teil, sofern sie dessen Namen nach §§ 54—56 EheG weiterführen darf. Nimmt die g e s c h i e d e n e E h e f r a u ihren früheren Familiennamen wieder an, so nimmt sie an der inzwischen eingetretenen Änderung des Namens ihres Vaters teil, wenn diese Änderung während ihrer Minderjährigkeit erfolgte. Erfolgte die Änderung des Familiennamens des Vaters erst nach ihrer Volljährigkeit, so kann sie nur den ungeänderten Familiennamen des Vaters wieder annehmen. Nach § 55 E h e G Abs. 2 nimmt die geschiedene Ehefrau sogar an der Namensänderung ihres ersten Ehemannes teil, obwohl sie irgendwelche Gemeinschaft mit diesem nicht mehr hat. Für das u n e h e l i c h e K i n d trifft § 4 des Ges. selbst die Änderung des § 1706, insofern es nur für das m i n d e r j ä h r i g e Kind die Änderung wirken läßt, während nach § 1706 auch das volljährige Kind den Namen seiner unehelichen Mutter zu tragen hat. Über die A n f e c h t u n g d e r E h e l i c h k e i t des K i n d e s trifft das gen. Gesetz v. 12. 4. 38 ebenfalls ändernde Vorschriften, ebenso über die E h e l i c h k e i t s e r k l ä r u n g in Art. 6, der § 1732 aufhebt. Auch die weiter in § 10 angezogenen Vorschriften betreffen die Namensführung von Kindern. Da sie aber den e h e l i c h e n g l e i c h g e s t e l l t werden, muß auch für sie die Schranke der Wirkung der Namensänderung, die § 4 für die Kinder unter elterlicher Gewalt aufstellt, gelten, die Vorschrift berührt somit auch diese Paragraphen, obwohl §§ 1732, 1735, 1757 nicht erwähnt ist. Vgl. hierzu auch Runderlaß des M d l Abschn. A (16) v. 8. 1 . 3 8 (RMB1. i . V . S. 69 u. 76), abgedruckt J W 1938 S. 339. Ebenso M a ß f e l l e r J W 1938, 343. Die Wirkung kann für ein angenommenes Kind nicht wohl weiter gehen, als für ein natürliches eheliches Kind. Nicht erwähnt ist ferner in § 10 des Ges. § 1762 des BGB. Gleichwohl muß angenommen werden, daß auch auf die Abkömmlinge der angenommenen Kinder die Änderung des Familiennamens nach § 4 sich erstreckt. Über die A n n a h m e an K i n d e s S t a t t trifft das gen. Gesetz in Art. 4 u. 5 ändernde Vorschriften. Vgl. weiter D V v. 23. 4. 38 (RGBl. I 417). Anm. 23 5. Der Widerruf der Namensänderung: Die Vorschriften über den Widerruf der Namensänderung sind überholt. Einmal ist die dafür gesetzte Frist (31. 12. 40) abgelaufen, vor allem diente diese Vorschrift der Durchführung des Rassegedankens, sollte insbesondere den zur Tarnung der jüdischen Abstammung vor dem 30. 1. 33 erfolgten Namenswechsel rückgängig machen. Dagegen konnte nach dem Kriege ein Widerruf der den Juden auf Grund der 2. D V erteilten Vornamen in der amerikanischen und britischen Zone auf Grund besonderer Verordnungen (vgl. Hessisches VOB1. 1948 S. 19) und für die britische Zone ( V O v. 16. 2. 48 VOB1. S. 43) erfolgen.

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Natürliche Personen

Vor § 1 2 Anm. 23—26

Die gesetzlichen Vertreter der n a c h d e m 18. 8. 38 geborenen Kinder, in der amerikanischen Zone auch dieser selbst nach vollendetem 16. Lebensjahr, waren berechtigt, den bisherigen Namen durch Anzeige an den zuständigen Standesbeamten (in öffentlich beglaubigter Form oder zur Niederschrift) zu ändern, in der britischen Zone aber nur bis zum 3 1 . 12. 49. Außerden waren die in den Personenstandsbüchern der älteren J u d e n gemäß der 2. D V durch R a n d vermerk eingetragenen zusätzlichen Namen von Amts wegen zu löschen, und sind bei Erteilung von Standesamtsurkunden diese R a n d vermerke nicht mehr aufzuführen.

VI. Adelsbezeichnung. In Betracht kommen nur die Namen D e u t s c h e r m i t d e u t s c h e n A d e l s b e z e i c h n u n g e n . Das niederländische „ v a n " (van Dyck, van Beethoven) und das spanische „ d e " z. B. ist niemals Adelsbezeichnung.

Anm. 24 Die Adelsbezeichnung war früher in erster Linie die B e z e i c h n u n g e i n e r P e r s o n a l s e i n e m b e s o n d e r e n S t a n d e , d e m A d e l s s t a n d in seinen verschiedenen Abstufungen zugehörig, ähnlich der Bezeichnung als einem bürgerlichen Stand (Bauer, Bäcker, Schmied) zugehörig. Der Adelsstand konnte ein h ö c h s t p e r s ö n l i c h e r sein und nicht anderen Familienmitgleidern zukommen, er konnte auch der F a m i l i e und dem ganzen G e s c h l e c h t zukommen und somit j e d e m Geschlechts- und Familiengenossen anhaften und war alsdann Teil des betreffenden Familiennamens. Insofern sind durch Art. 100 W R V die Adelsbezeichnungen aufrechterhalten und ist die F o r t f ü h r u n g der vor dem 14. 8. 19 (Art. 1 8 1 ) rechtgültig erworbenen A d e l s b e z e i c h n u n g e n gestattet ( R G 1 1 3 , 110). A n diesem Zustand hat sich auch nach dem zweiten Weltkriege nichts geändert, da die neuen Verfassungen keinerlei Bestimmungen in dieser Hinsicht enthalten.

Anm. 25 Hieraus folgt: für den Erwerb der Adelsbezeichnung. Als Name der bisherigen Adelsfamilien und ihrer Angehörigen gilt die Bezeichnung des der g a n z e n F a m i l i e zukommenden Adelsstandes nach seinem besonderen Grade, wie er sich vererbt (so auch § 22 des preuß. Adelsges. v. 23. 6. 20 [GS S. 367] — R G i n Anh. S. 1). K a m dem Familienmitglied der Adelsname bei Geltung der W R V zu, so darf es den Namen weiterführen; kam der Name nach den Vorschriften über das Adelsrecht ihm nicht zu, weil dieses die Zugehörigkeit zur Familie von einer ebenbürtigen Ehe abhängig machte, es aber aus u n e b e n b ü r t i g e r Ehe stammte, oder stammt es von einer unehelichen Mutter und hat es nach den früher bestehenden Gesetzen den Adel der Mutter nicht erworben, so ist der Adelsname auch damals schon nicht Teil seines Familiennamens gewesen, es kann daher von einer Fortführung nach Geltung der W R V keine Rede sein ( R G 109, 252). Kinder aus m o r g a n a t i s c h e r Ehe erhalten nach dem P r i v a t f ü r s t e n r e c h t , soweit es nach den Landesgesetzen aufrechterhalten ist, nicht den adligen Namen des Vaters ( R G 103, 190; J W 1922, 29).

Anm. 26 Zuweilen steht e i n z e l n e n F a m i l i e n a n g e h ö r i g e n , namentlich dem Familienoberhaupt zu, eine sie vor den übrigen Familienangehörigen a u s z e i c h n e n d e B e z e i c h n u n g zu führen, z. B. Fürst, Graf, während die Familie als solche nicht dem fürstlichen oder gräflichen Stande angehört. Derartige Sonderbezeichnungen gelten nur für den persönlich herausgehobenen Adelsstand, sind p e r s ö n l i c h e N a m e n , k e i n e F a m i l i e n n a m e n geworden. Dann sind sie auch nicht Bestandteil des Familiennamens i. S. des Art. 109 der W R V und die besondere Adelsbezeichnung kann zwar von demjenigen fortgeführt werden, dem sie vorher zukommt, vererbt sich aber nicht nach den Regeln des B G B wie der Familienname ( R G 1 1 3 , m ) . Ist durch Hausgesetz oder durch die Bestimmung bei der Verleihung der Sonderbezeichnung angeordnet, daß das j e w e i l i g e F a m i l i e n o b e r h a u p t auch k ü n f t i g h i n die besondere

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Vor § 1 2

Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 27—30 Bezeichnung führen soll, so erwirbt dieses die besondere Bezeichnung des Namens für sich. Das ist n i c h t a l s n e u e V e r l e i h u n g i. S. von Art. 109 der W R V anzusehen, sondern eine Folge bereits vorgenommener Verleihung.

Anm. 27 Der nur mit dem p e r s ö n l i c h e n A d e l Ausgezeichnete (Ordensadel) darf die Bezeichnung dieses Adels durch die Hinzufügung des Wortes „ v o n " auch nach der W R V als Teil seines Namens weiterführen. Es liegt hier aber keine Erhebung der Familie in den Adelsstand vor, deshalb kann sein persönlicher Name niemals zum F a m i l i e n n a m e n werden, und es ist somit ein Übergang dieses Namens auf andere Familienmitglieder nach den Regeln des B G B ausgeschlossen ( B a y O b L G Recht 1922 Nr. 1303).

Anm. 28 Über die Form, in der die Adelsbezeichnung zu erfolgen hat, traf die W R V in Art. 109 keine Bestimmung. In formalistischer Weise wollte man anfangs aus der Vorschrift, daß sie einen Teil des Namens bilde, schließen, daß dieser Name lediglich in der Form des Familiennamens zulässig sei, wie er dem Manne zukommt, da sich nach dieser Form die Bildung des Familiennamens richte. Selbstverständlich ist für die Familienangehörigen j e d e b i s h e r ü b l i c h e u n d s p r a c h l i c h r i c h t i g e und daher allein mögliche Form nicht nur zulässig, sondern g e b o t e n . Männliche Personen haben heute wie früher die Adelsbezeichnung zu deklinieren, Frauen dürfen sich „ F ü r s t i n " , „ G r ä f i n " , „ F r e i f r a u " nennen. Ebenso ledige weibliche Angehörige einer freiherrlichen Familie „ F r e i i n " ( R G 1 1 3 , 108; 1 1 3 , 144), „Prinzessin" für weibliche Mitglieder fürstlicher Familien. Dieselben Erwägungen, die für die Zulässigkeit dieser Form der Adelsbezeichnung maßgebend sind, müssen dazu führen, auch die Abkürzung „ F r h r . " statt ausgeschrieben „ F r e i h e r r " und „ v . " statt ausgeschrieben „ v o n " zuzulassen, denn sie sind h e r g e b r a c h t e A d e l s b e z e i c h n u n g , und an der „sprachlich üblichen und hergebrachten F o r m " dieser Bezeichnungen hat man festhalten wollen, auch nachdem der Adel aufgehört hat, ein besonderer Stand zu sein ( R G 113, 109). Ebensowenig folgt aus der W R V Art. 10g, daß bei der Bezeichnung des Adels als „ F r e i h e r r " oder „ G r a f " der Vorname nicht in die bisherige Adelsbezeichnung und den übrigen Teil des Familiennamens eingeschoben werden dürfe. Auf die Stelle wo er steht kommt es für die Beurteilung als Teil des Familiennamens nicht an ( R G 1 1 3 , 1 0 7 ; 1 1 5 und die gem. Meinung). Nur wenn das „ v o n " keine Adelsbezeichnung in einem Namen war, sondern stets Teil eines bürgerlichen Namens (I 2), ist die Abkürzung in „ v . " unzulässig (Vonhold, Vonhof), da hierin eine Namensänderung liegen würde.

Anm. 29 Soweit die Adelsbezeichnung zum Familiennamen geworden ist, richtet sich sein Übergang nunmehr nach den Vorschriften des B G B . So erwirbt das uneheliche nach dem Inkrafttreten der W R V geborene K i n d den adligen Namen der Mutter, das adoptierte den Namen des Annehmenden ( R G 109, 246; 1 1 4 , 339), in Bayern aber nach Art. 1 1 8 Verf. nicht mehr. Es kommt möglicherweise das Mißbrauchs-Ges. v. 23. 1 1 . 33 ( R G B l . I, 979) in Frage. Die W i t w e und die g e s c h i e d e n e F r a u behält mit dem Namen ihres Ehemannes auch die als dessen Bestandteil geltende Adeslbezeichnung. D e r V e r z i c h t auf die Führung der Adelsbezeichnung im Namen hat die Bedeutung einer Namensänderung und richtet sich nach den hierüber bestehenden Vorschriften.

VII. Deckname, Monogramm, Marken, Wappen. Anm. 30 Der Deckname (Pseudonym) gleicht nach seiner rechtlichen

Natur dem Familiennamen ( R G 1 0 1 , 228; J W 1 9 2 1 , 6 2 1 ; Warn. 30, 296), was mit Unrecht noch bestritten wird. K e i n Pseudonym, sondern überhaupt kein Personenname ist die Bezeichnung mit einem allgemeinen Namen des Standes und des Berufes, wie civis, iudex, medicus, diese ist ein „Incognito" ( O L G J e n a J W 1925, 165g 5 ). Erworben wird der Deckname schon mit der erstmaligen Beilegung durch den ihn Gebrauchenden, nicht erst durch eine

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Natürliche Personen

Vor § 12

Anm. 30—33

Benutzung für längere Zeit und ein Bekanntwerden in größerem Kreise, wie K G in S e u f f A 75, 250; J W 2 1 , 39; Recht 21 Nr. i m annehmen. Der Deckname dient der Kennzeichnung der natürlichen Person wie der Familienname i n n e r h a l b d e s V e r k e h r s , f ü r d e n er b e s t i m m t i s t , in Beziehung auf eine besondere Betätigung dieser Person als K ü n s t l e r , S c h a u s p i e l e r (Theatername) A r t i s t , S c h r i f t s t e l l e r . Hierfür ist der Gebrauch eines besonderen Decknamens von alters her üblich, und er vermag sogar den bürgerlichen Familiennamen völlig zu verdrängen (Jean Paul hieß Friedrich Richter; M a r k T w a i n Samuel Longhorne Clemens). Die Gründe für die Annahme eines besonderen Künstler- und Schriftstellernamens sind mannigfaltig. Zuweilen wird der Deckname auch nur durch Hinzufügung des Ortsnamens an den Familiennamen gebildet. In § 7 I I des Ges. betr. Urheberrecht an Werken der Literatur und Tonkunst v . 19. 6. 01 ( R G B l . S. 222) wird der Deckname dem „wahren N a m e n " gegenübergestellt, aber wie dieser für eine gewisse Zeit geschützt. Der einmal erworbene Deckname bleibt dem Namensträger, auch wenn dieser die schriftstellerische oder künstlerische Tätigkeit nicht mehr ausübt ( R G 1 0 1 , 231). Denn der an ihm haftende gute R u f als Künstler und Schriftsteller bleibt auch dann bestehen. Das Interesse kann lediglich «in ideales, braucht kein vermögensrechtliches zu sein ( R G 8 6 , 1 2 3 ; Warn. 1 9 1 1 Nr. 468). Seit Art. 109 der W R V steht der Führung einer A d e l s b e z e i c h n u n g in dem Decknamen nichts entgegen. Die E h e f r a u darf ihren vor der Ehe erworbenen Künstlerund Schriftstellernamen beibehalten und einen solchen neu erwerben. Der Deckname darf nicht gegen die guten Sitten verstoßen und Rechte dritter Personen nicht verletzen.

Anm. 31 M o n o g r a m m e (in einem Schriftzug verschmolzene Buchstaben des Namens) seit alters her benutzte H a n d z e i c h e n als A b k ü r z u n g e n v o n N a m e n (bei Königsurkunden bis ins 13. Jahrhundert sogar die einzige Unterzeichnungsart), sind besonders bei Künstlern (Maler, Kupferstecher, Holzschnitzer), aber auch Handwerkern (Waffenschmiede, Kunsttöpfer) in Gebrauch gewesen. Manche Künstler sind sogar nur unter ihrem Meister- und Handzeichen bekannt. J e d e namentliche Kennzeichnung, die einer Namensbezeichnung gleichkommt, wird wie diese rechtlich gewertet. Sie dienen sowohl der Bezeichnung des wahren Familiennamens als der des Decknamens. Für den a b g e k ü r z t e n N a m e n und N a m e n s t e i l e , insbesondere auch den a b g e k ü r z t e n K ü n s t l e r n a m e n , hat K G in J W 1 9 2 1 , 348 2 den Schutz des § 12 ausdrücklich anerkannt. Ü b e r s c h l a g w o r t a r t i g e Verwendung von Firmenteilen R G 146, 247; 120, 94; 1 1 5 , 180; R G J W 1937, 2822 1 .

Anm. 32 Dem Monogramm gleich steht die H a u s m a r k e , eine ebenfalls von alters her übliche Bezeichnung der P e r s o n , deren Familie und Geschlecht als dem Eigentümer des mit der Marke versehenen Gegenstandes. Aus der Haus- und Geschlechtsmarke entwickelte sich das W a p p e n , sowohl für die bürgerliche Familie als namentlich die adelige. Die T e l e g r a m m a d r e s s e (eine mit der Telegraphenanstalt vereinbarte abgekürzte Adresse nach T e l O v. 1 6 . 6 . 0 4 § 3 V I I ) wird wie der volle Name selbst rechtlich geschützt < R G 102, 89; D J Z 1909, 1 0 9 1 ; J W 1927, 653 1 ).

Anm. 33 Auf einen bloßen T i t e l ist die Vorschrift des § 1 2 nicht auszudehnen, auch nicht auf Berufsbezeichnungen, wie Patentingenieur. Aber diese sind immaterielle Rechtsgüter und ihre Beeinträchtigung ist nach § 1004 zu bekämpfen. Der B e a m t e verliert mit Beendigung des Beamtenverhältnisses grundsätzlich das Recht auf Führung des Titels, D B G §§56, 66. Eine Ausnahme gilt jedoch für R u h e s t a n d s b e a m t e , die m i t d e m Z u s a t z a. D. den Titel weiterführen dürfen, sie haben sogar das Recht, die nach dieser Zeit geänderte Amtsbezeichnung derselben Amtsstellung zu führen, D V v. 29. 6. 37 § 37 Nr. 4. Zusatz „ b e i " (Senatspräsident bei RGericht) ist Teil der Amtsbezeichnung. A V O d. R J M v. 4. 5. 37, D J 1937, 687. Auch O r d e n und E h r e n z e i c h e n sind zwar Immaterialgüter, aber nicht solche, die auf die Kennzeichnung und Unterscheidung einer bestimmten Person hinweisen, daher nicht dem Namen gleichzuwerten.

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Vor § 12

Allgemeiner Teil. Personen

A n m . 34—36 VIII. Firma. A n m . 34 Die F i r m a ist der Name, unter dem ein Vollkaufmann seine Geschäfte betreibt ( H G B § 17, § 4). Das Recht zur Führung der Firma entsteht originär in der Person des Firmenträgers durch Annahme und Gebrauch des Firmennamens. Eine Eintragung in das Handelsregister ist dazu nicht erforderlich ( B G H 10, 204). Der E i n z e l k a u f m a n n muß seinen w i r k l i c h e n F a m i l i e n n a m e n benutzen. Ebenso die offene Handelsgesellschaft die Namen der Gesellschafter ( H G B § 19). Dieser Grundsatz der Firmenwahrheit gilt nur für n e u e F i r m e n , wird aber zur Erhaltung der durch das Geschäft geschaffenen Werte durchbrochen bei einer Namensänderung des Geschäftsinhabers ( H G B § 2 1 ) , und beim Erwerb eines Handelsgeschäfts durch Dritte, ( H G B §§22 und 23). Daher kann eine natürliche Person außer dem wirklichen Familiennamen f ü r die besondere Tätigkeit als Vollkaufmann noch einen z w e i t e n N a m e n führen, die Firma. Für mehrere Arten von Handelsgeschäften kann der Vollkaufmann sogar m e h r e r e F i r m e n , also m e h r e r e N a m e n , führen, gleichviel ob jene an verschiedenen Orten oder demselben Orte betrieben werden, ( R G Recht 1907, 1473). Immer sind es aber mehrere Namen für nur eine Rechtspersönlichkeit. Hierin zeigt sich ihre Verwandtschaft mit dem Decknamen. Nach ihrer geschichtlichen Entstehung besteht die V e r wandtschaft mit dem Handzeichen, mit dem vom K a u f m a n n die Urkunden gezeichnet wurden (firmare). Die Auffassung des R G 59, 286, daß die Firma nur dann den Schutz des § 12 genieße, wenn in ihr der wirkliche Familienname enthalten sei, muß als überwunden angesehen werden. Sie genießt den Schutz neben dem des H G B § 37 auch dann, wenn sie vom Familiennamen abweicht, wie dies bei Firmenübertragung geschehen kann. Das Schutzrecht, das H G B § 37 I I gibt, ist enger, als das des B G B § 12 ( R G 74> 208; 1 1 4 , 90). Insbesondere kommt nicht die örtliche Begrenzung des H G B § 30 in Frage ( R G M u W 1 9 3 1 , 398). Die für eine offene Handelsgesellschaft und K o m m a n d i t gesellschaft in R G 88, 422 und 114, 93 noch getroffene Einschränkung, daß in der F i r m a wenigstens der bürgerliche Name eines Gesellschafters als Bestandteil enthalten sein müsse, wenn der Namensschutz aus § 12 B G B gewährt werden könne, ist nicht begründet, da j a auch der Einzelkaufmann den Namensschutz für seinen zweiten Namen genießt, die Firma, in der sein Familienname nicht enthalten ist. Uber den Zusatz „Bruder"^ „ S ö h n e " R G 65, 379; R G J W 1938, 746».

Anm. 35 Der Gebrauch des Firmennamens unterliegt aber wie jede wettbewerbliche Handlung dem Gebote der Lauterkeit. Jedes Firmenführungsrecht — wie immer es erworben und wie lange es ausgeübt sein mag — endet, sobald die geschäftlichen Verhältnisse des Firmenträgers in Widerspruch zu dem Inhalt des Firmennamens treten und die Allgemeinheit aus der Beibehaltung der Firma unzutreffende Schlüsse auf die geschäftlichen Verhältnisse des Firmenträgers, insbesondere auf seine Zusammenarbeit mit n a m haften anderem Unternehmen ziehen könnte ( B G H 10, 201).

IX. N a m e n von Gesellschaften, Vereinen und sonstigen juristischen Personen. Während ursprünglich die Geltung des § 12 auf das private Namensrecht einer n a t ü r l i c h e n Person beschränkt wurde, ist sie allmählich von der Rechtsprechung auf die Bezeichnungen aller Träger von Namen im privaten und geschäftlichen Verkehr ausgedehnt worden.

Anm. 36 So vor allem auf die Firmen als den H a n d e l s n a m e n für die handeltreibenden Unternehmungen, besonders der H a n d e l s g e s e l l s c h a f t e n . Eine o f f e n e H a n d e l s g e s e l l s c h a f t kann nur eine Firma führen. Aber d i e s e l b e n P e r s o n e n können sich zu verschiedenen offenen Handelsgesellschaften vereinigen und für diese dann j e v e r s c h i e d e n e n Firmen führen. Eine A k t i e n g e s e l l s c h a f t und A k t i e n k o m m a n d i t g e s e l l s c h a f t muß nach § § 4 , 2 2 0 A k t G regelmäßig S a c h f i r m a haben mit der Bezeichnung Aktiengesellschaft bzw. Kommanditgesellschaft auf Aktien. Die handels-

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Natürliche Personen

Vor §12

Anm. 37—39

rechtliche Firma für alle diese Unternehmungen genießt den gleichen Schutz, wie der Name der natürlichen Person ( R G 74, 3 1 2 ; 1 1 4 , 9 1 ) . Uber das Recht zur Führung der Bezeichnung „ B a n k u. S p a r k a s s e " in der Firma, Reichsges. über das Kreditwesen v. 5. 12. 34 ( R G B l . I 1203) § 10. Mit Auflösung der Aktiengesellschaft erlischt die Firma.

Anm. 37 Der nicht rechtsfähige Verein muß, wie die offene Handelsgesellschaft

zwecks Zusammenfassung seiner Mitglieder zu einer im Rechtsleben und Verkehr bestehenden und anerkannten Gesamtheit einen Namen tragen, wenn hierüber auch nicht, wie für den rechtsfähigen Verein in § 57 eine ausdrückliche Vorschrift besteht. Auch dieser genießt den Schutz des § 12 (RG 78, 102; J W 1927, 1584).

Anm. 38 Der Name eines r e c h t s f ä h i g e n V e r e i n s (§ 57), r e c h t s f ä h i g e r S t i f t u n g e n (§80), wie j e d e r j u r i s t i s c h e n P e r s o n überhaupt, wurde schon zeitig dem Namen der natürlichen Person gleichgestellt ( R G 74, 1 1 5 ; 100, 186; 109, 2 1 4 ; 1 1 4 , 93). In Betracht kommen juristische Personen sowohl des P r i v a t r e c h t s (Aktiengesellschaften und K o m manditgesellschaften auf Aktien ( R G 109, 2 1 4 ; 1 1 7 , 218) als des ö f f e n t l i c h e n R e c h t s . Z u letzteren können auch Namen öffentlich-rechtlicher Körperschaften, wie S t ä d t e und andere O r t s n a m e n gehören ( R G 1 0 1 , 169; J W 1927, 1 1 7 ) . So ist der N a m e „Solingen" durch Ges. v. 25. 7. 38 ( R G B l . I 953) namentlich für die in der D V vom gleichen T a g e ( R G B l . I 954) aufgeführten Schneidwaren geschützt. Auch bloße Namensteile und abgekürzte Namen und Schlagworte genießen wie für natürliche Personen den Schutz des § 12 ( R G J W 1 9 1 8 , 3 8 1 ; 1926, 1 4 3 4 1 ; 1937, 2 8 2 1 4 ) ; Salamander = Salamander Schuhgesellschaft m. b. H . ; U f a = Universal Film A G . ( R G iog,, 2 1 3 ; 146, 247).

Anm. 39 Eine weitere Ausdehnung findet statt auf a n d e r e A r t e n v o n B e z e i c h n u n g s m i t t e l n , wie Warennamen, Herkunftsbezeichnungen, Warenzeichen, besondere Bezeichnung eines Erwerbsgeschäfts Ausstattung, Titel von Druckschriften und Kunstwerken. Die Geschäftsbezeichnung als Name des Geschäfts (Etablissementname, wie bei Gasthäusern, Apotheken usw.) ist von der Firma als Name der Person zu unterscheiden. Der K a u f m a n n kann aber mit der Firma die Geschäftsbezeichnung verbinden, wie „ K a f f e e Bauer", „Schokoladenhering". Auch für die Geschäftsbezeichnung kann eine Telegrammadresse gebildet werden. Diese Bezeichnungen brauchen sich nicht auf eine natürliche Person zu beziehen, sondern auf jedes im Rechtsverkehr auftretende handelnde Wesen. Hier tritt neben dem besonderen Schutz des W z G § 14 und des U W G § 16 und des Urheberrechtsschutzes ergänzend B G B § 12 ( R G 1 1 4 , 94; J W 1928, 2079). Sie sind sämtlich als Immaterialgüter wie der Name der natürlichen Person zu bewerten, sofern sie nur wie ein Name auf eine natürliche Person oder einen bestimmten Rechtsträger im Rechtsverkehr hinweisen, z. B. das W a p p e n einer bestimmten S t a d t g e m e i n d e ( O L G Breslau D J 1938 S. 159) oder eines L a n d e s . Erworben werden die Kennzeichnungsmittel teils sofort durch Eintragung in das Warenzeichenregister, teils durch Erlangung der Verkehrsgeltung durch Gebrauch. Zuweilen kann auch die Führung einer besonderen F l a g g e oder eines A b z e i c h e n s auf eine K o r p o r a t i o n oder E i n z e l p e r s o n , Unternehmen (Reedereiflagge) kennzeichnend hinweisen und steht dann ebenfalls unter dem Schutz des § 12.

§ 1 3 Wird das Recht zum Gebrauch eines Namens dem Berechtigten von einem anderen bestritten oder wird das Interesse des Berechtigten dadurch verletzt, daß ein anderer unbefugt den gleichen Namen gebraucht, so kann der Berechtigte von dem anderen Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann er auf Unterlassung klagen. E II

2;

P 1 43ff.;6 113.

§12

Anm. 1, 2

Allgemeiner Teil. Personen Ubersicht

I. Namensschutz im allgemeinen I I . Voraussetzung des Namensschutzes 1. Das Recht zum Gebrauch des Namens 2. Das Interesse an der Namensführung I I I . Der U m f a n g des Schutzes 1. Bestreiten des Namensrechtes . . . 2. Unbefugter Gebrauch eines Namens a) Gebrauch b) Unbefugt I V . Verlust des Namens V . Ziel des Namensschutzes

Anm.

i 2

3 4 5— 7 8—12

13

'4

I. Namensschutz im allgemeinen. Anm. 1 § 12 gewährt den Namensschutz nur vom individuellen Standpunkt aus zum Schutze des s u b j e k t i v e n R e c h t s d e s N a m e n s t r ä g e r s . Das Recht eines a n d e r e n G e m e i n s c h a f t s m i t g l i e d e s zum Gebrauch des Namens des Namensträgers und das Recht des Namensträgers zur Kennzeichnung eines anderen als seiner eigenen Person wird in § 12 nicht geregelt. Die hierdurch vorhandene Lücke des gesetzten Rechts muß daher durch Rückgriff auf das ungesetzte Recht ausgefüllt werden. Wie § 1004 einen Anspruch gegen den Störer auf Beseitigung und Unterlassung gewährt, wenn der auf dem Eigentumsrecht beruhende ungehinderte Gebrauch des Gegenstandes, eines materiellen oder immateriellen Rechtsgutes jeder Art beeinträchtigt wird, so gibt § 12 einen Anspruch gegen den Störer auf Beseitigung und Unterlassung, wenn das subjektive Persönlichkeitsrecht des Namensträgers beeinträchtigt wird. Es liegt hier wie dort ein a b s o l u t e s A u s s c h l u ß r e c h t vor, R G 56, 190; 88, 4 2 1 ; 1 1 7 , 2 1 5 ; B G H 15, 1 1 0 . § 12 stellt nur einen besonderen Fall des § 1004 dar. Fehlte die Vorschrift des § 12, so genügte § 1004, der ohnehin umfassender ist. Bei vorsätzlicher und fahrlässiger Verletzung des Rechts am Namen ist auch jetzt § 823 anwendbar, da das Persönlichkeitsrecht des Art. 1 G G ein Recht i. S. des Abs. 1 ist (vgl. Vorbem. 1 vor § 1 ) .

II. Voraussetzung des Namensschutzes. Anm. 2 1. D a s R e c h t z u m G e b r a u c h des N a m e n s : Hierüber die Vorbemerkung. Hierbei handelt es sich nur um solche N a m e n , d i e z u r U n t e r s c h e i d u n g v o n a n d e r e n P e r s o n e n d i e n e n k ö n n e n . Denn diese Unterscheidung ist der Zweck des Namens, ohne sie fehlt es für den Dritten am Interesse an der Unterlassung der Namensführung des anderen. Das Recht zum Gebrauch eines Namens steht aber nicht nur demjenigen zu, der b e r e c h t i g t ist, den eigenen Namen zu f ü h r e n , sondern auch j e d e m D r i t t e n der Gemeinschaft, dessen Mitglied der Namensträger ist. D a die Führung eines Namens zugleich P f l i c h t d e s N a m e n s t r ä g e r s ist ( R G 158, 163), weil die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung die Unterscheidung des einzelnen von den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft fordern, so wird durch diese Verpflichtung des Namensträgers für sie gleichzeitig ein R e c h t begründet, ihn mit dem ihm zukommenden Namen zu nennen. Ein Gebrauch des Namens liegt ferner nicht nur dann vor, wenn der Namensberechtigte den Namen zur Kennzeichnung seiner e i g e n e n P e r s o n führt, sondern auch dann, wenn er eine a n d e r e P e r s o n m i t s e i n e m N a m e n b e z e i c h n e t . Damit verstößt er gegen die der Allgemeinheit gegenüber bestehende P f l i c h t , durch den Namen sich selbst von anderen Gemeinschaftsgliedern zu unterscheiden und gegen das R e c h t jedes anderen Gemeinschaftsgliedes auf den Gebrauch des Namens als Kennzeichnungs- und als Unterscheidungsmittel eben nur für den bestimmten Einzelgenossen. Der Name ist als E r z e u g n i s d e s G e m e i n s c h a f t s l e b e n s nicht nur von privatrechtlichen individuellen Gesichtspunkten

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Natürliche Personen

§12

Anm. 3, 4 aus, sondern gleichzeitig von öffentlich-rechtlichen und gemeinrechtlichen Gesichtspunkten aus zu beurteilen, bei dem die Belange des einzelnen und der Gemeinschaft gleichwertig zusammenfließen. Die Pflicht gegenüber dem einzelnen und gegenüber der Gemeinscl aft ist von dem Recht des einzelnen und der Gemeinschaftsglieder nicht zu trennen. Deshalb kommt auch eine V e r w i r k u n g des Rechts am Namen durch Nichtgebrauch des einzelnen nicht in Frage ( R G II 331/33 v. 7.7.35 „Feuersozietät").

Anm. 3 2. D a s I n t e r e s s e a n d e r N a m e n s f ü h r u n g : Der Namensträger muß ein persönliches, ideales oder Affektionsinteresse ( R G 114, 93) an der Namensführung haben. Das wird zwar nur beim unbefugten Gebrauch hervorgehoben, muß aber auch beim Bestreiten des Rechtes selbst ebenso wie bei § 1004 da sein.

III. Der Umfang des Schutzes. Schutz wird in § 12 nur gewährt gegen zwei Beeinträchtigungen, nämlich das Bestreiten des Rechts des Namenträgers zum Gebrauch des Namens und der unbefugte Gebrauch des gleichen Namens; andere Beeinträchtigungen sind im Wege des § 1004 zu verfolgen.

Anm. 4 1. Bestreiten des Rechts zum Gebrauch eines Namens: Es muß das Recht

am Namen in seinem Bestand bestritten werden. Eines öffentlichen Bestreitens bedarf es nicht. Das Bestreiten kann durch Worte erfolgen oder durch Handlungen, überhaupt durch jedes Verhalten, aus dem zu sehen ist, daß es dem Namensrecht des Berechtigten objektiv widerspricht. Dies geschiehtz. B. dann, wenn dem Berechtigten grundsätzlich der ihm von Rechtswegen zukommende Name versagt und er mit einem ihm nicht zustehenden Namen belegt wird, so wenn der durch Ableitung erworbene Name nicht gegeben wird, z. B. wenn dem für ehelich erklärten Kinde weiter der Name der unehelichen Mutter gegeben wird, dem adoptierten Kinde der neue Name des Annehmenden nicht gegeben wird, wenn bei dem Familiennamen die als Teil des Namens anzusehende Adelsbezeichnung nicht richtig gegeben oder ganz weggelassen wird (z. B. in einem Konversationslexikon, Gelehrtenkalender u. a.), wenn der geschiedenen Frau, die ihren Mädchennamen wieder angenommen hat oder annehmen mußte, weiter der Name des geschiedenen Ehemannes gegeben wird, wenn die stattgefundene Namensänderung nicht beachtet wird, der Verlust des Namens unberücksichtigt bleibt. Eine Beeinträchtigung liegt auch vor, wenn der V o r n a m e und der D e c k n a m e bestritten wird, was ebenfalls nicht nur wörtlich, sondern ebenso durch ein Verhalten geschehen kann. So etwa, wenn der Kritiker die Leistungen eines Künstlers oder Schriftstellers den für diesen Tätigkeitsbereich ihm zustehenden Decknamen nicht beachtet. Der Name eines V e r s t o r b e n e n hat noch eine Kennzeichnungskraft für das bei seinen Volksgenossen lebende Andenken an ihn, seine in der Gegenwart fortwirkende Lebenstätigkeit und das von ihm Geschaffene (Kunstwerke, Schriftwerke, staatliche Schöpfungen). Daher ist auch der Gebrauch seines Namens im Verkehr notwendig für jeden, der auf den Verstorbenen und seine Werke hinweisen will. Wer an der Durchsetzung dieses Rechts ein besonderes Interesse hat und wessen Interesse durch Bestreiten dieses Rechts beeinträchtigt wird, kann Beseitigung dieser Beeinträchtigung verlangen ( R G 499/24 v. 26.2.25), so z.B. ein Schriftstellerverband, eine Künstlergenossenschaft, ein Beamtenbund, denen der Verstorbene angehörte, usw. (vgl. Vorbem. 2 § 1). Vor allem können die Angehörigen der Familie oder des Familienverbands und des Geschlechts, dessen Mitglied der Verstorbene war, berechtigt sein, den Namen des Verstorbenen in seiner Reinhaltung für den Gebrauch bei den Volksgenossen zu bewahren, in erster Linie der Ehegatte, die Ehefrau, die Kinder kraft ihrer Familienstellung und als Mitträger desselben Namens ohne Rücksicht auf ein Erbrecht ( B G H 8, 318). Im B e s t r e i t e n d e s a b g e l e i t e t e n N a m e n s einer Person, wie es der Name der Ehefrau, des Kindes ist, kann gegebenenfalls nicht nur ein Bestreiten der Person gegenüber liegen, die den abgeleiteten Namen trägt, sondern auch eine Beeinträchtigung des Namensgebrauchs gegenüber demjenigen, von dem der Name abgeleitet wird. Denn es wird dadurch der Umfang der Bezeichnungskraft, seine rechtliche

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§12

Allgemeiner Teil. Personen

Artm. 4, 5 Tragweite, bestritten, auf deren volle Wirksamkeit der ursprüngliche Namensträger ein Recht hat und die für ihn zum Namensgebrauch gehört. Wer daher einer Ehefrau, Kindern den ihnen zukommenden abgeleiteten Namen des Ehemannes, des Vaters versagt, bestreitet damit zugleich, daß dem Ehemann oder Vater ein Name zusteht, der diese Ableitung bringt (daß ein diese Ableitung rechtfertigendes Familienverhältnis besteht, O L G München J W 1923, 132°, weil etwa die Ehe nichtig, das K i n d nicht ehelich ist). Aus diesem Grunde kann auch kraft eigenen Namensrechts der E h e m a n n verlangen, daß seine verstorbene Ehefrau mit seinem Namen bezeichnet wird (z. B. auf dem Grabstein, in der Todesanzeige). Abgesehen hiervon kann die Anbringung einer richtigen Grabinschrift für die verstorbene Ehefrau auch auf der Pflicht und dem Recht beruhen, für Beerdigung zu sorgen ( J W 1930, 8 1 ) . Dieser Grund trifft aber nur für diesen Fall zu, nicht z. B. für Todesanzeigen usw. Was für den Personennamen gilt, gilt auch für das wörtliche oder mittelbar durch Handlungen vorgenommene Bestreiten anderer unter den Schutz des § 12 fallender Bezeichnungsmittel, wie z. B. die Beilegung eines anderen Wappens, als dem Berechtigten zukommt, eines anderen Monogramms oder Handzeichens, als der Künstler usw. berechtigterweise führt. Auch der Name und die Firma einer offenen Handelsgesellschaft, eines Vereins, gleichviel ob rechtsfähig oder nicht, auch in abgekürzter Form, kann durch Vorenthalten des richtigen Namens oder durch Beilegung eines unrichtigen Namens oder unrichtiger Firma bestritten werden ( R G 1 1 4 , 9 0 ) . Die Ansprüche aus § 12 können auch gegen eine B e h ö r d e geltend gemacht werden, wenn diese nicht in Ausübung ihrer öffentlich-rechtlichen Befugnisse handelt (RG 147, 2 5 3 ; J W 1 9 1 9 , 3 0 9 1 1 ; 1935, 2 1 3 0 ; 1932, 903 1 ), sonst wird jetzt der Verwaltungsrechtsweg gegeben sein.

Anm. 5 2. U n b e f u g t e r G e b r a u c h eines gleichen N a m e n s durch einen anderen. a ) Dem G e b r a u c h des N a m e n s zur Bezeichnung einer n a t ü r l i c h e n P e r s o n steht auch hier gleich der Namensgebrauch zur Bezeichnung seines Geschäfts als Firma, als sog. Etablissementname ( R G 74, 3 1 2 ; 88, 424; 1 1 4 , 9 1 ) einer Ware als Warennamen, Titel einer Zeitschrift ( R G J W 1927, 1584 2 0 ). Der Gebrauch eines Namens findet auch dann statt, wenn nicht der ganze Name, sondern nur einzelne wesentliche Bestandteile gebraucht werden ( R G 163, 2 3 3 ; B G H 8, 320). Auch die Verwendung a n d e r e r B e z e i c h n u n g s m i t t e l steht dem Gebrauch des Namens gleich, wenn sie dieselbe Aufgabe der Kennzeichnung einer bestimmten Person, eines Vereins, einer Stiftung erfüllen, wie der Name. So vornehmlich das Warenzeichen, die Ausstattung ( U W G § 1 6 ; K G J W 1925, 1632 1 2 ). J e d e B e z e i c h n u n g s w e i s e , die nach der Auffassung des Verkehrs einen Hinweis auf eine bestimmte Person oder deren Beziehung zu anderen Personen oder Gegenständen, so namentlich bei U r s p r u n g s - und H e r k u n f t s b e z e i c h n u n g e n eines bestimmten Namenträgers enthält, hat die Bedeutung des Gebrauchs eines Namens. So kann in der Bezeichnung eines Theaters als „Stadttheater", einer Apotheke als „Stadtapotheke" der Hinweis auf die juristische Person der Stadtgemeinde liegen, ebenso, wie wenn der Name dieser Stadt unmittelbar gebraucht würde ( R G 1 0 1 , 169; J W 1927, 1 1 7 1 8 ) . Daß der Gebrauch eines Namens vorliegt, wird nicht immer dadurch verhindert, daß seine Schreibweise etwas verändert wird, sofern damit die Kennzeichnung derselben Person in dem Verkehr, in dem der Name gebraucht wird, erhalten bleibt. Immerhin kommt es hier auf die Art des Namens und die besonderen Umstände des Gebrauchs an. So lassen sich gleichklingende und in ihrem Ursprung gleiche Familiennamen zuweilen nicht anders unterscheiden als durch die verschiedene Schreibweise (Meier, Maier, Meyer, M a y e r ; Schmied, Schmid, Schmidt, Schmitt, Schmitz). Dann liegt kein Gebrauch des gleichen Namens vor. Auch wenn zur näheren Kennzeichnung eines Geschäfts oder Unternehmens das Wort „vormals", „ f r ü h e r " dem Namen oder der Firma beigesetzt wird, wird immer dieser Name selbst gebraucht ( R G 56, 187). Ebenso wenn die Bezeichnung einer Tätigkeit, Fabrikationsweise bestimmter Art als der von einem anderen betriebenen Tätigkeit gleichgestellt werden soll durch Hinzufügung des Wortes „ n a c h " zu dessen Namen ( R G Warn. 1 9 1 2 Nr. 195). Ferner enthält die Benutzung eines Namens zu Reklamezwecken, zur Bildung einer Firma,

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Natürliche Personen

§12

A n m . 6, 7

eines Warennamens usw. den Gebrauch eines Namens. So die Benutzung des Namens „Graf Zeppelin" als Warenzeichen (RG 74, 308; 86, 123; J W 1924, 1711 8 ). Auch die Behauptung, man sei „ein Schüler von", „früherer Assistent von Professor" ist eine Benutzung ihres Namens. Dagegen ist der Gebrauch des Namens einer historischen, wirtschaftlich bedeutungsvollen Persönlichkeit (Raiffeisen) zur schlagwortartigen Kennzeichnung eines bestimmten Ideenkomplexes erlaubt, wenn dadurch nicht zugleich eine Beziehung zu dem Namensträger behauptet wird oder nach Auffassung des Verkehrs gefolgert werden kann (OLG Koblenz D R Z 48, 175). Anm. 6 Der Gebrauch eines Namens liegt ferner auch dann vor, wenn jemand nicht sich, sondern einen dritten Menschen oder Gegenstand mit einem Namen belegt. Die deutlichsten Beispiele hierfür sind die Erteilung des Vornamens durch den ehelichen Vater, die Erteilung des Familiennamens an das in die Ehe mitgebrachte Kind durch den Ehemann, die Erteilung des Familiennamens durch Annahme an Kindes Statt usw. Ebenso enthält die Bezeichnung der Geliebten eines Mannes mit seinem Familiennamen, um sie als seine Ehefrau erscheinen zu lassen, den Gebrauch seines Namens (RG 108, 231; K G J W 1930, i722 13 ).Auch die Benennung einer nur gedachten Persönlichkeit in einem Theaterstück, Roman, Bildwerk, einem Schriftstück jeder Art mit einem Namen, der einer bestimmten anderen Person zum ausschließlichen Gebrauch zusteht, enthält dann einen Gebrauch dieses Namens, wenn bei denjenigen, die den Namensträger persönlich nicht genau kennen, der Eindruck erweckt wird, daß er, wenn auch nicht in den Einzelheiten, so doch in den Grundzügen, sei es auch nur nach seiner Stellung im wirtschaftlichen oder politischen Leben der R o m a n f i g u r zum Vorbilde gedient hat (RG Warn. 1939 Nr. 27). Ist das der Fall, so genügen auch unwesentliche Veränderungen des Namens, Fortfall, Einfügen, Ersatz einzelner Buchstaben, nicht, falls dadurch das allgemeine Klangbild nicht verändert wird (Bomberg-Romberg; RG J W 29,1203; HHR 31 Nr. 578). Sind aber solche Hinweise, sei es aus dem Charakterbild oder aus den begleitenden Umständen auf eine bestimmte Person nicht vorhanden, so daß nach verständigem Ermessen der berechtigte Namensträger mit der Romanfigur nicht in Verbindung gebracht werden kann, wird insbesondere nur ein Typ, nicht eine bestimmte Person geschildert, so wird ein fremder Name i. S. des § 12 nicht gebraucht, selbst wenn dazu ein nur seltener vorkommender Name in Verbindung mit einem bestimmten Beruf (Handwerker, Arzt, Anwalt, Lehrer) verwandt wird. Denn es liegt alsdann nicht eine Beziehung zu einer bestimmten Person, sondern nur zu einer Unzahl gleicher Namensträger vor. Anm. 7 Ist ein Name zur G a t t u n g s b e z e i c h n u n g und B e s c h a f f e n h e i t s b e z e i c h n u n g als Warenname geworden, so hat er aufgehört, Unterscheidungszeichen zu sein, es liegt dann kein Gebrauch eines Namens i. S. von § 12 vor (RG 56, 160; 69, 310; 100, 182); diese Umwandlung kann der Namensträger auch von vorneherein gewollt und gefördert haben (RG 101, 407 [Simonsbrot]; J W 1933, 1916 30 ); so z. B. „Litfaßsäule", „Trambahn". Ob diese Umwandlung stattgefunden hat, ist Tatfrage. Eine zeichenrechtlich geschützte Angabe kann von einem anderen nicht als Beschaffungsangabe gebraucht werden, wenn sie nach der Auffassung des Verkehrs mehr enthält als die unmittelbare Benennung einer Eigenschaft der Ware (RG 149, 346). Ob bei der Bezeichnung eines Bieres als „Münchner", „Pilsner" die Herkunftsbezeichnung in eine Beschaffenheitsangabe umgewandelt wird, „entlokalisierend" wirkt, wenn eine Angabe hinzugefügt wird, die die Annahme ausschließen soll, daß der Name Herkunftsbezeichnung sei („Radeberger", „Gohliser Pilsner", „nach Münchner Art"), richtet sich nach der Verkehrsauffassung und wurde ständig vom R G bejaht (RG 79, 250; MuW X X I I I , 152, 266; dagegen PA, K G und fast einmütig das Schrifttum dahin, daß sich zwei Herkunftsbezeichnungen ausschließen, aber nicht die eine zur Beschaffenheitsangabe umwandeln). Für Namen von Weinen gibt Weinges. v. 7. 4. 09 besondere Vorschriften. Der Bezeichnungszwang des § 20 gilt auch für nachgemachte Getränk i. S. der §§ 10, n des Weinges. (RGSt. DJ 1937, 81). Für Lebensmittelkennzeichnung VO

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§12 Anm. 8—10

Allgemeiner Teil. Personen

29. 9. 27 ( R G B l . I, 3 1 8 ) und 28. 3. 28 ( R G B l . I, 1 3 9 ) ; V O 8. 5. 35 ( R G B L I, 590 und V O v. 16. 4. 37; R G B l . I, 456). Vgl. im übrigen U W G § 1 1 . Sehr häufig geschieht diese Umwandlung durch die umfangreiche Reklame des Namensträgers selbst. Häufig kann auch umgekehrt der ursprüngliche Name ohne Unterscheidungskraft, wie bei den gleichen weitverbreiteten Namen, wieder zum Namen mit Unterscheidungskraft werden, das gilt sowohl für Personennamen wie für Ortsnamen (Meyers K a f f e e , O L G Hamburg H a n s R G Z 28 A 668; „Leipziger Zeitung"). Endlich ist auch die gehässige Benennung eines Tieres mit dem Personennamen eines anderen der Gebrauch dieses Namens.

Anm. 8 b ) U n b e f u g t ist der Gebrauch eines Namens

aa) wenn der Gebrauch gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt:

z. B. Ges. zur Änderung des R H G v. 24. n . 37 ( R G B l . I, 1289) Art. 1 Abs. 3 „ D e r Name ,Reichsheimstätte' darf nur für Grundstücke geführt werden, die den Vorschriften dieses Gesetzes entsprechen". R F 1 G 1 5 . 9 . 3 5 ( R G B l . I, 1 1 4 5 ) und 2. V O zur Durchf. 28. 8. 37 ( R G B l . 1 , 9 1 7 ) über verbotenes Flaggensetzen. G e s . ü b e r T i t e l , O r d e n u n d E h r e n z e i c h e n v. 26. 7. 57 (BGBl. I 844) bestimmt die Voraussetzungen für ihre Führung über R e t t u n g s m e d a i l l e . Ges. über F l a g g e n f ü h r u n g an Personenwagen und staatl. Verwaltungen v. 2 1 . 1. 37 ( R G B l . I, 23). 2. Änderungserlaß hierzu v. 30. 12. 37 ( R G B l . I, 1426). Z u solchen öffentlich-rechtlichen Vorschriften gehört das Warenzeichenrecht und nach der neueren Rechtsauffassung auch U W G § 1. Dieses Gesetz verfolgt nicht nur den Zweck, den redlichen Wettbewerber zu schützen, sondern auch den, im öffentlichen Interesse den Auswüchsen im Wettbewerb überhaupt zu steuern. Ein Wettbewerbsverhältnis zwischen den Benutzern gleicher oder verwechslungsfähiger Bezeichnungen ist nicht nötig, es genügt, wenn auf Grund der gleichen oder verwechslungsfähigen Bezeichnung das Vorhandensein geschäftlicher Beziehungen angenommen werden kann ( R G 1 1 7 , 2 1 5 ; B G H 15, 110). Täuschung bei Anbringung eines Firmenschilds ( O L G München in J W 1 9 1 7 , 2417 8 8 ).

Anm. 9 bb) wenn der ihn Gebrauchende überhaupt kein Recht am Namen hat. Das

Recht fehlt auch beim Gebrauch einer nicht zustehenden Adelsbezeichnung (StGB § 360 Nr. 8). Es genügt, daß es objektiv ohne Recht geschieht. So wenn die geschiedene Ehefrau nach ihrer Wiederverheiratung ein Kleinhandelsgeschäft unter ihrem früheren Frauennamen fortführt ( R G Warn. 1942 Nr. 2) oder ihr gemäß § 56 E h e G der Ehemann die weitere Führung seines Familiennamens verboten hat, das volljährige K i n d , auf das sich die Namensänderung des Vaters nicht erstreckt, den geänderten Familiennamen des Vaters führt; das außereheliche K i n d den Familiennamen des Vaters. Dasselbe gilt auch für die Führung einer Firma, auf die der Gebrauchende kein Recht hat ( R G M u W 3 1 , 103). Entscheidend ist für das Recht zum Gebrauch der Firma nicht, ob sie im Handelsregister eingetragen ist, sondern ob sie tatsächlich geführt wird. Letztere aber ist notwendig, die Eintragung einer Firma für sich allein ohne gewerbliche Tätigkeit ist zur Erlangung des Rechts an der Firma nicht ausreichend ( R G 1 0 1 , 230; J W 1928, 1 2 1 5 ) . Über die Bedeutung einer längeren Unterbrechung der gewerblichen Tätigkeit R G 170, 265. Entscheidend ist für die Fortführung einer Firma eines gekauften Handelsgeschäfts, ob der Verkäufer die Fortführung gebilligt hat (HGB §§ 22, 24 Abs. 2, § 3 7 ; R G 1 1 4 , 90; 156, 366). Auch der Pächter eines gewerblichen Unternehmens darf den bisher gebrauchten Namen nicht ohne weiteres fortführen, wenn er das Unternehmen von dem Verpächter gekauft hat ( R G 1 7 1 , 67). Uber die Möglichkeit der Führung einer D o p p e l f i r m a R G Z A k D R 1937, 152.

Anm. 10 Die Genehmigung der Satzungen eines eingetragenen Vereins oder seiner Eintragung in das Vereinsregister bedeutet noch nicht die Genehmigung des Namens ( R G J W 3 1 , 1 9 1 9 ; B G H 8, 3 2 1 ) . Die Erteilung einer N a m e n s l i z e n z , die N a m e n s ü b e r l a s s u n g zu bestimmtem Gebrauch, begründet für denjenigen, dem sie erteilt wird, k e i n e i g e n e s Namensrecht mit der dinglichen Wirkung der Begründung des Aus-

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Natürliche Personen

§12

Anm. 11

schlußrechtes auch gegen Dritte (RG S e u f f A 53 Nr. 207), sondern nur ein s c h u l d r e c h t l i c h e s V e r h ä l t n i s zwischen Lizenzgeber und Lizenznehmer dahin, daß ersterer von seinem V e r b i e t u n g s r e c h t dem Nehmer gegenüber k e i n e n G e b r a u c h machen darf (RG 87, 1 4 7 ; J W I 9 2 7 , i i 7 1 8 ; i g n , 2 6 2 ) . Ein solcher Verzicht auf ein Verbietungsrecht, keine Übertragung des Namens selbst, die außer den besonderen Vorschriften unzulässig ist und eine Namensänderung bedeuten würde, kann auch darin liegen, daß jemand duldet, daß das in seinem Haushalt angenommene K i n d seinen Namen führt (RG I V 450/22 3 1 . 5. 23). Auch dieser Verzicht wirkt an sich nicht Dritten gegenüber. Die A b t r e t u n g d e s V e r b i e t u n g s r e c h t e s aus dem immateriellen Namensrecht ist unmöglich, aber zulässig ist die Ermächtigung eines Dritten, die Unterlassung der Störung für Rechnung des Namensträgers im eigenen Namen geltend zumachen ( R G 148, 147). Es kann aber gegen Treu und Glauben im Verkehr verstoßen, wenn trotz der gestatteten Namensführung durch einen Dritten, demjenigen gegenüber vom Namensberechtigten das Verbietungsrecht geltend gemacht wird, der sich im Vertrauen auf diese Gestattung nun auch seinerseits dieses Namens bedient. Denn der Name hat als Gemeinschaftserzeugnis Bedeutung als Unterscheidungsmittel nicht nur für den Namensträger selbst, sondern auch für die Gemeinschaftsgenossen. Wer daher einem andern gegenüber auf das Verbietungsrecht verzichtet, verzichtet damit in der Regel auch dem Gemeinschaftsgenossen gegenüber auf dieses Recht (RG J W 1927, 1 1 7 1 8 ) . Eine solche Benutzung kann gestattet werden zum Gebrauch als Künstlername, als Firma und Name für ein Geschäft, eine Anstalt, ein Pensionat, Gasthof, einen Verleih, eine Druckschrift, eine Ware, namentlich auch zu Propagandazwecken. Selbstverständlich betrifft der Verzicht nur eine Gebrauchsüberlassung n a c h d e m I n h a l t d e s U b e r l a s s u n g s v e r t r a g s . Der Namensträger ist nicht gehindert, sich mit der Verwendung seines Namens durch einen andern einverstanden zu erklären. Inwieweit er aber dies tun will, unterliegt seiner Entscheidung R G I I 138/37 12. 1. 38 (Ciro-Perlen). E r braucht sie z. B. nur einem Gastwirt zu gestatten, kann sie aber einem Warenhändler verbieten. Darin liegt kein Mißbrauch seines Namensrechts. Ein vertragswidriger Gebrauch wird durch ihn nicht gedeckt (RG J W 1 9 2 1 , 824 1 ).Hat der Namensberechtigte die unbeschränkte Verwertung der unter seinem Namen in Verkehr gebrachten Ware anderen überlassen („Liebigs Fleischextrakt"), so kann darin die Befugnis für ihn liegen, sich den Namen sogar als Warenzeichen eintragen zu lassen ( R G Warn. 1 9 1 1 , Nr. 2 2 1 ; R G J W 1900, 829). Damit erlangt dann der Inhaber des Warenzeichens ein eigenes Recht a u s d e m W a r e n z e i c h e n zur A b wehr gegen dessen Verleztung und dieses Recht steht dem Namensinhaber überhaupt nicht zu. Die Bewilligung zur Fortführung der F i r m a durch den früheren Firmeninhaber enthält im Zweifel auch die Ermächtigung, diese Firma für eine Zweigniederlassung zu gebrauchen, nicht aber die Ermächtigung, diese Zweigniederlassung als selbständiges Geschäft unter dieser Firma weiter zu veräußern ( R G J W 1908, 18 23 ). Dadurch, daß es für die F i r m a gesetzlich möglich ist, den in ihr steckenden Namen völlig selbständig gegen das Recht des Namensträgers der natürlichen Person zu stellen, kommt die Übertragung zur Benutzung als Firma der Übertragung als dingliches Recht allerdings so nahe, daß kaum noch ein Unterschied von bloßer schuldrechtlicher Überlassung besteht. Denn wie beim Warenzeichen tritt auch bei der Firma der Schutz dieser immateriellen Güter selbständig an die Stelle des Schutzes des Namens, der dem Lizenzgeber zusteht. In der Veräußerung des Geschäfts mit der Firma, die den Familiennamen enthält, ist noch nicht ohne weiteres ein Verzicht auf die Benutzung des Familiennamens zu eigener Firmenbildung zu finden.

Anm. 11 cc) Auch unbefugter Gebrauch des eigenen Namens ist möglich. Eine Sach-

firma entbehrt in der Regel des Schutzes, wenn sie aus Worten gebildet ist, die dem allgemeinen Sprachgebrauch entnommen und daher Allgemeingut sind, es sei denn, daß es ihr gelungen ist, durch die besondere Art der Verwendung oder aus sonstigen Gründen ihrem Namen Verkehrsgeltung und damit Unterscheidungskraft zu verschaffen (RG 163, 233). Andererseits darf durch die Art des Gebrauchs die K e n n z e i c h n u n g s k r a f t u n d U n t e r s c h e i d u n g s k r a f t d e s N a m e n s , sowohl für den eigenen als den gleichen Namen, den ein anderer berechtigt führt, nicht geschwächt oder verwässert ( B G H

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§11

Allgemeiner Teil. Personen

A n m . 12 15, 112) und eine V e r w e c h s e l u n g mit den bezeichneten Personen oder ihrer Beziehungen zu anderen Personen und Gegenständen ermöglicht, also der Zweck des Namensgebrauchs vereitelt werden. Deshalb müssen Inhaber gleichlautender Firmen sich durch unterscheidungskräftige Zusätze, Worte, nicht Bildzeichen voneinander abgrenzen ( B G H 14, 155). Die Verwechselungsgefahr kann im g e s c h ä f t l i c h e n V e r k e h r , besonders für den Wettbewerb, bestehen und dann fallen die Tatbestände des § 1 2 mit denen des W Z G § 20 und U W G § 16 zusammen ( R G 114, 90; 117, 219; L Z 1929, 921; J W 1926, 1434 2 ; 1929, 1223 M u W 1933, 513; G R U R 1935, 962). A u f eingetragene Vereine findet jedoch U W G § 16 keine Anwendung. Namen von Gaststätten, Theater, Kino u. dgl. haben aber kennzeichnende Kraft in der Regel nur für einen bestimmten Ort, ein zusammenhängendes Wirtschaftsgebiet ( R G 171, 32). Auch außerhalb eines geschäftlichen Verkehrs muß eine Verwechselungsgefahr vermieden werden, so im gesellschaftlichen Verkehr, auf künstlerischen und wissenschaftlichem Gebiete, überall wo ein berechtigtes Interesse des Namensträgers an der Kennzeichnung und Unterscheidung seiner Person von anderen besteht, namentlich auch für die familienrechtliche Stellung, die amtliche Stellung, staatliche Stellung, und den öffentlich-rechtlichen Verkehr. Das Interesse braucht kein vermögensrechtliches, kann auch ein ideelles sein ( R G 114, 93). Geringfügige Abweichungen heben die Verwechselungsfähigkeit nicht immer auf, es kommt hier auf die verkehrsüblich aufzuwendende Aufmerksamkeit an, vgl. auch W Z G § 20, H G B § 3a Abs. 2 R G 74, 114; J W 1929, 1203; Warn. 1930 Nr. 92; H R R 1930 Nr. 424. Eine Verwechselungsgefahr besteht dann auch, wenn zwei Personen den g l e i c h e n F a m i l i e n n a m e n führen und a n d e r e B e z e i c h n u n g e n von vornherein u n g e n ü g e n d e U n t e r s c h e i d u n g s k r a f t haben (sog. schwache Zeichen). Die hierdurch hervorgerufene Verwechselungsgefahr muß dann jeder tragen, der zur Namensführung berechtigt ist (§ 1004 Abs. 2; R G 170, 265). Werden gleich starke Interessen an der Vermeidung der Verwechselung verletzt, so muß diese Beeinträchtigung von beiden getragen werden, wobei jedem anheimgestellt bleibt, von sich aus freiwillig ein Unterscheidungsmerkmal bei der Namensführung zu gebrauchen. K a n n er dies, so kann er nicht vom anderen verlangen, daß er es tut. Erweist sich aber das Interesse des einen an der Vermeidung stärker als das Interesse des andern, so kann jener gegen diesen den Anspruch auf Hinzufügung von Unterscheidungszeichen geltend machen. Welcher Art diese dann sind, entscheidet sich nach den Bedürfnissen des Verkehrs, wobei die Interessen des Namensträgers zu berücksichtigen sind (RG J W 1911, 572; R G 171, 321; B G H BB 53, 399). Eine Bezeichnung, die nach staatlicher Regelung gerechtfertigt ist ( R G J W 1913, 1144 1 ), hat das stärkere Interesse an der Bezeichnung gegenüber einer anderen ähnlichen oder gleichen (JW 1931, 1919 32 ). Auch bei w e i t v e r b r e i t e t e n N a m e n können die Interessen an der Vermeidung von Verwechselungen verschieden sein ( R G J W 1912, 338). Bei Bewertung der Interessen an der Vermeidung der Verwechselung sind auch die Belange der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung einer Unterscheidung zu beachten, diese können darin bestehen, daß irgendwelcher Anschein vermieden wird, es bestehe eine Beziehung zu einer im Staatsleben bedeutsamen Persönlichkeit. Wird eine Name zum Gebrauch des unlauteren Wettbewerbs oder zu anderen gegen die guten Sitten verstoßenden Zwecke i n e i n e F i r m a a u f g e n o m m e n , so ist dieser Gebrauch des Namens in der eigenen Firma der Gebrauch des eigenen Namens. Aber der Zweck macht den Gebrauch unbefugt. So, wenn die eigene Firma mit einem Namen gebildet wird, dessen Träger nur als Strohmann in das Geschäft aufgenommen wird („Farina" O L G Hamburg M u W 1929, 350, B G H 4, 100), oder wenn der Name eines Mitinhabers des Geschäfts grundlos in einer Form zur Firmenbildung verwendet wird, die die Gefahr der Verwechselung bringt oder wenn jemand, der den gleichen Familiennamen trägt, wie die Firma eines bedeutenden Unternehmens (Krupp, Faber), ohne Unterscheidungsmittel anzuwenden, unter seinem Namen ein Geschäft gründet. Bei g l e i c h e n V e r e i n s n a m e n gilt dasselbe ( R G Warn. 1930 Nr. 36). Uber die Verwechselungsgefahr bei W a r e n z e i c h e n verhält sich § 20 W Z G .

A n m . 12 d d ) Unbefugt ist regelmäßig der Gebrauch eines f r e m d e n N a m e n s . Niemand braucht seinen Namen wider seinen Willen zur Benutzung an einen anderen herzugeben,

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Natürliche Personen

§12 A n m . 12, 13

wenn nicht besondere gesetzliche oder gewohnheitsrechtliche Vorschriften oder Vereinbarungen dies gestatten (RG 74, 3125114, 9 1 ; R G J W 1938,95s 1 ; vgl. Kunst UrhG § 13). Dies gilt sowohl für den Namen und den Namenszug natürlicher Personen, als juristischer Personen und Vereinsnamen, sofern der Name als Kennzeichnung dieser anerkannt ist, wie „Feuersozietät" (RG D J Z 1933, 1624); „Markenschutzverband" (RG G R U R 1932, 1052). Dies kann auch der Fall sein, wenn der Vereinsname einen wissenschaftlichen Gattungsbegriff enthält („Biochemiegemeinschaft" RG Warn. 1927, 11). Niemand darf sich als „Schüler" eines Anderen, als „Mitarbeiter" oder „Assistent" eines Anderen bezeichnen gegen dessen Willen, selbst wenn die Tatsache an sich wahr ist. Darin liegt zugleich eine Anpreisung seiner eigenen Leistungen auf Kosten des Rufs des Dritten, wozu dieser sich nicht herzugeben braucht. Denn sie kann auch seinen Ruf beeinträchtigen. Eine Ausnahme bildet jedoch die Namensbezeichnung von P e r s o n e n aus dem B e r e i c h e der Z e i t g e s c h i c h t e . Was für deren Bildnisse gilt (UrhG § 23 Nr. 1), muß auch für die Namensbelegung gelten. Der Name eines Dritten wird ferner häufig im Erwerbsleben und im gesellschaftlichen Leben benutzt, um auf seine eigenen Leistungen hinzuweisen, was durch ausdrückliche Namensnennung und unausgesprochene, aber erkennbare Bezugnahme geschehen kann. Dies braucht nicht in einer Weise zu geschehen, die die Leistungen des anderen Namensträgers herabsetzt und die eigenen als besser hinstellt, sie enthält aber immer eine Benutzung seiner bezeichneten Leistungen als V o r s p a n n der W e r b u n g für die eigenen Leistungen, auch dann, wenn nur durch den im Geschäftsleben bekannten Namen des Dritten die Aufmerksamkeit auf die eigene noch weniger bekannte Leistung gelenkt werden soll. Ein solcher Vorspann findet besonders dann statt, wenn jemand seine Leistungen mit denen eines anderen in Vergleich setzt. Eine solche Vergleichung braucht aber nicht stets unstatthaft zu sein. Sobald jemand in Wettbewerb mit einem anderen tritt, setzt er sich selbst in Vergleich mit ihm und, wenn rein objektiv dieser Zustand klargestellt wird, ist die bloße Nennung des Namens des anderen Wettbewerbers zulässig, sofern nicht darüber hinausgehende Zwecke verfolgt werden. Wird bei der Anpreisung der eigenen Leistung die Bezugnahme auf die ähnliche Leistung eines Dritten notwendig, weil sonst die Unterschiede und der Fortschritt namentlich in der Technik nicht klargestellt werden können, so muß der Gebrauch des Namens des Dritten gestattet sein. Nach Meinung des R G ist dies immer dann der Fall, wenn es sich um Vergleichungen von verschiedenen Systemen handelt. Auch dann aber kann in der Heranziehung des Systems zur Vergleichung die — mittelbare — Benutzung eines fremden Namens liegen, wenn der Namensträger der einzige oder doch im Geschäftsleben vornehmlich bekannte Vertreter dieses Systems ist. Dann enthält die Heranziehung des Systems auch die Heranziehung des Namens, und somit eine p e r s ö n l i c h e V e r g l e i c h u n g . Entscheidend ist, ob die Bezugnahme auf dieses System und die Vergleichung der nach ihm betätigten Leistungen n o t w e n d i g ist zur D a r s t e l l u n g der B e s c h a f f e n h e i t der e i g e n e n L e i s t u n gen und eines t e c h n i s c h e n F o r t s c h r i t t s . Gestattet ist selbstverständlich auch der Gebrauch des Namens eines Dritten zum Zwecke der A b w e h r der von diesem vorgenommenen Beeinträchtigungen. Uber diese ganze noch nicht einhellig beantwortete Frage RG 116, 277; 132, 296; 1 3 5 . 3 8 ; 143.366; 156, 1 ; J W 1932, 1339; 1933, 1722; 1937, 28442«; H R R 1937 Nr. 1402; RG MuW 1931, 624; 1934, 289; 1937, 416. IV. Verlust des N a m e n s . A n m . 13 Der Verlust des Personennamens ist anders als in den besonders gesetzlich geregelten Fällen sowohl durch V e r w i r k u n g als durch A u f g a b e des G e b r a u c h s ausgeschlossen, da er auf einem höchstpersönlichen unveräußerlichen Rechte beruht. Der ü b e r l a s s e n e G e b r a u c h zu einer besonderen Benutzung, wie als Firma, als Warenzeichen, kann durch Nichtgebrauch nur den Untergang an diesen besonderen Bezeichnungsmitteln herbeiführen, aber nicht das Recht am Namen desjenigen, der den Gebrauch überlassen hat. Dieser kann dann auch von neuem eine gleiche Gebrauchsüberlassung vornehmen (RG G R U R 1930, 103). 5

Komm. z. BGB, 1 1 . Aufl. I. Bd. (Denecke)

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§ 12 A n m . 14

Allgemeiner Teil. Personen

VerschG V. Ziel des N a m e n s s c h u t z e s . A n m . 14 Mit der Klage kann die Beseitigung der Beeinträchtigung (falls nicht etwa die Sache so liegt, daß das Bestreiten gar nicht ernsthaft gemeint sein konnte) und die Unterlassung weiterer Beeinträchtigung bei Wiederholungsgefahr gefordert werden. Nötigenfalls auch die der zuständigen Stelle gegenüber zu erklärende Einwilligung in die Ausübung des vom Kläger beanspruchten, von der Namensberechtigung abhängigen Rechtes. Die Voraussetzungen der Unterlassungsklage sind dieselben wie bei § 1004 (vgl. RG Warn. 1930 Nr. 48). — Zu der Beseitigung der Beeinträchtigung gehört, daß die rechtsverletzende Eintragung des Warenzeichens der Firma usw. gelöscht (RG 54, 42, G R U R 1927, 66), der auf dem Ladenschild angebrachte Name entfernt, die unrichtige Namensangabe in Ankündigungen berichtigt wird, daß im Falle des öffentlichen Bestreitens des Namenrechts eine öffentliche Anerkennungserklärung durch W i d e r r u f abgegeben wird u. dgl. Ist eine Fortsetzung des unbefugten Namensgebrauchs zu besorgen, so kann der Beklagte zur U n t e r l a s s u n g verurteilt werden, womit nach § 890 ZPO die Androhung von Haft- oder Geldstrafe und die Verurteilung zur Sicherheitsbestellung verbunden werden kann. Der Feststellungsklage des § 256 ZPO bedarf es hiernach zur Ergänzung des Namensschutzes nicht. Der Anspruch auf Unterlassung der Führung eines fremden Namens kann als ein höchstpersönliches Recht von dem Testamentsvollstrecker nicht geltend gemacht werden (RG SeuffA 67 Nr. 133), wohl aber von einem eingetragenen Familienverein (RG 109, 246; KG J W 1927, 25821 und den Familienangehörigen (s. Anm. 4). Die Abtretung des Unterlassungsanspruchs ist unzulässig, wohl aber kann die Ermächtigung erteilt werden, ihn im eignen Namen für den Namensinhaber geltend zu machen (RG 148, 147). Bei Eintragung des Handelsnamens hat der Registerrichter auf den Schutz dritter Personen von Amts wegen keine Rücksicht zu nehmen (RG 104, 343). Ein Anspruch auf Schadensersatz ist nach § 823 bei Verschulden des Gegners gegeben, da das Namensrecht ein objektives und subjektives Persönlichkeitsrecht, ein Recht i. S. des Abs. 1 ist (vgl. RG 95, 272 § 1 Vorb. 1). Das Rechtsschutzbedürfnis für die vorbeugende Unterlassungsklage ist nicht deshalb zu verneinen, weil die zu unterlassende Handlung mit Strafe bedroht ist (RG 115, 157; 151, 159; ZAkDR 1937, 502). Gegenüber Klagen aus § 12 ist ebenso wie auf dem Gebiete des Wettbewerbsrechts der Einwand der Verwirkung zulässig, wenn neben dem Zeitablauf noch besondere Umstände den Unterlassungsanspruch als gegen die guten Sitten verstoßend erscheinen lassen (RG 167, 184, 190). Die § § 13—20 sind durch § 46 des Gesetzes über die Verschollenheit, die Todeserklärung und die Feststellung der Todeszeit v. 8. 7. 1939 (RGBl. I S. 1186) aufgehoben. An ihre Stelle ist jetzt für das Bundesgebiet getreten das

Verschollenheitsgesetz Vom 15. Januar 1951 (BGBl. I S. 63) und vom 26. Juli 1957 (BGBl. I 861) Vorbemerkung Die Ungewißheit darüber, ob ein Mensch noch lebt oder gestorben ist, führt wegen der Rechtsbeziehungen, in denen der Mensch zu seiner Umgebung steht, zu einer erheblichen Störung des Rechtslebens. Nicht bloß für die Frage der Beerbung, sondern auch für die Entstehung und Beendigung anderer Rechte und Pflichten, wie der Versorgungsansprüche der Hinterbliebenen und von Versicherungsansprüchen, ist eine Klarstellung darüber, ob der Vermißte noch als lebend anzusehen ist, notwendig. Zuerst behalf man sich damit, eine abwesende Person, deren Tod nicht bekannt oder gewiß war, bis zum 100. Lebensjahre als lebend zu betrachten. Später setzte man bestimmte Fristen fest, nach deren Ablauf der Tod angenommen werden konnte, wenn während dieser Zeit keine Nachrichten über seinen Verbleib eingegangen waren, und ließ nach dieser Zeit eine förmliche Todeserklärung zu. Das BGB brachte hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen einer solchen Todeserklärung in den §§ 13—30 eine einheitliche Regelung, während das Verfahren in den §§ 960—976 ZPO nach Art eines Streitverfahrens 66

Verschollenheitsgesetz geregelt wurde. Nach Ablauf des ersten Weltkrieges ergingen für die Todeserklärung von Kriegsteilnehmern in dem Gesetz v. 26. 2. 1925 (RGBl. I 15) besondere Vorschriften über ein erleichtertes Aufgebot. Da sich auch im Hinblick auf den modernen Verkehr und die Fortschritte der Nachrichtenübermittlung die bisherigen Bestimmungen nicht mehr als zeitgemäß erwiesen, wurde das Verschollenheitsrecht durch das Gesetz v. 8. 7. 1939 (RGBl. I S. 1186) neu geregelt, insbesondere aus dem österreichischen Recht die Feststellung der Todeszeit übernommen und ein Verfahren nach der freiwilligen Gerichtsbarkeit eingeführt. Während des 2. Weltkrieges ergingen zur Erleichterung des Aufgebots wieder 2 Verordnungen (v. 17. 1. 1942 und 26. 1. 1943). Nach dem Kriege erwies sich im Hinblick auf die Frist des § 4 über das Ende des Kriegszustandes und für die rassisch-politisch Verfolgten Sonderregelungen notwendig, die gesondert und mit zum Teil verschiedenem Inhalt für die britische, amerikanische und russische Zone ergingen. Für das Bundesgebiet brachte das Gesetz v. 15. 1. 1951 eine Vereinheitlichung der Bestimmungen über die Verschollenheit und eine Sonderregelung für die Verschollenheitsfälle aus Anlaß des Krieges 1939—1945- Für Berlin gilt jetzt die Fassung v. 25. 2. 56 (GVB1. 195). Das Gesetz v. 26. 7. 57 brachte nur Änderungen der kostenrechtlichen Bestimmungen in Zusammenhang mit der Neuregelung des Kostenrechts. Für die russische Zone, der D D R und Ostberlin ist dagegen das alte Gesetz von 1939 mit den dazu ergangenen A V O v. 22. 2. 49 (ZVB1. 124) und v. 23. 7. 49 (ZVB1. 550) maßgebend. In materieller Hinsicht ist jedoch der Unterschied nicht erheblich, soweit es sich um die allgemeinen Grundsätze handelt, wesentlich anders ist nur die Sonderregelung der Verschollenheit aus Anlaß des letzten Krieges. Auch in den Verfahrensvorschriften weichen die Bestimmungen durch die besonderen Verhältnisse bedingt, mehr voneinander ab. Im Folgenden wird nur das Verschollenheitsrecht für das Bundesgebiet dargestellt und auf das Recht in der Sowjetzone bei den einzelnen Bestimmungen hingewiesen. Abschnitt I Voraussetzung der Todeserklärung, Lebens- und Todesvermutung § 1 (1) Verschollen ist, wessen Aufenthalt während längerer Zeit unbekannt ist, ohne d a ß Nachrichten darüber vorliegen, ob e r in dieser Zeit noch gelebt hat oder gestorben ist, sofern nach den Umständen hierdurch ernstliche Zweifel an seinem Fortleben begründet werden. (2) Verschollen ist nicht, wessen Tod nach den Umständen nicht zweifelhaft ist. Anm. 1 1. Der Begriff der Verschollenheit: Während das BGB keine Begriffsbestimmung der Verschollenheit gab, enthält § 1 eine bestimmte Umschreibung dieses Begriffes, und zwar im wesentlichen in dem bisher schon von Schrifttum und Rechtsprechung ausgebildeten Sinne. Dieser Begriff, der die Grundlage jeder Todeserklärung bildenden Verschollenheit ist, ist maßgebend nicht nur für die Bestimmungen des VerschG, sondern f ü r den g e s a m t e n B e r e i c h des B G B , was schon daraus folgt, daß die Bestimmungen der §§ 13—20 BGB durch die entsprechenden Bestimmungen des VerschG ersetzt werden. Soweit dagegen in Spezialgesetzen die Verschollenheitsfolgen geregelt sind, bleibt der dort vorausgesetzte Begriff der Verschollenheit maßgebend. Das gilt insbesondere für das Gebiet des öffentlichen Versicherungsrechts (vgl. z. B. § 1259 R V O , § 39 Abs. 3 RKnappschG i. d. F. v. 17.5. 34). Anm. 2 2. Die Voraussetzungen für die Verschollenheit: Die Verschollenheit setzt voraus: a ) Daß der A u f e n t h a l t eines Menschen den zuständigen Behörden, Verwandten und allen Personen, die mit ihm in Beziehung standen, u n b e k a n n t ist. Aufenthalt ist im natürlichen Sinne zu verstehen. Danach kann Verschollenheit auch vorliegen, ohne 67

Verschollenheitsgesetz daß ein Anhalt dafür gegeben ist, daß sich der Betreffende von dem letzten bekannten Aufenthaltsort entfernt hat (z. B. wenn jemand von einer Überschwemmung, einem Grubenunglück oder einem Großfeuer betroffen sein kann oder wenn er sich in der Großstadt ständig verborgen hält). Uber den Umfang der Glaubhaftmachung von Seiten des Antragsstellers vgl. § 18; b ) daß dies w ä h r e n d l ä n g e r e r Z e i t der Fall ist. Welcher Zeitraum genügt, richtet sich nach den Umständen des Falles. Bei einem Massenunglück wird ein kurzer Zeitraum genügen, bei Auswanderung des Verschollenen eine längere Zeit zu fordern sein; c ) daß k e i n e N a c h r i c h t e n darüber vorliegen, ob er in dieser Zeit, d. h. seit seinem Verschwinden, noch gelebt hat oder gestorben ist. Es genügt jede Nachricht, gleich welcher Art, von wem sie kommt und an wen sie gerichtet ist. Es ist nicht notwendig, daß sie gerade an dem letzten Wohnsitz oder Aufenthaltsort eintrifft. d ) daß nach den Umständen durch die Voraussetzungen zu a)—c) e r n s t l i c h e Z w e i f e l a n s e i n e m F o r t l e b e n begründet werden. Das ist schon dann der Fall, wenn nach den besonderen Begleitumständen das Weiterleben oder der Tod des Menschen gleichmäßig ungewiß sind. Wahrscheinlichkeit des Todes ist nicht Voraussetzung, sondern Folge der Verschollenheit. Auch daß von der abwesenden Person wegen der Gründe seiner Entfernung. (Verschleppung, Flucht vor Bestrafung, Trennung wegen Ehezwistigkeiten) keine Nachrichten zu erwarten sind, schließt die Todeserklärung nach einer von Fall zu Fall zu bemessenden Zeit nicht aus, wenn aus anderen Umständen ernste Zweifel an seinem Fortleben hergeleitet werden können ( B G H 3, 230). Ist die Lebensvermutung schon wegen hohen Lebensalters überhaupt ausgeschlossen, so bedarf es nicht noch einer Todeserklärung (vgl. Anm. 3).

Anm. 3 3. Zweifelsfreier Tod: Abs. 2 entscheidet eine alte Streitfrage: Ist der T o d eines Menschen nach den Umständen, z. B. wegen eines Alters über 120 Jahren oder zweifelsfreiem Umkommen bei einem Unglück (Großbrand, Explosion, Flugzeugabsturz), n i c h t z w e i f e l h a f t , so kann er n i c h t a l s v e r s c h o l l e n im Sinne des Abs. 1 gelten, und für eine Todeserklärung ist kein Raum. Wahrscheinlichkeit des Todes genügt nicht. Es müssen alle Zweifel ausgeschlossen sein, d. h. es darf auch keine entfernte Möglichkeit des Fortlebens bestehen. Ist in einem solchen Falle die Todeserklärung ausgeschlossen, kann aber der Tod nicht nachgewiesen werden, insbesondere weil keine Eintragung im Sterbebuch erfolgt ist, so ist für jeden Interessenten, der die Todeserklärung beantragen könnte, jetzt als Ersatz der Todeserklärung das b e s o n d e r e V e r f a h r e n d e r F e s t s t e l l u n g d e s T o d e s u n d d e s Z e i t p u n k t e s d e s T o d e s eröffnet (§§ 39—45). § 2

Ein Verschollener kann unter den Voraussetzungen der §§ 3 bis 7 im Aufgebotsverfahren f ü r tot erklärt werden. Anm. 1 Die Verschollenheit ist allgemeine Grundlage einer Todeserklärung. Diese ist aber erst zulässig, wenn die weiteren Tatbestände der §§ 3 — 7 vorliegen. Für den Regelfall des § 3 ist der A b l a u f e i n e r l a n g e n Z e i t , für die in §§ 4 — 7 behandelten besonderen Fälle, die voraussetzen, daß sich der Verschollene in einer den Tod wahrscheinlich machenden Gefahr befunden hat (Kriegs-, See-, Luft- und sonstige Gefahrverschollenheit), der A b l a u f e i n e r k ü r z e r e n Z e i t w e i t e r e V o r a u s s e t z u n g der Todeserklärung.

Anm. 2 Die Todeserklärung kann nur im A u f g e b o t s v e r f a h r e n , das jetzt in §§ 13—38 besonders geordnet ist, ausgesprochen werden. 68

Verschollenheitsgesetz Anm. 3 Die Bestellung eines Abwesenheitspflegers für den Verschollenen ist zulässig auch wenn dessen Entfernung von seinem Wohn- oder Aufenthaltsort nicht feststellbar ist. Vgl. hierüber Anm. i zu § 1911. § 3 (1) Die Todeserklärung ist zulässig, wenn seit dem Ende des Jahres, in dem der Verschollene nach den vorhandenen Nachrichten noch gelebt hat, zehn Jahre oder, wenn der Verschollene zur Zeit der Todeserklärung das achtzigste Lebensjahr vollendet hätte, fünf Jahre verstrichen sind. (2) Vor dem Ende des Jahres, in dem der Verschollene das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet hätte, darf er nach Abs. 1 nicht für tot erklärt werden. Anm. 1 § 3 behandelt den Regelfall der Verschollenheit im Gegensatz zu den Fällen der Gefahrverschollenheit der §§ 4—7. Maßgebend für den Beginn der zehnjährigen oder fünfjährigen Verschollenheitsfrist ist nicht der Zeitpunkt, in dem die Verschollenheit eintritt, sondern das Ende des Jahres, in dem der Verschollene noch gelebt hat. Wird im Laufe des Verfahrens bekannt, daß er noch zu einem späteren Zeitpunkt gelebt hat, als bisher angenommen ist, so ist die Frist nach diesem Zeitpunkt zu berechnen. Nicht erforderlich ist, daß der Verschollene vor Ablauf der fünfjährigen Frist das 80. Lebensjahr vollendet hat, es genügt vielmehr, daß er zur Zeit der Entscheidung das Alter nach § 187 II erreicht hat. Anm. 2 Im Falle des Abs. 2 ist neben dem Ablauf der zehnjährigen Verschollenheitsfrist weitere Voraussetzung, daß der Verschollene im Kalenderjahr vor der Todeserklärung das 25. Lebensjahr vollendet hatte. Die Vorschrift schützt also nicht mehr alle Minderjährigen, sondern geht von dem Lebensalter aus, von dem ab erfahrungsgemäß ein jugendlicher Verschollener „Verständnis für die Bedeutung seiner Verschollenheit erlangt haben und versuchen wird, seine früheren Beziehungen wieder aufzunehmen" (Amtl. Begr.). Anm. 3 Zu den nach § 18 g l a u b h a f t zu machenden T a t s a c h e n gehören der Ablauf der Verschollenheitsfrist, und soweit es darauf ankommt, das Lebensalter des Verschollenen. Es genügt, daß die Glaubhaftmachung zur Zeit der Todeserklärung nachgeholt ist; doch darf die Todeserklärung um diese Nachholung zu ermöglichen, nicht hinausgeschoben werden. Anm. 4 In der DDR sind die Fristen durch VO v. 15. 11. 51 (GBl. 1059 vgl. Anh. 3) auf 5 und 3 Jahre verkürzt. § 4 (1) Wer als Angehöriger einer bewaffneten Macht an einem Kriege, einem kriegsähnlichen Unternehmen teilgenommen hat, während dieser Zeit im Gefahrgebiet vermißt worden und seitdem verschollen ist, kann für tot erklärt werden, wenn seit dem Ende des Jahres, in dem der Friede geschlossen oder der Krieg oder das kriegsähnliche Unternehmen ohne Friedensschluß tatsächlich beendigt ist, ein J a h r verstrichen ist. (2) Ist der Verschollene unter Umständen vermißt, die eine hohe Wahrscheinlichkeit seines Todes begründen, so wird die im Abs. 1 bestimmte Jahresfrist von dem Zeitpunkt ab berechnet, in dem er vermißt worden ist. (3) Den Angehörigen einer bewaffneten Macht steht gleich, wer sich bei ihr aufgehalten hat. 69

Verschollenheitsgesetz

Anm. 1 1. A l l g e m e i n e s : § 4 gibt ebenso wie schon § 15 B G B allgemeine Regeln für die Kriegsverschollenheit, die freilich erfahrungsgemäß bei längeren Kriegen nicht ausreichen. Wie schon nach dem ersten Weltkrieg, haben sich auch nach dem zweiten solche als notwendig erwiesen, die für die einzelnen Besatzungszonen ergingen. Für das Bundesgebiet sind sie in dem Art. 2 des Ä n d G v. 15. 1. 51 zusammengefaßt, in denen die Verschollenheit aus Anlaß des Krieges 1 9 3 9 — 1 9 4 5 abschließend nicht bloß für die Angehörigen der bewaffneten Macht, sondern auch für Zivilpersonen und die politisch und rassisch Verfolgten geregelt ist. Für die Ostzone gelten dagegen die A V O v. 22. 2. u. 25. 7. 49 (siehe für beide den Anhang).

Anm. 2 2. Die Voraussetzungen der T o d e s e r k l ä r u n g bei Kriegsverschollenheit: Die Todeserklärung bei K r i e g s v e r s c h o l l e n h e i t setzt voraus: a ) Der Verschollene muß e i n e r b e w a f f n e t e n M a c h t a n g e h ö r t oder s i c h b e i i h r a u f g e h a l t e n haben. Als bewaffnete Macht sind nicht nur die von den völkerrechtlich anerkannten Staaten aufgestellten Heere anzusehen, sondern jede ähnlich organisierte Truppe mit festen Beständen (Landwehr, Volkssturm u. dgl.) sei es eines aufständischen Volkes oder zur Bekämpfung einer Besatzungsmacht, aber nicht lose, organisierte Banden oder Gruppen von Widerstandskämpfern. Für diese kommt nur § 7 oder § 3 in Frage. Außer den in einem Amts- oder Dienstverhältnis zur bewaffneten Macht Stehenden kommen alle Personen in Betracht, die sich im Einverständnis mit der bewaffneten Macht bei ihr aufgehalten haben, z. B. Marketender, Kriegsberichterstatter, Schlachtenmaler, zugelassene Militärpersonen fremder Staaten, freiwillige Krankenpfleger. Der Deserteur gehört aber nicht mehr zur bewaffneten Macht (h. M.) anders nach der A V O für die Ostzone v. 22. 4. 49, die solche Zugehörigkeit nicht fordert. b ) Die unter a) genannten Personen müssen a n e i n e m K r i e g e o d e r e i n e m k r i e g s ä h n l i c h e n U n t e r n e h m e n t e i l g e n o m m e n h a b e n . § 1 5 B G B sprach nur von Teilnehmern „ a n einem K r i e g e " . Der erweiternden Auslegung, die diese Vorschrift gefunden hat, trägt § 4 Rechnung, so daß auch innere Aufstände (wie z. B. die Räteherrschaft in Bayern) und Kolonialaufstände hierher gehören. — Der Begriff der Teilnahme erfordert eine aktive Betätigung, nicht aber notwendigerweise Teilnahme an einer Kampfhandlung. c) Der Teilnehmer muß w ä h r e n d d e r Z e i t d e s K r i e g e s usw. i m G e f a h r e n g e b i e t v e r m i ß t w o r d e n s e i n . Unter Vermißtsein ist nach dem allgemeinen Sprachgebrauch der Beginn der Verschollenheit zu verstehen, d. h. das Fehlen von Nachrichten über den Verbleib und das Leben eines Menschen. § 4 gebraucht aber diesen Begriff in einem besonderen militärtechnischen Sinne. Als vermißt gilt danach derjenige, der sich nicht mehr bei der Truppe befindet und über dessen Tod, Gefangenschaft oder sonstigen Verbleib bei dieser keinerlei Nachrichten vorliegen und der infolgedessen von den militärischen Stellen als vermißt geführt wird. Eine solche Vermißtenmeldung ist jedoch nicht unbedingt erforderlich, da infolge der Kampfhandlungen der betreffende Truppenteil völlig aufgelöst sein kann ( B G H N J W 5 1 , 38). Die Sondervorschriften für Verschollenheit im Kriege 1 9 3 9 — 1 9 4 5 gebrauchen den Begriff des Vermißtseins aber im allgemeinen Sprachsinn (vgl. B G H 3, 2 3 1 ) . G e f a h r e n g e b i e t ist nicht nur die eigentliche Kampfzone, sondern der gesamte Kriegsschauplatz nach den besonderen von Fall zu Fall zu beurteilenden Umständen. d ) Der Kriegsteilnehmer muß, nachdem er vermißt worden, v e r s c h o l l e n im Sinne des § 1 sein.

Anm. 3 3. Die Verschollenheitsfrist: a ) Nach der a l l g e m e i n e n Vorschrift des Abs. 1 beträgt sie e i n J a h r (während § 1 5 B G B eine dreijährige Frist vorsah). Handelt es sich um einen Krieg oder ein kriegs-

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Verschollenheitsgesetz ähnliches Unternehmen, so beginnt die Frist mit dem Ende des Jahres, in dem der Friede geschlossen ist. Kommt es zu keinem förmlichen Friedensschluß, so beginnt die Frist mit dem Ende des Jahres, in dem der Krieg oder das kriegsähnliche Unternehmen tatsächlich beendet worden ist. b) In dem b e s o n d e r e n Fall des Abs. 2, daß nämlich der Verschollene unter Umständen (Flugzeugabsturz über feindlichen Linien, Brand eines Panzers u. dgl.) vermißt wird, die eine hohe Wahrscheinlichkeit seines Todes begründen, läuft die Jahresfrist bereits vom Zeitpunkt des Vermißtseins (nicht erst vom Ende des betreffenden Jahres) ab. § 5 ( 1 ) W e r bei e i n e r F a h r t auf S e e , i n s b e s o n d e r e i n f o l g e U n t e r g a n g s des S c h i f f e s , v e r s c h o l l e n i s t , k a n n f ü r t o t e r k l ä r t w e r d e n , w e n n seit d e m U n t e r gang d e s S c h i f f e s o d e r d e m sonstigen die V e r s c h o l l e n h e i t b e g r ü n d e n d e n E r eignis s e c h s M o n a t e v e r s t r i c h e n s i n d . (2) Ist d e r U n t e r g a n g des S c h i f f e s , d e r die V e r s c h o l l e n h e i t b e g r ü n d e t h a b e n soll, n i c h t f e s t s t e l l b a r , so beginnt die F r i s t v o n sechs M o n a t e n ( A b s . 1) e r s t ein J a h r n a c h d e m letzten Z e i t p u n k t , zu d e m d a s S c h i f f n a c h den v o r h a n d e n e n N a c h r i c h t e n noch n i c h t u n t e r g e g a n g e n w a r ; d a s G e r i c h t k a n n diesen Z e i t r a u m v o n e i n e m J a h r b i s a u f d r e i M o n a t e v e r k ü r z e n , w e n n n a c h a n e r k a n n t e r seem ä n n i s c h e r E r f a h r u n g w e g e n d e r B e s c h a f f e n h e i t u n d A u s r ü s t u n g des S c h i f f e s , i m Hinblick auf die G e w ä s s e r , d u r c h w e l c h e die F a h r t f ü h r e n s o l l t e , o d e r a u s s o n s t i g e n G r ü n d e n a n z u n e h m e n i s t , d a ß d a s Schiff schon f r ü h e r u n t e r g e g a n g e n ist. Anm. 1 1. D e r B e g r i f f d e r S e e g e f a h r : Voraussetzung der Seegefahr ist, daß das Fahrzeug auf S e e sich befand und daß der Verschollene, dessen Verschollenheit seit Untergang des Fahrzeugs eingetreten sein muß, zur Zeit des Unterganges sich a u f d i e s e m F a h r z e u g , sei es auch als Reisender oder blinder Passagier a u f h i e l t . Es greift deshalb nicht § 5, sondern allenfalls § 7 Platz, wenn feststeht, daß das Fahrzeug sich nicht auf See, sondern auf einem Zufahrtsgewässer (Flusse) oder in einem Hafen befand, weil damit die Gefahrzone der See noch nicht erreicht ist. § 5 ist ferner nicht anwendbar, wenn der Verschollene nicht auf dem untergegangenen Fahrzeug, sondern auf einem a n d e r n Fahrzeug oder auf dem Lande war oder wenn über die Fortdauer seines Lebens noch nach dem Untergang des Fahrzeugs zuverlässige Nachricht vorhanden ist. Der Anwendbarkeit des § 5 steht nicht entgegen, daß der Verschollene zu seiner Rettung in das Rettungsboot des eigenen Schiffs gestiegen ist, in das Meer gesprungen und nach dem Untergang des Schiffs schwimmend gesehen worden ist (a. A. H o l d e r A 3 ; S t a u d i n g e r A 3b). Gleichgültig ist es, durch welche Ursachen, ob durch Wellengang, durch Brand, Explosion, Kentern, Strandung der Untergang des Schiffes herbeigeführt ist und ob die Umstände, auf die das Verschwinden des Verschollenen auf dem Schiff zurückzuführen sind, aufgeklärt sind. Steht nicht fest, daß dieses Verschwinden auf See geschah, so nur § 3 oder § 7 anwendbar. Anm. 2 2. Die V e r s c h o l l e n h e i t s f r i s t v o n 6 M o n a t e n : a) Die Frist beginnt mit dem Untergang des Schiffes oder dem sonstigen die Verschollenheit begründenden Ereignis, wozu jeder andere Unfall des Schiffes oder der auf ihm befindlichen Personen, der die Verschollenheit herbeigeführt hat, zu rechnen ist (Beispiele: Zusammenstöße, Kesselexplosionen, Brände, Strandungen). Auch das Uberbordgehen gehört hierher, gleichgültig ob dies Folge eines hohen Seegangs ist oder auf Unachtsamkeit oder auf Selbstmordabsichten zurückzuführen ist. Die Frist läuft in diesem Falle von dem Zeitpunkt ab, wo sein Verschwinden festgestellt wird. 71

Verschollenheitsgesetz b) Wenn der Untergang des Schiffes, der die Verschollenheit begründet haben soll, nicht feststellbar ist (sog. S c h i f f s v e r s c h o l l e n h e i t ) , beginnt die Frist erst ein Jahr nach dem letzten Zeitpunkt, zu dem das Schiff nach den vorhandenen Nachrichten noch nicht untergegangen war. Doch kann hier nach Abs. 2 Halbsatz 2 das Gericht die Verschollenheitsfrist bis auf 3 Monate verkürzen, wenn ein früherer Untergang des Schiffes unter bestimmten Gesichtspunkten wahrscheinlich ist. Anm. 3 Hängt die Seeverschollenheit mit den Ereignissen des letzten Krieges zusammen, so ist auch insoweit die Sonderregelung des Art. 2 ÄndG getreten. § 6 Wer bei einem Fluge, insbesondere infolge Zerstörung des Luftfahrzeugs, verschollen ist, kann für tot erklärt werden, wenn seit der Zerstörung des Luftfahrzeugs oder dem sonstigen die Verschollenheit begründenden Ereignis oder, wenn diese Ereignisse nicht feststellbar sind, seit dem letzten Zeitpunkt, zu dem der Verschollene nach den vorhandenen Nachrichten noch gelebt hat, drei Monate verstrichen sind. Anm. 1 1. Allgemeines: Das BGB kannte die sog. Luftverschollenheit als besondere Art der Gefahrverschollenheit noch nicht. Welche Vorschriften des BGB auf diesen Fall anwendbar seien, war streitig. Das VerschG bringt in § 6 die sach- und zeitmäßige Sonderregelung. Anm. 2 2. Der Begriff der Fluggefahr: Unter die Fluggefahr fällt jeder, der „bei einem Fluge, insbesondere infolge Zerstörung des Luftfahrzeugs", sei es in der Luft oder auf der Erde, verschollen ist. Es ist aber nicht notwendig, daß das Luftfahrzeug — durch Absturz oder bei einer Notlandung — zerstört worden ist. Auch der Fall gehört hierher, daß der verschollene Flugteilnehmer bei dem Fluge — etwa durch eigenen Absturz — verunglückt sein kann. Desgleichen der Fall, daß das Luftfahrzeug verschollen ist. Wird aber eine Notlandung des Flugzeuges in einem unwegsamen Gelände ohne Zerstörung festgestellt und werden Insassen vermißt, so ist nur § 7 anwendbar. Ist der Flugzeugabsturz beobachtet, ohne daß sich Insassen retten konnten, dann keine Todeserklärung, sondern Todesfeststellung nach § 38. Anm. 3 3. Die Verschollenheitsfrist: Die Frist beträgt wegen der großen Wahrscheinlichkeit des Todes des Verschollenen bei Luftverschollenheit nur 3 Monate. Sie beginnt: a) mit der Zerstörung des Luftfahrzeugs oder dem sonst die Verschollenheit begründenden Ereignis, sofern diese Ereignisse feststellbar sind; b) wenn diese Ereignisse nicht feststellbar sind, mit dem letzten Zeitpunkt, zu dem der Verschollene nach den vorhandenen Nachrichten noch gelebt hat. Das wird häufig der Tag sein, an dem das Flugzeug, in dem sich der Verschollene befunden hat, die Fahrt begonnen oder nach Zwischenlandung fortgesetzt oder die letzte Funknachricht gegeben hat. Anm. 4 Für Luftverschollenheit in den Jahren 1939—1945 gilt im Bundesgebiet die Sonderregelung des Art. 2 ÄndG.

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Verschollenheitsgesetz § 7 Wer unter anderen a l s d e n i n den § § 4 b i s 6 bezeichneten U m s t ä n d e n in eine Lebensgefahr g e k o m m e n und s e i t d e m verschollen i s t , kann für tot erklärt w e r d e n , w e n n seit d e m Zeitpunkt, in d e m die Lebensgefahr beendigt i s t oder ihr Ende nach den U m s t ä n d e n erwartet w e r d e n konnte, ein J a h r verstrichen ist. Anm. 1 1. D i e s o n s t i g e n Fälle der Gefahr v e r s c h o l l e n h e i t : Nachdem in den §§ 4—6 gewisse typische Fälle der Gefahrverschollenheit besonders geregelt sind, regelt die generelle Vorschrift des § 7 alle sonstigen Fälle der Gefahrverschollenheit. Voraussetzung ist lediglich, daß jemand, nachdem er u n t e r a n d e r e n als den in den §§ 4—6 b e z e i c h n e t e n U m s t ä n d e n in eine L e b e n s g e f a h r gekommen war, seitdem verschollen ist. Lebensgefahr liegt vor, wenn der Vermißte in eine Lage geraten war, durch die sein Leben in außergewöhnlichem Maße bedroht war, so daß nicht nur eine Möglichkeit, sondern eine Wahrscheinlichkeit besteht, daß er dieser Gefahr erlegen ist. Das die Lebensgefahr verursachende Ereignis braucht nicht ein Unfall (Eisenbahnunglück, Brand Explosion, Grubenunglück, Teilnahme an Kämpfen, für die § 4 nicht gilt) zu sein, sondern es kann auch ein länger anhaltender Zustand sein, der nach menschlichem Ermessen besondere Gefahr mit sich bringt, wie gefahrvolle Bergbesteigung, Entdeckungsreisen in unwegsamen Gebieten, aber nicht regelmäßige Berufsgefahren. Ob auch der Zustand der Schwermütigkeit mit häufig geäußerten Selbstmordabsichten darunter fällt, ist streitig (dafür S t a u d i n g e r § 17 A 3 L G Berlin N J 50 S. 217). Aber § 7 wird schon im Hinblick auf die Feststellung des Todeszeitpunktes (§ 9 I l l d ) nur unter ganz besonderen Umständen anwendbar sein, ebenso auch bei Kriegsgefangenschaft, politischer Verfolgung und Verschleppung, soweit nicht die Sonderregelung des Art. 2 eingreift. Anm. 2 2. Die V e r s c h o l l e n h e i t s f r i s t : Abweichend von der entsprechenden Vorschrift in § 17 BGB ist die Verschollenheitsfrist auf nur ein J a h r bemessen. Sie beginnt: a) mit dem feststellbaren Zeitpunkt der Beendigung der Lebensgefahr oder, b) wenn dieser Zeitpunkt nicht feststellbar ist, mit dem Zeitpunkt, in dem ihr Ende nach den Umständen erwartet werden konnte. Feststellbarkeit der Beendigung der Lebensgefahr liegt vor, wenn diese in einem bestimmten abgeschlossenen Ereignis (z. B. Eisenbahnunglück, Großfeuer, Bergwerksunglück, Explosion, Erdbeben, Hochwasserkatastrophe, Bergrutsch, Lawinenunglück) bestanden hat, bei Gefahrzuständen, wenn die äußeren, lebensgefährlichen Umstände beendet sind (OLG Köln NJW 50, 753). Ungewiß wird die Beendigung der Lebensgefahr z. B. bei Polarexpeditionen und anderen gefährlichen Forschungsreisen sein. Anm. 3 3. Konkurrenz zu § § 4 — 6: Treffen die Voraussetzungen eines der §§ 4—6 mit denen des § 7 zusammen, so geht die in Betracht kommende Sondervorschrift vor. Die allgemeine Vorschrift des § 7 findet schon dann Anwendung, wenn die Anwendbarkeit einer Sondervorschrift zweifelhaft ist. Uber Konkurrenz der Sondervorschriften der §§ 4—6 verhält sich § 8. § 8 Liegen bei e i n e m Verschollenen die V o r a u s s e t z u n g e n s o w o h l d e s § 4 a l s auch der § § 5 oder 6 vor, so ist n u r der § 4 a n z u w e n d e n . Anm. 1 Die Kriegsverschollenheit kann mit der See- oder Luftverschollenheit konkurrieren, nämlich wenn ein Kriegsteilnehmer (§ 4 Abs. 1 und 3) „bei einer Fahrt zur See" 73

Verschollenheitsgesetz oder „bei einem Fluge" verschollen ist. In Übereinstimmung mit der schon früher herrschenden Meinung bestimmt § 8, daß nur die Vorschriften über die Kriegsverschollenheit anzuwenden sind, da nur diese den besonderen Kriegsverhältnissen Rechnung tragen. Auch die Sonderregelung für 1939—1945 schließt die Anwendung der §§ 4—8 für das Bundesgebiet aus gleichen Gründen aus. Ähnlich für die Ostzone die V O v. 22. 4. 49 (s. Anh.), die auf alle verschollenen Kriegsteilnehmer, einschließlich der Zivilpersonen ohne Rücksicht darauf, ob sie sich im Gefahrengebiet aufgehalten haben, anwendbar ist. Anm. 2 Denkbar ist auch eine Konkurrenz zwischen dem Tatbestand der allgemeinen Verschollenheit (§ 3) und den besonderen Tatbeständen des §§ 4—7. Die Möglichkeit dieser Konkurrenz ist aber praktisch stark durch die erheblich größere Länge der bei der allgemeinen Verschollenheit einzuhaltenden Fristen eingeschränkt. Sie wird wohl nur eintreten, wenn die Todeserklärung auf Grund eines besonderen Verschollenheitstatbestandes ungewöhnlich lange hinausgezögert worden ist (Amtl. Begr. A 2). Bei einer solchen Konkurrenz haben die Beteiligten die Wahl, auf Grund welcher der in Betracht kommenden Bestimmungen sie die Todeserklärung betreiben sollen. § 9 (1) Die T o d e s e r k l ä r u n g begründet die V e r m u t u n g , daß der Verschollene in d e m i m B e s c h l u ß festgestellten Zeitpunkt g e s t o r b e n ist. D i e s gilt auch, w e n n vor der T o d e s e r k l ä r u n g ein anderer Zeitpunkt i m Sterbebuch eingetragen ist. (2) A l s Zeitpunkt des T o d e s i s t der Zeitpunkt festzustellen, der n a c h d e m E r g e b n i s der E r m i t t l u n g e n der w a h r s c h e i n l i c h s t e ist. (3) Läßt sich ein solcher Zeitpunkt nicht angeben, s o i s t a l s Zeitpunkt d e s Todes festzustellen: a) in den Fällen des § 3 das Ende des fünften J a h r e s oder, w e n n der Verschollene das achtzigste Lebensjahr vollendet hätte, des dritten J a h r e s nach d e m letzten J a h r e , in d e m der Verschollene den vorhandenen N a c h r i c h t e n zufolge n o c h gelebt h a t ; b) i n den Fällen des § 4 der Zeitpunkt, i n d e m der Verschollene v e r m i ß t worden ist; c) i n den Fällen der § § 5 und 6 der Zeitpunkt, in d e m das Schiff unterg e g a n g e n , d a s Luftfahrzeug zerstört oder d a s sonstige die Verschollenheit begründende Ereignis eingetreten oder — falls dies nicht feststellbar i s t — der Verschollene zuerst v e r m i ß t w o r d e n i s t ; d) in den Fällen des § 7 der B e g i n n der Lebensgefahr. (4) I s t die T o d e s z e i t nur d e m T a g e n a c h festgestellt, s o gilt das Ende des T a g e s a l s Zeitpunkt d e s T o d e s . Übersicht 1. 2. 3. 4. 5.

Die Wirkung der Todeserklärung Die Todeserklärung nach Eintrag des Todes im Sterbebuch Die Feststellung des Zeitpunktes des Todes Kein Eintrag im Sterbebuch Sonderregelung des Abs. 4 •

Anm.

1 2 3 4 5

Anm. 1 1. D i e W i r k u n g der T o d e s e r k l ä r u n g : Die Todeserklärung begründet regelmäßig nur eine V e r m u t u n g des T o d e s zu dem festgestellten Zeitpunkt, die durch Gegenbeweis widerlegt werden kann (§ 292 ZPO; RG J W 1910, 104 1 ). Diese Vermutung ist absolut und wirkt für und gegen alle ( K G J 46, 1 5 1 ; NJW 54, 1602). Wer entgegen dieser Vermutung Fortdauer des Lebens behauptet und daraus Rechte herleitet, muß diese Fortdauer beweisen. (RG 93, 108). Aus74

Verschollenheitsgesetz nahmsweise kommt der Todeserklärung auf dem Gebiete des F a m i l i e n r e c h t s verschiedentlich eine rechtsgestaltende Wirkung zu. Sie hat zwar nicht ohne weiteres die Auflösung der Ehe zur Folge; hinsichtlich der persönlichen und vermögensrechtlichen Befugnisse und Verpflichtungen des anderen Ehegatten greift nur die Todesvermutung ein, die nach der festgestellten Todeszeit empfangenen Kinder gelten aber als unehelich (RG 60, 696). Sobald sich der andere Ehegatte wieder verheiratet, wird hierdurch die frühere Ehe aufgelöst, sofern nicht beide Ehegatten der neuen Ehe das Fortleben des für tot Erklärten gekannt haben (§ 38 EheG). Die fortgesetzte Gütergemeinschaft, und die elterliche Gewalt (nicht aber die allgemeine Gütergemeinschaft) läßt das Gesetz zur Vermeidung von Verwicklungen mit der Todeserklärung, genauer dem in der Todeserklärung festgesetzten Zeitpunkt des Todes, endigen (§§ 1494, 1677). Das Amt des Vormundes, Gegenvormundes, Pflegers, Beistandes oder Mitgliedes eines Familienrats wird durch die Todeserklärung des Amtsinhabers endgültig beendet, ohne daß der irrtümlich für tot Erklärte ein Recht darauf hat, das Amt von neuem übertragen zu erhalten (§§ 1884 Abs. 2, 1885 Abs. 2, 1878, 1895, 1915, 1694, 1878). Auch die Vormundschaft endet mit der Todeserklärung des Mündels, was selbstverständlich der Wiedereinleitung der Vormundschaft, falls sich das Fortleben des Mündels herausstellt, nicht entgegensteht. Im übrigen kann der i r r t ü m l i c h f ü r tot E r k l ä r t e nach § 2031 die Herausgabe seines Vermögens nach den für den Erbschaftsanspruch geltenden Vorschriften mit den in § 2370 zugunsten des redlichen Dritten bestimmten Beschränkungen verlangen. Ein Gesellschaftsverhältnis bleibt, wenn inzwischen die Auseinandersetzung stattgefunden hat, aufgelöst; dem Tode des Gesellschafters (§ 727) steht seine Todeserklärung gleich. Ist die zur Erhebung der Beschwerde vorgeschriebene Monatsfrist versäumt, so bleibt den Beteiligten nur übrig, den Beweis der Unrichtigkeit der Todeserklärung in den zu führenden einzelnen Rechtsstreitigkeiten zu erbringen. Nach § 2370 kommt der Todeserklärung, was die Richtigkeit der Tatsache des Todes betrifft, für die Legitimation des Erben die gleiche Bedeutung wie dem Erbschein zu. Daß im ü b r i g e n dem Dritten, der auf die Todeserklärung vertraut, die allgemeinen Vorschriften über den Schutz des redlichen Dritten zugute kommen, ist nicht anzuerkennen (RG 60, 199, E n n e c e r u s - N i p p e r d e y § 87 Anm. 16). — Im P r o z e ß kann der Tod einer verschollenen Person auf jede zulässige Art bewiesen werden; die Todeserklärung oder die Vorlegung einer Sterbeurkunde ist nicht erforderlich. Es gilt insoweit der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO, jedoch beschränkt durch die gesetzliche Vermutung des Todes oder des Fortlebens gemäß §§9, 10 (RG 6. 12. 24 V 120/24, vgl. RGSt. 57, 278). Für die Sozialversicherung vgl. §§ 1259, 1260 R V O , §28 AngestVG; für Beamte § 106 DBG; für Versicherungsansprüche S c h m i d t M D R 1950, 17; für Rückerstattung A r n o l d M D R 1950, 76. Anm. 2 2. die Todeserklärung nach Eintrag des Todes i m Sterbebuch: Die Vermutung über den Tod des Verschollenen zu dem im Beschluß festgestellten Zeitpunkt gilt auch dann, wenn im Sterbebuch schon vorher ein anderer Zeitpunkt eingetragen war. Mit dieser neuen Bestimmung soll dem Ehegatten einer Verschollenen, der wieder heiraten will, aber Zweifel hat, ob die Todesbezeichnung richtig war, die Möglichkeit gegeben werden, den Bestand seiner neuen Ehe zu sichern, da nur die Todeserklärung oder die Feststellung des Zeitpunkts des Todes die alte Ehe zur Auflösung bringt (§ 38 EheG Art. 3 § 1 ÄndG). Nach §§ 22 a, 39 hat in einem solchen Aufgebotsverfahren die standesamtliche Beurkundung keine Beweiskraft. Diese Bestimmung gilt nicht in der Ostzone. Anm. 3 3. Die Feststellung des Zeitpunktes des Todes: Die erforderlichen Ermittelungen sind jetzt nach § 12 F G G anzustellen. Über Ermittlungen des Staatsanwalts vgl. die in A V O v. 1 1 . 7. 39 DJ 1939, 1206. Erst wenn die Ermittlungen kein anderes Ergebnis haben, greift die Regel des Abs. 3 unter a) bis d) ein. Ergeben jene Ermittlungen die Gewißheit des Todes des bisher Ver75

Verschollenheitsgesetz schollenen, so ist nur der Zeitpunkt des Todes gemäß § 39 festzustellen (§ 45). Die Feststellung des Todeszeitpunktes kann gemäß § 33 a im Bundesgebiet — nicht in der Ostzone — selbständig von jedem, der ein rechtliches Interesse an der anderweitigen Feststellung hat, angefochten werden, wenn er sie im Aufgebotsverfahren nicht hatte geltend machen können. Anm. 4 4. Kein Eintrag im Sterbebuch: Wie früher in das Sterberegister, so kann jetzt in das Sterbebuch die Todeserklärung nicht eingetragen werden, weil sie nur eine Vermutung des Todes begründet, nicht den Tod mit Sicherheit feststellt. Jedoch ist die Todeserklärung wie die Feststellung des Todes im Familienbuch sowie in dem vom Standesamt I Berlin West zu führenden Buch für Todeserklärungen einzutragen (§§ 14,40 PStG, §§31, 33AVO). Uber die Eintragung eines Vermerks über die Todeserklärung am Rande des Heiratseintrags vgl. § 1 2 n. PStG und §§35, 36 d. i . A V O . Anm. 5 5. Sonderregelung des Abs. 4: Bei Abs. 4 handelt es sich hier um eine Fiktion im Rahmen der Vermutung des Abs. 1. Als Zeitpunkt des Todes kann aber nicht nur das Ende eines bestimmten Tages, sondern auch das Ende einer längeren Zeitdauer festgestellt werden, (BGH 9, 135). § 10 Solange ein Verschollener nicht für tot erklärt ist, wird vermutet, daß er bis zu dem im § 9 Abs. 3, 4 genannten Zeitpunkt weiter lebt oder gelebt hat. Der Tod eines Menschen braucht nur dann nicht nachgewiesen zu werden, wenn seit seiner Geburt soviel Jahre vergangen sind, daß er nach allen Erfahrungen nicht mehr leben kann, d. h. nach etwa 110 Jahren. Sonst besteht eine allgemeine Vermutung weder für das Leben noch für den Tod eines Menschen (RG 93, 110). Wer aus dem Fortleben oder dem Tod Rechte herleiten will, hat dies schlüssig zu beweisen. Da dies aber vielfach wegen Fehlens bestimmter Nachrichten nicht möglich ist, das praktische Leben aber eine Klärung dieser Ungewißheit verlangt, stellt § 10 wenigstens eine Vermutung dahin auf, daß ein Vermißter, selbst wenn ernstliche Zweifel an sein Fortleben bestehen, er also verschollen i. S. des § 1 ist, noch eine gewisse Zeit gelebt hat und setzt als Zeitpunkt dafür bei der allgemeinen Verschollenheit die Hälfte der Verschollenheitsfrist, bei den anderen Verschollenheitsfällen den Eintritt des die Verschollenheit auslösenden Ereignisses oder seines Vermißtwerdens (§ 9 III, IV). Nach Ablauf dieser Frist bleibt allerdings wieder eine nur durch schlüssigen Beweis zu beseitigende Ungewißheit bis zur Todeserklärung, die dann die Todesvermutung begründet, sei es in den für den einzelnen Fall nach der größten Wahrscheinlichkeit festzustellenden Zeitpunkt oder in dem Zeitpunkt, bis zu der die Lebensvermutung reichte. Ebenso wie die Todesvermutung ist auch die Lebensvermutung widerlegbar. Derjenige, der sich auf ein Weiterleben, auf einen späteren oder früheren tatsächlichen oder vermuteten Tod (§ 3 Abs. 1 Halbsatz 2, §§ 4—8 oder die Kriegsverschollenheitssondervorschriften) beruft, hat dieses zu beweisen. § 11 Kann nicht bewiesen werden, daß von mehreren gestorbenen oder für tot erklärten Menschen der eine den anderen überlebt hat, so wird vermutet, daß sie gleichzeitig gestorben sind. Anm. 1 Die Vermutung des gleichzeitigen Todes des § 20 BGB, die sich dem Wortlaut nach auf den Fall beschränkte, daß mehrere in einer gemeinsamen Gefahr 76

Verschollenheitsgesetz umgekommen sind, hat in § 1 1 eine Ausdehnung nach zwei Richtungen erfahren. Die Vermutung des gleichzeitigen Todes greift jetzt überall dann Platz, wenn nicht bewiesen werden kann, daß von mehreren gestorbenen Menschen der eine den andern überlebt hat, d. h. es ist nicht mehr erforderlich, daß der Tod auf eine gemeinsame Gefahr zurückzuführen ist. Ferner umfaßt die Vorschrift auch den Fall des Todeserklärung. Der Hauptanwendungsfall ist der, daß wohl der T o d mehrerer Personen feststeht, aber das zeitliche Verhältnis der Todesfälle nicht festgestellt werden kann (Beispiel: Mann, F r a u und Kinder werden zugleich tot aufgefunden, wobei es nicht darauf ankommt, ob sie gemeinsam in den T o d gegangen oder etwa verunglückt sind). Nicht erforderlich ist, daß die Todeszeit aller in Betracht kommenden Personen ungewiß ist. Nicht hierher gehört der Fall, daß es sich lediglich um mehrere für tot erklärte Personen handelt. Die Vermutung des § 9 Abs. 1 geht der des § 1 1 vor, und die in den einzelnen Todeserklärungsbeschlüssen festgestellten Zeitpunkte bleiben maßgebend (h. M . ) . Unanwendbar ist § 1 1 ferner, wenn der Zeitpunkt des Todes einer Person feststeht und der Zeitpunkt des Todes der anderen Person in der Todeserklärung auf einen anderen Zeitpunkt festgestellt ist, weil es dann an der Voraussetzung fehlt, daß nicht bewiesen werden kann, daß einer den anderen überlebt hat (a. M . K G N J W 1954,1663). Dagegen kann die Vermutung des § 1 1 in Betracht kommen, wenn nur der Todestag, nicht der nähere Zeitpunkt des Todes des einen feststeht und dieser T a g zusammenfällt mit dem Tage, der in der Todeserklärung des anderen als Todeszeitpunkt festgestellt ist (Fall des § 9 Abs. 4). Ferner können die Voraussetzungen des § 1 1 gegeben sein, wenn eine Todesvermutung durch den Nachweis entkräftet wird, daß der für tot Erklärte in einem zwar ungewissen, aber jedenfalls früheren als dem in der Todeserklärung festgestellten Zeitpunkt gestorben ist. Allgemein will die Regelung des § 1 1 (nach der a m t l . B e g r . A 3) „ a u c h Anwendung finden, wenn der Zeitpunkt des Todes einer beteiligten Person tatsächlich oder auf Grund einer durch eine Todeserklärung begründeten Vermutung feststeht, der Zeitpunkt des Todes einer anderen Person aber nicht feststellbar ist und für ihn auch keine Vermutung besteht".

Anm. 2 Die Rechtsvermutung des § 11 erstreckt sich lediglich auf die Gleichzeitig-

k e i t d e s T o d e s und ist ohne Bedeutung für die Frage des eigentlichen Todeszeitpunktes, der, sofern es in einem Rechtsstreit darauf ankommt, vom Behauptenden bewiesen werden muß. Die Vermutung ist (wie die der §§ 9 und 10) widerlegbar.

A b s c h n i t t II

Zwischenstaatliches Recht § 12

(1) Ein Verschollener kann im Inland nach diesem Gesetz für tot erklärt werden, wenn er in dem letzten Zeitpunkt, in dem er nach den vorhandenen Nachrichten noch gelebt hat, deutscher Staatsangehöriger w a r . (2) War der Verschollene in dem nach Abs. 1 maßgebenden Zeitpunkt Angehöriger eines fremden Staates, so kann er im Inland nach diesem Gesetz mit Wirkung für die Rechtsverhältnisse, welche nach deutschem Recht zu beurteilen sind, und mit Wirkung f ü r das im Inland befindliche Vermögen für tot erklärt werden; ein Gegenstand, f ü r den von einer deutschen Behörde ein zur Eintragung des Berechtigten bestimmtes Buch oder Register geführt wird, sowie ein Anspruch, für dessen Geltendmachung ein deutsches Gericht zuständig ist, gilt als im Inland befindlich. (3) War der Verschollene in dem nach Abs. 1 maßgebenden Zeitpunkt Angehöriger eines fremden Staates oder staatenlos, so kann er ohne die im

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Verschollenheitsgesetz Abs. 2 genannte Beschränkung i m Inland auf Antrag seines Ehegatten für tot e r k ä r t werden, wenn dieser i m Inland seinen Wohnsitz hat und deutscher Staatsangehöriger ist oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit i m Inlande Aufnahme gefunden hat. Das gleiche gilt, wenn die Ehefrau bis zu ihrer Verheiratung m i t diesem deutsche Staatsangehörige w a r und i m Inland ihren Wohnsitz hat. (4) W a r der Verschollene früher deutscher Staatsangehöriger und hat er die deutsche Staatsangehörigkeit verloren, ohne eine andere Staatsangehörigkeit zu erwerben, so kann er i m Inlande für tot erklärt werden, wenn ein berechtigtes Interesse an der Todeserklärung durch ein deutsches Gericht besteht. Anm. I § 12 gibt nur eine einseitige Kollisionsnorm, indem er bestimmt, wann eine Todeserklärung von einem deutschen Gericht nach inländischem Recht ausgesprochen werden kann. Es läßt dabei, wie für die Rechtsfähigkeit, das Heimatrecht entscheidend sein, und zwar dasjenige, welchem der Verschollene in dem letzten Zeitpunkt unterstand, in dem er nach den vorhandenen Nachrichten noch gelebt hatte. Unerheblich ist also, ob seine Staatsangehörigkeit, falls er noch länger gelebt hätte, infolge Gebietsänderungen sich geändert haben würde oder Zweifel über seine spätere Staatsangehörigkeit bestehen. Anm. 2 Von der Voraussetzung, daß der Verschollene in diesem Zeitpunkte deutscher S t a a t s a n g e h ö r i g e r war, macht das Gesetz im Interesse der deutschen Rechtsordnung mehrere Ausnahmen; einmal mit beschränkter Wirkung für die nach deutschem Recht — sei es auch nur auf Grund Vereinbarung — zu beurteilenden Rechtsverhältnisse und das im Inlande befindliche Vermögen, sei es, daß die Gegenstände sich tatsächlich im Inlande befinden oder über sie nur durch Eintrag in ein Buch (Grundbuch, Schiffsregister, Staatsschuldbuch, also nicht Handelsregister und Güterrechtsregister) verfügt werden kann, und schließlich für Ansprüche, für dessen Geltendmachung ein deutsches Gericht zuständig ist. Ohne solche beschränkte Wirkung ist nach Absatz 3 auch die Todeserklärung eines Ausländers und Staatenlosen zulässig auf Antrag eines Ehegatten, der die deutsche Staatsangehörigkeit hat oder nach GG Art. 116 I GG dem gleich steht (Flüchtlinge und Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit, die im Inlande ihren Wohnsitz haben) oder einer deutschen Frau eines verschollenen Ausländers. Diese Ausnahmen sollen im wesentlichen dem zurückgebliebenen Ehegatten die Wiederverheiratung ermöglichen. Schließlich ist durch eine neueingefügte Bestimmung auch bei berechtigtem Intersse die Todeserklärung eines früheren deutschen Staatsangehörigen möglich, der jetzt staatenlos ist und deshalb für tot erklärt werden könnte. Nicht erforderlich ist, daß der Verschollene seinen Wohnsitz im Inlande hatte oder der Antragsteller jetzt hat. Anm. 3 Todeserklärung eines Deutschen i m Auslande sind von den deutschen Gerichten nicht anzuerkennen, auch nicht etwa hinsichtlich des im Ausland befindlichen Vermögens und der dortigen Rechtsverhältnisse. Dagegen sind die Todeserklärungen von Ausländern nach ihrem Heimatrecht anzuerkennen. Soweit sie mit Todeserklärung nach Abs. 2 u. 3 zusammentreffen, gehen im Inlande die deutschen Todeserklärungen und die daraus folgenden Wirkungen vor. 4. Die Ausdehnung der Todeserklärung gemäß Abs. 3 auf Frauen, gemäß Abs. 4 auf Flüchtlinge, Vertriebene und auf Staatenlose gilt nicht in der Sowjetzone. 5. Über das internationale Übereinkommen über die Todeserklärung Verschollener vgl. Bülck NJW 1951, 747. Schrenich NJW 52, 290. 78

Verschollenheitsgesetz Abschnitt III

Verfahren bei Todeserklärungen § 13 (1) Das Aufgebotsverfahren nach § 2 ist eine Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit. (2) Es gelten dafür die besonderen Vorschriften der § § 1 4 bis 38. § 14 Für das Aufgebotsverfahren sind die Amtsgerichte sachlich zuständig. § 15 (1) örtlich zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk der Verschollene seinen letzten inländischen Wohnsitz oder in Ermangelung eines inländischen Wohnsitzes seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt i m Inlande gehabt hat. (2) Ist die Verschollenheit durch den Untergang eines in einem deutschen Schiffsregister eingetragenen Schiffes begründet, so ist an Stelle des i m Abs. 1 genannten Gerichts das Gericht des Heimathafens oder Heimatortes oder Hauptliegehafens zuständig. Dieses Gericht kann jedoch die Sache aus wichtigem Grunde an ein anderes Gericht abgeben. § 15a (1) Ist ein Gerichtsstand nach § 15 nicht begründet oder wird am Sitze des nach§ 15 zuständigen Gerichts eine deutsche Gerichtsbarkeit nicht mehr ausgeübt, so ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der erste Antragsteller seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines Wohnsitzes i m Geltungsbereich dieses Gesetzes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. (2) Ein Gericht soll auf Grund des Abs. 1 nur tätig werden, wenn es dem Amtsgericht Berlin-Schöneberg seine Absicht angezeigt hat, ein Verfahren nach diesem Gesetz durchzuführen, und das Amtsgericht Berlin-Schöneberg bestätigt, daß eine frühere Anzeige gleichen Inhalts von einem anderen Gericht bei ihm nicht eingegangen ist. § 15b Ist ein Gerichtsstand nach §§ 15, 15a nicht begründet, so ist das Amtsgericht Berlin-Schöneberg zuständig. Dieses Gericht kann die Sache aus wichtigem Grunde an ein anderes Gericht abgeben. § 15c Gibt ein Gericht auf Grund der Vorschriften dieses Gesetzes oder ein außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes bestehendes Gericht auf Grund der dort geltenden Vorschriften eine Sache an ein anderes ab, so ist die Abgabeverfügung für das andere Gericht bindend. § 15d Ist anzunehmen, daß mehrere Personen infolge desselben Ereignisses verschollen sind, so kann der Bundesminister der Justiz das für alle Todeserklärungen zuständige Gericht bestimmen. Ist der Antrag bei einem hiernach nicht zuständigen Gericht gestellt, so ist er an das zuständige Gericht abzugeben. 79

Verschollenheitsgesetz

§ 16 (1) Das Aufgebotsverfahren wird nur auf Antrag eingeleitet. (2) Den Antrag können stellen: a) der Staatsanwalt; b) der gesetzliche Vertreter des Verschollenen; c) der Ehegatte, die ehelichen und die ihnen rechtlich gleichgestellten Abkömmlinge und die Eltern des Verschollenen sowie jeder andere, der ein rechtliches Interesse an der Todeserklärung hat. (3) Der gesetzliche Vertreter kann den Antrag nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts stellen. (4) Im Falle des § 12 Abs. 3 kann nur der Ehegatte den Antrag stellen. Zu § 16: Der Begriff des rechtlichen Interesses (Abs. 2 d) ist eng zu umfassen, er ist nicht dem berechtigten Interesse (§ 34 FGG) oder dem wirtschaftlichen Interesse gleichzusetzen. Es kann nur angenommen werden, wenn die schon zu Lebzeiten begründeten Rechtsbeziehungen des Antragstellers berührt werden (BGH 4, 323). Das schließt aber nicht aus, daß ein Interesse noch allgemeinen Rechtsgrundsätzen schlechthin verneint wird. BGH 9, i n . Rechtliches Interesse anerkannt bei Abwesenheitspfleger BGH 18, 339.

§ 17 Jeder Antragsberechtgte kann neben dem Antragsteller oder an dessen Stelle in das Verfahren eintreten. Durch den Eintritt erlangt er die rechtliche Stellung eines Antragstellers. Der Eintritt ist auch zur Einlegung eines Rechtsmittels zulässig. § 18 Vor der Einleitung des Verfahrens hat der Antragsteller die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen glaubhaft zu machen. § 19 (1) Ist der Antrag zulässig, so hat das Gericht das Aufgebot zu erlassen. (2) In das Aufgebot ist insbesondere aufzunehmen: a) die Bezeichnung des Antragstellers; b) die Aufforderung an den Verschollenen, sich bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu melden, widrigenfalls er für tot erklärt werden könne; c) die Aufforderung an alle, die Auskunft über den Verschollenen geben können, dem Gericht bis zu dem nach b) bestimmten Zeitpunkt Anzeige zu machen. § 20 (1) Das Aufgebot muß durch eine Tageszeitung öffentlich bekanntgemacht werden. (2) Das Gericht kann anordnen, daß das Aufgebot daneben in anderer Weise, insbesondere durch Rundfunk, öffentlich bekanntgemacht werde. Das Aufgebot soll an die Gerichtstafel angeheftet werden. § 21 (1) Zwischen dem Tage, an dem das Aufgebot zum ersten Male durch eine Tageszeitung öffentlich bekanntgemacht ist, und dem nach § 19 Abs. 2 Buchstabe b bestimmten Zeitpunkt muß eine Frist (Aufgebotsfrist) von mindestens sechs Wochen liegen. 80

Verschollenheitsgesetz

(2) Die Aufgebotsfrist soll, wenn nicht besondere Gründe vorliegen, nicht mehr als ein Jahr betragen. (3) Ist das Aufgebot öffentlich bekanntgemacht, so kann die Aufgebotsfrist nicht mehr abgekürzt werden. § 22 Vor der Bekanntmachung des Aufgebots ist in jedem Falle dem Staatsanwalt, vor der Entscheidung dem Antragsteller und dem Staatsanwalt Gelegenheit zur Äußerung tu geben. § 22a Ist der Tod des Verschollenen bereits im Sterbebuch beurkundet worden und wird ein Aufgebotsverfahren zum Zwecke der Todeserklärung durchgeführt, so hat die Eintragung im Sterbebuch für das Verfahren keine Beweiskraft. § 23 In dem Beschluß, durch den der Verschollene für tot erklärt wird, ist der Zeitpunkt seines Todes nach § 9 Abs. 2, 3 festzustellen. § 24 (1) Der Beschluß, durch den der Verschollene für tot erklärt wird, ist bekanntzumachen. § 20 ist entsprechend anzuwenden. (2) Der Beschluß ist ferner dem Antragsteller und dem Staatsanwalt zuzustellen. (3) Die erste öffentliche Bekanntmachung gilt als Zustellung, auch soweit dieses Gesetz daneben eine besondere Zustellung vorschreibt. Die Zustellung gilt als am Ende des Tages bewirkt, an dem der Beschluß in der Tageszeitung öffentlich bekanntgemacht ist. § 25 Der Beschluß, durch den die Todeserklärung abgelehnt wird, ist dem Antragsteller und dem Staatsanwalt zuzustellen. § 26 (1) Gegen den Beschluß, durch den der Verschollene für tot erklärt wird, und gegen den Beschluß, durch den die Todeserklärung abgelehnt wird, ist die sofortige Beschwerde zulässig. Die Beschwerdefrist beträgt einen Monat. (2) Die Beschwerde steht zu: a ) gegen den Beschluß, den der Verschollene für tot erklärt wird, dem Antragsteller und jedem, der an der Aufhebung der Todeserklärung oder an der Berichtigung des Zeitpunktes des Todes ein rechtliches Interesse hat; b) gegen den Beschluß, durch den die Todeserklärung abgelehnt wird, dem Antragsteller. Zu a). Auch der gesetzliche Vertreter des für tot Erklärten ist beschwerdeberechtigt, und zwar ohne Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes, B G H 18, 389.

§ 27 Wird der Beschluß, durch den der Verschollene für tot erklärt wird, auf sofortige Beschwede oder sofortige weitere Beschwerde aufgehoben und die Todeserklärung abgelehnt, so kann das Gericht anordnen, daß dieser Beschluß öffentlich bekanntgemacht werde; §24 ist entsprechend anzuwenden. 6

Komm. z. BGB, I i . Aufl. I. Bd. (Denecke)

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Verschollenheitsgesetz

§ 28 (1) Beschlüsse, die auf sofortige weitere Beschwerde ergehen, sind dem Beschwerdeführer und dem Staatsanwalt zuzustellen, auch wenn sie nicht den in §§ 24 oder 25 bezeichneten Inhalt haben. (2) Bei Beschlüssen, die auf sofortige weitere Beschwerde ergehen, kann das Gericht von der Anwendung des § 24 Abs. 1 absehen, wenn die Todeserklärung bereits vom Amtsgericht oder vom Beschwerdegericht öffentlich bekanntgemacht worden war. § 29 (1) Beschlüsse des Amtsgerichts, durch welche die Todeserklärung ausgesprochen wird, werden mit ihrer Rechtskraft wirksam. (2) § 26Satz2 des Reichsgesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist nicht anwendbar. (3) Beschlüsse, die auf sofortige weitere Beschwerde ergehen, werden mit der letzten Zustellung wirksam; § 24 Abs. 3 bleibt unberührt. § 30 (1) Hat der Verschollene die Todeserklärung überlebt, so kann er oder der Staatsanwalt ihre Aufhebung beantragen. (2) Der Antrag ist bei dem Amtsgericht zu stellen, bei dem das Aufgebotsverfahren anhängig gewesen ist oder an welches die Sache abgegeben worden ist. § 31 (1) Für das Verfahren gelten die §§ 17 und 18. (2) Vor der Entscheidung ist den Antragsberechtigten und dem, der die Todeserklärung erwirkt hat, Gelegenheit zur Äußerung zu geben. § 32 (1) Der Beschluß, durch den die Todeserklärung aufgehoben wird, ist in der gleichen F o r m öffentlich bekanntzumachen, in der die Todeserklärung bekanntgemacht worden ist. § 20 Abs. 2 ist entsprechend anzuwenden. (2) Der Beschluß, durch den die Aufhebung der Todeserklärung abgelehnt wird, ist dem Antragsteller und dem Staatsanwalt zuzustellen. § 33 (1) Gegen den Beschluß, durch den die Todeserklärung aufgehoben wird, findet kein Rechtsmittel statt. (2) Gegen den Beschluß, durch den die Aufhebung der Todeserklärung abgelehnt wird, kann der Antragsteller die sofortige Beschwerde erheben. § 33a (1) Ist der Verschollene nicht in dem Zeitpunkt verstorben, der als Zeitpunkt des Todes festgestellt ist, so kann jeder, der ein rechtliches Interesse an der Feststellung einer anderen Todeszeit hat, die Änderung der Feststellung beantragen, wenn die Tatsache, aus der sich die Unrichtigkeit der Feststellung ergibt, ihm ohne sein Verschulden erst bekannt geworden ist, als er sie im Aufgebotsverfahren nicht mehr geltend machen konnte. (2) Der Antrag ist vor Ablauf einer Notfrist von einem Monat zu stellen. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Antragsberechtigte von der Tatsache Kenntnis erhalten hat, jedoch nicht vor Eintritt der Rechtskraft der 82

Verschollenheitsgesetz

Todeserklärung. Nach Ablauf von fünf J a h r e n , von dem Tage der Rechtskraft der Todeserklärung gerechnet, ist der Antrag unstatthaft. (3) Für das Änderungsverfahren gelten die §§ 17, 18, § 19 Abs. l , A b s . 2c, §§ 20, 21, 23 bis 29, § 30 Abs. 2, § 31 Abs. 2 entsprechend. Der Beschluß, durch den die Feststellung des Todes geändert wird, ist auch demjenigen zuzustellen, der die Todeserklärung erwirkt hat. Die Änderung soll auf dem Beschluß, durch den der Verschollene für tot erklärt worden ist und auf dessen Ausfertigung vermerkt werden. § 3 3 a gilt in der D D R und Ostberlin nicht. Wird der T o d durch Augenzeugen i. S. des § 3 3 P S t G nachgewiesen, so wird an Stelle des Verfahrens aus § 3 3 a die nachträgliche Beurkung des Todes gemäß. § 3 3 P S t G zweckmäßig sein, da dadurch gemäß § 60 P S t G der volle Nachweis des Todes geführt wird und die Todeserklärung, die nur eine Vermutung begründet, hinfällig wird.

§ 34 (1) Das Gericht kann in seiner Entscheidung einem a m Verfahren Beteiligten oder vom Verfahren Betroffenen die Kosten des Verfahrens, einschließlich der zur zweckentsprechenden Durchführung des Verfahrens notwendigen außergerichtlichen Kosten anderer Beteiligter oder Betroffener, ganz oder teilweise auferlegen, die er durch grob fahrlässig aufgestellte unrichtige Behauptungen oder sonstiges grobes Verschulden veranlaßt hat. Vor dieser Entscheidung soll das Gericht, soweit tunlich, den hören, dem es die Kosten auferlegen will. (2) Vorbehaltlich des Abs. 1 hat das Gericht in dem Beschluß, durch den der Verschollene für tot erklärt wird, auszusprechen, daß die Kosten des Verfahrens, einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragsstellers oder Beschwerdeführers, dem Nachlaß zur Last fallen. Dies gilt nicht für die Kosten einer unbegründeten Beschwerde. (3) Wird die Todeserklärung gemäß den §§ 30 bis 33 aufgehoben, so kann das Gericht nach Abs. 1 auch über die Kosten entscheiden, die nach Abs. 2 dem Nachlaß zur Last gelegt sind. § 35 (1) Die Kosten, über die nach § 34 entschieden ist, werden auf Antrag von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts erster Instanz festgesetzt. (2) Zur Berücksichtigzung eines Ansatzes genügt es, daß er glaubhaft gemacht wird. (3) Über Erinnerungen gegen den Festsetzungsbeschluß entscheidet das Gericht erster Instanz. Die Erinnerung ist binnen einer mit der Zustellung beginnenden Frist von zwei Wochen einzulegen. Die §§ 22 Abs. 2 und 24 Abs. 3 des Reichsgesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gelten entsprechend. § 36 Die Entscheidungen des Gerichts über die Kosten nach §§ 34 oder 35 Abs. 3 können selbständig mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden, sofern der Beschwerdegegenstand den Betrag von fünfzig Reichsmark übersteigt. § 37 (1) Ergeht nach der Kostenfestsetzung eine Entscheidung, die den Wert des Gegenstandes des Verfahrens festsetzt, so ist, falls diese Entscheidung von der Wertberechnung abweicht, die der Kostenfestsetzung zugrunde liegt, 6*

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Verschollenheitsgesetz auf A n t r a g die K o s t e n f e s t s e t z u n g e n t s p r e c h e n d a b z u ä n d e r n ; die § § 3 5 u n d 3 6 sind entsprechend anzuwenden. (2) W i r d eine Entscheidung ü b e r die K o s t e n a b g e ä n d e r t , so ist auf A n t r a g auszusprechen, d a ß die auf G r u n d d e r a b g e ä n d e r t e n Entscheidung zuviel gezahlten Kosten zu erstatten sind. § 38 A u s Kostenfestsetzungsbeschlüssen und aus Entscheidungen g e m ä ß § 37 A b s . 2 f i n d e t die Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g n a c h den V o r s c h r i f t e n d e r Z i v i l p r o z e ß ordnung statt.

Abschnitt IV Verfahren bei Feststellung der Todeszeit § 39 Ist die T o d e s e r k l ä r u n g m i t Rücksicht auf § 1 A b s . 2 unzulässig, eine Eint r a g u n g i m S t e r b e b u c h a b e r nicht erfolgt, so k a n n b e a n t r a g t w e r d e n , den Tod und den Zeitpunkt des Todes durch gerichtliche Entscheidung festzustellen. W i r d der A n t r a g von d e m Ehegatten gestellt, so steht einer Eintragung i m Sterbebuch der Feststellung nicht entgegen. Das Verfahren soll Unzuträglichkeiten beseitigen, die im Rechtsleben daraus entstehen können, daß der T o d oder die Todeszeit bisher nicht im Sterbebuch eingetragen ist und auch nachträglich nicht eingetragen werden kann, weil die erforderlichen Angaben nicht von dem im § 33 P S t G genannten Personen gemacht und auch sonst nicht mit den Beweismitteln dieses Verfahrens nachgewiesen werden können. Wie die Verweisung in § 44 auf den neu eingefügten Satz 2 des § 9 I zeigt, wird das Verfahren auch zulässig sein, wenn berechtigte Zweifel bestehen, daß der eingetragene Todeszeitpunkt unrichtig ist, aber die erforderlichen Beweismittel nicht ausreichen, um eine Berichtigung im Standesamtsverfahren zu erlangen (a. M . K G N J W 1957, 893, da das Verfahren des § 39 voraussetze, daß die Todeszeit in der Sterbeurkunde überhaupt nicht angegeben ist oder daß nur der in der Sterbeurkunde offengelassene Todeszeitpunkt näher bestimmt werden soll, dagegen nicht die im Sterbebuch eingetragene Todeszeit durch neue Todesvermutung ersetzt werden könne, die außerhalb des im Sterbebuch eingetragenen Zeitraumes liege) Die in dem Beschluß getroffene Feststellung begründet ebenso wie die Todeserklärung die für und gegen jedermann wirkende, aber widerlegbare Vermutung, daß der Verschollene in dem Zeitpunkt verstorben ist, und ersetzt damit in der Regel den Nachweis des Todes zu diesem Zeitpunkt, was namentlich für die Wiederverheiratung von Bedeutung ist. Wie die Todeserklärung kann die Feststellung gemäß § 30 aufgehoben und gemäß § 33 a geändert werden, da diese Bestimmung — entgegen der früheren und in der Sowjetzone weitergeltenden Fassung des § 40 — jetzt auch in dem Verfahren der Feststellung der Todeszeit anwendbar sind. I m übrigen richtet sich das Verfahren nach den Vorschriften für die Todeserklärung, es ist aber insofern erleichtert, als ein förmliches Aufgebot nicht notwendig ist, sondern eine allgemeine Aufforderung zur Mitteilung von Angaben genügt und auch diese unter Umständen noch unterbleiben kann.

§ 40 A u f d a s V e r f a h r e n s i n d d i e § § 1 3 A b s . 1, 1 4 b i s 1 7 , 2 2 , 2 2 a , 2 4 b i s 3 8 e n t sprechend a n z u w e n d e n : i m ü b r i g e n gelten d a f ü r die besonderen V o r s c h r i f t e n der § § 4 1 bis 44. 84

Verschollenheitsgesetz

§ 41 (1) Vor der Einleitung des Verfahrens hat der Antragsteller nachzuweisen daß der Tod nach den Umständen nicht zweifelhaft ist, sofern dies nicht offenkundig ist. (2) Die übrigen zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen hat der Antragsteller glaubhaft zu machen. § 42 (1) Ist der Antrag zulässig, so soll das Gericht eine öffentliche Aufforderung an alle, die über den Zeitpunkt des Todes Angaben machen können, erlassen, dies dem Gericht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt anzuzeigen. (2) Von der öffentlichen Aufforderung kann das Gericht absehen, wenn dadurch nach den Umständen eine weitere Aufklärung des Sachverhalts nicht erwartet werden kann. § 43 (1) Die öffentliche Aufforderung muß durch eine Tageszeitung öffentlich bekanntgemacht werden. Das Gericht kann anordnen, daß diese Aufforderung daneben in anderer Weise öffentlich bekanntgemacht wird. Es bestimmt nach freiem Ermessen die Frist, innerhalb deren die Anzeige zu machen ist. (2) Diese Frist soll nicht weniger als sechs Wochen und, wenn nicht besondere Gründe vorliegen, nicht mehr als sechs Monate betragen. Sie beginnt mit dem Ablauf des Tages, an dem die Aufforderung zum ersten Male öffentlich bekannt gemacht ist. (3) Ist die Aufforderung öffentlich bekanntgemacht, so kann die Frist nicht mehr abgekürzt werden. § 44 (1) Der Zeitpunkt des Todes ist den Grundsätzen des § 9 Abs. 2, 3 entsprechend festzustellen. (2) Der Beschluß begründet die Vermutung, daß der Tod in dem darin festgestellten Zeitpunkt eingetreten ist. § 9 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 gilt entsprechend. Anm. 1 Uber Feststellung des Todeszeitpunkts ist auf Anm. 2 und 3 zu § 9 zu verweisen. Kostenentscheidung: § 34 Abs. 1 und 2, § 50.

Anm. 2 Uber die Rechtsvermutung des Todes vgl. oben Anm. 1 zu § 18 BGB. Eine Aufhebung der Entscheidung, wie sie nach einer Todeserklärung stattfinden kann (§§ 3off.), ist hier nicht vorgesehen, da sie nicht erforderlich erschien.

§ 45 (1) Ergeben die Ermittlungen, die in einem nach § 2 eingeleiteten Aufgebotsverfahren angestellt sind, daß der Tod nach den Umständen nicht zweifelhaft ist, so ist das Verfahren nach den §§ 39 bis 44 fortzusetzen. (2) Der Antrag auf Todeserklärung gilt in diesem Falle als Antrag auf Feststellung des Zeitpunktes des Todes. § 40 ist nicht anzuwenden. Abschnitt V

Inkrafttreten. Übergangs- und Schlußvorschriften §§ 4 6 - 5 4 85

Verschollenheitsänderungsgesetz

Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Verschollenheitsrechts Vom 15. Januar 1951 (BGBl. S. 59) Art. 1 Ä n d e r u n g e n des V e r s c h o l l e n h e i t s g e s e t z e s Art. 2 S o n d e r v o r s c h r i f t e n f ü r V e r s c h o l l e n h e i t s f ä l l e aus A n l a ß des K r i e g e s 1 9 3 9 — 1 9 4 5 § 1 (1) Wer vor dem 1. Juli 1948 im Zusammenhang mit den Ereignissen oder Zuständen des letzten Krieges vermißt worden und seitdem unter Umständen, die ernstliche Zweifel an seinem Fortleben begründen, verschollen ist, kann für tot erklärt werden. (2) Wer in dem letzten Zeltpunkt, in dem er nach den vorhandenen Nachrichten noch gelebt hat, infolge Gefangennahme oder infolge einer gegen ihn gerichteten Zwangsmaßnahme seinen Aufenthalt nicht frei bestimmen konnte und seit diesem Zeltpunkte unter Umständen, die ernstliche Zweifel an sein Fortleben begründen, verschollen ist, kann jedoch erst für tot erklärt werden, wenn nach dem Ende des Jahres, in dem er noch gelebt hat, fünf Jahre verstrichen sind. War der Verschollene in dem bezeichneten Zeitpunkt in Lebensgefahr, so tritt an die Stelle der Frist von fünf Jahren eine solche von einem Jahr. (3) §§ 4 bis 8 des Verschollenheitsgesetzes sind nicht anzuwenden. (4) Die Absätze 1 bis 3 gelten auch für einen Verschollenen, der in dem letzten Zeitpunkt, in dem er nach den vorhandenen Nachrichten noch gelebt hat, Angehöriger eines fremden Staates oder staatenlos war, a) wenn er in diesem Zeitpunkt seinen Wohnsitz oder seinen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes hatte oder als Angehöriger der ehemaligen deutschen Wehrmacht am letzten Krieg teilgenommen hat, oder b) wenn der Ehegatte, ein ehelich oder ein diesem rechtlich gleichgestellter Abkömmling oder ein anderer nach § 16 des Verschollenheitsgesetzes antragberechtigter Verwandter des Verschollenen seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat und die Todeserklärung beantragt. § 12 Absätze 2 und 3 des Verschollenheitsgesetzes bleiben unberührt. Anm. 1 Der totale Krieg, der schließlich das gesamte Reichsgebiet und die gesamte Bevölkerung ergriff, namentlich die Bombenangriffe auf die großen Städte und die Flucht weiter Teile der Bevölkerung und der Behörden aus den bedrohten Gebieten und die unruhigen Ereignisse kurz vor und nach dem Zusammenbruch hatten zu einer derartigen Häufung der Verschollenheit geführt, daß die allgemeinen Vorschriften dazu nicht ausreichten. Das Gesetz über die Änderung des Verschollenheitsrechts hat deshalb für die aus Anlaß des letzen Krieges entstandenen Verschollenheitsfälle eine Sonderregelung getroffen, die gemäß Abs. 3 an Stelle der §§ 4—8 treten. Sie erfassen nicht nur die Angehörigen der bewaffneten Macht i. S. des § 4, sondern alle Zivilpersonen. Es ist nicht erforderlich, daß der Verschollene an den Kampfhandlungen beteiligt war, sondern es genügt, daß er irgendwie von den Kriegshandlungen oder von dem aus Anlaß des Krieges von den deutschen Behörden oder den feindlichen Mächten getroffenen Maßnahmen betroffen oder bedroht war. Es gehören also hierher auch die

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Verschollenheitsänderungsgesetz von den Nationalsozialisten oder den feindlichen Mächten in Konzentrations- oder Internierungslager überführten oder in andere Gebiete verschleppten Personen, aber auch die bei inneren Unruhen oder bei der Flucht über die Grenzen Verschollenen. Erforderlich ist nur, daß sie im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen im weitesten Sinne vermißt werden, d. h. daß seitdem Nachrichten über ihren Verbleib bei demjenigen fehlen, die im allgemeinen solche erhalten, sei es eine Behörde oder Verwandte und Bekannte, so daß ernstliche Zweifel über ihr Fortleben bestehen (BGH 3, 230). Vermißtsein ist also hier im allgemeinen Sprachsinne zu verstehen, nicht in dem technischen Sinne des § 4. Eine Vermißtenmeldung bei einer Truppe oder Behörde (polizeilichen Meldestelle) ist somit nicht erforderlich. Anm. 2 Das Gesetz dehnt weiter die Möglichkeit der Todeserklärung auf Ausländer und Staatenlose aus, wenn sie in dem Zeitpunkt der letzten Nachricht über ihr Leben ihren Wohnsitz oder Aufenthalt im Bundesgebiet hatten oder als Angehörige der deutschen Wehrmacht am Kriege teilgenommen haben oder wenn der Ehegatte oder ein Verwandter i. S. des § 16 seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte und es beantragt. Daneben bleibt eine Todeserklärung mit beschränkter Wirkung gemäß §§ 12 I I I I I zulässig. Anm. 3 Eine Verschollenheitsfrist ist im allgemeinen nicht erforderlich, da ohnehin seit den Ereignissen, die für das Vermißtsein ursächlich waren, schon 5 Jahre verflossen sind. Nur für Personen, die gefangen genommen oder verschleppt sorden sind, d. h. ihren Aufenthalt nicht frei bestimmen konnten, besteht eine Verschollenheitsfrist von 5 Jahren, oder wenn sie in Lebensgefahr waren, von 1 Jahr. Anm. 4 Das Verfahren ist weitgehendst vereinfacht. Die Gerichte sind hinsichtlich der Feststellung des Zeitpunktes des Todes von ihrer Ermittelungspflicht gemäß § 12 F G G befreit. Ein bestimmter Zeitpunkt braucht nur auf Antrag festgestellt zu werden, sonst gilt allgemein als Todestag der 3 1 . 12. 1945, wenn der Verschollene danach noch gelebt hat, das Ende des 3. Jahres nach der letzten Nachricht, falls er in Lebensgefahr war, des ersten Jahres. Entsprechend § 33 a ist durch § 3 aber ein Änderungsverfahren vorgesehen. Die Veröffentlichungen haben in einer besonderen Verschollenheitsliste zu erfolgen. Anm. 5 Für die Sowjetzone gelten diese Vorschriften nicht, sondern die im Anhang aufgeführten Verordnungen. Uber das internationale Übereinkommen über die Todeserklärung Verschollener vgl. B ü l k N J W 5 1 , 747; S c h o e n e i c h NJW 58, 290. § 2 (1) In den Fällen des§ 1 sind Ermittelungen über den Zeitpunkt des Todes nur auf Antrag anzustellen. Den Antrag kann jede Person stellen, die das Aufgebotsverfahren beantragen kann. Das Gericht soll dem Antragsteller des Aufgebotsverfahren sowie einem Antragsberechtigten, der neben dem Antragsteller oder an dessen Stelle in das Verfahren eintritt, befragen, ob er diesen Antrag stellen will. (2) Wird der Antrag gestellt, so ist als Zeitpunkt des Todes der Zeitpunkt festzustellen, der nach dem Ergebnis der Ermittelungen der wahrscheinlichste ist. (3) Läßt sich ein solcher Zeitpunkt nicht angeben oder wird der Antrag nach Abs. 1 nicht gestellt, so ist als Zeitpunkt des Todes das Ende des Jahres 1949 festzustellen. Hat der Verschollene diesen Zeitpunkt überlebt, so ist als

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Verschollenheitsänderungsgesetz

Zeitpunkt des Todes das Ende des dritten J a h r e s , in den Fällen des § 1 Abs. 2 Satz 2 des ersten J a h r e s nach dem letzten J a h r e festzustellen, in dem er nach den vorhandenen Nachrichten noch gelebt hat. § 3 (1) Ist in den Fällen des § 1 als Zeitpunkt des Todes des Verschollenen das Ende des J a h r e s 1949 rechtskräftig festgestellt worden, ohne daß Ermittelungen über die Todeszeit angestellt worden waren, so kann jeder, der ein rechtliches Interesse an der Feststellung einer anderen Todeszeit hat, beantragen, diese Ermittelungen nunmehr anzustellen und die Feststellung zu ändern. (2) Läßt sich nach dem Ergebnis der Ermittelungen ein Zeitpunkt des Todes angeben, der der wahrscheinlichste ist, so ist der Beschluß, durch den der Verschollene für tot erklärt worden ist, entsprechend zuändern. Läßt sich ein solcher Zeitpunkt nicht angeben, so ist der Antrag abzulehnen. I m übrigen i s t § 33a Abs.2 Satz 3, Abs. 3 des Verschollenheitsgesetzes entsprechend anzuwenden. (3) Ist vor Inkrafttreten dieses Gesetzes auf Grund der bisherigen § 7a Abs. 3 des Verschollenheitsgesetzes in der Fassung der für die britischeZone erlassenen Verordnung vom 16. Dezember 1946 (VOBlBrZ 1947 S. 11) als Zeitpunkt des Todes eines Verschollenen der 8. Mai 1945 festgestellt worden, so gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend. § 4 Die §§ 2, 3 sind im Verfahren bei Feststellung der Todeszeit entsprechend anzuwenden. § 5 (1) Die öffentlichen Bekanntmachungen sind in den Fällen der §§ 1 bis 4 statt durch eine Tageszeitung durch ein von dem Bundesminister der Justiz zu diesem besonderen Zwecke herausgegebenes Veröffentlichungsblatt (Verschollenheitsliste) zu veröffentlichen. Das Gericht kann anordnen, daß die Bekanntmachung auch in einer Tageszeitung oder in anderer Weise veröffentlicht werde. (2) Die Aufgebotsfrist des § 20 und die Frist des Verschollenheitsgesetzes beginnt mit dem Ablauf des Tages der Ausgabe derjenigen Verschollenheitsliste, welche die Bekanntmachung enthält. (3) Die Zustellung des Beschlusses, durch den der Verschollene für tot erklärt oder durch den der Tod und die Todeszeit einer Person festgestellt wird, gilt als am Ende des Tages der Ausgabe derjenigen Verschollenheitsliste bewirkt, welche die Bekanntmachung des Beschlusses enthält. Hierzu A V O der B M J v. 3. 2. u. 21. 3. 1951 (BAnz Nr. 25, 60).

§ 6 In den Fällen der § § 1 , 2 und den entsprechenden Fällen des § 4 werden für das Verfahren vor dem Amtsgericht Gerichtskosten nicht erhoben. § 7 Lebte der Verschollene außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes an seinem letzten inländischen Wohnsitz mit Familienangehörigen in Hausgemeinschaft und haben diese Angehörigen zur Zeit der Antragstellung ihren 88

Verschollenheitsänderungsgesetz

Wohnsitz oder in Ermangelung eines Wohnsitzes ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes, so ist § 15 Abs. 1 des Verschollenheitsgesetzes nicht anzuwenden. § 8

In den Fällen des § 1 sind die Vorschriften des Verschollenheitsgesetzes anzuwenden, soweit in diesem Artikel nicht besondere Bestimmungen getroffen sind. Art. 3 E r g ä n z u n g zu d e n V o r s c h r i f t e n des E h e r e c h t s ü b e r im Falle der

Wiederverheiratung

Todeserklärung §

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(1) Geht ein Ehegatte, nachdem der Tod des anderen Ehegatten nach den Vorschriften des Verschollenheitsgesetzes gerichtlich festgestellt worden ist, eine neue Ehe ein, lebt aber der für tot gehaltene Ehegatte noch, so gelten die Bestimmungen über die Wiederverheiratung i m Falle der Todeserklärung entsprechend. (2) Absatz 1 gilt auch, wenn die neue Ehe vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes geschlossen ist, es sei denn, daß ein Berechtigter vor Inkrafttreten dieses Gesetzes die Nichtigkeitsklage wegen Doppelehe erhoben hat. §

2

Ist ein Ehegatte vor Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses, durch den der andere Ehegatte für tot erklärt oder sein Tod gerichtlich festgestellt worden ist, eine neue Ehe eingegangen und ist der Beschluß vor Inkrafttreten dieses Gesetzes oder auf Grund Art. 4 § 2 rechtskräftig geworden, so gilt bei Anwendung der Vorschriften über Wiederverheiratung i m Falle der Todeserklärung oder der gerichtlichen Feststeilling des Todes der Beschluß als vor dem Zeitpunkt rechtskräftig geworden, in dem die neue Ehe geschlossen worden ist. Dies gilt nicht, wenn ein Berechtigter vor Inkrafttreten dieses Gesetzes die Nichtigkeitsklage wegen Doppelehe erhoben hat. Art. 4 Ubergangs- und §§

Schlußbestimmungen 1 - 6

Ausführungsbestimmungen für die Ostzone, DDR und Ostberlin Verordnung übet die Zulässigkeit von Anträgen auf Todeserklärung von Kriegsteilnehmern V o m 22. Februar 1949 (ZVB1. S. 124) Mit Zustimmung der Rechtsabteilung der Sowjetischen Militär-Administration in Deutschland wird verordnet: § 1. Wer an dem vom Hitler-Regime im Jahre 1939 begonnenen Kriege teilgenommen hat und seitdem verschollen ist, kann unbeschadet der gesetzlichen Bestimmungen, nach denen eine frühere Todeserklärung möglich ist, vom 1. August 1949 ab für tot erklärt werden. § 2. Z u den Kriegsteilnehmern im Sinne des § 1 gehören auch Zivilpersonen, die sich bei der deutschen Wehrmacht aufgehalten haben. § 3. Diese Verordnung tritt mit der Verkündung im Zentralverordnungsblatt in Kraft (9.3.49).

89

Verschollenheitsvorschriften in der Sowjetzone

Durchführungsverordnung zur Verordnung über die Zulässigkeit von Anträgen auf Todeserklärung von Kriegsteilnehmern V o m 23. J u l i 1949 ( Z V B 1 . S . 550) Z u r D u r c h f ü h r u n g der V e r o r d n u n g ü b e r die Zulässigkeit v o n A n t r ä g e n a u f Todeserklärung v o n Kriegsteilnehmern v o m 22. F e b r u a r 1949 ( Z V O B 1 . S. 124) w i r d v e r o r d n e t : § 1. W e r g e m ä ß § 1 der V e r o r d n u n g ü b e r die Zulässigkeit v o n A n t r ä g e n auf Todeserklärung v o n Kriegsteilnehmern v o m 22. F e b r u a r 1949 ( Z V O B 1 . S . 124) v o m 1. A u g u s t 1949 a b für tot erklärt w i r d , g i l t m i t d e m A b l a u f des 31. J u l i 1949 als verstorben. Dies ist in d e m B e s c h l u ß , in d e m der Verschollene für tot erklärt w i r d , festzustellen. § 2. (1) W e r ein rechtliches Interesse a n der Feststellung einer anderen Todeszeit hat, k a n n beantragen, d a ß als Z e i t p u n k t des T o d e s derjenige Z e i t p u n k t festgestellt w e r d e , der nach d e m Ergebnis der Ermittlungen der wahrscheinlichste ist. L ä ß t sich ein solcher Z e i t p u n k t nicht angeben, so verbleibt es bei der R e g e l u n g des § 1. D a s rechtliche Interesse ist g l a u b h a f t z u m a c h e n . (2) D a s i m A b s . 1 bezeichnete Antragsrecht steht a u c h der Staatsanwaltschaft zu. D e r G l a u b h a f t m a c h u n g eines rechtlichen Interesses b e d a r f es bei ihr nicht. § 3. Solange ein Verschollener nicht f ü r tot erklärt ist, w i r d vermutet, d a ß er bis z u m 31. J u l i 1949 gelebt hat. § 4. Ist eine Todeserklärung erfolgt, die g e m ä ß § 1 d e n 31. J u l i 1949 als T o d e s t a g feststellt, so hat das G e r i c h t unter d e n Voraussetzungen des § 2 a u f A n t r a g einer der dort genannten Personen d e n Beschluß hinsichtlich des Zeitpunktes des T o d e s z u berichtigen. § 5. D a s Amtsgericht, b e i d e m ein A n t r a g a u f T o d e s e r k l ä r u n g eines Kriegsverschollenen eingeht, hat dessen Personalien unverzüglich d e m Oberlandesgerichtspräsidenten einzureichen, der sie a m 1. u n d 15. eines j e d e n M o n a t s listenmäßig geordnet a n die H a u p t a b t e i l u n g Suchdienst der Deutschen V e r w a l t u n g des Innern in Berlin W 8, Kanonierstr. 35 weiterleitet u n d d e m Amtsgericht v o m T a g e der Weiterleitung K e n n t n i s gibt. D i e T o d e s e r k l ä r u n g d a r f erst ausgesprochen w e r d e n , w e n n d e m Amtsgericht innerhalb v o n drei M o n a t e n n a c h A b s e n d u n g der Listen d u r c h d e n O b e r landesgerichtspräsidenten v o n der H a u p t a b t e i l u n g Suchdienst keine Mitteilung z u g e g a n g e n ist, die den T o d des Verschollenen unwahrscheinlich erscheinen läßt. § 6. V o n der B e k a n n t m a c h u n g des A u f g e b o t s u n d des die T o d e s e r k l ä r u n g aussprechenden Beschlusses in einer T a g e s z e i t u n g k a n n abgesehen werden, w e n n der Verschollene g e m ä ß § 1 der V e r o r d n u n g über die Zulässigkeit v o n A n t r ä g e n a u f Todeserklärung v o n Kriegsteilnehmern v o m 22. F e b r u a r 1949 ( Z V O B 1 . S . 124) v o m 1. A u g u s t 1949 a b f ü r tot erklärt werden kann. I n diesem F a l l e müssen das A u f g e b o t u n d der Beschluß d u r c h A n h e f t u n g a n die Gerichtstafel öffentlich bek a n n t g e m a c h t werden. § 7. (1) Ist der Antragsteller der E h e g a t t e oder ein V e r w a n d t e r des Verschollenen, so w e r d e n Gerichtsgebühren f ü r das V e r f a h r e n zur T o d e s e r k l ä r u n g Kriegsverschollener a u f A n t r a g nicht erhoben, w e n n das Bruttoeinkommen des Antragstellers m o n a t l i c h 400 D M u n d der W e r t des Nachlasses nach d e m Verschollenen 2000 D M nicht übersteigt. (2) F ü r die Inanspruchnahme der H a u p t a b t e i l u n g Suchdienst ist bei Stellung des A n t r a g s a u f Todeserklärung b e i m Amtsgericht eine G e b ü h r v o n 1 D M z u entrichten, die ü b e r den O b e r landesgerichtspräsidenten a n die H a u p t a b t e i l u n g Suchdienst weiterzuleiten ist. § 8. Diese V e r o r d n u n g tritt m i t ihrer V e r k ü n d i g u n g in K r a f t (29. 7. 49).

Verordnung über die Abkürzung der Verschollenheitsfristen V o m 15. N o v e m b e r 1951 ( G B l . 1059) § 1. (1) E i n Verschollener k a n n f ü r tot erklärt w e r d e n , w e n n seit d e m E n d e des Jahres, in d e m er nach der letzten N a c h r i c h t noch gelebt hat, f ü n fJ a h r e verstrichen sind. Diese Frist vermindert sich a u f drei J a h r e , w e n n i m Z e i t p u n k t der Antragstellung seit der G e b u r t des Verschollenen mindestens 80 J a h r e verflossen sind. (2) V o r A b l a u f v o n 25 J a h r e n seit der G e b u r t d a r f e i n Verschollener nach A b s . 1 nicht für tot erklärt werden. § 2. F ü r die B e h a n d l u n g des A n t r a g e s a u f Todeserklärung ist das Amtsgericht Berlin-Mitte zuständig, w e n n der Wohnsitz oder dauernde A u f e n t h a l t des Antragstellers, nicht aber der O r t des letzten inländischen Wohnsitzes des Verschollenen, i m Geltungsbereiche dieser V e r o r d n u n g liegt. D a s Amtsgericht Berlin-Mitte k a n n die B e h a n d l u n g des Antrages a n das f ü r d e n A n t r a g steller zuständige Amtsgericht abgeben. D i e A b g a b e ist f ü r dieses G e r i c h t bindend. § 3. § 1 1 8 a der K o s t e n o r d n u n g erhält als A b s . 4 folgenden Z u s a t z : „ ( 4 ) Ist der Antragsteller der E h e g a t t e oder ein V e r w a n d t e r des Verschollenen, so w e r d e n Gerichtsgebühren nicht erhoben, w e n n das Bruttoeinkommen des Antragstellers monatlich 400 D M und der W e r t des Nachlasses des Verschollenen 2000 D M nicht übersteigt."

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Juristische Personen

Vor § 21

Anm. 1

| 4. Das Ministerium der Justiz der Deutschen Demokratischen Republik wird ermächtigt, etwa erforderliche Durchführungsbestimmungen im Einvernehmen mit dem Ministerium des Innern der Deutschen Demokratischen Republik zu erlassen. § 5- (1) § 3 des Gesetzes vom 4. Juli 1939 über die Verschollenheit, die Todeserklärung und Feststellung der Todeszeit (RGBl. I S. 1186) wird aufgehoben. (2) Diese Verordnung tritt mit ihrer Verkündung in Kraft (27. 11. 51). Zweiter

Titel

Juristische Personen Vorbemerkungen

Ubersicht Anm.

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Das Wesen der juristischen Person Die Rechtsfähigkeit der juristischen Person Die Vereinigungsfreiheit Die juristischen Personen des Handelsrechts Internationales Recht Ubergangsrecht

I 2 3 4 5 6

Anm. 1 1. Das Wesen der juristischen Person: Der Mensch wird nicht nur als einzelner tätig, da es Zwecke und Ziele der menschlichen Tätigkeit gibt, die er als einzelner schwer oder überhaupt nicht erreichen kann. Das gilt sowohl für die Erreichung erlaubter als verbotener Zwecke. Deshalb v e r e i n i g t er sich mit anderen zur g e m e i n s c h a f t l i c h e n A u s f ü h r u n g . Diese Vereinigungen können erlaubt oder von vornherein unerlaubt sein (nach dem StGB §4gd, dem öffentlichen Vereinsrecht, oder Art. 9 II GG). Sie können auf allen Lebensgebieten stattfinden, künstlerische, wissenschaftliche, sportliche, religiöse, sozialpolitische, politische, überhaupt alle ideellen Zwecke verfolgen, §§ 21, 61, sie können auch auf wirtschaftlichem Gebiete eigennützige Zwecke verfolgen. Sie können unbeeinflußt durch eine Regelung der Rechtsordnung erfolgen oder nur, weil diese Regelung ihren Bestand ermöglicht. Die von der Rechtsordnung zugelassenen Vereinigungen können endlich die v e r s c h i e d e n a r t i g s t e n G e s t a l t u n g e n annehmen, von der lockersten Bindung bis zum engsten Verband, sowohl auf dem Gebiet des privaten als des öffentlichen Rechts. Je nachdem die einzelnen Menschen sich nur vertraglich zu dem gemeinsamen Zweck verbinden, alle gemeinsame Willensträger der Vereinigung bleiben und die für den Zweck bestimmten sachlichen Mittel im Eigentum der einzelnen verbleiben oder sie sich eine körperschaftliche Organisation geben und die mit der Leitung dieser Organisation betrauten Mitglieder selbständig handeln, über das geschaffene oder erworbene Vermögen selbständig verfügen können, also Willensträger der Organisation sind, wird eine bürgerliche oder handelsrechtliche Gesellschaft (offene Handelsgesellschaft oder Kommanditgesellschaft) oder eine selbständige Körperschaft vorliegen, die von dem Recht als Rechtssubjekt mit eigenem Willen und eigenem Vermögen anerkannt wird, also neben den einzelnen natürlichen Personen eine selbständige juristische Person bildet. Uber das Wesen und die Natur dieser juristischen Person bestehen in der Rechtslehre Meinungsverschiedenheiten. Z u m Teil wird sie als Verbandpersönlichkeit mit wirklichem selbständigem Willen oder die Gesamtheit aller gegenwärtigen und zukünftigen Mitglieder als Einheit betrachtet, zum Teil wird das Bestehen eines neben den natürlichen Personen bestehenden besonderen Wesens geleugnet, die juristische Person, nur als eine Fiktion, ein Zweckvermögen bezeichnet, dessen Rechtsträger die Gesamtheit der Mitglieder oder die der dazu bestellten Vertreter seien (vgl. die Ubersicht bei E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y Lehrbuch [14] I 3 9 9 f r . ) . Indessen ist dieser Theorienstreit für die Praxis ohne wesentliche Bedeutung. Denn das BGB hat Organisationen, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen (Vereine, Genossenschaften, Aktiengesellschaften, GmbH, Stiftungen, Anstalten)

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Vor § 21

Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 2 als Rechts- und Willenssubjekte anerkannt; die Handlungen und Willenserklärungen ihrer verfassungsmäßigen Organe gelten als solche der juristischen Person, diese muß deren Willenserklärungen als ihre gesetzliche Vertretung gegen sich gelten lassen (§ 26) und für deren Handlungen haften ( § § 3 1 , 86, 89). Allerdings darf die Rechtsfigur der juristischen Person nicht zu Zwecken mißbraucht werden, die mit der Rechtsordnung unvereinbar sind ( B G H 20, 14). Alles dies gilt insbesondere auch für die vom Staat zur Erfüllung staatlicher Aufgaben, namentlich der öffentlichen Fürsorge gegründeten öffentlichen Körperschaften. Auch sie sind neben dem Staat oder den Gemeinden bestehende juristische Personen, die selbständig die ihnen übertragenen Aufgaben erfüllen, im Rechtsverkehr den natürlichen Personen im allgemeinen gleichstehen. Eine Zwischenstellung nehmen die offenen Handelsgesellschaften und die nicht rechtsfähigen Vereine ein. Die ersteren können unter ihrer Firma Rechte, auch Eigentum erwerben und Verpflichtungen eingehen, vor Gericht klagen und verklagt werden (HGB § 124) über ihr Vermögen kann ein selbständiger Konkurs eröffnet werden ( K O § 209) und zur Vollstreckung in das Gesellschaftsvermögen ist ein Vollstreckungstitel gegen die Gesellschaft genügend (HGB § 124 II). Sie ist aber keine selbständige juristische Person, Inhaber des Vermögens und der erworbenen Rechte sind die Gesellschafter zur gesamten Hand, sie sind auch gesamtschuldnerisch für die eingegangenen Verbindlichkeiten verpflichtet. Ebenso ist auch der nicht rechtsfähige Verein keine selbständige Person; da er aber eine körperschaftliche Verfassung nach Art eines rechtsfähigen Vereins hat, finden die für diese geltenden Vorschriften hinsichtlich der Willensvertretung und der Haftung des Vereines für die Erklärungen und Handlungen seines verfassungsmäßigen Vertreters in weitem Maße Anwendung (vgl. die Anm. zu § 54). Anm. 2. 2. Die Rechtsfähigkeit der juristischen Person: Wie die Rechtsordnung dem einzelnen natürlichen Menschen Rechtsfähigkeit zuerkennt, so gibt sie auch den mehreren Menschen, die sich zu einer gemeinsamen Tätigkeit zusammengeschlossen haben, Rechtsfähigkeit, indem sie ihre Organisation rechtlich regelt und ihnen die Fähigkeit gibt, Rechte und Pflichten zu haben, die ihnen die Ausübung der gemeinschaftlichen Tätigkeit, das Wirkenlassen der zusammengeschlossenen Kräfte in der besonderen gewollten Weise nach außen und untereinander im Rahmen der Rechtsgemeinschaft ermöglichen. Die Rechtsfähigkeit wird nun den vereinigten Menschen nur für den bestimmten Lebenskreis gegeben, für den sie sich zusammengetan haben und für die Erzielung der durch die Zusammenballung der Kräfte beabsichtigten Gesamtwirkung. In dieser Gesamtwirkung liegt die Einheit der Vereinigung begriffen. Wie schon beim einzelnen Menschen Inhalt und Umfang der Rechtsfähigkeit verschieden, diese Fähigkeit nicht eine solche ist, die a l l e Arten von Rechten und Pflichten umfaßt, so ist auch die den vereinigten Menschen für ihre besondere Art und die besonderen Zwecke der Vereinigungen erteilte R e c h t s f ä h i g k e i t nach I n h a l t u n d U m f a n g v e r s c h i e d e n (dazu auch § 21 Anm. 5). Die Rechtsfähigkeit kann darin bestehen, Besitz zu haben, im Prozeß parteifähig zu sein (ZPO § 50), konkursfähig ( K O § 213) und vergleichsfähig zu sein (VerglO § 108 Abs. 1). Die Vereinigung kann erbund vermächtnisfähig sein (§ 2194), eine Ersitzung bewirken, z. B. die Gemeinde eine Wegegerechtigkeit ersitzen (RG SeuffA 59 Nr. 6). S o w e i t d i e s e R e c h t s f ä h i g k e i t r e i c h t , kann man die Vereinigung als r e c h t s f ä h i g e ( j u r i s t i s c h e ) P e r s o n bezeichnen, in demselben Sinn, wie der natürliche Mensch durch die Rechtsfähigkeit zur juristischen Person wird. Aber der Begriff der juristischen Person ist immer ein relativer, er bezieht sich nur auf den bestimmten Wirkungskreis, in dem das zusammengefaßte Handeln der Mitglieder stattfindet. Vgl. die sog. „Kleineren Vereine" auf Gegenseitigkeit nach Ges. v. 6. 6. 31 (RGBl. I, 3 1 5 ) . Wie für die Verbindung der Menschen nicht notwendig ist, daß sie ein Vermögen haben, so ist auch für die rechtsfähigen Vereinigungen, so z. B. beim Idealverein des § 21, nicht Voraussetzung, daß ein Vermögen besteht ( B G H 19,45). Auch nichtjuristische Personen können Vermögen haben, wie Gesellschaften des bürgerlichen Rechts. Die natürliche Wirklichkeit der vereinigten Menschen in den verschiedensten Formen und Gestaltungen müssen bei der Beurteilung der

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Juristische Personen

Vor § 21 A n m , 3—5

Rechtsfähigkeit in ihrer Eigenart erkannt und berücksichtigt werden. Nur soweit diese Wirklichkeit mit den Vorschriften des BGB über die „juristische" Person vereinbar ist und diese der Erfüllung der Aufgaben dienen können, die die zusammengeschlossenen Kräfte der Vereinigten erfüllen wollen, können sie angewendet werden. Ein Verein kann trotz Änderung des Namens und Vereinszwecks in anderer Rechtsform fortgeführt werden, ohne daß ein Wechsel seiner Rechtspersönlichkeit eintritt. Anm. 3 3. Die Vereinigungsfreiheit: Nach Art. 9 GG ist, wie schon nach dem Vereinsgesetz von 1908 und der Weimarer Verfassung (Art. 123) die Bildung von Vereinen grundsätzlich frei. Auch die Verfassung der D D R stellt in Art. 9 diesen Grundsatz auf. Während aber Art. 124 W R V und Art. 9 Verfassung D D R diesen Grundsatz nur dahin einschränken, daß der Zweck des Vereins nicht den Strafgesetzen zuwiderlaufen darf, dehnt das Bonner GG das Verbot auf Vereine aus, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten. Dagegen wird in allen diesen Vorschriften ein Unterschied zwischen den einzelnen Vereinsarten nicht gemacht, in Art. 9 I I GG ist die Vereinigungsfreiheit auf sozialem Gebiet nur besonders gewährleistet. Deshalb sind die Sonderbestimmungen in den §§ 43 III, 61 I I für die politischen, sozialpolitischen Vereine durch das Rechtseinheitsgesetz vom 5- 3- 1953 (BGBl. I 33) aufgehoben. Mit dem Grundsatz der Vereinsfreiheit hat aber eine verschiedenartige Regelung der einzelnen Vereinsarten, namentlich hinsichtlich der Entstehung der Rechtsfähigkeit nichts zu tun. Wie dem natürlichen Menschen nach § 1 BGB kommt die Rechtsfähigkeit den Verbänden des öffentlichen Rechts ohne weiteres zu. Bei den Idealvereinen und den wirtschaftlichen Vereinen des Handelsrechts entsteht sie mit der Eintragung in das öffentliche Register (Vereinsregister, Handelsregister, Genossenschaftsregister), bei den Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit mit der Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb. Eines besonderen Staatshoheitsaktes bedarf es bei den sonstigen Wirtschaftsvereinen (Verleihung § 22), bei den ausländischen Vereinen (Anerkennung § 10 EG) und bei Stiftungen (Genehmigung § 80). Anm. 4 4. Die juristischen P e r s o n e n des H a n d e l s r e c h t s : Die allgemeinen Grundsätze über Vereine, insbesondere die Bestimmungen der §§ 30, 31, 43, 48 sind, da § 22 alle juristischen Personen des Privatrechts einbegreift, die auf Grund r e i c h s g e s e t z l i c h e r Vorschrift Rechtsfähigkeit erlangt haben, auf diese, insbesondere auf die juristischen Personen des Handelsrechts ergänzungsweise anzuwenden (RG 57, 94; 78, 354; s. auch § 54 Anm. 1). Über die allgemeine Anwendbarkeit des § 29 s. das. Anm. 1. Für die Verfassung der Vereine, die auf staatlicher Verleihung beruhen, gelten nach Art. 82 EG in erster Linie die Landesgesetze (s. hierüber § 25 A 1). Anm. 5 5. Internationales Recht: Die juristischen Personen unterstehen an sich dem Rechte des Heimatstaats, das ist, da von einer eigentlichen Staatsangehörigkeit nicht die Rede sein kann, dem Rechte des Staates, in dem die Vereinigung ihren Sitz hat (RG 159,46). Ist ein Verein nach dem Recht eines bestimmten Staates als juristische Person errichtet, so bleibt dieses Recht auch weiterhin für seine rechtlichen Schicksale maßgebend. Als dem Inlande angehörend ist jedoch eine juristische Person, wie aus § 22 Satz 2 und § 55 folgt, nur dann anzuerkennen, wenn sie ihren Sitz (s. § 24 Anm. 1) im Inlande hat. Ebenso kann einer bergrechtlichen Gewerkschaft die Rechtsfähigkeit mit Wirkung für die anderen Länder nur von demjenigen Lande verliehen werden, in welchem sie ihren Sitz hat (RG Warn. 1917 Nr. 254), und es braucht das Land, dem die Gewerkschaft nach ihrem Sitze angehört, jedenfalls so lange, als diese Angehörigkeit bestehen bleibt, die von einem andern Lande ausgehende Verleihung nicht anzuerkennen (RG 92,73; vgl. § 22 Anm. 4). Als nichtig kann eine Gewerkschaft, die nur zum Zwecke des a u s w ä r t i g e n Bergbaues errichtet ist, nur angesehen werden, wenn das Recht des Heimatlandes eine solche Errichtung mißbilligt (RG 100,210). Damit die

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Vor § 21

Anm. 6

Allgemeiner Teil. Personen

ausländischen Vereine nicht besser als die inländischen gestellt werden, sieht Art. 10 E G noch eine besondere Anerkennung durch Bundesminister des Inneren vor (vgl. Entscheid der Bundesregierung v. 17. 2. 53, BGB1.I 43). Es gilt dies aber nur für solche Vereinigungen, die nach deutschem Rechte die Rechtsfähigkeit nur durch Eintragung in das Vereinsregister (§21) oder durch Verleihung gemäß § 22 erlangen könnten, also nicht für ausländische Handelsgesellschaften, insbesondere Aktiengesellschaften. Auch muß eine Inlandsbeziehung die Anwendung des deutschen Rechtes rechtfertigen, d. h. das Rechtsverhältnis, für das die Rechtsstellung des Vereins von Bedeutung ist, dem deutschen Recht unterliegen (RG 159,47). Auf a u s l ä n d i s c h e H a n d e l s g e s e l l s c h a f t e n findet aber Art. 10 Anwendung, wenn der Sitz im Auslande nur dem Namen nach besteht und der wirkliche Verwaltungssitz sich im Inlande befindet (RG 83, 367; J W 04, 231 2 ). Dann ist das Recht am Sitz der Verwaltung, wo sie tatsächlich und zentralisiert geführt wird, allein maßgebend. Die Rechts-, Partei- und Prozeßfähigkeit der auswärtigen Handelsgesellschaften ist auch im Inlande anzuerkennen, sofern nicht etwa das Bestehen der Gesellschaft gegen die guten Sitten oder den Zweck eines deutschen Gesetzes verstößt (Art. 30 E G ; R G 83, 367). Keinesfalls könnten juristische Personen des Auslandes mehr Rechte im Inlande beanspruchen wie juristische Personen des Inlandes. Es gilt dies hinsichtlich des Umfangs der Rechtsfähigkeit und hinsichtlich der Erwerbsbeschränkungen (vgl. Anm. 2). Deutsches Recht wird anwendbar, wenn das Recht des Heimatstaats hierauf verweist. Die erteilte Anerkennung ist jederzeit widerruflich Zum Erwerbe von Bergwerkseigentum durch ausländische juristische Personen ist nach dem PrGes. v. 23. 6. 09 besondere Genehmigung erforderlich. Die Anerkennung ausländischer Vereine ist vielfach in Staatsverträgen geregelt, so Belgien-Luxemburg (RGBl. 1925 I I 883), Finnland (1934 I I 139), Frankreich (1934 I I 412), Griechenland (1926 I I 239), Italien (1925 I I 1020), Japan (1927 I I 1088), Jugoslawien (1934 I I 301), Niederlande (1908, 65), Persien (1930 I I 1002), Rumänien (1930 I I 953), Rußland (1926 I I 1), Schweden (1926 I I 383), Schweiz (1926 I I 675), Südafrika (1929 I I 15), Tschechoslowakei (1920, 2214), Türkei (1927 I I 76), Ungarn (1936 I I 636), U S A (1925 I I 765). Diese Verträge werden als fortgeltend anzusehen sein, da nach überwiegender Meinung ein Krieg nur zur Unterbrechung führt, die Verträge nicht aufhebt, soweit dies nicht ausdrücklich angeordnet wird. Anm. 6 6. Ü b e r g a n g s r e c h t : In zeitlicher Beziehung gelten nach Art. 163—167 E G die Bestimmungen der §§ 25—53, 85—89 auch für die vor Inkrafttreten des BGB errichteten juristischen Personen, soweit nicht nach den Vorbehalten in Art. 65, 66, 67, 69, 75, 83, 164—176 E G Landesrecht zur Anwendung kommt. Nach Art. 82 E G bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften über die Verfassung solcher Vereine, deren Rechtsfähigkeit auf staatlicher Verleihung beruht, unberührt; die Ubergangsvorschrift des Art. 163 findet insoweit keine Anwendung (RG 81, 244; 102, 265). Die Bestimmungen der §§ 55—79 haben dagegen nur Geltung für Vereine, die auf Grund des BGB in das Vereinsregister eingetragen werden. Für die vor dem 1. Januar 1900 gebildeten n i c h t r e c h t s f ä h i g e n V e r e i n e bleibt gemäß Art. 170 EG, weil nach § 54 das Gesellschaftsrecht anwendbar ist, das frühere Recht maßgebend (a. A. E n n e c c e r u s § 1 1 3 Note 3), desgleichen für die e r l a u b t e n P r i v a t g e s e l l s c h a f t e n im Sinne der § § n f f . A L R I I 6 (RG 51, 160; 97, 1 2 2 ; 17. 4. 02 I V 19/02; 13. 3. 13 I V 3 2 7 / 1 2 ; LZ 1915, 909 12 ), soweit nicht der Verein sich durch Satzungsänderung dem neuen Recht unterstellt hat (RG 77, 2 1 ; Warn. 1 9 1 9 Nr. 20); nur ist die Frage der Haftbarkeit der Mitglieder aus den seit dem 1. 1. 1900 geschlossenen Rechtsgeschäften nach neuem Recht (§54) zu beurteilen (RG 63, 64; 77, 429; 97, 1 2 5 ; J W 1915, 450 8 ; Warn 1926 Nr. 209).

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Vereine I. Vereine i. A l l g e m e i n e V o r s c h r i f t e n Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Das Der Die Die Der Der

Wesen des Vereins Idealverein Errichtung des Vereins Erlangung der Rechtsfähigkeit Umfang der Rechtsfähigkeit Gründerverein

Anm.

i 2 3 4 5 6 § 3 1

Ein Verein, dessen Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, erlangt Rechtsfähigkeit durch Eintragung in das Vereinsregister des zuständigen Amtsgerichts. E 1 4 1 , 42; II 13; M I 78ff.; P I 476ff., 578ff.

Anm. 1 1. Das Wesen des Vereins. Dieses besteht: a) in der dauernden V e r b i n d u n g (Verband) einer Anzahl von Personen, natürliche und juristische Personen, nicht rechtsfähige und rechtsfähige Vereine, offene Handelsgesellschaften (RG DJZ 1923, 370) zur Erreichung eines gemeinsamen Zwecks. Insoweit gleicht er der Gesellschaft (§ 705). Der Unterschied von ihr besteht aber b) in der k o r p o r a t i v e n O r g a n i s a t i o n und der wechselnden M i t g l i e d e r zahl (RG 165, 140). Uber das Verhältnis zur Gesellschaft die Ausführungen zu §54. Der Verein kann zunächst ohne R ü c k s i c h t auf die Erlangung einer späteren R e c h t s f ä h i g k e i t errichtet werden. Denn die Rechtsfähigkeit gehört nicht zum Begriff eines Vereins. Anm. 2 2. Der Idealverein: Der E. II 23 und die Reichstagsvorlage § 21 bezeichnete sie als Vereine zu g e m e i n n ü t z i g e n , w o h l t ä t i g e n , geselligen, wissens c h a f t l i c h e n , künstlerischen oder anderen nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichteten Zwecken. Nach der durch Art. 140 GG aufrecht erhaltenen Bestimmung des Art. 137. IV WRV gehören dazu auch die religiösen Vereine. Alle diese Vereine sind zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse auf Geldmittel angewiesen. Die Verwaltung des Vermögens und die Verwendung nur für jene Zwecke stellt jedoch einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb noch nicht dar. Ein G e s c h ä f t s b e t r i e b , der lediglich als Mittel für die Erreichung idealer Zwecke dienen soll, ist nicht auf einen wirtschaftlichen Zweck eingestellt, der Selbstzweck des Betriebes sein muß, er bleibt also ein idealer Verein (RG 88,334). Diese Eigenschaft hindert dann auch nicht, daß der als Mittel betriebene Geschäftsbetrieb ins Handelsregister eingetragen werden kann. Ein Verein, der sich mit der Förderung der allgemeinen b e r u f l i c h e n Interessen der Mitglieder, der Erteilung von Auskunft über Berufsangelegenheiten, der Herausgabe einer Berufszeitung, der Erleichterung des Rechtsschutzes u. dgl. befaßt (wie Ärzteverein, Vereine von Haus- und Grundbesitzern, Kreditreformvereine), kann als nichtwirtschaftlicher Verein in das Vereinsregister eingetragen werden, ebenso ein Berufsverein für Festsetzung von Preis- und Lieferungsbedingungen (RG 95, 91), ein Verein zur Förderung gewerblicher Interessen i. S. des § 13 UWG (RG 78, 80), sowie ein Verein, der den Abschluß von Tarifverträgen erstrebt (vgl. §152 Abs. 2 GewO Art. 9 II GG; RG J W 1923, 687®). Die ö f f e n t l i c h e n V e r s i c h e r u n g s a n s t a l t e n sind nach dem Grundastz des Gegenseitigkeit und nicht um das Erwerbs willen eingerichtet. Die Bestimmungen des Reichsgesetzes über den Versicherungsvertrag finden keine Anwendung. Die p r i v a t e n V e r s i c h e r u n g s v e r e i n e auf G e g e n s e i t i g k e i t werden 95

§21

Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 3 dadurch rechtsfähig, daß ihnen die Aufsichtsbehörde erlaubt, Geschäfte zu treiben (§ V A G ) . Gemeinnützige Wohnungsunternehmungen sind keine Bausparkassen nach § 1 1 2 dieses Gesetzes. Besonderes gilt für die sog. k l e i n e r e n V e r e i n e , die bestimmungsgemäß einen sachlich, örtlich oder dem Personenkreis nach eng begrenzten Wirkungskreis haben. Ob der Verein ein kleiner ist, entscheidet die Aufsichtsbehörde (§ 53 V A G ) . Auch B e r u f s v e r e i n e (Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, kassenärztliche Vereine u. a.) sind eintragungsfähig. Denn wenn auch ihr Streben dahingeht, durch Abschluß von Tarifkollektiwerträgen, durch Vereinbarungen mit den Krankenkassen über die von ihnen zu zahlenden Vergütungen (vgl. § 6 1 1 Vorb. 59) die Lage ihrer Mitglieder zu verbessern, oder bedürftigen Mitgliedern Unterstützung zu gewähren, ihre Tätigkeit also den Mitgliedern materielle Vorteile bringt, so ist doch ihr Hauptzweck kein wirtschaftlicher, sondern ein idealer. Das ist entscheidend (RG 83, 2 3 1 ; 106, 120; 133, 176; 154, 344). Auch der Grundsatz des Art. 9 I I G G spricht dafür, da nur dann dieses Grundrecht voll gewährleistet ist, wenn die Rechts- und Handlungsfähigkeit der Berufsvereine nur von dem Vorhandensein gewisser Normativbestimmungen und nicht von einer, mehr oder weniger in dem Ermessen einer staatlichen Behörde liegenden Verleihung abhängig ist. Ein auf einen wirtschaftlichen G e s c h ä f t s b e t r i e b gerichteter Zweck liegt aber vor, soweit der Verein geschäftsbetriebsmäßig sich damit befaßt, Forderungen seiner Mitglieder einzuziehen (Inkassogeschäft). Ein idealer Verein wird jedoch nicht dadurch zu einem wirtschaftlichen, daß nebenbei im Rahmen des Vereinszwecks gewisse geschäftliche Veranstaltungen stattfinden, wie dies z. B. der Fall ist bei einem Leseverein, der die angeschafften Bücher nach der Benutzung durch die Mitglieder bestmöglich verkauft, einem Wohltätigkeitsverein, der zu einem wohltätigen Zwecke einen Basar veranstaltet, einem geselligen Verein, der für seine Mitglieder ein Kasino einrichtet, einem Alpenverein, der die von ihm errichtete Schutzhütte bewirtschaften läßt, ein Keglerbund, der eine Kegelsporthalle mit Schankwirtschaft unterhält (RG 133,170). Anders ist es, wenn der Geschäftsbetrieb zu einem selbständigen Erwerbsunternehmen auswächst. In solchen Fällen ist es gerechtfertigt, daß die Erlangung der Rechtsfähigkeit von staatlicher Verleihung abhängig gemacht wird, damit auf den Schutz dritter Personen, die mit dem Verein in rechtsgeschäftlichen Verkehr treten und ihm Kredit gewähren, Rücksicht genommen werden kann. Stellt sich nach der Eintragung in das Vereinsregister heraus, daß der Verein entgegen der Satzung einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb verfolgt, so kann ihm die Rechtsfähigkeit nach §§ 43 Abs. 2, 44 entzogen werden. Ist der Zweck des Vereins in gleicher Weise auf einen w i r t s c h a f t l i c h e n und auf einen n i c h t w i r t s c h a f t l i c h e n Betrieb gerichtet, so bleibt zur Erlangung der Rechtsfähigkeit nur der Weg der Verleihung. Dann ist der Geschäftsbetrieb nicht lediglich Mittel für die Erreichung idealer Zwecke. Eine Maßregel kann dem Vereinszweck entsprechen, auch wenn sie unzweckmäßig ist. — Die Körperschaften des öffentlichen Rechts, auch die nach öffentlich-rechtlicher Norm zum Organismus der Kirche gehörigen Klöster und Brüderschaften sind nicht eintragungsfähig.

Anm. 3 3. Die E r r i c h t u n g des V e r e i n s ist nach seiner Art verschieden. Die Errichtung von Aktiengesellschaften, Gesellschaften m. b. H. richtet sich nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuches. Das BGB gibt keine Vorschriften über die Errichtung eines Vereins, sondern nur wie ein e r r i c h t e t e r V e r e i n d i e R e c h t s f ä h i g k e i t e r l a n g t und wie ein nicht rechtsfähiger Verein zu beurteilen ist, § 54. Für den nach BGB zu beurteilenden Verein gilt folgendes: Zur Bildung eines Vereins genügen zwei Personen, sind aber auch erforderlich. Eine Einmanngesellschaft kann also als solche nicht begründet werden, sie kann vielmehr nur dadurch entstehen, daß später ein Gesellschafter alle Gesellschaftsrechte in sich vereinigt. Trotzdem sie an sich damit aufhört, ein Gescllschaftsverein zu sein, wird ihr Fortbestehen aber bei Kapitalgesellschaften (AG GmbH) gewohnheitsrechtlich angenommen, zumal dies auch in § 8 des Gesetzes über die Umwandlung von Kapitalgesellschaften v. 5. 7.1934 (RGBl. 569) anerkannt wurde. (Näheres J o b s t , Für und wider die EinmannGmbH, DRecht 1938, 43; H u e c k , Gesellschaftsrecht 1951, S. 179.) Die Begründung eines privatrechtlichen Vereins geschieht,

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Vereine

§21

Anm. 4, 5

wenn sie freiwillig erfolgt, durch Vereinbarung über den Zusammenschluß und Aufstellung der Satzung (vgl. § 25 Anm. 2). Ist ein Gründer geschäftsunfähig, wird er kein Mitglied des Vereins; ob dann zwischen den anderen ein solcher zustande kommt, hängt von ihrem Willen ab. Der in Irrtum befindliche oder Gezwungene kann seine Beitrittserklärung anfechten. Anders bei handelsrechtlichen Gesellschaften.

Anm. 4 4. Für die Erlangung der Rechtsfähigkeit ist ein verschiedener Weg gewiesen,

j e nachdem der Zweck des Vereins auf ideale Bestrebungen, § 2 1 , oder auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, § 22, gerichtet ist, I d e a l v e r e i n e und W i r t s c h a f t s v e r e i n e . Die privaten Idealvereine, die nicht auf einen wirtschaftlichen Betrieb gerichtet sind, erlangen Rechtsfähigkeit durch Eintragung in das Vereinsregister nach Erfüllung gewisser Vorbedingungen (Vorhandensein eines Vereinszwecks, einer gültigen Vereinsgründung, einer Verfassung [Satzung], einer Anmeldung u. a.) — sog. S y s t e m d e r N o r m a t i v b e s t i m m u n g e n . Die Eintragung wirkt also rechtsbegründend. Für die E i n t r a g u n g i n d a s V e r e i n s r e g i s t e r ist nach § 55 das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Verein seinen Sitz hat. Uber die Art der Eintragung s. § 64, über die Gültigkeit der Eintragung § 5 9 Anm. 1, § 6 3 Anm. 1, §64 Anm. 1, über ihren Inhalt § 65 Anm. 1. Etwaige der Errichtung des Vereins anhaftende sachliche Mängel werden durch die Eintragung nicht geheilt (vgl. R G J W 04, 3 9 5 " und über Ungültigkeit und Unerlaubtheit des Vereins §§41 Anm. 2, 50 Anm. 1, 57 Anm. 1). Fehlte es an einer wesentlichen Vorbedingung der Eintragung, war z. B. der Verein in Wahrheit ein wirtschaftlicher, so behält er bis zu der von Amts wegen vorzunehmenden Löschung (§§ 159, 142, 143 F G G ) seine Rechtsfähigkeit ( R G 8 1 , 206; J W 1 9 2 1 , 1 5 2 7 1 ; H R R 1928 Nr. 1958). Der Prozeßrichter hat die Rechtsfähigkeit des eingetragenen Vereins nicht nachzuprüfen, R G 8 1 , 206; R G J W 1923, 687 6 . Das innere Vereinsleben untersteht der Aufsicht des Registerrichters nur in den Schranken der §§ 29, 37, 78. — Ist die Eintragung des Vereins von dem Registerrichter abgelehnt worden, weil er den Vereinszweck als wirtschaftlichen betrachtet, so kann die Rechtsfähigkeit verliehen werden, mag auch die verleihende Behörde den Verein nicht als einen wirtschaftlichen ansehen.

Anm. 5 5. Der Umfang der Rechtsfähigkeit: Die von

dem Verein erlangte Rechtsfähigkeit beschränkt sich nicht auf die Vermögensangelegenheiten, die sich innerhalb des satzungsmäßigen Zweckes des Vereins halten, wie z. B. einer Gewerkschaft, welche sich auf einem dem Bergbaubetrieb fremden idealen Gebiete betätigt, f ü r diese Angelegenheiten die Rechtsfähigkeit nicht versagt werden kann ( R G 49, 292). Der rechtsfähige Verein kann Inhaber von Individualrechten, Patentrechten usw. sein, ist namensberechtigt (vgl. § 12 Anm. 1), kann zum Testamentsvollstrecker, auch zum Mitgliede des Gläubigerausschusses im Konkurse bestellt werden, kann Schadensersatz aus § 824 beanspruchen und kann Mitglied von anderen Vereinigungen sein, soweit er nur auf dem ihm allein vorbehaltenen idealen Gebiet bleibt und nicht dadurch auf einen wirtschaftlichen Betrieb übergeht. Besteht ein Verein als Gesamtverband (Zentralverein) aus mehreren Vereinen (vgl. §24Anm. 3), so sind die Mitglieder der Einzelvereine, falls die Satzung nicht etwas anderes ergibt, auch den Satzungen des Gesamtverbandes unmittelbar unterworfen ( R G J W 1 9 0 6 , 4 1 6 1 ; S e u f f A 59 Nr. 1 1 8 ; vgl. auch § 38 Anm. 1). — Uber Verschmelzung zweier Versicherungsvereine a. G. R G J W 1 9 3 1 , 3207 1 3 , über Ortsgruppen und lokale Abteilungen § 24 Anm. 3. In der Rechtsfähigkeit ist auch die Erbfähigkeit enthalten. Ist im Testament die einer selbständigen Rechtspersönlichkeit entbehrende Anstalt einer juristischen Person als Erbe eingesetzt, so darf das Testament dahin ausgelegt werden, daß die juristische Person selbst als Erbe mit der Auflage berufen ist, die Erbschaft zum Besten der Anstalt zu verwenden ( R G 9. 3. 11 I V 238/10). Rechte gegen sich selbst kann der Verein nicht haben. E r kann solche Rechte auch nicht durch Eintritt in die Rechtsstellung eines Vereinsmitgliedes erwerben, dem bestimmte Nutzungsoder Verfügungsrechte, ein bestimmter Anteil am Gewinn usw. zustehen. Die ihm übertragenen Rechte fallen sogleich den anderen Vereinsmitgliedern nach Verhältnis ihrer 7

Komm. 2. B G B , 1 1 . Aufl. I. Bd. (Denecke)

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§ 21 A n m . 6

Allgemeiner Teil. Personen

§ 22 A n m . 1 Beteiligung an und stehen nicht zur Verfügung des Vereins (vgl. R G 103, 66). Uber Besitz der juristischen Person vgl. § 26 Anm. 4. Auf dem Gebiete des Prozesses entspricht der Rechtsfähigkeit die P a r t e i f ä h i g k e i t (§50 Abs. 1 Z P O ) . Die Vorschriften nach § 2 1 gehören nicht zu den Vorschriften des Vermögensrechtes ( R G 88, 332).

Anm. 6 6 . D e r G r ü n d e r v e r e i n : Der Verein kann als Vorverein, auch als Vorstufe für einen rechtsfähigen Verein durch eine Vereinbarung gegründet werden(RG 165,140). Dann hat er die vorbereitenden Handlungen zur Gründung und Inbetriebsetzung des rechtsfähigen Vereins vorzunehmen (vgl. R G JWo4,395 2 7 ). Für den in der Entstehung begriffenen rechtsfähigen Verein können von diesem V o r v e r e i n bindende Verpflichtungen übernommen werden, vorausgesetzt, daß das Rechtsgeschäft dem Erwerb der Rechtsfähigkeit dient, nicht schon zum Vereinsbetrieb gehört ( R G 85, 26of.; R G SeuffA 67, Nr. 1 7 1 ; vgl. auch hinsichtlich der Gesellschaften m.b.H. R G J W 04, 309 1 2 und 1 9 1 3 , 925 1 2 . Für den G r ü n d e r v e r e i n sind die für den rechtsfähigen Verein geltenden Grundsätze in gewissem Umfange (vgl. § 54) heranzuziehen, und es ist deshalb anzunehmen, daß, abweichend von § 728, die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen eines Gesellschafters keinen Auflösungsgrund bildet (so mit Bezug auf Gesellschaften m. b. H. R G J W 1 9 1 3 , 925 2 1 ). Erwirbt sonst ein bereits bestehender Verein die Rechtsfähigkeit, so wandelt er sich in einen rechtsfähigen derart um, daß die Rechte und Verbindlichkeiten — unbeschadet der bereits entstandenen persönlichen Haftung der Mitglieder — ohne weiteres auf den neuen Verein, der den alten fortsetzt, übergehen ( R G 85, 256; S e u f f A 77 Nr. 53). Der Verein besteht in der Form des rechtsfähigen Vereins mit allen bisherigen Rechten und Verbindlichkeiten weiter, ohne daß eine Rechtsnachfolge stattfindet und daß demgemäß, wenn die Umwandlung im Laufe eines Rechtsstreites erfolgt, eine Unterbrechung des Prozesses eintritt ( R G a. a. O.). Es bedarf auch nicht zum Zwecke der Umschreibung der Grundstücke auf den Namen des neuen Vereins der Auflassung (bestr.). Haben die Mitglieder beschlossen, die Satzung des einzutragenden Vereins sofort in K r a f t zu setzen, so ist zwar der rechtliche Bestand des Vereins von der schließlichen Eintragung abhängig, aber nur in dem Sinne, daß damit eine auflösende, nicht eine aufschiebende Bedingung gesetzt ist. Haben also die Mitglieder einer „Interessentengesellschaft", die sich zwecks Gründung eines rechtsfähigen Vereins gebildet hat, vereinbart, die für den zu gründenden Verein entworfene Satzung schon vor der Eintragung des Vereins in K r a f t zu setzen, so wird in solcher Vereinbarung regelmäßig die Gründung eines nicht rechtsfähigen Vereins nach Maßgabe dieser Satzung zu finden sein, dessen Wirksamkeit durch die Eintragung auflösend bedingt ist, R G v. 4. 7. 18 I V 175/18. —• Über Ortsgruppen und sonstige lokale Abteilungen eines Vereins s. § 24 Anm. 3.

§22 Ein Verein, dessen Zweck auf einen w i r t s c h a f t l i c h e n G e s c h ä f t s b e t r i e b gerichtet ist, e r l a n g t in E r m a n g e l u n g b e s o n d e r e r reichsgesetzlicher V o r s c h r i f t e n Rechtsfähigkeit d u r c h staatliche Verleihung. Die Verleihung steht d e m Bundesstaate zu, in dessen Gebiet d e r Verein seinen S i t z h a t . E I 41, II 42 23; M i 7ffS.; P i 47 6ff., 538, 578®.

Anm. 1 1. D e r w i r t s c h a f t l i c h e G e s c h ä f t s b e t r i e b : Z u den wesentlichen Merkmalen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes gehört nach R G 154, 3 5 1 , daß er eine nach außen gewendete, auf Verschaffung von wirtschaftlichen Vorteilen gerichtete entgeltliche Betätigung dauernder Art ausübt. Es liegt k e i n G e s c h ä f t s b e t r i e b vor, wenn sich die Vereinstätigkeit auf die innere Verwaltung des Vereins, wie Einziehung der Vereinsbeiträge, Miete von Vereinsräumen, Anstellung von Vereinsangestellten beschränkt, ohne die kein Verein, zumal bei größerem Umfang bestehen kann. Die geschäftliche Tätigkeit des Vereins braucht nicht auf Erzeugung oder Umsatz von Gütern gerichtet zu sein; eine Vermittlungstätigkeit, wie sie

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Vereine

§22

Anm. 2, 3

auch sonst auf den verschiedensten Gebieten des gewerblichen Lebens als Geschäft betrieben wird ( H G B § i Abs. 2 Nr. 7: Geschäfte der Handelsvertreter und Handelsmakler), erfüllt das Erfordernis eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes. Der wirtschaftliche Vorteil kann nicht nur in der Erlangung eines Vermögensvorteils, sondern auch in der Verhütung von Vermögensschädigungen bestehen; er braucht sich nicht in der Erzielung von Gewinn, sondern kann sich auch in der Verbilligung des Bezugs oder Verbrauchs äußern. Es braucht sich endlich auch nicht um den eigenen wirtschaftlichen Vorteil des Vereins zu handeln, sondern auch der wirtschaftliche Vorteil der Vereinsmitglieder kann die Vereinstätigkeit zu einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb stempeln ( R G 83, 2 3 1 ; 1 3 3 , 1 7 1 ) . Die Erzielung eines wirtschaftlichen Nutzens muß der H a u p t z w e c k sein ( R F H 10, 334). Tritt dieser aber gegenüber dem idealen Zwecke zurück, so liegt ein idealer Verein nach § 21 vor, auch wenn mittelbar die wirtschaftliche L a g e der Mitglieder gebessert wird ( R G 1 3 3 , 1 7 7 ; 154, 344). Auch eine Auskunftei kann ein Verein zu wirtschaftlichen Zwecken sein, wenn sie die Auskunft nicht nur den Berufsgenossen und Vereinsmitgliedern, sondern an jedermann gegen Entgelt gibt. Dann ist der Erwerb der Hauptzweck, die Auskunft nur ein Erwerbsmittel.

Anm. 2 2. Die Verleihung d e r R e c h t s f ä h i g k e i t : Sie steht in den meisten Ländern der obersten Verwaltungsstelle zu und regelt sich nach ihren Ausführungsgesetzen. Die Verleihung steht im Ermessen der zuständigen Stelle und kann von beliebigen Bedingungen, insbesondere von der Aufnahme bestimmter Vorschriften in die Satzung, abhängig gemacht werden. Landesgesetzlich können allgemeine Vorschriften darüber erlassen werden, unter welchen Bedingungen die Verleihung statthaft sein soll. Es steht auch nichts im Wege, die Rechtsfähigkeit allen zur Zeit vorhandenen Vereinen bestimmter Art zu erteilen, wie dies in Preußen durch Allerh. Erlaß v. 27. 12. 99 hinsichtlich der damals bestehenden Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit geschehen ist. Daß der Verein eine Satzung haben muß, und daß diese den Zweck und den Namen des Vereins angeben muß (vgl. § 57), ist für derartige Vereine zwar nicht besonders vorgeschrieben, folgt aber so sehr aus der Natur der Sache, daß ohne Erfüllung dieses Erfordernisses die Verleihung der Rechtsfähigkeit wirkungslos bleiben müßte (vgl. im übrigen wegen der Wirkung der Verleihung § 21 Anm. 3). Die Verleihung ist kein Gesetzes-, sondern ein Verwaltungsakt, gegen die Entscheidung steht also das Verwaltungsstreitverfahren offen. Die einmal erteilte Verleihung bleibt in Kraft, auch wenn der Verein später seine Satzungen ändert. Es kann jedoch nach § 33 Abs. 2, soweit diese Vorschrift nicht durch die Satzung beseitigt ist, eine jede Satzungsänderung dadurch verhindert werden, daß die hierzu erforderliche Genehmigung nicht erteilt wird. Werden die Bestimmungen der Satzung nicht beobachtet, so kann dies unter den Voraussetzungen des § 4 3 zur E n t z i e h u n g d e r R e c h t s f ä h i g k e i t führen. Der Verein muß ferner, damit ein Handeln in seinem Namen möglich ist, einen besonderen N a m e n führen. Über die Ausübung des Verleihungsrechts können landesrechtliche Bestimmungen getroffen werden. Durch Landesgesetz würde aber nicht bestimmt werden können, daß allen künftig entstehenden Vereinen einer bestimmten Art die Rechtsfähigkeit erteilt sein soll. Die Landesgesetzgebung hat auch nicht die Macht, die Verfassung eines bereits bestehenden rechtsfähigen Vereins zu ändern. — Statt nach landesgesetzlicher Vorschrift im Wege der Gesetzgebung, kann eine Religionsgesellschaft die Rechtsfähigkeit nicht dadurch erlangen, daß sie in einem andern Lande als Verein in das Vereinsregister eingetragen wird ( R G 77, 19).

Anm. 3 Die Zuständigkeit des L a n d e s richtet sich nach dem Sitz des Vereins (vgl. § 24 Anm. 1), die Zuständigkeit der Behörde nach Landesrecht. Ein unbeschränktes Recht des Vereins, den Sitz beliebig zu wählen, um auf diese Weise von den landesgesetzlichen Beschränkungen frei zu werden, denen er sonst hinsichtlich des Erwerbs der Rechtsfähigkeit unterliegen würde, kann nicht anerkannt werden (vgl. R G J W 1 9 1 6 , 4 9 5 1 1 über Gewerkschaften, L Z 1 9 1 8 , 6 1 1 O L G Dresden in L Z 1 9 1 8 , 407 6 ). 7*

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§ 22 A n m . 4 § 23 A n m . 1, 2

Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 4 3. S o n d e r r e g e l u n g f ü r H a n d e l s g e s e l l s c h a f t e n u s w . : Besondere reichsgesetzliche Vorschriften bestehen für die A k t i e n g e s e l l s c h a f t e n und A k t i e n k o m m a n d i t g e s e l l s c h a f t e n (§§ 178fr., 320fr. HGB), für die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (Ges. v. 1. 5. 89/20. 5. 98), für Gesellschaften mit beschränkter Haftung (Ges. v. 20. 4. 92/20. 5. 98), welche Gesetze die Erlangung der Rechtsfähigkeit von Eintragung in das Handelsregister nach Erfüllung besonderer Normativbestimmungen abhängig machen, für die früheren eingeschriebenen Hilfskassen, jetzt Ersatzkassen (§§ 503 fr. R V O ) , deren Zulassung von der höheren Verwaltungsbehörde nur aus gesetzlichen Gründen verweigert werden darf, und für die Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, welche nach §§ 15 fr. V A G durch die von der Aufsichtsbehörde erteilte Erlaubnis zum Geschäftsbetriebe die Rechtsfähigkeit erlangen (vgl. auch §41 Anm. 1). —• In Betracht kommen für die Verleihung nach § 22 u. a. Garantievereine, Sterbekassenvereine, Sparkassenvereine. Alle diese Vereine können nicht durch Verleihung staatlicher Rechtsfähigkeit nach § 22 aus den besonderen für sie geltenden Rechtsvorschriften herausgenommen werden. § 3 3 Einem Verein, der seinen Sitz nicht in e i n e m Bundesstaate hat, kann in Ermangelung besonderer reichsgesetzlicher Vorschriften Rechtsfähigkeit d u r c h B e s c h l u ß d e s Bundesrats v e r l i e h e n w e r d e n . Anm. 1 1. D i e Z u s t ä n d i g k e i t : Z u s t ä n d i g ist im Bundesgebiet gemäß Art. 129 G G der B u n d e s m i n i s t e r d e s I n n e r n . Denn während nach der Reichsverfassung von 1871 der Bundesrat Repräsentant des Trägers der Reichsgewalt, der verbündeten Regierungen, also ein Teil der Reichsregierung war, ist der Bundesrat des Bonner Grundgesetzes ebenso wie der Reichsrat der Weimarer Verfassung kein Vollzugsorgan. Die Bundesregierung besteht vielmehr nach Art. 62 G G aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern. Der Bundesrat wirkt nach Art. 56 ebenso wie bei der Gesetzgebung auch bei der Verwaltung des Bundes nur mit, und zwar nicht allgemein, sondern nur in bestimmt aufgezählten Fällen. Seine Mitwirkung besteht auch nur in der Zustimmung zum Erlaß von Rechtsverordnungen gemäß Art. 80 II 119, 134 V I , von Verwaltungsverordnungen gemäß Art. 84 II, 85 II, zu Verwaltungsmaßnahmen gemäß Art. 37, 81 II, 87 III, im Falle des Art. 91 kann er die Aufhebung der getroffenen Maßnahmen fordern. Zu selbständigen Verwaltungsmaßnahmen und Erlaß von Verordnungen ist er nach dem Grundgesetz aber nicht befugt, nach Art. 80 I kann ihm der Erlaß von Rechtsverordnungen auch nicht durch Gesetz übertragen werden. Die im BGB und anderen älteren Gesetzen z. B. §§ 105 d, 105 c GewO gegebenen Ermächtigungen sind somit auf die zuständigen Bundesminister übergegangen (vgl. D e n e c k e J R 51, 783). Daß sie bis zum Inkrafttreten des Bonner Grundgesetzes in der Zwischenzeit von den Ministern der Länder ausgeübt waren, ist ohne Belang. In der D D R sind ebenfalls an Stelle des Bundesrats die gemäß Art. 90 Verf. zuständigen Minister, nicht die Landesminister getreten. Anm. 2 2. D e r A n w e n d u n g s b e r e i c h : § 23 gibt die Möglichkeit, solchen ausländischen Vereinen, die für das Deutschtum von Bedeutung sind, im Auslande aber nicht als rechtsfähig anerkannt werden, für das Inland Rechtsfähigkeit beizulegen. — Die Vorschriften des ö f f e n t l i c h e n V e r e i n s r e c h t s und diejenigen über die Erwerbsbeschränkungen ausländischer juristischer Personen bleiben bestehen. Die Vorschrift bezieht sich nur auf Vereine, die nach §§ 21—22 rechtsfähig werden könnten, wenn sie in Deutschland ihren Sitz hätten. Handelsrechtliche Erwerbsgesellschaften des Auslands sind auch im Inland rechtsfähig, wenn sie es im Ausland sind (RG 83, 367).

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Vereine

§24

Anm. 1

Nur auf die Idealvereine und wirtschaftlichen Vereine i. S. von §§ 21 u. 22, die a u s l ä n d i s c h sind, bezieht sich Art. 10 E G . Unter diese Regel fallen also nicht die A G , G m b H , Erwerbs- und WirtschGen., VersicherungsVer. a. G. Die Rechtsfähigkeit dieser ausländischen Gesellschaften ist auch ohne Rücksicht auf Gegenseitigkeit anzuerkennen ( R G 159, 46). Dagegen werden ausländische Körperschaften, Anstalten und Stiftungen von Art. 10 getroffen. Art. 10 bedeutet lediglich die Anerkennung einer durch Auslandsrecht erteilten Rechtsfähigkeit, keine Verleihung inländischer Rechtsfähigkeit wie in § 23. Die Anerkennung bleibt ohne Wirkung, wenn sich herausstellt, daß die ausländische Rechtsfähigkeit in Wahrheit nicht erlangt worden ist. Vgl. noch E G B G B Art. 88, G e w O § 12 Abs. 1. Wegen nicht anerkannten ausländischen Vereinen Art. 10 Satz 2 E G B G B ; anzuwenden aber nicht schon, wenn das Rechtsgeschäft im Inland abgeschlossen ist, sondern nur, wenn das Rechtsverhältnis, für das die Rechtsstellung des Vereins bedeutsam ist, dem deutschen Recht unterliegt ( R G 159, 48).

§ 3 4 Als Sitz eines Vereins gilt, wenn nicht ein anderes bestimmt ist, der Ort, an welchem die Verwaltung geführt wird. E II 23 Abs. 4; M 1 77; P 1 504.

Anm. 1 Wie die natürliche Person ihren Wohnsitz an dem Orte hat, wo der Mittelpunkt ihrer Lebensverhältnisse sich befindet (§ 7 Anm. 1), ist als S i t z der juristischen Person der Ort anzusehen, wo der Mittelpunkt der Verwaltung ist. Abweichend von den Bestimmungen über den Wohnsitz kann die juristische Person — s. jedoch hinsichtlich der Inlandseigenschaft Vorbem. 3 vor § 2 1 , § 22 Anm. 4 und hinsichtlich der in § 61 Abs. 2 bezeichneten Vereine Anm. 3 das. — ihren Sitz in der Satzung frei wählen ( R G J W 1 9 1 8 , 305 8 , vgl. R G Warn. 1 9 1 8 Nr. 47 — in der Rechtslehre bestr.). Bei bergrechtlichen G e w e r k s c h a f t e n muß der Sitz aber in dem Lande liegen, in dem die Geschäftstätigkeit ausgeübt wird ( R G J W 1916, 495). Der Sitz ist von Bedeutnug f ü r die S t a a t s a n g e h ö r i g k e i t , für den G e r i c h t s s t a n d nach § 17 Z P O und für die Z u s t ä n d i g k e i t d e r B e h ö r d e nach §§ 22, 23, 55 BGB. Nach der schon früher überwiegenden Meinung ( S t a u d i n g e r Anm. 5, O e r t m a n n Anm. 2 zu § 24, E n n e c c e r u s N i p p e r d e y § 108 Anm. 15) kann der Verein einen mehrfachen Sitz haben, ebenso wie die natürliche Person nach § 7 I I einen mehrfachen Wohnsitz. Ein Grund, in dieser Hinsicht zwischen einer einzelnen natürlichen Person und der zu einer organisatorischen Einheit zusammengeschlossenen Personenvielheit zu machen, ist nicht erkennbar. Auch läßt § 24 ausdrücklich eine anderweite Bestimmung des Sitzes des Vereins in der Satzung zu und schließt die Bestimmung eines mehrfachen Sitzes nicht aus. Auch für die handelsrechtlichen Gesellschaf ten ( A G , G m b H ) wird von einem Teil der Registergerichte, des Schrifttums und den Versicherungsaufsichtsbehörden dies im Hinblick auf die durch die Zerreißung in mehrere Zonen mit verschiedener Wirtschaftsverfassung und Wohnung sich ergebenden wirtschaftlichen Notwendigkeiten als zulässig angesehen, zumal auch der Gesetzgeber in § 62 Wertpapierbereinigungsgesetz und § 2 der 35. D V zum UmstG von der Zulässigkeit eines doppelten Sitzes ausgehe. Die aus den Vorschriften über die Registerführung sich ergebenden Schwierigkeiten seien nicht unüberwindbar (vgl. K l u g A c P 1 5 1 , 67). Neben dem Vereinssitz kann ein besonderer V e r w a l t u n g s s i t z bestehen, der aber in den oben angegebenen Beziehungen nicht maßgebend ist, sondern nur für das Innenverhältnis von Bedeutung ist ( R G 9 5 , 1 7 1 ; J W 1 8 , 2 6 4 ; BayObL G in H R R 1930 Nr. 1087). Zulässig ist auch nach § 17 Abs. 3 Z P O , daß neben dem durch den Sitz des Vereins bestimmten allgemeinen Gerichtsstand ein weiterer allgemeiner Gerichtsstand in der Satzung festgesetzt wird ( R G 59, 106). Sollte eine juristische Person trotz der im Inlande geführten Verwaltung ihren Sitz im A u s l a n d e wählen, so erleidet sie hierdurch den Nachteil, daß sie im Inland ohne besondere Anerkennung durch den B M I nicht als rechtsfähig gilt (Art. 10 E G ) . Uber den Sitz braucht die S a t z u n g — anders beim eingetragenen Verein nach § 5 7 Abs. 1 — n i c h t s z u e n t -

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§ 24 A n m . 2—4

§25

Allgemeiner Teil. Personen

h a l t e n . Zu einer Verlegung des Sitzes bedarf es dann nicht der in § 33 Abs. 2 vorgeschriebenen Genehmigung. Gleichwohl wird, da der inländische Sitz die unerläßliche Voraussetzung der Verleihung bildet, anzunehmen sein, daß mit der Verlegung des Sitzes in das Ausland die aus der Verleihung folgende Rechtsfähigkeit wegfällt (vgl. RG 7, 68 über Verlegung des Sitzes einer Aktiengesellschaft in das Ausland). Ebenso hat die von einem Lande ausgehende Verleihung nur so lange Geltung, als die durch den Sitz begründete Zugehörigkeit des Vereins zu diesem Lande fortdauert. Verlegt der Verein seinen Sitz in das Gebiet eines anderen Landes, so hört er auf, als rechtsfähiger Verein zu bestehen (RG 88, 53; J W 1918, 510 10 hinsichtlich der Gewerkschaft, die in diesem Falle in den Liquidationszustand tritt). Ist in der Satzung ein anderer Sitz nicht bestimmt, so gilt der Ort, wo die Verwaltung geführt wird, als der Sitz des Vereins. Nicht als Sitz des Vereins kommt derjenige Ort in Betracht, wo der technische Betrieb des Unternehmens geführt wird. —• Erstreckt sich die Organisation eines Vereins über das ganze Reich und bestimmt die Satzung einen bestimmten Ort als Sitz, so sind mehrere Vereinssitze nicht begründet, K G O L G 44 117. Anm. 2 Die Zweigniederlassung eines Vereins oder einer staatlichen Anstalt, von welcher aus unmittelbar Geschäfte abgeschlossen werden können, wenn auch regelmäßig nur in beschränktem Umfange (vgl. R G WarnRspr. 1918 Nr. 233), besitzt nicht eine selbständige juristische Persönlichkeit. Der für die Zweigniederlassung geschlossene Vertrag gilt als für die juristische Person geschlossen (RG J W 04, 29727). Dies hindert aber nicht, daß die Hypothek, die von der Zweigniederlassung unter ihrer von der Hauptniederlassung verschiedenen Firma erworben ist, auch im G r u n d b u c h auf diese Firma einzutragen ist. Dieser Name ist die richtige Bezeichnung der juristischen Person für die durch die Zweigniederlassung betriebenen Geschäfte (RG 62, 7). Uber die Stellung des Leiters der Zweigniederlassung als besonderen Vertreter s. § 31 Anm. 3. Anm. 3 Ortsgruppen, örtliche Verwaltungsstellen und ähnliche l o k a l e A b t e i l u n g e n können die Eigenschaften selbständiger, unter Umständen nicht rechtsfähiger Vereine haben, aber auch bloße Organe des Hauptvereins sein, vgl. RG 73, 92 (Zahlstelle eines Holzarbeiterverbandes); 87, 375 (Bezirksgruppe); 118, 196; 121, 294 (Verwaltungsstelle); 119, 193 (Gaugeschäftsstelle), ferner RG J W 1924, 1041 4 ; 1927, 236 1 ; 1928, 3261 4 ; 1930, 34981 und überhaupt J W 1925, 43, 44; s. auch §54 Anm. 1 und über Zentralvereine (Gesamtverbände) § 21 Anm. 4. Uber Gewerkschaften vgl. RAG ARS 2, i94> 277; 5» 43) 147; 7, 512; 10, 252. Anm. 4 Die Veränderung des Sitzes innerhalb des Deutschen Reichs berührt die Rechtsfähigkeit nicht, wohl aber die Verlegung ins Ausland (RG 88,53). Die Vorschriften der §§ 24—53 gelten, von den nachgenannten Ausnahmen abgesehen, auch für die kleineren Vereine auf Gegenseitigkeit (§ 53 Abs. 2 VAG). § 3 5 Die V e r f a s s u n g eines rechtsfähigen Vereins w i r d , s o w e i t sie nicht auf den nachfolgenden Vorschriften beruht, durch die Vereinssatzung b e s t i m m t . E I 4J II 24; M I 93ff.; P 1 5 0 4 f r .

Übersicht: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Allgemeines Die Satzung Die Vereinsautonomie (Vereinsgewalt) Die Vereinsstrafe, insbesondere die Ausschließung Kein Ausschluß des Rechtswegs Die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Vereinsorgane Vereinsverbände

102

Anm.

1 2 3 4 5 6 7

Vereine

§25

Anm. 1—3

Anm. 1 1. A l l g e m e i n e s : Für die Verfassung der rechtsfähigen Vereine gelten zunächst die zwingenden Vorschriften des B G B (§§ 2 6 1 , 3 2 1 , 3 9 1 ) oder besonderer Bundes- und Reichsgesetze, sodann die Satzung und schließlich die ergänzenden Vorschriften des B G B . Uber die Verfassung der Vereine, deren Rechtsfähigkeit auf staatlicher Verleihung beruht, können nach Art. 82 E G landesrechtlich besondere Vorschriften gegeben werden. Ebenso für die nach Bundes(Reichs)recht errichteten Vereine. U n d zwar können solche besonderen Bestimmungen entweder bei der Verleihung der Rechtsfähigkeit für den einzelnen Verein getroffen oder es können für eine gewisse Art von Vereinen besondere gesetzliche Vorschriften erlassen werden, die dann bei der Verleihung der Rechtsfähigkeit als stillschweigend auferlegt gelten. Vorschriften dieser Art aus früherer Zeit sind durch Art. 82 (vgl. auch Art. 89 c P r A G ) für die vor Inkrafttreten des B G B errichteten rechtsfähigen Vereine aufrechterhalten ( R G 8 1 , 244). Uber die Anwendbarkeit der §§ 25 fr. auf nichtrechtsfähige Vereine vgl. § 54 Anm. 1. Für die vom Staat selbst gegründeten Vereine sind die ihnen von diesen vorgeschriebenen Satzungen maßgebend oder sonst aus dem Vereinszweck zu entnehmen. Die Vorschriften des B G B sind nur sinngemäß anwendbar. In den Satzungen kann auch die Bestellung eines A u f s i c h t s r a t e s vorgesehen werden. Ist das bei einem kleineren Verein i. S. des § 5 3 V A G geschehen, so gelten hierfür entsprechend §§ 36 Abs. 2 und 3, 3 7 — 4 1 Abs. 1 , 2 , 4 des G e n G .

Anm. 2 2. Die S a t z u n g : Die Satzung ist ein sozialrechtlicher G e m e i n s c h a f t s - o d e r S c h ö p f u n g s a k t , nicht wie der Gesellschaftsvertrag ein schuldrechtlicher, gegenseitiger Vertrag, aus dem die Rechte und Pflichten der Vereinsmitglieder fließen ( R G 100, 1 ; 153, 169; 165, 1 4 3 ; B G H 13, 5 ; a i , 370). Diese entstehen und bestehen unabhängig von dem Willen der einzelnen Mitglieder, finden ihre Grundlage vielmehr in der Mitgliedschaft, z. T . wie die Treupflicht ohne ausdrückliche Regelung. Die Satzung enthält also insofern N o r m e n , wenn sie auch kein objektives, für Außenstehende geltendes Recht schafft, diese vielmehr nur im Verhältnis der Mitglieder zueinander und der Mitgliedergesamtheit, dem Verein gelten. Deshalb ist die Satzung ebenso wie das Gesetz nur aus sich, aus seinem Wortlaut a u s z u l e g e n , sind außerhalb liegende Umstände, insbesondere Erklärungen der Gründer ohne Bedeutung, falls sie nicht in der Urkunde irgendwie Ausdruck gefunden haben. Wohl aber kann die ständige Übung, insbesondere die Beschlüsse der Mitgliederversammlung zur Auslegung herangezogen werden ( R G 106, 1 2 3 ; J W 1936, 2382; B G H 14, 25.) Wegen der besonderen Natur des Gründungsaktes und der Satzung finden auf diese, mögen sie auch Rechtsgeschäfte sein, wie bei sonstigen Gesellschaften ( R G 127, 1 9 2 ; 142, 1 0 5 ; 162, 203) die Vorschriften über N i c h t i g k e i t u n d A n f e c h t u n g keine Anwendung, nachdem der Verein eingetragen ist oder ihm die Rechtsfähigkeit verliehen ist, bei einem nicht rechtsfähigen Verein, nachdem er seine Tätigkeit aufgenommen hat (RG D R 43, 801). Verstößt der Zweck des Vereins gegen Gesetz oder die guten Sitten oder ist er nach öffentlichem Vereinsrecht unerlaubt (Art. 9 I I G G und Ausführungsgesetz), so ist die Eintragung abzulehnen oder dem eingetragenen Verein die Rechtsfähigkeit zu entziehen, die Verleihung zurückzunehmen oder gemäß § 2 Vereinsgesetz polizeilich aufzulösen. Sind nur einzelne Bestimmungen der Satzung gemäß §§ 134, 138 nichtig, so bleibt die Verfassung im übrigen in Geltung (RG SeuffArch. 65, 205). Dagegen kann das einzelne Mitglied seine Beitrittserklärung anfechten oder dessen Nichtigkeit geltend machen, da das Bestehen des Vereins von der Zugehörigkeit bestimmter Mitglieder unabhängig ist. Nur wenn infolge der Rückgängigmachung der Beitrittserklärung die Zahl der Mitglieder unter 3 sinkt, führt dies wie bei Austritten gemäß § 73 zur Entziehung der Rechtsfähigkeit oder zur Rücknahme der Verleihung.

Anm. 3 3 . Die V e r e i n s a u t o n o m i e ( V e r e i n s g e w a l t ) : Die dem Verein gegebene Befugnis, im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der bei der Verleihung gesetzten Schranken seine inneren Verhältnisse selbständig zu regeln, ist eins der wesentlichen

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§25

Allgemeiner Teil. Personen

A n m . 4, 5 Merkmale des Vereins, und zwar nicht nur des rechtsfähigen, sondern auch des nichtrechtsfähigen, für den sonst im allgemeinen die Vorschriften über die Gesellschaft gelten sollen; es ist geradezu mit das Unterscheidungsmerkmal zu der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft. Diese Vereinsautonomie (vgl. B G H 13, 1 1 ) gilt besonders für die Organisation des Vereins, d.h. für die Bestimmungen über Zweck, Sitz, Mitgliedschaft, Beschlußfassung, Vorstand und sonstige Vereinsorgane. Sie sind grundsätzlich in der bei der Gründung des Vereins aufzustellenden S a t z u n g festzulegen. Schriftlichkeit ist zwar nicht Voraussetzung für ihre Geltung, sie ist aber insofern erforderlich, als die Eintragung oder die Verleihung nicht ohne Vorlage einer solchen schriftlichen Satzung erfolgt, auch zur Eintragung der Genehmigung von Satzungsänderungen die neue Fassung vorgelegt werden muß (§§ 59 I I , 71). Die Verfassung muß nicht in einer einheitlichen Urkunde enthalten sein, es können daneben auch Sonderordnungen für bestimmte Gebiete, z. B. für Aufnahme, Ausschluß und Bestrafung der Mitglieder, Schiedsgerichte, bestehen, die Bestandteile der Satzungen sind ( R G 73, 193). Dazu gehören aber nicht die Geschäftsordnungen für den Vorstand oder sonstige Vereinsorgane. — Neben diesen formellen Satzungsbestimmungen können auch, soweit dies nicht durch die Satzung ausgeschlossen ist, weitere Organisationsbestimmungen durch Beschlüsse der Mitgliederversammlung, sei es ausdrücklich oder stillschweigend getroffen worden, auch kann die Verfassung durch ständige Übung (Observanz) ausgestaltet, j a unter Umständen auch geändert werden, ebenso wie Gesetzesrecht durch Gewohnheitsrecht.

Anm. 4 4. D i e V e r e i n s s t r a f e , i n s b e s o n d e r e d i e A u s s c h l i e ß u n g : Ausfluß der Vereinsautonomie (Vereinsgewalt) ist auch das Recht des Vereins über den Ausschluß eines Mitgliedes selbständig zu entscheiden, ohne daß diese Entscheidung von den Gerichten sachlich nachgeprüft werden kann. Erst wenn das in der Satzung vorgeschriebene Verfahren erschöpft ist, kann der Rechtsweg beschritten werden ( R G 85, 3 5 5 ; B G H 13, 15) in dem aber nur geprüft werden kann, ob das vorgesehene Verfahren innegehalten ist, dem Mitglied die Gründe für seinen Ausschluß bekanntgegeben sind und es vor dem Ausschluß hinreichend gehört worden ist ( R G 147, 1 1 3 ; SeuffArch. 79 Nr. 1) oder ob der Ausschluß nicht grob unbillig oder sittenwidrig ist ( R G 140, 2 3 ; 147, 1 4 ; B G H 13, 12). Wegen der Einzelheiten siehe Anm. 4 § 3 9 . Weiter können auch S t r a f - u n d D i s z i p l i n a r m a ß r e g e l n (Geldstrafen, Rügen, Suspension u.dgl.) als Akte der Selbstverwaltung des Vereins gegen ein Mitglied verhängt werden, wenn sie in der Satzung vorgesehen sind ( R G 125, 340 mit Nachweisen; B G H 13, 5 ; 2 1 , 375). Die Strafbefugnis kann nicht weitergehen, als sie in den Satzungen bestimmt ist ( R G 125, 388; 1 5 1 , 232). Die hierüber erlassenen Standesordnungen sind Teile der Satzungen ( R G 73, 192). Die Strafbarkeit muß satzungsgemäß bestimmt sein, bevor die Handlung begangen wurde ( R G H R R 1929 Nr. 792). Sie setzt in der Regel Verschulden voraus ( R G J W 32, 1 0 1 0 ; R G 148, 3 2 4 ; 163, 206). Wiederholte Bestrafung auf Grund desselben Tatbestandes ist nicht zulässig (vgl. R G Recht 1929 Nr. 475). Die sachliche Berechtigung der Strafen ist nur im Rahmen der für die Ausschließung geltenden Grundsätze vom Richter nachzuprüfen ( R G J W 1928, 2208 8 , 2209 4 , 140, 2 3 ; B G H 2 1 , 370). Vorausgesetzt ist, daß die Bestrafung das Mitglied in seiner Betätigung innerhalb des Vereins, nicht aber auch in seiner Rechtsstellung außerhalb des Vereins berührt ( R G J W 1925, 1424 1 ). Nicht berechtigt ist daher der Verein — was der richterlichen Nachprüfung unterliegt ( R G 3 1 . 5. 16 I V 17/16) — das Mitglied wegen einer nicht in das Vereinsgebiet fallenden Tätigkeit zur Verantwortung zu ziehen. Geldstrafen des Vereins haben nicht die rechtliche Natur von Vertragsstrafen, der Prozeßrichter ist zu ihrer Herabsetzung nicht befugt ( R G J W 28, 2208; B G H 2 1 , 372). Ehrenmitglieder und ausländische korrespondierende Mitglieder sind der Vereinsgerichtsbarkeit nicht unterworfen, wenn das Gegenteil nicht zweifelsfrei in der Satzung zum Ausdruck gebracht ist ( R G Recht 1 9 1 7 Nr. 755), vgl. M e y e r - C o r d i n g , Die Vereinsstrafe 1957.

Anm. 5 5. K e i n A u s s c h l u ß d e s R e c h t s w e g s : Aus der Beschränkung der Vereinsautonomie folgt, daß der Rechtsweg f ü r d i e M i t g l i e d e r b e i S t r e i t i g k e i t e n m i t d e m

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Vereine

§25

Anm. 6, 7

V e r e i n oder anderen Mitgliedern ebensowenig wie sonst völlig ausgeschlossen werden kann ( R G 1 4 0 , 2 5 ; 147, 15). Wohl aber kann für die Entscheidung solcher Streitigkeiten in der Satzung oder in einer besonderen S c h i e d s g e r i c h t s o r d n u n g ein S c h i e d s g e r i c h t bestimmt werden, dessen Verrichtungen einem besonderen von dem Vereine gewählten Ausschuß — der aber nicht so zusammengesetzt werden darf, daß ihm die erforderliche Selbständigkeit gegenüber dem Vereine fehlt —•, nicht dagegen dem Vorstande oder Mitgliedsversammlung übertragen werden dürfen ( R G 8o, 1 9 1 ; 8 8 , 4 0 2 ; 90, 306; J W 1 9 1 7 , 930 8 ; 93, 288). Da die Regelung solcher Schiedsgerichtsbarkeit nicht auf einem Vertrag, sondern einem Willensakt des Vereins beruht, ist auf sie § 1048 Z P O anzuwenden, da die Ausnahme des § 1027 und des Ges. v. 18. 12. 33 zugunsten von Schiedsgerichtsbarkeit in Kartellvereinbarungen sich auf die vereinbarte Schiedsgerichtsbarkeit bezieht, R G 153, 269; B G H 2 1 , 374. Auch das einzelne Vorstandsmitglied ist zur Ausübung der schiedsrichterlichen Tätigkeit unfähig ( R G J W 1918, 732 2 ), doch können nach R G 1 1 3 , 320 Vereinsmitglieder dem Schiedsgericht angehören. Zulässig ist auch die Anordnung, daß vor Beschreiten des Rechtswegs die Entscheidung des Vereins eingeholt werden muß. Soll nach der Satzung die Mitgliederversammlung unter Ausschluß des Rechtswegs entscheiden, so hat diese Bestimmung doch insofern Gültigkeit, als vor Entscheidung der Mitgliederversammlung die Gerichte nicht angerufen werden dürfen ( R G 85, 356; Warn 1 9 1 9 Nr. 20). Die Zulässigkeit des Rechtswegs kann somit dadurch beschränkt werden, daß den Vereinsorganen die Vorentscheidung übertragen wird. Über Streitigkeiten zwischen Vorstand und Versammlung s. § 26 Anm. 1.

Anm. 6 6. Die Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Vereins: Das Recht, seine

Angelegenheiten selbständig zu verwalten, ist für den Bestand des Vereins wesentlich. Der Vorstand, Aufsichtsrat usw. dürfen nicht im Wege des Vertrags in eine solche Abhängigkeit von einer außenstehenden Person gebracht werden, daß damit dem Verein die Selbständigkeit genommen ist. Dies würde der Fall sein, wenn einer fremden Person eine derartige Einwirkung auf die Geschäftsführung zugestanden wird, daß sie die Ernennung und Entlassung der Geschäftsführer und die Fassung bestimmter Beschlüsse durch den Aufsichtsrat und die Mitgliederversammlung verlangen kann. Ein Vertrag, durch welchen ein bestehender Verein in dieser Weise geknebelt, in Abhängigkeit von einem Dritten gebracht und zu dessen willenlosem Werkzeug herabgedrückt wird, so daß der Vorstand nicht mehr selbständiges Willensorgan des Vereins bleibt, kann nach § 138 nicht als gültig angesehen werden ( R G J W 1 9 1 3 , 9 1 6 1 1 ; vgl. auch R G 3, 123). U n d ein Verein, dem von vornherein das Selbständigkeitsrecht entzogen ist, kann überhaupt nicht zur Entstehung kommen. Nicht unzulässig ist es, wenn hinsichtlich der Gewinnverteilung dem Ermessen eines Drittren ein gewisser Einfluß eingeräumt wird. Ein Verein, der im öffentlichen Interesse liegende Bestrebungen verfolgt, kann sich insbesondere durch Vertrag mit der Behörde einer dem Zwecke des Vereins entsprechenden Begrenzung der Gewinnverteilung unterwerfen (vgl. R G 83, 377). Dagegen können die Befugnisse des Vorstandes erheblich beschränkt werden, er bei allen oder bestimmten Maßnahmen an die Zustimmung anderer Vereinsorgane, Aufsichtsrat, Ausschuß, Mitgliederversammlung, gebunden werden, nur darf ihm die Vertretungsbefugnis nach außen nicht gänzlich genommen werden. Es können aber auch seine Befugnisse über das sonst übliche M a ß ausgedehnt, diejenigen der Mitgliederversammlung dementsprechend eingeschränkt werden. Nur die Entscheidung über die Änderung des Vertragszwecks und die Auflösung muß der Mitgliederversammlung verbleiben ( J W 34, 3000, D J 36, 1 2 7 1 , D R Z 35, 499). Auch dürfen die Interessen der Mitglieder nicht der Willkür des Vorstandes überlassen, diese wohlmöglich durch Beschränkung des Austritts geknebelt, dem Vorstand eine übermäßige Machtstellung eingeräumt werden. Solche Bestimmungen würden gemäß § 138 B G B nichtig sein.

Anm. 7 7. V e r e i n s v e r b ä n d e : Ist ein Verein aus m e h r e r e n e i n z e l n e n V e r e i n e n zusammengeschlossen, so verpflichten die Satzungen des Hauptvereins die Mitglieder der

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§26

Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 1, 2 einzelnen Vereine unmittelbar ( R G in SeufFArch. 59 Nr. 1 1 8 ) . Deren Mitglieder können auch für sich noch Mitglieder des Hauptvereins sein, sofern der Mitgliedsverein nicht eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist ( R G H R R 1930 Nr. 2162). G a u e und O r t s g r u p p e n als Gliederungen eines umfassenden Verbandes sind von diesem unterschiedene s e l b s t ä n d i g e r e c h t s f ä h i g e V e r e i n e , können aber diesen möglicherweise vertreten, Verwaltungsstelle des Hauptvereins sein, der Vorstand des größeren Verbandes kann auch über die Aufnahme in die Gliederung entscheiden ( R G 118, 196). Ein Sportverein kann gegen den Verband, dessen Mitglied er ist, auf Feststellung klagen, daß er entsprechend der Einstufung in der Satzung in der ersten Klasse der Gauvereine zu führen ist, weil es sich um ein satzungsmäßiges Mitgliedschaftsrecht und nicht bloß um eine innere Verwaltungsangelegenheit des Verbandes handelt ( R G J W 1925, 224).

§ 3 6

Der Verein muß einen Vorstand haben. Der Vorstand kann aus mehreren Personen bestehen. Der Vorstand vertritt den Verein gerichtlich und außergerichtlich; er hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters. Der Umfang seiner Vertretungsmacht kann durch die Satzung mit Wirkung gegen Dritte beschränkt werden. E I 44 Abs. 1 u. 4 II 2j; M 1 94ff.; 97ff.; P i joöff., 513; 6 114.

Anm. 1 1. Der Vorstand:

Der Vorstand bildet das n o t w e n d i g s t e V e r e i n s o r g a n . Ohne den Vorstand würde der Verein überhaupt nicht in Tätigkeit treten können. Seine Vertretungsbefugnis kann aber sehr beschränkt werden. Ein gemäß § 29 bestellter Vorstand z.B. nur auf die Einberufung einer Mitgliederversammlung ( R A G A r b R 3 1 , 6). E r ist ein von der Mitgliederversammlung verschiedenes Gebilde, wenn auch in der Satzung bestimmt werden kann, daß die sämtlichen Mitglieder den Vorstand bilden. Ohne eine solche Bestimmung ist dies nicht anzunehmen, da der für die Gesellschaft geltende Grundsatz des § 709 Satz 1 nicht auf den Verein übertragen werden kann (vgl. hinsichtlich der Gewerkschaft R G J W 1 9 1 5 , 527 2 3 ). Trifft die Satzung nicht in anderer Weise Vorsorge, so ist der Vorstand nach § 27 von der Mitgliederversammlung zu wählen. Außer dem Vorstande können noch andere Vereinsorgane bestehen. Es können für gewisse Geschäfte besondere Vertreter bestellt sein (§ 30). Es kann ein Aufsichtsrat ein Ehrenrat usw. eingerichtet sein. Ist zwischen Vorstand und Mitgliederversammlung eine Meinungsverschiedenheit über die ordnungsmäßige Wahl eines Vereinsmitgliedes, über dessen Befugnisse usw. entstanden, indem der Vorstand entgegen der Mitgliederversammlung die Wahl nicht anerkennt und den Gewählten nicht zu den Geschäften heranzieht, so steht nichts entgegen, daß der Gewählte gegen den Verein auf Anerkennung seiner Rechte klagt. Es handelt sich auch hier um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit, deren Entscheidung den Gerichten nicht entzogen ist (a. A . R G 79, 409, welche Entscheidung die Einmischung der Gerichte in derartige innere Vereinsangelegenheiten für ausgeschlossen hält, die Mitgliederversammlung darauf verweist, ihren Willen durch Entlassung des Vorstandes durchzusetzen und dem einzelnen nur hilfsweise die K l a g e gegen die widerstrebenden Vorstandsmitglieder gewährt). — Die Freiheit der Vereinsmitglieder, ein Vereinsamt anzunehmen, kann in der Regel durch vertragsmäßige Abmachungen nicht beschränkt werden (§ 138 — vgl. R G 57, 205; 1 3 1 , 179). Über Beschränkungen des Stimmrechts s. § 32 Anm. 3. Es ist nicht rechtsmißbräuchlich und sittenwidrig, wenn der Vorstand als Vereinsmitglied bei seiner Wahl oder bei seiner A b berufung mitstimmt (vgl. R G 138, 98 betr. eine G m b H , wo aber die Frage nicht entschieden ist), S. § 34 Anm. 1. — Dem Vorstand können Nichtmitglieder des Vereins nicht angehören (str).

Anm. 2 2. Mehrere Personen als Vorstand:

Soll der Vorstand aus mehreren Personen bestehen, so muß dies in der Satzung festgesetzt werden. Gesamtvertretung ist nicht ohne

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Vereine

§26

Anm. 3

weiteres anzunehmen. Es genügt jedoch, wenn in der Satzung die Zusammensetzung des Vorstandes aus mehreren Mitgliedern für zulässig erklärt und die Höchstzahl dieser Mitglieder bestimmt wird. Uber das Vertretungsrecht bei Vorhandensein mehrerer Vorstandsmitglieder s. § 28 Anm. 1. Besteht der Vorstand teilweise aus Mitgliedern, die mit der Geschäftsführung betraut sind, teilweise aus anderen Mitgliedern (Gesamt vorstand), so bilden nur die ersteren den Vorstand im Sinne des § 26, während im übrigen der als Vorstand bezeichnete Ausschuß den Charakter eines Aufsichtsrats hat ( R J A 1 1 , 265; K G Recht 1929 Nr. 1455). Auch bei einem aus vier Personen bestehenden Vereinsvorstand kann bestimmt werden, daß er durch zwei Vorstandsmitglieder vertreten werden kann ( R G 42, 216).

Anm. 3 3. Die Vertretungsmacht des Vorstands:

Dem Vorstand gebührt die unbeschränkte, gerichtliche und außergerichtliche Vertretung in allen Angelegenheiten des Vereins, und zwar hat der Vorstand hierbei die Stellung eines gesetzlichen Vertreters (vgl. §§ 52, 56, 241, 246, 473, 474, 1 7 1 , 184 Z P O — auch § 206 B G B ist entsprechend anwendbar). Die Stellung als gesetzlicher Vertreter zeigt sich auch darin, daß die Rechte des Vereins selbst in solchen Fällen, wo eine Vertretung an sich unstatthaft ist, durch den Vorstand wahrzunehmen sind, was im Grunde darauf beruht, daß die H a n d l u n g e n d e s V o r s t a n d e s d i e e i g e n e n H a n d l u n g e n d e s V e r e i n s sind (vgl. § 3 1 ) . Das Wissen und der gute oder böse Glaube des Vorstandes ist dasjenige des Vereins ( R G J W 1 9 1 1 , 1 0 1 2 ) , es bleibt auch bei einem Wechsel des Vorstandes für die vom früheren Vorstand vorgenommenen Handlungen bestehen, wirkt aber nicht für den neuen Vorstand ( R G Recht 1922 Nr. 397). Der Vorstand ist zwar nicht gesetzlicher Vertreter der für sich allein nicht handlungsfähigen Vereinsmitglieder, sondern Willens o r g a n des als Willenssubjekt gedachten Vereins, der kraft Gesetzes u n m i t t e l b a r durch ihn handelt. Die Vertretungsbefugnis des Vorstandes geht sowohl dahin, daß er Rechtshandlungen für den Verein vornehmen darf, als daß ihm gegenüber Rechtshandlungen für den Verein vorgenommen werden dürfen ( t ä t i g e u n d d u l d e n d e V e r t r e t u n g ) . Sie kann dem Vorstand durch die S a t z u n g niemals entzogen werden, womit die Einrichtung des Vorstandes beseitigt wäre, wohl aber beschränkt werden, ohne daß sich Dritte auf ihre Unkenntnis der Beschränkung berufen können ( R G im Recht 07 Nr. 2497, vgl. dieserhalb für eingetragene Vereine §§ 6 4 , 6 7 , 6 8 , 7 0 ; anders im Falle des § 28 Abs. 2, s. Anm. 2 das.). Der Verein wird durch die Handlungen des Vorstandes verpflichtet, soweit diese nach T r e u und Glauben von Dritten als Handlungen innerhalb der Vertretungsbefugnis angesehen werden müssen ( R G 65, 295). Die Vertretungsbeschränkung kann darin bestehen, daß dem Vorstand die Vornahme bestimmter Arten von Rechtshandlungen untersagt oder nur unter bestimmten Bedingungen — Willenserklärung in bestimmter Form, Zustimmung der Mitgliederversammlung, Zustimmung eines Angestellten usw. — gestattet wird. Die Geschäfte können auch zwischen mehreren Vorstandsmitgliedern und zwischen den Vorstandsmitgliedern und einem besonderen Vertreter (§ 30) derart geteilt werden, daß ein jeder nur für einen bestimmten Geschäftszweig vertretungsberechtigt ist. Eine nicht durch S a t z u n g s b e s t i m m u n g auferlegte Beschränkung (z. B. eine von der Mitgliederversammlung für einen einzelnen Fall erteilte Anweisung) hat gegen den Dritten keine Wirkung ( R G 63, 208; 94, 3 2 1 ) . Nicht beschränkbar ist die Befugnis zur Entgegennahme von Willenserklärungen (vgl. § 28 Anm. 2). Durch Verfügungen, die e r k e n n b a r außerhalb des Rahmens des Vereinszweckes liegen, kann der Vorstand den Verein nicht verpflichten ( S t a u d i n g e r A 7; R G 85, 262). Bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts, muß sich der gesetzliche Vertreter regelmäßig im Rahmen des ihm zugewiesenen Geschäftskreises halten. Auf die Vertretungsbefugnis des Vorstandes ist es an sich ohne Einfluß, daß der von ihm geschlossene Vertrag einen g e s e t z w i d r i g e n oder u n s i t t l i c h e n Zweck verfolgt. Ein derartiger Vertragsinhalt macht den Vertrag — im Gegensatz zu einer bloß einseitigen Verfügung — nur ungültig, wenn der Sachverhalt auch dem Vertragsgegner bei Eingehung des Vertrags klar war, wenn also ein arglistiges Zusammenwirken beider Teile stattgefunden hat ( R G J W 1 9 1 2 , 526 2 , vgl. auch R G 94, 320; 145, 3 1 1 ) . Das gleiche gilt für den Fall, daß die

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Allgemeiner Teil. Personen

§ 26 Arnn. 4 § 27 A n m , 1

Vertretungsbefugnis von dem Vorstand zu eigennützigen Zwecken mißbraucht wird. Ist in der Satzung einem Mitglied des Vorstandes die Vertretungsbefugnis unter Ausschluß der übrigen übertragen, so können diese im Rechtssinne nicht als Vorstandsmitglieder gelten. Dem Vorstand verbleibt die Vertretungsbefugnis nach außen auch dann, wenn nach den die i n n e r e Verfassung regelnden Satzungsbestimmungen in der fraglichen Angelegenheit eine andere Vereinsstelle, Ausschuß, Aufsichtsrat usw. beschließen soll. Durch ein dem Vorstand auferlegtes Veräußerungsgebot werden übrigens die Gläubiger des Vereins nicht gehindert, die betreffenden Vermögensgegenstände zu ihrer Befriedigung in Anspruch zu nehmen. Die Satzungsbestimmung, daß der Vorstand außer mit seinem Namen auch mit dem Namen des Vereins zu unterzeichnen habe, enthält nur eine Ordnungsvorschrift. Das Fehlen des Vereinsnamens macht die Erklärung nicht unwirksam ( K G J W 1933, 1 3 3 1 1 ) . — Die Klage eines Mitgliedes gegen den Verein auf Feststellung der Ungültigkeit eines Vorstandsbeschlusses setzt ein Feststellungsinteresse nach § 256 Z P O voraus, versagt also, wenn der Beschluß später bestätigt ist (RG J W 1928,706 4 ). — Der Verein ist auch seinen Mitgliedern gegenüber für den Schaden verantwortlich, den diese dadurch erleiden, daß die Vereinsorgane ihre Obliegenheiten (Sorge für sichere Aufbewahrung der Kleidungsstücke der Mitglieder in dem Garderobenraum eines geselligen Vereins; Ausführung einer Geschäftsbesorgung) nicht erfüllen (RG 103, 266; 161, 68). Mißachtet der Vorstand den sich in einer regelrechten Wahl kundgebenden Willen der Mitglieder, so hat das beeinträchtigte Mitglied die Mitgliederversammlung anzurufen (RG 79, 4 1 1 ) . Anm. 4 4. Der Vorstand als Besitzer für den Verein: Der Besitz wird dem Verein durch Handlungen des Vorstandes erworben, der auch hierbei die Stellung eines Vertreters, nicht eines Besitzdieners hat. Der Besitz des Vorstandes wird der juristischen Person als eigener Besitz zugerechnet. Es ist deshalb nicht richtig, dem Vorstande den unmittelbaren und der juristischen Person den mittelbaren Besitz (§ 868) zuzuschreiben (vgl. § 854 Anm. 5). Der Besitz des Vorstandes als Organ ist vielmehr Besitz des Vereins, ähnlich wie seine Handlungen solche des Vereins sind. Die Angestellten der juristischen Person sind dagegen regelmäßig als Besitzdiener (§ 855) anzusehen. Bei einer Gemeinde kann der Besitz auch durch Benutzungshandlungen der Gemeindemitglieder erworben werden, wenn es sich um Sachen handelt, an denen den Gemeindemitgliedern Benutzungsrecht zukommt. § 3 7 Die Bestellung des Vorstandes erfolgt durch Beschluß der Mitgliederversammlung. Die Bestellung ist jederzeit widerruflich unbeschadet des Anspruchs auf die vertragsmäßige Vergütung. Die Widerruflichkeit kann durch die Satzung auf den Fall beschränkt werden, daß ein wichtiger Grund für den Widerruf vorliegt; ein solcher Grund ist insbesondere grobe Pflichtverletzung oder Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung. Auf die Geschäftsführung des Vorstandes finden die für den Auftrag geltenden Vorschriften der § § 664 bis 670 entsprechende Anwendung. E I

44

Abs.

2

u.

3

II

26;

M 1

95 ff.; P i 509fr., J 5 2 C ;

a

377fr.

Anm. 1 1. Die Bestellung des Vorstands: Die Vorschrift des § 27 Abs. 1 ist durch die Satzung abänderlich (§ 40). Die Bestellung des Vorstandes oder das Vorschlagsrecht kann deshalb auch einem anderen Vereinsgliede, z. B. dem Aufsichtsrat oder bestimmten Mitgliedern oder einem Dritten, insbesondere einer Behörde, übertragen werden. Auch die Satzung selbst kann eine bestimmte Person zum Vorstand bestellen oder ihr ein Recht auf Bestellung einräumen. Einem mehrgliederigen Vorstand kann das Recht der Selbstergänzung gewährt werden. In Ermangelung einer anderen Be-

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Vereine

§27

Anm. 2, 3

Stimmung hat die M i t g l i e d e r v e r s a m m l u n g den Vorstand zu wählen. Die Wahl erfolgt nach den für die Beschlußfassung geltenden Regeln (§ 32 Anm. 3). Das Recht der Vertretung erlangt der Vorstand kraft der Bestellung, die ein einseitiges, aber empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft bildet ( R G 68,385). Der Vorstand ist, sobald ihm die Bestellung mitgeteilt wird, als verpflichtet anzusehen, sich über die Annahme der Bestellung alsbald (§§ 147 fr.) zu erklären, widrigenfalls das Recht auf Annahme erlischt. Die Geschäftsführungspflicht entsteht für den Vorstand, falls nicht ein besonderer Vertrag mit ihm geschlossen oder er als Mitglied nach der Satzung zur Übernahme des Amtes verbunden ist, erst durch die Annahme der Bestellung. Eine Verpflichtung hierzu kann der beschränkt Geschäftsfähige nur mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters übernehmen. Mit Rücksicht hierauf wird der Regel nach anzunehmen sein, daß auch die Ermächtigung zur Vertretung erst mit Erteilung der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zur Geschäftsführung wirksam werden soll. Verlängerung der satzungsmäßigen Amtsdauer durch die Mitgliederversammlung ist zulässig, wenn der Vorstand gültig gewählt war.

Anm. 2 2. Der Widerruf der Bestellung:

Das Widerrufsrecht steht in der Regel derselben Stelle zu, welche den Vorstand zu bestellen hat. Daneben ist auch die Mitgliederversammlung allgemein zum Widerruf berechtigt (vgl. O L G 32, 330). In der Ausschließung eines Mitgliedes aus dem Verein ist zugleich ein Widerruf der Bestellung zum Vorstandsmitglied zu finden ( R G SeufTArch. 77 Nr. 17), unter U m ständen selbst dann, wenn die Ausschließung ungültig ist ( R G L Z 1 9 2 1 , 744). Bestimmt die Satzung, daß ein Mitglied nur durch einstimmigen Beschluß des Vorstandes ausgeschlossen werden kann, so bezieht sich das nicht ohne weiteres auf den Ausschluß eines Vorstandsmitglieds durch die übrigen Vorstandsmitglieder ( R G H R R 1932 Nr. 1638). Die Zulässigkeit des Widerrufs kann auf den Fall, daß ein wichtiger Grund vorliegt (vgl. § § 6 7 1 , 7 1 2 ) , beschränkt, nicht aber in noch weiterem Maße ausgeschlossen werden, da sonst der Vorstand zum unbeschränkten Herrn des Vermögens gemacht würde (vgl. R G 3, 129). Unzulässig sind auch Vereinbarungen, welche das Recht, die Bestellung aus wichtigem Grunde zu widerrufen, durch Festsetzung hoher Entschädigungssummen oder sonstiger Nachteile derart erschweren, daß seine Ausübung dem Verein nicht wohl möglich ist (vgl. R G 6 1 , 328; 75, 238; J W 1 9 1 5 , 1106 6 ). Für den Anspruch des Vorstandsmitgliedes auf Fortbezug der Vergütung kommt es darauf an, ab das Vertragsverhältnis (Anm. 3) wirksam beendet ist. Uber Einräumung eines Sonderrechts auf Mitgliedschaft im Vorstand s. § 35 Anm. 1.

Anm. 3 3. Die rechtliche Stellung des Vorstands:

Die rechtliche Stellung des Vorstands ist, wenn der Vorstand eine Vergütung erhält, nach den Regeln des Dienstvertrags, sonst nach den Regeln des Auftrags zu beurteilen. Die Satzungen können aber etwas anderes bestimmen (§40). Hierbei ist allerdings der Eigenart des Verhältnisses, indem der Vorstand eine selbständigere Stellung einnimmt wie sonst der Beauftragte oder Dienstverpflichtete, Rechnung zu tragen, ohne daß aus diesem Grunde mit der herrschenden Meinung ein besondersartiger sozialrechtlicher Vertrag angenommen zu werden braucht. Hinsichtlich der Geschäftsführung sind in Ermangelung einer anderen Vereinbarung die (nach § 7 1 3 auch bei der Gesellschaft geltenden) Bestimmungen der §§ 664—670 entsprechend anwendbar, die §§ 665 u. 666 natürlich nur insoweit, als in der fraglichen Beziehung ein Unterordnungsverhältnis des Vorstandes besteht. Diese Bestimmungen verhalten sich darüber, daß die Ausführung des Auftrags und der Anspruch des Auftragsgebers auf die Ausführung im Zweifel nicht übertragbar ist (§ 664). Der Beauftragte darf ferner nach § 665 von den Weisungen des Auftraggebers nur abweichen, wenn er auf dessen Billigung rechnen kann. Er ist nach § 666 zur Auskunftserteilung und Rechenschaftslegung, gemäß §§ 667, zur Herausgabe und, falls er das herauszugebende Geld für sich verwendet hat, zur Verzinsung verpflichtet. Der Auftraggeber hat ihm nach § 669 auf sein Verlangen Vorschuß zu leisten und nach § 670 ihm die Aufwendungen, die er für erforderlich halten

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§ 27 A n m . 4 § 28 A n m . 1

Allgemeiner Teil. Personen

durfte, zu ersetzen. Die Kündigung des Vertragsverhältnisses ist dem Vorstandsmitglied und dem Verein, wenn ein dauerndes Dienstverhältnis mit festen Bezügen eingegangen ist, ohne Einhaltung der vertragsmäßigen Kündigungsfrist nur aus wichtigem Grunde (§§ 626, 627), sonst unbeschränkt, nur nicht zur Unzeit (§§ 627, 671, 675) gestattet. Verschieden von dem Kündigungsrecht ist das in Anm. 2 behandelte Widerrufsrecht. Wird aber durch rechtmäßige Kündigung das Vertragsverhältnis aufgelöst, so ist damit zugleich die Bestellung des Vorstandsmitgliedes widerrufen. Die laufende Geschäftsführung kann auch einem anderen als dem Vorstand übertragen werden. — Als ein grobes Verschulden des Vorstandes, das ihn ersatzpflichtig machen kann, ist es anzusehen, wenn er Veröffentlichungen in Vereinsangelegenheiten unter seinem Namen, ohne den Inhalt geprüft zu haben, zuläßt. Wegen Verletzung seiner Pflichten h a f t e t der Vorstand nur dem Verein, nicht den Mtigliedern (RG 59, 50), es sei denn, daß zwischen Verein und Mitglied ein besonderes Vertragsverhältnis (Geschäftsbesorgung, Werkvertrag) bestand (RG 161, 68); der Regel nach , nicht den Gläubigern. Durch eine von dem Vorstand vorgenommene Verteilung der Geschäfte unter die Mitglieder werden die bei der Geschäftsführung nicht mitwirkenden Mitglieder von der allgemeinen Aufsichtspflicht nicht befreit. — Der Vorstand kann nach Maßgabe des Vertrags oder der Satzung oder der gesetzlichen Bestimmungen (§§ 626, 671) sein Amt niederlegen. Anm. 4 4. Die Entlastung des V o r s t a n d s : Ein Anspruch des Vorstandes auf Entlastungserklärung beruht zwar nicht auf gesetzlicher Vorschrift, aber folgt aus der Geschäftsführung nach Treu und Glauben, dürfte als gewohnheitsrechtlich anerkannt anzusehen sein. § 2 8 B e s t e h t der Vorstand aus m e h r e r e n P e r s o n e n , so erfolgt die B e s c h l u ß f a s s u n g nach den für die B e s c h l ü s s e der Mitglieder des Vereins geltenden Vors c h r i f t e n der §§ 32, 34. I s t eine Willenserklärung d e m Vereine gegenüber abzugeben, s o g e n ü g t die A b g a b e g e g e n ü b e r e i n e m Mitglied des Vorstandes. E I 44 Abs. ; u. 6 II 27; M I 99ff.; P I 512II.; 6 114II. Anm. 1 Die Anwendbarkeit der §§ 32 u. 34 ergibt, daß die B e s c h l u ß f a s s u n g des m e h r gliedrigen Vorstandes, des § 26, falls nicht sämtliche Mitglieder schriftlich ihre Zustimmung zu dem Beschluß erklären, nur in einer Sitzung erfolgen kann, zu der sämtliche Vorstandsmitglieder in dieser ihrer Eigenschaft unter Mitteilung des Gegenstandes der Beschlußfassung eingeladen sind. Maßgebend über die Beschlußfassung ist aber zunächst die Satzung, §§ 64, 68, 70. Die Vorschrift gilt nur für die Bildung eines rechtsg e s c h ä f t l i c h e n W i l l e n s ( R G 5 3 , 2 3 1 , 5 7 , 9 3 ; 59, 400). Der Beschluß ist nach Stimmenmehrheit der erschienenen und an der Abstimmung sich beteiligenden Mitglieder zu fassen, wobei die Stimmen der persönlich interessierten Mitglieder (§ 34) nicht mitzuzählen sind. Hat ein Vorstandsmitglied seine Erklärung über den Beschluß sich vorbehalten, so ist darin bis zur Erteilung späterer Zustimmung eine Ablehnung zu sehen (vgl. RG J W 1913, 99423). Uber die Beurkundung der Beschlüsse vgl. § 25 Anm. 2. Dem Dritten gegenüber wird der ordnungsmäßig gefaßte Beschluß erst wirksam, wenn er ihm m i t g e t e i l t wird. Bis dahin handelt se sich bei dem gefaßten Beschluß um eine innere Angelegenheit (vgl. über Beschlüsse des Magistrats RG 89, 442). Durch die Mitteilung an den Dritten wird eine Befugnis zur tätigen V e r t r e t u n g des Vereins ausgeübt, für welche in Ermangelung anderer Bestimmungen die gleichen Grundsätze gelten müssen, wie sie in § 28 Abs. 1 für die Beschlußfassung gegeben sind. Den Vorstandsmitgliedern, die vorschriftsmäßig den Beschluß gefaßt haben, ist es unbenommen, die Wirksamkeit des Beschlusses nach außen dadurch herbeizuführen, daß sie dem Dritten den Beschluß mitteilen. Die Mitteilung kann auch durch das von ihnen hierzu bevollHO

Vereine

§28

Anm. 2, 3

mächtigte Vorstandsmitglied erfolgen, und auch ohne besondere Bevollmächtigung darf es als im Sinne der Satzung liegend angesehen werden, daß der Vorsitzende des Vorstandes kraft seiner Geschäftsleitungsbefugnis hierzu berechtigt ist. Nicht erforderlich ist es, daß die Mitteilung von sämtlichen Vorstandsmitgliedern (a. A . S t a u d i n g e r A i i a zu § 26) oder der Mehrheit der vorhandenen Vorstandsmitglieder (a. A . E n n e c c e r u s § 102 Note 8) ausgeht. Die Ungültigkeit des Beschlusses kann durch die Mitteilung insofern geheilt werden, als darin eine neue gültige Beschlußfassung zu sehen ist. Über Heilung durch Bestätigung der Mitgliederversammlung vgl. R G Warn Rspr. 1 9 1 3 Nr. 1 8 2 ; Recht 1 9 1 3 Nr. 1088.

Anm. 2 Die Vorschriften der §§ 28 u. 32 sind abänderlich (§ 40). Durch die Satzung kann bestimmt werden, daß ein e i n z e l n e s M i t g l i e d des Vorstandes o d e r e i n i g e der Vorstandsmitglieder zur Vertretung des Vereins nach außen hin ermächtigt sind ( R G S t . 42, 219). Durch die Satzung kann ferner angeordnet werden, daß ein jedes Vorstandsmitglied in allen Vereinsangelegenheiten selbständig handeln kann, in welchem Falle (vgl. § 7 1 1 ) angenommen werden darf, daß jedes andere Vorstandsmitglied ein — allerdings nicht nach außen wirkendes — Widerrufsrecht hat. Es kann unter Ausschaltung des Mehrheitsgrundsatzes in der Satzung auch festgesetzt werden, daß die Vorstandsmitglieder oder eine bestimmte Anzahl von ihnen nur gemeinschaftlich über den Verein handeln dürfen ( G e s a m t - o d e r K o l l e k t i w e r t r e t u n g — vgl. hierüber R i s c h in Gruchot 64, 3 f f . ) , was in § 44 des ersten Entwurfs allgemein für Vereine vorgesehen war und namentlich bei Handelsgesellschaften, Aktiengesellschaften usw. die Regel ist. (Uber die sog. unechte Gesamtvertretung durch den Prokuristen und ein Vorstandsmitglied bei der Aktiengesellschaft vgl. R G 134, 303). Es genügt hier, daß die Willenserklärung des einen Vertreters mit Ermächtigung oder nachträglicher Genehmigung des andern Vertreters erfolgt. Die Genehmigung muß nicht stets dem Dritten gegenüber erklärt werden und ebensowenig müssen die für die Genehmigung bedeutsamen Handlungen oder Unterlassungen dem Dritten gegenüber in Erscheinung treten (RG 8 1 , 325). Eine solche Kundgebung dem Dritten gegenüber ist vielmehr nur zu erfordern, wenn der Gesamtvertreter das Rechtsgeschäft nicht als ein fertiges abgeschlossen, sondern durch sein Auftreten als Gesamtvertreter die Mitwirkung (Mitunterschrift usw.) des zweiten Vertreters vorbehalten hat. Festzuhalten ist aber daran, daß ein den Verein bindendes Rechtsgeschäft immer erst dann vorliegt, wenn die Genehmigung des zweiten Vertreters erteilt wird. In diesem Zeitpunkt muß daher das Einverständnis des ersten Vertreters noch vorhanden sein. Z u m Zustandekommen eines Rechtsgeschäfts ist bei der Gesamtvertretung die Ubereinstimmung sämtlicher Vertreter nötig. Z u r Annahme einer Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts genügt es deshalb, wenn auch nur in der Person e i n e s der Vertreter ein Nichtigkeits- oder Anfechtbarkeitsgrund vorhanden ist ( R G 78, 354). Auf andere Handlungen als Willenserklärungen erstreckt sich die Notwendigkeit des Zusammenwirkens nicht. Die K e n n t n i s e i n e r T a t s a c h e seitens eines Gesamtvertreters oder Vorstandsmitgliedes ist der juristischen Person als eigene Kenntnis zuzurechenn ( R G 57, 94; 78, 354; 8 1 , 4 3 3 ; 129, 49), und zwar auch in dem Falle, daß es beim Abschluß des Geschäfts nicht mitgewirkt hat, sofern er als schuldhaft es unterläßt, seine Kenntnis den übrigen Vertretern mitzuteilen. Die juristische Person haftet deshalb gemäß § 3 1 , wenn auch nur der eine Vertreter innerhalb seines Geschäftskreises bewußt unwahre Auskunft erteilt oder sonst arglistig gehandelt hat ( R G 78, 354; 8 1 , 436; J W 1 9 1 5 , 999 6 ); bez. einer solchen Haftung bei vertraglichem Verschulden vgl. R G 1 1 0 , 145. Das Gesagte gilt nicht, wenn es sich um das Wissen eines früheren Vorstandsmitgliedes handelt ( R G SeuffArch. 77 Nr. 65). Die Satzungsvorschrift der Gesamtvertretung kann nicht dadurch beseitigt werden, daß der eine Vertreter die Gesamtheit seiner Rechte auf den anderen überträgt.

Anm. 3 Die Vorschrift des Abs. 2 über W i l l e n s e r k l ä r u n g e n g e g e n ü b e r d e m Verein, die dem Dritten die Berechtigungsprüfung abnehmen will, enthält zwingendes Recht (§§ 40, 1 3 2 ; Z P O § 157). Darauf, ob die anderen Vorstandsmitglieder Kenntnis erhalten,

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§ 28 A n m . 4 § 29 A n m . 1

Allgemeiner Teil. Personen

kommt es nicht an, und zwar selbst dann nicht wenn das eine Vorstandsmitglied die Weitergabe absichtlich unterläßt (RG J W 27, 1675), das Schreiben unterschlägt (BGH 20, 149). Eine Anwendung des gleichen Grundsatzes findet sich in § 171 ZPO (vgl. RG 53, 230). Die Zustellung an einen Vorsteher genügt, auch wenn dieser satzungsmäßig nicht zur Vertretung befugt sein sollte (RG J W 06, 47 19 ). Nicht zur Empfangnahme der Erklärung ist derjenige Vorsteher befugt, von welchem die Erklärung ausgegangen ist (RG 7, 404), aber Kontrahieren mit sich selbst ist nötigenfalls zulässig, § 181 (Klagezustellung). Anm. 4 Für die juristischen Personen des öffentlichen Rechtes hat § 28 keine Geltung (vgl. § 86 Anm. 2). Über die Willenserklärungen eines Schulvorstandes s. RG 58, 62; über Vertretung einer Betriebskrankenkasse RG Gruchot 52, 1175. § 2 9 S o w e i t die erforderlichen Mitglieder des Vorstandes fehlen, sind s i e i n dringenden Fällen für die Zeit bis zur H e b u n g d e s M a n g e l s auf Antrag eines Beteiligten von d e m A m t s g e r i c h t z u bestellen, das für den Bezirk, in d e m der Verein seinen Sitz hat, das Vereinsregister führt. E I 44 Abs. 6 II z8; M I 100; P I j i j f f . Fassung des Rechtspflegcrgesetzcs v. 8. 2. 57 (BGBl. I 18; 44).

Anm. 1 Die Vereine unterstehen nicht der gerichtlichen Aufsicht. Ausnahmsweise hat aber das Amtsgericht des Vereinssitzes auf Antrag eines Beteiligten zur Hebung eines Vert r e t u n g s m a n g e l s bei Vorliegen eines dringenden Bedürfnisses einzugreifen. B e t e i l i g t sind die anderen Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer, die Mitglieder des Vereins oder der Gesellschaft, auch Drittberechtigte, ein vom Staat eingesetzter Kommissar. Auch die V e r w e i g e r u n g der Geschäftsführung durch die Vorstandsmitglieder kann die Ersatzbestellung durch das Amtsgericht rechtfertigen. Die Verweigerung muß dann aber darin bestehen, daß der Geschäftsführer es g r u n d s ä t z l i c h ablehnt, die Geschäfte der Gesellschaft im allgemeinen oder im besonderen zu bearbeiten, so daß eine Führung der Geschäfte nicht mehr in Frage steht. Dagegen liegt ein Fehlen des Geschäftsführers nicht vor, wenn er ein Geschäft nur als seiner Meinung nach unzweckmäßig unterläßt. Auch Unterlassungen dieser Art sind im weiteren Sinne noch Geschäftsführung. § 29 soll nicht dazu dienen, einen etwa ungeeigneten Geschäftsführer zu entfernen, sondern bei dessen Fehlen hilfsweise die Geschäfte durch einen bestellten Vorstand besorgen zu lassen ( K G H R R 1937 Nr. 920). Die von ihm bestellten Vorstandsmitglieder bleiben so lange im Amt, bis der Verein in anderer Weise für die Vertretung gesorgt hat oder das Vertretungsbedürfnis weggefallen ist (a. A. S c h a c k Gruchot 61, 854, der die Vertretungsbefugnis bis zur Aufhebung der Bestellung durch das Amtsgericht fortdauern lassen will). Doch kann über die Dauer der Vertretung in dem Beschluß des Amtsgerichts, auf dessen Auslegung es ankommt, eine andere Festsetzung getroffen sein (RG J W 1918, 361 1 ). Die Bestellung kann auch nur für eine bestimmte Handlung erfolgt sein, z. B. zur Einberufung einer Mitgliederversammlung (RAG ArbRS. 3 1 , 6). Zu weiteren Maßregeln (vgl. § 1846) ist das Amtsgericht nicht befugt. Nur wird es, um eine zur Übernahme des Amtes geneigte Person zu finden, den Betrag der von dem Verein zu gewährenden Vergütung in dem Sinne festsetzen können, daß die Dienste der neu bestellten Vorstandsmitglieder nur gegen Leistung dieser Vergütung in Anspruch genommen werden können (abw. S c h a c k a. a. O. S. 859). Der Beschluß wird wirksam mit Zustellung an den Bestellten und Antragsteller (§ 16 F G G ; B G H NJW 52, 1009). Die vom Amtsgericht ausgehende Bestellung hat ebenso wie die Bestellung eines Vormundes (vgl. § 1774 Anm. 2) r e c h t s g e s t a l t e n d e W i r k u n g (RG 105, 403; J W 1918, 3 6 1 1 ; vgl. K G J 34 A 169). Das Fehlen der Voraussetzung kann nur im Verfahren des F G G nachgeprüft werden (RG 81,206). Durch diese Regelung ist zugleich für die Vertretung im Prozesse — § 57 ZPO greift hier nicht ein — Vorsorge getroffen. Das Prozeß-

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Vereine

§ 29 A n m . 2

§ 30 Anm. 1, 2 gericht hat nur zu prüfen, ob die Bestellung nach § 29 f o r m e l l gültig vorgenommen ist (vgl. R G J W 1 9 1 8 , 362). Die Anwendung des § 29 beschränkt sich auf rechtsfähige Vereine, da bei ihnen allein ein Bedürfnis nach dieser gerichtlichen Fürsorge anerkannt werden kann ( O L G München H R R 1937 Nr. 75), und auf die juristischen Personen des Handelsrechts, insbes. G m b H (RG 68, 180; 1 1 6 , 1 1 8 ; 138, 1 0 1 ; für Genossenschaften R G J W 1936, 2 3 1 1 ; ) . Auf Kommanditgesellschaften auf Aktien ( R G 74, 3 0 1 ) , nicht rechtsfähige Vereine und off. Handelsgesellschaften ist die Bestimmung nicht auszudehnen ( R G 147, 124). Beim Fehlen eines Vorstandes sind hier die Geschäfte vorläufig von den Vereinsmitgliedern gemeinschaftlich zu führen ( R G 78, 55). § 29 ist ergänzend neben § 127 PrBergG anwendbar ( B a y O b L G J W 1925, 1880 1 ; vgl. auch R G 86,342). Die Bestellung eines P f l e g e r s ist für eine juristische Person unzulässig.

Anm. 2 An Stelle des Amtsgerichts tritt die Aufsichtsbehörde nach § 53 bei kleineren Vereinen auf Gegenseitigkeit; Aufsichtsbehörde ist das Bundesaufsichtsamt für Privatversicherung oder die Landesbehörde (§ 3 V A G ) . § 3 0

Durch die Satzung kann bestimmt werden, daß neben dem Vorstand für gewisse Geschäfte besondere Vertreter zu bestellen sind. Die Vertretungsmacht eines solchen Vertreters erstreckt sich i m Zweifel auf alle Rechtsgeschäfte, die der ihm zugewiesene Geschäftskreis gewöhnlich mit sich bringt. E II 29; P 1 520ff.

Anm. 1 Regelmäßig bildet der Vorstand den Mittelpunkt für die Verwaltung aller Angelegenheiten des Vereins. Es ist aber auch zulässig, im Rahmen der Satzung oder der organisatorischen (statutarischen) Bestimmungen b e s o n d e r e V e r t r e t e r zu bestellen ( R G 9 1 , 4 ; 1 6 2 , 1 3 7 ; J W 1 9 1 1 , 9 3 9 ) , d e n e n unbeschadet der im allgemeinen und namentlich für das Innen Verhältnis bestehenden Unterordnung unter den Vorstand f ü r e i n e n b e s o n d e r e n G e s c h ä f t s k r e i s (besondere Abteilung, sei es örtlicher oder sachlicher Art, abgeschlossenes Sachgebiet einer Verwaltung) e i n e s e l b s t ä n d i g e S t e l l u n g übertragen ist ( R G 157, 228, 235, 1 6 1 , 29; 162, 168). Auch der besondere Vertreter des § 30 ist als ein verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des § 3 1 als Organ des Vereins anzusehen. ( R G 5 3 , 279; 142, 258; 163,29.) Es kann dieserhalb auf § 31 Anm. 1 verwiesen werden. Die besonderen Vertreter bilden in gleicher Weise wie der Vorstand ein Glied des Vereins und haben innerhalb ihres Geschäftsbereichs die Stellung eines gesetzlichen Vertreters. Vollmacht zur rechtsgeschäftlichen Vertretung braucht er nicht zu haben ( R G D R 1944, 287). V o n dem Vorstand unterscheidet sich der besondere Vertreter aber dadurch, daß seine Vertretungsbefugnis sich nur auf den ihm z u g e w i e s e n e n b e s o n d e r e n G e s c h ä f t s k r e i s erstreckt, und zwar mangels einer weitergehenden Ermächtigung nur auf diejenigen Rechtsgeschäfte, die innerhalb dieses Geschäftskreises der gewöhnliche Betrieb mit sich bringt. Eine Beschränkung in letzterer Beziehung wirkt nach außen nur, wenn der Dritte die Beschränkung gekannt hat oder hat kennen müssen ( R G 94, 320 f.; J W 1 9 1 7 , 286®). Die über die Bestellung des Vorstandes gegebenen Vorschriften sind mit Ausnahme des § 29 auf sie entsprechend anzuwenden. Wegen der Anmeldung und Eintragung s. §67 Anm. 1. Keine solcher Vertreter sind Hilfsbeamte eines anderen Organs, der keine selbständige Stellung hat ( R G J W 1 9 1 1 , 85 1 , 939 1 ) und Personen, die vom Vorstand lediglich zur Vornahme von Vereinsgeschäften bevollmächtigt sind.

Anm. 2 Pflicht zur Bestellung besonderer Vertreter. § 30 enthält einen allgemeinen

Grundsatz, der auch für andere juristische Personen, den Handelsgesellschaften ( A G , G m b H ) Geltung hat ( R G 76, 1 3 5 ; J W 13, 2 3 ) ; vor allem auch für die öffentlichen

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Komm. 2. BGB, 1 1 . Aufl. I. Bd. (Denecke)

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§ 30 A n m . 3 § 31 A n m . 1, 2

Allgemeiner Teil. Personen

juristischen Personen (§89). Größere Unternehmen und Verwaltungen, bei denen die verfassungsmäßigen Vertreter infolge des Umfanges und der Art der Geschäfte nicht in der Lage sind, von ihrer Vertretungsmacht selbst im Umfange vollen Gebrauch zu machen und ihren Pflichten Dritten gegenüber wie natürliche Personen nachzukommen, sind zur Bestellung solcher besonderen Vertreter für bestimmte Geschäftsbereiche verpflichtet. Geschieht das nicht, so liegt ein Fehler der verfassungsmäßigen Vertreter in der Organisation vor und haftet der Verein, die juristische Person für den dadurch entstandenen Schaden (RG 157, 235; 162, 166; 163, 29; vgl. §89 Anm. 3). Anm. 3 Beispiele für besondere Vertreter: Leiter von Zweigstellen von Geschäftsunternehmen, wie Aktiengesellschaften oder GmbH, RG 91, 1 ; 94, 320; 1 1 7 , 64; J W 1936, 915; H R R 1936 Nr. 864; R G 117, 6 1 ; Depositenkassenvorsteher, RG 94, 318; 78, 109; Rendant einer Sparkasse, RG 162, 202; Grubenvorstand einer Gewerkschaft, RG J W 1928, 964; Direktor eines Hüttenwerks, D R 42, 1703; Betriebsdirektor eines Straßenbahnunternehmens, RG Warn. 1916 Nr. 125; Fahrdienstleiter bei der Eisenbahn, RG 161, 349; Handlungsbevollmächtigte und Prokuristen können zugleich Vertreter sein, RG 91, 1. § 3 1 Der Verein i s t für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstandes oder ein anderer v e r f a s s u n g s m ä ß i g berufener Vertreter durch eine in A u s f ü h r u n g der i h m zustehenden Verrichtungen begangene, z u m Schadensersatze verpflichtende Handlung e i n e m Dritten zufügt. E I 46 II 30; M 1 102fr.; P 1 J2iff.; 6 144.

Übersicht 1. Haftung für Handlungen der verfassungsmäßigen Vertreter a) Die verfassungsmäßigen Vertreter b) Im Rahmen des Geschäftsbetriebes 2. Haftung für unerlaubte Handlungen von Angestellten 3. Gesamtschuldnerische Haftung von Verein und Vertretungsorgan 4. Haftung bei vertraglichen Handlungen 5. Haftung bei Erfüllung staatlicher Aufgaben

Anm.

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Anm. 1 1. H a f t u n g für Handlungen der v e r f a s s u n g s m ä ß i g e n Vertreter: Die Vorstandsmitglieder und sonstigen verfassungsmäßigen Vertreter sind diejenigen Personen, die über das Vermögen der juristischen Person verfügen, sie sind die W i l l e n s - und W i s s e n s o r g a n e der juristischen Person. Denn der Verein tritt durch diese Vertreter selbsthandelnd in Erscheinung und muß sich daher die von den einzelnen Vertretern in denen ihnen zugewiesenen Sachgebiet vorgenommenen Handlungen rechtsgeschäftlicher oder rein tatsächlicher Art (RG 110, 247; 162, 169) zurechnen lassen, ihre Kenntnis ist Kenntnis des Vereins (RG 162, 169). Die Satzung kann die Haftung der Vertreter nicht ausschließen (RG 121, 382), wohl aber ist Ausschließung im Einzelfall im Rahmen des § 278 möglich. Die Haftung besteht auch für den einzelnen Vertreter, wenn G e s a m t v e r t r e t u n g vorgesehen ist (RG 53, 277; 81, 433; 110, 145 (bei vertraglichem Verschulden), RG 117, 6 1 ; 134, 377; 157, 283; 163, 29). Anm. 2 a) Die v e r f a s s u n g s m ä ß i g e n Vertreter: Als solche Vertreter kommen, im Gegensatz zu den bloßen Angestellten, in Betracht die V o r s t a n d s m i t g l i e d e r und „die a n d e r e n verfassungsmäßig berufenen (besonderen) V e r t r e t e r , bei Kapitalgesellschaften des Handelsrechts auch solche Personen, die ohne diesbezügliche Satzungsbestimmungen auf Grund allgemeiner Be-

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§31

Anm. 3 triebsregelung und Handhabung wegen verzweigter Organisation des Unternehmers selbständig und unter eigener Verantwortung Aufgaben zu erfüllen haben, die gewöhnlich der Betriebsführung obliegen R G 163, 29 (vgl. § 89 Anm. 7). Erforderlich ist, daß der Bestellte innerhalb seines Geschäftsbereichs (auch wenn seine Vertretungsbefugnis nach § 30 Satz 2 eine eingeschränktere ist) eine dem Vorstand ähnliche Selbständigkeit und Verantwortlichkeit hat, Vollmacht zur rechtsgeschäftlichen Vertretung braucht er aber nicht zu haben ( R G 157, 236; 162, 169). Uber die Bedeutung dieser Grundsätze vgl. § 89 Anm. 7. Werden die Aufgaben einer privaten oder öffentlich rechtlichen juristischen Person nicht von dieser selbst ausgeübt, sondern auf Grund eines Vertrages (Betriebsführungsvertrag, Gesellschaftsvertrag u. a.) von einer anderen juristischen Person oder einer gemeinsamen Geschäftsstelle, so sind deren leitende Beamten ihre Vertreter i. S. des § 3 1 , sie haftet alsdann für deren Verschulden bei Erfüllung ihrer Aufgaben ( R G WarnRspr. 1941 Nr. 79). Anders jedoch in den sog. staatlichen Auftragsangelegenheiten, wenn der Bund oder ein L a n d die Erfüllung gewisser Aufgaben im ganzen einem L a n d oder einer Gemeinde übertragen hat. Hier haftet nur die ausführende Behörde ( B G H 16, 99). Darauf, ob der Vertreter schuldhaft gehandelt hat, kommt es nicht an, auch Notstands* und Selbsthilfehandlungen (§§ 228, 3 2 1 , 904) können zum Schadensersatz verpflichten. Ist die Schadensersatzpflicht an das Halten eines Tieres (§ 833), den Einsturz eines Gebäudes oder Ablösung von Teilen (§ 836) oder an den Betrieb eines gefährlichen Unternehmens (ReichshaftpflichtG) geknüpft, so haftet die juristische Person in gleicher Weise wie die natürliche Person, wie überhaupt die Haftung der juristischen Person durch die neuere Rechtsprechung derjenigen der natürlichen Personen angepaßt ist (vgl. § 89 Anm. 6).

Anm. 3 b) I m Rahmen des Geschäftsbetriebes: Die Haftung der juristischen Person setzt voraus, daß die Handlung des Vertreters überhaupt in den ihm kraft seiner Stellung zugewiesenen Geschäftsbereich fällt, nicht aber, daß er sich dabei in den Grenzen seiner Vertretungsmacht gehalten hat ( R G 94, 320; J W 1 9 1 7 , 593 1 , 5942)> wie denn überhaupt von einer Berechtigung, in Vertretung der juristischen Person eine unerlaubte Handlung zu begehen, nicht wohl die R e d e sein kann. Denn die Vorschrift umfaßt gerade die Fälle, in denen eine Handlung des Vertreters durch seine rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht nicht gedeckt wird ( R G 162, 207). Ebensowenig kommt es darauf an — abweichend von § 164 —, ob der Vertreter des Vereins den Vertretungswillen hat. Die Haftung eines Kreditvereins für die von einem Vorstandsmitglied erteilte unrichtige Kreditauskunft wird nicht dadurch beseitigt, daß satzungsgemäß zu einer verbindlichen Willenserklärung des Vereins die Erklärung zweier Vorstandsmitglieder gefordert wird, da die Auskunftserteilung nicht eine Handlung rechtsgeschäftlicher Vertretung, sondern lediglich eine in Ausführung der Dienstverrichtungen zu leistende Handlung darstellt ( R G im Recht 1921 Nr. 2 1 3 3 ; vgl. § 28 Anm. 1 a. E.). Nicht haftbar ist die juristische Person, wenn der Vertreter nur bei G e l e g e n h e i t der Ausführung seiner Verrichtungen eine unerlaubte Handlung begeht, die mit der betreffenden Verrichtung nichts zu tun hat, so daß ein innerer Zusammenhang mit den dem Vertreter übertragenden Obliegenheiten nicht mehr erkennbar ist, (vgl. R G 104, 288; 162, 169). Die Überschreitung amtlicher Befugnisse enthält jedoch eine Amtshandlung, sofern nur der gesetzliche Vertreter in seiner amtlichen Eigenschaft tätig geworden ist. Die juristische Person haftet, wenn der gesetzliche Vertreter (Bürgermeister) seine amtliche Stellung zum Nachteil eines andern dazu m i ß b r a u c h t ( R G 1 4 5 , 3 1 1 ) , einen Vorstandbeschluß zu fälschen und ihn durch Beidrückung des Amtssiegels als echt erscheinen zulassen ( R G J W 1 9 1 7 , 594 1 ) oder unbefugt einen Wechsel zu akzeptieren ( R G SeuffArch. 82 Nr. 150) oder ein Blankoakzept auszustellen ( R G J W 1928, 2433 1 ). Dagegen haftet die juristische Person nicht, wenn ein G e s a m t v e r t r e t e r die Unterschriftszeichnung auf einem Wechsel durch unbefugte Beisetzung des Namens eines Mitunterzeichnungsberechtigten fälscht ( R G 134, 3 7 5 ; s. auch 57, 93). Hat der die Stadtgemeinde vertretende Bürgermeister einen Dritten zur Hergabe von Geld durch die betrügerische Vorspiegelung veranlaßt, die Stadtgemeinde habe die Aufnahme des Darlehns beschlossen, so wird durch diese unerlaubte Handlung 8'

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§31

Anm. 4

Allgemeiner Teil. Personen

die Stadtgemeinde zum Schadensersatz verpflichtet und folgt aus dieser Schadensersatzpflicht auch die Haftung der Stadtgemeinde dafür, daß der Bürgermeister die von ihm als Vertreter der Stadtgemeinde in Empfang genommenen Gelder unterschlagen hat ( R G J W 1 9 1 3 , 587 1 , vgl. K G J W 1932, 519 2 ). Eine andere Frage, ist, ob der Besitz dadurch, daß der Bürgermeister die durch die Post eingegangenen Gelder auf Grund amtlicher Vertretungsbefugnis für die Stadtgemeinde in Empfang genommen hat, auf diese übergegangen ist, was für den Rückforderungsanspruch des Dritten von Bedeutung sein kann. Diese Frage wird nicht aus dem Grunde verneint werden können, weil der Bürgermeister sogleich bei der Empfangsnahme in Ausführung des vorher gefaßten Entschlusses sich die Gelder rechtswidrig zugeeignet hat. Trotz des Vorhandenseins dieser Absicht hat der Bürgermeister das Geld zunächst für die Stadtgemeinde erworben, da er nur als Vertreter der Stadt den Besitz erlangen konnte (vgl. R G 44, 306, WarnRspr. 1 9 1 0 Nr. 3 1 1 ; anders anscheinend J W 1 9 1 3 , 587 1 ). Auf Schadensersatz kann der Verein auch in Anspruch genommen werden, wenn dem Vertreter eine fahrlässige Entziehung oder Beeinträchtigung des Besitzes zur Last fällt ( R G 102, 347). Ob das Verhalten eines Vertreters für den Schaden ursächlich war, ist Tatfrage, es kann auch im Belassen eines gefahrvollen Zustandes liegen ( R G 89, 136; J W 1904, 88); Haftung von Spitzenververbänden (RG 152, 262).

Anm. 4 2. H a f t u n g f ü r u n e r l a u b t e H a n d l u n g e n v o n A n g e s t e l l t e n , deren Anstellungsund Wirkungsgrad auf den Auftrag des Vorstandes oder eines verfassungsmäßigen Vertreters (besonderen Vertreters) beruht, setzt eine P f l i c h t v e r l e t z u n g dieses Vertreters voraus. Sie kann darin liegen, daß er entgegen § 831 bei der Auswahl des Angestellten die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht angewendet hat oder in Fällen, in denen eine sachgemäße Erledigung wegen der besonderen Verhältnisse nicht ohne weiteres zu erwarten war, nicht die erforderlichen Anweisungen gegeben hat ( R G Warn Rspr. 1 9 1 2 Nr. 4 1 8 ; J W 1 9 1 5 , 3 9 7 ) oder nicht die notwendige Dienstaufsicht geübt, d . h . die Dienstführung des Angestellten nicht ständig überwacht, eine Unordnung hat einreißen lassen, die den Boden für die Schädigung geschaffen hat ( R G 1 0 4 , 1 4 6 ; 142, 356; J W 32, 1039), vgl. im einzelnen Erläuterung zu § 8 3 1 . Auch wenn die besondere Aufsicht über den Angestellten durch einen höheren Angestellten geführt wird, darf sich die juristische Person der allgemeinen Dienstaufsicht über leitende Angestellte durch einen verfassungsmäßigen Vertreter nicht entschlagen. ( R G 89, i 3 6 ; J W i g n , 96 20 ), es muß immer ein verfassungsmäßiger Vertreter vorhanden sein, der zur Überwachung verpflichtet ist ( R G WarnRspr. 1 9 3 9 N r . 72). M u ß infolge des großen Umfangs des Geschäftsbetriebs die Auswahl der niederen Angestellten den Angestellten höherer Ordnung überlassen werden, so ist doch durch allgemeine Anordnungen und Einrichtungen dafür zu sorgen, daß die höheren Angestellten auf dem ihnen zugewiesenen Gebiete sachgemäß verfahren ( R G J W 1 9 1 3 , 920 6 ). Die allgemeine Aufsicht muß durchweg in der Weise ausgeübt werden, daß die Überzeugung begründet erscheint, der mit der örtlichen Aufsicht betraute Betriebsleiter erfülle dauernd ordnungsgemäß seine Pflichten. Ist die O r g a n i s a t i o n mangelhaft und deshalb die Kontrolle unzureichend, so fällt dies der juristischen Person selbst zur Last ( R G J W 1932, 2976; D J Z 1936, 6 4 1 ; SeufTArch. 90, 97; WarnRspr. 1 9 1 4 N r . 3 5 ; R G 162, 166). Eine Stadtgemeinde genügt z. B. in Bauangelegenheiten ihrer Sorgfaltspflicht nicht schon durch Bestellung eines Stadtbaumeisters. Sie hat außerdem geeignete Anordnungen zu treffen, um die regelmäßige Beaufsichtigung des Straßenwesens sicher zustellen und hat die Vollziehung, die Angemessenheit und die Hinlänglichkeit der Anordnungen fortlaufend zu kontrollieren ( R G 78, 3 4 7 ; vgl. J W 1932, 3702 2 ). Wird eine außergewöhnliche und besonders gefährliche Verrichtung vorgenommen, so kann es geboten sein, daß sie nicht ohne besondere Anordnung, Aufsicht und Verantwortlichkeit eines Vertreters im Sinne des § 31 erfolgt. Der Verein haftet, wenn hiergegen gefehlt wird und dadurch Schaden entsteht ( R G v. 13. 2 . 1 9 V I 136/19). Gehen dem Vorstand die zur Aufsichtsführung erforderlichen Fachkenntnisse ab, so ist es seine Pflicht, sich der Hilfe eines Sachverständigen zu bedienen (vgl. R G Gruchot 50,984). Von dem Vorstand eines gemeinnützigen Vereins kann jedoch nicht verlangt werden, die Aufsicht über den ärztlichen Anstaltsleiter auf Angelegenheiten auszudehen, deren Beurtei-

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Vereine

§31

Anm. 5, 6

lung rein fachliche Kenntnisse voraussetzt, welche der Vorstand nicht haben kann (RG J W 1 9 1 2 , 339 2 ). Außergewöhnliche Verhältnisse hinsichtlich der Verkehrssicherheit einer Straße nötigen auch bei nur zeitweiligem Vorliegen zu außergewöhnlichen Maßnahmen (RG J W 1 9 3 1 , 3325 1 4 ). Hat der gefahrbringende Zustand einer Einrichtung längere Zeit hindurch bestanden, so darf angenommen werden, daß der verfassungsmäßige Vertreter seine Pflicht zur Aufsichtsführung nicht gehörig erfüllt hat ( R G L Z 1 9 1 4 , 945 1 0 ; WarnRspr. 1 9 1 9 Nr. 89). Die Haftung ist begründet, wenn ihm bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt das Bestehen der Gefahr nicht verborgen bleiben konnte. — Der F e s t s t e l l u n g d e s V e r t r e t e r s bedarf es im Einzelfalle nicht, wenn nach der Sachlage das Verschulden irgendeines Vertreters vorliegen muß, wie z. B. bei längerem Bestehen eines verkehrswidrigen Zustandes ( R G 89, 1 3 7 ; J W 1 9 1 0 , 5 8 3 2 1 ; 1 9 1 3 , 924 1 0 ; 1932, 2076 8 , gegen eine Überspannung dieses Grundsatzes R G 163, 29; WarnRspr. 1910, 189). Desgleichen haftet die juristische Person, wenn unter den Augen ihrer Vertreter ein Mißbrauch eingerissen ist ( R G J W 06, 547 1 3 ).

Anm. 5 3. Gesamtschuldnerische Haftung von Verein und Vertretungsorgan: Die Haftung der juristischen Person wird selbstverständlich dadurch nicht ausgeschlossen, daß zugleich eine Schadensersatzpflicht des verfassungsmäßigen Vertreters selbst besteht. Und umgekehrt wird die Verantwortlichkeit des Vertreters für gesetzwidrige Handlungen — welche Verantwortlichkeit die sämtlichen Vertreter trifft, vorbehaltlich des Entschuldigungsbeweises — nicht dadurch ausgeschlossen, daß zugleich die juristische Person haftet ( R G 9 1 , 72; J W 1 9 1 1 , 939"; 1924, 1 1 5 5 1 9 ) . Es tritt in diesen Fällen gesamtschuldnerische Haftung des Vertreters und des Vereines ein. Das mitwirkende Verschulden des Geschädigten kann gemäß § 254 die Schadensersatzpflicht der juristischen Person aufheben oder mindern. Ausnahmsweise findet nach den für die Aktiengesellschaft, die G m b H und die Genossenschaft bestehenden besonderen Grundsätzen im Interesse der Erhaltung des den Gläubigern verhafteten Gesellschaftsvermögens die Haftung der juristischen Person nicht statt, wenn der Beitritt eines Mitgliedes durch Betrug des Vorstandes veranlaßt oder das Ausscheiden eines Genossen durch Schuld des Vorstandes nicht angemeldet ist ( R G 54, 1 2 8 ; 68, 344; 72, 293; J W 1916, 398). Wegen der Haftung der ein Warenhaus betreibenden Aktiengesellschaft für den Unfall eines Besuchers vgl. R G J W 1 9 1 3 Nr. 23 1 0 . — Der Kirchenvorsteher einer katholischen Pfarrgemeinde, der diese auf Schadensersatz wegen Verletzung einer Verkehrspflicht in Anspruch nimmt, muß sich entgegenhalten lassen, daß er ihr für die Erfüllung der Verkehrspflicht verantwortlich sei (RG 136, 1.)

Anm. 6 4. H a f t u n g bei v e r t r a g l i c h e n H a n d l u n g e n : Hier haftet die juristische Person nach § 278 unbedingt für das Verschulden der Person, deren sie sich zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten bedient. Eingegangen werden können nämlich rechtsgeschäftliche Verpflichtungen für die juristische Person immer nur von demjenigen, welcher zu ihrer Vertretung befugt ist, ohne daß es hierbei auf den Unterschied zwischen den verfassungsmäßigen Vertretern und den Angestellten ankommt (§ 164). Die Haftung aus § 31 ist begründet, wenn der Vertreter bei Eingehung der rechtsgeschäftlichen Verpflichtung oder bei den Vorverhandlungen, die zum Abschluß geführt haben, betrügerische oder unlautere Handlungen vorgenommen, insbesondere den Vertragsgegner arglistig getäuscht und ihm hierdurch Schaden zugefügt hat ( R G J W 1 9 1 6 , 1270 2 ). Es genügt, wenn etwas der Verbindlichkeit Ähnliches vorliegt, was erfüllt werden kann ( R G 102, 6; 103, 265; 1 1 0 , 1 4 5 ; 1 4 1 , 356). Über Haftung des geselligen Vereins für sichere Aufbewahrung der von den Mitgliedern im Garderobenraum abgelegten Sachen vgl. R G 103, 265; wegen der Haftung der Stadtgemeinde für die von Schülern städtischer Lehranstalten mitgebrachten Uberkleider vgl. J W 1929, 2 3 7 1 4 u. 30342 Anm. Aus vertragsähnlichem Verhältnis ist die Gemeinde ersatzpflichtig, die als Unternehmerin einer Wasserleitungsanstalt den Einwohnern bleihaltiges, der Gesundheit schädliches Wasser geliefert hat, ohne daß sie die Erfüllung ihrer vertraglichen Sorgfaltspflicht nachweisen kann (RG 99, 1 0 1 ) . Ein vertragsähnliches, die Anwendung des § 278 rechtfertigendes

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§ 31 A n m . 7 § 32 A n m . 1

Allgemeiner Teil. Personen

Verhältnis besteht auch zwischen der Gemeinde und dem Volksschullehrer, der infolge mangelhafter Unterhaltung der Schule (Nachlässigkeit der Schuldienerin) einen Unfall erleidet (RG 102, 6). Keine Haftung der jur. Person besteht für culpa in contrahendo ihrer Vertreter, wenn diese ihre Vertretungsmacht überschritten haben, vielmehr greift hier § 179 ein (RG 162, 129; B G H 6, 355). Über die Haftung der Post gegenüber einem durch Betrug unter Beihilfe eines Postangestellten geschädigten Postscheckkontoinhaber RG 104, 141. Aus einem Vorvertrag oder Gründungsvertrag haftet die nachmals rechtsfähig gewordene Gesellschaft, wie die GmbH an sich nicht (RG 122, 172; H R R 1929 Nr. 748). Soweit die Vorgesellschaft und ihre Mitglieder jedoch Handlungen begangen haben, die mit dem Zwecke der Gesellschaftserrichtung, die GmbH zur Entstehung zu bringen, in Verbindung stehen, und zur Erreichung dieses Zweckes notwendig sind ( R G 83, 370; 105, 228; J W 1905, 81), haftet die spätere rechtsfähig gewordene Gesellschaft dann, wenn sie sich die rechtlichen Wirkungen der Gründungsgesellschaft zu eigen gemacht hat und die der Vorgesellschaft erwachsenen Vorteile übernimmt (RG 151. 9 1 )Anm. 7 5. H a f t u n g bei Erfüllung s t a a t l i c h e r A u f g a b e n : Der Grundsatz des § 31 hat Geltung für alle juristischen Personen des bürgerlichen Privatrechts, und zwar selbst dann, wenn ihre Vertreter in Erfüllung der ihr übertragenen staatlichen Aufgaben gehandelt haben. Denn auch öffentlich rechtliche Verhältnisse können Rechte und Verbindlichkeiten erzeugen, die nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen sind und deren Verletzung zum Ersatz der dadurch dem anderen Teile zugefügten Schadens nach eben diesen Vorschriften verpflichtet, selbst wenn der Klageanspruch aus Verletzung einer öffentlich rechtlichen Pflicht hergeleitet wird (RG 152, 132, vgl. § 89 A 2). Die Vorschriften des § 839 I 2 III können nicht, auch nicht entsprechend angewendet werden, da hier die Voraussetzung, der Bestellung durch eine öffentliche Körperschaft fehlt (RG 160, 196). Uber die Anwendung des Grundsatzes des § 31 auf nicht rechtsfähige Vereine vgl. § 54 Anm. 2. § 3 3 Die Angelegenheiten des Vereins w e r d e n , s o w e i t sie nicht von d e m Vorstand oder e i n e m anderen Vereinsorgane zu besorgen sind, durch B e s c h l u ß f a s s u n g in einer V e r s a m m l u n g der Mitglieder geordnet. Zur Gültigkeit des B e s c h l u s s e s i s t erforderlich, daß der Gegenstand bei der B e r u f u n g bezeichnet w i r d . Bei der B e s c h l u ß f a s s u n g entscheidet die Mehrheit der erschienenen Mitglieder. A u c h ohne V e r s a m m l u n g der Mitglieder i s t ein B e s c h l u ß gültig, w e n n alle Mitglieder ihre Z u s t i m m u n g zu d e m B e s c h l ü s s e schriftlich erklären. E I 48 Abs. 1—3 II 31 Abs. 1 u. 2; M 1 105ff.; P 1 524fr. Übersicht 1. Die Beschlußfassung der Mitgliederversammlung 2. Die Einberufung der Mitgliederversammlung 3. Die Form der Beschlußfassung a) Der Mehrheitsgrundsatz b) Stimmrechtsbindungen c) Verletzung der Formvorschrift 4. Der unwirksame Mitgliederbeschluß a) Unwirksamkeitsgründe b) Die Geltendmachung der Unwirksamkeit

Anm.

i 2,3 4 5 6 7 8 8 9

Anm. 1 1. Die B e s c h l u ß f a s s u n g der MitgliederVersammlung. Obwohl die Mitgliederversammlung als Vereinsorgan durch die Satzung nicht beseitigt werden kann (vgl. RG

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Vereine

§32

A n m . 2, 3 137, 305), steht ihr die Beschlußfassung nur insoweit zu, als nicht der Vorstand oder ein anderes Vereinsorgan zuständig ist. Maßgebend ist die Satzung (RG J W 1 9 3 6 , 2387). Ist in der Satzung die Entscheidung über Ausschließung eines Mitgliedes dem als besonderen Vereinsorgan gebildeten Ehrengerichts zugewiesen, so ist damit die Zuständigkeit der Mitgliederversammlung ausgeschlossen. Die Mitgliederversammlung kann nicht etwa als oberstes Vereinsorgan die Sache an sich ziehen ( R G WarnRspr. 1 9 1 3 Nr. 392). Nicht entzogen werden kann der Mitgliederversammlung das Recht, die Auflösung des Vereins zu beschließen (§ 41 A 1 ; a. A . anscheinend S t a u d i n g e r Anm. 5). Auch die Bestimmungen der §§ 36, 37 können nicht durch die Satzung beseitigt werden. Die von der Mitgliederversammlung gefaßten Beschlüsse sind von dem Vorstande zur Ausführung zu bringen, soweit nicht die Mitgliederversammlung die weitere Behandlung der Sache sich selbst vorbehalten hat. Die Vertretung nach außen gebührt dem Vorstande oder besonderen Vertretern (§§ 26 Abs. 2, 29 — R G 64, 153). Der Mitgliederversammlung kann diese Befugnis (falls die Mitglieder nicht zugleich den Vorstand bilden) nicht übertragen werden. Sie kann bei Streitigkeiten zwischen dem Verein und seinen Mitgliedern nicht Schiedsrichter sein ( R G 55, 326). Der Verein kann nicht als durch die Mitglieder vertreten klagen oder verklagt werden (vgl. R G 86, 340). Mit Rücksicht hierauf erscheint der Vorstand, obwohl er an sich der Mitgliederversammlung untergeordnet ist, als das wichtigere Glied des Vereins. Uber das Recht zur Bestellung und Entlassung des Vorstandes s. §27 Anm. 1 u. 2. Uber die dem Vorstande zu gewährende Rechtsstellung und die ihm einzuräumende Vergütung kann die Mitgliederversammlung Festsetzungen treffen, die ohne weiteres für den Vorstand wirksam sind (vgl. R G 63, 208). — Versammlungsort ist im Zweifel der Ort des Vereinssitzes, J W 1930, 2723 9 .

Anm. 2 2. D i e E i n b e r u f u n g d e r M i t g l i e d e r v e r s a m m l u n g : Ordnungsmäßige Einberufung der Mitglieder ist Voraussetzung für die Gültigkeit des Beschlusses der Mitgliederversammlung. Die Berufung steht in Ermangelung einer andern Bestimmung der Satzung (vgl. § 27 Anm. 1) dem V o r s t a n d e zu. In diesem Falle sind zur Berufung diejenigen Vorstandsmitglieder befugt, welche tatsächlich gewählt sind, mag die Wahl auch mit einem Mangel behaftet sein. Andernfalls würde es nicht gut möglich sein, eine ungültige Vorstandswahl durch eine gültige zu ersetzen. Die Einberufung hat durch den zweiten Vorsitzenden zu erfolgen, wenn der erste verhindert ist oder die Einberufung grundlos unterläßt ( J F G 6, 2 3 1 ) . Bedarf der Vorsitzende des Aufsichtsrats zur Einberufung der Versammlung nach der Satzung der Zustimmung des Aufsichtsrats, so braucht die Erteilung dieser Zustimmung bei der Einberufung nicht ersichtlich gemacht zu werden ( R G v. 8. 7. 20 I V 197/20). Die Verlegung an einen anderen Versammlungsort kann stillschweigend beschlossen werden ( R G v. 6 . 1 2 . 2 8 I V 259/28). Alles dies gilt ebensowohl für die ordentliche als die außerordentliche Mitgliederversammlung. Eine ohne gehörige Einladung s ä m t l i c h e r Mitglieder zusammengetretene Mitgliederversammlung kann, abgesehen von § 3 2 Abs. 2, nicht in Tätigkeit treten und kann deshalb keine gültigen Beschlüsse fassen (RG WarnRspr. 1 9 1 2 Nr. 285; L Z 1930, 397). Der Beschluß kann nicht aus dem Gesichtspunkte aufrechterhalten werden, daß nach Lage der Sache als sicher angenommen werden dürfe, die Entscheidung würde, auch wenn die Versammlung gehörig berufen wäre, wenn insbesondere die nicht einberufenen Mitglieder gehörig eingeladen und erschienen wären, in gleicher Weise ausgefallen sein ( R G J W 1912, 741 J ).

Anm. 3 Ist über die F o r m d e r B e r u f u n g in der Satzung eine Bestimmung getroffen (s. § 58 Nr. 4), so ist diese Bestimmung zu beobachten. Die Satzung kann eine öffentliche Bekanntmachung genügen lassen. Hat satzungsgemäß die Einladung eingeschrieben zu erfolgen, so reicht es zum Nachweise der gehörigen Einladung aus, daß die Postscheine über die Einlieferung der Einladungsschreiben vorgelegt werden. Die Einladung ist hier bereits mit der Aufgabe des eingeschriebenen Briefes zur Post als bewirkt anzusehen ( R G 60, 145). Zwischen der Ladung und der Versammlung muß die satzungsmäßige Mindestfrist oder, wenn die Satzung hierüber nichts

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Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 4—6 bestimmt, jedenfalls eine angemessene Frist liegen. An Stelle des geschäftsunfähigen Mitgliedes muß die Einladung dem gesetzlichen Vertreter zugestellt werden. Ist das Mitglied beschränkt geschäftsfähig (vgl. § 3 8 Anm. 2), so genügt ebenfalls die Zustellung an den gesetzlichen Vertreter. Zur gehörigen Einberufung gehört auch Angabe des Gegenstandes der Beschlußfassung, soweit die Satzung nicht anderes vorschreibt, und zwar muß die Bezeichnung in klarer Weise erfolgen ( R G v . 2 2 . 6 . 1 6 I V 93/16). Welche Anforderungen in bezug auf die G e n a u i g k e i t d e r B e z e i c h n u n g zu stellen sind, ist aus dem Zweck der Vorschrift, die Mitglieder vor Überraschungen zu schützen und ihnen die Möglichkeit der Vorbereitung zu geben, zu entnehmen ( R G J W 08, 674 2 ; vgl. auch J W 08, 1 1 3 1 3 u. 34Ö35). Die Angabe „Satzungsänderung" genügt im allgemeinen nicht ( K G J W 1 9 3 4 , 2 1 6 1 ) , es sei denn, daß allen Mitgliedern bekannt ist, um welche Änderungen es sich handelt. Bei der Berufung ist sonst anzugeben, nach welcher Richtung die Satzung abgeändert werden soll ( R G J W 1908, 34Ö34). Keine Zweideutigkeit der Angabe; R G Recht 1 9 1 6 Nr. 1447. Bei der Bezeichnung darf davon ausgegangen werden, daß den Vereinsmitgliedern die früheren Beschlüsse bekannt sind ( R G v . 1 0 . 5 . 0 6 I V 528/05). Die Mitteilung des Namens des auszuschließenden Mitgliedes ist nicht unbedingt erforderlich ( R G J W 08, 67s 2 ). Z u der Versammlung ist auch der Auszuschließende zu laden. Unter Umständen kann es, wenn die Satzung keine gegenteilige Bestimmung enthält, genügen, daß er von der Versammlung Kenntnis hat ( R G WarnRspr. 09 Nr. 123).

Anm. 4 3. Die Form der Beschlußfassung.

Sie erfolgt durch die zusammenwirkenden Erklärungen der Mitglieder, die von dem Leiter der Versammlung entgegengenommen werden und als ein den übrigen Mitgliedern gegenüber vorgenommenes Rechtsgeschäft als Gesamtakt und nicht als ein Vertrag aufzufassen sind. Die Stimmen werden beim Fehlen einer anderen Satzungsbestimmung nach K ö p f e n , nicht nach dem Anteil am Vereinsvermögen gezählt (vgl. §§ 38, 40). Es kommen hierbei nur die erschienenen Mitglieder in Betracht, deren Beschlüsse die Ausgebliebenen sich gefallen lassen müssen.

Anm. 5 a) Der Mehrheitsgrundsatz:

Der Mehrheitsgrundsatz, der bei dem Verein kraft Gesetzes nicht, wie bei der Gesellschaft (§ 709 Abs. 2), kraft Parteivereinbarung gilt, ist hiernach wesentlich abweichend von den für die Gemeinschaft geltenden Bestimmungen der §§ 744, 745 durchgeführt. Es entscheidet regelmäßig die unbedingte Mehrheit, nicht bloß (bei Vorhandensein von mehr als zwei Meinungen) die verhältnismäßige Mehrheit. U n d zwar ist die Mehrheit nicht bloß nach den abgegebenen Stimmen (bestr.), sondern nach der Zahl der erschienenen Mitglieder, die zur Stimmabgabe legitimiert waren, zu berechnen. Die Nichtabgabe der Stimme bedeutet die Ablehnung der beantragten Änderung, es sind somit bei der Berechnung, wieviel Mitglieder die Mehrheit bilden, die bei der Abstimmung anwesenden Mitglieder mitzuzählen ( R G 8 0 , 1 8 9 ; a. A . namentlich T e c k l e n b u r g ArchBürgR 43, 178, der nur die gültig abgegebenen Stimmen zählen will, ebenso E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y I S. 438). Ist nur ein Mitglied erschienen, so kann dieses gültig Beschlüsse fassen. Bei Stimmengleichheit ist, sofern nicht die Satzung etwas anderes bestimmt, z. B. daß ein bestimmter Dritter den Ausschlag zu geben hat, (vgl. R G 49, 147), ein Beschluß nicht zustande gekommen.

Anm. 6 b) Stimmrechtsbindungen:

Vereinbarungen über Ausübung des Stimmrechts haben dem Verein gegenüber keine Wirkung. Die vereinbarungswidrig vorgenommene Abstimmung bleibt gültig ( R G Gruchot 69, 617). Solche Vereinbarungen werden in der Regel ohne Wirkung sein (vgl. § 138, R G 57, 205; 60, 1 7 4 ; 1 3 1 , 1 8 3 ; s. auch für Aktionäre R G 1 3 3 , 95). Eine Verpflichtung des Mitgliedes, die darauf hinausläuft, daß er die Vereinsinteressen hintansetzen soll, verstößt gegen die guten Sitten. Der allgemeine Grundsatz des § 138 findet auch auf die Beschlüsse der Versammlung Anwendung, er schützt die Minderheit gegen eine von der Mehrheit in

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Anm. 7—9

sittenwidriger Weise zur Gewinnung besonderer Vorteile auf Kosten der Gesellschaft unternommene Ausbeutung ( R G 68 S. 243 u. 3 1 7 ; J W 1916, 575 3 ). Ungültig ist ferner ein gegen die Satzungen verstoßender Beschluß. Uber Stellvertretung bei der Abstimmung s. § 38 Anm. 1. Eine verschiedene Stimmabgabe bei m e h r f a c h e n S t i m m r e c h t ist bei besonderen Gründen zulässig, z. B. von einem Bankvertreter entsprechend den verschiedenen Anweisungen seiner Auftraggeber oder Vertreter der öffentlichen Hand j e nach den Parteiverhältnissen Kommunen (vgl. R G 1 3 7 , 305).

Anm. 7 c) Verletzung der Formvorschrift:

Ist die Versammlung nicht gehörig einberufen, so ist eine Beschlußfassung in Ermangelung einer anderen Satzungsbestimmung (§ 40) nur auf dem Wege des Abs. 2 möglich, so daß sämtliche Mitglieder zu dem Beschluß ihre Zustimmung in schriftlicher Form — wozu hier auch die Briefform und telegraphische Form zu rechnen ist (vgl. § 126) — erklären. Es genügt aber, wenn die sämtlichen Mitglieder erschienen und darüber einig sind, daß die Versammlung als eine richtig einberufene gelten soll. Die gleiche Form der schriftlichen Zustimmung ist zu beachten für die ohne Zusammenkunft gefaßten Beschlüsse. Die Vorschrift des Abs. 2 hat für andere Vereinigungen keine Geltung (vgl. über Gesellschaften mbH, R G J W 1918, 733®, doch ist hier nachträgliche Zustimmung zulässig, R G 136, 189; J W 1 9 3 1 , 2975 1 6 ).

Anm. 8 4. Der unwirksame Mitgliederbeschluß a) Unwirksamkeitsgründe: Ungültig ist

der Beschluß, wenn die Versammlung satzungswidrig sich nicht unter der Leitung des Vorstandes, sondern eines von ihr selbst gewählten Vorsitzenden befunden hat ( R G J W 09, 4 1 1 4 ) . Ein Ungültigkeitsgrund kann auch darin liegen, daß in parteiischer Weise ein Mitglied nicht zum Worte verstattet oder ihm das Wort entzogen ist, insbesondere dann, wenn der Vorsitzende es darauf abgesehen hatte, das Mitglied zu überrumpeln. Nach Beginn der Wahlhandlung braucht übrigens der Vorsitzende nicht mehr das Wort zur Frage der Wahl erteilen ( R G v. ig. 3. 1 3 I V 580/12). Uber die Ausübung des Stimmrechts durch einen beschränkt Geschäftsfähigen vgl. § 38 Anm. 2, über die Frage, in welchen Fällen ein Mitglied wegen eigener Beteiligung von der Beschlußfassung ausgeschlossen ist, § 34 Anm. 1 und § 7 1 4 Anm. 1. Eine Verurteilung der Mitglieder, in gewissem Sinne zu stimmen, ist nicht zulässig, da durch äußeren Zwang in die Willensbildung der Mitgliederversammlung als eines Körperschaftsorgans nicht eingegriffen werden kann ( R G 1 1 2 , 279; Gruchot 69, 6 1 7 bez. einer G m b H ) .

Anm. 9 b) Die Geltendmachung der U n w i r k s a m k e i t : Die Ungültigkeit des Beschlusses,

mag sie nun in der Nichtbeachtung der in Anm. 2,8 bezeichneten Bestimmungen oder in anderen Umständen ihren Grund haben, kann, wenn sie nicht später beseitigt wird ( R G J W 1928, 706 4 ), von einem jeden Beteiligten, insbesondere einem jeden Mitglied geltend gemacht werden, auch durch Feststellungsklage, wenn die Voraussetzungen des § 256 Z P O vorliegen (vgl. R G 122, 269; J W 1929, 874 4 ). Sie ist, wenn der die Ungültigkeit begründende Tatbestand dem Richter vorgetragen ist, da es sich nicht um eine bloße Anfechtbarkeit handelt (vgl. R G 75, 243), von Amts wegen zu beachten. Die ergehende Entscheidung hat, falls auf Klage eines Mitgliedes gegen den Verein der Beschluß für ungültig erklärt ist, W i r k u n g g e g e n a l l e ( R G 85, 3 1 3 ) , und ist auch für den Registerrichter bindend ( R G J W 1929, 2708). Uber die Wirkung der Aufhebung des Beschlusses einer Vorinstanz (Ehrenrats) s. R G 125, 338 a. E . Der Vorstand ist vor Ausführung eines Beschlusses verpflichtet, seine Gültigkeit zu prüfen. Eine ihm hierbei zur Last fallende Fahrlässigkeit macht ihn ersatzpflichtig. In einem zwischen einem Mitglied und dem Verein geführten Rechtsstreit ist letzterer dafür beweispflichtig, daß bei der Einberufung der Mitgliederversammlung die vorgeschriebenen Förmlichkeiten beobachtet sind. Dieser Nachweis liegt dem Verein auch ob, wenn er einem Dritten gegenüber aus der Gültig-

121

§33

Anm. 1, 2

A l l g e m e i n e r T e i l . Personen

keit des Beschlusses R e c h t e herleitet. Sonst fällt die Beweislast d e m j e n i g e n z u , w e l c h e r die G ü l t i g k e i t des Beschlusses b e a n s t a n d e t . W e g e n W i l l e n s m ä n g e l ( § § 1 1 9 — 1 2 3 ) k ö n n e n G e n e r a l v e r s a m m l u n g s b e s c h l ü s s e v o n e i n e m M i t g l i e d nur a n g e f o c h t e n w e r d e n , w e n n es sich u m seine eigene A b s t i m m u n g s e r k l ä r u n g h a n d e l t u n d der Beschluß in seinem E r g e b n i s d u r c h diese ü b e r h a u p t b e e i n f l u ß t ist ( R G 115, 378). F ü r A G , G m b H , G e nossenschaften gelten S o n d e r b e s t i m m u n g e n .

§ 3 3 Zu einem Beschlüsse, der eine Änderung der Satzung enthält, ist eine Mehrheit von drei Vierteilen der erschienenen Mitglieder erforderlich. Zur Änderung des Zweckes des Vereins ist die Zustimmung aller Mitglieder erforderlich; die Zustimmung der nicht erschienenen Mitglieder muß schriftlich erfolgen. Beruht die Rechtsfähigkeit des Vereins auf Verleihung, so ist zu jeder Änderung der Satzung staatliche Genehmigung oder, falls die Verleihung durch den Bundesrat erfolgt ist, die Genehmigung des Bundesrats erforderlich. E I 48 A b s . 5 II 32; M i 108; P 1 5 2 7 f r .

Anm. 1 1. D i e S a t z u n g s ä n d e r u n g : E i n e j e d e S a t z u n g s ä n d e r u n g , die n i c h t offensichtlich in einer b l o ß e n F a s s u n g s ä n d e r u n g besteht (bestr.) — eine N e u f a s s u n g k a n n eine sachliche Ä n d e r u n g b e d e u t e n ( R G W a r n R s p r . 1933 N r . go) — b e d a r f o h n e R ü c k s i c h t a u f die g r ö ß e r e oder geringere E r h e b l i c h k e i t der Ä n d e r u n g der Z u s t i m m u n g v o n d r e i V i e r t e i l e n d e r e r s c h i e n e n e n M i t g l i e d e r ( R G 80, 194; a. M . E n n e c c e r u s N i p p e r d e y I S. 439, w o n a c h drei V i e r t e l der a b g e g e b e n e n S t i m m e n g e n ü g t ) . E i n e E r g ä n z u n g der S a t z u n g , z . B. die spätere E i n f ü h r u n g einer Schiedsgerichtsordnung, ist S a t z u n g s ä n d e r u n g ( R G 88, 402). Zulässig ist a u c h die B e s t i m m u n g , d a ß bei gewissen Ä n d e r u n g e n der S a t z u n g sämtliche M i t g l i e d e r in der V e r s a m m l u n g a n w e s e n d sein u n d d e r S a t z u n g s ä n d e r u n g z u s t i m m e n müssen (vgl. R G 7 6 , 1 7 3 ) . F ü r die G m b H u n d die Aktiengesellschaft v g l . dieserhalb R G 136 S. 185, 3 1 7 . U b e r U n g ü l t i g k e i t des Beschlusses s. § 32 A n m . 8. S o l a n g e die S a t z u n g u n g e ä n d e r t besteht, müssen e b e n ihre V o r schriften befolgt w e r d e n .

Anm. 2 2 . D i e Ä n d e r u n g d e s V e r e i n s z w e c k s : Zulässig ist a u c h die Ä n d e r u n g d e r S a t z u n g s b e s t i m m u n g ü b e r d e n V e r e i n s z w e c k , o h n e d a ß die G l ä u b i g e r h i e r g e g e n W i d e r s p r u c h e r h e b e n d ü r f e n u n d o h n e d a ß ein L i q u i d a t i o n s v e r f a h r e n sich a n z u schließen hat. Diese Ä n d e r u n g ist a b e r nur zulässig mit Z u s t i m m u n g der s ä m t l i c h e n M i t g l i e d e r . E i n j e d e r , der d e m V e r e i n beitritt, d a r f sich d a r a u f verlassen, d a ß der V e r e i n nicht d u r c h Ä n d e r u n g des V e r e i n s z w e c k s ein vollständig a n d e r e r w i r d . A l s eine solche Ä n d e r u n g ist es n i c h t anzusehen, w e n n z u r besseren E r r e i c h u n g des v o n v o r n h e r e i n b e s t i m m t e n Z w e c k s der Wirkungskreis des V e r e i n s nur eine E r w e i t e r u n g erfährt. Eine Ä n d e r u n g des Z w e c k s ist d a g e g e n in d e m F a l l e a n z u n e h m e n , d a ß ein V e r b a n d , der die F ö r d e r u n g der gesellschaftlichen u n d wirtschaftlichen Interessen seiner M i t g l i e d e r u n d des g a n z e n Standes unter A u s s c h l u ß der A n s a m m l u n g v o n K a p i t a l sich z u r A u f g a b e gestellt h a t , d a z u ü b e r g e h t , eine Unterstützungskasse f ü r stellenlose M i t g l i e d e r einzurichten ( R G v . 1 8 . 9 . 1 3 I V 204/13). E b e n s o k a n n eine Ä n d e r u n g des V e r e i n s z w e c k s d a r i n g e f u n d e n w e r d e n , d a ß ein Ä r z t e v e r e i n , der mit einer K r a n k e n k a s s e einen V e r t r a g ü b e r die ärztliche V e r s o r g u n g der K a s s e n m i t g l i e d e r g e g e n eine P a u s c h a l e geschlossen h a t , seinen V e r e i n s m i t g l i e d e r n erhebliche A b z ü g e an d e m B e t r a g ihrer R e c h n u n g e n m a c h t u n d mit d e m so g e w o n n e n e n G e l d W o h l f a h r t s e i n r i c h t u n g e n schafft ( R G J W 1 9 3 1 , 1450 2 ). — A u c h M a ß n a h m e n , die a u ß e r h a l b der S a t z u n g getroffen w e r d e n , z. B. U m s t e l l u n g eines Idealvereins a u f d e n politischen K a m p f k ö n n e n eine Z w e c k ä n d e r u n g darstellen ( R G H R R 1932 N r . 1640). Zweifellos ist es ferner eine Ä n d e r u n g des Z w e c k e s , w e n n d e m V e r e i n eine wesentlich a n d e r e A u f g a b e

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Vereine

§ 33 A n m . 3, 4 §34

zugewiesen wird, w e n n z. B. ein eigennütziger V e r e i n in einen gemeinnützigen u m gewandelt oder w e n n in A b w e i c h u n g von d e m f r ü h e r e n andersartigen Zweck ein gemeinsamer W a r e n b e z u g beschlossen wird (RS W a r n R s p r . 1929 N r . 59). Die E r l a n g u n g der Z u s t i m m u n g der sämtlichen Mitglieder ist d a d u r c h erleichtert, d a ß die Z u s t i m m u n g s c h r i f t l i c h (vgl. § 32 Abs. 2) erteilt w e r d e n k a n n . I n dieser Weise k ö n n e n a u c h diejenigen, welche in d e r V e r s a m m l u n g gegen den Beschluß gestimmt h a b e n , n o c h n a c h träglich ihre Z u s t i m m u n g geben. I n allen diesen Beziehungen k a n n die Satzung g e m ä ß § 40 a n d e r e Bestimmungen treffen. Sie k a n n die Ä n d e r u n g des Vereinszwecks gänzlich ausschließen, sie k a n n anderseits einen mit einfacher S t i m m e n m e h r h e i t gefaßten Beschluß f ü r g e n ü g e n d erklären u n d k a n n die Bestimmung ü b e r A u f n a h m e eines a n d e r e n , g e n a u bezeichneten Vereinszwecks d e m V o r s t a n d oder einem sonstigen Vereinsorgan übertragen.

Anm. 3 F ü h r t die M e h r h e i t eine ungültige Ä n d e r u n g des Vereinszwecks d u r c h , so liegt d a r i n ihre L o s s a g u n g v o n d e m V e r e i n u n d die satzungstreue M i n d e r h e i t k a n n d e n Verein a u c h u n t e r a n d e r e m N a m e n f o r t s e t z e n u n d die H e r a u s g a b e des V e r m ö g e n s verlangen ( R G 119, 184; J W 1925, 2 3 7 24 ). Das trifft nicht zu in d e m Fall, d a ß die beiderseitigen Vereinszwecke vereinbar sind ( R G J W 1929, 1239 39 ). N e h m e n alle Mitglieder die D u r c h f ü h r u n g der Ä n d e r u n g des Vereinszweckes tatsächlich hin, so bleibt der alte Verein bestehen ( B G H 16, 150), sofern Entschlußfreiheit bestand ( B G H 23, 122). F ü r nichtsrechtsfähige Vereine ist zur Ä n d e r u n g des Zwecks des Vereins ebenfalls die Z u s t i m m u n g der sämtlichen Mitglieder zu e r f o r d e r n (vgl. R G G r u c h o t 51, 1121; W a r n R s p r . 1929, Nr. 59). Bei eingetragenen V e r e i n e n wird die S a t z u n g s ä n d e r u n g erst d u r c h E i n t r a g u n g ins Vereinsregister wirksam (§ 71).

Anm. 4 3 . D i e s t a a t l i c h e G e n e h m i g u n g : Eine Ä n d e r u n g der V o r s c h r i f t des Abs. 2 d u r c h die von der verleihenden Behörde genehmigte S a t z u n g ist zulässig. Selbstverständlich k a n n ohne G e n e h m i g u n g der Behörde die S a t z u n g nicht d a h i n a b g e ä n d e r t werden, d a ß es zu weiteren S a t z u n g s ä n d e r u n g e n d e r G e n e h m i g u n g d e r Behörde nicht m e h r b e d ü r f e n soll. N a c h der P r V O v. 29. 12. 20 u n d d e r Vf. des P r M des J v. 7. 2. 21 ist die G e n e h m i g u n g d e m zuständigen Minister n u r insoweit v o r b e h a l t e n , als die Ä n d e r u n g den Zweck des Vereins, die staatliche G e n e h m i g u n g künftiger S a t z u n g s ä n d e r u n g e n oder die V e r l e g u n g des Sitzes des Vereins a u ß e r h a l b des Bezirks der bisherigen Aufsichtsbehörde betrifft. I m übrigen wird die G e n e h m i g u n g von der Aufsichtsbehörde erteilt. A n die Stelle des Bundesrats ist j e t z t d e r Bundesminister des I n n e r n getreten (§ 23 A n m . 1). § 3 4

Ein Mitglied ist nicht stimmberechtigt, wenn die Beschlußfassung die Vornahme eines Rechtsgeschäfts m i t i h m oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits zwischen i h m und dem Verein betrifft. EI

48

Abs.

4

II

31

Abs.

3;

M1

107;

P1

J27.

Anm. Die Vorschrift ist z w i n g e n d ( R G 50, 172). I n e i g e n e r A n g e l e g e n h e i t ist ein Mitglied des Vereins — desgleichen, was aus § 181 folgt, eines Vereinsorgans — von d e r A u s ü b u n g d e s S t i m m r e c h t s a u s g e s c h l o s s e n (nicht a u c h von der T e i l n a h m e a n der beschließenden Mitgliederversammlung). Der Begriff der eigenen Angelegenheit ist in wesentlicher Ü b e r e i n s t i m m u n g mit § 181, der aber u n m i t t e l b a r keine A n w e n d u n g findet, d a h i n bestimmt, d a ß es sich u m die V o r n a h m e eines Rechtsgeschäfts, z. B. eigene E n t l a s t u n g oder die F ü h r u n g eines Rechtsstreits mit d e m Verein h a n d e l n m u ß ( R G 162, 373). N i c h t u n t e r d e n Begriff des Rechtsgeschäfts i m Sinne des § 34 fällt die V o r n a h m e einer W a h l , bei welcher die N a t u r d e r Sache n a c h alle Mitglieder zur M i t w i r k u n g ber u f e n sind ( R G 60, 1 7 2 ; 68, 179; 104, 186, 126 A n h . 63), a u c h nicht die R e g e l u n g der

123

Allgemeiner Teil. Personen

§35

Anm. 1 Bezüge des Gewählten ( R G 74, 276; J W 1 9 1 7 , 165t 4 ; 1919, 313 1 5 ). ebenso nicht der Widerruf der Bestellung ( R G 8 1 , 37). Andersartig war der Fall von R G 75, 234, wo es sich zugleich um Anhängigmachung eines Rechtsstreits wegen vorsätzlicher Schädigung der Aktiengesellschaft durch den zu entlassenden Vorstand handelte. Unter den Begriff des Rechtsgeschäfts fällt dagegen die von der bloßen Feststellung der Bilanz zu unterscheidende Entlastung ( R G 49, 146). Darauf, ob sachlich ein Interessengegensatz besteht oder persönliche Befangenheit zu besorgen ist ( R G Recht 1 9 1 3 Nr. 1087; WarnRspr. 1 9 1 3 Nr. 182), kommt es nicht an. Ebensowenig vermag das Bestehen eines Interessengegensatzes über den Rahmen des § 34 hinaus die Stimmberechtigung auszuschließen. Eine Verletzung des § 34 hat die Ungültigkeit des Beschlusses nur zur Folge, wenn er hierauf b e r u h t . Dies ist nicht der Fall, wenn der Beschluß zuungunsten des nicht stimmberechtigten Mitgliedes ergangen ist oder wenn auch unter Abrechnung der ungültigen Stimmen eine genügende Mehrheit für den Beschluß verbleibt (vgl. R G 65, 242; 1 1 5 , 378). Ist das Mitglied gemäß § 34 von der Stimmberechtigung ausgeschlossen, so kann es das Stimmrecht auch nicht für andere Mitglieder auf Grund der ihm von diesen erteilten Vollmacht ausüben. Für die Mitglieder eines Vereinsorgans (§§ 28 Abs. 1, 40) gilt sie nur insoweit, als nicht satzungsgemäß dem Mitgliede eine weitergehende Ermächtigung erteilt ist (vgl. § 1 8 1 ) . Der Repräsentant einer Gewerkschaft ist auch bei Beteiligung eigener Interessen stimmberechtigt (SeuffArch. 57 Nr. 10). — Über Anwendbarkeit des § 34 auf die bürgerlichrechtliche Gesellschaft vgl. R G 136, 245.

§ 3 5 Sonderrechte eines Mitglieds können nicht ohne dessen Zustimmung durch Beschluß der Mitgliederversammlung beeinträchtigt werden. E l l 53; M 1 109; P 1 J29ff.

Anm. 1 1 . Der Begriff des S o n d e r r e c h t s : Das Sonderrecht ist das als eine B e v o r r e c h t i g u n g d e m M i t g l i e d e wesentlich um seiner selbst willen, nicht im Interesse des Vereins als ein von den Rechten der anderen Mitglieder verschiedenes Recht, eingeräumte ( R G 49, 1 5 1 ; 104, 255; H R R 1932 Nr. 1287). Es ist kein Individualrecht gegen den Verein, der gegenüber seinen Mitgliedern keine eigene Selbständigkeit und daher auch keine eigenen Rechte der Mitglieder gegen sich hat, sondern eine besondere Gestaltung der Mitwirkung an der Ausübung der Mitgliedschaftsrechte (so auch R G J W 1938, 1329 3 2 ). Dies kann ihm wider seinen Willen nicht entzogen oder beeinträchtigt werden, es sei denn, daß die Beibehaltung des Sonderrechts gemeinschaftswidrig und sittenwidrig ist. Ein Sonderrecht kann auch allen Mitgliedern zustehen, wenn aus der Satzung hervorgeht, daß ein bestimmtes Recht nicht ohne Zustimmung jedes einzelnen entzogen oder beschränkt werden darf ( R G H H R 1929 Nr. 1558). Als ein solches Sonderrecht erscheint nicht bloß das Recht auf einen bestimmten erhöhten Gewinnanteil oder sonstige Vorzugsleistungen (vgl. über die andere Regelung bei Aktiengesellschaften §§ 1 1 5 ff Abs. 9 sowie R G J W 1 9 1 3 , 6886), sondern z. B. auch das Recht auf Aufnahme des Geschäftsnachfolgers in den Verein ( R G SeuffArch. 83 Nr. 1 4 1 ) , das Recht auf Unterlassung der Auferlegung von Sonderlasten ( R G J W 1 9 3 1 , 1450 2 ), ferner das Recht einer besonderen Teilnahme an der Verwaltung (erhöhtes Stimmrecht, dauernde Zugehörigkeit zum Vorstand (vgl. R G J W 1 9 1 1 , 747 1 ), die jedoch im Falle des Mißbrauchs entzogen werden kann, Notwendigkeit der Zustimmung zu bestimmten Verwaltungshandlungen, zur Auflösung dess Vereins vor Ablauf einer bestimmten Zeit usw. Ein ein Sonderrecht begründendes Vorzugsrecht ist insbesondere darin zu sehen, daß das Vermögen oder einzelne Vermögensgegenstände nach Auflösung des Vereins (vgl. § 45 Abs. 1) gewissen Mitgliedern, die besondere Voraussetzungen erfüllt haben, zufallen sollen ( R G 136, 190). Auch das Recht, zu Beiträgen in geringerem Maße herangezogen zu werden, und das Recht auf längere Dauer der Mitgliedschaft, kann als Sonderrecht gewährt werden; bezüglich der Stellung als Mitglied des Ehrenrats vgl. R G 79, 4 1 0 .

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Vereine

§35

A n m . 2—4 Ein solches Sonderrecht muß in der Satzung zum klaren Ausdruck gebracht sein ( R G 1 1 3 , 245; 165, 129). Bloß daraus, daß die d e n V e r e i n gründende Gesellschaft sich bestimmte Stellen im Vorstand vorbehalten hat, ist nicht ohne weiteres zu folgern, daß durch Satzungsänderung dieses Recht nicht beseitigt werden kann ( R G J W 1 9 1 1 , 747 1 ). Vergünstigungen, die durch Vereinsbeschluß oder Satzungsänderungen aufgehoben, also widerruflich sind, begründen kein Sonderrecht ( R G 7. 1 1 . 24 I V 266/24; 8. 6. 30 I V 464/30). Ein Sonderrecht bildet das Recht einer Sportvereinigung, von dem beklagten Verband in einer höheren Wettspielklasse geführt zu werden (WarnRspr. 1925 Nr. 1 3 des § 35).

Anm. 2 D a s M i t g l i e d s c h a f t s r e c h t als solches stellt ein Sonderrecht im Sinne ebensowenig dar wie die aus der Mitgliedschaft hervorgehenden, dem einzelnen mit den anderen Mitgliedern gemeinsamen Rechte auf Anteil an den Nutzungen, Ausübung des Stimmrechts usw. (vgl. R G 33, 1 7 8 ; 49, 1 5 1 ; 73, 1 9 1 ; — für die handelsrechtlichen Gesellschaften gelten in dieser Beziehung andere Grundsätze, R G 68, 211). Das M a ß dieser Rechte bestimmt sich lediglich nach der Satzung, deren Vorschriften jederzeit geändert werden können. Wohl aber können mit dem Mitgliedschaftsrecht Sonderrechte verbunden sein. Aus der Mitgliedschaft erwächst auch in Ermangelung einer anderen Satzungsbestimmung einem jeden Mitglied ein Recht darauf, daß er in bezug auf Rechte und Pflichten n i c h t u n g ü n s t i g e r gestellt werde wie die übrigen Mitglieder ( R G 49, 198; 1 1 2 , 1 2 4 ; J W 38, 1 3 2 9 ; B G H N J W 54, 5 9 3 ; s. § 38 A n m 3). Dieser Grundsatz schließt nicht aus, daß die Berechtigungen und Verpflichtungen wegen der bestehenden tatsächlichen Verschiedenheiten eine ungleiche Wirkung haben (vgl. R G 47, 149). Die f o r m e l l e R e c h t s g l e i c h h e i t darf aber nicht dadurch verletzt werden, daß einzelnen Mitgliedern größere Lasten auferlegt werden oder geringere Rechte gewährt werden wie den andern.

Anm. 3 2. K e i n e B e e i n t r ä c h t i g u n g d e s S o n d e r r e c h t s : Gegen den Willen des Berechtigten darf ein Sonderrecht nicht beeinträchtigt werden. Das ist zwingend. Ein hiergegen verstoßender Beschluß ist unwirksam. Eine B e e i n t r ä c h t i g u n g des Sonderrechts ist dadurch möglich, daß durch Satzungsbeschluß neue Bedingungen f ü r die Fortdauer der Mitgliedschaft aufgestellt werden, welche die Ausschließung eines Mitgliedes in ungerechtfertigter Weise erleichtern (vgl. R G WarnRspr. 1 9 1 8 Nr. 1 3 3 ) . Ungültig ist ein Beschluß, der darauf hinausläuft, daß ein Teil der Mitglieder seine Mitgliedschaft vollständig verliert. Die Ungültigkeit derartiger Beschlüsse kann auch von denjenigen Mitgliedern, die durch den Beschluß nicht beeinträchtigt sind, durch Feststellungsklage geltend gemacht werden, da auch sie zum Zwecke der Herstellung geordneter Rechtszustände ein Interesse an Feststellung der Ungültigkeit haben. Sind die Mitglieder eines Vereins in Zweigvereine zusammengefaßt, so kann der Zweigverein Sonderrechte für seine Mitglieder erwerben und auch gegenüber dem Hauptverein gerichtlich vertreten ( R G 26. 1 1 . 25 I V 339/25). Die richterliche Nachprüfung eines ein Sonderrecht beeinträchtigenden Beschlusses ist nicht etwa nur unter den Voraussetzungen zulässig, unter denen ein Ausschließungsbeschluß (§ 39 Anm. 2) nachgeprüft werden kann ( R G Recht 1929 Nr. 1). Verschieden von den Sonderrechten sind die Sonderbefugnisse einer Minderheit, im Interesse des Vereins eine sonst den Vereinsorganen obliegende Handlung vorzunehmen. Hierzu gehört das in § 37 bezeichnete Recht, die Berufung der Mitgliederversammlung zu verlangen, das nach § 40 ebenfalls durch die Satzung nicht ausgeschlossen werden kann. Nicht unter die Sonderrechte fällt das einem Mitglied außerhalb des Gemeinschaftsverhältnisses zustehende Recht als Gläubiger des Vereins (s. hierüber A n m 4). — Ebenso wie neben den Mitgliedschaftsrechten Sonderrecht, können neben den allgemeinen Mitgliedschaftspflichten (vgl. § 38 A 2) auf Grund der Satzung S o n d e r p f l i c h t e n des Mitglieds bestehen.

Anm. 4 3. D a s M i t g l i e d a l s G l ä u b i g e r d e s V e r e i n s : Die Mitglieder können durch Abschluß von Rechtsgeschäften usw. mit dem Verein in b e s o n d e r e R e c h t s b e z i e h u n g e n

125

§36 § 37 A n m . 1

Allgemeiner T e i l . Personen

treten. Es kann dies z.B. dadurch geschehen, d a ß die Mitglieder bei dem V e r e i n gegen bestimmte Schäden versichert sind. Das hierdurch erworbene R e c h t unterliegt nicht der Einwirkung des Vereins. Derartige Gläubigerrechte sind keine Sonderrechte. Ein unentziehbares G l ä u b i g e r r e c h t erlangen die Mitglieder dadurch, d a ß der satzungsgemäß ihnen zukommende A n t e i l a m G e w i n n o d e r a m V e r m ö g e n des Vereins durch Beschluß der Mitgliederversammlung oder des sonst zuständigen Organs endgültig festgestellt wird. Immerhin handelt es sich in diesem Falle u m ein aus der Mitgliedschaft entsprungenes, nicht u m ein durch besonderes Rechtsverhältnis begründetes Gläubigerrecht. Dieses wird i m Falle des Konkurses v o n Bedeutung, w o diese Mitglieder hinter die R e c h t e der anderen Gläubiger zurücktreten müssen. U m ein Gläubigerrecht, nicht Sonderrecht handelt es sich, w e n n ein Vereinsmitglied mit anderen Personen eine Gesellschaft z u m E r w e r b eines Vereinshauses bildet und dieses an den V e r e i n veräußert, dabei aber durch V e r t r a g mit d e m V e r e i n i h m die Benutzung der Vereinsräume a u c h für den Fall seines Ausscheidens aus dem V e r e i n vorbehalten w i r d ; dieses R e c h t kann durch nachträglichen Mehrheitsbeschluß nicht beseitigt oder beschränkt werden (RG 29. 6. 25 I V 120 ¡25). U b e r das R e c h t auf einen v o n einem nicht rechtsfähigen israelitischen Begräbnisverein vergebenen Begräbnisplatz R G H R R 1931 Nr. 138.

§ 3 6 Die M i t g l i e d e r v e r s a m m l u n g ist in den durch die Satzung b e s t i m m t e n Fällen sowie dann zu berufen, wenn das Interesse des Vereins es erfordert. E II 34; P 1 5 3 2 f r .

Die Beurteilung hierüber steht d e m V o r s t a n d zu. Für A k t i e n g e s e l l s c h a f t e n §§ 105 fr. A k t G . Die schuldhafte V e r l e t z u n g der Einberufungspflicht macht den V o r s t a n d oder das sonst zuständige Vereinsorgan dem V e r e i n gegenüber verantwortlich. D a s einzelne Mitglied hat, abgesehen von d e m in § 37 bezeichneten W e g e , nicht das R e c h t , die Berufung der V e r s a m m l u n g z u erzwingen ( a . A . R G 79, 4 1 1 , w o die K l a g e des Einzelnen gegen die widerstrebenden Vorstandsmitglieder, nicht gegen den Verein, für zulässig erklärt ist, vgl. auch R G W a r n R s p r . 1912 N r . 147, w o n a c h durch die Satzung ein klagbarer Anspruch auf Einberufung der V e r s a m m l u n g gewährt sein kann). Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen ordentlicher und außerordentlicher Generalversammlung, die Unterscheidung kann aber in der S a t z u n g gemacht werden. Die Einberufung kann d e m Vorsitzenden des Vorstandes oder des Aufsichtsrats in der S a t z u n g übertragen werden. § 3 7 Die M i t g l i e d e r v e r s a m m l u n g ist zu berufen, wenn der durch die Satzung b e s t i m m t e Teil oder in E r m a n g e l u n g einer B e s t i m m u n g der zehnte T e i l der Mitglieder die B e r u f u n g schriftlich unter A n g a b e des Zweckes und der Gründe verlangt. Wird dem Verlangen nicht entsprochen, so kann das A m t s g e r i c h t die M i t glieder, welche das Verlangen gestellt haben, zur B e r u f u n g der V e r s a m m l u n g e r m ä c h t i g e n ; es kann Anordnungen über die Führung des Vorsitzes in der V e r . S a m m l u n g treffen. Zuständig ist das A m t s g e r i c h t , das für den Bezirk, in d e m der Verein seinen Sitz hat, das Vereinsregister führt. A u f die E r m ä c h t i g u n g m u ß bei der B e r u f u n g der V e r s a m m l u n g B e z u g g e n o m m e n werden. E II 35; P 1 5 3 2 f r . ; 6 115. Fassung des § 30 des Rechtspflegergesetzes v. 8. 2. 1957 ( B G B l . I 18).

Anm. 1 Die Mitgliederversammlung m u ß nicht immer a m O r t e des satzungsmäßigen V e r einssitzes abgehalten werden ( B a y O b L G J W 1930, 2723®). Der zehnte T e i l oder der sonst in der S a t z u n g bestimmte T e i l der Mitglieder hat das R e c h t (vgl. § 35),

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Vereine

§ 37 Anm. 2, 3 § 38 Anm. 1

die Berufung der Mitgliederversammlung auch, falls eine Mitgliederversammlung in der Satzung nicht vorgeschrieben ist, der Vertreterversammlung ( K G in J W 1930, 1224 1 ), zu verlangen, wenn ein schriftlicher Antrag hierauf bei dem Vorstande gestellt wird und der Antrag die Angabe des Zweckes und der Gründe enthält, aus denen die Berufung für geboten erachtet wird. Eine Nachprüfung der Gründe steht dem Vorstand nicht zu. Zur Ablehnung des Antrags ist er nur berechtigt, wenn die Befugnis aus § 37 m i ß b r ä u c h l i c h ausgeübt wird. In der Satzung darf die zur Stellung des Antrags erforderliche Z a h l der Mitglieder, da § 37 den Schutz der Minderheit bezweckt und daher nach § 40 zu den zwingenden Rechtssätzen gehört, keinesfalls auf mehr als die Hälfte der Mitglieder festgesetzt, also nicht eine bestimmte Mehrheit, auch nicht eine einfache, verlangt werden.

Anm. 2 Bei Ablehnung des Antrags sind die Antragsteller auf den Weg der freiwilligen Gerichtsbarkeit angewiesen, und es findet kein Prozeßverfahren statt (vgl. § 36 Anm. 1. a. M. R G 79, 409; J W 1912, 410). Die Antragsteller können sich vielmehr in diesem Falle die gerichtliche Ermächtigung zur Einberufung erteilen lassen und haben sich deshalb an das zuständige A m t s g e r i c h t zu wenden. Dieses hat, nachdem der Vorstand des Vereins, soweit tunlich, gehört ist (§160 F G G ) , im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit darüber zu entscheiden, ob der Antrag mit Grund abgelehnt werden durfte, wobei auch auf die sachliche Berechtigung des Antrags einzugehen ist. Gegen den Beschluß ist sofortige Beschwerde zulässig (§ 160 F G G ) . Wird dem Antrag stattgegeben, so werden die Antragsteller e r m ä c h t i g t , die Berufung an Stelle des Vorstandes unter Hinweis auf den Beschluß, dessen Rechtskraft abgewartet werden muß, selbst zu bewirken, worin zugleich die Vollziehung des Beschlusses liegt (vgl. §887 Z P O ) . Das Amtsgericht kann außerdem, da die Besorgnis begründet sein kann, der Vorstand werde den mit der Berufung verfolgten Zweck durch die Art der Leitung der Versammlung vereiteln, wegen des Vorsitzes in der Versammlung besondere Bestimmung treffen. Das gleiche Verfahren findet statt, wenn der Minderheitsantrag, einen bestimmten Gagenstand auf die Tagesordnung zu setzen, abgelehnt ist. Bei den kleineren Vereinen der privaten Versicherung tritt an Stelle des Amtsgerichts die A u f s i c h t s b e h ö r d e (s. § 29).

Anm. 3 Absatz 2 hat keine Geltung für nichtrechtsfähige Vereine, da sie außerhalb des Aufgabengebiets des Amtsgerichts als Registergericht stehen: Bei ihnen kann deshalb die Erfüllung der dem Vorstand obliegenden Pflicht zur Einberufung der Mitgliederversammlung nur im Klagewege erzwungen werden. Die sachliche Berechtigung des Verlangens der Einberufung ist hier, um der Beschlußfassung der Mitgliederversammlung nicht vorzugreifen, von dem Prozeßgericht nicht zu prüfen, jedenfalls dann nicht, wenn in der Mitgliederversammlung über ein pflichtwidriges Verhalten des Vorstandes abgeurteilt werden soll ( R G J W 1912, 410 34 ). Ist das Amt der Vorstandsmitglieder erloschen, so ist die Einberufung einer Mitgliederversammlung nur dadurch zu erreichen, daß die Geschäfte des Vereins vorläufig von den Vereinsmitgliedern gemeinschaftlich geführt werden ( R G 78, 52). § 3 8

Die Mitgliedschaft ist nicht übertragbar und nicht vererblich. Die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte kann nicht einem anderen überlassen werden. E U 36 Abs. j ; P I 5 3 4 f r .

Anm. 1 Die (nach § 40 abänderliche) Regel ist, daß die Mitgliedschaft an die Person des als Mitglied Aufgenommenen gebunden ist. Die Mitgliedschaft und das aus ihr folgende Recht der B e t ä t i g u n g in Vereinsangelegenheiten ist weder veräußerlich noch vererblich, noch durch einen Dritten ausübbar. Hierher gehören auch Sonderrechte,

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§38 Anm. 2

Allgemeiner Teil. Personen

die auf der Mitgliedschaft beruhen, sofern sie nicht schon einen fälligen Anspruch, z. B. auf Gewinnanteil, erzeugt haben. Damit ist indes die Ausübung durch den gesetzlichen Vertreter nicht ausgeschlossen. Dieser Grundsatz gilt nicht bloß für Idealvereine, sondern auch für wirtschaftliche Vereine, da auch diese der Regel nach nicht ausschließlich private Vermögensinteressen verfolgen werden. Ist nach der Satzung die Vertretung durch einen Bevollmächtigten gestattet, so können von diesem die Mitgliedschaftsrechte in der Regel nur einheitlich ausgeübt werden, tritt er jedoch als Bevollmächtigter für mehrere Gruppen auf, wie z. B. ein Bankvertreter für die bei ihr hinterlegten Aktien, so ist eine verschiedene Stimmabgabe, je nach den Anweisungen der Auftraggeber nicht ausgeschlossen, entspricht vielmehr den Grundsätzen der Kapitalgesellschaften (§ 114 AktG; vgl. RG 137, 305). Daß die A u s ü b u n g des S t i m m r e c h t s durch die Satzung sogar durch N i c h t m i t g l i e d e r gestattet werden kann (RG Recht 1928 Nr. 2244), widerspricht dem Wesen des Vereins als einer Zusammenfassung von Kräften zur gemeinsamen Tätigkeit. — Auch V e r e i n e können M i t g l i e d e r eines anderen Vereins sein. O b in einem solchen Fall auch eine Mitgliedschaft der einzelnen Mitglieder des Zweigvereins beim Hauptverein besteht, richtet sich nach der Satzung des letzteren (vgl. § 21 Anm. 4). Uber die sog. Ortsgruppen vgl. § 24 Anm. 3, über die nicht rechtsfähigen Vereine § 54 Anm. 1. Die sog. Zentralvereine haben nur körperschaftliche Mitglieder (vgl. RG Gruchot 54, 649). Der einem Verein als Mitglied angehörende Verein kann unter den in § 39 Anm. 2 dargestellten Voraussetzungen von der Mitgliedschaft ausgeschlossen werden. Uber die satzungswidrige Aufnahme eines nicht eingetragenen Vereins in den Hauptverein s. K G J W 1928, 2402. Anm. 2 Zur Erlangung der Mitgliedschaft, die ein Rechtsverhältnis des Personenrechts darstellt (RG 100, 1) und die Gesamtheit aller Mitgliedschaftsrechte umfaßt (RG 73> J9 1 )) ist, falls sie nicht durch Abschluß des Errichtungsvertrags erworben wurde, die A u f n a h m e durch Beschluß der Mitgliederversammlung oder des sonst zuständigen Vereinsorgans (vgl. § 58 Anm. 1) erforderlich, doch kann nach der Satzung auch die einseitige Erklärung des B e i t r i t t s (Eintritts) genügen. Ein Eintrittszwang besteht abgesehen von öffentlich-rechtlichen Zwangsvereinen nicht. Uber Beitrittserklärung zu einer Genossenschaft vgl. RG 137, 74. Die Satzung kann für die Beitrittserklärung (vgl. § 58 Nr. 1) eine bestimmte Form vorschreiben, sie kann den Erwerb und die Fortdauer der Mitgliedschaft von gewissen Erfordernissen abhängig machen und kann anordnen, daß bei Erfüllung dieser Erfordernisse die Aufnahme nicht verweigert werden darf. Eine allgemeine Aufnahmepflicht besteht nicht, geheime Abstimmung ist zulässig. Jedoch kann ein Wirtschafts- oder Berufsverband, der nach seiner Satzung die Berufsinteressen der Unternehmer eines bestimmten Gewerbe- und Handelszweiges oder bestimmter Berufsreihe vertritt, den Aufnahmeantrag, wenn die satzungsmäßigen Voraussetzungen der Mitgliedschaft erfüllt sind, nicht ohne triftigen Grund ablehnen (RG 106, 120; B G H 21,1). Der Aufnahmebeschluß ist nur wirksam, wenn der Aufgenommene den Antrag auf Aufnahme gestellt hat oder nachträglich der Aufnahme zustimmt. Der Vertrag, durch welchen die Aufnahme eines Mitgliedes in den Verein erfolgt, ist n i c h t d e n g e g e n s e i t i g e n V e r t r ä g e n zuzuzählen, da eine gegenseitige Verpflichtung zu Leistungen, wie sie für das Verhältnis der Gesellschafter zueinander durch § 705 bestimmt ist, zwischen den Vereinsmitgliedern nicht besteht. Die Leistungspflicht des Vereinsmitgliedes fließt auch nicht aus der Satzung als eines Vertrages, sondern aus der Mitgliedschaft als solche, also aus dem personenrechtlichen Rechtsverhältnis (h. M. RG 100, 1; 163, 203). Sie ist auch nicht etwa davon abhängig, daß der Vorstand seine zur Erreichung des Vereinszwecks (Schutz und Förderung der Mitgliederinteressen) ihm obliegenden Verpflichtungen erfüllt (RG 100, 3); über ein Verschulden des Vorstands bei Erfüllung der Pflichten gegenüber dem Mitglied vgl. RG J W 1930, 3473 3 . Der Antrag auf Aufnahme kann in Erwartung, daß der Verein die Rechtsfähigkeit erlangt, schon vor diesem Zeitpunkt gestellt werden. Möglich ist auch eine Bestimmung, welche die Mitgliedschaft derart von dem Besitz eines Geschäfts usw. abhängig macht, daß mit der Veiäußerung desselben die Mitgliedschaft auf den Erwerber übergeht (RG WarnRspr. 1918 Nr. 48). Gegen seinen Willen kann natürlich auch in diesem

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Vereine

§ 38 Arnix. 3

§39

Falle der Erwerber nicht Mitglied werden. Der beschränkt Geschäftsfähige kann, wenn die Mitgliedschaft mit vermögensrechtlichen Verpflichtungen, Verpflichtung zur Zahlung eines Beitrags usw., verbunden ist, Mitglied nur werden mit Genehmigung seines gesetzlichen Vertreters (§ 1 1 1 ) , welche Genehmigung jedoch schon darin gefunden werden kann, daß der Vertreter sich mit der die Beteiligung an solchem Vereine mit sich bringenden Ausbildung für einen bestimmten Beruf einverstanden erklärt hat. Alsdann wird § 1 1 3 entsprechend anwendbar sein. Auf den Beitritt als Rechtsgeschäft finden die V o r s c h r i f t e n über Willensmängel im allgemeinen Anwendung. Wegen Irrtums über die mit dem Beitritt nach dem Gesetz verbundenen Folgen, wie z.B. darüber, daß das Mitglied Mehrheitsbeschlüssen unterworfen ist, daß es sich Satzungsänderungen gefallen lassen muß, kann aber der Beitritt nicht angefochten werden. Seitens des Vereins ist die Anfechtung wegen Irrtums über persönliche Eigenschaften des Aufgenommenen nur in außerordentlichen Fällen zulässig. Uber die Klage auf Feststellung der Mitgliedschaft an einem verbotenen Verein s. §60 Anm. 1 a.E. Was die R e c h t e der M i t g l i e d e r am V e r e i n s v e r m ö g e n betrifft, so können diese niemals so weit gehen, daß die Mitglieder das Miteigentum erhalten. Nicht unzulässig ist, den Mitgliedern als solchen Gerechtsame an den Vereinsgrundstücken einzuräumen, die wie dingliche Rechte gegen Dritte geschützt werden, nicht aber die Befriedigung der Gläubiger aus dem ihnen verhafteten Vereinsvermögen ausschließen. Den Mitgliedern kann durch die Satzung oder einen die Satzung abändernden Beschluß die Verpflichtung zur Leistung von ordentlichen oder außerordentlichen Beiträgen sowie eine aushilfsweise oder gesamtschuldnerische, unbeschränkte oder beschränkte H a f t u n g für die Vereinsverbindlichkeiten auferlegt werden. Die Haftung kann nach der Satzung die Bedeutung haben, daß sie nur für die Dauer der Mitgliedschaft bestehen soll (RG WarnRspr. 1917 Nr. 46). Kraft seines Mitgliedsrechts ist der einzelne befugt, falls Dritte die Verwaltungs- oder Ehrenrechte des Vereins in einer sein Mitgliedsinteresse berührenden Weise sich anmaßen, diese Eingriffe durch Klage abzuwehren. — Eine besondere Treupflicht der Mitglieder gegen die Gesamtheit versteht sich aus der Tatsache der Vereinigung von selbst, wer ihr zuwiderhandelt, kann in schweren Fällen ausgeschlossen •werden. Zur Treupflicht kann gegebenenfalls auch die Schweigepflicht gehören (RG H R R 1928 Nr. 1551; RG 6. 7. 22 IV 753/21). Anm. 3 Im Vereinsrecht gilt der allgemeine Grundsatz einer Gleichbehandlung aller Mitglieder (RG 73, 191; 112, 124; 113, 156; 118, 76; 119, 228, 120, 180; 132, 165). Mitgliedsbeiträge dürfen daher ohne Zustimmung des Betroffenen durch nachträgliche Änderungen nicht so festgesetzt werden, daß ein einzelnes Mitglied oder eine Gruppe in einer willkürlichen und sachfremden Weise gegenüber anderen Mitgliedern besonders belastet werden. Auch darf beim Vorliegen eines wichtigen Grundes das Recht zum sofortigen Austritt nicht ausgeschlossen werden, selbst wenn sonst ein Austritt nur unter Innehaltung einer Kündigungsfrist zugelassen wird (BGH NJW54, 953, vgl. auch § 35 Anm. 1). — Wegen Beschränkung der Mitgliedsrechte ist auch gegenüber dem Verein der Rechtsweg zulässig (RG J W 1925, 224 3 ; vgl.RG WarnRspr. 1925 Nr. 13). § 3 9 Die Mitglieder sind zum Austritt aus dem Verein berechtigt. Durch die Satzung kann bestimmt werden, daß der Austritt nur am Schluß eines Geschäftsjahres oder erst nach dem Ablauf einer Kündigungsfrist zulässig ist; die Kündigungsfrist kann höchstens zwei Jahre betragen. E II 36 Abs. 2; P I J34ff.

Ubersicht

Anm.

I. Der Austritt aus dem Verein II. Der Ausschluß aus dem Verein 1. Zulässigkeit 2. Inkrafttreten und Wirksamkeit

1,2

9

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Komm. 2. B G B , n . Aufl. I. Bd. (Denecke)

3 4

§39 Anm. 1, 2

Allgemeiner Teil. Personen

3. Suspension. Bedingte Ausschließung 4. Gerichtliche Nachprüfung a) Nachprüfung der formellen Ordnungsmäßigkeit b) Die Auslegung der Satzung c) Nachprüfung der sachlichen Richtigkeit d) Prozessuales

Aiun.. 5. 6 7 8 9, ia

Anm. 1 I. Austritt aus dem Verein. Er wird wirksam durch die einem Vorstandsmitgliede (§ 28 Abs. 2) oder dem sonst zuständigen Organ gemachte Austrittsanzeige (auch, durch Zustellung der Klageschrift statt des satzungsmäßigen eingeschriebenen Briefes. (RG 77, 70) oder durch Ubergabe eines die Anzeige enthaltenden verschlossenen Briefes an den Vorsitzenden der über die Ausschließung beratenden Versammlung (RG J W 1914, 461 2 ). Ein Rücktrittsrecht nach §326 besteht nicht. Die Vorschrift des§723, wonach die Kündigung n i c h t zur U n z e i t geschehen darf, findet hier keine Anwendung; ohne Einhaltung der satzungsmäßigen Frist ist der Austritt aus. einem w i c h t i g e n G r u n d e jederzeit zulässig (RG 130, 375) auch wenn der Beitritt auf Lebenszeit eingegangen ist. Aber der Austritt des Versicherungsnehmers aus einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit wirkt erst für den Ablauf der vereinbarten ZeitUber den Austritt eines Vereins aus einem größeren Vereinsverbande (RG H R R 1932 Nr. 1639, 1640). Durch die Satzung kann bestimmt werden, daß die N i c h t z a h l u n g des B e i t r a g e s binnen bestimmter Frist den Verlust der Mitgliedschaft nach sich zieht. Der Verlust tritt in diesem Falle erst mit Ablauf der Frist ein. Die Weigerung des Beitragspflichtigen kann den Ablauf der Frist nicht ersetzen (RG WarnRspr. 1912 Nr. 147;. vgl. auch Recht 1928 Nr. 1 ; J W 1927, 299610). Anm. 2 Uber § 39 hinaus kann, da dieser zwingender Natur ist (vgl. § 40; RG 143, 3; BGH NJW 54, 393) die Freiheit des Austritts weder durch Einführung einer erschwerenden. Form (als welche die bloße Schriftform nicht gelten kann) noch durch sonstige Bestimmungen b e s c h r ä n k t oder e r s c h w e r t werden, die dem ausscheidenden Mitgliede besondere Vermögensnachteile oder sonstige Lasten (Beschränkung des Wettbewerbs; usw.) auferlegen (RG 71, 391; 108, 160; J W 1914, 1084 10 ). Daß der Ausscheidende die mit seiner Eigenschaft als Mitglied verbundenen Vergünstigungen verliert, wie z. B. das Recht, das ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied gewährte Darlehn zu behalten, stellt einen solchen Vermögensnachteil nicht dar (vgl. RG 91, 335). Eine die Kündigungsfrist unzulässig verlängernde oder sonst die Kündigung erschwerende Satzungsbestimmung ist insofern ungültig, als das Mitglied berechtigt bleibt, nach Ablauf von zwei Jahren seit der Kündigung auszuscheiden (RG J W 1937,3236). Die Gültigkeit seiner Aufnahme als Mitglied wird hierdurch nicht berührt. Zulässig ist die Festsetzung einer einjährigen Kündigungsfrist zum 3 1 . 12. jeden Jahres (RG 90, 306, 3 1 1 ) . Dagegen verstößt die Satzungsbestimmung, daß ein freiwilliges Ausscheiden aus dem Verein nicht mehr möglich sei, sobald gegen das Mitglied ein Verfahren vor dem Vereinsehrengericht schwebe, gegen § 39 Abs. 2 (RG 108, 160, 130, 209, 375; BGH BB 54, 329). Mit dem Ausscheiden verliert das Mitglied nicht nur seine Verwaltungsrechte, sondern auch, soweit die Satzung nichts anderes bestimmt, jedes Recht am Vereinsvermögen. Für die Beiträge, die auf die Zeit bis zum Ausscheiden entfallen, bleibt der Ausscheidende verhaftet, und zwar auch dann, wenn die Bedingung, von der die Einforderung der Beiträge abhängig gemacht ist, erst nach dem Ausscheiden eintreten sollte. Den Bestimmungen der Satzung über die Schiedsgerichtszuständigkeit des Vereins bleibt der Austretende auch hinsichtlich der Frage der Wirksamkeit des Austritts unterworfen, sofern etwas anderes aus der Satzung nicht zu entnehmen ist (RG 1 1 3 , 321). Die Zuständigkeit des Schiedsgerichts darf allerdings nicht dazu führen, die Mitgliedschaft über die in § 39 Abs. 2 bestimmte Zeitgrenze hinaus zu verlängern (RG J W 1916, 1474 1 ).. Andernfalls würde § 1041 Nr. 2, nicht, wie RG 88, 397; 113, 321 annimmt, § 1041 Nr. 1 ZPO anwendbar werden. Die Freiheit des Austritts ist von großer Bedeutung, weil.

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Vereine

§39

Anm. 3—5 dieser oft das einzige dem Mitglied verbleibende Mittel ist, um einer schlechten Verwaltung oder einer erhöhten Beitragspflicht sich zu entziehen. Die Möglichkeit des Austritts hat für den einzelnen den gleichen Wert wie die Möglichkeit der Auflösung des Vereins für die Mitgliederversammlung. II. D e r A u s s c h l u ß a u s d e m Verein (vgl. M e y e r - C o r d i n g , Die Vereinstrafe 1957) — über die sonstige Strafgewalt des Vereins § 25 Anm. 5.

Anm. 3 1. Zulässigkeit. Sie ist u n z u l ä s s i g bei Religionsgesellschaften oder zu Religionsübungen gebildeten geistlichen Gesellschaften und Ordensverbänden, da sie als Handlung der Selbstverwaltung in keiner Weise auch nicht hinsichtlich der formellen Gültigkeit des Beschlusses der Nachprüfung im ordentlichen Rechtsweg unterliegen (GG Art. 140 i.V. mit Art. 137 W R V ; RG 26, 277; 62, 254, 113, 128). Sie ist sonst zulässig, auch wenn die Satzung hierüber keine Vorschriften enthält. Schweigt die Satzung, so kann die Ausschließung jedenfalls aus einem wichtigen Grunde stattfinden (RG 130, 375; 169, 330), denn die Vereinsmitglieder sind zur Treue gegeneinander verpflichtet, ihre Verletzung bietet einen berechtigten Grund für den Ausschluß. In der Satzung kann bestimmt sein, daß der Mehrheit die Ausschließung nach freiem Belieben gestattet sein soll (RG 73, 190; 147, 13; 151, 229), auch daß sie dem Vorstand übertragen werde (RG Recht 1913 Nr. 1867), nicht aber einem anderen Vereinsmitglied. Kann nach der Satzung ein Vereinsmitglied durch einstimmigen Beschluß des Vorstandes ausgeschlossen werden, so folgt daraus noch nicht, daß ein Vorstandsmitglied durch Beschluß der übrigen Vorstandsmitglieder ausgeschlossen werden kann (RG H R R 1932 Nr. 1638). Zur Ausschließung ist der Verein nicht mehr berechtigt, wenn der Auszuschließende zur Zeit der Beschlußfassung nicht mehr Mitglied des Vereins ist (st. Rspr. RG 108, 160; 122, 266; 143,3), und zwar selbst, wenn seine Beitragspflicht erst zu einem späteren Zeitpunkt erlischt (RG J W 1927, 299610); Ausschluß nach vorheriger Bewilligung eines ehrenvollen Austritts vgl. RG WarnRspr. 1932 Nr. 173. Unzulässig ist auch ein Beschluß des Inhalts, die Ausschließung wäre beschlossen worden, wenn das Mitglied nicht schon ausgetreten wäre (RG 122, 266).

Anm. 4 2 . Inkrafttreten und W i r k s a m k e i t . Die Ausschließung w i r d w i r k s a m mit der Mitteilung des Beschlusses an den Ausgeschlossenen. Der zu Unrecht Ausgeschlossene kann zur Wiederherstellung seiner Ehre verlangen, daß die Aufhebung in derselben Weise wie der Ausschließungsbeschluß bekanntgemacht wird (RG J W 1915, 1424 1 ; vgl. R G 56, 287 und wegen Aufhebung der gegen den Ausgeschlossenen verhängten Sperre RG78, 37). Ist ein Antrag auf Ausschließung abgelehnt worden, so kann auf Grund desselben Tatbestandes später die Ausschließung oder eine sonstige Strafmaßregel nicht mehr verhängt werden (RG 51,89). Solange der Ausschließungsbeschluß nicht durch rechtskräftiges Urteil des Gerichts aufgehoben ist, kann der Ausgeschlossene an der Mitgliederversammlung nicht teilnehmen. Die spätere Aufhebung hat in dieser Beziehung keine rückwirkende Kraft (so R G J W 1916, 14788 für die eingetr. Gen.).

Anm. 5 3. Suspension. Bedingte A u s s c h l i e ß u n g . Ein vorläufiges Ruhen der Mitgliedsrechte und Pflichten (Suspension der Mitgliedschaft) oder eine Ausschließung auf Zeit kann nur beschlossen werden, wenn eine solche Maßnahme in der Satzung zugelassen ist (RG J W 1929, 847*; vgl. auch § 25 Anm. 2). Ebensowenig kann in der Regel die Ausschließung unter einer Bedingung ausgesprochen werden, z. B. unter der Bedingung, daß das Mitglied die Wahrheit seiner Beschuldigungen durch Beibringung eines gerichtlichen Urteils erweist. Die Ausschließung tritt vielmehr erst ein, wenn von der über den Ausschluß beschließenden Vereinsstelle das Vorhandensein sämtlicher Voraussetzungen der Ausschließung festgestellt ist (RG 82, 248). Es ist statthaft, daß die Ausschließung unbedingt erfolgt und dem Ausgeschlossenen nur für einen bestimmten Fall die Wiederaufnahme in den Verein zugesichert wird (RG v. 24. 4. 13 IV 626/12). Ausnahmsweise ist es auch, falls die Satzung die Ausschließung bei Nichtbeachtung der verhängten 9'

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§39

Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 6, 7 Strafe vorsieht, für zulässig zu erachten, im voraus die Ausschließung für den Fall auszusprechen, daß der Auszuschließende bis zu einer bestimmten Zeit die festgesetzte Geldstrafe nicht entrichtet hat (RG v. 22. 5. 13 I V 695/12) oder einen von dem Ehrenrat vorgeschlagenen Vergleich nicht annimmt (RG L Z 1930, 379). Darüber ob die Bedingung eingetreten, kann er, da es sich hier um eine von ihm selbst zu bewirkende Leistung handelt, nicht im Zweifel sein.

Anm. 6 4. G e r i c h t l i c h e N a c h p r ü f u n g . Da das Selbstbestimmungs- und Selbstverwaltungsrecht des Vereins nicht zuläßt, die endgültige Entscheidung über den Ausschluß eines Mitglieds dem Verein zu entziehen und in die Hand des Richters zu legen, so erhebt sich die Frage, ob und inwieweit der Ausschließungsbeschluß im ordentlichen Rechtsweg, z. B. auf eine Klage des betroffenen Mitglieds nachgeprüft werden kann. Eine in der Satzung vorgesehene schiedsgerichtliche Entscheidung steht der Nachprüfung regelmäßig entgegen.

Anm. 7 a) N a c h p r ü f u n g d e r f o r m e l l e n O r d n u n g s m ä ß i g k e i t : Die Nachprüfung hat sich in jedem Falle auf die formelle Ordnungsmäßigkeit des Beschlusses zu erstrecken. Nachzuprüfen ist also zunächst, ob das in der Satzung vorgeschriebene Verfahren eingehalten ist und ob nicht hinsichtlich des Verfahrens gegen die Satzung, aber auch gegen allgemein anerkannte, wenn auch in der Satzung nicht ausdrücklich erwähnte Grundsätze des Vereinslebens verstoßen ist (RG WarnRspr. 1912 Nr. 285; R G 82, 248; L Z 1929, 324; H R R 1928 Nr. 1552). Bevor nicht die satzungsmäßigen Rechtsmittel erschöpft sind, ist die Anfechtung auf dem ordentlichen Rechtswege unzulässig (OLG Karlsruhe H R R 1938 Nr. 272). Dahin gehört u. a. die Beobachtung der für die Einberufung und Abhaltung der beschließenden Mitgliederversammlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten (§ 32 Anm. 1). Sämtliche Mitglieder, namentlich der Auszuschließende, müssen gehörig geladen sein (RG WarnRspr. 1909, Nr. 123). Es muß ihm das rechtliche G e h ö r gewährt sein; es ist ihm daher vor der endgültigen Beschlußfassung in Ermangelung einer andern Satzungsbestimmung Gelegenheit zu geben, sich mündlich oder schriftlich gegen die ihm gemachten Vorwürfe zu verteidigen, insbesondere dann, wenn seine Ausschließung wegen unehrenhaften Benehmens erfolgen soll (RG 49, 153; 129, 45; J W 1925, 49 3 ). Auch darf das Vereinsorgan sich nicht willkürlich über dieses Vorbringen hinwegsetzen, ohne hinreichende Unterlagen gegenteilige Feststellungen treffen. An der Beschlußfassung können, da § 34 nicht entgegensteht, auch diejenigen Mitglieder teilnehmen, welche durch die von dem Auszuschließenden gegen den Verein erhobenen Angriffe persönlich betroffen sind, falls nicht in der Satzung hierüber etwas anderes bestimmt ist (RG WarnRspr. ig 13 Nr. 182). Die gehörige Bildung des über die Ausschließung beschließenden Ehrengerichts kann von dem Mitgliede, wenn es widerspruchslos sich auf die Verhandlung vor ihm eingelassen hat, nicht mehr beanstandet werden (RG v. 22. 5. 13 I V 695/12). — Ist nach der Tagesordnung 1. über die Neuwahl des zurückgetretenen Vorstands, 2. über die Ausschließung eines Mitglieds Beschluß zu fassen, so ist der Beschluß über den zweiten Punkt ungültig, wenn er ohne ersichtlichen Grund an erster Stelle beraten wurde (RG v. 29. 5. 09 I V 494 08). Kein die Ungültigkeit des Beschlusses herbeiführender Mangel ist es, sofern die Satzung nichts anderes vorschreibt, daß in dem mitgeteilten Beschlüsse die Namen der an der Beschlußfassung mitwirkenden Personen nicht aufgeführt sind. Die Angabe der Namen hat auf Verlangen nachträglich zu erfolgen (RG v. 1 3 . 1 1 . 1 9 I V 371/19). Die Nachprüfung hat sich weiter darauf zu erstrecken, ob vorher alle in der Satzung vorgesehenen Mittel der Abhilfe (insbesondere Anrufung des Ehrengerichts, Ehrenrats oder der sonst vorbehaltenen Vereinsinstanzen) erschöpft sind (RG 80, 1 9 1 ; 85, 355; J W 1932, 1197 1 , wonach der Verein die Durchführung des Verfahrens nicht verhindern oder verzögern darf, was indes bei der satzungsmäßigen längeren Hinausschiebung des zur Entscheidung berufenen Verbandstags noch nicht zutrifft). Von der Einforderung eines Kostenvorschusses darf bei dem Fehlen einer Satzungsbestimmung eine gegen den Beschluß des Ehrenrats bei der Mitgliederversammlung eingelegte Berufung

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Vereine

§39 A n m . 8, 9

nicht abhängig gemacht werden (RG v. 26. 6. 30 I V 711/29). Ist in der Satzung vorgeschrieben, daß vor Zusammentritt des Ehrengerichts ein Sühneversuch stattzufinden hat, so hat dessen Fehlen die Unzulässigkeit des ehrengerichtlichen Verfahrens zur Folge, der Mangel kann durch nachträgliche Vornahme des Sühneversuchs nicht geheilt werden (RG v. 10.7.13 IV 152/13). Formmängel des erstinstanzlichen Ausschließungsverfahrens können nicht mehr gerügt werden (RG LZ 1929 324; H R R 1933 Nr. 1). In dem Beschluß muß, falls nicht nach der Satzung eine willkürliche Ausschließung zulässig ist, d e r d e r S a t z u n g e n t s p r e c h e n d e A u s s c h l i e ß u n g s g r u n d zweifelsfrei bezeichnet werden, wenn auch nicht gerade der betreffende Paragraph der Satzung angeführt zu werden braucht (RG LZ 1917, 12451; H R R 1931 Nr. 192; 1932 Nr. 600), das gilt nicht, wenn der Grund dem Ausgeschlossenen ohnehin bekannt ist (RG SeuffArch. 79 Nr. 1); ein neuer Grund kann nicht nachgeschoben werden ( R G J W 1932, 10106 betr. Genossenschaft). Anm. 8 b) Die A u s l e g u n g der Satzung: Wenn in der Satzung die Ausschließung geregelt ist, unterliegt es ferner der Nachprüfung, welchen objektiven Inhalt die fragliche Satzungsvorschrift hat und ob ihr zuwidergehandelt ist, insbesondere, ob die rechtlichen Grenzen des darin geordneten Ausschließungsrechts nicht überschritten sind (RG LZ 1929 830; H R R 1929 Nr. 791). Anm. 9 c) N a c h p r ü f u n g der sachlichen Richtigkeit: Nicht zulässig ist im allgemeinen eine sachliche Nachprüfung daraufhin, ob die festgestellten Tatsachen die Ausschließung zu rechtfertigen geeignet sind, ob das Mitglied mit Recht der ihm vorgeworfenen Handlungen für überführt zu erachten ist u. dgl. (RG 49, 150; 80, 189; 82, 248; B G H 13, 6 [auch bei Berufsverbänden]). Zulässig ist aber aus dem Grundgedanken heraus, daß kein Recht mißbräuchlich ausgeübt werden darf, eine sachliche Nachprüfung in der Richtung, ob nicht in dem Vorgehen des Vereins eine o f f e n b a r e U n b i l l i g k e i t oder ein g r o b e r M i ß b r a u c h d e r V e r e i n s g e w a l t oder gegebenenfalls ein Verstoß gegen §826 zu finden ist (RG 106, 120 a. E.; 107, 386; 140, 23; 147, 11; B G H 13, 5; 21 > 373)- Auf lange Zeit zurückliegende, dem Verein bekannte Tatsachen kann nicht noch eine Ausschließung gestützt werden (RG 129, 49). Daß das Verbleiben im Verein eine Lebensnotwendigkeit für den Ausgeschlossenen bedeute ist nicht zu fordern; es genügt, daß der Beschluß auf grober Udbilligkeit beruht (RG 140, 23; 147, 14; vgl. RG H R R 1930 Nr. 199). Doch sind auch hier der sachlichen Nachprüfung möglichst enge Grenzen zu ziehen. Für die meist vorkommenden Fälle, wo Mißhelligkeiten unter den Vereinsgenossen den eigentlichen Anlaß zur Ausschließung eines Mitglieds bilden, ist zu beachten, daß dem Betroffenen der freiwillige Austritt freistehen wird, er sich also der Ausstoßung entziehen kann und es nicht als unbillig empfinden darf, wenn die Mehrheit, deren Entscheidung er sich durch den Eintritt in den Verein unterworfen hat, von ihrem gesetzlichen Rechte Gebrauch macht. Auch etwaigen nachteiligen Folgen, die sich bei den sog. Idealvereinen hinsichtlich des Ehrenpunkts an den Ausschluß knüpfen, kann er durch den noch während des Ausschließungsverfahrens zulässigen Austritt begegnen. Auf solcher Grundlage beruht aber die Mehrzahl der Prozesse, die id ger Regel unter dem Deckmantel der groben Unbilligkeit anhängig gemacht werden und deren Durchführung die Gerichte unnötig belastet, ohne daß das Ergebnis des an sich belanglosen Rechtsstreits zu der aufgewandten Arbeit im richtigen Verhältnis steht. Denn Aufgabe der gerichtlichen Nachprüfung ist es nur, dem einzelnen den nötigen Rechtsschutz zu gewähren sowie die Grenzen zwischen dem Wirkungsspielraum des Vereins und der Freiheitssphäre des Individuums zu ziehen. Deshalb kann nur der geflissentliche grobe Mißbrauch der Vereinsgewalt unter d e m Gesichtspunkt offenbarer großer Unbilligkeit im Hinblick auf die Folgen in beruflicher oder wirtschaftlicher Hinsicht oder des § 826 BGB Gegenstand richterlicher Nachprüfung und Korrektur sein. Sonstige Streitigkeiten innerhalb des Vereins, die vielfach nur auf persönlichen Antipathien und Beweggründen beruhen, unterstehen nicht der staatlichen Kontrolle und gehören nicht vor den Richter, auch wenn sie

133

§ 39 A n m . 10

§§ 40, 41 Anm. 1

Allgemeiner Teil. Personen

mit dem Ausschluß eines Mitglieds enden; es handelt sich bei ihnen um innere Angelegenheiten des Vereins, deren Regelung nicht Aufgabe der Gerichte sein soll. D a der Verein seine Angelegenheiten selbständig verwaltet, darf gerade in solchen Fällen ein richterlicher Eingriff in das innere Vereinsleben nicht gefordert werden. In dieser Richtung ist daher regelmäßig eine strenge Prüfung am Platze. Die Nachprüfung des Gerichts über das Ausscheiden nach § 68 G e n G ist unbeschränkt ( R G 72, 4 ; 88, 1 9 3 ; 128, 87; 129, 48).

Anm. 10 d ) P r o z e s s u a l e s : Soweit nach dem Gesagten der Rechtsweg zulässig ist, kann er durch die Satzung nicht ausgeschlossen werden ( R G 80, 189; WarnRspr. 1 9 1 9 Nr. 20; L Z 1929, 324). Die Auflösung des Vereins schließt die K l a g e auf Feststellung der Vereinszugehörigkeit des vorher ausgeschlossenen Mitglieds nicht aus ( R G J W 1925, 1392 2 1 ). Der Feststellungsanspruch wird nicht dadurch hinfällig, daß der Ausgeschlossene im L a u f e des Rechtsstreits freiwillig seinen Austritt erklärt (st. Rspr. R G 108, 160, 122, 60 u . a . ) . Das Interesse an der Feststellung der Ungültigkeit des Ausschließungsbeschlusses kann wegen der Folgen der Ausschließung für die Ehre und soziale Stellung des Betroffenen auch noch vorhanden sein, wenn er längere Zeit mit der Klageerhebung gezögert hat und damit zu erkennen gegeben haben sollte, daß er sich nicht mehr als Vereinsmitglied betrachte ( R G J W 1926, 2283 1 ). Der wegen Ungültigkeit der Ausschließung erhobene Anspruch ist als ein vermögensrechtlicher i. S. des § 546 Z P O anzusehen, wenn das ausgeschlossene Vereinsmitglied mit seiner Feststellungsklage ausschließlich oder im wesentlichen materielle Zwecke verfolgt, ohne Rücksicht darauf, ob der Zweck des Vereins auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist. Vermögensrechtlicher Art ist der Anspruch aber nicht, wenn nur Beseitigung der Nachteile des Ausgeschlossenen in seiner Ehre, Achtung und persönlichen Geltung erstrebt wird ( B G H 13, 5 a. M . früher R G 88, 352).

§ 4 0 Die Vorschriften des § 27 Abs. 1, 3, des § 28 Abs. 1 und der §§ 32, 33, 38 finden insoweit keine Anwendung, als die Satzung ein anderes bestimmt. EI 44

Abs. 7, 48 Abs. 6 II 37; M I 94 fr,, 105ff.;P 6 115.

Unabänderlich sind die Vorschriften der §§ 26, 27 Abs. 2, 28 Abs. 2, 29, 3 1 , 34—37 und 39, soweit nicht in ihnen selbst (§§ 26 Abs. 2, 37 Abs. 1, 39 Abs. 2) eine Änderung durch die Satzung ausdrücklich zugelassen ist.

§ 4 1 Der Verein kann durch Beschluß der Mitgliederversammlung aufgelöst werden. Zu dem Beschluß ist eine Mehrheit von drei Vierteilen der erschienenen Mitglieder erforderlich, wenn nicht die Satzung ein anderes bestimmt.

E II 38; P I 538!!. Anm. 1 A u f l ö s u n g d u r c h B e s c h l u ß . Das Recht, die Auflösung des Vereins zu beschließen, das der Mitgliederversammlung als äußerste Maßregel verbleibt, wenn der Vereinszweck oder auch nur eine bessere Verwaltung nicht zu erreichen ist, kann ihr durch die Satzung nicht entzogen werden ( B G H ig, 6 1 , vgl. §39 Anm. 1), wenn auch die Ausübung dieses Rechtes durch das Erfordernis der Einstimmigkeit beschränkt werden kann. Es darf auch nicht von der Zustimmung eines außerhalb des Vereins stehenden Dritten abhängig gemacht werden. Als Auflösungsbeschluß ist es anzusehen, wenn die Vereinigung des Vereins mit einem fortbestehenden anderen Verein beschlossen wird (vgl. über Verschmelzung und Umwandlung von Aktiengesellschaften die besonderen Bestimmungen der §§ 233—287 A k t G und R G Gruchot 53,703, R G 1 3 6 , 3 1 3 ; über dieVer-

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Vereine

§41 Anm. 2, 3

Schmelzung zweier Versicherungsvereine RG 133, 102). Mit der Verschmelzung geht, soweit nicht wie bei AG, GmbH u. a. Sondervorschriften bestehen, das Vermögen des aufgelösten Vereins nicht etwa im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den übernehmenden Verein über, die einzelnen Vermögensgegenstände müssen vielmehr übertragen werden; weil damit nach § 419 die Haftung des übernehmenden Vereins eintritt, kann die an sich vorzunehmende Liquidation sich vereinfachen. Bis zur Beendigung der Liquidation gilt der Verein, auch nach der Auflösung, gemäß § 49 I I als fortbestehend, selbst wenn er nichtig war (RG J W 1905, 184). Denn jede juristische Person besteht so lange fort oder lebt mindestens in ihrer Rechtspersönlichkeit wieder auf, solange Aktiven oder Passiven vorhanden sind. Die dem Interesse der Gläubiger dienende Liquidation muß auch dann durchgeführt werden, wenn die Mitgliederversammlung bei oder vor der Auflösung beschließen sollte, daß der Verein als nichtrechtsfähiger bestehenbleibt, was die Bedeutung der Begründung eines neuen Vereins für die beitretenden Mitglieder hat (über die von der Auflösung verschiedene Entziehung der Rechtsfähigkeit, vgl. §42 Anm. 1 u. §43 Anm. 1). Der Beschluß der Auflösung bedarf auch bei solchen Vereinen, deren Rechtsfähigkeit auf Verleihung beruht, nicht der staatlichen Genehmigung. Das gleiche gilt, wenn ein Verein auf die Rechtsfähigkeit verzichtet (vgl. S t a u d i n g e r A V I I I ) . Dem Tode einer natürlichen Person im Sinne der von der Unterbrechung des Verfahrens handelnden §§ 239, 246 ZPO kann die Auflösung des Vereins, die eine Gesamtnachfolge nicht nach sich zieht, nicht gleichgestellt werden (vgl. RG J W 04, 11922). Uber Auflösung des einer Genossenschaft angehörenden Vereins s. § 49 Anm. 4 a. E. — Wird durch einen Beschluß der Mehrheit satzungswidrig der Vereinszweck geändert, so kann der alte Verein durch die Minderheit fortgesetzt werden, § 33 Anm. 1 a. E. Anm. 2 Sonstiger Eintritt der Auflösung. Der Verein wird ferner aufgelöst durch Ablauf der in der Satzung bestimmten Zeit oder Eintritt der in ihr festgesetzten auflösenden Bedingung. Daß die Zahl der Mitglieder bis auf eines sinkt, hat bei Kapitalgesellschaften nach der herrschenden Meinung die Auflösung des Vereins nicht zur Folge (RG SeuffArch. Nr. 216, s. für die GmbH RG 68, 174; 92,84; 129,53). Das verbleibende eine Mitglied soll dann die Macht haben, Mitgliederversammlungsbeschlüsse zu fassen und kann auch sich selbst (vgl. § 34 Anm. 1) zum Vorstand wählen! Diese Auffassung ist aber bei Personengesellschaften abzulehnen ( J o b s t , DR 1938, 43; H u e c k , Gesellschaftsrecht 1951 S.45). Dagegen wird durch den F o r t f a l l s ä m t l i c h e r M i t glieder (infolge Todes, Austritts oder durch mangelnde Betätigung infolge Interessenlosigkeit) die Auflösung herbeigeführt, ohne daß eine Liquidation stattzufinden hat. Diese hat vielmehr durch einen nach § 1913 zu bestellenden Pfleger zu erfolgen (BGH 16, 151; 19,51). Der Auflösung steht in gewisser Hinsicht gleich die Nichtigkeit des Vereins. Auch in diesem Fall verbleibt dem nichtigen Verein die Rechtsfähigkeit, soweit dies zum Zwecke der Liquidation erforderlich ist (vgl. für die GmbH RG J W 05, 18435). Verfolgt der Verein nachträglich einen unsittlichen Zweck, bildet er sich z. B. in einen Spielklub um, so tritt die Auflösung erst in dem Zeitpunkt ein, wo die Eintragung von Amts wegen vom Registerrichter gelöscht oder die Ungültigkeit des Vereins auf Klage eines Mitgliedes durch rechtskräftiges Urteil ausgesprochen ist (vgl. RG J W 1921, 1527 1 ). Dadurch daß der Zweck des Vereins erreicht ist oder die Erreichung des Zweckes unmöglich geworden ist, wird die sofortige Auflösung des Vereins nicht herbeigeführt. Anm. 3 Der Verein kann schließlich noch durch S t a a t s h o h e i t s a k t auf Grund des § 2 des Reichsvereinsgesetzes v. 19. 3. 08 (RGBl. 151), in Berlin West § 5 d. Ges. über Vereinsund Versamml.-Freiheit v. 29. 9. 50 (VOB1. I S. 422) aufgelöst werden, wenn sein Zweck oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderläuft oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet (Art. 9 I I GG). Auch kann ein Verfahren nach Art. 18 GG in Frage kommen.

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§ 41 A n m . 4

§ 42 A n m . 1—3

Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 4 D e r V e r l u s t d e r R e c h t s f ä h i g k e i t bewirkt nicht den Untergang der Vereinigung selbst, sondern diese kann fortbestehen als nunmehr nicht rechtsfähiger Verein oder eine Gesellschaft ( R G 4 1 , 25). Dieser Fortbestand gilt bis zur Beendigung der Liquidation schon nach §§ 42, 49 Abs. 2. § 4 3

Der Verein verliert die Rechtsfähigkeit durch die Eröffnung des Konkurses. Der Vorstand hat i m Falle der Überschuldung die Eröffnung des Konkursv e r f a h r e n s oder des gerichtlichen Vergleichsverfahrens zu beantragen. W i r d die Stellung des A n t r a g s verzögert, so sind die Vorstandsmitglieder, denen ein Verschulden zur Last fällt, den Gläubigern f ü r den daraus entstehenden Schaden v e r a n t w o r t l i c h ; sie haften als Gesamtschuldner. E I 47 II 39; M I 104; P I 52$ff., 539; 6 118.

Anm. 1 Die E r ö f f n u n g d e s K o n k u r s e s (§§ 207, 208, 2 1 3 K O ) läßt trotz des Wortlauts des § 4 2 die R e c h t s f ä h i g k e i t und Parteifähigkeit des Vereins i n s o w e i t b e s t e h e n , als es zum Zwecke der konkursmäßigen Liquidation erforderlich ist (entsprechend § 49 Abs. 2). Die Rechte des Vereins werden innerhalb dieser Grenzen von dem K o n k u r s v e r w a l t e r ausgeübt, also kein Recht zur Beitragsfestsetzung ( R G H H R 37, 429; § 43 Anm. 1). Wird der Eröffnungsbeschluß auf Beschwerde wieder aufgehoben, so gilt die Entziehung der Rechtsfähigkeit als nicht erfolgt, unbeschadet jedoch der Gültigkeit der in der Zwischenzeit von dem Konkursverwalter vorgenommenen Rechtshandlungen. Wird das Konkursverfahren durch Schlußverteilung oder Zwangsvergleich beendigt oder gemäß §202,204 K O eingestellt, so lebt die durch die Konkurseröffnung verlorengegangene Rechtsfähigkeit nicht wieder auf. Doch kann in der Satzung bestimmt werden, daß in diesen Fällen der Verein als nichtrechtsfähiger sich fortsetze. Konkursfähig ist auch der nichtige Verein (s. für die G m b H R G J W 04, 503 35 ).

Anm. 2 A n t r a g s b e r e c h t i g t ist der Vorstand des Vereins und jedes Vorstandsmitglied, der Liquidator, jeder Konkursgläubiger ( K O § 208). Über Haftung bei Verzögerung R G H R R 1936, 524. Der Vorstand hat i m I n t e r e s s e d e r G l ä u b i g e r auf die E r h a l t u n g des zu ihrer Befriedigung erforderlichen Vereinsvermögens Bedacht zu nehmen. E r wird ihnen haftbar, wenn er schuldhaft ihre Befriedigung dadurch schmälert, daß er Vereinsvermögen unter die Mitglieder aufteilt oder die zur Schuldentilgung benötigten Beiträge von den Mitgliedern nicht erhebt oder arglistig die Gläubiger in sonstiger Weise schädigt. Ist Ü b e r s c h u l d u n g eingetreten, worüber er nötigenfalls durch Aufnahme einer Bilanz sich zu vergewissern hat, so ist es seine Pflicht, die Konkurseröffnung zu beantragen. Hat die Verzögerung des Antrags zur Verkürzung der Gläubiger geführt, so können diese die Vorstandsmitglieder, die schuldhaft gehandelt haben, als Gesamtschuldner in Anspruch nehmen. Schadenersatz können, wenn der Vorstand bei Nichtanmeldung des Konkurses unlauter gehandelt hat, auch diejenigen Gläubiger, deren Forderungen erst später entstanden sind, aus dem Gesichtspunkte des § 826 beanspruchen, insofern sie bei rechtzeitiger Konkursanmeldung sich nicht mehr zu Lieferungen und Kreditierungen verstanden haben würden. Die Verpflichtung zur Anmeldung des Konkurses besteht nach § 53 auch für die Liquidatoren.

Anm. 3 Abs. 2 Satz 1 ist durch Ges. über die Pflicht zum Antrag auf Eröffnung des K o n kurses oder des gerichtlichen Vergleichsverfahrens v. 25. 3. 30 ( R G B l . I, 93) geändert. — Vgl. hierzu § 53. Der Verlust der Rechtsfähigkeit (§§ 42, 43, 73) hat — im Gegensatz zur Auflösung — nicht ohne weiteres zur Folge, daß der Verein auch in der Eigenschaft als nicht rechtsfähiger Verein zu bestehen aufhört, es sei denn, daß sich aus der Satzung das Gegenteil ergibt ( R G J W 36, 2063). Jedenfalls können die Mitglieder das Fort-

136

Vereine

§ 42 Asm. 4 § 43 Amn, 1,2

bestehen des Vereins als eines nicht rechtsfähigen oder seine Umwandlung in einen Personenverband der gesamten Hand beschließen. Uber Verlust der Rechtsfähigkeit im Falle der Verlegung des Sitzes ins Ausland s. § 24 A i .

Anm. 4 Soweit über Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts der Konkurs zulässig ist, findet nach § 89 Abs. 2 die Vorschrift des § 42 auch auf sie Anwendung. Zumeist aber ist der Konkurs ausgeschlossen.

§ 4 3

Dem Vereine kann die Rechtsfähigkeit entzogen werden, wenn er durch einen gesetzwidrigen Beschluß der Mitgliederversammlung oder durch gesetzwidriges Verhalten des Vorstandes das Gemeinwohl gefährdet. Einem Vereine, dessen Zweck nach der Satzung nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, kann die Rechtsfähigkeit entzogen werden, wenn er einen solchen Zweck verfolgt. Einem Vereine, dessen Rechtsfähigkeit auf Verleihung beruht, kann die Rechtsfähigkeit entzogen werden, wenn er einen anderen als den in der Satzung bestimmten Zweck verfolgt. EIl4oAbs.l—3;

Pljjzff.;

6116,144.

D e r f r ü h e r e A b s . 3 ist d u r c h das R e c h t s e i r . h e i t s g e s . v . 8. 3. J 3 ( B G B l . 3 3 ) g e s t r i c h e n .

Anm. 1 Während nach öffentlichem Recht (vgl. § 41 Anm. 3) ein Verein polizeilich aufgelöst werden kann, ist auf p r i v a t r e c h t l i c h e m Gebiete nur die Entziehung der Rechtsfähigkeit zulässig. Die Entziehung der Rechtsfähigkeit hat in gleicher Weise wie die in § 41 behandelte Auflösung die Folge, daß (abgesehen von § 46) die Liquidation erfolgen muß (§§45, 47). V o n dieser Auflösung unterscheidet sich aber die Entziehung der Rechtsfähigkeit darin, daß der Verein fortbestehen kann (s. § 42 Anm. 3). Es kann von vornherein durch Vereinbarung bei Errichtung des Vereins oder durch späteren satzungsändernden Beschluß für den Fall der Entziehung der Rechtsfähigkeit die Fortdauer des Vereins als eines nicht rechtsfähigen festgesetzt sein. Eine auf Neubegründung des Vereins gerichtete Vereinbarung kann zwischen den Mitgliedern noch nach Entziehung der Rechtsfähigkeit mit der Wirkung getroffen werden, daß die Rechte dieser Mitglieder hinsichtlich des Vereinsvermögens auf den fortzusetzenden Verein übergehen, wenn dies für den Fall der Entziehung der Rechtsfähigkeit in der Satzung festgesetzt ist. Das Fortbestehen eines nach § 2 R V e r G aufgelösten Vereins kann polizeilich gehindert werden. Durch die Entziehung wird die Rechtsfähigkeit n i c h t r ü c k w i r k e n d aufgehoben. Die auf Grund der Rechtsfähigkeit erworbenen Rechte bleiben bestehen.

Anm. 2 Die Gefährdung des Gemeinwohls genügt nicht zur Entziehung der Rechtsfähigkeit. Es muß noch eine gesetzwidrige Handlung oder Unterlassung eines Vereinsorgans hinzukommen, wodurch die Gefährdung verursacht ist (sachlich übereinstimmend § 81 GenG, § 62 G m b H G , §§ 97 Nr. 3, i04f. Nr. 3 G e w O betreffs der Innungen und Innungsverbände, Art. 4 P r A G H B B betreffs der Aktiengesellschaften und Aktienkommanditgesellschaften). Die Gesetzwidrigkeit kann begangen werden durch Beschlüsse der Mitgliederversammlung, namentlich insofern, als die Beschlüsse ihre Zuständigkeit überschreiten und durch das Verhalten des Vorstandes, mag dieser nun selbst gesetzwidrig handeln oder das gesetzwidrige Verhalten der Angestellten dulden. Unter den Begriff der Gesetzwidrigkeit fällt auch die S a t z u n g s w i d r i g k e i t und die Verletzung privatrechtlicher Gesetze, wenn auch hierdurch eine Gefährdung des Gemeinwohls nur selten herbeigeführt werden wird. Auch die Verletzung des öffentlichen Rechts, wie Übertretungen der G e w O brauchen nicht notwendig eine Gefährdung des Gemeinwohls zu bringen. Daß die Gesetzwidrigkeit eine verschuldete ist, wird in § 43 nicht erfordert. Verstößt das Verhalten des Vereins oder seines Vorstandes gegen Art. 9

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§ 43 A n m . 3 § 44 Anm. 1 , 2

Allgemeiner Teil. Personen

II G G , so sind damit zugleich auch die Voraussetzungen für polizeiliches Eingreifen gegeben. D a dies weitergeht, der Verein nicht etwa als nicht rechtsfähiger Verein weiterbestehen kann, wird sich in solchen Fällen ein Eingreifen auf Grund des § 43 I erübrigen. Auch greift Art. 18 G G hier ein.

Anm. 3 Besteht die Gesetzwidrigkeit darin, daß der Verein a n d e r e a l s d i e z u l ä s s i g e n Z w e c k e tatsächlich verfolgt, so kann die Rechtsfähigkeit entzogen werden, ohne daß die Gefährdung des Gemeinwohls festgestellt zu werden braucht (ebenso die in Anm. 2 angeführten Bestimmungen des G m b H G und der GewO). Doch ist hier ein Unterschied zu machen zwischen den Vereinen, denen die R e c h t s f ä h i g k e i t v e r l i e h e n ist, und den e i n g e t r a g e n e n V e r e i n e n . Den ersteren kann, da die Verleihung wesentlich darauf beruht, daß die Angabe über den Vereinszweck richtig ist, die Rechtsfähigkeit schon dann entzogen werden, wenn sie ganz oder teilweise einen a n d e r n Zweck verfolgen. Bei den eingetragenen Vereinen kommt es dagegen darauf an, ob sie bei Angabe des später verfolgten Zweckes die E i n t r a g u n g e r l a n g t h ä t t e n . Es macht deshalb nichts aus, wenn statt des in der Satzung angegebenen idealen Zweckes ein anderer idealer Zweck verfolgt wird. Wohl aber ist die Entziehung der Rechtsfähigkeit zulässig, wenn der vom Verein später verfolgte Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, da dies die Eintragung ausgeschlossen haben würde (vgl. O L G 44, 184). D a ß der Verein einen politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck verfolgt, bildet jetzt nach Art. 9 G G wie früher nach Art. 124 Abs. 2 W R V (s. § 61 A 3) kein Hindernis für die Eintragung des Vereins. Die durch Eintragung in das Vereinsregister erlangte Rechtsfähigkeit kann deshalb dem Verein auch nicht mehr aus dem Grunde entzogen werden, daß er entgegen der Satzung einen politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck oder einen andern Zweck dieser Art als den in der Satzung angegebenen verfolgt. Die Rechtsfähigkeit wird aus dem gedachten Grunde dem Verein auch dann nicht entzogen werden können, wenn ihm als einem wirtschaftlichen Verein die Rechtsfähigkeit verliehen war. Die Entziehung der Rechtsfähigkeit nach Abs. 2 hat nur zu erfolgen, wenn der H a u p t z w e c k des Idealsvereins ein wirtschaftlicher ist ( P r O V G 69, 323). Uber den Fall der erfolgten Eintragung eines Vereins, dessen satzungsgemäßer Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, s. § 65 Anm. 2. Bloß aus dem Grunde, daß die Verwaltungsbehörde denVerein irrig als einen wirtschaftlichen beurteilt hat, kann dem satzungsgemäß sich betätigenden Verein die Rechtsfähigkeit nach § 43 nicht entzogen werden.

§44 Die Zuständigkeit und das Verfahren bestimmen sich in den Fällen des § 43 nach dem Rechte des Landes, indem der Verein seinen Sitz hat. Beruht die Rechtsfähigkeit auf Verleihung durch den Bundesrat, so erfolgt die Entziehung durch Beschluß des Bundesrats. E n 40 Abs. 4; P

1

f72ff. Abs. I i. d. Fassung der Rechtsemheitsges. v. 5. 3. 53 (BGBl. 33).

Anm. 1 Zuständig für die Entziehung der Rechtsfähigkeit ist die nach der Behördenorganisation der Länder zuständige Verwaltungsbehörde, deren Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit, nicht ihre Zweckmäßigkeit von den Verwaltungsgerichten auf Anruf der davon Betroffenen nachzuprüfen ist.

Anm. 2 Ist die Rechtsfähigkeit von dem B u n d e s r a t , jetzt Bundesministern des Innern (vgl. §23Anm. 1), verliehen, so hat dieser—Vorschriften hierüber sind nicht g e g e b e n — auch über die Entziehung zu befinden.

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Vereine

§45

§ 4 5 Mit der A u f l ö s u n g des Vereins oder der Entziehung der Rechtsfähigkeit fällt d a s V e r m ö g e n an die in der Satzung b e s t i m m t e n P e r s o n e n . D u r c h die Satzung kann vorgeschrieben w e r d e n , daß die Anfallberechtigten durch B e s c h l u ß der M i t g l i e d e r v e r s a m m l u n g oder eines anderen Vereinso r g a n s b e s t i m m t w e r d e n . I s t der Zweck des Vereins nicht auf einen w i r t schaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet, s o kann die M i t g l i e d e r v e r s a m m l u n g auch ohne eine solche Vorschrift das V e r m ö g e n einer öffentlichen S t i f t u n g oder Anstalt z u w e i s e n . Fehlt e s an einer B e s t i m m u n g der Anfallberechtigten, so fällt das V e r m ö g e n , w e n n der Verein nach der Satzung ausschließlich den Interessen seiner Mitglieder diente, a n die zur Zeit der A u f l ö s u n g oder der Entziehung der Rechtsfähigkeit vorhandenen Mitglieder z u gleichen Teilen, anderenfalls an den F i s k u s des Bundesstaates, in d e s s e n Gebiete der Verein seinen Sitz hatte. E I 49 Abs. J II 41; M I 109ff.; P I 539?.

Anm. 1 1. Die P e r s o n des Anfallberechtigten: Darüber, an wem nach der Auflösung des Vereins oder der Entziehung der Rechtsfähigkeit das Vermögen fallen soll, entscheidet in erster Linie die Satzung, sei es ausdrücklich, sei es, daß die Mitgliederversammlung, dem dem Vorstand oder einem Mitglied die Bestimmung über den Verbleib übertragen wird. Solche Satzungsbestimmungen sind aber jederzeit gemäß §33 abänderbar, auch die Gründer der Gesellschaft erhalten dadurch kein unabdingbares Recht (RG 169, 82). Es kann auch für den Fall der Entziehung der Rechtsfähigkeit satzungsgemäß bestimmt werden, daß das Vermögen dem ohne Rechtsfähigkeit fortzusetzenden Verein verbleibt (s. §43 Anm. 1). Die Bestimmung kann nachAuflösung des Vereins erfolgen (str. KGJW35,3636). Mehrere Anfallberechtigte können in der Weise berufen werden, daß der zweite erst berufen ist, wenn der erste die Zuwendung nicht annehmen kann oder will. Aufrechterhalten sind durch Art. 85 EG die landesrechtlichen Vorschriften, nach welchen an Stelle des Fiskus das Vermögen einer Körperschaft, Stiftung oder Anstalt des öffentlichen Rechtes zufällt. Die Sondervorschrift des § 92 a GewO über Verteilung des Innungsvermögens ist fortgefallen (§ 123 HdwO.) Bei einem Idealverein, der nicht gerade ein gemeinnütziger zu sein braucht, kann die Mitgliederversammlung, auch ohne Satzungsbestimmung, das Vermögen einer öffentlichen Stiftung oder Anstalt (§ 89, Art. 85 GG) einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft (Staat, Gemeinde), auch einer privaten Stiftung mit öffentlichen Zwecken (str.) zuwenden. Bei einem Verein, der ausschließlich den Interessen seiner Mitglieder dient, fällt das Vermögen mangels einer Bestimmung über den Anfallberechtigten an die zur Zeit der Auflösung vorhandenen Mitglieder zu gleichen Teilen, bei allen anderen Vereinen, wenn ein Anfallberechtigter nicht vorhanden ist, an den Fiskus des Landes, in dem der Verein seinen Sitz hat oder die landesrechtlich b e s t i m m t e Stelle (Art. 85 GG). Bei k l e i n e n V e r e i n e n von Versicherungsunternehmungen auf Gegenseitigkeit ist das Vermögen nach dem Maßstab im § 48 Abs. 1 V A G zu verteilen. Uber Auflösung von V e r b r a u c h e r g e n o s s e n s c h a f t e n Ges. über Verbrauchergenossenschaften v. 21. 5. 35 (RGBl. I, 681). Anm. 2 2. DieArt d e s A n f a l l s : Sie ist eine verschiedene. Ist der Fiskus der Anfallberechtigte, so vollzieht sich der Vermögensübergang, da der Fiskus nach § 46 die Stellung des Erben hat, durch G e s a m t n a c h f o l g e . In gleicher Weise ist der Ubergang, wenn a n d e r e Personen die Anfallberechtigten sind, nicht geregelt. Es bleibt deshalb nur übrig, ihnen einen s c h u l d r e c h t l i c h e n Anspruch auf Ausantwortung des Vermögens zu geben, der gegen die Liquidatoren gerichtet ist (vgl. KGJ 25 A 129; 43 A 184, E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y (14) I 454). Für die Schulden des Vereins haften nach Ab-

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§§ 46,47

Allgemeiner Teil. Personen

lauf des Sperrjahres (§ 51) die Anfallsberechtigten nicht, auch nicht auf Grund ungerechtfertigter Bereicherung R G 1 2 4 , 2 1 3 ; vgl. § 5 1 . § 4 6

Fällt das Vereinsvermögen an den Fiskus, so finden die Vorschriften über eine dem Fiskus als gesetzlichem Erben anfallende Erbschaft entsprechende Anwendung. Der Fiskus hat das Vermögen tunlichst in einer den Zwecken des Vereins entsprechenden Weise zu verwenden. E I 49 Abs. 2 Satz 1 u. 2, II 42 Abs. i ; M i 109if.; P 1 545if.; 6 116.

Anm. 1 1 . D e r E r w e r b d u r c h d e n F i s k u s : Der Fiskus erwirbt das Vermögen durch G e s a m t n a c h f o l g e (§ 1922 Abs. 1), ohne daß er den Erwerb ausschlagen kann (§ 1942 Abs. 2). E r haftet in allen Fällen nur mit dem Vereinsvermögen ( § 2 0 1 1 B G B , § 780 Z P O ) . Seine Berechtigung und Inanspruchnahme ist davon abhängig, daß zuvor das Nachlaßgericht, d. i. das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Verein seinen Sitz hatte (§§ 72,73 F G G ) , sein Anfallrecht festgestellt hat (§1966 B G B ; vgl. § 7 8 F G G ) . Handelt es sich um einen ausländischen, vom Bundesminister des Innern anerkannten Verein, so ist nach §73 Abs. 3 F G G jedes Amtsgericht, in dessen Bezirk sich Vereinsvermögen befindet, bezüglich aller im Inlande befindlichen Vereinsgegenstände zuständig. Diese Vorschriften gelten f ü r den Fiskus und die n a c h A r t . 8 5 E G anStelle desFiskus tretenden öffentlichen Verbände und Anstalten nur dann, wenn ihr Anfallrecht auf Gesetz, nicht auf der Satzung oder einem Vereinsbeschluß (§ 45 Ab. 1, 2) beruht (bestr.). — Werden Anstalten des öffentlichen Rechts von einem Gemeinwesen abgezweigt, so fallen sie nach ihrer Auflösung an dieses zurück, welches auch für ihre Verbindlichkeiten haftet. R G 130, 169 (Außenhandelsstellen) .

Anm. 2 2 . D i e V e r w e n d u n g s p f l i c h t : Die dem Fiskus auferlegte Verwendungspflicht, die nur für gemeinnützige Vereine in Betracht kommt (§45 Abs. 3), ist eine öffentlich-rechtliche, deren Erfüllung den zuständigen Behörden obliegt. Die A u f l a g e gilt in gleicher Weise für die in A r t . 8 5 E G (§45Anm. 1) bezeichneten öffentlichen Verbände und Anstalten. Sie gilt auch, wenn das Vermögen auf Grund der Satzung an den Fiskus fällt, sofern die Satzung nichts andres bestimmt. § 4 7

Fällt das Vereinsvermögen nicht an den Fiskus, so m u ß eine Liquidation stattfinden. E I 49 Abs. 2 Satz 3, II 42 Abs. 2; M I 1 1 3 ; P I 546.

Die L i q u i d a t i o n , d. h. die geordnete außergerichtliche Abwicklung der Rechtsverhältnisse hinsichtlich des Vereinsvermögens findet bei der Auflösung, der Entziehung oder dem Verlust der Rechtsfähigkeit (abgesehen von den Fällen der §§ 42 und 46) in der Weise statt, daß die Vorstandsmitglieder, falls nicht besondere Liquidatoren bestellt sind, ohne weiteres die Stellung von Liquidatoren erhalten, deren Befugnis zur Vertretung des Vereins gemäß § 49 Abs. 1 beschränkt ist. Die Liquidation soll die Rechte der Vereinsgläubiger sichern und die Gewähr für eine angemessene Überleitung des Vermögens auf die Anfallberechtigten schaffen. Der Verein wird zum L i q u i d a t i o n s v e r e i n (§ 49 Abs. 2), der aber nicht etwa als selbständiger neuer Verein an die Stelle des alten tritt. Eine Bestimmung, daß hier die Anfallberechtigten für die Schulden des Vereins haften, ist nicht getroffen, vgl. §45 Anm. 2. Nach dem Gesetz über die Umwandlung von Kapitalgesellschaften v. 12. n . 56 (BGB'. I 844) kann eine Aktiengesellschaft oder G m b H oder Kommanditges. a. Aktien in eine offene Handelsgesellschaft oder KommGes. oder in der Weise umgewandelt werden^ daß ihr Vermögen u n t e r A u s s c h l u ß d e r L i q u i d a t i o n auf den alleinigen Gesellschafter übertragen wird; ebenso nach §§ 257—278 AktG.

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Vereine

§ 48 § 49 A n m . 1

§ 4 8 Die Liquidation erfolgt durch den Vorstand. Zu Liquidatoren k ö n n e n auch andere P e r s o n e n bestellt w e r d e n ; für die B e s t e l l u n g sind die für die Bestellung des Vorstandes geltenden Vorschriften m a ß g e b e n d . Die Liquidatoren haben die rechtliche Stellung des Vorstandes, s o w e i t sich nicht aus d e m Zwecke der Liquidation ein anderes ergibt. Sind m e h r e r e Liquidatoren vorhanden, s o i s t für ihre B e s c h l ü s s e Übereins t i m m u n g aller erforderlich, s o f e r n nicht ein anderes b e s t i m m t ist. E I 50 II 43; M I 113fr.; P 1 547fr. Anm. 1 1. Die P e r s o n der Liquidatoren: Falls in der Satzung oder durch Beschluß des zuständigen Vereinsorgans nicht andere Liquidatoren bestellt sind, fällt dem Vorstande die Aufgabe zu, die Liquidation durchzuführen. Die M i t g l i e d e r v e r s a m m l u n g , die durch dieAuflösung nicht beseitigt wird, bleibt jedoch befugt, einen Liquidator nach §27 Abs. 2 abzuberufen und an seiner Stelle einen andern zu bestellen. Eine Abberufung durch das G e r i c h t findet nicht statt, sofern nicht für Vereine mit verliehener Rechtsfähigkeit in der Satzung etwas anderes festgesetzt ist. Fehlen die erforderlichen Liquidatoren, so kann nach § 29 in dringlichen Fällen das Amtsgericht eingreifen. Eine juristische Person kann nicht zum Liquidator bestellt werden. Anm. 2 2. Die Rechtsstellung der Liquidatoren: Die Liquidatoren haben innerhalb ihres Wirkungskreises (§49 Abs. 1) in gleicher Weise wie der Vorstand die S t e l l u n g e i n e s g e s e t z l i c h e n V e r t r e t e r s (§ 26 Abs. 2). Sie sind der Mitgliederversammlung insofern untergeordnet, als sie dieser über ihre Geschäftsführung Rechenschaft abzulegen haben und von ihr Entlastung erhalten. Die Stellung der Liquidatoren unterscheidet sich aber darin von der des Vorstandes, daß sie unmittelbar den Gläubigern gegenüber für richtige Durchführung des Liquidationsverfahrens verantwortlich sind (§ 53) u n ( l daher insoweit, als die Interessen der Gläubiger in Frage kommen, an Weisungen der Mitgliederversammlung nicht gebunden werden können. Abweichend ist ferner, daß m e h r e r e L i q u i d a t o r e n , falls nicht in der Satzung oder durch Beschluß der Mitgliederversammlung etwas anderes bestimmt ist, den Verein — wodurch den Gläubigern eine größere Sicherheit gegeben ist — nur gemeinschaftlich vertreten können. Der Umfang der Vertretungsmacht der Liquidatoren kann nur insoweit beschränkt werden, als dies mit dem Liquidationszweck verträglich ist. § 4 9 Die Liquidatoren h a b e n die laufenden Geschäfte zu beendigen, die Forderungen einzuziehen, das übrige V e r m ö g e n in Geld u m z u s e t z e n , die Gläubiger zu befriedigen und den Ü b e r s c h u ß den Anfallberechtigten auszuantworten. Zur Beendigung s c h w e b e n d e r Geschäfte k ö n n e n die Liquidatoren auch neue Geschäfte eingehen. Die Einziehung der Forderungen s o w i e die U m s e t z u n g des übrigen V e r m ö g e n s in Geld darf unterbleiben, s o w e i t eine M a ß r e g e l nicht zur Befriedigung der Gläubiger oder zur Verteilung des Ü b e r s c h u s s e s unter die Anfallberechtigten erforderlich sind. Der Verein gilt bis zur Beendigung der Liquidation als fortbestehend, sow e i t der Zweck der Liquidation e s erfordert. E I 51 II 44; M 1 IIJ, 116; P 1 548?.; 6 1 3 6 f r .

Anm. 1 1. Die A u f g a b e der Liquidatoren: Die Liquidatoren haben, soweit dies zur Befriedigung der Gläubiger oder zur Auseinandersetzung der Anfallberechtigten erforderlich ist, das V e r e i n s v e r m ö g e n zu verwerten. In dieser Hinsicht liegt ihnen auch ob,

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§49

Anm. 2—4

Allgemeiner Teil. Personen

die l a u f e n d e n G e s c h ä f t e zur Klarstellung des Vermögensstandes z u b e e n d i g e n , was durch Kündigung, Erfüllung, Vergleich, Durchführung eines schwebenden Rechtsstreits usw. geschehen kann. Z u dem gedachten Zwecke können n e u e G e s c h ä f t e , sog. A b w i c k l u n g s g e s c h ä f t e , eingegangen werden (vgl. §149 H G B , R G 60,32). F o r d e r u n g e n sind, falls nicht nach Ermessen der Liquidatoren besondere Gründe für eine andere Art der Verwertung vorliegen, einzuziehen. Nicht unzulässig ist es, die Verwertung in der Weise vorzunehmen, daß das von dem Verein betriebene Geschäft im ganzen veräußert wird. Din Liquidatoren steht auch das Recht zu, Beiträge, zu denen die Mitglieder nach der Satzung verpflichtet sind (vgl. §38 Anm. 2 a.E.), insoweit zu erfordern, als dies zur Deckung der Schulden nötig ist. Haben die Liquidatoren die Einziehung dieser Beiträge unterlassen, so kann der Gläubiger, obwohl die Beitragspflichtigen ihm haftbar bleiben, die Liquidatoren ersatzpflichtig machen, weil es für ihn eine Verschlechterung der Vermögenslage bedeutet, daß er genötigt ist, den Anspruch, statt der Befriedigung aus dem Vereinsvermögen, mit größeren Weiterungen und auf seine Kosten selbst zur Durchführung zu bringen. Stellt sich nach Abschluß der Liquidation heraus, daß noch Vermögen vorhanden ist, ist die Liquidation wieder aufzunehmen, R G H R R 1930 Nr. 734.

Anm. 2 2. Der Umfang der Vertretungsmacht: Nur auf die zu Anm. 1 bezeichneten

Liquidationsgeschäfte erstreckt sich die Vertretungsmacht der Liquidatoren. Dritte, die sich mit ihnen in Verhandlungen einlassen, haben daher zu prüfen, ob die Grenzen der Vertretungsmacht nicht überschritten sind. Es kann ihnen jedoch, wenn nach der o b j e k t i v e n Sachlage das Geschäft geeignet ist, als L i q u i d a t i o n s g e s c h ä f t z u d i e n e n , daraus kein Nachteil entstehen, daß im besondern Falle, ohne daß ihnen dies bekannt sein konnte, das Geschäft zu andern als Liquidationszwecken abgeschlossen ist ( R G 146, 378; vgl. über die verschiedenen Ansichten E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y I 454).

Anm. 3 3. Die Ansprüche gegen den Verein: Die Rechte der Gläubiger werden durch

die Auflösung des Vereins nur insofern berührt, als sie (ähnlich wie im Konkurse) sich die vollständige Abfindung wegen ihrer Rechte gefallen lassen müssen. Anders ist es mit den satzungsmäßigen Rechten der M i t g l i e d e r auf Benutzung auf bestimmte Bezüge usw. Die hieraus entspringenden Verpflichtungen sind von den Liquidatoren nur insoweit und nur so lange zu erfüllen, als dies mit dem Liquidationszweck verträglich ist. Das Innungsmitglied, das berechtigt ist, in der der Innung gehörigen Walkmühle walken zu lassen, kann dieses Recht nicht mehr geltend machen, wenn die Walkmühle im Interesse der Liquidation zum Verkauf gebracht ist (vgl. R G L Z 1 9 1 4 , 752 1 ).

Anm. 4 4. D i e S t e l l u n g d e s V e r e i n s i . L . : Das Fortbestehen des Vereins wird n u r f ü r d i e Z w e c k e d e r L i q u i d a t i o n anerkannt; der Zweck des Vereins ist nunmehr auf die Liquidation beschränkt. Das bedeutet aber nicht, daß ein „Liquidationsverein" entsteht, sondern nur, daß der bestehende Verein liquidiert wird. Deshalb ist in gleicher Weise wie die Vertretungsmacht der Liquidatoren auch die R e c h t s f ä h i g k e i t d e s V e r e i n s nach eingetretener Liquidation nur eine b e s c h r ä n k t e . Es ist jedoch nicht zu bezweifeln, daß der Verein auch nach diesem Zeitpunkte die Fähigkeit behält, Z u w e n d u n g e n , welche die Mittel zur Tilgung von Verbindlichkeiten gewähren, anzunehmen ( R J A 1 6 , 242), nicht aber zur Wiederaufnahme und Fortsetzung des ursprünglichen Vereinszwecks, R G R p f l B 1 9 1 9 (Bd. 15), S. 189. Bis zur Konkurseröffnung haben die Liquidatoren das Recht, die Erhebung von Beiträgen zur Durchführung der Liquidation zu beschließen. Der Konkursverwalter hat dieses Recht nicht, R G H R R 1937 Nr. 429a. Zur Konkursmasse gehören die rückständigen Beiträge der Mitglieder, R G 76, 437; 79, 1 7 4 ; 1 1 9 , 223. Ist der Verein, was nach § 43 Abs. 4 G e n G zulässig, Mitglied einer Genossenschaft, so hat die Auflösung des Vereins, wie in entsprechender Anwendung der den Fall des Todes eines Genossen betreffenden Vorschrift des § 77 G e n G angenommen werden

142

Vereine

§ 50

§ 51 Anm. 1

darf, das Ausscheiden aus der Genossenschaft zum Schluß des Geschäftsjahres zur Folge (RG J W 1916, 413 12 ). — Der nichtrechtsfähige Verein wandelt sich durch die Liquidation nicht etwa in eine bloße Gesellschaft um. § 5 0 Die Auflösung des Vereins oder die Entziehung der Rechtsfähigkeit ist durch die Liquidatoren öffentlich bekanntzumachen. In der Bekanntmachung sind die Gläubiger zur Anmeldung ihrer Ansprüche aufzufordern. Die Bekanntmachung erfolgt durch das in der Satzung für Veröffentlichungen bestimmte Blatt, in Ermangelung eines solchen durch dasjenige Blatt, welches für Bekanntmachungen des Amtsgerichts bestimmt ist, in dessen Bezirke der Verein seinen Sitz hatte. Die Bekanntmachung gilt mit dem Ablaufe des zweiten Tages nach der Einrückung oder der ersten Einrückung als bewirkt. Bekannte Gläubiger sind durch besondere Mitteilung zur Anmeldung aufzufordern. E

151 n 45; p 1550.

Es ist eine zwingende Rechtsvorschrift. Bei ihrer Nichtbeachtung ist die Liquidation noch nicht beendet. Haftung nach §53. Die öffentliche Aufforderung derGläubiger dient nicht dazu, die sich nicht meldenden Gläubiger auszuschließen, sondern soll nur ein Mittel sein, die Gläubiger und ihre Forderungen zu erfahren. An die bekannten Gläubiger ergeht eine besondere Aufforderung, da sich, auch wenn die Höhe der ursprünglichen Forderung bekannt ist, möglicherweise ihr Bestand und Umfang geändert hat. Meldet sich ein unbekannter Gläubiger innerhalb des Sperrjahrs (§51 Anm. 1) nicht, so wird er t a t s ä c h l i c h insofern a u s g e s c h l o s s e n , als er die bis zur späteren Meldung bewirkten Verteilungen an Gläubiger oder Anfallberechtigte nicht anfechten kann. Nur aus der noch unverteilten Masse kann er Befriedigung beanspruchen. Werden die Gläubiger schon v o r A b l a u f d e s S p e r r j a h r s ganz oder teilweise befriedigt, so geschieht dies in der selbstverständlichen Voraussetzung, daß nicht nachträglich vor Ablauf des Sperrjahrs weitere Gläubiger sich melden, zu deren gleichmäßiger Befriedigung das Vereinsvermögen nicht ausreicht. Das hiernach zuviel Gezahlte können die Liquidatoren zurückfordern (vgl. § 51 Anm. 1). § 5 1 Das Vermögen darf den Anfallberechtigten nicht vor Ablauf eines Jahres nach der Bekanntmachung der Auflösung des Vereins oder der Entziehung der Rechtsfähigkeit ausgeantwortet werden. E I J3 II 46; M i 116; P x 550.

Anm. 1 1. Die Wirkung des Sperrjahres : Zwingende Rechtsvorschrift wie in § 50. Während des Sperrjahrs, das nach § 50 mit Ablauf des zweiten Tages nach der Einrückung der öffentlichen Aufforderung an die Gläubiger beginnt — vgl. §213 A k t G betreffs der Aktiengesellschaft, ebenso § 73 G m b H G und § 90 GenG — , darf das Vereinsvermögen nicht zum Nachteil der Gläubiger den Anfallberechtigten ausgeantwortet werden, widrigenfalls die Liquidatoren nach §53 schadensersatzpflichtig und die Anfallberechtigten nach §812 herausgabepflichtig sind. V o r Ablauf des Sperrjahres dürfen also die Liquidatoren keine Verteilung vornehmen, sie machen sich andernfalls nach §53 ersatzpflichtig. Auch besteht ein Rückforderungsanspruch des durch die Zahlung benachteiligten Gläubigers gegen den Verein, der dieserhalb das Liquidationsverfahren fortzusetzen hat (vgl. RG92, 79,84). Aber auch n a c h A b l a u f des S p e r r j a h r s , das nicht die Bedeutung einer Ausschlußfrist hat, darf das Vermögen vor Befriedigung oder Sicherstellung der bekannten Gläubiger — auch wenn diese erst nach Ablauf des Sperrjahrs sich gemeldet haben —

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§ 51 A n m . 2

Allgemeiner Teil. Personen

§§ 52, 53 bei Vermeidung der Schadensersatzpflicht der Liquidatoren den Anfallberechtigten nicht ausgeantwortet werden. Der Anfallberechtigte bleibt in Höhe der noch vorhandenen Bereicherung dem Verein aus §812 verpflichtet. Der nicht berücksichtigte Gläubiger hat aber keinen Bereicherungsanspruch gegen die Anfallberechtigten, denen das Vereinsvermögen ausgeantwortet ist, weil keine unmittelbare Vermögensverschiebung vorliegt (vgl. RG 92, 82; 124, 210; welche Urteile den ähnliche Vorschriften enthaltenden §73 GmbHG betreffen). Anm. 2 2. Die Beendigung der Liquidation: Mit der A u s a n t w o r i u n g ist regelmäßig die Liquidation beendet. Stellen sich später weitere Gegenstände als zum Vereinsvermögen gehörig heraus (wie z.B. ein Schadensersatzanspruch gegen den Vorstand), so ist die Liquidation wieder aufzunehmen und lebt insoweit auch die Rechtsfähigkeit des Vereins wieder auf (RG HRR 1930 Nr. 734). § 5 3 Meldet sich ein bekannter Gläubiger nicht, so i s t der geschuldete B e t r a g , w e n n die Berechtigung zur Hinterlegung vorhanden ist, für den Gläubiger z u hinterlegen. Ist die Berichtigung einer Verbindlichkeit zur Zeit nicht a u s f ü h r b a r oder i s t eine Verbindlichkeit streitig, s o darf das V e r m ö g e n den Anfallberechtigten n u r ausgeantwortet werden, w e n n d e m Gläubiger Sicherheit geleistet ist. E I J4 XI 47; M 1 n6ff.; P I 5J1; 4 j68ff., 607; 6 116 u. 117. Anm. 1 1. Die Hinterlegung zugunsten bekannter Gläubiger: Von den b e k a n n t e n V e r b i n d l i c h k e i t e n wird der Verein nicht dadurch frei, daß der Gläubiger sich nicht meldet. Der Verein hat bezüglich der ihm bekannten oder durch Anmeldung bekanntgewordenen Verbindlichkeiten die Pflicht, sie zu erfüllen oder bei V o r h a n d e n s e i n eines H i n t e r l e g u n g s g r u n d e s — Annahmeverzug des Gläubigers, ein sonstiges in seiner Person vorhandenes Hindernis oder nicht verschuldete Ungewißheit über die Person des Berechtigten, §§ 372 fr. — den Schuldbetrag zu hinterlegen. Dadurch, daß der bekannte Gläubiger sich nicht meldet, wird bei einer Bringschuld der Annahmeverzug noch nicht begründet. Über die Wirkung der Hinterlegung v gl- §§ 378, 379- Ist eine Forderung noch n i c h t f ä l l i g , so braucht nur derjenige Betrag hinterlegt zu werden, der mit Hinzurechnung der Hinterlegungszinsen bis zur Fälligkeit den geschuldeten Betrag ergibt. Anm. 2 2. Die Pflicht zur Sicherheitsleistung: An Stelle der Erfüllungs- oder Hinterlegungspflicht tritt die Pflicht der Sicherheitsleistung, wenn die Verbindlichkeit s t r e i t i g ist oder die Berichtigung wegen Bedingtheit der Forderung, Ungewißheit der Dauer eines Rechtsverhältnisses usw. zur Z e i t nicht a u s f ü h r b a r ist. Auch der Umstand, daß der Verein zur Hinterlegung berechtigt sein würde, der geschuldete Gegenstand aber nicht hinterlegungsfähig ist, kann zur Sicherheitsleistung führen. Die Art der Sicherheitsleistung bestimmt sich nach §§ 232 fr. Sicherheitsleistung kann nur insoweit verlangt werden, als das Vereinsvermögen Mittel hierzu gewährt. § 5 3 Liquidaroren, w e l c h e die ihnen nach d e m § 42 A b s . 2 und den § § 50 b i s 52 obliegenden Verpflichtungen verletzen oder vor der Befriedigung der Gläubiger V e r m ö g e n den Anfallberechtigten a u s a n t w o r t e n , sind, w e n n ihnen ein Verschulden zur Last fällt, den Gläubigern für den daraus entstehenden S c h a d e n verantwortlich, sie h a f t e n als G e s a m t s c h u l d n e r . EI 56 II 48; M I 117; P I 5JI.

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Vereine

§ 54 Anm. 1

Fassung des Gesetzes v. 26. 2. 35 (RGBl. I, 321), das die ursprüngliche Fassung wiederherstellte, nach dem sie durch Gesetz v. 25. 3. 30 (RGBl. I, 93) geändert war. Die hier bezeichneten Verpflichtungen sind den Liquidatoren im Interesse der Gläubiger auferlegt. Diese haben deshalb gegen die Liquidatoren im Falle schuldhafter Zuwiderhandlung unmittelbar einen Anspruch auf Schadensersatz, auf den die Mitgliederversammlung nicht etwa verzichten kann und dem die Liquidatoren nicht mit dem Einwand, daß sie auf Anweisung der Mitgliederversammlung gehandelt hätten, begegnen können(vgl. §48Anm.2). Solange ein durchführbarer Anspruch gegen die Anfallberechtigten (§51 Anm. 1) besteht, ist kein Schaden entstanden und der Schadensersatzanspruch gegen die Liquidatoren nicht begründet. Dem Verein in Liquidation haften die Liquidatoren aus ihrer Geschäftsführung ebenso wie der Vorstand. Der Anspruch auf Schadensersatz ist als solcher aus unerlaubter Handlung aufzufassen (§ 823 Abs. 2) und daher der 3jährigen Verjährung aus § 852 unterworfen.

§ 5 4 Auf Vereine, die nicht rechtsfähig sind, finden die Vorschriften über die Gesellschaft Anwendung. Aus einem Rechtsgeschäfte, das im Namen eines solchen Vereins einem Dritten gegenüber vorgenommen wird, haftet der Handelnde persönlich; handeln mehrere, so haften sie als Gesamtschuldner. E II 676; P I j5jff.; 1 4;2ff.;6' « 7, 206, 209.

Ü b ersieht 1. Rechtliche Gestalt 2. Wesensmerkmale a) Dauer. Wechselnde Mitglieder b) Gesamtnamen c) Körperschaftliche Organisation d) Vereinsautonomie e) Mitglieder des nichtrechtsfähigen Vereins 3. Rechte und Pflichten der Mitglieder 4. Das Vereinsvermögen 5. Prozeßfähigkeit 6. Die Haftung des Vereins 7. Haftungsbeschränkung 8. a) Haftung des Handelnden b) Beschränkung der Haftung c) Vereinbarungen über die Haftung 9. Ausländische Vereine

Anm. i 2 3 4 5 6 7 8 9—12 13. 14 15. 16 17 18 19 20 21

Anm. 1 1. Rechtliche Gestalt: Bedingt durch die tatsächliche Entwicklung des Vereinslebens und die sozialen und politischen Verhältnisse hat der nichtrechtsfähige Verein eine wesentlich andere Gestalt erhalten, als es die Verfasser des BGB gewollt haben. Von einer strikten Anwendung der Regeln des Gesellschaftsrechtes, wie der Wortlaut des §54 verlangt, ist immer mehr abgesehen, wesentliche Bestimmungen sind gänzlich ausgeschaltet, andere nur für entsprechend anwendbar erklärt. Die Beteiligten schufen nämlich durch ihre Satzung sich eine körperschaftliche Verfassung, die im wesentlichen der der rechtsfähigen Vereine entsprach, und Rechtslehre sowie Rechtsprechung folgten dem insofern, als sie alle Bestimmungen des Gesellschaftsrechtes nicht anwandten, die nicht im Einklang standen mit dem inneren Wesen des Vereins als einer Zusammenfassung von Personen zu einer korporativen Einheit statt einer nur schuldrechtlich zusammengefaßten Personenmehrheit. Soweit dies im Hinblick auf die ausdrücklichen Bestimmungen des Gesetzes, namentlich der fehlenden Rechtsfähigkeit und dem daraus folgenden Prinzip des Gesamthandeigentums nicht möglich war, wurden Formen gefunden, die ihnen im wesentlichen dieselbe Betätigung ermöglichte wie den rechtsfähigen Vereinen. Diese 10

Komm. 2. BGB, u . Aufl. I. Bd. (Dcntckc)

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§54

Anm. 2—5

Allgemeiner Teil. Personen

Entwicklung ist heute um so mehr gerechtfertigt, als seit dem Ende des ersten Weltkrieges und noch mehr nach der neuesten Entwicklung die Staatsauffassung von dem Wesen und der Bedeutung der Zusammenfassung größerer Teile des Volkes zu Verbänden eine grundsätzliche Wandlung gefunden hat. Wie schon im Art. 1 2 3 W R V ist in Art. 9 G G die Vereinigungsfreiheit anerkannt und jetzt sogar unmittelbar geltender Rechtsgrundsatz, im Abs. 2 außerdem das Vereinigungsrecht auf sozialem Gebiete besonders gewährleistet. A n Stelle von Mißtrauen und Streben zur Niederhaltung größerer Verbände ist die Begünstigung getreten. Sie werden immer mehr zur E r füllung staatlicher Aufgaben herangezogen, nicht nur auf dem Gebiete der Wohlfahrtsfürsorge, sondern vor allem auch auf sozialem Gebiete. Hier ist den Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sogar die Befugnis erteilt, Normen zu setzen, das Arbeitsverhältnis seiner Mitglieder mit bindender Wirkung zu gestalten oder die gesetzlichen Bestimmungen über die Arbeitszeit durch tarifliche Regelungen zu ersetzen ( D e n e c k e R d A 1950, 258; A Z O § 7 A 3). Auch werden ihnen mehr und mehr Mitwirkungsrechte bei der Wirtschaftsführung übertragen (vgl. Ges. v. 2 1 . 5. 1 9 5 1 , BGBl. I, 347 und 7. 8. 1956, BGBl. I 707 über die Mitbestimmung im Bergbau und der Eisenund Stahlindustrie) und sie in wirtschaftspolitischen Organisationen zur Mitarbeit herangezogen. Alles dies geschieht ohne Rücksicht auf die Rechtsfähigkeit, und obwohl allgemein bekannt ist, daß die Gewerkschaften durchweg keine Rechtsfähigkeit besitzen. Gerade diese Entwicklung muß dazu führen, rechtsfähige und nichtrechtsfähige Vereine einander gleichzustellen, soweit dies mit dem Zweck der einzelnen Gesetzesbestimmungen und mit den allgemeinen Interessen vereinbar ist (vgl. Einleitung I I I a. E . und S t o l l Reichsgerichtspraxis I I 48, D e n e c k e J R 1 9 5 1 , 742; S c h u m a c h e r , Z u r Haftung der nicht rechtsfähigen Vereins 1956).

Anm. 2 2. W e s e n s m e r k m a l e : Auch der nichtrechtsfähige Verein ist eine auf die Dauer berechnete Verbindung einer größeren Anzahl von Personen zur Erreichung eines gemeinsamen Zweckes, die nach ihrer Satzung korporativ organisiert ist, einen Gesamtnamen führt und auf einen wechselnden Bestand der Mitglieder abgestellt ist ( R G 95, 1 9 2 ; 143, 2 1 3 ; 165, 1 4 3 ; B G H R d A 52, 159). E r unterscheidet sich von dem rechtsfähigen Verein dadurch, daß Inhaber des Vereinsvermögens, Träger der Rechte und Pflichten nicht der Verein als solcher, sondern die Mitglieder als gesamthänderische Vereinigung sind. Z u m Bestehen eines nichtrechtsfähigen Vereins ist somit erforderlich:

Anm. 3 a ) Eine auf die D a u e r b e r e c h n e t e Z u s a m m e n f a s s u n g einer größeren Anzahl von Personen, die von der Zugehörigkeit bestimmter Mitglieder unabhängig ist. Beides muß nicht in der Satzung ausdrücklich festgelegt werden, kann sich vielmehr rückschauend schon aus der Tatsache ergeben, daß der Verein längere Zeit (10 J a h r e , R G J W 1 9 1 3 , 974) bestanden hat oder auch aus dem Zweck des Vereins, der das Zusammenwirken einer größeren, wenn auch w e c h s e l n d e n M i t g l i e d e r z a h l auf längere Zeit erfordert. Dem steht nicht entgegen, daß von vornherein die Erreichung des Vereinszieles in wenigen J a h r e n vorauszusehen ist, wie etwa bei einem Verein zur Vorbereitung und Werbung für den Bau eines Kanals, einer Talsperre und dgl. oder auch f ü r bestimmte wissenschaftliche Untersuchungen und Erprobungen von Verfahren.

Anm. 4 b ) Die Führung eines G e s a m t n a m e n s , der zum Ausdruck bringt, daß der Personenverband als ein einheitliches Ganzes auftreten will. Indessen ist nicht entscheidend, wie die Personenvereinigung sich benennt, sondern wie ihr Zusammenschluß nach dem in der Satzung zum Ausdruck gekommenen Willen aufzufassen ist (RG 74, 3 7 1 ) . Der Name des Vereins genießt den Schutz des Namensrechtes ( R G 7 8 , 1 0 1 ; § 1 2 Anm. 1).

Anm. 5 c ) Eine k ö r p e r s c h a f t l i c h e O r g a n i s a t i o n nach Art des rechtsfähigen Vereins, also Vorhandensein eines Vorstandes, der die Geschäfte führt, den Verein nach außen,

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Vereine

§54

Anm. 6—9 vertritt und einer Mitgliederversammlung, die grundsätzlich den Vorstand zu bestellen und die für die Verfassung und Tätigkeit des Vereins wesentlichen Beschlüsse zu fassen hat, insbesondere Änderungen der Satzung, vor allem des Vereinszweckes, und die Auflösung zu beschließen hat. Alsdann sind alle für den rechtsfähigen Verein geltenden Grundsätze über den Vorstand und seine Geschäftsführung, die Einberufung und Beschlußfassung der Mitgliederversammlung anzuwenden, soweit sie nicht mit der Eintragung in untrennbarem Zusammenhange stehen, wie §§ 29, 37 I I , 68.

Anm. 6 d) Auch der nichtrechtsfähige Verein hat die V e r e i n s - A u t o n o m i e (vgl. § 25 Anm. 3 — 5 ; B G H 13, 5; 2 1 , 370), entscheidet über die Aufnahme und den Ausschluß eines Mitgliedes selbst (RG 73, 190, B G H 13, 6), kann, falls in der Satzung vorgesehen, Strafen festsetzen und Beiträge mangels anderweitiger Satzungsbestimmungen durch Beschluß der Mitgliederversammlung festsetzen ( B G H N J W 54, 953) und für die Entscheidung von Streitigkeiten der Mitglieder untereinander und mit dem Verein ein schiedsgerichtliches Verfahren vorsehen. Auch er hört bei Erreichung oder Unmöglichwerden des Vereinszweckes nicht ohne weiteres auf zu bestehen, sondern es bedarf, anders als bei der Gesellschaft nach § 726, eines Beschlusses der Mitgliederversammlung über die Auflösung, da dem Verein ein anderer Zweck gegeben werden kann. Eine Liquidation hat nicht zu erfolgen (RG WarnRspr. 1920 Nr. 199), auch eine Auseinandersetzung ist nicht unbedingt notwendig, falls bei der Auflösung über das vorhandene Vermögen anderweit verfügt wird.

Anm. 7 e) Mitglieder eines nichtrechtsfähigen Vereins können Einzelpersonen wie auch

juristische Personen sein, während andererseits der nichtrechtsfähige Verein auch Mitglied eines anderen nichtrechtsfähigen oder auch rechtsfähigen Vereins sein kann (RG J W 1933, 2167). So kann er z. B. die Geschäftsstelle eines Zentralverbandes bilden oder einem anderen in der Weise eingegliedert werden, daß sein Organ für gewisse Angelegenheiten in Vertretung des Hauptvereins, in anderen Angelegenheiten für den Zweigverein handeln soll (RG 73, 97). Fehlt aber dem örtlichen Bezirk eines Zentralverbandes die innere Organisation, so bildet er nicht einen selbständigen Verein (RG 1 1 8 , 198; 1 2 1 , 294). Einer eingetragenen Genossenschaft kann der nichtrechtsfähige Verein wegen Verschiedenheit der Haftungsgrundlagen nicht beitreten ( K G J 36 A, 134). Tritt eine offene Handelsgesellschaft einem Verein bei, so wird Mitglied des Vereins die Gesellschaft als solche, nicht aber die Gesellschafter persönlich, sofern sie nicht besonders beitreten ( R G D J Z 1923, 370). Wird durch Mehrheitsbeschluß satzungswidrig der Vereinszweck geändert und ein neuer Verein begründet, so kann der alte Verein durch die Minderheit ohne weiteres fortgesetzt werden (RG J W 1925, 237). Ebenso bleibt der Verein bestehen und bedarf es keiner Vermögensübertragung, wenn er die Rechtsfähigkeit erlangt (RG 85, 266).

Anm. 8 3. Rechte und Pflichten der Mitglieder: Aus der körperschaftlichen Verfassung

ergibt sich weiter, daß die Rechte und Pflichten der Mitglieder sich nicht wie bei der Gesellschaft aus einem untereinander geschlossenen Vertrage ergeben, nicht gegeneinander, sondern nur gegenüber der Mitgliedergesamtheit, dem Verein, bestehen (RG 145, 212). Sie fließen auch nicht aus der Satzung als einem Vertrage, sondern aus der Mitgliedschaft als solcher und können, falls nicht in der Satzung etwas anderes bestimmt ist (Sonderrechte), durch Beschluß der Mitgliederversammlung auch gegen den Willen des einzelnen Mitgliedes gestaltet werden.

Anm. 9 4. D a s V e r e i n s v e r m ö g e n : Besitz eines eigenen Vermögens ist nicht Merkmal eines nichtrechtsfähigen Vereins (st. R s p r . B G H 19,65). Inhaber des vorhandenen Vereinsvermögens, Träger der Rechte und Pflichten des Vereins sind die Mitglieder in Gesamthandschaft (RG 1 1 3 , 1 2 5 ; 143,212). DasVereinsvermögen bildet aber ein von dem sonstigen 10*

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§54

Allgemeiner Teil. Personen

A n m . 10—12 Vermögen des einzelnen Mitgliedes gesondertes, selbständiges Vermögen. Die Mitglieder haben also an den einzelnen Vermögensstücken und -rechten keine Einzelrechte, können nicht darüber verfügen, sie können auch infolge der körperschaftlichen Bindung nicht einmal ihren Anteil an dem Gesamtvermögen abtreten, noch kann dieser gepfändet werden; § 859 Z P O findet keine Anwendung. Auch beim Ausscheiden besteht — entgegen § 738 Abs. 1 — kein Anspruch auf Auseinandersetzung oder Zahlung eines dem Anteil an dem Vermögen entsprechenden Betrages, sondern der Anteil wächst den anderen Mitgliedern zu, da das Vereinsvermögen in der Regel dem Vereinszweck dauernd erhalten bleiben soll ( R G 1 1 3 , 135). Uber das Vereinsvermögen kann somit nur die Mitgliederversammlung verfügen, soweit nicht eine solche Verfügung im Rahmen der dem Vorstand obliegenden Geschäftsführung zu erfolgen hat. Erwirbt der Vorstand irgendwelche Vermögensstücke und -rechte, so geschieht dies für die Mitgliedergesamtheit unter dem Namen des Vereins. Wegen des Fehlens der Rechtsfähigkeit können aber Rechte des Vereins im Grundbuch nur auf den Namen der Mitglieder eingetragen werden, wobei nach § 47 G B O zu vermerken ist, daß das Recht allen Mitgliedern des nicht rechtsfähigen Vereins zusteht ( R G Recht 1926, Nr. 50; a. M . wohl mit Recht S t o l l , der eine Angabe der einzelnen Mitglieder nicht für notwendig hält, weil die Mitglieder durch den Kollektivnamen hinreichend bezeichnet seien). Ist im Grundbuch eine Eintragung auf den Namen eines nichtrechtsfähigen Vereins geschehen, so ist diese zwar nicht unzulässig, aber gemäß § 22 G B O zu berichtigen ( R G J F G 3, 1; a. M . R G 127, 309, die das Bestehen einer Grundstücksbelastung bei Eintragung der Hypothek auf den Namen des Vereins verneint).

A n m . 10 S c h e n k u n g e n , E r b s c h a f t e n u n d V e r m ä c h t n i s s e können zwar nicht dem Verein als solchem zugewendet werden. Indessen sind sie als den Vereinsmitgliedern mit der Auflage zugedacht anzusehen, das Zugewendete dem Verein zu überlassen und die Verfügung durch die Vereinsorgane zu dulden ( R G WarnRspr. 1 9 1 1 Nr. 89; Recht 1929 Nr. 975). K r a f t seiner Vertretungsmacht der Mitgliedergesamtheit kann der Vorstand gemäß § 7 1 8 I diese Zuwendungen annehmen und in Empfang nehmen, um diese geschäftsordnungsmäßig zu verwenden. Da die einzelnen Mitglieder die dem Verein zustehenden Rechte nicht geltend machen können ( R G 78, 1 0 1 ) , kann der Vorstand die Eintragung im Grundbuch betreiben, ohne daß die bedachten Mitglieder besonders zustimmen müssen.

A n m . 11 D a der Verein als solcher sich nicht durch Verträge verpflichten kann, ist er zwar nicht w e c h s e l f ä h i g ( R G 1 1 2 , 125). Indessen ist ein Wechsel mit dem Namen des nichtrechtsfähigen Vereins nach R G 119, 198 formell gültig, da in Handel und Verkehr unter dem Vereinsnamen allgemein die von dem unterzeichneten Vorstand vertretene Mitgliedergesamtheit verstanden wird. Ist der Vorstand zur Vertretung der Mitgliedergesamtheit berechtigt, so ergibt sich daraus auch die verpflichtende K r a f t des Wechsels L e h m a n n , B G B Allg. Teil, 1949, S. 354), wie auch bei sonstigen formbedürftigen Geschäften zur Begründung der Verpflichtung in der Regel die Unterzeichnung des Vorstandes im Namen des Vereins genügt ( R G 85, 261).

A n m . 12 Die Schwierigkeiten, die sich hinsichtlich des Vermögenserwerbes aus dem Fehlen der Rechtsfähigkeit und dem ständigen Mitgliederwechsel ergeben, können aber zulässigerweise dadurch umgangen werden, daß ein Vorstandsmitglied zum fiduziarischen Eigentümer des Vereinsvermögens bestellt wird, worauf dann nur beim Vorstandswechsel eine Übertragung auf das neue Vorstandsmitglied und eine Umschreibung erforderlich ist. Es ist aber auch zulässig, die jeweiligen Vorstandsmitglieder zu Treuhändern zu bestellen und für sie die Forderungsrechte zu begründen ( R G WarnRspr. 1 9 1 9 , Nr. 1 2 6 ; L Z 1919, 855).

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Vereine

§54

A n m . 13, 14 A n m . 13 5. P r o z e ß f ä h i g k e i t . Nach der bisherigen Rechtsprechung ( R G 57, 92; 78, 1 0 5 ; Gruchot 47, 1160) und der überwiegenden Meinung der Rechtslehre kann ein nicht rechtsfähiger Verein nicht unter seinem Namen klagen, sondern es müssen spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung die Namen der derzeitigen Mitglieder angegeben werden. Das ist aber bei den heutigen Massenorganisationen auf religösen, politischen und vor allem auf sozialem Gebiet, den Gewerkschaften mit ihren hunderten und tausenden von Mitgliedern undurchführbar. Abgesehen von kleinen, unbedeutenden Vereinen spielt auch die Persönlichkeit der einzelnen Mitglieder keine Rolle, entscheidend für die Bedeutung des Vereins ist vielmehr die Anzahl der Mitglieder, d. h. in welchem Umfange die Ziele des Vereins von bestimmten Bevölkerungsgruppen gebilligt werden. Auch der nicht rechtsfähige Personenverband mit seinem ständig wechselnden Mitgliederbestand tritt ausschließlich als ein einheitliches Ganzes unter den Vereinsnamen auf (vgl. Anm. 4, 1 1 ) und übt die ihm durch die neuere Gesetzgebung übertragenen Befugnisse (vgl. Anm. 1) durch seinen Vorstand als seinen Willensträger aus. Den gewandelten Anschauungen über das Wesen, die Bedeutung und Aufgaben der nicht rechtsfähigen Vereine entspricht es — in Fortbildung des Rechts (vgl. Einl. Anm. 12, 20) — , den nicht rechtsfähigen Vereinen auch außerhalb des Arbeitsrechts (§ 10 A r b G G ) die aktive Prozeßfähigkeit zu geben, wie sie schon immer die passive Prozeßfähigkeit haben (§§ 50 I I , 735 Z P O § 2 1 3 K O ) , zumal die bisherige verschiedene Regelung nicht in der Natur der Sache, sondern in — jetzt überholten — politischen Zweckmäßigkeitserwägungen (vgl. Anm. 1) beruhte. Überdies ist im Verwaltungsstreitverfahren die aktive Prozeßfähigkeit der nicht rechtsfähigen Vereine anerkannt (vgl. § 4 0 der V O Nr. 166 für die britische Zone, § 53 V e r w G G für die amerikanische Zone, und U l e , B V e r w G G § 23 Anm. 12, O V G Berlin A P Nr. 3 zu § 5 I V G ) . Die Prozeßfähigkeit deckt sich also nicht mit der Rechtsfähigkeit. Wenn in § 253 Z P O die Bezeichnung der Parteien gefordert wird, so geschieht dies nur zur Abgrenzung der Streitgegenstände und der Rechtskraftwirkung, die durch die Angabe des Vereinsnamens klarer und deutlicher erfolgt, als durch die Aufführung von hunderten von Personennamen; außerdem ist dies nur eine Sollvorschrift und keine wesensmäßige Muß Vorschrift. Der Vorstand des Vereins ist in diesen Prozessen nicht der Bevollmächtigte der einzelnen Mitglieder, sondern Organ der Mitgliedergesamtheit. Seine Befugnis ergibt sich aus der Satzung und seiner Bestellung, die nicht immer durch die Mitgliederversammlung, sondern satzungsmäßig auch durch eine andere Stelle erfolgen kann. Der N a c h w e i s seiner V e r t r e t u n g s m a c h t kann also nur nach den für Korporationen maßgebenden Grundsätzen geführt werden, nämlich durch Vorlage der Satzung und des Protokolls über den Bestellungsbeschluß oder der Bestallungsurkunde. Eine von allen Mitgliedern unterschriebene Vollmacht kann somit nicht nach § 80 Z P O verlangt werden, würde bei einem Verein mit Tausenden von Mitgliedern auch praktisch gar nicht erbracht werden können und könnte von der Minderheit durch Verweigerung der Unterzeichnung zu einer Verhinderung der Durchführung des Mehrheitsbeschlusses benutzt werden. Ausstellung einer von allen Vereinsmitgliedern unterschriebenen Vollmacht ist also mit dem Wesen des Vereins unvereinbar. Deshalb kann auch § 80 I I Z P O keine Anwendung finden (anders die früheren Auflagen und R G WarnRspr. 1 9 1 3 , Nr. 18).

A n m . 14 Sofern man den nicht rechtsfähigen Parteien die aktive Rechtsfähigkeit nicht zuerkennen will, so können die sich bei Klagen des Vereins aus der notwendigen Namhaftmachung der Mitglieder ergebenden Schwierigkeiten dadurch vermieden werden, daß dem Vorstand entweder in der Satzung oder durch besonderen Beschluß der Mitgliederversammlung die Ermächtigung erteilt wird, die dem Verein zustehenden Rechte und Ansprüche im eigenen Namen geltend zu machen oder ihm zu diesem Zwecke die Ansprüche abgetreten werden. Das gilt auch für den Namensschutz ( R G 148, 147 vgl. § 12 Anm. 10) das für die gewillkürte Prozeßstandschaft geforderte Eigeninteresse ( R G 133, 2 4 1 ; 166, 238) wird in die dem Vorstand persönlich (§ 27 Anm. 3) obliegenden Aufgaben, die Rechte des Vereins wahrzunehmen, zu erblicken sein.

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§54

Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 15—17 Anm. 15 6. D i e H a f t u n g d e s V e r e i n s : DieHaftung des nichtrechtsfähigen Vereins aus Vertrag oder unerlaubter Handlung im Rahmen der Vereinstätigkeit ist bisher überwiegend aus §§278,831 B G B hergeleitet worden, während eine entsprechende Anwendung des §31 vom größeren Teil des Schrifttums ( E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y , Allg.Teil [14] I 465) und vor allem vom Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung abgelehnt ist ( R G 1 3 4 , 2 4 4 ; 1 4 3 , 2 1 2 u. a.). In letzter Zeit mehren sich aber wieder die Stimmen, die eine Anwendung des ^ 31 als dem Wesen des nichtrechtsfähigen Vereins entsprechend befürworten ( H a u p t , Gesellschaftsrecht S.89, 9 1 ; L e h m a n n , Allg.Teil, S . 3 5 4 ; S i e b e r t , BB 1950, 846; insbesonders S c h u m a c h e r , Zur Haftung des nichtrechtsfähigen Vereins, 1956; L A G Frankfurt, R d A 50, 427). Dem ist, abweichend von den früheren Auflagen, beizutreten. Denn die §§ 278, 831 betreffen —- abgesehen von der gesetzlichen Vertretung — den Fall, daß der zum Schadensersatz Verpflichtete, anstatt selbst tätig zu werden, mit der Ausführung der erforderlichen Handlung einen anderen betraut. E r soll durch Hinzuziehung einer Hilfsperson sich nicht jeder Haftung entziehen können, sondern bei vertraglichen Beziehungen voll für die Handlungen seines Beauftragten einstehen müssen, bei unerlaubten Handlungen wenigstens insoweit, als ihm bei der Auswahl und Beaufsichtigung seines Gehilfen selbst ein Verschulden trifft. Ganz anders liegt aber der Fall, daß eine juristische Person oder ein zu einer korporativen Einheit zusammengefaßter Personenverband nur durch seine Vertreter, die zugleich seine Willensträger sind, handelnd im Rechtsleben auftreten kann. Dann sind diese Handlungen eigene Handlungen der juristischen Person oder des Personenverbandes (vgl. §26 Anm. 3). Genau so wie die von ihren Vertretern abgegebenen Willenserklärungen ihre Willenserklärungen sind und sie binden, müssen sie auch deren sonstige Handlungen gegen sich gelten lassen und für sie in gleicher Weise wie die natürliche Person für ihre Handlungen einstehen, ohne wie diese die Möglichkeit zu haben, sich der Haftung entziehen zu können. Das ist nicht nur für die juristische Person anerkannt ( R G 162, 169), sondern auch in ständiger Rechtsprechung ( B G H N J W 52, 528) für die Offene Handelsgesellschaft, weil auch diese durch ihren geschäftsführenden Gesellschafter als ihrem Willensträger handelnd auftrete ( R G 46, 48; 76, 35). Es muß auch für den nichtrechtsfähigen Verein gelten, der sich in dieser Hinsicht nicht von der juristischen Person unterscheidet, da auch bei ihm — anders als bei der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft — die Mitgliedergesamtheit selbst weder Willenserklärungen abgeben noch sonstige Rechtshandlungen vornehmen kann, beides vielmehr durch die satzungsmäßigen Vertreter, ihr Organ, geschehen muß. Deren Handlungen sind somit keine Handlungen einer Hilfsperson, deren sich der Verein zur Vornahme der von ihm selbst vorzunehmenden Handlungen bedient ( R G W a r n R s p r . 193, Nr. 3 1 9 , 4 9 9 ) . Auch beim nichtrechtsfähigen Verein können daher ebenso wie bei der juristischen Person die §§ 278, 831 nur Anwendung finden, wenn von dem verfassungsmäßigen oder satzungsmäßigen Vertreter andere Personen mit der Vornahme von Handlungen betraut werden. Die §§ 31 und 89 enthalten sonach nur den Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes, der sich bei der korporativen Zusammenfassung von Personen wesensmäßig ergibt und daher gelten muß ohne Rücksicht darauf, ob er die Rechtsfähigkeit besitzt oder nicht. Eine Gleichstellung von rechtsfähigen und nichtrechtsfähigen Vereinen hinsichtlich der Haftung entspricht also nur ihrem inneren Wesen (vgl. D e n e c k e a. a. O . ; S c h u m a c h e r S. 1 3 ) .

Anm. 16 Auch der nichtrechtsfähige Verein haftet sonach f ü r jegliches Verschulden seines Vorstandes oder sonstigen satzungsmäßigen Vertreters, und zwar auch im Verhältnis zu seinen Mitgliedern, da die Ausnahmebestimmung des § 708 auf korporative Personenvereinigungen keine Anwendung findet ( R G 143, 2 1 4 ) . Dies gilt auch, soweit staatliche Aufgaben erfüllt werden (vgl. § 31 Anm. 7).

Anm. 17 7. H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g : Dagegen ist dem Umfange nach eine Haftungsbeschränkung des Vereins auf sein Vermögen, der Mitglieder auf die Beiträge gewohnheitsrechtlich

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Vereine

§54 A n m . 18

anerkannt. Sie wurde zunächst aus Satzungsbestimmungen über eine beschränkte Vertretungsmacht des Vorstandes hergeleitet, später aber auch ohne eine solche besondere Bestimmung als von der Satzung gewollt angenommen, zumal niemand, der mit dem Verein in Beziehung träte, eine über den Beitrag hinausgehende Haftung der Mitglieder erwarte (RG 74,374; Gruchot 53,398). Wenn nach RG 90,177 für gewisseFälle eine solche Annahme nicht berechtigt sein soll, so handelt es sich hierbei um Ausnahmefälle, die nach heutiger Auffassung unter den Begriff der unzulässigen Rechtsausübung fallen, aber an der Grundregel nichts ändern. Diese ist seitdem ständig angewandt und auch von allen Beteiligten anerkannt, so daß damit die Voraussetzungen für ein Gewohnheitsrecht gegeben sind. Beruht aber die Beschränkung der Haftung nicht auf einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarung, sondern auf der Überzeugung der Allgemeinheit, daß jeder bei seinem Eintritt in den Verein eine Haftung nur mit seinem Beitrage übernehmen wolle und zu übernehmen brauche, so gilt diese Beschränkung für die Haftung allgemein, also auch für unerlaubte Handlungen, die im inneren Zusammenhange mit der Vereinstätigkeit stehen ( S c h u m a c h e r S. 60; a. M. P a l a n d t I 957> § 54 Anm. 2). Indessen besteht ein solches G e w o h n h e i t s r e c h t n u r f ü r d e n i d e a l e n V e r e i n , dessen wirtschaftliche Betätigung nur Mittel zur Erfüllung seiner Aufgabe und daher nur beschränkt ist, n i c h t aber f ü r e i n e n w i r t s c h a f t l i c h e n V e r e i n , d. h. wenn sich Personen in Form eines nichtrechtsfähigen Vereins zusammenschließen, um sich wirtschaftlich zu betätigen und daraus Gewinn zu erzielen (RG 154, 367, vgl. § 22 Anm. 1). Denn im wirtschaftlichen Leben, namentlich im Handelsverkehr, herrscht allgemein der Grundsatz, daß jeder, der ein Gewerbe, insbesondere ein Handelsgewerbe im Sinne des § 1 HGB betreibt, mit seinem vollen Vermögen haftet (§ 735 BGB; §§ 105, 161 HGB), also natürliche Personen und deren Vereinigungen nicht nur mit dem Betriebsvermögen, sondern auch mit dem sonstigen Vermögen, juristische Personen, insbesondere Handelsgesellschaften, mit ihrem gesamten Gesellschaftsvermögen, nicht nur mit dem einzelnen Betriebsvermögen. Die Möglichkeit einer beschränkten Haftung in Form der Einmanngesellschaft ist eine durch das Wesen der AG und der G m b H als Kapitalgesellschaft bedingte —• übrigens bestrittene — Ausnahme. Dagegen fehlt jeder Anhalt dafür, daß bei geschäftlichem Verkehr mit wirtschaftlichen Vereinen allgemein, d. h. ohne besondere Vereinbarung, den Mitgliedern eine Beschränkung der Haftung auf ihre Beiträge zugebilligt werde. Auch die Rechtsprechung hat dies, soweit ersichtlich, nicht anerkannt, da alle Entscheidungen in dieser Hinsicht nur Idealvereine betreffen. Eine allgemeine Beschränkung der Haftung kann auch nicht etwa aus einer dahingehenden Satzungsbestimmung hergeleitet werden, da die Vereinsautonomie nur für das Innenverhältnis, aber nicht für Außenstehende gilt, die Satzungsbestimmung also nur Wirkung hat, wenn sie den Beteiligten bei Abschluß des Vertrages bekanntgegeben wird oder von früher her oder sonst bekannt ist (RG 155, 87). Dies muß insbesondere bei der Haftung für unerlaubte Handlungen gelten. Im übrigen würde auch die Gründung eines Vereins, die — wohl möglich unter Heranziehung von vermögenslosen Mitgliedern oder eines vermögenslosen Vorstandes — nur erfolgt, u m auf diese Weise die Haftung für die wirtschaftliche Betätigung beschränken zu können, eine Umgehung des § 22 BGB und der handelsrechtlichen Bestimmungen über die Gesellschaft, eine mißbräuchliche Ausnutzung einer für andere Zwecke gegebenen Form sein und deshalb die dahingehende Satzungsbestimmung nicht wirksam sein. Für wirtschaftliche Vereine ist daher eine allgemeine Beschränkung der Haftung abzulehnen, sie kann nur durch Sondervereinbarung herbeigeführt werden (vgl. S t o l l a. a. O., S. 71; H a u p t , Gesellschaftsrecht ,S. 89; S c h u m a c h e r a. a. O., S. 24). A n m . 18 8. a) Die Haftung des Handelnden: Die Bestimmung des Satzes 2 sollte eines der Mittel sein, um den nichtrechtsfähigen Verein zum Erwerb der Rechtsfähigkeit zu veranlassen und vor allem dem Schutz der Gläubiger dienen, da sie bei fehlender Eintragung die Vertretungsbefugnis meistens nur schwer nachprüfen können. Deshalb ist jedem, der im Namen des nichtrechtsfähigen Vereins Rechtsgeschäfte vornimmt, die Haftung auferlegt, mag er zur Vertretung berechtigt sein oder nicht (RG Recht 1920 Nr. 4; B G H J R 577), mag der andere Teil den Mangel der Rechtsfähigkeit gekannt

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§54

Allgemeiner Teil. Personen

A n m . 19 haben oder nicht ( R G J W 26, 2907). Es ist auch nicht erheblich, ob der Handelnde Vereinsmitglied ist ( R G J W 19, 2907; B G H J R 57, 417). Auch den im Namen des V o r standes des Vereins Handelnden trifft die Haftung ( R G 82, 294). Ist z. B. die Veranstaltung eines Festes ausschließlich einem Festausschuß übertragen, so sind dessen M i t glieder die handelnden Personen im Sinne des Absatzes 2 ( R G WarnRspr. 1 9 1 7 , N r . 263).

A n m . 19 b ) B e s c h r ä n k u n g d e r H a f t u n g : Es haften also die für den nichtrechtsfähigen Verein Handelnden nicht nur, wie nach § 179, wenn der Verein die Genehmigung der von ihnen abgeschlossenen Verträge verweigert, sondern der Dritte kann in jedem Falle neben dem Verein auch die handelnden Personen in Anspruch nehmen ( R G Recht 1 9 1 1 Nr. 2793). Soweit aber der Vertrag ausdrücklich für den Verein abgeschlossen wird oder der Dritte aus dem Zweck des Vertrages oder der sonstigen Verhandlungen erkennt oder erkennen mußte, daß der andere für den — nur beschränkt haftenden — Verein auftreten will, muß auch im Verhältnis zu dem Vertreter die gewohnheitsrechtliche Beschränkung der Haftung durchgreifen. Denn die Bestimmung des Satzes 2 ist getroffen, weil die Gläubiger wegen fehlender Eintragung in ein Register oder sonstiger öffentlichen Verlautbarung die Vertretungsbefugnisse nicht oder nur schwer nachprüfen können; sie soll diese gegen die Nachteile der fehlenden Rechtsfähigkeit des Vereins schützen, ihnen aber nicht eine bessere Rechtsstellung als den Gläubigern eines rechtsfähigen Vereins geben oder den für den Verein handelnden eine Haftung aufbürden, die weiter geht als die des vertretenen Vereins. Dafür ist kein Grund ersichtlich, zumal bei Abfassung eine solche Beschränkung noch nicht anerkannt war und der Verein gemäß §§ 27 I I I , 670, 663 die in seinem Auftrage handelnden Vorstandsmitglieder oder sonstigen Vertreter freistellen müßte. Die gewohnheitsrechtliche Änderung der Haftung des Vereins und seiner Mitglieder kann daher auch bei der Haftung seiner Vertreter nicht unberücksichtigt bleiben. Dem steht nicht, wie S c h u m a c h e r a. a. O. S. 31 meint, entgegen, daß bei Vorstandsmitgliedern und sonstigen Vertretern, die keine Vereinsmitglieder sind, eine Haftungsgrenze nicht denkbar sei. Sie ergibt sich vielmehr daraus, daß auch deren Rückgriff gemäß § 670 seine Grenzen an dem Vereinsvermögen findet. Anderenfalls würden Angestellte des Vereins schlechter gestellt sein als Vorstandsmitglieder aus den Reihen der Vereinsmitglieder, ein offenbar unbilliges Ergebnis. Diese Beschränkung muß auch für Haftung aus V e r s c h u l d e n b e i V e r t r a g s s c h l u ß gelten. Denn auch hier haftet grundsätzlich allein der Vertragspartner; der Vertreter nur dann, wenn er an dem Zustandekommen des Vertrages ein eigenes Interesse hatte, gewissermaßen die Verhandlungen nur äußerlich im Namen des Vertretenen geführt hat oder bei den Vertragsverhandlungen sich ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen ihm und der anderen Partei entwickelt hat, für diesen die von dem Vertreter abgegebenen Erklärungen gerade mit Rücksicht auf seine Persönlichkeit maßgebend gewesen sind (vgl. R G 120, 1 4 9 ; 132, 80; 159, 5 5 ; H H R 1935 Nr. 1 7 9 ; B a l l e r s t e d t , A c P 1 5 1 , 505, 524; vgl. auch B G H J R 57, 4 1 7 u. Anm.). Alsdann haftet der Vertreter allerdings unbeschränkt. Hat er aber die Verhandlungen ausschließlich im Interesse des nichtrechtsfähigen Vereins geführt und wird er aus § 54 Abs. 2 in Anspruch genommen, so muß für ihn die Beschränkung der Haftung des Vereins aus den angeführten Gründen ebenfalls gelten. Anders ist es bei u n e r l a u b t e n Handlungen, die der Vertreter im Rahmen des Aufgabenkreises des Vereins begeht. Hier erfordert der Schutzggedanke des §54 Satz 2 wie der Grundgedanke der Haftung aus unerlaubten Handlungen, daß der Handelnde in vollem Umfange haftet, auch wenn er nicht im eigenen Interesse, sondern für den Verein tätig wird. Eine allgemeine Beschränkung der Haftung für die den Verein vertretenden Personen würde nur Leichtfertigkeiten des Handelnden begünstigen. Auch wird dadurch nicht die beschränkte Haftung des Vereins beseitigt, da dieser bei solchen unerlaubten Handlungen die V e r treter nicht von der Schadensersatzpflicht gegenüber dem Dritten gemäß § 670 freistellen muß, d. h. tatsächlich den Schaden tragen müßte. Soweit etwa der für den Verein Handelnde auf ausdrückliche Anweisung eines verfassungsmäßigen Vertreters oder

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Vereine

§ 54 Anm. 20, 21

§ 55 Anm. 1

dieser auf Grund eines Vereinsbeschlusses handelt, könnte nur im Innenverhältnis eine Verteilung des Schadens gemäß § 254 BGB in Frage kommen; die Haftung des Handelnden selbst für unerlaubte Handlungen gegenüber dem Dritten muß aber in vollem Umfange bestehen bleiben. Das muß auch bei unerlaubten Handlungen gegenüber einem Vereinsmitglied gelten. Soweit aber einem Vertreter bei einem besonderen Rechtsgeschäft mit einem Vereinsmitglied ein Verschulden trifft, gilt auch diesem gegenüber die beschränkte Haftung, da er insofern Dritter ist (RG 103, 265). Anm. 20 c) Vereinbarungen über die Haftung: Auch dem Handelnden gegenüber kann die Haftung durch besondere V e r e i n b a r u n g eingeschränkt oder ausgeschlossen werden (RG 82, 298; J W 1912, 187). Zu letzteren genügt aber nicht schon, daß der Dritte weiß, der Handelnde wolle sich nicht persönlich verpflichten. Denn für die Annahme eines stillschweigenden Ausschlusses der Haftung aus § 54 Satz 2 müssen ganz besondere Umstände vorliegen, um nicht den vom Gesetz verfolgten Schutz des Dritten zu vereiteln (RG 82, 298). Auf Vereinsmitglieder, die nicht unmittelbar gehandelt haben, sondern nur mit dem Abschluß des Vereins einverstanden waren oder ihn genehmigt haben, ist die Haftung nicht zu erstrecken. Für nichtrechtsfähige Vereine gelten somit die von der Rechtsprechung für AG und GmbH, in deren Namen vor der Eintragung gehandelt wurde, aufgestellten Grundsätze (RG 52, 302; 72, 401; J W 09, 231; nichtBGH J R 57, 417). D r i t t e r im Sinne des § 54 Abs. 2 ist jeder, der nicht zu den Handelnden gehört, auch das Vereinsmitglied. Bei der Haftung aus Abs. 2 handelt es sich nicht nur um Schadensersatzpflichten, sondern es können auch Erfüllungsansprüche in Frage kommen (RG WarnRspr. 1923 Nr. 97). Anm. 21 9. Ausländische Vereine: Die persönliche Haftung für rechtsgeschäftliche Handlungen im Namen eines im I n l a n d nicht anerkannten V e r e i n s greift nur dann ein, wenn das Rechtsverhältnis, das den Gegenstand des Rechtsgeschäftes bildet, nach deutschem Recht zu beurteilen ist, es genügt nicht, daß es im Inlande geschlossen ist (RG 159, 48). 2. E i n g e t r a g e n e V e r e i n e § 5 5 Die Eintragung eines Vereins der im § 21 bezeichneten Art in das Vereinsregister hat bei dem Amtsgerichte zu geschehen, in dessen Bezirke der Verein seinen Sitz hat. Die Landesjustizverwaltungen können die Vereinssachen einem Amtsgericht für die Bezirke mehrerer Amtsgerichte zuweisen. E II 49; P I 498ff., 504. Abs. 2 eingefügt durch § 30 des Rechtspflegergesetzes v. 8. 2. J7 (BGBl. I 18).

Anm. 1 1. DieEintragungspflicht kommt bei den nichtwirtschaftlichen Vereinen (§21 Anm. 2) in verschiedener Bedeutung vor. Einzutragen sind 1. der V e r e i n (§§ 21, 64 — die Rechtsfähigkeit wird nur durch Eintragung erlangt, vgl. §21 Anm. 3); 2. eine jede Änderung der S a t z u n g , §71—die Wirksamkeit der Änderung ist durch die Eintragung bedingt —; 3. die V o r s t a n d s m i t g l i e d e r und Liquidatoren, sowie die das Vertretungsrecht beschränkenden Beschlüsse (§§64, 67—70, 76; vgl. auch §§74, 75); die Nichteintragung der Änderung hat hier zur Folge, daß sie dem gutgläubigen Dritten nicht entgegengesetzt werden kann (§§ 68, 70). 4. Auflösung, Entziehung der Rechtsfähigkeit, Konkurs (§§ 74, 75). Die Namen der M i t g l i e d e r brauchen nach § 72 nicht eingetragen oder angemeldet zu werden, auch Satzung und Zweck des Vereins werden nicht eingetragen.

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§ 55 Anm. 2

§ § 56, 57 Anm. 1

Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 2 2 . Das E i n t r a g u n g s v e r f a h r e n : Wegen des Sitzes des Vereins s. §57 Abs. 1. Wird die Eintragung von einem unzuständigen Amtsgericht vorgenommen, so hat dies nach der allgemeinen Vorschrift des § 7 F G G , die für den besonderen Fall des § 55 nicht beseitigt ist, die Ungültigkeit der Eintragung nicht zur Folge (h. M.). Außer über die Z u s t ä n d i g k e i t d e s A m t s g e r i c h t s enthält Abschnitt 2 Vorschriften über das Verfahren, die Festsetzung von Ordnungsstrafen, das Recht der Beschwerde und über die Öffentlichkeit des Vereinsregisters (§§ 59,60,66,77—-79). Ergänzt werden diese Vorschriften durch die nach § 159 F G G anwendbaren Bestimmungen der §§ 127—130, 142, 143 und hinsichtlich des Ordnungsstrafverfahrens der §§ 132—139 dieses Gesetzes. Die Einrichtung des V e r e i n s r e g i s t e r s ist Landessache (§§ 159—-162). Es gelten hierfür die früheren auf Vereinbarung der Bundesstaaten beruhenden, vom Bundesrat genehmigten und vom Reichskanzler am 12. 11. 98 Nr. 47 (RZB1. 98) veröffentlichten Bestimmungen, die nebst ergänzenden Vorschriften von den einzelnen Bundesstaaten eingeführt sind und gemäß Art. 125, 84 II G G Bundesrecht sind. Wird der Vereinssitz in den Bezirk eines anderen Amtsgerichts verlegt, so erfolgt die Eintragung dieser Änderung zunächst im bisherigen Register (RJA 17, 74). § 5 6

Die Eintragung soll nur erfolgen, wenn die Zahl der Mitglieder mindestens sieben beträgt. E II 50; P I J54ff.

Durch diese Bestimmung über die M i n d e s t z a h l der Mitglieder soll verhindert werden, daß Vereine, die ihrer Mitgliederzahl nach nur eine geringe Bedeutung haben, in das Vereinsregister eingetragen werden und Rechtsfähigkeit erlangen. Die Eintragung kann nicht erfolgen, wenn der Verein zwar anfangs die vorgeschriebene Mindestzahl der Mitglieder hatte, diese Mindestzahl aber zur Zeit der Eintragung nicht mehr vorhanden ist. Zur Ermöglichung der Nachprüfung ist in § 59 bestimmt, daß die Satzung von mindestens 7 Mitgliedern unterschrieben werden soll. Eine weitere Prüfung steht dem Amtsgericht nicht zu. Doch sind diejenigen Personen nicht mitzuzählen, die nur z u m Schein als Mitglieder angeführt sind. Stellt sich erst nach der Eintragung heraus, d a ß in Wirklichkeit zur Zeit der Eintragung die vorgeschriebene Mindestzahl nicht vorhanden war, so hat dieser Mangel, da es sich um eine S o l l v o r s c h r i f t handelt, nicht die Ungültigkeit der Eintragung zur Folge, das Registergericht hat nicht etwa, selbst wenn es durch falsche Angaben des Vorstandes über die Mitgliederzahl zur Eintragung bestimmt war, von Amts wegen die Eintragung wieder zu löschen, da es sich nicht um das Fehlen einer wesentlichen Voraussetzung i. S. der §§ 159, 142 F G G handelt (str.). Uber den Fall der Verminderung der Mitgliederzahl s. § 73. Auch Zentralvereine, die andere Vereine, nicht natürliche Personen zu Mitgliedern haben, können eingetragen werden. § 5 7

Die Satzung muß den Zweck, den Namen und den Sitz des Vereins enthalten und ergeben, daß der Verein eingetragen werden soll. Der Name soll sich von den Namen der an demselben Orte oder in derselben Gemeinde bestehenden eingetragenen Vereine deutlich unterscheiden. E n 51; P I 555®-; 6 117.

Anm. 1 1. E r f o r d e r n i s s e werden kann, eine haben, welche, wenn oder Unterschrift die

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d e r E i n t r a g u n g : Der Verein muß, damit er eingetragen dem Registerrichter einzureichende schriftliche Satzung auch nicht gerade im Text, so doch in der Uberschrift in § 57 Abs. 1 erforderten Angaben ersehen läßt. Die Gül-

Vereine

§57 Anm. 2—4

tigkeit der Eintragung des Vereins ist aber ebensowenig wie die Gültigkeit der Errichtung des Vereins durch die Schriftform bedingt (vgl. § 25 Anm. 2). Ist die Mußvorschrift des § 57 nicht befolgt, so kann durch die Eintragung ein rechtsfähiger Verein nicht entstehen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß durch nachträgliche Ergänzung der Satzung und dementsprechende Vervollständigung der Eintragung die Ungültigkeit geheilt wird (vgl. über die Ungültigkeit der Eintragung im allgemeinen §21 Anm. 3). Werden bei Errichtung des Vereins neben der Satzung Vereinbarungen getroffen, die in die Satzung aufzunehmen gewesen wären (vgl. §§ 57, 58), so haben diese dem Verein gegenüber keine Wirksamkeit. Dies gilt auch von Vereinbarungen über die D a u e r des Vereins (vgl. § 74 Anm. 1). Die satzungsgemäße Vereinbarung, daß di e Errichtung des Vereins von dem Eintritt einer aufschiebenden Bedingung abhängig sein soll (vgl. RGWarnRspr. 1917 Nr. 216), hindert die Eintragung des Vereins. Sollte es gleichwohl zur Eintragung gekommen sein, so kann jene Bestimmung nur noch die Kraft einer a u f l ö s e n d e n Bedingung haben. Anm. 2 2. Name und Sitz des Vereins: Zur unterscheidenden Bezeichnung des Vereins ist nicht bloß die Angabe seines Namens, sondern auch seines Sitzes (vgl. § 24 Anm. 1) nötig, da nach Abs. 2 Vereine, die ihren Sitz nicht in derselben, aus einem oder mehreren Orten bestehenden Gemeinde haben, den gleichen Namen führen können. Name und Sitz muß deshalb in das Vereinsregister mit eingetragen werden (§ 64). Wegen der Wahl des Namens sind in § 57 keine besonderen Vorschriften gegeben. Allgemeinen Grundsätzen entspricht es, daß der Registerrichter anstößige oder auf Täuschung berechnete Namen (bestr. — vgl. J F G 3, 259) nicht zulassen darf. Dem Namen ist nach § 65 der Zusatz „eingetragener Verein" beizufügen. Wegen dieses Zusatzes unterscheidet sich der Verein bereits genügend von einem nichteingetragenen Verein. Es genügt deshalb ein Name, der die Gefahr der Verwechslung mit a n d e r e n e i n g e t r a g e n e n V e r e i n e n d e s s e l b e n Ortes ausschließt. Die Unterscheidung muß eine deutliche sein; Namensunterschiede die dem Leser oder Hörer leicht entgehen können, genügen nicht ( B G H J R 1953,474). Der Verein darf nur einen einzigen Namen haben ( R G 85, 399), womit indes eine spätere Änderung des Namens (§71) nicht ausgeschlossen ist. Wie jede natürliche Person kann aber auch der rechtsfähige Verein für seine verschiedenen Handelsbetätigungen v e r s c h i e d e n e F i r m e n führen. Zutreffend z. B. auch K G J W 1932, 6a2 im Falle der Fortführung der bisherigen Firma eines erworbenen Handelsgeschäfts durch den Verein — § 57 Abs. 2 enthält nur eine vom Registerrichter zu beachtende Anordnung, bestimmt aber nichts über den Namensschutz des Vereins, der allgemein und ohne örtliche Begrenzung nach § 12 zu beurteilen ist ( R G J W 1931, 1921 3 3 ; WarnRspr. 1930 Nr. 48; H R R 1929 Nr. 577) — vgl. auch § 12 Anm. 1 1 , 12 und wegen eines schlagwortähnlichen Bestandteils des Vereinsnamens R G J W 1933, 1385 1 . Er besagt insbesondere nicht, daß durch den Zusatz „eingetragener Verein" eine Beeinträchtigung des Namensrechts in einem solchen Falle ausgeschlossen wird, wo der Name des Vereins ohne Hinweis auf die Eintragung gebraucht ist ( R G WarnRspr. 1927 Nr. 9). Wegen § 16 U W G vgl. § 12 Anm. 4. Über die Bezeichnung „Kammer", welche den Eindruck einer öffentlichrechtlichen Organisation erweckt und zu Täuschungen Anlaß gibt, vgl. K G J W 1925, 2013 1 . Anm. 3 3. Die Angabe des Zweckes ist nötig zur Beurteilung der Eintragungsfähigkeit des Vereins (§§ 21, 22, 61). Der Vereinszweck ist ferner für die Eigenart des Vereins von solcher Bedeutung, daß seine Änderung regelmäßig die Zustimmung aller Mitglieder erfordert (vgl. § 33 Anm. 1). Die Eintragung des Zweckes in das Vereinsregister ist nicht vorgeschrieben. Anm. 4 Vgl. §59 A i .

155

§§ 58,59

Allgemeiner Teil. Personen § 5 8

Die Satzung soll B e s t i m m u n g e n enthalten: 1. über den Eintritt und Austritt der Mitglieder; 2. darüber, ob und w e l c h e Beiträge v o n den Mitgliedern zu leisten s i n d ; 3. über die B i l d u n g des V o r s t a n d e s ; 4. über die Voraussetzungen, unter denen die M i t g l i e d e r v e r s a m m l u n g z u berufen i s t , über die F o r m der B e r u f u n g und über die Beurkundung der Beschlüsse. Ell

P I 556ff.

Die Satzung soll über die V e r f a s s u n g des Vereins, was Erwerb und Verlust der Mitgliedschaft, Bildung des Vorstandes, Berufung der Mitgliederversammlung und Beurkundung der von ihr gefaßten Beschlüsse betrifft, sich aussprechen, es kann dies aber auch in einer besonderen Urkunde, einem Anhang geschehen, die insoweit einen Bestandteil der Satzung bildet (RG 73, 187; 106, 120). Die Satzung hat nicht bloß Bestimmungen über den freiwilligen Austritt, sondern auch über die Ausschließung eines Mitglieds zu enthalten (RG 73, 193). Die Satzung muß ferner, sofern sich die Beitragspflicht nicht ohne weiteres aus dem Zwecke des Vereins ergibt, bestimmen, inwieweit die Mitglieder zu B e i t r ä g e n herangezogen werden können, worunter nicht bloß Geldleistungen, sondern auch sonstige Leistungen für den Vereinszweck und etwaige Vertragsstrafen zu verstehen sind. Nicht nötig ist, daß die Höhe der Beiträge in der Satzung beziffert wird. Die Bemessung des Beitrags kann in der Satzung der Mitgliederversammlung, dem Vorstande oder einem anderen Vereinsmitgliede überlassen werden (RG J W 1916, 128). In die Satzung gehören ferner Bestimmungen über Zusammensetzung und Zuständigkeit des in Vereinssachen entscheidenden S c h i e d g e r i c h t s , sowie über das Verfahren vor dem Schiedsgericht, ferner Bestimmungen über das O r d n u n g s strafrecht (RG 73, 1 9 1 ; J W 1299, 847; H R R 1929 Nr. 792). Die Nichtbeachtung des § 58 verpflichtet den Richter zur Ablehnung der Eintragung, zieht aber die Ungültigkeit der einmal geschehenen Eintragung nicht nach sich. Enthält die Satzung keine Bestimmungen, so greifen die allgemeinen Grundsätze der §§ 26, 27, 32, 36, 37 u. 39, insbesondere die in § 39 Anm. 2 dargestellten Grundsätze über die Ausschließung Platz. Die Befugnis zur A u f n a h m e oder A u s s c h l i e ß u n g von M i t g l i e d e r n wird im Zweifel, da es sich um eine grundlegende Änderung handelt, der Mitgliederversammlung, nicht dem Vorstande zugestanden werden müssen (a. A. S t a u d i n g e r A II 1). Werden über die in § 58 bezeichneten Gegenstände erst nachträglich Bestimmungen getroffen, so muß der von der Mitgliederversammlung zu fassende Beschluß den Erfordernissen eines Satzungänderungsbeschlusses entsprechen. Die Frage, welche Gegenstände nur durch Satzung geregelt werden können, ist von besonderer Wichtigkeit für eingetragene Vereine, weil § 71 zur Wirksamkeit einer Änderung der Satzung die Eintragung in das Vereinsregister erfordert. Eine Bestimmung der Satzung, die infolge veränderter Gesetzgebung unausführbar geworden ist, kommt mit den an sie geknüpften Folgen, ohne daß sie durch Vereinsbeschluß aufgehoben zu werden brauchte, ohne weiteres in Wegfall (RG 104, 349). — Die Satzungen der durch landesherrliche V O (oder Bestätigung der Behörde) gebildeten Zwangsverbände haben die Eigenschaft von G e s e t z e s r e c h t (RG 25, 274; 38, 126; Art. 136 EG). § 5 9 Der Vorstand hat den Verein zur Eintragung anzumelden. Der A n m e l d u n g sind b e i z u f ü g e n : 1. die Satzung in U r s c h r i f t und A b s c h r i f t ; 2. eine Abschrift der Urkunden über die Bestellung des Vorstandes. Die Satzung soll von m i n d e s t e n s sieben Mitgliedern unterzeichnet sein und die A n g a b e des T a g e s der Errichtung enthalten. E II 53; P I 557ff.; 6 382.

156

Vereine

§59

Anm. 1—4

Anm. 1 1. Die A n m e l d u n g d u r c h den V o r s t a n d : Die Eintragung kann nur auf Anmeldung des Vorstandes erfolgen. E r ist zu dieser Handlung schon vor Entstehung des rechtsfähigen Vereins befugt (vgl. § 21 Anm. i) und würde sich bei Unterlassung des Antrags regelmäßig gegenüber den Mitgliedern der bereits bestehenden Vereinigung verantwortlich machen. Es handelt sich um eine M u ß v o r s c h r i f t , eine Eintragung ohne Anmeldung von Amts wegen erfolgt nicht. Zur Eintragung ist weiter erforderlich, daß der Antrag in Übereinstimmung mit der S a t z u n g steht. Aus der Satzung muß nach § 57 hervorgehen, daß der Verein eingetragen werden soll. Fehlt es an diesen Erfordernissen, so ist die Eintragung ungültig. Ohne Einfluß auf die Gültigkeit ist es dagegen, ob die in § 77 bestimmte Form der Anmeldung gewahrt ist. Die dem Vorstand obliegende Anmeldung ist von s ä m t l i c h e n Vorstandsmitgliedern zu bewirken, insbes. auch dann, wenn die Satzung Einzelvertretung zuläßt ( R G W a r n R s p r . 1929 Nr. 7 3 ; s. im übrigen K G H R R 1930 Nr. 765; D R 42 725). Dabei ist eine Vertretung durch Bevollmächtigte, die durch öffentlich beglaubigte Vollmacht sich auszuweisen haben, nicht ausgeschlossen ( K G J 2 1 , A 2 7 1 ; D R 1942, 725). Der Registerrichter kann jedoch, um sich die Sicherheit zu verschaffen, daß die Erklärung dem Willen des Vollmachtgebers entspricht, j e nach L a g e des Falles eine Spezialvollmacht fordern oder das persönliche Erscheinen des Vollmachtgebers verlangen (vgl. R J A 8, 130). Durch die Satzung kann nicht bestimmt werden, daß Anmeldungen zum Vereinsregister nur der Unterschrift eines Teiles der Vorstandsmitglieder bedürfen sollen ( R J A 9, 47). Die Anmeldenden sind gegenüber dem Verein für die Richtigkeit der Anmeldung verantwortlich. Ist die Anmeldung nicht von sämtlichen Vorstandsmitgliedern ausgegangen, so können die Fehlenden die Anmeldung nachholen. Bis zur Eintragung kann die Anmeldung zurückgenommen werden.

Anm. 2 2. Die beizufügenden U n t e r l a g e n : Die schriftliche S a t z u n g soll als Unterlage der Eintragung dienen (vgl. § 57 A 1). Die Einreichung zweier Exemplare, der U r s c h r i f t und einer A b s c h r i f t , ist zu dem in § 66 Abs. 2 bezeichneten Zwecke vorgeschrieben. Die Eintragung der Satzungsbestimmungen findet nur in dem durch § 64 bestimmten Umfange statt. Die Nichtbeachtung der Vorschrift des Abs. 2 hat die Ungültigkeit der Eintragung nicht zur Folge, da die Schriftform keine w e s e n t l i c h e Voraussetzung der Eintragung ist ( E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y I 4 2 1 ) . — Sind besondere Bestimmungen in eine N e b e n s a t z u n g aufgenommen, so muß auch diese dem Registerrichter eingereicht werden, widrigenfalls die Bestimmungen für das Rechtsverhältnis des Vereins keine Wirksamkeit gewinnen können, z. B. eine ärztliche Standesordnung, die Bestimmungen über die Ausschließung von Mitgliedern enthält (RG 73, 193). Die Einreichung kann nachgeholt werden, wozu der Vorstand von sich aus verpflichtet ist.

Anm. 3 b ) In eine Prüfung, ob der V o r s t a n d g e h ö r i g bestellt ist, braucht regelmäßig der Registerrichter nur insofern einzutreten, als er etwaige Mängel, die aus der einzureichenden Abschrift der Bestellungsurkunde sich ergeben, zu berücksichtigen hat (vgl. K G J 41 A 1 5 7 ; Recht 1930 Nr. 778). Eine weitergehende Prüfung kann angezeigt sein, wenn Bedenken gegen die materielle Richtigkeit des Anmeldungsinhalts gegeben sind ( R J A 14, 298). Entsteht Streit über die Gültigkeit der Bestellung, so ist hierüber auf die von den Beteiligten anzustellende K l a g e (vgl. § 32 Anm. 5) im Prozeßwege zu entscheiden. Die Klage ist nicht gegen das einzelne Vorstandsmitglied, sondern gegen den gesamten Vorstand zu richten. Eine Täuschung des Registerrichters über die Vorstandseigenschaft der Anmeldenden hat die Löschung der Eintragung von Amts wegen zur Folge ( J F G 1, 273).

Anm. 4 Z u dem dem Registerrichter zu führenden N a c h w e i s e d e r E r r i c h t u n g des V e r e i n s genügt es, daß die Satzung von m i n d e s t e n s 7 M i t g l i e d e r n (der in § 56 bestimmten

157

§60

Allgemeiner Teil. Personen

Mindestzahl der Mitglieder) unterzeichnet und der T a g der E r r i c h t u n g angegeben ist. Dies ist nur eine S o l l v o r s c h r i f t . Darüber, ob es zu einer vorschriftsmäßigen Errichtung gekommen ist, hat bei Vorhandensein von Z w e i f e l n der Registerrichter Ermittlungen anzustellen (§12 FGG). Sobald einmal die Eintragung stattgefunden hat, kann hierüber nur im Prozeßwege, auf Klage des Beteiligten gegen den Vorstand entschieden werden. Die Entscheidung hat an sich zwar nur Bedeutung für die Parteien. Doch kann der Registerrichter hieraus Anlaß nehmen, die Eintragung von Amts wegen zu löschen (§§ 159, 142, 143, vgl. auch § 127 FGG.) § 6 0 Die Anmeldung ist, wenn den Erfordernissen der §§ 56 bis 59 nicht genügt ist, von dem Amtsgericht unter Angabe der Gründe zurückzuweisen. Gegen einen zurückweisenden Beschluß findet die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung statt. Ell 53; P I jj8ff.; 6 117. Anm. 1 Die Zurückweisung der Anmeldung ist auch dann geboten, wenn der Verein nicht eintragungsfähig ist, weil er die Rechtsfähigkeit nur durch Verleihung (§21, vgl. auch § 22 Anm. 2) oder nur durch Gesetz erlangen kann (s. wegen der Religionsgesellschaften und geistlichen Gesellschaften Art. 84 E G u. § 61 A 3 ) . Ebenso wenn der Errichtungsvertrag ganz oder teilweise ungültig ist. Dies ist der Fall, wenn der Zweck des Vereins gegen ein gesetzliches Verbot (Art. 9 II GG) oder gegen die guten Sitten verstößt (§§ 134, 138), wenn z. B. der Verein hauptsächlich den Zweck verfolgt, die Neigung der Mitglieder und Gäste zu hohen Glücksspielen zu fördern und auszunutzen (vgl. R G J W 1920, 961 2 ), oder wenn sich in der Satzung Bestimmungen finden, die nach den zwingenden Vorschriften der §§ 26 fr. unzulässig sind. Für die Frage, ob der Verein unerlaubt ist, kommt auch das öffentliche Vereinsrecht (vgl. § 61 Anm. 2) in Betracht. Durch die Eintragung wird in diesen Fällen die Ungültigkeit nicht beseitigt und die Rechtsfähigkeit nicht herbeigeführt, anders, wenn der Verein irrig als nicht wirtschaftlicher angesehen worden ist oder die Eintragung wegen Nichtbeachtung der Ordnungsvorschriften in §§ 56, 57 Abs. 2, 58, 59 nicht hätte erfolgen dürfen. Die Eintragung kann gemäß §§ 142, 143 FGG von Amts wegen gelöscht werden. Sind nur einzelne in der Satzung getroffene Bestimmungen nichtig, so hat dies trotz grundsätzlicher Anwendbarkeit des § 139 die Nichtigkeit der ganzen Satzung regelmäßig nicht zur Folge, da nach den für die Vereine bestehenden besonderen Verhältnissen eine solche weitgehende Wirkung der Ungültigkeit dem Willen der den Verein errichtenden Mitglieder nicht entsprechen wird. Die Eintragung des Vereins bleibt mithin wirksam. Durch die Zulässigkeit der Löschung von Amts wegen ist eine Klage des Mitglieds auf Erklärung der Nichtigkeit des Vereins nicht ausgeschlossen. Das Urteil hat aber nur eine auf die Parteien beschränkte Wirkung (vgl. § 59 Anm .4). Einer Klage auf Feststellung der M i t g l i e d s c h a f t kann der Einwand, daß die Vereinigung gegen die guten Sitten verstoße oder der Vereinszweck ein verbotswidriger sei, nicht entgegengesetzt werden (RG J W 1921,152 7 1 ). Anm. 2 Das Recht der sofortigen Beschwerde, die auch bei Zurückweisung durch Zwischenverfügung zulässig ist (KG Recht 1929 Nr. 1822), ist abweichend von den für Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gegebenen Vorschriften geordnet. Für das V e r f a h r e n gelten die Vorschriften der ZPO, und zwar auch dann, wenn die Zurückweisung aus einem anderen als dem in § 60 Abs. 1 angeführten Grunde erfolgt (RG 47, 386, 84, 158; J W 03 Beil. H3 248 ). Weitere Beschwerde ist hiernach nur bei Vorhandensein eines neuen selbständigen Beschwerdegrundes statthaft (§ 568 ZPO, OLG 22, 113). Grundsätzlich handelt es sich aber bei der Eintragung in das Vereinsregister um eine Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit, und es folgt hieraus, daß die Z u s t ä n d i g k e i t des über die weitere Beschwerde entscheidenden Gerichts sich nach §§ 28 Abs. 2, 199 FGG bestimmt (RG 84, 158; K G J 39 A 144). Gegen die erfolgte Eintragung im Vereinsregister findet eine Beschwerde nicht statt (RJA 13, 119). 158

Vereine

§61,62

§ 6 1 W i r d die A n m e l d u n g z u g e l a s s e n , s o h a t d a s A m t s g e r i c h t sie d e r z u s t ä n digen V e r w a l t u n g s b e h ö r d e m i t z u t e i l e n . Die V e r w a l t u n g s b e h ö r d e k a n n g e g e n die E i n t r a g u n g E i n s p r u c h e r h e b e n , w e n n d e r Verein n a c h d e m öffentlichen V e r e i n s r e c h t u n e r l a u b t i s t o d e r v e r boten werden kann. E II J4, 55 Abs. i ; P i j j 8 f f . i. d. F. des Rechtseinheitsges. v. }. }. 53 (BGBl. I 33).

Anm. 1 Bei Z u l a s s u n g einer m a n g e l h a f t e n Anmeldung hat die Löschung der Eintragung von Amts wegen zu erfolgen, §§ 142, 148 F G G , wenn hierzu ein schutzwürdiges Interesse gegeben ist. Anm. 2 Die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde bestimmt sich nach Landesrecht. Auch ohne daß Einspruch eingelegt wird, hat das Amtsgericht, wenn der Verein nach öffentlichem Vereinsrecht unerlaubt ist, die Eintragung von Amts wegen zu versagen. Kein Einspruchsrecht steht der Verwaltungsbehörde aus dem Grunde zu, daß der Verein einen wirtschaftlichen Zweck verfolge (RJA 12, 240). Gründe hat die Verwaltungsbehörde für ihren Einspruch anzugeben. Solange er besteht, ist die Eintragung zu unterlassen. Die Notwendigkeit der Angabe von Gründen folgt aus § 62. Anm. 3 Das öffentliche Vereinsrecht ist in der Hauptsache durch RGes. v. 19. 4. 08, ergänzt durch Ges. v. 26. 6. 16 und 19. 4. 17, einheitlich geregelt, für Berlin West gilt das Gesetz über Vereins- und Versammlungsfreiheit v. 29. 5. 50 (VOB1. I 422). Nach § 2 bzw. § 5 dieser Gesetze sind u n e r l a u b t nur solche Vereine, mögen sie politische oder nichtpolitische sein, deren Zwecke den Strafgesetzen zuwiderlaufen, wofür es weniger auf die Bestimmungen in der Satzung als auf das tatsächliche Verhalten des Vereins ankommt. Solche Vereine können polizeilich aufgelöst werden, nach § 3 V O v. 19. 12. 32 insbesondere auch dann, wenn ihr Zweck den §§ 81—86, 127—129 StGB zuwiderläuft. Nach Art. 9 G G sind auch Vereinigungen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, verboten und können deshalb nach den genannten Bestimmungen aufgelöst werden. Weitergehende Beschränkungen sind nach dem durch das G G gewährleisteten Grundsatz der Vereinigungsfreiheit unzulässig, dahingehende Bestimmungen haben keine Geltung mehr.

§ 6 3 E r h e b t die V e r w a l t u n g s b e h ö r d e E i n s p r u c h , s o h a t d a s A m t s g e r i c h t den Einspruch d e m Vorstand mitzuteilen. G e g e n den E i n s p r u c h i s t d e r V e r w a l t u n g s r e c h t s w e g gegeben. E II 55 Abs. 1, 3; P 1 5 5 8 f r , 564ff.; 6 144. Abs. 2 i. d. F. des Rechtseinheitsges. v. 5. 3. 53 (BGBl. I 33).

Anm. 1 Über Einlegung des E i n s p r u c h s s. § 61 Anm. i. Die Gründe des Einspruchs müssen dem Amtsgericht und durch dieses dem Verein mitgeteilt werden (§ 61 Anm. 5). Denn wenn dem Verein das Recht gegeben wird, den Einspruch anzufechten, muß er wissen, aus welchen Gründen der Einspruch erhoben wird. Anm. 2 Der Verein hat das Recht, den E i n s p r u c h anzufechten, für welches Verfahren er als parteifähig anzusehen ist. Wird indes der Verein mit der Klage abgewiesen und damit festgestellt, daß er die Rechtsfähigkeit nicht erlangen kann, so haften die Mitglieder, für deren Rechnung der Rechtsstreit geht, persönlich für die Kosten. Die Anfechtung 159

§§ 6 3 - 6 5

Allgemeiner Teil. Personen

hat im Verwaltungsgerichtsverfahren (vgl. § 44 Anm. 1) zu erfolgen, in welchem nur die G e s e t z m ä ß i g k e i t , nicht die Angemessenheit des Einspruchs nachzuprüfen ist. Auf die im Einspruch angeführten Gründe ist die Nachprüfung nicht beschränkt. Welches Verwaltungsgericht zuständig ist, in welcher Frist und die Form der Anfechtung zu erklären ist, bestimmt das Landesrecht. Eine landesrechtliche Anordnung, daß ein Einspruchs- oder Widerspruchsverfahren dem Verwaltungsstreitverfahren vorherzugehen hat, ist nicht zulässig. § 6 3 Die Eintragung darf, sofern nicht die Verwaltungsbehörde dem Amtsgerichte mitteilt, daß Einspruch nicht erhoben werde, erst erfolgen, wenn seit der Mitteilung der Anmeldung an die Verwaltungsbehörde sechs Wochen verstrichen sind lind Einspruch nicht erhoben oder wenn der erhobene Einspruch endgültig aufgehoben ist. E II j6 Abs. 1; P 1 560, jöjff. Die Eintragung darf mit Rücksicht auf die Möglichkeit des Einspruchs frühestens nach Ablauf von sechs Wochen seit Mitteilung der Anmeldung an die Verwaltungsbehörde (§ 61 Abs. 1) erfolgen. Der Einspruch aber ist auch nach Ablauf dieser Frist noch zulässig, solange nicht die Eintragung vorgenommen ist. Ist die Eintragung vor Ablauf der Frist erfolgt, so hat das Gericht, sofern nicht die Möglichkeit des Einspruchs inzwischen fortgefallen ist, die Eintragung von Amts wegen zu löschen (§§ 15g, 142, 143 FGG). Bis zur Löschung wird der eingetragene Verein (nicht der nach öffentlichem Vereinsrecht unerlaubte), da die Nichteinhaltung der Frist keine nach außen wirkende Ungültigkeit zur Folge hat, als rechtsfähig anerkannt werden müssen. Die Eintragung wirkt rechtsbegründend, wenn der Verein nicht unerlaubt ist. § 6 4 Bei der Eintragung sind der Name und der Sitz des Vereins, der Tag der Errichtung der Satzung sowie die Mitglieder des Vorstandes im Vereinsregister anzugeben. Bestimmungen, die den Umfang der Vertretungsmacht des Vorstandes beschränken oder die Beschlußfassung des Vorstandes abweichend von der Vorschrift des § 28 Abs. 1 regeln, sind gleichfalls einzutragen. E II 56 Abs. 2; P I jöo, j6jff. Die R e c h t s f ä h i g k e i t des Vereins ist dadurch bedingt, daß er in das Vereinsregister eingetragen wird, und zwar muß der Verein hierbei so bezeichnet sein, daß er von anderen unterschieden werden kann. Hierzu ist außer der Angabe des Namens auch die Angabe des Sitzes nötig. Diese Vorschriften sind zwingend. Der Registerrichter kann daher die Berechtigung zur Namensführung prüfen (RG Recht 1919 Nr. 871). Die weiteren über den Inhalt der Eintragung in § 64 gegebenen Vorschriften haben nur die Bedeutung von Ordnungsvorschriften; die betr. Tatsachen sind aus den Registerakten zu ersehen. Uber die Eintragung der Vorstandsmitglieder und der die Vertretung regelnden Bestimmungen s. § 67 Anm. 1. Durch § 71 ist auch die Eintragung einer jeden Änderung der Satzung vorgeschrieben. Darüber hinausgehende Eintragung, z. B. über die Wirksamkeit von Willenserklärungen der Vorstandsmitglieder sind zulässig (KGJ 31 A 220; E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y I 423; a.M. RG 85, 141). Die Satzungsurkunde ist als Anlage des Vereinsregisters bei den Vereinsakten aufzubewahren (§66 Abs. 2). § 6 5 Mit der Eintragung erhält der Name des Vereins den Zusatz „eingetragener Verein". EU 58 Abs. 1; P 1 ¡66ff.

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Vereine

§ 65 Anm. 1, 2 §66

Anm. 1 Die Rechtsfähigkeit ist an die Eintragung, nicht an die Aushändigung der mit der Bescheinigung der Eintragung versehenen Urschrift der Satzung (§ 66 Abs. 2) geknüpft. Die Führung des Zusatzes „eingetragener Verein" ist nicht bloß ein Recht, sondern auch eine P f l i c h t des Vereins, deren mißbräuchliche Unterlassung Schadensersatzansprüche aus § 826 nach sich ziehen kann. Auch bei fremdsprachlichem Vereinsnamen ist der Zusatz „eingetragener V e r e i n " in deutscher Sprache beizufügen ( K G J W 1930, 3772). Für den Rechtsverkehr mit Dritten ist es gleichgültig, unter welcher Bezeichnung der Verein auftritt, wenn nur der Dritte weiß, mit welchem Verein er es zu tun hat. Wegen Unkenntnis der Rechtsfähigkeit des Vereins wird eine Anfechtung des Rechtsgeschäfts nur unter ganz besonderen Umständen im Falle arglistiger Täuschung möglich sein. Uber die Umwandlung des Vereins in einen rechtsfähigen s. § 21 Anm. 1 . Durch die Eintragung wird nicht die Tatsache der Vereinsgründung sondern nur die Tatsache der Anmeldung entsprechenden Inhalts beweiskräftig fest-

gestellt (RGSt. 61, 304).

Anm. 2 Ist unrichtig

ein Verein in das Vereinsregister eingetragen, dessen Zweck nach der Satzung auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, so ist nach § 159 F G G die Löschung in dem durch §§ 142, 143 dieses Ges. geordneten Verfahren von Amts wegen zu bewirken. Wird satzungswidrig von dem eingetragenen Verein in der Hauptsache ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb verfolgt, so kommt § 43 Abs. 2 zur Anwendung ( P r O V G J W 1 9 1 6 , 1 2 8 g 3 ) . Fehler von Eintragungsvoraussetzungen, auch wenn die Eintragung durch Täuschung des Registerrichters erfolgte, können nur auf dem Wege der §§ 159, 142, 143 F G G geltend gemacht werden ( R G 8 1 , 206; H R R 1928 Nr. 1958; Gruchot. 68, 695). Bis zur Löschung behält der Verein die Rechtsfähigkeit (h. M . vgl. E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y I 423).

§ 6 6 Das Amtsgericht hat die Eintragung durch das für seine Bekanntmachungen bestimmte Blatt zu veröffentlichen. Die Urschrift der Satzung ist mit der Bescheinigung der Eintragung zu versehen und zurückzugeben. Die Abschrift wird von dem Amtsgerichte beglaubigt und mit den übrigen Schriftstücken aufbewahrt. E II J7 Abs. 2; P I 567.

Anm. 1 Die Veröffentlichung

der Eintragung (vgl. § 64 Anm. 1) ist durch Ordnungsvorschrift angeordnet, deren Nichtbefolgung jedoch, da sie zum Schutze Dritter gegeben ist, nach § 839 s c h a d e n s e r s a t z p f l i c h t i g macht.Die NichtVeröffentlichung kann von Bedeutung sein für die Frage, ob der Dritte als gutgläubig anzusehen ist (vgl. § 68). — Die Eintragung ist demjenigen, der sie beantragt hat, bekanntzugeben (§ 130 Abs. 2 FGG).

Anm. 2 Die mit der Bescheinigung der Eintragung versehene Urschrift der Satzung erhält der Verein zurück, um einen Ausweis über seine Rechtsfähigkeit in Händen zu haben. Der Verein kann sich eine beglaubigte Abschrift der Eintragung erteilen lassen. Die von dem Amtsgericht zu beglaubigende Abschrift der Satzung bleibt als Beleg bei den V e r e i n s a k t e n (§ 1 5 der A V O des P r J M v. 6. 1. 99, vgl. § 55 Anm. 2), zu denen auch die sonstigen als Beleg einzureichenden Urkunden (§§ 59 Abs. 2 Nr. 2, 71 Abs. 1, 72, 76 Abs. 2) sowie die Urkunden betr. das Entziehungsverfahren und den Einspruch (§§43> 44) 61) zu nehmen sind. II

Komm. z. BGB, u . Aufl. I. Bd. (Denecke)

161

§67

Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 1—3 § 6 7

Jede Änderung des Vorstandes sowie standsmitglieds ist von dem Vorstande Anmeldung ist eine Abschrift der Urkunde Bestellung beizufügen. Die Eintragung gerichtlich bestellter A m t s wegen.

die erneute Bestellung eines Vorzur Eintragung anzumelden. Der über die Änderung oder die erneute Vorstandsmitglieder erfolgt von

E II ¡9; F l $68ff.

Anm. 1 1. D e r S c h u t z des r e d l i c h e n G e s c h ä f t s v e r k e h r s : Die Anmeldung der Vorstandsmitglieder, und zwar sowohl der ursprünglich (§ 64) als der später bestellten — nicht der auch in § 30 erwähnten besonderen Vertreter (a. M. J F G 2, 280) — ist zwingend deshalb vorgeschrieben, weil alle diejenigen, welche mit dem Verein in Verbindung treten wollen, ein Interesse haben, die Namen der Vertreter zu erfahren. Die Anmeldung des neuen Vorstandsmitgliedes ist nötig, auch wenn das frühere Vorstandsmitglied nicht eingetragen gewesen sein sollte. Auch die Eintragung der erneuten Bestellung desselben Vorstandsmitgliedes ist erforderlich, selbst wenn bei der früheren Eintragung eine Amtsdauer nicht angegeben war ( E n n e c c e r u s N i p p e r d e y § 109 V). Auf die Eintragung dürfen sich allerdings D r i t t e , einschließlich der Mitglieder, die in rechtsgeschäftlichen Verkehr mit dem Verein treten — abgesehen von § 69 —, nicht unbedingt verlassen. Nur insofern sind sie nach § 68 geschützt, als eine n i c h t e i n g e t r a g e n e Ä n d e r u n g ihnen gegenüber, ihre Gutgläubigkeit vorausgesetzt, k e i n e W i r k u n g hat. Es gilt auch nicht der Rechtssatz, daß der Dritte die s t a t t g e h a b t e E i n t r a g u n g als bekannt gegen sich gelten lassen muß (vgl. §68 Anm. 1). Es kommt vielmehr hier darauf an, ob dem Dritten trotz der Eintragung und etwaigen Veröffentlichung die Eintragung nach Lage der Sache o h n e sein V e r s c h u l den unbekannt bleiben konnte, was er beweisen muß. Von dem Dritten ist nicht zu verlangen, daß er in allen Fällen unmittelbar vor Vornahme des Rechtsgeschäfts sich über die Person und die Befugnisse der Vorstandsmitglieder durch Einsicht des Vereinsregisters unterrichtet. Der Eintragung in das Vereinsregister kommt somit die gleiche Bedeutung zu wie der Eintragung in das Handelsregister ( § 1 5 Abs. 1 u. 2 HGB, vgl. §29 GenG). Ausgedehnt sind diese Vorschriften durch §70 auf Bestimmungen, welche die Vertretungsmacht des Vorstandes beschränken oder an das Zustandekommen des Vorstandsbeschlusses bei einem aus mehreren Mitgliedern bestehenden Vorstande w e i t e r g e h e n d e als die in §§ 28, 32, 34 bestimmte Anforderungen stellen. Zu beachten ist hierbei, daß diejenigen Beschlüsse, welche eine Änderung der Satzung enthalten, nach § 71 Wirksamkeit erst durch die Eintragung gewinnen, so daß es hier des Schutzes des gutgläubigen Dritten überhaupt nicht bedarf. Geschützt ist in allen diesen Fällen nur der rechtsgeschäftliche Verkehr, also auch die Vornahme einseitiger Rechtsgeschäfte wie Angebot, Kündigung, Mahnung.

Anm. 2 2. Die Pflicht zur Anmeldung der Vorstandsmitglieder: Die Verpflichtung zur

Anmeldung ist s ä m t l i c h e n V o r s t a n d s m i t g l i e d e r n und zwar unabhängig von einer gegenteiligen Bestimmung der Satzung ( R J A 9, 47) als eine von ihnen zu e r f ü l l e n d e Pflicht auferlegt, deren Verletzung sie selbst, nicht den Verein haftbar macht. Daß auch die Anmeldung persönlich erfolgen müsse, folgt hieraus nicht, sie kann auch durch einen Bevollmächtigten vorgenommen werden ( K G Recht 1907 Nr. 1948). — Die Eintragung eines Urteils, durch welches ein Beschluß der Mitgliederversammlung für ungültig erklärt ist (vgl. § 59 Anm. 2 u. 4), findet nicht statt. Das Urteil kann aber dazu Anlaß geben, daß ein Antrag auf Löschung gestellt werden muß.

Anm. 3 3. Das A n m e l d u n g s v e r f a h r e n : Uber das Anmeldungsverfahren s. § 5g Anm. 1 u. 4. Ist aus der Urkunde ersichtlich, daß die Bestellung vorschriftswidrig ist, daß z. B.

162

Vereine

§ 67 A n m . 4 § 68, 69

die satzungsmäßige Ladungsfrist nicht eingehalten ist, so ist die Eintragung abzulehnen. Die Einreichung der die gehörige Ladung nachweisenden Urkunden kann der Registerrichter ohne besonderen Grund nicht verlangen. Die Eintragung der Änderung des Vorstandes ist von dem Vorstande in seiner neuen Zusammensetzung zu beantragen.

Anm. 4 4. Die Eintragung von Amts wegen: Die gerichtliche Bestellung von Vor-

s t a n d s m i t g l i e d e r n (hierzu § 29) ist von Amts wegen einzutragen. Aber auch in anderen Fällen, in denen der einzutragende Rechtsakt unter Mitwirkung des Gerichts stattgefunden hat, ist die Eintragung von Amts wegen herbeizuführen (vgl. §§ 74 Abs. 3, 75, 76 Abs. 3) Da die Verrichtungen aus § 29 und die Verrichtungen des Registerrichters nach der Geschäftsverteilung wohl ausnahmslos in der Hand desselben Richters sich befinden werden, bedarf es im Falle des § 29 zur Herbeiführung der Eintragung nicht erst einer dem Registerrichter zu machenden Anzeige.

§ 6 8 Wird zwischen den bisherigen Mitgliedern des Vorstandes und einem Dritten ein Rechtsgeschäft vorgenommen, so kann die Änderung des Vorstandes dem Dritten nur entgegengesetzt werden, wenn sie zur Zeit der Vornahme des Rechtsgeschäfts im Vereinsregister eingetragen oder dem Dritten bekannt ist. Ist die Änderung eingetragen, so braucht der Dritte sie nicht gegen sich gelten zu lassen, wenn er sie nicht kennt, seine Unkenntnis auch nicht auf Fahrlässigkeit beruht. E H 60 Abs. 1 ; P 1 569.

5. 67 Anm. 1 — ö f f e n t l i c h e n G l a u b e n in dem Maße, wie das Grundbuch, genießt das Vereinsregister nicht. Der Inhalt des Registers gilt also nicht ohne weiteres zugunsten des Dritten, der mit dem Verein ein Rechtsgeschäft vornimmt und die Unrichtigkeit nicht gekannt hat, als richtig. In beschränktem Maße ist der Dritte durch § 68 geschützt. — Auf nicht eingetragene Vereine bezieht sich § 68 nicht.

§ 6 9

Der Nachweis, daß der Vorstand aus den im Register eingetragenen Personen besteht, wird Behörden gegenüber durch ein Zeugnis des Amtsgerichts über die Eintragung geführt. E II 60 Abs. 2; P 1 569.

Ohne diese Vorschrift würde die Behörde genötigt sein, sich die gehörige Bestellung der Vorstandsmitglieder durch Vorlegung der Urschrift der hierüber aufgenommenen Verhandlung — § 67 fordert nur die Einreichung einer Abschrift — und durch Vorle'gung sonstiger Urkunden nachweisen zu lassen. Dieser Nachweis wird durch das Eint r a g u n g s z e u g n i s ersetzt. Auf die Richtigkeit der Eintragung dürfen sich die Behörden übrigens auch dann verlassen, wenn das in § 69 vorgesehene Zeugnis nicht erteilt ist. P r i v a t p e r s o n e n haben dagegen, soweit nicht die §§ 67,68, 71 ihnen zustatten kommen, die Berechtigung selbständig zu prüfen, sie können Vorlegung der Bestellungsurkunde verlangen. Das Eintragungszeugnis ist für sie insofern von Wert, als sie bei Vorlegung des Zeugnisses gegen den Vorwurf einer fahrlässigen Unkenntnis der Eintragung (§ 68) gesichert sind. Mit dem Eintragungszeugnis wird übrigens auch die Behörde sich nicht begnügen dürfen, wenn dringende Bedenken gegen seine Richtigkeit, z. B. weil das Zeugnis vor langer Zeit ausgestellt ist, zu erheben sind. Der § 69 hat immer nur die Bedeutung einer Beweisvorschrift für den Verkehr mit Behörden, welche die Führung des Gegenbeweises nicht ausschließt, nicht eine materiellrechtliche Bedeutung. Uber den Nachweis der Vertretungsbefugnis im Grundbuchverfahren s. K G H R R 1929 Nr. 1089.

163

§ § 7 0 , 71

Allgemeiner Teil. Personen § 7 0

Die Vorschriften des § 68 gelten auch für B e s t i m m u n g e n , die den U m f a n g der Vertretungsmacht des Vorstandes beschränken oder die Beschlußfassung des Vorstandes abweichend von der Vorschrift des § 28 Abs. 1 regeln. Ell 60 Abs. 3; P i 569. S. §67 Anm. 1. § 68 Abs. i kann sich nur auf Bestimmungen der ursprünglichen Satzung über Beschränkung der Vertretungsmacht (§ 26 Abs. 2) oder die Form der Beschlußfassung des Vorstandes (§ 28 Abs. 1) beziehen, da spätere diesbezügliche Änderungen erst durch die Eintragung gemäß § 71 wirksam werden. Ein allgemeiner Hinweis über Satzungsänderungen genügt aber in diesen beiden Fällen nicht (BGH 18, 103). § 7 1 Änderungen der Satzung bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Eintragung in das Vereinsregister. Die Änderung ist v o m Vorstande zur Eintragung anzumelden. Der Anmeldung ist der die Änderung enthaltende Beschluß in Urschrift und Abschriften beizufügen. Die Vorschriften der §§ 60 bis 64 und d e s § 66 Abs. 2 finden entsprechende Anwendung. Ell 61; P 1 569 fr. Anm. 1 1. Der konstitutive Charakter der Eintragung: Eine jede Änderung der Satzung, die sachlicher Natur ist, also offensichtlich nicht bloß eine reine Fassungsänderung oder eine Neufassung bedeutet, muß eingetragen werden, widrigenfalls sie in jeder Beziehung sowohl für das Rechtsverhältnis nach innen, wie nach außen der Wirksamkeit entbehrt (BGH 23, 123). Ist die Eintragung erfolgt, so erlangt die Satzungsänderung — unbeschadet der Vorschriften über den Schutz des redlichen Dritten (vgl. § 68) — schon von der Zeit an Wirksamkeit, wo sie beschlossen ist. Zur Satzung gehören nicht bloß die Bestimmungen der als Satzung bezeichneten Urkunde, sondern alle die Verfassung des Vereins betreffenden Bestimmungen, auch wenn die Urkunde hierüber nicht, wie es nach Vorschrift des § 59 hätte geschehen sollen, bei Anmeldung des Vereins eingereicht worden ist (vgl. § 25 Anm. 2, § 59 A 2). Die Eintragung geschieht nach Maßgabe der von dem Bundesrat genehmigten Bestimmungen über die Führung des Vereinsregisters (AVO d. PrJM v. 6. 11. 99, v gl- §55 Anm. 2 und Art. 18 der AVO) in der Weise, daß, sofern nicht dieÄnderung die in §§ 64, 67 Abs. 1 und 76 Abs. 1 bezeichneten Bestimmungen betrifft, eine k u r z e Bez e i c h n u n g des G e g e n s t a n d e s genügt, was mit § 71 nicht im Widerspruch steht (BGH 18,103 (s. o. § 70), vgl. RG WarnRspr. 1933 Nr. 90). Der nähere Inhalt ist aus dem bei den Vereinsakten befindlichen Beschlüsse zu ersehen. Einzutragen ist auch der Tag des die Satzung ändernden Beschlusses. Von der Einhaltung der Vorschriften des § 71 Abs. 1 und 2 kann sich der Verein nicht selbst befreien, indem er sich in der Satzung formfreie und der amtlichen Prüfung nicht unterliegende Satzungsänderungen vorbehält (RG 88, 402). Anm. 2 2. Das Anmeldungsverfahren: Das Anmeldungsverfahren bestimmt sich nach den für die Anmeldung der Errichtung des Vereins gegebenen Vorschriften (§§ 60—64, 66 Abs. 2, vgl. auch § 59). Der der Anmeldung in Urschrift beizufügende Beschluß ist der nach Vorschrift des § 58 Nr. 4 beurkundete Beschluß. Nicht erforderlich ist, daß der Beschluß selbst von dem Vorstande unterzeichnet ist. Bei einer beabsichtigten Umwandlung des Vereinszwecks in einen wirtschaftlichen kann in der Weise verfahren werden, daß die nach § 22 erforderliche Verleihung von der Verwaltungsbehörde im v o r a u s erteilt wird, so daß der Verein als ein rechtsfähiger trotz der Löschung im

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Vereine

§§ 72-74

Vereinsregister bestehen bleibt, doch dürfte auch die staatliche Genehmigung zur Satzungsänderung ausreichen. Die Veröffentlichung der Satzungsänderung (vgl. § 66 Abs. i) ist nicht vorgeschrieben. Gegen die Ablehnung der beantragten Eintragung von Änderungen ist die s o f o r t i g e B e s c h w e r d e zulässig ( K G Recht 1 9 1 5 Nr. 1477). § 7 3 Der V o r s t a n d h a t d e m A m t s g e r i c h t a u f d e s s e n V e r l a n g e n jederzeit eine v o n i h m vollzogene B e s c h e i n i g u n g ü b e r die Z a h l d e r V e r e i n s m i t g l i e d e r einzureichen. D a nach § 3 des R V e r G v. 19. 4. 08 ( R G B l . 1 5 1 ) die politischen Vereine zur Einreichung eines Mitgliederverzeichnisses nicht mehr verpflichtet sind, ist dementsprechend die ursprüngliche Fassung des § 72, wonach die Einreichung eines Verzeichnisses der Vereinsmitglieder gefordert werden konnte, dahin geändert worden, daß allgemein nur die Einreichung einer B e s c h e i n i g u n g über die Zahl der Mitglieder (vgl. § 73) verlangt werden kann ( R G B l . 08, 156). — Ordnungsstrafen § 78. § 7 3 Sinkt die Zahl d e r V e r e i n s m i t g l i e d e r u n t e r d r e i h e r a b , so h a t d a s A m t s g e r i c h t a u f A n t r a g des V o r s t a n d e s und, wenn d e r A n t r a g nicht binnen drei M o n a t e n gestellt w i r d , von A m t s w e g e n n a c h A n h ö r u n g des V o r s t a n d e s d e m Vereine die R e c h t s f ä h i g k e i t zu entziehen. D e r B e s c h l u ß ist d e m Vereine zuzustellen. Gegen den B e s c h l u ß findet die s o f o r t i g e B e s c h w e r d e n a c h den V o r s c h r i f t e n d e r Zivilprozeßordnung s t a t t . D e r Verein v e r l i e r t die Rechtsfähigkeit m i t d e r R e c h t s k r a f t des B e s c h l u s s e s . EU 63; P I J70, 571. Eine jede Verminderung der in § 56 zur Vereinserrichtung vorgeschriebenen Mindestzahl von 7 Mitgliedern hat den Verlust der Rechtsfähigkeit noch nicht zur Folge, da sonst ein von 7 Mitgliedern errichteter Verein jeden Augenblick Gefahr laufen würde, die Rechtsfähigkeit wieder einzubüßen. Mit der Entziehung der Rechtsfähigkeit kann erst vorgegangen werden, wenn zur Zeit w e n i g e r a l s 3 Mitglieder vorhanden sind. Auch hat das Amtsgericht, falls nicht die Auflösung von dem Vorstande beantragt wird, eine Frist von 3 M o n a t e n abzuwarten, um dem Vereine die Möglichkeit zu geben, die Zahl wieder auf mindestens 3 Mitglieder zu erhöhen, und hat erst dann, und zwar nach Anhörung des Vorstandes, die Entziehung der Rechtsfähigkeit auszusprechen, falls auch in diesem Zeitpunkt die Mindestzahl nicht erreicht ist. J e d o c h wird, wenn die demnächstige Wiedererreichung der vorgeschriebenen Zahl in sicherer Aussicht steht, das Amtsgericht von der Entziehung der Rechtsfähigkeit absehen können. Ist der dem Vorstande — der für dieses amtliche Verfahren nötigenfalls unter entsprechender Anwendung von § 29 von Amts wegen zu bestellen ist — zuzustellende Beschluß rechtskräftig geworden, so schließt sich nach § 47 das Liquidationsverfahren an. Für das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gelten auch hier wie in den Fällen des § 60 Abs. 2 die Vorschriften der Z P O . Die Zuständigkeit des über die weitere Beschwerde entscheidenden Gerichts bestimmt sich, da eine Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Frage steht, nach §§ 28, 199 F G G ( R G 84, 158). — Wenn die Mitgliederzahl auf 1 sinkt, ist das Fortbestehen des Vereins rechtlich nicht mehr möglich, vgl. § 41 Anm. 2. § 7 4 Die Auflösung des Vereins sowie die E n t z i e h u n g d e r R e c h t s f ä h i g k e i t ist in d a s V e r e i n s r e g i s t e r e i n z u t r a g e n . I m F a l l e d e r Eröffnung des K o n k u r s e s u n t e r bleibt die E i n t r a g u n g . W i r d d e r Verein d u r c h B e s c h l u ß d e r M i t g l i e d e r v e r s a m m l u n g o d e r d u r c h den A b l a u f d e r f ü r die D a u e r des Vereins b e s t i m m t e n Zeit aufgelöst, s o h a t 165

§ 74 A n m . 1—4 § § 7 5 , 76

Allgemeiner Teil. Personen

d e r V o r s t a n d die A u f l ö s u n g z u r E i n t r a g u n g a n z u m e l d e n . D e r A n m e l d u n g i s t i m e r s t e r e n F a l l e eine A b s c h r i f t des A u f l ö s u n g s b e s c h l u s s e s b e i z u f ü g e n . W i r d d e m V e r e i n auf G r u n d des § 4 3 die R e c h t s f ä h i g k e i t entzogen o d e r w i r d d e r V e r e i n auf G r u n d des ö f f e n t l i c h e n V e r e i n s r e c h t s a u f g e l ö s t , so e r f o l g t die E i n t r a g u n g a u f A n z e i g e d e r z u s t ä n d i g e n B e h ö r d e . E II 64; P 1 576C

Anm. 1 1. Die E i n t r a g u n g d e r A u f l ö s u n g : Wird die Auflösung des Vereins von der Mitgliederversammlung beschlossen, so ist dieser Beschluß, und zwar auch in dem Falle, daß ein Liquidationsverfahren nicht eintritt (§ 46), in das Vereinsregister einzutragen. Dem Vorstande liegt es ob, die Eintragung unter Beifügung einer Abschrift des Beschlusses zu beantragen. Der Vorstand hat auch, wenn der Verein durch Ablauf der in der Satzung bestimmten Zeitdauer, durch Eintritt der in der Satzung vorgesehenen auflösenden Bedingungen oder aus andern Gründen (s. § 41 Anm. 2) aufgelöst ist, die Eintragung zu beantragen. Nötigenfalls ist zu diesem Zwecke, da die Eintragung vom Amts wegen nicht zulässig ist, ein Vorstand nach § 29 vom Gericht zu bestellen (vgl. § 73 A 1). Ausnahmsweise darf, wenn die Auflösung des Vereins durch den Wegfall sämtlicher Mitglieder verursacht ist, die Auflösung von Amts wegen eingetragen werden (h. M.). Die Vorschrift des § 50 über die Pflicht der Liquidatoren zur öffentlichen Bekanntmachung der Auflösung bleibt unberührt. Anm. 2 2. Das V e r f a h r e n bei Entziehung d e r R e c h t s f ä h i g k e i t : Der Auflösung des Vereins ist, was die Eintragungspflicht betrifft, die Entziehung der Rechtsfähigkeit (§ 43) gleichgestellt. Die Eintragung ist von der Behörde, welche die Entziehung ausgesprochen hat, durch Anzeige bei dem Registerrichter herbeizuführen. In gleicher Weise ist zu verfahren, wenn der Verein nach ö f f e n t l i c h e m V e r e i n s r e c h t (vgl. § 61 Anm. 2) polizeilich aufgelöst ist. Anm. 3 3. D e r K o n k u r s des V e r e i n s : Im Falle der K o n k u r s e r ö f f n u n g wird diese Tatsache bereits gemäß § 75, und zwar, da es sich um ein amtliches Verfahren handelt, von Amts wegen eingetragen, so daß es der Eintragung der Rechtsfolge des Verlustes der Rechtsfähigkeit (vgl. §42 Anm. 1) nicht bedarf. Anm. 4 4. F o r t b e s t e h e n d e s V e r e i n s : Der Verein kann auch nach Entziehung der Rechtsfähigkeit als nichtrechtsfähiger fortbestehen (vgl. R G J W 1935, 3636; 1936, 2036; a. M. E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y I 451, wonach der Beschluß der Mitglieder auf Fortsetzung eine Neubegründung eines nicht rechtsfähigen Vereins bedeutet). § 7 5 Die E r ö f f n u n g d e s K o n k u r s e s i s t v o n A m t s w e g e n e i n z u t r a g e n . D a s gleiche gilt v o n d e r A u f h e b u n g des E r ö f f n u n g s b e s c h l u s s e s . E II 65; P 1 J76C; 6 118.

Vgl § 74 Anm. 3. § 7 6 Die L i q u i d a t o r e n s i n d in d a s V e r e i n s r e g i s t e r e i n z u t r a g e n . D a s gleiche gilt v o n B e s t i m m u n g e n , w e l c h e die B e s c h l u ß f a s s u n g d e r L i q u i d a t o r e n a b w e i c h e n d v o n d e r V o r s c h r i f t des § 48 A b s . 3 r e g e l n . Die A n m e l d u n g h a t d u r c h den V o r s t a n d , bei s p ä t e r e n Ä n d e r u n g e n d u r c h die L i q u i d a t o r e n zu e r f o l g e n . D e r A n m e l d u n g d e r d u r c h B e s c h l u ß d e r M i t g l i e d e r v e r s a m m l u n g b e s t e l l t e n L i q u i d a t o r e n i s t eine A b s c h r i f t des B e 166

Vereine

§ 76 A n m . 1—3 § § 77, 78 A n m . 1

Schlusses, der Anmeldung einer Bestimmung über die Beschlußfassung der Liquidatoren eine Abschrift der die B e s t i m m u n g enthaltenden Urkunde beizufügen. Die Eintragung gerichtlich bestellter Liquidatoren geschieht von A m t s wegen. E n 66; P i j76ff.

Anm. 1 Die Liquidatoren haben die rechtliche Stellung des Vorstandes (§ 48 Abs. 2). Hinsichtlich der Eintragungspflicht gilt deshalb das gleiche, was für die Vorstandsmitglieder bestimmt ist (s. § 67 Anm. 1). Die Liquidatoren sind auch in dem Falle einzutragen, daß die bisherigen Vorstandsmitglieder (§ 48 Abs. 1) als Liquidatoren eintreten. Durch die Eintragung wird in diesem Falle kenntlich gemacht, daß der Verein in Liquidation getreten ist. Wird die Vorschrift des § 48 Abs. 3, daß m e h r e r e L i q u i d a t o r e n gemeinschaftlich handeln müssen, durch Satzungsbestimmung oder Beschluß der Mitgliederversammlung geändert, wodurch die Vertretungsmacht erweitert wird, so soll dies eingetragen werden, auch wenn es sich nicht um eine nach § 71 unbedingt einzutragende Änderung der Satzung handelt. — §§ 68—70 finden entsprechende Anwendung. Anm. 2 Uber das Anmeldungsverfahren vgl. § 59 Anm. 1 u. 4. Die Anmeldung der ersten Liquidatoren und des vor Beginn des Liquidationsverfahrens über Änderung des nach § 48 Abs. 3 gefaßten Beschlusses gehört noch zu den Aufgaben des Vorstandes. Anm. 3 Vgl. § 67 A 3. § 7 7 Die Anmeldungen zum Vereinsregister sind von den Mitgliedern des Vorstandes sowie von den Liquidatoren mittels öffentlich beglaubigter Erklärung zu bewirken. E II 67; P I 576ff.; j 163, 164.

§ 77 entspricht der Bestimmung des § 12 HGB. Als öffentlich beglaubigte Erklärung (vgl. § 129) ist nach §§ 159, 128 FGG auch die Erklärung anzusehen, die zu Protokoll des Urkundsbeamten des Registergerichts erfolgt. Wird die Erklärung von einem B e v o l l m ä c h t i g t e n abgegeben (s. hierüber §59 Anm. 1), so hat dieser durch Vorlegung einer öffentlich beglaubigten Vollmacht sich auszuweisen (RJA 4, 31). Der die Beglaubigung bewirkende Notar gilt nach §§ 159, 129 FGG als ermächtigt, die in der Erklärung bezeichnete Eintragung zu beantragen. § 7 8 Das Amtsgericht kann die Mitglieder des Vorstandes zur Befolgung der Vorschriften d e s § 67 Abs. 1, d e s § 71 Abs. 1, d e s § 72, d e s § 74 Abs. 2 und des § 76 durch Ordnungsstrafen anhalten. In gleicher Weise können die Liquidatoren zur Befolgung der Vorschriften des § 76 angehalten werden. E II 68; P 1 577ff- S. z des Abs. I gestrichen durch Rechtseioheitsges. v. J. 3. JJ.

Anm. 1 Die Verpflichtung der Vorstandsmitglieder und Liquidatoren, die erforderlichen Eintragungen zu beantragen, sowie die Verpflichtung der ersteren zur Ausstellung der in § 72 bezeichneten Bescheinigung wird durch Ordnungsstrafen für den einzelnen Fall erzwungen. Das Verfahren bestimmt sich gemäß § 159 FGG nach den §§ 132—139, 127 das. Wird der unter Androhung von Ordnungsstrafe gemachten Auflage nicht frist-

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§ 78 A n m . 2

Allgemeiner Teil. Personen

§§ 79, 80 Anm. 1 gerecht entsprochen, auch nicht innerhalb der Frist Einspruch erhoben, so wird die angedrohte Strafe festgesetzt und die Aufforderung unter Androhung n e u e r Ordnungsstrafen wiederholt. Das Ordnungsstrafverfahren richtet sich nicht gegen den Vorstand als solchen, sondern gegen die e i n z e l n e n M i t g l i e d e r , die persönlich verantwortlich sind. Nur diese, nicht der Verein, sind beschwerdeberechtigt. Eine Beitreibung aus dem Vereinsvermögen findet nicht statt (KGJ 26 A 232).

Anm. 2 Die Ordnungsstrafe kann jetzt 1 bis 1000 D M betragen (Art. II Abs. 2 V O v. 6. 2. 24 und Art. X I V Abs. 2 [RGBl. I 44] und § 2 V O v. 12. 12. 24 das. S. 775). Eine Umwandlung in eine Freiheitsstrafe findet nicht statt. § 7 9 Die Einsicht des Vereinsregisters sowie der von dem Vereine bei dem Amtsgericht eingereichten Schriftstücke ist jedem gestattet. Von den Eintragungen kann eine Abschrift gefordert werden; die Abschrift ist auf Verlangen zu beglaubigen. E n 69; p 1 578; 6 118,182. Die Einsicht des Vereinsregisters ist wie die des Handelsregisters (§ 9 HGB) unbeschränkt gestattet, ebenso die Einsicht der als Beleg zu den Vereinsakten eingereichten Urkunden. Das Recht der Einsicht kann auch durch einen Bevollmächtigten oder unter Zuziehung eines Beistandes ausgeübt und es können Notizen angefertigt werden. Anerkannt ist auch das Recht, eine einfache oder beglaubigte A b s c h r i f t d e r E i n t r a g u n g e n und ein Zeugnis über N i c h t v o r h a n d e n s e i n e i n e r b e s t i m m t e n E i n t r a g u n g (§162 F G G ) zu fordern. Der Nachweis eines Interesses ist nicht nötig. Eine Abschrift der Urkunden kann dagegen nach allgemeinen Grundsätzen (§ 34 F G G , vgl. § 9 Abs. 2 HGB) nur verlangt werden, wenn ein berechtigtes Interesse dargetan wird. V g l . § 69 (Zeugnis über die Eintragung in dem dort bestimmten Falle). II. Stiftungen § 8 0 Zur Entstehung einer rechtsfähigen Stiftung ist außer dem Stiftungsgeschäfte die Genehmigung des Bundesstaates erforderlich, in dessen Gebiete die Stiftung ihren Sitz haben soll. Soll die Stiftung ihren Sitz nicht in einem Bundesstaate haben, so ist die Genehmigung des Bundesrats erforderlich. Als Sitz der Stiftung gilt, wenn nicht ein anderes bestimmt ist, der Ort, an welchem die Verwaltung geführt wird. E I 58 Satz 1, 59 ,62 Abs. I II 70; M I 118ff; P 1 585 ff. Ü b ersieht 1. Die Arten der Stiftung a) Die selbständige Stiftung b) Die unselbständige Stiftung • c) Die Familienstiftung d) Das Sammelvermögen e) Sonstige Stiftungen 2. Das Stiftungsgeschäft 3. Die staatliche Genehmigung 4. Zuständigkeit für die Genehmigungserteilung

Anm-

i 2, 3 4 5 6 7 8, 9 10

1. Die Arten einer Stiftung Anm. 1 a) Die selbständige Stiftung : Der Stiftung liegt keine Personenmehrheit, sondern eine r e c h t l i c h e O r g a n i s a t i o n z u r D u r c h f ü h r u n g d e s S t i f t e r w i l l e n s z u -

168

Stiftungen

§80

Anm. 2—4 g r ü n d e . Sie ist auch kein Zweckvermögen, das nur Rechtsobjekt sein und zeitweise fehlen kann. Die rechtsfähige Stiftung ist eine Organisation zur Verwirklichung bestimmter Zwecke, die die Fähigkeit besitzt, selbständig Träger von Rechten und Verbindlichkeit zu sein, aber zur Entstehung der staatlichen Genehmigung bedarf.

Anm. 2 b) Die u n s e l b s t ä n d i g e S t i f t u n g : Von ihr unterscheidet sich die der staatlichen Genehmigung nicht bedürfenden u n s e l b s t ä n d i g e n (fiduziarischen) S t i f t u n g , bei welcher das Vermögen durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden oder durch Verfügung von Todes wegen dem Fiduziar, in der Regel einer bereits bestehenden juristischen Person (Stadtgemeinde, Kirche usw.) mit der A u f l a g e zugewandt ist, es zu dem stiftungsmäßigen Zwecke zu verwenden (vgl. R G 88, 339; WarnRspr. 1927 Nr. 155 und über die Notwendigkeit, daß die Zuwendung ohne jede Änderung angenommen wird, R G WarnRspr. 1921 Nr. 120). Der Fiduziar wird Eigentümer des Vermögens. Es kann hierbei, ohne daß die Stiftung den Charakter einer unselbständigen verliert, auch bestimmt sein, daß dieses Vermögen von dem sonstigen Vermögen der juristischen Person g e t r e n n t zu halten und b e s o n d e r s zu v e r w a l t e n ist, was insofern Bedeutung hat, als das Vermögen nicht seinem Zweck durch Zugriff von Privatgläubigern des Fiduziars oder durch Heranziehung in dessen Konkursmasse entfremdet werden kann und als die Haftung des Fiduziars, falls ihn kein Verschulden trifft, sich auf die Mittel dieses Sondervermögens beschränkt, R G J W 1929, 3056. Die juristische Person ist bei der unselbständigen Stiftung schuldrechtlich verbunden, die Auflage zu erfüllen (vgl. § 2194). Der Gesichtspunkt der Auflage schließt nicht aus, daß den bedachten Personen nach dem Willen des Stifters ein klagbares Recht auf die Stiftungsbezüge zukommen kann (vgl. § 85 Anm. 2). Das Reichsgericht will freilich bei letztwilliger Zuwendung ein solches Recht nur anerkennen, wenn die Auflage als ein dem Vermächtnis an die juristische Person auferlegtes Untervermächtnis aufzufassen ist, und nur mit den für Vermächtnisse (§2162) geltenden Beschränkungen (RG WarnRspr. 1917 Nr. 148; L Z 1923, 454 2 ). Das Rechtsverhältnis kann auch so gestaltet sein, daß in bezug auf Erfüllung der Auflage nur eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung besteht, die dem Zuwender als genügende Sicherheit erscheinen kann. Die in § 3 Nr. 1 u. 2 des PrGes.v. 20.6.1975 über Vermögensverwaltung in katholischen Kirchengemeinden aufgeführten Gegenstände des kirchlichen Vermögens bilden im Gegensatz zu Nr. 5 keine selbständige Stiftung.

Anm. 3 Die in §§80 ff. für die rechtsfähigen Stiftungen gegebenen Vorschriften

finden auf unselbständige Stiftungen keine, auch keine entsprechende A n w e n d u n g (RG 105, 305). Die Genehmigung des § 80 wird nur zur Erlangung der Rechtsfähigkeit gefordert. Eine dem § 81 entsprechende Formvorschrift ist für unselbständige Stiftungen, um deren Errichtung nicht zu erschweren, geflissentlich abgelehnt (Prot. 2, 33f.). Die unselbständige Stiftung bleibt in Abhängigkeit von dem Zuwendungsgeschäft. Nach der Natur dieses Rechtsgeschäfts (Schenkung unter Auflage, falls die Zuwendung als Schenkung anzusehen ist, Leistung zu einem Zweck usw.) bestimmt es sich, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Rückforderungsrecht des Zuwenders wegen Nichterfüllung des Zweckes gegeben ist (RG a.a.O.). Über die Reduktion der Stiftung wegen der Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse s. Bonner Festgabe fürZitelmann S. 373 ff., vgl. a u c h R G 1 1 2 , 210. Eine Stiftung einzelner Sachen, die zur allgemeinen Benutzung bestimmt sind (Stiftung einer Ruhebank, eines Rettungsbootes, eines Aussichtsturms usw.), wird meist nur in der Form einer unselbständigen Stiftung vorkommen (vgl. R G 8 8 , 339; K o h l e r in ArchBürgR 3, 289). Uber Begründung eines öffentlichen Gebrauchsrechts durch Widmung eines Grundstücks zu Schulzwecken s. R G 74, 55.

Anm. 4 c) Die F a m i l i e n s t i f t u n g : Familienstiftungen sind Stiftungen, die ausschließlich oder vornehmlich dem Wohle der Angehörigen einer oder mehrerer bestimmter Familien dienen sollen. Sie verlieren ihren Charakter nicht dadurch, daß nach der Stiftungsurkunde

169

§80

Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 5—7 die Bezüge unter gewissen Umständen, z. B. Fehlen geeigneter Familienangehöriger oder nach einer gewissen Zeit, noch einer Anzahl Generationen auch anderen Personen zufallen sollen (vgl. über reine und gemischte FamilienstiftungenRG82,197,394; WarnRspr. 1912 Nr. 236; Gruchot. 49, 1 1 4 3 ; K G J 3 8 A 98; J W 1932, 377; J M B 1 . 1915, 262). Der mit einem Familienfideikommiß verbundene Familienfonds, der zur Unterstützung der übrigen Familienmitglieder dient, war nicht eine Familienstiftung (RG 82, 395). Das BGB hatte keine Bestimmungen für Familienstiftungen getroffen. Sie fanden sich nur in dem Landesrecht, insbesondere in Art. 1 des PrAGBGB, das insbesondere die Aufsicht und die Befugnisse der Familie zu Änderung der Satzung und Aufhebung der Stiftung regelt. Diese Bestimmungen wurden durch das Gesetz über Änderungen von Stiftungen v. 10. 7. 24 ergänzt, das die Anpassung der Stiftungen an die Folgen der Inflation auch durch die Aufsichtsbehörde ermöglichen sollte. Durch Reichsverordnung v. 17. 5. 1940 (RGBl. I 806) wurden die Vorschriften der Gesetze über die Auflösung von Familienfideikommisse v. 29. 6. 35 (RGBl. I 785) V O v. 28. 6. 38 (RGBl. I 698) auf Familienstiftungen ausgedehnt und diese verpflichtet, ihre land- und forstwirtschaftlichen Grundstücke bis zum 1. 1. 45 zu veräußern. Nachdem diese Frist mehrmals verlängert worden waren, bestimmt nunmehr das Bundesgesetz v. 28. 12. 50 (BGBl. 820), daß die Frist bis auf weiteres läuft und die Länder den Ablauf der Frist bestimmen können.

Anm. 5 d) D a s S a m m e l v e r m ö g e n : Zu unterscheiden ist ferner von der Stiftung das aus Beiträgen einer Mehrheit von Personen gebildete Sammelvermögen, das zur Erfüllung einer vorübergehenden Aufgabe, wie zur Errichtung eines Denkmals, zur Verwendung für Unterstützungen in einem bestimmten Unglücksfalle, einem A u s s c h u ß oder einem einzelnen Treuhänder anvertraut wird. Die rechtliche Konstruktion ist streitig (s. E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y I 468). Als eine eigentliche juristische Person ist das Sammelvermögen nicht anzusehen. Es handelt sich aber um ein s t i f t u n g s ä h n l i c h e s Gebilde. Die zusammengebrachten Mittel gehören der aus den Spendern bestehenden Vereinigung, ohne daß diese jedoch hierüber verfügen können; eine Schenkung an die S a m m l e r oder deren Vereinigung liegt nicht vor (RG vgl. 62, 391). Von ihnen wird, und zwar in der Regel durch einen Ausschuß (Treuhänder), das Sammelvermögen fiduziarisch verwaltet. Die Sammlung kann aber auch schon vor Vorhandensein eines Ausschusses in dem Sinne veranstaltet werden, daß ein später sich bildender Ausschuß (Zentralausschuß) die Verwaltung übernimmt oder den Spendern die Befugnis zur Wahl des Ausschusses vorbehalten bleibt. Soweit es zur Erreichung des bestimmungsmäßigen Zweckes erforderlich, ist der Ausschuß befugt, Schuldverbindlichkeiten einzugehen, durch die das Sammelvermögen als solches belastet wird. Von den Gläubigern der Beitragenden kann das Sammelvermögen, da letztere zur Verfügung hierüber nicht befugt sind, nicht gepfändet werden. Sind die zur Verwaltung und Verwendung berufenen Personen weggefallen, so kann für diese Zwecke nach § 1914 ein P f l e g e r bestellt werden.

Anm. 6 e) S o n s t i g e S t i f t u n g e n : Uber Waldstiftungen und Waldgutstiftungen bei der Auflösung von Familiengütern und Hausvermögen (§ 9b P r F G V v. 30.12.20, § 12, 14—16 ZwAuflV v. ig. 11.20) vgl. Zeitschr. f. Agrar- u. Wasserrecht 1.Jahrg. S. 169ff.; Gruchot. 70, 387fr.; über m i l d e S t i f t u n g e n R G 80, 145; J W 1091, 9 5 " , über mehrere Betriebe eines Stiftungsunternehmens R G J W 1929, 3056 2 . Ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e Stiftungen (vgl. §§ 87 Anm. 2, 89) sind die durch einen Staatsakt (z. B. Gesetzgebungsakt) begründeten; beruhen sie auf einen Privatrechtsgeschäft, so sind sie öffentlich-rechtlich, wenn sie vermöge ihrer besonderen Beschaffenheit dem Organismus des Staates, der Kirche oder anderer öffentlich-rechtlicher Verbände eingefügt sind (Prot. 1, 586). Vgl. Anm. 2 vor § 2 1 .

Anm. 7 2. D a s S t i f t u n g s g e s c h ä f t : dazu s. § 81 Anm. 1.

170

Stiftungen

§ 80 A n m . 8—10 §81

Anm. 8 3. Die staatliche G e n e h m i g u n g : Zur Entstehung der rechtsfähigen Stiftung kann die staatliche Genehmigung nicht entbehrt werden, da der Wille des Stifters (abgesehen von § 87) unabänderlich die für die Verwaltung maßgende Norm bildet und damit ein Teil des Volksvermögens für alle Zukunft festgelegt wird. Nicht erforderlich ist nach Reichsrecht, daß die Stiftung nach ihrer Zweckbestimmung im wesentlichen dem öffentlichen Interesse dient. Infolge der Notwendigkeit der Genehmigung hat es aber der Staat in der Hand, nur solche Stiftungen zuzulassen, deren Zwecke mit dem Allgemeininteresse im Einklang stehen und die hinreichend mit Vermögen ausgestattet sind. Ausnahmsweise hat nach Art. 1 PrAGBGB bei Familienstiftungen, das die Genehmigung erteilende Gericht nur formell zu prüfen, ob die Stiftungsurkunde deutlich und bestimmt gefaßt ist und ausreichende Bestimmungen über die Bestellung eines Vorstandes enthält.

Anm. 9 Voraussetzung der staatlichen G e n e h m i g u n g ist nicht nur, daß ein Stiftungsgeschäft vorhanden ist, sondern auch, daß ein Antrag auf Genehmigung von dem Stifter oder mit dessen Willen gestellt ist. Ohne einen solchen Antrag — dessen Mangel derjenige zu beweisen hat, der das Fehlen des Antrags behauptet — ist die erteilte Genehmigung unwirksam, denn dem Stifter kann das Widerrufsrecht nicht ohne seinen Willen entzogen werden — s. auch § 83. Mit der V e r w e i g e r u n g der staatlichen Genehmigung wird das Stiftungsgeschäft hinfällig. Dies schließt aber bei einer Stiftung unter Lebenden nicht aus, daß der Stifter die formell gültige Stiftungserklärung dazu benutzen kann, später von neuem die Genehmigung nachzusuchen. Wird die G e n e h m i g u n g , die ein rechtsgestaltender Staatsakt ist und nicht als eine Gesetzgebungshandlung aufgefaßt werden darf, e r t e i l t , so wird hierdurch, und zwar in dem Augenblick, wo die Genehmigung dem Antragsteller mitgeteilt wird, die Stiftung begründet (vgl. § 81 Abs. 2). Ausnahmsweise ist in § 84 aus praktischen Gründen eine Rückziehung in gewissem Umfange vorgeschrieben. Die Genehmigung hat nicht die Bedeutung, daß etwaige dem Stiftungsgeschäft anhaftende Mängel hierdurch geheilt werden (RG v. 28. 3. 12 V I 398/11). Die vor Erteilung der Genehmigung bestehende Ungewißheit, ob es zur Entstehung der Stiftung kommt, hindert nicht, daß der in der Entwicklung begriffenen Stiftung für den Fall der Entstehung Zuwendungen, und zwar nicht nur vom Stifter, sondern auch von andern Personen gemacht werden können. Nicht unbedingt ausgeschlossen ist, daß die Genehmigung nur auf Zeit oder auf Widerruf erteilt wird. Die Vorschrift, wonach das Vermögen einer öffentlichen Stiftung ohne Genehmigung der staatlichen Aufsichtsbehörde nicht geschmälert werden darf, ist bürgerrechtlich als ein Veräußerungs- und Belastungsverbot aufzufassen (BayObLG in J W 1919, 339I 1 ). — Bis zur Genehmigung besteht ein S c h w e b e z u s t a n d , der Ähnlichkeit mit dem Rechtszustand des nasciturus oder der hereditas jacens hat.

Anm. 10 4. Zuständigkeit für die G e n e h m i g u n g s e r t e i l u n g : Zuständig für die Erteilung der Genehmigung ist das Land, in dessen Gebiet nach Inhalt der Stiftungsurkunde die Stiftung ihren Sitz haben oder, wodurch der Sitz ebenfalls bestimmt wird, die Verwaltung der Stiftung geführt werden soll. Die zuständige Stelle bestimmt sich nach Landesrecht. Die Genehmigung steht — abgesehen von den in Anm. 4 erwähnten Familienstiftungen — regelmäßig der obersten Verwaltungsstelle zu. An Stelle des Bundesrats ist jetzt der Bundesminister des Inneren (vgl. §23 Anm. 1) zuständig für die Erteilung der Genehmigung ausländischer Stiftungen, die Genehmigung ist allerdings nur für das Inland wirksam (RG Gruchot 59, 155). § 8 1

Das Stiftungsgeschäft unter Lebenden bedarf der schriftlichen Form. Bis zur Erteilung der Genehmigung ist der Stifter zum Widerrufe berechtigt. Ist die Genehmigung bei der zuständigen Behörde nachgesucht, so kann

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§81

Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 1, 2 der Widerruf nur dieser gegenüber erklärt werden. Der Erbe des Stifters ist zum Widerrufe nicht berechtigt, wenn der Stifter das Gesuch bei der zuständigen Behörde eingereicht oder im Falle der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung des Stiftungsgeschäfts das Gericht oder den Notar bei oder nach der Beurkundung mit der Einreichung betraut hat. E I 58 Satz 1 u. 2, 62 Abs. 2 II 71 Abs. 1 u. 2; M 1 n8ff.; P x J9iff.; 4 258; 5 443fr; 6 118.

Anm. 1 1. Das Stiftungsgeschäft:

Für die Entstehung einer Stiftung dedarf es zunächst des S t i f t u n g s g e s c h ä f t s , sodann der s t a a t l i c h e n G e n e h m i g u n g . Nach § 83 kann eine Stiftung auch von T o d e s w e g e n errichtet werden. Das Stiftungsgeschäft ist die auf Begründung der Stiftung gerichtete Willenserklärung des Stifters, der hierbei ebensowenig wie bei einer Verfügung von Todes wegen sich vertreten lassen kann (str.). Es handelt sich dabei um eine einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung, und zwar auch dann, wenn sie in einem Vertrag enthalten ist. Die Willenserklärung muß deutlich erkennen lassen, daß eine rechtsfähige Stiftung geschaffen werden soll, muß in genügender Weise den Zweck der Stiftung bezeichnen, muß den Sitz der Stiftung oder, was dem gleichwertig ist, den Ort, wo die Verwaltung der Stiftung zu führen ist, festsetzen, die Mittel zur Erreichung des Stiftungszwecks angeben (Widmung, vgl. Anm. 2) und über die Verwaltung, auch über die Person des Vorstandes Bestimmung treffen. Mängel in der Willenserklärung des Stifters können nicht durch die Aufsichtsbehörde ersetzt werden ( R G 170, 22). Letzteres wenigstens insofern, als der Weg für Bestellung des Vorstandes anzugeben ist (§86 in Verb, mit §26, so auch S t a u d i n g e r - C o i n g §80 Anm. 4; E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y I 469). Uber die Beauftragung des Testamentsvollstreckers s. § 83 Anm. 1. Das Stiftungsgeschäft bildet die notwendige Unterlage für die staatliche Genehmigung und bedarf deshalb — wenn es nicht in einer V e r f ü g u n g v o n T o d e s w e g e n enthalten ist (vgl. § 83), in welchem Falle die hierfür vorgeschriebene Form gewahrt werden muß, s. Anm. 2 a. E. — , einschließlich der zum Stiftungsgeschäft im weiteren Sinne gehörigen V e r m ö g e n s w i d m u n g , der schriftlichen Form, die auch bei Widmung von Grundstücken genügt. Die Stiftung kann durch Vertrag mit einem Dritten errichtet werden, und ebenso kann sich der Stifter einem Dritten gegenüber zur Errichtung der Stiftung verpflichten. Im ersten Fall besteht ein klagbarer Anspruch des Dritten auf Nichtwiderruf, im zweiten kann von ihm auf Vornahme der Errichtung geklagt werden.

Anm. 2 2. Die Vermögenswidmung:

Mit dem Stiftungsakt pflegt die Vermögenswidmung verbunden zu werden. Notwendig ist dies auch bei Errichtung einer S t i f t u n g u n t e r L e b e n d e n . Die Stiftung kann aber, obwohl sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe auf den Besitz von Mitteln angewiesen ist, auch ohne diese als ein vermögensfähiges Rechtssubjekt dann zur Entstehung kommen, wenn sie die erforderlichen Mittel erst durch Zuwendungen dritter Personen erhalten soll. Erst wenn jede Aussicht hierauf weggefallen ist, erlischt die Stiftung. Jedenfalls wird für die durch Verfügung von Todes wegen errichtete Stiftung daran festzuhalten sein, daß ihr gleichzeitig Vermögen zugewandt werden muß. Ungültig ist gemäß § 310 die von dem Stifter oder einem Dritten übernommene Verpflichtung, das künftige Vermögen der Stiftung zu überweisen (vgl. auch hinsichtlich der Verpflichtung zur Errichtung einer Verfügung von Todes wegen § 2302). Die Ungültigkeit dieser Verpflichtung hat gemäß § 139 zugleich die Ungültigkeit eines durch dasselbe Rechtsgeschäft der Stiftung gemachten besondern Zuwendung zur Folge, falls nicht erweislich der Wille des Zuwenders dahin geht, daß die Stiftung nötigenfalls nur mit diesen beschränkten Mitteln bestehen soll. Durch die Erteilung der staatlichen Genehmigung, die das Widerrufsrecht des Stifters beseitigt (vgl. Anm. 3), wird diese Ungültigkeit nicht gehoben ( R G v . 2 8 . 3 . 1 2 VI398/11). Den Rechtsregeln der S c h e n k u n g kann, was das Rechtsverhältnis zwischen Zuwender und Stiftung betrifft, da das Stiftungsgeschäft, als ein Rechtsgeschäft besonderer Art, kein Schenkungsvertrag ist, im allgemeinen nicht unterstellt werden. Es erscheint jedoch gerechtfertigter, da es sich sachlich in der Regel

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Stiftungen

§81

Anm. 3, 4

um ein unentgeltliches, der Schenkung ähnliches Rechtsgeschäft handelt, auf die mit Bekanntmachung der Genehmigung an ihn beginnende Haftung des Stifters die für die Haftung des Schenkers bestehenden Grundsätze (§§ 519, 5 2 1 — 5 2 4 ) zur entsprechenden Anwendung zu bringen. — Anders bei entgeltlicher Stiftung. Ist testamentarisch das gesamte Vermögen zwei durch das Testament angeordneten Stiftungen zu bestimmten Teilen zugewiesen und demnächst die eine Stiftung von dem Erblasser bereits bei Lebzeiten unter Vermögenszuwendung errichtet, so darf in dem Testament der Ausdruck des Willens gefunden werden, daß das bei Lebzeiten des Erblassers Zugewendte, damit das Verteilungsverhältnis dasselbe bleibt, auf den Erbteil anzurechnen ist ( R G 30. 3. 16 I V 456/15). Die Vorschrift des § 5 1 6 Abs. 2 kommt nicht zur Anwendung, wenn es sich um eine Schenkung unter Auflage handelt. War das Angebot an die Genehmigung des Satzungsentwurfs durch eine andere Behörde geknüpft, so kann das Angebot nicht stillschweigend, sondern nur durch Ausstellung einer Genehmigungserklärung dieser Behörde (vgl. auch § 147 Abs. 2) angenommen werden (RGWarnR.spr.1g21 Nr. 120). Die Ungültigkeit der Vermögenszuwendung zieht bei einer Stiftung unter Lebenden nicht notwendig die Ungültigkeit der Stiftungsgeschäfte nach sich. Auch mit dem Verlust des Vermögens ist nicht ohne weiteres das Erlöschen der Stiftung verbunden (vgl. § 42 Anm. 1 u. § 86 Anm. 3). Die für die Stiftungen nach früherem Landesrecht geltenden Erwerbsbeschränkungen haben mit der Aufhebung des Art. 86 E G durch das Rechtseinheitsgesetz ihre Geltung verloren. — Schriftliche Form genügt nur für das Stiftungsgeschäft unter Lebenden. Zuwendung des „Nachlaßvermögens" an die Stiftung kann nur durch Verfügung von Todes wegen und nur in den hierfür vorgeschriebenen Formen erfolgen ( R G v. 28. 3. 12. I V 398/11).

Anm. 3 3. D e r W i d e r r u f d e r S t i f t u n g : Die Wirksamkeit des Stiftungsgeschäfts unter Lebenden ist nicht dadurch bedingt, daß das Gesuch um Genehmigung von dem Stifter selbst bei der hierfür zuständigen Behörde eingereicht ist. Auf Grund des Stiftungsgeschäftes kann, wenn der Erblasser inzwischen verstorben ist, der Antrag auf Genehmigung von dem Erben gestellt werden, womit eine Stiftung des Erblassers, nicht des Erben, begründet wird. V o r E i n g a n g d e s G e s u c h s um Genehmigung genügt bei Stiftungen unter Lebenden zum Widerruf eine jede formlose, nicht empfangsbedürftige Kundgebung, die auch in einer schlüssigen Handlung, insbesondere darin bestehen kann, daß der Stifter die von ihm der Stiftung gewidmeten Gegenstände vorsätzlich veräußert oder zerstört oder anderweit verwendet. Trotz des Widerrufs kann übrigens das Stiftungsgeschäft von dem Stifter oder dem Erben, der dann allerdings, falls der Widerruf vom Erblasser ausgegangen war, selbst als Stifter erscheint, zur Genehmigung angemeldet werden. Das Widerrufsrecht verbleibt dem Stifter bei Stiftungen unter Lebenden auch n a c h E i n r e i c h u n g d e s G e s u c h s um Genehmigung. Z u r Wirksamkeit des Widerrufs ist in diesem Falle erforderlich, daß er vor Mitteilung der Genehmigung an den Antragsteller (vgl. §80 Anm. 3) zur Kenntnis der Behörde gebracht wird, und zwar, soweit landesrechtlich nicht andere Zuständigkeitsvorschriften gegeben sind, zur Kenntnis derjenigen Behörde, welche über die Genehmigung zu entscheiden hat. Ist die Stiftung von mehreren gemeinschaftlich errichtet, so kann das Widerrufsrecht von jedem einzelnen ausgeübt werden. Dem E r b e n des Stifters steht nach Einreichung des Gesuchs das Widerrufsrecht nicht zu. Der Einreichung steht es gleich, wenn der Stifter das Gericht oder den Notar, die das Stiftungsgeschäft beurkundet haben, mit der Einreichung beauftragt hat (vgl. § 1753 Abs. 2). V o r diesem Zeitpunkt kann das Stiftungsgeschäft von den Erben gemeinsam widerrufen werden (§ 2038). K e i n Widerrufsrecht des Erben besteht im Falle des § 83.

Anm. 4 Beruht die Stiftung auf einer Verfügung v o n T o d e s w e g e n , welcher Fall in § 81 Abs. 2 nicht behandelt wird, so kann das Stiftungsgeschäft in derselben Weise wie die letztwillige Verfügung widerrufen werden. Zulässig ist auch, wie aus § 83 zu folgern, daß die Stiftung in einem Erbvertrag angeordnet wird, und zwar ist, wenn die Erbeinsetzung oder das Vermächtnis zugunsten der Stiftung (vgl. Anm. 2) als vertragsmäßige

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§§ 82, 83

Allgemeiner Teil. Personen

Verfügung (§ 2278) getroffen wird, auch die Anordnung der Stiftung als vertragsmäßige Verfügung anzusehen. Die E r b e n sind zum Widerruf der Verfügung von Todes wegen nicht berechtigt. Ein solches Widerrufsrecht würde mit der in § 83 getroffenen Regelung in Widerspruch stehen. Sollte der Erblasser den Widerruf seines Erben vorbehalten haben, so würde dies nur in dem Sinne aufgefaßt werden können, daß der Erblasser die Stiftung nicht selbst hat errichten, sondern die Errichtung seinen Erben hat überlassen wollen. § 8 3 Wird die Stiftung genehmigt, so ist der Stifter verpflichtet, das in dem Stiftungsgeschäfte zugesicherte Vermögen auf die Stiftung zu übertragen. Rechte, zu deren Übertragung der Abtretungsvertrag genügt, gehen mit der Genehmigung auf die Stiftung über, sofern nicht aus dem Stiftungsgeschäfte sich ein anderer Wille des Stifters ergibt. E I j 8 Satz 3 , 4 n 7 1 Abs. 3 ; M 1 izo; P z 593.

Mit der Entstehung, also von der Genehmigung an, erwirbt die Stiftung den Anspruch auf Übertragung der ihr zugewendeten Gegenstände (Sachen und Rechte). Eine Gesamtnachfolge findet — abgesehen von dem Falle der Erbeinsetzung der Stiftung — nicht statt. Ist für die dingliche Übertragung eine bestimmte Form vorgeschrieben (Eintragung ins Grundbuch, Besitzübertragung usw.), so muß diese Form auch für die Übertragung an die Stiftung eingehalten werden (KGJ 35 A 2 1 7 betr. Briefhypothek). Das Stiftungsgeschäft darf aber so ausgelegt werden, daß diejenigen Rechte, die durch bloßen Abtretungsvertrag übertragen werden können, o h n e w e i t e r e s mit der Entstehung der Stiftung auf diese übergehen sollen. Und diese Auslegung soll Platz greifen, wenn nicht aus dem schriftlichen Stiftungsgeschäft das Gegenteil erhellt. Das von dem Stifter Zugewendete kann die Stiftung, die als mit diesem Vermögen ausgestattet ins Leben tritt, nicht ausschlagen. Über die Haftung s. § 81 Anm. 2.

§ 8 3 Besteht das Stiftungsgeschäft in einer Verfügung von Todes wegen, so hat das Nachlaßgericht die Genehmigung einzuholen, sofern sie nicht von dem Erben oder dem Testamentsvollstrecker nachgesucht wird. E I J 9 , II 7 2 Abs. i ; M I noff,; P 1 j 8 6 f f . , J94ff.

Aus § 83 ergibt sich, daß die Stiftung durch Verfügung von Todes wegen (vgl. § 81 Anm. 4) in der Weise errichtet werden kann, daß sie zugleich als Erbe eingesetzt oder mit einem Vermächtnis bedacht wird oder daß zu ihren Gunsten eine Auflage angeordnet wird. Damit ist die bekannte Streitfrage des gemeinen Rechts, ob eine Stiftung durch letztwillige Verfügung begründet und ob eine noch nicht bestehende Stiftung zur Erbin eingesetzt werden kann, in bejahendem Sinne entschieden. Die Erbeseinsetzung kann auch darin bestehen, daß die Stiftung eingesetzt wird als M i t er b i n (die Erbteilung ist bis zur Entscheidung über die Genehmigung der Stiftung auszusetzen, vgl. § 2043), als Ersatzerbin, als V o r e r b i n (der Eintritt des Nacherbfalls hat das Aufhören der Stiftung nicht notwendig zur Folge), als N a c h e r b i n (die Genehmigung kann schon vor Eintritt des Nacherbfalls erteilt werden). Den Erben liegt es ob, die hinsichtlich der Stiftung von dem Erblasser getroffene Verfügung durch Nachsuchung der staatlichen Genehmigung zur Ausführung zu bringen. Es genügt hier, wenn der Antrag auf Genehmigung auch nur von einem Erben gestellt wird. Ist ein T e s t a m e n t s v o l l s t r e c k e r bestellt, so ist dieser gemäß § 2203 hierzu verpflichtet. Der Testamentsvollstrecker kann auch zur Ergänzung der über die Errichtung der Stiftung von dem Erblasser getroffenen Anordnungen ermächtigt werden. Für alle Fälle hat aber auch das N a c h l a ß g e r i c h t (ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit des Stifters) wegen der in Betracht kommenden verschiedenartigen Interessen dritter Personen, die sonst schutzlos bleiben würden, sich der Stiftung anzunehmen und die staatliche Genehmigung

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Stiftungen

§ 84 Anm. 1—2 § 85 Anm. 1

herbeizufuhren. Die Fürsorge des Nachlaßgerichts wird insbesondere dann nötig, wenn die Stiftung die alleinige Erbin und ein Testamentsvollstrecker nicht bestellt ist. Der von dem Nachlaßgericht zu stellende Antrag auf Genehmigung hat, da den Erben ein Widerrufsrecht nicht zusteht, eine nur formelle Bedeutung. Der Gültigkeit der Stiftung schadet es nicht, wenn die Genehmigung ohne solchen Antrag von Amts wegen erteilt ist. § 8 4

Wird die Stiftung erst nach dem Tode des Stifters genehmigt, so gilt sie für die Zuwendungen des Stifters als schon vor dessen Tode entstanden. E I 62 Abs. 3 II 72; M I i z j f f . ; P 1 ¡94ff.; 6 883ff.

Anm. 1 Ohne die Bestimmung des § 84 würde die durch Verfügung von Todes wegen errichtete Stiftung im Falle der Erbeinsetzung nur Nacherbe sein können und würde ein Vermächtnis ihr erst zu der Zeit der Entstehung der Stiftung anfallen können (§§2101 Abs. 2, 2178). Nach §84 soll es aber hinsichtlich der Z u w e n d u n g e n des S t i f t e r s , mögen sie in derselben oder einer späteren letztwilligen Verfügung enthalten sein — nicht hinsichtlich der Zuwendungen anderer Personen, in welchem Falle die allgemeinen Grundsätze gelten, so daß die Stiftung hier als Nacherbin (§ 2101) betrachtet werden kann, während das von einem Dritten zugewendete Vermächtnis der Stiftung mit der staatlichen Genehmigung anfällt —, so angesehen werden, als wenn die s p ä t e r genehmigte Stiftung schon vor dem Tode des Stifters entstanden wäre. Es fällt danach der Stiftung unter der Voraussetzung ihrer späteren Genehmigung die Erbschaft, die bis dahin durch einen Nachlaßpfleger zu verwalten ist (i960), sofort mit dem Tode des Erblassers an (§§ 1922, 1923) — die Erfordernisse der letzteren Vorschrift sollen nach § 84 als erfüllt gelten. Ebenso fällt ihr das Vermächtnis in diesem Zeitpunkt an und gebühren ihr bereits seit dieser Zeit die Erträge des vermachten Gegenstandes (§§ 2176, 2184). Es findet somit, um die Nachteile einer verspäteten Genehmigung zu beseitigen, eine dem Willen des Stifters entsprechende R ü c k b e z i e h u n g statt. Nach R G J W 1930, 2215 8 ist, solange die Stiftung nicht genehmigt ist, die Erschöpfungseinrede des zahlungspflichtigem Erben aus § 780 Z P O nicht zulässig.

Anm. 2 Der Grundsatz des § 84 ist aber auch für die Zuwendungen des Stifters — nicht anderer Personen — an eine bereits unter Lebenden errichtete Stiftung zur Anwendung zu bringen. Wird die Stiftung erst nach dem Tode des Stifters genehmigt, so ist es so anzusehen, als wenn sie bereits vor dessen Tode entstanden wäre, so daß die Verpflichtung zur Übertragung der der Stiftung zugewendeten Vermögensgegenstände als eine bereits bei Lebzeiten des Stifters entstandene unbedingte Verbindlichkeit behandelt wird und die Abtretung derjenigen Rechte, zu deren Übertragung der Abtretungsvertrag genügt (§ 82), bereits bei Lebzeiten des Stifters als geschehen gilt. Die Rückwirkung hat aber hier nicht die Bedeutung, daß die vor Einreichung des Gesuchs (vgl. § 81 Anm. 3) von dem Stifter oder seinen Erben getroffenen Verfügungen über die der Stiftung zugewendeten Gegenstände hinfällig werden (vgl. § 184 Abs. 2). § 8 5

Die Verfassung einer Stiftung wird, soweit sie nicht auf Reichs- oder Landesgesetz beruht, durch das Stiftungsgeschäft bestimmt. £ I 60 II 73; M 1 121; P 1 596.

Anm. 1 Der Landesgesetzgebung ist damit die Ermächtigung gegeben, über die V e r -

fassung der Stiftung, soweit reichsrechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen, Be-

stimmungen zu treffen, und zwar nicht bloß ergänzende, sondern auch zwingende.

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§85 Anm. 2

Allgemeiner Teil. Personen

Bestimmungen letzterer Art finden sich z.B. inArtt.2 u. 4 des PrAG über die Zulässigkeit der Änderung der Verfassung oder Aufhebung einer Familienstiftung (vgl. § 80 Anm. 4) durch Familienschluß und betreffs anderer Stiftungen durch Beschluß des Vorstandes mit hinzukommender staatlicher Genehmigung. Hinsichtlich des Erfordernisses der Einstimmigkeit des Familienschlusses greift das Reichsrecht insofern ein, als auf Grund des § 226 auf Zustimmung zu dem Familienschluß geklagt werden kann, wenn die Zustimmung in der offenbaren und ausschließlichen Absicht verweigert wird, den Mitbeteiligten Schaden zuzufügen (RGv. 22.2.06 I V 415/05). Die Beschlußfassung über Änderung der Verfassung oder Aufhebung einer Familienstiftung kann von dem Stifter, soweit das Landesrecht es nicht verbietet —• eine solche Verbotsbestimmung ist in Art. 2 § 7 des PrAGBGB nicht zu finden —, einem Familienrat übertragen werden. Der landesrechtlichen Regelung unterliegt auch die staatliche Aufsicht über die Stiftungen (vgl. § 13 II 13 A L R ) (s. §86 A 2 ) . Uber das Aufsichtsrecht bei F a m i l i e n s t i f t u n g e n in Preußen Pr.Ges. v. 10. 7. 24 (GS S. 575) ( R G 100, 230; J W 1910, 1036fr., S c h o l z , Zur Frage der Staatsaufsicht über Stiftungen, RVerwBl. 1930, 179; v a n E r k e l e n s , Zur Frage des Aufsichtsrechts der Gerichte). — Uber Änderung der Stiftung s. auch § 87 A 3 . Die Grundsätze über die Ausschließung aus einem Verein (§ 39 Anm. 2) können auf F a m i l i e n s t i f t u n g e n angewendet werden, deren Organisation sich derjenigen einer Körperschaft der Stiftungsberechtigten nähert ( R G 80, 189; 85. 355J 107» 386). Anm. 2 Aus dem Stiftungsgeschäft ist durch Auslegung nach dem Willen des Stifters zu entnehmen, ob und inwieweit den Stiftungsinteressenten ein klagbares Recht auf Stiftungsbezüge zusteht (RG WarnRspr.09 Nr. 226; R G 121, 168). In dem Stiftungsgeschäft kann bestimmt sein, daß über die Zuteilung der Stiftungsbezüge und über die Art der Verwaltung lediglich die S t i f t u n g s o r g a n e und die ihnen übergeordnete Aufsichtsbehörde zu entscheiden haben und kann deren Befugnis näher geregelt sein (RG 100, 230). Ein Klagerecht auf die Stiftungsbezüge ist nicht anzuerkennen, wenn die Berechtigung des einzelnen von Voraussetzungen abhängig gemacht ist, die nicht sicher feststellbar sind, über deren Vorhandensein vielmehr der Vorstand nach freiem Ermessen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls zu entscheiden hat (RG J W 1901, 579 20 ; H H R 1931, Nr. 1427). Es kann in diesem Falle bei pflichtwidrigem Verhalten des Vorstandes nur die Aufsichtsbehörde angegangen werden. Ein im Rechtswege verfolgbarer Anspruch der Verwandten wird der Regel nach nicht als dem Willen des Stifters entsprechend anzunehmen sein, wenn dieser nur allgemein angeordnet hat, daß bei Verwendung der Zinsen der zu wohltätigem Zweck bestimmten Stiftung unterstützungsbedürftige Verwandte in erster Linie zu berücksichtigen sind (RG WarnRspr. 1917 Nr. 148). Das Nichtbestehen eines klagbaren Anspruchs schließt nicht aus, daß von den Stiftungsbeteiligten bei Streitigkeiten darüber, ob in ihrer Person die stiftungsmäßigen Voraussetzungen für die Möglichkeit der Erlangung von Bezügen vorhanden sind, Feststellungsklage erhoben werden kann. Das wegen angeblicher Unwürdigkeit aus dem Kreis der Stiftungsberechtigten ausgeschlossene Familienglied kann durch eine Klage auf Zahlung die richterliche Nachprüfung der Ausschließung selbst dann nicht erreichen, wenn die Unwirksamkeit der Ausschließung wegen Verfahrensmängel geltend gemacht wird, vielmehr muß auf Feststellung der Unwirksamkeit geklagt werden (RG v. 30. 4. 31 I V 219/30). Das durch Verleihung entstandene Recht auf den Stiftungsbezug kann wegen Irrtums des Verwalters über solche Tatsachen, welche für ihn nach freiem Ermessen zur Verleihung bestimmend waren (Irrtum im Beweggrund), nicht angefochten werden. Im Falle des Konkurses treten die Ansprüche der Bezugsberechtigten hinter die Ansprüche der Stiftungsgläubiger zurück (vgl. 38 Anm. 2). Auch gegen eine Stiftung des öffentlichen Rechts können privatrechtliche Ansprüche dritter Personen nach der Satzung begründet sein. Handelt es sich jedoch bei einer solchen Stiftung um eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung, so findet nicht der ordentliche Rechtsweg, sondern das Verwaltungsstreitverfahren statt (RG J W 1912, 206"). Uber Unpfändbarkeit der Stiftungsbezüge vgl. § 850 b Nr. 3 ZPO. Die an der Stiftung unmittelbar Beteiligten, insbesondere die an einer Familienstiftung beteiligten bezugsberechtigten Familien176

Stiftungen

§86

Anm. 1, 2

mitglieder können den Verwalter wegen schuldhafter Beeinträchtigung des Stiftungsvermögens ersatzpflichtig machen, und zwar haben sie nicht nur ein Klagerecht in Höhe der Schmälerung ihrer eigenen Bezüge, sondern sie können allgemein darauf klagen, daß der gesamte, der Stiftung entstandene Schaden dieser von dem Verwalter ersetzt wird ( R G 6 1 , 3 6 ; J W 1909,160 6 ). Den Beteiligten kann in der Stiftungsurkunde auch das Recht verliehen werden, Satzungsänderungen, die den Anforderungen der Stiftungsurkunde nicht entsprechen, im Klagewege anzufechten ( R G v. 27. 3. 07 I V 361/06). Besteht Streit über die Wählbarkeit zu dem Amte eines Stiftungsverwalters, so kann hierüber im Prozesse entschieden werden ( R G v. 5. 1. 10 I V 111/09). Die Vorschriften der §§315, 319 können auf das dem Verwalter der Stifter hinsichtlich der Verteilung der Bezüge satzungsmäßig eingeräumte f r e i e B e f i n d e n nicht zur Anwendung kommen. Dem freien Ermessen ist nur insofern eine Schranke zu ziehen, als eine unlautere Handlungsweise (§ 826) dem Verwalter nicht gestattet werden kann ( R G v . 6. 1 1 . 19 I V 230/19). — Etwaige L ü c k e n des Stiftungsgeschäfts sind im Wege der Auslegung aus dem Zusammenhang aller darin enthaltenen Bestimmungen auszufüllen, und zwar nicht bloß der Satzung, sondern auch der zur Erlangung der Genehmigung abgegebenen Erklärungen ( R G 158, 188). § 8 6

Die Vorschriften des § 26, des § 27 Abs. 3 und der §§ 28 bis 31, 42 finden auf Stiftungen entsprechende Anwendung, die Vorschriften des § 27 Abs. 3 und des § 28 Abs. 1 jedoch nur insoweit, als sich nicht aus der Verfassung, insbesondere daraus, daß die Verwaltung der Stiftung von einer öffentlichen Behörde geführt wird, ein anderes ergibt. Die Vorschriften des § 28 Abs. 2 und des § 29 finden auf Stiftungen, deren Verwaltung von einer, öffentlichen Behörde geführt wird, keine Anwendung. E I 61 II 74; M I 1 2 1 ; P I 599ff.; 6 144.

Anm. 1 1. D e r V o r s t a n d der S t i f t u n g : Die Stiftung muß ebenso wie der Verein einen ein- oder mehrgliedrigen Vorstand haben (vgl. § 81 Anm. i), welcher die Stellung eines gesetzlichen Vertreters hat und durch die innerhalb seines Vertretungsbereichs von ihm vorgenommenen, zu Schadensersatz verpflichtenden Handlungen die Stiftung haftbar macht (§§ 26, 27 Abs. 3, 28, 29, 3 1 ; vgl. über seine Rechtsstellung R G J W 1918, 3 6 1 1 ; K G Recht 1930 Nr. 3). Neben dem Vorstand können b e s o n d e r e V e r t r e t e r (z. B. Kollatoren, welche die Stiftungsbezüge an die Stipendiaten vergeben) im Sinne der §§ 30, 31 bestellt werden. Was die in § 27 Abs. 3 vorgesehene Anwendbarkeit der §§ 664—670 betrifft, so ist der Auftraggeber im Sinne des § 665 der Stifter, dessen Wille in der Stiftungsurkunde niedergelegt ist, im Sinne der §§ 666 u. 667 die Aufsichtsbehörde (vgl. A 2) anzusehen. Nicht verwiesen ist in § 86 auf § 33. Es genügt deshalb für die Beschlußfassung des aus mehreren Mitgliedern bestehenden Vorstandes, soweit die Stiftungsurkunde nichts anderes bestimmt, einfache Stimmenmehrheit (§ 28 Abs. 1). Ferner hat die Satzung die V e r s o r g u n g s b e r e c h t i g t e n und die V e r s o r g u n g s a n s p r ü c h e zu bezeichnen und anzugeben, wann die Stiftung e r l i s c h t , an wen dann das Vermögen fällt.

Anm. 2 2. Die Verwaltung der Stiftung durch öffentliche Behörde: Die Verwal-

tung der Stiftung kann — was für Vereine nicht gilt — von dem Stifter einer öffentlichen Behörde oder, was auf dasselbe hinauskommt, dem durch diese Behörde vertretenen öffentlich-rechtlichen Verband übertragen werden. Zu unterscheiden hiervon ist der Fall, daß einzelne Mitglieder der Behörde für ihre Person den Stiftungsvorstand bilden sollen ( R G J W 1915, 1194 5 ). Im ersteren Falle bestimmt sich die Geschäftsführung und die Art der Beschlußfassung aus der mehreren Mitgliedern bestehenden Behörde nach den für die Amtsführung geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Es entfällt mithin die Anwendbarkeit der §§ 27 Abs. 3 und 28 Abs. 1, 12

Komm. 2. BGB, II. Aufl. I. Bd. (Deneckc/Kregcl)

177

§ 86 Anm. 3, 4 §87

Allgemeiner Teil. Personen

desgleichen des § 29 über die gerichtliche Ergänzung des Vorstandes und des mit den Befugnissen des Vorsitzenden einer Behörde nicht im Einklang stehenden § 28 Abs. 2 über die Abgabe von Willenserklärungen gegenüber dem Vorstand. Auch richtet sich die Haftung nach den Grundsätzen in der Staatshaftung nicht nach §§ 89, 31, da die Betätigung der Beamten dann nicht in einem bürgerlich-rechtlichen Geschäftskreis, sondern im Bereich der öffentlichen Verwaltung liegt (RG 161, 295). Ebenso wird bei Übertragung der Verwaltung an den V o r s t a n d eines V e r e i n s , einer Aktiengesellschaft usw. regelmäßig gewollt sein, daß statt der vorerwähnten Vorschriften die für die Geschäftsführung des Vorstandes in Vereinsangelegenheiten geltenden Bestimmungen zur Anwendung kommen. Anm. 3 3. Die Aufsichtsbehörde: Uber die staatliche Aufsichtsbehörde und ihre Befugnisse entscheidet — ausgenommen bei den Stiftungen, für welche der Bundesinnenminister die Genehmigung erteilt hat — das Landesrecht. Nach diesem Recht bestimmt sich auch die Befugnis der Aufsichtsbehörde, an Stelle fortgefallener oder behinderter Organe einen Vertreter zu bestellen (RG 161, 293) und den Verwalter der Stiftung wegen Pflichtwidrigkeit zu entsetzen. Die Vorschrift des § 27 Abs. 2 erfährt hierdurch eine Änderung. Für Familienstiftungen hat nach preuß. Recht das die Aufsicht führende Gericht diese Befugnis nur, wenn sie ihm in der Stiftungsurkunde oder durch Familienschluß beigelegt ist (KGJ 35 A 44 — vgl. über die Grenzen des nur im Staatsinteresse zu führenden Aufsichtsrechts K G J 46 A 101). Andernfalls muß im Prozeßwege auf Entsetzung geklagt werden. Führt eine Behörde als Organ der Stiftung die Verwaltung, so ist diese in Ermangelung einer abweichenden Bestimmung der Aufsicht und Leitung der vorgesetzten Behörde in Stiftungsangelegenheiten ebenso wie in sonstigen Angelegenheiten unterworfen (RG 161, 293). Zum Bestehen der Stiftung ist nicht etwa eine derartige Selbständigkeit der verwaltenden Behörde erforderlich, daß eine Einwirkung der ihr vorgesetzten Behörde ausgeschlossen wäre. Ebensowenig ist erforderlich, daß die Stiftungsbeteiligten auf die Zusammensetzung der Behörde einen Einfluß haben ( R G v . 14. 3. 12 IV 4 1 1 / 1 1 , betr. die Charité in Berlin). Ein Streit darüber, inwieweit neben dem Verwaltungsrecht der öffentlichen Behörde die Verwaltungsbefugnisse des Testamentvollstreckers Raum haben, ist im Prozeß zwischen dem Testamentsvollstrecker und der öffentlich-rechtlichen Körperschaft zum Austrag zu bringen (RG J W 1915, 1194®). — Wegen Zweckänderung und Aufhebung durch die Behörde vgl. § 87. Anm. 4 4. Das Erlöschen der Stiftung : Uber den V e r l u s t d e r R e c h t s f ä h i g k e i t durch Eröffnung des Konkurses s. §42 Abs. 1, § 213 KO. Der Fortfall des Vermögens hat sonst nicht ohne weiteres das Erlöschen der Stiftung zur Folge. Es bedarf in diesem Falle der Aufhebung der Stiftung, die erst dann auszusprechen ist, wenn keine Aussicht besteht, daß die Stiftung wieder zu Vermögen kommt. Die Stiftung erlischt durch Ablauf der in der Stiftungsurkunde bestimmten Zeit, durch Eintritt der darin festgesetzten auflösenden Bedingungen oder durch Zurücknahme der Genehmigung, wenn ausnahmsweise mit Einverständnis des Stifters der Widerruf der Genehmigung, was gesetzlich zulässig ist, vorbehalten wurde. Wegen ihrer Aufhebung s. § 87. § 8 7 Ist die Erfüllung des Stiftungszwecks unmöglich geworden oder gefährdet sie das Gemeinwohl, so kann die zuständige Behörde der Stiftung eine andere Zweckbestimmung geben oder sie aufheben. Bei der Umwandlung des Zweckes ist die Absicht des Stifters tunlichst zu berücksichtigen, insbesondere dafür Sorge zu tragen, daß die Erträge des Stiftungsvermögens dem Personenkreise, dem sie zustatten kommen sollten, im Sinne des Stifters tunlichst erhalten bleiben. Die Behörde kann die Ver178

Stiftungen

§87

Anm. 1—3 fassung der Stiftung ändern, soweit die Umwandlung des Zweckes es erfordert. Vor der Umwandlung des Zweckes und der Änderung der Verfassung soll der Vorstand der Stiftung gehört werden. E II des E G Art. 85.

Anm. 1 1. Die Bedeutung des Stiftungszwecks:

Der Stiftungszweck ist derart wesentlich für das Bestehen der Stiftung, daß mit dem Fortfalle des Zweckes, wenn seine Erreichung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen (Unerlaubtheit) —• nicht bloß zeitweilig — u n m ö g l i c h geworden oder aber der der Stiftung gesetzte Zweck erreicht ist, die Stiftung, falls sie nicht umgewandelt wird, der Aufhebung verfallen muß. Dieselbe Folge tritt ein, wenn die weitere Verfolgung des Stiftungszwecks sich als s c h ä d l i c h f ü r d a s G e m e i n w o h l erweist oder doch die Gefahr der Schädigung besteht. Daß die Stiftung sich überlebt hat, der Stiftungszweck bei veränderten Kulturverhältnissen unvernünftig oder unnütz geworden ist, berechtigt zwar nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht zur Aufhebung, doch dürfte diese aus inneren Gründen in einem solchen Falle zulässig sein, sofern nicht der Wille des Stifters entgegensteht, dieser also die Anpassung an die neuen Verhältnisse gewollt haben sollte. Eine Gefährdung des Gemeinwohls kann sich jedenfalls dann ergeben, wenn durch die Stiftung in g r ö ß e r e m Umfange einer verkehrten der gesunden Vernunft oder der Kulturentwicklung widersprechenden Tätigkeitsrichtung oder dem Müßiggange Vorschub geleistet wird. Weitergehend gestattet Art. 4 des P r A G B G B ganz allgemein die Aufhebung der Stiftung oder die Änderung ihrer Verfassung durch Beschluß des Vorstandes, welcher der staatlichen Genehmigung bedarf. Eine solche landesrechtliche Vorschrift ist zulässig, da die Verfassung der Stiftung, zu der auch die Vorschriften über Umwandlung und Aufhebung der Stiftung gehören, nach § 85 der landesgesetzlichen Regelung unterliegt und § 87 nicht die ganze Frage der Aufhebung der Stiftung abschließend regelt, sondern nur eine einzelne Bestimmung gibt. Vgl. jetzt das Pr.Ges. v. 10. 7.24, wonach Stiftungen (auch F a m i l i e n s t i f t u n g e n ) durch Beschluß ihrer Vorstände mit Genehmigung der staatlichen Aufsichtsbehörde zusammengelegt, aufgehoben oder in ihren Zwecken geändert werden können, wenn er wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse angezeigt erscheint. Das Gesetz hat in § 85 seine reichsrechtliche Grundlage und steht mit Art. 1 5 3 Abs. 2 W R V (jetzt Art. 14 I I I G G ) nicht in Widerspruch ( R G 1 2 1 , 166). B e i g e m i s c h t e n S t i f t u n g e n sind die Gerichte zur Erteilung der in § 1 dieses Gesetzes vorgesehenen Genehmigung der staatlichen Aufsichtsbehörde nicht zuständig ( K G J W 1932, 3774 1 ) — Die Stiftung erlischt auch dann, wenn die Behörde von dem bei Erteilung der Genehmigung vorbehaltenen Recht des Widerrufs (vgl. § 80 Anm. 9) Gebrauch macht. § 87 kann nicht durch das Stiftungsgeschäft ausgeschlossen werden.

Anm. 2 2. Die zuständige Behörde:

Handelt es sich um eine ausländische Stiftung, so ist der Bundesinnenminister zuständig (vgl. § 80 Anm. 10). I m übrigen entscheidet das Landesrecht. Zuständig ist hier regelmäßig die Landesregierung, in Bayern bezüglich einer allgemeinen öffentlichen Stiftung mit Zustimmung der K a m mern und, sofern die Aufhebung oder Umwandlung aus anderen als den in § 87 bezeichneten Gründen erfolgt, mit Zustimmung der „Beteiligten". Über die öffentlichen Stiftungen des bayerischen Rechts vgl. S t a u d i n g e r , Vorbem. V I I vor § 80, Anm. 6 zu § 87. Auch in Württemberg bedarf es zur Aufhebung (nicht zur bloßen Umwandlung) der Stiftung meist eines Gesetzes. Bei ö r t l i c h e n S t i f t u n g e n ist die Gemeinde zuständig, D G O v. 30. 1. 35 ( R G B l . I, 49) § 66.

Anm. 3 3. Die Umwandlung der Stiftung:

Darüber, ob die Aufhebung der Stiftung oder als mildere Maßnahme die Umwandlung des Stiftungszwecks (nebst den hierdurch gebotenen sonstigen Änderungen der Verfassung) eintreten soll, hat die zuständige Stelle (vgl. Anm. 2) nach freiem Ermessen zu befinden. Bei der Umwandlung 12*

179

§ § 88, 89

Allgemeiner Teil. Personen

ist darauf Rücksicht zu nehmen, daß die Absicht des Stifters oder doch seine Hauptabsicht möglichst erreicht wird, worüber der Vorstand zu hören ist. Der Absicht des Stifters wird es entsprechen, daß die Stiftungsbezüge möglichst demselben Personenkreise wie früher (Verwandte, Einheimische, Angehörige eines bestimmten Bekenntnisses usw.) zugute kommen. Über unselbständige Stiftungen s. § 80 Anm. 2, 3; auf sie ist auch die Vorschrift des §87 Abs. 3 nicht auszudehnen (RG 105, 307). Für die früher preußischen Gebiete ist PrGes. v. 10. 7. 24 maßgebend (GS S. 575). § 8 8 Mit dem Erlöschen, der Stiftung fällt das Vermögen an die in der Verfassung bestimmten Personen. Die Vorschriften der §§ 46 bis 53 finden entsprechende Anwendung. E I 61, 62 Abs. 1 II 75; M 1 124; P 1 605ff.

Anm. 1 Die Bestimmung darüber, an wen das Stiftungsvermögen fällt, ist in Ermangelung einer privatrechtlichen Vorschrift des Bundes-(Reichs-)rechts der Stiftungsurkunde und dem Landesrecht überlassen. Nach den ergänzenden Vorschriften des Landesrechts ist anfallsberechtigt meist der Fiskus, für Preußen, falls die Stiftung von einer Gemeinde oder sonstigen Körperschaft des öffentlichen Rechts errichtet oder verwaltet war, diese Körperschaft (Art. 5 AG). Als in der Verwaltung der Gemeinde befindlich ist in dieser Beziehung die Stiftung auch dann anzusehen, wenn zur Verwaltung der Vorstand der Gemeinde als solcher berufen ist (RG J W 1915, 1194 6 ). — Über den Anfall des Vermögens einer aufgelösten Pfründenstiftung (Küsterlehrerpfründe) vgl. RG 133, 75. Anm. 2 Die Liquidation erfolgt nach den §§ 47—53. Bei Anfall an den Fiskus — oder nach Art. 5 PrAGBGB an eine öffentliche Körperschaft — findet nach § 46 eine Liquidation nicht statt. Die nach § 46 für den Fiskus bestehende V e r w e n d u n g s p f l i c h t gilt nach Art. 5 PrAGBGB auch für die öffentliche Körperschaft. — Die sonstigen Anfallberechtigten sind, auch wenn sie in einer Verfügung von Todes wegen bestimmt sind, nicht Nacherben des Stifters; sie haben wie die anderen Anfallberechtigten nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf den bei der Liquidation verbleibenden Uberschuß. III. Juristische Personen des öffentlichen Rechtes § 8 9 Die Vorschrift des § 31 findet auf den Fiskus sowie auf die Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechtes entsprechende Anwendung. Das gleiche gilt, soweit bei Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechtes der Konkurs zulässig ist, von der Vorschrift des § 42 E I 63 II 77; M l I24ff.; P 1 s8j ff., 607ff.; 6 144.

Ubersicht I. Juristische Personen des öffentlichen Rechtes 1. Allgemeines, Anstalten, Stiftungen 2. Staatliche Gebietskörperschaften 3. Kirchen II. Haftung 1. Allgemeines 2. Betätigung im privatrechtlichen Geschäftskreis 3. Betätigung auf hoheitlichem Gebiete 4. Die Haftung für verfassungsmäßige Vertreter III. Absatz 2 180

Anm.

1 2 3 4 5 6. 7 8—10 11

Juristische Personen des öffentlichen Rechtes

§ 89

Anm. 1, 2 I. Juristische Personen des öffentlichen Rechtes Anm. 1 1 . A l l g e m e i n e s : Über sie sind — abgesehen davon, daß § 3 1 und im Falle der Zulässigkeit des Konkurses § 42 Anm. 2 auf sämtliche juristische Personen für anwendbar erklärt sind —• im B G B keine Vorschriften getroffen. Ihre Daseinsordnung wird durch das öffentliche Recht geschaffen ( R G 130, 1 7 2 ) ; ihre Organisation bestimmt sich nach dem öffentlichen Recht des Bundes (Reichs) oder der Länder ( R G 64, 4 1 3 ; 127, 47). Auch die Vorschriften der §§ 80—88 beziehen sich nicht auf die Stiftungen des öffentlichen Rechts. Das Unterscheidende zwischen den privatrechtlichen Körperschaften (Vereinen) und den öffentlich-rechtlichen Körperschaften (öffentlichen Verbänden) ist im allgemeinen darin zu sehen, daß letztere als Träger staatlicher Aufgaben der Staatsordnung (ähnlich wie die Gemeinden) eingegliedert sind. Ebenso unterscheiden sich die A n s t a l t e n des öffentlichen Rechtes von denen des Privatrechtes darin, daß sie einen Teil der öffentlichen Ordnung des Staates bilden (vgl. § 80 Anm. 6). Eine solche Eingliederung kann nur vom Staate, etwa durch Verkündung einer Anstaltsordnung vorgenommen werden. Die Errichtung einer S t i f t u n g ist, wenn sie eine öffentliche ist, ein staatlicher Verwaltungsakt. Sie geschieht zuweilen durch ein besonderes Gesetz oder durch einen Akt der Gemeinde. Dadurch allein, daß der Verein oder die Stiftung die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben übernommen hat oder daß die Verwaltung der Stiftung von einer öffentlichen Behörde geführt oder die für Zuwendungen an juristische Personen erforderliche staatliche Genehmigung erteilt wird, ist der öffentlich-rechtliche Charakter nicht hergestellt, wohl aber dadurch, daß den Ämtern die aus der öffentlich-rechtlichen Natur des Verbandes folgende Eigenschaft eines mittelbaren Staatsamtes beigelegt wird. Verschieden von diesem allgemeinen Begriffe der öffentlich-rechtlichen Stiftung ist übrigens der im bayrischen Recht (vgl. O e r t m a n n , Bayrisches Landesprivatrecht § 28, F ü l l J W 1 9 1 4 , 549) ausgebildete Begriff der öffentlichen Stiftung, worunter auch die privaten Stiftungen fallen, die einem öffentlichen Interesse dienen. Die Anstalten sind neben den Körperschaften und Stiftungen des öffentlichen Rechts genannt, weil es unter Umständen zweifelhaft sein kann, ob sie zu der einen oder anderen gehören; sie bilden jedenfalls keine besondere Art der juristischen Person ( R G 130, 177).

Anm. 2 2 . S t a a t l i c h e G e b i e t s k ö r p e r s c h a f t e n : Z u den juristischen Personen des öffentlichen Rechts gehören vor allem der S t a a t (Bundesrepublik und Länder), der, soweit er als Träger privater Rechte und Pflichten in Frage kommt, als Fiskus bezeichnet wird, die G e m e i n d e n und Gemeindeverbände, Kreise, Provinzen, unter U m ständen die Regierungsbezirke als Kommunalverbände, sowie die sogenannten Realgemeinden ( R G J W 1 9 1 1 , 4 1 3 ) . Der Fiskus ist für die Bundesrepublik und die Länder etwas Einheitliches, den einzelnen fiskalischen Stationen kommt eine gesonderte Rechtspersönlichkeit nicht zu, sie sind auch in prozeßrechtlicher Hinsicht nur Vertreter des ein einheitliches Rechtssubjekt darstellenden Fiskus ( R G 59, 404; J W 1 9 1 2 , 6 4 1 ; 1 9 1 4 , 921). Eine Behörde kommt als selbständige juristische Person nicht in Betracht ( R G J W 1909, 534; 1905, 2 0 1 ) , anders aber jetzt die in der britischen Zone auf Anordnung der Besatzungsmacht bei den Städten und Kreisen gebildeten Polizeibehörden, die selbständige Träger von Rechten und Pflichten sind ( O H G 4, 262). Vertreter des Fiskus ist nicht das Staatsoberhaupt (Bundespräsident, Staatspräsident), auch nicht der Bundeskanzler, sondern der Minister, zu dessen Geschäftsbereich die Sache gehört. Rechtsgeschäfte, die zwischen fiskalischen Verwaltungsstellen vorgenommen werden, haben nur die Natur rechnungsmäßiger Verwaltungsakte, privatrechtlich wirksame Ansprüche entstehen daraus nicht ( R G v. 17. 7. 27 I V 119/27). Öffentliche juristische Personen sind ferner die vom Staat mit der Durchführung öffentlicher Aufgaben, namentlich auf dem Gebiete der Wirtschaft und der Fürsorge betrauten K ö r p e r s c h a f t e n , soweit ihnen eigene Rechtsfähigkeit ausdrücklich verliehen ist oder diese sich aus der Benennung oder der Organisation ergibt. Dagegen nicht die für besondere Verwaltungszwecke bestimmten, getrennt ver-

181

§89

Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 3, 4 walteten ö f f e n t l i c h e n F o n d s , soweit sie nicht als besondere Stiftungen oder selbständige Anstalten begründet sind. Spar- und Girokassen sind nach Ges. v. 13. 12. 34 ( R G B l . I 1242) jetzt selbständige Anstalten, nicht mehr Bestandteile der Gemeindeverwaltungen.

Anm. 3 3. Kirchen a ) Die e v a n g e l i s c h e K i r c h e in Deutschland als Gesamtverband der einzelnen Landeskirchen nach der Grundordnung v. 13. 7. 48 (Amtsblatt der ev. Kirche) mit ihren Organen, Synode, Kirchenkonferenz und Kirchenrat, der die ev. Kirche vertritt; die einzelnen Landeskirchen, die Kirchengemeinden ( R G 168, 37 Vertreter der Pfarrer WarnRspr. 1 9 1 7 Nr. 130) und Gemeindeverbände. b ) In der k a t h o l i s c h e n K i r c h e ; die Bistümer ( R G 168, 150, 1 5 3 ) , Domkapitel und die Kirchengemeinden, Gemeinde- und Diozesanverbände (Art. 140 G G 137 W R V ; Reichskonkordat v. 20. 7. 33 [ R G B l . I I 679] Ges. v. 12. 9. 33 R G B l . I 625). Dagegen ist streitig, ob die katholische Gesamtkirche, nach deutschem Recht als juristische Person anzusehen ist ( R G 143, 1 1 0 ) . E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y , Lehrbuch (14) S. 480, haben dies bejaht, während es von S t a u d i n g e r - R i e z l e r § 89 A 3 verneint wird, da sie in Deutschland keine einheitliche Organisation habe und auch als solche nicht im Rechtsleben handelnd auftrete. Auch E i c h m a n n - M ö r d o r f , Lehrbuch des Kirchenrechts 1949 Bd. I S. 200 führen sie ersichtlich aus diesen Gründen nicht an. Hinsichtlich der neuapostolischen Gemeinden vgl. R G WarnRspr. 1 9 1 5 Nr. 1 2 . c) Die Stellung der r u s s i s c h - o r t h o d o x e n K i r c h e ist in Deutschland nicht besonders geregelt, sie ist aber als rechtsfähige Körperschaft mittelbar anerkannt durch Ges. über ihren Grundbesitz v. 25. 2. 38 ( R G Bl. I 223). d ) Die S y n a g o g e n g e m e i n d e n ( R G v. 16. 6. 30 I V 846/28), nachdem das Gesetz v. 28. 7. 38 ( R G B l . I 338), das ihnen nur die Stellung eines rechtsfähigen Vereins gab, seine Geltung verloren hat. e) Die R e l i g i o n s g e m e i n s c h a f t e n , für die nach Art. 140 G G die Bestimmungen der Art. 137 W R V weiter gelten. Sie sind daher Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit sie das bisher waren oder ihnen gemäß Abs. V I S. 2 die gleichen Rechte gewährt wurden oder künftighin gewährt werden, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. In früher preußischen Gebieten haben aber die katholischen Orden und ordensähnlichen Verbindungen keine Körperschaftsrechte, soweit sie ihnen nicht durch Ges. v. 22. 5. 88 verliehen sind.

II. Haftung Anm. 4 1 . A l l g e m e i n e s : Für die Haftung juristischer Personen des öffentlichen Rechts ist anders als bei den rechtsfähigen und nicht rechtsfähigen Vereinen ( § 3 1 Anm. 3, 4, § 54 Anm. 6) zu unterscheiden, ob die für die Entstehung eines Schadens ursächliche Handlung in Ausführung p r i v a t r e c h t l i c h e r V e r r i c h t u n g e n , d. h. im bürgerlich-rechtlichen Geschäftskreis, in Wahrnehmung rein privat-rechtlicher Interessen oder ob sie in A u s ü b u n g h o h e i t l i c h e r B e f u g n i s s e u n d A u f g a b e n vorgenommen wird ( R G 1 3 1 , 239; 147, 275; 148, 292; 155, 266; 162, 1 6 1 ) , I m ersteren Falle richtet sich die Haftung aus § 89 nach den allgemeinen Grundsätzen (§§ 276, 278, 823fr.), im letzteren Falle nach Art. 34 G G in Verbindung mit § 839 BGB. Diese Unterscheidung ist insofern bedeutsam, als die Haftung nach Art. 34 G G auf Grund des § 839 I 2 I I I entfallen kann, während bei der Haftung nach § 89 diese Bestimmung nicht anwendbar ist ( R G 131, 249; 1 5 5 , 169, 1 6 2 ; 1 6 1 ) , so daß die Körperschaft auch dann haften muß, wenn der Beamte selbst auf Grund dieser Bestimmungen frei wird. Auch ist ebenso wie bei natürlichen und privaten juristischen Personen bei Handeln der verfassungsmäßigen und besonderen Vertreter eine Entlastung nach § 831 nicht möglich, sondern nur bei Handlungen der von diesen bestellten Hilfspersonen ( R G 155, 266/7; v g l § 31 Anm. 2 §54 Anm.6). Beide Haftungsgrundsätze können nebeneinander bestehen ( R G 1 5 1 , 385; 155, 269) und zwar nicht bloß, wenn mehrere Beamte neben-

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Juristische Personen des öffentlichen Rechtes

§89 Anm. 5

einander, der eine in Ausübung öffentlicher Gewalt, der andere im bürgerlich-rechtlichen Verkehr tätig werden, sondern auch dann, wenn derselbe Beamte zugleich in Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse und zur Wahrnehmung privater Rechte handelt. Das ist aber nicht schon der Fall, wenn der Beamte sich bei seinen Entschließungen und Handlungen im privatrechtlichen Geschäftskreis zugleich von dem Gesichtspunkt der Wahrung der Staatsautorität, von staatswirtschaftlichen Erwägungen oder von der Rücksichtnahme auf den wirtschaftlich Schwächeren hat leiten lassen, seine Handlungen also zugleich den öffentlichen Belangen dienen (RG 157, 273). Anm. 5 2. Betätigung i m privatrechtlichen G e s c h ä f t s k r e i s : Dabei handelt es sich um die gesamte f i s k a l i s c h e V e r m ö g e n s v e r w a l t u n g , d.h. die Verwaltung der Staatsund Gemeindegüter, die Anschaffung, Instandhaltung (Verkehrssicherung RG 166, 9; BGHZ 20, 48) und Verwertung (RG 55, 7 1 ; WarnRspr. 09 Nr. 254) der zur Erfüllung der staatlichen Zwecke erforderlichen Mittel; ferner die Ausübung von Rechten und Pflichten, die in Rechtsverhältnissen des bürgerlichen Rechts, im Eigentum, Nachbarrecht, in Verträgen und vertragsähnlichen Verhältnissen ihren Grund haben (RG 71, 46; 72, 344; 84, 88; B G H 6, 296; 14, 226). Auch soweit unmittelbar staatliche Aufgaben und Zwecke erfüllt werden sollen, bleiben die Handlungen im Bereich des privaten Rechtsverkehrs, wenn dazu privatrechtliche Mittel (Vertrag, Boykott, Ausschluß) und nicht obrigkeitliche Gewalt benutzt werden (RG 154, 4 1 ; 155, 273). Demnach gehören hierher die Verwertung der Gefängnisarbeit (RG 44, 268), die Tätigkeit der Forstverwaltung, soweit sie nicht im Forst- und Jagdschutz besteht (RG 155, 225), die Instandhaltung der Wasser-, Land- und Ortsstraßen (Allgemeine Verkehrssicherungspflicht RG 147, 278; 155, 161; 165, 158; Straßenpflaster J W 11, 759; Beleuchtung RG 55, 24; Streupflicht 52, 423; 102, 269; Warntafeln R G 154, 23); nach früherer Rechtsprechung (RG 84, 338; 166, 223; B G H 3, 102; 4, 192) auch die bei obrigkeitlicher Betätigung sich ergebende Verwahrungspflicht. Indessen dürfte diese nur Ausfluß der jedem Beamten obliegenden Fürsorgepflicht sein, dem von einem hoheitlichen Eingriff Betroffenen die Wahrung seiner Rechte, insbesonders des Eigentums, zu erleichtern und nachteilige Folgen herabzumindern (RG 139, 184; B G H 18,366). Bei Verletzung dieser amtlichen Pflicht muß also die Staatshaftung eingreifen (vgl. § 278 A 3ff.; D e n e c k e J R 1953, 40). Uber die Haftung aus ärztlicher Behandlung in öffentlichen Krankenhäusern vgl. §611 Vorbem. 58 u. D e n e c k e a. a. O. Auch die gewerbliche Betätigung des Staates und der anderen öffentlichen Körperschaften gehört in den privaten Geschäftsbereich, wenn die Körperschaft wie jedes andere Unternehmen am privatwirtschaftlichen und privatrechtlichen Verkehr teilnimmt, privatrechtliche Geschäfte tätigt und auf diese Weise anderen privaten Vermögensträgern als gleichberechtigter und -verpflichteter Vertragspartner gegenübertritt. Indessen kann der Staat — andere Körperschaften innerhalb der ihnen gesetzten Grenzen — kraft des Organisationsrechts Unternehmen, die sonst privatwirtschaftlich betrieben werden und dem allgemeinen Rechtsverkehr unterliegen, aus dem bürgerlichrechtlichen Geschäftskreis herausnehmen, um sie den Zwecken der Allgemeinheit besser dienstbar zu machen, und ihre Organisation und ihren Aufgabenkreis so regeln, daß ihre Tätigkeit Durchführung öffentlicher Aufgaben unter Ausnutzung hoheitlicher Befugnisse ist, B G H g, 145; 20, 104. Aber auch soweit die unternehmerische Betätigung sich im Rahmen des privaten Geschäftsbereiches bewegt, können doch gewisse Aufgaben, insbesondere Schutzmaßnahmen auf obrigkeitlichen, polizeilichen Gebieten liegen. Als zum Bereich des privaten Geschäftsverkehrs gehörend sind anzusehen, die kommunalen Versorgungsbetriebe, Wasser-, Gas-, Elektrizitätswerke, Straßenbahnen (RG 55,366563, 374; 148,236; 154,39), Badeanstalten (RGWarnRspr. 1911 Nr. 1), Schlachthäuser (RG 83, 74) Sparkassen (RG 91, 314); ferner Staatsbanken (RG 157, 237), Reichsbahn (Bundesbahn) mit der Personen- und Güterbeförderung im Schienen- wie im Kraftwagenverkehr (RG 161,341; 162,365; B G H 2, 4 1 7 ; 6, 304). Dagegen ist bei der Post als hoheitliche Betätigung anzusehen: Briefbeförderung (RG 158, 85), Paketbeförde-

183

§89

Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 6, 7 rung ( R G 164, 276), Fernsprechverkehr ( R G 155, 335), Postscheckverkehr ( R G 161, 176), Personenbeförderung (Kraftomnibusse) B G H 20, 102.

Anm. 6 3. Betätigung auf hoheitlichem Gebiete:

Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß sie nicht zur Durchsetzung privater, vermögensrechtlicher Interessen der Körperschaft, sondern im Interesse der Allgemeinheit, zur Erfüllung staatlicher A u f g a b e n erfolgt ( R G 155, 198; 164, 276) und dazu nicht privatrechtliche Rechtsbehelfe, sondern hoheitliche M a ß n a h m e n verwendet werden, wie Androhung und Ausübung staatlichen Zwanges (unmittelbarer Zwang, Strafen, Bußen, B G H 4, 370), die eigentlichen Verwaltungshandlungen (Verwaltungsakte), d. h. die der Durchführung der Gesetze im einzelnen dienenden Anordnungen, Polizeiverfügungen usw., Zulassungen, Genehmigungen, Befreiungen und Ausnahmen, sowie die Ausübung der staatlichen Aufsicht, auch schlicht verwaltende Tätigkeit (Anregungen und Empfehlungen B G H 20, 104; N J W 1956,711). Z u den Handlungen dürfen die Vertreter der Körperschaft nicht schon nach bürgerlichem Recht befugt sein. Handlungen, die jedermann nach bürgerlichem Recht, z. B. zur A b w e n d u n g einer Gefahr, zur Befreiung aus einem Notstand, als Selbsthilfe g e m ä ß § 859, vornehmen darf, werden nicht dadurch zur Ausübung eines Hoheitsrechts, d a ß sie von einem staatlichen O r g a n vorgenommen werden ( R G 113, 304). Dagegen fällt in den hoheitlichen Rechtskreis eine mißbräuchliche A n w e n d u n g von Machtmitteln — aber nicht verbotener Eigenmacht gemäß § 858 — sei es, d a ß die Grenzen der obrigkeitlichen Befugnisse überschritten ( R G 154, 208; 159, 238; 162, 102) oder sie von einem nicht zuständigen Beamten oder unter Überschreitung seiner Zuständigkeit angewendet werden ( R G 145, 2 1 3 ; 148, 251).

Anm. 7 Die A u s s t e l l u n g ö f f e n t l i c h e r U r k u n d e n durch eine Behörde ist nur dann eine hoheitliche M a ß n a h m e , wenn der Inhalt obrigkeitlicher Art ist (Entscheidung, Bescheid, Verfügung), nicht aber wenn sie nur eine Betätigung im privaten Geschäftsbereich, ein bürgerlich-rechtlicher V e r t r a g oder Willenserklärung ist (Beförderungspapiere der Eisenbahn, B G H 6, 309). Dagegen ist die öffentliche Beurkundung und Beglaubigung (§§ ' 6 7 — 1 8 4 F G G ) stets hoheitliche Betätigung. Neben der eigentlichen obrigkeitlichen Tätigkeit stehen die auf sozialem Gebiete liegenden Aufgaben des Staates, die Wirtschaftslenkung und Förderung und vor allem die Daseinsvorsorge (vgl. F o r s t h o f f , Verwaltungsrecht [ 6 ] I 4 3 9 f r . ) und die öffentliche Fürsorge, soweit der Staat solche Fürsorgetätigkeit erkennbar in seinen Aufgabenkreis gezogen (vgl. §§ 1, 4 J W G ; R G 168, 370; B G H 20, 104) oder eine besondere Körperschaft (z. B. Sozialversicherungsanstalten) damit betraut und sie nicht der privaten Wohlfahrtspflege überlassen hat (Mütter- und Jugend Wohlfahrt, §§ 4 — 6 J W G ; R G 129, 305; 132, 357; 147, 267; 164, 15; 165, 98). Dagegen rechnet die der Körperschaft gegenüber ihren Arbeitnehmern aus dem Arbeitsverhältnis obliegende Fürsorgepflicht nicht dazu, da sie nicht nur den öffentlichen Körperschaften eigen ist, und das m u ß auch entgegen R G 145, 185; 146, 373;

BGH 14, 137; 15, 127, für die aus dem Beamtenverhältnis fließende Fürsorgepflicht des Dienstherrn (§ 79 BGB) gelten. Denn ein Verstoß gegen die Treu- und

Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und des öffentlich-rechtlichen Dienstherren ist kein außervertragliches Verschulden im Sinne der §§ 823 ff., der Beamte ist gegenüber seiner obersten Dienstbehörde und deren Vertreter nicht Dritter im Sinne des § 839 BGB, Art. 34 G G (vgl. I d e l N J W 1955, 1360). In den Bereich der hoheitlichen Betätigung fallen nicht nur die unmittelbar der Erfüllung staatlicher Aufgaben dienenden Handlungen, sondern alle Handlungen, die in einem äußeren und inneren Zusammenhang zu der Verwirklichung der hoheitlichen A u f g a b e stehen, als ein einheitlicher Lebensvorgang angesehen sind, wie die gesamte Einziehung der Sozialbeiträge ( R G 156, 230), Kraftwagenfahrten zu und von Dienstverrichtungen ( R G 155, 186; 165, 370). Das ist aber nicht der Fall, wenn nur eine äußerliche, zeitliche oder gelegenheitsgemäße Beziehung zur Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse besteht ( R G 156, 410; 161, 145; Schwarzfahrten). A u c h kann eine

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Juristische Personen des öffentlichen Rechtes

§89

Anm. 8 Körperschaft, selbst wenn ihre Tätigkeit sonst im Rahmen hoheitlicher Betätigung liegt, sich mit einem bestimmten Geschäft oder einem begrenzten Geschäftskreis auf den Boden des privaten Geschäftsverkehrs begeben. Indessen muß sich dies aus den Umständen einwandfrei ergeben, wie z. B. bei der Wirtschaftsförderung durch Gewährung von Darlehen, Ausfallbürgschaften ( B G H 4, 265 u. S i e b e r t , Privatrecht im Bereich der öffentlichen Hand 1953). Alsdann richtet sich die Haftung nach § 89 und nicht nach Art. 34 G G , §839 B G B ( R G 155, 257; 158, 89; 162, 1 2 9 ; 167, 2 3 1 ) .

Anm. 8 4. D i e H a f t u n g f ü r v e r f a s s u n g s m ä ß i g e V e r t r e t e r : Die Haftung aus §§ 89, 831 setzt voraus, daß die schadenstiftende Handlung von einem verfassungsmäßigen Vertreter oder einem besonderen Vertreter (§ 30) vorgenommen ist. Hierbei ergaben sich früher Schwierigkeiten daraus, daß aus den gesetzlichen oder verwaltungsmäßigen Organisationsbestimmungen, die an die Stelle der Satzung des § 31 treten ( R G 120, 304; 162, 134), namentlich bei Körperschaften mit größerem Beamtenkörper nicht immer zweifelsfrei festgestellt werden konnte, ob der verantwortliche Beamte oder Angestellte ein verfassungsmäßiger Vertreter, ein besonderer Vertreter oder ein Verrichtungsgehilfe i. S. des § 831 war. Die Frage der verfassungsmäßigen Berufung des Vertreters hat indessen nach der neueren Rechtsprechung ihre Bedeutung verloren ( R G 162, 165). Denn danach hat jede private oder öffentlichrechtliche juristische Person, wenn ihre verfassungsmäßigen Vertreter infolge des U m fanges und der Art der zu erledigenden Geschäfte nicht imstande sind, von der ihnen gegebenen Vertretungsmacht in vollem Umfange Gebrauch zu machen und ihren Verpflichtungen wie eine natürliche Person nachzukommen, b e s o n d e r e V e r t r e t e r zu bestellen, für die eine Entlastung Dritten gegenüber nicht möglich ist. Unterbleibt dies, so hat sie für diesen von ihren verfassungsmäßigen Vertretern verschuldeten Organisationsmangel einzustehen (ähnlich die strafrechtliche Verantwortung nach § 1 5 1 G e w O , § 25 A Z O § 26 LadenschlGes.). Ist also ein Schaden nicht auf eine Anordnung oder Unterlassung des obersten Organes der Körperschaft zurückzuführen, so ist zu prüfen, ob die schadenstiftende Handlung von einem Beamten oder Angestellten vorgenommen ist, der die in ihren Bereich fallenden Aufgaben selbständig und unter eigener Verantwortung, wenn auch nach Weisungen und Anordnungen übergeordneter Organe zu erfüllen hat oder, falls er die Ursache f ü r den Schaden durch eigenes Handeln oder Unterlassen nicht selbst gesetzt hat, ob er wenigstens die mit der Ausführung der Verrichtung betrauten Beamten hinreichend (vgl. § 31 Anm. 3) beaufsichtigt und überwacht hat. Nur wenn in dieser Hinsicht keinerlei Verschulden der obersten Organe (der verfassungsmäßigen Vertreter) oder der besonderen Vertreter feststellbar ist, ist ein Entlastungsbeweis gemäß § 8 3 1 hinsichtlich der mit der Ausführung der erforderlichen Maßnahmen betrauten sonstigen Beamten möglich ( R G 157, 2 3 5 ; 162, 166; 163, 29) Nicht erforderlich ist, daß diese Vertreter volle Vertretungsmacht, insbesondere Voll-, macht zur rechtsgeschäftlichen Vertretung haben ( R G D R 1944, 287). Es genügt vielmehr, daß sie alle in dem ihnen zugeteilten Geschäftsbereich in Frage kommenden Handlungen selbständig und aus eigenem Entschluß vornehmen können ( R G 157, 236; 162, 169). Ihre Handlungen dürfen nur nicht ganz außerhalb ihres sachlichen Wirkungskreises, d. h. des der juristischen Person durch Gesetz, Satzung oder Zweck zugewiesenen Geschäftskreises liegen, nicht nur bei Gelegenheit der ihnen obliegenden Verrichtungen vorgenommen werden, sondern müssen im inneren Zusammenhang mit ihren Obliegenheiten stehen ( R G 162, 144; B G H 20, 123). Liegen Uberschreitungen der Grenzen der Vertretungsmacht vor, so bleibt die Haftung für außervertragliches Verschulden gemäß § 8 3 9 bestehen ( R G 162, 169, 202). Anders bei vertraglicher und vertragsähnlicher Haftung. Wird ein Vertrag von einem nicht befugten Beamten geschlossen, so richtet sich die Haftung nur nach § 179 B G B , eine Haftung der Körperschaft selbst ist zu verneinen, weil sonst gerade die zum Schutze der öffentlichen Körperschaften getroffenen Zuständigkeitsbestimmungen ihre Wirkung verlieren würden ( R G 157, 2 1 2 ; 162, 1 5 9 ; B G H 6 , 3 5 5 ; J R 1 9 5 1 , 2 5 6 ) . Auch eine längere anderweite Übung kann die bestehenden Zuständigkeitsbestimmungen nicht außer K r a f t setzen (vgl. dazu B G H N J W 1955, 985; B G H 21, 65). Nur dann hat die Körperschaft zu haften, wenn in der Duldung solcher

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§89

Allgemeiner Teil. Personen

Anm. 9—11 Übung durch ihre Organe eine schuldhafte Vernachlässigung ihrer Pflichten festzustellen ist. Über die Entstehung eines abweichenden Gewohnheitsrechtes vgl. Einleitung Anm. 6. Auch kann unter Umständen eine Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluß begründet sein, wenn bei Vertragsverhandlungen der andere auf die von einem nicht vertretungsberechtigten, aber zur Vorbereitung eines Vertrages ermächtigten Beamten gegebene Zusagen oder Versicherungen vertraut hat und vertrauen konnte, da auch der Staat und die öffentlichen Körperschaften für ein Verschulden aller Personen nach § 242, 278 haften, deren sie sich zur Vorbereitung des Vertragsschlusses bedienen, gleichgültig, ob sie zum Abschluß des Vertrages selbst bevollmächtigt waren oder nicht ( B G H 6,350; B A G 2,217). Darauf, ob der handelnde Vertreter für die Erledigung der Sache zuständig war, kommt es nicht an, da jeder Sachbearbeiter die Befugnisse seiner Behörde ausüben kann und der Außenstehende nicht zwischen den einzelnen Sachbearbeitern zu unterscheiden braucht ( R G 162, 146).

Anm. 9 Diese Grundsätze sollen das Haftungsrecht an die veränderten Wirtschaftsverhältnisse anpassen, nachdem in weitem Umfange an Stelle des Einzelunternehmers private oder öffentliche Körperschaften getreten sind. Es soll die Ungleichheit beseitigt werden, daß zwar der Einzelunternehmer für die Folgen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit in vollem Umfange einzustehen hat, bei den privaten und öffentlichen Körperschaften eine Haftung aber dadurch entfallen könnte, daß die Organe wegen des Umfangs ihrer Tätigkeit nicht selbsthandelnd auftreten können, die Erledigung der Geschäfte ihrem Personal überlassen müssen und hinsichtlich dieser den Entlastungsbeweis aus § 831 führen könnten. Ihre Haftung soll also der Haftung der Einzelunternehmer angeglichen und demgemäß erweitert werden (RG 157, 235; 162, 166; 163, 30). Dieser Grundgedanke muß bei der Anwendung der §§31, 89 entscheidend sein. Deshalb ist die ältere Rechtsprechung, die das nicht immer genügend beachtet hat und auch eine einheitliche Grundlinie vermissen ließ, mehr oder weniger überholt, nur noch beschränkt anwendbar.

Anm. 10 Bei s t a a t l i c h e n A u f t r a g s a n g e l e g e n h e i t e n nimmt zwar die beauftragte Behörde (Land oder Gemeinde) Aufgaben des Auftraggebers (Bund oder Land) wahr, aber nicht als dessen Organ; denn seine eigenen Organe und Beamten können nicht gleichzeitig als Organe des Auftraggebers, als dessen verfassungsmäßiger Vertreter i. S. des § 31 angesehen werden. Es haftet deshalb allein die beauftragte Behörde (BGH 16, 99)-

Anm. 11 III. A b s a t z 2. Über die Zulässigkeit des K o n k u r s e s über öffentliche Körperschaften entscheidet nach Art. I V des E G zur K O das Landesrecht, bei Gemeinden ist er gemäß § 1 1 6 der D G O und der entsprechenden Bestimmungen der Ländergesetze ausgeschlossen.

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§90 A n m . 1, 2 Zweiter Abschnitt Sachen § 9 0 Sachen i m Sinne des Gesetzes sind nur körperliche Gegenstände. E I 778 II 7 7 a ; M j 32; P j 1.

Übersicht Anm.

I. Der Begriff „Sache" und seine Abgrenzung 1. „Sache" im Gegensatz zu „Person" Der menschliche Körper 2. „Gegenstand" als Oberbegriff des Sachbegriffs 3. „Sache" im Gegensatz zu Rechten und sonstigen immateriellen Vermögenswerten 4. „Sache" als begrenzter, körperlicher Teil der Natur a) Die unbegrenzte Natur b) Energien 5. „Sache" im Gegensatz zu Inbegriffen a) Sachgesamtheiten b) Rechtsgesamtheiten II. Verschiedene Arten von Sachen 1. Unterscheidung von beweglichen Sachen, Schiffen und Schiffsbauwerken, Grundstücken a) Schiffe und Schiffsbauwerke b) Bewegliche Sachen und Grundstücke c) Grundstücksgleich behandelte Rechte d) Bedeutung der Unterscheidung zwischen beweglichen Sachen und Grundstücken 2. Vertretbare, der Gattung nach bestimmte, verbrauchbare, teilbare Sachen 3. Dem Privatrechtsverkehr entzogene Sachen 4. Waren 5. Urkunden III. Die Bedeutung des Sachbegriffs als Tatbestandsmerkmal 1. Geltungsbereich der Begriffsbestimmung des § 90 2. Der Sachbegriff im Sachenrecht 3. Der Sachbegriff im Schuldrecht 4. Der Sachbegriff im internationalen Privatrecht

1—17 1—5 2—5 6—7 8—10 11—13 12 13 14—17 15,16 17 18—27 18—22 19 20 21 22 23 24,25 26 27 28—40 28 29—37 38—40 41

I. Der Begriff ,,Sache'* und seine Abgrenzung 1. „ S a c h e " i m Gegensatz zu „ P e r s o n " Anm. 1 Der Begriff „ S a c h e " steht im Gegensatz zum Begriff „ P e r s o n " . Während § 285 öst. ABGB ausdrücklich auf diesen Gegensatz hinweist, wird er im BGB (§§ iff, 90 ff) ebenso wie z. B. im Schweiz. ZGB (Art. 11 ff, Art. 641fr) als selbstverständlich nicht besonders erwähnt. Anm. 2 Demzufolge sind keine Sachen der Körper eines lebenden Menschen und seine Teile, solange sie mit dem lebenden Körper noch organisch verbunden sind. Mit der Abtrennung werden Teile des Körpers (z. B. abgeschnittenes Haar und zur Transfusion abgezapftes Blut) zu Sachen. Der menschliche Körper selbst wird mit dem Tode zur Sache.

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§90

Allgemeiner Teil

Anm. 3—7 Anm. 3 Künstliche Körperteile

sind, falls sie mit dem Körper fest verbunden und üblicherweise zu Lebzeiten von ihm nicht gelöst werden (z. B. Schädelplatten, Zahnplomben und -krönen), nach der Verkehrsauffassung Teile des Körpers, sind somit nicht Sachen; andere künstliche Körperteile (z. B. Perücken, Gliederprothesen, Glasaugen und künstliche Gebisse) sind Sachen, aber der Zwangsvollstreckung entzogen, vgl. § 8 i i Nr. 12 Z P O .

Anm. 4 Abgetrennte Körperteile

werden mit der Trennung Eigentum des bisherigen Trägers (entsprechend § 9 5 3 ; streitig; andere nehmen nur Aneignungsrecht an, vgl. S t a u d i n g e r - C o i n g Anm. 4 zu § 90).

Anm. 5 Der menschliche Leichnam ist zwar eine Sache, aber nach herrschender Auffassung n i c h t V e r m ö g e n s g e g e n s t a n d und insofern dem Rechtsverkehr entzogen; er unterliegt daher keinem Aneignungsrecht und kann nicht jemandes Eigentum werden. G r u n d : Die Achtung vor dem Verstorbenen wird, wenn auch abgeschwächt, auf seinen Leichnam übertragen (vgl. R G 100, 1 7 1 ; 108, 2 1 7 ; 154, 269; R G J W 1925, 2 1 2 5 1 4 ; R G SeuffArch 59, 308; R G WarnRspr ig 12 Nr. 219). S k e l e t t e , einzelne menschliche Knochen, M o o r l e i c h e n und M u m i e n , bei denen diese Rücksicht entfällt, können daher als Sachen Gegenstände des Rechtsverkehrs sein.

2. „Gegenstand" als Oberbegriff des Sachbegriffs Anm. 6 Der Begriff S a c h e im allgemeinen Sprachgebrauch ist v i e l d e u t i g (vgl. z. B. § 265 Z P O „die im Streit befangene S a c h e " ; § 580 Z P O „ein in derselben Sache erlassenes . . . U r t e i l " ; §§ 367, 377 Z P O „nach Lage der S a c h e " ; ferner die gesetzlichen Bezeichnungen „Ehesache", „Entmündigungssache", „Strafsache"). Während das P r A L R in § 1 Teil I, 2. Titel alles, was Gegenstand eines Rechts oder einer Verbindlichkeit sein kann, auch ein anderes Recht, als Sache bezeichnet hat (vgl. wegen elektr. Stromes nach P r A L R R G 17, 269; 56, 403), und während das öst. A B G B „alles, was von der Person unterschieden ist, und zum Gebrauche der Menschen dient", im rechtlichen Sinne eine Sache nennt, engt § 90 den Begriff „ S a c h e " ein und bezeichnet damit „ n u r k ö r p e r l i c h e G e g e n s t ä n d e " .

Anm. 7 Damit wird S a c h e zu einem U n t e r b e g r i f f d e s B e g r i f f e s „ G e g e n s t a n d " . Die Bemühungen, den Begriff „Gegenstand" näher zu definieren, haben die für Auslegung des B G B keine praktische Bedeutung. Für das B G B ist „Gegenstand" ein farbloser Begriff, der nicht mehr besagt, als das Fremdwort „ O b j e k t " . Wenn das B G B von „Gegenstand" spricht, kann nur aus dem Zusammenhang der einzelnen Gesetzesbestimmung erschlossen werden, was darunter fällt. Dagegen kann die Gesetzesbestimmung nicht umgekehrt mit Hilfe des Begriffes „Gegenstand" ausgelegt werden. Wenn das B G B vom „Gegenstand" eines Schuldverhältnisses spricht, so bezieht sich das gelegentlich auf Tätigkeiten (§§ 6 1 1 , 631), in der Mehrzahl der Fälle auf Vermögenswerte. Dabei ergibt sich gelegentlich aus dem Zusammenhang, daß als Gegenstand im Sinne der betreffenden Gesetzesbestimmung nicht Vermögenswerte schlechthin, sondern nur gewisse Arten von Vermögenswerten in Betracht kommen, z. B. nur körperliche Gegenstände (§§ 1382 aF, 1640 aF, 1361 nF, 166g nF, 1370 nF, 1682 nF), nur Grundstücke (§§ 509, 1048), nur Wälder, Bergwerke und ähnliches (§ 1038), nur Geld oder Wertpapiere (§ 1 8 1 3 aF), nur gewisse Wertpapiere (§§ 1 0 8 1 , 1294). Das B G B spricht gelegentlich von „Gegenständen, die nicht durch Rechtsgeschäfte übertragen werden können" (§§ 1439 aF, i486 aF, 1522 a F , 1552 aF, 1554 aF, 1 4 1 7 nF). Darüber, was als „Gegenstand" in Betracht kommt, s. die Anmerkungen zu den angeführten Gesetzesstellen.

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Sachen

§90 Anm. 8—13

3. „Sache" Im Gegensatz zu Rechten und sonstigen immateriellen Vermögenswerten Anm. 8 Nur körperliche Gegenstände sind Sachen im Sinne des BGB. Daher sind keine S a c h e n : Rechte, z. B. Patentrechte, Urheberrechte oder sonstige immaterielle Vermögenswerte, z. B. die Kundschaft (RG 63, 57), ein Zeitschriftentitel (RG 68, 49; 70, 220), ein Geschäftsgeheimnis (Marienwerder O L G 22, 223). Anm. 9 So ist z. B. ein von einem Filmhersteller mit einem Filmverleiher unter Filmkopien zur V e r w e r t u n g eines F i l m e s geschlossener Vertrag kein da er nicht den für einen Mietvertrag (§ 535) wesentlichen Gebrauch sondern die beschränkte Übertragung des Urheberrechtes am Film zum hat (RG 106, 362; B G H 2, 331).

Hingabe von Mietvertrag, einer Sache, Hauptinhalt

Anm. 10 Als Sache ist auch eine mit einem Grundstück verbundene G e r e c h t i g k e i t n i c h t zu behandeln, z. B. eine Abdeckereigerechtigkeit, Apothekergerechtigkeit. Denn sie gilt zwar nach § 96 als Bestandteil, ist aber kein wirklicher Sachteil des Grundstücks (RG 83» 198; §96 Anm. 10). Anm. 11 4. „Sache" als begrenzter, körperlicher Teil der Natur Sachen im Sinne des § 90 sind körperliche Gegenstände, d. h. nach natürlicher Anschauung für sich allein bestehende, im Verkehrsleben besonders bezeichnete und bewertete, begrenzte S t ü c k e der den Menschen umgebenden N a t u r (RG 87, 43; RG J W 1917, 809 1 ; vgl. §93 Anm. 4 ff). Auch G r u n d s t ü c k e , d.h. in bestimmter Weise begrenzte Stücke der Erdoberfläche, sind im Sinne des § 90 Sachen (vgl. § 93 Anm. 4). Anm. 12 a) Die unbegrenzte Natur Die freie atmosphärische Luft, das fließende Wasser eines Stromes, das Wasser des offenen Meeres, das Grundwasser sind schon deshalb n i c h t S a c h e n im Sinne des BGB, weil ihnen die feste Begrenzung fehlt, die einzelne Stücke der Natur erst geeignet macht, Gegenstand privatrechtlicher Beziehungen zu werden. Vom fließenden Wasser selbst ist der von ihm durchflossene Teil der Erdoberfläche (das Flußbett, der Wasserlauf) zu unterscheiden. Ob das Flußbett als Sache Gegenstand eines Privatrechts sein kann, richtet sich nach Landesrecht (vgl. Art. 65 EG). Bei geschlossenen Gewässern (z. B. Teichen) ist nicht nur das Wassergrundstück, sondern auch die Wassermenge Sache und damit fähig, Gegenstand eines Privatrechts zu sein. Werden Teile der atmosphärischen Luft oder des fließenden Wassers in besondere Behältnisse gebracht, so werden sie Sache im Sinne des § 90. Bei Luft und Gasen kommt es — im Gegensatz zur Begriffsbestimmung der res corporales im Römischen Recht „hae sunt quae tangi possunt" — nicht auf die Wahrnehmbarkeit durch den Tastsinn an, aber auch nicht auf die Wahrnehmbarkeit schlechthin (Licht z. B. ist wahrnehmbar, aber keine Sache im Sinne des § 90). Die Rechtsprechung sieht vielmehr einen körperlichen Gegenstand immer dann, aber auch nur dann als solchen an, wenn er Masse im Sinne der Schulphysik besitzt. Anm. 13 b) Energien Danach hat die Rechtsprechung solchen Energien, die in Form elektrischer Ströme und elektrischer Ausstrahlungen zwar wahrnehmbar und beherrschbar sind, sich aber nicht als Masse darstellen, die Anerkennung als Sache im BGB versagt ( R G 56, 403; 67, 229; 86, 12; R G J W 1930, 1924 1 ; vgl. auch R G S t 29, 1 1 1 ; 32, 165). Diese nicht unum-

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§90

Allgemeiner Teil

Anm. 14—17 stritten gebliebene Rechtsprechung hat sich auf die der laienhaften Anschauung zugängliche Schulphysik gestützt. Wenn die moderne Physik elektrische Erscheinungen j e nach der Betrachtungsweise teils als Wellenvorgänge, teils aber auch als corpusculare Vorgänge darstellt, so ist das für das Rechtsleben schon deshalb ohne Bedeutung, weil die moderne Physik zu wenig anschaulich ist, als daß sie bisher die Anschauung des täglichen Lebens (die sog. „natürliche" Betrachtungsweise) geprägt hätte, auf die es im Rechtsleben allein ankommt. Auch der Gesetzgeber hat sich der Rechtsprechung angeschlossen und das RGes. vom 9. 4. 1900 betr. die Bestrafung der Entziehung elektrischer Arbeit (jetzt § 248 c StGB) erlassen, weil er davon ausging, daß elektrische Energie keine Sache im Sinne des § 242 S t G B sei; § 242 S t G B verwendet denselben Sachbegriff wie § 90 (s. auch Anm. 28).

5. „Sache" im Gegensatz zu Inbegriff Anm. 14 Sachen im Sinne des § 90 sind nur die einzelnen körperlichen Gegenstände, mögen sie sich auch aus Teilen zusammensetzen (sog. zusammengesetzte Sachen, vgl. § 93 Anm. 8), sofern sie sich im Verkehrsleben als Sacheinheiten darstellen, n i c h t dagegen Inbegriffe von Sachen (sog. S a c h g e s a m t h e i t e n ) oder Inbegriffe, denen auch noch andere Gegenstände als Sachen angehören (sog. R e c h t s g e s a m t h e i t e n ) . Ein G r u n d s t ü c k ist auch dann eine Sache im Sinne des § 90, wenn es aus mehreren räumlich nicht zusammenhängenden Teilstücken besteht, vorausgesetzt, daß es im Grundbuch als ein Grundstück aufgeführt wird (vgl. § 93 Anm. 4).

a) Sachgesamtheiten Anm. 15 Eine Sachgesamtheit liegt vor, wenn eine M e h r h e i t s e l b s t ä n d i g e r Sachen wegen ihrer g e m e i n s a m e n B e s t i m m u n g im Verkehr in gewisser Beziehung als Einheit betrachtet wird, wenn aber andererseits diese einheitliche Betrachtung auch im Verkehr oder jedenfalls bei sog. „natürlicher Betrachtungsweise" (vgl. § 93 Anm. g — 1 1 ) nicht vergessen läßt, daß es sich um eine Mehrheit einzelner Sachen handelt; sonst läge eine zusammengesetzte Sache vor ( R G J W 1 9 1 7 , 809 1 ). In der Regel ist im Verkehr ein g e m e i n s c h a f t l i c h e r N a m e f ü r solche Sachgesamtheiten gebräuchlich, z. B. Warenlager (§ 92), Gemäldesammlung, Briefmarkensammlung ( R G WarnRspr 1936 Nr. 137), Bücherei ( R G WarnRspr 1 9 1 8 Nr. 154). Die Frage, ob eine zusammengesetzte einheitliche Sache oder ein Inbegriff anzunehmen ist, läßt sich nicht immer leicht beantworten. Während z. B. eine Herde nur als Gesamtheit gilt, behandelt das B G B (§§961 f f ) einen Bienenschwarm als Sacheinheit (s. auch § 9 3 Anm. 9—23). Das B G B führt den Ausdruck „ S a c h i n b e g r i f f " an in den §§ 92 Abs. 2, 1035.

Anm. 16 Eine besondere Art von Sachinbegriff stellt das in den §§ 587 fr, 1048, 1378 a F , 2 1 1 1 erwähnte Inventar dar ( R G 142, 201). Das unter den Begriff des Zubehörs (§§ 97, 98) fallende Inventar wie überhaupt das Zubehör bildet zusammen mit der Hauptsache eine besondere Sachmehrheit, die sich dadurch von den sonstigen Sachmehrheiten unterscheidet, daß das Zubehör vielfach das Schicksal der Hauptsache teilt und deshalb vielfach besonderen rechtlichen Bestimmungen unterworfen ist (vgl. § § 3 1 4 , 498, 926, 1 0 3 1 , 1062, 1093, 1096, 1 1 2 0 — 1 1 2 2 , 1 1 3 5 , 1 5 5 1 a F , 2164).

Anm. 17 b) Rechtsgesamtheiten Während eine „Sachgesamtheit" nur Sachen umfaßt, wird ein Inbegriff von Sachen und Rechten und sonstigen Vermögenswerten als sog. „Rechtsgesamtheit" bezeichnet. Dem B G B ist dieser Ausdruck fremd. Es spricht von „ I n b e g r i f f v o n G e g e n s t ä n d e n " (§ 260) und meint damit sowohl Sachgesamtheiten wie Rechtsgesamtheiten; oder es führt einzelne Inbegriffe namentlich an, so das „ V e r m ö g e n " , wobei es bald die Aktivwerte meint, z. B. in den §§ 3 1 0 , 3 1 1 , 419, 1085fr, 1640, 1802, 1805, 1806, 1822 Nr. 1, 1844, 1890 ( R G 69, 283; 69, 4 1 6 ; 72, 77, 86; 139, 199; 149, 172), bald das Netto-

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Sachen

§90

Anm. 18—20 vermögen, d. h. die Aktiva abzüglich der Passiva (so in §§ 1360 aF, 1 3 7 3 fr nF), bald die Aktiv- und die Passivwerte (so z. B. in den §§ 1627 a F> 1626 nF, 2128). Inbegriffe sind ferner die S o n d e r v e r m ö g e n , z. B. Gesamtgut, Sondergut und Vorbehaltsgut im ehelichen Güterrecht, der elterlichen Verwaltung nicht unterstehendes Kindesvermögen (§ 1638), Gesellschaftsvermögen (z. B. § 718), Erbschaft (§ 1922), Höfe im Sinne der Höfeordnung, Konkursmassen, die Deutsche Bundesbahn, die Deutsche Bundespost, gemeindliche Regiebetriebe usw., ferner Gebilde wie das „geschäftliche Unternehmen" ( R G 63, 5 7 ; 67, 86; 68, 49; 70, 226), das Anzeigengeschäft einer Zeitung ( R G 70, 20), die ärztliche Praxis ( R G 75, 120) usw. Uber die rechtliche Bedeutung des Unterschiedes zwischen Sachen und Inbegriffen (Sachgesamtheiten und Rechtsgesamtheiten) s. Anm. 2 9 f f und § 9 3 Anm. 1 — 3 .

II. Verschiedene Arten von Sachen 1. Unterscheidung von beweglichen Sachen, Schiffen und Schiffsbauwerken, Grundstücken Anm. 18 Das B G B unterscheidet zwischen beweglichen Sachen, nicht im Schiffsregister eingetragenen Schiffen (die den beweglichen Sachen nahestehen, vgl. aber §§ 929a, 932 a, 936, dagegen § 1032), im Schiffsregister eingetragenen Schiffen, im Schiffsbauregister eingetragenen Schiffsbauwerken ( § § 2 3 2 , 3 0 3 , 3 8 3 , 449, 580a, 1423 a F , 1445 a F , 1 5 5 1 aF, 1663 aF, 1424 nF, 1 8 2 1 , 2 1 1 3 , 2 1 3 5 , 2168 a) und Grundstücken. Im § 1 5 5 1 Abs. 2 a F sind Grundstücke, eingetragene Schiffe und Schiffsbauwerke sowie Zubehör dazu und gewisse Rechte unter der Sammelbezeichnung „ u n b e w e g l i c h e s V e r m ö g e n " zusammengefaßt. Sonst kennt das B G B diesen Ausdruck nicht. Daneben sind durch Bundesgesetz vom 1 5 . 3 . 1951 (BGBl I 175, 209), in Westberlin durch Gesetz vom 2. 8. 1951 (GVB1 547) auch W o h n u n g e n und sonstige R ä u m e als selbständige unbewegliche Sachen anerkannt, soweit an ihnen Wohnungseigentum bzw. Teileigentum oder ein Wohnungserbbaurecht bzw. ein Teilerbbaurecht besteht (vgl. auch § 9 3 Anm. 39). Wegen des alten S t o c k w e r k e i g e n t u m e s aus der Zeit vor dem 1. 1. 1900 vgl. Art. 182 E G . Wegen des T e i l b e s i t z e s vgl. die Ausnahmeregel des § 865.

Anm. 19 a) Schiffe und Schiffsbauwerke Während die nicht im Schiffsregister eingetragenen Schiffe im allgemeinen wie bewegliche Sachen behandelt werden (vgl. aber die §§ 929 a, 932 a, 936, abweichend davon § 1 0 3 2 ; R G 80, 129), werden die eingetragenen Schiffe und Schiffsbauwerke, d. h. auf einer Schiffswerft im Bau befindliche Schiffe (§ 76 SchiffsGes.), in mancher Hinsicht wie Grundstücke behandelt (vgl. die §§ 232, 303, 383, 4 1 8 , 435, 446, 449, 509, 580a, 648, 1423 aF, 1438 a F , 1445 aF, 1 5 5 1 aF, 1663 a F , 1 4 1 6 nF, 1424 nF, 1795, 1 8 2 1 , 2 1 1 3 , 2 1 1 4 , 2 1 6 8 a ; s. auch Ges. über Rechte an eingetragenen Schiffen und Schiffsbauwerken vom 15. 1 1 . 1940, R G B l I 1499, dort insbes. §§ 3, 78, aber auch § 2).

Anm. 20 b) Bewegliche Sachen und Grundstücke Wenn man von der besonderen Behandlung eingetragener Schiffe und Schiffsbauwerke absieht, kennt das B G B keine anderen unbeweglichen Sachen als G r u n d s t ü c k e . Daher gelten grundsätzlich für alle Sachen, die nach § 95 nicht Bestandteile von Grundstücken sind, die Vorschriften über bewegliche Sachen (vgl. § 9 5 Anm. 44, 45). Doch gibt es Ausnahmen von diesem Grundsatz, so z. B. in § 926 für den Erwerb des Eigentums an Grundstückszubehör (vgl. Vorbem. 12 vor §§97, 98). Andererseits teilen u n w e s e n t l i c h e B e s t a n d t e i l e eines Grundstücks nicht notwendigerweise das rechtliche Schicksal des Grundstücks; sie können Gegenstand eines Sonderrechts sein und werden für den Bereich des Sonderrechts wie bewegliche Sachen behandelt, soweit es sich nicht um Teilflächen handelt (vgl. § 93 Anm. 4 4 — 4 9 ; R G 158, 362, 368).

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§90

Allgemeiner Teil

Anm. 21—25 Anm. 21 c) Grundstücksgleich behandelte Rechte Die für Grundstücke geschaffenen Vorschriften gelten auch für gewisse Rechte, und zwar nach B G B § 1 0 1 7 bzw. § 1 1 V O vom 15. 1. 1 9 1 9 ( R G B l 72) für das Erbbaurecht (nach § 1 1 mit Ausnahme der §§ 925, 927, 928), ferner für Rechte, die im Rahmen der Art. 63, 67, 68 nach Landesrecht als Immobiliarrechte ausgestaltet sind, z. B. Bergwerkseigentum, Kohlenabbaugerechtigkeit (vgl. auch § 94 Anm. 7).

Anm. 22 d) Bedeutung der Unterscheidung zwischen beweglichen Sachen und Grundstücken Die H a u p t b e d e u t u n g des Unterschiedes zwischen beweglichen Sachen und Grundstücken liegt a u f d e m G e b i e t e d e s S a c h e n r e c h t s . I m S c h u l d r e c h t gibt es einige Sonderbestimmungen für Grundstücke (z. B. §§303, 3 1 3 , 435 f, 439, 446, 449, 468, 503, 509, 537, 5 5 1 , 565fr, 582fr, 638; vgl. auch § 4 Wohnungseigentumsgesetz). Die Z i v i l p r o z e ß o r d n u n g unterscheidet bei Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen die Zwangsvollstreckung „ i n das bewegliche V e r m ö g e n " (§§ 803 fr Z P O ) , darunter die in „körperliche Sachen" (§§ 808ff Z P O ) und „in Forderungen und andere Vermögensrechte" einschließlich von Forderungen, die „unbewegliche Sachen" und eingetragene Schiffe und Schiffsbauwerke betreffen (§§ 828 ff Z P O ) , von der Zwangsvollstreckung „in das unbewegliche Vermögen" einschließlich der in eingetragene Schiffe und Schiffsbauwerke (§864 Z P O , dazu Z V G ) . Die unter gewissen Umständen zulässige Zwangsvollstreckung in vom Boden noch nicht getrennte Früchte (§§ 810, 824 Z P O ; s. auch Gesetz zur Sicherung der Düngemittel- und Saatgutversorgung vom ig. 1. 1949, WiGBl 8) wird vom Gesetz als Zwangsvollstreckung in körperliche Sachen behandelt.

Anm. 23 2. Vertretbare, der Gattung nach bestimmte, verbrauchbare, teilbare Sachen Weiterhin unterscheidet das Gesetz die Sachen nach den Gesichtspunkten der Vertretbarkeit ( § 9 1 ) , Verbrauchbarkeit (§92), Gattungsbestimmheit ( § 2 4 3 ) ; siehe auch den Begriff des „teilbaren Gegenstands", der den der teilbaren Sache einschließt (§ 752).

3. Dem Privatrechtsverkehr entzogene Sachen Anm. 24 Der Begriff der „öffentlichen Sache" als einer

dem Privatrecht überhaupt entzogenen Sache ist dem französischen domaine public nachgebildet worden. E r hat sich im Geltungsbereich des B G B nicht durchgesetzt. Anders ist es jetzt in der sowjetischen Besatzungszone. Dort gelten Sachen, die zum Anlagevermögen „volkseigener" Betriebe gehören, als unveräußerlich; sie sind der privatrechtlichen Verfügung etwa durch die Betriebsleitung entzogen; die Übertragung „volkseigenen" Anlagevermögens von einer staatlichen juristischen Person auf eine andere wird durch das Verwaltungsrecht geregelt und geschieht durch einen Verwaltungsakt, der als „Umsetzung" bezeichnet wird.

Anm. 25 J e d o c h ergibt sich daraus, daß bestimmte Sachen dem Gemeingebrauch oder oder religiösen Zwecken gewidmet sind, eine Einschränkung der privatrechtlichen Verkehrsfähigkeit dieser Sachen ( R G 72,347). Die Verkehrsunfähigkeit einer Sache beurteilt sich nach öffentlichem Recht, d. h. also weithin nach Landesrecht (vgl. Art. 6 5 f r , i n , 1 1 9 , 133 E G , auch Art. 55 E G , wobei unter den „privatrechtlichen Vorschriften des Landesrechts" die zur Zeit des Erlasses des Art. 55 als privatrechtlich angesehenen Vorschriften zu gelten haben). Die Frage, ob dem einzelnen ein Privatrecht auf den Gebrauch öffentlicher Sachen gegen deren Eigentümer zusteht, ist im Rahmen der Art. 5 5 f r E G (z. B. Art. 6 5 , 6 6 , 69, 73, 1 1 1 , 1 1 3 , 1 1 5 , 1 1 9 , 133) nach dem Recht zu unterscheiden, das die öffentlich-rechtlichen Verhältnisse dieser Sachen regelt, da sich diese Frage nicht von der Gestaltung des öffentlich-recht-

öffentlichen

192

Sachen

§90

Anm. 26—28

liehen Verhältnisses lösen läßt (streitig; R G 70, 77; jedoch auch R G 53, 384). Aus dem B G B ergibt sich darüber nichts. Über den Gebrauch von F r i e d h ö f e n vgl. R G 100, 2 1 3 ; 1 0 8 , 2 1 7 . Uber den Gebrauch von ö f f e n t l i c h e n S t r a ß e n vgl. allgemein, R G 1 1 8 , g i ; für L i c h t r e k l a m e R G 123, 1 8 1 ; wegen einer Tankstelle R G 123, 187; wegen eines Verkaufsstandes R G 125, 108.

Anm. 26 4. Waren Waren im Sinne der §§ 196 Abs. 1 Nr. 1, 764 und der §§ 1 Abs. 2 Nr. 1, 3 7 3 f f H G B , sind in der Regel b e w e g l i c h e S a c h e n , die zum Umsatz, d. h. zur Anschaffung und Weiterveräußerung im Geschäftsverkehr bestimmt sind, gleichgültig, ob sie auch noch verarbeitet oder bearbeitet werden (s. hierzu R G 130, 85; aber auch R G 56, 408; 67, 232, wo auch elektrische Energie als „ W a r e " bezeichnet wird). W e r t p a p i e r e sind k e i n e Waren (arg. § 764 B G B , §§ 1 Abs. 2 Nr. 1, 381 H G B ; vgl. R G 74, 161).

Anm. 27 5. Urkunden Urkunden sind körperliche Gegenstände, also S a c h e n ( R G 91, 155) und unterliegen grundsätzlich den für Sachen geltenden Bestimmungen. In gewissen Fällen werden sie aber b e s o n d e r s b e h a n d e l t : Bei Urkunden, kraft deren eine L e i s t u n g g e f o r d e r t werden kann — ohne Unterschied, ob es sich um Wertpapiere handelt oder nicht und ob die Urkunden Forderungsrechte verbriefen (z. B. Schuldscheine, Wechsel, Sparkassenbücher; R G 106, 1) oder Sachenrechte (z. B. Grundschuldbriefe) oder Mitgliedschaftsrechte (z. B. Geschäftsanteile einer G m b H ; R G WarnRspr ig28 Nr. 107) —, folgt das Recht an der Urkunde dem Recht an der Forderung. Das gilt jedoch nur, solange die Forderung besteht; letzteres ist allerdings nach einer vom Reichsgericht gelegentlich geäußerten Ansicht nicht zwingendes Recht ( R G 5 1 , 8 3 ; 9 1 , 155). Einzelheiten: s. § 9 5 2 ; vgl. auch §§ i274f. Von dieser Regel bilden wiederum eine Ausnahme I n h a b e r - u n d O r d e r p a p i e r e . Hier folgt das Recht aus dem Papier dem Recht am Papier. I n h a b e r p a p i e r e (z. B. Inhaberschuldverschreibungen, § § 7 9 3 f f ; Inhaberaktien; Papiere nach § 8 0 7 ; nicht aber Sparkassenbücher, R G 106, 1 ; R G J W 1 9 1 3 , 30 1 8 ; nicht Versicherungsscheine, auch wenn sie auf den Inhaber gestellt sind, R G 5 1 , 83; 66, 158) werden wie bewegliche Sachen übertragen und verpfändet (§§ 929ff, insbesondere §§ 935, 1293, s. aber auch § 797 Satz 2). Bei O r d e r p a p i e r e n wird durch die eigentümliche Form des Indossaments sowohl das Recht am Papier wie das in ihm verbriefte Recht übertragen. Wegen der Verpfändung von Orderpapieren vgl. § 1292. Wegen der Verwertung verpfändeter Order- und Inhaberpapiere vgl. §§ 1294!". Abgesehen von den vorstehend erwähnten Besonderheiten werden s ä m t l i c h e U r k u n d e n w i e b e w e g l i c h e S a c h e n behandelt. A n ihnen (und zwar auch an Urkunden, die nach § 952 nur als Anhängsel eines Rechts gelten) ist selbständiger Sachbesitz möglich; sie können infolgedessen Gegenstand eines vertraglichen oder gesetzlichen Zurückbehaltungsrechts ( R G 5 1 , 83; 66, 24; 91, 1 5 1 ; aber ablehnend bei Schiffsbriefen K G H R R 1933 Nr. 938), einer Leihe (RG 9 1 , 155) sowie einer Sachbeschädigung sein. Wegen des schuldrechtlichen Anspruchs auf Auslieferung von Urkunden s. §§ 402, 410, 444, i o 8 i f f , i i 4 4 f , 1 1 6 7 , 1296. Zur Frage der Haftung bei Lieferung falscher Banknoten: R G 108, 279; R G J W 1923, 176«.

III. Die Bedeutung des Sachbegriffs als Tatbestandsmerkmal Anm. 28 1. Geltungsbereich der Begriffsbestimmung des § 90 Der in § 90 umschriebene Begriff der Sache gilt an sich nur für das BGB, nicht notwendig auch für andere Gesetze, s. oben Anm. 6; vgl. auch § 265 Z P O , der unter Sache wohl auch Rechte versteht, so z. B. R o s e n b e r g , Zivilprozeßrecht § 101 I I 1, s. aber 13

Komm. 2. BGB, n . Aufl. I. Bd. (Kregel)

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§90 A n m . 29—32

Allgemeiner Teil

auch RG 153, 210. Vielfach verstehen aber auch andere Gesetze unter Sache dasselbe wie das BGB, so z. B. das StGB in den §§ 242, 246 (vgl. RGSt 29, 111; 32, 160). 2. Der Sachbegriff i m Sachenrecht A n m . 29 Wo das Gesetz im Rahmen des Sachenrechts von „Sache" spricht, bezieht sich die Gesetzesbestimmung jeweils nur auf einzelne Sachen im Sinne des § 90 und ist sie k e i n e r a u s d e h n e n d e n A u s l e g u n g des Sachbegriffs zugänglich. Sachenrechtliche Gesetzesbestimmungen, die den Begriff „Sache" als Tatbestandsmerkmal enthalten, lassen sich grundsätzlich nicht auf andere Gegenstände entsprechend anwenden, also z. B. nicht auf Sach- und Rechtsgesamtheiten, auf Rechte oder sonstige Vermögenswerte. Wo das BGB Sachenrechte an anderen Gegenständen als an einzelnen Sachen im Sinne des § 90 zulassen will, sagt es das ausdrücklich (z. B. §§ 873, 876, 888, 1066, 1068—1084, 1095, 1106, 1114, 1123fr, 1258, 1273fr; vgl. auch das Pachtkreditgesetz vom 5. 8. 1951, BGBl I 494, und das Gesetz zur Sicherung der Düngemittel- und Saatgutversorgung vom 19. 1. 1949, WiGBl 8, BGBl 1950, 37). Der „Nießbrauch am Vermögen" (§§ 1085 fr) ist nicht als Nießbrauch an einer Rechtsgesamtheit ausgestaltet, sondern stellt eine Zusammenfassung von Nießbrauchsrechten an den einzelnen Vermögensgegenständen dar (RG 153, 29). A n m . 30 Nach dem BGB gibt es z. B. k e i n e n r e c h t s g e s c h ä f t l i c h e n E i g e n t u m s e r w e r b an S a c h g e s a m t h e i t e n (s. Anm. 15, 16), sondern nur an den einzelnen dazugehörigen Sachen; Ausnahme bei Grundstückszubehör (§ 926; vgl. auch §§ 1120ff; §§ 20 Abs. 2, 55J 65, 90 Abs. 2 ZVG). Deshalb ist der Erwerb des Eigentums bei einer Sachgesamtheit nur in der Weise möglich, daß die einzelnen Sachen übereignet werden (RG 70, 226, 231). Dies kann jedoch unter der verkehrsüblichen zusammenfassenden Bezeichnung geschehen. Soll ein Teil einer Sachgesamtheit übereignet werden, so müssen die davon betroffenen Sachen einzeln bezeichnet werden, da es sonst an einer Einigung über bestimmte Sachen fehlt (RG 52, 385; 113, 57; RG Gruchot 51, 615; RG HRR 1926 Nr. 937); s. aber auch § 926. E n t s p r e c h e n d e s wie beim Eigentum gilt für den Erwerb von sonstigen Rechten an S a c h g e s a m t h e i t e n und R e c h t s g e s a m t h e i t e n (s. Anm. 15, 16). An einer Gesamtheit als solcher können keine Rechte begründet werden. Ausnahmen bei Grundstückszubehör: §§ 1031, 1062, 1093, H2off; Pachtkreditgesetz vom 5. 8. 1951, BGBl I 494)A n m . 31 Eine G e s a m t h e i t kann nur dadurch v e r ä u ß e r t oder v e r p f ä n d e t werden, daß die einzelnen Sachen und Rechte, aus denen sie besteht, nach den für die Einzelgegenstände geltenden Vorschriften (z. B. §§ 398fr, 929fr) übertragen oder verpfändet werden (RG 53, 218; 68, 49; 70, 226; 74, 146; RG JW 1906, 224'). Ob eine Gesamtheit rechtswirksam erworben wird, hängt von der Wirksamkeit des Erwerbes jedes einzelnen Gegenstandes ab und beurteilt sich unter Umständen für jeden einzelnen Gegenstand verschieden. So kann z. B. der Eigentumserwerb bei einigen Sachen ausgeschlossen sein, weil sie gestohlen sind. Wer ein Recht an einer Gesamtheit behauptet, muß also grundsätzlich den Erwerb des Rechtes an jedem einzelnen dazugehörigen Gegenstande beweisen; allerdings wird vielfach kein Anlaß bestehen, bei einzelnen zu einer Gesamtheit gehörigen Gegenständen ein besonderes, von den anderen Gegenständen der Gesamtheit abweichendes Rechtsverhältnis anzunehmen. Eine Sachgesamtheit (z. B. ein Holzlager) oder eine Rechtsgesamtheit (z. B. ein gewerbliches Unternehmen) kann als solche nie Gegenstand eines Pfandrechtes sein (RG 53, 218). A n m . 32 Da ein Recht an einer G e s a m t h e i t als solcher nicht besteht, erlangt ein Erwerber nicht ohne weiteres das Eigentum an den n a c h t r ä g l i c h vom Veräußerer der Gesamtheit a n g e s c h a f f t e n u n d der Gesamtheit e i n v e r l e i b t e n S a c h e n ; diese müssen

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Sachen

§90 A n m . 33—37

vielmehr besonders übereignet werden. Doch kann z. B. bei einer Pfandbestellung an einem Warenlager im voraus vereinbart werden, daß die später angeschafften Sachen dem Pfandrecht unterliegen sollen, sofern nur der Gläubiger Mitbesitz an den später angeschafften Sachen erlangt (vgl. § 1206; RG 53, 219). Ebenso kann bei einer Eigentumsübertragung nach § 930 vereinbart werden, daß die vom Besitzer an Stelle veräußerter Sachen neuangeschafften Sachen Eigentum des Erwerbers werden sollen (s. Erl. zu § 930; R G 56, 52; R G J W 1911, 762"; 1912, 144 21 ; R G WarnRspr 1908 Nr. 62; R G Gruchot 57, 434). A n m . 33 In den Bestimmungen der §§ 946ff über V e r b i n d u n g , V e r m i s c h u n g u n d V e r a r b e i t u n g ist unter „Sache" immer nur eine solche im Sinne des § 90 zu verstehen. Wenn in den §§ 946 fr — ebenso wie in den §§ 93 ff — von wesentlichen Bestandteilen einer Sache die Rede ist, handelt es sich um Bestandteile einer einheitlichen Sache im Sinne des § 90, nicht um Teile einer Gesamtheit (vgl. §§ 93—95 Vorbem. 14 und § 93 Anm. 3). A n m . 34 Der B e s i t z e i n e r S a c h g e s a m t h e i t ist zwar rechtlich nur als Besitz der einzelnen Sachen aufzufassen. Da aber bei einer wirtschaftlichen Einheit die tatsächlichen Verhältnisse (im Gegensatz zur Rechtslage) für alle Stücke gleich sind, erstreckt sich der Besitz einer Sachgesamtheit notwendigerweise auf alle dazugehörigen Sachen (z. B. der Ersitzungsbesitz einer Briefmarkensammlung, Dresden OLG 36, 158; s. aber auch RG WarnRspr 1936 Nr. 137). Ein S o n d e r b e s i t z an einzelnen Stücken kann nur in der Weise begründet werden, daß diese entweder aus der Gesamtheit ausgeschieden oder doch einzeln so bestimmt bezeichnet werden, daß der Sonderbesitz tatsächlich ausgeübt werden kann. Die bloße Bezeichnung nach Zahl oder Menge genügt nicht zur Übertragung des Sonderbesitzes (RG 52, 385; R G Gruchot 51, 615). A n m . 35 Im Wege der K l a g e kann nur die H e r a u s g a b e einzelner Gegenstände, nicht der Gesamtheit als solcher verlangt werden (RG 130, 264). Das gilt auch dann, wenn der Beklagte gesetzlich zur Herausgabe eines Inbegriffs verpflichtet ist, z. B. nach den §§ I035> 2018, 2173 (streitig). In der Regel hat in solchen Fällen der Kläger die Möglichkeit, nach § 260 ein Bestandsverzeichnis zu erlangen und damit die einzelnen Gegenstände zu erfahren (vgl. §254 ZPO, aber auch R G WarnRspr 1918 Nr. 154). Doch wird, wenn kein Zweifel bestehen kann und ein antragsgemäß ergehendes Urteil zur Vollstreckung geeignet wäre, eine zusammenfassende Bezeichnung der herausverlangten Gegenstände mit dem Gesamtnamen zulässig sein. A n m . 36 Ebenso unterliegen der Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g nicht die Gesamtheiten, sondern nur die e i n z e l n e n dazugehörigen Sachen und Rechte, dagegen überhaupt nicht die dazugehörigen sonstigen Vermögenswerte wie Kundschaft oder etwa der Firmenname. Deshalb kann z. B. die Veräußerung eines H a n d e l s g e s c h ä f t e s nicht nach dem Anfechtungsgesetz oder der Konkursordnung angefochten werden; nur die Übertragung der zur Zeit der Veräußerung vorhandenen einzelnen Gegenstände kann anfechtbar sein, nicht die der nachträglich angeschafften (RG 70, 226, 233). A n m . 37 Der Grundsatz, daß Sach- und Rechtsgesamtheiten als solche nicht Gegenstand von Sachenrechten sein können, wird dadurch in seiner Auswirkung gemildert, daß das Gesetz für eine Reihe von Sondervermögen den Grundsatz des dinglichen Ersatzes ( S u r r o g a t i o n ) kennt. Das durch die Veräußerung von Gegenständen des Sondervermögens Erlangte tritt an ihre Stelle. Dies ist aber kein allgemeiner Grundsatz des Gesetzes, sondern gilt nur dort, wo das Gesetz es ausdrücklich bestimmt, z. B. in 13*

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§90

Allgemeiner Teil

A n m . 38—41 den §§ 1370 aF, 1381 aF, 1382 aF, 1440 aF, 1473 aF, i486 aF, 1524 aF, 1526 aF, 1554 aF, 1646 aF, 1370 nF, 1 4 1 8 nF, 1473 nF, i486 nF, 1646 nF, 2019, 2041, 2 1 1 1 ( R G 70, 226, 233). Auch ist der Grundsatz in den einzelnen Fällen verschieden durchgeführt. Das Gesetz läßt ferner in gewissen Fällen einen einheitlichen Ü b e r g a n g d e r R e c h t e a n I n b e g r i f f e n zu, so z. B. bei der Rechtsnachfolge des Erben (§ 1922), bei der Veräußerung des Anteiles eines Miterben (§ 2033), bei der Begründung der (allgemeinen) Gütergemeinschaft (§§ 1438 aF, 1 4 1 6 nF), bei der Verschmelzung von Aktiengesellschaften usw. (§§ 2 3 3 f r AktG). Auch das Anwachsen und Abwachsen von Gesellschaftsanteilen ist in diesem Zusammenhange zu erwähnen.

3. Der Sachbegriff i m Schuldrecht A n m . 38 Während der Sachbegriff des § 90 dort, wo ihn das Gesetz in bezug auf sachenrechtliche Zusammenhänge anwendet, als Tatbestandsmerkmal von ausschlaggebender Bedeutung ist, trifft das im Bereich schuldrechtlicher Zusammenhänge nicht zu. Grundsätzlich können nicht nur Sachen, sondern auch Rechte, ferner ganze Sach- und Rechtsgesamtheiten e i n h e i t l i c h e r G e g e n s t a n d e i n e s s c h u l d r e c h t l i c h e n G e s c h ä f t s sein, z. B. ein Geschäft mit Kundschaft ( R G 63, 57), ein sonstiges gewerbliches Unternehmen ( R G 69, 429; 70, 226), eine ärztliche Praxis ( R G 66, 1 3 9 ; 75, 1 2 0 ; R G Warn Rspr 1909 Nr. 5), ein Pensionsbetrieb ( R G 67, 86).

Anm. 39 Die Begriffsbestimmung des § 90 hat im Rahmen des Schuldrechts an Bedeutung verloren. Die Rechtsprechung wendet verschiedene schuldrechtliche Gesetzesbestimmungen, in denen der Begriff der S a c h e als Tatbestandsmerkmal verwendet ist, e n t s p r e c h e n d auch a u f a n d e r e G e g e n s t ä n d e an. Auch bei I r r t u m über Eigenschaften eines unkörperlichen Gegenstandes (z. B. einer Grundschuld) oder eines Inbegriffs (z. B. eines Nachlasses) ist § 1 1 9 Abs. 2 B G B anwendbar ( R G 149, 2 3 5 ; B G H L M Nr. 2 zu §779).

Anm. 40 In weitem Umfange sind k a u f r e c h t l i c h e B e s t i m m u n g e n auch dort, wo das Gesetz vom Verkauf einer „ S a c h e " ausgeht, auf K a u f g e g e n s t ä n d e a n d e r e r A r t anwendbar ( R G 63, 57). Auch Lieferverträge über e l e k t r i s c h e n S t r o m sind nach den Regeln über den K a u f beweglicher Sachen zu beurteilen ( R G 86, 1 2 ; R G J W 1930, I924 1 )Z. B. sind § 455 B G B und § 5 A b z G auch bei Sachgesamtheiten anwendbar ( R G 144, 62), nicht aber ohne weiteres bei Rechtsgesamtheiten ( R G 67, 3 8 3 ; R G J W 1935, 3°37 5 )Die §§ 449fr (Sachmängelhaftung) sind auch beim V e r k a u f v o n R e c h t s g e s a m t h e i t e n entsprechend anwendbar wie Handelsgeschäft ( R G 63, 57; 98, 289; 100, 200; 159, 3 2 1 , 332), Gastwirtschaft ( R G 138, 354), Pensionsbetrieb ( R G 67, 86), Kunststeinwerk ( R G 69, 429); unter Umständen sogar bei Mängeln des einer G m b H oder einer Aktiengesellschaft gehörigen Unternehmens bei Verkauf sämtlicher Geschäftsanteile der G m b H oder sämtlicher Aktien der Aktiengesellschaft ( R G 120, 283; 122, 378; R G J W 1930, 3740 7 ; O L G Hamburg M D R 1949, 49; vgl. auch R G 98, 289; 100, 200; R G J W 1929, 1374 1 0 ; R G H R R 1929 Nr. 6; aber auch R G 86, 146). Die §§ 4 5 9 f r sind nur mit starken Einschränkungen anwendbar bei Verkauf eines Herstellungsverfahrens ( R G 163, 1 ; ablehnend R G J W 1 9 1 4 , 674®); teilweise sind sie anwendbar — mit Ausnahme des § 477 — beim Erfindungskauf ( R G J W 1937, 2661 2 5 ).

A n m . 41 4. Der Sachbegriff i m internationalen Privatrecht Nach deutschem internationalem Privatrecht ist auf Sachenrechte das örtliche Recht des Staates anzuwenden, in welchem sich die Sache befindet ( R G 8 1 , 285). Der Sachbegriff ist in einzelnen Rechten verschieden; namentlich das österreichische Recht bestimmt Sachen (§ 285 öst. A B G B ) und Zubehör (§ 294 öst. A B G B ) wesentlich anders

196

Sachen

§91

Anm. 1—4 als das B G B (vgl. auch Anm. 6). Bei der Suche nach dem maßgeblichen Recht ist grundsätzlich vom Sachbegriff des B G B auszugehen. Jedoch greift der Rechtsgedanke des Art. 28 E G ein: Was in einem ausländischen Staat ist und was dort besonderen Vorschriften unterliegt, soll nach diesen Vorschriften behandelt werden. Damit ist im Ergebnis nach deutschem internationalem Privatrecht für die Frage, welches Recht maßgebend ist, der Sachbegriff des Staates zugrunde zu legen, in welchem die Sache sich befindet. Ist aber die Rück- oder Weiterverweisung durch eine ausländische Kollisionsnorm zu beachten, so ist deren Sachbegriff maßgebend und nicht der des Staates, in dem sich die Sache befindet ( R G 145, 83).

§ 9 1 Vertretbare Sachen i m Sinne des Gesetzes sind bewegliche Sachen, die im Verkehre nach Zahl, Maß oder Gewicht bestimmt zu werden pflegen. E I 779 II 77b; M 3 33; P 3

Ubersicht Anm.

I. Begriffsbestimmungen 1. Vertretbare Sachen 2. Gattungssachen I I . Beispiele vertretbarer Sachen I I I . Verwendung des Begriffs „vertretbare S a c h e "

1—4 1—3 4 5 6, 7

I. Begriffsbestimmungen 1. Vertretbare Sachen Anm. 1 Der Begriff „vertretbare Sache" bezieht sich nur auf b e w e g l i c h e S a c h e n (vgl. hierzu § 90 Anm. 18—22).

Anm. 2 Darauf, ob eine Sache bereits besteht oder erst hergestellt werden soll, kommt es bei der Bestimmung des Begriffs „vertretbare Sache" nicht an (arg. § 6 5 1 ; R G J W 1903, 2

4428) •

Anm. 3 Vertretbare Sachen müssen n a c h Z a h l , M a ß o d e r G e w i c h t bestimmt sein und, was im § 9 1 als selbstverständlich nicht erwähnt ist, n a c h G a t t u n g s m e r k m a l e n . Maßgeblich ist, ob die Sachen allgemein und regelmäßig im Verkehr derart bestimmt werden. Auf die Anschauung und den Willen der Parteien im einzelnen Falle kommt es nicht an.

Anm. 4 2. Gattungssachen Im Gegensatz dazu bestimmt sich der Begriff „eine n u r d e r G a t t u n g n a c h b e s t i m m t e S a c h e " bei der Gattungsschuld (§ 243) nur nach dem Willen der Parteien. Selbst Grundstücke (z. B. Grundstücke gleicher Größe und Lage) und Schiffsbauwerke können kraft Parteiwillens Gegenstand einer Gattungsschuld sein. Da es im Wesen der vertretbaren Sachen liegt, daß sie im Verkehr nach Gattungsmerkmalen bestimmt sind, so sind sie häufig auch Gegenstände von Gattungsschulden. Den Parteien steht jedoch frei, auch wenn eine vertretbare Sache geschuldet wird, das Schuldverhältnis von vornherein auf eine bestimmte Einzelsache zu beschränken und dadurch eine Gattungsschuld auszuschließen.

197

§ 91 A n m . 5 — 7

Allgemeiner Teil

§92 II. Beispiele vertretbarer Sachen Anm. 5 G e l d , vielfach auch W e r t p a p i e r e (arg. § 783 BGB, § 363 HGB). M a s c h i n e n bekannter, gewöhnlicher Art und üblicher Beschaffenheit, es sei denn, sie seien für einen bestimmten Raum oder Betrieb besonders angepaßt; unerhebliche Änderungen zum Zwecke der Anpassung nehmen den Maschinen aber nicht den Charakter vertretbarer Sachen ( R G 45, 63; R G J W 1903, 24428; 1915, 992 1 ; R G H R R 192g Nr. 381; R G L Z 1915, 13704). Maschinen, die nach Preislisten gehandelt werden; Abweichungen von den Formen der Preislisten in nebensächlichen Punkten stehen der Einordnung unter die vertretbaren Sachen nicht entgegen ( K G O L G 34, 49). N i c h t v e r t r e t b a r sind Maschinen, die nach besonderen Zeichnungen für den Einzelfall hergestellt worden sind; ferner nicht ein Apparat, der bisher nur in wenigen Stücken hergestellt worden ist und für den sich kaum ein weiterer Abnehmer finden wird ( R G J W 1913, 2714). N e u e typenmäßig bestimmte K r a f t w a g e n sind vertretbare Sachen ( K G O L G 28, 196). G e b r a u c h t e K r a f t w a g e n werden im Geschäftsverkehr mit Rücksicht auf den bei jedem Stück anderen Zustand in normalen Zeiten n i c h t als vertretbar angesehen. In Notzeiten, wie vor der Währungsreform von 1948, kann sich die im Verkehr herrschende Ansicht aber verschieben und ohne Rücksicht auf den Zustand im einzelnen das Hauptgewicht auf die Fahrbereitschaft und Transportleistung legen, so daß dann in gewissen Grenzen auch gebrauchte Kraftfahrzeuge als vertretbar angesehen werden können. N i c h t v e r t r e t b a r sind nach besonderem M a ß angefertigte Möbel ( R G 107, 339; R G WarnRspr 1923 Nr. 8; R G L Z 1925, 329 1 ).

III. Verwendung des Begriffs „vertretbare Sache" Anm. 6 Der Begriff kommt vor in den §§ 473, 607, 651, 700, 706, 783 BGB. Im selben Sinne wie im BGB wird er verwendet in den §§ 363, 381, 406, 419 H G B und in den §§ 592, 688, 794 Nr. 5, 884 Z P O . Soweit in den genannten §§ der Z P O von vertretbaren Sachen die Rede ist, wird aber nicht nur gefordert, daß es sich um vertretbare Sachen im Sinne des § 91 handelt, sondern gleichzeitig auch um „nur der Gattung nach bestimmte Sachen" im Sinne des § 243, nicht also um individuell bestimmte Waren oder Wertpapiere ( R G 10, 340).

Anm. 7 Von Bedeutung ist der Begriff „vertretbare Sachen" auch im Schadenersatzrecht, wo für Verlust oder Beschädigung vertretbarer Sachen der Schadenersatz in der Lieferung der gleichen Menge von Sachen derselben Gattung bestehen kann.

§ 9 3 Verbrauchbare Sachen im Sinne des Gesetzes sind bewegliche Sachen, deren bestimmungsmäßiger Gebrauch in dem Verbrauch oder in der Veräußerung besteht. Als verbrauchbar gelten auch bewegliche Sachen, die zu einem Warenlager oder zu einem sonstigen Sachinbegriffe gehören, dessen bestimmungsmäßiger Gebrauch in der Veräußerung der einzelnen Sachen besteht. E I 780 II 77c; M 3 34; P J 2.

Ubersicht Anm.

I. Verbrauchbare Sachen; Begriffsbestimmung und Beispiele 1. Zu Abs. 1 2. Zu Abs. 2 II. Verwendung des Begriffs „verbrauchbare Sache" III. Einzelfragen

198

1 2, 3 4 5 6, 7

Sachen

§92

Anm. 1—7 I. Begriffsbestimmung und Beispiele Anm. 1 Der Begriff ,,verbrauchbare Sachen" (vgl. §90 Anm. 18—22).

bezieht sich n u r auf b e w e g l i c h e Sachen

1. Zu Abs. 1: Anm. 2 Verbrauchbar ist nach A b s . 1 F a l l 1 eine Sache, deren bestimmungsmäßiger Gebrauch im Verbrauch besteht. Ob das der Fall ist, richtet sich nach allgemeiner Verkehrsanschauung. Der Verbrauch muß gerade der Zweck des verkehrsüblichen Gebrauchs sein (z. B. bei Lebensmitteln, Brennstoffen), nicht eine wenn auch notwendigerweise, so doch nur nebenbei eintretende Folge des Gebrauchs (z. B. bei privaten Kleidungsstücken, auch wenn sie sich beim Gebrauch sehr rasch abnutzen).

Anm. 3 Verbrauchbar im Sinne des A b s . 1 F a l l 2 ist ferner eine Sache, deren bestimmungsmäßiger Verbrauch in der Veräußerung besteht. Auch hier kommt es auf die allgemeine Verkehrsanschauung an. Die Veräußerlichkeit muß aus dem Wesen der Sache folgen; sie darf nicht auf zufälligen besonderen Umständen beruhen. Verbrauchbar in diesem Sinne sind z. B. Geldstücke, Banknoten und andere geldähnliche Papiere, wie Bankschecks und blanko indossierte Wechsel. Auch solche börsengängige Wertpapiere, die erfahrungsgemäß zu Spekulationszwecken verwendet werden, wird man hierher rechnen müssen (streitig), dagegen nicht sog. Anlagepapiere; die Grenze ist flüssig.

Anm. 4 2. Zu Abs. 2: Schließlich gelten auch Sachen als verbrauchbar, bei denen die Voraussetzungen des A b s . 2 erfüllt sind, ohne Rücksicht darauf, ob die Sachen sonst nach der Verkehrsanschauung gemäß Abs. 1 als verbrauchbar anzusehen wären, z. B. Kleider in einem Warenhaus, Schlachtvieh eines Fleischers (RG 79, 246). Warenlager ist ein Inbegriff von Gegenständen des Handelsverkehrs, die zum Zwecke der Veräußerung zusammengebracht worden sind. Z u m Sachinbegriff vgl. § 90 Anm. 15, 16.

II. Verwendung des Begriffs „verbrauchbare Sache" Anm. 5 Der Begriff k o m m t v o r in den §§ 706, 1067, 1075, 1084, 1086, 1087, 1 8 1 4 , 2 1 1 6 , 2325 BGB, ferner in den §§ 1376, 1377, 1 3 9 1 , 1392, 1 4 1 1 , 1540, 1653, 1659 B G B aF. Durch die Neufassung des Buches „Familienrecht" hat der Begriff „verbrauchbare Sache" an Bedeutung verloren.

III. Einzelfragen Anm. 6 Verbrauchbare Sachen können Z u b e h ö r einer anderen Sache sein (vgl. Anm. 20; RG 77, 36, 38).

§97

Anm. 7 Auch an den zur Veräußerung bestimmten und daher verbrauchbaren Sachen ist E i g e n t u m s v o r b e h a l t möglich, desgleichen an Sachen, die zu einem zur Veräußerung bestimmten Warenlager gehören. Mit solchem Eigentumsvorbehalt kann die Ermächtigung zur Veräußerung im ordnungsmäßigen Geschäftsbetrieb unter Ausschluß des Schleuderverkaufs gekoppelt sein ( R G WarnRspr 1932 Nr. 56).

199

V o r §§ 93—95

Vorbem. 1, 2

Allgemeiner Teil

Vorbemerkungen zu §§ 93—95 Ü b ersieht Vorbem.

I. Der gesetzgeberische Zweck der §§ 93—95 I—7 1. Die Gefährdung wirtschaftlicher Werte und des Rechtsverkehrs durch Sonderrechte an Sachteilen 1 2. Sonderrechtsunfähige Sachteile (Bestandteile) 2, 3 3. Kein Schutz der ganzen Sache, nur der Bestandteile vor Zerstörung oder Wesensveränderung 4 4. Ausdehnende Gesetzesauslegung des R G zum Schutz des in der ganzen Sache verkörperten Wertes 5 5. Einschränkung der Anerkennung von Maschinen als Gebäudebestandteilen durch R G wegen der Eigentumsvorbehalte der Maschinenlieferanten 6 6. Bevorzugte Berücksichtigung der Eigentumsvorbehalte vor der Erhaltung von Sacheinheiten in der Rechtsprechung des B G H ; Einfluß der zunehmenden Normung in der Technik. Wirtschaftliche Folgen . . 7 I I . Das Verhältnis der §§ 93—95 zueinander 8—10 I I I . Der Begriff „Bestandteil" 11—17 1. Das Fehlen einer gesetzlichen Begriffsbestimmung 11—13 2. Bestandteil einer einheitlichen Sache im Gegensatz zum Teil einer Sachgesamtheit 14 3. Bestandteil im Gegensatz zum Zubehör 15 4. Unterbestandteile 16 5. Prüfung der Bestandteilseigenschaft 17

I. Der gesetzgeberische Zweck der §§ 93—95 Vorbem. 1 1. Die Gefährdung wirtschaftlicher Werte und des Rechtsverkehrs durch Sonderrechte an Sachteilen Die Zerlegung einer Sache in ihre Bestandteile führt oft zur Vernichtung wirtschaftlicher Werte. Wenn an Bestandteilen Sonderrechte bestehen können, ist die Gefahr einer erzwungenen Zerlegung besonders groß ( R G 58, 338, 341). Daher will das B G B die Möglichkeit des Bestehens von Sonderrechten an Sachbestandteilen einschränken (Mot. 3, 41). Dies Bestreben dient gleichzeitig der Sicherheit des Rechtsverkehrs; es soll vermieden werden, daß sich eine Sache, die im Verkehr als Einheitsgegenstand erscheint, bei späterem genauerem Zusehen als Gemenge von Stücken verschiedener Eigentümer erweist ( R G 158, 9 1 , 98).

2. Sonderrechtsunfähige Sachteile (Bestandteile) Vorbem. 2 Daher sollen die §§ 93—95 regeln, an welchen Sachteilen keine Sonderrechte bestehen können. Der Gesetzgeber hat nicht den naheliegenden Weg gewählt, Sachteile für sonderrechtsunfähig zu erklären, wenn ihre Trennung zu einer erheblichen Entwertung (sei es der ganzen Sache, sei es — wie nach § g3 — auch nur der Sachteile) führen würde. Das B G B hat statt dessen die Sonderrechtsunfähigkeit von Bestandteilen davon abhängig gemacht, daß es sich um „wesentliche B e s t a n d t e i l e " handele. Dieser Ausdruck ist sprachlich unglücklich; er führt irre, weil der allgemeine Sprachgebrauch dazu neigt, einen Sachteil dann als wesentlich zu bezeichnen, wenn er für das Wesen der Gesamtsache von Bedeutung ist (vgl. z. B. R G 130, 242, 244; B a y O b L G 6, 755, 762), während das Gesetz die Wesentlichkeit eines Bestandteils auf sein eigenes Wesen bezogen wissen will (siehe Vorbem. 4 und § 93 Anm. 24, 25). Auch verführt die Beziehung auf das „Wesen" einer Sache dazu, nicht betriebs- und volkswirtschaftliche Funktionszusammenhänge als maßgeblich anzusehen, sondern begriffliche Erörterungen. Soweit dabei auf Begriffsbildungen abgestellt wird, die sich im Rechtsverkehr herausgebildet

200

Sachen

V o r §§ 93—95

Vorbem. 3—6

haben (vgl. § 93 Anm. 9), deckt sich das mit dem weiteren Zwecke der gesetzlichen Regelung, der Sicherheit des Rechtsverkehrs zu dienen. Soweit dagegen auf die sogenannte „natürliche Betrachtungsweise" abgestellt wird (vgl. § 9 3 Anm. n ) , bestehen Bedenken, ob darin ein allgemein verbindlicher Maßstab liegt. In der Praxis des B G H werden denn auch häufig wirtschaftliche Gesichtspunkte zur Auslegung herangezogen (z. B. B G H 18, 226; 20, 1 5 4 ; B G H N J W 1956, 788 4 ). — Was nach B G B wesentliche Bestandteile sind, wird in den §§ 93, 94 näher umschrieben. Gewissen Gegenständen, die an sich als Sachteile von Grundstücken und Gebäuden aufgefaßt werden könnten, gibt das B G B in § 95 dadurch Sonderrechtsfähigkeit, daß es ihnen die Bestandteilseigenschaft abspricht und sie damit zu selbständigen Sachen macht (sog. Schein-

bestandteile). Vorbem. 3

Die Rechtslehre und die Rechtsprechung haben aus dem Begriff des „wesentlichen Bestandteils" den Schluß gezogen, daß es auch „unwesentliche Bestandteile" gibt (das Gesetz kennt diesen Ausdruck nicht), und daß an ihnen Sonderrechte bestehen können (s. § 9 3 Anm. 4 4 f f ; R G 69, 1 1 7 ; 158, 368).

Vorbem. 4 3. Kein Schutz der ganzen Sache, nur der Bestandteile vor Zerstörung oder Wesensveränderung Das Gesetz trägt dem Gedanken, daß die in einheitlichen Sachen verkörperten wirtschaftlichen Werte möglichst nicht durch eine erzwungene Zerlegung in Bestandteile vernichtet werden sollen, insofern nicht folgerichtig Rechnung, als es im § 93 nicht auf Bestand, Wesen und damit wirtschaftlichen Wert der Gesamtsache abstellt, sondern nur auf Bestand, Wesen und damit wirtschaftlichen Wert der einzelnen Bestandteile (s. § 93 Anm. 24, 25).

Vorbem. 5 4. Ausdehnende Gesetzesauslegung des RG zum Schutz des in der ganzen Sache verkörperten Wertes Dessenungeachtet hat das Reichsgericht im Rahmen des § 93 wiederholt (z. B. im Verhältnis einer Holzbearbeitungsfabrik zu ihren Maschinen: R G 50, 2 4 1 ; R G J W 1905, 387®; eines Hotelgrundstücks zu seiner Beleuchtungsanlage: R G 58, 3 3 8 ; einer Ziegelei zu ihrem stationären Benzinmotor: R G 62, 406; einer Brauerei zu ihren M a schinen: R G 63, 1 7 1 ; einer Kokerei zu ihrer Stromerzeugungsanlage: R G 69, 1 5 0 ; eines Seeschiffes zu seinem Dieselmotor: R G 152, 9 1 ; einer Mühle zu ihren Müllereimaschinen: R G J W 1 9 1 1 , 573 3 ) mit Rücksicht auf die Erhaltung wirtschaftlicher Werte im Ergebnis den Zweck und das Wesen der Gesamtsache für maßgeblich erachtet. Das Reichsgericht ist zu diesem Ergebnis auf einem Umweg gekommen, indem es einen Bestandteil des Ganzen im Sinne des § 947 Abs. 2 als Hauptsache angesehen hat und davon ausgegangen ist, daß der wirtschaftliche Zweck dieses Hauptteiles mit dem wirtschaftlichen Zwecke des Ganzen zusammenfalle; wenn durch die Wegnahme eines anderen Bestandteiles die ganze Sache nicht mehr verwendbar bleibe, so führe das — infolge der Gleichsetzung der Zwecke des Ganzen und des Hauptteils — zu einer Wesensänderung nicht nur der ganzen Sache, sondern auch des Hauptteils; diese Wesensänderung des hauptsächlichen Bestandteils lasse im Sinne des § 93 auch den Bestandteil, um dessen Wegnahme es sich handele, als „wesentlichen" (d. h. also als sonderrechtsunfähigen) Bestandteil erscheinen.

Vorbem. 6 5. Einschränkung der Anerkennung von Maschinen als Gebäudebestandteilen durch RG wegen der Eigentumsvorbehalte der Maschinenlieferanten Soweit es sich um Fabrikgebäude im Verhältnis zu den darin aufgestellten Maschinen handelt, hat sich die eben erwähnte Rechtsprechung des Reichsgerichts zur Frage des wesentlichen Bestandteils, die auf nachhaltigen Widerstand der Maschinenindustrie gestoßen war (vgl. z.B. R G 62, 406, 407; 6 3 , 4 1 6 , 4 1 7 , 4 2 2 ; 69, 150, 153f; vgl. auch

201

V o r §§ 93—95

Allgemeiner Teil

V o r b e m . 7, 8 152, 9 1 , 100), deshalb auf die Dauer nicht stärker ausgewirkt, weil das Reichsgericht seit 1907 in steigendem Maße dazu übergegangen ist, im Regelfalle in solchen Maschinen überhaupt nicht mehr Bestandteile von Fabrikgebäuden zu sehen, sondern selbständige Sachen (z.B. R G 67, 30; 6 9 , 1 1 7 ; R G J W 1908, 738 3 .«; 1909, 159 2 , 267 1 , 4832; 1 9 1 a , 1 2 8 1 ; 1934, 1849 1 ; R G WarnRspr 1931 Nr. 1 5 9 ; 1933 Nr. 1 4 1 ) , die meist Zubehör der Fabrik i . S . der §§ 97, 98 sind und auf jeden Fall Gegenstand von Sonderrechten sein können. Das entspricht der heute herrschenden Auffassung.

Vorbem. 7 6. Bevorzugte Berücksichtigung der Eigentumsvorbehalte v o r der Erhaltung von Sacheinheiten in der Rechtsprechung des BGH; Einfluß der zunehmenden Normung in der Technik. Wirtschaftliche Folgen Der Bundesgerichtshof hat diese Entwicklung fortgesetzt. E r hat die weite Auslegung des Begriffes des wesentlichen Bestandteils, wie sie noch in R G 152, 91 zum Ausdruck kam, mit der Begründung abgelehnt, seit 1900 hätten sich die technischen und wirtschaftlichen Verhältnisse stark verändert. Bei vielen Teilen, die — nach dem Stande der Technik von 1900 gefertigt — als wesentliche Bestandteile hätten gelten müssen, sei das nicht der Fall, wenn sie auf Grund der heutigen technischen Entwicklung serienmäßig oder gar genormt hergestellt würden ( B G H 18, 226). Die Möglichkeit, die Teile anderweit wieder zu verwenden, sei dadurch gestiegen (vgl. §93 Anm. 28). Der Bundesgerichtshof nimmt Rücksicht darauf, daß unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnissen die Zulieferung an Herstellungsbetriebe sehr häufig auf Kredit unter Eigentumsvorbehalt geschieht, und läßt das volkswirtschaftliche Interesse an der Erhaltung von Sacheinheiten überall dort, wo die — heute meist genormten — Teile ohne Beschädigung und ohne erheblichen Arbeitsaufwand getrennt und wieder zusammengesetzt werden können, zugunsten der Rechte der Zulieferfirmen zurücktreten ( B G H 18, 226; 20, 1 5 4 ; B G H N J W 1956, y88i; vgl. aber auch B G H 26, 225; s. auch § 93 Anm. 25, 27, 28). Den Schutz des Rechtsverkehrs sieht er durch die §§932 ff BGB, 366 H G B hinreichend gewährleistet ( B G H 18, 226, 233). Uber die Gründe, die den Bundesgerichtshof zu dieser Rechtsprechung bewogen haben, s. Anm. von J o h a n n s e n bei L M Nr. 3, 4 zu § 93. Während die weite Auslegung der Begriffe „einheitliche Sache" (§ 93 Anm. 1—3) und „wesentlicher Bestandteil" (Vorbem. 2, § 93 Anm. 24—32), die vor allem in den ersten J a h r e n nach Inkrafttreten des BGB üblich war (s. Vorbem. 5), bei Grundstücken die Gläubiger von Grundpfandrechten begünstigte und die Lieferanten von Maschinen und dgl. benachteiligte, gibt die jetzt herrschende Praxis größere Möglichkeiten für den auf Eigentumsvorbehalten und Sicherungsübereignungen beruhenden Mobiliarkredit, begünstigt aber dadurch zugleich eine ungesunde Aushöhlung der wirtschaftlichen Substanz von Betrieben und gewährt dem auf den äußeren Schein vertrauenden Rechtsverkehr geringere Sicherheit.

II. Das Verhältnis d e r § § 93—95 zueinander Vorbem. 8 § 9 3 gibt eine allgemeine Begriffsbestimmung dessen, was das B G B unter „ w e s e n t l i c h e n B e s t a n d t e i l e n " versteht. Diese Begriffsbestimmung gilt für Sachen jeder Art, also auch für Grundstücke (und zwar auch dann, wenn die Voraussetzungen des § 94 nicht vorliegen; R G 63, 1 7 1 ; R G J W 1909, 159 2 , 267 1 , 4832). § 93 bestimmt ferner als Rechtsfolge, daß wesentliche Bestandteile nicht Gegenstand besonderer Rechte sein können. § 9 4 erweitert den Kreis der „wesentlichen Bestandteile" in doppelter Hinsicht, einmal bei Grundstücken, zum anderen bei Gebäuden. § 94 enthält keine Beispiele zu § 93; vielmehr gehören die in § 94 genannten Gegenstände ohne Rücksicht darauf zu den wesentlichen Bestandteilen, ob die Voraussetzungen des § 93 auf sie zutreffen ( R G 6 3 , 4 1 6 ; 1 5 0 , 2 2 , 2 6 ; R G J W 1909, 1592, 267 1 , 4832). Im Rahmen des §94 braucht die Bestandteilseigenschaft nicht noch besonders geprüft zu werden. Uber entsprechende Anwendung des §94 bei Schiffen: R G 1 5 2 , 9 1 , 9 7 ; B G H 2 6 , 2 2 5 ; O L G Schleswig D R s p r I ( 1 1 0 ) 30 a.

202

Sachen

V o r §§ 9 3 - 9 5

Vorbem. 9—14

Vorbem. 9 § 9 5 betrifft Ausnahmen bei Grundstücken und Gebäuden, und zwar nicht nur von § 94, sondern auch von § 93 ( R G 153, 2 3 1 , 234; a. A. wohl R G J W 1906, 417 2 ). Sachen, die unter § 95 fallen, sind nicht nur keine wesentlichen Bestandteile, sondern gelten überhaupt nicht als Bestandteile; sie sind als selbständige, in der Regel bewegliche Sachen zu behandeln (s. § 95 Anm. 44, 45) und können in den Fällen des § 95 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 mangels dauernder Zweckverbindung auch nicht Zubehör sein (vgl. R G 66, 88, 90 und § 97). Uber entsprechende Anwendung des § 95 bei Schiffen: R G 152, 9 1 , 97; B G H 26, 2 2 5 ; O L G Schleswig DRspr I ( 1 1 0 ) 30a.

Vorbem. 10 Bei G e b ä u d e n , d i e ü b e r G r u n d s t ü c k s g r e n z e n h i n w e g g e b a u t sind, kann der übergebaute Teil nach § 93 und insbesondere nach § 94 Abs. 2 als wesentlicher Bestandteil des auf dem Nachbargrundstück stehenden Stammgebäudes erscheinen, gleichzeitig aber nach § 94 Abs. 1 als Bestandteil des überbauten Grundstücks. Diesen Zwiespalt (vgl. R G 160, 166, 172) regelt in vielen Fällen § 95; vgl. § 94 Anm. 5 und § 95 Anm. 32, 36. Soweit § 95 nicht eingreift, geht nach herrschender Ansicht der Grundsatz superficies solo credit (§ 94 Abs. 1) den in den §§ 93, 94 Abs. 2 vertretenen wirtschaftlichen Gesichtspunkten vor ( R G 70, 200; 72, 269, 272; 130, 264; s. aber auch die beachtliche Kritik bei M e i s n e r - S t e i n - H o d e s I I I . A u f l . § 7 I I I 3, § 8 I I I 1, 2 und neuerdings B G H in den in § 94 Anm. 5 vermerkten Entscheidungen). Ahnliche Erwägungen spielen eine Rolle bei elektrischen Lichtleitungen, Gas- und Wasserrohren, die von einem Elektrizitäts-, Gas- oder Wasserwerk ausgehend über fremde Grundstücke verlegt worden sind, sofern man in diesen Leitungen Bestandteile oder — wie meistens — Zubehör der betreffenden Werke sieht. Bei der Frage des Verhältnisses dieser Leitungen zu den fremden Grundstücken, durch oder über die sie gelegt sind, hilft man sich mit § 95 und legt dabei den Begriff des „ v o r ü b e r g e h e n d e n Z w e c k e s " weit aus (z.B. für Wasserrohre: R G 168, 288, 290; für elektr. Fernleitungen: R G 87, 43, 5 1 ; vgl. auch für Kraftstofftanks im Straßengrundstück R G 150, 22, 27; für die Wasserhaltungsanlage eines Bergwerks im Verhältnis zum Grundstück R G 6 1 , 188, 1 9 1 ; vgl. auch R G 1 6 1 , 203, 206).

III. Der Begriff „Bestandteil" 1. Das Fehlen einer gesetzlichen Begriffsbestimmung Vorbem. 11 Das B G B gibt keine nähere Beschreibung dessen, was es unter dem Begriff „Bestandteil" versteht; es umschreibt nur den Unterbegriff „wesentlicher Bestandteil".

Vorbem. 12 Aus dem Zweck der §§ 93 ff (Abgrenzung sonderrechtsunfähiger von anderen Bestandteilen) geht hervor, daß unter „Bestandteil" hier nur solche Sachteile gemeint sind, die durch mechanische, nicht aber chemische Zerlegung körperlicher Sachen und (bei Grundstücken) durch Abgrenzung gewonnen werden können.

Vorbem. 13 § 96 enthält keine Erweiterung des Bestandteilbegriffs, sondern ordnet nur an, daß gewisse Rechte wie Grundstücksbestandteile behandelt werden.

Vorbem. 14 2. Bestandteil einer einheitlichen Sache i m Gegensatz zum Teil einer Sachgesamtheit Aus den §§ 93, 94 geht hervor, daß es sich bei Bestandteilen im Sinne dieser Vorschriften nur um Bestandteile einheitlicher körperlicher Sachen (s. § 93 Anm. 1 ff) handelt, nicht auch um Teile von Sachgesamtheiten (s. §90 Anm. 15, 16); bei Sachgesamtheiten bleiben die Teile selbständige Sachen ( R G 69, 1 1 7 ; vgl. aber über Bestandteile von Inbegriffen wie Bergwerkseigentum und Bergwerk R G 161, 203, 206; BGH 17, 223, 232).

203

V o r b e m . 15—17 §93

Allgemeiner Teil

Vorbem. 15 3. Bestandteil im Gegensatz zum Zubehör Die Begriffe „Bestandteil" und „ Z u b e h ö r " des B G B schließen, wie sich aus § 97 Abs. 1 Satz 1 ergibt, einander aus. R G 69, 117, 1 2 1 sieht den Unterschied zwischen Bestandteil und Zubehör darin, daß ein Bestandteil einer Sache zu ihrer Vollendung dienen, in ihr aufgegangen und damit seine körperliche Selbständigkeit eingebüßt haben muß, während das Zubehör unter Wahrung seiner Selbständigkeit der Hauptsache deshalb hinzugefügt wird, weil diese sonst ihrer wirtschaftlichen Bestimmung nur unvollkommen entsprechen würde (vgl. auch R G 1 5 8 , 3 6 2 , 3 6 8 ; vgl. im übrigen § 93 Anm. 1 4 ; Vorbem. 9 zu §§ 97, 98; § 97 Anm. 8).

Vorbem. 16 4. Unterbestandteile Bestandteile können sich ihrerseits wiederum aus Bestandteilen (Unterbestandteilen) zusammensetzen. Dem steht nicht entgegen, daß Bestandteile als solche keine selbständigen Sachen sein können. Die Sprache darf hier nicht überfordert werden (arg. § 94: „festverbundene Sachen", „eingefügte Sachen" sind auch keine selbständigen Sachen). Auch die Unterbestandteile gelten im Sinne der §§ 93, 94 als Bestandteile der ganzen Sache. Es ist allerdings möglich, daß solche Unterbestandteile zwar wesentliche Bestandteile eines Bestandteils sind, daß aber dieser Bestandteil mitsamt seinen Unterbestandteilen kein wesentlicher Bestandteil der ganzen Sache ist (z. B. wird der Kolben eines Serienmotors dessen wesentlicher Bestandteil sein, dagegen mitsamt dem Motor nicht wesentlicher Bestandteil eines serienmäßig hergestellten Kraftwagens, s. § 93 Anm. 27; vgl. auch R G J W 1932, 1200 1 ). Bestandteile eines sog. Scheinbestandteiles sind im Falle des § 95 Abs. 1 nicht Bestandteile des betreffenden Grundstücks, im Falle des § 95 Abs. 2 nicht Bestandteile des Gebäudes.

Vorbem. 17 5. Prüfung der Bestandteilseigenschaft Die Anwendung des § 93 setzt immer eine Prüfung voraus, ob es sich um einen Bestandteil einer einheitlichen Sache oder aber um eine selbständige, mit anderen Sachen nur in losem Zusammenhange stehende Sache handelt (s. Vorbem. 14 und §93 Anm. 1 f f ) . Liegen dagegen die Voraussetzungen des § 94 vor, so ist damit schon festgestellt, daß es sich um einen Bestandteil handelt, und eine besondere Prüfung in dieser Hinsicht erübrigt sich (s. § 94 Anm. 1). Liegt ein Ausnahmefall nach § 95 vor, so steht damit fest, daß es sich um einen sog. Scheinbestandteil handelt, der vom Gesetz überhaupt nicht als Bestandteil betrachtet wird. § 9 3

Bestandteile einer Sache, die voneinander nicht getrennt werden können, ohne daß der eine oder der andere zerstört oder in seinem Wesen verändert wird (wesentliche Bestandteile), können nicht Gegenstand besonderer Rechte sein. E I 782 U 77d; M 3 40; P 3 4.

Ü b ersieht I. Bestandteile einer Sache 1. Bestandteile als Teile einer einheitlichen Sache 2. Verschiedene Arten von einheitlichen Sachen 3. Die Abgrenzung zwischen einheitlichen Sachen und Sachgesamtheiten a) „Verkehrsanschauung", „allgemeine natürliche Anschauung", „ n a türliche Betrachtungsweise" als Maßstäbe der Abgrenzung . . .

204

Anm.

1—23 1—3 4—8 9—23 9—11

Sachen

§ 93 A n m . 1, 2 Anm.

b) Anhaltspunkte für die Feststellung einer einheitlichen Sache . . . ia—23 aa) Einheitliche Bezeichnung 12 bb) Gemeinsamer Zweck der Teile 13 cc) Art der Verbindung der Teile 14—20 dd) Dauer und Ende der Verbindung 21, 22 ee) Bedeutung der Einzelumstände 23 II. Wesentliche Bestandteile 24—43 1. Begriff des „wesentlichen Bestandteils" nach § g3 24—32 a) Zerstörung oder Wesensveränderung der Bestandteile, nicht der ganzen Sache 24, 25 b) Zerstörung der Bestandteile 26 c) Wesensveränderung der Bestandteile 27—29 d) Sonderfälle 30, 31 e) Bedeutung der Einzelumstände 32 2. Rechtsfolgen bei wesentlichen Bestandteilen 33—43 a) Ausschluß besonderer (Sachen-)Rechte 33—36 b) Ausnahmen 37—39 aa) Früchte auf dem Halm 37 bb) Sonderrechte aus der Zeit vor 1900 38 cc) Wohnungseigentum und dergleichen 39 c) Begründung besonderer Sachenrechte nach der Trennung . . . . 40 d) Im Ausland begründete besondere Sachenrechte 41 e) Sonderbesitz an wesentlichen Bestandteilen 42 f) Wesentliche Bestandteile als Gegenstand besonderer schuldrechtlicher Verpflichtungen 43 III. Unwesentliche Bestandteile 44—49 1. Begriff des „unwesentlichen Bestandteils" nach §93 44—46 2. Rechtsfolgen bei unwesentlichen Bestandteilen 47—49 IV. Fundstellen aus der Rechtsprechung (auch zu den §§ 94, 95) 50—55 1. Gebäude als wesentliche Bestandteile von Grundstücken 50 2. Sonstige Anlagen als wesentliche Bestandteile von Grundstücken. . . 51 3. Bauteile, Einrichtungs- und Ausstattungsgegenstände (ohne Maschinen) als wesentliche Bestandteile von Gebäuden 52 4. Maschinen und sonstige technische Anlagen als wesentliche Bestandteile von Fabrik- und Werkstattgebäuden oder -grundstücken . . . . 53 5. Teile von Schiffen, Kraftfahrzeugen, Maschinen und Geräten als wesentliche Bestandteile der Schiffe usw 54 6. Anlagen und Einrichtungen von Nießbrauchern, Pächtern und Mietern als wesentliche Bestandteile 55 I. Bestandteile einer Sache 1. Bestandteile als Teile einer einheitlichen Sache Anm. 1 § 93 greift nur bei Bestandteilen einer Sache ein. Zum Bestandteilsbegriffs. §§ 93—95 Vorbem. 11—17. Ist ein Gegenstand nach §95 n i c h t B e s t a n d t e i l , so kann er auch nach § 93 nicht wesentlicher Bestandteil sein (RG 153, 231, 234). Anm. 2 Sache im Sinne des § 93 ist jeder körperliche Gegenstand, der unter die Begriffsbestimmung des § 90 fällt (s. dort Anm. n ff), d.h. ein nach natürlicher Anschauung für sich allein bestehendes, im Verkehrsleben besonders bezeichnetes und bewertetes, begrenztes körperliches Stück der den Menschen umgebenden Natur. Sache im Sinne des §93 ist n i c h t eine M e h r h e i t selbständiger Sachen, mag sie sich auch als ein Sachinbegriff (eine Sachgesamtheit, s. § 90 Anm. I5f) darstellen, im 205

§93

Anm. 3—9

Allgemeiner Teil

Verkehrsleben eine einheitliche Bezeichnung führen und wirtschaftlich als Einheit erscheinen. T e i l e einer S a c h g e s a m t h e i t bleiben selbständige Sachen und können als solche Gegenstand verschiedener besonderer Rechte sein (vgl. § 90 Anm. 3 1 , §§ 93—95 Vorbem. 14). Vgl. aber über Bestandteile von Inbegriffen wie Bergwerk: R G 1 6 1 , 203, 206; BGH 17, 223, 232. Wenn es sich im Rahmen des § 93 darum handelt, ob etwas wesentlicher Bestandteil eines Ganzen sei, und wenn § 95 nicht in Betracht kommt, so ist zunächst zu prüfen, ob es sich überhaupt um den Bestandteil einer Sache handelt, bzw. — was auf dasselbe hinausläuft — ob das Ganze eine einheitliche Sache ist und nicht etwa eine Sachgesamtheit (§ 90 Anm. 1 5 , 16; R G 67, 30; R G J W 1 9 1 7 , 809 1 ; R G Gruchot 52, 9 1 3 , 917).

Anm. 3 Die nachfolgenden Erläuterungen zu dem Begriff „einheitliche Sache" gelten entsprechend auch für die Frage, ob es sich um einen einheitlichen Bestandteil einer größeren Sache handelt, der sich seinerseits wieder aus Unterbestandteilen zusammensetzen kann (s. §§93—95 Vorbem. 1 6 ; R G J W 1 9 1 2 , 128 1 ).

2. Verschiedene Arten von einheitlichen Sachen Anm. 4 Ein G r u n d s t ü c k ist — ohne Rücksicht auf seine natürliche Einheit — auch dann eine einheitliche Sache, wenn es sich aus räumlich nicht zusammenhängenden Teilstücken zusammensetzt und wirtschaftlich keine Einheit bildet, aber im Grundbuch als ein Grundstück aufgeführt ist ( R G 84, 265, 270). Demnach ist nicht jede Teilfläche, die in dem amtlichen Grundstücksverzeichnis (Kataster, vgl. § 2 Abs. 2 G B O ) unter einer besonderen Nummer geführt wird, schon eine einheitliche Sache. Andererseits macht die Eintragung mehrerer selbständiger Grundstücke auf einem gemeinschaftlichen Grundbuchblatt nach § 4 G B O diese Grundstücke noch nicht zu einem einzigen Grundstück und damit noch nicht zu einer einheitlichen Sache (s. auch A n m . 30, 47).

Anm. 5 Einheitliche Sachen von Natur aus sind z.B. T i e r e .

Anm. 6 Gleichzustellen sind Sachen, die nicht aus von vornherein gegebenen Teilen bestehen, sondern willkürlich z e r l e g b a r sind, z. B. ein Edelstein, ein Goldbarren, ein Stück Butter (s. auch Anm. 3 1 ) .

Anm. 7 Als einheitliche Sachen gelten auch abgeteilte, aber in räumlichem Zusammenhang befindliche Quantitäten von sog. M e n g e n s a c h e n , d. h. von Gütern, die nicht mit ihren einzelnen, unter sich im wesentlichen gleichartigen Stücken, sondern nur in gewissen Quantitäten für den Wirtschaftsverkehr eine Bedeutung haben, z. B. ein Haufen Getreide, ein Stapel Scheitholz, eine Ladung Kohlen (s. auch Anm. 3 1 ) .

Anm. 8

Einheitliche Sachen sind schließlich auch die sog. z u s a m m e n g e s e t z t e n S a c h e n , z. B. ein Möbelstück, ein Musikinstrument, eine Maschine, Hochfrequenzgeräte ( B G H 20, 154 und 159), ein Kraftfahrzeug ( B G H 18, 226) und dergl. Schwierigkeiten bildet die Abgrenzung der zusammengesetzten, aber dennoch einheitlichen Sachen von Sachgesamtheiten, bei denen die Teile selbständige Sachen bleiben (s. § 90 Anm. 15, 1 6 ; R G 87, 4 3 ; R G J W 1905, 387*; 19 r 7, 809»).

3. Die Abgrenzung zwischen einheitlichen Sachen und Sachgesamtheiten a) „Verkehrsanschauung", „allgemeine natürliche Anschauung", „natürliche Betrachtungsweise" als Maßstäbe der Abgrenzung Anm. 9 Das Reichsgericht hat wiederholt darauf hingewiesen, daß bei der Frage, ob es sich um eine einheitliche Sache handelt, die „ V e r k e h r s a u f f a s s u n g " maßgeblich zu berücksichtigen sei, und hat sich dabei auch auf § 97 Abs. 1 Satz 2 bezogen ( R G 67, 30,

206

Sachen

§93

Anm. 10—12

33; 69, 117, i2i; 69, 150, 153; 83,67,69; R G J W 1909, 2671, 483", 484'; 1911, 3971)

5733) 5744) 7°7 2 ; 1928, 561 9 ; R G WarnRspr 1910 Nr. 97; 1931 Nr. 159; R G Gruchot 52, 913, 918). Demgegenüber hat R G J W 1912, 128 1 daraufhingewiesen, daß das Gesetz die Verkehrsanschauung nur für § 97 Abs. 1 Satz 2 für maßgeblich erklärt habe; nach den Motiven (3, 63) ist § 97 Abs. 1 Satz 2 in das Gesetz aufgenommen worden, um die Abgrenzung zwischen völlig selbständigen Sachen und Zubehör zu erleichtern, nicht dagegen auch zur Abgrenzung zwischen Zubehör und Bestandteilen. Auf jeden Fall ist die Verkehrsauffassung darüber, ob eine einheitliche Sache vorliegt oder nicht, ein wichtiges Anzeichen dafür, daß bei der Prüfung der Bestandteilseigenschaft jeder verständige, unbefangene Beurteiler ebenso urteilen wird. Bedenklich insofern BGH L M § 93 Nr. 2 (Kegelbahn), wo nach „allgemeiner natürlicher Anschauung" eine Körpereinheit verneint worden ist, obwohl das Berufungsgericht festgestellt hatte, daß eine Verkehrsanschauung besteht, welche die Einheit annimmt; es hätte in jenem Falle nähergelegen, eine einheitliche Sache mit nicht wesentlichen Bestandteilen anzunehmen. Nach R G J W 1912, 128 1 ist der Richter nicht regelmäßig verpflichtet, einen Sachverständigen über die Verkehrsanschauung zu hören. R G 158, 362, 3Ögf hat d a r a u f h i n gewiesen, daß das Gesetz auch im § 97 Abs. 1 Satz 2 der Verkehrsanschauung nur die Bedeutung einer negativen Begriffsvoraussetzung zuweist, die keine positive Feststellung in dieser Richtung erforderlich mache (vgl. hierzu schon RG J W 1912, 1281). In der Tat geht aus vielen einschlägigen Entscheidungen hervor, daß die Verkehrsauffassung zwar als maßgeblich bezeichnet, aber im einzelnen nicht näher erforscht worden ist (z.B. R G 67, 30; 6 9 , 1 1 7 ; 83,67; R G J W 1909, 267 1 , 4832, 484=»; 1911, 397 1 ; 1912, 128 1 ; R G WarnRspr 1910 Nr. 97; R G Gruchot 58, 883, 888; s. auch RG 87, 43, 47). Auf die Auffassung nur einzelner beteiligter Kreise kommt es nicht an. Stimmt die Auffassung in den verschiedenen beteiligten Kreisen nicht überein, so besteht keine „Verkehrsanschauung" (RG 69, 150, 153; 152, 91, 100; 158, 362, 370; R G J W 1932, 12003). Es kann übrigens in verschiedenen Gegenden unterschiedliche Verkehrsauffassungen geben. Das gilt z. B. für die Frage, ob Öfen Bestandteile von Gebäuden sind (BGH L M §94 Nr. 1).

Anm. 10 Mangels einer „Verkehrsanschauung" ist eine ,,allgemeine natürliche Anschauung» maßgeblich (RG 87, 43, 45; BGH L M §93 Nr. 2; R G J W 1917, 809 1 ; R G WarnRspr 1918 Nr. 155). Aber auch das setzt voraus, daß es sich wirklich um eine allgemein verbreitete Anschauung handelt (RG 158, 362, 370).

Anm. 11 Läßt sich nicht auf eine „Verkehrsanschauung" oder eine „allgemeine natürliche Anschauung" zurückgreifen, also insbesondere bei ungewöhnlichen Einzelfällen, dann hat der Richter danach zu entscheiden, wie ein verständiger und unbefangener Beurteiler die Dinge sehen würde (sog. „natürliche Betrachtungsweise"; vgl. R G 158, 362, 370; BGH 18, 226; R G J W 1912, 128 1 ; 1932, 12003). Wegen der Bedenken gegen die Verbindlichkeit einer rein begrifflichen Betrachtungsweise und über die Notwendigkeit, wirtschaftliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen, vgl. Vorbem. 2 zu §§ 93—95-

b) Anhaltspunkte für die Feststellung einer einheitlichen Sache Anm. 12 aa) Einheitliche Bezeichnung Eine einheitliche Bezeichnung im Verkehrsleben ist zur Annahme einer einheitlichen Sache erforderlich, bildet für sie aber kein besonderes Kennzeichen. Denn auch Sachgesamtheiten haben regelmäßig eine einheitliche Bezeichnung (BGH L M § 93 Nr. 2). 207

§93 A n m . 13—16

Allgemeiner Teil

A n m . 13 bb) G e m e i n s a m e r Zweck der Teile Auch eine gemeinsame — etwa wirtschaftliche — Zweckbestimmung der Teile ist zur Annahme einer einheitlichen Sache zwar erforderlich, macht aber allein noch keine einheitliche Sache aus, da eine einheitliche Zweckbestimmung auch die Teile einer Sachgesamtheit auszeichnet (vgl. auch §§ 97 f; RG 87, 43; B G H LM § 93 Nr. 2; RG J W 1911, 5322). cc) Art der Verbindung der Teile A n m . 14 Eine zusammengesetzte Sache wird durch einen gewissen k ö r p e r l i c h e n Z u s a m m e n h a n g der Teile als einheitliche Sache gekennzeichnet. Wenn beim Zubehör ein gewisses räumliches Verhältnis vorliegen muß (s. § 97 Anm. 24fr), so genügt das bei Bestandteilen nicht (RG 58, 338; 63, 171; 69, 150; RG J W 1904, 548*; RG WarnRspr 1919 Nr. 45). Der körperliche Zusammenhang muß für die Zeit der Verbindung der Teile das Ganze als einen einheitlichen körperlichen Gegenstand und die Teile als unselbständige, hinter dem Ganzen völlig zurücktretende Stücke der Körpereinheit erscheinen lassen (RG 63, 171; 67,30; 69, 117; 87,43; B G H 18,226; RG J W 1908, 73Ö3'4; 1909. ! 59 2 . 2671, 4832; 1912, 1281; 1917,80g 1 ; RG Gruchot 52, 913, 918). Allerdings stellt die Art der Verbindung der Teile im Rahmen des § 93 (anders bei § 94 Abs. 1) nur ein äußeres Merkmal dafür dar, ob es sich um eine einheitliche Sache handelt (RG 87, 43, 46). Nicht jede Verbindung hat für die verbundenen Sachen notwendig den Verlust ihrer Selbständigkeit zur Folge; es kommt auf die Umstände an (RG 83, 67, 69 für Außenleitungen eines Elektrizitätswerks). A n m . 15 Man unterscheidet f e s t e u n d l o s e V e r b i n d u n g . Unter l o s e r Verbindung wird eine leicht lösbare Verbindung verstanden (RG 83, 67, 69; R G J W 1904, n o 4 ; 1905, 3872). Als leicht lösbar gilt eine Verbindung, wenn sie ohne verhältnismäßig großen Aufwand (RG 158, 362, 374; RG J W 1928, 5619) und ohne erhebliche Beschädigung der Teile gelöst werden kann. Bei Maschinen steht der Annahme einer nur losen Verbindung nicht entgegen, daß bei ihrer Entfernung einzelne Teile des umgebenden Gebäudes unbedeutende Beschädigungen erleiden müssen, oder daß bei der Trennung das Bindemittel, mit dem die Maschinen auf den Unterlagen befestigt sind, zerschlagen werden muß, oder daß Beschläge beseitigt, Schrauben gelöst oder Verankerungen oder Transmissionen entfernt werden müssen (RG 83, 67; 87, 46; RG J W 1907, 128', 1287; 1911,5322; 1912,12s 1 ; 1914,23s 1 ; 1932, 12003; RG WarnRspr 1913 Nr. 80, 81, 185; 1920 Nr. 31; 1931 Nr. 159; BayObLG 6, 755, 762; siehe auch §94 Anm. 4). Daß bei der Lösung der Verbindung Vorsichtsmaßregeln anzuwenden sind, steht der Annahme einer losen Verbindung nicht entgegen (RG 87, 43, 46). Als Verbindung (und zwar als lose Verbindung) kann u. U. ein bloßes Aufeinanderliegen der Teile (RG 62, 248 für einen Dachstuhl; s. aber auch RG J W 1908, 3222) oder ein loses Ineinanderpassen, z. B. der Schublade in einen Tisch, genügen. Das Reichsgericht hat in RG WarnRspr 1932 Nr. 114 bei einem rund 100 t schweren Gasbehälter lediglich auf Grund seines Gewichtes sogar eine feste Verbindung angenommen (vgl. auch RG J R R s p r 1925 Nr. 1856; im Gegensatz dazu BayObLG 6, 755). A n m . 16 Bei einer festen Verbindung der Teile ist im Falle des § 93 in der Regel eine einheitliche Sache anzunehmen, falls dem keine abweichende „Verkehrsauffassung" oder zumindest keine abweichende „allgemeine natürliche Anschauung" entgegensteht (RG 158, 362, 369) oder — bei Grundstücken und Gebäuden — nicht der § 95 eingreift. § g4 Abs. 1 ist als besonderer Anwendungsfall des allgemeinen Grundsatzes zu betrachten, daß bei fester Verbindung der Teile in der Regel eine einheitliche Sache besteht; allerdings kommt es im Rahmen des § 94 sogar auf eine abweichende „Verkehrsauffassung" oder „allgemeine natürliche Anschauung" nicht an (s. § 94 Anm. 3f), während sie im Rahmen des § 93 zu beachten ist.

208

Sachen

§93

A n m . 17—19

A n m . 17 Eine l o s e , d. h. l e i c h t l ö s b a r e V e r b i n d u n g genügt für die Annahme einer einheitlichen Sache nur dann, wenn b e s o n d e r e U m s t ä n d e hinzutreten, die zu der Anschauung führen, daß die zusammengesetzten Gegenstände trotz ihrer losen Verbindung ihre körperliche Selbständigkeit verloren haben ( R G 83, 67; B G H L M § 93 Nr. 2; R G J W 1909, 484®). Daß die betreffenden Gegenstände über ihre körperliche Selbständigkeit hinaus ihr eigenes Wesen völlig aufgegeben haben müssen, ist jedoch nicht zu fordern ( B G H 20, 154, I 5 7 f u n d 159, 162).

Anm. 18 B e s o n d e r e U m s t ä n d e , die trotz einer nur losen Verbindung für die Annahme eines einheitlichen Ganzen sprechen können, liegen z. B. vor, wenn die Teilstücke einander besonders angepaßt sind, oder wenn sie zur Herstellung des Ganzen besonders angefertigt sind ( R G 67, 30; 69, 1 1 7 ; B G H L M § 93 Nr. 2; R G J W 1 9 1 1 , 53122; 1934, 1849 1 ). Das ist nicht der Fall bei serienmäßig hergestellten oder nach Preislisten gehandelten Erzeugnissen, insbesondere Maschinen. Zahlreiche Entscheidungen, die den in Fabrikgebäuden aufgestellten, mit dem Fabrikgebäude oder dem Fabrikgrundstück nur lose verbundenen, nach Preislisten gehandelten Maschinen die Eigenschaft eines Bestandteiles absprechen, weisen gerade auf das Fehlen einer besonderen Anpassung der Maschinen an die Gebäude und umgekehrt hin (z. B. R G J W 1909, 267 1 ; 1 9 1 2 , 1 2 8 1 ; s. auch B G H L M § 93 Nr. 2; vgl. auch Fundstellenübersicht Anm. 53). Andererseits gilt aber der Umstand, daß z. B. Kraftfahrzeugmotore oder Apparategehäuse oder in Apparate eingebaute Meßgeräte und dergleichen serienmäßig hergestellt worden sind und in verschiedenartige Kraftfahrzeuge oder Apparate eingebaut werden können, nicht als Hindernis, diese Gegenstände als Bestandteile einheitlicher Sachen (Kraftfahrzeuge, Apparate usw.) anzusehen, in die sie eingefügt sind ( B G H 18, 226; 20, 154; B G H N J W 1956, 788*). Daß hierbei — im Gegensatz zu den in Fabrikgebäuden aufgestellten Maschinen — trotz serienmäßiger Herstellung Bestandteile einheitlicher Sachen angenommen werden, liegt an anderen Umständen (s. Anm. i g f ) , die Kraftfahrzeuge, Apparate usw. mitsamt ihren Teilen als einheitliche Sachen erscheinen lassen, Fabrikgebäude mit den Maschinen dagegen nicht.

A n m . 19 Für die Frage, ob trotz loser Verbindung der einzelnen Teile ein einheitliches Ganzes anzunehmen ist, ist es auch von Bedeutung, ob die Teile erst d u r c h ihre V e r b i n d u n g ihrer e i g e n t l i c h e n B e s t i m m u n g zugeführt werden, und ob die ganze Sache ohne den einen oder den anderen Teil oder einen entsprechenden Ersatzteil funktionsuntauglich wird ( R G J W 1934, i 8 4 9 1 ; B G H 18, 226, 229). Aus diesem Grunde ist z. B. in B G H 18, 226 ein K r a f t f a h r z e u g als einheitliche Sache und sind Fahrgestell, Karosserie und Motor als deren Bestandteile angesehen worden. Anders bei M a s c h i n e n in F a b r i k g e b ä u d e n : Das Reichsgericht hat nach der Schwenkung seiner Rechtsprechung in dieser Frage (s. Vorbem. 6 zu §§ 93—95) wiederholt darauf hingewiesen, daß es sich nicht darum handele, ob die Maschinen Teile einer Fabrik (im Sinne von Fabrikationsbetrieb) sind, sondern ob sie Bestandteil eines F a b r i k g e b ä u d e s sind ( R G 67, 30; 69, 1 1 7 ; 83, 67; R G J W 1909, 159 2 ; 1 9 1 1 , 707 2 ; R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 8 1 ; R G Gruchot 52, 913, 919). Nur das Fabrikgebäude ist — in der Regel zusammen mit dem Fabrikgrundstück — eine Sache im Sinne des BGB, während der Fabrikbetrieb ein komplexes Gebilde, in der Regel wohl eine Rechtsgesamtheit (s. § 90 Anm. 17) darstellt. Dabei hat das Reichsgericht im Gegensatz zu seiner früheren Rechtsprechung (s. Beispiele in Vorbem. 5 zu §§ 93—95) den wirtschaftlichen Zweck der Fabrikgebäude, den sie gerade im Rahmen des derzeitigen Fabrikbetriebes erfüllen, zurücktreten lassen; so weist es z. B. in R G J W 1909, 483 2 daraufhin, daß es sich dort (im Falle einer Spinnerei) um Fabrikgebäude schlechthin handele, die sich zu jedem beliebigen mechanischen Fabrikbetriebe eigneten. Aber selbst bei Mühlen, die nicht ohne weiteres für einen Fabrikbetrieb anderer Art geeignet sind, hat das Reichsgericht in der Folgezeit nach anfänglichem Schwanken ( R G J W 1 9 1 1 , 573®) ähnlich entschieden (z. B. R G J W 1 9 1 2 , 1 2 8 1 ; R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 185; 1920 Nr. 31). Von diesem Standpunkt aus ge14

Komm. 2. BGB, n . Aufl. I. Bd. (Kregel)

209

§93 A n m . 20—23

Allgemeiner Teil

sehen kann man nicht sagen, daß die betreffenden Gebäude als Industriegebäude funktionsuntauglich würden, wenn die Maschinen entfernt würden. Aus ähnlichen Gesichtspunkten hat B G H L M § 93 Nr. 2 sogar einem eigens für den Betrieb einer K e g e l b a h n hergerichteten Kellerraum zusammen mit einer serienmäßig hergestellten Kegelbahnanlage die Körpereinheit abgesprochen, weil der Keller auch mit einer Kegelbahnanlage anderer Art als „Kegelbahn" eingerichtet und weil die Kegelbahnanlage als Serienerzeugnis auch an anderer Stelle wiederaufgebaut werden könne. A n m . 20 Wenn sich zwar aus § 98 Nr. 1 auch keine Vermutung dafür ergibt, daß Maschinen regelmäßig Zubehör, nicht aber Bestandteile von Fabrikgebäuden sind (RG 69, 150; RG J W 1 9 1 1 , 573 3 ; R G Gruchot 52, 913, 918; a. M. RG 130, 264, 266), so neigt doch seit der Entscheidung R G 67, 30 die Rechtsprechung dazu, in aller Regel eine nur lose V e r b i n d u n g von M a s c h i n e n mit F a b r i k g e b ä u d e n nicht ausreichen zu lassen, um in den Maschinen Bestandteile der Fabrikgebäude zu sehen (z. B. RG 67, 30; 69, 122; 130, 264; R G J W 1 9 1 1 , 532 2 ; 1914, 238 1 ; RG WarnRspr 1931, 159; 1933, 1 4 1 ; vgl. die Fundstellenübersicht Anm. 53). Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß das Wesen eines Gebäudes und das Wesen einer Maschine zu verschieden sind, um bei einer nur losen Verbindung zusammen als eine Einheit aufgefaßt zu werden, also eine Erwägung, die z. B. bei Kraftfahrzeugen (RG 144, 236, 241; B G H 18, 226) und technischen Apparaten (BGH 20, 154; B G H NJW 1956, 7884) nicht zutrifft. dd) Dauer und Ende der Verbindung A n m . 21 In Anwendung des § 95, der allerdings nur von Grundstücken und Gebäuden spricht, aber einen allgemeinen Rechtsgedanken enthält, ist zur Annahme von Bestandteilen einer einheitlichen Sache zu verlangen, daß die Verbindung zu einem d a u e r n d e n Z w e c k e erfolgt ist (RG 153, 231, 234; abw. RG J W 1906, 417 2 ). Deshalb fehlt z. B. im Verhältnis zu einer Maschine die Bestandteilseigenschaft solchen Dingen, bei denen eine häufige Auswechselung mit mehr oder minder verschiedenen Ergänzungssachen ohne Rücksicht auf ihre Abnutzung von Anfang an vorgesehen war und dem Wesen der Maschine entspricht, z. B. den verschiedenen Bohrern bei einer Bohrmaschine oder den verschiedenen Düsen bei einer Spinnmaschine (RG 157, 244). A n m . 22 Gegenstände, die an sich Bestandteilseigenschaft haben, verlieren diese Eigenschaft n i c h t schon dadurch, daß sie z e i t w e i s e von der Sache e n t f e r n t werden, z. B. zu Reinigungszwecken (RG Gruchot 64, 95, 97; BayObLG O L G 10, 60). Daher büßen z. B. Fenster eines Hauses (Bestandteile nicht nur nach § 94 Abs. 2, sondern auch nach § 93), die nur zur Ausbesserung vom Hause gelöst werden, ihre Eigenschaft als Gebäudebestandteile nicht ein (RG Gruchot 64, 95, 97). Anders, sobald feststeht, daß es sich nicht nur um eine vorübergehende Trennung handelt (RG Gruchot 64, 95). Durch eine T r e n n u n g auf D a u e r verlieren die abgetrennten Teile ihre Bestandteilseigenschaft (s. auch Anm. 40). ee) Bedeutung der Einzelumstände A n m . 23 Bei der im Rahmen des § 93 erforderlichen Prüfung, ob es sich um Bestandteile einer einheitlichen Sache handelt, müssen stets die Umstände des besonderen Falles sorgfältig untersucht werden. Die zahlreichen einschlägigen früheren Entscheidungen (s. Fundstellenübersicht Anm. 50 ff) können daher nur nach sorgfältiger Prüfung der Tatumstände als Beispiele verwertet werden.

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Sachen

§93

Anm. 24—26

II. Wesentliche Bestandteile 1. Begriff des wesentlichen Bestandteils nach § 93 a) Zerstörung oder Wesensveränderung der Bestandteile, nicht der ganzen Sache Anm. 24 Bestandteile werden vom Gesetz als wesentlich bezeichnet, wenn der eine oder andere Teil durch Trennung zerstört oder in seinem Wesen verändert würde. Es kommt auf die Zerstörung oder Wesensveränderung der Bestandteile, nicht etwa der ganzen Sache, an (RG 62, 406; 152, 91, 98; RG WarnRspr 1908 Nr. 114; 1913 Nr. 185; Vorbem. 4 z u §§ 93—95)- Es ist unerheblich, ob das Wesen, das ein Bestandteil erst durch Verbindung mit einem anderen Bestandteil gewonnen hat, durch die Trennung verändert werden würde; maßgebend ist vielmehr, ob der Bestandteil in dem Wesen, das er hätte, wenn er nicht mit dem anderen Bestandteil verbunden wäre, nunmehr durch die Trennung eine Veränderung erleiden würde (RG WarnRspr 1913 Nr. 185; s. auch Anm. 27).

Anm. 25 Das Reichsgericht hat allerdings häufig das Wesen der n a c h der T r e n n u n g z u r ü c k b l e i b e n d e n R e s t b e s t a n d t e i l e mit dem Wesen der ganzen Sache gleichgestellt (s. Vorbem. 5 zu §§93—95). Der Bundesgerichtshof ist dieser Rechtsprechung nicht gefolgt (s. auch Vorbem. 7 zu §§ 93—95). Nach BGH 20, 154 (ebenso BGH NJW 1956, 788*) gibt es zwar Bestandteile, die nach ihrer Einfügung in das Ganze für eine allgemeine Betrachtung kein eigenes Wesen mehr haben, sondern vollständig in dem Ganzen aufgehen; in Fällen dieser Art — der Bundesgerichtshof nennt als Beispiele das Verhältnis einzelner Schrauben und Hebel einer Maschine oder eines einzelnen Rades in einem Getriebe zu der Restmaschine oder dem restlichen Getriebe —• läßt es auch der Bundesgerichtshof gelten, nach der Trennung solcher Bestandteile das Wesen des restlichen Bestandteils mit dem Wesen der ganzen Sache gleichzusetzen. Nach BGH 20, 154, 158 (ebenso BGH NJW 1956, 7884) gibt es aber Bestandteile, die zwar auch dem Betriebe der ganzen Sache dienen sollen, deren eigenes Wesen wegen seiner besonderen Natur und Bedeutung dem Bestandteil aber in der Weise anhaftet, daß dieses Wesen dem Bestandteil auch nach seinem Einbau weiterhin verbleibt und nicht in dem Ganzen aufgeht. Das ist regelmäßig der Fall, wenn es sich bei den Bestandteilen um technisch selbständige Geräte oder Apparate handelt, die als Hilfsgeräte den Betrieb des Ganzen ermöglichen sollen, z. B. um elektrische Meßgeräte, die serienmäßig hergestellt und katalogmäßig gehandelt oder doch wenigstens für die verschiedensten Apparate verschiedener Herstellung vom Hersteller verwandt werden können (BGH 20, 154); ebenso bei Apparategehäusen, es sei denn, daß die Gehäuse selbst durch die Trennung wirtschaftlich wertlos würden (BGH NJW 1956, 7884). Wenn es sich um die Trennung solcher Bestandteile handelt, kann nicht der Zweck und das Wesen der Restbestandteile dem Zweck und dem Wesen der ganzen Sache gleichgestellt werden. Daher führt in solchen Fällen die Trennung nicht schon dadurch, daß sie Zweck und Wesen der Hauptsache beeinträchtigt, ohne weiteres zu einer Zerstörung oder Wesensveränderung der Restbestandteile. Nur wenn nach der Trennung die Bestandteile selbst zerstört oder in ihrem Wesen verändert würden, sind sie wesentliche, d. h. für Sonderrechte unzugängliche Bestandteile im Sinne des § 93.

b) Zerstörung der Bestandteile Anm. 26 Unter Zerstören ist die völlige Veränderung der bisherigen körperlichen Beschaffenheit des Bestandteils zu verstehen, nicht die Aufhebung seiner wirtschaftlichen Bedeutung; letztere kommt nur bei der Frage der Wesensveränderung (s. Anm. 27) in Betracht (streitig). Wesentliche Bestandteile sind danach z. B. die Tapeten, da sie beim Abnehmen von der Wand zerrissen werden. Dagegen gilt es noch nicht als Zerstörung, wenn bei der Trennung der eine oder der andere Bestandteil nur eine unerhebliche, leicht zu 14*

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§93 A n m . 27—30

Allgemeiner Teil

beseitigende Beschädigung erleidet (darüber, daß bei der Trennung nicht zu vermeidendeunerhebliche Beschädigungen nicht einmal dazu zwingen, eine einheitliche Sache anzunehmen, s. Anm. 15, 20). c) Wesensveränderung der Bestandteile Anm. 27 Für die Entscheidung der Frage, ob ein Bestandteil durch die Trennung in seinem Wesen verändert wird, sind vor allem w i r t s c h a f t l i c h e R ü c k s i c h t e n maßgeblich, da auf ihnen in erster Linie die Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Bestandteilen beruht (s. Mot. 3, 4 1 ; Vorbem. 1 zu §§ 93—95; vgl. auch RG 58, 338; BGH 18, 226; 20, 154). Daher ist unter Wesensveränderung hier nicht nur die stoffliche Veränderung zu verstehen, sondern vor allem auch der Verlust oder die Verringerung der bisherigen wirtschaftlichen Bedeutung und damit des Wertes des Teiles. Zum „Wesen" eines Gegenstandes im Sinne des § 93 gehören demnach vor allem die Eigenschaften, die seine wirtschaftliche Bedeutung begründen. Es kommt darauf an, ob die verschiedenen Bestandteile nach der Trennung noch in der bisherigen Art (s. Anm. 24) wirtschaftlich genutzt werden können, sei es auch erst, nachdem sie zu diesem Zwecke wieder mit anderen Gegenständen verbunden worden sind (BGH 18, 226; 20, 154; s. auch RG WarnRspr 1911 Nr. 163; 1920 Nr. 3 1 ; a M RG 58, 338; 63, 1 7 1 ; 63, 416; 152, 9 1 ; RG J W 1906, 18g2). In diesem Zusammenhange kann es von Bedeutung sein, ob es sich noch um fabrikneue Bestandteile handelt (z. B. um fabrikneue Motoren in Schleppern, die sich noch bei der Herstellungsfirma der Schlepper befinden: keine wesentlichen Bestandteile, da die Motoren und auch die restlichen Bestandteile ohne Wertverlust noch anderweit nutzbar gemacht werden können j BGH 18, 226). Bestandteile, die nach der Trennung nicht wieder, auch nicht durch Verbindung mit irgendwelchen anderen Gegenständen, ihrem Wesen gemäß verwendbar sind, sondern nur noch S c h r o t t w e r t haben, sind wesentliche Bestandteile (BGH NJW 1956, 788*). Entsprechend der Ausrichtung des § 93 nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten muß das z. B. für Teile eines Kraftfahrzeuges gelten, die nach der Trennung zwar technisch noch brauchbar wären, aber zu einer so veralteten Type gehören, daß praktisch für die Teile keine andere Verwendungsmöglichkeit mehr zu erwarten ist (vgl. auch Vorbem. 7 zu §§93—95). Anm. 28 Neben wirtschaftlichen Gesichtspunkten kommt es auch auf die „ n a t ü r l i c h e a l l g e m e i n e A n s c h a u u n g " (z. B. R G 152, 91, 98; vgl. Anm. 10) an, wobei insbesondere technischen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen ist (BGH 20, 154). Die technische Entwicklung hat durch Serienherstellung und weitgehende Normierung die wirtschaftlichen Verhältnisse seit 1900 auch hinsichtlich der Wiederverwendung getrennter Bestandteile vielfach geändert. Bei vielen Teilen, die — nach dem Stande der Technik von 1900 gefertigt — als wesentliche Bestandteile gelten mußten, ist das nicht der Fall, wenn sie auf Grund der heutigen technischen Entwicklung serienmäßig oder sogar genormt hergestellt werden (BGH 18, 226; vgl. auch Vorbem. 7 zu §§ 93—95). Anm. 29 Als wesentlich kann man nicht solche Eigenschaften bezeichnen, die nur v o n u n t e r g e o r d n e t e r A r t sind. Eine im Verhältnis zum Werte des Bestandteils nicht sehr erhebliche Wertminderung und eine nicht bedeutende Änderung in der wirtschaftlichen Ausnutzungsmöglichkeit eines Teils sind belanglos (RG 69, 1 1 7 , 122; RG J W 1909, 130 1 ). d) Sonderfälle Anm. 30 Bei Grundstücken (s. Anm. 4) sind die Teile des Erdbodens, z. B. das in einem Steinbruch noch nicht gebrochene Gestein, und des Luftraumes wesentliche Bestandteile, können also nicht Gegenstand von Sonderrechten sein. Dagegen sind abgegrenzte

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Sachen

§93

Anm. 31—35

Flächenteile eines Grundstücks als unwesentliche Bestandteile zu betrachten. Sie können mit besonderen Rechten belastet sein; doch sucht die Ordnungsvorschrift der §§ 6 und 7 GBO dem entgegenzuwirken. Eine für sich allein auf einem Grundbuchblatt stehende Liegenschaft (§§ 3, 5 GBO) ist eine selbständige Sache, niemals Bestandteil oder auch nur Zubehör eines anderen Grundstücks (RG J W 1910, 60 1 ; vgl. aber auch § 96).

Anm. 31 Bei S a c h e n , die nicht aus von vornherein gegebenen Teilen bestehen, sondern nur w i l l k ü r l i c h z e r l e g b a r sind (z. B. Goldbarren, vgl. Anm. 6) und bei abgeteilten, in rämlichem Zusammenhange befindlichen Quantitäten von sog. M e n g e n s a c h e n (z. B. einem Haufen Getreide, einem Stapel Scheitholz, einer Ladung Kohlen; vgl. Anm. 7) sind sog. unwesentliche, d. h. sonderrechtsfähige Bestandteile undenkbar, da die Sonderrechtsfähigkeit eine von vornherein gegebene Abgrenzung des Bestandteils voraussetzt.

e) Bedeutung der Einzelumstände Anm. 32 Bei der Prüfung, ob es sich um einen wesentlichen Bestandteil i. S. des § 93 handelt, müssen stets die Umstände des besonderen Falles sorgfältig untersucht werden (RG J W 1 9 1 1 , 573 3 ). Die zahlreichen einschlägigen früheren Entscheidungen (s. Fundstellenübersicht Anm. 50 ff) können daher nur nach sorgfältiger Prüfung der Tatumstände als Beispiele verwertet werden.

2. Rechtsfolgen bei wesentlichen Bestandteilen a) Ausschluß besonderer (Sachen-)Rechte Anm. 33 Das Gesetz bestimmt zwingend, daß wesentliche Bestandteile nicht Gegenstand besonderer Rechte, d. h. Sachenrechte, sein können. Das gilt nicht nur für solche Bestandteile, die nach § 93 wesentliche Bestandteile sind, sondern auch für Bestandteile, die auf Grund des § 94 wesentliche Bestandteile sind.

Anm. 34 Während der Verbindung eines wesentlichen Bestandteils mit der Sache kann also am Bestandteil kein vom Eigentum an der Sache verschiedenes Eigentum und kein anderes dingliches Recht, z. B. kein Sonderpfandrecht, begründet werden (wegen eines Nießbrauchs an einem Gebäudeteil: R G 164, 196, 201 gegen R G Gruchot 46, 131). Solche Rechte erlöschen, wenn ein bisher selbständiger Gegenstand zum wesentlichen Bestandteil einer Sache wird. Für den letzteren Fall bestimmen die §§ 946—949 die Rechtsfolgen einer solchen Verbindung. Danach wird insbesondere das, was wesentlicher Bestandteil einer Sache wird, Eigentum des Sacheigentümers, ohne daß es auf den Willen der Beteiligten ankommt, j a sogar gegen ihn (RG 94, ia6, 129; 150, 22, 25; K G O L G 39, 71). Wenn z. B. der Mieter eines Grundstücks beim Abzug unberechtigt einen Baum aus dem Garten herausschafft und auf ein anderes Grundstück verpflanzt, so wird gemäß § 94 Abs. 1 Satz 2 der Eigentümer dieses Grundstückes auch Eigentümer des Baumes; dem Vermieter steht nur ein schuldrechtlicher Anspruch gegen den Mieter auf Rückschaffunor (§§ 556, 823) zu ( K G O L G 39, 71).

Anm. 35 Deshalb ist auch ein E i g e n t u m s v o r b e h a l t an einem Gegenstand unwirksam, der zum wesentlichen Bestandteil einer im Eigentum eines anderen stehenden Sache wird (RG 50, 2 4 1 ; 62, 410; 63, 416; 69, 150; 73, 333; 74, 201; 90, 198; RG J W 1904, 138 2 , 548®; 1909, 484*; R G WarnRspr 1913 Nr. 80; O L G Braunschweig SeuffArch 67 Nr. 163). Die Verbindung eines unter Eigentumsvorbehalt verkauften Gegenstandes mit einer Sache kann auch nicht grundsätzlich als nur zu einem vorübergehenden Zweck geschehen (§95) behandelt werden (RG 62, 410; 63, 416; R G J W 1906, 189 3 ). Das vorbehaltene Eigentum geht vielmehr selbst dann unter, wenn es an dem Bestandteil

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§93

Allgemeiner Teil

Anm. 36—39 durch Zeichen kenntlich gemacht ist ( R G J W 1904, 138 2 ). Beim Verkaufeines Grundstückes kann sich der Verkäufer nicht das Eigentum an einem darauf stehenden Gebäude vorbehalten ( K G J 25 A 139). Läßt der Eigentümer sein G r u n d s t ü c k an einen anderen auf, so erstreckt sich die Auflassung schlechthin auch auf die wesentlichen Bestandteile, ohne daß es in der Macht der Beteiligten läge, sie von der Auflassung auszuschließen. Wird bei der Veräußerung eines Grundstücks vereinbart, daß ein zum wesentlichen Bestandteile des Grundstücks gewordenes Gebäude dem Veräußerer verbleiben soll, so geht mit der Auflassung des Grundstücks gleichwohl das Eigentum an dem Gebäude auf den Erwerber über ( R F i n H J W 1 9 2 1 , 604 1 8 ; f ü r Nichtigkeit der Auflassung R G 97, 102, 103). Der Veräußerer hat nur einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Erwerber, ihm den Besitz und die Benutzung des Gebäudes zu gewähren; erst nach Abbruch erlangt er das Eigentum an den Gebäudeteilen (§ 956). Ferner erstreckt sich ein G r u n d p f a n d r e c h t auch dann auf die wesentlichen Bestandteile des Grundstücks, wenn der Lieferant des Bestandteils mit dem Grundstückseigentümer einen Eigentumsvorbehalt vereinbart hatte und der Hypothekengläubiger den Vorbehalt kannte ( R G 73, 3 3 3 ; R G J W 1904, 1 3 8 2 ; K G O L G 22, 120). An s t e h e n d e n B ä u m e n kann kein Eigentum übertragen und kein anderes dingliches Recht begründet werden ( R G WarnRspr 1926 Nr. 150). Auch die Bestellung und Eintragung einer „Abholzungsgerechtigkeit" ist unwirksam (RG 60, 3 1 7 ; s. aber auch Anm. 43).

Anm. 36 Bei der Z w a n g s v e r s t e i g e r u n g eines Grundstücks erwirbt der Ersteher das Eigentum an den wesentlichen Bestandteilen auch dann, wenn ihretwegen ein Eigentumsvorbehalt besteht und der Zuschlagsbeschluß die Bestandteile ausdrücklich ausnimmt ( R G 67, 30; 74, 2 0 1 ; 150, 22, 25; R G J W 1902, 3 2 g 1 ; K G O L G 25, 250). Doch kann dem Ersteher im Zuschlagsbeschluß (z. B. durch den Vermerk, daß die Sache von der Versteigerung ausgeschlossen werde oder daß sie nicht auf den Ersteher übergehe) die persönliche Verpflichtung auferlegt werden, die Bestandteile herauszugeben ( R G 74, 2 0 1 , 204; 150, 22, 25; R G J W 1 9 1 1 , 599 5 5 ; R G Gruchot 46,865), und zwar an denjenigen, der die Ausschließung der Bestandteile von der Versteigerung veranlaßt hat (RG 74, 201, 206; R G Gruchot 46, 865, 870; s. aber auch R G 150, 22, 25). I m Konk u r s e begründet die Vereinbarung, daß das Eigentum an einem wesentlichen Bestandteile vorbehalten bleiben solle, ebenso wie ein persönlicher Anspruch auf Abtrennung eines wesentlichen Bestandteiles kein Aussonderungsrecht ( R G 63, 307; R G J W 1906, 417 2 ).

b) Ausnahmen Anm. 37 a a ) F r ü c h t e a u f d e m H a l m . Ausnahmsweise können unter besonderen Voraussetzungen vom Boden noch nicht getrennte Früchte, insbesondere Früchte auf dem Halm nach § 810 (vgl. auch § 824) Z P O und nach dem Bundesgesetz zur Sicherung der Düngemittel- und Saatgutversorgung v. 19. 1. 1949 (WiGBl 8; vgl. auch BGBl 1950, 37) Gegenstand eines besonderen Pfandrechts sein ohne Rücksicht darauf, daß es sich nach § 94 Abs. 1 um wesentliche Grundstücksbestandteile handelt.

Anm. 38 b b ) S o n d e r r e c h t e aus der Zeit v o r 1 9 0 0 . Sonderrechte auf Grund des vor dem B G B geltenden Rechtes an Gegenständen, die nach den §§ 93 ff wesentliche Bestandteile sind, sind mit Inkrafttreten des B G B erloschen, soweit nicht A r t . 1 8 1 , 182 E G ihr weiteres Bestehen zuließen (vgl. Karlsruhe O L G 6, 214).

Anm. 39 c c ) W o h n u n g s e i g e n t u m und dergleichen. Sondereigentum an einem S t o c k w e r k eines Gebäudes war nach den §§ 93, 94 ausgeschlossen ( O L G Stuttgart R J A 6, 82; B a y O b L G SeufTArch 58 Nr. 99). Das zur Zeit des Inkrafttretens des B G B nach einigen Rechten bereits entstandene Stockwerkseigentum blieb aber nach Art. 182 E G bestehen. Das K e l l e r e i g e n t u m des französischen Rechts in den Rheinlanden 214

Sachen

§93

Artm. 40—43

behandelt K G J W 1933, 1 3 3 4 4 . Der Grundsatz, daß an wesentlichen und unwesentlichen Bestandteilen keine besonderen Rechte, also an realen Teilen eines Grundstücks kein Eigentum bestehen kann, ist durch das G e s e t z ü b e r W o h n u n g s e i g e n t u m u n d D a u e r w o h n r e c h t v. 1 5 . 3 . 1951 (BGBl I 175) durchbrochen worden. Danach kann an den zu einer Wohnung gehörigen R ä u m e n ein „ W o h n u n g s e i g e n t u m " genanntes Sondereigentum und an nicht zu Wohnzwecken dienenden R ä u m e n ein „Teileigent u m " genanntes Sondereigentum begründet werden, und zwar jedenfalls in Verbindung mit Miteigentum an Grund und Boden und an den gemeinsam benutzten Gebäudeteilen. Abgesehen von den Beschränkungen, die sich aus der gemeinsamen Benutzung des Grundstücks ergeben, insbesondere der Verbindung mit dem Miteigentumsanteil gemäß § 6 W E G , steht das Sondereigentum rechtlich einem Grundstückseigentum gleich. Es ist vererblich, veräußerlich und belastbar. A n Stelle des Sondereigentums kann auch ein veräußerliches und vererbliches dingliches Dauerwohnrecht oder Dauernutzungsrecht an bestimmten Räumen, nebenbei auch u. U . an bestimmten Grundstücksteilen bestellt werden. Auch dieses Dauerwohnrecht oder Dauernutzungsrecht wird wie ein Recht an einer selbständigen Sache behandelt (s. auch § 90 Anm. 18).

Anm. 40 c) Begründung besonderer Sachenrechte nach der Trennung Nach Abtrennung wesentlicher Bestandteile können Sonderrechte daran erst begründet werden, wenn diese Teile die Bestandteilseigenschaft verloren haben. Das ist nicht schon bei vorübergehender Trennung der Fall, sondern erst, wenn feststeht, daß es sich um eine Trennung auf Dauer handelt (s. Anm. 22).

Anm. 41 d) Im Ausland begründete besondere Sachenrechte Wenn im Geltungsbereiche des B G B über Sachenrechte an Sachen zu entscheiden ist, die aus dem Gebiete anderer Rechtsordnungen in den Geltungsbereich des B G B gebracht worden sind, so ist in der Regel das B G B als die lex rei sitae maßgeblich (ob das auch für Gegenstände des Durchgangsverkehrs, insbesondere Verkehrsmittel, gilt, ist streitig). Soweit das B G B als lex rei sitae angewandt werden muß, können wesentliche Bestandteile auch dann nicht als Gegenstand von Sonderrechten betrachtet werden, wenn die betreffende Sache aus dem Ausland in den Geltungsbereich des B G B gebracht worden ist und im Ausland zuvor nach der dortigen Rechtsordnung ein Sonderrecht an den Bestandteilen gültig entstanden war. Nach B G B muß dann die Rechtslage so beurteilt werden, daß — unter entsprechender Anwendung des § 947 — die Sache entweder Miteigentum der Beteiligten geworden ist oder aber Alleineigentum des bisherigen Eigentümers der Hauptsache (vgl. für einen anderen, grundsätzlich aber ähnlich gelagerten Fall R G 56, 243).

Anm. 42 e) Sonderbesitz an wesentlichen Bestandteilen einer Sache, z. B. an unge-

trennten Bodenerzeugnissen, Holz auf dem Stamme, ist möglich, wenn dem Besitzer die wirkliche und ungehinderte Einwirkung auf die Bestandteile zusteht (§ 865 Anm. 2 ; R G 108, 269, 272; a A R G 59, 8, 1 0 ; offengelassen in München O L G 26, 1 ; Befugnis des Besitzers zur Abtrennung: §997).

Anm. 43 f) Wesentliche Bestandteile als Gegenstand besonderer Verpflichtungen

schuldrechtlicher

Zulässig ist die Begründung einer nur persönlichen Verpflichtung, einen wesentlichen Bestandteil von einer Sache abzutrennen ( R G 60, 3 1 7 ; 63, 307; K G O L G 22, 1 2 1 ) , wie überhaupt wesentliche Bestandteile, z. B. Holz auf dem Stamme ohne den Grund und Boden (s. aber V O über den marktmäßigen Absatz von Holz vor und nach dem Einschlag v. 30. 4. 1938 — R G B l I 458 — , dazu B G H BB 1957, 9 5 1 ) , Gegenstand schuldrechtlicher Rechtsgeschäfte, z. B. eines Kaufs oder einer Miete, sein können ( R G WarnRspr

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§93 Anm. 44—47

Allgemeiner Teil

1919 Nr. 155; 1926 Nr. 150). Wesentliche Bestandteile können auch Gegenstand besonderer Versicherungsverträge sein (RG 69, 316). Beim Verkauf wesentlicher Grundstücksbestandteile, z. B. elektrischer Fernleitungen auf den eigens zur Aufstellung der Leistungsmasten angeschafften Grundstücksparzellen, vgl. § 94 Abs. 1, braucht die Form des § 3 1 3 BGB nicht gewahrt zu werden, wenn die Grundstücksparzellen nicht mitverkauft werden sollen (RG H R R 1928 Nr. 1182; vgl. aber auch O L G Frankfurt H E Z i, 28). III. Unwesentliche Bestandteile 1. Der Begriff des „unwesentlichen Bestandteils" Anm. 44 Die Rechtslehre und die Rechtsprechung haben aus dem Begriff des „wesentlichen Bestandteils" den Schluß gezogen, daß es auch unwesentliche Bestandteile gibt — das Gesetz kennt diesen Ausdruck nicht —, und daß an ihnen Sonderrechte bestehen können. Anm. 45 „Unwesentlich" sind alle Bestandteile, die weder nach § 93 noch nach § 94 als „wesentliche Bestandteile" gelten. Ebenso wie bei den wesentlichen Bestandteilen muß es sich aber um Bestandteile einer einheitlichen Sache oder um Unterbestandteile eines Bestandteiles handeln. Daher schließen sich die Begriffe „unwesentlicher Bestandteil" und „Zubehör" (§§ 97f) aus, wenngleich die Rechtsfolgen sich weithin ähneln (s. Anm. 47, 48 und Vorbem. 9 ff zu §§ 97, 98). Anm. 46 Beispiele: Unwesentliche Bestandteile sind die in einem Schlosse mit Holzrahmen an den Wänden angebrachten Holztäfelungen oder Gobelins, sofern sie nicht nach der Art der Anbringung selbständige bewegliche Sachen geblieben und daher nur Zubehör(§ 97) sind ( R G 158,362; RGWarnRspr igig Nr.45); die einzelnen Flächen eines Grundstückes (BayObLG J F G 3, 283); die zu einem Grundstück gehörenden Straßen und Wege, da sie durch Ziehen von Grenzlinien jederzeit in verschiedene Teile zerlegt werden können, ohne daß ihr Wesen dadurch verändert wird ( R G J W 1910, 813 3 2 ). Aus demselben Grunde ist unwesentlicher Bestandteil eines Weges ein dazugehöriger Abzugsgraben oder Wasserabflußkanal ( R G WarnRspr 1919 Nr. 187 hat die Frage offengelassen; das Berufungsgericht hatte wesentlichen Bestandteil angenommen). Vgl. auch die Fundstellenübersicht Anm. 50 ff. 2. Rechtsfolgen bei unwesentlichen Bestandteilen Anm. 47 Die unwesentlichen Bestandteile unterscheiden sich von den wesentlichen dadurch, daß sie auch während ihrer Verbindung mit der Sache Gegenstand besonderer dinglicher Rechte sein können. Daher erlöschen Rechte an Sachen nicht, wenn diese mit einer anderen Sache so verbunden werden, daß sie nur unwesentliche Bestandteile sind. Während der Verbindung kann der Eigentümer der ganzen Sache an den unwesentlichen Bestandteilen besondere dingliche Rechte bestellen. Sie werden, solange solche Rechte bestehen, hinsichtlich der Befugnisse des Berechtigten wie selbständige Sachen behandelt. Daher kann z. B. ihr Eigentümer oder der zum Verkauf berechtigte Pfandgläubiger sie von der Hauptsache abtrennen (RG 74, 401). Unwesentliche Bestandteile eines G r u n d s t ü c k s werden — mit Ausnahme von Flächenteilen, die unbewegliche Sachen sind (vgl. auch Anm. 30) —• für den Bereich des Sonderrechts wie bewegliche Sachen behandelt, aber nur insoweit; im übrigen nehmen sie für die Dauer der Verbindung den Charakter des Unbeweglichen an (RG 158, 362, 369). Das Sondereigentum an unwesentlichen Bestandteilen wird (außer bei Flächenteilen eines Grundstücks) nach den §§ 929 fr erworben, selbst wenn es sich um unwesentliche Grundstücksbestandteile handelt; Erwerb im guten Glauben nach § 932 ist an ihnen möglich, tritt aber erst mit der Übergabe, nicht etwa schon mit der Auflassung des Grundstücks ein, zu dem sie gehören.

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Sachen

§93

Anm. 48—50 Anm. 48 Alles dies gilt aber nur als Ausnahme. G r u n d s ä t z l i c h teilen auch unwesentliche Bestandteile das S c h i c k s a l d e r H a u p t s a c h e (RG 6 9 , 1 1 7 ; 158,362,369; R G W a r n R s p r 1919 Nr. 45). Soweit keine besonderen Rechte an den unwesentlichen Bestandteilen bestehen, gilt folgendes: Das Recht an der Hauptsache erstreckt sich auf sie; bewegliche Sachen erhalten für die Dauer der Verbindung den Charakter des Unbeweglichen (RG 158, 362, 369). Bei einer Veräußerung der Hauptsache wird das Eigentum an ihnen miterworben, ohne das ihretwegen eine besondere Einigung und Ubergabe stattzufinden braucht. Auch ist in diesem Falle keine besondere Zwangsvollstreckung in sie zulässig. Unwesentliche Bestandteile eines Grundstücks, an denen keine Sonderrechte bestehen, unterliegen vielmehr lediglich der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen. Das ergibt sich schon daraus, daß die Z P O in § 865 nur über die Zwangsvollstreckung in getrennte Bestandteile (wesentliche und unwesentliche) Vorschriften gibt (streitig). Ebenso ist eine besondere Pfändung unwesentlicher Bestandteile beweglicher Sachen ausgeschlossen, sofern an ihnen keine Sonderrechte bestehen.

Anm. 49 Ein Eigentümer unwesentlicher Bestandteile kann der Pfändung der ganzen Sache nach § 771 ZPO widersprechen (RG 144, 236, 241). IV. F u n d s t e l l e n a u s der R e c h t s p r e c h u n g (auch zu den §§ 94, 95):

Anm. 50 1. Gebäude als wesentliche Bestandteile von Grundstücken B e h e l f s h e i m e u n d d e r g l e i c h e n : O G H 1, 168: §§94 Abs. 1, 95 Abs. 1: Kein vorübergehender Zweck eines auf fremden Grund errichteten Hauses, wenn vereinbart ist, daß das Haus bei Verkaufsabsicht des Bauherrn dem Grundstückseigentümer überlassen werden soll; bei einem Behelfsheim auf Grund Nr. 13 Abs. 1 des Durchführungserlasses des Reichswohnungskommissars vom 22. 9. 1943 (MBliV 1759) besteht eine tatsächliche Vermutung für vorübergehenden Zweck, selbst wenn es ein massives Gebäude ist. — O G H 3, 20, 25: §§ 94 Abs. 1, 95 Abs. 1 : Behelfsheim kein wesentlicher Bestandteil, da tatsächliche Vermutung für vorübergehenden Zweck. — B G H 8, 1: § 95 Abs. 1: Behelfsheim auf G r u n d R L G kein wesentlicher Bestandteil; Gleichbehandlung mit Behelfsheim eines Mieters; vorübergehender Zweck, wenn es nur Zwecken des Mieters dienen soll; anders dann, wenn die positive Absicht bestand, das Behelfsheim auch bei Aufhebung des Anspruchs auf Grundstücksbenutzung in das Eigentum des Grundstückseigentümers fallen zu lassen. — B G H DRspr I (110) 33f: §95 Abs. 1 : Behelfsheim auf Grund R L G kein wesentlicher Bestandteil, da vorübergehender Zweck wie bei Miete.—RGWarnRspr 1934 Nr. 5 1 : § 95: Vom Pächter errichtete Fabrikhalle ist kein Bestandteil des Pachtgrundstücks. — O L G Köln M D R 1949, 30: § 95 Abs. 1 : Massives Behelfsheim kein wesentlicher Bestandteil. — O L G Hamburg M D R 1951, 736: §95 Abs. 1 : Behelfsheim auf Schrebergartengrundstück kein wesentlicher Bestandteil; auch Zwangsbewirtschaftung steht vorübergehendem Zweck nicht entgegen. G e b ä u d e (außer Behelfsheimen) auf P a c h t - u n d M i e t g r u n d s t ü c k e n : R G 55, 281: §95 Abs. 1 : Gebäude und Maschinen einer Ziegelei auf zugepachtetem Land keine wesentlichen Bestandteile im Verhältnis zum Pachtgrundstück; also bewegliche Sachen; daher Zubehör des Hauptgrundstücks. — R G 59, 19: § 95 Abs. 1: Fabrikgebäude auf Pachtgrundstück kein wesentlicher Bestandteil; daher bewegliche Sache. — R G 158, 394, 400: §§ 93, 94 Abs. 1, g5 Abs. 1 : Baulichkeiten auf Mietgrundstück sind wesentliche Bestandteile des Grundstücks, wenn vereinbart war, daß sie bei Vertragsende nach Wahl des Vermieters zu beseitigen seien oder in das Eigentum des Vermieters übergehen müßten. — B G H 10, 1 7 1 : §§94 Abs. 1, 95 Abs. 1 : Fabrikgebäude auf angemietetem Grundstück wesentlicher Bestandteil, da in der Erwartung der Übernahme durch Grundstückseigentümer gebaut; keine „Verwendung" i. S. des § 547. — B G H 23, 57: § 95 Abs. 1 : Holzhaus auf Pachtgrundstück kein wesentlicher Bestandteil; bei Änderung der Zweckbestimmung keine automatische Änderung der Bestandteils-

217

Allgemeiner Teil §93 Anm. 51 eigenschaft. —BGH LM § 95 Nr. 2: §§94 Abs. 1, 95 Abs. 1: Vom Pächter kraft Pachtvertrages mit dem Grundstücksnießbraucher gebautes Bauwerk kein wesentlicher Bestandteil, da kraft Rechtes des Nießbrauchers gebaut. — R G J W 1937, 22651: §§ 94 Abs. 1, 95 Abs. 1: Vom Pächter errichtetes Geschäftshaus wesentlicher Bestandteil, da Wahlrecht des Grundstückseigentümers, Übernahme des Gebäudes oder Beseitigung des Gebäudes auf Kosten des Pächters zu verlangen. — RG HRR 1942 Nr. 257: §§94, 95 Abs. 1: Bei einem kostspieligen Vereinsheim auf Pachtgrundstück besteht eine tatsächliche Vermutung für den Dauerzweck des Heimes. — OLG Celle MDR 1954, 294: §§94 Abs. 1, 95 Abs. 1: Vom Pächter errichtetes massives Werkstattgebäude wesentlicher Bestandteil, da Pächter nur in der Erwartung künftiger Grundstücksübernahme gebaut hat. Sonstige Fälle: RG J W 1908, 2951: §94: Wellblechbaracke wesentlicher Bestandteil, da fest mit dem Grundstück verbunden und Teile zu ihrer Herstellung eingefügt. — OLG Frankfurt—Kassel MDR 1951, 737: §95 Abs. 1: Massive Steinhalle des Pächters kein wesentlicher Bestandteil des Grundstücks, da für vorübergehenden Zweck errichtet. — OLG Frankfurt HEZ 1, 28, 30: Vom Erbbauberechtigten errichtetes Haus wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechtes, nicht des Grundstückes; da auf Grund alten •— vor ErbbaurechtsVO begründeten — Erbbaurechts errichtet, bleibt das Haus auch nach Erlöschen des Erbbaurechts Eigentum des Errichters, und zwar dann als bewegliche Sache. Anm. 51 2. Sonstige Anlagen als wesentliche Bestandteile von Grundstücken Bunker: BGH LM GVG § 13 Nr. 48: § 95 Abs. 1: Westwallbunker kein wesentlicher Bestandteil des Grundstücks, da zu vorübergehendem Zweck errichtet (Begründung überzeugt nicht; es hätte näher gelegen, öffentlich-rechtliche Last = Recht am Grundstück anzunehmen). — BGH LM PreisstopVO Nr. 7: § 95 Abs. 1: Bunker der Kriegsmarine kein wesentlicher Bestandteil des Grundstücks; § 95 besagt nicht, daß Ausschluß der Bestandteilseigenschaft nur so lange gilt, wie der ursprüngliche Zweck der Verbindung fortdauert. — OLG Hamburg MDR 1951, 178: §95 Abs. 1: Bunker kein wesentlicher Bestandteil, da auf Grund öffentlicher Last, d. h. eines Rechtes an fremdem Grundstück gebaut. Bergwerksanlagen: RG 61, 188: §94 Abs. 1, 95 Abs. 1: Wasserhaltungsanlage eines Bergwerks auf Pachtgrundstück kein wesentlicher Grundstücksbestandteil; insofern Dauerzweck verneint. Aber wesentlicher Bestandteil des Bergwerkseigentums. — RG 161, 203, 206: § 94, 95: Schacht kein Grundstücksbestandteil, sondern wesentlicher Bestandteil des Bergwerkseigentums. —BGH 17, 223, 232: §§93—95: Halden eines Bergwerks sind auch bei fester Verbindung mit Grund und Boden keine Grundstücksbestandteile, sondern entweder Bestandteile oder Zubehör des Bergwerkseigentums. (Die Auffassung des BGH, daß Halden infolgedessen als bewegliche Sachen gelten können, ist bedenklich, soweit die Halden Bestandteile des Bergwerkseigentums bilden.) Tankanlagen, Gasbehälter undder gleichen: RG 150, 22: §§94 Abs. 2, 95 Abs. 1: Treibstoff- und Öltanks eines Großgaragengebäudes, die in fremdem Straßengrundstück liegen, sind keine wesentlichen Bestandteile des Straßengrundstücks, wohl aber des Garagengebäudes. — R G J W 1914, 2381: §§ 93, 94 Abs. 2: Tanks und Gärbottiche sind keine wesentlichen Bestandteile eines Brauereigrundstücks. — RG WarnRspr 1932 Nr. 114: §§93, 94: Gasbehälter (Gasometer) kein wesentlicher Bestandteil des Grundstücks nach § 93, aber nach § 94 Abs. 1; Gasometer ist kein Gebäude i. S. des § 94 Abs. 2. — RG JRRspr 1925 Nr. 1856: §§ 93, 94 Abs. 1: Gasbehälter einer Sauerstoffanlage ist wesentlicher Bestandteil des Werftgrundstückes. — OLG Stuttgart J W 1932, 3730 10 : §95 Abs. 1: Tankanlage ist kein wesentlicher Bestandteil, da nicht für Dauer errichtet, und deshalb auch kein Grundstückszubehör. — BayObLG 6, 755: §§ 93> 94 Abs. 1: Petroleumtanks keine wesentlichen Bestandteile des Grundstücks. Gas- und Wasserleitungen: RG 39, 204: §§ 93, 95 Abs. 2: Rohrleitungen eines Gaswerks sind Bestandteile des Gaswerks, dagegen nicht Bestandteile der fremden Grundstücke, durch die sie gelegt sind. — RG 168, 288: §§ 93, 94 Abs. 1, 95 Abs. 1: Rohr218

Sachen

§93

Anm. 52

leitungen eines Wasserwerks sind, soweit sie in eigenem Werkgrundstück liegen, wesentliche Bestandteile; soweit sie in fremden Grundstücken liegen, keine wesentlichen Bestandteile der fremden Grundstücke, sondern Zubehör des Wasserwerkgrundstücks. —• R G J W 1 9 1 5 , 569 1 : §§93, 94 Abs. 1 : Rohrleitungen eines Gaswerkes sind keine wesentlichen Bestandteile.

Elektrische Fernleitungen, Transformatoren: RG 48, 268: § 94 Abs. 1: Lei-

tungsnetz eines Elektrizitätswerks, auch soweit über fremde Grundstücke verlegt, ist wesentlicher Bestandteil des Elektrizitätswerks (Entscheidung wohl überholt). — R G 83, 67: §§ 93, 94 Abs. 1 : Außenleitungen und Transformatoren sind keine Bestandteile des Elektrizitätswerks. — R G 87, 43: §§ 93, 94 Abs. 1 : Fernleitungen sind keine Bestandteile des Elektrizitätswerkes, aber dessen Zubehör. — R G H R R 1928 Nr. 1 1 8 2 : § 9 4 Abs. 1 : Fernleitungen, Trägermasten und Transformatorenhäuschen sind auf eigenen Grundstücken wesentliche Bestandteile des Elektrizitätswerks. Gleisanlagen: RG J W 1928, 5 6 1 9 : §§ 93, 94 Abs. 1: Gleisanlage auf Fabrikgrundstück kein wesentlicher Bestandteil. — R G WarnRspr 1908 Nr. 1 1 4 : §§ 93, 94 Abs. 1, 95 Abs. 1 : Gleisanlage nach § 93 kein wesentlicher Bestandteil des Fabrikgrundstücks; offengelassen, ob nach §§94 Abs. 1, 95 Abs. 1 wesentlicher Bestandteil des Fabrikgrundstücks. — R G WarnRspr 1930 Nr. 49: §§ 93,94 Abs. 1: Anschlußgleis auf fremdem Grundstück kein wesentlicher Bestandteil des Fabrikgrundstücks. —• Düsseldorf O L G 28, 1 8 : §§ 93, 94 Abs. 1 : Anschlußgleis auf eigenem Grundstück ist kein Grundstücksbestandteil. Straßen: Kiel O L G 34, 4: § 94 Abs. 1 : Pflastersteine einer Überfahrt sind wesentliche Bestandteile des Bürgersteiges der Straße. Baumschulen und dergleichen: RG 66, 88: § 95 Abs. 1: Baumbestand ist mangels dauernder Verbindung kein wesentlicher Bestandteil des Baumschulengrundstücks; auch kein Zubehör. — R G 1 0 5 , 2 1 3 : § 95 Abs. 1 : Pflanzen des Pächters in Baumschulen, Treibhäusern, Kästen usw. sind keine wesentlichen Bestandteile des Handelsgärtnereigrundstückes, da sie von vornherein zum Verkauf bestimmt sind.

Anm. 52 3. Bauteile, Einrichtungs- und Ausstattungsgegenstände (ohne Maschinen) als wesentliche Bestandteile von Gebäuden Dachstuhl: RG 62, 248: §§ 93, 94 Abs. 2: Dachgebälk ist wesentlicher Bestandteil des Neubaues.

Fenster, Fensterläden, Jalousien: RG 60, 4 2 1 : §94 Abs. 2: Fensterläden sind wesentliche Bestandteile des Hauses. —• R G WarnRspr 1 9 1 5 Nr. 6: § 95 Abs. 2 : Noch nicht eingehängte, auf dem Dachboden stehende Fensterflügel sind nicht wesentlicher Bestandteil des Neubaues. — Dresden O L G 6, 2 1 5 : § 94 Abs. 2 : Jalousien sind wesentlicher Bestandteil eines Wohnhauses. Aufzüge: RG 90, 198: § 94 Abs. 2: Ein elektrischer Aufzug ist wesentlicher Bestandteil des Hotelgebäudes. — O L G Düsseldorf N J W 1955, 1 8 8 1 1 : § 93: Ein Personenaufzug kann unter Umständen wesentlicher Bestandteil eines Hausgrundstücks sein. Sanitäre Anlagen: RG 106,49: § 95: Badewannen und Wasserkessel, eingebaut vom Nießbraucher des Grundstücks, sind keine Bestandteile des Grundstücks. — B G H L M § 94 Nr. 1 : § 94 Abs. 2 : Warmwasserbereiter für Bäder sind wesentlicher Bestandteil des neuzeitlichen Wohnhauses. — R G J W 1901, 362: §§93, 94 Abs. 2: Badeeinrichtung und Spültische in der Küche sind wesentlicher Bestandteil eines herrschaftlichen Hauses. — R G H R R 1929 Nr. 1298: §94 Abs. 2: Waschtische mit fließendem Wasser und Zubehör, Badeeinrichtungen sind wesentlicher Bestandteil eines neuzeitlichen Hotels. — R G WarnRspr 1933 Nr. 2 1 : §94 Abs. 2: Wascheinrichtungen mit fließendem Wasser und Spiegeln, Badeeinrichtungen, WCs sind wesentlicher Bestandteil eines modernen Hotels. — K G O L G 39, 1 2 1 : §§ 93, 94 Abs. 2: Badeeinrichtungen sind keine wesentlichen Bestandteile eines „besseren" Wohnhauses (Entscheidung wohl überholt). — O L G Braunschweig D R s p r I ( 1 1 0 ) 37 g : § 94 Abs. 2 : Spül- und Waschtische in Küche, Bad usw. sind wesentliche Bestandteile eines modernen Wohnhauses. 219

§ 93 A n m . 53

Allgemeiner Teil

Beleuchtungsanlagen: RG 36, 261: § 93: Elektrische Beleuchtungsanlage ist kein Bestandteil einer Badeanstalt. — RG 58, 338: § 93: Elektrische Beleuchtungsanlage ist wesentlicher Bestandteil eines Hotelgrundstücks. — RG J W 1901, 362: §§93, 94 Abs. 2: Beleuchtungsampeln sind wesentlicher Bestandteil eines herrschaftlichen Hauses. — RG J W 1909, 1301: §§93, 94 Abs. 2: Stromerzeugungsmotor und Beleuchtungskörper sind keine Bestandteile eines Saalbaugrundstückes. — RG J W 1917, 809 1 : §§93, 94: Elektrische Beleuchtungskörper sind keine Bestandteile eines Gasthofsgrundstücks. — OLG Köln H R R 1932 Nr. 1029: §§93, 94 Abs. 2: Beleuchtungskörper sind trotz Stilanpassung keine Bestandteile eines Lichtspielhauses. — Königsberg DRZRspr 1934 Nr. 135: §§ 93) 94 Abs. 2: Licht- und Kraftanlage einschließlich der Leitungen ist kein Bestandteil eines modernen Hotels. Öfen und sonstige Heizungsanlagen: RG 73, 333: §§ 93, 94 Abs. 2: Öfen und Kochmaschinen sind wesentliche Bestandteile eines Wohnhausneubaues. — RG 106, 49 : § 95 : Vom Grundstücksnießbraucher eingebaute Öfen sind keine Bestandteile des Grundstücks. — BGH LM § 94 Nr. 1: § 94 Abs. 2: Vollständige Beheizungsanlage in den Zimmern und Kochgelegenheit in der Küche sind nach der in Norddeutschland geltenden Verkehrsanschauung wesentlicher Bestandteil eines Wohnhauses. — KG J W 1932, 30061: §94 Abs. 2: Heizanlage ist — in Norddeutschland —• wesentlicher Bestandteil eines modernen Mietshauses. •—• OLG Nürnberg J W 1934, 143310: §§93, 94 Abs. 2: Zentralheizungsanlage ist wesentlicher Bestandteil eines Großgaragengrundstücks. — OLG Nürnberg J W 1938, 102120: §93: Heizanlage der Darre einer Malzfabrik ist wesentlicher Bestandteil des Malzfabrikgebäudes. Heizkörperverkleidungen: Hamburg OLG 32, 337: §94 Abs. 2: Heizkörperverkleidung ist wesentlicher Bestandteil des Wohnhauses. — Hamburg OLG 38, 29: §§ 93, 94 '• Heizkörperverkleidungen sind keine Bestandteile des Hauses. Backöfen: OLG Düsseldorf J W 1935, 331633: §§93, 94 Abs. 1: Ein Backofen ist wesentlicher Bestandteil des Hausgrundstücks. — OLG Königsberg H R R 1934 Nr. 1184: § 94: Ein Backofen ist wesentlicher Bestandteil eines Bäckereigrundstückes. Kühl- und Gefrieranlagen: RG J W 1932, 12003: §§93, 94 Abs. 2: Eine Kühlund Gefrieranlage ist kein wesentlicher Bestandteil eines modernen Hotels. — RG WarnRspr 1931 Nr. 15g: §§93, 94: Eine Kältemaschinenanlage ist kein wesentlicher Bestandteil eines Konservenfabrikgrundstückes. — RG WarnRspr 1933 Nr. 141: §§93, 94: Eine Kühlanlage ist kein wesentlicher Bestandteil eines Schlachthauses. Geschäftsausstattungen: RG J W 1909, 484®: §§93, 94 Abs. 2: Automateneinrichtung ist wesentlicher Bestandteil eines Restaurantgrundstückes, da gegenseitige Anpassung des Gebäudes und der Einrichtung. — OLG Hamm DRZRspr 1932 Nr. 473: § 94 Abs. 2: Schaufensterrückwand mit Parkettfußboden ist kein wesentlicher Bestandteil eines Konditorei-Cafe-Gebäudes. Kegelbahnen: BGH LM § 93 Nr. 2: §§ 93, 94 Abs. 2: Serienmäßig hergestellte Parkettscherenbohle nebst Kugelrücklauf ist kein Bestandteil eines Kegelbahnkellers. (Es wäre vertretbar, Bestandteil, aber keinen wesentlichen Bestandteil anzunehmen.) Wandverkleidungen: RG 158, 362: §§93, 94, 95: Die Wandtäfelung eines Schlosses ist nach den besonderen Umständen des Falles Bestandteil, aber kein wesentlicher Bestandteil des Schlosses. — RG WarnRspr 1919 Nr. 45: § 93: Gobelins sind je nach der Art ihrer Anbringung im Einzelfalle Bestandteile, aber keine wesentlichen Bestandteile des Schlosses. A n m . 53 4. Maschinen und sonstige technische Anlagen als wesentliche Bestandteile von Fabrik- und Werkstattgebäuden oder -grundstücken (nur Entscheidungen seit 1907; vgl. Vorbem. 6 zu §§93—95). RG 67, 30: § 93: Druckereimaschinen sind keine Bestandteile eines Druckereigrundstücks. — RG 69, 117: § 93: Gasmotor ist kein Bestandteil einer Fleischwarenfabrik. — RG 69, 150: § 93: Stromerzeugungsanlage ist wesentlicher Bestandteil eines Kokereigrundstücks. — RG 73, 201: §93: Lokomobile ist wesentlicher Bestandteil einer Maschinenfabrik. — RG 130, 264: §94 Abs. 2: Maschinen sind in der Regel 220

Sachen

§ 93 A n m . 53

keine wesentlichen Bestandteile von Fabrikgebäuden. — R G 153, 2 3 1 : §§ 93, 94 Abs. 2, 95 Abs. 2: Maschinen eines Schotterwerks können wesentliche Bestandteile des Schotterwerks sein; es kommt auf die Dauer des Verbindungszwecks an. Maßgeblich ist in erster Linie die innere Willensrichtung des Einfügenden, sofern sie nur mit dem äußeren Sachverhalt vereinbar ist. — R G J W 1907,128®: §§ 93,94 Abs. 2: Druckmaschinen sind keine Bestandteile eines unspezifischen Fabrikgebäudes. — R G J W 1907, 128 7 : §§ 93, 94 Abs. 2: Unspezifische Druckmaschinen einer Bilderbücherfabrik sind keine Bestandteile. — R G J W 1908, 322 2 : §§93, 94 Abs. 2: Eine Schnellpresse ist kein Bestandteil eines Druckereigebäudes. — R G J W 1909, 159 2 : §§93, 94: Eine Druckmaschine ist kein Bestandteil eines Druckereigebäudes. — R G J W 1909, 267 1 : §§93, 94: Katalogmäßig gehandelte Webstühle sind keine Bestandteile eines Webereigrundstücks. — R G J W 1909, 483®: §§93, 94: Spinnereimaschinen sind keine Bestandteile einer Wollspinnerei. — R G J W 1909, 485*: § 9 3 : Eine nach Katalog gehandelte Lokomobile ist kein Bestandteil eines Ziegeleigrundstückes. — R G J W 1 9 1 1 , 532 2 : §§93, 94 Abs. 2: Eine Lokomobile ist kein Bestandteil eines Dampfsägewerks. — R G J W 1 9 1 1 , 573®: §93: Maschinen sind Bestandteile eines Mühlengebäudes. — R G J W 1 9 1 1 , 574 4 : §§ 93) 94 Abs. 2: Eine Turbine eines Elektrizitätswerkes ist nach § 94 Abs. 2 kein wesentlicher Bestandteil: offen, ob nach §93. — R G J W 1912, 128 1 : §§93, 94: Eine Lokomobile ist kein Bestandteil einer Dampfschneidemühle; die Begründung für die Ablehnung des § 94 Abs. 2, da das Maschinenhaus nur für die Lokomobile errichtet sei, ist bedenklich. — R G J W 1914, 238 1 : §§ 93, 94 Abs. 2: Tanks und Gärbottiche sind keine Bestandteile eines Brauereigebäudes. —• R G J W 1932, 1197 2 : §§93, 94 Abs. 2: Maschinen sind — jedenfalls zum Teil — wesentlicher Bestandteil einer Möbelfabrik. — R G J W 1934, 1849 1 : §§ 93, 94 Abs. 2: Ein Dampfkessel ist kein Bestandteil einer Dampfmolkerei. — R G WarnRspr 1908 Nr. 4 9 1 : §§ 93, 94 Abs. 2: Maschinen sind keine Bestandteile einer Stickereifabrik. — R G WarnRspr 1909 Nr. 58: §§ 93, 94: Ein serienmäßig hergestellter Gasmotor ist kein Bestandteil einer Mühle oder eines Elektrizitätswerks. — R G WarnRspr 1909 Nr. 59: §§ 93, 94 Abs. 2: Eine Lokomobile ist kein Bestandteil eines Dampfmühlengebäudes. — R G WarnRspr 1910 Nr. 97: §§ 93, 94: Eine in einem Schuppen aufgestellte Lokomobile ist kein Bestandteil eines Sägereigrundstückes. — R G WarnRspr 1910 Nr. 190: §§ 93, 94: Eine Lokomobile im Kesselhaus ist kein Bestandteil der Fabrik. — R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 163: §§ 93, 94: Ein Gasmotor ist kein Bestandteil eines Schuhfabrikgrundstückes. — R G WarnRspr 1913 Nr. 80: §§ 93, 94: Maschinen sind keine Bestandteile eines Fabrikgebäudes. — R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 8 1 : §§ 93, 94 Abs. 2: Motoren, Generatoren, Dynamomaschinen sind keine Bestandteile eines Elektrizitätswerks. — R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 185: §§93, 94: Eine Turbinenanlage ist kein Bestandteil einer Säge- und Mahlmühle; die Turbine war zwar besonders angefertigt, aber nicht besonders für das Gebäude. — R G WarnRspr 1914 Nr. 143: §93, 94: Eine Stromerzeugungsanlage ist kein Bestandteil eines Meiereigrundstückes. — R G WarnRspr 1918 Nr. 155: §§ 93, 94: Maschinelle Einrichtungen, Kabel, Drähte sind keine Bestandteile eines Elektrizitätswerkgrundstücks. — R G WarnRspr 1920 Nr. 3 1 : §§ 93, 94: Ein Hilfsmotor ist kein Bestandteil eines Windmühlengrundstücks. —- R G WarnRspr 1931 Nr. 159: §§ 93, 94: Eine Kältemaschinenanlage ist kein Bestandteil eines Konservenfabrikgrundstücks. — R G WarnRspr 1933 Nr. 1 4 1 : §§ 93, 94: Eine Kühlanlage ist kein Bestandteil eines Schlachthauses. — R G J R R s p r 1925 Nr. 1856: §§ 93, 94 Abs. 1 : Der Gasbehälter einer Sauerstoffanlage ist wesentlicher Bestandteil eines Werftgrundstücks. — R G H R R 1932 Nr. 700: §§93, 94: Die Milchtrocknungsanlage in einem gewöhnlichen Gebäude ist kein Bestandteil des Gebäudes oder des Grundstücks. — R G Gruchot52, 9 1 3 : §§ 93, 94 Abs. 2: Zahlreiche Maschinen sind keine Bestandteile des Fabrikgebäudes. — O L G Nürnberg J W 1938, 1021 2 0 : §93: Die Heizanlage und der Wender einer Malz-Darre sind wesentliche Bestandteile des Malzfabrikgebäudes. — BayObLG 15, 6 5 1 : §94 Abs. 2: Eine Dampfkesselanlage ist kein wesentlicher Bestandteil eines Fabrikgebäudes. — Kiel O L G 35, 289: §§93, 94 Abs. 2: Die Homogenisiermaschine und die Transmissionsanlage einer Milchkonservenfabrik sind keine Bestandteile des Grundstücks und des Gebäudes. — O L G Schleswig DRspr I (110) 33 c, d: §§93, 94 Abs. 2: Serienmäßige Müllereimaschinen sind keine Bestandteile einer Mühle.

221

§93

Allgemeiner Teil

Anm. 54, 55 Anm. 54 5. Teile von Schiffen, Kraftfahrzeugen, Maschinen und Geräten als wesentliche Bestandteile der Schiffe usw. S c h i f f s a u s r ü s t u n g : R G 152, 9 1 : §§93, 94: Der Dieselmotor eines Seeschiffes (Motorschiffes) ist wesentlicher Bestandteil des Motorschiffes (Begründung des R G abgelehnt von B G H 18, 226); R G wendet § 94 auf das Schiff entsprechend an. — B G H 26, 225: §§ 94 Abs. 2, 95 Abs. 2: Der Dieselmotor eines Seeschiffes ist wesentlicher Bestandteil des Motorschiffes, da er zur Herstellung des Motorschiffes in das Schiff eingefügt worden ist, und zwar nicht zu einem nur vorübergehenden Zwecke. — O L G Köln J W 1936, 466 31 : §93: Der Motor eines Binnenschiffes ist kein Bestandteil des Schiffes. — O L G Schleswig DRspr I (110) 30 a: §§93, 94 Abs. 2, 95 Abs. 2: Die Schiffswinde, mit der der Charterer das gecharterte Bergungsschiff vorübergehend ausgerüstet hat, ist wegen des vorübergehenden Zweckes kein Bestandteil des Schiffes; sonst wäre unter Umständen § 94 Abs. 2 entsprechend anzuwenden. K r a f t f a h r z e u g t e i l e und d e r g l e i c h e n : R G 144,236: § 93: Einzelteile, insbesondere Karosserien von Kraftfahrzeugen sind Bestandteile der einheitliche Sachen darstellenden Kraftfahrzeuge; offen gelassen, ob auch wesentliche Bestandteile der Kraftfahrzeuge. — O G H 2, 389, 393: § 93: Fahrgestell ohne Motor ist wesentlicher Bestandteil des Kraftwagens. — B G H 18, 226: §93: Serienmäßige Kraftfahrzeugmotoren sind zwar Bestandteile der einheitliche Sachen darstellenden Kraftfahrzeuge (Schlepper), jedoch nicht wesentliche Bestandteile der Kraftfahrzeuge, jedenfalls solange die Kraftfahrzeuge noch beim Hersteller sind. — O L G Jena J W 1932, 2044 2 : § 9 3 : Räder und aufgezogene Reifen sind zwar Bestandteile eines modernen Kraftfahrzeuges, jedoch nicht wesentliche Bestandteile des Kraftfahrzeuges. — O L G Braunschweig J W 1934, 1258 4 : §93: Der Motor ist zwar Bestandteil des Kraftfahrzeuges, nicht aber wesentlicher Bestandteil. — O L G Stuttgart N J W 1952, 145 1 0 : §93= Motor und Räder sind keine wesentlichen Bestandteile des Kraftfahrzeuges. — O L G Karlsruhe N J W ig5i,447 1 6 : § 93: Chassis und Motor sind keine wesentlichen Bestandteile des Kraftfahrzeuges; fraglich bei der Karrosserie. — O L G Stuttgart H R R 1933 Nr. 2: § 93: Aufmontierte Reifen sind wesentliche Bestandteile eines Kraftfahrzeuges. — O L G Bamberg M D R 1951, 29: § 93: Reifen sind keine wesentlichen Bestandteile des Kraftfahrzeuges. — O L G Stuttgart V R S 3,324: § 93: Reifen sind Bestandteile des Kraftfahrzeuges, aber keine wesentlichen Bestandteile. — O L G Neustadt D A R 1953, 130: §93: Reifen sind Bestandteile des Kraftfahrzeuges, aber keine wesentlichen Bestandteile.

Sonstige Maschinen- und Geräteteile: RG 130, 242, 245: §93: Der Schalter

eines Heizkissens ist kein wesentlicher Bestandteil des Heizkissens. —• R G 157, 244: § 93: Planmäßig auswechselbare Düsen von Spinnmaschinen sind keine Bestandteile der Spinnmaschinen; das gilt auch für planmäßig auswechselbare Bohrer von Bohrmaschinen. — B G H 20, 154: §93: Serienmäßig hergestellte und katalogmäßig gehandelte Meßgeräte, die in Hochfrequenzgeräte eingebaut sind, sind zwar Bestandteile der Hochfrequenzgeräte, aber keine wesentlichen Bestandteile der Hochfrequenzgeräte. — B G H N J W 1956, 788^: §93: Gehäuse von Hochfrequenzgeräten sind zwar Bestandteile der Hochfrequenzgeräte, aber in der Regel keine wesentlichen Bestandteile der Hochfrequenzgeräte; anders nur, falls die Gehäuse bei Ausbau zerstört würden. — R G Gruchot 64, 95: § 93: Teile einer Lokomobile sind nach nicht nur vorübergehender Trennung von der Lokomobile nicht mehr deren Bestandteile; war die Lokomobile zuvor Grundstückszubehör, so sind die Teile dann kein Zubehör mehr.

Anm. 55 6. Anlagen und Einrichtungen von Nießbrauchern, Pächtern und Mietern

(s. auch Anm. 50 „Gebäude"). R G 39, 204: §§93, 95 Abs. 2: Rohrleitungen eines Gaswerks, die über fremde Grundstücke gehen, sind keine Bestandteile der fremden Grundstücke. — R G 55, 281: § 95 Abs. 1 : Gebäude und Maschinen einer Ziegelei, die auf zugepachtetem Land stehen, sind keine Bestandteile des Pachtgrundstücks. — R G 61, 188: §§94 Abs. 1, 95 Abs. 1 : Die Wasserhaltungsanlage eines Bergwerks, die auf einem Pachtgrundstück

222

Sachen

§94

steht, ist kein Bestandteil des Grundstücks. — RG 87, 43, 51: §§ 93, g4 Abs. 1, 95 Abs. 1: Leitungsmasten von elektr. Fernleitungen, die kraft Mietvertrags auf Fremdgrundstücken stehen, sind mitsamt den Leitungen keine Bestandteile der Fremdgrundstücke. — RG 105, 213: §95 Abs. 1: Pflanzen des Pächters in Baumschulen, Treibhäusern, Kästen usw., die von vornherein zum Verkauf bestimmt sind, sind keine Bestandteile des gepachteten Handelsgärtnereigrundstücks. — RG 106, 49: §95: Badewannen, Öfen, Wasserkessel, vom Grundstücksnießbraucher eingebaut, sind keine Bestandteile des Grundstückes. — RG 109, 128: §95: Eine Heizungsanlage, eine elektrische Lichtund Kraftanlage und Wandwaschbecken, die vom Mieter eingebaut sind, sind keine Bestandteile des Hausgrundstücks. —- RG 150, 22: §§ 94 Abs. 2, 95 Abs. 2: Treibstoffund Öltanks einer Großgarage, die in fremdes Straßengrundstück verlegt sind, sind keine Bestandteile des Straßengrundstückes. — RG 168, 288: §§93, 94 Abs. 1, 95 Abs. 1: Rohrleitungen eines Wasserwerkes, die über fremde Grundstücke verlegt worden sind, sind keine Bestandteile der fremden Grundstücke. — RG WarnRspr 1918 Nr. 155: §§ 93—95 : Fernleitungen eines Elektrizitätswerkes auf Masten, die auf gemieteten Grundstücken stehen, sind keine Bestandteile dieser Grundstücke, sondern bewegliche Sachen.—RG WarnRspr 1930 Nr. 4g: §95: Ein Anschlußgleis auf gemietetem Eisenbahngelände ist kein Bestandteil des Bahngrundstücks. — RG J W 1904, 336 1 : §95 Abs. 1: Lokomobile eines Mieters, die der Mieter für seinen Zimmereibetrieb benötigt, ist kein Bestandteil des Mietgrundstückes. — OLG Stuttgart J W 1932,3730 10 : § 95 Abs. 1: Eine Tankanlage, die auf Grund eines Vertrages eingerichtet worden ist, der den Bau und die Unterhaltung der Tankanlage gestattete, ist kein wesentlicher Bestandteil des Grundstücks, da sie nicht für die Dauer errichtet ist. — OLG Jena J W 1933, 924®: §§ 94) 95 : Die Tresoranlage einer Bank in einem gemieteten Hause ist kein Bestandteil des Hauses. — KG J W 1936, 67339: §§ 94, 95: Die Schutzkanäle für die Leitungsrohre einer Warmwasserheizung, die von der vertraglich zur Beheizung verpflichteten Firma unter dem Vorgartenland verlegt sind, sind wegen ihres vorübergehenden Zweckes keine Grundstücksbestandteile. — KG OLG 20, 37: §§93, 95: Ein vom Mieter errichteter Zaun ist kein Bestandteil des Mietgrundstücks. — Dresden OLG 41, 113: §§ 93> 95 '• Eine vom Mieter eingebrachte Kochmaschine ist kein Bestandteil des Miethauses. — OLG Schleswig DRspr I (110) 30 a : §§ 93, 94 Abs. 2, 95 Abs. 2: Eine Schiffswinde, mit welcher der Schiffcharterer das gecharterte Bergungsschiff vorübergehend ausgerüstet hat, ist kein Bestandteil des gecharterten Schiffes. § 9 4 Zu den wesentlichen Bestandteilen eines Grundstücks gehören die mit dem Grund und Boden fest verbundenen Sachen, insbesondere Gebäude, sowie die Erzeugnisse des Grundstücks, solange sie mit dem Boden zusammenhängen. Samen wird mit dem Aussäen, eine Pflanze wird mit dem Einpflanzen wesentlicher Bestandteil des Grundstücks. Zu den wesentlichen Bestandteilen eines Gebäudes gehören die zur Herstellung des Gebäudes eingefügten Sachen. E I 783, 784; II 77e; M 3 42; P 3 6.

Üb ersieht I. Zwei besondere Begriffsbestimmungen des wesentlichen Bestandteils in § 9 4 II. Wesentliche Bestandteile eines Grundstücks nach §94 Abs. 1 1. Feste Verbindung mit dem Grundstück 2. Gebäude und andere Anlagen a) Grenzüberbau b) Erbbaurechte und besondere Gerechtigkeiten c) Rohr- und Drahtleitungen von Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerken d) Gebäudebestandteile als Grundstücksbestandteile

Anm.

1, 2 3—12 3, 4 5—9 5 6, 7 8 9 223

§ 94

Anm. 1—4

Allgemeiner Teil Anm.

3. Erzeugnisse des Grundstücks 4. Samen 5. Pflanzen III. Wesentliche Bestandteile eines Gebäudes nach § 9 4 Abs. 2 1. Einfügung in Gebäude 2. Zweck der Einfügung 3. Art der Einfügung 4. Geltungsbereich des § 94 Abs. 2 5. Verhältnis des § 94 Abs. 2 zu § 93

10 11 12 13—18 13 14, 15 16 17 18

I. Zwei besondere Begriffsbestimmungen des wesentlichen Bestandteils in § 94 Anm. 1 Z u den wesentlichen Bestandteilen eines Grundstücks oder Gebäudes gehören die in § 94 genannten Sachen ohne Rücksicht darauf, ob die Voraussetzungen des § 93 auf sie zutreffen. § 94 gibt keine Beispiele zu § 93, sondern e r w e i t e r t den Kreis der wesentlichen Bestandteile. Indem § 94 bestimmte Sachen für wesentliche Bestandteile erklärt, sagt er auch, daß sie überhaupt Bestandteile sind. Also darf nicht erst gefragt werden, ob eine Pflanze, ein Gebäude oder eine zur Herstellung eines Gebäudes eingefügte Sache Bestandteil des Grundstücks oder Gebäudes ist. Das Gesetz verfahrt hier anders als in § 93, wo die Bestandteilseigenschaft als eines der Merkmale des Begriffs der wesentlichen Bestandteile aufgestellt ist (s. Vorbem. 17 zu §§ 93—95; § 93 Anm. 2). Aber auch bei § 94 ist davon auszugehen, daß das Gesetz unter wesentlichen Bestandteilen nur Teile einer einheitlichen körperlichen Sache, nicht Teile eines bloß wirtschaftlichen Ganzen versteht (vgl. § g3 Anm. 9—23); dieser Gesichtspunkt ist bei der Auslegung des § 94 Abs. 2 für die Frage, was mit den „zur Herstellung eines Gebäudes eingefügten Sachen" gemeint ist, zu verwenden ( R G 67, 30). Ist eine in ein Gebäude eingefügte Sache nach § 95 Abs. 2 kein „Bestandteil", so ist für § 94 überhaupt kein R a u m ( R G 153, 231; s. auch Vorbem. 8—10 und 17 zu §§93—95).

Anm. 2 Die Absätze 1 und 2 des § 94 geben voneinander unabhängige Begriffsbestimmungen ( R G 150, 22, 26). Während es bei Abs. 1 auf die Art der Verbindung ankommt, stellt Abs. 2 auf den Zweck der Verbindung ab. Uber entsprechende Anwendung des § 9 4 Abs. 2 bei S c h i f f e n : R G 152, 91, 97; B G H 26, 225; O L G Schleswig DRspr I (110) 30 a.

II. Wesentliche Bestandteile nach § 94 Abs. 1 1. Feste Verbindung mit dem Grundstück Anm. 3 Die mit dem Grund und Boden fest verbundenen Sachen sind wesentliche Bestandteile des Grundstücks, ohne daß es — von den Fällen des § 95 Abs. 1 abgesehen — darauf ankommt, zu welchem Zweck und von wem die Verbindung vorgenommen worden ist ( R G 63, 416, 419; s. aber R G 61, 188, 192). Es kann sich um eine u n m i t t e l b a r e f e s t e V e r b i n d u n g eines Gegenstandes mit dem Grundstück handeln (z. B. um einen Gasbehälter einer Gasanstalt: R G WarnRspr 1932 Nr. 114; s. aber auch B a y O b L G 6, 755) oder aber auch um eine nur m i t t e l b a r e feste Verbindung (wenn etwas fest mit einem Gebäude verbunden ist, sofern nur das Gebäude selbst wesentlicher Bestandteile des Grundstücks ist; s. Vorbem. 16 zu §§ 93—95)-

Anm. 4

Was feste Verbindung ist, kann nicht für alle Fälle gleich entschieden werden. Dies ist im wesentlichen T a t f r a g e ( R G 50, 143; 158, 362, 374; R G J W 1904, 110 4 ; s. auch § 9 3 Anm. 15). Fest ist eine Verbindung, wenn die Bestandteile nicht ohne Beschädigung des einen oder anderen Teiles voneinander getrennt werden können, oder wenn

224

Sachen

§94

Anm. 5 die Trennung so erhebliche Schwierigkeiten macht, daß die Kosten im Vergleich zum Werte des einen oder anderen Bestandteils unverhältnismäßig hoch sind (Kiel O L G 38, 29). Daher liegt z. B. k e i n e feste Verbindung vor, wenn Maschinen nur durch Transmissionen am Gebäude oder nur durch Schrauben oder ein Bindemittel wie Zementguß am Fundament befestigt sind und losgelöst werden können, ohne daß sie selbst oder das Gebäude erheblich beschädigt werden ( R G J W 1904, n o 4 ; 1908, 738 3 > 4 ; 1909, 2 6 7 1 ; 1 9 1 2 , 1 2 8 1 ; R G WarnRspr i g i o N r . 97, 190; 1 9 1 3 Nr. 80, 8 1 , 1 8 5 ; 1 9 1 4 ^ . 1 4 3 ; 1 9 1 8 Nr. 1 5 5 ; B a y O b L G O L G 10, 60; § 9 3 Anm. 15). N i c h t f e s t verbunden sind ferner: Leitungsmasten einer Anlage zur Erzeugung und Übertragung elektrischer Kraft, wenn die Masten aus dem Erdboden leicht herausgenommen werden können, ohne daß der Erdboden abgegraben werden muß oder die Masten beschädigt werden ( R G WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 1 4 3 ) ; Gleisanlage auf einem Fabrikgrundstück zum Anschluß an eine Eisenbahn (Düsseldorf O L G 28, 1 8 ; s. auch Fundstellenübersicht § 93 Anm. 5 1 ) ; Hopfen- oder Bohnenstangen. F e s t verbunden sind dagegen in den Boden eingegrabene Mauern und Rohrleitungen. Vgl. auch R G J W 1908, 295 1 (Wellblechbaracke mit gemauerten Fundamentpfeilern und Giebeln); O L G Düsseldorf J W 1935, 3 3 1 6 3 3 und O L G Königsberg H R R 1934 Nr. 1 1 8 4 (Backöfen). In R G WarnRspr 1932 Nr. 1 1 4 wird feste Verbindung mit dem Grund und Boden bejaht für einen 100 t schweren eisernen Gasbehälter einer Gasanstalt, der nur durch sein Eigengewicht ohne sonstige Befestigung auf einem Betonsockel ruht, aber nur nach Zerlegen vom Sockel entfernt werden kann ( a M aber B a y O b L G 6, 755 bei Petroleumtanks). Auch Steine einer gepflasterten Straße oder einer Uberfahrt über den Bürgersteig werden mit Kiel O L G 34, 4 als mit dem Grund und Boden fest verbunden nach § 94 als wesentliche Bestandteile des Straßen- oder Bürgersteiggrundstücks zu erachten sein. S. auch Fundstellenübersicht § 93 Anm. 50 ff.

2. Gebäude und andere Anlagen Anm. 5 a) Grenzüberbau Ein Gebäude ist grundsätzlich nur soweit wesentlicher Bestandteil eines Grundstückes, als es mit ihm fest verbunden ist, also darauf steht. Das gilt grundsätzlich auch für Gebäude, die sich über mehrere Grundstücke erstrecken, und wird durch § 905 bestätigt. Reicht ein Teil eines Gebäudes (z. B. die Giebelmauer oder die Umfassungsmauer) über die Grundstücksgrenze hinaus, so ist dieser Teil grundsätzlich Bestandteil des angrenzenden Grundstücks (vgl. auch § 946), so im Falle des — von einem Überbau zu unterscheidenden — Z w i s c h e n b a u e s ( R G 169, 172, 179). Von diesem Grundsatz macht das B G B in § 95 und in dem darauf fußenden § 9 1 2 Ausnahmen ( R G 162, 209; R G J W 1 9 1 1 , 366 20 ). Durch einen vereinbarungsgemäß erfolgten Uberbau entsteht — auch ohne daß es der Form des § 873 bedürfte — ein servitutähnliches Verhältnis mit der Folge, daß den Voraussetzungen des § 95 Abs. 1 Satz 2 genügt ist ( R G WarnRspr 1 9 1 5 Nr. 270; vgl. auch die Entscheidung B G H 15, 216, die hier § 9 1 2 entsprechend anwendet). Ein Überbau i. S. des § 9 1 2 liegt nur vor, wenn es sich um ein einheitliches Gebäude handelt (ohne Rücksicht, auf wessen Grundstück der größere oder der wesentliche Teil des Gebäudes steht), wenn ferner der Eigentümer des überbauten Grundstückes nicht sofort widersprochen hat, und wenn schließlich den Uberbauenden höchstens leichte Fahrlässigkeit trifft. M u ß der Eigentümer des überbauten Grundstückes den Uberbau gemäß § 9 1 2 dulden, so ist entsprechend § 95 der Uberbau nicht Bestandteil des überbauten Grundstücks, sondern wesentlicher Bestandteil des ganzen Gebäudes und damit des Nachbargrundstücks ( B G H J Z 1958, 438). — § 95 wird auch dann entsprechend angewendet, wenn der Eigentümer eines Grundstückes auf ein anderes, ihm selbst ebenfalls gehöriges Grundstück übergebaut hat (sog. E i g e n g r e n z ü b e r b a u ) und die beiden Grundstücke später in den Besitz verschiedener Grundstückseigentümer gelangen ( R G 160, 166, 177 unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung; gebilligt von R G 169, 172, 1 7 8 ; wohl auch von B G H 15, 216, 2 1 8 ) . Diese Rechtsprechung zwingt —• was im Normalfalle des § 9 1 2 nicht nötig ist — eines der Grundstücke als „ S t a m m grundstück" zu behandeln. — Hatte der Eigentümer des Nachbargrundstücks — sei 15

Komm. 2. BGB, n . Aufl. I. Bd. (Kregel)

225

§94 A n m . 6, 7

Allgemeiner Teil

es mit Zustimmung des betroffenen Eigentümers (RG WarnRspr 1915 Nr. 270) oder auch im Rahmen des § 912 — eine Giebelmauer über die Grenzlinie gebaut, so ist sie nach oben Gesagtem nicht Bestandteil des überbauten Grundstücks, sondern ist wesentlicher Bestandteil des Nachbargrundstücks; anders ist es, falls §§ 95 und 912 nicht vorliegen: dann Teileigentum gemäß §§ 94 Abs. 1, 946 unter Zurücktreten der §§ 93, 94 Abs. 2 wegen des Gebäudes (RG J W 1 9 1 1 , 366 20 ; BGH 3 0 . 4 . 5 8 V Z R 178/56 und 218/56; vgl. aber die Kritik an der Annahme reellen Teileigentums bei M e i s n e r - S t e r n H o d e s , Nachbarrecht 3. Aufl. § 8 I I I 1, 2). Streitig ist, ob dann, wenn der Eigentümer des überbauten Grundstücks an die Giebelwand anbaut und sie damit auch zur Giebelwand seines Hauses macht, a) der bisherige Zustand wegen der Bcstandteilseigenschaft der Mauer und des Eigentums an der Mauer bestehenbleibt (RG Rhein Archiv 1908, 373), oder ob b) der Rechtsgedanke des § g5 Abs. 1 Satz 2 dem Grundatz des § 94 Abs. 1 Satz 1 weichen muß und die Mauer dann jeweils bis zur Grenzlinie Alleineigentum der beiden Grundstückseigentümer wird (OLG Düsseldorf J W 1912, 491; O L G Dresden J W 1912, 1037, 1038; München O L G 34, 190; O L G Köln BB 1951, 600; vgl. auch R G 53, 302; 70, 200; 162, 209, 212), oder ob c) die Mauer dann Miteigentum der beiden Nachbarn nach ideellen Quoten wird (so beiläufig ohne nähere Begründung BGH N J W 1955, 257 2 ). Die Ansicht a) dürfte abzulehnen sein, weil sie wirtschaftlich zu unbilligen Ergebnissen führt. Die Ansicht b) ist die bisher überwiegend vertretene. Für die Ansicht c) spricht, daß eine grenzscheidende Mauer bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise ebenso eine Einheit darstellt, wie etwa einzelne grenzscheidende Bauelemente, z. B. T-Träger, bei denen schon R G 70, 200, 205 ein Miteigentum nach ideellen Bruchteilen angenommen hat (vgl. die beachtenswerte Kritik an der herrschenden Ansicht bei M e i s n e r - S t e r n - H o d e s aaO; ferner die — allerdings insoweit nicht näher begründete — Entscheidung BGH 16, 12, 16 = N J W 1955, 257"). Neuerdings nimmt auch der B G H Miteigentum zu je % an, wenn der Nachbar ein Haus an die Giebelmauer anbaut oder wenn zwei Nachbarn gleichzeitig an eine Grenzmauer anbauen (BGH 30. 4. 58 V Z R 178/56 = M D R 1958, 591). Beim Abbruch des Gebäudes fallen unteilbare Gebäudeteile, die von der Grenze durchschnitten werden, in das Miteigentum der beteiligten Grundstückseigentümer (RG 70, 200), soweit nicht für das stehende Gebäude § 95 Platz gegriffen hatte. b) Erbbaurechte und besondere Gerechtigkeiten Anm. 6 Bei alten Erbbaurechten (d. h. solchen, die vor dem Inkrafttreten der V O über das Erbbaurecht v. 15. 1. 1919, RGBl. 72, nämlich vor dem 22. 1. 1919, bestellt worden sind, vgl. dort § 38) ist aus dem früheren § 1017 Abs. 1 zu folgern, daß § 94 Abs. 1 auch auf das Erbbaurecht anzuwenden ist. Daher sind Gebäude, die der Erbbauberechtigte auf Grund des Erbbaurechts errichtet hat, wesentliche Bestandteile des Erbbaurechts und gelten in dieser Eigenschaft als unbeweglich ( K G J 39 B 80, 87; O L G Frankfurt H E Z i, 28); nach §95 Abs. 1 sind sie nicht Bestandteile des Grundstücks. Dieselbe Rechtslage gilt nach § 12 ErbbauVO bei neuen Erbbaurechten. — Bei neuen Erbbaurechten gilt darüber hinaus das gleiche für ein Bauwerk, das bei Bestellung des Erbbaurechts schon vorhanden war (§ 12 Abs. 1 Satz 2 ErbbauVO). Bei alten Erbbaurechten bleiben dagegen Gebäude, die der Grundstückseigentümer vor Bestellung des Erbbaurechtes auf dem späteren Erbbaugrundstück errichtet hat, Bestandteile des Grundstücks, nicht des Erbbaurechts; dieses erstreckt sich auf solche Gebäude nur in derselben Weise wie auf den Grund und Boden ( K G J 39 B 80, 90). — Bei neuen Erbbaurechten werden mit dem Erlöschen des Erbbaurechts dessen Bestandteile nach § 12 Abs. 3 ErbbauVO zu Grundstücksbestandteilen, bei alten Erbbaurechten dagegen nicht ( K G R J A 14, 188; O L G Frankfurt H E Z 1, 28, 30); bei alten Erbbaurechten werden sie vom Erlöschen des Erbbaurechts an als bewegliche Sachen behandelt. Anm. 7 Ähnlich wie bei einem Erbbaurecht gilt die zu einer K o h l e n a b b a u g e r e c h t i g k e i t (einem Bergwerkseigentum oder einem Bergbaurecht) gehörende, auf einem fremden Grundstück errichtete Anlage nach § 95 nicht als Grundstücksbestandteil, sondern als 226

Sachen

§94 Anm. 8—13

wesentlicher Bestandteil der Gerechtigkeit. Vgl. wegen einer Wasserhaltungsanlage eines Bergwerks, allerdings auf Pachtgrundstück RG 6i, 188; wegen eines Schachtes RG 161, 203, 206; für Halden eines Bergwerks BGH 17, 223; vgl. auch für Kohlen RG 135, 197, 201. Anm. 8 c) Rohr- und Drahtleitungen von Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerken Hinsichtlich der mit dem Werk verbundenen Rohr- und Drahtleitungen gilt folgendes : Sind sie mit dem Grund und Boden, auf dem sich das Werk befindet, fest verbunden im Sinne des § 94 Abs. 1, was in der Regel nicht der Fall sein wird (RG J W 1915, 569 1 ), so sind sie (wesentliche) Bestandteile dieses Grundstücks in seinem Bereiche; andernfalls sind sie u. U. Zubehör nach §§ 97 Abs. 1, 98 Nr. 2 (RG 87, 43, 48). Soweit sie von dem Eigentümer des Werks in Ausübung eines dinglichen Rechts oder nur vorübergehend (§ 95) über fremde Grundstücke geleitet sind, sind sie nicht Bestandteile dieser fremden Grundstücke, auch wenn sie mit ihnen fest verbunden sind; sie können, da sie insoweit rechtlich als bewegliche Sachen gelten, Zubehör (nicht Bestandteile) des Werkgrundstücks sein (RG 87, 43, 50; 168,288,290; RG WarnRspr 1918 Nr. 155; s. auch Fundstellenübersicht §93 Anm. 51). Anm. 9 d) Gebäudebestandteile als Grundstücksbestandteile Die wesentlichen Bestandteile eines Gebäudes sind auch wesentliche Bestandteile des Grundstücks, und zwar im Sinne des Abs. 1 sowohl dann, wenn die Wesentlichkeit im Verhältnis zum Gebäude auf § 94 Abs. 2, als auch dann, wenn sie auf § 93 beruht (RG 50, 243; 63, 416; RG J W 1907, 300 2 ; 1908, 295 1 ). Unwesentliche Bestandteile des Gebäudes können nicht wesentliche Bestandteile des Grundstücks sein, obwohl der Ausdruck „Gebäude" an sich auch die unwesentlichen Bestandteile umfaßt. Nur falls das Gebäude selbst nicht als Grundstücksbestandteil gilt, sei es, daß es nicht fest mit dem Grundstück verbunden ist, oder daß § 95 eingreift, sind die Gebäudebestandteile nicht zugleich Grundstücksbestandteile (s. auch Vorbem. 16 zu §§ 93—95 und § 95 Anm. 1—3, 3 i . 43, 44)Anm. 10 3. Erzeugnisse des Grundstücks s. § 99 Anm. 8. Darüber, daß unter gewissen Voraussetzungen Früchte auf dem Halm gepfändet werden können: §93 Anm. 37. Anm. 11 4. Samen von Pflanzen wird mit dem Aussäen wesentlicher Bestandteil ohne Rücksicht darauf, ob er in die Erde aufgenommen wird und ob er keimt. Ob der Grundstückseigentümer oder ein anderer aussät, ist für die Frage der Bestandteilseigenschaft belanglos. Anm. 12 5. Pflanzen werden mit dem Einpflanzen wesentliche Bestandteile, ohne daß es darauf ankommt, ob sie Wurzeln schlagen. Daher kann das Eigentum am Holz auf dem Stamme nicht übertragen und auch kein dingliches Abholzungsrecht begründet werden (RG 60, 3 1 7 ; § g3 Anm. 35). Pflanzen in Baumschulen vgl. §95 Anm. 16; vgl. auch Fundstellenübersicht § 93 Anm. 51. Die Rechtsfolgen, welche eintreten, wenn der Mieter eines Grundstücks einen Baum auf ein anderes Grundstück verpflanzt, werden in § 93 Anm. 34 erörtert. III. Wesentliche Bestandteile n a c h § 94 Abs. 2 Anm. 13 1. Einfügung in Gebäude Der Ausdruck „Gebäude" wird in einem engeren und in einem weiteren Sinne gebraucht; er bezeichnet sowohl das nackte Bauwerk wie auch das eingerichtete, einem bestimmten wirtschaftlichen Zwecke dienende Bauwerk. Im Rahmen des § 94 Abs. 2 227

§94

Allgemeiner Teil

Anm. 14, 15 ist Gebäude in dem ersten, engeren Sinne gemeint; sonst wären alle Einrichtungsgegenstände wesentliche Bestandteile. Seit der Schwenkung der Rechtsprechung des Reichsgerichts im J a h r e 1907 (s. Vorbem. 6 zu §§ 93—95) wird gerade bei Fabrikgebäuden besonders darauf geachtet, daß nur auf das bloße Gebäude als Bauwerk abgestellt wird, nicht aber auf die augenblickliche Ausnutzungsart des Gebäudes (RG 67, 30; 6g, 117; 83,67; R G J W 1909, 159 2 ; 1911, 707 2 ; R G WarnRspr 1913 Nr. 81; RG Gruchot 52, 913, g 18). Bei Hotels und Wohnhäusern neigt die Rechtsprechung auch nach 1907 mehr als bei Fabrikgebäuden und sonstigen gewerblichen Gebäuden dazu, den wirtschaftlichen Zweck des Gebäudes mit zu berücksichtigen (RG 73, 333; 90, 198; BGH L M §94 Nr. 1; R G J W 1901,362; R G H R R 1929 Nr. 1298; R G WarnRspr 1933 Nr. 21; KG J W 1932, 3006 1 ; OLG Braunschweig DRspr I [110] 37 g). Nach diesen Grundsätzen sind Maschinen in der Regel keine wesentlichen Bestandteile auf Grund des § 94 Abs. 2, ohne Rücksicht darauf, ob sie erst den wirtschaftlichen Betrieb ermöglichen, der in dem Gebäude durchgeführt werden soll (RG 67, 30; R G J W 1907, 128 6 ; 1911, 574 4 ; Kiel OLG 35, 289). Vielmehr kann §94 Abs. 2 nur dann eingreifen, wenn die Maschinen und das Gebäude eine untrennbare Einheit bilden und dieses als Baulichkeit durch die Verbindung mit jenen eine besondere Eigenart gewonnen hat. Das ist in der Regel nur der Fall, wenn die Maschinen und das Gebäude besonders aufeinander abgestimmt, insbesondere die Maschinen an die Bauart oder die Gliederung des Gebäudes angepaßt sind (RG 130, 264; R G J W 1908, 322 a ; 1909, 1301» 267 1 ; ! 9 ! !> 532 2 , 573 3 ; !934» 1849 1 ; R G H R R 1932 Nr. 700; R G WarnRspr 1909 Nr. 58, 59; 1910 Nr. 97, 190; 1913 Nr. 81; 1931 Nr. 159; 1933 Nr. 141). Ob die Verhältnisse so liegen, ist im wesentlichen Tatfrage und nur nach Lage des Einzelfalles zu entscheiden ( R G J W 1934, 1849 1 ; R G H R R 1932 Nr. 700; R G WarnRspr 1933 Nr. 141).

2. Zweck der Einfügung Anm. 14 Der Ausdruck „zur Herstellung eines Gebäudes eingefügt" ist statt des in früheren Gesetzen gebrauchten Ausdruckes „ B a u m a t e r i a l i e n " nur deshalb in das BGB aufgenommen worden, weil unter „Baumaterialien" nur die zur Errichtung eines Gebäudes notwendigen Sachen verstanden wurden (Mot. 3, 44). Danach muß angenommen werden, daß unter den zur Herstellung eines Gebäudes eingefügten Sachen im wesentlichen die Baumittelstücke zu verstehen sind ( R G J W 1911, 574 4 ; 1914, 238 1 ; R G WarnRspr 1913, Nr. 80) und daß nach dem Sprachgebrauch alles dazu gehört, was zur Herstellung eines fertigen Gebäudes als Baulichkeit dient. Das sind z. B. bei einem Wohnhause die Baumittelstücke der Mauern (nebst Verkleidung, Stuck, Putz, Betonklötzen, Zierart), der Fußböden und Decken, des Daches, der Treppen, Fenster, Türen, Rolläden u. dgl. (RG 62, 248; 94, 126, 132; R G J W 1907, 300 2 ; Dresden OLG 6, 215; KG OLG 15, 325; 22, 120). Auch Öfen und andere Beheizungsanlagen, ferner sanitäre Einrichtungen können darunter fallen (s. Fundstellenübersicht § 93 Anm. 52).

Anm. 15 Es ist nicht erforderlich, daß das Einfügen einer Sache zur Errichtung des Gebäudes notwendig war (RG H R R 1929 Nr. 1298). Daher ist z. B. a u c h ü b e r f l ü s s i g e r Z i e r a t an der Mauer oder eine Marmortreppe in einem einfachen Miethause wesentlicher Bestandteil; ebenso ein Freskogemälde im Treppenflur eines Hauses (RG 79, 397). Die Anwendung des § 94 Abs. 2 ist auch dann nicht ausgeschlossen, wenn das Gebäude zwar schon vor der Einfügung der Sachen vorhanden war, aber erst durch die Einfügung seine besondere E i g e n a r t erhalten hat (RG 158, 362, 367; 160, 166, 183; R G J W 1932, 1197 2 ). Es kommt darauf an, ob eine Sache zur Herstellung eines Gebäudes gerade dieser Art eingefügt ist, so daß das Gebäude erst hierdurch zu dem geworden ist, was es ist (RG 150, 22; R G J W 1907, 128 6 . 7 ). Zu den wesentlichen Gebäudebestandteilen nach § 94 Abs. 2 gehört mithin nicht nur, was zur Herstellung jeder Baulichkeit notwendig ist, was man also als gewöhnliche Baumittelstücke bezeichnen kann, sondern auch, was durch seine Verarbeitung im einzelnen einem Gebäude ein b e s t i m m t e s G e p r ä g e , seine Eigenart gegeben hat (RG 90, 198; 150, 22, 26; R G J W 1911, 532 2 ). So 228

Sachen

§94

A n m . 16, 17 ist z. B. beim Neubau eines modernen H o t e l g e b ä u d e s , das mit Personen-, Last- und Speiseaufzügen versehen ist, die nach dem Bauplan eingebaute elektrische Aufzugsanlage zur Herstellung dieses besonders gearteten Hotelgebäudes eingefügt und damit wesentlicher Bestandteil des Hotelgebäudes nach § 94 Abs. 2 ( R G 90, 198). Ebenso sind in einem neuzeitlichen Hotelgebäude die eingefügten Waschtische für fließendes warmes und kaltes Wasser samt ihren Nebengeräten (Glasplatten, Spiegeln, Handtuchund Seifenhaltern), der zur Warmwasserbereitung bestimmte Kessel nebst Boilern sowie die durch Abflußrohre mit dem Gebäude fest verbundenen Badewannen wesentliche Bestandteile ( R G H R R i g i g N r . 1298). Dabei macht es keinen Unterschied, ob das Hotelgebäude neu errichtet oder nur erneuert worden ist ( R G WarnRspr 1933 Nr. 2 1 , 1 4 1 ) . Ferner können Badeeinrichtungen, bestehend aus Badeöfen und Badewannen nebst ihren Verbindungsrohren, wenn sie bei der Errichtung eines g r o ß e n M i e t h a u s e s derart durchgängig eingebaut sind, daß sie dem Hause eine besondere Art gegeben haben, wesentliche Bestandteile nach § 94 Abs. 2 sein ( R F i n H J W 1922, 238 2 ). Dasselbe gilt bei einer vom Eigentümer angelegten Zentralheizungsanlage für ein modernes Miethaus ( K G J W 1932, 3006 1 ; 1933, 920 4 ) oder für eine moderne Großgarage ( O L G Nürnberg J W 1934, 1433 1 0 ). Auch die in einer G r o ß g a r a g e eingebaute Tankanlage wird wesentlicher Bestandteil des Garagengebäudes ( R G 150, 22).

A n m . 16 3. A r t der Einfügung „ E i n f ü g e n z u r H e r s t e l l u n g " bedeutet, daß der Gegenstand zwischen Teile des Gebäudes gebracht und durch Einpassen in eine für ihn bestimmte Stelle mit den ihn umschließenden Stücken vereinigt wird, und zwar derart, daß durch ihn das Gebäude in seiner Sonderart zu seinem Sonderzweck mit hergestellt wird ( R G 56, 288; 60, 4 2 1 ; 62, 248; 63, 4 1 6 ; R G J W 1908, 322 2 ; 1909, 4 8 3 ^ 1 9 1 1 , 53a 2 ; 1 9 1 2 , 1 2 8 1 ; 1 9 1 4 , 2 3 8 1 ; R G H R R 1929 Nr. 1298; R G WarnRspr 1909 Nr. 58, 59; 1 9 1 3 Nr. 80; 1 9 1 8 Nr. 155). Dabei ist der Unterschied zwischen einem bloßen Hineinstellen in ein Gebäude aus wirtschaftlichen Gründen ( R G 56, 288; R G J W 1 9 1 1 , 532 2 ; 1 9 1 4 , 238 1 ) und der Verbindung „ z u r Herstellung des Gebäudes" selbst zu beachten. Wenn nur überhaupt eine Verbindung besteht, so kommt es im Rahmen des § 94 Abs. 2 lediglich auf den Z w e c k der Verbindung an, n i c h t auf die A r t d e r V e r b i n d u n g ( R G 62, 248; 63, 4 1 6 ; B a y O b L G 15, 6 5 1 , 654). Die Verbindung braucht insbesondere nicht fest im Sinne des §94 Abs. 1 zu sein ( R G 60, 4 2 1 ; 62, 248; 63, 1 7 1 , 4 1 6 ; 90, 198, 2 0 1 ; 150, 22, 27; Dresden O L G 6, 2 1 5 ; Hamburg O L G 13, 3 1 0 ; K G O L G 15, 325). Daher sind die nur eingehängten Türen und Fenster wesentliche Bestandteile ( R G 62, 248; 90, 198, 2 0 1 ; K G O L G 15, 3 2 5 ; Nürnberg O L G 29, 358), ebenso hölzerne Fensterläden ( R G 60, 4 2 1 ) und die Drehtür eines Speisehauses (Hamburg O L G 13, 3 1 0 ) . Auch das Gebälk eines noch nicht im Mauerwerk verankerten Dachstuhls ist zur Herstellung des Gebäudes eingefügt ( R G 62, 248). Immer muß aber eine „zur Herstellung des Gebäudes" vorgenommene körperliche Verbindung bestehen. Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn Türen oder Fenster zu einem N e u b a u lediglich auf das Grundstück geschafft oder nur probeweise und nach Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Arbeiten wieder herausgenommen, mithin zunächst noch nicht zu einem dauernden beweglichen Abschluß der Fenster- und Türöffnungen, sondern vorerst nur zu einem vorübergehenden Zwecke im Sinne des § 95 Abs. 2 eingefügt worden sind ( R G WarnRspr 1 9 1 5 Nr. 6; K G O L G '5> 3 2 5 ; 22, 120, 392; a M Naumburg O L G 28, 1 5 für Türen, die schon mit Bändern versehen, eingepaßt und zur weiteren Fertigstellung wieder ausgehängt worden sind).

A n m . 17 4. Geltungsbereich des § 94 Abs. 2 § 94 Abs. 2 gilt auch für Gebäude, die nicht fest mit dem Grundstück verbunden sind oder die nach § 95 Abs. 2 nicht Grundstücksbestandteile sind. § 94 Abs. 2 gilt — in entsprechender Anwendung — auch für Schiffe ( R G 152, 9 1 , 97; O L G Schleswig DRspr I f i 10] 30 a). 229

§ 94 A n m . 18 §95

Allgemeiner Teil

A n m . 18 5 . Verhältnis des § 94 Abs. 2 zu § 93 § 94 Abs. 2 ist für Gebäudebestandteile nicht etwa nur eine den § 93 erläuternde Vorschrift, sondern hat selbständige Bedeutung. Die Eigenschaft eines wesentlichen Gebäudebestandteils kann nach § 93 gegeben sein, während sie nach § 94 Abs. 2 nicht vorliegt und umgekehrt (RG 63, 416; 90, 198, 201). Hier kommt der Fall in Betracht, daß es sich um Sachen handelt, die nicht fest mit dem Gebäude verbunden sind und ohne große Schwierigkeiten und ohne wesentliche Beschädigung ihrer selbst und des Gebäudes aus diesem entfernt werden können. Sind solche Sachen zur Herstellung des Gebäudes eingefügt, so sind sie trotz ihrer losen Verbindung gemäß § 94 Abs. 2 wesentliche Bestandteile des Gebäudes, während die Bestandteilseigenschaft nach § 93 möglicherweise zu verneinen wäre, weil sie nach der Verkehrsauffassung ihre körperliche Selbständigkeit bewahrt hätten (RG 90, 198; BGH 26, 225). Meist wird allerdings dort, wo §94 Abs. 2 in Betracht kommt, die Entscheidung nach § 94 Abs. 2 der nach § 93 entsprechen (vgl. auch Anm. 1). § 9 5 Zu den Bestandteilen eines Grundstücks gehören solche Sachen nicht, die nur zu einem vorübergehenden Zwecke m i t dem Grund und Boden verbunden sind. Das gleiche gilt von einem Gebäude oder anderen Werke, das in Ausübung eines Rechtes an einem fremden Grundstücke von dem Berechtigten m i t dem Grundstücke verbunden worden ist. Sachen, die nur zu einem vorübergehenden Zwecke in ein Gebäude eingefügt sind, gehören nicht zu den Bestandteilen des Gebäudes. E I 783 Abs. 2, 78; II 77f; M 3 43; P 3 6; 6 119.

Üb ersieht

Anm.

I. Die Stellung des § 95 im Gesetz 1—7 1. Das Verhältnis zu den §§ 93, 94 1 2. Die verschiedenen Fälle des § 95 2—5 a ) § 95 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 2 b) § 95 Abs. 1 Satz 2 3 c) Gleichzeitige Anwendung von § 95 Abs. 1 Satz 2 oder Abs. 2 und von § 95 Abs. 1 Satz 2 4 d) § 95 bei Schiffen 5 3. Beweislast 6 4. Revisibilität 7 II. Verbindung oder Einfügung zu vorübergehendem Zwecke (§ 95 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2) 8—26 1. Verbindung, Einfügung 8—10 a) Verbindung mit Grund und Boden 8 b) Einfügung in ein Gebäude 9 c) Andere Fälle 10 2. Die Person des Verbindenden oder Einfügenden 11 3. Vorübergehender Zweck der Verbindung oder Einfügung 12—15 a) Subjektive und objektive Momente des Zwecks 12 b) Die Willensrichtung des Verbindenden oder Einfügenden als subjektives Moment 13 c) Die Art und der Gegenstand der Verbindung oder Einfügung als objektives Moment 14 d) Die voraussichtliche Dauer der Verbindung oder Einfügung . . . 15 4. Anwendungsfälle 16—24 a) Beispiele allgemeiner Art 16 b) Verbindung oder Einfügung durch Mieter, Pächter und ähnlich Berechtigte in den Miet-(Pacht- usw.)gegenstand 17—22 230

Sachen

§ 95

A n m . 1—3 Anm.

c) Verbindung oder Einfügung von gemieteten (geliehenen usw.) Sachen in Sachen der Mieter usw d) Eigentumsvorbehalt 5. Zweckänderung III. Verbindung in Ausübung eines Rechts an einem Grundstück (§ 95 Abs. 1 Satz 2) 1. Nur Verbindung von Gebäuden und Werken a) Gebäude b) Werke c) Andere Sachen 2. Verbindung mit einem Grundstück 3. Verbindung mit einem fremden Grundstück 4. Verbindung in Ausübung eines Rechts 5. Nur in Ausübung eines Rechts am Grundstück a) Nur dingliche Rechte, nicht schuldrechtliche Ansprüche . . . . b) Gleichstellung anderer Rechte mit begrenzten dinglichen Rechten nach BGB 6. Sonderfälle a) Erbbaurecht b) Bergwerkseigentum, Bergbaurecht 7. Spätere Veränderungen a) Wegfall des begrenzten Rechts b) Spätere Vereinigung von Eigentum und begrenztem Recht in einer Person I V . Rechtsfolgen des § 95 1. Scheinbestandteile 2. Bewegliche Sachen 3. § g5 und Zubehöreigenschaft 4. Früheres Recht 5. Spätere Veränderungen

23 24 25—26 27—42 27—29 27 28 29 30, 31 32 33 34—38 34 35—38 39—40 39 40 41—42 41 42 43—50 43 44—47 48 49 50

1. Die Stellung des § 95 i m Gesetz Anm. 1 1. D a s V e r h ä l t n i s z u d e n § § 9 3 , 9 4 . § 95 gibt an, unter welchen Voraussetzungen Sachen, die an sich vielleicht nach den §§ 93, 94 als wesentliche Bestandteile anzusehen wären, nicht als Bestandteile gelten (sog. S c h e i n b e s t a n d t e i l e ) . §95 ist eine Ausnahmeregelung nicht nur zu § 94, sondern auch zu § 93 ( R G 153, 231, 234; aA wohl R G J W 1906, 417 2 ).

2. Die verschiedenen Fälle des § 95 Anm. 2 a ) § 9 5 A b s . l S a t z l , A b s . 2. §95 gibt in Abs. 1 Satz 1 für die Verbindung von Sachen mit dem Grund und Boden und in Abs. 2 für die Einfügung von Sachen in ein Gebäude eine Ausnahmeregelung, falls die Sachen nur zu einem vorübergehenden Zwecke verbunden oder eingefügt worden sind. Näheres siehe Anm. 8—26.

Anm. 3 b ) § 9 5 A b s . 1 S a t z 2. § 95 gibt in Abs. 1 Satz 2 für die Verbindung eines Gebäudes oder eines Werkes mit einem fremden Grundstück eine Ausnahmeregelung, falls das Gebäude oder das Werk in Ausübung eines Rechtes an dem Grundstück mit ihm verbunden worden ist. Näheres siehe Anm. 27—42. Über die Anwendung des § 95 Abs. 1 Satz 2 auf den Fall der Verbindung eines Werkes mit einem Gebäude siehe Anm. 30, 31; auf den Fall der Verbindung in Ausübung eines Rechts am eigenen Grundstück s. Anm. 32.

231

§95 A n m . 4—11

Allgemeiner Teil

Anm. 4 c) Gleichzeitige Anwendung von § 95 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 und von § 95 Abs. 1 Satz 2: Es ist möglich, daß die verschiedenen Fälle des § 95 bei ein und demselben Sachverhalt gleichzeitig gegeben sind (RG 106, 49, 52). Anm. 5 d) § 95 bei Schiffen. § 95 ist auch bei Schiffen entsprechend anwendbar (RG 152, 91, 97; BGH 26, 225; OLG Schleswig DRspr I [110] 30 a). Anm. 6 3. Beweislast. Wer sich auf den Ausnahmetatbestand des § 95 beruft, muß die tatsächlichen Voraussetzungen des § 95 darlegen und beweisen. Anm. 7 4. Revisibilität. Ob eine Verbindung oder Einfügung vorübergehend oder dauernd ist, ist keine rein tatsächliche Frage, daher vom Revisionsgericht rechtlich nachzuprüfen (RG 55, 281, 284; RG J W 1937, 2265 1 ; RG WarnRspr 1924 Nr. 119; RG H R R 1942 Nr. 257). Andererseits weisen z. B. RG 153, 231, 236; BGH LM GVG § 13 Nr. 48; R G H R R 1942 Nr. 257 daraufhin, daß sich das vielgestaltige Leben in solchen Fällen kaum mit tatsächlichen Vermutungen und allgemeinen Regeln meistern lasse, daß es vielmehr vor allem auf die Umstände des Einzelfalles ankomme. Wegen der Nichtrevisibilität tatsächlicher Feststellungen in diesem Zusammenhange s. z. B. RG 97, 102, 104.

II. Verbindung oder Einfügung zu vorübergehendem Zwecke (§ 95 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2) 1. Verbindung, Einfügung Anm. 8 a) Verbindung mit Grund und Boden. Zum Begriff der Verbindung s. § 93 Anm. 14, 15. Es kann sich um eine u n m i t t e l b a r e Verbindung mit dem Grund und Boden handeln; für §95 Abs. 1 Satz 1 genügt aber auch eine nur m i t t e l b a r e Verbindung z. B. dergestalt, daß die Sache mit einem Gebäude und dieses wiederum mit dem Grund und Boden verbunden ist. Anm. 9 b) Einfügung in ein Gebäude. S. hierzu § 94 Anm. 13—16 A n m . 10 c) Andere Fälle. § 95 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 spricht zwar nur von Verbindung mit dem Grund und Boden und Einfügung in ein Gebäude, enthält aber den allgemeinen Rechtsgedanken, daß von Bestandteilen einer einheitlichen Sache nur gesprochen werden kann, wenn die Sachteile zu einem dauernden Zweck miteinander verbunden sind. Uber die Auswirkung dieses Rechtsgedankens außerhalb der Fälle des § 95 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 s. § 93 Anm. 21, 22. A n m . 11 2. Die Person des Verbindenden oder Einfügenden. Unerheblich ist, wer die Verbindung oder Einfügung vorgenommen hat, und ob der Verbindende oder Einfügende dazu berechtigt war (RG WarnRspr 1913 Nr. 39; vgl. auch für Baumschulbestände im eigenen Grundstück Kiel OLG 20, 38). RG 153, 231, 236 zweifelt allerdings, ob sich § 95 Abs. 2 immer auf Sachen ausdehnen lasse, die ein Eigentümer in sein eigenes Gebäude einfügt (hier in einem Falle, in dem das Gebäude mitsamt den eingefügten Sachen der Bewirtschaftung eines zugepachteten Grundstücks diente). Richtig ist daran, daß die für Mieter und Pächter sprechende tatsächliche Vermutung der vorübergehenden Einfügung (s. Anm. 17) zugunsten eines einfügenden Eigentümers nicht gilt, und daß immer — wenn es sich überhaupt um eine „Einfügung" handelt — an 232

Sachen

§95

Anm. 12—15

Hand der Umstände des Einzelfalles geprüft werden muß, ob der Eigentümer von vornherein mit einer Trennung der eingefügten Sache aus einem Gebäude gerechnet hat. Grundsätzlich gilt § 95 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 aber auch für den Grundeigentümer.

3. Vorübergehender Zweck der Verbindung oder Einfügung Anm. 12 a ) Subjektive und objektive M o m e n t e des Z w e c k s . Mit dem Erfordernis eines vorübergehenden Zwecks der Verbindung oder Einfügung stellt das Gesetz einmal auf subjektive Momente beim Verbindenden oder Einfügenden ab (denn jeder Zweck enthält ein subjektives Element), andererseits aber auch auf die tatsächlichen Umstände und Folgen der Verbindung oder Einfügung (denn der Zweck enthält im Gegensatz zur Absicht auch objektive Momente). Daher sind Sachen zu einem vorübergehenden Zwecke mit dem Grund und Boden verbunden (Abs. 1 Satz 1) oder in ein Gebäude eingefügt (Abs. 2), wenn bei der Verbindung oder Einfügung die spätere Trennung beabsichtigt war oder sonst die Verbindung nach der Natur des Gegenstandes zeitlich begrenzt ist (RG 6 i , 188, 1 9 1 ; 62, 4 1 0 ; 63, 4 1 6 , 4 2 1 ; 66, 88; 97, 102, 1 0 5 ; 97, 245, 2 5 1 ; 106, 49, 5 2 ; R G J W 1935, 4 1 8 2 ; R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 39; 1924 Nr. 1 1 9 ; Kiel O L G 20, 38).

Anm. 13 b) Die Willensrichtung des Verbindenden oder Einfügenden als subjektives

M o m e n t . Darüber, ob eine Sache dauernd oder nur vorübergehend mit einer anderen verbunden sein soll, entscheidet zunächst die Bestimmung dessen, der die Verbindung herstellt. Maßgebend ist in erster Linie seine innere Willensrichtung ( R G 153, 2 3 1 , 236; O G H 1, 168, 170; R G H R R 1942 Nr. 257). Keinesfalls kommt es darauf an, mit welcher Entwicklung der Dinge derjenige, der die Verbindung herstellt, nach späterer rückschauender Betrachtung hätte rechnen müssen, sondern nur darauf, mit welcher Entwicklung er tatsächlich gerechnet hat ( R G 153, 2 3 1 , 236; 158, 362, 376).

Anm. 14 c) Die Art und der Gegenstand der Verbindung oder Einfügung. Die innere Willensrichtung des Verbindenden oder Einfügenden ist aber nur so weit rechtlich beachtlich, als sie sich mit dem nach außen hin in Erscheinung tretenden Sachverhalt vereinbaren läßt ( R G 153, 2 3 1 , 236; 158, 362, 376; O G H 1, 168, 1 7 0 ; vgl. auch Dresden O L G 13, 3 1 1 ; aA wohl B G H L M G V G § 1 3 Nr. 48; PreisstopVO Nr. 7, wo bei Bunkern vorübergehender Zweck angenommen wird, obwohl Bunker praktisch nicht zu beseitigen sind; näher hätte hier gelegen, unter Annahme einer öffentlich-rechtlichen Last einen Fall des § 95 Abs. 1 Satz 2 anzunehmen; so O L G Hamburg M D R 1 9 5 1 , 178). Da auch feste Verbindungen in der Regel wieder lösbar sind, kann aber auch dann, wenn Sachen nach § 94 Abs. 1 mit dem Grund und Boden fest verbunden sind, die Verbindung einen bloß vorübergehenden Zweck haben ( R G 55, 2 8 1 ; 6 1 , 188; B G H 8, 1 , 5 ; R G WarnRspr 1 9 1 8 Nr. 1 5 5 ; Dresden O L G 4 1 , 1 1 3 ) .

Anm. 15 d) Die voraussichtliche Dauer der Verbindung oder Einfügung. Darauf,

ob die Trennung erst nach längerer oder kürzerer Zeit erfolgt, kommt es nicht an, wenn sie nur von vornherein mit Sicherheit erwartet werden kann ( R G 6 1 , 188, 192; 63, 4 1 6 , 4 2 1 ; 66, 88; 87, 43, 5 1 ; 97, 102, 1 0 5 ; R G J W 1935, 4 1 8 2 ; R G Gruchot 59, 108, 1 1 0 ; R G WarnRspr 1924 Nr. 1 1 9 ; Kiel O L G 20, 38). Die Frage, ob Sachen im Rechtssinne als nur zu einem vorübergehenden oder als zu einem dauernden Zweck verbunden anzusehen sind, ist nicht nach philosophisch-theoretischen, sondern nach wirtschaftlichpraktischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Der denkgesetzlich richtige Gedanke, daß alles Irdische vergänglich sei, genügt nicht, um einer Sache nach § 95 die Bestandteilseigenschaft abzusprechen ( R G 135, 2 3 1 , 235). Es kommt im übrigen auf die besonderen Umstände des Einzelfalles an (RG 153, 2 3 1 , 236). Wenn eine in ein Gebäude eingefügte Sache voraussichtlich für die Lebensdauer des Gebäudes eingefügt bleibt, so greift § 95 Abs. 2 im Verhältnis zu dem Gebäude nicht ein. So sind z. B. Fenster einer Ba-

233

§ 95

Allgemeiner Teil

Anm. 16—19 racke auch dann wesentliche Bestandteile der Baracke, wenn diese Baracke selbst nur vorübergehend auf dem Grundstück steht und deshalb kein Grundstücksbestandteil ist; im Verhältnis zum Grundstück sind diese Fenster aber keine Grundstücksbestandteile (vgl. Vorbem. 16 zu §§ 93—95; § 93 Anm. 3; § 94 Anm. g, 17). Auch dann, wenn die eingefügte Sache voraussichtlich eine kürzere Lebensdauer als das Gebäude hat, greift § 95 Abs. 2 nicht ein, falls die Sache für ihre eigene Lebensdauer eingefügt bleiben soll (z. B. bei Öfen, die jedenfalls in Nord- und Mitteldeutschland als Gebäudeteile gelten; vgl. auch wegen einer Seilbahn eines Kalkwerks RG J W 1935, 418 2 ; a M bei Maschinen O L G München H R R 1938 Nr. 364, dessen Ansicht aber abzulehnen ist, weil danach nichts, was sich im Laufe der Zeit abnutzt, Bestandteil sein könnte). Nur wenn eine vorzeitige Trennung beabsichtigt ist oder in der Natur der Dinge liegt, ist ein Fall des § 95 Abs. 2 gegeben. Entsprechendes gilt für die Verbindung mit Grund und Boden oder mit einem Erbbaurecht (§94 Anm. 6) und für die Verbindung einer bergbaulichen Anlage mit einem Bergwerk oder einem Bergbaurecht (§ 94 Anm. 7): für die Frage, ob die Anlage Bestandteil des Bergwerkseigentums (als einer besonderen, einem Grundstück gleichgestellten Gerechtigkeit ist, kann nicht auf den Gedanken zurückgegriffen werden, daß das Bergwerk eines Tages erschöpft sein werde; es genügt, daß die Anlage voraussichtlich für die Dauer des Bergbaus diesem dienen soll und wird (vgl. die Fundstellen in § 93 Anm. 51 unter „Bergwerksanlagen" und in § 94 Anm. 7). Eine andere Frage ist es, ob z. B. eine solche als Bestandteil zu einem Bergwerkseigentum gehörige Anlage mit dem Grundstück nur vorübergehend verbunden ist, was bei einem in absehbarer Zeit auslaufenden Bergbau wohl denkbar wäre (vgl. R G 61, 188, 192); dieser Frage kommt aber keine Bedutung zu, wenn die Anlage als Bestandteil des Bergwerkseigentums nach § 95 Abs. 1 Satz 2 ohnehin kein Grundstücksbestandteil ist. 4. Anwendungsfälle Anm. 16 a) Beispiele allgemeiner Art. Zu vorübergehendem Zweck mit dem Grund und Boden verbunden sind z. B. Schaubuden; Baugerüste (RG WarnRspr 1910 Nr. 154); Gebäude für die Zwecke einer einzelnen Ausstellung; Pflanzenbestände einer Baumschule, die nur so lange im Boden bleiben sollen, bis sie verkaufsfähig geworden sind, und die als lebende Pflanzen verkauft werden sollen (RG 66, 88; Kiel O L G 20, 38); auf Probe gekaufte und aufgestellte Maschinen (Dresden O L G 13, 3 1 1 ) ; Türen- und Fensterflügel zu einem Neubau, die — selbst noch nicht völlig fertiggestellt — nur probeweise eingehängt und nach Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Arbeiten wieder herausgenommen worden sind (RG WarnRspr 1915 Nr. 6; §94 Anm. 16); ferner im Allodialeigentum stehende Gebäude und Einrichtungen auf einem Fideikommißgrundstück (RG 97, 102, 104). b) Verbindung oder Einfügung durch Mieter, Pächter und sonstige ähnlich Berechtigte in Miet-(Pacht- usw.gegenständ Anm. 17 Bei Mietern, Pächtern und in ähnlicher Weise schuldrechtlich Berechtigten spricht eine tatsächliche, auf der Lebenserfahrung beruhende Vermutung dafür, daß sie die verbundenen oder eingefügten Sachen nur in ihrem eigenen Interesse und daher auch nur für die Vertragszeit mit dem Gegenstand der Miete, Pacht usw. verbinden oder darin einfügen wollten (RG 55, 281, 284; 87, 43, 5 1 ; 153, 231, 236; OHG 1, 168, 170; BGH 8, 1, 5; 10, 171, 176; BGH L M G V G § 13 Nr. 48). A n m . 18 In dieser Hinsicht sind den Mietern z. B. auch Personen gleichzustellen, zu deren Gunsten auf Grund des Reichsleistungsgesetzes ein Grundstück zur Errichtung eines Behelfsheims in Anspruch genommen worden ist (BGH 8, 1, 5; BGH DRspr I [110] 33 f). Anm. 19 Bei Mietern usw. genügt nach BGH 8, 1, 7 zur Ausschaltung des § 95 Abs. 1 Satz 1 nicht die Feststellung der negativen Annahme des Mieters usw., er werde das Gebäude

234

Sachen

§95 Anm. 20—23

nicht zu beseitigen brauchen, sondern es muß die positive Absicht des Mieters usw. feststehen, das Gebäude auch bei Aufhebung des Anspruchs auf Grundstücksbenutzung in das Eigentum des Grundeigentümers fallen zu lassen. Andererseits ist nach RG 106, 148; RG Gruchot 67, 316 eine nur zu vorübergehendem Zwecke erfolgte Verbindung nicht anzunehmen, wenn nach Abschluß eines Grundstückskaufvertrages, der sich demnächst als nichtig erweist, der Käufer in Erwartung des Eigentumsübergangs bereits Sachen mit dem Grund und Boden verbunden hat (vgl. auch O L G Celle M D R 1954, 294). Anm. 20 Beispiele: Siehe § 93 Anm. 50 unter „Behelfsheime u. dgl." und unter „Gebäude (außer Behelfsheimen) auf Pacht- und Mietgrundstücken", und Anm. 55 ; ferner z. B. von Mietern angebrachte Fenster, Rolläden, Sicherheitsketten, Briefkästen u. dgl. Anm. 21 Nicht zu vorübergehendem Zweck verbunden oder eingefügt sind Sachen, bei denen die Dauer der Verbindung oder Einfügung vom Miet- oder Pachtverhältnis unabhängig ist, z. B. bei Pflanzungen eines Pächters, die nicht wie in einer Baumschule zum Verkauf lebender Pflanzen dienen sollen (Prot. 3, 1 1 ; RG Gruchot 59, 108, m ) ; ferner Sachen, die der Pächter zur Erfüllung einer Verpflichtung gegenüber dem Verpächter — etwa einer Instandsetzungs- oder Instandhaltungspflicht — mit dem Pachtgegenstand verbunden oder in ihn eingefügt hat (RG 153, 231, 236; BGH 8, 1 , 6 ; R G WarnRspr 1913 Nr. 39; RG Gruchot 59, 108, 111) ; ferner ein Gebäude, das der Mieter oder Pächter nach Ende der Vertragszeit unter gewissen von vornherein vereinbarten Voraussetzungen dem Vermieter oder Verpächter überlassen muß (RG 158, 394, 400; OGH 1, 168; BGH 8, 1, 6; RG J W 1937,226s 1 ), auch ohne Verpflichtung des letzteren (BGH M D R 1958,418 = J Z 1958,362) ; ebenso Straßenbahnschienen im städt. Straßengrundstück, wenn die Stadt das Recht hat, nach Beendigung des Vertrags mit der Straßenbahngesellschaft deren Anlagen zu übernehmen; ferner ein Gebäude, das der Mieter in der Erwartung baut, in einem späteren Vertrage mit dem Vermieter werde eine nach Ende des Mietverhältnisses zu zahlende Vergütung für das Gebäude vereinbart werden (BGH 10, 171, 176). Anm. 22 Nach RG H R R 1942 Nr. 257 spricht bei massiven, vom Pächter mit erheblichem Kostenaufwand errichteten Bauten die wirtschaftliche Vernunft gegen eine Beschränkung der Lebensdauer des Bauwerks auf die Pachtzeit; damit soll eine tatsächliche Vermutung für den Dauerzweck der Anlage gegeben sein (s. auch O L G Hamburg M D R 1951,285). Die herrschende Ansicht erkennt jedoch auch bei massiven Gebäuden, die von Pächtern und Mietern errichtet worden sind, eine tatsächliche Vermutung des vorübergehenden Zweckes an (z. B. BGH 8, 1, 5; 10, 171, 175). Gerade bei besonders wertvollen Sachen, vor allem, wenn sie sich ohne wesentliche Beschädigung aus der Verbindung lösen lassen, ist nicht anzunehmen, daß der Pächter (Mieter) bei der Verbindung beabsichtigt hat, die Sache nach Beendigung der Pacht-(Miet-)zeit auf dem Grundstück zu lassen, es sei denn, daß er aus dem Pacht- oder Mietvertrag verpflichtet war, die Sache mit dem Grundstück zu verbinden oder in das Gebäude einzufügen (so für maschinelle Einrichtungen und auch für Gebäude R G Gruchot 59, 108, 111). Anm. 23 c) Verbindung oder Einfügung von gemieteten (geliehenen usw.) Sachen in Sachen der Mieter usw. Nur vorübergehende Verbindung oder Einfügung ist anzunehmen, sofern — was die Regel sein dürfte — von vornherein vereinbart ist, daß die Sache nach Ende des Vertragsverhältnisses aus der Verbindung oder Einfügung gelöst und dem Vermieter zurückzugeben ist (RG 63, 416, 421). Das gilt z. B. bei gemieteten Gasuhren (OLG Dresden SeufFArch 60 Nr. 1), Stromzählern und Wassermessern.

235

§95

Anm. 24—28

Allgemeiner Teil

Anm. 24 d) E i g e n t u m s v o r b e h a l t . Ein Eigentumsvorbehalt an einer verbundenen oder eingefügten verkauften Sache, der den Veräußerer für den Fall der Nichtzahlung des Kaufpreises sichern soll, rechtfertigt noch nicht, einen vorübergehenden Zweck der Verbindung oder Einfügung anzunehmen, da die Parteien verständigerweise erwarten, daß der Kaufpreis gezahlt wird ( R G 62, 410, 4 1 1 ; 63, 4 1 6 , 422). Das gilt auch dann, wenn der Preis in Gestalt von „ M i e t r a t e n " beglichen werden soll ( R G 63, 4 1 6 , 422; Nürnberg J W 1934, 1 4 3 3 1 0 ; vgl. auch Kassel J W 1934, 2715 7 ). Auch wenn mit dem Eigentumsvorbehalt ein Mietverhältnis verbunden ist, liegt der in Anm. 23 geschilderte Sachverhalt nicht vor. Für die Annahme eines vorübergehenden Zweckes genügt es nicht, daß die verbundene oder eingefügte Sache unter gewissen abnormen Voraussetzungen wieder zurückgegeben werden muß; bei einem Eigentumsvorbehalt ist entscheidend, daß eine im normalen Verlauf der Dinge als dauernd gedachte, nicht von vornherein zur Wiederaufhebung bestimmte Verbindung der Sachen hergestellt ist ( R G 62, 4 1 0 , 4 1 1 ; vgl. auch B G H 26,225).

5. Zweckänderung Anm. 25 Eine Sache, die nur zu einem vorübergehenden Zwecke mit dem Grundstück verbunden oder in ein Gebäude eingefügt worden war, wird bei späterer Ä n d e r u n g d e r Z w e c k b e s t i m m u n g nicht von selbst wesentlicher Bestandteil des Grundstücks oder Gebäudes. § 95 besagt nicht, daß der Ausschluß der Bestandteilseigenschaft nur so lange gilt, wie der ursprüngliche Zweck der Verbindung oder Einfügung fortdauert ( B G H 23, 5 7 ; B G H L M PreisstopVO Nr. 7; R G WarnRspr 1934 Nr. 1 9 ; a A R F i n H J W 1923, 790 4 ). Der nachträglichen Änderung der Zweckbestimmung kommt eine verfügungsähnliche Bedeutung zu ( B G H 23, 57, 60; B G H L M PreisstopVO Nr. 7 ; R G WarnRspr 1934 Nr. 19). V e r f ü g u n g s b e r e c h t i g t ist insofern der Eigentümer des bisherigen Scheinbestandteils. Eine solche Verfügung kann z. B. in der Einigung zwischen dem Eigentümer des bisherigen Scheinbestandteils und — bei § 95 Abs. 1 Satz 1 — dem Grundeigentümer oder — bei § 95 Abs. 2 — dem Gebäudeeigentümer gemäß den §§929 ff" über den Ubergang des Eigentums am bisherigen Scheinbestandteil auf den Grund- oder Gebäudeeigentümer liegen.

Anm. 26 Wenn sich das E i g e n t u m am Scheinbestandteil mit dem Grundeigentum (im Falle des § 9 5 Abs. 1 Satz 1) oder mit dem Gebäudeeigentum (im Falle des § 9 5 Abs. 2) v e r e i n i g t , so kann daraus in der Regel auf einen Wegfall der bisherigen Zweckbestimmung und damit auf ein Aufgehen des bisherigen Scheinbestandteils im Grundstück oder Gebäude geschlossen werden ( R G 97, 102, 105). Zwingend ist das aber nicht. Denn ebenso, wie ein Grundeigentümer eine ihm gehörige Sache nur zu vorübergehendem Zwecke mit seinem Grundstück verbinden oder ein Gebäudeeigentümer eine ihm gehörige Sache nur zu vorübergehendem Zwecke in sein Gebäude einfügen und damit die Bestandteilseigenschaft ausschließen kann (s. Anm. 1 1 ) , muß es möglich sein, daß bei einer Eigentumsvereinigung der bisherige vorübergehende Zweck als solcher aufrechterhalten bleibt und damit die Bestandteilseigenschaft auch weiterhin ausgeschlossen bleibt. Es sind hierfür aber ebenso wie im Falle der Verbindung oder Einfügung eigener Sachen strenge Anforderungen an den Nachweis eines vorübergehenden Zweckes zu stellen.

III. Verbindung in Ausübung eines Rechts an einem Grundstück (§ 95 Abs. 1 Satz 2) 1. Nur Verbindung von Gebäuden und Werken Anm. 27 a ) Gebäude. Z u m Begriff des Gebäudes vgl. § 9 1 2 Anm. 4 und § 94 Anm. 13.

Anm. 28

b ) A n d e r e W e r k e . Werke (vgl. §§ 836fr, 908) sind einem bestimmten Zwecke dienende, nach gewissen Regeln der Kunst und der Erfahrung hergerichtete leblose

236

Sachen

§95

Anm. 29—34

Sachen ( R G 60, 1 3 8 ; 76, 260), also z. B. n i c h t Pflanzen, die vom Nießbraucher oder Pächter zur Fruchtgewinnung eingesetzt sind. B e i s p i e l e von Werken: Elektrische Fernleitungen und ihre Schutzdrähte, Straßenoberleitungen (Dresden O L G 18, 85); Rohrleitungen eines Gaswerks (Dresden O L G 30, 325, 326); Bahndamm mit Gleisanlagen ( R G J W 1908, 196 1 0 ); Baugerüst ( R G J W 1910, 288 2 1 ; R G WarnRspr 1 9 1 0 Nr. 154); Zaun ( K G O L G 20, 37); Badewannen und Öfen, Wasserkessel in einem Wohnhause ( R G 106, 49).

Anm. 29 c) Andere Sachen.

Die Verbindung von anderen Sachen als von Gebäuden und sonstigen Werken, also z. B. von Pflanzen, fällt nicht unter § 95 Abs. 1 Satz 2.

2. Verbindung mit einem Grundstück Anm. 30 Auch für die Anwendung des § 95 Abs. 1 Satz 2 kommt es nicht darauf an, ob z. B. ein Werk unmittelbar mit dem Grund und Boden oder mit einem auf dem Grundstück stehenden Gebäude verbunden worden ist ( R G 106, 49, 5 1 ) .

Anm. 31 Ist das Gebäude selbst nach § 95 kein Grundstücksbestandteil, so wird ein mit ihm verbundenes Werk auch dann nicht Grundstücksbestandteil, wenn es nicht in Ausübung eines Rechts an dem Grundstück mit dem Gebäude verbunden ist (vgl. auch Vorbem. 16 zu § § 9 3 — 9 5 ; §94 Anm. 17). O b das Werk dann Gebäudebestandteil wird, richtet sich nach den allgemeinen Regeln.

Anm. 32 3. Verbindung mit einem fremden Grundstück.

In der Regel gilt § 95 Abs. 1 Satz 2 nur bei einem Gebäude oder Werke, das in Ausübung eines Rechts an einem fremden Grundstück mit dem fremden Grundstück verbunden wird. Da aber auch begrenzte dingliche Rechte am eigenen Grundstück möglich sind, z. B. Grunddienstbarkeiten, bei denen das herrschende und das dienende Grundstück demselben Eigentümer gehören ( R G 142, 2 3 1 ) , muß § 9 5 Abs. 1 Satz 2 sinngemäß auch gelten, wenn ein Gebäude oder Werk in Ausübung eines begrenzten Rechts am eigenen Grundstück mit dem Grundstück verbunden wird. Das R G hat für den Eigengrenzüberbau in R G 160, 166, 177 die entsprechenden Folgerungen gezogen (vgl. § 94 Anm. 5).

Anm. 33 4. Verbindung in Ausübung eines Rechts.

Daß das Wesen des Rechts gerade darin bestehen muß, die Verbindung eines dem Berechtigten gehörigen Gebäudes oder anderen Werkes mit dem fremden Grundstück herbeizuführen, ergibt sich aus dem Gesetz nicht; mit den Worten „in Ausübung eines Rechts an einem fremden Grundstück" ist nichts anderes gemeint, als daß die Verbindung von dem Inhaber des Rechts an dem fremden Grundstück in Betätigung dieses Rechts vorgenommen sein muß ( R G 106, 49, 5 1 ; zu eng insoweit R G 6 1 , 188, 1 9 1 ; O L G Hamburg H R R 1933 Nr. 1919).

5. Nur in Ausübung eines Rechts am Grundstück Anm. 34 a) Nur dingliche Rechte, nicht schuldrechtliche Ansprüche.

In Ausübung eines Rechtes an einem Grundstücke sind Sachen nach dem Sprachgebrauch des B G B nur dann verbunden, wenn ein dindliches Recht die Befugnis zur Verbindung gewährt. Nach dem B G B kommen als dingliche Rechte dieser Art in Betracht: Das Erbbaurecht (Näheres hier in Anm. 39); die Dienstbarkeiten der §§ 1 0 1 8 ff, 1090 ff ( O L G Breslau D J 1938, 380), der Nießbrauch ( R G 106, 49; B G H L M § 95 Nr. 2).

237

§95

Allgemeiner Teil

Anm. 35—42 b) Gleichstellung anderer Rechte mit begrenzten dinglichen Rechten nach BGB Anm. 35 Als Rechte im Sinne des § 95 Abs. 1 Satz 2 kommen nicht nur begrenzte dingliche Rechte nach BGB in Betracht. Ihnen stehen die auf L a n d e s r e c h t beruhenden dinglichen Rechte gleich (RG 72, 272). Auch sonstige privatrechtliche dingliche Rechte kommen in Betracht, z. B. ein in das Wasserbuch eingetragenes Staurecht, in dessen Ausübung ein Wehr errichtet worden ist (RG SeufFArch 82 Nr. 206).

Anm. 36 Wegen der bei G r e n z ü b e r b a u t e n nach § 912 entstehenden dienstbarkeitsähnlichen Rechte siehe Vorbem. 10 zu §§ 93—95 und § 94 Anm. 5.

Anm. 37 Auch ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e Rechte kommen in Betracht, sofern sie nur einem Recht am Grundstück gleichzuachten sind (OLG Hamburg H H R 1933 Nr. 1919 für Sondernutzungsrechte an einer Straße zugunsten der Straßenbahn wegen der Schienen und zugunsten eines Anliegers wegen Kellerlichtschächten).

Anm. 38 Nach O L G Breslau D J 1938, 380 mit Anm. kann schon vor Eintragung eines ins Grundbuch einzutragenden Rechtes die Errichtung eines Gebäudes unter § 95 Abs. 1 Satz 2 fallen, wenn das in Aussicht genommene dingliche Recht genügend bestimmt ist. Diese Ansicht ist bedenklich. Bei Bau vor Eintragung des Rechts ins Grundbuch kann u. U. die Annahme eines schuldrechtlichen Benutzungsverhältnisses (ähnlich dem eines Mieters, Anm. 17 ff) helfen.

6. Sonderfälle Anm. 39 a) E r b b a u r e c h t . Beim Erbbaurecht gilt die Besonderheit, daß Gebäude, die in Ausübung des Erbbaurechts errichtet werden, nicht nur wie bei sonstigen begrenzten dinglichen Rechten kein Grundstücksbestandteil werden, sondern daß sie umgekehrt Bestandteile des Erbbaurechts werden. Das liegt an der Gleichstellung des Erbbaurechts mit einem Grundstück. Siehe auch § 94 Anm. 6.

Anm. 40 b) B e r g w e r k s e i g e n t u m , B e r g b a u r e c h t . Entsprechendes gilt für Gebäude und Anlagen, die in Ausübung einer durch Landesrecht (Art. 67 EG) einem Grundstück gleichgestellten Berggerechtigkeit (Bergwerkseigentum, Bergbaurecht) errichtet werden. Siehe auch § 94 Anm. 7.

7. Spätere Veränderungen Anm. 41 a) W e g f a l l des b e g r e n z t e n R e c h t s . Wenn das begrenzte Recht wegfällt, führt das ebensowenig wie bei der Änderung eines bisher nur vorübergehenden Zweckes einer Verbindung (s. Anm. 25, 26) dazu, daß aus dem Scheinbestandteil von selbst ein echter Bestandteil wird (vgl. für ein Erbbaurecht, das vor der ErbbauVO vom 15. 1. 1919 bestellt worden ist: O L G Frankfurt H E Z 1, 28, 30). Für ein auf Grund der ErbbauVO bestelltes Erbbaurecht bestimmt allerdings § 12 Abs. 3 ErbbauVO, daß mit Erlöschen des Erbbaurechts dessen bisherige Bestandteile von selbst Grundstücksbestandteile werden.

Anm. 42 b) Spätere Vereinigung von Eigentum und begrenztem Recht in einer

P e r s o n . Bei einer Vereinigung eines begrenzten dinglichen Rechts mit dem Eigentum in einer Person, wobei das begrenzte dingliche Recht bestehenbleibt, führt diese Vereinigung nicht dazu, daß der in Ausübung dieses Rechts mit dem Grundstück verbundene Scheinbestandteil von selbst echter Bestandteil wird.

238

Sachen

§95 A n m . 43—47

IV. Rechtsfolgen d e s § 9 5 A n m . 43 1. Scheinbestandteile. Die unter § 95 fallenden Sachen sind nicht Bestandteile des Grundstücks oder Gebäudes, weder wesentliche noch unwesentliche. Sie sind vielmehr selbständige Sachen, an denen besondere Rechte möglich sind. Sie werden oft Scheinbestandteile genannt. 2. Bewegliche Sachen Anm. 44 Streitig war früher, ob die sog. Scheinbestandteile zu den beweglichen Sachen zu rechnen sind. Gelegentlich war angenommen worden, daß es auf ihre natürliche Beschaffenheit ankomme und daß, wenn sie hiernach als unbeweglich anzusehen seien, alle auf Grundstücke bezüglichen Vorschriften des BGB auf sie anwendbar sein müßten mit Ausnahme derjenigen, die eine Grundbucheinrichtung voraussetzen. Dem kann aber nicht beigetreten werden. Das BGB unterscheidet nicht zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen, sondern — abgesehen von registrierten Schiffen und Schiffsbauwerken — nur zwischen b e w e g l i c h e n S a c h e n u n d G r u n d s t ü c k e n ( § 9 0 . A n m . 18—22; R G 103, 253). Zu den Grundstücken gehören die Sachen des § 95 nicht; also sind sie rechtlich als bewegliche Sachen anzusehen und unterliegen allen für diese Sachen geltenden Vorschriften. Als bewegliche Sachen sind zu behandeln z. B.: Gebäude auf fremdem Grundstück (RG 55, 281, 284; 59, 1 9 ; R G J W 1904, 5 4 3 " ; 1912, 129 2 ; K G J 39 B 80, 92; O L G Königsberg SeuffArch 60 Nr. 1); industrielle Anlagen auf Pacht- und Fideikommißgrundstück (RG 97, 102, 1 0 3 ; R G Gruchot 5g, 108, 112); elektrische Fernleitungen auf Trägern, die auf gemieteten Grundstücken stehen (RG 87, 43, 5 1 ; R G WarnRspr 1 9 1 8 Nr. 1 5 5 ) ; Gas- und Wasserrohre in fremden Grundstücken (RG 168, 288, 290; Dresden O L G 30, 325, 326); Gleisanlagen auf fremdem Grundstück (RG WarnRspr 1930 Nr. 49); Baumschulbestände auf eigenem Grundstück (Kiel O L G 20, 38). Anm. 45 Eine A u s n a h m e bilden die Sachen, die zwar nach § 9 5 nicht Bestandteile eines Grundstücks sind, aber nach den §§ 93, 94 als Bestandteile eines Erbbaurechts oder eines Bergwerkeigentums oder Bergbaurechts gelten. Da ein Erbbaurecht und ein Bergwerkseigentum oder Bergbaurecht rechtlich einem Grundstücke gleichsteht, gelten auch deren Bestandteile als unbeweglich. A n m . 46 Durch Auflassung (§ 925) können die als beweglich geltenden Scheinbestandteile nicht übereignet werden ( R G 97, 102, 103). Eigentum daran wird vielmehr nach den §§ 929ff erworben ( R G 97, 102, 106; 97, 245, 2 5 1 ; 109, 128, 130; R G J W 1912, 129 2 ; R G Gruchot 59, 108, 1 1 2 ) . Der ö f f e n t l i c h e G l a u b e des Grundbuchs (§ 892) erstreckt sich nicht auf die Scheinbestandteile, auch wenn sie im Grundbuch als Bestandteile des Grundstücks angegeben sind ( R G 61, 188, 193; 73, 125, 129). Der Erwerber muß sich also gemäß den §§ 932 ff bei der Übergabe im guten Glauben befinden. An Scheinbestandteilen kann keine Hypothek bestellt werden. Ebensowenig erstreckt sich eine am Grundstück bestehende Hypothek auf Scheinbestandteile, und zwar auch nicht bei gutem Glauben des Gläubigers (RG 61, 188, 193). Auch für die Zwangsvollstrekkung gelten Scheinbestandteile als bewegliche Sachen ( O L G Nürnberg M D R 1950,621), es sei denn, daß die Scheinbestandteile Zubehör eines anderen Grundstücks sind (Anm. 48) und nach § 1 1 2 0 einer Hypothekenhaftung unterliegen (§ 865 ZPO). A n m . 47 Nur ausnahmsweise ist es nach dem vom Gesetz verfolgten Zweck zulässig, einzelne auf Grundstücke bezügliche Vorschriften auch auf Scheinbestandteile des § 95 entsprechend anzuwenden, die zwar nicht rechtlich, wohl aber nach der Verkehrsanschauung als unbeweglich gelten, etwa auf Gebäude § 197 an Stelle von § 196 Abs. 1 Nr. 6; §§477. 565 Abs. 1, 859 Abs. 3, 867, 946. 239

§ 95 A n m . 48—50

§ 96 Anm. 1

Allgemeiner Teil

Anm. 48 3. § 95 und Zubehöreigenschaft. Sachen, die mit einem Grundstück verbunden, aber nach § 95 nicht dessen Bestandteile geworden sind, können Zubehör eines anderen Grundstückes sein, da sie als beweglich gelten (§ 97). Zubehör des Grundstückes, mit dem die Sachen verbunden, oder des Gebäudes, in das sie eingefügt worden sind, können Scheinbestandteile jedenfalls im Falle des § 95 Abs. 1 Satz Abs. 2 deshalb nicht sein, weil der vorübergehende Zweck ihrer Verbindung oder Einfügung dem entgegensteht (§97 Abs. 2; RG 97, 102, 107). Anm. 49 4. Früheres Recht. Bei den zur Zeit des Inkrafttretens des BGB auf einem Grundstücke befindlichen Gebäuden ist die Frage, ob das Eigentum daran beim Inkrafttreten des BGB einem anderen als dem Eigentümer des Grundes und Bodens zustand, nach bisherigem Recht zu entscheiden (Art. 181 EG; RG JW 1912, 129 2 ; auch RG J W 1900, 889; 1902 Beil. 189). Wenn aber nach den §§93 ff die Gebäude wesentliche Bestandteile sind, ist das etwaige Sondereigentum daran mit dem Inkrafttreten des BGB erloschen, da nach Art. 181 EG auf das bestehende Eigentum, also auch auf den Umfang des Eigentums, das BGB Anwendung findet, und gemäß § 93 wesentliche Bestandteile nicht Gegenstand besonderer Rechte sein können (RG 56, 243; 97, 102, 103; RG J W 1903 Beil. 90; 1904, 89«; 1912, 1292). Anm. 50 5. Spätere Veränderung. Uber die Folgen einer nachträglichen Änderung der Zweckbestimmung, eines Wegfalles des begrenzten Rechts am Grundstück und einer Vereinigung des Eigentums am Grundstück oder Gebäude mit dem bisherigen Scheinbestandteil siehe Anm. 25, 26, 41, 42.

§ 9 6 Rechte, die mit dem Eigentum an einem Grundstücke verbunden sind, gelten als Bestandteile des Grundstücks. E I 788 II 77g; M 3 92; P j 17.

Ub ersieht

Anm.

I. Verhältnis des §96 zu den §§93 ff. 1, 2 II. Mit dem Grundstückseigentum verbundene Rechte 3—9 1. Besondere Rechte 3,4 2. Erfordernis der subjektiven Dinglichkeit 5 3. Das Rechtsobjekt 6—9 a) Subjektiv-dingliche Rechte, die zugleich objektiv-dinglich sind . . . 6 b) Subjektiv-dingliche Rechte, die nicht zugleich objektiv-dinglich sind 7 c) Schuldrechtliche Ansprüche des jeweiligen Grundstückeigentümers 8, 9 III. Rechtsfolgen 10—13 1. Gleichbehandlung mit Bestandteilen 10 2. Eintragung ins Grundbuch 11 3. Rechtsmängelhaftung, nicht Sachmängelhaftung 12 4. Wesentliche oder unwesentliche Bestandteile 13 I. Verhältnis d e s § 96 zu den §§ 93ff Anm. 1 §96 enthält keine Erweiterung des Bestandteilsbegriffs, sondern ordnet nur an, daß gewisse Rechte wie Grundstücksbestandteile behandelt werden (vgl. Anm. 11). 240

Sachen

§96

Anm. 2—6

Anm. 2 § 96 ordnet nicht an, daß diese Rechte als wesentliche Grundstücksbestandteile i. S. der §§ 93, 94 anzusehen sind (RG 74, 401, 402; vgl. Anm. 13).

II. Mit dem Grundstückseigentum verbundene Rechte 1. Besondere Rechte Anm. 3 Ein „Recht", das grundsätzlich jedem Grundeigentümer zusteht, ist kein für sich bestehendes besonderes Recht, sondern nur eine Auswirkung des Eigentums selbst. Deshalb fällt ein J a g d r e c h t nach §3 des Bundesjagdgesetzes vom 29. 11. 1952 nicht unter § 96; dasselbe galt für das Jagdrecht nach § 3 des Reichsjagdgesetzes vom 3. 7. 1934 (vgl. RG 70, 70, 73, wo das damals geltende preußische Jagdrecht des Grundstückseigentümers als Nutzung bezeichnet wird, die aus dem Eigentum zu ziehen sei). Entsprechend fällt auch das F i s c h e r e i r e c h t nicht unter § 96, wenn das Landesrecht (Art. 69 EG) anordnet, daß das Fischereirecht grundsätzlich dem Eigentümer des Gewässers zusteht. Anders nur, soweit besondere, vom Eigentum des Wasserlaufs getrennte Fischereirechte bestehen (s. z. B. §§8—11, 17 preuß. Fischereigesetz vom 1 1 . 5. 1916).

Anm. 4 In manchen Fällen ist streitig, ob es sich nur um einen Ausfluß des Eigentums oder um ein besonderes Recht handelt, z. B. wegen des Rechts, einen Uberbau zu dulden (§912 Abs. 1) oder auf eine Überbaurente (§912 Abs. 2) oder des Rechts, einen Notweg zu dulden (§§ 917 Abs. 1, 918) oder auf eine Notwegrente (§ 917 Abs. 2), s. Anm. 6. Der Frage kommt wenig praktische Bedeutung zu.

Anm. 5 2. Erfordernis der subjektiven Dinglichkeit. § 96 betrifft nur Rechte, die ausnahmsweise nicht an eine Person geknüpft (RG 140, 107, m ) , sondern mit dem Eigentum an einem Grundstück verbunden sind, die also dem jeweiligen Eigentümer des Grundstückes zustehen (sog. subjektiv-dingliche Rechte); dazu gehören z. B. nicht: Das Recht am gefundenen Schatz ( K G R J A 3, 136); der Anspruch auf Entschädigung nach der KriegssachschädenVO vom 30. 11. 1940, weil der Anspruch nur dem geschädigten damaligen Grundstückseigentümer zustand; vgl. auch § 10 Feststellungsgesetz idF vom 14. 8. 1952 und § 229 Abs. 2 i. V. mit §§ 243 Nr. 1, 244, 236 Lastenausgleichsgesetz vom 14.8.1952 (BGH 18, 128, 137); schuldrechtliche Ansprüche (s. Anm. 8).

3. Das Rechtsobjekt Anm. 6 a) Subjektiv-dingliche Rechte, die zugleich objektiv-dinglich sind. Es ist

möglich, daß die Rechte, auf die § 96 zutrifft, gleichzeitig auch Herrschaftsrechte an einer Sache (objektiv-dingliche Rechte = Sachenrechte i. S. des BGB) sind. Nach BGB kommen als solche Rechte in Betracht: G r u n d d i e n s t b a r k e i t e n (§1018); sie sind notwendigerweise sowohl subjektiv-dinglich wie auch objektiv-dinglich (RG 93, 71, 73). Zugunsten des jeweiligen Grundstückseigentümers bestellte d i n g l i c h e V o r k a u f s r e c h t e an einem anderen Grundstück (§ 1094 Abs. 2); andere dingliche Vorkaufsrechte gehören, weil nicht subjektiv-dinglich, nicht hierher. Zugunsten des jeweiligen Grundstückseigentümers bestellte R e a l l a s t e n (§ 1105 Abs. 2); andere Reallasten gehören, weil nicht subjektiv-dinglich, nicht hierher. Rechte auf Duldung eines U b e r b a u s nach §912 oder auf Duldung eines N o t w e g s nach §§917, 918; diese Rechte ähneln einer Grunddienstbarkeit und sind sowohl subjektiv wie objektiv dinglich. Rechte auf Zahlung einer Ü b e r b a u r e n t e (§§912 Abs. 2, 913, 914) oder auf Zahlung einer N o t w e g r e n t e (§917 Abs. 2); diese Rechte ähneln einer für den jeweiligen Grundstückseigentümer bestellten Reallast (vgl. § 914 Abs. 3) und sind sowohl subjektiv wie objektiv dinglich. F i s c h e r e i r e c h t e , soweit sie nach Landesrecht (Art. 69 EG) nicht dem Eigentümer des Gewässers zustehen, sondern im Einzelfalle mit dem Eigentum an 16

Komm. 2. BGB, II. Aufl. I. Bd.

(Kregel)

241

§96 A n m . 7—9

Allgemeiner Teil

einem anderen Grundstück verbunden sind (vgl. z. B. §§ 8 — n i. V. mit §§ ig Abs. 2, 22 preuß. Fischereigesetz vom n . 5. 1916; vgl. auch KGJ 34 A 218, 222). A n t e i l s r e c h t e an gemeinschaftlichen Anlagen einer Interessengemeinde (KG J W 1938, I5 3 322 ; s. auch RG J W 1938, 29672®). K e l l e r r e c h t e nach Art. 553 Code Civil sind nach Art. 181, 184 EG als Rechte an fremden Grundstücken aufrechterhalten worden und können, soweit sie sich jetzt als Grunddienstbarkeiten darstellen, unter § g6 fallen (RG 56, 258, 260; RG J W 1933, I334 4 )Anm. 7 b) Subjektiv-dingliche Rechte, die nicht zugleich objektiv-dinglich sind. Es ist nicht erforderlich, daß die Rechte, auf die § 96 zutrifft, gleichzeitig auch Herrschaftsrechte an einer Sache (objektiv-dingliche Rechte = Sachenrechte i. S. des BGB) sind. Auch Rechte mit anderem Rechtsobjekt, und zwar nicht nur privatrechtlichen Inhalts, kommen in Betracht, vorausgesetzt, daß sie dem jeweiligen Eigentümer eines Grundstücks zustehen. Hier kommen in Betracht: P a t r o n a t s r e c h t e (Mot. 3, 60). G e w e r b e b e r e c h t i g u n g e n auf Grund Landesrechts (Art. 74 EG) wie: A p o t h e k e r b e r e c h t i g u n g e n , es sei denn, daß sie „selbständige", d. h. subjektiv-persönliche, nicht mit dem Eigentum an einem Grundstück verbundene Berechtigungen sind [KGJ 33 A 216; K G O L G 7, 190; BayObLG 9, 318; preuß. O V G 43, 49, 52; 54, 23, 26; 57, 122, 126; preuß. O V G J W 1920, 71 3 , 580 1 . Bloße A p o t h e k e r k o n z e s s i o n e n gehören n i c h t zu den Rechten im Sinne des § 96, auch wenn sie mit einem veräußerlichen Präsentationsrecht verbunden sind (wie etwa die sog. Realkonzessionen auf Grund der preußischen Kabinettsordre vom 5. 10. 1846); denn ihnen fehlt die Verbindung mit dem Grundstückseigentum (vgl. z. B. preuß. O V G J W 1927,2870®)]. A b d e c k e r e i g e r e c h t i g k e i t e n (RG 67, 221, 226; 83, 198, 200; K G O L G 12, 143). R e a l s c h a n k g e r e c h t i g k e i t e n (RG J W 1909, 4 7 5 " ; KGJ 33 A 216); aber nicht eine Gastwirtschaftserlaubnis (sog. Wirtschaftsgerechtigkeit) nach württ. Recht (OLG Stuttgart J W 1933, 2530 5 ). Hierher gehören n i c h t : B r e n n r e c h t e i. S. des Branntweinmonopolgesetzes vom 8. 4. 1922, weil sie keine Gewerbeberechtigungen darstellen, sondern lediglich steuerliche Vergünstigungen (BGH L M § g6 Nr. 1; R G H R R 1932 Nr. 1 1 5 7 ; 1934 Nr. 1612); Z ü n d w a r e n s t e u e r k o n t i n g e n t e einer Zündholzfabrik nach dem früheren Zündwarensteuergesetz vom 15. 7. 1909 (RG 83, 54, 57) aus den gleichen Gründen. c) Schuldrechtliche Ansprüche des jeweiligen G r u n d s t ü c k s e i g e n t ü m e r s Anm. 8 Zu den subjektiv-dinglichen Rechten, für die allein § 96 gilt, zählt die Rechtsprechung nicht schuldrechtliche Ansprüche, auch wenn sie kraft Vertrages zugunsten Dritter so begründet sind, daß sie jeweils dem Eigentümer eines bestimmten Grundstückes zustehen (wegen des vertraglichen Anspruches früherer Mitglieder einer Interessengemeinde gegen die politische Gemeinde auf Freistellung von öffentlichen Lasten RG J W 1938, 2g67 26 ; wegen eines schuldrechtlichen Vertragsrechts, auch wenn es mit dem auf dem Grundstück betriebenen Unternehmen zusammenhängt, RG WarnRspr 1916 Nr. 126; wohl auch R G 128, 246, 248; Dresden O L G 40, 35 mit dem Hinweis, daß nicht nur der Kreis der objektiv-dinglichen Rechte ( = Sachenrechte i. S. des BGB) beschränkt sei, sondern auch der Kreis der subjektiv-dinglichen Rechte. Anm. 9 Allerdings hat die Rechtsprechung diesen Standpunkt nicht folgerichtig eingenommen. So sind bei Grundstücken, die von landschaftlichen Kreditanstalten und ihnen gleichstehenden Pfandbriefinstituten beliehen worden sind, die aus T i l g u n g s l e i s t u n g e n der Grundstückseigentümer herrührenden G u t h a b e n als Rechte i.S. des § 96 angesehen worden, sofern nach der Satzung der Kreditanstalt (Art. 167 EG) die Tilgungsbeträge nicht sofort zur Tilgung und damit zur Entstehung von Eigentümergrundpfandrechten führen, und soweit nach der Satzung die Tilgungsguthaben, also schuldrechtliche Ansprüche, die zu gegebener Zeit gegen die Darlehnsforderung aufgerechnet werden sollen (RG 74, 401, 405), nicht vom Eigentum am Grundstück getrennt werden

242

Sachen

§96

Anm. 10—13

können ( R G 74, 401, 402; R G J W 1907, 702 2 ; R G WarnRspr 1 9 1 5 Nr. 196; Marienwerder O L G 24, 247; Dresden O L G 38, 126). Bei anderen Kreditinstituten, für die Art. 167 E G nicht gilt, ist diese rechtliche Konstruktion nicht anwendbar, weil § 1 1 6 3 Abs. 1 Satz 2 entgegensteht ( R G 104, 68, 72; O L G Königsberg SeuffArch 64 Nr. 2 1 8 ; Marienwerder O L G 24, 247; Hamburg O L G 30, 327). — Hierher gehört auch R G 109, 3 1 0 , 3 1 9 , wonach der Anspruch auf eine K o h l e n r e n t e auch dann ein Recht nach § 96 sein kann, wenn er sich nicht als eine Reallast darstellt.

III. Rechtsfolgen Anm. 10 1. G l e i c h b e h a n d l u n g m i t B e s t a n d t e i l e n . Die Rechte, die unter §96 fallen, gelten als Bestandteile des Grundstücks, d. h. das Gesetz behandelt sie, obwohl sie nicht wirkliche Bestandteile (Sachteile) des Grundstücks sind, als solche, um auf sie die für Bestandteile geltenden Vorschriften anzuwenden, sofern diese Vorschriften das überhaupt zulassen ( R G 83, 198, 200). Daraus ergibt sich, daß die von § 96 betroffenen Berechtigungen den dinglichen Rechten am Grundstück unterliegen, z. B. einem Nießbrauch, und für ein Grundpfandrecht nach § 1 1 2 0 haften ( R G 83, 54; 83,198,200). Dieser Grundsatz gilt bei öffentlich-rechtlichen Rechten ihrem Wesen nach nur eingeschränkt.

Anm. 11

2. E i n t r a g u n g i n s G r u n d b u c h . Über die Eintragungsfähigkeit von Rechten nach § 96 s. § 9 GBO; vgl. auch KGJ 34 A 218, 222.

Anm. 12 3. Rechtsmängelhaftung, nicht Sachmängelhaftung. Soweit aber Bestimmungen, die für Bestandteile vorgesehen sind, nicht in Betracht kommen, sind die Berechtigungen trotz der Verbindung mit dem Grundstück als für sich bestehende Rechte zu beurteilen. Wird beispielsweise eine dem Grundstück zustehende Grunddienstbarkeit zusammen mit dem Grundstück verkauft, so bestimmt sich die Haftung des Verkäufers für ihr Bestehen nach § 4 3 7 ; in der Zusicherung ihres Bestehens ist ihr Mitverkauf, nicht etwa die Zusicherung einer Eigenschaft des Grundstücks im Sinne des § 459 Abs. 2 zu finden; denn was nach dem Gesetz als Bestandteil gilt, kann nicht zugleich als eine Eigenschaft der Sache angesehen werden ( R G 83, 198, 200; 93, 7 1 , 7 3 ; vgl. auch R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 205).

Anm. 13 4. Wesentliche oder unwesentliche Bestandteile. § 96 sagt nur, daß die Rechte als Bestandteile, nicht, daß sie als wesentliche Bestandteile gelten, schließt aber auch dies nicht aus ( R G 74, 401, 402; vgl. auch Hamburg O L G 30, 327). Es kommt vielmehr auf die Natur des einzelnen Rechts an, ob es vom Eigentum am Grundstück getrennt und Gegenstand besonderer dinglicher Rechte sein kann (vgl. f ü r R e a l g e w e r b e b e r e c h t i g u n g e n : Abdeckereigerechtigkeit R G 67, 2 2 1 , 227; Realschankberechtigung R G J W 1909, 475 4 7 ). Grunddienstbarkeiten, Vorkaufsrechte nach § iog4 Abs. 2 und Reallasten nach § 1 1 0 5 Abs. 2 sind danach, soweit ihre Bestandteilseigenschaft für die Gesetzesanwendung in Betracht kommt, als wesentliche Bestandteile zu behandeln (§§ 1 1 0 3 , 1 1 1 0 ; für Grunddienstbarkeit R G 93, 7 1 , 73). Dasselbe trifft auch bei dem Guthaben am Tilgungsfonds einer landschaftlichen Kreditanstalt zu (Anm. 9), sofern es nach der maßgebenden Landschaftsordnung jeder Trennung von dem Grundstück entzogen ist ( R G 74, 4 0 1 , 403).

Vorbemerkungen zu §§ 97, 98 Ubersicht I. Der Begriff des Zubehörs im bürgerlichen Recht 1. Die Begriffsbestimmung der §§97, 98 2. Inventar 3. Erweiterungen des bürgerlich-rechtlichen Zubehörbegriffs 4. Der Zubehörbegriff des Höferechts 5. Straßenzubehör im öffentlichen Recht 16*

Vorbem. 1—7 1—3 4 5 6 7 243

Vor § § 97, 9 8 V o r b e m . 1—5

Allgemeiner Teil Vorbem.

II. Die Rechtslage des Zubehörs im bürgerlichen Recht 8—21 1. Der Schutz des Zusammenhangs von Hauptsache und Zubehör . . 8 2. Die rechtliche Selbständigkeit von Zubehör 9 3. Forderungsrechte und Zubehör 10, 11 4. Sachenrechtliche Sonderbestimmungen für Grundstückszubehör . . . 12—18 a) Grundstückszubehör und Eigentum, Nießbrauch, dingliches Wohnungsrecht und dingliches Vorkaufsrecht am Grundstück . . . . 12, 13 b) Grundstückszubehör und Grundpfandrechte 14 c) Grundstückszubehör im ehelichen Güterrecht und im Erbrecht. . . 15—17 d) Grundstückszubehör in der Zwangsvollstreckung 18 5. Zubehör von grundstücksgleichen Rechten 19 6. Zubehör von Schiffen und Schiffsbauwerken 20 7. Pächterinventar 21

I. Der Begriff des Zubehörs Im bürgerlichen Recht 1. Die Begriffsbestimmung d e r § § 97, 98 Vorbem. 1 Das BGB beschreibt in den §§ 97, 98, was es unter Zubehör versteht. Dabei gibt §97 die eigentliche Begriffsbestimmung: Nach Abs. 1 Satz 1 ist eine Sache Zubehör, wenn es sich a) um eine selbständige bewegliche Sache handelt (§ 97 Anm. 8—11), b) die dem Zwecke einer anderen (Haupt-)Sache zu dienen bestimmt ist (§ 97 Anm. 12—23), und c) die zu dieser Hauptsache in einem der Zweckbestimmung entsprechenden räumlichen Verhältnisse steht (§ 97 Anm. 24—26).

Vorbem. 2 Auch wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist nach § 97 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 eine Sache dennoch k e i n Z u b e h ö r , d) wenn die Sache nur vorübergehend dem Zweck einer anderen Sache dienen soll (§ 97 Anm. 27—32), oder e) wenn die Sache im Verkehr nicht als Zubehör angesehen wird (§ 97 Anm. 36—39).

Vorbem. 3 § 98 soll bei Gebäuden, die für einen gewerblichen Betrieb dauernd eingerichtet sind, und bei Landgütern die Feststellung der Zubehöreigenschaft erleichtern. Wenn bei einer Sache die Voraussetzungen des § 98 Nr. 1 oder Nr. 2 vorliegen, so steht damit fest, daß die Sache dem Zwecke des Gebäudes oder des Landgutes zu dienen bestimmt ist. Die übrigen Voraussetzungen des § 97 Abs. 1 Satz 1 müssen aber auch im Falle des § 98 vorliegen, um die Zubehöreigenschaft annehmen zu können, und die in § 97 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 beschriebenen Umstände schließen auch in einem Falle des § 98 die Zubehöreigenschaft aus ( R G 51, 272; 63, 416, 418; 67, 30, 34; R G J W 1909,702 = WarnRspr 1909 Nr. 175 ; BayObLG O L G 24,250). — § 98 schränkt den Zubehörbegriff nicht ein; auch wenn die Voraussetzungen des § 98 nicht vorliegen, kann eine Sache nach § 97 Zubehör eines für einen Gewerbebetrieb dauernd eingerichteten Gebäudes oder eines Landgutes sein (RG 66, 356, 358; 77, 36, 38; R G H R R 1933 Nr. 276). — Im einzelnen s. die Anmerkungen zu § 98.

Vorbem. 4 2. I n v e n t a r . Wenn das Gesetz vom Inventar eines Grundstücks spricht (vgl. die §§ 586 fr, 1048, 1378 aF, 2111 Abs. 2), handelt es sich um einen Sachinbegriff (vgl. §90 Anm. 16), unter dem mehrere gleichermaßen dem Zwecke des Grundstücks dienende Zubehörstücke zusammengefaßt werden. Alle Inventarstücke müssen die Voraussetzungen der §§97, 98 erfüllen; das gilt auch für das Inventar im Sinne des Pachtkreditgesetzes vom 5. 8. 1951, BGBl I 494 (vgl. R G 142, 201, 203; O L G Königsberg H R R 1941 Nr. 924).

Vorbem. 5 3. E r w e i t e r u n g e n des bürgerlich-rechtlichen Zubehörbegriffs. Eine Erweiterung erfährt der bürgerlich-rechtliche Zubehörbegriff im § 478 H G B (für gewisses

244

Sachen

Vor §§ 97, 98

Vorbem. 6—11

Schiffszubehör) und im § g Kabelpfandgesetz vom 3 1 . 3 . 1925, R G B l I 37. In diesen Fällen brauchen die Voraussetzungen des § 97 nicht gegeben zu sein.

Vorbem. 6 4. Der Zubehörbegriii des Höferechts. Der Zubehörbegriff des bürgerlichen Rechts deckt sich nicht mit dem des Höferechts (vgl. z. B. § 3 der Höfeordnung für die britische Zone vom 24. 4. 1947, V O B 1 B Z 33), der für die Vererbung von Höfen von Bedeutung ist. Außerhalb des Höferechts gilt der Zubehörbegriff des Höferechts nicht, z. B. nicht im Zwangsvollstreckungsverfahren ( O L G Oldenburg M D R 1952, 43).

Vorbem. 7 5. Straßenzubehör im öffentlichen Recht. Mit dem öffentlich-rechtlichen

Begriff des Straßenzubehörs (vgl. z. B. § 21 der V O vom 7. 12. 1934, R G B l I 1 2 3 7 ; für Bundesstraßen jetzt § 1 Abs. 4 Nr. 3 des Bundesfernstraßengesetzes vom 6. 8. 1953» BGBl I 903; s. auch R G 155, 394, 398) haben die bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen über Zubehör nichts zu tun.

II. Die Rechtslage des Zubehörs i m bürgerlichen Recht Vorbem. 8 1. Der Schutz des Zusammenhanges von Hauptsache und Zubehör. Anders

als bei wesentlichen Bestandteilen (§ 93) enthält das Gesetz in den §§ 97, 98 keine allgemeinen Vorschriften über die Rechtsstellung von Zubehör; es sucht jedoch durch eine Reihe von Einzelvorschriften den Zusammenhang zwischen Hauptsache und Zubehör zu wahren. Das geschieht aus denselben Gründen, aus denen das Gesetz den Zusammenhang der Bestandteile einheitlicher Sachen schützen will, nämlich um der Vernichtung wirtschaftlicher Werte vorzubeugen, die gerade durch den Zusammenhang bedingt sind (vgl. z. B. R G 142, 201, 203; 142, 379, 382), und um auf den Rechtsverkehr Rücksicht zu nehmen, der auf den Bestand des äußerlich erkennbaren Zusammenhanges vertraut (vgl. Vorbem. 1 zu §§93—95). Allerdings ist der Zusammenhang zwischen Hauptsache und Zubehör viel lockerer als der zwischen den Bestandteilen einheitlicher Sachen. Deshalb geht hier der gesetzliche Schutz auch nicht so weit.

Vorbem. 9 2. Die rechtliche Selbständigkeit von Zubehör. Während wesentliche Bestandteile für die Dauer ihrer Bestandteilseigenschaft stets das rechtliche Schicksal der ganzen Sache teilen, behält das Zubehör gemäß seiner Begriffsbestimmung seine Selbständigkeit als bewegliche Sache bei. Daher brauchen Zubehörstücke nicht dem Eigentümer der Hauptsache zu gehören. Dadurch, daß eine Sache Zubehör wird, werden die Eigentumsverhältnisse nicht berührt; vorbehaltenes Eigentum bleibt bestehen (RG J W 1903 Beil. 45 1 0 1 ; 1904, 403 3 ). Zubehörstücke können auch im übrigen Gegenstand besonderer dinglicher Rechte sein. Von dieser Regel gilt eine Ausnahme für Zubehör von Grundstücken und von eingetragenen Schiffen und Schiffsbauwerken, soweit es dem Grundstücks« oder Schiffseigentümer gehört und daher nach § 1 1 2 0 oder nach § § 3 1 , 79 Schiffsgesetz vom 15. 1 1 . 1940, R G B l I 1499, der Haftung für Hypotheken unterliegt; solches Zubehör kann nach § 865 Z P O nicht Gegenstand eines Pfändungspfandrechtes sein.

3. Forderungsrechte und Zubehör Vorbem. 10 Nach § 3 1 4 erstreckt sich die Verpflichtung zur Veräußerung oder Belastung einer Sache im Zweifel auf das Zubehör. Das gleiche gilt nach § 498 für den Wiederkauf, nach § 2 1 6 4 für das Vermächtnis.

Vorbem. 11 Besondere Regeln über Verpflichtungen zur Erhaltung, Ergänzung und Rückgewähr von Grundstückszubehör (Inventar) enthalten die §§ 586fr (für Pachtverhältnisse), 1048 (für Nießbrauch), 1378 aF (für den früheren Güterstand der Verwaltung und Nutznießung).

245

Vor §§ 97, 98

Allgemeiner Teil

Vorbem. 12—16 4. Sachenrechtliche Sonderbestimmungen für Grundstückszubehör a) Grundstückszubehör und Eigentum, Nießbrauch, dingliches Wohnungsrecht und dingliches Vorkaufsrecht a m Grundstück Vorbem. 12 Grundsätzlich gelten für die Ü b e r t r a g u n g des E i g e n t u m s und die B e s t e l l u n g d i n g l i c h e r R e c h t e als Zubehör die für bewegliche Sachen geltenden Bestimmungen (§§ 9 2 9ff)- Das Eigentum an Grundstückszubehör geht aber ohne weiteres in demselben Umfange, indem es dem bisherigen Grundstückseigentümer gehört hat (RG 97, 102, 107; s. auch die Vermutung des § 1006), mit Auflassung des Grundstücks und Eintragung auf den Grundstückserwerber über, falls die Parteien nicht den Eigentumserwerb daran ausschließen wollten (§ 926). Um das Eigentum an fremden Zubehörstücken kraft guten Glaubens zu erwerben, ist Besitzerlangung erforderlich (§ 926 Abs. 2). Vorbem. 13 Entsprechendes gilt für die Erstreckung eines G r u n d s t ü c k s n i e ß b r a u c h s ( § § 1031, 1062), eines dinglichen W o h n u n g s r e c h t e s (§ 1093) und eines dinglichen V o r k a u f s r e c h t s (§ 1096) auf Grundstückszubehör. Für Nießbrauch an einem Grundstück samt Inventar gilt § 1048. Vorbem. 14 b) Grundstückszubehör und Grundpfandrechte Von besonderer Bedeutung sind die §§ 1120 ff, die die Hypothek an einem Grundstück auf das Grundstückszubehör erstrecken, sofern es dem Grundstückseigentümer gehört (Einzelheiten, insbesondere über die Fälle von Miteigentum und Eigentum zur gesamten Hand s. Erl. zu § 1120). Wer die Mithaftung des Grundstückszubehörs leugnet, hat zu beweisen, daß es einem anderen als dem Grundstückseigentümer gehört (RG J W 1911, 7072; Kolmar OLG 6, 270). Die Mithaftung des Grundstückszubehörs des Grundstückseigentümers für die Hypothek tritt nicht nur „im Zweifel" ein, sondern in jedem Falle, ohne daß es auf den Willen der Beteiligten ankäme. Weder einer vertragsmäßigen Erweiterung noch einer vertragsmäßigen Einschränkung des Umfangs der Haftung des Zubehörs nach den §§ 1120 ff kommt eine dingliche Wirkung zu (RG 63, 371, 373, 125, 362, 365). — Nur unter den Voraussetzungen der §§ 1121, 1122 Abs. 2 können Sachen, die bisher Grundstückszubehör waren, bei Aufhebung der Zubehöreigenschaft von der auf § 1120 beruhenden M i t h a f t u n g f ü r die H y p o t h e k frei werden. Fällt die Zubehöreigenschaft infolge v ö l l i g e r Aufgabe der bisherigen Bewirtschaftung der Hauptsache weg, so besteht die Haftung des Grundstückszubehörs des Grundeigentümers fort, weil die Aufgabe der Bewirtschaftung nicht in den Grenzen einer ordnungsmäßigen Wirtschaft liegt (RG 69, 85, 88). Dagegen erlischt die Haftung in begrenztem Umfange, wenn nur ein einzelner Erzeugungszweig innerhalb eines großen Gesamtbetriebes in wirtschaftlich gebotener Weise zum Teil stillgelegt wird (RG WarnRspr 1934 Nr. 56). — § 1127 betrifft auch die Versicherung von Grundstückszubehör des Grundstückseigentümers. — §1135 behandelt die Verschlechterung oder Entfernung von Grundstückszubehör des Grundstückseigentümers. Die vorgenannten Bestimmungen sind e n t s p r e c h e n d anwendbar bei a n d e r e n G r u n d p f a n d r e c h t e n : Grundschulden (§ 1192), Rentenschulden (§ 1199); auch für die einzelnen Leistungen bei Reallasten (§ 1107 in Verbindung mit § 1118). c) Grundstückszubehör i m ehelichen Güterrecht und i m Erbrecht Vorbem. 15 Bei dem f r ü h e r e n g e s e t z l i c h e n G ü t e r s t a n d e der ehemännlichen Verwaltung und Nutznießung gab § 1378 aF eine besondere Vorschrift für den Fall, daß ein Grundstück samt Zubehör zum eingebrachten Gut gehörte. Vorbem. 16 Bei dem Güterstande der F a h r n i s g e m e i n s c h a f t , der nach Art. 1 des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18. 6. 1957 nach dem 30. 6. 1958 nicht mehr neu vereinbart 246

Sachen

Vor §§ 97, 98

Vorbem. 17—21

werden kann, gehören Grundstücke nebst Zubehör nach § 1 5 5 1 a F zum „unbeweglichen Vermögen".

Vorbem. 17 Nach § 2 1 1 1 Abs. 2 gehört zur Erbschaft auch, was ein V o r e r b e dem Inventar eines erbschaftlichen Grundstücks einverleibt.

Vorbem. 18 d) Grundstückszubehör in der Zwangsvollstreckung Nach § 865 Abs. 2 Z P O kann dem Grundstückseigentümer gehöriges Grundstückszubehör nicht gepfändet werden; es unterliegt vielmehr zusammen mit dem Grundstück der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen ( R G 59, 87). Das gilt auch, wenn an Grundstückszubehör, das einem Handwerker zur Reparatur gegeben worden ist, nach §647 ein gesetzliches Pfandrecht entstanden ist ( K G O L G 6, 2 1 3 ) . Wegen der Erstreckung der Versteigerung auf Grundstückszubehör, das einem Dritten gehört, vgl. § 55 Abs. 2 Z V G . Wird Zubehör, das zwar durch Veräußerung aus dem Eigentum des Grundstückseigentümers ausgeschieden, aber nicht vom Grundstück entfernt worden ist, im Zwangsversteigerungsverfahren dem Ersteher nicht zugeschlagen, weil auf Antrag des Eigentümers des Zubehörs die Zwangsvollstreckung insoweit eingestellt worden ist (§§ 55 Abs. 2, 37 Nr. 5 Z V G ; R G 127, 272; s. auch R G J W 1 9 1 6 , 321 5 ), so erstreckt sich die Hypothek weiter auf diese Gegenstände (§§ 1 1 2 0 , 1 1 2 1 Abs. 1 ) ; die im Zwangsversteigerungsverfahren ausgefallenen Hypothekengläubiger können sich daran halten (§ 1 1 4 7 ; vgl. auch R G 125, 362); eine Pfändung bleibt nach § 865 Abs. 2 Z P O unzulässig, da der durch den Zuschlag eingetretene Eigentumswechsel am Grundstück die Zubehöreigenschaft der darauf verbliebenen Gegenstände nicht beseitigt hat ( O L G Stettin J W 1927, 402 1 1 ). In den §§20 Abs. 2, 2 1 , 55, 65, 90 Abs. 2, 146, 148 Abs. 1 Z V G sind weitere Vorschriften über die Wirkung der Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung auf Grundstückszubehör enthalten. — Der Konkursverwalter darf nicht über die zum Grundstück des Gemeinschuldners gehörenden Zubehörstücke zum Nachteil der Hypothekengläubiger verfügen ( R G 69, 85; Augsburg O L G 37, 212). Der Begriff des Hofzubehörs nach § 3 der Höfeordnung für die britische Zone ist im Zwangsvollstreckungsverfahren nicht anwendbar. Der Begriff des l a n d w i r t s c h a f t l i c h e n Z u b e h ö r s bestimmt sich im Zwangsvollstreckungsverfahren ohne Rücksicht darauf, ob es sich um einen Hof oder sonstige landwirtschaftliche Grundstücke handelt, einheitlich nach den §§ 97, 98. M i l c h g e l d f o r d e r u n g e n sind daher nicht Zubehör i . S . des § 8 6 5 Abs. 2 Z P O ( O L G Oldenburg M D R 1 9 5 2 , 4 3 ) .

Vorbem. 19 5. Z u b e h ö r von g r u n d s t ü c k s g l e i c h e n R e c h t e n . Entsprechendes wie für Grundstückszubehör gilt für das Zubehör von Rechten, die einem Grundstück gleichgestellt sind (z.B. Erbbaurechte, § 1 1 E r b b a u V O ; Bergbaugerechtigkeiten nach Landesrecht, Art. 67 E G ) .

Vorbem. 20 6. Zubehör von Schiffen und S c h i l l s b a u w e r k e n . Ähnliche Bestimmungen wie für Grundstückszubehör gelten für das Zubehör von eingetragenen Schiffen und Schiffsbauwerken nach den §§4, 3 1 , 33, 39 Abs. 3, 50, 79, 82 Schiffsgesetz vom 15. 1 1 . 1940, R G B l I 1499; s. § 865 Z P O und §§ 162 fr Z V G . Wegen der Mithaftung von Schiffszubehör für gewisse Forderungen vgl. auch § 103 Binnenschiffahrtsgesetz vom 20. 5. 1898, R G B l 868.

Vorbem. 21 7. P ä c h t e r i n v e n t a r . Für das dem Pächter eines landwirtschaftlichen Grundstücks gehörende Inventar kann nach dem Pachtkreditgesetz vom 5. 8. 1951 — BGBl I 494 — kein besitzloses Pfandrecht begründet werden. Der Pächter kann an seinem Inventar nicht mehrere Pfandrechte für verschiedene Kreditinstitute bestellen ( R G 143, 7). — Uber das rechtliche Schicksal des Pächterinventars vgl. R G 142, 2 0 1 ; R G H R R 1931 Nr. 597; O L G Königsberg H R R 1941 Nr. 924).

247

Allgemeiner Teil

§97 Anm. 1, 2

§ 9 7 Zubehör sind bewegliche Sachen, die, ohne Bestandteile der Hauptsache zu sein, dem wirtschaftlichen Zwecke der Hauptsache zu dienen bestimmt sind und zu ihr in einem dieser Bestimmung entsprechenden räumlichen Verhältnisse stehen. Eine Sache ist nicht Zubehör, wenn sie im Verkehre nicht als Zubehör angesehen wird. Die vorübergehende Benutzung einer Sache für den wirtschaftlichen Zweck einer anderen begründet nicht die Zubehöreigenschaft. Die vorübergehende Trennung eines Zubehörstücks von der Hauptsache hebt die Zubehöreigenschaft nicht auf. E

1789 n 77h; m j 61; p 3

17.

Ubersicht

Anm.

I. Zubehör und Hauptsache 1-—n 1. Die Hauptsache 2— 7 2. Das Zubehör als selbständige, bewegliche Sache 8—11 II. Die Unterordnung des Zubehörs unter den Zweck der Hauptsache . . . 12—23 1. Der Zweck der Hauptsache 12, 13 2. Die Widmung für den Zweck der Hauptsache 14 3. Der Dienst am Zweck der Hauptsache 15—-23 III. Das räumliche Verhältnis zwischen Zubehör und Hauptsache 24—26 IV. Die Dauer der Unterordung unter die Hauptsache 27—35 1. Die vorübergehende Benutzung für den Zweck der Hauptsache . . . 27—32 2. Die vorübergehende Trennung von Zubehör und Hauptsache . . . . 33, 34 3. Die Aufhebung der Zubehöreigenschaft 35 V. Die Verkehrsanschauung über die Zubehöreigenschaft 36—39 I. Zubehör und Hauptsache Anm. 1 Zubehör sind selbständige Sachen, die dem Zwecke einer Hauptsache zu dienen bestimmt sind. Die Zusammenordnung von Zubehör und Hauptsache bildet eine durch den gemeinsamen Zweck gekennzeichnete Sachgesamtheit (§90 Anm. 15, 16), und zwar eine besondere Art der Sachgesamtheit, die sich dadurch auszeichnet, daß die Zubehörstücke der Hauptsache untergeordnet sind, und daß der Zweck der Sachgesamtheit mit dem der Hauptsache zusammenfallt. Sachen, die einander gleichgeordnet sind, stehen dagegen zueinander nicht im Zubehörverhältnis. 1. Die Hauptsache Anm. 2 Was als Hauptsache anzusehen ist, sagt das Gesetz nicht. Es kommt hier ebenso wie im § 947 Abs. 2, wo derselbe Ausdruck in etwas abweichendem Sinne (nämlich in der Bedeutung als Hauptbestandteil) wiederkehrt, auf die allgemeine natürliche Anschauung an (vgl. auch §§ 470, 651 Abs. 2). Aus § 98 ergibt sich, daß ein Grundstück oder ein Gebäude (dieses, wenn die Zubehörstücke lediglich in Beziehung zum Gebäude stehen) stets als Hauptsache anzusehen ist (RG 87, 43,49; OLG Stettin H R R 1934 Nr. 161; aM OLG Königsberg D R Z Rspr 1932 Nr. 322; vgl. auch die beachtliche Anmerkung von H a u p t zu der Entscheidung RG DR 1942, 137 10 und OLG Celle J W 1932, 2456 11 ; vgl. aber auch § 946). Daß das Grundstück oder das Gebäude einen höheren Wert hat, ist nicht erforderlich; auch wenn der Wert der anderen Sachen den Wert des Grundstücks oder des Gebäudes übersteigt, gilt das Grundstück oder das Gebäude als die Hauptsache (RG 87, 43, 49; vgl. auch RG DR 1942, 137 10 ). Der Umstand, daß Grundstücke regelmäßig als Hauptsache gelten, gewinnt besondere Bedeutung, weil das Gesetz die Rechtslage bei Grundstückszubehör besonders eingehend regelt (s. Vorbem. 12—18 zu §§ 97, 98). 248

Sachen

§97 A n m . 3—5

Anm. 3 Die Hauptsache muß i n d i v i d u e l l b e s t i m m t sein. Sachen, die anderen stets wechselnden Sachen dienen (z. B. Transportbehälter im Behälterverkehr der Eisenbahn den jeweils darin beförderten Gegenständen), stehen zueinander nicht in dem von § 97 Abs. 2 Satz 1 geforderten dauernden Benutzungsverhältnis (vgl. auch Anm. 27 fr). Anm. 4 Manchmal kommen m e h r e r e S a c h e n als Hauptsache in Betracht. Sind mehrere grundbuchmäßig selbständige G r u n d s t ü c k e einheitlich zu einem Betriebe eingerichtet, so kommt es für die Frage, ob gegenüber den beweglichen Einrichtungsgegenständen das eine oder das andere Grundstück als die Hauptsache anzusehen ist, darauf an, welches Grundstück den Mittelpunkt der einheitlichen Bewirtschaftung bildet. Daher ist z. B. nicht der Gastwirtschaftsgarten, sondern das mit den Gastwirtschaftsgebäuden versehene Grundstück die Hauptsache ( R G WarnRspr 1 9 1 0 Nr. 3 1 2 ; ähnlich O L G Stettin J W 1932, 1 5 8 1 1 3 ; vgl. aber auch Dresden SeuffBl 75, 583). Steht ein Fabrikgebäude auf zwei aneinandergrenzenden Grundstücken und sind beide Grundstücke zu einem einheiüichen Fabrikbetrieb eingerichtet, so sind die zum Betriebe dienenden Maschinen Zubehör desjenigen Grundstückes, das den Mittelpunkt des einheitlichen Betriebes bildet. Findet aber in dem nur auf dem einen Grundstück stehenden Gebäudeteile ein selbständiger Fabrikbetrieb statt, so sind die dort untergebrachten Maschinen auch nur Zubehör dieses Grundstücks ( R G 130, 264, 267; vgl. auch O L G Königsberg D R Z Rspr 1932 Nr. 322). Sind dagegen bewegliche Sachen (z.B. M a schinen, Pferde, Wagen) zum Betriebe eines mit einer Fabrik besetzten Grundstücksteils bestimmt, ohne daß dieser Teil im Verhältnis zu den anderen Grundstücken eine rechtliche Selbständigkeit besitzt, so sind die Gegenstände auch Zubehör des ganzen Grundstücks ( R G WarnRspr 1 9 3 1 Nr. 40). — Eine Sache kann aber auch g l e i c h z e i t i g Z u b e h ö r m e h r e r e r H a u p t s a c h e n sein, auch wenn diese verschiedenen Eigentümern gehören ( R G WarnRspr 1930 Nr. 49; O L G Stettin J W 1932, 1 5 8 1 1 3 ; O L G Frankfurt H R R 1937 Nr. 692; Breslau O L G 35, 2 9 1 ; a M R G 4 1 , 3 1 7 , 320; Rostock O L G 10, 6 1 ; Dresden SeuffBl 75, 583). A u c h auf solche Fälle lassen sich regelmäßig die f ü r Zubehör geltenden Rechtssätze entsprechend anwenden. So geht z. B. bei der Veräußerung des einen von zwei Grundstücken, die bisher demselben Eigentümer gehört haben, das Miteigentum am Zubehör nach § 926 auf den Erwerber über ( a M anscheinend Breslau O L G 35, 291 für den Fall, daß eines von zwei Nachlaßgrundstücken, die mehreren Miterben gehören und zu denen gemeinschaftliches Zubehör gehört, an einen der Miterben übertragen wird). Der Anteil, der jedem der Grundstückseigentümer am Zubehör gebührt, ist dann nach den besonderen Verhältnissen der Grundstücke, insbesondere nach ihrer Größe zu ermitteln. Ähnliche Grundsätze greifen Platz, wenn von einem Grundstück ein Teil veräußert wird ( O L G Königsberg D R Z Rspr 1932 Nr. 322). Doch ist hier § 3 1 4 oft nicht entsprechend anwendbar, z.B. wenn der veräußerte Teil einem besonderen wirtschaftlichen Zwecke dient oder im Verhältnis zum Rest geringfügig ist. Anm. 5 Wie sich aus dem Worte „Hauptsache" ergibt, können nur Sachen im Sinne des § 90 Hauptsache im Sinne des § 97 sein, und zwar gleichermaßen Grundstücke, eingetragene Schiffe, Schiffsbauwerke und sonstige bewegliche Sachen (vgl. § 90 Anm. 18—22). Dem B e g r i f f „ S a c h e " darf hierbei keine Gewalt angetan werden. Auch ein Bestandteil einer Sache, z.B. ein Gebäude, das Grundstücksbestandteil ist, kann Hauptsache im Sinne des § 97 sein. Sind Sachen Zubehör des Gebäudes, so sind sie damit zugleich mittelbar Zubehör des Grundstücks, dessen wesentlicher Bestandteil das Gebäude ist ( R G 89, 6 1 , 63). Auch ein Teil eines Gebäudes kann als Hauptsache gelten; mittelbar ist dann auch die ganze Sache Hauptsache und das Zubehör des Teils auch Zubehör des Ganzen ( R G 48, 207; 8 9 , 6 1 , 6 3 ; R G J W 1938, J390 5 ; R G WarnRspr 1909 Nr. 4 9 1 ; 1 9 1 0 Nr. 3 1 2 ; R G SeuffArch 56 Nr. 194; O L G J e n a J W 1933, 924 1 0 ;

249

§97

Anm. 6—8

Allgemeiner Teil

Marienwerder O L G 6, 212; Kolmar O L G 6, 270; Naumburg O L G 22, 122). Jedoch sind Gerätschaften als Zubehör eines Gebäudes, das zwar einem Bergwerksbetriebe dient, aber nicht Bestandteil des Bergwerkseigentums, sondern des Grundstückes ist, auch ihrerseits nicht Zubehör des Bergwerkseigentums ( R G J W 1907, 1298).

Anm. 6 U n k ö r p e r l i c h e G e g e n s t ä n d e können nicht Hauptsache im Sinne des § 97 sein. Eine Ausnahme bilden die sog. grundstücksgleichen Rechte (z.B. Erbbaurecht, Berggerechtigkeiten; vgl. § 90 Anm. 21). Mithin ist z.B. die Schuldurkunde nicht Zubehör der Forderung (§ 952 Abs. 1 Satz 2).

Anm. 7 Auch w i r t s c h a f t l i c h e E i n h e i t e n (Sachgesamtheiten, Rechtsgesamtheiten; s. § 90 Anm. 14—17) können als solche nicht Hauptsache im Sinne des § 97 sein. Es gibt also im BGB nicht den Begriff des Unternehmenszubehörs (s. dazu die beachtliche Anm. von H a u p t zu R G D R 1942, 137 10 ), ebensowenig wie das Gesetz ein Pfandrecht an wirtschaftlichen Unternehmen als solchen kennt, sondern als Kreditunterlage in erster Linie die Einrichtung der Grundpfandrechte (unter Mithaftung des Grundstückszubehörs des Grundstückseigentümers) ausgebildet hat. Diesem Umstände tragen Gesetz und Rechtsprechung dadurch Rechnung, daß der wirtschaftliche Zweck der Hauptsache vielfach weitgehend mit dem Zwecke des Unternehmens gleichgesetzt wird, dem die Hauptsache ihrerseits zu dienen bestimmt ist, und daß dadurch bisweilen als Grundstückszubehör gilt, was volks- und betriebswirtschaftlich eigentlich als Unternehmenszubehör bezeichnet werden müßte. Bei dem Landgut (§ 98 Nr. 2) hat das Gesetz selbst diese Gleichsetzung vollzogen (vgl. R G 142, 201, 203, wo ausgeführt wird, daß bei einem landwirtschaftlichen Pachtbetriebe nicht das Grundstück, sondern der Betrieb die Hauptsache darstelle, daß aber der Zubehörbegriff derselbe sei wie in § 98 Nr. 2). Bei den in § 98 Nr. 1 aufgeführten Gebäuden, die dauernd für einen gewerblichen Zweck eingerichtet sind, insbesondere bei einer Mühle, einer Schmiede, einem Brauhaus, einer Fabrik, liegt eine solche Gleichsetzung nicht fern. Daraus haben sich bei der Abgrenzung des Kreises der Gegenstände, die der Hauptsache zu dienen bestimmt sind, bedeutsame Auswirkungen ergeben. Nicht nur Maschinen und Gerätschaften, also Sachen, die mehrere Produktionsprozesse überdauern und daher ebenso wie die Gebäude und Grundstücke zum Anlagekapital zählen, werden als Zubehör von Gebäuden und Grundstücken anerkannt, sondern in gewissem Umfange auch Sachen, die nur eine einmalige Verwendung im Produktionsprozeß zulassen, und die daher zum umlaufenden oder Betriebskapital zu rechnen sind. Obwohl nach volks- und betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen und nach der Auffassung der Geschäftswelt Anlagekapital und Betriebskapital im Gegensatz zueinander stehen und einander nicht „untergeordnet" sind, sondern gleichermaßen den Zwecken des Unternehmens dienen, sieht die Rechtsordnung, die kein „Unternehmenszubehör" kennt, in gewissem Umfange auch Gegenstände des Betriebskapitals als Zubehör von Grundstücken und Gebäuden an; in solchen Fällen ist eine eingehende Prüfung der Verkehrsanschauung über die Zubehöreigenschaft (vgl. Anm. 36 fr) geboten. Einzelheiten darüber in Anm. 20—23.

2. Das Zubehör als selbständige, bewegliche Sache Anm. 8 Wenn das BGB von Zubehör spricht, meint es damit selbständige Sachen, die dem Zwecke einer anderen selbständigen Sache — der Hauptsache — dienen sollen. Daraus ergibt sich, daß es sich bei Zubehör nicht um die Bestandteile einer einheitlichen Sache handeln kann (vgl. § 93 Anm. 14); das Gesetz hat das in § 97 Abs. 1 Satz 1 zudem ausdrücklich ausgesprochen. Aus der Fassung des Gesetzes („ohne Bestandteile der Hauptsache zu sein") ergibt sich nicht, daß die in den §§ 97, 98 genannten Sachen in der Regel selbständige Sachen und nur ausnahmsweise Bestandteile sind ( R G 50, 241; 69, 150, 151; vgl. aber für Maschinen §93 Anm. 20). — S t r e i t i g ist, ob Sachen, die zwar gegenwärtig noch selbständige Sachen, aber dazu bestimmt sind, k ü n f t i g B e s t a n d -

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Sachen

§97 Anm. 9—13

t e i l e der Hauptsache zu werden, Zubehör sein können, solange sie noch selbständig sind. Dies muß bejahtwerden. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, daß die Zubehöreigenschaft nicht erst mit der wirklichen Benutzung, sondern schon mit der Bestimmung für die Zwecke der Hauptsache entsteht, und daß deshalb auch solche Sachen als Zubehör angesehen werden können, die gerade durch die Benutzung, zu der sie bestimmt sind, ihre Zubehöreigenschaft verlieren (z. B. Baumittelstücke wie Balken, Türen, Fenster).

Anm. 9 N u r b e w e g l i c h e S a c h e n können Zubehör sein, also alle Sachen außer Grundstücken, daher auch eingetragene Schiffe und Schiffsbauwerke (§ 90 Anm. 19), und vor allem auch Gebäude und sonstige Bauwerke, die nach § 95 nicht Grundstücksbestandteile und auch nicht Bestandteile eines grundstücksgleichen Rechtes, z. B. eines Erbbaurechts oder einer Berggerechtigkeit, sind ( R G 55, 2 8 1 ; § 9 5 Anm. 44—48), ferner z. B. auch lebende Tiere. Ein Grundstück kann einem anderen Grundstück nicht als Zubehör, sondern nur als Bestandteil zugeschrieben werden (§93 Anm. 4 ; § 890 Abs. 2 ; § 1 1 3 1 : Wirkung der Zuschreibung auf Hypotheken). Was Bestandteil eines Grundstücks ist, gilt nicht als bewegliche Sache und kann auch aus diesem Grunde nicht Zubehör sein, insbesondere nicht Zubehör eines anderen Grundstücks oder eines Gebäudes ( R G 87, 43, 50).

Anm. 10 R e c h t e können nicht Zubehör sein ( R G 83, 54, 56; B G H L M § 96 Nr. 1), sondern — bei Grundstücken — allenfalls nach § 96 wie Grundstücksbestandteile behandelt werden. Schon aus diesem Grunde können etwaige aus Tilgungsbeiträgen auf Amortisationshypotheken angesammelte Guthaben, die sich also als Forderungsrecht darstellen würden, nicht Zubehör der belasteten Grundstücke sein (vgl. hierzu §96 Anm. 9). Allerdings lassen sich unter Umständen gewisse f ü r Zubehör geltende Vorschriften — z.B. § 3 1 4 — auch auf Rechte entsprechend anwenden ( R G 112, 242, 247).

Anm. 11 Auch I n b e g r i f f e , z.B. das Inventar (Vorbem. 4 zu § § 9 7 , 9 8 ; §90 Anm. 16), sind nicht als solche Zubehör, sondern nur in ihren einzelnen Stücken.

II. Die Unterordnung des Zubehörs unter den Zweck der Hauptsache 1. Der Zweck der Hauptsache Anm. 12 Die Sachen müssen bestimmt sein, „ d e m wirtschaftlichen Zwecke der Hauptsache zu dienen". Dabei ist aber aus den Wörtern „wirtschaftlicher Z w e c k " n i c h t herauszulesen, daß darunter n u r ein mit w i r t s c h a f t l i c h e r B e t ä t i g u n g verbundener Zweck gemeint ist. So ist eine Orgel in R G J W 1 9 1 0 , 466 1 als Zubehör einer Kirche anerkannt worden; ebenso können Gobelins Zubehör eines Schlosses sein, sofern sie nicht etwa (unwesentliche) Bestandteile des Schlosses geworden sind ( R G WarnRspr 1 9 1 9 Nr. 45).

Anm. 13 Ein Zweck der Hauptsache im Sinne des § 97 Abs. 1 Satz 1 ist nur dann gegeben, wenn die Hauptsache selbst durch ihre körperliche Beschaffenheit oder durch andere nach der Verkehrsauffassung erhebliche Umstände d a r a u f e i n g e r i c h t e t ist, in bestimmter Art genutzt zu werden. Soll die Hauptsache voraussichtlich nicht für ihre Lebensdauer, sondern nur für einen von vornherein begrenzten Zeitraum, etwa nur f ü r die persönlichen Bedürfnisse des derzeitigen Besitzers, einem bestimmten Zwecke dienen, dann läßt sich dieser vorübergehende Zweck nicht mit dem „wirtschaftlichen Zwecke der Hauptsache" im Sinne des § 97 Abs. 1 Satz 1 gleichsetzen. Letzterer erfordert eine g e w i s s e D a u e r , zwar nicht im Sinne einer ein für allemal feststehenden Unabänderlichkeit, wohl aber so, daß nicht von vornherein mit dem Wegfall der Zweckbestimmung während der Lebensdauer der Hauptsache zu rechnen ist. V o n einem dauernden Zweck der Hauptsache kann z. B. dann gesprochen werden, wenn die Haupt-

251

§97 A n m . 14

Allgemeiner Teil

sache für diesen Zweck besonders eingerichtet und diese Einrichtung auf Dauer berechnet ist (vgl. § 98 Nr. 1 „ f ü r einen gewerblichen Zweck dauernd eingerichtet"), nicht bloß für die persönlichen Bedürfnisse des derzeitigen Besitzers ( R G J W 1909, 70 2 = WarnRspr. 1909 Nr. 1 7 5 ; R G J W 1916, 321 6 ; R G WarnRspr 1909 Nr. 4 9 1 ; 1 9 1 3 Nr. 127; 1 9 1 7 Nr. 171). Die Rechtsprechung darüber, ob eine Einrichtung für die Dauer oder nur vorübergehend ist, ist nicht einheitlich und überzeugt oft nicht. So hat z.B. R G J W 1909, 485® die Einrichtung eines Fleischereigeschäftes auf einem Grundstücke, dessen Hinterhaus für den Betrieb einer Wurstfabrik eingerichtet war, nicht als dauernd angesehen; dagegen haben R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 286 und R G J W 1916, 321 5 Druckereibetriebe als Dauereinrichtungen angesehen, ferner O L G Marienwerder J W 1932, 2097 12 ein Kolonialwarengeschäft. Kiel O L G 34, 5 hat wegen des vorübergehenden Zweckes der Hauptsache Reitpferde, die gewerbsmäßig von einem Grundstück aus vermietet wurden, nicht als Grundstückszubehör angesehen, weil auf dem Grundstück zwar Pferdeställe, aber keine Reitställe eingerichtet waren. Die Frage ist bei § 98 Nr. 1 von besonderer Bedeutung, s. dort Anm. 5. Es ist n i c h t nötig, daß die Hauptsache a u s s c h l i e ß l i c h für einen bestimmten Zweck verwendbar ist (vgl. auch § 98 Anm. 5), wenn nur die gegenwärtige Einrichtung auf Dauer berechnet ist (RG 48, 207, 209; R G Gruchot 67, 166, 168; Marienwerder O L G 6, 2 1 2 ; Naumburg O L G 22, 1 2 2 ; auch R G J W 1909, 70® = WarnRspr 1909 Nr. 175). A n m . 14 2 . Die W i d m u n g für den Zweck der H a u p t s a c h e Die Sachen müssen bestimmt sein, dem wirtschaftlichen Zwecke der Hauptsache zu dienen. Daraus ergibt sich erstens, daß sie s c h o n m i t der bloßen B e s t i m m u n g Zubehör werden, auch wenn sie in diesem Zeitpunkt für den wirtschaftlichen Zweck noch nicht benutzt werden, sondern nur der räumliche Zusammenhang und die Möglichkeit ihrer Benutzung besteht (vgl. Anm. 25). Daher sind die auf das Fabrikgrundstück geschafften Maschinen schon vor ihrer Ingebrauchnahme Zubehör ( R G 5 1 , 272). Zweitens folgt aus jenem Leitsatz, daß es nur auf den W i l l e n des B e s t i m m e n d e n ankommt, nicht darauf, ob die Zubehörstücke für die Zwecke der Hauptsache geeignet oder gar notwendig sind (RG J W 1909, 70 2 = WarnRspr 1909 Nr. 1 7 5 ; K G J W 1932, 2096 10 ; Marienwerder O L G 22, 1 2 5 ; Stettin O L G 40, 4 1 3 ; auch R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 1 2 7 ; K G SeuffArch 66 Nr. 268). Deshalb hat das B G B aber noch n i c h t , wie teilweise das frühere Recht, sog. g e w i l l k ü r t e s Z u b e h ö r zugelassen, bei dem es nur auf den Willen des Eigentümers ankommt; vielmehr müssen stets sämtliche Voraussetzungen der Zubehöreigenschaft erfüllt sein ( R G 55, 288; anders beim Pfandrecht an Hochseekabeln für Auslandsverkehr, die im Kabelbuch eingetragen sind: § 9 Kabelpfandgesetz vom 3 1 . 3. 1925, R G B l I 37). Die B e s t i m m u n g zum Zubehör ist k e i n R e c h t s g e s c h ä f t , aber sie enthält eine Willensäußerung, die als Rechtshandlung zu betrachten ist ( R G H R R 1934 Nr. 1273). Daher ist mindestens Willensfähigkeit, wenn auch nicht unbeschränkte Geschäftsfähigkeit zu verlangen. Wer die Bestimmung zu treffen hat, sagt das Gesetz nicht. Daraus ist zu folgern, daß jeder es sein kann, der die Hauptsache tatsächlich benutzt, auch ein Mieter und Pächter (falls diese die Bestimmung nicht nur für vorübergehende Zeit treffen); ebenso jeder Eigenbesitzer. Die tatsächliche Benutzung und ihre Dauer können als Anzeichen für eine Bestimmung bedeutsam sein, aber nicht für sich allein ohne Rücksicht auf die Frage der Bestimmung über die Zubehöreigenschaft entscheiden (RG H R R 1934 Nr. 1 2 7 3 ; K G J W 1932, 2096 10 ). Nach K G SeuffArch 68 Nr. 268 ist anzunehmen, daß ein verständiger Besitzer nur Sachen als Zubehör (Inventar) anschafft, die für eine vernünftige Ausnutzung der Hauptsache erforderlich sind; aus der Feststellung, was objektiv erforderlich ist, läßt sich daher in der Regel entnehmen, was der Besitzer als Zubehör bestimmt hat. Wenn R G J W 1907, 703 3 sagt, nur der „angemessene Fuhrpark" könne Zubehör einer Glashütte sein, so beruht das darauf, daß in jenem Falle für den Fuhrpark nur eine vorübergehende Benutzung für den Zweck der Glashütte (vgl. Anm. 27 fr) und eine entgegenstehende Verkehrsauffassung (vgl. Anm. 3 6 f f ) festgestellt worden ist.

252

Sachen

§97 Anm. 15, 16

3. Der Dienst a m Zweck der Hauptsache A n m . 15 Zubehörstücke müssen bestimmt sein, dem wirtschaftlichen Zwecke der Hauptsache zu dienen, ihre wirtschaftliche Ausnutzung zu ermöglichen oder zu erleichtern, und zwar so, daß sie als der Hauptsache untergeordnet erscheinen, zu dieser im A b h ä n g i g k e i t s v e r h ä l t n i s stehen (RG 86, 326, 328). — Es ist nicht notwendig, daß die Zubehörstücke dem Zwecke der Hauptsache unmittelbar dienen; es genügt, daß sie das Ausnutzen der Hauptsache fördern sollen. Das ist z. B. der Fall bei Schwänen und Gondeln auf einem Teiche in der Nähe einer Gastwirtschaft, die dem Vergnügen der Gäste dienen und dadurch die Anziehungskraft der Gaststätte erhöhen sollen (RG 47, 197). Dem wirtschaftlichen Zwecke der Hauptsache dienen auch die Sachen, die den Vertrieb der Waren von der Hauptsache aus erleichtern sollen, z.B. Versandgefäße, die wieder zum Betrieb zurückkommen und dann erneut verwendet werden (RG Gruchot 53, 899; s. aber auch Kiel O L G 66, 257, das Bierflaschen als Zubehör des Bieres ansieht; für Versandgefäße, die dem Kunden bleiben: s. Anm. 23); desgleichen Pferde und Fahrzeuge (RG 69, 85; R G J W 1907, 703 3 ; O L G Hamburg SeuffArch 63 Nr. 8 1 ; K G O L G 6, 2 1 3 ) ; ebenso O L G Hamm J M B 1 N R W 1953, 244 für den Personenkraftwagen eines Baugeschäftes, der zum Aufsuchen weit verstreuter Baustellen dient. Nach O L G Frankfurt H R R 1937 Nr. 692 sind bei einem Fabrikgrundstück auch junge Pferde Zubehör, die gegenwärtig noch nicht zu Fuhrzwecken verwendet werden können, aber künftig in den Fuhrpark eingestellt werden sollen. Auch eine Sache, die n i c h t a u s s c h l i e ß l i c h dem Zwecke der Hauptsache zu dienen bestimmt ist, kann Zubehör der Hauptsache sein. Der Hotelomnibus ist Zubehör des Gasthofes, auch wenn zuweilen andere Personen, die keine Hotelgäste sind, damit befördert werden (RG 47, 197, 200). Selbst wenn Fuhrwerke eines Landgutes mehr zu Lohnfahrten als zu landwirtschaftlichen Arbeiten benutzt werden, bleiben sie Zubehör des Landgutes (München O L G 27, 176). Dagegen sind nach Kiel O L G 29, 244 Anm. 1, Wagen, die nur gelegentlich zum Besuch von Kunden oder zur Einziehung von Außenständen verwendet werden, kein Zubehör des Fabrikgrundstücks; der Grund hierfür liegt an der nur vorübergehenden Benutzung für Zwecke des Fabrikgrundstücks (§ 97 Abs. 2 Satz 1 ; vgl. Anm. 27ff). In R G 157, 40, 47 ist eine außerhalb des Fabrikgeländes gelegene Sauerstofferzeugungsanlage als Zubehör einer Fabrik angesehen worden, obwohl der erzeugte Sauerstoff nicht ausschließlich zum Schweißen in der Fabrik verwendet, sondern auch verkauft wurde. Gerät und Vieh eines Wirtschaftsbetriebs, der von einem Grundstückseigentümer auf seinem (kleinen) bebauten Grundstück und zugleich auf fremdem (größeren) Pachtlande einheitlich eingerichtet ist, behandelt O L G Stettin J W 1932, 1581 3 . A n m . 16 Beispiele: Dem Zwecke der Hauptsache dienen das Inventar von Gasthöfen und Wirtschaften (RG J W 1904, 403 3 ; R G WarnRspr 1910 Nr. 3 1 2 ; R G Gruchot 52, 1 1 6 ; R G SeuffArch 56 Nr. 194; O L G Dresden SeuffArch 64 Nr. 1 ; Dresden O L G 2, 499; Hamm O L G 5, 78; Celle O L G 24, 249; vgl. aber München O L G 28, 20: ein für Fremdenverkehr nicht genügendes Inventar einer Sommervilla ist kein Zubehör der Villa); die Kontoreinrichtung einer Fabrik, wenn sich das Kontor auf dem Fabrikgrundstück befindet (Jena O L G 13, 314, das aber Handelsbücher, Schreibmaterial und — bedenklich — Schreibmaschinen ausnimmt; O L G Hamm DRZRspr 1932 Nr. 636; dagegen sind nach München O L G 29, 244 Kontormöbel in einer nur in einzelnen Teilen für Kontorzwecke eingerichteten Villa nicht Zubehör des Villengrundstückes); Bodenbelag aus Linoleum in einem Fremdenheim (München SeuffArch 74 Nr. 157; anders aber Hamburg O L G 45, 1 1 0 ) ; die Apothekeneinrichtung auf einem Grundstücke, das für den Apothekenbetrieb dauernd eingerichtet ist (RG WarnRspr 1909 Nr. 491); die Theaterrequisiten eines Theatergebäudes ( K G O L G 30, 328); Topfpflanzen einer Gärtnerei, die zur Ausschmückung von Sälen, Kirchen usw. für Festlichkeiten ausgeliehen werden (Bamberg O L G 3, 234); die vom Grundstückseigentümer in einem Miethause angebrachten Beleuchtungskörper (Bamberg O L G 14, 8); Fahrzeuge und

253

§97

Allgemeiner Teil

A n m . 17—20 Pferde usw. bei einem Speditions- und Fuhrgeschäft ( R G J W 1936, 3 3 7 7 1 ; R G Warn Rspr 1 9 1 7 Nr. 1 7 1 ; Dresden O L G 15, 3 1 0 ; a M Dresden O L G 13, 3 1 4 ) . Bei einem Elektrizitätswerk sind die abgehenden Fernleitungen dem wirtschaftlichen Zwecke des Werkes zu dienen bestimmt ( R G 87, 43, 49). Ähnliches gilt für Rohrleitungen von Wasser- und Gaswerken, die in fremden Grundstücken liegen, jedoch nach § 95 nicht Bestandteile der fremden Grundstücke geworden sind ( R G 168, 288, 290). N i c h t als Zubehör ist die von einem Gastwirt vor dem Gasthof errichtete öffentliche städtische Waage angesehen worden, weil die bestimmte Beziehung zu dem Wirtschaftsbetrieb im Gasthofe fehlte ( R G SeuffArch 62 Nr. 247); ferner nicht Milchregister und Viehjournale eines Gutes ( O L G Naumburg J W 1929, 793').

A n m . 17 Davon, daß gewisse Sachen dem Zweck einer Hauptsache dienen, kann nicht gesprochen werden, wenn die H a u p t s a c h e n o c h n i c h t b e s t e h t , sondern erst durch die zu ihrer Herstellung bestimmten Gegenstände gebildet werden soll ( R G 89, 6 1 , 64). Daher sind nicht Zubehör die beieinander liegenden Gegenstände, aus denen eine bewegliche Sache angefertigt werden soll, auch wenn die Sache schon teilweise fertig ist. Die auf einem Grundstück unbenutzt liegenden Maschinen, die zur Einrichtung eines darauf zu errichtenden Fabrikgebäudes bestimmt sind, sind noch nicht Zubehör des Grundstückes, solange das Gebäude nicht fertiggestellt ist und die Maschinen daher nicht Zubehör des bisher Erbauten sind; denn die Maschinen sollen nach ihrer Bestimmung nur dem wirtschaftlichen Zwecke des hergestellten und zum Betriebe eingerichteten Gebäudes dienen, nicht aber schon vorher dem Grundstück unmittelbar „ z u seiner Nutzbarmachung durch Bebauung" verhelfen ( R G 89, 6 1 , 65).

A n m . 18 Anders verhält es sich mit den zur Errichtung eines Gebäudes bestimmten, auf einem Baugrundstück gelagerten B a u m i t t e l s t ü c k e n (z.B. Mauersteinen, Balken, Türen, Fenstern; im Verhältnis zu den Baumittelstücken für einen Neubau ist das Baugrundstück, nicht das erst zu errichtende Gebäude als Hauptsache anzusehen. Das Baugrundstück hat den wirtschaftlichen Zweck, durch Bebauung nutzbar gemacht zu werden; dem dienen die Baumittelstücke dadurch, daß sie zu einem Gebäude verbunden werden ( R G 84, 284; 86, 326, 3 3 0 ; 89, 6 1 , Ö4f; R G J W 1 9 1 0 , 4 1 ; ähnlich Marienwerder O L G 8, 4 1 8 ; K ö l n O L G 13, 3 1 3 ; a M K G O L G 4, 2 1 ; Breslau O L G 14, 1 2 ; K ö l n O L G 14, 1 3 ; K G O L G 15, 3 2 5 ; K G O L G 22, 1 2 0 ; O L G Rostock SeuffArch 67 Nr. m ) . Ebenso dienen dem Zwecke der Hauptsache auf einem Ziegeleigrundstücke lagernde Masten, die zerschnitten und als Schwellen für ein Feldbahngleis des Ziegeleibetriebs verwendet werden sollen (Stettin O L G 45, 110).

A n m . 19 Ferner wird für E r s a t z t e i l e und für V o r r ä t e (Materialreserven) einer eingerichteten Fabrik, die zur Ausbesserung des Fabrikgebäudes oder seiner Einrichtung oder zum Ersatz abgenutzter Betriebsteile dienen, anerkannt, daß sie dem Zwecke des Fabrikgebäudes dienen, gleichviel, ob sie durch ihre spätere Inanspruchnahme Bestandteile werden oder selbständige Sachen bleiben ( R G 5 1 , 272; 66, 356). Gleiches gilt f ü r mitgeführte Ersatzteile und Ersatzreifen von Kraftfahrzeugen.

A n m . 20 In gewissem Umfange wird auch bei Sachen, die nicht mehrere Produktionsprozesse überdauern, d.h. bei G e g e n s t ä n d e n d e s sog. B e t r i e b s k a p i t a l s , anerkannt, daß sie dem Zwecke von Grundstücken oder Gebäuden zu dienen bestimmt sind. Daß und warum hierbei in Wirklichkeit nicht auf den Zweck eines Grundstücks oder Gebäudes abgestellt wird, ist in Anm. 7 dargelegt. Die Rechtsprechung hat hierzu ausgeführt, daß sich aus dem Gesetz kein Grund ergäbe, v e r b r a u c h b a r e Sachen im Sinne des § 92 nicht als Zubehör anzusehen, d. h. Sachen, die zum Verbrauch und zum Veräußern bestimmt sind ( R G 66, 356, 3 5 8 ; 77, 36, 38; R G H R R 1930 Nr. 277). Das Gesetz selbst bezeichnet in § 98 Nr. 2 verbrauch-

254

Sachen

§97

Anm. 21—23 bare Sachen, nämlich Vieh, landwirtschaftliche Erzeugnisse und selbstgewonnenen Dünger bei einem Landgut unter gewissen Voraussetzungen als Zubehör. Das ist auch keine einschränkend auszulegende Ausnahmevorschrift für Landgüter ( R G 66, 356, 358; a M bezüglich des Ausnahmecharakters offenbar R G 66, 88, 90).

Anm. 21 In entsprechender Weise hat die herrschende Rechtsprechung für V o r r ä t e an zugekauftem D ü n g e r und für Vorräte an K o h l e n zu Heizzwecken anerkannt, daß sie als Hilfsmittel des Betriebs dem Zwecke der betreffenden Grundstücke oder Gebäude dienen und daher deren Zubehör sind (für Kohlen Vorräte: R G 77, 36; 84, 284; 86, 3 2 6 , 3 3 0 ; Königsberg O L G 14, 9; B a y O b L G O L G 24, 250; a M K G O L G 13, 3 1 2 ) . Das Gleiche muß für Vorräte an Heizmaterial anderer Art (z. B. Heizöl) oder an sonstigen in Energie umsetzbaren Stoffen (Kraftstoffen, Flaschengas, Ausgangsstoffen zur Gewinnung von Atomenergie) gelten.

Anm. 22 Andererseits hat die Rechtsprechung im allgemeinen abgelehnt, V o r r ä t e v o n R o h s t o f f e n , die bearbeitet oder verarbeitet werden sollen, als Zubehör von gewerblichen Gebäuden und Grundstücken anzusehen, weil sich diese Rohstoffvorräte einerseits und die Fabrikgebäude und Grundstücke andererseits als gleichwertige und gleichwichtige, einander nicht untergeordnete Sachen gegenüberstehen. Anders als bei Heizmittelvorräten läßt also die Rechtsprechung bei Rohstoffvorräten die volks- und betriebswirtschaftliche Unterscheidung zwischen Betriebskapital und Anlagekapital als gleichwertigen Wirtschaftsfaktoren gelten ( R G 86, 326, 329; für Holzvorräte einer Sägerei K G J W 1 9 3 1 , 4 3 5 1 ; für Mehlvorräte einer Bäckerei Rostock O L G 22, 123). Gelegentlich sind freilich auch Rohstoffvorräte als Gebäudezubehör anerkannt worden, z. B. zur Verarbeitung bestimmte Stoffe, solange mit der Verarbeitung noch nicht begonnen worden ist (für Essenzen: B a y O b L G O L G 24, 250; für Schwefeläthervorräte auf einem Fabrikgrundstück, auf dem Hopfenextrakt für Brauereiprodukte gewonnen wird, wobei allerdings der dazu benötigte Schwefeläther nur zum geringen Teil verlorengeht, im übrigen aber der Fabrik für weitere Hopfenextraktionen erhalten bleibt: K G J W 1935, 3168 1 6 ). Kohlenvorräte zur Koks- und Gasgewinnung und Koksvorräte zur Verhüttung werden wie Vorräte an zu verarbeitenden Rohstoffen zu behandeln sein, nicht wie Vorräte an Kohlen zu Heizzwecken; dasselbe gilt für Ausgangsstoffe zur Erzeugung von atomaren Spaltprodukten.

Anm. 23 Nach R G 77, 36, 38; R G H R R 1930 Nr. 277 und R G Gruchot 53, 899, 900 steht der Umstand, daß eine Sache z u r V e r ä u ß e r u n g b e s t i m m t ist, dem nicht entgegen, die Sache als Zubehör zu behandeln. Das erscheint bedenklich. Denn eine solche Sache „dient" nicht dadurch der Hauptsache, daß sie veräußert wird. Wenn § 92 als verbrauchbare Sachen nicht nur die bezeichnet, die zum Verbrauch bestimmt sind, sondern auch Sachen, die zur Veräußerung bestimmt sind, so zwingt das nicht dazu, auch im Rahmen der §§ 97, 98 den Verbrauch und die Veräußerung von Sachen gleich zu behandeln. Sachen als Zubehör anzuerkennen, die zur Veräußerung bestimmt sind, steht überdies der Umstand entgegen, daß diese Sachen — sofern man bei ihnen überhaupt von einem „ D i e n e n " sprechen kann — der Hauptsache nur vorübergehend dienen (vgl. Anm. 29). Daher sind solche Sachen nicht Zubehör: so Ziegel in einer Ziegelei (Königsberg O L G 14, 1 0 ; Breslau O L G 14, 1 0 5 ; Dresden O L G 14, 106), Kunststeine, Baumschulbestände ( R G 66, 88, 90; Kiel O L G 20, 38), unverkaufte und unvermietete Gasuhren einer Gasanstalt (Darmstadt O L G 28, 38); Bierbestände einer Brauerei ( O L G Kiel SeuffArch 66 Nr. 146); ebenso sind Vorräte an Getränken, Speisen und Tabakwaren sowie der Kassenbestand nicht Zubehör eines Gastwirtschaftsgrundstücks (Rostock O L G 22, 1 2 4 ; 3 1 , 309, 3 1 1 ; Dresden O L G 30, 329; nicht unbedenklich ist die Erwägung in diesen Entscheidungen, solche Vorräte könnten unter Umständen insoweit als Zubehör des Gastwirtschaftsgebäudes anerkannt werden, als sie es ermöglichen sollten, den Betrieb für einen kurzen Zeitraum aufrechtzuerhalten). Vorräte an Ver-

255

§97 Anm. 24—26

Allgemeiner Teil

packungsmaterial und an Versandgefäßen, die die Kunden nicht zurückliefern müssen, sind wie Warenvorräte zu behandeln (aM RG Gruchot 53, 899; s. aber auch O L G Kiel SeufFArch 66 Nr. 146; für zurückzugebende Versandgefäße s. Anm. 15). Auch die Erntevorräte, die nicht als Saatgut, Deputat oder dergleichen zum Fortführen der Wirtschaft bis zur nächsten Ernte erforderlich, sondern zum Verkaufe bestimmt sind, dienen nicht dem wirtschaftlichen Zwecke des landwirtschaftlichen Grundstücks und sind daher kein Zubehör ( R G 143, 33, 3gf). Dagegen kann man Tiere als landwirtschaftliche Erzeugnisse nicht ohne weiteres mit Erntevorräten oder fertigen Erzeugnissen eines Fabrikbetriebes vergleichen, da diese Tiere fortdauernd ernährt werden müssen, andererseits aber auch Nutzen in Gestalt von Dünger, Milch usw. bringen. Solches Vieh verliert regelmäßig die Zubehöreigenschaft erst dann, wenn es zum Verkaufe abgetrieben (OLG München J W 1934, 18029) oder doch zumindest zum Verkaufe bereitgehalten wird (vgl. R G 142, 379, 382); das letztere liegt in der Regel vor, wenn das Vieh die Mastreife erreicht Hat (RG 142, 379, 382; O L G Königsberg J W 1932, ig4 2 '; Marienwerder O L G 22, 125). Mastschweine, die mit Molkereiabfällen gemästet werden, sind Zubehör des Molkereigrundstückes, auf dem sie gehalten werden (RG 77, 241); auch die aus Nebenerzeugnissen einer Bäckerei und Mühle aufgezogenen Schweine, die dort gehalten werden, sind Grundstückszubehör (RG WarnRspr 1932 Nr. gs). Wegen des Viehes auf Landgütern s. auch § 98 Anm. 13; für sonstige landwirtschaftliche Erzeugnisse s. § 98 Anm. 14. III. Das räumliche Verhältnis zwischen Zubehör und Hauptsache Anm. 24 Die Sachen müssen in einem ihrer Bestimmung entsprechenden räumlichen Verhältnisse zur Hauptsache stehen. Dieses Erfordernis steht im inneren Zusammenhange mit dem einen der Beweggründe der gesetzlichen Bestimmungen über Zubehör: es soll nämlich in gewissem Umfang der Rechtsverkehr geschützt werden, der auf den äußerlich erkennbaren Zusammenhang vertraut (vgl. Vorbem. 8 zu §§ 97, 98). Anm. 25 Das räumliche Verhältnis muß der Bestimmung der Sache entsprechen, dem Zwecke der Hauptsache zu dienen. Maschinen und sonstige Geräte müssen aber nicht schon montiert sein; es genügt, wenn ihre bestimmungsmäßige Benutzung an dem Platze möglich ist, an dem sie sich befinden (RG 51, 272; RG WarnRspr 1909 Nr. 176; Breslau O L G 5, 78; Kassel O L G 15, 326). Deshalb sind die auf den Fabrikhof gebrachten, zum Fabrikbetrieb bestimmten Gerätschaften, die jederzeit in der Fabrik verwendet werden können, Zubehör (RG 51, 272; Königsberg O L G 28, 19); nicht jedoch eine Lokomobile, deren Transport zu dem Bergwerk, für das sie bestimmt war, unterwegs wegen ihrer Schwere unterbrochen werden mußte, wenn sie sich auch schon auf dem Grundstück befand, auf das sie geschafft werden sollte (RG WarnRspr 1909 Nr. 176). Anm. 26 Ein räumliches Verhältnis zur Hauptsache, das der Bestimmung der Sache entspricht, liegt vor, wenn sich die Sachen In oder auf der Hauptsache oder sonst in ihrer u n m i t t e l b a r e n N ä h e befinden. Geringe Entfernung steht dem gleich (RG J W 1936, 3377 1 ). So können Gondeln auf einem in der Nähe eines Gastwirtschaftsgrundstückes befindlichen Teiche Zubehör der Gastwirtschaft sein (RG 47, 197); ebenso die Einrichtungsgegenstände in einem Gastwirtschaftsgarten, auch wenn dieser grundbuchmäßig ein selbständiges Grundstück bildet (RG WarnRspr 1910 Nr. 312). Ferner können Sachen, die sich zwar auf einem Nachbargrundstück befinden, nach § 95 aber nicht Bestandteile des Nachbargrundstückes geworden sind, Zubehör sein: Gebäude auf einem Nachbargrundstück (RG 55, 281); Stalleinrichtungen auf einem Nachbargrundstück für ein Reitinstitut (RG Gruchot 67, 166); Fernleitungen eines Elektrizitätswerkes, die über fremde Grundstücke gehen (RG 87, 43, 48; RG WarnRspr 1918 Nr. 155); Rohrleitungen von Wasser- und Gaswerken, die in fremden Grundstücken liegen (RG 168, 288, 290); Abwässerleitungen einer Kläranlage, die über fremde 256

Sachen

§97 A n m . 27, 28

Grundstücke gehen (RG SeufFArch 91 Nr. 149); Anschlußgleise eines Fabrikgrundstückes, die auf einem benachbarten Eisenbahngelände liegen (RG WarnRspr 1930 Nr. 4g). RG 157, 40, 47 erkennt die Sauerstofferzeugungsanlage als Zubehör einer Röhrenfabrik an, obwohl die Anlage etwa 1 km von der Fabrik entfernt in einer gemieteten Mühle untergebracht war. Wie groß die Entfernung sein darf, damit die Zubehöreigenschaft noch anerkannt werden kann, beurteilt sich nach den jeweiligen Verhältnissen des Falles; auf jeden Fall darf keine größere Entfernung vorliegen (RG J W 1936, 3377 1 ; das ist wohl in Königsberg O L G 42, 256 übersehen worden, wo Torf, der auf fremden Grundstücken lagerte, dennoch als Zubehör betrachtet wurde). So ist die Einrichtung eines Kontors, das sich in einer anderen Straße als das Fabrikgrundstück befindet, ebensowenig Zubehör des Fabrikgrundstücks, wie die Einrichtung einer Zweigniederlassung im Verhältnis zur Hauptniederlassung. Es schadet aber nichts, daß die Sachen z e i t w e i l i g von der H a u p t s a c h e getrennt werden müssen, auch wenn sie gerade dadurch ihre Zweckbestimmung erfüllen. Daher können Pferde und Wagen, die zur Fortschaffung der auf dem Grundstück erzeugten Waren dienen, Zubehör des Grundstücks sein (Fundstellen s. Anm. 15). Ferner steht, wenn ein Grundstück dauernd zum Betriebe eines Fuhrunternehmens eingerichtet ist (z. B. durch Einrichtung von Stallungen für Pferde, Schlafräume für Kutscher, Gelasse für Geschirre und sonstige Gerätschaften oder durch Einrichtung von Garagen, Waschvorrichtungen und eigenen Tankstellen für Kraftwagen) der Zubehöreigenschaft der Fahrzeuge und der Pferde nicht entgegen, daß sich ihre Benutzung regelmäßig außerhalb des Grundstückes vollzieht (Fundstellen s. Anm. 16). Dasselbe gilt nach O L G Hamm J M B 1 N R W 1953, 244 für Baugeräte und einen Personenkraftwagen zum Aufsuchen weit verstreuter Baustellen im Verhältnis zum Baugeschäftsgrundstück sowie für den Bagger eines Kieswerkes (RG D R 1942, 137 10 mit beachtlicher Anmerkung von Haupt). IV. Die Dauer der Unterordnung unter die Hauptsache 1. Die vorübergehende Benutzung für den Zweck der Hauptsache A n m . 27 Nach § 97 Abs. 2 Satz 1 begründet die vorübergehende Benutzung einer Sache für den Zweck einer anderen nicht die Zubehöreigenschaft. Wegen der Bestimmung der Hauptsache für einen nur vorübergehenden Zweck, der nicht als wirtschaftlicher Zweck im Sinne des § 97 Abs. 1 Satz 1 gilt und schon deshalb die Zubehöreigenschaft anderer Sachen ausschließt, siehe Anm. 13. A n m . 28 Wenn § 97 Abs. 2 Satz 1 von „vorübergehender Benutzung" spricht, so sind damit die Fälle gemeint, in denen die Aufhebung dieser Benutzungsweise entweder von vornherein beabsichtigt oder doch nach der Natur des Zwecks der Benutzung als gewiß angenommen wird (RG 47, 197, 202; 132, 321, 324; RG WarnRspr 1924 Nr. 1 1 9 ; Karlsruhe O L G 7, 350; K G O L G 13, 212), mag auch das Ende der Benutzung erst nach Jahren eintreten (RG WarnRspr 1924 Nr. 1 1 9 ; O L G Stuttgart J W 1932, 3730 10 ); dagegen n i c h t , wenn es sich um eine bei normalem Verlauf der Dinge als dauernd gedachte, nicht von vornherein zur Wiederaufhebung bestimmte Benutzung handelt (RG 62, 4 1 1 ; RG WarnRspr 1924 Nr. 119); ferner nicht, wenn der Grundstückseigentümer lediglich für den Fall, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse es gestatten sollten, in Aussicht nimmt, einen gegenwärtigen Fabrikbetrieb durch einen anderen zu ersetzen, sofern die Erfüllung dieses Wunsches zweifelhaft ist (Rostock O L G 5, 77). Bei Baggern, Gleisen usw., die für eine Kiesgrube eingesetzt sind, handelt es sich nicht etwa deshalb um eine bloß vorübergehende Benutzung für die Zwecke der Kiesgrube, weil die Kiesgrube eines Tages erschöpft sein wird; denn wenn überhaupt anerkannt wird, daß das Kiesgrubengrundstück einem Dauerzweck im Sinne des § 97 Abs. 1 Satz 1 dient (s. Anm. 13), nämlich als Kiesgrube, dann kann nicht von nur vorübergehender Benutzung der Bagger usw. für den Zweck der Kiesgrube gesprochen werden, wenn jene dem Zweck der Kiesgrube für die Dauer ihrer Ausbeutung oder zumindest für die Lebensdauer der Bagger usw. zu dienen bestimmt sind (vgl. Kassel J W 1934, 2715'). 17

Komm. z. B G B . t i . Aufl. I. Bd. (Kregel)

257

§97 Anm. 29—33

Allgemeiner Teil

Anm. 29 Auch wenn die d i e n e n d e S a c h e nur eine b e s c h r ä n k t e L e b e n s d a u e r hat, aber diese ganze Zeit der Hauptsache dienen soll, liegt keine nur vorübergehende Benutzung im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1 vor (RG H R R 1930 Nr. 277). Daher können Baustoffe, Brennstoffe und sonstige Fabrikationshilfsmittel, die nur einmal benutzbar sind, Zubehör sein (vgl. Anm. 18, 21). Dagegen sind Sachen, die lediglich zur Veräußerung bestimmt sind, nur vorübergehend zum Dienste an der Hauptsache bestimmt, falls man darin überhaupt ein Dienen für die Hauptsache sieht (vgl. Prot. 3, 18, wo gesagt wird, daß das zum Verkauf bestimmte Jungvieh an sich nur vorübergehend dem wirtschaftlichen Zwecke des Grundstücks diene). Der gegenteiligen Ansicht in R G 77, 36, 38; RG H R R 1930 Nr. 277; R G Gruchot 53, 899, 900 kann nicht gefolgt werden. Demgemäß sind nach der hier vertretenen Ansicht zum Verkauf bestimmte Erzeugnisse und sonstige Waren nicht Zubehör. So gelten nicht als Grundstückszubehör: verkäufliche Baumschulbestände (RG 66, 88, go; Kiel O L G 20, 38); zum Verkauf bestimmte Erntevorräte (RG 143, 33, 3gf); Ziegelvorräte in einer Ziegelei (Königsberg O L G 14, 10; Breslau O L G 14, 105; Dresden O L G 14, 106); Bierbestände einer Brauerei (OLG Kiel SeuffArch 66 Nr. 146); wegen der besonderen Umstände bei Vieh s. Anm. 23 und §98 Anm. 13. Anm. 30 In der Regel werden Sachen eines Mieters oder Pächters nur vorübergehend für den Zweck der gemieteten oder gepachteten Sache benutzt (Karlsruhe O L G 7, 350; Bamberg O L G 14, 8). Entsprechendes gilt, falls es sich darum handelt, ob eine vom Grundstückseigentümer gemietete oder geliehene Sache Zubehör des Grundstücks ist (vgl. aber auch O L G Kassel J W 1934,2715', wo mit Recht eine dauernde Benutzung angenommen worden ist, weil die Miete nur als Vorstufe des Eigentumserwerbs gedacht war). Ein Miet- oder Pachtverhältnis braucht im Zusammenhang mit § 97 Abs. 2 Satz 1 nicht als vorübergehend behandelt zu werden, wenn seine Verlängerung jeweils nach Ablauf der Miet- oder Pachtzeit zu erwarten ist (RG 47, 197, 202); bei der „vorübergehenden Benutzung" im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1 gilt also eine etwas andere Betrachtungsweise als bei der „Verbindung zu einem vorübergehenden Zwecke" i. S. des §95 (s. §95 Anm. 12 ff, insbesondere Anm. 17 ff). Übrigens erkennt das Pachtkreditgesetz vom 5.8. 1951, BGBl I 494, das dem Pächter eines landwirtschaftlichen Grundstücks gehörige Inventar als solches, also als dem Grundstückseigentümer nicht gehörendes Grundstückszubehör an (RG 142, 201, 203 nimmt hier entgegen der sonstigen Gesetzessystematik, die kein Unternehmenszubehör kennt — vgl. Anm. 7 —, Zubehör nicht des Grundstückes, sondern des „Wirtschaftsbetriebes" an). Befinden sich Maschinen, die zu einem Fabrikbetriebe benutzt werden, zunächst auf einem gemieteten Grundstück, und erwirbt der Fabrikbesitzer dann das Eigentum am Grundstück, so ist nunmehr davon auszugehen, daß die ehedem zur vorübergehenden Benutzung eingebrachten Maschinen fortan der dauernden Benutzung auf dem Grundstück gewidmet und damit Zubehör des Fabrikgrundstückes geworden sind (RG 132, 321, 324; vgl. auch RG J W 1903 Beil. 45 1 0 1 ; siehe Anm. 14). Anm. 31 Die B e w e i s l a s t dafür, daß es sich nur um eine vorübergehende Benutzung handelt, trägt derjenige, der die Zubehöreigenschaft leugnet (Kolmar O L G 6, 270; Karlsruhe O L G 7, 350). Anm. 32 Ob es sich um eine vorübergehende oder um eine dauernde Benutzung handelt, ist keine rein tatsächliche Frage und daher vom R e v i s i o n s g e r i c h t rechtlich nachzuprüfen (RG 55, 281, 284; RG WarnRspr 1924 Nr. 119). 2. Die vorübergehende Trennung von Zubehör und Hauptsache Anm. 33 Nach § 97 Abs. 2 Satz 2 hebt die vorübergehende Trennung eines Zubehörgrundstücks von der Hauptsache die Zubehöreigenschaft nicht auf. Daher schadet es nichts, 258

Sachen

§97

Anm. 34—37

wenn Sachen zeitweilig von der Hauptsache getrennt werden müssen, auch wenn sie gerade dadurch ihre Zweckbestimmung erfüllen, z. B. Versandgefäße, Fahrzeuge und Zugtiere, Baugeräte (Fundstellen s. Anm. 15, 26).

Anm. 34 Eine Entfernung von Zubehörstücken, um sie auszubessern, ist auch dann noch vorübergehend, wenn die Ausbesserung mehrere Monate dauert ( K G O L G 6, 2 1 3 ) .

3. Die Aufhebung der Zubehöreigenschaft Anm. 35 Die Zubehöreigenschaft wird aufgehoben, wenn eine ihrer Voraussetzungen f ü r d i e D a u e r fortfällt, wenn also die Zubehörstücke nicht mehr selbständige bewegliche Sachen sind, oder wenn der Eigentümer ihre Benutzung f ü r die Zwecke der Hauptsache dauernd aufgibt (z. B. Wirtschaftsinventar fortan nur noch für sich persönlich benutzt: R G WarnRspr 1909 Nr. 175), oder wenn die Hauptsache dem ihr gegebenen wirtschaftlichen Zwecke entfremdet wird ( R G Gruchot 53, 899, goo), oder im Falle dauernder Trennung. Fällt dagegen eine Voraussetzung der Zubehöreigenschaft nur vorübergehend weg, so bleiben die Sachen Zubehör, und zwar nicht nur (wie es nach den Gesetzesworten scheinen könnte) im Falle einer Trennung, sondern auch in jedem anderen Falle. Deshalb wird dadurch, daß der Betrieb einer Fabrik zeitweilig (z. B. infolge der Konkurseröffnung) eingestellt wird, oder daß ein Werk zur Zeit betriebsunfähig (z. B. eine Zeche „ersoffen") ist, die Zubehöreigenschaft nicht aufgehoben, wenn mit der Möglichkeit der Wiederaufnahme des Betriebes gerechnet wird ( R G 77, 36, 40; R G J W 1903 Beil. 45 1 » 1 ; 1907, 129 8 ; R G Gruchot 53, 899, 9 0 1 ; R G H R R 1930 Nr. 277; Kassel O L G 15, 326). Die Zubehöreigenschaft geht durch eine nachträgliche Einschränkung des Gewerbebetriebes nicht verloren ( R G J W 1936, 3377 1 ). Eine Betriebseinstellung auf 99 J a h r e kommt aber praktisch einer Einstellung für immer gleich und hebt die Zubehöreigenschaft f ü r Maschinen auf dem Grundstück der stillgelegten Fabrik auf ( R G WarnRspr 1934 Nr. 56). Nach Augsburg O L G 35, 1 3 5 wird die Zubehöreigenschaft noch nicht dadurch aufgehoben, daß der Eigentümer Zubehörstücke öffentlich zum K a u f anbietet, sofern nur die Sachen in dem bisherigen räumlichen Verhältnisse geblieben sind; diese Entscheidung kann nicht gebilligt werden, denn ebenso wie f ü r die Begründung der Zubehöreigenschaft ist auch für die Fortdauer der Zubehöreigenschaft Voraussetzung, daß die Sachen bestimmt sind und auch bestimmt bleiben, dem Zwecke der Hauptsache zu dienen; dabei kommt es auf den Willen des Bestimmenden an (vgl. Anm. 14).

V. Die Verkehrsanschauung über die Zubehöreigenschaft Anm. 36 Eine Sache ist nicht Zubehör, wenn sie im Verkehr nicht als Zubehör angesehen wird. Verkehrsauffassung ist die Anschauung, die sich allgemein oder doch in einem bestimmten Verkehrsgebiet gebildet hat und in den Lebens- und Geschäftsgewohnheiten aller Beteiligten in Erscheinung tritt ( R G 77, 241, 244; R G WarnRspr 1930 Nr. 49). Es kommt nicht darauf an, ob die beteiligten Kreise etwas „ Z u b e h ö r " nennen, sondern darauf, ob der Verkehr die annähernde Vorstellung der rechtlichen Folgen hat, die das Gesetz an den Zubehörbegriff knüpft ( O L G Frankfurt H R R 1932 Nr. 2235). Eine abweichende Verkehrsanschauung gibt stets den Ausschlag, auch wenn alle sonstigen Voraussetzungen der Zubehöreigenschaft nach den §§ 97, 98 gegeben sind (anders in den Fällen des § 478 H G B für gewisses Schiffsinventar und des § 9 Kabelpfandgesetz vom 3 1 . 3. 1925, R G B l I 37). Uber die Bedeutung der Verkehrsauffassung zur Abgrenzung zwischen Zubehör und Bestandteil s. § 93 Anm. 9.

Anm. 37 Die V e r k e h r s a n s c h a u u n g kann in verschiedenen Gegenden v e r s c h i e d e n sein. So sind Öfen in gewissen Gegenden nicht Zubehör, weil sie dort in der Regel von den Mietern mitgebracht werden (Prot. 3, 19). Ferner ist das auf Holzfußboden liegende Linoleum nach Hamburger Verkehrsanschauung nicht Zubehör (Hamburg O L G 45, u*

259

§ 97 Anm. 38, 39

§98

Allgemeiner Teil

n o ; anders in München: OLG München SeuffArch 74 Nr. 157). Ein Musikautomat in einer Gastwirtschaft ist infolge einer entgegenstehenden Verkehrsauffassung nicht als Zubehör aufgefaßt worden (Stettin OLG 4, 204; aM Hamm OLG 5, 78; vgl. auch für Schokoladeautomaten und automatische Waage Celle OLG 24, 249); ferner ist in Hamburg die Einrichtung einer Gastwirtschaft nicht Zubehör des Hauses, auch wenn dieses für den Wirtschaftsbetrieb dauernd eingerichtet ist (Hamburg OLG 38, 30; anders in Bremen: Hamburg OLG 31, 193); ebenso in Frankfurt/Main nicht die Einrichtung eines Kaffehauses, wenn es sich nicht um ein Kaffeehaus mit eigener architektonischer Gestaltung handelt, bei dem das Inventar stilmäßig mit dem Raum eine Einheit bildet und eigens für diesen Raum gefertigt ist (OLG Frankfurt H R R 1932 Nr. 2235; anders OLG Jena J W 1933, 92410); ferner wird in RG J W 1909, 48s 5 eine gegen die Zubehöreigenschaft sprechende Verkehrsanschauung für die Ladeneinrichtung eines Metzgereigeschäftes für wahrscheinlich gehalten; umgekehrt ist in RG Gruchot 52, 116 bei der Einrichtung einer Gastwirtschaft eine der Zubehöreigenschaft entgegenstehende örtliche Verkehrsauffassung verneint worden, ebenso offenbar auch in OLG Marienwerder J W 1932, 209712 für die Einrichtung eines Kolonialwarengeschäftes. Vgl. auch RG 77, 36, 39 (für Kohlenvorräte); OLG Naumburg J W 1929, 793' (für Milchregister und Viehjournale eines Landgutes); Dresden OLG 2, 342 (für Schweine auf einem Landgut); Marienwerder OLG 8, 417 (für eine Feldbahn). Anm. 38 In einer abweichenden Verkehrsauffassung ist auch der Grund dafür zu sehen, daß z. B. die Einrichtung eines Eigenheimes und die dort gelagerten Kohlenvorräte nicht als Zubehör anzusehen sind, obwohl diese Sachen ebensogut dem Wohnzwecke des Hauses zu dienen bestimmt sind, wie die Kontormöbel und die Kohlenvorräte eines Fabrikgebäudes dem gewerblichen Zwecke der Fabrik. Anm. 39 Liegen die sonstigen Voraussetzungen der Zubehöreigenschaft vor, so hat der, welcher behauptet, daß der Verkehr die Sache nicht als Zubehör auffasse, die Beweis last hierfür, und das Bestehen einer die Zubehöreigenschaft ausschließenden Verkehrsauffassung muß festgestellt werden (RG 77, 241, 244; 158, 362, 369; RG J W 1909, 70a = WarnRspr 1909 Nr. 175; RG J W 1914, 4601 = WarnRspr 1914 Nr. 324; RG H R R 1930 Nr. 277; Kolmar OLG 6, 270; Naumburg OLG 22, 122). Dazu genügt nicht der Nachweis, daß in früheren Jahren eine solche Verkehrsauffassung bestanden habe; das gegenwärtige Bestehen der Verkehrsauffassung muß dargetan werden. Eine Vermutung für die Dauer einer Verkehrsanschauung besteht nicht, da sich der Verkehr den jeweiligen Verhältnissen anpaßt und die Verkehrsanschauung sich im Laufe der Jahre ändern kann (RG J W 1914, 4601 = WarnRspr 1914 Nr. 324; vgl. auch bezüglich der Zubehöreigenschaft von Vieh in der Landwirtschaft OLG Zweibrücken J W 1937, 296910, allerdings unter Hinweis auf die damals propagierten Anschauungen vom Bauerntum). Wenn das gegenwärtige Bestehen oder Nichtbestehen einer Verkehrsanschauung aus früheren Gerichtsentscheidungen entnommen werden soll, so ist dabei Vorsicht geboten. Über die Notwendigkeit gerichtlicher Ermittlungen über die Verkehrsanschauung siehe RG J W 1938, 39127; 1390 6 ; s. auch Anm. 7 (am Ende). § 9 8 Dem wirtschaftlichen Zwecke der Hauptsache sind zu dienen bestimmt: 1. bei einem Gebäude, das für einen gewerblichen Betrieb dauernd eingerichtet ist, insbesondere bei einer Mühle, einer Schmiede, einem Brauhaus, einer Fabrik, die zu dem Betriebe bestimmten Maschinen und sonstigen Gerätschaften; 2. bei einem Landgute das zum Wirtschaftsbetriebe bestimmte Gerät und Vieh, die landwirtschaftlichen Erzeugnisse, soweit sie zur Fortführung 260

Sachen

§98 Anm. 1, 2

der Wirtschaft bis zu der Zeit erforderlich sind, zu welcher gleiche oder ähnliche Erzeugnisse voraussichtlich gewonnen werden, sowie der vorhandene auf dem Gute gewonnene Dünger. E I 791 II 771; M 3 66; P 3 17.

U b ersieht

Anm.

I. Das Verhältnis des § 98 zu § 97 1 II. Das Inventar eines zum Gewerbebetrieb eingerichteten Gebäudes . . . 2—9 1. Das Gebäude als Hauptsache 2 2. Mühle, Schmiede, Brauhaus, Fabrik 3 3. Der gewerbliche Betrieb 4 4. Die dauernde Einrichtung zum gewerblichen Betriebe 5 5. Zum Betriebe bestimmte Maschinen und sonstige Gerätschaften . . . 6—9 III. Das Inventar eines Landgutes 10—15 1. Das Landgut als Hauptsache 10, 11 2. Das zum Wirtschaftsbetriebe bestimmte Gerät 12 3. Das zum Wirtschaftsbetriebe bestimmte Vieh 13 4. Landwirtschaftliche Erzeugnisse, die zur Fortführung der Wirtschaft erforderlich sind 14 5. Der auf dem Gute gewonnene Dünger 15 I. Das Verhältnis des § 98 zu § 97 Anm. 1 Indem das Gesetz sagt, daß die in § 98 aufgeführten (gewöhnlich als Inventar bezeichneten: vgl. Vorbem. 4 zu §§97, 98) Sachen dem wirtschaftlichen Zwecke der Hauptsache zu dienen bestimmt seien, stellt es nur diese eine Voraussetzung der Zubehöreigenschaft zwingend fest. Zubehör sind die Sachen aber nur, wenn auch die anderen Voraussetzungen des §97 vorliegen (RG 63, 416, 418; 67, 30, 34; RG J W 1909, 702 = WarnRspr 1909 Nr. 175). Die Sachen dürfen also nicht Bestandteile der Hauptsache sein (s. § 97 Anm. 8); sie müssen in einem ihrer Bestimmung entsprechenden räumlichen Verhältnis zur Hauptsache stehen (s. § 97 Anm. 24 fr); sie dürfen nicht nur vorübergehend für den Zweck der Hauptsache benutzt werden (s. §97 Anm. 27 fr); schließlich darf keine Verkehrsanschauung bestehen, die die Zubehöreigenschaft ablehnt (s. § 97 Anm. 36ff). Andererseits soll § 98 nicht nur den § 97 erläutern, sondern (entgegen beiläufigen Äußerungen in RG 66, 356, 358; 77, 36, 38) auch insofern erweitern, als unter den Voraussetzungen des § 98 stets angenommen werden muß, daß eine Sache dem Zwecke der Hauptsache dient, auch wenn dies nach § 97 nicht anzunehmen wäre. Der § 98 will für die hier genannten Gebäude und Landgüter keine erschöpfende Aufzählung der als Zubehörstücke in Betracht kommenden Gegenstände geben, sondern nur die Anwendung des Zubehörbegriffs für die ausdrücklich bezeichneten, praktisch besonders wichtigen Fälle sichern (RG 66, 356, 358; 77, 36, 38; RG HRR 1933 Nr. 276). II. Das Inventar eines zum Gewerbebetriebe eingerichteten Gebäudes Anm. 2 1. Das Gebäude als Hauptsache Das Gesetz geht ersichtlich davon aus, daß ein Gebäude im Verhältnis zu den Maschinen und sonstigen Gerätschaften, die dem darin betriebenen Gewerbe dienen, stets als Hauptsache anzusehen ist, und zwar ohne Rücksicht auf das Verhältnis des Wertes der übrigen Sachen zu dem Werte des Gebäudes (RG 87, 43, 49). Sind Sachen Zubehör eines Gebäudes, so sind sie dadurch zugleich mittelbar Zubehör des Grundstückes, es sei denn, daß das Gebäude — etwa nach § 95 Abs. 1 — nicht wesentlicher Bestandteil des Grundstückes ist (RG 89, 61, 63; vgl. auch § 97 Anm. 2). 261

§98

Anm. 3—5

Allgemeiner Teil

Anm. 3 2. Mühle, Schmiede, Brauhaus, Fabrik Unter einer Mühle, einer Schmiede, einem Brauhaus, einer Fabrik versteht der gewöhnliche Sprachgebrauch nicht nur das Gebäude, das zur Aufnahme des Betriebs dient, sondern auch das aus der Baulichkeit und der Einrichtung gebildete Ganze. Auch nach dem B G B wird man trotz der Wortstellung nichts anderes darunter zu verstehen haben, da die Baulichkeit selbst noch nicht den Charakter einer Fabrik usw. zu haben braucht. — Darüber hinaus hat insbesondere das Wort „ F a b r i k " eine mehrfache Bedeutung: j e nach den Umständen, unter denen es angewandt wird, kann darunter auch gemeint sein ein Fabrikationsunternehmen nebst der zum Betriebe erforderlichen Einrichtung, ähnlich wie man unter einem kaufmännischen Geschäft ein handelsgewerbliches Unternehmen nebst Geschäftseinrichtung versteht ( R G 83, 54, 59; 83, 67, 71). I n § 98 Nr. 1 bedeutet Fabrik das eingerichtete Gebäude, nicht das Unternehmen; s. aber § 97 Anm. 7.

Anm. 4 3. Der gewerbliche Betrieb Unter einem gewerblichen Betriebe ist jede auf Erwerb im weitesten Sinne gerichtete Tätigkeit zu verstehen, die eine ständige Einrichtung zur Voraussetzung hat. Dazu gehören a u ß e r den in § 98 genannten B e i s p i e l e n : eine Ziegelei ( R G J W 1909, 485 4 ; Königsberg O L G 14, 1 0 ; Breslau O L G 14, 1 0 5 ; Dresden O L G 14, 106); ein Baugeschäft ( O L G H a m m J M B 1 N R W 1953, 244); eine Holzsägerei mit Holzhandlung ( R G 69, 85); eine Tischlerei ( O L G Stettin H R R 1934 Nr. 1 6 1 ) ; eine Schlosserei (Oldenburg O L G 12, 1 0 ) ; eine Druckerei ( R G J W 1 9 1 6 , 3 2 1 6 ; R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 286); eine Molkerei oder Meierei ( R G 77, 2 4 1 ; O L G Hamburg SeufFArch 63 Nr. 8 1 ) ; eine Fleischerei, Metzgerei, Schlachterei ( R G J W 1909, 485®; Kassel O L G 15, 3 2 6 ; Hamburg O L G 24, 247); eine Bäckerei (Naumburg O L G 22, 1 2 2 ; Rostock O L G 22, 1 2 3 ) ; eine Konditorei ( O L G J e n a J W 1923, 924 1 0 ); eine Gastwirtschaft oder ein Gasthof ( R G 47, 1 9 7 ; 48, 207; R G J W 1904, 403 3 ; R G WarnRspr 1 9 1 0 Nr. 3 1 2 ; R G Gruchot 52, 106; R G SeuffArch 56 Nr. 194; Dresden O L G 2, 499; H a m m O L G 5, 78; Marienwerder O L G 6, 2 1 2 ; Celle O L G 24, 249); ein Kolonialwarengeschäft ( O L G Marienwerder J W 1932, 2097 1 2 ); eine Apotheke ( R G WarnRspr 1909 Nr. 4 9 1 ; p r O V G J W 1920, 7 1 3 ) ; ein Reitinstitut ( R G Gruchot 67, 166); ein Speditions- und Fuhrgeschäft ( R G J W 1936, 3 3 7 7 1 ; R G WarnRspr 1 9 1 7 Nr. 1 7 1 ; Dresden O L G 15, 310).

Anm. 5 4. Die dauernde Einrichtung zum gewerblichen Betriebe Für einen gewerblichen Betrieb ist ein Gebäude dauernd eingerichtet, wenn es gerade f ü r die bestimmte Betriebsart, zu der es benutzt wird, eingerichtet ist. Der Begriff des „Einrichtens" in § 98 Nr. 1 ist anders als der Begriff des „Einfügens" in § 94 Abs. 2 (vgl. R G WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 106). Ein Gebäude kann sich durch seine eigenartige Gliederung oder durch seine sonstige Bauart als für einen gewerblichen Betrieb dauernd eingerichtet darstellen ( R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 286). Notwendig ist das aber nicht ( a M R G J W 1909, 485°). Vielmehr ist ein Gebäude für einen gewerblichen Betrieb auch dann eingerichtet, wenn es mit Gegenständen, die dem Betrieb dieses Gewerbes dienen, derart verbunden ist, daß das Ganze erkennen läßt, es sei dazu bestimmt, dauernd zum Betrieb dieses Gewerbes benutzt zu werden ( R G J W 1 9 1 6 , 3 2 1 6 ; R G WarnRspr 1909 Nr. 4 9 1 ; 1 9 1 2 Nr. 286; R G SeuffArch 56 Nr. 194). Es genügt auch, daß nur ein Teil eines Gebäudes für den Gewerbebetrieb dauernd eingerichtet ist ( R G 48, 207; R G J W 1916, 3 2 1 6 ; R G WarnRspr 1909 Nr. 4 9 1 ; 1 9 1 2 Nr. 286; Marienwerder O L G 6, 2 1 2 ; O L G Hamburg SeuffArch 74 Nr. 120). Dauernd aber ist eine Einrichtung dann nicht, wenn sie für einen von vornherein begrenzten Zeitraum oder lediglich für die persönlichen Bedürfnisse des gegenwärtigen Besitzers getroffen ist ( R G J W 1909, 485*; R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 286; vgl. § 97 Anm. 13). Nach R G J W 1909, 485® kann ein Metzgerladen in einem städtischen Wohnhause mit einem Hinterhause, das zum Betriebe einer Wurstfabrik eingerichtet ist, mangels besonderer baulicher Be-

262

Sachen

§98

Anm. 6—9

schaffenheit für verschiedene Geschäftsarten betrieben und daher nicht als dauernde Einrichtung angesehen werden; nach RFinH J W 1922, 834® sind Einrichtungsgegenstände einer Apotheke nicht Zubehör des Gebäudes, weil das Gebäude für den Apothekenbetrieb nicht wie bei einer Mühle, Schmiede usw. besonders eingerichtet ist. Diese beiden Entscheidungen stehen in gewissem Gegensatz z. B. zu den Entscheidungen R G J W 1916, 321 6 (Druckerei); R G WarnRspr 1909 Nr. 491 (Apotheke); 1912 Nr. 286 (Druckerei); O L G Marienwerder J W 1932, 2097 12 (Kolonialwarengeschäft); Marienwerder O L G 6, 212 (Gastwirtschaft). Ist ein Gebäude, das für einen gewerblichen Betrieb eingerichtet werden soll, noch nicht fertiggestellt, so sind Maschinen, die als B e t r i e b s m i t t e l für den künftigen Betrieb bestimmt sind, aber noch unbenutzt auf dem Grundstücke lagern, nicht Zubehör des bisher Erbauten; denn eine Sache kann dem wirtschaftlichen Zwecke einer anderen Sache (Hauptsache) nur dann dienen, wenn die andere Sache bereits in bestimmter Art entstanden ist; vorher kann die (noch nicht in ihrer besonderen Art entstandene) Hauptsache kein Zubehör haben (RG 89, 61, 64; s. § 97 Anm. 17).

5. Zum Betriebe bestimmte Maschinen und sonstige Gerätschaften Anm. 6 Maschinen und sonstige Gerätschaften, die für den Betrieb bestimmt sind, für den das Gebäude selbst dauernd eingerichtet ist, gelten niemals als bloß den persönlichen Bedürfnissen des gegenwärtigen Besitzers, sondern immer als dem wirtschaftlichen Zwecke des Gebäudes zu dienen bestimmt (Mot. 3, 66; vgl. auch R G Gruchot 67, 166). Dazu gehören auch solche Geräte, die dem Vertriebe der fertiggestellten Waren dienen sollen (RG 47, 197; R G Gruchot 53, 899; s. auch § 97 Anm. 15). Andere Beispiele sind: die Einrichtung von Hotels und Gastwirtschaften (Tische, Stühle, Büfetts, Ladentische, Billards, Registrierkassen, Gläser, Flaschen: R G 48, 207; R G J W 1904, 403 3 ; R G Gruchot 52, 1 1 6 ; R G SeuffArch 56 Nr. 194; O L G K i e l J W 1933, 1422'; Hamm O L G 5, 78; Marienwerder O L G 6, 212); die Kontoreinrichtung eines Fabrikgebäudes (Jena O L G 13, 314, wo aber mit Unrecht Schreibmaschinen und Schreibgerät mit der Begründung ausgenommen worden sind, sie seien leicht zu ersetzen; dies ist kein geeignetes Unterscheidungsmerkmal; vielmehr muß dabei auf die Verkehrsanschauung abgestellt werden; vgl. § 97 Anm. 36 f f ) ; die Einrichtung einer Apotheke (RG WarnRspr 1909 Nr. 491); Fahrzeuge und Pferde eines Speditions- und Fuhrgeschäfts ( R G J W 1936, 3377 1 ; R G WarnRspr 1917 Nr. 1 7 1 ; Dresden O L G 15, 310); Stalleinrichtungen für ein Reitinstitut (RG Gruchot 67, 166). Zum Betriebe bestimmte Gerätschaften sind auch dann bereits Zubehör, wenn sie zwar noch nicht ihrer endgültigen Bestimmung gemäß verwendet werden, aber schon in ein entsprechendes räumliches Verhältnis zu dem für den Betrieb dauernd eingerichteten Gebäude (z. B. auf das Fabrikgrundstück) gebracht worden sind (RG 51, 272; Königsberg O L G 28, 19; §97 Anm. 25). Weitere Einzelheiten ergeben sich aus §97 Anm. 15—22).

Anm. 7 Der Begriff der „ B e s t i m m u n g " deckt sich mit dem Begriffe in § 97 Abs. 1 Satz 1 ; vgl. dort Anm. 14.

Anm. 8 Darüber, ob Maschinen B e s t a n d t e i l e von Gebäuden und daher nicht Zubehör sind, s. Vorbem. 6 zu §§ 93—95; § 93 Anm. 18—20, 53; § 94 Anm. 13.

Anm. 9 Gerätschaften im Sinne des § 98 Nr. 1 sind außer Maschinen z. B. Dampfkessel, Tanks und Bottiche in einem Brauhaus (RG WarnRspr 1914 Nr. 106; O L G Hamburg SeuffArch 74 Nr. 120); Sammlerbatterien und Leitungsnetze eines Elektrizitätswerks (RG WarnRspr 1908 Nr. 155); Stalleinrichtungen für ein Reitinstitut (RG Gruchot 67, 166); Schaukästen usw. eines Kolonialwarengeschäfts ( O L G Marienwerder J W 1932, 2097 12 ; die Registrierkasse einer Gastwirtschaft ( O L G K i e l J W 1933, 1422 7 ); Kraftwagen ( O L G Hamm J M B 1 N R W 1953, 244). Unter ihnen kann man aber trotz

263

§98

Allgemeiner Teil

Anm. 10—13 der Gegenüberstellung mit Vieh in § 98 Nr. 2 nicht bloß leblose Gegenstände verstehen; denn es liegt kein Grund vor, zum Gewerbebetriebe bestimmte Tiere anders zu behandeln als sonstige Zubehörstücke, wenn alle Voraussetzungen des § 97 zutreffen. Daher können Pferde auch nach § 98 Abs. 1 Zubehör sein ( R G 69, 8 5 ; vgl. § 97 Anm. 15).

III. Das Inventar eines Landgutes 1. Das Landgut als Hauptsache Anm. 10 Landgut ist nicht jedes landwirtschaftlich

benutzte Grundstück, sondern nur eines, das zum selbständigen Betriebe der Landwirtschaft geeignet ist ( O L G Königsberg SeuffArch 64 Nr. 8 5 ; Marienwerder O L G 22, 1 2 5 ; Rostock O L G 29, 2 1 1 ) ; vgl. §§ 593, 1822 Nr. 4, 2049, 2 3 1 2 (Landgut) mit §§582—584, 5 9 1 , 592 (landwirtschaftliches Grundstück). Ein preußisches Gesetz betr. das Anerbenrecht in einigen preuß. Gebieten vom 2. 7. 1898, dort § 2, gab folgende auch jetzt noch brauchbare Begriffsbestimmung: „ L a n d g u t ist jede ihrem Hauptzwecke nach zum Betriebe der Land- oder Forstwirtschaft bestimmte und zur selbständigen Nahrungsstelle geeignete Besitzung, welche mit einem, wenn auch räumlich von ihr getrennten Wohnhause versehen ist." Daher ist das Hausgrundstück eines Ackerbürgers, auf dem er Schweine hält, nicht schon dann ein Landgut, wenn er außerhalb des Gemeindeweichbildes noch einzelne Parzellen besitzt, die er verpachtet hat (Rostock O L G 29, 2 1 1 ) . Andererseits stellt ein landwirtschaftlicher Betrieb, dessen landwirtschaftliche Nutzfläche zum größten Teile von dritter Seite zugepachtet worden ist, ein Landgut dar, wobei das Grundstück mit dem Wirtschaftsgebäude als Hauptsache anzusehen ist ( O L G Stettin J W 1932, 1 5 8 1 1 3 ) . Auch eine Geflügelfarm kann sich als Landgut im Sinne des § 98 Nr. 2 darstellen ( O L G Braunschweig J W 1932, 2456 1 0 ; O L G Frankfurt H R R 1932 Nr. 1 9 1 5 ; a M O L G Celle J W 1932, 2456").

Anm. 11 Z u m W i r t s c h a f t s b e t r i e b e eines Landgutes können Ackerbau, Forstwirtschaft, Teichwirtschaft und Viehzucht gehören; die letztere, soweit das Vieh seine Nahrung im wesentlichen aus dem Gute erhält ( R G WarnRspr 1909 Nr. 1 7 5 ; Stettin O L G 40, 4 1 3 ; O L G Kiel SeufFArch 68 Nr. 28). Durch den Betrieb eines Nebengewerbes, das hauptsächlich zur Verwertung der auf dem Gute gewonnenen Erzeugnisse dient oder einen geringen U m f a n g hat, wird der Charakter als Landgut nicht geändert ( R G WarnRspr 1909 Nr. 175).

Anm. 12 2. Das zum Wirtschaftsbetriebe bestimmte Gerät Z u den Geräten gehören Pflüge, Wagen (Marienwerder O L G 22, 125), Geschirr, Schlepper, Dreschmaschinen, ferner Haus- und Küchengerät, das zur gutseigenen Ausstattung der Wohnung eines Wirtschaftsbeamten und sonstigen landwirtschaftlichen Personals, nicht dagegen des Hauspersonals, dient ( R G WarnRspr 1909 Nr. 1 7 5 ; O L G Königsberg H R R 1941 Nr. 924), eine Feldbahn (Marienwerder O L G 8, 4 1 7 ) , Berieselungsanlagen. Z u dem Falle, daß das Gerät gleichzeitig mehreren Landgütern zu dienen bestimmt ist, s. § 97 Anm. 4.

Anm. 13 3. Das zum Wirtschaftsbetriebe bestimmte Vieh Welches Vieh zum Wirtschaftsbetriebe bestimmt ist, hängt grundsätzlich vom Willen des Landwirts ab ( R G 142, 379, 382; O L G Königsberg J W 1932, 194 2 6 ; Marienwerder O L G 22, 1 2 5 ; Stettin O L G 40, 4 1 3 ; vgl. §97 Anm. 14). Dazu können nicht bloß die Arbeits-(Zug-, Last-)Tiere gehören, sondern auch die zur Gewinnung von Erzeugnissen oder zur Viehzucht gehaltenen und aus der Viehzucht gewonnenen Tiere, z. B. Milchkühe (Augsburg O L G 37, 212), Pferde ( R G 92, 18, 20; K G J W 1926, 1033 4 ; Stettin

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Sachen

§98

Anm. 14, 15

O L G 40, 4 1 3 ) , Schweine (Dresden O L G 2, 342; Rostock O L G 3, 2 3 5 ; Marienwerder O L G 22, 1 2 5 ; O L G Kiel SeuffArch 68, 28), Federvieh ( R G WarnRspr 1909 Nr. 1 7 5 ; O L G Braunschweig J W 1932, 2456 1 0 ; O L G Frankfurt H R R 1932 Nr. 1 9 1 5 ; Rostock O L G 3, 2 3 5 ; K G O L G 15, 326). Auch das für den Verkauf gezogene Vieh ist zunächst Zubehör. Die Protokolle 3, 18 sagen dazu, auch das zum Verkaufe bestimmte J u n g vieh, das an sich nur vorübergehend dem wirtschaftlichen Zwecke eines Grundstücks diene, sei als Zubehör anzusehen. Das widerspricht zwar dem § 97 Abs. 2 Satz 1, wird aber trotzdem in der Praxis so gehandhabt. M a n kann das verkaufsfähig gewordene Vieh auch nicht ohne weiteres mit den fertigen Erzeugnissen eines Fabrikbetriebes vergleichen, da diese Tiere fortdauernd ernährt werden müssen und andererseits durch ihren Dünger, gegebenenfalls auch durch ihre Erzeugnisse dem Gute Vorteile bringen. Solches Vieh verliert regelmäßig die Zubehöreigenschaft erst dann, wenn das im § 97 Abs. 1 Satz 1 vorausgesetzte räumliche Verhältnis aufhört, also z. B. dann, wenn ein Tier zum Verkauf auf den Tiermarkt gebracht wird ( O L G München J W 1934, 1802 9 ), ferner aber auch schon dann, wenn ein Tier auf dem Gut endgültig zum Verkauf bestimmt und bereit gehalten wird ( R G 142, 379, 382). Das letztere kann in der Regel angenommen werden, wenn das Vieh die Mastreife erreicht hat ( R G 142, 379, 382; O L G Königsberg J W 1932, 194 2 6 ; Marienwerder O L G 22, 125). Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt es Zubehör des Landguts, selbst wenn es für den Wirtschaftsbetrieb nicht mehr erforderlich sein sollte und zum baldigen Verkauf gemästet wird ( R G H R R 1933 Nr. 1 1 8 5 ) . Jungvieh, das nur vorübergehend (für etwa 1 J a h r ) vom Hauptgut auf ein Vorwerk zur Weidenutzung gebracht ist, dann aber auf das Hauptgut zurückkommen, in dessen Herde eingereiht oder verkaufsreif gemacht werden soll, ist nicht Zubehör des Vorwerks, sondern bleibt Zubehör des Hauptguts ( R G WarnRspr 1935 Nr. 16). — Auch bei dem unter § 98 Nr. 2 fallenden Vieh bleibt § 97 Abs. 1 Satz 2 zu beachten (s. § 97 Anm. 3 6 f f ) . — Wenn ein Bauer zugleich Viehhändler ist und bei ihm Handelsvieh steht, so ist das Handelsvieh kein Zubehör des Landguts ( R G 163, 104, 106).

Anm. 14 4. Landwirtschaftliche Erzeugnisse, die zur Fortführung der Wirtschaft erforderlich sind Unter landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die zur Fortführung der Wirtschaft erforderlich sind, versteht man hier z. B. Saatgut und Viehfutter ( R G J W 1920, 552®; München O L G 29, 244, 245), nicht dagegen — wegen seiner Erwähnung an anderer Stelle — Vieh- und Naturdünger. Landwirtschaftliche Erzeugnisse in diesem engeren Sinne sind Zubehör, auch wenn sie nicht auf dem Gute gewonnen, sondern zugekauft und auf dem Gute eingelagert sind (streitig; R G J W 1920, 552 3 ). Auch solche landwirtschaftlichen Erzeugnisse sind Zubehör des Gutes, die auf einem anderen, von dem Eigentümer mitbewirtschafteten (z. B. gepachteten) Grundstück gewachsen, aber auf das Gut geschafft worden und zur Fortführung von dessen Wirtschaft erforderlich sind; Zubehör des anderen (gepachteten) Grundstückes sind die Erzeugnisse schon deshalb nicht, weil es an der nach § 97 erforderlichen räumlichen Vorbedingung fehlt ( R G J W 1920, 552 3 ). Soweit allerdings R G J W 1920, 552 3 auch zum Verkauf bestimmte Erntevorräte (und zwar nicht nur von eigenen, sondern auch von Pachtgrundstücken) als Zubehör gelten läßt, kann diese Ansicht nicht geteilt werden; denn die Verkaufsernte ist nicht zur Fortführung der Wirtschaft im Sinne des § 98 Nr. 2 erforderlich; darauf, daß der Verkaufserlös für den Wirtschaftsbetrieb und seine Fortführung benötigt wird, kann es hier nicht ankommen. Daher sind zum Verkauf bestimmte Erntevorräte nicht Zubehör ( R G 143, 33, 3 g f ) .

Anm. 15 5. Der auf dem Gute gewonnene Dünger Nur der auf dem Gute gewonnene (in der Regel also natürliche) Dünger ist nach § 98 Zubehör. Zugekaufter natürlicher oder künstlicher Dünger wird aber im allgemeinen nach §97 Zubehör sein (s. §97 Anm. 21).

265

§99

Anm. 1—3

Allgemeiner Teil

§ 9 9 Früchte einer Sache sind die Erzeugnisse der Sache und die sonstige Ausbeute, welche aus der Sache Ihrer Bestimmung gemäß gewonnen wird. Früchte eines Rechtes sind die Erträge, welche das Recht seiner Bestimmung gemäß gewährt, insbesondere bei einem Rechte auf Gewinnung von Bodenbestandteilen die gewonnenen Bestandteile. Früchte sind auch die Erträge, welche eine Sache oder ein Recht vermöge eines Rechtsverhältnisses gewährt. El7S»H77k;M } 6 7 ;P3i3.

Ubersicht Anm.

I. Früchte im allgemeinen 1. Begriff und Einteilung 2. Erwerb der Früchte II. Früchte einer Sache (Abs. 1) 1. Erzeugnisse der Sache 2. Sonstige bestimmungsmäßige Ausbeute a) Ausbeute b) „ihrer (der Ausbeute) Bestimmung g e m ä ß " III. Früchte eines Rechts (Abs. 2) 1. Allgemeines 2. Erträge 3. „seiner (des Rechts) Bestimmung gemäß" 4. Bodenbestandteile I V . Früchte kraft Rechtsverhältnisses

i—7 1—4 5—7 8—10 8 9,10 9 10 11—14 11 12 13 14 15

I. Früchte im allgemeinen 1. Begriff und Einteilung Anm. 1 Das BGB gibt im § 99 für Früchte

Begriffsbestimmungen und Einteilungen, die für die zahlreichen Vorschriften maßgebend sind, die Bestimmungen über Früchte enthalten. In Betracht kommen namentlich die Vorschriften über Pacht (§§581 ff; J W 1922, 821 1 ), Nießbrauch (§§ 1030fr) und über die Verpflichtung zur Herausgabe von Sachen auf Grund eines dinglichen oder persönlichen Rechts (besonders §§ 256, 292, 987fr, 2020, 2038, 2133, 2184, 2379); dabei handelt es sich meist um den Begriff der Nutzungen, der den der Früchte einschließt (§ 100).

Anm. 2 Den Begriff der Früchte faßt das BGB sehr w e i t ; es rechnet nicht nur solche Sachen dazu, die nach natürlicher Anschauung als Früchte gelten, sondern auch die wirtschaftlichen Erträge von Sachen und Rechten. Es nimmt ferner im § 99 keine Rücksicht darauf, ob die Gewinnung der Früchte einer ordnungsmäßigen Wirtschaft entspricht. Nur durch einige Sondervorschriften trifft es Vorkehrungen gegen die unwirtschaftliche Ausbeutung einer Sache, indem es einzelnen Personen nur ein Recht auf die nach den Regeln ordnungsmäßiger Wirtschaft gezogenen Früchte einräumt, so z. B. im § 581 dem Pächter, im § 993 dem Besitzer, im § 1039 dem Nießbraucher ( R G 8o, 232), im § 2133 dem Vorerben. Hierdurch wird aber nur das Recht zur Fruchtgewinnung und zum Teil (wie in § 581 in Verbindung mit § 956; anders § 1039) der Eigentumserwerb daran betroffen. Früchte sind auch die ordnungswidrig getrennten Erzeugnisse (z.B. ein vom Pächter abgeholzter Wald).

Anm. 3 Die Einteilung

des § 99 beruht auf zwei sich durchkreuzenden Grundsätzen: einerseits wird zwischen Sach- und Rechtsfrüchten, anderseits zwischen natürlichen und sog. juristischen Früchten unterschieden. Im §101 wird nur auf den letzteren Unterschied

266

Sachen

§99

Anm. 4, 5 Rücksicht genommen. Besser wäre es mit S t a u d i n g e r - C o i n g Anm. 8 von unmittelbaren (statt „natürlichen") und mittelbaren (statt „juristischen" oder „bürgerlichen") Früchten zu sprechen.

Anm. 4 Im § 99 sind nur die Früchte einer Sache und eines Rechts gegenübergestellt; sonstige G e g e n s t ä n d e (§ 90 Anm. 6f), z. B. ein geschäftliches U n t e r n e h m e n , sind nicht erwähnt. Man kann aber auch die aus einem solchen Unternehmen, z. B. einem Gewerbebetrieb, gezogenen Reingewinne zu den Früchten rechnen (OLG 38, 147; B G H W M 1956, 91); stehen sie denen des Abs. 2 am nächsten (BGH 7, 218).

2. Erwerb der Früchte Anm. 5 Uber den Erwerb der Früchte treffen die §§ 99 ff keine Bestimmung. Der Eigentumserwerb an Erzeugnissen und anderen Früchten, die Bestandteile einer Sache sind, ist in den §§953ff behandelt (§953: Eigentümer; §954: dinglich Berechtigter; §955: Eigenbesitzer; §956: persönlich Berechtigter auf Grund Gestattung). Früchte eines Rechts fallen in der Regel dem zu, der Inhaber des Rechts ist, juristische Früchte des Abs. 3 dem, der nach dem Rechtsverhältnisse der Berechtigte ist. So stehen z. B. Mietund Pachtzinsforderungen demjenigen zu, der den Miet- oder Pachtvertrag abgeschlossen hat, ohne Rücksicht aufsein Recht an der Sache. Nur für den Fall der Veräußerung oder Belastung eines Grundstücks ist in den §§571—577, 581 Abs. 2 ein Eintritt des Erwerbers oder des neuen Berechtigten in das bestehende Miet- oder Pachtverhältnis vorgesehen; diese Vorschriften sind nach § 1056 auf die Beendigung des Nießbrauchs entsprechend anzuwenden. I m übrigen sind über den Erwerb von juristischen Früchten durch einen dinglich dazu Berechtigten keine Vorschriften gegeben. Man muß annehmen, daß der Inhaber eines dinglichen Rechts, das zum Fruchtbezug berechtigt, von dem Erwerbe des Rechts ab alles erlangt, was als gewonnener Ertrag der Sache anzusehen ist, also auch juristische Früchte (Abs. 3). Als solche dinglichen oder doch dinglich wirkenden Rechte kommen namentlich in Betracht: Nießbrauch (§§ 1030fr), nach bisherigem Recht ehemännliches Nutznießungsrecht (§ 1383 aF), Nutznießungsrecht des Inhabers der elterlichen Gewalt (§ 1649 aF). Betreffen diese ein Recht, das natürliche Früchte gewährt, wie z. B. ein Pachtrecht, so werden die Früchte gemäß §§ 954> 956 mit der Trennung oder der Besitzergreifung erworben. Soweit Rechte ergriffen werden, aus denen sich als Früchte Forderungen auf Leistung ergeben, wie z. B. eine verzinsliche Kapitalforderung, Reallastberechtigung, Leibrentenberechtigung, ist die Entscheidung darüber, wie und in welchem Zeitpunkt die Leistungsforderungen von dem Berechtigten erworben werden, nicht aus §101 Nr. 2 Halbs. 2 zu entnehmen; denn §101 ordnet nur das schuldrechtliche Verhältnis mehrerer aufeinander folgender zum Fruchtbezug Berechtigter untereinander (str.; RG 80, 316; KGJ 52, 189). Auch § 954 (in Verbindung mit §§ 1030, 1039, 1068) ergibt die Entscheidung nicht, da er sich nur auf den Erwerb von Erzeugnissen einer Sache bezieht (KGJ 52, 189; a M O L G 6, 268; 7, 40). Vielmehr hat die Begründung des Nießbrauchs und die Entstehung der erwähnten Nutznießungsrechte nach dem Inhalt dieser Rechte die Folge, daß der Berechtigte sofort, ohne Abtretung oder sonstigen Ubertragungsakt, ein Recht auf die Leistungsforderungen erwirbt (vgl. § 1026 E I, der in der 2. Kommission als selbstverständlich gestrichen worden ist, Prot. 3, 416). Der Erwerb betrifft aber weder die einzelnen Leistungsforderungen noch das Bezugsrecht als Ganzes in der Weise, daß sofort ein Übergang der Forderungen auf den Berechtigten stattfände oder der Berechtigte Inhaber des Bezugsrechts würde; der Erwerb vollzieht sich vielmehr so, daß der Berechtigte nur ein das Bezugsrecht (Zinsrecht, Reallastberechtigung, Leibrentenberechtigung) belastendes Anrecht auf die einzelnen Leistungsforderungen erlangt. Das Bezugsrecht als solches verbleibt also dem bisherigen Berechtigten (im Falle des Zinsrechts dem Gläubiger der verzinslichen Forderung); das belastende Anrecht gewährleistet dem Berechtigten nur, daß er die einzelnen Leistungsforderungen (Ansprüche auf Zins-, Reallast-, Rentenleistung) unter einer weiteren Voraussetzung erwirbt. Diese weitere 267

§99

Anm. 6—8

Allgemeiner Teil

Voraussetzung ist der Eintritt der Fälligkeit der einzelnen Leistungsforderungen; erst damit stellen sich diese als gewonnene Erträge des dem Nießbrauch (Nutznießungsrecht) unterliegenden Rechts, also als dessen Früchte (§99 Abs. 2, 3) dar (str.; R G 138, 72; Mot. 3, 542, wo bemerkt wird, es „werde ein kontinuierlicher mit Ablauf der Zeit zunehmender Übergang stattfinden"; O L G 6, 268; 7 , 4 0 , jedoch unter irriger Anwendung des § 954).

Anm. 6 In K G J 40, 140 war die Eintragung einer Hypothek für die verzinsliche Darlehnsforderung einer Ehefrau gegen ihren Ehemann ohne Abschluß eines Ehevertrags für unzulässig erklärt worden, weil dem Ehemann das Zinsrecht als solches, nicht nur der Anspruch auf die einzelnen fällig gewordenen Zinsbeträge zustehe. In K G J 52, 180 ist diese Entscheidung aufgegeben und die Eintragung der verzinslichen Hypothek auf das Grundstück des Mannes ohne Ehevertrag mit der Begründung für zulässig erklärt, das Zinsrecht stehe nicht dem Ehemanne zu; die Ehefrau sei nicht nur Gläubigerin der Hauptforderung, sondern auch Gläubigerin des Zinsrechts, der Ehemann habe nur die Befugnis, das der Ehefrau zustehende Zinsrecht in eigenem Namen auszuüben. Auch nach den obigen Ausführungen ist die Eintragung der Hypothek zulässig, da auch danach die Ehefrau Gläubigerin des Zinsrechts bleibt. Insofern führen beide Ansichten zu dem gleichen Ergebnis. Jedoch ergibt sich aus der Auffassung des Kammergerichts nicht, ob überhaupt und wann der Ehemann den Anspruch auf die einzelnen Zinsbeträge als Gläubiger erwirbt. § 1383 aF bestimmte aber, daß der Mann die Nutzungen (zu denen nach § 100 die Früchte einer Sache oder eines Rechts gehören) in derselben Weise und in demselben Umfang wie ein Nießbraucher „erwirbt". Als praktische Folge der dargelegten Ansicht ergibt sich, daß die während der Dauer des Nießbrauchs und des Nutznießungsrechts fällig gewordenen Leistungsforderungen (Zinsen usw.) dem Verfügungsrecht des Nießbrauchers oder Nutznießungsberechtigten und der Pfändung seiner Gläubiger frei stehen und daß sie im Konkurse über das Vermögen desjenigen, dessen Recht dem Nießbrauch oder dem Nutznießungsrecht unterliegt, nicht in die Konkursmasse fallen.

Anm. 7 Uber das Pfandrecht des Verpächters eines landwirtschaftlichen Grundstücks an Früchten des Grundstücks s. § 585; dieses Pfandrecht deckt sich inhaltlich nicht ganz mit dem Vermieterpfandrecht nach § 559 (RG 132, 116).

II. Früchte einer Sache (Abs. 1) Anm. 8 1. E r z e u g n i s s e der S a c h e . Hierunter sind nur Naturgegenstände zu verstehen, deren Bestandteile ganz oder zum großen Teil der Sache entnommen worden sind, mit der sie b i s z u r T r e n n u n g verbunden waren, besonders Pflanzen und Früchte von Pflanzen im natürlichen Sinne, Tierjunge, Wolle der Schafe, Eier, Milch, Dünger. Dabei kommt es vor allem auf die Auffassung des gewöhnlichen Lebens an. Deshalb sind auch eingepflanzte Bäume, sobald sie Wurzeln geschlagen haben, mit der Trennung Früchte des Grund und Bodens ( R G 80, 232), nicht dagegen ein Schatz (§984). Die Erzeugnisse müssen b i s z u r T r e n n u n g s t e t s B e s t a n d t e i l e der Sache sein (§93), da die §§ 953 ff von Erzeugnissen und „sonstigen" Bestandteilen sprechen. Daher sind die auf einem Grundstück befindlichen Tiere keine Erzeugnisse des Grund und Bodens und ist die Jagdbeute keine Frucht des Grundstücks (vielmehr des Jagdrechts: Anm. 12). Darauf, ob die Erzeugnisse ohne menschliches Zutun oder hauptsächlich durch menschliche Arbeit entstanden sind, kommt es nicht an. Unerheblich ist auch, ob sie im Wege ordnungsmäßiger Wirtschaft oder durch R a u b b a u gewonnen worden sind (Anm. 2) und ob die Gewinnung der Bestimmung der Sache entspricht (Anm. 10). Die Zulässigkeit, noch hängende Früchte zu pfänden, ergibt sich aus den §§ 810, 824 Z P O .

268

Sachen

§99

Anm. 9—11

2. Sonstige bestimmungsmäßige Ausbeute Anm. 9 a) Sonstige Ausbeute, welche aus der Sache gewonnen wird, sind haupt-

sächlich leblose Bestandteile, bei Grundstücken besonders die Bodenbestandteile: Sand, Kies, Lehm, Torf, Steine, andere (z. B. durch einen bergmännischen Betrieb zu gewinnende) Mineralien, auch Mineralwasser, Eis eines Teichs ( R G 94, 2 6 1 ; J W 1909, 4 5 1 2 ; 1922, 821 4 ; O L G 32, 339). Durch Benutzung einer Sache gewonnene Kraftleistungen (z. B. Elektrizität) sind keine Früchte, weil sie nicht „ a u s " der Sache gewonnen sind und auch nicht als selbständige Rechtsgüter gelten können (§90 Anm. 13). Die durch die Kraftleistung gewonnenen Vorteile sind Nutzungen im Sinne des § 100 (str.). Durch die Gewinnung der Ausbeute wird regelmäßig der Bestand der Sache vermindert; das darf aber nicht so weit gehen, daß die Sache selbst vernichtet wird. Daher ist z.B. das Fleisch des Masttiers nicht seine Frucht.

Anm. 10 b ) Die Einschränkung, daß die Ausbeute der B e s t i m m u n g d e r S a c h e g e m ä ß gewonnen sein muß, hat keine erhebliche Bedeutung. Hiermit ist nicht gesagt, daß nur die im Wege ordnungsmäßiger Wirtschaft gewonnene Ausbeute Frucht ist (RG 80, 232). Auch durch R a u b b a u werden vielmehr Früchte gewonnen (Anm. 2, 8). Anderseits müssen doch wirtschaftliche Rücksichten maßgebend sein. Es kommt also darauf an, ob eine Sache durch ihre Natur für einen wirtschaftlichen Zweck geeignet ist; wenn sie (was in der Regel der Fall sein wird) für mehrere Zwecke geeignet ist, ist zu fragen, ob sie dauernd für einen bestimmten Wirtschaftsbetrieb eingerichtet ist (ähnlich wie die Hauptsache in den §§97, 98; vgl. O L G 6, 217). B e s t i m m u n g s w i d r i g gewonnen ist danach eine Ausbeute, wenn sie den Wirtschaftsbetrieb, für den die Sache eingerichtet ist, erheblich beeinträchtigt. So beeinträchtigt in der Regel das Graben von Lehm oder Kies den landwirtschaftlichen Betrieb auf einem größeren Gut nicht erheblich; daher kann es nicht als bestimmungswidrig angesehen werden. Anders ist es, wenn ein Miethaus abgebrochen wird, damit aus dem Grund und Boden Lehm gegraben werden kann. Dabei ist jedoch zu beachten, daß bei einer Sache, die für verschiedene wirtschaftliche Zwecke geeignet ist, die Bestimmung fortwährend geändert werden kann. Wird z. B. ein bisher zur Ausübung der Landwirtschaft benutztes Grundstück in einen Steinbruch umgewandelt, so ist es von diesem Augenblick an bestimmt, als Steinbruch zu dienen. Die gewonnenen Steine sind also Früchte. Rein zufällige Gewinne, wie ein Schatz (§§ 984, 1040), sind niemals bestimmungsmäßige Ausbeute. W e r d i e B e s t i m m u n g v o r z u n e h m e n h a t , wenn die Sache für m e h r e r e wirtschaftliche Zwecke geeignet ist, geht aus dem Gesetz nicht hervor. Daraus folgt, daß nicht nur der Eigentümer oder Eigenbesitzer es sein kann, sondern jeder, der in der Lage ist, die Sache dauernd für einen Wirtschaftsbetrieb einzurichten, z. B. auch der Mieter und Pächter (str.; a M O L G 6, 217). Der Pächter eines landwirtschaftlichen Grundstücks darf allerdings nach § 5 8 3 nicht Änderungen in der wirtschaftlichen Bestimmung des Grundstücks vornehmen, ebenso nicht der Nießbraucher nach §§ 1036 Abs. 2, 1037. Bei einer Zuwiderhandlung verstoßen Pächter und Nießbraucher aber nur gegen schuldrechtliche Verpflichtungen. Vgl. auch §993 Abs. 1.

III. Früchte eines Rechtes (Abs. 2) Anm. 11 1. A l l g e m e i n e s . Wenn das Gesetz von den F r ü c h t e n eines R e c h t e s spricht, so kann es damit nur etwas meinen, was nicht gleichbedeutend mit dem Gegenstand des Rechtes ist. Bei einer Geldforderung ist also nicht das Kapital Frucht, auch nicht die einzelne Teilleistung, z. B. ein Amortisationsbeitrag ( R G 54, 92); bei Forderungen aus einem Dienstverhältnis nicht die einzelne Lohnzahlung (RG 69, 64). Vielmehr handelt es sich um besondere, hauptsächlich um wiederkehrende Nebenleistungen; bei einem Recht, das nur den Anspruch auf gewisse Teilleistungen gewährt, wie bei der Reallastberechtigung und der Leibrente, müssen diese Teilleistungen im Rechtsverkehr als

269

§99

Anm. 12—15

Allgemeiner Teil

etwas von dem Rechte als Ganzem Verschiedenes behandelt werden (RG 67, 210; 68, 343; 80, 209; J W 192a, 736 10 ).

Anm. 12 2. Die E r t r ä g e des Rechts können entweder natürliche Früchte einer Sache im Sinne des Abs. 1 oder sonstige auf natürliche Weise gewonnene Früchte (z. B. Jagdbeute: O L G 4, 44) oder juristische Früchte, nämlich solche sein, die auf Grund eines Rechtsverhältnisses, aber (anders als nach Abs. 3) nach dem Inhalt des Rechts erlangt werden. So sind die natürlichen Früchte einer Sache natürliche Früchte des Pachtrechts, Zinsen juristische Früchte des Kapitalforderungsrechts (JW 1922, 947 2 '). Erträge sind nicht nur die Leistungen, die auf Grund eines Rechts gewährt werden, sondern schon die auf diese Leistungen gerichteten Forderungen. Endgültig gewonnen werden diese Erträge aber erst mit der Fälligkeit der Forderungen (Anm. 5).

Anm. 13 3. Nur solche Erträge, die das Recht „seiner Bestimmung gemäß" gewährt, sind Rechtsfrüchte. Die Gewinnung muß also dem Inhalt des Rechts entsprechen. So sind vom Pächter ordnungswidrig gezogene Früchte nach § 581 keine Rechtsfrüchte, während sie natürliche Früchte der Sache sind. Für den Sonderfall der Bergwerkspacht sollen aber nach R G vom 8.9.1938 V 1/38 Rechtsfrüchte im Sinne des § 99 Abs. 2 auch solche geförderten Kohlen sein, die unter Verletzung des Pachtvertrags nicht der Pächter, sondern der Verpächter des Bergwerkseigentums gewonnen hat.

Anm. 14 4. Das Gesetz stellt dadurch, daß es das Recht, B o d e n b e s t a n d t e i l e zu gewinnen, besonders erwähnt, klar, daß auch natürliche Sachfrüchte Früchte eines Rechts sein können (Anm. 12). Bodenbestandteile als Ausbeute: Anm. 9.

IV. Früchte kraft Rechtsverhältnisses (Abs. 3) Anm. 15 Eine Sache oder ein Recht gewährt im Sinne des Abs. 3 Erträge „vermöge eines Rechtsverhältnisses", wenn dem Besitzer der Sache oder dem Inhaber des Rechts eine Vergütung dafür gewährt wird, daß er den Gebrauch oder die Nutzung der Sache oder des Rechts durch Rechtsgeschäft oder infolge gesetzlicher Bestimmung einem andern überlassen hat. Es handelt sich dabei hauptsächlich um Miet- und Pachtzinsforderungen ( R G 6 7 , 380; 79, 1 1 9 ; 8 0 , 3 1 6 ; 81 S. 24, 149; 86, 1 3 5 ; 9 1 , 3 " ; I05.409)- Der Nießbraucher an einem Grundstück erlangt, da ihm gemäß § 1030 ein dingliches Recht auf Fruchtziehung aus dem Grundstück zusteht, mit der Bestellung und Eintragung des Nießbrauchs den Anspruch auf Erträge, die das Grundstück infolge eines Miet- oder Pachtverhältnisses gewährt, also auf die Miet- oder Pachtzinsforderungen; diese Rechtsstellung gebührt ihm nach den §§ 571, 577 ohne Rücksicht darauf, ob schon der Grundstückseigentümer oder erst der Nießbraucher den Miet- oder Pachtvertrag abgeschlossen hat ( R G 8 1 , 149; 86, 135). Ferner kommen Kapitalzinsen, Gewinnanteile (§ 101 Anm. 10) in Betracht. Die Frage, ob schon diese Forderungen oder erst die eingehenden Zahlungen die Früchte bilden, ist ebenso zu entscheiden, wie sie in Anm. 12 für die mittelbaren („juristischen") Früchte entschieden worden ist. Das Bezugsrecht auf neue Aktien ist nicht als Frucht des Aktienrechts, als Ertrag eines Kapitalvermögens, sondern als Kapitalvermögen selbst zu behandeln; denn es stellt keinen bestimmungsmäßigen, regelmäßig wiederkehrenden Ertrag der Aktien dar ( § 1 0 1 Anm. 10); es entsteht auch nicht aus den Aktien selbst, sondern ergibt sich aus der Mitwirkung anderer maßgebender Tatsachen, nämlich Erhöhung des Grundkapitals der Aktiengesellschaft, Beschluß der General-(Haupt-)Versammlung (str.; O L G 24, 139; 35, 23; 36, 283; J W 1921, 492; § 100 Anm. 5). 270

Sachen

§ 100

Anm. 1—5

§100 Nutzlingen sind die Früchte einer Sache oder eines Rechtes sowie die Vorteile, welche der Gebrauch der Sache oder des Rechtes gewährt. E I 793 II 77I; M 3 70; P 3 24.

Ubersicht Anm.

I. Verwendung des Begriffs Nutzungen im B G B II. Arten der Nutzungen 1. Früchte 2. Gebrauchsvorteile a) Gebrauch einer Sache b) Gebrauch eines Rechtes

1 2—5 2 3 4 5

Anm. 1 I . Der hier festgestellte B e g r i f f der N u t z u n g e n wird i m B G B in den §§ 256, 292, 3°2, 347) 379, 446, 452, 487, 745, 818, 987fr, 1030, 1038, 1039, 1213, 1214, 1383 aF, 1525, 1652 aF, 1656 aF, 1813, 2020, 2023, 2184, 2379, 2380 erwähnt.

II. Arten der Nutzungen Anm. 2 1. Uber Früchte einer Sache oder eines Rechtes s. § 99 Anm. 1—15. Der Begriff der Nutzungen ist insoweit nicht auf die Früchte einer Sache oder eines Rechtes beschränkt; er umfaßt vielmehr auch den Gewinn eines Unternehmens des Wirtschaftslebens ( B G H W M 1956, 91, 93; § 99 A n m . 4).

Anm. 3 2 . Unter V o r t e i l e n , welche der G e b r a u c h gewährt, versteht das Gesetz zweierlei: falls es j e m a n d e m ein Recht zur Benutzung einer Sache oder eines Rechts gibt, die V o r teile im natürlichen Sinne; falls es j e m a n d verpflichtet, Nutzungen herauszugeben, den Wert der Vorteile, da diese selbst in der Regel nicht herausgegeben werden können (vgl. R G 129, 310 für einen Bereicherungsanspruch nach § 818 Abs. I auf Herausgabe des auf Grund eines nichtigen Kaufvertrags dem Käufer übergebenen Grundstücks). Die Vorteile brauchen nicht Vermögenswert zu haben (z. B. Benutzung eines Kraftfahrzeugs zu Sportzwecken). Beim Nießbrauch an Geschäftsanteilen einer G m b H fallen auch solche Vorteile unter § 100, die sich aus dem mit den Geschäftsanteilen verbundenen Stimmrecht ergeben ( R G 118, 268).

Anm. 4 a ) G e b r a u c h e i n e r S a c h e , der Vorteile gewährt, liegt namentlich vor, wenn der Besitz einer Sache dazu benutzt wird, u m Rechte auszuüben ( R G 118, 269), z.B. bei Benutzung einer Wohnung, eines Platzes für gewerbliche Zwecke, Gebrauch von Möbeln, Tieren. Dagegen sind Vorteile, die nicht durch den „ G e b r a u c h " , sondern nur „mittels" der Sache, insbesondere durch deren „ V e r b r a u c h " gewonnen werden, keine Nutzungen im Sinne des § 100; so sind z.B. die Vorteile, die durch den V e r k a u f e i n e s Grundstücks oder durch die Erlangung eines Kapitals infolge Aufnahme einer Hypothek erzielt werden, keine Nutzungen des Grundstücks ( R G WarnRspr 1915 Nr. 70). Unter „gezogenen Nutzungen", auf die sich bei Bereicherungsansprüchen die Verpflichtung zur Herausgabe nach § 818 erstreckt, ist aber auch dasjenige zu verstehen, was der Empfänger aus dem Empfangenen erworben hat ( R G 108, 121).

Anm. 5 b ) Der G e b r a u c h e i n e s R e c h t e s kommt fast ausschließlich dann in Frage, wenn das Recht selbst auf den Gebrauch einer S a c h e gerichtet ist, vielleicht auch bei der Benutzung von Theatereinlaßkarten. Das Bezugsrecht auf neu ausgegebene Aktien ist keine Nutzung, weil der Vorteil nicht durch Gebrauch der alten Aktien gewährt wird

271

§101 Anm. 1

Allgemeiner Teil

( O L G 24, 1 3 9 ; 3 5 , 2 3 ; 3 6 , 2 8 3 ; §99 Anm. 15). Das Bezugsrecht bildet vielmehr ein neu erworbenes selbständiges Vermögensrecht, wodurch das Stammrecht des Eigentümers der Aktie vermehrt wird ( O L G 36, 283; J W 1 9 2 1 , 492); daraus folgt z.B., daß das Bezugsrecht nicht dem Nießbraucher, sondern dem Eigentümer der Aktie zusteht ( O L G 36, 283).

§101 Ist jemand berechtigt, die Früchte einer Sache oder eines Rechtes bis zu einer bestimmten Zeit oder von einer bestimmten Zeit an zu beziehen, so gebühren ihm, sofern nicht ein anderes bestimmt ist: 1. die i m § 99 Abs. 1 bezeichneten Erzeugnisse und Bestandteile, auch wenn er sie als Früchte eines Rechtes zu beziehen hat, insoweit, als sie während der Dauer der Berechtigung von der Sache getrennt werden; 2. andere Früchte insoweit, als sie während der Dauer der Berechtigung fällig werden; bestehen jedoch die Früchte in der Vergütung für die Überlassung des Gebrauchs oder des Fruchtgenusses, in Zinsen, Gewinnanteilen oder anderen regelmäßig wiederkehrenden Erträgen, so gebührt dem Berechtigten ein der Dauer seiner Berechtigung entsprechender Teil. E I 794 II 77m; M j 71; P 3 24.

Ü b ersieht I. Voraussetzungen f ü r die Verteilung der Früchte 1. Fruchtziehungsrecht 2. auf Zeit I I . Verteilung der Früchte 1. Schuldrechtliche Regelung 2. Andere Bestimmung 3. Fall Nr. 1 a) Unmittelbare Früchte b) auch Rechtsfrüchte c) Trennungsgrundsatz 4. Fall Nr. 2 a) Mittelbare Früchte b) Fälligkeitsgrundsatz c) Regelmäßig wiederkehrende Erträge aa) Arten bb) Verteilung nach Dauer der Berechtigung

Anm.

1, 2 1 2 3—11 3 4 5—7 5 6 7 8—n 8 9 10, 1 1 10 11

I. Voraussetzungen Anm. 1 1. F r u c h t z i e h u n g s r e c h t . Gleichgültig ist das Rechtsverhältnis, auf Grund dessen j e m a n d b e r e c h t i g t i s t , beim Wechsel des Nutzungsberechtigten innerhalb einer Fruchtziehungsperiode ( R G 88, 46) die Früchte einer Sache oder eines Rechtes an Stelle eines andern zu ziehen, der sie bisher gezogen hat. Es kann sich u m ein dingliches oder um ein persönliches Recht handeln. Z u m Beispiel kommt in Betracht das Verhältnis zwischen: Käufer und Verkäufer (§ 446); Pächter und Verpächter (§§ 581 ff); Besitzer und Eigentümer (§§ 9 8 7 f r ) ; Nießbraucher und Eigentümer ( § 1 0 5 5 ; R G 80, 232); Vorerbe und Nacherbe (§§ 2 1 3 0 f r ; R G 80, 36; Gruchot 52, 1093). Ferner das Verhältnis bei der ehemännlichen und der elterlichen Nutznießung (§§ 1383 aF, 1652 a F ; K G J 40 A 142). J e d o c h ist § 101 nicht nur im Verhältnis mehrerer aufeinander folgender Nutzungsberechtigter anzuwenden, sondern überall, wo jemand Früchte bis zu einer bestimmten Zeit oder von einer bestimmten Zeit an zu ziehen berechtigt ist, z. B. auf einen Erben, dem nach dem Testament nur die Nutzungen zustehen, während sein Erbteil selbst später seinen Kindern ausgeliefert werden soll ( R G Gruchot 57, 904). 272

Sachen

§101

Anm. 2—8

Anm. 2 2. Die Z e i t , bis zu der oder von der an die Früchte zu ziehen sind, kann sich aus dem Inhalt des Rechts (z. B. Eintritt der Nacherbfolge) oder aus besonderer gesetzlicher Bestimmung (z. B. § 446 für den K a u f ) oder, soweit nicht zwingende Vorschriften im Wege stehen, auch aus Parteivereinbarung ergeben.

II. Verteilung der Früchte Anm. 3 1 . Wenn das Gesetz im § 101 allgemein davon spricht, daß jemandem die Früchte g e b ü h r e n , so gibt es nicht etwa Vorschriften über den dinglichen Erwerb der Früchte. Dieser bestimmt sich vielmehr nach anderen Regeln (§ 99 Anm. 5). § 101 regelt nur das schuldrechtliche Verhältnis zwischen dem bisherigen und dem neuen F r u c h t b e z u g s b e r e c h t i g t e n , ist also hauptsächlich dann anzuwenden, wenn der eine von beiden auf Grund der Vorschriften über den dinglichen Rechtserwerb von Früchten mehr erlangt hat, als ihm zukommt ( R G 80 S. 232, 3 1 6 ; J W 1 9 1 3 , 1 9 3 1 ; O L G 22, 272).

Anm. 4 2. E t w a s a n d e r e s kann durch Rechtsgeschäft oder Gesetz b e s t i m m t sein. Eine solche Bestimmung des B G B sind die §§ 987 ff über das Verhältnis zwischen Eigentümer und Besitzer. Vgl. ferner §§ 1038, 1039, 1 2 1 4 , 2 1 3 3 . Auf den dem Landesrecht vorbehaltenen Rechtsgebieten kann auch landesgesetzlich Besonderes bestimmt werden. Die rechtsgeschäftliche Bestimmung kann durch Vertrag oder durch einseitiges Rechtsgeschäft (z. B. Testament) erfolgen ( R G Gruchot 52, 1093; J W 1 9 1 3 , I93 1 )-

3. Fall Nr. 1 Anm. 5 a ) Die im § 99 Abs. 1 bezeichneten Erzeugnisse und Bestandteile sind die u n m i t t e l b a r e n (natürlichen) F r ü c h t e einer Sache (Erzeugnisse und bestimmungsmäßige Ausbeute; § 99 Anm. 8 — 1 0 ) .

Anm. 6 b) Mit dem Zusatz ,,auch wenn er sie als Früchte eines Rechtes zu beziehen

h a t " , verläßt das Gesetz die im § gg in erster Linie maßgebende Einteilung zwischen Sach- und Rechtsfrüchten und berücksichtigt für die Verteilung nach § 1 0 1 nur den Unterschied zwischen u n m i t t e l b a r e n (natürlichen) und m i t t e l b a r e n (juristischen) Früchten. Auch diejenigen Früchte eines Rechtes fallen also unter Nr. 1, die zugleich unmittelbare Früchte einer Sache (z. B. Bodenbestandteile) sind. Andere natürliche Früchte (z. B. Jagdbeute: §99 Anm. 8) sind in Nr. 1 nicht erwähnt. M a n wird aber diese Vorschrift entsprechend dahin anwenden müssen, daß solche Früchte dem gebühren, der sie gewinnt.

Anm. 7 c ) T r e n n u n g s g r u n d s a t z . Bei den natürlichen Früchten kommt es nur darauf an,

ob sie während der Dauer der Berechtigung getrennt werden. Auf das Wirt-

schaftsjahr (§ 998) kommt es ebensowenig an wie darauf, wer den Boden zur Fruchtgewinnung bearbeitet hat. Das B G B hat also für diese Früchte den sog. Trennungsgrundsatz (Separationsprinzip) angenommen und den Gewinnungsbetriebsgrundsatz (Produktionsprinzip), der die Früchte dem zuspricht, der den Boden bestellt hat, u m die Früchte zu gewinnen, nur insofern berücksichtigt, als es in § 102 einen Erstattungsanspruch wegen der Gewinnungskosten gewährt.

4. Fall Nr. 2 Anm. 8 a ) Unter a n d e r e n F r ü c h t e n im Sinne der Nr. 2 sind die m i t t e l b a r e n (juristischen) F r ü c h t e einer Sache oder eines Rechtes zu verstehen, nämlich die Früchte des § 99 Abs. 3 und diejenigen Früchte des § 99 Abs. 2, die nicht natürliche Früchte sind. 273

§ 101 Anm. 9—11 §102

Allgemeiner Teil

Anm. 9 b) F ä l l i g k e i t s g r u n d s a t z . Als Regel bestimmt das BGB, daß es für mittelbare (juristische) Früchte darauf ankommt, wann sie fällig w e r d e n . Tatsächlich gilt dies jedoch nur ausnahmsweise. Denn weitaus die Mehrzahl der juristischen Früchte besteht in regelmäßig wiederkehrenden Erträgen. Unregelmäßige Erträge kann z. B. eine Reallast gewähren.

c) Regelmäßig wiederkehrende Erträge Anm. 10 a a ) A r t e n . Die häufigsten und wichtigsten mittelbaren (juristischen) Früchte stellen

sich als regelmäßig wiederkehrende Erträge dar, z. B. Miet- und Pachtzinsen,

Rentenzahlungen, Aktien-Gewinnanteile (RG Gruchot 52, 1093; J W 1913, 193 1 ; O L G 24, 139; 35, 23), auch der Gewinnanteil eines Gesellschafters bei einer Gesellschaft nach §§ 705 fr (RG 88, 46). Bei den Zinsen setzt § 1 0 1 Nr. 2 voraus, daß das Recht auf die Zinsen einem andern als dem Gläubiger der Hauptforderung zusteht. Daraus ist zu entnehmen, daß das Zinsrecht in der Hand eines andern als des Gläubigers der Hauptforderung ein selbständiges Vermögensrecht sein kann, freilich mit der Maßgabe, daß sein Bestehen von dem Fortbestehen der Hauptforderung abhängt (RG 74, 8 1 ; Erl. zu § 1158). Die Frage, ob dem N i e ß b r a u c h e r (§ 1076), dem ehemännlichen und dem elterlichen N u t z n i e ß e r (§§ 1383 aF, 1649 aF) einer verzinslichen Forderung während der Dauer des Nutzungsrechts das Z i n s r e c h t als G a n z e s oder nur ein beschränkteres Recht zusteht, ist in § 99 Anm. 5 f behandelt.

Anm. 11 bb) V e r t e i l u n g . Jedem Berechtigten gebührt bei regelmäßig wiederkehrenden

Erträgen ein der Dauer seiner Berechtigung entsprechender Teil. Dabei ist die

Dauer der Berechtigung während derjenigen Zeit maßgebend, für welche die Erträge gewährt werden. So kommt es bei Aktien-Gewinnanteilen auf das Geschäftsjahr an, für das gezahlt wird; die Zeit der Feststellung des Gewinnanteils ist unerheblich (RG Gruchot 52, 1093). In der Regel werden die Erträge für die Vergangenheit geleistet; das entspricht dem Begriff des regelmäßigen Ertrags als des Endergebnisses eines gewissen Zeitraums. B e i s p i e l für die Verteilung: Beträgt der jährliche Ertrag 2400 D M und ist A 5 Monate, B 7 Monate bezugsberechtigt, so erhält A 1000 DM, B 1400 D M

§10» Wer zur Herausgabe von Früchten verpflichtet ist, kann Ersatz der auf die Gewinnung der Früchte verwendeten Kosten insoweit verlangen, als sie einer ordnungsmäßigen Wirtschaft entsprechen und den Wert der Früchte nicht übersteigen. £ II 901 Abs. 1 Satz x, 2054 Abs. 2; P 3 357; 5 221; 6 119.

Ü b ersieht I. Voraussetzung für Ersatz der Fruchtgewinnkosten I I . Ersatzanspruch 1. Kosten, Begriff 2. Zum Fruchtgewinn 3. Umfang des Anspruchs 4. Anspruch, nicht Einrede

Anm.

1 2—5 2 3 4 5

Anm. 1 I. Voraussetzung. Wann jemand zur Herausgabe von Früchten verpflichtet

i s t , ergibt sich aus besonderen gesetzlichen Bestimmungen (z. B. §§ 101, 292, 347, 487, 818, 987.T, 1656, 2020, 2023, 2184) oder aus dem Inhalt eines Rechtsgeschäfts. § 102 i st auch bei der Verpflichtung zur Herausgabe von Rechtsfrüchten (§ 99 Abs. 2) anzu274

Sachen

§ 102 A n m . 2—5 §103

wenden. Deshalb folgert R G J W 1938, 3040 von dem in § 99 Anm. 13 dargelegten Standpunkt aus, daß dem Bergwerkspächter, der vom Bergwerkseigentümer die Herausgabe der vertragswidrig geförderten Kohle fordert, gemäß § 10a die Kosten zur Last fallen, welche der Verpächter zur Förderung der Kohle aufgewendet hat, und zwar auch dann, wenn die Kohle nicht mehr beim Verpächter vorhanden ist und der Pächter infolgedessen nicht die Herausgabe in Natur, sondern nach §§ 989, 990 Ersatz in Geld verlangt. II. Ersatzanspruch Anm. 2 1. Der Begriff der Kosten i s t n i c h t z u e n g auszulegen; auch der Wert der e i g e n e n A r b e i t oder der Arbeit von Familienmitgliedern und Angestellten des Herausgabepflichtigen ist dazu zu rechnen, falls die Arbeitskraft sonst in anderer nutzbringender Weise verwendet worden wäre (RG 5. 3. 1932 V 306/31). Anm. 3 2. Z u m Fruchtgewinn: Zu den „auf die Gewinnung der Früchte verwendeten Kosten" gehören zunächst diejenigen, durch welche die Entstehung der Früchte überhaupt erst ermöglicht worden ist ( O L G 22, 273), also die Bestellungskosten; ferner die Kosten der Erhaltung und Aberntung der Früchte, dagegen nicht die Kosten eines Umbaus, der eine Steigerung der Mietzinsen herbeigeführt hat ( O L G 22, 273). Anm. 4 3. U m f a n g des Anspruchs. Nur Kosten, deren Verwendung einer ordnungsmäßigen Wirtschaft entspricht, können erstattet verlangt werden; also jedenfalls die notwendigen Kosten, meistens aber auch solche, die zu einer Verbesserung der Fruchtgewinnung geführt haben, jedoch nur bis zur Höhe des Wertes der Früchte. Besondere Bestimmungen über ersatzfähige Kosten finden sich in den §§ 592, 998, 1055 Abs. 2, 1421, 2130 Abs. 1. Anm. 5 4. Anspruch, nicht Einrede. Das Gesetz sagt, daß der Herausgabepflichtige Eratz verlangen kann, nicht bloß, daß er die Herausgabe bis zur Kostenerstattung verweigern darf. Daraus folgt nach dem Sprachgebrauch des BGB, daß er einen selbständigen, durch Klage geltend zu machenden Anspruch hat (str.; vgl. S t a u d i n g e rC o i n g Anm. 7). Es besteht kein Grund, ihm nur ein Einrederecht zu gewähren oder den Anspruch davon abhängig zu machen, daß der Berechtigte die Herausgabe der Früchte von ihm fordert. Das Gesetz macht das Ersatzrecht lediglich von dem Bestehen, nicht vom Geltendmachen der Herausgabepflicht abhängig. Richtig ist, daß hiernach der Berechtigte unter Umständen gezwungen wird, Früchte anzunehmen, an denen er kein Interesse hat. Er ist aber dadurch genügend geschützt, daß die zu ersetzenden Kosten den Wert der Früchte nicht übersteigen dürfen. Jeder Teil hat neben dem Anspruch auf die Leistung des andern auch ein Zurückbehaltungsrecht an seiner eigenen Leistung nach § 273. Gemäß § 274 sind die beiderseitigen Verpflichtungen Zug um Zug zu erfüllen.

§103 Wer verpflichtet ist, die Lasten einer Sache oder eines Rechtes bis zu einer bestimmten Zeit oder von einer bestimmten Zeit an zu tragen, hat, sofern nicht ein anderes bestimmt ist, die regelmäßig wiederkehrenden Lasten nach dem Verhältnisse der Dauer seiner Verpflichtung, andere Lasten insoweit zu tragen, als sie während der Dauer seiner Verpflichtung zu entrichten sind. E I 79J I I 7711; M J 7 6 ; P J 24.

275

§103

Allgemeiner Teil

A n m . 1—5 Übe rsicht Anm.

I. Voraussetzungen der Verteilung der Lasten 1. Zeitliche Verpflichtung 2. Lasten zu tragen II. Folgerungen 1. Regelmäßige wiederkehrende Lasten 2. Andere Lasten III. Ausnahme

i, 2 i 2 3, 4 3 4 5

I. Voraussetzungen Anm. 1 1. Zeitliche Verpflichtung. Für das Innenverhältnis zwischen zwei Beteiligten, die einander verpflichtet sind, bis zu einer bestimmten Zeit oder von einer bestimmten Zeit an die Lasten einer Sache zu tragen, gibt § 103 Verteilungsvorschriften, die denen des §101 entsprechen. Die Verpflichtung kann sich auch hier aus Gesetz oder Rechtsgeschäft ergeben. An Gesetzesvorschriften kommen z. B. in Betracht die §§ 446, 546, 1047, 1385 aF, 1654 aF, 2379. Darüber, wer dem Lastenberechtigten verpflichtet ist, trifft § 103 keine Bestimmung. Dies ergibt sich aus dem Inhalt der Lasten oder auch aus besonderen Vorschriften (vgl. § 2145 Abs. 1 Satz 2). Anm. 2 2. Unter Lasten sind nicht dingliche Belastungen jeder Art zu verstehen, sondern nur solche, die den Besitzer der Sache oder den Inhaber des Rechts zu einer Leistung verpflichten (RG 66, 318; WarnRspr 1916 Nr. 131). Dingliches Vorkaufsrecht, Nießbrauch, Grunddienstbarkeiten gehören nicht dazu, weil sie lediglich Einschränkungen des Eigentums sind (RG 66, 316; WarnRspr 1916 Nr. 131). Die Lasten können öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur sein. Lasten einer S a c h e im Sinne des § 103 können nur solche Leistungen sein, die von jedem Besitzer einer Sache als solchem ohne Rücksicht auf seine persönlichen Verhältnisse gefordert werden können, also z. B. nicht die einem einzelnen Grundstücksbesitzer durch eine polizeiliche Verfügung im öffentlichen Interesse aus besonderen Gründen auferlegten Pflichten (RG 129, 12). Daß die Lasten dinglich sind, ist nicht gerade erforderlich. Als Lasten v o n Rechten kommen hauptsächlich die Belastungen selbständiger Gerechtigkeiten, z. B. des Erbbaurechts, in Betracht. II. Folgerungen. Anm. 3 1. R e g e l m ä ß i g wiederkehrende Lasten sind z. B. Renten, Hypotheken- und Grundschuldzinsen, Grundsteuer, Feuerkassenbeiträge (SeuffArch 59 Nr. 350), Hypothekengewinnabgabe nach §111 LAG. Wie die Verteilung nach d e m Verhältnisse der Dauer der Verpflichtung zu erfolgen hat, ist dargelegt in § 101 Anm. 11. Auch für § 103 ist in der Regel anzunehmen, daß die Lasten für die Vergangenheit erhoben werden. Doch wird häufig vereinbart, daß Hypothekenzinsen usw. im voraus zu entrichten sind. Anm. 4 2. Andere Lasten sind z. B. Straßenanliegerbeiträge, Einquartierungslast, Schullasten, Patronatslasten (RG 70, 263), Vermögensabgabe nach § 73 LAG. Es kommt lediglich darauf an, wann die Lasten zu entrichten sind, d. h. fällig werden; unerheblich ist, wann sie tatsächlich entrichtet werden und wann die Leistungspflicht entstanden ist (RG 70, 263). Anm. 5 III. A u s n a h m e . Ein anderes kann b e s t i m m t sein durch Gesetz (z. B. §§ 995, 2126, 2185, 2379) oder durch Rechtsgeschäft. 276

Rechtsgeschäfte

Vor § 104

Anm. 1, 2

Dritter Abschnitt Rechtsgeschäfte Ü b ersieht

Anm.

I. Entstehung privatrechtlicher Rechtsverhältnisse l II. Begriff des Rechtsgeschäftes 2—4 1. Allgemeines 2, 3 2. Abgrenzung gegenüber anderen privatrechtlich bedeutsamen Handlungen 4 I I I . Kreis der Rechtsgeschäfte 5 I V . Gegenstand der Rechtsgeschäfte 6 V . Besondere Arten von Rechtsgeschäften 7—16 1. Allgemeine Einteilung 7 2. Treuhänderische (fiduziarische) Rechtsgeschäfte 8 3. Die Verfügung 9 4. Prozessuale Rechtshandlungen 10—16 a) Reine Prozeßhandlungen 10, 1 1 aa) Allgemeines 10 bb) Rücknahme und Verzicht auf Rechtsmittel 11 b) Prozeßhandlungen, die zugleich ein Privatrechtsgeschäft darstellen 1 2 — 1 5 aa) Allgemeines 12 bb) Prozeßvollmacht 13 cc) Formerfordernisse 14 dd) Unwirksamkeit und ihre Geltendmachung 15 c) Beseitigung der materiellen Wirkung von Urteilen und dgl 16 V I . Ubergangsbestimmungen und internationales Privatrecht 17 Anm. 1 I. Entstehung privatrechtlicher Rechtsverhältnisse Das BGB geht von dem einzelnen und seiner W i l l e n s - u n d H a n d l u n g s f r e i h e i t aus und betrachtet die Einschränkung dieser Freiheit im Interesse anderer und der Allgemeinheit als Ausnahme von der Regel. Von dieser Grundeinstellung aus gewährt das BGB dem Menschen weitgehend die Macht, seine privatrechtlichen Rechtsverhältnisse nach seinem eigenen Willen zu gestalten (Privatautonomie). Dies entspricht auch den in der Verfassung verankerten Grundrechten auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und freie Berufswahl (Art. 2, 12 GG). Die Privatrechtsordnung beschränkt sich demgemäß grundsätzlich darauf, in abstrakter Form festzulegen, daß gewisse Tatsachen bestimmte Rechtswirkungen auslösen. Im Vordergrund dieser rechtlich bedeutsamen Tatsachen stehen die menschlichen Handlungen, wobei unter H a n d l u n g im R e c h t s s i n n e in der Regel die Betätigung des menschlichen Willens zu verstehen ist, der sich auch in einem Unterlassen äußern kann. Im Recht des Rechtsverkehrs bilden die Willenserklärungen die wichtigste Gruppe der rechtlich bedeutsamen Handlungen. Über den Begriff der rechtsgeschäftlichen Willenserklärung vgl. Vorbemerkungen zu § 116. Über die Abgrenzung zu Rechtshandlungen (geschäftsähnliche Handlungen und Tathandlungen) vgl. Anm. 2—4 zu § 104. Über Vertragsabschluß durch sog. sozialtypisches Verhalten vgl. Anm. 1 1 vor § 145. Anm. 2 II. Begriff des Rechtsgeschäftes 1. Allgemeines Das BGB enthält keine Begriffsbestimmung des Rechtsgeschäftes, sondern setzt diesen Begriff als gegeben voraus. Die Motive (Mot. 1, 126) kennzeichnen das Rechtsgeschäft als eine „Privatwillenserklärung, gerichtet auf die Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges, welcher nach der Rechtsordnung deshalb eintritt, weil er gewollt ist" 19

Komm. z. BGB. n . Aufl. I. Bd. (Krüger-Nicland)

277

Vor §104 Anm. 3—5

Allgemeiner Teil

(so auch R G 68, 324). Auch das Gesetz unterscheidet vielfach nicht zwischen dem Ausdruck „Willenserklärung" und „Rechtsgeschäft". Die Gleichsetzung der beiden Begriffe ist aber nur in den Fällen gerechtfertigt, in denen sich Willenserklärung und Rechtsgeschäft decken, m. a. W. eine einzelne Willenserklärung ohne weiteres die gewollte Rechtswirkung zur Folge hat wie beispielsweise die Kündigung. Führt aber die Willenserklärung für sich allein nicht die fragliche Rechtswirkung herbei, sondern ist diese von der Erfüllung weiterer Voraussetzungen abhängig, beispielsweise dem Z u sammentreffen mehrerer Willenserklärungen (§ 145) oder der Hingabe der Sache beim Realvertrag (§ 607), so bildet die Willenserklärung n u r e i n e n T e i l des z u s a m m e n g e s e t z t e n T a t b e s t a n d e s , der in seiner G e s a m t h e i t als Rechtsgeschäft bezeichnet wird.

Anm. 3 Allerdings ist die K u n d g a b e e i n e s G e s c h ä f t s w i l l e n s stets n o t w e n d i g e r B e s t a n d t e i l eines Rechtsgeschäftes. So heißt es in R G 157, 2 3 3 : „ein Rechtsgeschäft liegt vor, wenn sich ein auf die Hervorbringung rechtlicher Wirkungen gerichteter Wille betätigt, wozu dann noch die Anerkennung dieses Willens durch die Rechtsordnung hinzutreten m u ß " (ähnlich auch B G H L M Nr. 2 zu § 134). Fehlt eine a u f Erzeugung von Rechtswirkungen gerichtete Absicht der Beteiligten, so liegt überhaupt keine rechtsgeschäftliche Erklärung vor (so R G 122, 138, 140; vgl. hierzu aber Anm. 11 vor § 145). Vorausgesetzt wird jedoch nicht, daß der Erklärende sich der rechtlichen Tragweite des von ihm Erklärten nach allen Richtungen bewußt gewesen ist, oder daß er gar den juristischen A u f b a u gekannt hat ( R G 64, 165). Dagegen mangelt es an der erforderlichen auf eine Rechtswirkung gerichteten Absicht, wenn die Parteien sich von Anfang an darüber einig waren, daß ihre Erklärungen keine rechtlichen Wirkungen hervorbringen können, etwa weil sie sich der Nichtigkeit einer vertraglichen Bestimmung bewußt waren ( R G 68, 324).

Anm. 4 2. Abgrenzung gegenüber anderen privatrechtlich bedeutsamen Handlungen Keine Rechtsgeschäfte sind hiernach: a ) Die „ u n e r l a u b t e H a n d l u n g " , weil bei ihr die Rechtswirkung kraft Gesetzes eintritt, und nicht, weil sie gewollt war. Hier gelten die Grundsätze der Verantwortlichkeit, nicht die der Geschäftsfähigkeit, Stellvertretung usw. b ) Die Unrechtshandlung im Rahmen eines Rechtsverhältnisses, namentlich die Vertragsverletzung. Für sie gelten gleichfalls besondere Grundsätze (vgl. §§ 276, 278). c) Juristische Tatbestände, bei denen die Rechtsordnung die rechtliche Wirkung allein an einen äußeren Tatbestand knüpft, gleichviel ob sie gewollt war oder nicht. Hierher gehören z. B. die Begründung und Aufhebung eines Wohnsitzes, die Besitzerwerbshandlung, die Spezifikation (Mot. 1, 127), die Entfernung gewisser Gegenstände vom Grundstück (§§ 560, 1 1 2 1 , 1 1 2 2 ) , die Verweigerung (§§ 182, 634 usw.), die Zustimmung gemäß § 42 Abs. 2 E h e G , die Verzeihung gemäß § 49 E h e G ( R G WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 2 1 8 ; J W 1 9 1 9 , 820). F ü r einzelne nicht rechtsgeschäftliche Tatbestände angegebener Art — so Begründung und Aufhebung des Wohnsitzes — gibt das B G B besondere Bestimmungen (§8). Sonst kann nur die eine oder die andere für Rechtsgeschäfte geltende Vorschrift entsprechende Anwendung finden. Aber eine unmittelbare Anwendung der bezeichneten Vorschriften im allgemeinen ist ausgeschlossen. Vgl. hierzu Anm. 2—4 zu § 104.

Anm. 5 III. Kreis der Rechtsgeschäfte Ein Rechtsgeschäft im Sinne des B G B liegt nur vor, soweit ein p r i v a t e s R e c h t s v e r h ä l t n i s auf Grund eines erklärten p r i v a t e n G e s c h ä f t s w i l l e n s geordnet wird. Rechtsgeschäfte sind mithin n i c h t die Willenserklärungen von B e h ö r d e n i n A u s ü b u n g a m t l i c h e r F u n k t i o n e n , mögen diese auch die Ordnung privater Verhält-

278

Rechtsgeschäfte

Vor §104 Anm. 6

nisse zum Gegenstand haben, wie Verleihungen von Vorrechten, Enteignungsbeschlüsse, Verleihung der Rechtsfähigkeit an Vereine (§§ 22, 23, 33, 43), die Befreiung (Dispens) bei der Eheschließung (EheG §§ 1, 4, 6, 8, 10, 12, 2 1 , 22), sowie bei der Annahme an Kindes Statt (§ 1745), die Genehmigung der Stiftung (§ 80), das Inverkehrbringen von Schuldverschreibungen (§ 795); ferner die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts (§§ 1 1 2 , 1643, 1 7 1 4 , 1803, 1 8 2 1 , 1 8 2 2 f f ) . Rechtsgeschäfte sind namentlich auch nicht die Entscheidungen oder Anordnungen der Gerichte im Gebiete der freiwilligen und streitigen Gerichtsbarkeit, einschließlich des Zwangsversteigerungs- und des Konkursverfahrens, selbst dann nicht, wenn durch sie ein subjektives Recht zur Entstehung gebracht, verändert oder beendet wird. Alles das sind nur Rechtshandlungen im weiteren Sinne, auf welche die Grundsätze des bürgerlichen Rechts über Rechtsgeschäfte jedenfalls nicht unmittelbar anwendbar sind. Wenn jedoch das Reichsgericht vormals die „ G e n e h m i g u n g " d e s V o r m u n d s c h a f t s g e r i c h t s in gewissen Grenzen den Grundsätzen von Willenserklärungen unterwarf ( R G 25, 282; 50, 284), so wird das aus Zweckmäßigkeitsgründen auch ferner gelten müssen. Entsprechend anzuwenden sind z. B. auch die § § 1 1 9 , 1 2 3 bei Prüfung der Rechtsbeständigkeit von Staatsakten, durch die Beamte angestellt oder in den Ruhestand versetzt worden sind (vgl. Anm. 8 zu § 1 1 9 ) . Nur darf in diesen und ähnlichen Fällen (vgl. Anm. 12 vor § 1 1 6 ) nicht übersehen werden, daß es sich hierbei nicht mehr u m bürgerliches Recht handelt, sondern um eine Übertragung der diesem zugrunde liegenden Rechtsgedanken auf öffentlich-rechtliches Gebiet, also, was namentlich für die Frage der Revisibilität (§ 549 Z P O ) von Bedeutung sein kann, um die Feststellung und Anwendung von Grundsätzen des öffentlichen Rechts. — Wenn eine Person des öffentlichen Rechtes — so der Staat •— ein wirklich privates Rechtsgeschäft oder auch Handlungen zur Sicherung seines Eigentums vornimmt, wird deren Charakter nicht dadurch geändert, daß sie durch ein behördliches Vertretungsorgan handelt (vgl. Anm. 2 vor § 145). Das gilt auch für den sog. Reichsfiskus, der noch fortbesteht und insoweit auch verklagt werden kann ( B G H J Z 1 9 5 1 , 2 3 0 , wie auch schon O G H N J W 1950, 695). Nicht um rechtsgeschäftlichen Verkehr, sondern um rechnungsmäßige Verwaltungsakte handelt es sich aber, wenn zwei verschiedene Verwaltungsstellen des Staats miteinander Vereinbarungen treffen ( R G J W 1927, 2849).

Anm. 6 IV. Gegenstand der Rechtsgeschäfte Bei den dem Privatrecht angehörenden Willensäußerungen räumt das B G B auf dem Gebiet der Schuldverhältnisse volle Freiheit ein — G r u n d s a t z der Vertragsfreiheit (vgl. A n m . 7 vor § 145) — während im Sachen-, Familien- und Erbrecht Rechtsgeschäfte nur in den vom Gesetz anerkannten Fällen zulässig sind. O b ein Rechtserfolg für den Erklärenden selbst oder f ü r einen Dritten eintreten soll, ist für den Begriff Willenserklärung an sich nicht wesentlich; daher können Rechtsgeschäfte auch sein die Zustimmung, Einwilligung, Genehmigung (§§ 182—185), die Erlaubnis (§§ 549, 583), die Erklärung des Einverständnisses (§§ 180,639), der Widerspruch (§§ 1 0 8 , 1 1 3 ) . Soweit Vertragsfreiheit besteht, umfaßt sie den A b s c h l u ß v o n V e r t r ä g e n ebenso wie die G e s t a l t u n g d e s V e r t r a g s i n h a l t e s . Diese Freiheit ist aber eine p f l i c h t g e b u n d e n e . Sie findet ihre natürliche Begrenzung nach beiden Richtungen in der Rücksicht auf die Gemeinschaft und die sich aus ihr ergebenden Pflichten des Einzelnen. Sie ist nicht nur durch die gesetzlichen Verbote (§ 134) und sonstige zwingende Einzelvorschriften des Gesetzes (§§ 1 3 8 , 2 2 6 , 8 2 6 ) eingeschränkt, sondern untersteht ganz allgemein dem Gebot der Beobachtung von Treu und Glauben. Hieraus folgt in bestimmten Fällen ein Z w a n g z u m E i n g e h e n v o n V e r t r ä g e n (Kontrahierungszwang) oder auch, wie bei der Festsetzung von Höchst-, Mindest- oder Festpreisen, eine N o m i e r u n g d e s V e r t r a g s i n h a l t e s (diktierter Vertrag), sei es zur Verhütung von Mißbräuchen (Monopol), sei es zur sachgemäßen Ordnung des Gemeinschaftslebens (Markt- und Preisregelung, Mieter- und Pächterschutz, Festsetzung von Arbeitsbedingungen). Vgl. Anm. 7 — 1 0 vor § 145, s. auch N i p p e r d e y , Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag 1920. 19'

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Vor § 104

Allgemeiner Teil

A n m . 7—9 Anm. 7 V. B e s o n d e r e A r t e n v o n R e c h t s g e s c h ä f t e n 1. A l l g e m e i n e Einteilung J e nach dem Inhalte werden unterschieden: s c h u l d r e c h t l i c h e (obligatorische) Rechtsgeschäfte, die eine Leistung des Verpflichteten, d i n g l i c h e , die unmittelbar ein Recht an einer Sache oder an einem Rechte zum Gegenstand haben; sodann familienrechtliche und erbrechtliche; ferner solche u n t e r L e b e n d e n und v o n T o d e s w e g e n , welche die Rechtsverhältnisse eines Menschen nach seinem Tode zu regeln bestimmt sind. J e nachdem die Partei auf Grund des Rechtsgeschäfts nur einen Vorteil erlangt, oder diesen durch eine eigene Vermögenswerte Leistung entgelten muß, unterscheidet man u n e n t g e l t l i c h e und e n t g e l t l i c h e Rechtsgeschäfte. — Bei Rechtsgeschäften, die eine Zuwendung zum Gegenstande haben, unterscheidet man das k a u s a l e und das a b s t r a k t e Rechtsgeschäft. Unter der Causa ist dabei der unmittelbar verfolgte Zweck (zu erfüllen, zu schenken, zu leihen) zu verstehen. Spielt dieser Zweck beim Rechtsgeschäft eine derartige Rolle, daß von seiner Erreichbarkeit zugleich die Rechtsbeständigkeit des Geschäfts abhängt, dann ist dieses ein kausales. Der Zweck, der Grund der Zuwendung ist hier eine wesentliche Voraussetzung des Rechtsgeschäfts überhaupt. Dagegen ist abstrakt dasjenige Rechtsgeschäft, das losgelöst ist von dem Rechtsgrunde, in dem es seine Veranlassung findet, und dessen rechtliche Wirkung an sich unabhängig ist von der Wirksamkeit des Rechtsgrundes (RG 68, ioo). So der Wechsel, der Erlaß, die Auflassung. Gegebenenfalls ist der Kauf das Kausalgeschäft, die Ubergabe, die Auflassung das abstrakte Vollzugsgeschäft. Doch läßt sich bei einer dem Leben dienenden Rechtsanwendung das Vollzugsgeschäft von seinem Rechtsgrund meist nicht trennen, jedenfalls nicht völlig losgelöst von ihm betrachten. Das gilt auch für ein Schuldversprechen nach § 780, das Einwendungen aus dem Deckungsgeschäft grundsätzlich nicht zuläßt, wenigstens dann, wenn es sich um einen Einwand aus § 242 handelt, der mit dem Deckungsgeschäft nur mittelbar zusammenhängt, unmittelbar aber die Art betrifft, in der das Versprechen zu erfüllen ist (RG 144, 133). Vgl. auch § 125 Anm. 6 u. 7. Anm. 8 2. Treuhänderische (fiduziarische) R e c h t s g e s c h ä f t e Eigenartig sind die fiduziarischen Rechtsgeschäfte (RG J W 1910, 4) insofern, als sich bei ihnen der w i r t s c h a f t l i c h e Zweck der Zuwendung m i t d e r j u r i s t i s c h e n F o r m des Rechtsgeschäfts nicht deckt, so daß der Empfänger der Zuwendung der G e s c h ä f t s f o r m gemäß nach außen eine andere Rechtsstellung erhält, als sie dem wirtschaftlichen inneren Geschäftszwecke entspricht, und daß er deshalb seinem Geschäftsgegner gegenüber auch verpflichtet ist, von seiner äußeren Rechtsstellung nur einen dem inneren Zwecke entsprechenden Gebrauch zu machen. Das trifft insbesondere zu, wenn jemand seine Sache einem andern zu Eigentum überträgt, dies in die Form der Übereignung gekleidete Geschäft wirtschaftlich aber nur denjenigen Zweck erfüllen soll, dem sonst eine Pfandbestellung dient. Alsdann hat der Rechtserwerber zwar nach außen die Stellung des Eigentümers, seinem Geschäftsgegner gegenüber ist er jedoch verpflichtet, sich so zu verhalten, als hätte er nur die Rechtsstellung eines Pfandgläubigers. Solche Geschäfte sind in ständiger Rechtsprechung als zulässig anerkannt worden ( R G 55, 391; 57) 1775 59. 146562, 129579, 185; 160, 57; WarnRspr 08 Nr. 197; 1910, Nr. 98; J W 1991, 46 u. 1 8 1 ; 1931, 2695; Gruchot 55, 634; 59, 142; B G H 11, 37; B G H BB 1954 Nr. 13), s. auch § 1 1 7 Anm. 9. Anm. 9 3. Die V e r f ü g u n g Das Gesetz versteht darunter dasjenige Rechtsgeschäft, durch welches auf bestehende Rechte unmittelbar eingewirkt wird, das Recht also auf einen Dritten übertragen oder mit einem Recht belastet oder aufgehoben oder sonst in seinem Inhalt verändert wird (RG 90, 399; s. auch B G H 1, 254 [304], L M Nr. 2 zu § 134), so die Veräußerung und Belastung von Sachen, von Forderungen und andern Vermögensrechten, ferner die 280

Rechtsgeschäfte

Vor § 104

Anm. 10, 11

Erfüllung, den Erlaß einer Forderung, die Aufrechnung, den Verzicht. Auch die Kündigung, die Einwilligung, Genehmigung und die Parzellierungsvollmacht sind als Verfügungen anzusehen (RG 90, 399); desgl. der Rücktritt, der Widerruf, die Fristbestimmung, denen allen gemeinsam ist, daß sie von einem bereits bestehenden Rechtsgeschäfte abhängen: a b h ä n g i g e R e c h t s g e s c h ä f t e . Wird durch einen tatsächlichen Vorgang ein Recht erst erzeugt, dann handelt es sich nicht u m eine Verfügung; das Recht entsteht alsdann vielmehr kraft Gesetzes, z. B. bei der Verarbeitung (Spezifikation) und Ersitzung. Die Verfügung setzt anderseits nicht unbedingt voraus, d a ß die Sache oder das Recht bereits besteht. Die Übergabe einer noch nicht vorhandenen Sache (§ 90) ist allerdings ein Unding; aber die Abtretung einer erst zu begründenden Forderung ist möglich mit Wirkung von ihrer Entstehung an (RG 67, 167; 75, 225). Vgl. Anm. zu § 398. —- Die mangelnde Befugnis zur Verfügung über Vermögensgegenstände schließt nicht die Fähigkeit der betreffenden Person aus, sich in bezug auf jene Gegenstände nur persönlich zu verpflichten. So behält eine solche Fähigkeit der Gemeinschuldner trotz der §§ 6, 7 K O . Umgekehrt umfaßt die Befugnis zur Verfügung über ein fremdes Vermögen nicht auch die Befugnis, den Rechtsinhaber in Person zu verpflichten. — In einzelnen Fällen sind im Wege der Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g oder der A r r e s t v o l l z i e h u n g getroffene Verfügungen den rechtsgeschäftlichen Verfügungen gleichgestellt (§§ 161, 184, 353, 499, 883, 2115). Die Gleichstellung erstreckt sich jedoch nicht zugleich auf die Anwendbarkeit der Grundsätze vom guten Glauben beim Rechtserwerb (§§ 892, 893) 932> 1032, 1208 BGB; ferner §§366, 367 HGB), weil insoweit nur der rechtsgeschäftliche Erwerb geschützt sein soll. — Die P r o z e ß f ü h r u n g ist keine Verfügung, denn sie betrifft nicht den Gegenstand des Streites unmittelbar und begründet die beabsichtigte Rechtsänderung nicht durch sich selbst. — V e r ä u ß e r u n g ist im Sinne des Gesetzes die Handlung, durch welche die Substanz eines Rechtes zum Zwecke seiner Übertragung oder Aufhebung aufgehoben wird (M 1, 128). Die bloße Belastung einer Sache stellt noch keine Veräußerung dar (RG 84, 410).

Anm. 10 4. Prozessuale Rechtshandlungen a) Reine Prozeßhandlungen aa) Allgemeines P r o z e ß h a n d l u n g e n a l s s o l c h e unterliegen nicht den Vorschriften des materiellen Rechts, sind vielmehr ausschließlich nach p r o z e ß r e c h t l i c h e n G r u n d s ä t z e n zu beurteilen (RG 81, 178; 100, 311; 118, 176; B G H 12, 284; 16, 388; 20, 198). Dies gilt auch für ihre A u s l e g u n g (RG J W 1931, 3546). Deshalb ist das Revisionsgericht nicht an die Auslegung des Berufungsgerichts gebunden (RG J W 1932, 652 st. Rspr.). Als Parteiwille kommt nur der in der Erklärung verkörperte Wille in Betracht (RG 64, 71). Rein prozessuale Erklärungen (z. B. über Eidesverweigerung jetzt Z P O §§452 ff) sind n i c h t nach § 119 a n f e c h t b a r , sondern unterliegen nach § 290 Z P O besonderen Regeln. Wird aber beispielsweise angenommen, d a ß der Erklärende sich bei der Verweigerung des Eides über den Inhalt des Eides geirrt hat oder daß er die Weigerung des Eides nicht hat erklären wollen, so liegt eine Eidesverweigerung überhaupt nicht vor

(RG 69, 262).

Anm. 11 bb) Rücknahme und Verzicht auf Rechtsmittel Die Z u r ü c k n a h m e oder der V e r z i c h t a u f e i n R e c h t s m i t t e l sind, wenn sie durch Erklärung dem Prozeßgericht gegenüber erfolgen, reine Prozeßhandlungen, deren Wirksamkeit sich ausschließlich nach prozeßrechtlichen Grundsätzen richtet. Sie können deshalb nicht wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung a n g e f o c h t e n werden (RG 81, 177; 105, 355; B G H 12, 284). Die Rücknahme eines Rechtsmittels kann aber w i d e r r u f e n werden, wenn sie durch eine strafbare Handlung des Prozeßgegners veranlaßt worden ist (RG 150, 392; B G H 12, 284). Auch können Rücknahme und Verzicht auf ein Rechtsmittel, selbst wenn sie in prozeßrechtlich einwandfreier Form erklärt 281

Vor § 104

Allgemeiner Teil

Anm. 12—14 worden sind, wegen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben oder die Sittengesetze w i r k u n g s l o s sein. Die G r u n d s ä t z e v o n T r e u u n d G l a u b e n gelten auch im Verfahrensrecht ( R G io2, 2 1 7 , 222; 1 6 1 , 350, 359; B G H L M Nr. 3 zu § 5 1 4 Z P O ) . So hat das R G der prozessualen Erklärung eines Rechtsmittelverzichts in Ehesachen die Rechtswirksamkeit abgesprochen, weil diese Prozeßhandlung im Widerspruch zu den Vorschriften über den Eheschutz stand ( R G 1 1 8 , 1 7 1 , 1 7 6 ; vgl. auch B G H 20, 198 zur Unwirksamkeit der Rücknahme der Berufung in einem Scheidungsprozeß). Uber Treu und Glauben im Zivilprozeßrecht s. auch B e n k e n d o r f f J W 1933, 2870.

Anm. 12 b) Prozeßhandlungen, die zugleich ein Privatrechtsgeschäft darstellen aa) Allgemeines Prozeßhandlungen können aber auch zugleich p r i v a t r e c h t l i c h e W i r k u n g e n äußern, so wenn sie eine sachlichrechtliche Verfügung enthalten, wie bei dem im Prozeß erfolgten Anerkenntnis, Verzicht, Vergleich, Aufrechnung, Rücktritt oder dergl. ( R G 53, 149; 61, 266; 63, 4 1 2 ) . Ob in der Klage auch ein wirksames V e r t r a g s a n g e b o t enthalten sein kann, läßt das Urteil R G 100, 148 dahingestellt, dürfte aber zu bejahen sein. Solche Prozeßhandlungen haben eine D o p p e l n a t u r . Als privatrechtliches Rechtsgeschäft unterstehen sie den Rechtsregeln des materiellen Rechts, während für sie als Prozeßhandlungen allein die Grundsätze des Prozeßrechts maßgebend sind ( B G H 16, 388, 390). Die D a u e r sowie der U m f a n g d e r m a t e r i e l l e n W i r k u n g einer Prozeßhandlung sind unabhängig von der prozessualen Wirksamkeit. Die materielle Wirkung wird mithin mangels besonderer Vorschrift auch durch die Zurücknahme der K l a g e oder durch ihre Abweisung ohne sachliche Entscheidung nicht beseitigt ( R G 63, 4 1 2 ) .

Anm. 13 bb) Prozeßvollmacht Die P r o z e ß v o l l m a c h t — die in § 80 Z P O abschließend geregelt ist und den Vorschriften des bürgerlichen Rechts überWillensmängel und über Nichtigkeit von Rechtsgeschäften nicht unterliegt ( O G H 4, 273 [ 2 7 8 f ] , auch N J W 1 9 5 1 , 72) •—und die Vertretungsbefugnis ermächtigen zugleich zur Abgabe sowie zur Entgegennahme aller Erklärungen, die zum Angriffe oder zur Verteidigung dienen, mit materieller Wirksamkeit ( R G 53, 2 1 3 ; 49, 394). Auch ihre Dauer ist insoweit nicht an den Prozeß gebunden ( R G 63, 4 1 1 , über Anfechtungserklärung in einem Schriftsatze; R G 23. 2. 1907, V 297/06, betreffend Anfechtung und Bestätigung; R G 25. 3. 1907 I 516/06, betreffend Kündigungserklärung; R G 3 0 . 1 0 . 1 9 0 6 I I 165/06, betreffend Ermächtigung zur Entgegennahme der Anzeige bei der Abtretung; B G H L M Nr. 5 zu § 1 1 9 betr. Irrtumsanfechtung). Wenn R G 20. 1. 1 9 1 2 V 268/11 annimmt, daß die vom Prozeßvertreter erklärte Anfechtung nur für den Rechtsstreit Wirksamkeit habe, so scheint das unzutreffend; die Erklärung des Prozeßvertreters hat „ i n wie außer dem Prozesse die gleiche Wirkung wie die außerhalb eines Prozesses von einem sonstigen Vertreter abgegebene Erklärung" ( R G 63, 4 1 1 ) . Vgl. auch Anm. 3 zu § 142.

Anm. 14 cc) Formerfordernisse Für die m a t e r i e l l e W i r k s a m k e i t einer Prozeßhandlung mit sachlichrechtlichem Inhalt sind die s a c h l i c h r e c h t l i c h e n F o r m v o r s c h r i f t e n maßgebend. So muß die durch Vertrag vereinbarte Form gewahrt sein ( R G 24. 1. 1907, I V 262/06), nicht dagegen die für die Prozeßhandlung als solche wesentliche Form. So genügt für die sachlichrechtliche Wirkung, wenn eine Erklärung auch nur innerhalb vorbereitender Schriftsätze abgegeben und dem Gegner zugegangen ist, es sei denn, daß sie nur als k ü n f t i g e Erklärung in der mündlichen Verhandlung angekündigt wird ( R G 53, 148; 57, 362; 63, 4 1 2 ; st. Rspr.). Ist bei einem v o r G e r i c h t geschlossenen V e r g l e i c h dessen W i d e r r u f durch Anzeige zu den Gerichtsakten vorbehalten, so ist es eine Frage der Auslegung dieses

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Rechtsgeschäfte

V o r § 104

A n m . 15—17 Vorbehalts, ob auch ein innerhalb der Widerrufsfrist zwar nicht gegenüber dem Gericht, aber gegenüber der anderen Vertragspartei erklärter Widerruf rechtswirksam sein soll ( B G H L M Nr. 2 zu § 130). Der gerichtliche Prozeßvergleich ist, weil dem Urteil gleichgestellt, wirksam, ungeachtet der Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Form des den Gegenstand des Vergleichs bildenden Rechtsgeschäfts ( R G 48, 1 8 3 ; 64, 84; 107, 285). Durch einen Prozeßvergleich wird jede Form des B G B ersetzt ( B G H 14, 3 8 1 ) , s. auch § 125 Anm. 46.

A n m . 15 dd) U n w i r k s a m k e i t und ihre Geltendmachung Prozeßhandlungen, die zugleich ein privatrechtliches Rechtsgeschäft darstellen, können, auch wenn sie als Prozeßhandlungen keine Mängel aufweisen, auf Grund des materiellen Rechts (z. B. §§ 134, 138, 306) n i c h t i g sein oder wegen Willensmängel der A n f e c h t u n g (§§ 1 1 9 , 123) unterliegen. Dies gilt insbesondere für den Prozeßvergleich ( R G 153, 65; R G WarnRspr 1921 Nr. 20, B G H 16, 388, 390). Umstritten ist, ob und unter welchen Voraussetzungen die Geltendmachung von Nichtigkeits- und Anfechtungsgründen i m a n h ä n g i g e n R e c h t s s t r e i t erfolgen kann. Das R G hat dies nur unter besonderen Voraussetzungen zugelassen, so wenn sich der Streit um den Rechtsbestand des Vergleichs in Rechtsfragen erschöpft oder die Entscheidung dieser Frage von unstreitigen oder sonst keiner besonderen Beweiserhebung bedürftigen Tatsachen abhängt ( R G 65, 420; 78, 286; 106, 3 1 2 ; 1 3 5 , 3 3 8 ; R G Gruchot 50, 425). Gegen diese Rechtssprechung sind im Schrifttum aus beachtlichen Gründen Bedenken erhoben worden (Schrifttumsnachweise u. a. in R G 162, 198, 200). I n B G H 16, 388, 391 ist die Frage, 0)3 dieser Rechtsprechung des R G gefolgt werden kann, ausdrücklich offengelassen urid lediglich entschieden worden, daß der auf §§ 325, 326 B G B gestützte R ü c k t r i t t von einem gerichtlichen Vergleich nur in einem n e u e n Verfahren geltend gemacht werden könne. Entsteht nach Abschluß eines Prozeßvergleichs Streit darüber, ob dieser wegen Fehlens oder Weglassens einer erforderlichen D e v i s e n g e n e h m i g u n g unwirksam ist, so ist darüber in Fortsetzung des alten Rechtsstreits zu entscheiden ( B G H L M Nr. 8 zu § 794, Abs. 1, Ziff. 1 Z P O ) .

A n m . 16 c) Beseitigung der materiellen Wirkung von Urteilen und dergl. Das auf Grund des A n e r k e n n t n i s s e s oder des V e r z i c h t s ergehende U r t e i l kann nur im Wege der prozeßmäßigen Rechtsmittel angefochten werden ( R G J W 93, 156). Ist aber das Urteil noch nicht ergangen oder wird das ergangene Urteil im Wiederaufnahmeverfahren beseitigt, so sind für die Anfechtung des Anerkenntnisses oder des Verzichts materiell die Regeln des bürgerlichen Rechtes maßgebend (vgl. auch R G 156, 70). Uber die Anfechtbarkeit eines gerichtlichen Anerkenntnisses wegen seines zugleich bürgerlichrechtlichen Charakters s. auch Düsseldorf S J Z 48, 459. Die Anfechtung kann auch durch mündliche Erhebung der Widerklage erfolgen ( R G 23. 2. 1907 V 297/06). U r t e i l e , Z u s c h l a g s b e s c h l ü s s e und die B e s t ä t i g u n g d e s Z w a n g s v e r g l e i c h s können nur nach den besonderen Vorschriften der Z P O , des Z V G und der K O angefochten werden ( R G 6 1 , 3 5 9 ; 60, 48; 57, 2 7 1 ; WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 353). Doch kann die m a t e r i e l l e W i r k s a m k e i t e i n e s U r t e i l s und anderer insoweit ihm gleichzustellender prozessualer Vorgänge n a c h § 8 2 6 b e s e i t i g t werden ( R G 168, 1 ; B G H L M Nr. 3 zu § 826 (Fa); B G H N J W 1 9 5 1 , 759; näheres vgl. A n m . zu § 826).

A n m . 17 VI. Übergangsbestimmungen und internationales Privatrecht Wegen der Übergangsbestimmungen und des internationalen Privatrechts vgl. die Erläuterungen zu E G BGB.

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§104 Anm. 1

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte Erster T i t e l Geschäftsfähigkeit

§104 Geschäftsunfähig ist: 1. w e r nicht d a s siebente Lebensjahr vollendet h a t ; 2. w e r s i c h in e i n e m die freie W i l l e n s b e s t i m m u n g a u s s c h l i e ß e n d e n Z u s t a n d e krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, s o f e r n nicht der Zustand s e i n e r Natur n a c h ein vorübergehender i s t ; 3. w e r w e g e n Geisteskrankheit e n t m ü n d i g t ist. E I 64 A b s . 1, 2 II 78; M I 129fr; P I 5 5 f r , 72ff; 4 828; 6 119fr.

Übersicht Anm.

I. Geschäftsfähigkeit i—7 1. Allgemeines 1 2. Geschäftsfähigkeit und Rechtshandlungen 2—4 a) Realakte 3 b) Geschäftsähnliche Handlungen 4 3. Geschäftsfähigkeit und Prozeßfähigkeit 5—7 a) sachlich beschränkte Prozeßfähigkeit 6 b) Prozeßfähigkeit der Ehefrau 7 II. Geschäftsunfähigkeit 8—15 1. Geschäftsunfähigkeit wegen Alters 9 2. Geschäftsunfähigkeit wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit 10—14 a) Ausschluß der freien Willensbestimmung 11 b) Geisteskrankheit und Geistesschwäche 12 c) Partielle auf einzelne Lebensgebiete beschränkte Geschäftsunfähigkeit 13 d) dauernder Zustand der krankhaften Störung der Geistestätigkeit. . 14 3. Entmündigung wegen Geisteskrankheit 15 III. Beweislast 16 IV. Beweiswürdigung 17 V. Ubergangsrecht 18 Anm. 1 I. Geschäftsfähigkeit 1. A l l g e m e i n e s Geschäftsfähigkeit ist die Fähigkeit, Rechtsgeschäfte s e l b s t ä n d i g v o l l w i r k s a m vorzunehmen. Den weiteren Begriff der Handlungsfähigkeit, der auch die Verantwortlichkeit für unerlaubte Schadenzufügungen (§§ 827, 828) und für die Verletzung schuldrechtlicher Verbindlichkeiten (§ 276) umfaßt, verwendet das BGB nicht. Das Gesetz sieht grundsätzlich jeden Menschen als voll geschäftsfähig an und gibt nur Regeln für die Ausnahmen (§§ 104—115). Besondere Vorschriften gelten hinsichtlich der Fähigkeit zur Errichtung eines Testaments (§ 2229) und zur Eheschließung (§2 EheG). Die Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit sind zwingendes Recht. Der g u t e Glaube an die Geschäftsfähigkeit wird n i c h t geschützt. Die von oder mit einem Geisteskranken abgeschlossenen Rechtsgeschäfte sind n i c h t i g und zwar auch dann, wenn die Geisteskrankheit für den Geschäftsgegner nicht erkennbar war (RG WarnRspr 1915 Nr. 272; RG 120, 171; 162, 174) und die Belange des Geschäftsunfähigen völlig gewahrt wurden (RG JW 1937, 35); sowie auch dann, wenn ein Geschäftsfähiger bei gleicher Sachlage das Rechtsgeschäft gleichfalls vorgenommen haben würde (RG Gruchot 60, 119).

284

Geschäftsfähigkeit

§104

Anm. 2—6 V o n der Geschäftsfähigkeit ist die V e r f ü g u n g s f ä h i g k e i t zu unterscheiden. Sie betrifft die Befugnis, über einen bestimmten Vermögensgegenstand zu verfügen. Trotz voller Geschäftsfähigkeit kann dem Vermögensträger die Verfügungsbefugnis fehlen, z.B. dem Gemeinschuldner im Bezug auf die Konkursmasse ( § 6 K O ) , dem Erben in den Fällen der Nachlaßverwaltung (§ 1984) und der Testamentsvollstreckung (§ 2211).

Anm. 2 2. Geschäftsfähigkeit und Rechtshandlungen Unter R e c h t s h a n d l u n g e n sind solche Handlungen zu verstehen, an welche das Gesetz Rechtsfolgen knüpft, ohne Rücksicht darauf, ob der Handelnde sie gewollt hat oder nicht. Z u den Rechtshandlungen gehören die rein tatsächlichen Handlungen ( R e a l a k t e ) und die g e s c h ä f t s ä h n l i c h e n H a n d l u n g e n , d. h. solche Äußerungen und Erklärungen, die nicht auf einen rechtsgeschäftlichen, sondern auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtet sind, jedoch gleichwohl Rechtswirkungen herbeiführen, z. B. Mängelrüge, Mahnung und die Aufforderungen gem. §§ 108 Abs. 2 und 177 Abs. 2.

Anm. 3 a) Realakte Zur Wirksamkeit der R e a l a k t e ist Geschäftsfähigkeit nicht erforderlich. Ein Geschäftsunfähiger kann zum Beispiel Besitz (§ 854) oder durch Umbildung, Verarbeitung (§ 950), durch Fund (§§ 965, 973) und durch Ersitzung (§ 937) Eigentum oder durch Schaffung eines Kunstwerkes Urheberrechte erwerben. Z u m Erwerb des m i t t e l b a r e n B e s i t z e s (§868) ist, soweit er sich auf vertragliche Vereinbarung gründet, Geschäftsfähigkeit erforderlich. Dagegen kann ein Geschäftsunfähiger den mittelbaren Besitz in den Fällen erwerben, in welchen seine Erlangung auf Gesetz beruht und ein Besitzwille nicht erforderlich ist ( R G 98, 131); wegen Aneignung und Eigentumsaufgabe vgl. Anm. zu §§ 958, 959.

Anm. 4 b) Geschäftsähnliche Handlungen Bei geschäftsähnlichen Handlungen ist von Fall zu Fall zu prüfen, ob die Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit entsprechend anzuwenden sind, jedoch dürfte ihre Anwendung in der Regel dem Sinn und Zweck dieser Bestimmungen entsprechen. Für die Begründung und Aufhebung eines W o h n s i t z e s wird Geschäftsfähigkeit kraft positiver Gesetzesvorschrift verlangt (§ 8). Ein Geschäftsunfähiger kann auch als a u f t r a g l o s e r G e s c h ä f t s f ü h r e r tätig werden, haftet hieraus aber lediglich nach Maßgabe von § 682.

Anm. 5 3. Geschäftsfähigkeit und Prozeßfähigkeit Die gleiche Bedeutung, die der Geschäftsfähigkeit im materiellen Recht zukommt, besitzt die Prozeßfähigkeit innerhalb des Verfahrens. Prozeßfähigkeit ist die Fähigkeit, Prozeßhandlungen wirksam vornehmen zu können. Prozeßfähig ist grundsätzlich nur derjenige, der voll geschäftsfähig ist (§ 52 Z P O ) . Geschäftsunfähigkeit hat daher auch Prozeßunfähigkeit zur Folge. Liegt eine auf einen bestimmten Lebensbereich begrenzte Geschäftsunfähigkeit vor (z.B. beim Querulanten Wahnsinn), so tritt insoweit auch Prozeßunfähigkeit ein ( R G J W 1922, 1007; R G WarnRspr 1943 Nr. 1; B G H 18, 184; s. a. R G WarnRspr 1931 Nr. 2); vergleiche hierzu Anm. 13 unten.

Anm. 6 a) Sachlich beschränkte Prozeßfähigkeit Eine Ausnahme von dem in Anm. 5 genannten Grundsatz besteht in Bezug auf die P r o z e ß f ä h i g k e i t von E n t m ü n d i g t e n in den auf Anfechtung (§§ 664 Abs. 2, 684 Abs. 1 Z P O ) und auf Aufhebung der Entmündigung gerichteten Verfahren (§§ 675, 679 Abs. 3, 685, 686 Abs. 3 Z P O ) . Für diese Verfahren gilt der Entmündigte in allen

285

§104

Anm. 7—11

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Beziehungen als prozeßfähig (RG 68, 404; R G SeufTArch 83 Nr. 95). So ist er z. B. zur persönlichen Ausübung des Ablehnungsrechts gegenüber einem Richter befugt (RG 35, 351) und kann selbst Beschwerde einlegen (RG Gruchot 48, 1149). Dagegen kann ein Volljähriger, wenn er geschäftsunfähig ist, nicht wirksam Beschwerde gegen einen gem. § 1910 Abs. 2 die Pflegschaft anordnenden Beschluß einlegen (RG 145, 284; BGH 15, 263). Über die Prozeßfähigkeit bei beschränkter Geschäftsfähigkeit vgl. Anm. zu §§ 107—115. Anm. 7 b) Prozeßfähigkeit der Ehefrau Die nach allgemeinen Bestimmungen bestehende Geschäfts- und Prozeßfähigkeit der Ehefrau wird durch die Eheschließung nicht berührt (§ 52 Abs. 2 ZPO). Diese Vorschrift hatte praktische Bedeutung nur für die vor dem 1. 1. 1900 geschlossenen Ehen und auch nur in den Teilen Deutschlands, in welchen die Landesgesetzgebung von einer Überleitung des Güterstandes des BGB abgesehen hatte (Art. 200 EGBGB). Anm. 8 II. Geschäftsunfähigkeit Geschäftsunfähig ist jemand kraft gesetzlicher Vorschrift oder infolge eines richterlichen Ausspruchs. Ohne weiteres ist geschäftsunfähig: Der Mensch unter 7 Jahren; der Geisteskranke und der wegen Geisteskrankheit Entmündigte. Anm. 9 1. Geschäftsunfähigkeit wegen Alters Das Gesetz erklärt alle Kinder unter sieben Jahren ohne Rücksicht auf ihre Geistesreife als geschäftsunfähig. Die Berechnung des vollendeten 7. Lebensjahres erfolgt nach § 187 Abs. 2. Anm. 10 2. Geschäftsunfähigkeit wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit Das Gesetz verlangt, indem es sich der Fassung des § 51 StGB anschließt, einen die f r e i e W i l l e n s b e s t i m m u n g a u s s c h l i e ß e n d e n Z u s t a n d k r a n k h a f t e r S t ö r u n g der G e i s t e s t ä t i g k e i t (RG 65, 202). Dieser Zustand muß d a u e r n d sein, so daß eine nur vorübergehende Störung der Geistestätigkeit oder bloß vorübergehende Bewußtlosigkeit hier nicht in Betracht kommt (RG 74, 1 1 0 ; 103, 399; RG WarnRspr 1918 Nr. i n ; 1928 Nr. 167). Anm. 11 a) Ausschluß der freien Willensbestimmung Die freie Willensbestimmung ist ausgeschlossen, wenn Erwägungen und Willensentschlüsse nicht mehr auf einer der allgemeinen Verkehrsauffassung entsprechenden Würdigung der Außendinge und Lebensverhältnisse beruhen, sondern durch krankhafte Empfindungen, Vorstellungen und Gedanken oder durch Einflüsse dritter Personen dauernd derart beeinflußt werden, daß eine vernünftige Überlegung und freie Selbstentschließung darüber, was im gegebenen Falle richtigerweise zu tun ist, nicht mehr stattfindet (RG 163, 389; 162, 223; RG WarnRspr 1918 Nr. 156), der Betroffene also von seinen unkontrollierbaren Trieben und Vorstellungen so beherrscht wird, daß eine freie Entscheidung auf Grund einer Abwägung des Für und Wider ausgeschlossen ist (BGH NJW 1953, 1342). Bloße W i l l e n s s c h w ä c h e und l e i c h t e B e e i n f l u ß b a r k e i t schließen die Möglichkeit freier Willensbestimmung nicht aus, solange die auf den Willen wirkenden Einflüsse noch in normaler Weise das Motiv zum Handeln bilden und nicht infolge krankhafter Störung der Geistestätigkeit nach Art mechanischer Ursachen die als Willensbetätigung erscheinende Wirkung auslösen (RG WarnRspr 1917 Nr. 234; RG J W 1936, 1205). 286

Geschäftsfähigkeit

§104

A n m . 12, 13 Die geistige Betätigung i n i h r e r G e s a m t h e i t , vornehmlich das Denken und Entscheiden muß unter dem bestimmenden Einfluß dieses Zustandes gestanden haben ( R G WarnRspr 1 9 1 9 Nr. 46; 1928 Nr. 67; R G J W 1937, 35). Wenn auch auf intellektuellem Gebiet nichts Auffälliges zu bemerken ist, so schließt das doch nicht aus, daß die Persönlichkeitsveränderung in ihrer Gesamtheit betrachtet so gestaltet ist, daß § 104 Ziff. 2 anzuwenden ist ( R G WarnRspr 1936 Nr. 53). Geschäftsunfähigkeit ist andererseits nicht schon dann gegeben, wenn der Kranke auf einzelnen Gebieten versagt, sondern es kommt darauf an, ob er a l l g e m e i n zur Besorgung seiner Angelegenheiten unfähig ist ( O G H M D R 1950, 668). Siehe aber auch unten Anm. 13.

A n m . 12 b) Geisteskrankheit und Geistesschwäche Der Begriff der krankhaften Störung der Geistestätigkeit ist ein weiterer als der Begriff der Geisteskrankheit in § 6 Nr. 1 ( R G J W 1908, 3 2 3 ; 1909, 4 1 1 ; 1 9 1 1 , 1 7 3 ) ; er umfaßt sowohl die Geisteskrankheit als auch die G e i s t e s s c h w ä c h e ( R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 78; R G 162, 223). Zwischen beiden Erscheinungen besteht nur ein U n t e r s c h i e d d e m G r a d e n a c h ( R G 130, 69; R G J W 1 9 1 1 , 1 7 9 ; R G WarnRspr 190g Nr. 1 2 2 ; 1 9 1 3 Nr. 78). Dabei spielt auch die medizinische Unterscheidung beider Begriffe keine Rolle, denn die krankhafte Störung der Geistestätigkeit kann sowohl in Geisteskrankheit als auch in Geistesschwäche ihren Grund haben ( R G 130, 69; R G WarnRspr 1909 Nr. 1 2 2 ; 1936 Nr. 2). Entscheidend ist, ob Geisteskranker oder Geistesschwacher sich in einem Zustand befinden, in welchem sie zu vernünftigen Überlegungen außerstande sind, weil ihr Wille von krankhaften Vorstellungen und Trieben übermäßig beherrscht wird; während eine bloße W i l l e n s s c h w ä c h e allein nicht ausreicht ( R G WarnRspr 1 9 1 7 Nr. 2 3 4 ; R G J W 1937, 3 5 ; R G J W 1936, 1205). Ein bloßes Unvermögen, die Tragweite einer Willenserklärung zu ermessen, genügt ebenfalls nicht ( R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 164). Es ist aber denkbar, daß ein Schwachsinniger bei dem, was er wirklich leisten kann, in nur gedankenloser Betätigung des täglichen Lebens handelt, daß aber da, wo Überlegung einsetzen sollte, krankhafte Geistesschwäche diese hindert und die freie Willensbestimmung ausschließt ( R G WarnRspr 1 9 1 8 Nr. i n ; R G J W 1938, 1590). Das Vorhandensein einer unheilbaren, fortschreitenden Gehirnerweichung reicht allein für sich noch nicht aus, u m den Erkrankten unfähig zur Testamentserrichtung zu machen. Es muß der Nachweis hinzukommen, daß durch den Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit die freie Willensbestimmung im Zeitpunkt der Testamentserrichtung ausgeschlossen war ( R G L Z 1 9 1 9 , 1 1 3 0 Nr. 2).

A n m . 13 c) Partielle auf einzelne Lebensgebiete beschränkte Geschäftsunfähigkeit Einem Bedürfnis des Rechtsverkehrs entsprechend muß die Möglichkeit anerkannt werden, daß die Geschäftsunfähigkeit nur auf bestimmte Lebensbereiche beschränkt sein, im übrigen aber Geschäftsfähigkeit bestehen kann ( R G WarnRspr 1933 Nr. 9 1 ; R G J W 1938, 1590; R G 162, 2 2 3 ; O G H 4, 66; B G H 18, 184), so z.B. bei krankhafter Querulanz ( R G J W 1906, 376; R G WarnRspr 1 9 1 0 Nr. 309; 1933 Nr. 9 1 ; 1943 Nr. 1 ; R G H R R 1934 Nr. 42), bei krankhaftem Eifersuchtswahn ( R G J W 1 9 1 2 , 872; O G H 2, 4 5 ; 4, 66) oder in Bezug auf alle mit einem Eheprozeß zusammenhängenden Angelegenheiten ( B G H 18, 184). Dabei wird die Annahme einer partiellen Geschäftsunfähigkeit nicht dadurch ausgeschlossen, daß der geistig Erkrankte auf anderen Gebieten noch mit einigermaßen vernünftigen Überlegungen selbständig handeln kann ( R G J W 1938, 1590; RG 130, 7 1 ; OGH 2, 4 5 ; 4, 66). Dagegen kann eine a u f besonders s c h w i e r i g e G e s c h ä f t e b e s c h r ä n k t e G e s c h ä f t s u n f ä h i g k e i t n i c h t a n e r k a n n t w e r d e n ( B G H N J W 1953, 1342). Ob z. B. ein Vertragsinhalt nach seiner rechtlichen und wirtschaftlichen Bedeutung von einem Vertragspartner nur schwer oder gar nicht ermessen werden kann, ist für die Anwendbarkeit des § 104 Ziff. 2 ohne Belang ( R G WarnRspr 1 9 1 7 Nr. 1 1 ) . Für die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit nach § 104 Ziff. 2 sind nicht die Fähigkeiten des Verstandes, sondern die Freiheit des Willensentschlusses maßgebend ( B G H N J W 1953, I 3 4 2 i n 287

§104

Anm. 14—16

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Abweich, von R G J W 1938, 1590). So kommt eine dem Schwierigkeitsgrade entsprechend abgestufte Geschäftsfähigkeit auf dem gleichen Lebensgebiete, insbesondere eine abgestufte Testierfähigkeit in der Weise, daß der Erblasser zur Errichtung eines schwierigen Testaments nicht, wohl aber zur Errichtung eines einfachen Testamentsrechtlich fähig wäre, nicht in Betracht ( O G H 2, 45).

Anm. 14 d) Dauernder Zustand der krankhaften Störung der Geistestätigkeit D a ein seiner Natur nach nicht nur vorübergehender Zustand vorausgesetzt wird, reichen Bewußtlosigkeit und vorübergehende Geistesstörung zur Begründung der Geschäftsunfähigkeit nicht aus (vgl. Anm. 10 oben). Diese Erscheinungen haben nur die Unfähigkeit zur Abgabe von rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen während der Dauer des Zustandes gemäß § 105 Abs. 2 zur Folge ( R G 65, 202; R G WarnRspr 1928 Nr. 1 6 7 ; und Anm. 10 zu § 105). Hinsichtlich lichter Zwischenräume ist zu unterscheiden, ob eine Entmündigung wegen Geisteskrankheit stattgefunden hat oder nicht. I m Fall der Entmündigung sind sie unbeachtlich und begründen keine vorübergehende Geschäftsfähigkeit. I m anderen Falle kann für die Zeit der lichten Zwischenräume volle Geschäftsfähigkeit des nicht Entmündigten angenommen werden ( R G 18. 5. 1908 I V 367/07).

Anm. 15 3. Entmündigung wegen Geisteskrankheit Die Entmündigung wegen Geisteskrankheit hat ohne weiteres völlige Geschäftsunfähigkeit zur Folge ohne Rücksicht darauf, ob die Geisteskrankheit bestanden hat oder noch besteht und ob der Entmündigte lichte Zwischenräume hat. Entmündigung wegen bloßer Geistesschwäche begründet beschränkte Geschäftsfähigkeit nach den §§ 1 1 4 , 1 0 6 f f ( R G J W 1908, 3 2 3 ' ; 1 9 1 1 , 179 1 ), desgl. die Entmündigung aus den in § 6 Nr. 2—3 aufgeführten Gründen. Die Geschäftsunfähigkeit tritt infolge des die Entmündigung aussprechenden Beschlusses (wegen Beginns seiner Wirksamkeit vgl. § 661 Z P O ) unabhängig davon ein, ob dieser mit Recht oder Unrecht erging. Sie dauert auch unbedingt fort, bis die Entmündigung wieder aufgehoben ist, sei es durch Beschluß (§678 Z P O ) , sei es durch Urteil (§§679, 672 Z P O ) . Z u §664 Abs. 2 Z P O s. R G SeuffArch 83 Nr. 95. Ist jemand l e d i g l i c h w e g e n G e i s t e s s c h w ä c h e e n t m ü n d i g t worden, dann ist der Prozeßrichter im Einzelfalle doch nicht gehindert, seinerseits festzustellen, daß der Entmündigte gemäß § 104 Nr. 2 völlig geschäftsunfähig gewesen ist ( R G WarnRspr 1908 Nr. 3 ; R G 6. 3. 1924 I V 846/23). Bei der Anfechtung einer Entmündigung wegen Geisteskrankheit ist zu beachten, daß der medizinische Begriff der Geisteskrankheit auch den Begriff der „Geistesschwäche" umfaßt. Obgleich eine Entmündigung wegen Geisteskrankheit nur gerechtfertigt ist, wenn sich die Unfähigkeit zur Geschäftsbesorgung seitens des zu Entmündigenden auf die Gesamtheit seiner Angelegenheiten erstreckt, steht der Annahme einer solchen Unfähigkeit nicht entgegen, wenn der Entmündigte zur Besorgung seiner Angelegenheiten in einzelnen Lebensbereichen wegen deren Einfachheit oder infolge Übung befähigt bleibt. So kann schon das Unvermögen zur vernünftigen Wahrnehmung der bürgerlichen Rechte oder Erledigung der Angelegenheiten bei Behörden die Entmündigung rechtfertigen ( R G WarnRspr 1908 Nr. m und Nr. 2 7 3 ; R G L Z 1 9 1 9 , 1008 Nr. 2).

Bei der Frage nach dem m i t w i r k e n d e n V e r s c h u l d e n (§ 254) ist auch bei einem

wegen Geisteskrankheit Entmündigten zu prüfen, ob er gem. § 827 verantwortlich ist ( R G 108, 87); vgl. Anmerkungen zu § 827.

Anm. 16 III. Beweislast Wer sich auf Geschäftsunfähigkeit beruft, hat diese zu beweisen ( R G J W 1905, 7 3 ; R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 243; 1 9 1 5 Nr. 7 1 ) . Dieses ist unstreitig, wenn ein im § 104 Ziff. 2 bezeichneter Zustand oder eine Entmündigung nach § 104 Ziff. 3 behauptet wird, dürfte aber auch für die Altersunmündigkeit gelten (str.).

288

Geschäftsfähigkeit

§ 1 0 4 A n m . 17, 18 § 105 Anm. 1

Zu beweisen ist, daß die Geschäftsunfähigkeit während der ganzen in Betracht kommenden Zeit angedauert hat ( R G 118, 122). Ist die Geschäftsunfähigkeit des K r a n ken i m a l l g e m e i n e n nachgewiesen, dann bedarf es keines weiteren Nachweises dafür, daß auch das einzelne Geschäft in einem willensunfreien Zustande geschlossen worden ist (RG WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 1 0 7 ; 1928 Nr. 167). Steht ein allgemeiner Zustand nach § 104 Ziff. 2 fest, so ist der Gegenbeweis zulässig, daß der Geisteskranke sich bei Vornahme des fraglichen Rechtsgeschäftes in einem l i c h t e n Z w i s c h e n r a u m befunden hat (RG WarnRspr 1928 Nr. 1 6 7 ; O L G M D R 1954, 480). Dieser Gegenbeweis kommt jedoch im Fall einer Entmündigung w e g e n G e i s t e s k r a n k h e i t nicht in Betracht, weil die Geschäftsunfähigkeit, solange der Zustand der Entmündigung besteht, auch während lichter Zwischenräume andauert. I m P r o z e ß ist ein Sachurteil ausgeschlossen, wenn sich auch nach Erschöpfung aller Beweismittel nicht klären läßt, ob die Partei zum maßgebenden Zeitpunkt geistesgestört i. S. von § 104 Ziff. 2 gewesen ist ( B G H 18, 184). A n m . 17 I V . Beweiswürdigung An den Beweis der Geschäftsunfähigkeit sind strenge Anforderungen zu stellen ( K G N J W 1953, 426). Die Entscheidung darüber, ob die Voraussetzungen des § 104 Ziff. 2 vorliegen, ist im wesentlichen tatsächlicher Art (RG H R R 1929 Nr. 793). Der Richter hat sie frei nach Maßgabe seiner richterlichen Uberzeugung zu treffen und ist an den ärztlichen Ausspruch nicht gebunden (RG J W 1905, 167; R G WarnRspr 1 9 1 8 Nr. 111; R G 162, 223). Hierbei ist zu beachten, daß trotz Vorliegens einer Geisteskrankheit im psychiatrischen Sinne die Geschäftsfähigkeit, bei der es namentlich auf die sich im rechtsgeschäftlichen Verkehr zeigenden Störungen ankommt, gegeben sein kann. A n m . 18 V. Wegen des Übergangsrechtes vgl. Art. 1 5 3 bis 156 und 200, 2 1 5 E G .

§105 Die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen ist nichtig. Nichtig ist auch eine Willenserklärung, die im Zustande der Bewußtlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit abgegeben wird. E I 64 Abs. 2, 3 II 79; M 1 130fr; P 1 5s ff, 72ff; 4 828; 6

119g.

Ubersicht Anm.

I. Die Nichtigkeit der Willenserklärungen eines Geschäftsunfähigen . . . . 1. Allgemeines 2. K e i n Schutz des guten Glaubens 3. Einzelfälle I I . Gesetzliche Vertretung des Geschäftsunfähigen

i-—3 1 2 3 4

I I I . Nichtigkeit der im Zustande der Bewußtlosigkeit oder vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit abgegebenen Willenserklärungen 5—7 1. Bewußtlosigkeit 6 7 2. Vorübergehende Störung der Geistestätigkeit I V . Verantwortlichkeit aus unerlaubter Handlung 8 V . Beweislast 9 Anm. 1 I. Die Nichtigkeit der Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen 1. Allgemeines Die Willenserklärungen eines Geschäftsunfähigen und damit die von ihm vorgenommenen Rechtsgeschäfte sind nichtig. Inwieweit dies auch für geschäftsähnliche

289

§105 Anm. 2—4

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Handlungen gilt, kann nur von Fall zu Fall beantwortet werden. Sog. Realakte sind im allgemeinen wirksam (vgl. hierzu Anm. 2—4 zu § 104). Uber die Wirkungen der Geschäftsunfähigkeit in andern Fällen vgl. die §§8, 1 3 1 , 206, 682, 1674, 1780, 1865, 2 2 0 1 ; über Unfähigkeit zur Eingehung einer E h e s. jetzt E h e G v. 20. 2. 1946 § 2; Wirkung des Mangels ebenda § 18. Die Nichtigkeit ist eine u n b e d i n g t e und tritt auch dann ein, wenn das Interesse des Geschäftsunfähigen völlig gewahrt und das Rechtsgeschäft für ihn vorteilhaft ist ( R G J W 1 9 1 5 , 5 7 0 ; 1937, 3 5 ; 1938, 150). Uber den Begriff Nichtigkeit vgl. § 125.

Anm. 2 2. Kein Schutz des guten Glaubens Der gute Glaube an die Geschäftsfähigkeit wird nicht geschützt (vgl. § 104 Anm. 1). Der Geschäftsgegner hat keinen Anspruch auf das negative Interesse (§ 122) oder auf Schadensersatz aus § 829. Der Geschäftsunfähige ist aber verpflichtet, das auf Grund eines nichtigen Vertrages Erlangte gem. den Vorschriften über u n g e r e c h t f e r t i g t e B e r e i c h e r u n g herauszugeben. Dabei kommt eine gesteigerte Haftung des Geschäftsunfähigen nach § 819 auch dann nicht in Betracht, wenn der Geschäftsunfähige den in seiner Geschäftsunfähigkeit liegenden Mangel des rechtlichen Grundes gekannt hat ( R G J W 1 9 1 7 , 465; vgl. auch R G 93, 2 2 7 f f ) .

Anm. 3 3. Einzelfälle Bei einem G r u n d s t ü c k s v e r ä u ß e r u n g s v e r t r a g genügt die Geschäftsfähigkeit zur Zeit des Vertragsabschlusses, da die Auflassungserklärung gegebenenfalls durch das zu ihrer Abgabe verurteilende Urteil gemäß § 894 Z P O ersetzt werden kann ( R G 6. 1 1 . 1 9 1 8 V 204/18). Die von einem Geschäftsunfähigen erteilte V o l l m a c h t ist zwar nichtig, das von dem Bevollmächtigten vorgenommene Rechtsgeschäft ist jedoch nicht u m deswillen ebenfalls nichtig, es ist vielmehr wie die ohne Vertretungsmacht abgegebene Erklärung gem. § 177 genehmigungsfähig ( R G 69, 263). Die Aushändigung eines Grundschuldbriefes und einer Abtretungsurkunde der wegen Geisteskrankheit g e s c h ä f t s u n f ä h i g e n V e r t r e t e r eines Dritten kann keine Rechtswirkungen bei der Übertragung der Grundschuld erzeugen ( R G WarnRspr 1936 Nr. 2). Hat sich der Gläubiger bei Empfang des zur Tilgung einer Schuld bestimmten Geldbetrags in einem die Willensfreiheit ausschließenden Zustand nach § 104 Ziff. 2 oder § 105 Abs. 2 befunden, so ist eine Tilgung der Schuld nicht eingetreten, da es an einem gültigen Übereignungsgeschäft fehlt ( R G WarnRspr 1930 Nr. 1 6 1 ) . Hat ein geschäftsunfähiger Einzelkaufmann sein Geschäft, das er in geschäftsunfähigem Zustand gekauft hatte, in eine O H G eingebracht, so haftet sein Erbe auch dann nicht auf Zahlung des Kaufpreises, wenn er in die O H G eingetreten ist ( R G 93, 227). Dagegen steht die Nichtigkeit eines Vertrages über die Errichtung einer O H G wegen Geisteskrankheit eines Gesellschafters der Haftung der anderen Gesellschafter aus den namens der Gesellschaft abgeschlossenen Verträgen nicht entgegen ( R G 145, «55)-

Anm. 4 II. Gesetzliche Vertretung des Geschäftsunfähigen

Die Rechte des Geschäftsunfähigen werden von seinem gesetzlichen Vertreter wahrgenommen. Dieser ist allein zur Vertretung befugt. Die Vertretungsbefugnis ist durch die §§ 1629, 1795 und durch § 181 eingeschränkt. Der gesetzliche Vertreter ist gem. § 181 gehindert, Geschenke, die er selbst dem von ihm vertretenen Geschäftsunfähigen machen will, für diesen anzunehmen. Es bedarf hierzu einer Pflegerbestellung gem. § 1909 ( R G WarnRspr 1 9 1 0 , Nr. 4 1 4 ; 1932, Nr. 250). Umstritten ist, ob dies auch für kleinere Geschenke gilt ( R a a p e Arch.Ziv.Pr. 140, 3 5 2 ; S t a u d i n g e r Anm. 4 zu § 105).

290

Geschäftsfähigkeit

§105 Anm. 5—7

Für die Wirkung von Willenserklärungen, die im Namen des Geschäftsunfähigen von seinem gesetzlichen Vertreter oder ihm gegenüber abgegeben werden, gilt § 164. Dem gesetzlichen Vertreter liegt die Sorge für die Person und das Vermögen des Vertretenen ob, soweit nicht in einzelnen Beziehungen durch das Gesetz Ausnahmen bestimmt sind. Für die in § 104 Ziff. 2 bezeichneten Personen kann, sobald die Entmündigung beantragt ist, nach § 1906 eine v o r l ä u f i g e V o r m u n d s c h a f t angeordnet, für einen bestimmten Kreis ihrer Angelegenheiten auch nach § 1909 e i n P f l e g e r bestellt werden (RG 52, 240; RG J W 1906, 376). Ein Geschäftsunfähiger kann nicht wirksam einen Antrag auf Aufhebung einer über ihn gem. § 1 9 1 0 angeordneten Pflegschaft stellen bzw. Beschwerde einlegen ( R G 65, 199; H5> 284; B G H l5> 263). Für den Fall, daß eine n i c h t p r o z e ß f ä h i g e P a r t e i , die keinen gesetzlichen Vertreter hat, verklagt werden soll, kann unter bestimmten Voraussetzungen, insbesondere wenn mit dem Verzuge Gefahr verbunden ist, gem. § 57 Z P O durch den Vorsitzenden des Gerichts ein Prozeßvertreter vorläufig bestellt werden.

Anm. 5 III. Nichtigkeit der im Zustand der Bewußtlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit abgegebenen Willenserklärungen Der Zustand der vorübergehenden Geistesstörung und der Bewußtlosigkeit begründet nur eine einstweilige Unfähigkeit zur Abgabe von Willenserklärungen, keine Geschäftsunfähigkeit im allgemeinen. Die während der Dauer eines solchen Zustandes abgegebenen Willenserklärungen sind aber ebenfalls nichtig. Die Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts macht indessen nicht zugleich das nach Beendigung des fraglichen Zustandes bewirkte Erfüllungsgeschäft nichtig ( R G 72, 61).

Anm. 6 1. Bewußtlosigkeit Mit dem Zustand der Bewußtlosigkeit ist nicht völlige Bewußtlosigkeit — z. B. Ohnmacht — gemeint, denn in einem solchen Zustand können Willenserklärungen überhaupt nicht abgegeben werden, sondern ein bestimmter G r a d der Bewußtseinstrübung, so daß der Betroffene die Erkenntnis des Inhalts und des Wesens der vorgenommenen Handlung nicht besitzt. Die Zustände, die hierunter zu rechnen sind, können pathologischer oder natürlicher Art sein, z.B. manisch-depressives Irresein, epileptische Anfälle, Fieber u. a. m., oder auch nur Schlaf und Hypnose. Auch eine in Trunkenheit abgegebene Willenserklärung kann unter § 105 Abs. 2 fallen, aber nur dann, wenn der G r a d der Trunkenheit derart war, daß der Erklärende sich im Zustande einer Bewußtseinstrübung der oben gekennzeichneten Art befunden hat ( R G WarnRspr 1930 Nr. 149). Dies wird in der Regel nur bei hochgradiger Trunkenheit in Betracht kommen.

Anm. 7 2. Vorübergehende Störung der Geistestätigkeit Die Störung der Geistestätigkeit muß anders wie bei § 104 Ziff. 2 ihrer Natur nach vorübergehend sein, aber auch hier in einem Ausmaß auftreten, daß die freie Willensbestimmung ausgeschlossen ist ( R G 74, 1 1 0 ; 103, 399; 105, 270; R G J W 1936, 1 2 0 5 ; R G WarnRspr 1 9 1 8 Nr. m ; 1928 Nr. 1 6 7 ; R G Gruchot 72, 203 und § 104 Anm. 1 3 ) . Bloße Willensschwäche und leichte Beeinflußbarkeit durch andere Personen schließen die Möglichkeit freier Willensbestimmung nicht aus ( R G J W 1936, 1 2 0 5 ; R G WarnRspr 1 9 1 7 Nr. 234). Bei Dauerzuständen, auch wenn sie sich nur in einzelnen Erscheinungen (Zwangsvorstellungen) bemerkbar machen, kann nur allgemeine Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Ziff. 2 in Frage kommen. Die vorübergehende Störung der Geistestätigkeit kann sich auch auf ein einzelnes Lebensgebiet beschränken (OGH 4, 66).

291

§ 105 A n m . 8, 9 § 106 A n m . 1, 2

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Aura. 8 IV. Für die Verantwortlichkeit aus unerlaubten Handlungen gelten die Vorschriften der §§ 827—829. Anm. 9 V. Beweislast Wer sich darauf beruft, daß der Tatbestand des § 105 Abs. 2 vorgelegen habe, muß ihn beweisen (RG WarnRspr 1913, Nr. 243). Es gelten insoweit die gleichen Beweislastregeln wie für § 104, vgl. dort Anm. 16, 17.

§106 Ein Minderjähriger, der das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist nach Maßgabe d e r § § 107 bis 113 in der Geschäftsfähigkeit beschränkt. E I 65 Abs. 1; M 1 131ff;P I 59ff. Übersicht

Anm. I. Die Beschränkung der Geschäftsfähigkeit I II. Beschränkt geschäftsfähige Personen 2—3 1. Allgemeines 2 2. Minderjährigkeit 3 III. Wirkungen der beschränkten Geschäftsfähigkeit 4—6 1. Allgemeines 4 2. Besondere Vorschriften 5 3. Die Einwilligung des Minderjährigen in Angriffe gegen sein Eigentum oder seine Person als Rechtfertigungsgrund 6 IV. Übergangsrecht und ausländisches Recht 7 Anm. 1 I. Die Beschränkung der Geschäftsfähigkeit Die Beschränkung der Geschäftsfähigkeit ist eine Zwischenstufe zwischen Geschäftsunfähigkeit und voller Geschäftsfähigkeit. Der in der Geschäftsfähigkeit Beschränkte ist eines rechtlich in Betracht kommenden Willens fähig. Es fehlt ihm aber regelmäßig der Grad von geistiger Reife und Erfahrung, den das Gesetz zu Verfügungen über das Vermögen oder über die Person für notwendig erachtet; oder das Gesetz hält aus anderen Gründen (Verschwendung, Trunksucht) eine Fürsorge für geboten. Der in der Geschäftsfähigkeit Beschränkte erhält daher ebenfalls einen gesetzlichen Vertreter. Er kann aber trotzdem in gewissen Grenzen auch durch seine eigenen Handlungen am Rechtsverkehr teilnehmen. Doch ist seine Geschäftsfähigkeit nach Maßgabe der §§ 107—-113 eingeschränkt. Die Beschränkung der Geschäftsfähigkeit hat viel Gemeinsames mit den Fällen subjektiver Verfügungsunfähigkeit, der mangelnden Befugnis, über den Gegenstand des Geschäfts selbständig zu verfügen. Deshalb kehren die Vorschriften der §§ 108, 109, i n mit entsprechenden Änderungen wieder bei: a) Vertretung ohne Vertretungsmacht (§§ 177, 178, 180); b) Rechtsgeschäften des Vaters, der Mutter als Inhaber der elterlichen Gewalt oder des Vormundes ohne die erforderliche Zustimmung des Vormundschaftsgerichts oder Gegenvormundes (§§ 1643, 1687, 1829, 1832). Anm. 2 II. Beschränkt geschäftsfähige Personen 1. Allgemeines In der Geschäftsfähigkeit beschränkt sind die Minderjährigen, die wegen Geistesschwäche, Verschwendung oder Trunksucht Entmündigten sowie die nach § 1906 unter vorläufige Vormundschaft gestellten Personen. Vgl. § 1 1 4 . In der Geschäftsfähigkeit ist nicht beschränkt, wer nach Maßgabe der §§1910, 1 9 1 1 , 1913 einen Pfleger erhalten 292

Geschäftsfähigkeit

§106

Anm. 3—6 hat. Bei einem Rechtsstreit aber, den der Pfleger in Ausübung der Vertretungsmacht führt, gilt der nach § i g i o f f u n t e r Pflegschaft Gestellte gem. § 53 Z P O für diesen Rechtsstreit als prozeßunfähig ( R G 52, 223).

Anm. 3 2. Minderjährigkeit Als minderjährig im Rechtssinne wird bezeichnet, wer über 7 Jahre alt, aber noch nicht volljährig, mithin noch nicht 21 Jahre alt und auch nicht für volljährig erklärt worden ist (§ 2). Die beschränkte Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen beginnt von selbst mit der Vollendung des 7. Lebensjahres. Die Berechnung erfolgt nach § 187 Abs. 2. In der sowjetisch besetzten Zone und in Ostberlin tritt die Volljährigkeit schon mit vollendetem 18. Lebensjahr ein (für die D D R : Ges. v. 17. 5. 1950 GBl. 437; für Ostberlin V O v. 8. 6. 1950 VOB1. I, 149). S t u d i e r e n d e Minderjährige nehmen keine Sonderstellung ein, sondern werden wie andere Minderjährige behandelt. D i e E h e f r a u ist in der Geschäftsfähigkeit nicht beschränkt, sie wird aber, auch wenn sie vor dem 21. Lebensjahre die Ehe schließt, nicht volljährig. Der Satz „Heirat macht mündig" gilt im deutschen Recht nicht. Der Begriff des J u g e n d l i c h e n im Sinne des J G G (v. 4 . 8 . 1953 BGBl. I, 751) ist mit dem des Minderjährigen nicht identisch. Jugendlicher ist nach § 1 J G G , wer das 14. Lebensjahr vollendet, aber noch nicht 18 Jahre alt ist. Die 18—21 Jahre alten Personen werden im J G G als Heranwachsende bezeichnet.

Anm. 4 III. Wirkungen der beschränkten Geschäftsfähigkeit 1. Allgemeines Die Beschränkung der Geschäftsfähigkeit besteht nur für Rechtsgeschäfte, die dem fraglichen Personenkreis nicht lediglich vorteilhaft sind. Solche Rechtsgeschäfte sind nur dann ohne weiteres mit ihrem Abschluß wirksam, wenn der in der Geschäftsfähigkeit Beschränkte mit Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters gehandelt hat. Der Fall, daß der beschränkt Geschäftsfähige ein e i n s e i t i g e s Rechtsgeschäft ohne die erforderliche Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters abschließt, ist in § 111, der Abschluß eines z w e i s e i t i g e n Rechtsgeschäftes in den §§ 108—110 geregelt. Ist ein in der Geschäftsfähigkeit Beschränkter mit Einwilligung des gesetzlichen Vertreters in ein Dienstoder Arbeitsverhältnis eingetreten (§ 113) oder betreibt er ein Erwerbsgeschäft (§ 112), so ist er für hiermit verbundene Geschäfte unter bestimmten Voraussetzungen voll geschäftsfähig.

Anm. 5 2. Besondere Vorschriften Außer den §§ 107—113 bestehen noch eine Reihe besonderer Vorschriften, die sich mit der Rechtsstellung des beschränkt Geschäftsfähigen befassen: Vgl. BGB §§ 8 (Wohnsitz), 131 Abs. 2 (Zugang einer Willenserklärung), 206 (Verjährung), 682 (Verantwortlichkeit aus Geschäftsführung ohne Auftrag), 828 Abs. 2 (Deliktsfähigkeit), 1411 Abs. 1 (Ehevertrag), 2229, 2230, 2247 (Testament), 2275 (Erbvertrag), 2347 (Erbverzicht) — EheG §§ 3, 30, — Z P O §§ 52, 232, 641 Abs. 2 — F G G §§ 59, 63 (selbständiges Beschwerderecht, vgl. J F G 16, 253).

Anm. 6 3. Die Einwilligung des Minderjährigen in Angriffe gegen sein Eigentum oder seine Person als Rechtfertigungsgrund Die wichtige Frage, ob der Minderjährige befähigt ist, i n A n g r i f f e gegen sein Eigentum oder gegen seinen K ö r p e r derart wirksam e i n z u w i l l i g e n , daß der Angriff hierdurch zu einem statthaften (nicht rechtswidrigen) wird, beantwortet sich für den ersten Fall aus der Erwägung, daß die Einwilligung eine Verfügung über die Sache darstellen würde, die dem Minderjährigen grundsätzlich entzogen ist. Bei Verfügungen über die io

Komm. z. BGB. n . A u f l . I. Bd. (Krügcr-Nicland)

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§ 106 A n m . 7 §107

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Person dagegen können die sachenrechtlichen Grundsätze auch nicht einmal entsprechend anwendbar sein, weil das Erfordernis der Rechtsähnlichkeit der Fälle fehlt. Indessen auch dem Grundsatze, wonach der gesetzliche Vertreter für die Person des Minderjährigen zu sorgen verpflichtet ist (§§ 1626, 1793), kann das Gesetz keinesfalls die Tragweite beigemessen haben, daß dem Vertreter zugleich eine ausschließliche und uneingeschränkte Verfügung über die körperliche Unversehrtheit des Pflegebefohlenen eingeräumt und diesem anderseits jedes Selbstbestimmungsrecht entzogen sein sollte. U m mit den Lebensverhältnissen in Einklang zu bleiben, wird man vielmehr von Fall zu Fall prüfen müssen, und wird vor allem der Täter zu prüfen haben, ob der Minderjährige in der Lage gewesen ist, die Ersprießlichkeit des Eingriffs selbst zu ermessen, je nach seiner geistigen und sittlichen Reife und j e nach der Erheblichkeit des Eingriffs (vgl. RGSt 41, 392). Wenn R G J W 07, 505; sowie R G 25, 375; 38, 34 und auch R G J W 1911, 748; WarnRspr 1911 Nr. 398 (wo indessen wenigstens für ganz besonders geartete Fälle die Möglichkeit einer Ausnahme zugegeben wird) den allgemeinen Grundsatz aufstellen (vgl. auch R G 68, 433), daß die Berechtigung des Arztes zu einer Operation bei Minderjährigen stets von der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters abhängig sei, so kann das nicht gebilligt werden (aA P l a n c k § 107 Anm. I 4). Gegebenenfalls mit einer stillschweigend erteilten Einwilligung des gesetzlichen Vertreters zu rechnen (RG J W 07, 505), stellt lediglich einen überdies sachlich keinesfalls immer brauchbaren Notbehelf dar. Bei unentschuldbarem Irrtum des Arztes über die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters bliebe überdies die Handlungsweise des Arztes stets eine schuldhafte ( R G 68, 437), sofern die Einwilligung des Kranken selbst grundsätzlich belanglos wäre. Nach einer Entscheidung des O L G München kann der Minderjährige rechtswirksam selbständig seine Einwilligung zur Operation geben, falls er die nötige Urteils- und Einsichtsfähigkeit hinsichtlich des Eingriffs besitzt und die erforderliche Aufklärung hierüber erhält ( O L G München N J W 1958, 633); vgl. auch Anm. 5 zu § 107. Uber rechtsgeschäftlichen Haftungsausschluß bei Gefälligkeitsfahrten, Handeln auf eigene Gefahr vgl. Anm. 3 zu § 111. Anm. 7 I V . Übergangsrecht und ausländisches Recht Wegen des Ubergangsrechtes vgl. Art. 153, 154 E G ; wegen des ausländischen Rechtes vgl. Art. 7, 27, 29 E G .

§107 Der Minderjährige bedarf zu einer Willenserklärung, durch die er nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters. E I 65 Abs. 2, 3 Satz i II 81; M i 133; P I 59fr

Übersicht Anm.

I. Allgemeines II. Einwilligung 1. Begriff 2. Gegenstand der Einwilligung III. Einwilligungsbedürftige Willenserklärungen 1. Rechtsgeschäfte a) Verträge b) Annahme geschuldeter Leistung c) Familienrechtliche Rechtsgeschäfte 2. Geschäftsähnliche Handlungen I V . Rechtsgeschäfte, die lediglich rechtlich vorteilhaft sind V . Befugnisse des gesetzlichen Vertreters

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i 2—3 2 • 3 4—8 4—7 5 6 7 8 9 10

Geschäftsfähigkeit

§107 Anm. 1—4

Anm. 1 I. Allgemeines § 107 geht von dem allgemeinen Grundsatz aus, daß der Minderjährige für alle Rechtsgeschäfte, durch die er lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, geschäftsfähig ist. Für alle übrigen Rechtsgeschäfte bedarf er, wenn diese bei Vornahme ohne weiteres wirksam werden sollen, der vorherigen oder gleichzeitigen Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters. Das ohne Einwilligung vorgenommene Rechtsgeschäft ist aber nicht nichtig, sondern (abgesehen vom einseitigen Rechtsgeschäft § 1 1 1 ) zwar einstweilen unwirksam, aber genehmigungsfähig (§ 108). Ausnahmen von diesem Grundsatz des § 107 enthalten die §§ 110, 112 und 113.

Anm. 2 II. Einwilligung 1. Begriff Unter Einwilligung ist die vor oder bei Abgabe der rechtsgeschäftlichen Willenserklärung erklärte Zustimmung zu verstehen. Die nachträgliche Zustimmung bezeichnet das Gesetz als Genehmigung (§§ 183, 184). Die Einwilligung ist eine einseitige empfangsbedürftige rechtsgeschäftliche Erklärung, die ausdrücklich oder stillschweigend sowohl gegenüber dem Minderjährigen als auch gegenüber dessen Geschäftsgegner abgegeben werden kann. Der gesetzliche Vertreter kann sich zur Übermittlung seiner Zustimmungserklärung eines Dritten bedienen, eine V e r t r e t u n g i m W i l l e n ist jedoch a u s g e s c h l o s s e n . Das gleiche gilt für den Widerruf der Einwilligung. Die Einwilligung ist bis zur Vornahme des Rechtsgeschäftes frei widerruflich (§ 183) und unterliegt nicht der für das Hauptgeschäft vorgeschriebenen Form (§ 182 Abs. 2). So kann die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters in den Vertragsschluß eines Minderjährigen angenommen werden, wenn beide gemeinschaftlich ein Grundstück veräußern und auflassen, mag auch in der notariellen Urkunde die Minderjährigkeit nicht erwähnt werden (RG 130, 124).

Anm. 3 2. Gegenstand der Einwilligung Grundsätzlich kann die Einwilligung nicht a l l g e m e i n f ü r a l l e k ü n f t i g e n R e c h t s g e s c h ä f t e erteilt werden, die der Minderjährige vorzunehmen beabsichtigt; sie muß sich vielmehr — abgesehen von den Fällen der §§ 112, 113 — in der Regel auf das einzelne Rechtsgeschäft mit bestimmtem Gegenstand beziehen. Umstritten ist, ob die Einwilligung von vornherein für einen nicht fest bestimmten Kreis von Rechtsgeschäften, die mit einer bestimmten Betätigung, wie beispielsweise einer Reise, einem Studienaufenthalt, zusammenhängen, erteilt werden kann. M a n wird dies für zulässig erachten müssen, wobei jedoch die Einwilligung nur solche Rechtsgeschäfte deckt, die üblicherweise mit der von dem gesetzlichen Vertreter gebilligten Betätigung des Minderjährigen verbunden sind (so Ennec.-Nipp. § 1 5 2 I; Staud. 11. Aufl. Anm. 3 zu § 107; aA R G R K o m m . 10. Aufl. Anm. 1 zu § 107). Dabei ist aber zu beachten, daß durch eine solche Einwilligung — anders wie in den Fällen der § § 1 1 2 und 113 — keine Erweiterung der beschränkten Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen herbeigeführt wird, sondern daß die Vertretungsmacht des gesetzlichen Vertreters auch hinsichtlich der in den Rahmen des begrenzten Generalkonzenses fallenden Geschäfte unberührt bleibt.

Anm. 4 III. Einwilligungsbedürftige Willenserklärungen Bei der Frage, ob ein Rechtsgeschäft dem Minderjährigen lediglich einen rechtlichen Vorteil bringt, bleiben die w i r t s c h a f t l i c h e n Wirkungen außer Betracht. Es kommt allein auf die r e c h t l i c h e n Folgen an, die mit dem vorgenommenen Rechtsgeschäft verknüpft sind, insbesondere also darauf, ob hierdurch eine Verpflichtung des Minderjährigen begründet wird. 20*

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§107 Anm. 5—7 Anm. 5 1. Rechtsgeschäfte a) Verträge

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Einwilligungsbedürftig sind alle g e g e n s e i t i g e n v e r p f l i c h t e n d e n V e r t r ä g e . Aber auch die einseitig verpflichtenden Verträge bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Einwilligung; so die Auftragserteilung (§ 662), da hieraus sowohl für den Auftraggeber als auch für den Beauftragten Verpflichtungen entstehen können; ferner der Leihvertrag (§ 598), und zwar auch dann, wenn der Minderjährige Entleiher ist, wegen der damit verbundenen Sorgfaltspflicht. Ebenso ist der unentgeltliche Verwahrungsvertrag zustimmungsbedürftig, denn es können sich auch f ü r den Hinterleger hieraus Verpflichtungen ergeben (§§ 693, 694). Das gleiche gilt für die Entgegennahme eines unverzinslichen Darlehns, weil es zur Rückgabe verpflichtet. Auch in Erfüllung einer Verbindlichkeit kann der Minderjährige nicht wirksam ohne Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters über sein Vermögen verfügen. Einwilligungsbedürftig ist auch die Kündigung, da sie gleichfalls eine Verfügung darstellt und den Minderjährigen verpflichtet, gleichgültig, ob er Gläubiger oder Schuldner ist, da er entweder eine Leistung anzunehmen oder zu erbringen hat (vgl. Anm. 6). J e d o c h schließt die Einwilligung zur Einziehung einer Forderung auch die zur Kündigung ein. Der Minderjährige kann auch ohne Einwilligung keine Forderung erlassen, darauf verzichten, eine Schuld übernehmen, aufrechnen oder eine Forderung übertragen. Ohne Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters kann der Minderjährige keinen Vertrag über eine Haftungsfreistellung oder Haftungsminderung rechtswirksam abschließen. Dies gilt auch für Gefälligkeitsfahrten. Ein Kraftfahrer hat also einem aus Gefälligkeit im Kraftfahrzeug mitgenommenen Minderjährigen gegenüber für die Folgen eines fahrlässigen Verhaltens selbst dann einzustehen, wenn er vor Antritt der Fahrt erklärt hat, er komme für nichts auf ( B G H N J W 1958, 905 = M D R 1958, 503). In dieser Entscheidung ist offen gelassen, ob einem Minderjährigen gegenüber die Verschuldenshaftung aus dem Rechtsgrund des Handelns auf eigene Gefahr ausgeschlossen sein kann (vgl. hierzu R G 1 4 1 , 262; O L G Bamberg N J W 1949, 506; siehe auch O L G Kiel N J W 1950, 226 und Anm. 2 zu § i n ) . Umstritten ist, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Minderjährige rechtswirksam selbständig in eine Operation einwilligen kann (vgl. hierzu O L G München N J W 1958, 633 und A n m . 6 zu § 106 über die Bedeutung der Einwilligung des Minderjährigen in Angriffe gegen seine Person oder sein Eigentum als R e c h t f e r t i g u n g s g r u n d ) .

Anm. 6 b) Annahme geschuldeter Leistung Z u r Annahme einer geschuldeten Leistung muß ebenfalls die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters vorliegen, weil der Minderjährige mit der Annahme seine Forderung verliert (streitig). Dagegen erwirbt er, trotz fehlender Einwilligung, das Eigentum an den zur Erfüllung einer Verbindlichkeit übergebenen beweglichen Sachen, weil der Eigentumserwerb für ihn rechtlich nur vorteilhaft ist. Dem steht nicht entgegen, daß der Minderjährige u. U . , falls die Annahme der Leistung auch nicht nachträglich genehmigt wird, auf Herausgabe wegen ungerechtfertigter Bereicherung in Anspruch genommen werden kann. Denn dies ist nicht eine rechtsgeschäftliche Folge der Ubereignung, sondern ergibt sich aus dem Fehlen eines Rechtsgrundes für die Eigentumsübertragung. Auch wenn der Minderjährige den Mangel der Einwilligung bei Annahme der Leistung und damit den Mangel des rechtlichen Grundes gekannt hat, kommt eine gesteigerte Haftung gem. § 819 nicht in Betracht, weil dies dem Schutzzweck der Vorschriften über die beschränkte Geschäftsfähigkeit widersprechen würde. Vgl. Anm. 2 zu § 105.

Anm. 7 c) Familienrechtliche Rechtsgeschäfte Ein Minderjähriger bedarf zum wirksamen Abschluß eines V e r l ö b n i s s e s der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters ( R G 6 1 , 267). Schließt er ein Verlöbnis ohne

296

Geschäftsfähigkeit

§107

Anm. 8—10

die erforderliche Einwilligung, so hängt dessen Wirksamkeit von der nachträglichen Genehmigung ab, die auch der Minderjährige nach Eintritt der Volljährigkeit erklären kann. Der Rücktritt vom Verlöbnis ist dagegen, weil die Ehe nicht erzwungen werden kann, nicht einwilligungsbedürftig (RG 98, 13). Der Minderjährige kann auch nicht ohne Einwilligung die V a t e r s c h a f t zu einem unehelichen Kinde a n e r k e n n e n . Im übrigen vgl. EheG § 3, BGB § 1 4 1 1 . Anm. 8 2. Geschäftsähnliche Handlungen Ob der Minderjährige zur wirksamen Vornahme einer sog. geschäftsähnlichen Handlung (vgl. Anm. 2 und 4 zu § 104) befähigt ist, ist für jeden Einzelfall zu prüfen. Zur Begründung und Aufhebung eines Wohnsitzes (§ 8) wird vom Gesetz ausdrücklich volle Geschäftsfähigkeit verlangt; zur Übernahme einer Geschäftsführung ohne Auftrag wird sie nicht erforderlich sein. Die Haftung des Minderjährigen hieraus ist nach § 682 beschränkt. Zweifelhaft kann sein, ob der Minderjährige rechtswirksam Mängelanzeigen, Mahnungen und Aufforderungen ohne Einwilligung des gesetzlichen Vertreters vornehmen kann. Soweit es sich um rechtswahrende Mitteilungen und Anzeigen handelt, wird man sie als wirksam betrachten müssen, weil sie lediglich rechtlichen Vorteil bringen. Hierbei ist bedeutungslos, welche geistige und körperliche Reife der Minderjährige im Einzelfall besitzt (aM wohl S t a u d i n g e r Anm. 9 zu § 107). Anm. 9 IV. Rechtsgeschäfte, die lediglich rechtlich vorteilhaft sind Hierher gehören die Annahme unentgeltlicher Zuwendungen, sei es unter Lebenden, sei es von Todes wegen; ferner die Annahme von Erlaß oder Verzicht auf Rechte; aber auch die Aneignung (§ 958). Daß durch den Hinzutritt weiterer Umstände nur mittelbar etwa eine Verpflichtung für den Minderjährigen entstehen kann, so die Herausgabepflicht bei Schenkungen, wenn der Schenker verarmt (§ 528), oder die Schenkung in den Fällen der §§ 530 ff widerruft, ist für das Vorhandensein eines nur vorteilhaften Rechtsgeschäfts unwesentlich. Daher kann der Minderjährige durch rein abstrakte Rechtsgeschäfte (Zession, Ubergabe, Auflassung) auch ohne Einwilligung erwerben; denn aus dem abstrakten Rechtsgeschäft selbst kann für ihn niemals zugleich eine Verpflichtung entstehen, sondern gegebenenfalls nur aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis. Durch die Schenkung von beweglichen Sachen erlangt der Minderjährige auch dann lediglich einen rechtlichen Vorteil, wenn sich der Veräußerer den N i e ß b r a u c h daran vorbehält (RG 148, 321). Der Abschluß eines schuldrechtlichen Vertrages, durch den der Vater seinem minderjährigen Kinde ein G r u n d s t ü c k s c h e n k t , bringt diesem lediglich rechtlichen Vorteil (BGH 15, 168). Der Minderjährige kann ferner ohne Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters die schenkweise erteilte Auflassung über ein Grundstück entgegennehmen ( K G H R R 1936 Nr. 788). Dies gilt auch dann, wenn das Grundstück hypothekarisch belastet ist. Denn die damit verbundenen Steuern, Kosten und die mögliche Verpflichtung zur Duldung der Zwangsvollstreckung sind keine sich unmittelbar aus dem Rechtsgeschäft der Schenkung ergebenden rechtlichen Folgen (streitig). Dagegen ist eine Einwilligung des gesetzlichen Vertreters zur wirksamen Auflassung dann erforderlich, wenn das Grundstück dem Minderjährigen unter einer A u f l a g e (z.B. dem Veräußerer daran einen Nießbrauch zu bestellen) geschenkt wird (streitig). Vgl. BGH 15, 168 für den Fall einer mit dem Schenkungsvertrag verbundenen Anordnung nach § 2050 Abs. 3. Anm. 10 V. Befugnisse des gesetzlichen Vertreters Der gesetzliche Vertreter kann für den Minderjährigen Willenserklärungen abgeben und entgegennehmen. Zu einer Anzahl von Rechtsgeschäften bedarf er aber selbst der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts (für den Vater oder Mutter vgl. § 1643, für den Vormund §§ 1821, 1822 oder u. U. des Gegenvormundes §§1812, 1813).

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§108 Anm. 1

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Ist die Ubereignung eines Grundstückes — etwa weil mit einer Auflage verbunden —• einwilligungsbedürftig, so ist der gesetzliche Vertreter, der mit dem Minderjährigen einen Schenkungsvertrag über ein Grundstück abgeschlossen hat, befugt, die Auflassung zu erklären und gleichzeitig der Annahme der Auflassung durch den Minderjährigen zuzustimmen. § 181 steht nicht entgegen, so daß die Bestellung eines Pflegers zur Auflassung nicht notwendig ist (BGH 15, 168).

§108 Schließt der Minderjährige einen Vertrag ohne die erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, so hängt die Wirksamkeit des Vertrags von der Genehmigung des Vertreters ab. Fordert der andere Teil den Vertreter zur Erklärung über die Genehmigung auf, so kann die Erklärung nur ihm gegenüber erfolgen; eine vor der Aufforderung dem Minderjährigen gegenüber erklärte Genehmigung oder Verweigerung der Genehmigung wird unwirksam. Die Genehmigung kann nur bis zum Ablaufe von zwei Wochen nach dem Empfange der Aufforderung erklärt werden; wird sie nicht erklärt, so gilt sie als verweigert. Ist der Minderjährige unbeschränkt geschäftsfähig geworden, so tritt seine Genehmigung an die Stelle der Genehmigung des Vertreters. E I 65 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5, 6 II

62; M 1 134ff; P 1 60B; 6 1 2 4 s ; 2 7 6 E

Ü b ersieht

Anm.

I. Allgemeines 1—3 II. Genehmigung 4—6 1. Wirkung erteilter Genehmigung 5 2. Wirkung verweigerter Genehmigung 6 III. Aufforderung zur Erklärung über die Genehmigung 7—8 1. Allgemeines 7 2. Wirkung der Aufforderung 8 IV. Dauer des Genehmigungsrechtes des gesetzlichen Vertreters 9—10 1. Bei Aufforderung 9 2. Ohne Aufforderung 10 V. Genehmigung durch den voll geschäftsfähig gewordenen Minderjährigen 11 VI. Beweislast 12 Anm. 1 I. Allgemeines Die §§ 108 und 109 regeln die Rechtslage in den Fällen, in denen der Minderjährige einen für ihn rechtlich nicht lediglich vorteilhaften Vertrag ohne die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters abschließt. Ein solcher Vertrag ist nicht nichtig, sondern befindet sich in einem Zustand der schwebenden Unwirksamkeit, der sogenannten Genehmigungslage. Diese kann entweder durch die Genehmigung des gesetzlichen Vertreters oder des volljährig gewordenen Minderjährigen, durch Verweigerung der Genehmigung oder durch den Widerruf des Geschäftes durch den Geschäftsgegner des Minderjährigen sowie durch dessen Aufforderung zur Erklärung über die Genehmigung gemäß § 108 Abs. 2 beendet werden. Im Falle der Genehmigung wird der Vertrag mit rückwirkender Kraft wirksam, im Falle der Verweigerung der Genehmigung oder des Widerrufs endgültig unwirksam. Diese den Schutz des Minderjährigen bezweckenden Bestimmungen haben den Vorrang vor allen anderen Interessen. Hat sich ein Minderjähriger in rechtsunwirksamer Weise am Abschluß eines Gesellschaftsvertrages beteiligt und ist die Gesellschaft sodann in Vollzug gesetzt worden, so kann ein solches Gesellschaftsverhältnis nicht als faktische Gesellschaft unter Einschluß des Minderjährigen angesehen werden (BGH 17, 160). 298

Geschäftsfähigkeit

§108

A n m . 2—6

Anm. 2 Das Bürgerliche Gesetzbuch geht im Gegensatz zum römischen Recht davon aus, daß der Geschäftsgegner des Minderjährigen während der Dauer der G e n e h m i g u n g s lage nicht einseitig an den Vertrag gebunden sein soll. Der Vertragspartner des Minderjährigen ist während des Schwebezustandes sogar besser gestellt als der Minderjährige, da ihm durch § 109 ein Widerrufsrecht (abgesehen von dem Sonderfall des Abs. 2 das.) eingeräumt ist, während dem Minderjährigen ein solches Widerrufsrecht nicht zusteht ( M i , 334). Anm. 3 Die durch den Vertrag geschaffene Rechtslage ist schon während des Schwebezustandes auf der Gläubiger- und auf der Schuldnerseite vererblich; und zwar betrifft dies auch das dem Minderjährigen nach Eintritt der Volljährigkeit zustehende Genehmigungsrecht (Abs. 3). Sind die Erben des Minderjährigen voll geschäftsfähig, so können sie selbst den Vertrag genehmigen, andernfalls steht dieses Recht dem gesetzlichen Vertreter der Erben zu (streitig). Eine Vererbung der durch den Vertrag geschaffenen Rechtslage kommt dagegen nicht in Betracht, wenn der Minderjährige eine an seine Person g e b u n d e n e V e r p f l i c h t u n g übernommen hat, z.B. Klavierunterricht zu nehmen oder ein Konzert zu geben. Anm. 4 II. G e n e h m i g u n g Die Genehmigung ist eine an keine Form gebundene (§ 182) empfangsbedürftige und nicht widerrufliche Willenserklärung (vgl. Anm. zu § 184), die sowohl gegenüber dem Minderjährigen als auch gegenüber dessen Vertragspartner ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten abgegeben werden kann. Sie hat zur Folge, daß der Vertrag von Anfang an wirksam wird, wobei jedoch etwaige vom gesetzlichen Vertreter oder in einem Zwangsvollstreckungsverfahren in der Zwischenzeit getroffenen Verfügungen aufrecht erhalten bleiben (§ 184 Abs. 2 und Anm. hierzu). Anm. 5 1. Wirkung erteilter G e n e h m i g u n g Die Genehmigung hat aber nicht zur Folge, daß die genehmigte Willenserklärung des Minderjährigen nun zu einer eigenen Erklärung des gesetzlichen Vertreters wird. Die Vorschriften über die Stellvertretung (§§ 164fr), insbesondere § 166 Abs. i, sind daher nicht anwendbar (RG 116, i38f). Für die Kenntnis einer Benachteiligungsabsicht bei einem vom Minderjährigen mit dem Gemeinschuldner geschlossenen und vom gesetzlichen Vertreter genehmigten Vertrag (§ 30 KO) kommt es daher auf die Person des Minderjährigen und nicht auf diejenige des gesetzlichen Vertreters an (RG 114, 134). Anm. 6 2. Wirkung verweigerter G e n e h m i g u n g Die Verweigerung der Genehmigung macht den Vertrag von Anfang an, wenn auch nicht nichtig, so doch endgültig unwirksam. Die Verweigerung kann auch n i c h t w i d e r r u f e n werden (RG J W 1906, 9). Die Folgen der Unwirksamkeit kommen aber denen der Nichtigkeit gleich. So können schon erbrachte Leistungen sowohl vom Minderjährigen als auch von dessen Geschäftspartner nach Maßgabe der Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung zurückverlangt werden. Den B e w e i s , daß die Bereicherung fortgefallen ist, hat der in Anspruch genommene Minderjährige zu führen (RG 65, 298; 68, 270; RG WarnRspr 1918 Nr. 70). Eine gesteigerte Haftung des Minderjährigen gemäß § 819 kommt jedoch nicht in Betracht (vgl. auch Anm. 2 zu § 105). Eine Schadensersatzpflicht des Minderjährigen, etwa aus culpa in contrahendo, wenn er seine Minderjährigkeit schuldhaft verschwiegen hat, besteht nicht. Sie kann nur dort in Frage kommen, wo der Minderjährige seinen Vertragsgegner in Schädigungsabsicht arglistig über sein Alter oder über das Vorhandensein der Genehmigung getäuscht hat und setzt weiter voraus, daß der Minderjährige zivilrechtlich deliktsfähig ist.

299

§108 A n m . 7—10

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 7 III. Aufforderung zur Erklärung über die Genehmigung 1. Allgemeines Dem Geschäftsgegner des Minderjährigen ist in § 108 Abs. 2 das Recht eingeräumt, dem Schwebezustand und damit der Ungewißheit über die Wirksamkeit des Vertrages dadurch ein Ende zu bereiten, daß er den gesetzlichen Vertreter zur Erklärung über die Genehmigung auffordert. Die Aufforderung ist eine einseitige, formfreie, aber empfangsbedürftige Willenserklärung, die nur gegenüber dem gesetzlichen Vertreter abgegeben werden kann. Anm. 8 2. Wirkung der Aufforderung Die Aufforderung zur Erklärung über die Genehmigung bewirkt, daß die Genehmigung oder ihre Verweigerung nur noch gegenüber dem Geschäftsgegner des Minderjährigen erklärt werden kann. Eine vor der Aufforderung gegenüber dem Minderjährigen erteilte Genehmigung oder Verweigerung wird mit Wirkung für beide Vertragsteile unwirksam. Die Aufforderung hat mithin zur Folge, daß der durch eine gegenüber dem Minderjährigen erklärte Genehmigung oder Verweigerung beendete Schwebezustand wieder auflebt und der gesetzliche Vertreter sich erneut über Genehmigung oder Verweigerung des Vertrages schlüssig werden kann. Eine Mitteilung des gesetzlichen Vertreters an den Auffordernden über die dem Minderjährigen gegenüber erklärte Genehmigung oder Verweigerung enthält aber dem Auffordernden gegenüber zugleich die Genehmigung oder Verweigerung selbst. Hat der gesetzliche Vertreter freilich schon vor dem Vertragsabschluß seine E i n w i l l i g u n g gegenüber dem Minderjährigen erteilt, so findet § 108 Abs. 2 keine Anwendung. Der gesetzliche Vertreter bleibt vielmehr an seine Einwilligung gebunden. Ein Recht des Geschäftsgegners des Minderjährigen, von dessen gesetzlichem Vertreter eine Erklärung über eine von ihm etwa dem Minderjährigen bereits erteilte Einwilligung zu verlangen, kennt das Gesetz nicht. Es bleibt hier nur die Erhebung einer Feststellungsklage übrig. Anm. 9 IV. Dauer des Genehmigungsrechtes des gesetzlichen Vertreters 1. Bei Aufforderung Der gesetzliche Vertreter hat, wenn er zur Erklärung über die Genehmigung aufgefordert wurde, eine Frist von 2 Wochen seit dem Empfang der Aufforderung, innerhalb der er sich entscheiden muß. Läßt er die Frist verstreichen, ohne eine Erklärung abzugeben, so gilt die G e n e h m i g u n g als verweigert. Die Berechnung der Frist bestimmt sich nach den §§ 187, 188. Die Regelung des § 108 Abs. 2 ist jedoch nicht zwingend; der Geschäftsgegner und der gesetzliche Vertreter können eine Verlängerung oder Abkürzung der Frist vereinbaren. Nach Ablauf der gesetzlichen oder vereinbarten Frist ist der gesetzliche Vertreter mit dem Recht zur Genehmigung ausgeschlossen. Zur nachträglichen Beseitigung dieser Folgen wäre ein entsprechender Vertragsschluß erforderlich. Anm. 10 2. Ohne Aufforderung Die Dauer des Genehmigungsrechtes des gesetzlichen Vertreters ist mit Ausnahme des Falles, daß er zur Erklärung aufgefordert wird, unbegrenzt. Wenn der gesetzliche Vertreter in Kenntnis des abgeschlossenen Vertrages dessen Vollziehung stillschweigend duldet, dann wird regelmäßig darin eine stillschweigend erteilte Genehmigung zu erblicken sein. Es hat jedoch keinen Einfluß auf das Recht des gesetzlichen Vertreters, sich frei zu entschließen, ob er von seinem Genehmigungsrecht Gebrauch machen will, wenn er von dem Vertragsabschluß durch den Minderjährigen erst nach einem längeren Zeitablauf erfährt. 300

Geschäftsfähigkeit

§ 108 A n m . 11, 12 § 109 Anm. 1, 2

Anm. 11 V. Genehmigung durch den voll geschäftsfähig gewordenen Minderjährigen Die Erlangung der unbeschränkten Geschäftsfähigkeit durch Eintritt der Volljährigkeit oder durch Volljährigkeitserklärung hat nicht die Folge, daß der vom früheren Minderjährigen abgeschlossene Vertrag von selbst wirksam wird, vielmehr ist auch jetzt noch zur Wirksamkeit die Genehmigung erforderlich. Sie steht allerdings nicht mehr dem gesetzlichen Vertreter, sondern dem nunmehr geschäftsfähig gewordenen, früheren Minderjährigen zu. Dieser kann die Erklärung nur gegenüber seinem Vertragspartner abgeben, wie auch die Aufforderung mit den in Abs. 2 bezeichneten Folgen nunmehr ihm gegenüber zu erfolgen hat. Die nicht formbedürftige Genehmigung kann auch durch schlüssige Handlungen erteilt werden, z. B. dadurch, daß der Minderjährige zu seiner zuvor abgegebenen Unterschrift jetzt ein neues Datum beifügt (RG WarnRspr 1919 Nr. 21). Eine Genehmigung durch den bisher beschränkt Geschäftsfähigen setzt voraus, daß sich der Vertrag noch in der Genehmigungslage befindet. Hat der gesetzliche Vertreter schon vor Eintritt der Volljährigkeit die Genehmigung verweigert, so kann das Geschäft vom bisher Minderjährigen auch nach Eintritt der Volljährigkeit nicht durch bloße Genehmigung wirksam gemacht werden, sondern muß erneut abgeschlossen werden (§ 141). In der Genehmigung kann aber u. U. eine Neuvornahme liegen. Anm. 12 VI. Beweislast Wer Rechte aus einem Vertrag mit einem Minderjährigen herleiten will, hat die Einwilligung oder Genehmigung des gesetzlichen Vertreters zu beweisen. Den Vertragspartner des Minderjährigen trifft, wenn er sich auf die Unwirksamkeit des Vertrages durch Ablauf der zweiwöchigen Erklärungsfrist des § 108 Abs. 2 berufen will, die Beweislast für eine ordnungsgemäße Aufforderung und den Ablauf der Frist. Es ist dann Sache des gesetzlichen Vertreters, nachzuweisen, daß er die Genehmigung rechtzeitig erteilt hat.

§109 Bis zur Genehmigung des Vertrags ist der andere Teil zum Widerrufe berechtigt. Der Widerruf kann auch dem Minderjährigen gegenüber erklärt werden. Hat der andere Teil die Minderjährigkeit gekannt, so kann er nur widerrufen, wenn der Minderjährige der Wahrheit zuwider die Einwilligung des Vertreters behauptet hat; er kann auch in diesem Falle nicht widerrufen, wenn ihm das Fehlen der Einwilligung bei dem Abschlüsse des Vertrags bekannt war. E I 65 Abs. 4 II 83; M I 60ff; 6 122.

Anm. 1 I. Das Widerrufsrecht Der Grundgedanke dieser Bestimmung besteht darin, daß der Vertragsgegner des Minderjährigen bis zur Genehmigung durch den gesetzlichen Vertreter in der Regel nicht einseitig an den Vertrag gebunden sein soll. Das Gesetz hat ihm deshalb die Befugnis eingeräumt, den Schwebezustand der Genehmigungslage und damit den ganzen Vertrag durch Widerruf zu beseitigen. Der Widerruf ist eine einseitige, empfangsbedürftige, an keine Form gebundene Erklärung, die in Abweichung von § 131 Abs. 2 auch gegenüber dem Minderjährigen abgegeben werden kann. Anm. 2 Der Vertrag gilt nach erklärtem Widerruf als nicht rechtswirksam geschlossen. Das Widerrufsrecht besteht jedoch nur, solange der Vertrag vom gesetzlichen Vertreter nicht genehmigt worden ist. Hat dieser seine Genehmigung gegenüber dem Min301

§ 109 A n m . 3, 4

§110

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

derjährigen erklärt, so ist das Widerrufsrecht des Geschäftsgegners ausgeschlossen, und zwar auch dann, wenn das Rechtsgeschäft der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedurfte, diese aber noch nicht erteilt worden war. Allerdings ist der andere Teil in der Lage, durch die an den Vertreter gerichtete Aufforderung (nach § 108 Abs. 2) die etwa dem Minderjährigen gegenüber nach dem Vertragsabschlüsse bereits erteilte Genehmigung wieder unwirksam zu machen und so das Widerrufsrecht wieder zu erhalten. Diesen Erfolg erreicht er auch dann, wenn er mit dem Widerrufe zugleich die Aufforderung gemäß § 108 Abs. 2 verbindet. Anm. 3 II. Einschränkungen des Widerrufsrechts Wenn der andere Teil bei dem Abschlüsse des Vertrages die Minderjährigkeit gekannt hat, bleibt er grundsätzlich an den Vertrag gebunden, es sei denn, daß der Minderjährige ihm gegenüber der W a h r h e i t zuwider die E i n w i l l i g u n g des V e r treters b e h a u p t e t hat, was übrigens nur das Behaupten einer tatsächlich unrichtigen Tatsache, nicht auch ein wissentlich unwahres oder schuldhaftes Handeln des Minderjährigen erfordert. Aber auch in diesem Falle bleibt der andere Teil gebunden, wenn ihm das Fehlen der E i n w i l l i g u n g beim Abschlüsse des Vertrags ohnehin bekannt war. Die fahrlässige Unkenntnis führt jedoch noch nicht zum Ausschluß des Widerrufsrechtes, da Kennenmüssen dem Kennen nicht gleichsteht. Eine Erkundigungspflicht hat der Geschäftsgegner nicht. Anm. 4 III. Beweislast Wer den Widerruf geltend macht, hat ihn zu beweisen, daher gegebenenfalls auch seine Rechtzeitigkeit. Wer behauptet, daß das Widerrufsrecht ausgeschlossen war (Abs. 2), hat dies zu beweisen. Gegenüber dem Beweise, daß der andere Teil bei Abschluß des Vertrags die Minderjährigkeit gekannt habe, steht dem andern Teil der weitere Beweis frei, daß der Minderjährige die Einwilligung des Vertreters behauptet habe, und gegenüber diesem Beweise dem Gegner der Beweis, daß dem Widerrufenden auch das Fehlen der Einwilligung bekannt gewesen sei.

§110 Ein von d e m Minderjährigen ohne Z u s t i m m u n g des gesetzlichen Vertret e r s geschlossener Vertrag gilt a l s von Anfang an w i r k s a m , wenn der Minderj ä h r i g e die v e r t r a g s m ä ß i g e Leistung m i t Mitteln bewirkt, die i h m zu d i e s e m Zwecke oder zu freier Verfügung von d e m Vertreter oder m i t d e s s e n Zus t i m m u n g von einem Dritten überlassen worden sind.

E I 69; M z 147ff; P 1 66ff; 6 122. Ubersicht I. Allgemeines 1. Bedeutung der Vorschrift 2. Unterschied zu § 108 3. Allgemeine oder beschränkte Einwilligung 4. Surrogate II. Wirksamkeit der Verträge III. Dritter IV. Mittel 1. Begriff 2. Leistungen persönlicher Art 3. Überlassung von Mitteln 302

Anm.

i—4 1 2 3 4 5, 6 7 8—10 8 9 10

Geschäftsfähigkeit

§110

Anm. 1—5

Anm. 1 I. Allgemeines 1. Bedeutung der Vorschrift Nach § 107 bedarf die Einwilligung der nötigen Bestimmtheit. § 1 1 0 gibt eine durch das Verkehrsbedürfnis verlangte Ergänzung. Durch Überlassung von Mitteln zu besonders vorgesehener oder aber zu freier Verfügung erlangt der Minderjährige zwar nicht Geschäftsfähigkeit und nicht etwa die Fähigkeit zu Rechtsgeschäften aller Art. Aber jeder von ihm innerhalb der durch den gegebenen Zweck bestimmten Grenzen abgeschlossene Vertrag sowie die auf Grund dessen von ihm vorgenommene Verfügung gelten als von Anfang an wirksam, wenn der Minderjährige die vertragsmäßige Leistung mit den ihm zu dem angegebenen Zwecke gegebenen Mitteln bewirkt hat. Das Gesetz knüpft also zwar die Wirksamkeit des Vertrags unmittelbar an die Leistung des Minderjährigen; aber der rechtliche Grund dafür ist nicht in der Leistung selbst, sondern in der vom gesetzlichen Vertreter im voraus erteilten, in der Überlassung der Mittel sich aussprechenden Einwilligung zu finden (RG 74, 235). Der § 1 1 0 enthält daher auch nur einen besonderen Anwendungsfall von § 107 (RG 74, 235). Anm. 2 2. Unterschied zu § 108 Vom Falle des § 108 unterscheidet sich § 1 1 0 insofern, als bei ihm ein ohne die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters abgeschlossener Vertrag vorausgesetzt und als Mittel zur Heilung der Unwirksamkeit die nachträgliche Genehmigung vorgesehen wird, während der § 1 1 0 für seinen Fall gerade annimmt, daß der Vertrag sofort wirksam wird, weil er mit der im voraus erteilten Einwilligung des Vertreters abgeschlossen worden ist. Während ferner der § 108 die nachträgliche Genehmigung bereits abgeschlossener, mithin bereits genau bestimmter Verträge im Auge hat, kann der gesetzliche Vertreter nach § 110 den Minderjährigen so stellen, daß er eine Reihe von noch völlig unbestimmten Rechtsgeschäften wirksam abschließen kann, ohne daß der gesetzliche Vertreter auf die Wirksamkeit noch einen Einfluß hätte. Anm. 3 3. Allgemeine oder beschränkte Einwilligung Ob in der Überlassung der Mittel eine allgemeine oder eine nur b e s c h r ä n k t e Einwilligung zu finden ist, hängt davon ab, zu welchem Zwecke die Überlassung der Mittel erfolgt: ob nämlich zu völlig beliebiger Verfügung, oder nur mit Rücksicht auf eine einzelne bestimmte Angelegenheit (Ankauf eines Anzugs), oder endlich im Hinblick zwar nicht auf ein völlig schrankenloses, aber doch ein weites, wenn auch in sich geschlossenes Gebiet (Überlassung von Mitteln zu einer Badereise, zur Ausbildung, zum Studium). Welcher der Fälle vorliegt, ist nach den Umständen zu ermitteln. Anm. 4 4. Surrogate Grundsätzlich darf der Minderjährige über das, was er mit den ihm zur freien Verfügung überlassenen Mitteln erworben hat, frei verfügen. Eine Einschränkung gilt jedoch, wenn die erkennbare Grenze der gewährten Freiheit überschritten ist, so etwa wenn das Surrogat den Wert der überlassenen Mittel um ein Vielfaches übersteigt (vgl. hierzu RG 74, 235). Anm. 5 II. Wirksamkeit der Verträge Nur die volle Erfüllung (§ 362) macht den Vertrag wirksam. Durch teilweise Erfüllung tritt keine teilweise Wirksamkeit ein. Nur wenn Leistung und Gegenleistung teilbar sind (§ 266 Abs. 1) und die Teilleistung eine gewisse Selbständigkeit hat, wie dies bei einem auf Teilleistungen gerichteten Vertrag der Fall ist, kann die einzelne Leistung des Minderjährigen auch in entsprechendem Umfang die Wirksamkeit des

303

§110

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A n m . 6—9 Geschäftes herbeiführen. Der Erfüllung durch vertragsgemäße Leistung steht grundsätzlich die Erfüllung durch Hingabe an Zahlungs Statt, Hinterlegung, Aufrechnung, gleich.

Anm. 6 Ist die Leistung des Minderjährigen mit den ihm zu diesem Zweck oder zur freien Verfügung überlassenen Mitteln bewirkt worden, so ist nicht nur das E r f ü l l u n g s -

geschäft, sondern auch das zugrunde liegende Verpflichtungsgeschäft von An-

f a n g a n wirksam. Nach bewirkter Leistung ist daher für Rückforderungsansprüche nach Maßgabe der §§ 812 ff kein Raum. Der in früherer Auflage vertretenen Auffassung, wonach der gesetzliche Vertreter es bis zur Bewirkung der vertragsgemäßen Leistung in der Hand haben soll, den Vertrag und damit auch die Rechtsbeständigkeit der Leistung dadurch zu vereiteln, daß er dem Minderjährigen gegenüber die im voraus erteilte Einwilligung etwa durch Zurückfordern der Mittel widerruft (vgl. 10. Auflage § 1 1 0 Anm. 1), kann nur mit der Einschränkung beigepflichtet werden, daß ein Widerruf n a c h Vertragsabschluß gemäß § 183 ausscheidet, wenn der Überlassung der Mittel die s t i l l s c h w e i g e n d e Z u s t i m m u n g zu dem fraglichen V e r t r a g s a b s c h l u ß zu entnehmen war (vgl. hierzu Anm. 2 und 3 zu § 107). Die Grenze für die Annahme einer stillschweigenden Zustimmung ist aber eng zu ziehen. Sie dürfte sich in der Regel nicht auf Luxusausgaben erstrecken.

Anm. 7 III. Dritter Dritter kann jede beliebige andere Person sein als der gesetzliche Vertreter.Voraussetzung ist aber einmal, daß auch der Dritte die Mittel unter einer entsprechenden Zweckbestimmung zuwendet (gleichgültig ob unentgeltlich oder entgeltlich), und ferner, daß der gesetzliche Vertreter in diese Zuwendung und Zweckbestimmung einwilligt.

Anm. 8 IV. Mittel 1. Begriff Als Mittel kommen nur Vermögensgegenstände in engerem Sinne in Betracht, bei denen eine „Überlassung" überhaupt denkbar ist; z.B. Taschengeld, Geldmittel für eine Reise oder zum Studium. Die Frage, ob in der Überlassung von Mitteln zum Studium oder zu einer Ausbildungsreise eine stillschweigende allgemein erteilte Einwilligung zu allen mit der bewilligten Betätigung zusammenhängenden üblichen Rechtsgeschäften liegt, ist umstritten (vgl. Anm. 3 zu § 107, s. auch Anm. 6 oben).

Anm. 9 2. Leistungen persönlicher A r t Zwar gehören Dienst- und Arbeitsleistungen nicht unmittelbar zu den Mitteln i. S. von § 1 1 0 , aber gleichwohl wird die Vorschrift entsprechend anzuwenden sein, wenn der Minderjährige den Vertrag durch Leistungen persönlicher Art erfüllt, etwa eine Kaufpreisschuld abarbeitet. Den Gesichtspunkt des § 107 hier heranzuziehen ( O e r t m a n n § 110 Anm. 7) erscheint schwerlich als zulässig. Denn die Geltendmachung der Forderung auf die dem Minderjährigen für seine Dienstleistung vertraglich zugesagte Gegenleistung kann nicht im Sinne des § 107 als ein Rechtsgeschäft aufgefaßt werden, das ihm nur einen rechtlichen Vorteil bringt; oder man käme schließlich zu der Regel, daß ein von einem Minderjährigen abgeschlossener unwirksamer Vertrag durch die Vorleistung des Minderjährigen um deswillen allemal wirksam werde, weil nunmehr nur noch die Gegenleistung des Vertragsgegners ausstünde, und deren Geltendmachung dem Minderjährigen jetzt freilich nur zum Vorteile gereichen würde. Unter Willenserklärungen im Sinne des § 107 können doch nur solche verstanden werden, die auf Rechtserwerb (Aneignung, Annahme von Zuwendungen) oder auf Befreiung von einer Verpflichtung (Annahme von Erlassen und Verzichten) gerichtet sind.

304

Geschäftsfähigkeit

§ 110 A n m . 10 § 111 A n m . 1

A n m . 10 3. Überlassung von Mitteln Die Ü b e r l a s s u n g d e r M i t t e l kann ausdrücklich, aber auch stillschweigend erfolgen. Ein stillschweigendes Uberlassen z u r f r e i e n V e r f ü g u n g liegt vor, wenn der Minderjährige seinen Lebensunterhalt selbst verdient und ihm der Vertreter das Erworbene überläßt. Die Überlassung durch den Vertreter enthält eine Verfügung über das Vermögen des Minderjährigen. Soweit der Vertreter dazu der G e n e h m i g u n g des V o r m u n d s c h a f t s g e r i c h t s oder des G e g e n v o r m u n d e s bedarf, kann daher mangels solcher Genehmigung die in § n o bestimmte Wirkung nicht erzielt werden. Die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts oder des Gegenvormundes ist aber überhaupt nicht erforderlich, falls ein Dritter die Mittel mit Zustimmung des Vertreters gewährt.

§111 Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das der Minderjährige ohne die erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters v o r n i m m t , ist unwirksam. N i m m t der Minderjährige m i t dieser Einwilligung ein solches Rechtsgeschäft einem anderen gegenüber vor, so ist das Rechtsgeschäft unwirksam, wenn der Minderjährige die Einwilligung nicht in schriftlicher F o r m vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Die Zurückweisung ist ausgeschlossen, wenn der Vertreter den anderen von der Einwilligung in Kenntnis gesetzt hatte.

E I 6s Abs. 3 Satz z II 85; M 1 153ff; P 1 61.

Ubersicht

Anm.

I. Einseitiges Rechtsgeschäft i—5 1. Allgemeines I 2. Einzelfälle 2—5 a) Handeln auf eigene Gefahr 2 b) Vollmachtserteilung 3 c) Anerkennung der Vaterschaft 4 d) Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung 5 II. Die mit Einwilligung des gesetzlichen Vertreters vorgenommenen einseitigen Rechtsgeschäfte 6—8 1. Vorlegung der schriftlichen Einwilligung 7 2. Die Zurückweisung 8 III. Beweislast 9 Anm. 1 I. Einseitiges Rechtsgeschäft 1. Allgemeines Die Vorschrift findet nur Anwendung auf einseitige Rechtsgeschäfte, die dem Minderjährigen n i c h t lediglich einen rechtlichen Vorteil bringen. Solche einseitigen Rechtsgeschäfte sind, wenn die erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters fehlt, schlechthin wirkungslos, und zwar wirkt die Unwirksamkeit wie die Nichtigkeit. Das Rechtsgeschäft ist daher auch nicht durch nachträgliche Genehmigung heilbar, es sei denn, daß diese mit einer erneuten Vornahme des Rechtsgeschäfts verbunden ist (§ 141). Die Unwirksamkeit tritt ohne weiteres ein. Durch Erhebung der negativen Feststellungsklage kann auf Feststellung der Unwirksamkeit des einseitigen Rechtsgeschäftes geklagt werden, wenn ein rechtliches Interesse hieran gegeben ist. N i c h t a n w e n d b a r ist § 111, wenn der andere und der Minderjährige ausdrücklich vereinbaren, daß die Wirksamkeit von der Genehmigung des Vertreters abhängen soll. In diesem Falle ist die Wirksamkeit der Erklärung von einer Bedingung abhängig gemacht worden und es sind alsdann die §§ 108 und 109 entsprechend anzuwenden (vgl. dazu R G 76, 91).

305

§ III A n m . 2—7

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 2 2. Einzelfälle a ) Handeln auf eigene Gefahr Ein Ausschluß der Haftung unter dem Gesichtspunkt des „ H a n d e l n s a u f e i g e n e G e f a h r " durch den Minderjährigen kommt ebenfalls nicht in Betracht, denn auch die im „Handeln auf eigene Gefahr" liegende Einwilligung, durch die die Widerrechtlichkeit der Schadenszufügung ausgeschlossen wird, ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, auf die die Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit anzuwenden sind (RG 141, 262; vgl. auch O L G Bamberg N J W 1949, 506; O L G Kiel N J W 1950, 226; aber auch B G H NJW 1958, 905 = M D R 1958, 503). Uber die v e r t r a g l i c h e Haftungsfreistellung durch einen Minderjährigen bei Gefälligkeitsfahrten vgl. Anm. 5 zu § 107. Anm. 3 b) Vollmachtserteilung Die Vollmachtserteilung ist ein einseitiges empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft, auf welches §111 anzuwenden ist. Sie ist kein Geschäft, durch das der Minderjährige, der die Vollmacht erteilt, nur lediglich rechtlichen Vorteil erlangt. Ein von einem Minderjährigen Bevollmächtigter handelt daher, wenn die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters des Minderjährigen fehlt, als Vertreter ohne Vertretungsmacht. Anm. 4 c) Anerkennung der Vaterschaft zu einem unehelichen Kind Auch die Anerkennung der Vaterschaft für ein uneheliches Kind ist ohne die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters unwirksam (RG 58, 353; 87, 426; BayObLG 2, 549ffj K G DJZ 1911, 157). Anm. 5 d) Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung Einwilligungsbedürftig ist die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO (RG 84, 317). Der Minderjährige könnte eine solche Erklärung auch schon deshalb nicht wirksam abgeben, weil es sich um eine prozessuale Erklärung handelt, die schon wegen der Prozeßunfähigkeit des Minderjährigen unwirksam wäre (RG 146, 314). Anm. 6 II. Die m i t Einwilligung des gesetzlichen Vertreters vorgenommenen einseitigen Rechtsgeschäfte des Minderjährigen § 111 Satz 1 bezieht sich auf alle Arten von einseitigen Rechtsgeschäften, die ohne die erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters vorgenommen worden sind. § 111 Satz 2 betrifft dagegen nur die empfangsbedürftigen einseitigen Willenserklärungen des Minderjährigen. Bei diesen reicht auch die Einwilligung zur Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts noch nicht unbedingt aus. Der andere Teil kann vielmehr Gewißheit über das Vorhandensein der Einwilligung verlangen. Diese ist nach dem Gesetz nur gegeben, wenn der Minderjährige die Einwilligung in schriftlicher Form vorlegt, oder wenn der gesetzliche Vertreter den andern von der Einwilligung in Kenntnis gesetzt hatte. Der Geschäftsgegner kann daher, wenn weder das eine noch das andere erfolgt ist, das Geschäft zurückweisen, und hat er es unverzüglich getan, so „ist" (nicht „wird") jenes unwirksam, also von Anfang an. Unterläßt er dagegen die Zurückweisung, so ist das Geschäft von Anfang an wirksam. Anm. 7 1. Vorlegung der schriftlichen Einwilligung Die Vorlegung der schriftlichen Einwilligung kann vor und bei, sogar auch nach Vornahme des einseitigen Rechtsgeschäfts erfolgen. In letzteren Fällen muß sie aber

306

Geschäftsfähigkeit

§ 111 A n m . 8, 9 § 112 A n m . 1

vor der Zurückweisung vorgenommen sein. Erfolgt sie nach der Zurückweisung, so kann das nur dann rechtliche Bedeutung haben, wenn die Voraussetzung einer wiederholten Vornahme des Geschäfts erfüllt wird (§ 141). Anm. 8 2. Die Zurückweisung Die Zurückweisung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die dem Vertreter oder dem Minderjährigen gegenüber abgegeben werden kann. Sie muß erkennen lassen, daß sie wegen unterbliebener Vorlegung der Einwilligung geschehe und muß unverzüglich — gemäß § 121, also ohne schuldhaftes Zögern (RG JW 1903 Beil. 85) — nach dem Zugange der Willenserklärung folgen. Unterlassung der Zurückweisung heilt den Mangel der Vorlegung der Einwilligungserklärung auch dann, wenn der Minderjährige — beispielsweise bei einer Kündigung — nicht ausdrücklich gesagt hat, daß er mit Einwilligung des Vertreters handle (RG 50, 212). Die Mitteilung des gesetzlichen Vertreters an den anderen ist eine einseitige empfangsbedürftige Erklärung, aufweiche die §§ 130, 131 anzuwenden sind. Sie muß vor der Zurückweisung erfolgt sein. Hatte der V e r t r e t e r den Dritten von der E i n w i l l i g u n g in K e n n t n i s gesetzt, dann besteht für die Zurückweisung selbstverständlich kein Grund. Anm. 9 III. B e w e i s l a s t Wer sich im Falle des Satzes 1 auf das einseitige Rechtsgeschäft beruft, hat die Einwilligung des Vertreters zu beweisen. Macht der Gegner unter den Voraussetzungen des S a t z e s 2 die Unwirksamkeit ungeachtet dieser Einwilligung geltend, so hat er die Zurückweisung zu beweisen, und der die Wirksamkeit Behauptende hat alsdann zu beweisen, entweder daß schon vor der Zurückweisung die Einwilligung durch den Minderjährigen in schriftlicher Form vorgelegt war, oder daß dessen Vertreter den andern von der Einwilligung zuvor in Kenntnis gesetzt hatte. § 1 1 2 E r m ä c h t i g t der gesetzliche Vertreter m i t G e n e h m i g u n g des V o r m u n d s c h a f t s g e r i c h t s den Minderjährigen z u m selbständigen Betrieb eines E r w e r b s g e s c h ä f t s , s o i s t der Minderjährige für solche R e c h t s g e s c h ä f t e u n beschränkt g e s c h ä f t s f ä h i g , w e l c h e der Geschäftsbetrieb m i t s i c h bringt. A u s g e n o m m e n sind R e c h t s g e s c h ä f t e , zü denen der Vertreter die G e n e h m i g u n g des V o r m u n d s c h a f t s g e r i c h t s bedarf. Die E r m ä c h t i g u n g kann v o n d e m Vertreter n u r m i t G e n e h m i g u n g des Vormundschaftsgerichts zurückgenommen werden. E I 67 n 86; M 1 141 ff; P i 6;ff.

Ü b ersieht Anm.

I. Die Erweiterung der Geschäftsfähigkeit i II. Selbständiger Betrieb eines Erwerbsgeschäfts 2—5 3 1. Die zum Betrieb eines Erwerbsgeschäfts gehörenden Rechtsgeschäfte . . 2. Ausnahmen 4 3. Prozeßfähigkeit 5 III. Die Ermächtigung 6 IV. Die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung 7 V. Die Zurücknahme der Ermächtigung 8 Anm. 1 I. Die Erweiterung der Geschäftsfähigkeit Dem Bedürfnis des Erwerbslebens entsprechend e r w e i t e r n die §§ 112 und 113 die Geschäftsfähigkeit des beschränkt Geschäftsfähigen für einen b e s t i m m t e n K r e i s 307

§112

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 2—4 v o n R e c h t s g e s c h ä f t e n . Die Erweiterung der Geschäftsfähigkeit hat die Wirkung, daß gemäß § 1 1 2 der Minderjährige für alle Rechtsgeschäfte, die der Betrieb des Erwerbsgeschäftes mit sich bringt, unbeschränkt geschäftsfähig ist und insoweit die Vertretungsmacht des gesetzlichen Vertreters bis zu einer etwaigen Zurücknahme der Ermächtigung ruht. Es ist deshalb rechtlich belanglos, ob der gesetzliche Vertreter mit dem einen oder anderen zum Geschäftsbetrieb gehörenden Rechtsgeschäft einverstanden ist oder nicht, denn mit der gesetzlichen Regelung, wonach der Minderjährige in den gegebenen Grenzen geschäftsfähig ist, erscheint die Annahme, daß innerhalb dieser Grenzen außerdem der gesetzliche Vertreter seine Vertretungsmacht behalte, nicht vereinbar. Es könnte zu Rechtsunsicherheit führen, wenn innerhalb des nämlichen Geschäftskreises sowohl der Minderjährige selbst wie auch der gesetzliche Vertreter mit verpflichtender K r a f t für den Minderjährigen handeln dürfte. Das Gesetz geht offenbar davon aus, daß der Vertreter mit Erteilung der Ermächtigung zugleich seine eigene Vertretungsbefugnis, bis er die Ermächtigung etwa wieder zurücknimmt, entsprechend einschränkt, und daß er dazu auch befugt ist. Daher ist aber auch eine dem Minderjährigen gegenüber erklärte Beschränkung der Ermächtigung Dritten gegenüber wirkungslos. Der Vater, der mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts das K i n d zum selbständigen Betriebe eines Erwerbsgeschäfts ermächtigt hat, kommt insoweit auch nicht mehr als Repräsentant des Kindes für die Anwendung des § 6i V V G in Betracht (RG 135, 37°)-

Anm. 2 II. Selbständiger Betrieb eines Erwerbsgeschäftes Der Betrieb eines E r w e r b s g e s c h ä f t e s im Sinne des § i i s umfaßt jede berufsmäßig ausgeübte und auf selbständigen Erwerb gerichtete Tätigkeit, wie z. B. das Betreiben einer Fabrik, eines Handwerks, eines künstlerischen oder wirtschaftlichen Berufes, einer Landwirtschaft usw. Ein s e l b s t ä n d i g e r B e t r i e b im Sinne dieser Vorschrift ist nur dann gegeben, wenn der Minderjährige das Geschäft selbst leitet. An der Selbständigkeit fehlt es nicht nur, wenn der Minderjährige als Angestellter in einem fremden Betrieb tätig ist, sondern auch, wenn das einem Minderjährigen gehörige Geschäft zwar unter seinem Namen, aber durch einen anderen betrieben wird, oder der Minderjährige in der ganzen Art der Betriebsführung ständig den Weisungen eines anderen zu folgen hat. Die Selbständigkeit wird dagegen nicht berührt, wenn der Minderjährige in seinem Betrieb durch vertragsmäßige Abreden mit anderen Betrieben oder wirtschaftlichen Verbänden gebunden ist (Kartelle).

Anm. 3 1. Die zum Betrieb eines Erwerbsgeschäftes gehörenden Rechtsgeschäfte Welche Geschäfte der Betrieb eines Erwerbsgeschäftes mit sich bringt, bestimmt sich nach der Verkehrsauffassung, wobei die Umstände des einzelnen Falles zu berücksichtigen sind. Es gehören dazu alle Geschäfte, die zum Betrieb des Erwerbsgeschäftes unmittelbar oder auch mittelbar notwendig sind, einschließlich der dem eigenen Unterhalt des Minderjährigen dienenden Geschäfte. D i e A u f g a b e d e s G e s c h ä f t s ist dagegen kein sich aus dem Betrieb ergebendes Rechtsgeschäft.

Anm. 4 2. Ausnahmen Die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit nach Satz i erstreckt sich nicht auf solche Geschäfte, zu denen der gesetzliche Vertreter der G e n e h m i g u n g d e s V o r m u n d s c h a f t s g e r i c h t e s bedarf Für solche Rechtsgeschäfte ist der Minderjährige, auch wenn sie sich aus dem Betrieb des Erwerbsgeschäftes ergeben, nicht voll geschäftsfähig. In diesen Fällen verbleibt es daher bei der Regelung gemäß §§ 1 0 7 — m . J e nachdem, ob der gesetzliche Vertreter ein Vormund oder der elterliche Gewalthaber ist, ist hiernach der Kreis der ausgenommenen Rechtsgeschäfte weiter oder enger

308

Geschäftsfähigkeit

§ 112 A n m . 5—8 §113

(§§ 1821fr, 1643). Ausgenommen sind im übrigen auch die Fälle, in denen das Vormundschaftsgericht dem gesetzlichen Vertreter eine allgemeine Ermächtigung erteilen darf und erteilt hat (§§ 1825 u. 1822 Nr. 8—10). Soweit ein Ausnahmefall nach Abs. 1 Satz 2 vorliegt, ist jedesmal die b e s o n d e r e G e n e h m i g u n g des gesetzlichen Vertreters erforderlich. Infolge der Einschränkungen aus Satz 2 ist der Minderjährige im Betriebe eines umfangreichen Erwerbsgeschäfts (Handelsgeschäfts, Gutsbetriebs) gegebenenfalls sehr gehemmt. Ausreichende Abhilfe kann nur die Volljährigkeitserklärung (§3) bieten. Anm. 5 3. Prozeßfähigkeit Soweit der Minderjährige durch die Ermächtigung zum Betriebe eines Erwerbsgeschäftes unbeschränkt geschäftsfähig ist, ist er auch prozeßfähig (§52 Abs. 1 ZPO). Anm. 6 III. Die Ermächtigung Die Ermächtigung ist eine einseitige formfreie gegenüber dem Minderjährigen abzugebende empfangsbedürftige Willenserklärung des gesetzlichen Vertreters, auf die § 131 Abs. 2 keine Anwendung findet (str.). Anm. 7 IV. Die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung Die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen für den fraglichen Kreis von Rechtsgeschäften tritt aber nur ein, wenn der gesetzliche Vertreter die Ermächtigung mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erteilt hat. Diese Genehmigung ist stets erforderlich, also auch dann, wenn der gesetzliche Vertreter Inhaber der elterlichen Gewalt ist. Eine stillschweigende Duldung des gesetzlichen Vertreters kann daher die nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts wirksame Ermächtigung nicht ersetzen. Andererseits ist die Ermächtigung des gesetzlichen Vertreters nicht durch die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ersetzbar. Beides, vormundschaftsgerichtliche Genehmigung und Ermächtigung des gesetzlichen Vertreters müssen zusammen vorliegen. Es macht dabei keinen Unterschied, ob die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Ermächtigung vorausgeht oder ihr nachfolgt; im letzteren Falle ist allerdings die vom gesetzlichen Vertreter erteilte Ermächtigung bis zur Genehmigung des Vormundschaftsgerichts aufschiebend bedingt. Die Erteilung der Genehmigung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Vormundschaftsgerichts. Sie wird regelmäßig aber nur dann zu gewähren sein, wenn zu erwarten ist, daß der Minderjährige die Fähigkeiten und Kenntnisse besitzt, die ihn in den Stand versetzen, sich im Rechts- und Wirtschaftsleben wie ein normaler Volljähriger zu verhalten (KG HRR 1937 Nr. 226). Anm. 8 V. Die Zurücknahme der Ermächtigung Die Ermächtigung zum Betriebe eines Erwerbsgeschäftes kann der gesetzliche Vertreter wirksam nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes zurücknehmen. Auch diese Erklärung ist formlos, jedoch empfangsbedürftig. Die Zurücknahme kann aber nur eine allgemeine und umfassende sein und ist im Gegensatz zu § 1 1 3 Abs. 2 nicht auf einzelne Rechtsgeschäfte beschränkbar. Sie erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Minderjährigen und wirkt nur für die Zukunft.

§113 E r m ä c h t i g t der gesetzliche Vertreter den Minderjährigen, in Dienst oder in Arbeit zu treten, so ist der Minderjährige für solche Rechtsgeschäfte unbeschränkt geschäftsfähig, welche die Eingehung oder Aufhebung eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses der gestatteten A r t oder die Erfüllung der sich aus einem solchen Verhältnis ergebenden Verpflichtungen betreffen. 21

Komm. 2. BGB. n . Aufl. I. Bd. (Krüger-Nieland)

809

§113 A n m . 1—3

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A u s g e n o m m e n sind V e r t r ä g e , z u denen d e r V e r t r e t e r d e r G e n e h m i g u n g d e s Vormundschaftsgerichts bedarf. Die E r m ä c h t i g u n g k a n n v o n d e m V e r t r e t e r z u r ü c k g e n o m m e n o d e r eingeschränkt werden. I s t d e r gesetzliche V e r t r e t e r ein V o r m u n d , so k a n n die E r m ä c h t i g u n g , w e n n sie v o n i h m v e r w e i g e r t w i r d , a u f A n t r a g des M i n d e r j ä h r i g e n d u r c h d a s V o r m u n d s c h a f t s g e r i c h t e r s e t z t w e r d e n . D a s V o r m u n d s c h a f t s g e r i c h t h a t die E r m ä c h t i g u n g zu e r s e t z e n , w e n n sie i m I n t e r e s s e des Mündels liegt. Die f ü r einen einzelnen F a l l erteilte E r m ä c h t i g u n g gilt i m Zweifel a l s allg e m e i n e E r m ä c h t i g u n g z u r E i n g e h u n g v o n V e r h ä l t n i s s e n derselben A r t . E I 68 II 87; M 1 144?; P 1 64®; 4 792; 6 122, 1 4 3 f r .

Ü b ersieht Anm.

I. Die Ermächtigung 1. Begriff und Wirkung 2. Zurücknahme und Beschränkung der Ermächtigung 3. Die Ersetzung der Ermächtigung durch das Vormundschaftsgericht . II. Inhalt der erweiterten Geschäftsfähigkeit 1. Allgemeines 2. Ausnahmen 3. Keine Vertretungsmacht des gesetzlichen Vertreters III. Dienst- und Arbeitsverhältnis 1. Begriff 2. Lehrverträge

1—4 1,2 3 4 5—7 5 6 7 8—9 8 9.

Anm. 1 I. Die E r m ä c h t i g u n g 1. Begriff und W i r k u n g Die E r m ä c h t i g u n g ist eine einseitige, formfreie und empfangsbedürftige Willenserklärung, die auch s t i l l s c h w e i g e n d abgegeben werden kann. Sie wird durch den gesetzlichen Vertreter dem Minderjährigen gegenüber erteilt. Eine Ermächtigung liegt nicht schon dann vor, wenn der Vertreter den Dienstvertrag für den Minderjährigen mit einem Dritten abschließt ( R A G 3, 221). Es ist aber rechtlich möglich, daß der Vater kraft elterlicher Gewalt dem Minderjährigen die Ermächtigung dadurch erteilt, daß er mit ihm selbst einen Dienstvertrag abschließt. Nach dem Gesetz für Jugendwohlfahrt vom 9. 7. 1922 (RGBl I 633) § 70 Abs. 3 gilt bei Fürsorgeerziehung die Fürsorge-Erziehungsbehörde für den Abschluß von Dienst- und Lehrverträgen als gesetzlicher Vertreter des Minderjährigen. Anm. 2 Durch die Ermächtigung in ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis zu treten wird die b e s c h r ä n k t e G e s c h ä f t s f ä h i g k e i t des Minderjährigen dahin e r w e i t e r t , daß er nunmehr für den Kreis der in § 1 1 3 genannten Rechtsgeschäfte voll g e s c h ä f t s f ä h i g ist. Anm. 3 2. Z u r ü c k n a h m e und B e s c h r ä n k u n g d e r E r m ä c h t i g u n g Der gesetzliche Vertreter kann die erteilte Ermächtigung j e d e r z e i t f r e i z u r ü c k n e h m e n . Er kann sie auch mit Wirkung für Dritte bei ihrer Erteilung oder auch später in beliebiger Weise zeitlich oder inhaltlich einschränken. Die Zurücknahme oder Einschränkung hat keine rückwirkende Kraft. Die bis zur Zurücknahme oder Einschränkung entstandenen Rechte Dritter bleiben unberührt. Hat das Vormundschaftsgericht die Ermächtigung ersetzt (Abs. 3), so steht die Befugnis, sie zurückzunehmen oder sie zu beschränken, nur ihm zu. Die Zurücknahme oder Einschränkung erfolgt formlos dem Minderjährigen gegenüber. 310

Geschäftsfähigkeit

§113 Anm. 4—6

Anm. 4 3. Die Ersetzung der Ermächtigung durch das Vormundschaftsgericht V e r w e i g e r t der V o r m u n d d i e E r m ä c h t i g u n g , dann kann sie auf Antrag des Minderjährigen durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden. Das Verfahren richtet sich nach §§ 18 Abs. 2, 53, 55 Abs. 1, 60 F G G ; die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des Vormundschaftsgerichtes nach § 60 Nr. 6 F G G . Der Beschluß wird mit der Zustellung an den Minderjährigen wirksam (§ 16 Abs. 2 F G G ) . Für die Wirksamkeit des Beschlusses ist es bedeutungslos, ob in Wirklichkeit das Interesse des Minderjährigen gehörig gewahrt worden ist oder nicht. Dem Vertreter kraft e l t e r l i c h e r G e w a l t gegenüber kann eine von ihm verweigerte

Ermächtigung nicht durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden

Anm. 5 II. Inhalt der erweiterten Geschäftsfähigkeit 1. Allgemeines Die volle Geschäftsfähigkeit tritt ein: a) f ü r R e c h t s g e s c h ä f t e , die auf E i n g e h u n g , A u f h e b u n g oder Ä n d e r u n g eines D i e n s t - o d e r A r b e i t s v e r t r a g e s der gestatteten Art gerichtet sind. Nach der Auslegungsrege] des Abs. 4 („im Zweifel") gilt die für den einzelnen Fall erteilte Ermächtigung als a l l g e m e i n e E r m ä c h t i g u n g zur Eingehung von Verhältnissen derselben Art. Eine derartige Ausdehnung der Ermächtigung wird jedoch rechtswirksam ausgeschlossen durch ihre entsprechende Einschränkung gemäß Abs. 2. Ob ein Arbeitsoder Dienstverhältnis d e r e r l a u b t e n „ A r t " vorliegt, entscheidet sich nach der Verkehrsauffassung. Die Ermächtigung, als Hausgehilfin tätig zu werden, umfaßt nicht die Ermächtigung, eine Arbeit als Kellnerin anzunehmen ( K G D J Z 1906, 322). Die erweiterte Geschäftsfähigkeit erstreckt sich auch auf die Befugnis, sich einer Vertragsstrafe und einem Wettbewerbsverbot zu unterwerfen, falls solche Vereinbarungen in dem fraglichen Gewerbezweig üblich, nicht aber, wenn sie außergewöhnlich sind, wie z.B. Wettbewerbsklauseln bei gewerblichen Arbeitern ( R A G 1, 3 5 5 ; str.). b) für Rechtsgeschäfte, die die E r f ü l l u n g eines V e r t r a g s v e r h ä l t n i s s e s d e r e r l a u b t e n A r t betreffen. Der Minderjährige ist daher berechtigt, die versprochene Gegenleistung, den Lohn, entgegenzunehmen. E r kann aber auch die ihm geschuldete Leistung erlassen, hierauf verzichten, aufrechnen, anerkennen und Vergleiche schließen. Hierher gehört ferner die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen des Minderjährigen aus dem Dienstverhältnis, also auch sein Ersatzanspruch wegen dauernder Gesundheitsschädigung durch den Dienst ( § 6 1 8 ) . Andererseits können g e g e n i h n sich aus dem Dienst- oder Arbeitsverhältnis ergebende Ersatzansprüche geltend gemacht werden. Zweifelhaft ist, ob dem Minderjährigen durch die ihm gem. § 1 1 3 erteilte Ermächtigung ohne weiteres auch die freie Verfügung über seinen Lohn gewährt wird. Dies wird zu verneinen sein, unbeschadet der Vorschrift des § 1649 idF des Gleichber.G v. 18. 6. 1957 BGBl I, 609. J e d o c h kann, j e nach den Umständen des Einzelfalles, eine stillschweigende Einwilligung des gesetzlichen Vertreters zur freien Verfügung über den Arbeitsverdienst gemäß § 107 anzunehmen sein. Soweit die erweiterte Geschäftsfähigkeit reicht, ist der Minderjährige auch p r o z e ß -

fähig (§ 52 ZPO, RAG WarnRspr 1931 Nr. 214).

Anm. 6 2. Ausnahmen Die e r w e i t e r t e G e s c h ä f t s f ä h i g k e i t e r s t r e c k t sich jedoch n i c h t auf solche Verträge, zu denen der g e s e t z l i c h e V e r t r e t e r d e r G e n e h m i g u n g d e s V o r m u n d s c h a f t s g e r i c h t s b e d a r f . Erheblich ist im Falle der Vormundschaft, dagegen nicht auch der elterlichen Gewalt (§ 1643), der § 1822 Nr. 7 (Verpflichtung des Mündels zu persönlichen Dienstleistungen auf länger als ein J a h r ) . O b die Ausnahme auch auf e i n s e i t i g e Rechtsgeschäfte auszudehnen ist, ist umstritten. 21

311

§ 1 1 3 Anm. 7—9 §114

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 7 3. Keine Vertretungsmacht des gesetzlichen Vertreters So weit und solange die dem Minderjährigen erteilte Ermächtigung und damit seine erweiterte Geschäftsfähigkeit reicht, besteht daneben k e i n e Vertretungsmacht des ges. Vertreters (vgl. § 112, Anm. i). Der Vertreter kann daher auch nicht die Lohnforderung des Minderjährigen einklagen. Allerdings kann unter Umständen in seinem Eingriff schon ein Widerruf oder eine Einschränkung der Ermächtigung nach Abs. 2 enthalten sein (LAG Dortmund ArbRSlg 34, 63). Anm. 8 III. Dienst- und Arbeitsverhältnis 1. Begriff Der Ausdruck „Dienst- oder Arbeitsverhältnis" ist im weiteren Sinne zu verstehen. Gegenstand des Vertrages kann sowohl die Dienstleistung selbst sein, sei sie höherer oder niedriger Art (§§ 611 ff), wie auch ein herzustellender Erfolg (§§631 ff). Hierher gehört auch der Anstellungsvertrag eines Schauspielers. Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift, die eine Ausnahme von der in §§ 107, 108 ausgesprochenen Regel darstellt, auf andere Fälle, z.B. auf Studierende, ist ausgeschlossen. Doch kann unter Umständen eine stillschweigende Einwilligung des ges. Vertreters im Sinne der §§ 107, 183 vorliegen, so z. B. zum Belegen eines Handelskurses, wenn der Vater den minderjährigen Sohn als Volontär nach einem Handelsplatz gesandt hat (RG L Z 1925, 270; vgl. auch Anm. 3 zu § 107, Anm. 6 zu § 110). Anm. 9 2. Lehr Verträge O b § 113 auf L e h r v e r t r ä g e anzuwenden ist, ist umstritten. Das Reichsarbeitsgericht hat in R A G 3, 221 die Auffassung vertreten, daß Lehrverträge unter § 113 fallen (vgl. aber auch R A G ArbRSlg 34, 186; 42, 249). Der überwiegende Teil der Lehre und die heutige Rechtsprechung lehnen eine Anwendung des § 113 auf Lehrverträge ab, weil dem Lehrling nicht ein Urteil über die Eignung des Lehrherrn anvertraut werden könne ( H u e c k zu ArbRSlg 5, 330; N i k i s c h , Arbeitsrecht 2. Aufl. S. 710; S i e b e r t in BB 1951, 195; ebenso L A G Breslau ArbRSlg 33, 187; L A G Hannover BB 51, 813; vgl. auch Anm. 34 vor § 6 1 1 ) .

§114 Wer wegen Geistesschwäche, wegen Verschwendung oder wegen Trunksucht entmündigt oder wer nach§ 1906 unter vorläufige Vormundschaft gestellt ist, steht in Ansehung der Geschäftsfähigkeit einem Minderjährigen gleich, der das siebente Lebensjahr vollendet hat. E I 70, 71 A b s . 1 ; M I 149 ff; P 1 Gi«;

4 839fr.

Ubersicht Anm.

I. Der Kreis der in der Geschäftsfähigkeit beschränkten erwachsenen Personen 1. Geistesschwäche 2. Trunksucht 3. Verschwendung 4. Vorläufige Vormundschaft II. Beschränkung der Geschäftsfähigkeit III. Übergangsrecht

312

i—5 2 3 4 5 6, 7 8

Geschäftsfähigkeit

§114

Anm. 1—5

Anm. 1 I. Der Kreis der in der Geschäftsfähigkeit beschränkten erwachsenen Personen Das Gesetz s t e l l t die wegen G e i s t e s s c h w ä c h e , wegen V e r s c h w e n d u n g o d e r T r u n k s u c h t E n t m ü n d i g t e n (§ 6, Nr. 2, 3, 4) und die gem. § 1906 unter v o r l ä u f i g e V o r m u n d s c h a f t gestellten erwachsenen Personen hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit den Minderjährigen über 7 J a h r e n gleich.

Anm. 2 1. Geistesschwäche G e i s t e s s c h w ä c h e liegt vor, wenn die Person infolge ihres Geisteszustandes die Gesamtheit ihrer Angelegenheiten, nicht also lediglich die vermögensrechtlichen, zu besorgen außerstande ist und zu ihrem Schutze (auch gegenüber fremden Einflüssen) sonach eines Vormundes bedarf (vgl. Anm. zu § 6 ; R G WarnRspr 1 9 1 8 Nr. 180). Immerhin müssen dem Geisteszustand Merkmale klinisch-medizinischer Art anhaften (RG J W 1 9 1 7 , 847). Die Entmündigung wegen G e i s t e s s c h w ä c h e ist zu unterscheiden von der Entmündigung wegen G e i s t e s k r a n k h e i t , die die volle Geschäftsunfähigkeit des Entmündigten zur Folge hat. Ebenso ist ein Unterschied zu machen zu solchen Personen, die infolge geistiger Gebrechen einzelne oder einen bestimmten Kreis von Angelegenheiten nicht zu besorgen vermögen und deshalb unter P f l e g s c h a f t gestellt werden (§ 1 9 1 0 Abs. 2), wodurch ihre Geschäftsfähigkeit grundsätzlich nicht berührt wird. Die Entmündigung wegen Geistesschwäche schließt aber nicht aus, daß der Entmündigte sich dauernd oder vorübergehend in einem Zustand krankhafter Geistesstörung befunden hat, in welchem seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen war. Für Rechtsgeschäfte, die er in diesem Zustand vornimmt, ist er gem. § 104 Nr. 2 völlig geschäftsunfähig (RG J W 1907, 7 3 7 ; R G 130, 69; vgl. Anm. 12 zu § 104).

Anm. 3 2. Trunksucht Trunksucht im Sinne des Gesetzes ist dann gegeben, wenn der Leidende die K r a f t , dem Anreize zum übermäßigen Genüsse geistiger Getränke zu widerstehen, wirklich verloren hat. Widersteht er auch nur aus Furcht vor der Entmündigung, so spricht das gegen das Vorhandensein einer Trunksucht ( R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 1 ; 1 9 1 6 Nr. 260). Eine Trunksucht kann nicht schon dann als fortgefallen gelten, wenn der von ihr befallene Entmündigte sich unfreiwillig im Alkoholgenusse beschränkt hat, ihm jedoch nicht auch die innere K r a f t zugemutet werden darf, einem sich etwa bietenden Anreize zu übermäßigem Alkoholgenusse zu widerstehen ( R G L Z 1 9 1 9 , 966).

Anm. 4 3. Verschwendimg Wegen des Begriffes der Verschwendung vgl. Anm. zu § 6.

Anm. 5 4. Vorläufige Vormundschaft Nach § 1906 kann ein Volljähriger, dessen Entmündigung beantragt wird, unter vorläufige V o r m u n d s c h a f t gestellt werden, wenn dies vom Vormundschaftsgericht zur Abwendung einer Gefahr für die Person oder das Vermögen des Volljährigen f ü r erforderlich erachtet wird. Die Anordnung der vorläufigen Vormundschaft hat auch dann nur b e s c h r ä n k t e Geschäftsfähigkeit zur Folge, wenn ein Antrag auf Entmündigung wegen G e i s t e s k r a n k h e i t gestellt ist. Ist der unter vorläufige Vormundschaft Gestellte aber tatsächlich geisteskrank, so ist er gem. § 104 geschäftsunfähig. § 1 1 4 findet keine Anwendung auf Personen, die wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen oder wegen Abwesenheit unter Pflegschaft gestellt sind (§§ 1910, 1 9 1 1 ; R G 52, 224).

313

§ 1 1 4 A n m . 6—8 §115

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 6 II. Die Beschränkung der Geschäftsfähigkeit Die Gleichstellung der betroffenen Personen mit den Minderjährigen besteht nur in Bezug auf die Geschäftsfähigkeit (§§ 1 0 7 — 1 1 3 ) ; sie bezieht sich daher nicht auf ihre D e l i k t s f ä h i g k e i t . Die Verantwortlichkeit des wegen Geistesschwäche Entmündigten für den einem anderen durch unerlaubte Handlung zugefügten Schaden richtet sich nur nach § 827, während § 828 außer Betracht bleibt (RG J W 1912, 24). Die Zurechnungsfähigkeit ist unabhängig von der Geschäftsfähigkeit und daher selbständig zu prüfen (RG 108, 8 7 f f ) ; dies gilt insbesondere auch bei einer Entmündigung wegen Geistesschwäche (RG 105, 272). In diesem Fall wird eine Ermächtigung zum selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäftes nach § 1 1 2 nicht in Betracht kommen, da die Tatsache der Entmündigung in der Regel die Annahme ausschließen wird, daß der Entmündigte sich im rechtlichen und wirtschaftlichen Verkehr wie ein normaler Volljähriger zu verhalten vermag ( K G H R R 1937 Nr. 226). Maßgebend für die Beschränkung der Geschäftsfähigkeit ist allein die Tatsache der Entmündigung. Belanglos ist, ob der Entmündigte bei Vornahme des fraglichen Rechtsgeschäftes wirklich unter dem Einfluß einer Geistesschwäche, Trunk- oder Verschwendungssucht gestanden hat. Die Beschränkung tritt mit Wirksamkeit des die Entmündigung aussprechenden Beschlusses (§§661, 680, 683 ZPO) ein und dauert fort bis zur Aufhebung der Entmündigung, also bis zur Rechtskraft der die Entmündigung aufhebenden Entscheidung, nämlich des Beschlusses oder des Urteils nach den §§ 672, 678, 680, 685, 686 ZPO. Wird die Entmündigung nur bezüglich einzelner Angelegenheiten, nicht im vollen Umfang aufgehoben, so bleibt es auch weiterhin bei der Anwendung des § 1 1 4 (RG J W 1938, 229). Im Falle v o r l ä u f i g e r V o r m u n d s c h a f t nach § 1906 (§§ 16, 52, 61 F G G ) tritt die Beschränkung der Geschäftsfähigkeit mit dem Zeitpunkt ein, in dem der sie anordnende Beschluß nach § 52 F G G wirksam wird (RG Gruchot 48, 108) und sie dauert solange wie die vorläufige Vormundschaft selbst (vgl. auch Bemerkungen zu § 1 1 5 ) .

Anm. 7 Uber die Wirkung der o h n e Zustimmung des gesetzlichen Vertreters abgeschlossenen Verträge und einseitigen Rechtsgeschäfte vgl. Anm. zu §§ 1 0 8 — m . Zum Abschluß eines V o l l m a c h t s v e r t r a g e s zur Klage auf A u f h e b u n g der Entmündigung ist die Genehmigung des Vormundes erforderlich (RG H R R 1933 Nr. 986). Im Falle der Unwirksamkeit des Rechtsgeschäftes kann der Geschäftsgegner das Geleistete nach den Vorschriften über ungerechtfertigte Bereicherung herausverlangen. Eine Bereicherung des Entmündigten besteht jedoch nicht mehr, wenn er das Empfangene in verschwenderischer Weise verbraucht hat, während ihm zu seinem Unterhalt genügend Mittel von seinem gesetzl. Vertreter zur Verfügung gestellt waren (RG WarnRspr 1918 Nr. 70). Vgl. auch die Sonderbestimmungen des § 2229 für das Testament; des § 2275 für den Erbvertrag; des §455 Z P O hinsichtlich der Parteivernehmung.

Anm. 8 III. Übergangsrecht Wegen des Ubergangsrechtes vgl. Art. 155 und 156 E G B G B .

§115 Wird ein die Entmündigung aussprechender Beschluß infolge einer Anfechtungsklage aufgehoben, so kann die Wirksamkeit der von oder gegenüber dem Entmündigten vorgenommenen Rechtsgeschäfte nicht auf Grund des Beschlusses in Frage gestellt werden. Auf die Wirksamkeit der von oder gegen314

§115 Anm. 1—3 über dem gesetzlichen Vertreter vorgenommenen Rechtsgeschäfte hat die Aufhebung keinen Einfluß. Diese Vorschriften finden entsprechende Anwendung, wenn im Falle einer vorläufigen Vormundschaft der Antrag auf Entmündigung zurückgenommen oder rechtskräftig abgewiesen oder der die Entmündigung aussprechende Beschluß infolge einer Anfechtungsklage aufgehoben wird. Geschäftsfähigkeit

E I 71 Abs. 2 II 89; M i ijoff; P 1 67?; 4 854?.

Ü b ersieht

Anm.

I. Die Wirkung der Aufhebung der Entmündigung auf Grund einer Anfechtungsklage 1,2 II. Analoge Anwendung 3

Anm. 1 I. Die Wirkung der Aufhebung der Entmündigung auf Grund einer Anfechtungsklage Die Aufhebung einer Entmündigung durch Anfechtungsklage nach §§ 664fr, 684 Z P O beseitigt die Unwirksamkeit der von und gegenüber dem Entmündigten vorgenommenen Rechtsgeschäfte mit Rückwirkung bis auf den Anfang, weil im vorausgesetzten Falle — anders als bei einer Wiederaufhebung nach §§ 697, 686 Z P O — davon ausgegangen wird, daß der Entmündigungsgrund von Anfang an nicht bestanden hat. Diese Geschäfte werden also hinsichtlich ihrer Wirksamkeit so behandelt, als ob der die Entmündigung aussprechende Beschluß überhaupt nicht ergangen wäre, unbeschadet der Möglichkeit, die Wirksamkeit der Rechtsgeschäfte auf Grund der §§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 2 anzugreifen. Dies gilt auch, wenn die v o r l ä u f i g e V o r m u n d s c h a f t aus den in Abs. 2 angegebenen Gründen aufgehoben wird (vgl. hierzu §§ 60 Nr. 5, 61 F G G ) .

Anm. 2 Gemäß § 1 1 5 Abs. 1 S. 2 bleibt die W i r k s a m k e i t der v o n u n d g e g e n ü b e r d e m g e s . V e r t r e t e r in der Zwischenzeit vorgenommenen R e c h t s g e s c h ä f t e a u f r e c h t e r h a l t e n , obwohl diese an sich als unwirksam angesehen werden müßten. Falls etwa der Entmündigte vor Aufhebung der Entmündigung in der gleichen Sache den Erklärungen seines ges. Vertreters widersprechende Erklärungen abgegeben hat, wird es für die Frage, welches Geschäft gelten soll, einmal darauf ankommen, welches von ihnen dem andern zeitlich voraufgegangen ist, so daß das eine schon hiernach durch das andere ausgeschlossen sein könnte (streitig). Ist der Widerspruch auf diese Weise nicht lösbar, so wird man davon ausgehen müssen, daß zugunsten des Dritten das von ihm mit dem Vertreter abgeschlossene Geschäft den Vorzug verdient, weil der Dritte berechtigt war, mit der Befugnis des Vertreters zu rechnen (streitig).

Anm. 3 II. Analoge Anwendung Wird die vorläufige Vormundschaft (§ 114 Anm. 1) aus den in Abs. 2 angegebenen Gründen w i e d e r a u f g e h o b e n (vgl. außerdem die §§ 60 Nr. 5, 61 FGG), so sind die gleichen Gesichtspunkte wie im Falle des Abs. 1 maßgebend. Eine entsprechende Anwendung des Grundgedankens von § 1 1 5 auf die vom staatl. Zwangsverwalter vorgenommenen Rechtsgeschäfte bei nichtiger Vermögensbeschlagnahme wurde in R G 1 4 1 , 266 verneint. Gegen diese Entscheidung sind im Schrifttum Bedenken erhoben worden (vgl. u. a. S t a u d i n g e r Anm. 6 zu § 1 1 5 ) .

315

Vor § 116

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 1, 2

Zweiter Titel

Willenserklärung Ubersicht Ann).

I. Begriff i II. Einteilung 2—5 1. Empfangsbedürftige Willenserklärung 2 2. Nichtempfangsbedürftige Willenserklärung 3 3. Ausdrückliche Willenserklärung 4 4. Stillschweigende Willenserklärung 5 I I I . Schlüssiges Verhalten ohne Geschäftswillen 6—10 1. Die vom Gesetz fingierten Willenserklärungen 7 2. Vertrauenshaftung kraft schlüssigen Verhaltens oder Rechtsscheins . . . 8, 9 3. Anwendung der Vorschriften über Rechtsgeschäfte 10 I V . Rechtsbeständigkeit der Willenserklärung 11 V . Anwendung der Vorschriften über Willensmängel im öffentlichen Recht 12 V I . Gemeinsames zu §§ 1 1 6 bis 124 13

Anm. 1 I. Begriff Die W i l l e n s e r k l ä r u n g ist die Äußerung des auf eine Beeinflussung der derzeitigen Rechtslage gerichteten Willens. Sie setzt sich aus zwei Tatbeständen zusammen, nämlich dem Willen als inneren und der Erklärung als äußeren Tatbestand. Der W i l l e besteht aus dem H a n d l u n g s w i l l e n , d. h. dem Willen, sich in bestimmter Weise zu verhalten, ferner dem E r k l ä r u n g s w i l l e n oder besser dem E r k l ä r u n g s b e w u ß t s e i n , worunter das Bewußtsein verstanden wird, daß das Verhalten ein Mittel zur Kundgabe des Willens darstellt; schließlich dem G e s c h ä f t s w i l l e n bzw. E r f o l g s w i l l e n , nämlich dem Willen, mit dem geäußerten Verhalten bestimmte Rechtswirkungen herbeizuführen. Fehlt es an einem Geschäftswillen, so kann von einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung nicht die Rede sein und ein Rechtsgeschäft kommt überhaupt nicht in Betracht (RG 68, 322; 79, 305), auch nicht einmal ein anfechtbares (vgl. aber die folgenden Anm. 6—12 und Anm. 3 zu § 116). Der äußere Tatbestand ist die E r k l ä r u n g , d. h. die Kundgebung des Willens nach a u ß e n h i n . Die Erklärung muß so geartet sein, daß der damit verfolgte Zweck erkennbar wird. J e nachdem, ob zum Zustandekommen eines Rechtsgeschäftes die Willenserklärung e i n e r Person genügt oder ob die von m e h r e r e n Personen notwendig ist, sind e i n s e i t i g e oder z w e i s e i t i g e R e c h t s g e s c h ä f t e zu unterscheiden.

Anm. 2 II. Einteilung 1. Empfangsbedürftige Willenserklärung U m eine e m p f a n g s b e d ü r f t i g e W i l l e n s e r k l ä r u n g handelt es sich, wenn es im Wesen des Geschäftes liegt, daß die Willenserklärung, um wirksam zu werden, an eine bestimmte Person oder eine Mehrheit von Personen oder an eine Behörde zu richten ist. Als Erklärungsempfänger kommt daher grundsätzlich nur diese bestimmte Person oder Personenmehrheit in Betracht, wie z. B. bei der Kündigung, beim Vertragsangebot und bei der Vertragsannahme (mit Ausnahme des Sonderfalls des § 151). Dieser Grundsatz greift überall da Platz, wo das G e s e t z die Wirksamkeit der Erklärung ausdrücklich davon abhängig macht, daß diese nur bestimmten Personen gegenüber (§§ 108 Abs. 2, 143) oder in den zugelassenen Fällen der Behörde gegenüber erfolgt (§§ 143 Abs. 4 S. 2, 875, 876, 880, 1168, 1180, 1 1 8 3 , 1726, 1748). Die Erklärung des Konkursverwalters, daß er ein zur Masse gehörendes Grundstück freigibt, ist empfangsbedürftig. Erklärungsempfänger ist der Gemeinschuldner (RG 94, 55).

316

Willenserklärung

Vor § 116 A n m . 3—5

Die E m p f a n g s b e d ü r f t i g k e i t bedeutet, daß die W i l l e n s e r k l ä r u n g dem Empfangsgegner z u g e h e n m u ß . Näheres über den Begriff des Zugehens vgl. bei §§ 130 bis 132. Anm. 3 2. N i c h t e m p f a n g s b e d ü r f t i g e Willenserklärung Die n i c h t e m p f a n g s b e d ü r f t i g e Willenserklärung wird dagegen nicht erst mit dem Zugehen, sondern schon dann wirksam, wenn der Wille so kund getan wird, daß die Absicht, die angestrebte Rechtsänderung herbeizuführen, für denjenigen, den es angeht, erkennbar wird. Ein Wille, der lediglich e i n i n n e r e s W o l l e n geblieben ist, kann selbstverständlich niemals beanspruchen, eine Rechtsänderung in der Außenwelt herbeizuführen. Wer gegebenenfalls die Beteiligten sind, denen der Wille erkennbar sein muß, hängt von der Art des Geschäfts ab. Zu den n i c h t e m p f a n g s b e d ü r f t i g e n Willenserklärungen g e h ö r e n beispielsweise das eigenhändige Testament, die Erbschaftsannahme, die Auslobung, das Anerkenntnis der Vaterschaft nach § 1718 (RG 58, 353) • Auch hier handelt es sich um wirkliche Willenserklärungen, auf welche alle für Willenserklärungen geltenden Rechtsgrundsätze Anwendung finden, mit einziger Ausnahme des allein für die empfangsbedürftige Willenserklärung bestimmten § 130. Anm. 4 3. Ausdrückliche Willenserklärung Eine a u s d r ü c k l i c h e Willenserklärung liegt dann vor, wenn die Äußerung mit den nach der Verkehrssitte üblichen (Sprache, Schrift, Gesten) oder mit den zwischen den Parteien vereinbarten Erklärungsmitteln den Geschäftswillen zum Ausdruck bringt. Anm. 5 4. Stillschweigende Willenserklärung Die Willenserklärung kann aber auch stillschweigend durch s c h l ü s s i g e s Verhalten abgegeben werden. Es muß ein schlüssiges Verhalten vorliegen, bei dem sich der Handelnde bewußt ist, daß sein Verhalten als Willenserklärung aufgefaßt werden könnte. Dieses Verhalten kann zwar unmittelbar auf andere Zwecke gerichtet sein, muß aber dennoch mit Gewißheit und jede andere Deutung ausschließend (RG WarnRspr 1919 Nr. 132) die Absicht erkennen lassen, daß ein vorhandener Geschäftswille kundgetan werden soll; z. B. gibt derjenige, der einen ihm erteilten Auftrag stillschweigend ausführt, zu erkennen, daß er den Auftrag angenommen h a t ; das Zerreißen und Zurückgeben eines Schuldscheines kann den Erlaß der Schuld zu erkennen geben. Eine stillschweigende Willenserklärung darf jedoch nur in einer solchen Handlung gefunden werden, die nach Lage der Sache keine andere Auslegung zuläßt. Ein bloß s c h l ü s s i g e s V e r h a l t e n genügt d o r t n i c h t , wo das Gesetz eine formelle oder ausdrückliche Erklärung im eigentlichen Sinn des Wortes erfordert. Das Wort „ausdrücklich" im Gesetz hat keine sichere, für alle Fälle gleiche Bedeutung; sie muß vielmehr im einzelnen Falle besonders geprüft werden (§§ 164, 244, 700; R G 65, 179). Der Inhalt der stillschweigenden Willenserklärung ist ebenso wie bei der ausdrücklichen durch Auslegung gem. §§ 133, 157 zu ermitteln. Es kommt somit nicht darauf an, was die Beteiligten gedacht, aber nicht kundgetan haben, sondern darauf, was sie mit ihrem Verhalten für den, den es angeht, erklärt haben. Dabei sind die gesamten Umstände zu berücksichtigen. Soweit nicht ein anderer Wille kundgetan ist, darf angenommen werden, daß die Beteiligten die Einzelheiten so geregelt haben wollten, wie es der allg. Verkehrsanschauung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände entspricht (RG 67, 433; 68, 128; RG J W 1915, 19; 1910, 573). Auf die s t i l l s c h w e i g e n d e W i l l e n s e r k l ä r u n g , der ein Geschäftswille zugrunde liegt, finden die Vorschriften über R e c h t s g e s c h ä f t e , insbesondere die Vorschriften über Willensmängel, Anwendung (RG 134, 195; RG J W 1932, 2968).

317

V o r § 116 A n m . 6—8

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 6

V. Schlüssiges Verhalten ohne Geschäftswillen An die stillschweigende Willenserklärung, die Ausdruck eines vorhandenen Geschäftswillens ist, ist der Erklärende gebunden. Umstritten ist, ob überhaupt eine W i l l e n s e r k l ä r u n g vorliegt, wenn jemand durch schlüssiges Verhalten im Rechtsverkehr den E i n d r u c k erweckt, als habe er einen Geschäftswillen gehabt und geäußert, in Wirklichkeit aber weder ein Geschäftswille noch ein Erklärungswille oder ein Erklärungsbewußtsein vorhanden war (BGH N J W 1953, 58). Einigkeit besteht jedoch darin, daß Treu und Glauben und die Rücksicht auf die Verkehrssitte es erforderlich machen, daß derjenige, der sich in der genannten Weise verhält, sich so behandeln lassen muß, als habe er einen Geschäftswillen erklärt; denn der auf ein solches Verhalten vertrauende Rechtsverkehr muß geschützt werden. Maßgebend für die Auslegung des schlüssigen Verhaltens ist, welche Bedeutung der Erklärungsgegner nach der Verkehrssitte und den Gesamtumständen dem Verhalten beimessen mußte. Dabei spielt es keine Rolle, ob das schlüssige Verhalten in einem H a n d e l n oder U n t e r l a s s e n , insbes. einem S t i l l s c h w e i g e n besteht. Das Stillschweigen kann insbes. in den Fällen von Bedeutung sein, in denen der Geschäftsgegner nach den Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs eine Äußerung erwarten durfte und es wider Treu und Glauben verstoßen würde, ihn durch Schweigen im Unklaren zu lassen (RG 103, 4 0 1 ; R G J W 1920, 283). Die Haftung des Handelnden wird in diesen Fällen entweder durch die F i k t i o n e i n e r W i l l e n s e r k l ä r u n g oder damit begründet, daß er auf Grund des von ihm erweckten R e c h t s s c h e i n e s zu haften habe.

Anm. 7 1. Die vom Gesetz fingierten Willenserklärungen Das Gesetz hat in einer Reihe von Fällen eine fehlende oder unvollständige Willenserklärung durch F i k t i o n ersetzt. Hierzu gehören die Fälle, in denen das Gesetz an ein Schweigen auf eine Aufforderung zur Abgabe einer Erklärung innerhalb einer bestimmten Frist bestimmte Rechtswirkungen knüpft; z. B. §§ 108, 177, 495 BGB; §§ 362, 377 Abs. 2, 368 HGB. Ob das Gesetz, wenn es nur die V e r m u t u n g für eine stillschweigende Vereinbarung aufstellt („es gilt" §§612, 632, 653, aber auch § 568), die Vermutung zugleich so weit wirken lassen will, daß auch alle für Willenserklärungen überhaupt geltenden Regeln anzuwenden sind, insbesondere auch die von der Anfechtung, kann nur von Fall zu Fall entschieden werden (vgl. hierzu die Anm. zu den betr. Bestimmungen).

Anm. 8 2. Vertrauenshaftung kraft schlüssigen Verhaltens oder Rechtsscheins D a s S t i l l s c h w e i g e n im Rechtsverkehr ist g r u n d s ä t z l i c h n i c h t als Z u s t i m m u n g zu werten. Das Schweigen auf ein V e r t r a g s a n g e b o t ist daher nicht als Annahme anzusehen (BGH 1,353). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte ein W i d e r s p r u c h des Angebotsempfängers erwartet werden konnte, falls er das Angebot nicht annehmen wollte. Im Handelsverkehr ist beispielsweise Widerspruch zu verlangen, wenn die Parteien schon vorher in Geschäftsverbindung standen, zwischen ihnen ein bis dahin noch nicht aufgelöster Vertrag vorlag, und wenn der Briefschreiber, für den Gegner erkennbar, ein Interesse an einer baldigen Antwort hatte (BGH 1, 353; vgl. Näheres Anm. 2 zu § 147). Gleiches gilt in der Regel auch bei widerspruchsloser Entgegennahme eines B e s t ä t i g u n g s s c h r e i b e n s im Handelsverkehr. Der Empfänger eines Bestätigungsschreibens ist daran gebunden, wenn Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte einen Widerspruch erfordert hätten (RG 103, 4 0 1 ; 129, 374; B G H 7, 187; 1 1 , 1). Dies gilt allerdings nur bei redlichem Verhalten des Absenders. Hat der Absender dem Bestätigungsschreiben bösgläubig einen anderen als den vereinbarten Inhalt gegeben oder diesen frei erfunden, so kann das Schweigen des Empfängers nicht als Zustimmung gewertet werden (RG 95, 48; 129, 347; R G L Z 1923, 344; B G H 7, 187, 190; Näheres zum Bestätigungsschreiben Anm. 9—18 zu § 147).

318

Willenserklärung

V o r § 116 A n m . 9, 10

Eine V o l l m a c h t s e r t e i l u n g ist anzunehmen, wenn der Vertretene das ihm bek a n n t e Verhalten eines Dritten, der im Geschäftsverkehr als sein Vertreter auftritt, duldet, und diese Duldung vom Geschäftsgegner nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte dahin gedeutet werden darf, daß der Dritte vom Vertretenen Vollmacht erhalten hat, für ihn zu handeln (sog. D u l d u n g s v o l l m a c h t ; dazu im einzelnen, insbesonders auch über den Unterschied zwischen einer stillschweigenden Bevollmächtigung und der Duldungsvollmacht § 167 Anm. 4ff). Wer Frachtgut abfährt, obwohl er weiß, daß dieses mit einer Nachnahme belastet ist, zu deren Bezahlung er erfolglos aufgefordert wurde, ist so zu behandeln, als habe er sich zur Zahlung der Nachnahme verpflichtet (RG 95, 122). Hat der Vermieter jahrelang einen zu niedrigen Mietpreis eingezogen, so ist anzunehmen, daß die Parteien sich über den geringeren Mietzins geeinigt haben (RG 134, 195). Ferner gehören hierher die Fälle, in denen aus den Umständen ein s t i l l s c h w e i g e n d e r H a f t u n g s a u s s c h l u ß bei G e f ä l l i g k e i t s f a h r t e n entnommen werden muß (RG 141, 263; B G H 2, 159; 21, 102, 110). Uber die Bestimmung eines Hoferben durch stillschweigenden Vertrag vgl. B G H NJW 1954, 1644. Anm. 9 Eine Haftung auf Grund einer sog. A n s c h e i n s v o l l m a c h t tritt ein, wenn der Vertretene das Verhalten seines angeblichen Vertreters zwar nicht kannte, es aber bei pflichtmäßiger Sorgfalt hätte kennen und verhindern können und der Vertretene das Verhalten des Vertreters nach Treu und Glauben dahin auffassen durfte, daß es dem Vertretenen bei verkehrsmäßiger Sorgfalt nicht habe verborgen bleiben können, und daß dieser es also dulde (BGH 5, m ; B G H L M Nr. 4 zu § 167 = M D R 1953, 345). Uber die Anwendung der Rechtsgrundsätze der sog. Anscheinsvollmacht im Bankverkehr vgl. B G H L M Nr. 6 zu § 167 = M D R 1955, 213). Im einzelnen vgl. hierzu § 167 Anm. 6, 7. Ferner haftet derjenige, der durch sein A u f t r e t e n im G e s c h ä f t s v e r k e h r den Anschein erweckt, als sei er persönlich haftender Gesellschafter einer Handelsgesellschaft für Verbindlichkeiten aus Geschäften, die ein Dritter im Vertrauen auf diesen Rechtsschein abschließt. Geschützt wird jedoch nur der g u t g l ä u b i g e D r i t t e . Die Wirkung des Rechtsscheins endet jedoch nicht schon, wenn der Scheingesellschafter sein den Rechtsschein erzeugendes Verhalten aufgibt, sondern erst dann, wenn der Dritte hiervon Kenntnis erhält oder wenn infolge Zeitablaufs das Fortbestehen des Rechtsscheines zweifelhaft ist und deshalb dem Dritten eine Nachprüfung der wahren Rechtslage zumutbar erscheint (BGH 17, 13). Die sich aus dem Vertrauen auf den Rechtsschein ergebenden A n s p r ü c h e können auch nur soweit reichen, wie sie bestehen würden, wenn der Rechtsschein der wirklichen Rechtslage entspräche (BGH 12, 105; 17, 17). Wer sich zur Begründung von Ansprüchen auf einen Rechtsschein beruft, hat zu b e w e i s e n , daß er durch den Rechtsschein zum Geschäftsabschluß bewogen worden ist. Nach den Erfahrungen des täglichen Lebens ist es jedoch in derRegel naheliegend, anzunehmen, daß das Geschäft im Vertrauen auf den Rechtsschein zustande gekommen ist ( B G H 17, 13, 19). A n m . 10 3. A n w e n d u n g der Vorschriften über R e c h t s g e s c h ä f t e Ob und inwieweit in den Fällen, in denen das G e s e t z eine Willenserklärung f i n g i e r t , die Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit und über Willensmängel anzuwenden sind, ist von Fall zu Fall zu entscheiden. Grundsätzlich wird die Beantwortung der Frage davon abhängen, ob das Gesetz den w i r k l i c h e n W i l l e n desjenigen, dessen Willenserklärung fingiert wird, b e r ü c k s i c h t i g e n will, oder ob es durch die Fiktion eine endgültige Klärung der Rechtslage im I n t e r e s s e des E r k l ä r u n g s g e g n e r s herbeiführen will. In den Fällen der Vertrauenshaftung kraft schlüssigen Verhaltens oder Rechtsscheins finden die Vorschriften über Willensmängel in der Regel keine Anwendung. Insbesondere ist eine Anfechtung wegen Irrtums (§119) über die Bedeutung des

319

V o r § 116

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 11—13 schlüssigen Verhaltens ausgeschlossen (BGH 1 1 , i, 5; bei Schweigen auf Bestätigungsschreiben vgl. B G H 20, 149, 154 gegen R G 103, 401). Die Anfechtungsmöglichkeit wegen a r g l i s t i g e r T ä u s c h u n g (§ 123) wird verneint in R G 129, 347. Dagegen kann auch in diesen Fällen der Einwand m a n g e l n d e r G e s c h ä f t s f ä h i g k e i t erhoben werden ( O L G Breslau H R R 1938 Nr. 1346).

Anm. 11 IV. Rechtsbeständigkeit der Willenserklärung Zur R e c h t s b e s t ä n d i g k e i t e i n e r W i l l e n s e r k l ä r u n g gehört, daß ihr kein w e s e n t l i c h e r M a n g e l innewohnt. Das Vorhandensein eines solchen Mangels begründet Nichtigkeit oder Unwirksamkeit oder Anfechtbarkeit. Nichtig ist die Willenserklärung, falls sie die beabsichtigte Wirkung überhaupt nicht zu erzielen vermag; Gründe hierfür: Schein (§ 1 1 7 ) , Mangel der Form (§ 125), Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134) und gegen die guten Sitten sowie das wucherische Geschäft (§ 138). Im Falle eines Verstoßes gegen ein V e r ä u ß e r u n g s v e r b o t ist das Geschäft unbedingt oder bedingt unwirksam. Das Nähere bei §§ 135, 136. Nur u n w i r k s a m — nicht nichtig — sind Rechtsgeschäfte in den Fällen, in denen nicht der volle vom Gesetz für das Wirksamwerden geforderte Tatbestand erfüllt ist, so wenn es an der nötigen Einwilligung eines Dritten fehlt (§§ i n , 174, 182, 185), so daß dem Geschäfte einstweilen die rechtliche Wirksamkeit versagt ist, durch Hinzutritt einer weiteren Tatsache jedoch volle Gültigkeit eintreten kann. Das Gesetz spricht sodann von Unwirksamkeit auch, falls es dem Rechtsgeschäft den rechtlichen Erfolg aus irgendwelchem Grunde absprechen will. A n f e c h t b a r sind gemäß den Vorschriften des BGB Willenserklärungen wegen Irrtums (§§ 119, 120), Täuschung und Drohung (§ 123). Das Rechtsgeschäft kommt in den Fällen der Anfechtbarkeit zustande; aber die wirksame Anfechtung hat die volle Nichtigkeit „von Anfang a n " zur Folge (§ 142). An die Stelle der Eheanfechtung mit der Folge einer Nichtigkeit der Ehe wegen Beschränkung der Geschäftsfähigkeit des Ehegatten sowie wenn der für tot erklärte Ehegatte noch lebt (§§ 1 3 3 1 , 1350) trat durch das Gesetz vom 6. 7. 1938 (RGBl I 807) die Aufhebung der Ehe mit den Folgen einer Scheidung; jetzt sind die §§ 30, 39 des Ehegesetzes v. 26. 2. 1946 maßgebend.

Anm. 12 V. Anwendung der Vorschriften über Willensmängel im öffentlichen Recht Auf V e r w a l t u n g s a k t e als einseitige Hoheitsakte lassen sich die Vorschriften über Willensmängel nicht übertragen. Zwar nicht unmittelbar, a b e r als allgemeine Rechtsgrundsätze sind die Vorschriften über Willenserklärungen a n w e n d b a r bei v e r w a l t u n g s r e c h t l i c h e n V e r t r ä g e n und solchen E r k l ä r u n g e n i m ö f f e n t l i c h e n R e c h t , d i e k e i n e V e r w a l t u n g s a k t e s i n d , und schließlich bei öffentlich-rechtlichen Willenserklärungen von Privatpersonen (RG 1 4 1 , 258, 134, 162; B G H 6, 348, 351). Der innere Vorbehalt, den bewußt erklärten Willensinhalt nicht zu wollen, ist auch im öffentlichen Recht nicht zu beachten (RG 147, 36). Über die Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen auf prozessuale Handlungen vgl. Vorbem. vor § 104.

Anm. 13 VI. Gemeinsames zu §§ 116 bis 124 Das Gesetz knüpft die Fehlerhaftigkeit einer Willenserklärung sowohl an den etwaigen Mangel im Willen wie an einen Mangel in der Erklärung. Im Falle des W i l l e n s m a n g e l s liegt die Sache entweder so, daß der Erklärende in Wirklichkeit überhaupt nicht den Willen hat, irgendeinen Rechtserfolg hervorzubringen (s. oben Anm. 1); oder auch so, daß er einen Rechtserfolg zwar will, indes einen andern als den anscheinend beabsichtigten. Im Falle des E r k l ä r u n g s m a n g e l s handelt es sich darum, daß der Erklärende etwas anderes geäußert hat, als er seinem wahren Willen gemäß hat erklären wollen. Eine ausschließliche Betonung des Willens, wie sie bei der allgemeinen Einstellung des BGB nahelag, hätte dazu führen können, in allen diesen Fällen der abgegebenen Willenserklärung jeden Rechtserfolg zu versagen. Das Gesetz trägt den Bedürfnissen des Verkehrs Rechnung, indem es, um der Willenserklärung einen 320

Willenserklärung

§116 Anm. 1—3

Rechtserfolg möglichst zu sichern, einmal in gewissen Fällen das entscheidende Gewicht nicht auf den Willen, sondern auf die Erklärung legt und schon dieser die rechtserzeugende Kraft, und zwar nach Maßgabe des nur geäußerten Schein willens, beimißt (§ 116 Satz i), sodann aber unter gewissen Voraussetzungen auch ein Rechtsgeschäft, dem eine fehlerhafte Willenserklärung zugrunde liegt, rechtlich zur Entstehung gelangen läßt, wenn auch nur mit der Einschränkung, daß es wegen des ihm anhaftenden Mangels durch eine Erklärung des Anfechtungsberechtigten noch nachträglich nichtig gemacht werden kann (§§ 119, 123). Ob das Gesetz jeweilig die Nichtigkeit eintreten lassen oder das Rechtsgeschäft, sei es auch nur als ein anfechtbares, aufrechterhalten will, also das entscheidende Gewicht auf den Willen ( W i l l e n s g r u n d s a t z ) oder auf die Erklärung ( E r k l ä r u n g s g r u n d s a t z ) legt, hängt, wie sich im einzelnen ergeben wird, von der Art des Mangels und von seinem Grunde ab. Danach bestimmt sich auch die Gliederung der nachfolgenden Bestimmungen.

§116 Eine Willenserklärung ist nicht deshalb nichtig, weil sich der Erklärende insgeheim vorbehält, das Erklärte nicht zu wollen. Die Erklärung ist nichtig, wenn sie einem andern gegenüber abzugeben ist und dieser den Vorbehalt kennt. E I 95 II 91; M I 191 ff; P

t

94.

Ubersicht

I. Stiller Vorbehalt 1. Begriff 2. „Insgeheim" 3. Wirkung II. Anwendungsgebiet von § 1 1 6 , S . i III. Kenntnis des Erklärungsgegners vom Vorbehalt, § 116, S. 2 IV. Beweislast V. Nichtigkeit

Anm.

1—3 1 2 3 4 5 6 7

Anm. 1 I. Stiller Vorbehalt 1. Begriff Ein s t i l l e r V o r b e h a l t — Mentalreservation — liegt dann vor, wenn der Erklärende in Wirklichkeit das nicht will, was er als seinen Willen erklärt hat, sondern entschlossen ist, das Erklärte nicht zu wollen, diesen Entschluß aber nach außen hin verbirgt ( R G 68, 128; 73, 222). Der Erklärende gibt also einen Geschäftswillen kund, den er nicht hat, und ist sich dabei nicht nur bewußt, daß er etwas anderes erklärt, als seinen wirklichen Absichten entspricht, sondern will dies auch. Die Erklärung hat einen Scheinwillen zum Inhalt und deckt sich nicht mit dem wirklichen Willen. Anm. 2 2. Insgeheim Dieses Merkmal trifft überall zu, wo der Vorbehalt derjenigen Person, der gegenüber die Erklärung abgegeben wurde, und bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen (Anm. 3 vor § 1 1 6 ) demjenigen verheimlicht worden ist, in dessen Person die Wirkung eintreten soll, so z. B. im Falle der Auslobung gegenüber den beteiligten Bewerbern ( R G J W 1906,576). Ein geheimer Vorbehalt ist auch im ö f f e n t l i c h e n Recht unwirksam ( R G 147, 36). Anm. 3 3. Wirkung Das Gesetz legt in Abs. 1 das entscheidende Gewicht auf die Erklärung und bestimmt, daß nicht Nichtigkeit der Erklärung, sondern der dem Scheinwillen entspre321

§ 116

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 4, 5 chende Geschäftserfolg eintreten soll. Die Wirksamkeit einer Willenserklärung soll durch nicht in die Außenwelt getretene An- und Absichten des Erklärenden, die mit seiner Kundgebung in Widerspruch stehen, keine Einbuße erleiden ( R G J W 1 9 1 2 , 132). Die E r k l ä r u n g i s t s o m i t n a c h d e m G e s e t z w i r k s a m , v o r a u s g e s e t z t , d a ß d e r Gegner den V o r b e h a l t nicht kannte und auch sonstige Willensmängel n i c h t v o r g e l e g e n h a b e n . Das Gesetz will mit dieser Regelung der Rechtssicherheit im Verkehr Rechnung tragen und den, der sich auf das Wort verlassen hat, schützen ( R G WarnRspr 1909 Nr. 124, R G 165, 193). So haftet derjenige, der unter einem stillen Vorbehalt e i n e V o l l m a c h t erteilt hat, trotz dieses Vorbehaltes nach Maßgabe der Vollmacht, falls nicht der Geschäftsgegner den Vorbehalt kennt ( R G 52, 99). Beim Rechtserwerb durch einen B e a u f t r a g t e n , der erkennbar in Namen des Auftraggebers handelt, ist ein stiller Vorbehalt des Beauftragten nicht für jenen, sondern für sich zu erwerben, bedeutungslos, sofern der Veräußerer den Vorbehalt nicht kennt ( R G 73, 222; R G WarnRspr 1909 Nr. 124). Vgl. aber andererseits § 164, Abs. 2 für den Fall, daß der Stellvertreter nicht erkennbar in fremdem Namen auftritt, sich aber insgeheim vorbehält, nicht im eigenen Namen handeln zu wollen.

Anm. 4 II. Anwendungsgebiet von § 116, Satz 1 § 1 1 6 , S. 1 bezieht sich auf W i l l e n s e r k l ä r u n g e n a l l e r A r t , auf empfangs- und nichtempfangsbedürftige Willenserklärungen ( R G J W 1 9 1 5 , 19). Auch eine stillschweigende Willenserklärung kann unter einem stillen Vorbehalt abgegeben werden. § 1 1 6 , S. 1 ist auch bei einseitigen Rechtsgeschäften anwendbar; hat z. B. der Arbeitgeber trotz Kenntnis eines zur außerordentlichen Kündigung berechtigenden Grundes den Angestellten aufgefordert, seine vertraglichen Pflichten zu erfüllen und sich dabei nicht erkennbar vorbehalten, das Vertragsverhältnis demnächst zu lösen, so muß er sich an dem in der Aufforderung zur Weiterarbeit zum Ausdruck gekommenen Verzicht auf das Kündigungsrecht festhalten lassen ( O L G München H R R 1940 Nr. 165). Hierher gehört ferner der b ö s e S c h e r z , der nach Absicht des Erklärenden nicht erkannt werden soll. Auch in diesem Fall ist die Erklärung gültig. Wurde die scherzhafte Erklärung jedoch in der Erwartung abgegeben, der andere werde die Nichternstlichkeit erkennen, so ist die Erklärung gem. § 1 1 8 nichtig (vgl. Anm. zu § 1 1 8 ) .

Anm. 5 III. Kenntnis des Erklärungsgegners vom Vorbehalt, § 116, Satz 2 § 1 1 6 S. 2 gilt nur für e m p f a n g s b e d ü r f t i g e Willenserklärungen. Wenn der Empfänger — nicht ein unbeteiligter Dritter — wußte, daß ihm gegenüber nur ein Scheinwille erklärt worden ist, besteht kein Bedürfnis, ihn zu schützen. In diesen Fällen gibt das Gesetz dem Grundsatz Folge, daß die abgegebene Willenserklärung wegen Fehlens eines Geschäftswillens nichtig ist (vgl. Anm. 1 vor § 1 1 6 ) . Z u beachten ist aber, daß § 1 1 6 nicht anzuwenden ist, wenn die Parteien eine V e r e i n b a r u n g dahin getroffen haben, daß nicht der erklärte Wille, sondern ein anderer gelten soll. In diesem Falle liegt ein Scheingeschäft nach § 1 1 7 vor. Die b e u r k u n d e t e A u f l a s s u n g s e r k l ä r u n g ist insoweit nichtig, als der das gesamte Grundstück Auflassende dem anderen Teil gegenüber nebenher erklärt, daß er die Auflassung auf ein bestimmtes Teilstück nicht miterstrecken wolle ( R G 78, 372). Obgleich hier der Vorbehalt vom Erklärenden dem Empfänger bekannt gegeben worden ist, findet § 1 1 6 S. 2 und nicht § 1 1 7 Anwendung, weil es an einer entsprechenden Vereinbarung fehlt. Eine nur z w a n g s w e i s e a b g e g e b e n e E r k l ä r u n g ist, obwohl der Drohende weiß, daß der andere die Erklärung nicht hat abgeben wollen, immer nur a n f e c h t b a r . Denn gem. § 1 2 3 hängt es von dem anderen ab, ob er seine Erklärung gelten lassen will oder nicht. Auch eine unter Vorbehalt erteilte V o l l m a c h t ist nichtig, falls der Empfänger der Vollmacht den Vorbehalt kennt. Die Annahme jedoch, daß das vom Vollmachtsempfänger mit einem Dritten auf Grund der unter einem Vorbehalt im Sinne des § 1 1 6 Satz 1 erteilten Vollmacht abgeschlossene Rechtsgeschäft für den Vollmachtgeber auch dem Dritten gegenüber nicht verbindlich, und der Dritte nur auf Geltend-

322

Willenserklärung

§ 116 A n m . 6, 7

§117

machung des Vertrauensschadens nach § 122 beschränkt sei, ist jedenfalls für die Fälle der §§ 171, 172 unzutreffend. Die Kenntnis des Empfängers von dem Vorbehalt ist dem K e n n e n m ü s s e n n i c h t g l e i c h g e s t e l l t . Der Erklärungsempfänger hat keine Prüfungspflicht, so daß eine fahrlässige Unkenntnis bedeutungslos ist. Anm. 6 IV. Beweislast Wer sich auf die Nichtigkeit der Willenserklärung berufen will, muß beweisen, daß der Erklärende einen geheimen Vorbehalt gemacht hatte und ferner, daß der Empfanger der Erklärung diesen geheimen Vorbehalt gekannt habe. Anm. 7 V. Nichtigkeit Über den Begriff der Nichtigkeit vgl. § 125 Anm. 1—18.

§117 Wird eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, m i t dessen Einverständnisse nur z u m Schein abgegeben, so ist sie nichtig. Wird durch ein Scheingeschäft ein anderes Rechtsgeschäft verdeckt, s o finden die f ü r d a s verdeckte Rechtsgeschäft geltenden Vorschriften Anwendung. E I 96 II 92; M 1 192ff; P 1 95 ff.

Ubersicht

Anm.

I. Das Schein- oder simulierte Geschäft 1—7 1. Begriff 1, 2 2. Kein Scheingeschäft bei Vorspiegelung bloß äußerer Tatsachen oder eines unrichtigen Beweggrundes 3 3. Einzelfälle 4 4. Strohmann 5—7 a) Rechtsstellung des Strohmannes 6 7 b) Vertreter II. Das Umgehungs- und das fiduziarische Geschäft 8—9 1. Das Umgehungsgeschäft 8 2. Das fiduziarische Geschäft 9 III. Wirkungen des Scheingeschäftes 10, Ii IV. Schutz des Dritten gegen Scheingeschäft 12—17 1. Unerlaubte Handlung 13 2. Vereitelung von Erfüllungsansprüchen 14 3. Gutgläubiger Erwerb 15 4. Scheinvollmacht 16 5. Einrede der Arglist 17 V. Das verdeckte Geschäft 18—19 1. Allgemeines 18 2. Der Grundstücksveräußerungsvertrag 19 VI. Anwendungsgebiet 20 VII. Beweislast 21 VIII. Nichtigkeit 22 323

§117 Anm. 1—4

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 1 I. Das Schein- oder simulierte Geschäft 1. Begriff Ein Schein- oder simuliertes Geschäft liegt vor, wenn jemand eine Willenserklärung einem anderen gegenüber abgibt und der Empfänger damit einverstanden ist, daß das Erklärte nicht gewollt, sondern der Wille nur zum Schein erklärt sein soll (RG J W 1910, 60; R G WarnRspr 1933 Nr. 87, 142). Das E i n v e r s t ä n d n i s im Sinne von § 1 1 7 Abs. 1 ist nicht eine neben der zum Schein abgegebenen Erklärung einhergehende selbständige Willenserklärung, es muß nur beiden Teilen bewußt sein, daß das Erklärte nicht gelten soll (RG 134, 33). Daher sind auf das einem wahrheitswidrigen und deshalb nach § 134 BGB, § 169 StGB nichtigen Vaterschaftsanerkenntnis in derselben Urkunde beigefügte Anerkenntnis der gesetzlichen Unterhaltspflicht nebst Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung wegen bestimmter Leistungen die §§ 1 1 7 , 166 nicht anwendbar, wenn dem Vertreter des unehelichen Kindes die Umstände, die den angeblichen Vater zur Abgabe seiner Erklärung Anlaß gaben, nicht bekannt waren (BGH 1, 181). Wird die E r k l ä r u n g m e h r e r e n g e g e n ü b e r a b g e g e b e n , aber die Scheinnatur nur mit einem von ihnen vereinbart, dann ist die Erklärung gültig. Beim Scheingeschäft handelt es sich also um einen Fall des b e w u ß t e n W i d e r s p r u c h s z w i s c h e n W i l l e u n d E r k l ä r u n g , wobei dieser Widerspruch auf Vereinbarung der Beteiligten beruht. Begrifflich ist somit erforderlich, daß ein nichtvorhandener Wille nach außen vorgespiegelt wird. Im Unterschied zu § 1 1 6 S. 1 fehlt es hier aber nicht nur beim Erklärenden, sondern auch beim Erklärungsempfänger an einem Geschäftswillen, und zwar wollen die Beteiligten nicht, daß die an die Erklärung geknüpften Rechtsfolgen eintreten.

Anm. 2 Zum Begriff des Scheingeschäftes gehört es n i c h t , daß es auf die T ä u s c h u n g e i n e s D r i t t e n berechnet ist (RG 90, 274f; 95, 162). Wurde das Scheingeschäft aber in betrügerischer Absicht geschlossen, so können die Beteiligten wegen unerlaubter Handlung (§§ 823, 826) zum Schadensersatz verpflichtet sein. Ein Scheingeschäft kann, da es auf die Täuschungsabsicht nicht ankommt, auch dann gegeben sein, wenn die Parteien, etwa bei der Bestellung eines Pfandrechtes an einer Hypothek, die zu sichernden Forderungen bewußt wahrheitswidrig angeben (RG WarnRspr 1914 Nr. 245).

Anm. 3 2. Kein Scheingeschäft bei Vorspiegelung bloß äußerer Tatsachen oder eines unrichtigen Beweggrundes Da ein Scheingeschäft voraussetzt, daß ein nichtvorhandener Geschäftswille vorgetäuscht wird, g e n ü g t die V o r s p i e g e l u n g b l o ß ä u ß e r e r T a t s a c h e n oder e i n e s u n r i c h t i g e n M o t i v e s oder B e w e g g r u n d e s n i c h t . So liegt ein Scheingeschäft nicht vor, wenn ein Vertrag falsch datiert wird (RG Recht 1930 Nr. 1482). Ebenso kann von einem Scheingeschäft nicht gesprochen werden, wenn jemand sich einem anderen gegenüber zum Empfange eines tatsächlich nicht gewährten Darlehens bekennt und dem anderen die Schuldurkunde unter der Abrede aushändigt, daß er seine (angebliche) Forderung einem Dritten abtritt, um die von diesem dafür zu gewährende Leistung dem Aussteller der S c h u l d u r k u n d e zuzuführen (RG 60, 21 ff). In diesem Fall will der aus dem Schuldschein Verpflichtete nicht Schuldner des im Schuldschein bezeichneten Gläubigers, sondern des Dritten werden. Eine H y p o t h e k ist auch nicht schon deshalb nichtig oder anfechtbar, weil der Gläubiger nicht richtig angegeben ist (RG 7g, 75).

Anm. 4 3. Einzelfälle Keine Scheingeschäfte sind auch die sogenannten L o h n s c h i e b u n g s v e r t r ä g e . Hat z. B. ein Ehemann die Leitung eines Geschäftes unter der Vereinbarung übernom-

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Willenserklärung

§117

Anm. 5

men, daß er ein bestimmtes Gehalt, seine Ehefrau aber einen bestimmten, durch einen Mindestbetrag begrenzten Anteil am Reingewinn des Geschäftes erhalten solle, und ist diese Form gewählt worden, um das Einkommen des Mannes pfändungsfrei zu machen, so spricht dies für die Ernstlichkeit, nicht für die Scheinnatur des Vertrages ( R A G 2, 1 1 9 ; vgl. auch R G 81, 41). § 850a ZPO ermöglicht es jetzt, in solchen Fällen den Anspruch des Drittberechtigten auf Grund des Schuldtitels gegen den Schuldner zu pfänden. Das A u s s t e l l e n eines S c h u l d s c h e i n e s über ein Darlehen ist, falls die Schuld aus einem anderen Grunde herrührt, kein Scheingeschäft, sondern U m w a n d l u n g der Schuld in ein Darlehen nach § 607 Abs. 2. Das gleiche gilt für den Fall, daß eine Hypothek für ein Darlehen bestellt, das Darlehen aber nicht gewährt wurde, dafür aber andere Leistungen durch Umwandlung als Darlehen gelten sollten (RG v. 12. 1. 1921 V 395/20). A n d e r s ist dies aber dann, wenn der Eigentümer und der eingetragene Hypothekengläubiger vereinbart haben, daß die zur Hintergehung von Gläubigern bestellte Hypothek keine Wirksamkeit haben soll. Ein K a u f a n g e b o t stellt noch nicht ein Scheingeschäft und in Wirklichkeit noch nicht den Kauf selbst dar, wenn nach einer nebenher gehenden Abrede die beiderseitigen in Aussicht genommenen Leistungen in der Weise vorweg erfolgen sollen, daß die Sache sofort übergeben und der Preis mit der Abrede angezahlt wird, daß er beim Zustandekommen des Kaufes auf den Kaufpreis angerechnet, beim Nichtzustandekommen aber als Entgelt für die Bindung des Verkäufers dienen soll (RG J W 1916, 391). Eine urkundliche B ü r g s c h a f t s e r k l ä r u n g ist noch nicht deswegen ein Scheingeschäft, weil eine von der schriftlichen Erklärung abweichende mündliche Nebenabrede über den Umfang der Haftung getroffen worden ist (RG L Z 1919, 590). Hinsichtlich der Eheschließung besteht die Ausnahme, daß die Scheinerklärung die Ehe nicht ohne weiteres nichtig macht. Die im Ehegesetz vom 20. 2. 1946 in den §§ 16 ff angeführten Nichtigkeitsgründe sind erschöpfend. Daneben kommen Nichtigkeitsgründe nach den allgemeinen Vorschriften des BGB nicht in Betracht (vgl. aber EheG § 19, sog. Namensehe). Inwieweit die Grundsätze vom Scheingeschäft auch bei P r o z e ß h a n d l u n g e n und gegenüber Urteilen anzuwenden sind, vgl. Anm. 15 vor § 104.

Anm. 5 4. Strohmann Vom Scheingeschäft ist das Handeln durch eine als „Strohmann" vorgeschobene Person zu unterscheiden (BGH 21,379; R G 84,304; 81, 4 1 ; 69,46; R G SeufTArch 60 Nr. 9 1 ; 82 Nr. 1 7 1 ; R G H R R 1933 Nr. 3). Beim Handeln durch eine vorgeschobene Person soll die erklärte Rechtsfolge nach dem Willen der Beteiligten wirklich eintreten. Es fehlt nicht wie beim Scheingeschäft der Geschäftswille, der angestrebte Rechtserfolg ist vielmehr ernstlich gewollt, er kann oder soll nur nicht von der verdeckten Person erreicht werden (BGH 21, 381). So bei der Verwendung einer Mittelsperson zum k ä u f l i c h e n E r w e r b e i n e r S a c h e durch einen stillen Stellvertreter (RG J W 1914, 587; R G Gruchot 66, 100), oder bei der Führung eines Geschäftes für den eigentlichen Inhaber (RG 84,304). Bei der G r ü n d u n g einer K a p i t a l g e s e l l s c h a f t handelt es sich bei Verwendung einer Mittelsperson dann nicht um eine sogenannte S t r o h m a n n g r ü n d u n g , s o n d e r n um eine S c h e i n g r ü n d u n g , wenn jemand vorgeschoben wird, der selbst nicht Gesellschafter werden, insbesondere keine Stammeinlage übernehmen will und glaubt, die Eintragung der „Gesellschaft" schon durch eine nicht ernstlich gemeinte Gründung herbeiführen zu können (BGH 21, 379). Kennt der Dritte, der der vorgeschobenen Person Gegenstände überträgt, dessen Strohmanneigenschaft, dann ist die Übertragung an den Strohmann als Scheingeschäft unwirksam, aber nach § 1 1 7 Abs. 2 erfolgt die Rechtsübertragung durch das verdeckte Geschäft unmittelbar an den Hintermann (RG 69, 45). Allerdings gilt dies nicht beim Erwerb von Grundstücken und Grundstücksrechten, da ein unmittelbarer Rechtserwerb des Hintermannes nicht erfolgen kann, weil es an der notwendigen Eintragung im Grundbuch fehlt (RG Gruchot 66, 100). 22

Komm. z. BGB. u . Aufl. I. Bd. (Krüger-Nicland)

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§117

Anm. 6—9

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 6 a) Rechtsstellung des Strohmannes gegenüber Geschäftsgegner und Geschäftsherrn Der Strohmann, der die Sache oder das Recht für sich erwirbt, wird E i g e n t ü m e r der Sache bzw. Inhaber des Rechts ( R G 98, 273). Er haftet auch für die E r f ü l l u n g aller aus dem abgeschlossenen Rechtsgeschäft sich ergebenden V e r b i n d l i c h k e i t e n ( R G SeuffArch 78 Nr. 62) und ist Inhaber des von ihm geführten Geschäftes ( R G 84, 304). Gegenüber dem eigentlichen Geschäftsherrn hat er einen schuldrechtlichen Befreiungsanspruch (OLG Celle J W 1938, 1591). Der Geschäftsherr hat an den vom Strohmann erworbenen Gegenständen keine dinglichen Rechte, sondern nur schuldrechtliche Ansprüche auf Herausgabe bzw. Ubertragung ( R G Gruchot 66, 100). Der Strohmann ist verpflichtet, die Gegenstände für den Geschäftsherrn zur Verfügung zu halten und auf Verlangen herauszugeben ( R G

69, 45)-

Anm. 7 b) Vertreter Vom Handeln durch eine vorgeschobene Person ist wiederum das Handeln durch einen S t e l l v e r t r e t e r zu unterscheiden. Zwar kann auch ein Vertreter mit Wirkung für den Vertretenen ein Scheingeschäft mit dem Dritten abschließen. Hat der Dritte aber mit dem Vertreter zum Nachteil des Vertretenen kolludiert, dann kann er sich dem Vertretenen gegenüber nicht auf die Scheinnatur des Geschäftes berufen ( R G

134. 33)-

Anm. 8 Ii. Das Umgehungs- und das fiduziarische Geschäft 1. Das Umgehungsgeschäft Vom Scheingeschäft ist ferner das U m g e h u n g s g e s c h ä f t zu unterscheiden. Der Unterschied besteht darin, daß die Parteien beim Scheingeschäft ein Rechtsgeschäft vortäuschen, wobei sie sich darüber einig sind, daß die Rechtswirkungen nicht eintreten sollen; während beim Umgehungsgeschäft die Parteien ihren Willen, einen vom Gesetz mißbilligten Erfolg herbeizuführen, durch Abschluß eines an sich statthaften Geschäfts zu verwirklichen versuchen. Ob es sich bei solchen Geschäften um ein Scheinoder Umgehungsgeschäft handelt, hängt davon ab, ob die Parteien davon ausgegangen sind, daß nur ein ernstgemeinter Vertrag den Erfolg herbeiführen kann, oder ob sie glaubten, ihr Ziel auch durch nicht ernstgemeinte Willenserklärungen zu erreichen. Daher steht der Umstand, daß ein Ubertragungsvertrag über Vermögensgegenstände geschlossen wurde, um den Zugriff der Gläubiger abzuwehren, der Behauptung, es habe sich hierbei um ein Scheingeschäft gehandelt, dann nicht entgegen, wenn die Vertragsteile davon ausgingen, sie könnten die Gläubiger schon durch die Vorlegung der Vertragsurkunde abwehren ( O G H 4, 105); wenn die Parteien also glaubten, daß ein Scheingeschäft zur Herbeiführung des von ihnen beabsichtigten Erfolges genügen würde. Ob ein Umgehungsgeschäft nichtig ist, bestimmt sich sonach nicht nach § 1 1 7 , sondern nach § 134.

Anm. 9 2. Das fiduziarische Geschäft Beim f i d u z i a r i s c h e n G e s c h ä f t wird ein Recht oder eine Rechtsstellung in der Weise übertragen bzw. eingeräumt, daß der Empfänger nach außen hin voll berechtigt ist, während er im Verhältnis zum Geber durch besondere Abrede in der Ausübung des übertragenen Rechtes oder in der Rechtsstellung beschränkt ist. Vom Scheingeschäft unterscheidet sich das Treuhandgeschäft dadurch, daß bei ihm der beabsichtigte Rechtserfolg der abgegebenen Erklärung entspricht ( R G WarnRspr 1910 Nr. 98), nur daß die gewählte Geschäftsform regelmäßig einem anderen wirtschaftlichen Erfolg als dem hier bezweckten dient. Es fehlt daher nur an der Ubereinstimmung zwischen dem erstrebten wirtschaftlichen Erfolg und der gewählten Geschäftsform, aber nicht zwischen 326

Willenserklärung

§117 Anm. 10

Wille und Erklärung. § 1 1 7 ist daher nicht anwendbar, es sei denn, daß auch das fiduziarische Geschäft ein bloßes Scheingeschäft darstellt (RG WarnRspr 1918 Nr. 135). Wenn jemand seine Sache einem anderen käuflich übereignet, damit dieser an ihr Sicherheit für eine Schuld des Verkäufers habe, dann hat der Verkäufer den ernstlichen Willen, den anderen im Wege der Eigentumsübertragung zu sichern; nur entspräche diesem wirtschaftlichen Zweck an sich nicht ein Ubereignungs-, sondern ein Pfandgeschäft. Ein fiduziarisches Geschäft kann auch zu dem Zwecke geschlossen werden, dem anderen Teile Kredit zu verschaffen (RG Gruchot 55, 634). Beim Sicherungskauf, der von einem Kauf nach § 433 insofern abweicht, als er nicht eigentlich die Begründung der dort vorgesehenen Verbindlichkeiten, sondern nur die Sicherung betrifft, hat der Käufer das Recht, zugleich aber auch die Pflicht, die Sache zu seiner Befriedigung weiterzuverkaufen und alsdann den Preisüberschuß dem Verkäufer herauszuzahlen (RG J W 1 9 1 1 Nr. 181). Dabei hat der Käufer wie ein Beauftragter die Pflicht, die Sache zu verwahren und die Interessen seines Schuldners beim Verkaufe wahrzunehmen (RG 76, 345). Der Schuldner kann aber nicht Zug um Zug gegen Angebot seiner Leistung Rückgabe des sicherheitshalber übereigneten Gegenstandes verlangen, da er vorzuleisten hat und der § 1223 hier außer Anwendung bleibt (RG J W 1914, 76). Vgl. auch ferner die Anm. zu § 398. Die A b t r e t u n g e i n e r F o r d e r u n g unter der Verabredung, daß die Forderung erst nach Eintritt einer Bedingung in das Vermögen des Abtretungsempfängers übergehen und dieser bis dahin nur nach außen hin als Gläubiger erscheinen soll, ist ein zulässiges fiduziarisches Geschäft und kein Scheingeschäft (RG Gruchot 59, 142). Anm. 10 III. Wirkungen des Scheingeschäftes Das Scheingeschäft ist schlechthin nichtig. Die Wirkungslosigkeit des simulierten Rechtsgeschäftes ergibt sich schon aus dem in § 1 1 6 S. 2 zur Geltung gebrachten Grundsatz. Auf die Nichtigkeit kann sich ein Dritter, der ein materielles oder prozessuales Interesse daran hat, berufen (RG 53, 416; RG WarnRspr 1909 Nr. 177; RG SeuffArch 64, 150). Das bedeutet aber nicht, daß der Dritte sein Interesse stets besonders nachweisen muß, da es sich schon aus der Sache selbst ergeben kann, wie beispielsweise, wenn er das Klagerecht des Scheinerwerbers oder Scheinberechtigten bestreitet. Ein am Scheingeschäft nicht unmittelbar beteiligter Dritter kann durch Feststellungsklage gemäß § 256 Z P O die Scheinnatur eines Rechtsgeschäftes klären lassen, falls er ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens des Scheingeschäftes hat ( O L G 4, 212). Der Gläubiger kann die von seinem Schuldner nur zum Schein veräußerte Sache pfänden, und anderseits kann ein Dritter die Sache von ihrem Scheinerwerber nicht weiter erwerben oder doch nur nach den Grundsätzen vom gutgläubigen Erwerb (§§ 932, 8g2). Ist eine Hypothek oder Grundschuld nichtig, weil beide Teile damit einverstanden waren, daß der eingetragene Gläubiger keine Rechte aus der Eintragung erlangen solle, dann kann der Eigentümer von ihm die Bewilligung der Löschung verlangen (RG 28. 4. 1915 V 539/14). Ist nur ein Teil des Rechtsgeschäfts zum Scheine abgeschlossen worden, dann wird nicht das ganze Rechtsgeschäft ohne weiteres nichtig; vielmehr entscheidet sich das nach § 139 (RG WarnRspr 1913 Nr. 41). Ein Scheingeschäft kann zugleich auch wegen Benachteiligung der Gläubiger der Anfechtung durch diese unterliegen (RG SeuffArch 67 Nr. 73). Ausgeschlossen ist der Einwand des Scheingeschäfts mit Rücksicht auf die Sicherheit des Verkehrs, wenn es sich um den Beitritt zu einer Genossenschaft, Aktiengesellschaft, Gesellschaft mbH und die damit verbundenen Einlagepflichten handelt (RG 123, 102; 124, 287; RG WarnRspr 1931 Nr. 41). Wie überhaupt die Berufung auf Willensmängel bei Abschluß eines Gründungsvertrages ist auch die Behauptung, die Gründung der in den Rechtsverkehr getretenen Gesellschaft sei nur zum Scheine erfolgt, unzulässig (RG J W 1935, 3613). 372

§117 Anm. 11—17

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 11 Ausnahme: Nach § 4 der PreisüberwachungsVO v. 7. 7. 1942 R G B l I 451 gilt, wenn in einem nach dem Inkrafttreten des Preisüberhöhungsverbots geschlossenen Vertrag die Vertragsteile in Täuschungsabsicht ein geringeres als das vereinbarte Entgelt beurkundet haben oder haben beurkunden lassen, unbeschadet der Vorschriften des § 2 Abs. 2 und des § 3 Abs. 1, das beurkundete Entgelt als vereinbart. Anm. 12 IV. Schutz des Dritten gegen Scheingeschäft Durch ein Scheingeschäft wird oftmals die Rechtslage eines Dritten schädlich beeinflußt; meist wird es sogar auf die Täuschung Dritter zu deren Nachteile berechnet sein (beispielsweise um durch die Scheinveräußerung einen Vermögensgegenstand dem Zugriffe der Gläubiger zu entziehen). Demnach sind Dritte gegenüber den üblen Einwirkungen des Scheingeschäfts besonders schutzbedürftig. Anm. 13 1. Unerlaubte Handlung Sofern ein Scheingeschäft zugleich den Tatbestand einer u n e r l a u b t e n H a n d l u n g erfüllt (§§ 823, 826), findet der Dritte einen ausreichenden Schutz in den allgemeinen Grundsätzen vom Schadensersatz gem. § 249fr (vgl. RG 95, 160ff). Anm. 14 2. Vereitelung von Erfüllungsansprüchen Handelt es sich bei einem Scheingeschäfte um die Vereitelung von E r f ü l l u n g s a n s p r ü c h e n (beispielsweise der zur Gewährung eines grundbuchlichen Rangvorrechts verpflichtete Hypothekengläubiger veräußert zum Scheine seine Hypothek, um sich der Verpflichtung zu entziehen), so kann die richtige Anwendung des Grundsatzes aus § 249 Satz 1 auch dazu führen, daß der berechtigte Dritte nunmehr ohne weiteres den Scheinerwerber auf die Erfüllung seines Anspruchs belangt (RG 95, 162). Anm. 15 3. Gutgläubiger Erwerb Einen weiteren Schutz verleiht das Gesetz Dritten mittels der Grundsätze vom g u t g l ä u b i g e n E r w e r b einer Sache (§§932, 892, 893) oder einer Forderung (§405), wonach der gutgläubige Erwerb auch dann wirksam ist, wenn der Veräußerer nur ein Scheinberechtigter war (vgl. die §§ 1032 u. 1207 betreffs des gutgläubigen Erwerbs eines Nießbrauchs und eines Pfandrechts). Anm. 16 4. Scheinvollmacht Unter den Voraussetzungen des § 1 7 1 ist ferner zugunsten des gutgläubigen Dritten auch seine bloße S c h e i n v o l l m a c h t wirksam (vgl. Anm. zu § 171). Gemäß §§409, 576 sodann müssen der Gläubiger einer Forderung und der Vermieter eines Grundstücks, die ihren Anspruch an einen andern zum Schein abgetreten haben, die Abtretung dem Schuldner gegenüber auch ohne Rücksicht auf dessen Gutgläubigkeit als wirksam gelten lassen, wenn sie ihm die Abtretung angezeigt haben. Anm. 17 5. Einrede der Arglist Zwar hat das Gesetz Dritten gegenüber einem Scheingeschäft weiteren Schutz ausdrücklich nicht gewährt, aber die Schutzbedürftigkeit des Dritten kann sich auch darüber hinaus ergeben. So wird dem Dritten unter den gegebenen Voraussetzungen (§ 242) auch die E i n r e d e d e r A r g l i s t (exceptio doli generalis) zuzugestehen sein (aA P l a n c k § 1 1 7 U 1 und O e r t m a n n das. A 2 b ß ) ; namentlich dann, wenn nach Lage des Falles der Grundsatz Platz greift :dolo facit, qui petit, quod redditurus est. Man denke nur an den Fall, daß der zur Gewährung einer Sache Verpflichtete diese, um sich seiner 328

Willenserklärung

§117 Anm. 18

Verpflichtung zu entziehen, an einen andern durch bloßes Scheingeschäft veräußert, der andere alsdann jedoch die Sache dem anspruchsberechtigten Dritten gewährt hätte und jetzt der Verpflichtete die Sache vom Dritten mit der Behauptung herausverlangen wollte, daß jener andere zur Verfügung über die Sache nicht befugt gewesen sei. Hier ist eine richtige Stelle für die Einrede der allgemeinen Arglist. Endlich aber erscheint es auch als recht und billig, dem Dritten bei Ansprüchen, zu deren Erfüllung die Verfügung eines anderen über eine Sache oder ein eingetragenes Recht erforderlich ist, den entsprechenden Leistungsanspruch unmittelbar auch gegen denjenigen zu geben, der die Sache oder das eingetragene Recht durch Scheingeschäft von dem zur Leistung verpflichteten Anderen an sich gebracht hat. Das bedeutete einerseits nur, daß der Dritte vor dem Einwände mangelnder Passivlegitimation geschützt wäre, und daß er also nicht nötig hätte, zur Verwirklichung seines Rechtes vorerst den Anspruch des ihm Verpflichteten gegen den Scheinerwerber auf Rückgewährung der Sache oder des Rechtes pfänden und sich überweisen zu lassen, gegebenenfalls auch erst das Grundbuchberichtigungsverfahren herbeizuführen. Anderseits aber hätten der Verpflichtete und der Scheinerwerber, falls sie sich die sofortige Belangung des letzteren gefallen lassen müßten, nur die Folgen ihres eigenen Tuns zu erleiden, da sie es bewirkt hätten, daß einstweilen nur der Scheinerwerber zur Erfüllung des Leistungsanspruchs imstande wäre. Es wäre nicht recht und billig, den schuldlosen Dritten darunter leiden zu lassen (vgl. R G 90, 279; 95, 161). Meist wird der Dritte in solchen Fällen sich freilich mit der Schadensersatzklage hinreichend helfen können ( R G 95, 162). Es sind aber auch Fälle denkbar, in denen die Voraussetzungen eines derartigen Anspruchs nichterfüllt sind, zumal nicht gegenüber dem Scheinerwerber.

Anm. 18 V. Das verdeckte Geschäft 1. Allgemeines § 1 1 7 Abs. 2 trifft den Fall, daß die Parteien ein Scheingeschäft abschließen, das bestimmt ist, ein anderes wirklich gewolltes zu verdecken, z. B. wenn die Parteien in Wahrheit eine Schenkung beabsichtigen, äußerlich aber einen Kaufvertrag abschließen mit dem Willen, die Schenkung auf diese Weise zu verdecken ( R G 68, 326; 87, 3 0 1 ; R G Gruchot 40, 964). Auch unter diesen Umständen fehlt es zwar an der Übereinstimmung zwischen dem wirklichen Willen und dem erklärten Willen. Aber dieser Fall unterscheidet sich von dem reinen Scheingeschäfte des Abs. 1 insofern, als bei dem letzteren in Wirklichkeit keine Rechtsveränderung beabsichtigt, hier dagegen eine solche erstrebt wird. Daher kann und soll hier grundsätzlich auch der wirklich gewollte Erfolg eintreten und soll also das verdeckte Rechtsgeschäft gelten. Der Fall des Abs. 2 trifft beispielsweise auch dann zu, wenn die Parteien eine b e w e g l i c h e S a c h e als nur m i e t w e i s e ü b e r l a s s e n bezeichnet haben, während in W i r k l i c h k e i t k ä u f l i c h e V e r ä u ß e r u n g beabsichtigt war, und die Folge dessen wäre, daß gegebenenfalls auch der Gläubiger des angeblichen Mieters die an diesen gelangte Sache pfänden dürfte. Haben die Parteien in Wirklichkeit eine B e v o l l m ä c h t i g u n g b e a b s i c h t i g t , äußerlich aber eine A b t r e t u n g e r k l ä r t , dann sind die von der Vollmacht geltenden Rechtsgrundsätze (insbesondere hinsichtlich der Widerruflichkeit) anwendbar ( R G WarnRspr 1909 Nr. 268). Nur ist selbstverständliche Bedingung für die Anwendbarkeit des Abs. 2 stets, daß die für das gültige Zustandekommen des wirklich beabsichtigten Geschäfts sonst erforderten Voraussetzungen, wie Form usw., erfüllt sind, bei einer durch ein Darlehnsgeschäft verdeckten Schenkung also auch die Formvorschrift des § 518 gewahrt ist ( R G 98, 127; R G SeufTArch 78 Nr. 11). Das Scheingeschäft darf nicht zur U m g e h u n g von g e s e t z l i c h e n B e s t i m m u n g e n dienen. Grundsätzlich anders und vom Fall des § 1 1 7 Abs. 2 zu unterscheiden ist der Fall, daß durch Umwandlung (Konversion) gem. § 140 ein anderes Geschäft an Stelle des nichtigen durch Auslegung unterstellt wird (vgl. Näheres Anm. zu § 140). Ob das verdeckte Geschäft gültig ist, richtet sich nach den für dieses Geschäft geltenden Vorschriften. So kann es möglich sein, daß das verdeckte Geschäft deshalb nichtig ist, weil es gegen ein gesetzliches Verbot verstößt. Ein Vertrag, mit dem eine 329

§ 117 Ä n m . 19—22 § 118 A n m . 1

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Steuerhinterziehung verbunden ist, ist jedoch nicht ohne weiteres nichtig, es sei denn, daß die Steuerhinterziehung den Hauptzweck des Vertrages bildet. Nach § 5 Abs. 1 und 2 StAnpG ist für die Besteuerung das verdeckte Geschäft maßgeblich. Eine etwaige Nichtigkeit des Geschäftes erstreckt sich nur auf denjenigen Teil des Rechtsgeschäftes, der die Steuerhinterziehung bezweckt ( B G H 14, 25; R G D R 1942, 40). A n m . 19 2. D e r G r u n d s t ü c k s v e r ä u ß e r u n g s v e r t r a g Anzuwenden sind die Vorschriften des § 1 1 7 auch in den Fällen, in denen in einem förmlich abgeschlossenen Grundstücksveräußerungsvertrag (§ 313) der Kaufpreis niedriger beurkundet wird, als die Parteien mündlich vereinbart hatten (Schwarzkauf). In diesem Falle ist der beurkundete Vertrag wegen § 1 1 7 Abs. 1, der verdeckte mündliche Vertrag wegen Formmangels gem. § 3 1 3 Abs. 1 nichtig. Der verdeckte Vertrag wird aber gem. § 313 Abs. 2 durch Auflassung und Eintragung rechtsgültig ( R G 104, 102 298; 129, 150; O L G Karlsruhe H R R 1937 Nr. 1492; vgl. auch R G 171, 22). Solange in diesen Fällen aber nur die Auflassung erklärt, die Eintragung im Grundbuch noch nicht vollzogen ist, kann die Auflassungserklärung nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung ( § 8 1 2 f f ) herausverlangt werden (RG 108, 329; 117, 290; 119, 167). Die Heilung ist jedoch ausgeschlossen, wenn eine behördliche Genehmigung des Vertrages erforderlich ist, und nur der beurkundete, nicht aber der verdeckte Vertrag genehmigt wurde. A n m . 20 VI. A n w e n d u n g s g e b i e t Das Anwendungsgebiet des § 1 1 7 ist beschränkt auf die Fälle der e m p f a n g s b e d ü r f t i g e n Willenserklärungen (vgl. Anm. 2 vor §116) und auf die zweiseitige V o r t ä u s c h u n g im Gegensatze zu der einseitigen (§ 116). Auf eine einer Behörde gegenüber abgegebene Willenserklärung ist er sonach unanwendbar (vgl. R G 16. 2. 1911 IV 331/10 und für das Vaterschaftsanerkenntnis im Gegensatz zu einem Unterhaltsanerkenntnis R G 135, 219). Auch der der Auflassung zugrunde liegende dingliche Vertrag (die Einigung) kann ein Scheingeschäft darstellen ( R G 2. 7. 1919 V 92/19)A n m . 21 VII. Die B e w e i s l a s t Die Beweislast regelt sich nach dem Grundsatze, daß, wer eine rechtszerstörende Tatsache behauptet, sie auch zu beweisen hat. A n m . 22 VIII. Nichtigkeit Uber die Nichtigkeit und ihre Folgen, insbesondere über den Einfluß der Nichtigkeit des Grundgeschäfts auf das Vollzugsgeschäft, vgl; Anm. 16—18 zu § 125.

§118 Eine nicht ernstlich g e m e i n t e W i l l e n s e r k l ä r u n g , die in d e r E r w a r t u n g a b g e g e b e n w i r d , der M a n g e l der Ernstlichkeit w e r d e nicht v e r k a n n t w e r d e n , i s t nichtig. E I 97 Abs. I, 1, 4 n 93; M I 193ff; P I 98ff. Anm. 1 I. Der M a n g e l der Ernstlichkeit Es handelt sich auch hier darum, daß eine rechtsgeschäftliche Erklärung abgegeben wird, wiewohl ein Geschäftswille (Anm. 1 vor § 116) überhaupt nicht vorhanden ist, weil nämlich der Erklärende beabsichtigt, daß seine Erklärung einen Rechtserfolg

330

Willenserklärung

§ 118 Anm. 2 §119

überhaupt nicht haben soll. Sie ist trotz des nur insgeheim gemachten Vorbehalts des Nichtwollens (§ 116) nichtig, falls der Erklärende erwartet hat, der andere Teil werde den M a n g e l der E r n s t l i c h k e i t erkennen. Er soll unter diesen Umständen nicht beim Worte genommen werden, selbst wenn der andere den Willensmangel tatsächlich nicht erkannt hat. Die in dieser Erwartung abgegebene nichternstliche Willenserklärung ist nichtig. Hat der Erklärungsgegner den Mangel der Ernstlichkeit erkannt, so liegt kein Fall des § 118, sondern des § 116 Abs. a vor. Bestand zwischen den Parteien ein Einverständnis über die Nichternstlichkeit, dann ist ein Fall des §117 gegeben. Unter §118 fallen somit Erklärungen, die zum Scherz, zu Anpreisungen oder aus P r a h l e r e i abgegeben werden. Anwendbar ist § 118 auch bei letztwilligen V e r fügungen (RG 104, 322). Anm. 2 II. Ausnahme Eine Erklärung aber, die sich nach ihrer äußeren Erscheinung, besonders nach ihrem Inhalt, bei objektiver Betrachtung als die Kundgebung eines rechtsgeschäftlichen Willens darstellt, ist in der Regel von vornherein auch rechtsgeschäftliche Bedeutung beizulegen. Hat ein Vertragsteil eine in einer Vertragsurkunde enthaltene Erklärung rechtsgeschäftlichen Inhalts nicht ernstlich gemeint und angenommen, der Vertragsgegner sei mit ihm über die Nichternstlichkeit einig, so erfordern es schon Treu und Glauben und die Bedürfnisse des redlichen Geschäftsverkehrs, ihm die Berufung auf seine Nichternstlichkeit zu versagen (RG 168, 204). Vgl. auch Friesecke ZAkDR 42, 140. In jedem Falle ist die rechtsgeschäftliche Bedeutungslosigkeit vom Behauptenden nachzuweisen. Die R e c h t e des andern Teiles in solchen Fällen berücksichtigt auch der § 122 (Schadensersatzpflicht).

§119 Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtume war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, daß er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden. E I 98, 99 Abs. 1, 3 I I 94; M 1 196ff; P i io2ff f 1148;

6

122.

Ubersicht I. Allgemeines 1. Begriff des Irrtums 2. Arten des Irrtums 3. Wirkung des Irrtums 4. Anwendungsgebiet II. Irrtum in der Erklärungshandlung (Erklärungsirrtum) 1. Begriff 2. Falsa demonstratio I I I . Irrtum über den Inhalt der Erklärung (Inhaltsirrtum) 1. Begriff 2. Bewußte Nichtkenntnis und Irrtum a) Unterschrift unter eine ungelesene Urkunde b) Schätzungen und Mutmaßungen 3. Einseitiger Irrtum über die Grundlagen der rechtsgeschäftlichen Erklärung als Inhaltsirrtum 4. Einzelfälle .

Anm.

r—8 i 2 3—6 7, 8 9—10 9 10 11—16 11 12—14 13 14 15 16 331

§119 Anm. 1—3

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

IV. Irrtum über Eigenschaften der Person oder Sache 1. Verkehrswesentliche Eigenschaften a) Eigenschaften der Sache aa) Begriff der Sache bb) Einzelfalle b) Eigenschaften der Person aa) Allgemeines bb) Zahlungsfähigkeit und Kreditwürdigkeit cc) Sachkunde und persönliche Vertrauenswürdigkeit . . . . 2. Eigenschaftsirrtum und Gewährleistung a) Sachmangel b) Rechtsmangel V . Ursächlicher Zusammenhang zwischen Irrtum und Willenserklärung V I . Tatsächlicher und Rechtsirrtum V I I . Motivirrtum 1. Begriff 2. Einzelfälle V I I I . Abgrenzung von ähnlichen Fällen 1. Dissens 2. Beiderseitiger Irrtum I X . Die Anfechtung 1. Die Anfechtungserklärung 2. Der Anfechtungsberechtigte 3. Anfechtung von Vergleichen 4. Anfechtung von Versicherungsverträgen 5. Anfechtung gesellschaftsrechtlicher Verträge X . Die Beweislast

Anm»

17—31 17—27 ig—24 ig 20—24 25—27 25 26 27 28—31 28—30 31 32—14 33, 34 35—43 35 36—43 44—47 44 45—47 48—52 48 4g 50 51 52 53

Anm. 1 I. Allgemeines 1. Begriff des I r r t u m s Ein Irrtum liegt vor, wenn Vorstellung und Wirklichkeit auseinanderfallen. Der Irrtum kann entweder auf einer f a l s c h e n V o r s t e l l u n g von der W i r k l i c h k e i t oder auf einer U n k e n n t n i s des w i r k l i c h e n S a c h v e r h a l t e s beruhen (RG 62, 205). Voraussetzung ist aber, daß der Z w i e s p a l t zwischen Vorstellung und Wirklichkeit dem Irrenden n i c h t b e w u ß t ist. Anm. 2 2. Arten des I r r t u m s § 119 behandelt drei verschiedene Arten des Irrtums bei der Abgabe einer Willenserklärung: a) den Irrtum in der Erklärungshandlung (Erklärungsirrtum), der vorliegt, wenn der Erklärende etwas anderes äußert, als er erklären will, er sich z. B. verspricht oder verschreibt, b) den Irrtum über den Inhalt der Erklärung (Inhaltsirrtum), bei dem sich der Erklärende zwar nicht im Ausdruck vergreift, sich aber unrichtige Vorstellungen über die Bedeutung des Erklärten macht, c) den Irrtum über wesentliche Eigenschaften der Person oder Sache, den dasGesetz einem Inhaltsirrtum gleichstellt. Anm. 3 3. Wirkung des I r r t u m s Liegt ein unbewußter Widerspruch zwischen Wille und Erklärung vor, so behandelt das Gesetz, dem Erklärungsgrundsatz folgend, die auf Irrtum beruhende Willens332

Willenserklärung

§119 A n m . 4—8

erklärung zunächst als gültig, und zwar bindet die Erklärung den Erklärenden in dem Sinne, wie sie bei objektiver Auslegung (§ 157) zu verstehen ist. Grundsätzlich muß der Erklärende damit rechnen, daß seine Erklärung ihrem Wortlaut gemäß, jedenfalls nicht im Widerspruch damit, verstanden wird ( R G 68, 128; vgl. auch Anm. zu §§ 133, 157). Ergibt die Auslegung, daß als Wille des Erklärenden etwas anderes kundgetan worden ist als das, was er hat kundtun wollen, so stellt das Gesetz es in das E r m e s s e n des E r k l ä r e n d e n , der nur aus Irrtum fehlgegangen ist, ob er die Erklärung anfechten will. Macht er von diesem Anfechtungsrecht Gebrauch, so muß er dem auf die Erklärung vertrauenden Gegner dessen Schaden ersetzen (§ 122). Anm. 4 Das Anfechtungsrecht besteht unabhängig davon, ob der Irrtum des Erklärenden — z. B. über das Vorhandensein einer verkehrswesentlichen Eigenschaft — für den Gegner erkennbar war (vgl. Anm. 17). Da nur der Erklärende ein berechtigtes Interesse an der Unwirksamkeit einer von ihm irrtümlich abgegebenen Erklärung haben kann, ist der Gegner, falls n i c h t angefochten wird, mit dem Einwand ausgeschlossen, der Erklärende habe sich bei der Abgabe der Erklärung geirrt ( R G WarnRspr 1908 Nr. 276). Anm. 5 Ob der Irrtum verschuldet oder unverschuldet ist, ist belanglos ( R G 62, 205; 88, 4 1 1 ; 147, 310; R G H R R 1935 Nr. 1372). Auch grobe Fahrlässigkeit schließt Anfechtung wegen Irrtums nicht aus. Anm. 6 Kein I r r t u m im Sinn des § 1 1 9 liegt vor, wenn jemand einen Geschäftswillen nicht gefaßt, sein Handeln aber irrtümlich von Dritten als Erklärungshandlung aufgefaßt wird, z. B. wenn jemand bei einer öffentlichen Versteigerung die Hand hebt, um sich einem Freunde bemerkbar zu machen. Hier fehlt es für die Anwendbarkeit des § 119 schon an dem Vorhandensein einer Willenserklärung (vgl. Anm. 1 vor § 116). Zu einer Anfechtung besteht weiter kein Anlaß, wenn der E r k l ä r u n g s g e g n e r die irrtümlich abgegebene Erklärung r i c h t i g v e r s t a n d e n h a t , da unter diesen Umständen die Erklärung so zu gelten hat, wie sie gemeint war und auch verstanden worden ist ( R G 66, 427; 105, 185; R G J W 1 9 1 1 , 179; vgl. auch Anm. 8 zu § 121). Anm. 7 4. Anwendungsgebiet Die Vorschrift des §119 findet auf alle Arten von Willenserklärungen Anwendung. Eine Unterscheidung zwischen empfangsbedürftigen und anderen Willenserklärungen macht erst § 122. Auch s t i l l s c h w e i g e n d e Willenserklärungen sind anfechtbar ( R G 103, 401; 129, 347; 134, 195), soweit ihnen ein Geschäftwille zugrunde liegt (vgl. hierzu Anm. 5, 10 vor § 116). Wegen Irrtums anfechtbar sind ferner das Verlöbnis ( R G J W 1936, 863), die Annahme eines Kindes ( R G 147, 3 1 0 ; 152, 228; 156, 334) und die Anerkennung der u n e h e l i c h e n V a t e r s c h a f t ( R G WarnRspr 1930 Nr. m ; K G J R 1949, 383). Anfechtbar wegen bloß einseitigen Irrtums ist auch der Vergleich ( R G J W 1936, 2456). Sonderregelungen gelten für die Eheschließung (§§ 30—34, 39 EheG), bei der Anfechtung einer letztwilligen Verfügung (§§ 2078, 2080, 2281 ff) und der Annahme und Ausschlagung einer Erbschaft (§§ 1949, 1956). Anm. 8 Grundsätzlich sind die Vorschriften der §§ 119 ff auf Verwaltungsakte nicht anzuwenden (vgl. Anm. 12 vor § 116). Die Anstellung und Entlassung von Beamten ist ein öffentlich-rechtlicher Akt. Ob diese Akte anfechtbar sind, richtet sich nach dem Beamtengesetz. Darüber hinaus hat die Rechtsprechung die Anfechtung wegen Willensmängel entsprechend angewendet (vgl. R G 83, 429; 124, 193; 160, 326; R G WarnRspr 1914, 270; R G Gruchot 71, 603; R G J W 1928, 1038). In B G H 2, 315, 320 ist die Frage

333

§119

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 9—12 offen gelassen, ob trotz der Bestimmung in § 78 Abs. 1 Satz 3 DBG die Verfügung über die Versetzung eines Beamten in den Ruhestand wegen Irrtums angefochten werden kann. Die Anfechtung geschieht in der Weise, daß die zuständige Behörde ihren auf einem wesentlichen Willensmangel beruhenden Verwaltungsakt für unwirksam erklärt. Auch öffentlich-rechtliche Willenserklärungen von Privatpersonen z. B. der Entlassungsantrag eines Beamten, unterliegen der Anfechtung nach § 1 1 9 und § 123 (RG 134, 162).

Anm. 9 II. Irrtum in der Erklärungshandlung 1. Begriff Der Irrtum in der Erklärungshandlung, wenn also der Erklärende „eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte", betrifft die Fälle, in denen der Erklärende sich im Ausdruck vergreift (RG 66, 429), sich verspricht oder verschreibt, oder wenn er dem gewählten Ausdruck, etwa weil er die Sprache nicht genügend beherrscht (RG J W 1907, 506) oder von der Tragweite eines gesetzlichen Begriffes (gesetzlicher Erbe) eine falsche Vorstellung hat (RG 70, 394), einen anderen als den objektiv erklärten Sinn beimißt. Der Erklärende darf sich des Erklärungsmangels auch hier nicht bewußt sein (RG J W 1909, 2 1 4 ; R G 77, 30g; R G Gruchot 55, 104).

Anm. 10 2. Falsa demonstratio Haben beide Teile trotz vorhandener Willensübereinstimmung infolge beiderseitigen Versehens oder Irrtums eine andere Sache oder ein anderes Geschäft bezeichnet als sie im Auge hatten, so ist dieser Irrtum u n e r h e b l i c h . Es handelt sich hier lediglich um eine f a l s c h e B e z e i c h n u n g , die unschädlich ist, weil entscheidend bleibt, daß in dem wirklich Gewollten Willensübereinstimmung geherrscht hat und demgemäß der Vertrag mit dem wirklich gewollten Inhalt zustande gekommen ist (RG 61, 265; 60, 338; R G J W 1907, 825). So z. B. wenn beide Parteien einen Kaufvertrag über Walfischfleisch abschließen wollten, sich aber in Unkenntnis des norwegischen Wortes hierfür des norwegischen Ausdrucks für Haifischfleisch bedienten (RG 99, 147).

Anm. 11 III. Irrtum über den Inhalt der Erklärung (Inhaltsirrtum) 1. Begriff Der Irrtum über den I n h a l t d e r E r k l ä r u n g unterscheidet sich vom Irrtum in der Erklärungshandlung dadurch, daß bei Inhaltsirrtum der Erklärende sich nicht im Ausdruck vergreift, sondern daß er von der rechtlichen Bedeutung und der Tragweite seiner Erklärung eine unrichtige Vorstellung hat. Ob ein Zwiespalt zwischen Wille und Erklärung vorhanden ist, ist auch hier im Wege der Auslegung nach Maßgabe der §§ 133. 157 zu ermitteln (BGH N J W 1951, 424; O G H 1, 156). Ein Irrtum über den Inhalt der Erklärung ist namentlich dann gegeben, wenn der Erklärende nach seinem wirklichen Willen das Rechtsgeschäft überhaupt mit einer anderen Person als mit dem Erklärungsgegner hat abschließen wollen, oder wenn er den Gegenstand oder die juristische Geschäftsform (nicht Kauf, sondern Miete) verwechselt hat. Voraussetzung ist stets, daß eine Erklärung (auch stillschweigende), die mit dem wirklichen Willen in Widerspruch steht, abgegeben und zum Bestandteil des Rechtsgeschäftes gemacht worden ist (RG 88, 284; 89, 3 3 ; R G WarnRspr 1919 Nr. 188).

Anm. 12 2. Bewußte Nichtkenntnis und Irrtum Wer eine Willenserklärung trotz des B e w u ß t s e i n s abgibt, ihren Inhalt nicht zu kennen oder ihre wirtschaftliche und rechtliche Tragweite nicht zu übersehen, ist nicht zur Anfechtung wegen Irrtums berechtigt (RG 134, 3 1 ; B G H 2, 331). Auch wer sich über einen gewissen Punkt überhaupt keine Gedanken gemacht hat, kann sich insoweit nicht im Irrtum befunden haben (RG J W 1912, 26).

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Willenserklärung

§119

Anm. 13—15 Anm. 13 a) Unterschrift unter eine ungelesene Urkunde Wenn der Erklärende sich beim U n t e r s c h r e i b e n e i n e r n i c h t g e l e s e n e n U r k u n d e bewußt in Unkenntnis hält, die Möglichkeit eines Widerspruchs zwischen dem Gewollten und Erklärten also in Kauf nimmt, ist er zur Anfechtung nicht berechtigt ( R G 62, 207; 77, 309). A n d e r s liegt es aber dann, wenn der Erklärende auf Grund einer vorausgegangenen Verhandlung mit einem Vertragspartner eine Urkunde in der unzutreffenden Meinung unterzeichnet, sie enthalte nur das Besprochene und nichts anderes ( R G 77, 3 1 2 ; 88,282; R G WarnRspr 1 9 1 8 Nr. 25; R G J W 1 9 0 9 , 2 1 4 ) . Unterschreibt daher jemand eine Urkunde zwar in dem Bewußtsein, ihren Inhalt nicht zu kennen, aber in der Annahme, daß sie einem bestimmten Sachverhalt nicht widerspreche, so kann er, wenn die Annahme unrichtig ist, die Erklärung anfechten ( R G 77, 309). Bei den a l l g e m e i n e n G e s c h ä f t s b e d i n g u n g e n wird in den Fällen, in denen die Formulare, die die Geschäftsbedingungen enthalten, ungelesen unterschrieben worden sind, eine Anfechtung wegen Irrtums nur dann zulässig sein, wenn die Geschäftsbedingungen Bestimmungen enthalten, die a u ß e r g e w ö h n l i c h sind. Enthalten die Geschäftsbedingungen dagegen nur die üblichen Bestimmungen, so kann sich derjenige, der sie ungelesen unterzeichnet hat, nicht auf Irrtum berufen (vgl. S t a u d i n g e r Anm. 48 zu § 1 1 9 ) .

Anm. 14 b) Schätzungen und Mutmaßungen Wer sich bei Abgabe einer Willenserklärung nur in Zweifeln bewegt, den Eintritt von Tatsachen oder ihr Vorhandensein für möglich oder wahrscheinlich hält, sich also bei Abgabe der Willenserklärung bewußt ist, daß er die rechtliche und wirtschaftliche Tragweite nicht zu übersehen vermag und sich auf M u t m a ß u n g e n u n d S c h ä t z u n g e n verläßt, kann sich nicht auf einen Irrtum über die rechtlichen oder wirtschaftlichen Auswirkungen berufen ( B G H 2, 3 3 1 ; R G 85, 324). So ist eine Anfechtung ausgeschlossen, wenn jemand seine eigene, ihm bewußte Ungewißheit über die Größe der vom Vertragsschluß betroffenen Grundstücke nicht für wichtig genug gehalten hat, um den Vertragsschluß in Frage zu stellen ( R G 134, 3 1 ) . Uber Anfechtung wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft bei einem „ g e w a g t e n " Geschäft vgl. B G H 2 4 . 6 . 1958 V I I I Z R 86/57. I m Falle einer schätzungsweise vorgenommenen P r e i s b e s t i m m u n g kann daher ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum nur dann in Frage kommen, wenn der Käufer angenommen hat, durch seine Schätzung ein gewisses Ergebnis gefunden zu haben ( R G 90, 268). Ein B e r e c h n u n g s i r r t u m ist im übrigen aber nur beachtlich, wenn die Berechnung zum Gegenstand der entscheidenden Vertragsverhandlungen gemacht und der geforderte Kaufpreis erkennbar als auf dieser Berechnung beruhend bezeichnet worden ist, weil dann der Inhalt der Erklärung auch die Preisbildung umfaßt ( R G 64, 268; 90, 272; 94, 67; 1 0 1 , 108; 105, 406; siehe hierzu Anm. 43 unten).

Anm. 15 3. Einseitiger Irrtum über die Grundlagen der rechtsgeschäftlichen Erklärung als Inhaltsirrtum Ein Irrtum im Beweggrund und über die Rechtsfolgen ist unbeachtlich. Die Rechtsprechung des Reichsgerichtes hat aber unter bestimmten Voraussetzungen den Irrtum über die Grundlagen der rechtsgeschäftlichen Erklärungen für beachtlich angesehen ( R G 7 5 , 2 7 1 ; 97, 140; 1 0 1 , 5 3 ; 1 1 2 , 3 3 2 ; R G WarnRspr 1930 Nr. 189; R G Seuff-Arch 82 Nr. 1 5 2 ; R G H R R 1929 Nr. 1299; vgl. auch R G 108, 1 0 5 R G H R R 1933 Nr. 464). Voraussetzung ist, daß der Erklärende eine unrichtige Vorstellung von den z. Zt. der Abgabe der Willenserklärung bestehenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen hat ( R G 75, 2 7 1 ) , belanglos dagegen ist, wenn er k ü n f t i g e Geschehnisse irrig beurteilt hat ( R G Gruchot 49, 893). Z w a r ist ein Irrtum über die Grundlage des Rechtsgeschäftes auch ein Irrtum über seine Folgen, aber der Irrtum darf sich nicht auf solche Folgen beziehen, die bloße Rechtsfolgen sind oder die die wirtschaftliche Tragweite betreffen

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§119

A n m . 16

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

u n d d i e a u ß e r h a l b des R a h m e n s d e r W i l l e n s e r k l ä r u n g l i e g e n (RG 75, 2 7 1 ; 88, 285; R G J W 1 9 1 1 , 2 1 2 ; R G WarnRspr 1912 Nr. 3; R G H R R 1933 Nr. 463). Schließlich bleiben N e b e n w i r k u n g e n , mit denen der Erklärende infolge mangelnder Rechtskenntnisse nicht gerechnet hat, außer Betracht, wenn im übrigen das Rechtsgeschäft irrtumsfrei gewollt und erklärt worden ist (RG 51, 283; 98, 138). A n m . 16 4. Einzelfälle Ubernimmt jemand die Bürgschaft für eine Schuld, von der er irrigerweise annimmt, sie sei durch ein Sachpfand gedeckt, so ist sein Irrtum nicht nur dafür entscheidend, daß er sich über das Maß seiner wirtschaftlichen Gefährdung täuscht; vielmehr kann er sich auch auf den sachlichen Gegenstand der Erklärung erstrecken, wenn der Bürge seine Vorstellungen über die anderweite Sicherung der Hauptschuld zum Inhalt seiner eigenen Erklärung macht (vgl. dazu § 765 Anm. 5). Irrtum über den Inhalt der Erklärung liegt auch dann vor, wenn der Verkäufer einen zu niedrigen Preis fordert, weil er nicht weiß, daß die Kaufsache, die beschädigt gewesen war, „inzwischen auf seine Kosten wiederhergestellt worden ist" (RG J W 1904, 1 1 2 ) ; oder wenn der Käufer einer Wassermühle irrtümlich annimmt, daß die Wasserkraft der Mühle zugehört, während sie nur widerruflich gestattet ist (RG WarnRspr 1912 Nr. 240); oder wenn der Käufer eines Grundstücks sich über dessen Grenzen irrt (RG WarnRspr 1912 Nr. 365); ferner, wenn der Verkäufer nicht den ganzen im Vertrage bezeichneten Gegenstand, sondern nur ein Minderes verkaufen wollte (RG 2 . 5 . 1910 V 577/09); wenn jemand nach seiner Erklärung ein umfangreicheres Vorrecht bewilligt, als er beabsichtigt hatte (RG 14. 2. 1912 V 328/11); wenn der Käufer sich mehr zu kaufen vorgestellt hat, als den abgegebenen Erklärungen entspricht (RG WarnRspr 1914 Nr. 2 7 1 ) ; oder wenn der Erwerber eines Rechts gemäß § 398 über dessen Inhalt sich geirrt hat (RG 95, 1 1 5 ) . K e i n Irrtum im Sinne des § 1 1 9 liegt vor, wenn der Pächter bei Abschluß des Pachtvertrages sich in bewußter Unkenntnis von Lage, Grenzen und Liegenschaften der angebotenen Pachtfläche befunden hat (OLGMünchen H R R ig38Nr. 370). In R G 62, 204 ist Irrtum über den Inhalt der Erklärung auch in einem Falle angenommen worden, als ein Konkursverwalter sich für die Erfüllung des gesamten Teillieferungsvertrags i n f o l g e des I r r t u m s erklärte, daß die vom Gemeinschuldner bisher empfangenen Raten s ä m t l i c h b e r e i t s b e r i c h t i g t seien. Diese Entscheidung ist bedenklich. Denn der Irrtum des Konkursverwalters betraf lediglich Umstände aus der Vergangenheit, die außerhalb des Rahmens seiner Erklärung lagen. Seine falsche Vorstellung war für seine Entschließung nur deshalb entscheidend, weil er infolge ihrer seine Erklärung als für die Konkursmasse ersprießlich erachtete. Fordert ein Konkursverwalter nach § 17 K O Erfüllung des ganzen Teillieferungsvertrages in dem irrigen Glauben, daß der gesamte Vertrag noch nicht erfüllt sei, während der Gemeinschuldner einen Teil der Lieferungen bereits empfangen, aber noch nicht bezahlt hatte, dann liegt ein beachtlicher Irrtum insofern vor, als der Konkursverwalter von dem Bestände unbezahlter Forderungen nichts wußte, also von dem Vertrag, dessen Erfüllung er forderte, eine falsche Vorstellung hatte, sein Irrtum mithin die objektive Sachlage betraf (RG 85, 223). Bei dem Verkaufe von W e r t p a p i e r e n kann der Irrtum über ihren Börsenkurs einen Irrtum über den Erklärungsinhalt darstellen, nämlich dann, wenn im Sinne des Geschäfts dessen Grundlage der Tageskurs sein sollte (RG 97, 138; 101, 51). Die irrtümliche Angabe eines unrichtigen Zeitpunkts der Fälligkeit einer Versicherungssumme berechtigt zur Anfechtung (RG SeuffArch 76 Nr. 4). Ist ein Darlehen in ausländischer Währung versprochen, haben sich die Parteien dabei aber über den Wert des ausländischen Geldes geirrt, dann handelt es sich um einen Irrtum über den Inhalt der Erklärung (RG 105, 407). Irrtum über den Wert einer Hypothek s. R G WarnRspr 1931 Nr. 60. V e r n e i n t ist ein Irrtum über den Erklärungsinhalt und vielmehr Irrtum über den Beweggrund angenommen worden, wenn der Irrtum die Angemessenheit der eigenen Leistung gegenüber der Gegenleistung betraf (RG J W 1917, 214); ferner wenn der Gläubiger die ihm vom Schuldner bestellte Sicherheit in der irrigen Annahme freigibt,

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Willenserklärung

§119 Anm. 17—19

daß die Schuld bereits getilgt sei ( R G WarnRspr 1 9 1 8 Nr. 24). Ein Irrtum des Bevollmächtigten über den ihm erteilten Auftrag berechtigt niemals zur Anfechtung der vom Bevollmächtigten infolge jenes Irrtums abgegebenen Willenserklärung ( R G 82, 1 9 3 ; R G Gruchot 49, 1049).

Anm. 17 IV. Irrtum über Eigenschaften der Person oder der Sache 1. Verkehrswesentliche Eigenschaften Als verkehrswesentliche Eigenschaften kommen nicht nur die der Person oder der Sache unmittelbar eigentümlichen Merkmale in Betracht, sondern alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die infolge ihrer Beschaffenheit und vorausgesetzten Dauer nach der allgemeinen Verkehrsauffassung einen Einfluß auf eine Wertschätzung in allen oder doch gewissen Rechtsbeziehungen auszuüben pflegen ( R G 52, 2 ; 59, 243; 6 1 , 8 5 ; 64, 268; 103, 22; R G J W 1 9 1 2 , 26; R G WarnRspr 1909 Nr. 3 8 3 ; vgl. a u c h B G H 1 6 , 5 4 , 5 7 ) . Solche Verhältnisse, die den Begriff der Eigenschaften im Sinne des § 1 1 9 Abs. 2 erfüllen, können aber zu einer Irrtumsanfechtung nur führen, wenn sie in einer dem anderen Teile erkennbaren Weise dem Vertrag zugrunde gelegt wurden, ohne daß sich die Verhandlungen hierüber zu einer Zusicherung nach §§ 459 Abs. 2, 463 verdichtet hätten ( B G H 16, 57, auch R G 64, 266; R G WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 2 7 1 ) . J e d o c h braucht der Irrtum des Erklärenden, so des Käufers über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Kaufgegenstandes, dem anderen Teile nicht erkennbar gewesen sein ( R G SeuffArch 68 Nr. 2 ; R G H R R 1930 Nr. 593).

Anm. 18 Unter den Begriff der verkehrswesentlichen Eigenschaften fallen aber nur solche tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die den Gegenstand selbst kennzeichnen, also die Person oder Sache unmittelbar betreffen, nicht dagegen Umstände, die nur mittelbar einen Einfluß auf ihre Bewertung ausüben ( R G 59, 243; 64, 269; 149, 2 3 5 ; B G H 16, 57). Der W e r t eines Gegenstandes als solcher, insbesondere seine wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit, ist daher keine Eigenschaft im Sinne des § 1 1 9 Abs. 2

(RGJW 1912, 522; RG LZ 1926, 742; RG HRR 1932 Nr. 224;BGH 16, 57;BGH LM

Nr. 2 zu § 779 = BB 1952, 330). Insbesondere sind Verkehrswert, Marktpreis, Einkaufspreis keine tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse der Sache, sondern nur das Ergebnis der Schätzung aller für die Wertbildung maßgeblichen Eigenschaften der Sache auf Grund der allgemeinen Marktlage oder der besonderen Umstände des einzelnen Geschäfts ( R G 64, 269; R G Gruchot 56, 582). So ist z. B. die Kursnotierung bei Wertpapieren keine Eigenschaft, sondern nur eine Mitteilung über den Preis. Es kommt daher bei Irrtum hierüber eine Anfechtung nach § 1 1 9 Abs. 2 nicht in Betracht, sondern es kann allenfalls nach § 1 1 9 Abs. 1 angefochten werden (RG 116, 18). U m eine Grundstückseigenschaft handelt es sich daher nicht, wenn eine Gerechtigkeit (Flößereirecht) mitverkauft ist und nur diese (Bestandteil gemäß § 96) einen Mangel enthält; hier kommt vielmehr § 4 3 4 in Frage ( R G 4. 7. 1 9 1 4 V 9 1 / 1 4 ) . Rechtsverhältnisse, die eine Grundstückslast betreffen, stellen keine Eigenschaft des Grundstücks selbst dar ( R G 27. 4. 1 9 1 8 V 368/17). Jedenfalls muß es sich auch um bereits bestehende und nicht erst künftig etwa zur Entstehung gelangende Verhältnisse handeln, hinsichtlich deren eine Haftung nur in Form eines Garantievertrags übernommen werden kann ( R G 52, 4 3 1 ; R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 172).

Anm. 19 a) Eigenschaften der Sache aa) Begriff der Sache

Unter dem Begriff „ S a c h e " im Sinne von § 1 1 9 Abs. 2 ist jeder Gegenstand des Rechtsgeschäftes, nicht nur ein körperlicher Gegenstand (§ 90), zu verstehen ( R G 149, 2 3 5 ; 158, 5 3 ; B G H L M Nr. 2 zu § 779; aA die frühere Rechtsprechung des Reichsgerichtes vgl. R G 73, 1 3 6 ; R G WarnRspr 1909, 1 3 4 ; R G J W 1 9 1 2 , 772).

337

§119

Anm. 20—22

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 20 bb) Einzelfälle Als Eigenschaften einer Sache kommen in erster Linie in Betracht: der Stoff und die Herkunft (Echtheit); vgl. R G 1 1 5 , 286; 124, 1 1 5 (Altertumswert eines Kunstwerks); R G Gruchot 66, 452 (Echtheit eines Gemäldes); R G SeuffArch 84, 154 (Alter einer Segeljacht). In weiterem Sinne sind als Eigenschaften auch anerkannt die Bebaubarkeit eines Grundstücks ( R G 6 1 , 86; vgl. die dort weiter angeführten Fälle) und die vom Vorhandensein der polizeilichen und ortsstatutarischen Bedingungen abhängige Bauweise eines sonst bebauungsfähigen Grundstücks ( R G WarnRspr ig 1 1 Nr. 1 7 2 ; 1 9 1 2 Nr. 65; auch R G 1 1 . 5. 1 9 1 8 V 3 1 / 1 8 , wonach die Entscheidung in R G 52, 431 aufgegeben ist); ferner die Ertragsfähigkeit eines Grundstücks sowie dessen Belastung mit öffentlichen Lasten oder die Unkosten eines Hauses ( R G 49, 4 2 2 ; 64, 268; 66, 389; R G J W 1 9 1 4 , 74); die Brauereifreiheit einer Gastwirtschaft, ihre Freiheit also von dem Bezugszwange einer Brauerei ( R G 95, 1 7 6 ) ; unter Umständen die L a g e eines Grundstücks ( R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 368; 1 9 1 2 Nr. 205, betreffend die L a g e am See und die Zusicherung, daß zu ihm das Ufer- und Seerecht gehöre); weiter die Tauglichkeit eines Grundstücks zu einem Gewerbebetriebe ( R G J W 1 9 1 1 , 640), wobei auch gewerbepolizeiliche Beanstandungen (im Interesse der Betriebssicherheit oder der Gesundheit) einen Mangel begründen können ( R G 7. 10. 1 9 1 1 V 1 1 3 / 1 1 ) ; die Befreiung eines Grundstücks von Baubeschränkungen und Straßenbaukosten ( R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 346); bei einem Übergabevertrag die Erbhofeigenschaft des übergebenen Anwesens ( O L G München H R R 1937 Nr. 1 ) ; beim Verkaufe eines Fabrikgeheimnisses die Gesamtheit des Verfahrens ( R G Gruchot 58, 94g); bei einem Erwerbsgeschäft dessen Kundenkreis oder Jahresumsatz ( R G WarnRspr 1909 Nr. 383), bei einer Wassermühle die Wasserkraft ( R G SeuffArch 67 Nr. 246); bei einem Hause dessen Benutzung als Schlupfwinkel für ein unsittliches Treiben ( R G 2. 5. 1906 V 458/05); bei K u x e n die Freiheit von Zubußen ( R G WarnRspr 1908 Nr. 592). Der B e s t a n d e i n e r S a c h e , die G r ö ß e , der U m f a n g des B e s t a n d e s (Zahl der Bäume innerhalb einer verkauften Pflanzung) bildet dann eine Eigenschaft der K a u f sache, wenn deren Wert auf dem Bestände beruht oder durch den Bestand die Sache erst ihre eigentümliche Beschaffenheit erhält ( R G 1 0 1 , 68). Der U m f a n g e i n e s N a c h l a s s e s als einer Sachgesamtheit ist eine Eigenschaft des Nachlasses, weil durch ihn dessen Wert bestimmt wird ( R G 6 1 , 86; 1 0 1 , 68; B G H L M Nr. 2 zu § 779).

Anm. 21 D a der W e r t einer Sache als solcher keine E i g e n s c h a f t im Sinne des § 1 1 9 Abs. 2 darstellt, konnten Grundstückskäufe der Inflationszeit nicht wegen zu niedrigen K a u f preises angefochten werden ( R G i n , 257; R G WarnRspr 1926 Nr. 1 1 0 ; R G H R R 1929 Nr. 894). Wohl aber sind als Eigenschaft einer Sache in gewissem Umfange anzusehen die für ihren Wert in Betracht kommenden Umstände ( R G 5g, 242 zu § 459), die sog. wertbildenden Faktoren ( R G 52, 2; 59, 242; 6 1 , 86 u. 54, 222 sowie R G J W 1 9 1 1 2 1 2 6 , betreffend öffentliche Feuerversicherungsabschätzungen); nicht die Ertragshöhe eines Jahres ( R G J W 1 9 1 2 , 25) oder der Selbstkostenpreis ( R G J W 1 9 1 0 , 934; R G WarnRspr 190g Nr. 30g; R G Gruchot 58, 827).

Anm. 22 Die E r t r a g s h ö h e ist grundsätzlich nicht als Eigenschaft anzusehen. Sie kann aber eine Eigenschaft bedeuten, wenn sie für mehrere Perioden angegeben wird, so daß sie einen Maßstab für die Beurteilung der Art des Umfangs und des Wertes der Kaufsache abgibt ( R G J W ig 15, 1 1 1 7 ) , und dabei auf eine gewisse Dauer der Ertragsfähigkeit zu rechnen ist ( R G n . n . 1 9 1 6 V 276/15). Die Zusicherung, daß ein Grundstück mietfrei sei, betrifft nicht eine Eigenschaft des Grundstücks, während der Umstand, daß das verkaufte Haus vermietet ist, einen Mangel im Recht darstellt ( R G WarnRspr 1 9 1 7 Nr. 100). Aber der Irrtum über die künftige Herstellung eines gekauften, abzubauenden Grundstücksteils (seine Bebaubarkeit) ist nur dann zu berücksichtigen, wenn über jene Eigenschaft verhandelt wurde ( R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 557). Die Zusicherung, daß für

338

Willenserklärung

§119

Anm. 23—25 ein Geschäft gewisse Bezugsquellen gegeben seien, betrifft keine Eigenschaft des Geschäftes (RG SeuffArch 67 Nr. 219). Anm. 23 Die Zusicherung der U n k ü n d b a r k e i t einer H y p o t h e k enthält nicht die Zusage einer E i g e n s c h a f t des G r u n d s t ü c k s (RGWarnRspr 1909 Nr. 134; vgl. auch R G 30, 288), wohl aber einer Eigenschaft der Hypothek. Der Irrtum über die Sicherheit einer Hypothek ist ebenfalls kein Irrtum über die Eigenschaften des Grundstücks (RG 59, 242; RGWarnRspr 1912 Nr. 287). Ebenso gehört die Höhe des Zinsrückstandes eines vorgehenden Rechtes am Grundstück nicht zu den Eigenschaften des nachgehenden Rechts (RG H R R 1932 Nr. 307). Die Erklärung, daß der Eigentümer ein pünktlicher Zahler sei, enthält keine Zusicherung einer Eigenschaft der Hypothek (RG WarnRspr 1912 Nr. 73), wohl aber die Zusicherung, daß die Mieter zahlungsfähig seien (RG Gruchot 56, 932). Der Friedensmietertrag des Grundstücks ist keine Eigenschaft der Hypothek oder Grundschuld (RG 149, 235). Die verabredeten Zahlungsbedingungen betreffen nicht die Hypothek unmittelbar. Anderseits ist bei der Zusicherung, daß eine Hypothek „gut sei", die Zusage einer Eigenschaft der Hypothek angenommen worden (RG Gruchot 48,343; R G WarnRspr 1914 Nr. 49). Hier handelt es sich unmittelbar um die Beschaffenheit der Hypothek selbst, wobei davon auszugehen ist, daß für die Güte einer Hypothek allein der allgemeine Verkaufswert eines Grundstücks maßgebend ist (RG J W 1912, 536). Wegen Fehlens des Erfordernisses der Unmittelbarkeit kann auch ein Irrtum über die Beschaffenheit eines Bergwerks beim Ankauf von Kuxen nicht in Betracht kommen (RG Gruchot 48, 100; RG J W 1906, 378). Anm. 24 Die Fehlerfreiheit ist keine verkehrswesentliche Eigenschaft (aber Haftung nach §459). Besteht die Sache überhaupt nicht, dann kann auch von einem Irrtum über die Eigenschaften der Sache keine Rede sein (RG J W 1910, 613 — zum Teil abgedruckt R G 73, 210 —, betreffend rechtlich nicht bestehende Kuxe). Die schätzungsweise sich ergebende Überschuldung eines Nachlasses stellt keine verkehrsrechtliche Eigenschaft des Nachlasses dar, gemäß dem Grundsatze, daß Werturteile über eine Sache keine Eigenschaft begründen können (RG 103, 22). Anm. 25 b) Eigenschaften der Person aa) Allgemeines Zu Eigenschaften einer Person im Sinne von § 1 1 9 Abs. 2 gehören nur solche Eigenschaften, die zu dem Inhalte des abgeschlossenen Geschäfts in einer unmittelbaren Beziehung stehen; die namentlich also g e e i g n e t wären, die E r f ü l l b a r k e i t des a b g e s c h l o s s e n e n R e c h t s g e s c h ä f t s zu g e f ä h r d e n . Dagegen könnte ein Irrtum über solche Eigenschaften nicht in Betracht kommen, die die Erfüllbarkeit des Geschäfts, wie es abgeschlossen ist, in keiner Weise berühren, selbst wenn dem Anfechtenden zuzugeben wäre, daß er bei Kenntnis der Eigenschaft seines Vertragsgegners den Vertrag mit ihm nicht abgeschlossen haben würde. In solchem Fall käme nur ein Irrtum im Beweggrunde in Frage. Ferner muß es sich bei Eigenschaften einer Person grundsätzlich um ihr nicht bloß vorübergehend, sondern dauernd anhaftende Merkmale handeln, die für ihre Wertschätzung auch für die Zukunft in Betracht kommen können. Ob ein Irrtum über Geschlecht, Alter, Veranlagung, Charakter, Kenntnisse, Vorbildung, Befähigung, Sachkunde beachtlich ist, hängt von Art und Inhalt des Rechtsgeschäftes ab. So kann z. B. ein Kindesannahmevertrag gemäß § 1 1 9 Abs. 2 wegen psychopathischer Wesensart des Kindes angefochten werden (RG 147, 310; 156, 334; R G WarnRspr 1932 Nr. 103). Als Eigenschaft im Sinne des § 119 Abs. 2 wurde auch die Schwerbeschädigteneigenschaft eines Arbeitnehmers angesehen (RAG 9, 8 1 ; 3, 313). Die Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin ist, da vorübergehend, keine wesentliche 339

§ 119 A n m . 26, 27

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Eigenschaft ( B A G BB 1955, 835). Ein Arbeitsvertrag kann in der Regel wegen Irrtums nicht angefochten werden, wenn die Arbeitnehmerin die Schwangerschaft verschwiegen hat. A n m . 26 bb) Zahlungsfähigkeit und Kreditwürdigkeit Im allgemeinen spielt bei Sachleistungen die Person des Verpflichteten keine entscheidende Rolle. Anders kann dies aber sein, wenn durch die Mängel der Person die Sicherheit der Vertragserfüllung ernstlich gefährdet wird ( R G 107, 212). Die Zahlungsfähigkeit des Geschäftsgegners kann als persönliche Eigenschaft nur dann von Bedeutung sein, wenn es sich um Kreditgeschäfte handelt, nicht oder doch nur unter besonderen Umständen beim Barkauf ( R G 105, 206). Unzulässig ist es auch, einen Irrtum über die Leistungsfähigkeit eines Unternehmers, der sich überdies als Irrtum erst durch die mangelhafte Art der Erfüllung herausgestellt hat, als Anfechtungsgrund zu benutzen ( R G J W 1906, 131; R G WarnRspr 1908 Nr. 590). A n m . 27 cc) Sachkunde und persönliche Vertrauenswürdigkeit Bei Verträgen, in denen die Leistung vom Vertragsgegner in Person oder doch unter seiner persönlichen Verantwortlichkeit gefordert wird, können Sachkunde und die persönliche Vertrauenswürdigkeit des Verpflichteten eine wesentliche Rolle spielen ( R G 62, 284); so z. B. bei Unzuverlässigkeit in der Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten, falsche Buchführung zur Steuerhinterziehung ( R G SeufTArch 91 Nr. 1); bei Anstellung eines Saatzuchtleiters ( R G Gruchot 70, 243); ferner das Vorleben eines Chefarztes bei dessen Anstellung ( R G WarnRspr 1909 Nr. 2); der Irrtum darüber, daß die Firma (oder deren Leiter), der der andere Teil den Vertrieb von Lebensmitteln übertrug, das Recht zum Handeln mit solchen habe ( R G 98, 207). Dagegen gehört der K a u f im allgemeinen nicht zu denjenigen Verträgen, die ein persönliches Vertrauensverhältnis voraussetzen ( R G WarnRspr 1920 Nr. 185; R G Gruchot 55,629). Anfechtung eines sog. Unterhändlervertrags wegen Unzuverlässigkeit des Vertragsgegners, nicht schon wegen mangelhafter Erfüllung s. R G WarnRspr 1932 Nr. 119. Bei einem P a c h t v e r t r a g e kann nicht eine Vorbestrafung des Pächters allein entscheidend sein; es ist vielmehr nach der ganzen Persönlichkeit des Pächters zu prüfen, ob sie Gewähr für die Erfüllung der Pflichten bietet ( R G J W 1912, 25®). Beachtlich ist aber ein Irrtum über wesentliche bei einem Pächter vorauszusetzende Eigenschaften, nämlich seine Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit ( R G 102, 226). Entmündigung eines Pächters wegen Verschwendung als Grund für die Irrtumsanfechtung eines Pachtvertrags s. R G SeuffArch 77 Nr. 18. Insbesondere kann bei Geschäften aller Art, die auf eine l ä n g e r e F o l g e z e i t einwirken sollen, die Zuverlässigkeit des Verpflichteten eine wesentliche Rolle spielen, insofern von ihr die Vertragstreue Erfüllung abhängt ( R G 90, 342), wie namentlich auch bei einem Agenturverhältnis, auf Grund dessen dem Agenten für längere Zeit der Alleinverkauf übertragen ist ( R G WarnRspr 1920 Nr. 185). Irrtum über den Gesundheitszustand bei der Invalidenversicherung begründet für die Versicherungsgesellschaft kein Anfechtungsrecht ( R G Gruchot 50, 643). Bei Verträgen, bei denen es auf wissenschaftliche Befähigung ankommt, kann die mangelnde Sachkunde zur Irrtumsanfechtung berechtigen ( R G 83, 429). Eine Freiheitsvorstrafe eines Gerichtsvollziehers gibt einen Grund zur Anfechtung des mit ihm abgeschlossenen Dienstvertrages ( R A G 15, 45; 16, 173). Die Anfechtung eines S c h i e d s v e r t r a g e s wegen Irrtums über die persönlichen Eigenschaften eines Schiedsrichters ist durch die Sondervorschriften über die Ablehnung eines Schiedsrichters wegen Besorgnis der Befangenheit ausgeschlossen ( B G H 17, 7); Bei j u r i s t i s c h e n P e r s o n e n kommt es wesentlich auf die Eigenschaften der Personen an, die für sie zu handeln berufen sind; so des Geschäftsführers einer GmbH oder auch eines nicht als Geschäftsführer eingetragenen, aber tatsächlich die Geschäfte führenden Gesellschafters ( R G 143, 429).

340

Willenserklärung

§119 Anm. 28—32

Anm. 28 2. Eigenschaftsirrtum und Gewährleistung a ) Sachmangel Vor Übergang der Gefahr kann der Käufer einer Sache, da die Gewährleistungsansprüche noch nicht entstanden sind, den Vertrag wegen Eigenschaftsirrtum anfechten (RG 53, 73; 66, 332; RG J W 1911, 539; RG Gruchot 53, 939; Str.). Nach dem Übergang der Gefahr auf den Käufer ist eine Anfechtung wegen Irrtums nach §119 Abs. 2 ausgeschlossen, soweit die Sonderregelung über die Gewährschaftshaftung des Verkäufers für Sachmängel eingreift (str., jedoch ständige Rechtsprechung: RG 61, 171 ff; 62, 285; 64, 269; 70, 429; 135, 339, 138,356; RG J W 1936, 2911; RG Gruchot 54, 135, 141; 66, 452; RG LZ 1906, 1010; BGH 16, 57; vgl. dazu im einzelnen § 459 Anm. 36). Das Fehlen verkehrswesentlicher Eigenschaften einer Sache kann hiernach nur dann zur Anfechtung wegen Irrtums berechtigen, wenn sie dem Vertrage zugrunde gelegt wurden, ohne daß die Verhandlungen hierüber sich zu einer Zusicherung nach den §§459 Abs. 2, 463 verdichtet hatten (BGH 16, 57). Greifen die Bestimmungen über Gewährleistung Platz, so kann der Käufer auch dann nicht auf die Anfechtung zurückgreifen, wenn die Gewährleistungsansprüche verjährt sind (RG J W 1905, 79). Anm. 29 Die Frage, ob der v e r t r a g s m ä ß i g e Ausschluß der G e w ä h r l e i s t u n g für S a c h m ä n g e l in entsprechendem Umfange auch das Anfechtungsrecht wegen Irrtums beseitige, wurde in RG J W 1905, 79 bejaht. Später hat das Reichsgericht aber (RG J W 1909,655) zutreffend ausgeführt, daß die Anfechtung wegen Irrtums über eine Eigenschaft im Sinne des § 459 nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß der Käufer auf das Recht der Gewährleistung wegen Sachmängel verzichtet. Denn das Anfechtungsrecht hat mit der Frage der „Haftung" nichts zu tun. Die Frage, ob der Verzicht auf die Gewährleistung im Sinne der Beteiligten auch das Anfechtungsrecht wegen Irrtums beseitigt, wird sich nur von Fall zu Fall auslegungsweise beantworten lassen. Anm. 30 Bei sog. G e n e r a l v e r t r e t u n g s V e r t r ä g e n , agenturähnlichen, aus Kaufund Agentur gemischten Verträgen kann der Vertreter, der sich über wesentliche Eigenschaften der zu verkaufenden Ware irrt, nicht auf die kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche verwiesen werden. Er hat die Möglichkeit, den Vertrag nach § 119 Abs. 2 anzufechten (RG Gruchot 72, 450). Anm. 31 b) Rechtsmangel Handelt es sich nicht um einen Sachmangel, sondern um einen M a n g e l im R e c h t (§§ 434) 439)> s o i s t die Anfechtung nach § 119 neben den Rechten aus §§ 440, 320 bis 327 gegeben (RG J W 1909, 132; RG SeuffArch 65 Nr. 117). Gleiches gilt beim K a u f von R e c h t e n , soweit der Bestand in Frage steht (vgl. RG 145, 235). Bei M i e t e und P a c h t schließen die Bestimmungen der §§ 537—539, 542 die Anfechtung wegen Irrtums nach § 119 n i c h t aus (RG 157, 173). A n m . 32 V. Ursächlicher Zusammenhang zwischen I r r t u m und Willenserklärung Der Irrtum nach § 119 ist nur erheblich, wenn der Irrende bei K e n n t n i s der S a c h l a g e und v e r s t ä n d i g e r W ü r d i g u n g des Falles, die E r k l ä r u n g n i c h t a b gegeben h a b e n würde. Das bedeutet, daß nur diejenige unrichtige Vorstellung zu einer Irrtumsanfechtung berechtigt, die von e n t s c h e i d e n d e m Einfluß auf die Willenserklärung gewesen ist. Der Irrtum muß also ursächlich für die Abgabe der Willenserklärung gewesen sein. Bei der Beantwortung der Frage, ob der Irrende bei verständiger Würdigung anders gehandelt haben würde, sind seine persönlichen Verhältnisse und Umstände zu berücksichtigen. Dabei ist jedoch ein objektiver Maßstab anzulegen und zu fragen, wie er als ein verständiger Mensch gehandelt hätte (RG 62, 205; R G 23

Komm. 2. BGB. n . Aufl. I. Bd. (Kfüger-Nieland)

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§119 Anm. 33—35

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

B a y Z 1927, 228; B G H 4, 9 1 , 95, im Gegensatz zur Irrtumsanfechtung einer letztwilligen Verfügung nach § 2078). Eigensinn und Unverstand bleiben daher außer Betracht. O b eine Irrtumsanfechtung ausgeschlossen ist, wenn der Irrende durch den Irrtum nicht schlechter gestellt ist (vgl. R G 128, 177), ist umstritten.

Anm. 33 VI. Tatsächlicher und Rechtsirrtum Das Gesetz macht keinen Unterschied, ob es sich um einen tatsächlichen oder um einen Rechtsirrtum handelt. Beachtlich ist im allgemeinen auch ein Rechtsirrtum, sofern er eine rechtsirrtümliche Auffassung über den I n h a l t d e r E r k l ä r u n g bewirkt, dagegen nicht, wenn er lediglich R e c h t s f o l g e n betrifft, die nicht mehr von dem Inhalte des Rechtsgeschäftes mitumfaßt werden ( R G 5 1 , 283; 76, 440; 85, 326; 134, 1 9 5 ; R G H R R 1935 Nr. 1372). Ein unbeachtlicher Rechtsfolgeirrtum liegt beispielsweise vor, wenn jemand, der die Befreiung des Schuldners übernimmt, irrtümlich ( § 4 1 8 ) meint, daß die durch einen Dritten für die nämliche Schuld geleistete Bürgschaft trotz der befreienden Schuldübernahme bestehen bleibe und er sich demgemäß auch seinerseits an den Bürgen werde halten können ( R G J W 1 9 1 6 , 1 1 8 3 ) . Ein unbeachtlicher Rechtsirrtum wird also namentlich dann in Frage stehen, wenn er lediglich den Beweggrund betraf ( R G 75, 272), oder wenn der Erklärende sich über die rechtlichen Folgen nicht gerade des konkreten Geschäfts, sondern nur von Rechtsgeschäften gewisser Art im allgemeinen falsche Vorstellungen gemacht hat ( R G 83, 202). Beispielsweise ein Konkursverwalter verkennt aus Rechtsirrtum, daß, wenn er bei einem Teillieferungsvertrag trotz seiner Kenntnis, daß Teillieferungen bereits erfolgt sind, Vertragserfüllung verlangt, dann die gesamten Verpflichtungen des Gemeinschuldners eine Masseschuld darstellen ( R G 5 1 , 283; 98, 138). Nicht beachtlich ist auch ein Irrtum über das Eigentum des Verkäufers ( O G H N J W 1949, 220).

Anm. 34 Ein beachtlicher, weil zum Inhalt des Rechtsgeschäfts gehörender Irrtum wird dagegen anzunehmen sein, wenn der Erklärende infolge Rechtsirrtums von dem vorgenommenen, konkreten Rechtsgeschäfte selbst andere Rechtswirkungen erwartet hat, als eintreten mußten, er also eine Erklärung abgegeben hat, die nicht die beabsichtigte, sondern eine anderweite Rechtswirkung herbeigeführt hat ( R G 88, 282); denn bildet der beabsichtigte rechtliche Erfolg einer Willenserklärung einen Bestandteil des erklärten rechtsgeschäftlichen Tatbestandes, dann gehört er zum Inhalt der Erklärung ( R G 89, 33). Vgl. auch O G H N J W 1949, 220. Die Bedeutung einer Willenserklärung liegt eben gerade darin, daß sie einen rechtlichen Erfolg erstrebt. O b die irrige Unterwerfung konkreter tatsächlicher Umstände unter einen Rechtssatz einen tatsächlichen oder rechtlichen Irrtum enthält, ist nach den Umständen zu entscheiden ( R G J W 1 9 0 1 , 806).

Anm. 35 VII. Motivirrtum 1. Begriff Z u m Beweggrund — Motiv —

gehören a l l e V o r s t e l l u n g e n u n d V o r g e d a n k e n , die zwar den Abschluß des Geschäftes veranlaßt haben, aber f ü r d e n I n h a l t d e s G e s c h ä f t s s e l b s t n i c h t w e s e n t l i c h s i n d ( R G WarnRspr 1 9 1 0 Nr. 137). Ein Irrtum über solche Vorstellungen und Umstände ist grundsätzlich unbeachtlich, sofern sie von der rechtsgeschäftlichen Willenserklärung nicht umfaßt werden. Ist der Irrtum im Beweggrund zugleich auch ein Irrtum über den sachlichen Inhalt des Geschäftes, also ein Irrtum über den rechtsgeschäftlichen Tatbestand, dann kann das Geschäft angefochten werden (RG H R R 1933 Nr. 1827). Ein Irrtum im Beweggrund ist a b e r nur d a n n zu berücksichtigen, wenn der Beweggrund, so z . B . auch der mit dem Geschäft erstrebte Erfolg, dem Geschäftsgegner b e i d e n V e r t r a g s v e r h a n d l u n g e n oder im Vertrag s e l b s t a u s d r ü c k l i c h o d e r s t i l l s c h w e i g e n d k e n n t l i c h g e m a c h t und mit zum G e g e n s t a n d der e n t s c h e i d e n d e n E r k l ä r u n g g e m a c h t

342

Willenserklärung

§119 A n m . 36—43

w o r d e n i s t , in der Erklärung also auch seinen, wenn auch nicht wörtlichen Ausdruck gefunden hat (RG 85, 326; 94, 65; 97, 138; 105, 407; 116, 15; 149, 235; RG LZ 1926, 742, 1036; RG J W 1927, 676; RG WarnRspr 1934 Nr. 87; 1936 Nr. 57). Die b l o ß e M i t t e i l u n g der Beweggründe an den Gegner ist im allgemeinen bedeutungslos. I m Einzelfall kann jedoch in solchen Erklärungen eine Geschäftsbedingung enthalten und so der Beweggrund zugleich in den rechtsgeschäftlichen Tatbestand aufgenommen sein; in diesem Falle ist der Irrtum erheblich (RG WarnRspr 1912 Nr. 3; R G H R R 1933 N r . 1827).

A n m . 36 2. Einzelfälle Unbeachtlich ist ein Irrtum über k ü n f t i g e E r e i g n i s s e (RG Gruchot 49, 893), ferner über geschäftliche Vorteile, über Rechnungsfehler (RG 55, 368; 64, 266; R G J W 1909, 412), über die Höhe des bisherigen Ertrages (RG 67, 87), über die Angemessenheit des Kaufpreises, über Kaufkraft oder inneren Wert des Geldes (RG 111, 260). A n m . 37 U n b e a c h t l i c h ist ferner ein Irrtum über die Zweckmäßigkeit und das wirtschaftliche Ergebnis eines vergleichsweise festgesetzten Maßstabes für eine Unterhaltsrente (RG J W 1926, 975), der Irrtum eines Grundstückskäufers darüber, daß keine Aufwertungsansprüche bestehen (RG 123, 228). A n m . 38 E r k e n n t jemand g e r i c h t l i c h eine V e r p f l i c h t u n g in der irrigen Annahme an, sie bestehe, so ist sein Irrtum als Motivirrtum unbeachtlich (RG 156, 70), ebenso ist auch bei einem V a t e r s c h a f t s a n e r k e n n t n i s die irrige Annahme, die Mutter habe keinen Mehrverkehr gehabt, unbeachtlich (KG J R 1949, 383). Nur ein Irrtum im Beweggrund ist bei allgemeiner Ü b e r n a h m e der (noch nicht erfüllten) V e r p f l i c h t u n g aus einem Kaufvertrag die irrige Annahme, daß eine bestimmte Verpflichtung bereits erfüllt sei (RG 123, 89). A n m . 39 Unbeachtlich ist auch der I r r t u m e i n e s B e v o l l m ä c h t i g t e n über den Inhalt der ihm von seinem Vollmachtgeber erteilten Weisungen und über dessen wahre Willensmeinung (RG Gruchot 49, 1049). A n m . 40 Ein Irrtum des Verkäufers von A k t i e n über deren Kurs ist unbeachtlich (RG LZ 1918, 444). Hat sich aber eine Bank, die Aktien zum Tageskurse gekauft hat, über die Höhe des Tageskurses geirrt, so handelt es sich um einen Irrtum in der Erklärung (RG 97, 138; vgl. auch RG 101, 51). A n m . 41 Ein Irrtum im Beweggrund und daher unbeachtlich ist auch der Irrtum der Beteiligten über die dauernde W e r t b e s t ä n d i g k e i t des einer Anleihe zugrunde liegenden W e r t m a ß s t a b e s , es sei denn, daß dieser Beweggrund zum Inhalt des Vertrages erhoben worden ist (RG 154, 187; vgl. auch R G 141, 212; 145, 51; 147, 377; RG J W 1938, 1 1 0 9 ) .

A n m . 42 Ein Irrtum über die H ö h e d e r B e l a s t u n g d e s v e r k a u f t e n G r u n d s t ü c k e s kann die Anfechtung des Kaufvertrages rechtfertigen, wenn die Belastung Gegenstand der entscheidenden Verhandlungen war und die Bemessung des Preises durch den Verkäufer erkennbar beeinflußte (RG BayZ 1927, 228). A n m . 43 Grundsätzlich ist auch ein Irrtum in der Preisberechnung (Kalkulationsi r r t u m ) alsein Irrtum im Motiv unerheblich (RGJW 1925, 1633; 1927, 1362; 1928,

23

343

§119

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 44—47 2 8 1 3 ; R G WarnRspr 1936 Nr. 75; 1929 Nr. 40; 1932 Nr. 3 ; R G H R R 1931 Nr. 1 2 1 1 , 1 2 1 2 ) . Wurde die Kalkulation aber zum Gegenstand der entscheidenden Vertragsverhandlungen gemacht ( R G 1 0 1 , 1 0 7 ; 105, 406; R G J W 1927, 1 3 6 2 ; R G SeufFArch 85 Nr. 106; 90 Nr. 1 6 ; R G H R R 1928 Nr. 1 5 5 7 ; a u c h R G L Z 1927, 481) und ist dem Vertragsgegner erkennbar geworden, daß die Preisangabe auf der Kalkulation beruhte, so ist das Geschäft wegen Irrtums über den Inhalt der Erklärung anfechtbar ( R G WarnR s p r 1929 Nr. 40; R G SeuffArch 82 Nr. 1 3 3 ) .

Anm. 44 VIII. Abgrenzung von ähnlichen Fällen 1. Dissens Haben die Parteien irrtumsfrei das erklärt,

was sie erklären wollten, sich aber hierbei m i ß v e r s t a n d e n , so daß nur der Schein einer Willensübereinstimmung besteht, so liegt ein Fall des § 1 1 9 nicht vor. Es handelt sich hierbei um einen versteckten Dissens (§ 155). In diesem Falle betrifft der Irrtum nicht den eigenen Willen, sondern die Annahme, daß eine Willensübereinstimmung vorhanden sei (vgl. Anm. zu § 155).

Anm. 45 2. Beiderseitiger Irrtum Der beiderseitige Irrtum kann sich s o w o h l auf den I n h a l t d e r E r k l ä r u n g als auch auf den B e w e g g r u n d beziehen. In beiden Fällen ist f ü r e i n e A n f e c h t u n g w e g e n I r r t u m s k e i n R a u m . Es kommen hier vielmehr die von Lehre und Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über das F e h l e n d e r G e s c h ä f t s g r u n d l a g e zur Anwendung (§ 242, vgl. auch B G H L M Nr. 3 zu § 1 1 9 = BB 1952, 330). Haben sich zum Beispiel beide Parteien bei der Preisvereinbarung geirrt, so sind die Rechtsfolgen nach § 242 zu beurteilen, einer Anfechtung bedarf es nicht ( O L G München M D R 1950, 672).

Anm. 46 Z w a r handelt es sich um einen unbeachtlichen Irrtum im Beweggrund, wenn jemand eine Verpflichtung in der irrigen Meinung anerkennt, daß sie bereits bestanden habe. Befinden sich aber beide Parteien in dem gleichen Irrtum über die objektive Grundlage des Anerkennungsvertrages, dann braucht der Anerkennende seine Erklärung nicht gegen sich gelten zu lassen. Dem Gegner, der ihn daran festhalten wollte, würde die Einrede der Arglist entgegenstehen ( R G 108, 1 0 5 ; 122, 203). Das ergibt sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben im Verkehr, wie er in § 242 seinen Ausdruck gefunden hat. Daß beiderseitiger Irrtum über die objektive Grundlage eines Vertrages nicht ein Anfechtungsrecht, aber den Einwand der allgemeinen Arglist begründet, ist auch sonst angenommen worden ( R G 108, 1 0 5 ; 1 1 6 , 1 4 3 ; 1 1 7 , 226; 1 1 8 , 59; 122, 200; 158, 1 7 5 ; RG J W 1928, 400; 1929, 320, 504, 1294, 1 4 5 6 ; 1937, 2 7 ; RG WarnRspr 1929 Nr. 4 1 , 1 2 8 ; 1930 Nr. 9 3 ; 1934 Nr. 99; R G Gruchot 69, 2 1 6 ; R G SeuffArch 83 Nr. 60, 1 2 0 ; 84 Nr. 56; 85 Nr. 87; R G 4. 1 1 . 1924 I I I 795/23; s. auch R G WarnRspr 1926 Nr. 40 und Anm. zu § 242). Dieser Grundsatz gilt aber auch allgemein, wenn die Parteien bei Abschluß des Vertrages von einer irrigen Vorstellung ausgegangen sind und der Vertrag bei Kenntnis der wahren Sachlage nicht geschlossen worden wäre. Wegen Anwendung dieses Grundsatzes auf genossenschaftliche Rechtsverhältnisse vgl. RG 156, 2 1 3 .

Anm. 47 Für zweiseitige Verwaltungsakte des Beamtenrechts

(Entlassung) ist der gleiche Grundsatz anerkannt ( R G 126, 243). Es muß sich dabei aber immer nur u m einen Irrtum über die objektive Grundlage des Beamtenverhältnisses handeln; darüber hinaus ist ein Irrtum des Beamten, auch wenn er von der Behörde geteilt wird, belanglos ( R G 1 4 1 , 240; 148, 266; vgl. auch Anm. 8). 344

Willenserklärung

§119

A n m . 48—51

Anm. 48 IX. Die Anfechtung 1. Die Anfechtungserklärung Zur Anfechtung reicht jede Willenserklärung aus, die unzweideutig erkennen läßt, daß das Rechtsgeschäft gerade wegen des Willensmangels rückwirkend beseitigt werden soll ( B G H L M Nr. 5 zu § 1 1 9 = M D R 1955, 24; R G 48, 218; 65, 86; 158, 166; R G WarnRspr 1908 Nr. 595). In einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung kann unter Umständen auch eine solche wegen Irrtums gefunden werden ( B G H L M Nr. 5 zu § 1 1 9 = M D R 1955, 24). Und zwar kann sie bei einer auf arglistige Täuschung gestützten Klage noch nachträglich ohne Klagänderung geltend gemacht werden (RG 57, 358; R G WarnRspr 1908 Nr. 278; 1915 Nr. 197; aber auch R G 100, 207). Die Anfechtung wegen Irrtums darf in diesem Fall vom Gericht im Hinblick auf § 122 aber nur auf Antrag und nicht von Amts wegen berücksichtigt werden (RG J W 1925, 2752; vgl. auch Anm. 2 zu § 1 2 1 ) . Die Anfechtung kann auch erst im Prozeß durch einen Prozeßbevollmächtigten erklärt werden, sie muß aber als empfangsbedürftige Willenserklärung ihrem Inhalt nach dem Anfechtungsgegner zumindest erkennbar sein (BGH L M Nr. 5 zu § 119). Aber auch hier kann der Anfechtung unter Umständen die Einrede der allgemeinen Arglist entgegengesetzt werden (RG 102, 88). Die Anfechtung des Uberweisungsauftrags an eine Bank wegen Irrtums über die Person des Gläubigers ergreift auch die zufolge des Auftrags erfolgte Gutschrift und macht eine gegen sie von der Bank vorgenommene Aufrechnung unwirksam ( O L G Karlsruhe J W 1938, 662). Regelmäßig ist Voraussetzung für die Anfechtung wegen Irrtums, daß die Leistung n o c h n i c h t ganz oder zum Teil b e w i r k t worden ist; denn in solchen Fällen greifen die Bestimmungen über die Folgen der vertragswidrigen Erfüllung ein (RG 62, 285).

Anm. 49 2. Anfechtungsberechtigter Berechtigt zur Anfechtung ist immer nur der Erklärende, der sich geirrt hat, dagegen nicht sein Vertragsgenosse oder Vertragsgegner ( R G J W 1905, m ; R G WarnRspr 1908 Nr. 276). Sind mehrere zur Anfechtung eines gemeinschaftlichen Geschäftes berechtigt, so kann jeder einzelne von ihnen das Recht zu seinen Gunsten ausüben (RG 56, 424; 152, 228). Ein dem Erblasser zustehendes Anfechtungsrecht nach § 1 1 9 ist vererblich, es kann aber, da seine Ausübung eine Verfügung darstellt, nur von der Erbengemeinschaft, nicht auch vom einzelnen Miterben ausgeübt werden (RG 107, 238; B G H N J W 1951, 308).

Anm. 50 3. Anfechtung von Vergleichen Vergleiche sind an sich wegen Irrtums anfechtbar (BGH L M Nr. 2 zu § 779); jedoch dann nicht, wenn der Irrtum der einen Partei einen Punkt betraf, der gerade vergleichsweise geregelt werden sollte und die Partei in dieser Hinsicht von einer falschen Auffassung ausgegangen ist; die Zulassung der Anfechtung würde gegebenenfalls mit dem Wesen und der Bedeutung des Vergleichs unvereinbar sein (RG 61, 318; 162, 198; R G J W 1 9 2 7 , 1 9 9 3 ; R G WarnRspr 1916 Nr. 272; 1918 Nr. 140; R G H R R 1935 Nr. 1657; vgl. Anm. zu § 779).

Anm. 51 4. Anfechtung von Versicherungsverträgen Unzulässig ist die Anfechtung eines Versicherungsvertrages durch den Versicherer, wenn sein Irrtum einen Umstand betraf, an den durch Gesetz oder Vertrag die Verwirkungsfolge geknüpft ist, falls sich der Versicherungsnehmer der Verwirkungseinrede des Versicherers gegenüber entschuldigen kann (Anm. zu § 157), weil er dieses Vorteils im Falle der Anfechtung des Vertrags durch den Versicherer verlustig gehen würde (RG SeuffArch 65 Nr. 191). Bei einem Irrtum über Eigenschaften der Person, durch welche 345

§ 1 1 9 A n m . 52, 5 3

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

§ 120 Anm. 1 die Gefahr der Inanspruchnahme der Versicherung erhöht wird, greift die Sonderregelung der §§ 16 ff V V G über die Folgen unterbliebener Anzeige ein. Für eine Anfechtung des Versicherungsvertrags wegen Irrtums ist auch dann kein R a u m , wenn aus jenen Eigenschaften nicht eine Erhöhung der Unfallgefahr, sondern eine solche der Betrugsgefahr hergeleitet werden soll ( R G 132, 386; R G J W 1938, 589). Bei Anfechtung einer Kündigung des Lebensversicherungsvertrages seitens des Versicherungsnehmers kann die Anfechtungsfrist mit Rücksicht auf die berechtigten Interessen des Versicherers nur kurz bemessen werden ( B G H v. 7. 7. 1955 I I Z R 341/53).

A n m . 52 5. Gesellschaftsrechtliche Verträge Bei Gesellschaften, die in Vollzug gesetzt sind, ist die Anfechtung des Gesellschaftsvertrages grundsätzlich ausgeschlossen, weil sich das mit den Besonderheiten des Gesellschaftsrechts nicht verträgt ;hier tritt an die Stelle der Anfechtung die Kündigung aus wichtigem Grund (§ 723) oder die Auflösungsklage (§ 1 3 3 H G B ; vgl. dazu § 705 Anm. 2 8 f f ) . Ähnliches gilt auch für die Kapitalgesellschaften bei der Zeichnung von Aktien, bei der Übernahme von Sacheinlagen, bei der Errichtung einer G m b H (vgl. dazu die Erläuterungsbücher zum AktG, G m b H G und GenG).

A n m . 53 X . Beweislast Die Beweislast hat der den Irrtum Behauptende. E r muß insbesondere auch darlegen, inwiefern er bei richtiger Kenntnis der Sachlage anders gehandelt haben würde. Beweis durch Anzeichen ist zulässig ( R G J W 1 9 1 5 , 525). Die Behauptung jedoch, daß der Anfechtende gegebenenfalls anders gehandelt haben würde, kann überhaupt nicht Gegenstand eines Beweises sein; über sie kann vielmehr, wie über die Frage des ursächlichen Zusammenhangs überhaupt, nur das richterliche Ermessen entscheiden. Der Richter darf sich aber nicht auf eine wortwidrige Auslegung der Erklärung stützen.

§130 Eine Willenserklärung, welche durch die zur Übermittlung verwendete Person oder A n s t a l t unrichtig übermittelt worden ist, kann unter der gleichen Voraussetzung angefochten werden wie nach§ 1 1 9 eine i r r t ü m l i c h abgegebene Willenserklärung. E I 101 II 9;; M I 202ff; P 1 n6ff.

Übersicht I. Allgemeines I I . Voraussetzungen 1. Erklärungsbote 2. Unbewußte Falschübermittlung 3. Nichterkennbarkeit für Gegner I I I . Bote und Stellvertreter 1. Unterschied 2. Formbedürftige Verträge 3. Unterscheidungsmerkmale im einzelnen I V . Die vermittelnde Anstalt V . Beweislast

Anm.

1 2—6 2 3—5 6 7—13 7, 8 9 10—13 14 15

Anm. 1 I. Allgemeines § 120 betrifft den Fall, daß sich der eine Teil dem andern gegenüber nicht persönlich, sei es mündlich, sei es schriftlich, sondern durch die Vermittlung eines andern er-

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§120 A n m . 2—5

klärt, und daß dieser andere, nämlich der Bote, die ihm aufgegebene Erklärung unrichtig wiedergibt. Das Ergebnis ist hier mithin eine Nichtübereinstimmung zwischen dem Willen des sich nur mittelbar Erklärenden und dem Inhalt der dem Empfänger zugegangenen Erklärung, und auch diesen Fall will das Gesetz so angesehen wissen, als wäre der Widerstreit zwischen Wille und Erklärung durch einen Irrtum des Geschäftsherrn bei seiner eigenen Erklärungshandlung verursacht worden. Der Fall des § 120 ist daher genau nach Maßgabe des entsprechenden Falles aus § 119 zu behandeln, so daß gegebenenfalls die Erklärung des Boten so zu betrachten ist, als hätte sie der Auftraggeber selbst abgegeben. Anm. 2 II. Voraussetzungen 1. Erklärungsbote Die Vorschrift ist nur auf den Erklärungsboten, also nur dann anwendbar, wenn der Übermittler für den Auftraggeber bei der Abgabe, nicht dagegen, wenn er für ihn bei der E n t g e g e n n a h m e einer Willenserklärung — als Empfangsbote — tätig wird. Ein Fall des §120 ist somit nicht gegeben, wenn der Empfangsbote die entgegengenommene Erklärung unrichtig an seinen Geschäftsherrn weitergibt. O b es sich um einen Erklärungs- oder Empfangsboten handelt, hängt von den Umständen ab. Es ist auch denkbar, daß ein und dieselbe Person sowohl Erklärungs- als auch Empfangsbote ist. Die vom Erklärungsboten abgegebene Erklärung muß sich als diejenige des Auftraggebers darstellen, d. h. sie muß aus dem eigenen, zuvor gefaßten Willensentschluß des Auftraggebers hervorgegangen sein (RG Gruchot 67, 194). Anm. 3 2. U n b e w u ß t e F a l s c h ü b e r m i t t l u n g Handelt der Bote auf Grund e i g e n e n W i l l e n s , dann kann die Erklärung nur als seine eigene und nicht als diejenige des Auftraggebers angesehen werden. Dies kann einmal der Fall sein, wenn der Bote, obgleich er nur zur Übermittlung bestellt ist, dennoch als V e r t r e t e r i m W i l l e n h a n d e l t oder aber wenn er zwar als Bote auftritt, aber b e w u ß t eine a n d e r e E r k l ä r u n g abgibt, a l s er a b g e b e n s o l l t e . Voraussetzung des § 120 ist demnach, daß der Bote die ihm aufgetragene Erklärung nur u n b e w u ß t , also aus bloßem eigenen Mißverständnis unrichtig wiedergibt. In diesem Fall muß dem Auftraggeber gegenüber der Gesichtspunkt durchgreifen, daß der andere Teil auf die Richtigkeit und Gültigkeit der abgegebenen Erklärung vertrauen konnte (§ J22), und daß andererseits dem Auftraggeber der Irrtum seines Boten als der seines Erklärungsvertreters unmittelbar zuzurechnen ist (RG SeuffArch 76 Nr. 189). Anm. 4 Gleichgültig ist, welche A r t d e r U n r i c h t i g k e i t bei der Übermittlung vorliegt, ob der Bote die Erklärung e n t s t e l l t weitergibt, oder ob er eine Erklärung „ g a n z a n d e r e n " Inhalts abgibt (beispielsweise an Stelle eines Mietangebotes ein Kaufangebot RG SeufTArch 76 Nr. 189). In beiden Fällen ist dem Geschäftsherrn der Irrtum des Boten zuzurechnen (streitig: wie hier auch L e h m a n n , Allg. Teil 9. Aufl. § 34 I I I , 1; S t a u d i n g e r , 11. Aufl. Anm. 8 zu § 120; aA E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y § 167 III, 1). Anm. 5 Ist die Erklärung dem falschen E m p f ä n g e r übermittelt worden, dann ist im Zweifel ein Rechtsgeschäft überhaupt nicht zustande gekommen (str.). § 120 wird aber dann anzuwenden sein, wenn der Geschäftsherr einen bestimmten Empfänger überhaupt nicht erkennbar bezeichnet hat. Der Geschäftsherr kann dann nicht damit gehört werden, daß er sich als Empfänger einen anderen gedacht habe, als den, an den die Erklärung abgegeben wurde. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Adresse m e h r d e u t i g ist, z.B. die Anschrift des durch Boten zu überbringenden Briefes auf zwei in einem Hause wohnende Personen gleichen Namens zutrifft.

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§120

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 6—10 Anm. 6 3. Nichterkennbarkeit für Gegner Der Geschäftsgegner muß die ihm übermittelte Erklärung für eine Erklärung des Auftraggebers halten bzw. halten können. E r k e n n t er aus dem Inhalt der Erklärung oder h ä t t e er d a r a u s e r k e n n e n k ö n n e n , daß die Erklärung sich nicht mit dem Willen des Auftraggebers deckt, dann liegt ein Fall des § 120 nicht vor. Ebenso ist § 120 unanwendbar, wenn die richtig übermittelte Erklärung von beiden Teilen in einem a n d e r e n S i n n e v e r s t a n d e n w o r d e n ist. Hier handelt es sich um einen Fall mangelnder Willenseinigung ( R G 68, 9).

Anm. 7 III. Bote und Stellvertreter 1. Unterschied Zu unterscheiden ist die Stellung des bloßen Erklärungsboten von derjenigen des Stellvertreters. Während der Bote den Geschäftsherrn lediglich bei Abgabe seiner, des Geschäftsherrn, eigenen Erklärung vertritt, handelt es sich im andern Fall um eine Stellvertretung im Willen. Die abgegebene Willenserklärung hat rechtlich als die Erklärung des Stellvertreters zu gelten (er ist selbst der „Kontrahent"), mit der Maßgabe nur, daß die Wirkung des Rechtsgeschäfts sich unmittelbar in der Person des Vertretenen äußern soll und äußert (§§ 164,179). Demgemäß ist auch die Frage der A n f e c h t b a r k e i t einer durch den Vertreter abgegebenen Willenserklärung im § 166 anders geregelt als im § 120.

Anm. 8 Die Frage, ob Bote oder Stellvertreter kann indessen auch noch in anderen Beziehungen von entscheidender Tragweite sein. Da unmittelbar rechtserzeugend bei der Stellvertretung allein der Wille des Vertreters ist, nicht der des Vertretenen, so kommt der durch einen bestellten Stellvertreter (§ 168) abgeschlossene Vertrag selbst dann zustande, wenn der Genannte von den ihm g e g e b e n e n W e i s u n g e n des Machtgebers — dem Geschäftsgegner unerkennbar (§ 166) — bewußt abweicht, sofern er sich überhaupt nur innerhalb der Grenzen der nach außen wirksamen Ermächtigung gehalten hat (§ 164). Bei der bloßen Übermittlung im Sinne des § 120 dagegen hat die bewußte Abweichung, wie dargelegt, die Folge, daß die abgegebene Erklärung dem Auftraggeber überhaupt nicht zugerechnet werden kann.

Anm. 9 2. Formbedürftige Verträge Handelt es sich um einen f o r m b e d ü r f t i g e n V e r t r a g ( § 3 1 3 ) , dann wird das Formerfordernis erfüllt, wenn nur der vom Stellvertreter abgeschlossene Vertrag der Form genügt. Ebenso ist auch die Frage, welcher Form der Vertrag bedurfte, im besondern Fall von der Person des Vertreters, nicht aber der des Vertretenen aus zu beurteilen. Dem Formerfordernis des § 3 1 3 würde dagegen nicht genügt sein, falls etwa ein b l o ß e r B o t e die Vertragserklärungen, wenn auch vor dem Gericht oder dem Notar, abgäbe (RGWarnRspr 1 9 1 3 Nr. 396; 1918 Nr. 7 i ; R G Gruchot 58, 176). Denn dadurch würde der zweckentsprechenden Anforderung des Gesetzes, daß die Vertragschließenden selbst (zu denen auch der Stellvertreter gehört) vor der öffentlichen Urkundsperson unmittelbar verhandeln und abschließen, niemals genügt sein. Die dem Boten aufgetragene und von diesem abgegebene Erklärung bliebe vielmehr immer eine außergerichtliche ( R G WarnRspr 1913 Nr. 396).

Anm. 10 3. Unterscheidungsmerkmale i m einzelnen Ob die Tätigkeit des Erklärenden als bloße Übermittlung oder aber als Stellvertretung aufzufassen ist, wird im w e s e n t l i c h e n d a v o n a b h ä n g e n , in w e l c h e r W e i s e d e r E r k l ä r e n d e n a c h a u ß e n a u f g e t r e t e n ist. Konnte d e r G e s c h ä f t s g e g n e r die Mittelsperson ihrem Verhalten gemäß nach Treu und Glauben als einen Stellver-

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Willenserklärung

§120 A n m . 11—14

treter im Rechtssinne ansehen, dann wird für die Annahme kein R a u m und der Einwand ausgeschlossen sein, daß die Mittelsperson nur Botendienste verrichtet hat, und fehlte es ihr an einer Ermächtigung zur Stellvertretung, dann liegt ein Fall auftragsloser Geschäftsführung vor. Allgemeinen Rechtsgrundsätzen gemäß darf der Geschäftsgegner auch die Erklärungen der Mittelsperson so würdigen, wie sie nach dem Verhalten zu verstehen sind, mithin gegebenenfalls als solche eines Stellvertreters (vgl. R G 68, 128; 95) 93)- Selbstverständlich kann das dann nicht gelten, wenn dem Geschäftsgegner bekannt war, daß die Mittelsperson ihrer Bestellung gemäß nur mit Botendiensten betraut war. Wie etwa die U r k u n d s p e r s o n die Stellung der Mittelsperson aufgefaßt hat, ist unwesentlich. Denn sie hat sich darauf zu beschränken, die vor ihr verlautbarten Erklärungen urkundlich aufzunehmen, ist aber beim Vertrag selbst kein Beteiligter. A n m . 11 Ausschließlich um eine tatsächliche Verrichtung, nicht aber um Stellvertretung im Rechtssinne würde es sich namentlich handeln, wenn die Parteien ihren Vertrag bereits fertig abgeschlossen, vielleicht auch schriftlich niedergelegt hätten und nun mit der Herbeiführung einer zur Rechtswirksamkeit noch erforderlichen förmlichen Beurkundung einen Dritten (oder auch einen von ihnen selbst) beauftragen würden. Allerdings fallt auch in solchen Fällen der Mittelsperson immer noch die Aufgabe zu, die Verbindlichkeit des formlosen Vertrags durch dessen Verlautbarung zu erwirken. Aber das kann nicht ausreichen, ihrer Tätigkeit die einer Stellvertretung zuzusprechen. Denn schließlich würde der Vertrag doch nicht auf einem Willensentschlus der Mittelsperson, sondern auf dem durch sie b l o ß ü b e r m i t t e l t e n Willensentschlus der Parteien selbst beruhen. Man denke insbesondere an den Fall des Grundstücksveräußerungsvertrags gemäß § 313. Die Formvorschrift bezweckt, den Grundstücksbesitzer vor Übereilungen zu schützen, indem sie ihn zum Abschlüsse des Vertrags vor dem Gericht oder dem Notar nötigt. Der Gesetzeszweck wäre völlig vereitelt, wenn man zugestehen wollte, daß der Vorschrift durch die Verlautbarung des fertigen Vertrags durch eine Mittelsperson genügt sei. A n m . 12 Niemals ist eine Stellvertretung schon dadurch ausgeschlossen, daß der bestellte Vertreter an die ihm g e g e b e n e n W e i s u n g e n gebunden worden ist und sich an sie auch gehalten hat. In § 166 Abs. 2 rechnet das Gesetz selbst mit einer solchen Möglichkeit. Daher kann das Merkmal einer bloßen Übermittlung auch nicht darin allein gefunden werden, daß Weisungen erteilt und beim Vertragsabschluss befolgt sind. A n m . 13 Auch e i n b e s t e l l t e r S t e l l v e r t r e t e r kann in Wirklichkeit nur Botendienste verrichten, wenn er die Erklärungen des Geschäftsherrn ersichtlich nur als dessen Werkzeug abgibt (vgl. R G 76, 100; RG WarnRspr 1922 Nr. 66). A n m . 14 IV. Die v e r m i t t e l n d e Anstalt Die vermittelnde Anstalt —• Telegrafenanstalt, Verkehrsanstalt — muß von dem Erklärenden selbst verwendet sein, mithin in seinem Auftrage gehandelt haben, nicht etwa auf Veranlassung des Erklärungsempfängers. O b die Übermittlung mündlich, durch Fernsprecher, schriftlich oder telegrafisch erfolgt, ist gleichgültig; nur ist erforderlich, daß die Erklärung des Geschäftsherrn wirklich nur übermittelt wird, der Übermittler daher äußerlich als der die Erklärung Abgebende erscheint, so in Form der Zufertigung einer telegrafischen Depesche. Wird dagegen die Urschrift der Erklärung übermittelt, dann kann § 120 nicht Platz greifen; vielmehr handelt es sich hier lediglich um eine Art des Zugänglichmachens der Erklärung im Sinne des § 130. Eine Haftung der Postverwaltung für unrichtige Übermittlung richtet sich nach dem Postverwaltungsgesetz (BGBl 1953 I 676), nach der Fernsprechordnung vom 24. 9. 1939 und Telegrafenordnung vom 30. 6. 1926 idF vom 22. 12. 1938 (Amtsblatt d. Reichspostministeriums v. 1938 S. 849 Anlage). Nach diesen Verordnungen ist die

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§ 1 2 0 Anm. 15 § 121 Anm. 1, 2

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Haftung der Postverwaltung für unrichtige Übermittlung weitgehend ausgeschlossen (vgl. hierzu RG 141, 420, 426; BGH L M Nr. 5 zu § 256 ZPO, wonach durch diese Verordnungen nur die Haftung für die typischen Haftungsgefahren der einzelnen Sondergebiete der postalischen Tätigkeit beseitigt ist). Anm. 15 V. Beweislast Die Beweislast hat der Anfechtungskläger.

§131 Die Anfechtung muß in den Fällen der§§ 119, 120 ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrunde Kenntnis erlangt hat. Die einem Abwesenden gegenüber erfolgte Anfechtung gilt als rechtzeitig erfolgt, wenn die Anfechtungserklärung unverzüglich abgesendet worden ist. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung dreißig Jahre verstrichen sind. E II 96; P I iizff; 6 I22ff, 290C

Ü b ersieht Anm.

I. Die Irrtumsanfechtung 1. Allgemeines 2. Verhältnis zur Anfechtung wegen argl. Täuschung II. Der Anfechtungsberechtigte III. „Unverzüglich" 1. Schuldhaftes Zögern 2. Kenntnis vom Anfechtungsgrund IV. Anfechtung unter Abwesenden V. Ausschlußfrist VI. Beweislast

1—2 1 2 3 4—10 5, 6 7—10 11 12 13

Anm. 1 I. Die Irrtumsanfechtung 1. Allgemeines Die A n f e c h t u n g ist eine f o r m l o s e , e m p f a n g s b e d ü r f t i g e u n w i d e r r u f l i c h e Willenserklärung, die unzweideutig sein muß (RG J W 1903, 107). Einer Angabe des Anfechtungsgrundes bedarf es nicht (RG 65, 88). Die Anfechtungserklärung muß aber eindeutig erkennen lassen, daß der Anfechtungsberechtigte das Geschäft nicht bestehen lassen will. Die bloße Mitteilung des Irrtums ist keine Anfechtung. Ein bestätigtes Rechtsgeschäft kann nicht angefochten werden (§ 144). Bei ordnungsgemäßer Anfechtung wird das anfechtbare Rechtsgeschäft als von Anfang an nichtig angesehen (§ 142). Anm. 2 2. Verhältnis zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung Die Anfechtung wegen arglistiger T ä u s c h u n g kann zugleich eine Anfechtung wegen I r r t u m s enthalten (RG 57, 358; 100, 207; RG WarnRspr 1908 Nr. 278; 1915 Nr. 197; BGH L M Nr. 5 zu § 119 = MDR 1955, 24; s. auch Anm. 48 zu § 119). Daher keine Klageänderung und auch Rechtzeitigkeit der Anfechtung, wenn der Anfechtungsberechtigte demnächst erklärt — was zur späteren Berücksichtigung der Irrtumsanfechtung allerdings notwendig ist (RG WarnRspr 1916 Nr. 7; 1917 Nr. 236; RG J W 1925, 2 752) —, daß er jetzt die Anfechtung auch wegen Irrtums geltend mache (RG J W 1907, 116; RG WarnRspr 1908 Nr. 278; 1915 Nr. 197). Man wird die in den angeführten

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Willenserklärung

§121 A n m . 3-—6

Urteilen ausgesprochenen Anschauungen richtig nur dahin zu verstehen haben, daß die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung zugleich die Behauptung eines Irrtums über diejenigen Tatsachen enthält, über die der Anfechtungskläger getäuscht sein will, und daß sonach insoweit in der Anfechtungsklage aus § 1 2 3 schon ein Element für die Anfechtung aus § 1 1 9 mitenthalten ist. Dagegen wird man nicht annehmen können, daß die erste Klage schlechthin zugleich die letztere K l a g e in sich schließt. Denn wäre das der Fall, dann müßte der Richter notwendig neben der ersteren K l a g e zugleich die letztere mitberücksichtigen, und möglicherweise verstieße er dabei gegen das Interesse und gegen den Willen des Klägers, insofern als dieser es im Hinblick auf die Schadensersatzpflicht aus § 122 für geratener halten könnte, von der Irrtumsanfechtung abzusehen. Die Partei, die ihre Anfechtung bisher nur auf arglistige Täuschung gegründet hat, muß also in jedem Falle zum Ausdruck bringen, daß sie sich auch auf Irrtum berufen will (so auch R G SeufFArch 83 Nr. 1).

Anm. 3 II. Der Anfechtungsberechtigte Die Anfechtung kann nur von dem Irrenden erklärt werden, nicht vom Erklärungsempfänger ( R G J W 1905, m ; R G WarnRspr 1908 Nr. 276). Von mehreren Anfechtungsberechtigten kann jeder einzelne die Anfechtung erklären ( R G 56, 424; 152, 228; vgl. auch Anm. 49 zu § 1 1 9 ) . Das Anfechtungsrecht ist vererblich und steht dem Erben des Irrenden oder der Erbengemeinschaft zu ( B G H BB 1951, 308).

Anm. 4 III. Unverzüglich Die Anfechtungserklärung ist im Interesse des Geschäftsgegners unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern abzugeben ( R G 49, 394; 53, 148; 64, 1 6 1 ) . Die Ungewißheit des Geschäftsgegners über den Bestand des Rechtsgeschäfts soll möglichst abgekürzt werden, da der Erklärungsgegner keinerlei Einfluß darauf hat, ob angefochten wird oder nicht. Die Anfechtungserklärung braucht nicht „ s o f o r t " zu erfolgen. Dem Anfechtungsberechtigten ist vielmehr eine gewisse Zeit zur Überlegung und zur Einholung eines Rates eines Rechtskundigen darüber, ob er die Willenserklärung anfechten oder am Vertrage festhalten will, zuzubilligen ( R G H R R 1931 Nr. 584; R G 124, 1 1 7 ) . Die Frage der Unverzüglichkeit ist eine in der Revisionsinstanz nachprüfbare R e c h t s f r a g e ( R G 49, 395; 64, 1 6 1 ; 124, 1 1 5 ; R G SeufTArch 84 Nr. 1).

Anm. 5 1. Schuldhaftes Zögern Schuldhaftes Zögern kann dann gegeben sein, wenn der Anfechtungsberechtigte das Interesse seines Geschäftsgegners nicht genügend berücksichtigt hat ( R G J W 1906, 707). Es liegt nicht vor, wenn die Verzögerung auch bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276) unabwendbar war ( R G 49, 3 9 5 ; 53, 148; 64, 159). Die Rücksicht auf den Anfechtungsgegner braucht auch nicht so weit zu gehen, daß dadurch das Anfechtungsrecht selbst vereitelt wird; das Hinausschieben der Anfechtungserklärung kann namentlich dann geboten sein, wenn durch ihre frühere Abgabe die Vollstreckung des Anspruchs des Anfechtenden gefährdet würde ( R G 124, 1 1 5 ) . Wer einen Kindesannahmevertrag anfechten will, muß unverzüglich nach Erlangung der Kenntnis vom Anfechtungsgrund die Bestellung eines Pflegers für das K i n d zur Entgegennahme der Anfechtungserklärung beantragen ( R G 156, 334).

Anm. 6 R e c h t s i r r t u m über die Anfechtungsbedürftigkeit eines Vertrages (bei Kenntnis des Anfechtungsgrundes) schließt die Annahme eines schuldhaften Zögerns mit der Anfechtungserklärung nicht aus ( R G 134, 25). Wer sich, um ein Zögern zu entschuldigen, auf seine eigene unrichtige Rechtsauffassung berufen will, muß jedenfalls besondere Umstände darlegen, die seinen Rechtsirrtum frei von Fahrlässigkeit erscheinen lassen ( R G 152, 228).

351

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte §121 Anm. 7—11 Anm. 7 2. Kenntnis vom Anfechtungsgrund Die Frist beginnt, sobald der Anfechtungsberechtigte v o n d e m A n f e c h t u n g s g r u n d e , mithin von den seinen Irrtum ergebenden Umständen, eine K e n n t n i s e r l a n g t , die ihm vernünftigerweise einen die bloße Vermutung ausschließenden sicheren Schluß gewährt und ihn so seines I r r t u m s s i c h b e w u ß t werden läßt, da Anfechtungsgrund der Irrtum ist, nicht aber die Tatsache, über die der Anfechtungsberechtigte sich geirrt hat (RG 85, 223; R G J W 1938, 1891). Die Kenntnis vom Anfechtungsgrund ist jedenfalls so lange ausgeschlossen, als der Anfechtungsberechtigte sich nicht dessen bewußt geworden ist, daß er die irrtümliche Erklärung abgegeben hat (RG 85, 224). Bei Anfechtung einer Urkunde muß der Anfechtungsberechtigte erkannt haben, daß sich der Inhalt der Urkunde mit dem irrtümlich angenommenen Inhalt nicht deckt (RG WarnRspr 1918 Nr. 25). Der Irrtum muß daher erst aufgedeckt sein, und gegebenenfalls kann der Anfechtungsberechtigte auch erst die Beweisaufnahme abwarten, bevor er die Anfechtung erklärt (RG WarnRspr 08 Nr. 1 1 6 ; vgl. auch B G H 2, 136 zu § 1595a). Aber K e n n t n i s ist n i c h t g l e i c h U b e r z e u g u n g (RG Recht 1907 Nr. 1775), und nur zuverlässige Kenntnis der Umstände, nicht aber volle Uberzeugung von deren Richtigkeit wird verlangt (RG J W 1912, 741). K e n n e n m ü s s e n ist der K e n n t n i s n i c h t g l e i c h g e s e t z t . Eine auf Fahrlässigkeit beruhende Nichtkenntnis schadet daher nicht (RG WarnRspr 1935 Nr. 128). Auch bloße Zweifel stehen der Kenntnis nicht gleich. Wird der Irrtum erst im Prozeß aufgedeckt,so kann die Anfechtung auch noch im Prozeß erklärt werden (RG WarnRspr 1908 Nr. 116).

Anm. 8 Eine Anfechtung ist auch dann noch möglich, wenn der Erklärungsgegner den Irrtum des Erklärenden nachträglich erkannt hat (streitig). Die Einrede der Arglist kann in diesem Fall dem Anfechtungsberechtigten nicht zugebilligt werden, wenn der Gegner die Verspätung der Anfechtung geltend macht. Hatte der Anfechtungsgegner die Erklärung des anderen schon bei ihrer Abgabe richtig verstanden, dann liegt zur Anfechtung überhaupt kein Grund vor, weil jetzt die Erklärung so zu gelten hat, wie sie gemeint war und auch verstanden worden ist (RG 66, 427; 105, 185; R G J W 1 9 1 1 Nr. 179; vgl. auch Anm. 6 zu § 119).

Anm. 9 Ist die anzufechtende Erklärung v o n e i n e m B e v o l l m ä c h t i g t e n a b g e g e b e n , dann ist erst der Zeitpunkt maßgebend, in dem der Vollmachtgeber die Kenntnis erhielt, es sei denn, daß auch der Vertreter auf Grund der Vollmacht anfechtungsberechtigt war. In diesem Falle kommt es sowohl auf die Kenntnis des Vollmachtgebers wie die des Bevollmächtigten an. Bei einem gesetzlichen Vertreter kann nur seine Kenntnis in Betracht kommen.

Anm. 10 Ficht der Nachlaßpfleger einen vom Erblasser geschlossenen Vertrag an, so ist für die Unverzüglichkeit der Anfechtung in erster Linie der Zeitpunkt maßgebend, in dem der Erblasser (nicht erst der Nachlaßpfleger) von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erhielt (RG BayZ 1927, 228).

Anm. 11 IV. Anfechtung unter Abwesenden Nach § 130 wird eine an einen Abwesenden gerichtete Willenserklärung erst wirksam, wenn sie dem Erklärungsempfänger zugeht. § 121 Abs. 1 S. 2 enthält von diesem Grundsatz keine Ausnahme, sondern bestimmt nur, daß zur F r i s t w a h r u n g die Absendung genügt. Eine auf dem Transport eingetretene Verzögerung geht somit nicht zu Lasten des Anfechtungsberechtigten, sondern die Gefahr von Verzögerungen während der Beförderung trägt der Anfechtungsgegner.

852

Willenserklärung

§ 121 Anm. 12, 13 § 122 Anm. 1

Anm. 12 V. Ausschlußfrist Bei der Frist des § 121 Abs. a handelt es sich nicht um eine Verjährungs- sondern um eine Ausschlußfrist, die von Ants wegen zu beachten ist (RG i IO, 34). Auch wenn der Anfechtende vom Anfechtungsgrund erst nach Ablauf von 30 Jahren Kenntnis erlangt, kann er nicht mehr anfechten. Anm. 13 VI. Beweislast Der Anfechtende hat die Voraussetzung der Anfechtung zu beweisen. Der Gegner hat die Beweislast dafür, daß die Anfechtung nicht unverzüglich erfolgt ist (RG 57, 362; RG H R R 1942 Nr. 569). Hierzu muß er nachweisen, daß der Anfechtende die Kenntnis schon in einem früheren Zeitpunkte, als er angegeben, erhalten hatte (RG J W 1904, 196; RG WarnRspr 1914 Nr. 108; dazu RG SeuffArch 78 Nr. 110584 Nr. 1), oder daß bis zur Anfechtung 30 Jahre seit Abgabe der Willenserklärung verflossen waren. Für den Fall des Abs. 1 Satz 1 bleibt dem Anfechtenden gegebenenfalls der Nachweis mangelnden Verschuldens offen.

§122 Ist eine Willenserklärung nach § 118 nichtig oder auf Grund der §§ 119, 120 angefochten, so hat der Erklärende, wenn die Erklärung einem anderen gegenüber abzugeben war, diesem, anderenfalls jedem Dritten den Schaden zu ersetzen, den der andere oder der Dritte dadurch erleidet, daß er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut, jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus, welches der andere oder der Dritte an der Gültigkeit der Erklärung hat. Die Schadensersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Beschädigte den Grund der Nichtigkeit oder der Anfechtbarkeit kannte oder infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte (kennen mußte). E I 97 Abs. 3, 499 Abs. 2, 3, 101, 146; IX 97; M 1 194, 200, 202ff, 281; P 1 98ff, 116 ff.

Übersicht I. II. III. IV. V. VI.

Allgemeines Ersatzberechtigter Ausschluß der Schadensersatzpflicht Umfang des Schadensersatzanspruches Anwendungsgebiet Beweislast

Anm.

1 2 3—5 6, 7 8 9

Anm. 1 I. Allgemeines § 122 beruht auf dem Rechtsgedanken, daß die Nichtigkeit im Falle des § 118 und die Anfechtbarkeit des Geschäfts in den Fällen der §§119, 120 allein in der Person des Erklärenden ihren Grund haben und es deshalb billig sei, den Erklärenden für den dem Erklärungsgegner entstandenen „Vertrauensschaden" ersatzpflichtig zu machen. Die Ersatzpflicht tritt unabhängig davon ein, ob dem Erklärenden ein Verschulden trifft. Es genügt die Tatsache, daß er den Schaden des anderen veranlaßt hat und es ist daher der Veranlassungs-, nicht aber der Verschuldensgrundsatz zur Geltung gebracht (RG 60, 345; 81, 398; 94, 197). Aus diesem Grunde hat der Erklärende dem Gegner auch nicht aus Verschulden bei Vertragsabschluß (culpa in contrahendo) auf das Erfüllungsinteresse zu haften (RG 62, 315; RG J W 1909, 684). Die Verpflichtung 353

§122

Anm. 2—6

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

aus § 122 stellt auch keine Verpflichtung zum Schadensersatz wegen unerlaubter Handlung (§§ 823, 826) dar. Sie beruht vielmehr allein auf dem Gesetz. Die Verjährung richtet sich daher nach den §§ 194, 195 und nicht nach § 852. I m Falle der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 1 2 3 ist § 122 nicht anwendbar.

Anm. 2 II. Ersatzberechtigter Ersatzberechtigt ist nur derjenige, f ü r den die Willenserklärung bestimmt war, daher bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen nur derjenige, an den sie gerichtet war. Bei nichtempfangsbedürftigen Willenserklärungen (vgl. Anm. 3 vor § 1 1 6 ) ist jeder Dritte anspruchsberechtigt, der auf die Gültigkeit der Erklärung vertrauen durfte und durch die Anfechtung geschädigt wurde (z. B. Auslobung oder Preisgabe).

Anm. 3 III. Ausschluß der Schadensersatzpflicht Ersatz zu fordern ist nicht berechtigt, wer den Grund der Nichtigkeit oder der Anfechtbarkeit kannte oder hätte kennen müssen. Kennenmüssen ist die auf Fahrlässigkeit (§ 276) beruhende Unkenntnis. Es genügt, daß der Erklärungsgegner Umstände erfahren hat, die vernünftigerweise einen Schluß auf die Anfechtbarkeit zulassen ( R G J W 1 9 1 0 , 937), so daß er die Kenntnis bei A n wendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte haben müssen.

Anm. 4 Eine Schadensersatzpflicht des Anfechtenden kommt ferner nicht in Betracht, wenn der Erklärungsgegner den Irrtum durch s e i n e i g e n e s V e r h a l t e n hervorgerufen hat (RG 8 1 , 395)In beiden Fällen, nämlich bei Kenntnis oder Kennenmüssen und bei der Verursachung des Irrtums durch den Erklärungsgegner hat dieser den Eintritt des Schadens sich selbst zuzuschreiben. Für einen Schadensausgleich gem. § 254 ist deshalb in diesen Fällen kein R a u m ( R G 57, 88). Wohl aber bleibt § 254 anwendbar, wenn eine Schadensersatzpflicht aus Abs. 1 begründet ist ( R G 1 1 6 , 19).

Anm. 5 Schließlich kann der Schadensersatzanspruch aus § 122 auch durch Parteivereinbarung ausgeschlossen werden. Aus der Unwiderruflichkeit der Anfechtungserklärung folgt aber, daß der Anfechtende seine Schadensersatzpflicht nicht dadurch abwenden kann, daß er nachträglich erklärt, er wolle das Rechtsgeschäft gelten lassen.

Anm. 6 IV. Umfang des Ersatzanspruches Der Schadensersatzanspruch ist beschränkt auf das negative Interesse (Vertrauensschaden). Der Geschädigte kann Schadloshaltung (nach § 249) nur insoweit verlangen, als seine Vermögenslage gerade durch die von ihm im Vertrauen auf die Gültigkeit der Erklärung getroffenen Maßnahmen verschlechtert worden ist. Innerhalb dieser Grenze kann er freilich nicht minder Ersatz des entgangenen Gewinns als des wirklichen Schadens (§252) beanspruchen ( R G WarnRspr 1933 Nr. 173). Die Forderung darf jedoch ihrem Umfange nach n i e m a l s ü b e r d i e H ö h e d e s E r f ü l l u n g s i n t e r e s s e s hinausgehen. Das Erfüllungsinteresse selbst kann um deswillen nicht in Frage kommen, weil das Geschäft gegebenenfalls mit rückwirkender K r a f t nichtig wird und deswegen ein Erfüllungsanspruch ausgeschlossen ist ( R G 170, 284). Wenn der Geschäftsgegner beispielsweise im Vertrauen auf das ihm gemachte Angebot ein anderweitiges Angebot ausschlägt, kann er im Falle der Anfechtung des ersten Angebots zwar alles ersetzt verlangen, was er durch Ablehnung des zweiten Angebots eingebüßt hat (so die Mehrkosten einer anderweiten Eindeckung, R G SeuffArch 62 Nr. 226), gegebenenfalls einschließlich dessen, was ihm an Gewinn entgangen ist, aber alles das unbedingt nur bis

354

Willenserklärung

§ 122 A n m . 7—9 §123

zur Höhe dessen, was er gehabt haben würde, wenn das angefochtene Geschäft zur Erfüllung gekommen wäre, während die Geltendmachung gerade des Erfüllungsinteresses, unzulässig ist. Anm. 7 Als Zeitpunkt für die Berechnung des negativen Interesses ist derjenige Zeitpunkt maßgebend, in dem der Ersatzberechtigte den Irrtum des Gegners bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können ( R G Gruchot 57, 907). Danch ist die abstrakte Berechnungsart zulässig. Beispielsweise kann der Käufer, der im Vertrauen auf die Gültigkeit des Kaufes den Abschluß anderer Käufe zu der gegebenen Zeit unterlassen hat, den Schaden ersetzt verlangen, der aus der Unterlassung hervorgegangen ist ( R G 62, 285). Anm. 8 V. Anwendungsgebiet Das Anwendungsgebiet des § 122 ist beschränkt auf die Fälle eines Vermögensschadens. Sonderregelung bei Anfechtung einer Ehe wegen Irrtums (s. §§ 32, 33, 37 EheG). Uber die Anwendung des in § 122 enthaltenen allgemeinen Rechtsgedankens auf Fälle, in denen es sich nicht um Nichtigkeit oder Anfechtung handelt, vgl. R G 170, 65. Anm. 9 VI. Beweislast Der Ersatzberechtigte hat die Anfechtung und den ihm durch diese verursachten Schaden zu beweisen; der Beklagte den Einwand aus Abs. 2 (Kennen oder Kennenmüssen) sowie den ihm vom Gesetze weiter freigelassenen Einwand, daß der geforderte Betrag das Erfüllungsinteresse übersteigt. Dagegen braucht der Ersatzberechtigte nicht zu beweisen, daß der geforderte Betrag über das Erfüllungsinteresse nicht hinausgeht. §

1 3 3

Wer zur A b g a b e einer Willenserklärung durch arglistige T ä u s c h u n g oder widerrechtlich d u r c h Drohung b e s t i m m t w o r d e n ist, kann die E r k l ä r u n g anfechten. H a t ein Dritter die T ä u s c h u n g v e r ü b t , s o i s t eine E r k l ä r u n g , die e i n e m anderen gegenüber abzugeben w a r , nur dann anfechtbar, wenn dieser die T ä u s c h u n g kannte oder kennen m u ß t e . S o w e i t ein a n d e r e r a l s derjenige, welchem gegenüber die E r k l ä r u n g abzugeben w a r , a u s der E r k l ä r u n g unmittelbar einRecht e r w o r b e n hat, ist die E r k l ä r u n g i h m gegenüber anfechtbar, wenn er die T ä u s c h u n g kannte oder kennen m u ß t e . E I IOJ I I 9 8 ; M

I 204ff; P I

Ii8ff; 6

I28ff.

Ubersicht

Anm.

I. Allgemeines i II. Die arglistige Täuschung 2—18 1. Die Täuschung 3, 4 2. Die Arglist 5-—8 a) Absicht der Irreführung 5, 6 b) Täuschung in wohlmeinender Absicht 7 c) Schuldhaftes Verhalten des Getäuschten 8 3. Verschweigen oder Unterdrücken wahrer Tatsachen als Täuschungshandlung 9—16 a) Offenbarungspflicht 10 b) Umfang der Offenbarungspflicht 11 c) Einzelfälle 12—16 355

§123 A n m . 1, 2

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte Anm.

III. IV.

V. VI.

VII. VIII.

4. Verhältnis zu anderen Rechtsbehelfen a) Zur Irrtumsanfechtung b) Zu Gewährleistungsansprüchen wegen Sachmängel Die widerrechtliche Drohung 1. Die Drohung 2. Die Widerrechtlichkeit Täuschung und Drohung durch Dritte 1. Dritter im Sinne von § 123 Abs. 2 a) Allgemeines b) Einzelfälle 2. § 123, Abs. 2, Satz 2 Ursächlicher Zusammenhang zwischen Willenserklärung und Täuschung oder Drohung Folgen der Anfechtung 1. Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung 2. Ansprüche auf Schadensersatz a) Deliktansprüche aa) Negatives Interesse bb) Positives Interesse b) Mitwirkung eines Dritten bei der unerlaubten H a n d l u n g . . . . c) Ansprüche bei Verschweigen von Eigenschaften einer Kaufsache Beweislast Anwendungsgebiet

17—18 17 18 19—26 19—21 22—26 27—31 29, 30 29 30 31 33, 33 34—40 35 36 37—38 37 38 39 40 41 42

Anm. 1 I. Allgemeines Die Bestimmung schützt die W i l l e n s f r e i h e i t (RG 134, 55; RG WarnRspr 1910 Nr. 263). Wer im Zustand seelischer Unfreiheit eine Willenserklärung abgegeben hat, soll berechtigt sein, seine Erklärung durch Anfechtung nichtig zu machen. Es handelt sich hier also nicht um einen Fall des Zwiespalts zwischen Wille und Erklärung (§ 119), sondern um einen Fall der unzulässigen Beeinflussung des rechtsgeschäftlichen Willens. Die Vorschrift befaßt sich nur mit der Unfreiheit im Willen, nicht dagegen mit der U n f ä h i g k e i t zur E n t s c h l i e ß u n g , wie sie etwa bei Hypnose oder bei physischem Zwang (z. B. das gewaltsame Führen der Hand bei der Unterschriftsleistung) gegeben ist. In diesen Fällen hat der Erklärende nicht auf Grund eines zuvor gefaßten Willens, sondern ohne e i g e n e n W i l l e n gehandelt. In Betracht kommen Willenserklärungen jeder Art: empfangsbedürftige und nicht empfangsbedürftige, ausdrückliche und stillschweigende Willenserklärungen. Es muß sich aber um r e c h t s g e s c h ä f t l i c h e Willenserklärungen handeln. § 123 ist daher nicht anwendbar, wenn ein Widerruf ehrenkränkender Behauptungen durch arglistige Täuschung oder Drohung herbeigeführt wurde (BGH NJW 1952, 417). Die seelische Beeinflussung kann entweder durch widerrechtliche Drohung oder arglistige Täuschung bewirkt werden. Die Anfechtungsfrist für die auf diese Weise zustande gekommenen Willenserklärung beträgt ein Jahr (§ 124); die Vollziehung der Anfechtung ist in § 143 geregelt. Anm. 2 II. Die arglistige Täuschung A r g l i s t i g e T ä u s c h u n g im Sinne des § 123 ist jedes Verhalten, das bewußt darauf abzielt, einen anderen in einen Irrtum zu versetzen und ihn hierdurch zur Abgabe einer Willenserklärung zu veranlassen. Die Täuschungshandlung kann sowohl im Vorspiegeln falscher Tatsachen, als auch in der Unterdrückung wahrer Tatsachen bestehen (RG J W 1907, 473; 1908, 476; 1 9 1 1 , 641). Die Täuschungshandlung muß in der Absicht erfolgen, in dem anderen einen Irrtum zu erregen oder einen vorhandenen Irrtum

356

Willenserklärung

§123

A n m . 3—6 auszunützen ( R G J W 1909, 308). Der Tatbestand der arglistigen Täuschung kann daher auch dadurch erfüllt sein, daß der andere Teil über einen bereits vorhandenen wesentlichen Irrtum nicht aufgeklärt wird ( R G 62, 1 5 0 ; 77, 3 1 4 ; R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 326). Gleichgültig ist, ob der Irrtum sich auf den Inhalt der Erklärung oder den Beweggrund bezieht. Arglistig kann daher auch handeln, wer eine bestimmte Kenntnis von Vorgängen oder Umständen zu haben behauptet, die er in Wirklichkeit nicht hat ( R G H R R 1934 Nr. 1094).

Anm. 3 1. Die Täuschung Täuschung ist jedes wissentliche auf Irreführung berechnete Verhalten ( R G J W 1905, 639; 190g, 308), eine Handlung rechtsgeschäftlichen Charakters wird nicht vorausgesetzt ( R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 219). Das Ergebnis muß sein, daß durch die T ä u schung der Getäuschte in der Freiheit seiner Willensentschließung beeinträchtigt wird. Daraus folgt, daß der durch die Täuschung erregte Irrtum oder der bereits vorhandene, durch die Täuschung ausgenützte Irrtum die für den Willensentschluß maßgebenden Voraussetzungen betreffen muß. Der Tatbestand der arglistigen Täuschung ist nicht schon dann erfüllt, wenn der Täuschende nur p e r s ö n l i c h e U r t e i l e oder Auffassungen ausgesprochen und als solche zu erkennen gegeben hat, da auf diese Weise dem anderen Teil die Freiheit seiner Entschließung nicht genommen wird. Die üblichen, übertriebenen Maklerredensarten, die erfahrungsgemäß nicht ernst genommen werden und die Entschließungen der Beteiligten nicht ausschlaggebend beeinflussen, können daher eine Anfechtung nicht rechtfertigen ( R G WarnRspr 1937 Nr. 87).

Anm. 4 Grundsätzlich muß die Täuschung auf T a t s a c h e n gerichtet sein. Weiß der Erklärende aber, daß der Erklärungsempfänger das W e r t u r t e i l des Erklärenden auch für sich als maßgebend erachtet und erachten will und spricht er trotzdem bewußt ein unzutreffendes, den Gegner irreführendes Urteil aus (so eine Wertabschätzung, Äußerung über die Güte der Hypothek), dann können die Voraussetzungen der arglistigen Täuschung auch hier nicht bezweifelt werden (vgl. R G Gruchot 56, 878; und für den Fall der Täuschung durch Äußerung einer Rechtsansicht R G L Z 1926, 324). Der Fall liegt dann nicht anders, als hätte der Erklärende eine falsche Tatsache vorgespielt.

Anm. 5 2. Die A r g l i s t a) Absicht der Irreführung Die Täuschung muß b e a b s i c h t i g t sein. Dies trifft nicht zu, wenn der Täuschende selbst nur aus Irrtum gehandelt hat, mag auch sein Irrtum auf Fahrlässigkeit beruhen ( R G J W 1909, 308). I n diesem Falle kommen die Grundsätze über die Irrtumsanfechtung zur Anwendung. Ohne Absicht handelt auch, wer eine erhebliche Tatsache verschweigt, weil er annimmt, daß sie dem anderen bekannt ist ( R G J W 1 9 1 2 , 907). Die A b s i c h t d e r V e r m ö g e n s s c h ä d i g u n g gehört n i c h t zur arglistigen T ä u schung ( R G WarnRspr 1909 Nr. 440; 1 9 1 1 Nr. 5 ; 1 9 1 3 Nr. 3 1 0 ; R G J W 1 9 1 2 , 69; 1 9 2 5 , 2 7 5 5 ; 1938,2007; R G SeuffArch 79 Nr. 199; B G H L M Nr. 9 zu § 1 2 3 = BB 1954, 785).

Anm. 6 A r g l i s t i g ist die Abseht dann, wenn de Täuschung, also da Erregen oder Benützen der irrigen Vorstellung des Gegners, als Mittel benutzt wird, um au den Entschluß des Erklärenden bestimmend einzuwirken. Arglist setzt somit V o r s a t z voraus ( B G H L M Nr. 12 zu § 123 = J Z 1956,95). Der Täuschende muß also den Vorsatz haben, durch die Täuschung auf den Erklärungswillen des anderen einzuwirken. Es genügt aber bedingter Vorsatz (Eventualdolus). So reicht das Bewußtsein aus, daß der Getäuschte in seiner Entschließung durch die Täuschung in unzulässiger Weise werde beeinflußt werden k ö n n e n ( R G 62, 1 5 0 ; R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 5 ; 1 9 1 3 Nr. 3 1 0 ; 1 9 1 5 Nr. 1 3 8 ; 1932 Nr. 1 2 ; B G H L M Nr. 9 zu § 1 2 3 = BB 1954,785). Arglistig handelt 24

Komm 2. BGB. n . Aufl. I. Bd. (Krüger-Nieland)

357

§123 Anm. 7—10

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

daher auch, wer bei der Abgabe der Erklärung weiß, daß seine Angaben für den Geschäftsgegner erheblich sind und dabei mit der M ö g l i c h k e i t rechnet, daß seine Angaben nicht der Wahrheit entsprechen ( R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 4 2 ; R G L Z 1926, 3 2 4 ; R G J W 1929, 3 1 6 1 ; 1936, 988). Erforderlich ist insbesondere nicht, daß der Täuschende in dem Bewußtsein handelt, der Gegner würde bei Kenntnis des wahren Sachverhalts den Vertrag bestimmt nicht abschließen ( R G 8 1 , 1 3 ; 96, 346; 134, 5 3 ; R G J W 1938, 2007; R G WarnRspr 1932 Nr. 1 2 ; R G L Z 1924, 736; R G H R R 1929, Nr. 5 1 8 ) . Arglist kann auch vorliegen, wenn ein Vertragsteil bereits bei Vertragsabschluß entschlossen ist, den Vertrag nicht ordnungsgemäß zu erfüllen (vgl. Anm. 1 3 ) . A m erforderlichen Vorsatz fehlt es jedoch, wenn der Vertragspartner infolge zwar fahrlässig, jedoch nicht vorsätzlich unrichtiger Vertragsauslegung beabsichtigt, Handlungen vorzunehmen, die sich objektiv als Vertragsverletzungen darstellen ( B G H L M Nr. 12 zu § 123 = J Z 1956, 95)-

Anm. 7 b) Täuschung in wohlmeinender Absicht Eine arglistige Täuschung liegt nicht vor, wenn der Täuschende zum Besten des anderen handeln will. Voraussetzung ist aber, daß die wohlmeinende Absicht klar zutage tritt und die tatsächlichen Verhältnisse keinen Zweifel am Vorliegen der wohlmeinenden Absicht offen lassen ( B G H L M Nr. 9 zu § 1 2 3 = BB 1954, 785).

Anm. 8 c) Schuldhaftes Verhalten des Getäuschten Ein fahrlässiges Verhalten des Anfechtungsberechtigten kommt dem Täuschenden nicht zugute ( R G SeuffArch 84 Nr. 190). Auch die eigene Arglist des Getäuschten schließt die Anfechtung nicht aus. Doch kann ein solches arglistiges oder sonst schuldhaftes Verhalten des Getäuschten zum Verlust oder zur Minderung der von ihm nach vollzogener Anfechtung erhobenen Schadensersatzansprüche, sei es nach § 254, sei es auf Grund der §§ 823 fr, führen ( R G SeuffArch 91 Nr. 86).

Anm. 9 3. Verschweigen oder Unterdrücken wahrer Tatsachen als Täuschungshandlung Die durch Verschweigen begangene arglistige Täuschung setzt eine bestehende O f f e n b a r u n g s p f l i c h t voraus. Eine solche besteht nicht schlechthin ( R G 62, 1 5 0 ; R G J W 1 9 1 1 , 5 7 5 ; 1 9 1 2 , 342). Das bloße Verschweigen einer wahren Tatsache erfüllt den Tatbestand der arglistigen Täuschung vielmehr nur dann, wenn das Unterlassen ihrer Mitteilung den Grundsätzen von Treu und Glauben widerspricht ( R G 62, 149; 69, 1 5 ; 77, 3 1 4 ; i n , 2 3 3 ; R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 360; 1 9 1 3 Nr. 2 ; R G SeuffArch 86 Nr. 143) und der andere Teil die Offenbarung der Tatsache nach der Verkehrsauffassung erwarten durfte ( R G 62, 1 5 0 ; 69, 1 5 ; 77, 3 1 4 ; R G J W 1935, 1 2 3 3 ; R G SeuffArch 89 Nr. 68; R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 196; 1 9 1 3 Nr. 2 7 3 ; 1 9 1 7 Nr. 6; B G H L M Nr. 8 zu § 1 2 3 = BB 1954, 360). Ein U n t e r d r ü c k e n liegt vor, wenn der Täuschende durch positive Tätigkeit (Anwendung täuschender Mittel) einen erheblichen Umstand verdeckt ( R G 62, 150). Auch dieses Verhalten stellt nur dann eine arglistige Täuschung dar, wenn eine auf Gesetz, Vertrag oder dem Grundsatz von Treu und Glauben beruhende R e c h t s p f l i c h t zur Offenbarung bestand ( R G 62, 1 5 0 ; R G WarnRspr 1909 Nr. 3 ; R G S t 37, 62; 62, 70; 1 5 1 , 225).

Anm. 10 a) Offenbarungspflicht O b eine Offenbarungspflicht besteht, entscheidet sich nach den Umständen des Einzelfalles, wobei — abgesehen von den zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen — die Verkehrssitte und das Empfinden der billig und gerecht Denkenden den Maßstab bildet. Eine Offenbarungspflicht besteht insbesondere dann, wenn eine

358

Willenserklärung

§123 A n m . 11—13

Aufklärung auf Grund eines bereits zwischen den Parteien bestehenden oder zu begründenden V e r t r a u e n s v e r h ä l t n i s s e s geboten erscheint (RG 77, 309; R G J W 1912, 68; R G SeufTArch 79 Nr. 60; B G H L M Nr. 18 zu § 1 2 3 ; BB 1954, 360). Eine Offenbarungspflicht wird auch immer dann gegeben sein, wenn der andere Teil durch Anfrage zum Ausdruck bringt, daß er auf einen bestimmten Punkt besonderen Wert legt. A n m . 11 b) U m f a n g der Offenbarungspflicht Die Frage, in welchem U m f a n g die Pflicht zur Aufklärung besteht, kann nicht allgemein beantwortet werden (vgl. B G H L M Nr. 10 zu § 123 = M D R 1955, 26). Eine Offenbarungspflicht wird grundsätzlich nur für solche Umstände gegeben sein, die für die Entschließung des anderen von entscheidender Bedeutung sind und deren Mitteilung er nach der Verkehrsauffassung auch erwarten durfte. Sie erstreckt sich daher nicht auf solche Umstände und Verhältnisse, die mit den Rechtsbeziehungen der Parteien in keinem unmittelbaren Zusammenhange stehen ( B G H L M Nr. 8 zu § 123 = BB 1954, 360). A n m . 12 c ) Einzelfälle Nach der Verkehrsauffassung darf der K ä u f e r vom Verkäufer nicht ohne weiteres ein Offenbaren aller Umstände erwarten, die für die Entschließung des Käufers erheblich sein könnten (RG SeufTArch 87 Nr. 18). So ist, wer Spekulationspapiere veräußert, regelmäßig nicht verpflichtet, den Erwerber auf allgemeine Verhältnisse des Marktes hinzuweisen, die ein erhebliches Sinken der Kurse erwarten lassen. Dagegen können Treu und Glauben im Verkehr eine Mitteilung erfordern, wenn es sich um besondere Umstände handelt, die in bezug auf einen bestimmten Kaufgegenstand und seine Wertschätzung für die Entschließung des Käufers bedeutsam sind (RG i n , 233, vgl. R G L Z 1926, 916). Beim K r e d i t k a u f braucht der Käufer nicht ungefragt seine Kreditunwürdigkeit anzuzeigen (RG WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 360), es sei denn, daß besondere erschwerende Umstände dies erforderlich machten (vgl. R G 69, 15, wo der Käufer nicht nur seine Uberschuldung, sondern auch seine auf unerlaubte Schiebung gerichtete Absicht verschwieg) . Ein arglistiges Verhalten ist nicht gegeben, wenn der V e r k ä u f e r seine p e r s ö n l i c h e Ansicht über den Wert der Kaufsache zurückhält; ebenso wenn er nicht mitteilt, daß ihm nicht die volle Schankkonzession erteilt war. Anders ist dies nur dann, wenn er wußte, daß der Käufer gerade hierauf einen wesentlichen Wert legte und er den Irrtum des Käufers arglistig ausnutzen wollte (RG 18. 5. 1 9 1 2 V 49/12). Der V e r k ä u f e r ist zur Offenbarung verpflichtet, wenn er die W e r t l o s i g k e i t (nicht nur die Minderwertigkeit) der H y p o t h e k kennt (RG J W 1 9 2 1 , 680). Arglistig handelt auch der Verkäufer eines Geschäfts, der den Käufer auf die Bücher und Bilanzen verweist, aber damit rechnet, daß der Käufer von der Möglichkeit der Einsicht nicht Gebrauch machen werde (RG SeufTArch 86 Nr. 94). Uber die Frage, in welchem Umfange der Verkäufer beim V e r k a u f e i n e s g e b r a u c h t e n K r a f t w a g e n s den Käufer über einen Unfall unterrichten muß, der den Wagen betroffen hat, wenn er sich nicht dem Vorwurf der arglistigen Täuschung aussetzen will, vgl. B G H L M Nr. 10 zu § 123 = M D R 1955, 26. Zur Offenbarungspflicht des Verkäufers s. auch R G 151, 361. A n m . 13 Die Verheimlichung der bereits bei Vertragsabschluß gehegten festen Absicht, nicht erfüllen zu wollen (vgl. R G 70, 427; R G H R R 1929 Nr. 367), rechtfertigt die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung insbesondere dann, wenn der Täuschende weiß, daß der andere mit der getreulichen Erfüllung besonders rechnet, und er ihn gleichwohl im Irrtum darüber beläßt, daß dies nicht geschehen werde, und hierbei die Absicht hat, auf diese Weise auf die Entschließung des anderen zu seinem Vorteil einzu wirken (RG 104, 1 ; vgl. aber auch R G Z A k D R 1941, 147). 24*

359

§123 Anm. 14—17

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Bei Verhandlungen über den Abschluß eines Vertrages besteht grundsätzlich die Verpflichtung, den anderen Teil über Umstände aufzuklären, die zur Vereitelung des Vertragszweckes geeignet sind und die für die Entschließung des anderen von wesentlicher Bedeutung sein können ( B G H L M Nr. 8 zu § 1 2 3 = BB 1954, 360). Voraussetzung ist aber immer, daß der Verschweigende sich b e w u ß t ist, daß die Offenbarung für die Entschließung des Gegners bestimmend sein werde oder sein könnte ( R G L Z 1920, 887). So wenn ein Vertragsteil erkennbar nur unter einer bestimmten Voraussetzung abschließen wollte, und der andere bewußt unwahr erklärt, diese Voraussetzung sei in seiner Person vorhanden ( R G 6. 5. 1924 I I 329/23).

Anm. 14 Wer im geschäftlichen Leben jemand als k r e d i t w ü r d i g e m p f i e h l t , muß dem Empfänger der Auskunft alles offenbaren, was er von dem Kreditsuchenden für die Kreditfrage Erhebliches weiß. Vgl. auch einerseits R G 69, 1 5 ; 77, 3 1 4 ; R G J W 1 9 1 2 , 3 4 2 ; R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 2 ; sowie anderseits R G 62, 149; R G WarnRspr 1909 Nr. 3 ; 1 9 1 2 Nr. 196; R G J W 1 9 1 1 , 641. Der Gläubiger, der einen B ü r g e n sucht, hat nicht in jedem Fall einer Offenbarungspflicht hinsichtlich der Vermögensverhältnisse seines Schuldners. Macht er aber über diese überhaupt Mitteilung oder wird er darüber befragt, dann müssen seine Angaben wahr sein und er darf nichts verschweigen ( R G 91, 8 1 ; Einzelheiten dazu A n m . 2 vor § 765).

Anm. 15 Der A n g e s t e l l t e ist nicht ohne weiteres verpflichtet, dem Dienstherrn die Tatsachen mitzuteilen, die seine fristlose Entlassung rechtfertigen; doch können die U m stände dem Dienstherrn die Einrede der Arglist gegenüber Erfüllungsansprüchen des Angestellten geben ( R G J W 1926, 795). Hat ein Angestellter des Verkäufers diesem pflichtwidrig verschwiegen, daß er vom K ä u f e r bestochen wurde, so kann der Verkäufer anfechten (vgl. R G 86, 1 0 7 ; 107, 208; 134, 43).

Anm. 16 Regelmäßig liegt eine arglistige Täuschung im Sinne des § 1 2 3 n i c h t vor, wenn das Verschweigen oder Unterdrücken wahrer Tatsachen nur dazu dienen sollte, einen vom anderen Teile erhobenen Anspruch abzuwehren. Niemand ist verpflichtet, weder im Prozeß noch sonst, den Anspruch des Gegners b e g r ü n d e n zu helfen. Dies gilt in der Regel jedoch nur für das bloße Verschweigen. Denn nur beim Verschweigen setzt die Annahme einer arglistigen Täuschung voraus, daß nach den im Rechtsverkehr herrschenden Grundsätzen von Treu und Glauben oder aus besonderen Rechtsgründen eine Aufklärungspflicht bestand (so auch R G 107, 177 unter Aufgabe der in R G 58, 3 5 5 und WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 207 vertretenen Auffassung). Ob schon in dem bloßen Ableugnen anderweiten Geschlechtsverkehrs durch die Kindesmutter eine arglistige Täuschung erblickt werden kann, ist umstritten (bejahend R G 107, 175, verneinend K G J R 1949, 383). Täuschung wird jedenfalls dann anzunehmen sein, wenn das A b leugnen unter besonders eindringlichen Beteuerungen (Erbieten zum Eid oder dgl.) geschieht ( O L G München H R R 1942, 469).

Anm. 17 4. Verhältnisse zu anderen Rechtsbehelfen a) Zur Irrtumsanfechtung Besteht ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der arglistigen Täuschung und der Abgabe der Willenserklärung (vgl. hierzu A n m . 32 u. 33), dann ist f ü r die Frage der Anfechtung die Art des Irrtums bedeutungslos. A u c h ein bloßer Irrtum im Beweggrund kann zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung berechtigen (vgl. hierzu R G 69, 1 5 Kreditwürdigkeit eines Käufers, R G 55, 68 Täuschung über Eigenschaft als Vollkaufmann; R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 196, der Verkäufer einer Gastwirtschaft verschweigt, daß die Erlangung einer Konzession auf Schwierigkeiten stoßen wird; R G J W 1 9 1 1 , 275 Täuschung durch bloße Anpreisung).

360

Willenserklärung

§123

A n m . 18—20

Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung kann zugleich auch eine Anfechtung wegen Irrtums enthalten (vgl. hierzu Anm. 2 zu § 1 2 1 , insbes. für die Frage der Anfechtung im Prozeß). Nach wirksamer Anfechtung wegen Irrtums kann der Anfechtende dem Anspruch des Geschäftsgegners auf Ersatz des Vertrauensschadens (§ 122) mit der Einrede begegnen, daß dieser ihn arglistig getäuscht habe. A n m . 18 b) Zu Gewährleistungsansprüchen wegen S a c h m ä n g e l Das Anfechtungsrecht aus § 123 besteht neben etwaigen Gewährleistungsansprüchen wegen Sachmängel (RG 96, 156; R G J W 1 9 1 3 , 197; R G SeuffArch 70 Nr. 43; vgl. auch Anm. 37 zu §459). Und zwar hat der Berechtigte die W a h l , welchen Rechtsbehelf er ergreifen will. Da jedoch die Anfechtung den Vertrag vernichtet, ist nach vollzogener Anfechtung die Geltendmachung der auf Vertrag beruhenden Gewährleistungsansprüche ausgeschlossen (RG H R R 1941 Nr. 69). Ob eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ausgeschlossen ist, wenn die Gewährleistungsansprüche geltend gemacht worden sind, ist streitig (bejahend S t a u d i n g e r Anm. 29 zu § 1 2 3 ; verneinend P a l a n d t , Anm. i b zu § 123). Verlangt der zur Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung berechtigte Käufer in Kenntnis dieses Rechts vor Erhebung der Klage Wandlung und gleichzeitig Schadensersatz nach dem Gewährleistungsrecht, so liegt darin grundsätzlich keine Bestätigung des anfechtbaren Kaufvertrags, da dieses Verlangen allein noch nicht den Willen erkennen läßt, daß der Käufer sein Anfechtungsrecht aufgeben will. Ein Verzicht auf den Rechtsbehelf der Anfechtung kann nur dann angenommen werden, wenn der Käufer trotz Kenntnis der die Anfechtung begründenden Umstände auf Erfüllung des Vertrages (hier Nachbesserung) bestanden hat ( B G H L M Nr. 16 zu § 123 = N J W 1958, 177). A n m . 19 III. Die widerrechtliche Drohung 1. Die Drohung Drohung ist die Ankündigung eines Übels, durch die der Drohende den Bedrohten psychisch beeinflussen will, um zu erreichen, daß dieser aus Furcht vor dem Eintritt des angedrohten Übels eine bestimmte Willenserklärung abgibt. Es genügt die Androhung, ein bereits vorhandenes Übel bestehen zu lassen (RGSt 14, 265). Es muß aber ein Übel angedroht werden, auf dessen Eintritt oder Nichteintritt der Drohende einwirken zu können behauptet. Die bloße Ausnutzung eines bestehenden Übels fällt nicht hierunter ( B G H 2, 287, 295). Eine Drohung im Sinne des § 123 liegt insbesondere nicht vor, wenn dem Erklärenden vom Erklärungsgegner lediglich eine objektive von seinem Willen unabhängige Zwangslage vor Augen gehalten wird (BGH 6, 348, 3 5 1 ; 25, 217; B G H N J W 1957, 1796). Fehlt es an einer widerrechtlichen Drohung, so genügt ein Handeln aus unfreier Lage heraus nicht zur Anfechtung (BGH 8, 349, 357). Der Drohende muß die Absicht haben, den Bedrohten zur Abgabe der Willenserklärung zu zwingen (RG J W 1 9 1 3 , 1032), oder doch wenigstens diesen Erfolg in seinem Vorsatz aufgenommen haben. Es genügt daher nicht, wenn er ohne die Absicht, einen Zwang auszuüben, nur von einem in Aussicht stehenden Übel spricht und schon hierdurch der andere zur Abgabe der Erklärung bestimmt wird (RG 59, 3 5 3 ; R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 186; 1930 Nr. 205). Wohl aber genügt das Bewußtsein, daß das angedrohte Übel geeignet sein kann, die Willensentschließung des anderen zu beeinflussen ( R G 107, 80; 108, 104; vgl. auch R G H R R 1940 Nr. 140). Anm. 20 Gleichgültig ist, welcher A r t das angedrohte Übel ist. Es kann materieller oder ideeller Art sein. Vorausgesetzt wird nur, daß es überhaupt geeignet ist, den Bedrohten zu beeinflussen (vgl. L G Kiel M D R 1949, 366 Zusammenrottung als Drohung; R A G WarnRspr 1932 Nr. 33 Drohung mit Entlassung, falls Angestellter mit Vertragsänderung nicht einverstanden ist). Nicht erforderlich ist, daß objektiv die Tatbestände der Nötigung oder Erpressung des Strafgesetzbuches vorliegen. Ferner wird nicht voraus-

361

§123

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A n m . 21—23 gesetzt, daß das angedrohte Übel geeignet sein muß, auch einen standhaften und besonnenen Menschen in seiner Willensbildung zu beeinflussen. Es kann daher auch schon die Ankündigung eines geringfügigen Übels genügen, falls es nur im konkreten Fall geeignet war, die Willensfreiheit zu beeinträchtigen.

A n m . 21 Z u m Begriff der Drohung gehört ferner nicht, daß das angedrohte Übel unmittelbar den Bedrohten selbst betreffen soll ( R G J W 1 9 1 3 , 638), nur muß der Bedrohte das einem anderen (Ehegatten, Kind) angedrohte Übel auch als ein Übel für sich selbst ansehen ( R G 6o, 3 7 3 ; R G J W 1 9 1 5 , 238; R G WarnRspr 1933 Nr. 174). Es kann auch die Drohung mit S e l b s t m o r d in Betracht kommen ( R G 7. 2. 1 9 1 2 V 3 7 8 / 1 1 , B G H 2, 295). Schließlich ist auch nicht wesentlich, daß das Übel unmittelbar vom Androhenden selbst verwirklicht werden soll. Es genügt, daß der Drohende zu erkennen gibt, daß er einen Dritten dazu veranlassen werde ( R G WarnRspr 1937 Nr. 163; R G S t 15, 336; 27, 307)-

A n m . 22 2. Die Widerrechtlichkeit Da durch § 123 die Entschließungsfreiheit des Bedrohten geschützt werden soll, ist die Drohung als w i d e r r e c h t l i c h anzusehen, wenn durch sie in einer von der Rechtsordnung nicht gebilligten Weise die Willensfreiheit beeinträchtigt wird. Dies ist stets dann anzunehmen, wenn der mit der Drohung verfolgte Z w e c k o d e r d a s a n g e d r o h t e M i t t e l rechtswidrig ist. Aber selbst wenn weder das angedrohte Mittel noch der mit der Drohung erstrebte Erfolg rechtswidrig sind, kann sich die Widerrechtlichkeit der Drohung aus der B e z i e h u n g von Mittel und Zweck ergeben. Dies trifft zu, wenn die Androhung einer von der Rechtsordnung erlaubten Handlung zu einem von ihr nicht mißbilligten Zweck sich nach der Auffassung aller billig und gerecht Denkenden nicht als a n g e m e s s e n e s Mittel für die angestrebte Willensbeeinflussung darstellt. Ob dies der Fall ist, entscheidet sich nach den Gesamtumständen des Einzelfalles. Maßgebend ist, ob es nach Treu und Glauben und den guten Sitten als unstatthaft erscheint, die Androhung eines an sich erlaubten Tuns als D r u c k m i t t e l zur Herbeiführung einer bestimmten Entschließung zu benutzen, mag auch das Bestreben des Drohenden, diese Entschließung zu erreichen, als solches rechtlich nicht zu beanstanden sein ( R G 59, 3 5 1 ; 1 1 0 , 384; R G J W 1905, 1 3 4 ; 1906, 82; 1909, 1 1 ; 1 9 1 3 , 638; R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 258; R G Gruchot 54, 6 2 6 ; B G H 2, 287, 296; 25, 218, 2 2 o ; B G H N J W 1957, 1796).

A n m . 23 D i e W i d e r r e c h t l i c h k e i t fehlt in der Regel bei einer Drohung mit einem z u l ä s s i g e n Verhalten, wenn durch sie eine Erklärung erreicht werden soll, auf die ein Rechtsanspruch besteht (RG J W 1905, 1 3 4 ; 1 9 1 3 , 638; 1 9 1 7 , 459; B G H 25, 219). E r l a u b t e M i t t e l zur Erreichung einer Erklärung, zu der der Erklärende ohnehin verpflichtet ist, sind z. B. die Androhung erlaubter Selbsthilfe, der Klagerhebung, der Ausbringung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung, der Durchführung der Zwangsvollstreckung, der Ausübung eines Zurückbehaltungsrechtes ( R G 59, 3 5 3 ; 108, 102; 1 1 0 , 382; 1 1 2 , 226; R G Gruchot 66, 454). Der Verletzte ist zur S t r a f a n z e i g e berechtigt. Wer von dieser Befugnis Gebrauch macht, um ein bestehendes Recht zu schützen, handelt nicht widerrechtlich ( R G 1 1 0 , 382; 1 1 2 , 226; R G J W 1938, 2007; R G H R R 1930 Nr. 1595; 1933 Nr. 1828). Eine unter Androhung einer Strafanzeige an den Täter gerichtete Aufforderung, den durch die Straftat angerichteten Schaden wieder gutzumachen, ist gleichfalls nicht widerrechtlich ( R G H R R 1940 Nr. 140; B G H N J W 1957, 596, 598; B G H S t 5, 254). Wer dagegen mit einer Strafanzeige droht, um sich einen Vorteil zu verschaffen, auf den er weder nach der Rechts- noch nach der Sittenordnung einen Anspruch hat, handelt widerrechtlich ( R G H R R 1930 Nr. 1 5 9 5 ; 1933 Nr. 1828). Rechtswidrig kann die Androhung einer Strafanzeige auch dann sein, wenn damit versucht wird, Schadensersatz nicht vom Täter, sondern von seinen Angehörigen zu erhalten ( R G Gruchot 54, 883; vgl. jedoch K G J W 1 9 3 1 , 2 1 4 1 ) .

362

Willenserklärung

§ 123

A n m . 24—27

Auch die Androhung einer an sich zulässigen Kündigung ist widerrechtlich, wenn sie den Arbeitnehmer zum vorzeitigen Verzicht auf vertragliche Rechte bestimmen soll ( R A G WarnRspr 1933 Nr. 59).

A n m . 24 Die Beantwortung der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Drohung bei an sich erlaubtem Mittel und Ziel widerrechtlich ist, darf aber nicht ausschließlich davon abhängig gemacht werden, ob der das Übel in Aussicht Stellende einen Rechtsanspruch auf die angestrebte Erklärung des Bedrohten hat. Vielmehr ist zu prüfen, ob der Drohende an der Erreichung des erstrebten Erfolges ein b e r e c h t i g t e s I n t e r e s s e hat und ob die Drohung nach der Auffassung aller billig und gerecht Denkenden ein angemessenes Mittel darstellt. Dies kann vor allem dann in Betracht kommen, wenn die Rechtsordnung zwar dem Drohenden keinen durchsetzbaren Anspruch gewährt, die Sittenordnung aber die Erfüllung des von ihm verfolgten Begehrens nahelegt. Für die Frage der Widerrechtlichkeit der Drohung bedarf es stets einer Gesamtwürdigung aller Umstände, wobei nicht nur die Belange des Bedrohten, sondern auch des Drohenden zu berücksichtigen sind (vgl. B G H 25, 2 1 7 , 2 2 1 ; für nicht vermögensrechtliche Ansprüche B G H 2, 287, 295; s. aber auch schon R G 102, 3 1 1 ; 1 1 2 , 228; 166,44). So besteht zwar kein Rechtsanspruch auf Abschluß eines Vergleichs. Gleichwohl ist eine Drohung mit erlaubten Mitteln mit dem Ziel, den Bedrohten zum Abschluß eines Vergleiches zu bestimmen, nicht rechtswidrig, da regelmäßig ein berechtigtes Interesse des Drohenden am Zustandekommen eines Vergleiches bestehen wird. Eine Rechtswidrigkeit kann hier nur in Frage kommen, wenn der Drohende angenommen hat oder hätte annehmen müssen, daß ihm ein Anspruch auf die Forderung, die Gegenstand des Vergleiches sein soll, nicht zusteht (RG 1 1 0 , 384; 1 1 2 , 226; R G L Z 1930, 1087 u. 1236).

A n m . 25 Hinsichtlich der inneren Einstellung des Drohenden genügt, daß er die Absicht hat, die Erklärung dem anderen abzuzwingen und daß er sich bewußt ist, daß sein Verhalten geeignet ist, den Willen des Gegners in unzulässiger Weise zu beeinflussen (RG 104, 108; 108, 102; 1 1 2 , 228; R G J W 1 9 1 3 , 1 0 3 3 ; R G Gruchot 55, 626; R G L Z 1926, 324; R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 186; 1927 Nr. 75; 1937 Nr. 29 u. 45; R G H R R 1933 Nr. 467, Nr. 1829; R G Z A k D R 1941, 34). Nicht erforderlich ist, daß er das Bewußtsein von der Widerrechtlichkeit seiner Drohung hatte (RG 104, 79; 108, 102, 104). Das Gesetz will nicht die Handlungsweise des Drohenden „bestrafen", sondern die freie Willensentschließung des Bedrohten schützen. Eine Widerrechtlichkeit muß angenommen werden, wenn der Drohende die Tatsachen kennt oder kennen mußte, die seiner Drohung den sittlich anstößigen Charakter geben. Dabei ist die schuldhafte Unkenntnis dem Wissen gleichzusetzen ( B G H N J W 1957, 1796). Der Tatbestand des § 123 ist jedoch nicht erfüllt, wenn der Drohende bei seiner Drohung u n v e r s c h u l d e t von einem Sachverhalt ausgeht, der sein Verhalten als zulässig erscheinen lassen würde ( B G H 25, 2 1 7 , 224), insbesondere wenn der Drohende überzeugt war und überzeugt sein durfte, daß er einen Anspruch auf den erstrebten Erfolg habe (str. R G 108, 102; R G H R R 1933, 1828). Die Rechtswidrigkeit der Drohung wird dagegen durch eine falsche r e c h t l i c h e W e r t u n g des Sachverhaltes nicht ausgeschlossen ( B G H 25, 2 2 5 ; B G H S t 3, 105, 106 ff).

A n m . 26 Vorausgesetzt wird auch nicht, daß der Drohende die Ankündigung des Übels e r n s t h a f t will und ausführen kann (RG WarnRspr 1937 Nr. 45). Der Bedrohte muß aber die Ernstlichkeit und Ausführbarkeit des angedrohten Übels angenommen haben, da er andernfalls nicht durch die Bedrohung zur Abgabe seiner Willenserklärung b e s t i m m t worden sein konnte (RG WarnRspr 1937 Nr. 29).

A n m . 27 IV. Täuschung oder Drohung durch Dritte I m F a l l e d e r D r o h u n g ist es für das Anfechtungsrecht gleichgültig, wer die Willenserklärung erzwungen hat, ob also der Erklärungsempfänger oder ein Dritter

363

§ 123 Anm. 28—30

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

( R G SeuffArch 90 Nr. 80; R G WarnRspr 1937 Nr. 4 5 ; auch O G H S J Z 49, 470). Deshalb können auch Kollektivdrohungen, wie etwa bei der Judenverfolgung, zur Anfechtung berechtigen. Soweit hier die Rückerstattungsgesetze als Sondergesetze eingreifen, ist die Anwendung von § 1 2 3 ausgeschlossen ( B G H 10, 340).

Anm. 28 I m F a l l e d e r T ä u s c h u n g besteht das Anfechtungsrecht g e g e n ü b e r d e m E r k l ä r u n g s e m p f ä n g e r , wenn n i c h t dieser selbst der Täuschende war, nur dann, wenn er die durch den Dritten verübte Täuschung (und deren Ursächlichkeit für die Abgabe der Erklärung, R G 134, 43) kannte o d e r nur aus Fahrlässigkeit nicht gekannt hat (§ 122 Abs. 2). Dies gilt jedoch nach dem Gesetzeswortlaut nur bei e m p f a n g s -

bedürftigen Willenserklärungen (Anm. 1 vor § 116).

Gegenüber einem Dritten, der nicht e m p f a n g s b e r e c h t i g t e r Erklärungsgegner

ist, besteht das Anfechtungsrecht unter der Voraussetzung, daß der Dritte aus der dem Erklärungsgegner gegenüber abgegebenen Erklärung u n m i t t e l b a r selbst ein Recht erworben hat, und weiter, daß er die Täuschung kannte o d e r nur aus Fahrlässigkeit

nicht gekannt hat. Bei einseitigen nicht empfangsbedürftigen Rechtsgeschäften,

wie bei der Auslobung oder der Anerkennung der Vaterschaft nach § 1 7 1 8 , ist n u r der Abs. 1 des § 1 2 3 anwendbar ( R G 58, 352).

Anm. 29 1. Dritter im Sinne von § 123 Abs. 2 a) Allgemeines Die Frage, wer Dritter im Sinne dieser Bestimmung ist, ist umstritten. I m Schrifttum wird teilweise die Auffassung vertreten, als „ D r i t t e r " könne nur ein beim Zustandekommen des Geschäftes völlig „ U n b e t e i l i g t e r " verstanden werden. Das Reichsgericht hat dagegen den Begriff des „ D r i t t e n " enger umgrenzt, und beispielsweise einen das Geschäft bloß v e r m i t t e l n d e n M a k l e r als „Dritten" im Sinne von § 1 2 3 Abs. 2 angesehen ( R G 101, 9 7 f f ) . Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung B G H 20, 36, 40 ausdrücklich dahingestellt gelassen, ob und inwieweit der Rechtsprechung de& Reichsgerichts über den Sonderfall des Vermittlungsmaklers zu folgen ist. In dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof bei einem von einem Kreditinstitut finanzierten Warenkauf den V e r k ä u f e r n i c h t als Dritten angesehen, soweit es sich um die Erklärungen des Käufers für das Darlehnsgeschäft handelte. Es hat deshalb die Anfechtung des Antrags des Käufers auf Bewilligung eines Kaufkredites wegen arglistiger Täuschung durch den Verkäufer gemäß § 123 A b s . 1 durchgreifen lassen. Hierbei ist als entscheidend angesehen worden, daß der Darlehnsgeber es dem Verkäufer nach der ganzen Handhabung des Geschäftes ermöglicht hatte, nach außen so aufzutreten, daß mindestens der Eindruck entstehen mußte und entstanden ist, der Darlehnsgeber habe dem Verkäufer sein Vertrauen geschenkt und werde auch für dessen Verhalten bei A b schluß des Darlehnsvertrags voll einstehen ( B G H 20, 4 1 ) . Ganz allgemein wird davon auszugehen sein, daß sich der Erklärungsempfänger als Anfechtungsgegner die Täuschungshandlung aller derjenigen Personen unmittelbar zurechnen lassen muß, die der Getäuschte nach ihrer Stellung zum Erklärungsempfänger und nach den Anschauungen des Verkehrs als dessen Vertreter ansehen durfte, und auch derjenigen Personen, deren sich der Erklärungsempfänger zur Erledigung seiner Geschäfte bestimmungsgemäß bedient, auch wenn ein wirkliches Vollmachtsverhältnis nicht besteht. Dahin gehören Angestellte eines Kaufmanns, wie etwa auch ein Hausverwalter, soweit sie zur Erledigung der Geschäfte des Erklärungsempfängers von diesem bestellt waren. Diese Annahme ist im Interesse der Verkehrssicherheit geboten und entspricht der Billigkeit.

Anm. 30 b) Einzelfälle Beteiligt und daher auch nicht Dritter im Sinne der Bestimmung ist der r e c h t s g e s c h ä f t l i c h e o d e r g e s e t z l i c h e V e r t r e t e r des Erklärungsempfängers ( R G 76,.

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Willenserklärung

§123

A n m . 31, 32 109; R G WarnRspr 1910 Nr. 405; R G H R R 1935 Nr. 324). Hat der gesetzliche oder rechtsgeschäftliche Vertreter den Vertragsgegner arglistig getäuscht, so muß sich der Erklärungsempfänger dieses Verhalten unmittelbar zurechnen lassen. Der Getäuschte kann seine Erklärung ohne Rücksicht darauf, ob der Erklärungsempfänger die Täuschung kannte, gem. § 123 Abs. 1 anfechten und zwar auch dann, wenn der Vertretene gutgläubig war (RG 72, 1 3 3 ; 76, 107). Dies trifft auch dann zu, wenn bei einem Kaufvertrag der Täuschende nur dahin mit der Vertretung der einen Vertragspartei betraut war, daß er (mündlich) die Bedingungen des Vertrags zu vereinbaren hatte, daß aber die Bindung des Vertretenen demnächst von seiner eigenen Genehmigung abhängen sollte. War in diesem Falle die andere Vertragspartei an die getroffenen Abreden ihrerseits gebunden, dann ist für sie der Vertrag gemäß § 123 Abs. 1 auch dann anfechtbar, wenn der Vertrag demnächst durch den Gegner selbst oder durch einen andern Vertreter noch förmlich zum Abschluss gebracht worden ist. Dagegen ist als Dritter im Sinne von § 123 Abs. 2 anzusehen, wer nur mit der V o r b e r e i t u n g des Vertragsabschlusses, etwa mit der Ermittlung des Vertragspartners beauftragt war (RG 72, 1 3 3 ; 1 0 1 , 97; R G WarnRspr 1909 Nr. 178; 1 9 1 5 Nr. 198; R G H R R 1929 Nr. 595; 1935 Nr. 324; R G SeuffArch 91 Nr. 40). Wegen des Vermittlungsmaklers vgl. R G 101, 98 und Anm. 29. Der A g e n t e i n e r V e r s i c h e r u n g s g e s e l l s c h a f t ist nach § 43 V V G Vertreter des Versicherers und daher nicht Dritter (vgl. R G 46, 184; 73, 302; R G J W 1 9 1 3 , 542; 1928 1740; R G WarnRspr 1 9 1 7 Nr. 237), ebenso nicht der S t r o h m a n n einer Vertragspartei (RG HansGZ 1934 B 687). Der V e r k a u f e i n e s e i g e n e n G e s c h ä f t s a n t e i l s durch eine G m b H ist wegen einer von ihrem G e s c h ä f t s f ü h r e r verübten arglistigen Täuschung ihr gegenüber anfechtbar ( R G 68, 309). Der Empfänger von B e s t e c h u n g s g e l d e r n kann Dritter im Sinne von § 123 Abs. 2 sein (vgl. R G 86, 146; 107, 208; 134, 43). Der Auftraggeber kann eine Provisionsvereinbarung anfechten, wenn der Makler dem Bevollmächtigten des Auftraggebers einen Teil der Provision versprochen hat (RG WarnRspr 1927 Nr. 178). A n m . 31 2. § 123 A b s . 2 S . 2 Hat ein anderer als der Erklärungsempfänger aus der Willenserklärung unmittelbar Rechte erworben, so kann, wenn die Täuschung von einem Unbeteiligten verübt wurde, die Willenserklärung dem Begünstigten gegenüber angefochten werden, wenn er zur Zeit des Vertragsschlusses die Täuschung kannte oder kennen mußte. In Betracht kommen z.B. Verträge zugunsten Dritter (§328), Schuldübernahme, ferner § 2 8 H G B . Ob beim Bürgschaftsvertrag der Schuldner Dritter im Sinne von Abs. 2 S. 2 ist, hängt von der Stellung ab, die er im Verhältnis zwischen dem Gläubiger und dem Bürgen vor der Bürgschaftsübernahme im einzelnen Fall gehabt hat (RG WarnRspr 1936 Nr. 5 7 ; vgl. im einzelnen § 765 Anm. 4). Die Übertragung eines Rechts auf einen Treuhänder mit der Bestimmung, daß ein Dritter unmittelbar einen Anspruch auf Überlassung des Treuguts haben soll, kann von dem Übertragenden gegenüber dem Dritten angefochten werden, wenn dieser den Ubertragenden getäuscht hat. Die Gutgläubigkeit des Treuhänders schließt die Anfechtung nicht aus (RG 156, 328). Über die Anwendung des Abs. 2 S. 2 auf die Haftung aus § 25 H G B nach erfolgreicher Anfechtung des Grundgeschäfts durch den Erwerber, falls Altgläubiger den Anfechtungsgrund kannte oder kennen mußte, vgl. R G 149, 25. Ist in einem Kaufvertrag nur bestimmt, daß ein Teil des Kaufpreises an einen Dritten zu zahlen sei, so hat dieser nicht im Sinne des § 123 Abs. 2 ein Recht unmittelbar aus der Erklärung erworben, mag er auch sonst an dem Vertrag beteiligt sein ( R G 12. 12. 1927 V I 234/27). A n m . 32 V. U r s ä c h l i c h e r Z u s a m m e n h a n g zwischen Willenserklärung und T ä u s c h u n g oder Drohung Täuschung oder Drohung müssen für die Willenserklärung des Anfechtenden u r s ä c h l i c h gewesen sein, m. a. W. die Willenserklärung müßte ohne die unzulässige

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§123

A n m . 33—35

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Beeinflussung der Entschließungsfreiheit entweder überhaupt nicht oder nicht zu der Zeit, wie geschehen, oder anders abgegeben worden sein ( R G 59, 3 5 1 ; 134, 5 1 ; R G J W 1909, 16; 1 9 1 1 , 275; R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 186; B G H 2, 299). Ein Ursachenzusammenhang ist auch gegeben, wenn sich der Anfechtende ohne die unzulässige Willensbeeinflussung zum Abschluß des Vertrages nur unter anderen, ihm günstigeren Bedingungen, etwa zu einem geringeren Kaufpreis verstanden haben würde (RG J W 1 9 1 1 , 275; R G WarnRspr 1910 Nr. 3 1 4 ; 1 9 1 2 Nr. 292; 1918 Nr. 1 8 1 ) . Im Gegensatz zu der Anfechtung nach § 1 1 9 kommt es aber nur darauf an, wie der Erklärende ohne die Willensbeeinflussung w i r k l i c h gehandelt hätte, nicht dagegen ist maßgebend, wie er bei v e r s t ä n d i g e r W ü r d i g u n g des Falles hätte handeln müssen ( R G 8 1 , 16). Im Fall einer Willensbeeinflussung durch D r o h u n g ist nicht entscheidend, ob die Drohung objektiv geeignet war, einen besonnenen und standhaften Menschen in Furcht zu versetzen. Es genügt für die Anfechtbarkeit vielmehr, daß der Bedrohte subjektiv durch die Drohung in seiner Willensfreiheit beeinflußt worden ist, was von den persönlichen Verhältnissen und Eigenschaften des Bedrohten abhängen kann. Nicht erforderlich ist, daß Täuschung oder Drohung die e i n z i g e n U r s a c h e n für die Willenserklärung gewesen sind. Es genügt, daß sie neben anderen Beweggründen für ihre Abgabe m i t b e s t i m m e n d waren ( B G H 2, 299; R G 77, 3 1 4 ; R G WarnRspr 1933 Nr. 144; 1937 Nr. 45; R G SeuffArch 84 Nr. 190). Ein arglistiges Verhalten, das ohne Einfluß auf die Entschließung des Erklärenden geblieben ist, ist bedeutungslos (RG WarnRspr 1908 Nr. 186). Ein ursächlicher Zusammenhang ist daher zu verneinen, wenn jemand bei Abschluß eines Vergleichs mit der Möglichkeit einer Täuschung gerechnet, ohne Rücksicht auf den Umfang der Täuschung aber den Vergleich abgeschlossen hat. Hat er aber nur mit einer Täuschung in bestimmtem Ausmaß gerechnet, so ist ein Kausalzusammenhang zu bejahen, wenn sich später Täuschungen in einem erheblich größeren Umfange herausstellen ( B G H L M Nr. 4 zu § 123). A n m . 33 Unerheblich für die Anfechtbarkeit ist, ob der Erklärende einen V e r m ö g e n s s c h a d e n erlitten hat. Es genügt vielmehr, daß die Täuschung oder die Drohung für die Abgabe der Willenserklärung ursächlich waren (RG SeuffArch 79 Nr. 199; R G WarnRspr 1935 Nr. 1 7 ; R G J W 1938, 2007). Anm. 34 VI. Folgen der Anfechtung Die Anfechtung bewirkt die Nichtigkeit des Rechtsgeschäftes von Anfang an und gegenüber jedermann (§ 142). Ob bei einer teilweisen Anfechtung das gesamte Rechtsgeschäft nichtig ist, ist nach § 139 zu beurteilen (RG 69, 187). Sind an einem anfechtbaren Rechtsgeschäft mehrere beteiligt, so ist es nicht erforderlich, daß die Anfechtung von allen gegenüber allen erklärt wird. Die Anfechtenden bzw. die Anfechtungsgegner sind keine notwendigen Streitgenossen (RG 65, 405). Auch öffentlich rechtliche, von Privatpersonen abgegebene Erklärungen, können grundsätzlich wegen, arglistiger Täuschung angefochten werden (RG 134? BGH 6, 348). Anm. 35 1. A n s p r ü c h e aus ungerechtfertigter B e r e i c h e r u n g Da durch die Anfechtung das Rechtsgeschäft rückwirkend vernichtet wird, kann jeder Teil die von ihm erbrachten Leistungen nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung herausverlangen. Ein Anspruch auf Rückgewähr der empfangenen Leistungen wie im Fall des Rücktritts gemäß § 346 soll hier dagegen nicht bestehen. Demnach ist das Rückforderungsrecht des Anspruchsberechtigten auch nicht dadurch bedingt, daß er zur Rückgabe des Empfangenen imstande ist. Der Fall einer Zug-um-Zug-Leistung, wie beim Rücktritt und bei der Wandlung, liegt hier nicht vor ( R G 59, 93; R G WarnRspr 1 9 1 0 Nr. 3 1 5 und 406). Dem Anfechtungsgegner steht somit auch nicht die Einrede zu, daß die Verpflichtung des Berechtigten, das seinerseits

366

Willenserklärung

§123

Anm. 36—38 grundlos Erlangte zurückzugeben, unmöglich geworden sei ( R G J W 1910, 799). I m Falle der arglistigen Täuschung ist anerkannt, daß der Anfechtungsberechtigte seinen Bereicherungsanspruch ohne Abzug auf das von ihm Geleistete richten darf und es dem Gegner überlassen kann, seinerseits die ihm aus seinen Gegenleistungen zustehenden Bereicherungsrechte geltend zu machen ( R G J W 1936, 1950; R G SeufFArch 88 Nr. 84).

Anm. 36 2. Ansprüche auf Schadensersatz Arglistige Täuschung und Drohung können Schadensersatzansprüche begründen. Diese entstehen aber nur, wenn der Tatbestand einer unerlaubten Handlung erfüllt ist (§§ 823, 826) oder wenn die Voraussetzungen für einen Anspruch aus § 463 gegeben sind.

Anm. 37 a) Deliktansprüche aa) Negatives Interesse Der Täuschende oder Drohende kann sich schadensersatzpflichtig machen, wenn er in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise mit dem Vorsatz, den anderen zu schädigen, handelt (§ 826). Die Schadensersatzpflicht kann sich aber auch aus § 823 Abs. 2 ergeben, wenn der Täter mit der arglistigen Täuschung oder Drohung zugleich strafrechtliche Tatbestände wie z. B. Nötigung, Betrug oder Erpressung erfüllt. Der U m f a n g des Schadensersatzanspruches bestimmt sich nach § 249. Der Anfechtungsberechtigte (Getäuschte, Bedrohte) kann grundsätzlich nur Herstellung des Zustandes fordern, der bestehen würde, wenn der Betrug oder die Drohung nicht erfolgt wäre. E r kann also nur verlangen, daß er in die wirtschaftliche L a g e versetzt wird, in der er sich ohne die unerlaubte Handlung befinden würde. Er hat somit grundsätzlich nur Anspruch auf das n e g a t i v e I n t e r e s s e . Dieser Anspruch ist ausreichend, ihn so zu stellen, wie er gestanden hätte, wenn er den Vertrag nicht abgeschlossen haben würde ( R G 96, 1 5 8 ; 103, 49; 1 3 2 , 76; R G J W 1 9 1 2 , 1 3 7 ; R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 292). Der Anfechtende darf deshalb Ansprüche nicht erheben, die das Bestehen des Vertrages voraussetzen oder die gegeben wären, wenn das Bestehen eines Vertrages anderen Inhalts unterstellt würde ( R G 74, 1 ; 103, 49; R G WarnRspr 1934 Nr. 149). Das negative Interesse des Käufers eines Grundstücks umfaßt auch diejenige Einbuße, die er infolge der Bewirtschaftung des Grundstücks während der Zeit seit der Anfechtung und seit der Geltendmachung des Anspruchs auf Rücknahme bis zu dessen Rückgabe erleidet, da der ursächliche Zusammenhang zwischen dieser Einbuße und dem Betrug durch die bloße Befugnis des Käufers aus § 303, sich einseitig des Besitzes zu entledigen, nicht beseitigt wird ( R G 2. 11. 1921 V 239/21).

Anm. 38 bb) Positives Interesse Grundsätzlich ist die Geltendmachung eines Ersatzanspruches nicht davon abhängig, daß der Geschädigte den Vertrag anficht ( R G 103, 159). Bei Aufrechterhaitung des Vertrages (unverändert also mit allen seinen Bestimmungen) wird aber ein Anspruch auf Geldersatz nur ausnahmsweise gegeben sein, weil der Grundsatz des § 249 S. 1 von der Naturalherstellung auch jetzt Platz greifen müßte und die Anwendung dieses Grundsatzes an sich gerade nur zur Beseitigung des Vertrages zu führen hätte

(RG 83, 246; R G J W 1910, 934; R G WarnRspr 1911 Nr. 120; 1915 Nr. 230; 1918

Nr. 1 8 1 ) . Unter bes. Umständen kann jedoch die Anwendung des Grundsatzes von der Naturalherstellung auch den Anspruch auf Entschädigung in Geld oder auf das positive Erfüllungsinteresse ergeben (streitig). Dies ist dann der Fall, wenn der Geschädigte nachweisen kann, daß der Vertrag auch dann zustande gekommen wäre, insbesondere ein K a u f , wenn der andere Teil sich redlich verhalten, also die Wahrheit gekannt oder die Drohung unterlassen hätte, und zwar diesfalls unter f ü r den Geschädigten günstigeren Bedingungen. Ist beispielsweise e i n K ä u f e r durch die Täuschung bewogen worden, einen Preis zu bewilligen, den er in dieser Höhe nicht bewilligt haben

367

§123 Anm. 39—41

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

würde, falls der Betrug nicht vorgefallen wäre, dann kann er bei Aufrechterhaltung des Vertrags Erstattung des angeblich zuviel bezahlten Betrags (oder Minderung des Preises) unter der Voraussetzung verlangen, daß er n a c h w e i s t , der K a u f w ü r d e , falls die Täuschung nicht vorgefallen wäre, der Verkäufer vielmehr sich redlich verhalten hätte, a u c h zu der g ü n s t i g e r e n B e d i n g u n g z u s t a n d e gekommen sein ( R G 83, 246; R G WarnRspr igio Nr. 383; 1915 Nr. 230; 1918 Nr. 1 8 1 ; R G Gruchot 55, 350; R G L Z 1912, 373). Anderseits kann a u c h der V e r k ä u f e r unter den entsprechenden Umständen Geldentschädigung fordern. So auch im Falle des Nachweises (§ 287 ZPO), daß er ohne den Betrug des Käufers, der ihm betrügerisch minderwertige oder wertlose Hypotheken in Zahlung gegeben hat, vom Verkauf Abstand genommen und alsdann Gelegenheit gehabt hatte, sein Grundstück anderweit unter günstigeren Bedingungen zu verkaufen ( R G 83, 245). Der Anfechtende kann s o d a n n das p o s i t i v e E r f ü l l u n g s i n t e r e s s e f o r d e r n i n s b e s o n d e r e im F a l l e a r g l i s t i g e r V e r l e t z u n g der O f f e n b a r u n g s p f l i c h t (Anm. 10), wenn sich diese Pflichtverletzung noch bei der Vertragserfüllung äußerte ( R G J W 1912,743); oder wenn anzunehmen ist, daß einem Unternehmer etwa im Falle redlicher Offenbarung höhere Preise bewilligt worden wären ( R G 95, 59). Im allgemeinen ist somit zu sagen, daß das positive Erfüllungsinteresse immer dann zuzusprechen ist, wenn dem Berechtigten ohne das schuldhafte Verhalten des Gegners ein entsprechender Erfüllungsanspruch zugestanden hätte ( R G 103, 47; R G H R R 1936 Nr. 180). Zu beachten ist im übrigen in allen derartigen Fällen, daß eine Schädigung des Käufers oder Verkäufers überhaupt nicht in Frage kommen kann, wenn die empfangene Leistung ihrem allgemeinen Werte nach den Wert der gegebenen Leistung völlig erreicht, so daß eine Vermögensminderung überhaupt nicht eingetreten wäre ( R G 83, 246; Beschluß der Vereinigten Strafsenate R G S t 16, 1). Anm. 39 b) Mitwirkung eines Dritten bei der unerlaubten Handlung Hat ein Dritter bei dem Betrug, den eine Vertragspartei beim Vertragsabschluß mit der Folge verübte, daß sie zum Ersätze des positiven Schadens verpflichtet worden, mitgewirkt, so haftet er ebenfalls darauf, sofern er als Mittäter oder Gehilfe der Vertragspartei anzusehen war, da hier dem Rechtsgedanken der §§ 830, 840 Raum zu geben ist ( R G 103, 157). Anders dieser Fall, als wenn der Dritte den Betrug alleine verübt hat ( R G 61, 250). Anm. 40 Wegen der Ansprüche bei arglistigem Vorspiegeln oder Verschweigen von Eigenschaften der Kaufsache vgl. Anm. 10 ff zu §463. Anm. 41 VII. Beweislast Der Anfechtungskläger hat die volle Beweislast (RG 81, 1 3 ; R G WarnRspr 1928 Nr. 119), und zwar auch für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Täuschung und Vertragsabschluß. Die Frage, ob eine arglistige Täuschung für den Willensentschluß eines anderen Menschen ursächlich gewesen ist, ist von zahlreichen individuellen Umständen abhängig. Allgemeine Beweisregeln lassen sich deshalb nicht aufstellen ( B G H L M Nr. 14 zu § 123; Nr. 11 zu § 286 [C] ZPO; B G H 10.4.1958 I I Z R 324/58). Ein Beweis des ersten Anscheins für den ursächlichen Zusammenhang kommt nicht in Betracht ( a A B G H L M Nr. 16 zu § 123). So besteht z.B. kein allg. Erfahrungssatz, daß ein Versicherungsnehmer, der Antragsfragen bewußt unrichtig beantwortet, regelmäßig auch mit Arglist in bezug auf die Willensbildung des Versicherers gehandelt hat ( B G H L M Nr. 14 zu § 123). In R G 4. 6. 1913 V 54/13 ist angenommen worden, daß, wenn der Kläger arglistiges Verschweigen eines Sachmangels dem Beklagten zum Vorwurf macht und der Beklagte demgegenüber behauptet, daß er dem Kläger den Mangel bei bestimmter Gelegenheit angezeigt habe, der Kläger grundsätzlich auch die Unrichtigkeit dieser Tatsache zu beweisen habe; es sei denn, daß das Gericht bereits die Uberzeugung erlangt hätte, daß der Beklagte sich der ihm vorgeworfenen Arglist

368

Willenserklärung

§ 123 A n m . 42 § 124 A n m . 1

wirklich schuldig gemacht habe. Diese Annahme ist folgerichtig; doch kann ihre strenge Anwendung bedenklich sein, sofern es der Beklagte in der Hand hätte, dem Kläger willkürlich einen unter Umständen kaum zu erbringenden Beweis aufzunötigen. Nach R G 21. 4. 1915 V 534/14 muß der Kläger, der wegen arglistiger Verletzung der Offenbarungspflicht anficht, beweisen, daß die Mitteilung nicht gemacht worden ist, dies freilich nur unter der Voraussetzung, daß der Gegner die bestimmte Behauptung aufgestellt hat, daß er und bei welcher Gelegenheit er die Mitteilung gemacht habe. Nach R G 14.1.1918 IV351/17 und RGJW1918,814 darfjedoch der Beweis der Negative nicht zu schwer gemacht werden, es kann daher für die Beweispflicht schon genügen, wenn derjenige, der eine gegenteilig behauptete positive Tatsache zu widerlegen hat, die etwaigen Umstände widerlegt, die für das Vorhandensein jener Tatsache sprechen könnten. A n m . 42 VIII. Anwendungsgebiet Sonderbestimmungen gelten im Falle der Stellvertretung (§ 166) bei der Eheschließung (§§ 33, 34 EheG) bei letztwilligen Verfügungen (§ 2078), bei Erbverträgen (§ 2281). Wegen der Anfechtung der Anerkennung der Vaterschaft zu einem unehelichen Kind s. § 1718. Ist der Erfüllungsort im Ausland gelegen, dann ist für die Anfechtung des Vertrags und die sich daraus ergebenden Folgen das fremde Recht maßgebend (RG 78, 55). Uber die Anwendung des § 123 bei offentl.-rechtl. Willenserklärungen vgl. Anm. 12 vor § 116. Ob ein P r o z e ß v e r g l e i c h gem. § 123 anfechtbar ist, kann durch Fortsetzung des bisherigen Rechtsstreits geklärt werden, sofern durch die Geltendmachung der Anfechtbarkeit die Beendigung des Rechtsstreits in Frage gestellt wird (BGH 28, 171 = NJW 1958, 1970).

§134 Die Anfechtung einer n a c h § 123 anfechtbaren Willenserklärung kann nur binnen Jahresfrist erfolgen. Die Frist beginnt i m Falle der arglistigen Täuschung m i t d e m Zeitpunkt, i n welchem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt, i m Falle der Drohung m i t d e m Zeitpunkt, in w e l c h e m die Zwangslage aufhört. Auf den Lauf der Frist finden die für die Verjährung geltenden Vorschriften des § 203 Abs. 2 und d e r § § 206, 207 entsprechende Anwendung. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung dreißig Jahre verstrichen sind. E I 104 II 99; M I 204fr; P I i2off; 6 129, 29off.

Ubersicht I. II. III. IV. V.

Die Anfechtungsfrist Beginn der Frist Einreden nach Ablauf der Anfechtungsfrist Sonderbestimmungen Beweislast

Anm.

i 2—4 5 6 7

Anm. 1 I. Die Anfechtungsfrist Der Anfechtungsberechtigte ist im Falle des § 123 besser gestellt als in den Fällen der §§ 119, 120. Im Fall des § 123 braucht die Anfechtung nicht „unverzüglich" erklärt zu werden, die Anfechtungsfrist beträgt hier vielmehr ein Jahr. Im Gegensatz zu § 121 Abs. 1, S. 2 ist diese Frist aber nicht schon gewahrt, wenn die Anfechtungserklärung rechtzeitig a b g e g e b e n ist, sondern nur dann, wenn sie dem Anfechtungsgegner rechtzeitig z u g e g a n g e n ist (§ 130).

369

§124

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 2—5 Die einjährige Frist ist keine Verjährungsfrist, sondern eine A u s s c h l u ß f r i s t . Uber Fristberechnung vgl. § i 8 6 f f . Auf sie finden z u g u n s t e n d e s A n f e c h t u n g s b e r e c h t i g t e n d i e G r u n d s ä t z e d e r V e r j ä h r u n g A n w e n d u n g , soweit es sich um Hemmung der Verjährung durch höhere Gewalt (§ 203, Abs. 2) und um die Hinderung des Ablaufs der Frist bei Geschäftsunfähigen und in der Geschäftsfähigkeit Beschränkten (§ 206) handelt, sowie in Ansehung von Ansprüchen, die zu einem Nachlaß gehören oder sich gegen einen solchen richten (§ 207).

Anm. 2 II. Beginn der Frist I m Falle der a r g l i s t i g e n T ä u s c h u n g beginnt die Frist mit dem Zeitpunkt, in dem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt, mithin sowohl die objektive U n richtigkeit der bestimmenden Tatsache, wie auch die subjektive Voraussetzung der Täuschungsabsicht, also auch die Arglist erkannt hat ( R G 65, g8; 59, 94; R G J W 1907, 1 6 5 ; 1936, 1950); dagegen nicht schon in dem Zeitpunkt, in dem er die Täuschung zu vermuten beginnt ( R G J W 1 9 1 1 , 648; 1936, 1950; R G H R R 1938 Nr. 1004). A u c h Nichtkennen aus Fahrlässigkeit kommt nicht in Betracht. Derjenige, der sich der arglistigen Täuschung eines anderen schuldig gemacht hat, kann auch nicht verlangen, daß der andere auf bloße Verdachtsgründe hin Nachforschungen zur Erlangung wirklicher Kenntnis anstellt ( R G J W 1936, 1950). Nach dem Wortlaut des Gesetzes beginnt die Frist mit der Kenntnis, daher aber nicht erst mit Beschaffung der nötigen Beweismittel.

Anm. 3 I m Falle der D r o h u n g beginnt die Frist mit dem Zeitpunkt, in dem die Zwangslage aufhört. Die Wirkung der Drohung darf also nicht mehr fortdauern, dem Bedrohten muß die Furcht vor dem angedrohten Übel bereits entschwunden sein ( R G J W 1 9 1 8 , 3 1 ) . Das träfe beispielsweise schon dann zu, wenn eine angedrohte Strafanzeige bereits von anderer Seite erfolgt oder sonst ein Umstand eingetreten wäre, der dem Bedrohten die Furcht vor dem ihm jetzt angedrohten Übel benahm ( R G 60, 373). Keinesfalls genügt es aber, nur die allgemeinen Anschauungen vernünftiger Leute heranzuziehen; ob die Zwangslage aufgehört hat, läßt sich nur unter Berücksichtigung der Eigenart des Bedrohten, seiner Persönlichkeit und seines Verhaltens feststellen ( R G J W 1929, 242).

Anm. 4 Die Anfechtungsfrist nach der Kollektivdrohung gegen die J u d e n begann am 8. 5. 1945 (Halle J R 1949, 220).

Anm. 5 III. Einreden nach Ablauf der Anfechtungsfrist Der Ablauf der Anfechtungsfrist schließt w e d e r d i e E i n r e d e d e s § 8 5 3 n o c h (entgegen R G 63, 270) d e n A n s p r u c h a u f H e r s t e l l u n g d e s f r ü h e r e n Z u s t a n d e s unter dem Gesichtspunkte des S c h a d e n s e r s a t z e s gemäß §§826, 249 a u s . Stehen nämlich dem Anfechtungsberechtigten zwei selbständige Rechtsbehelfe zur Seite, von denen jeder auf einem besondern Rechtsgrund beruht, so ist nicht ersichtlich, weshalb die Verwirkung des einen Rechtsbehelfs zugleich den Untergang des andern zur Folge haben müßte (vgl. § 262). Es ist auch nicht einmal richtig, daß die Ergebnisse der Anfechtung mit denen aus § 249 sich decken: im Falle der Anfechtung tritt unbedingte Nichtigkeit von Anfang an ohne weiteres ein, gemäß § 249 dagegen bestünde nur die schuldrechtliche Verpflichtung, den früheren Zustand wiederherzustellen. Das Ergebnis der Entscheidung R G 63, 270 würde nur zu einer unangebrachten Bevorzugung des Schädigers führen. Ubereinstimmend R G 70, 197; 79, 1 9 7 ; 84, 1 3 1 ; 130, 2 1 5 ; R G J W 1 9 1 8 , 8 1 5 ; 1928, 2972. Jedenfalls verbleibt dem Anfechtungsberechtigten auch nach Ablauf der Anfechtungsfrist des § 124 die Einrede der Arglist oder der Drohung zumindest in der Form der Einrede der unzulässigen Rechtsausübung (vgl. hierüber Anm. 7 — 1 1 zu § 125).

370

Willenserklärung

§ 124 A n m . 6, 7 §125

Die Partei, die sich dieser Einrede bedienen will, muß mit Deutlichkeit ihren Willen zum Ausdruck bringen, daß sie den von ihr beanstandeten Vertrag auflösen will. Will sie die Einrede benutzen, sich gegenüber dem Gegner ihren Vertragspflichten zu entziehen, ohne ihrerseits die Pflicht zur Rückgewähr aus dem Vertrag erlangter Vorteile anzuerkennen, so steht ihrer Arglisteinrede die Replik der eigenen Arglist entgegen (RG 6o, 2g4; 130, 215). Daß die Fristversäumnis Ersatzansprüche anderer Art als den auf Herstellung des früheren Zustandes unberührt läßt, verneint auch das Urteil RG 63, 270 nicht. Anm. 6 IV. Sonderbestimmungen Sonderbestimmungen gelten bei der Ehe (vgl. § 35 EheG), ferner bei Anfechtung der Verfügungen von Todes wegen (§§ 2082, 2283), der Erbschaftsannahme und der Erbschaftsausschlagung (§ 1954). Anm. 7 V. Beweislast Der Anfechtungsgegner hat zu beweisen, daß die Anfechtung nicht rechtzeitig erfolgt ist (RG WarnRspr 1911 Nr. 361; RG Gruchot 48, 334).

§135 Ein Rechtsgeschäft, welches der durch Gesetz vorgeschriebenen F o r m ermangelt, ist nichtig. Der Mangel der durch Rechtsgeschäft b e s t i m m t e n F o r m hat i m Zweifel gleichfalls Nichtigkeit zur Folge. E I 9 1 Abs. 2 II 104; M 1 1 7 8 f r ; P 1 8 7 f r ; 6 ijoff.

Übersicht I. Die Nichtigkeit 1. Begriff 2. Wirkungen der Nichtigkeit a) Nebenrechte b) Heilung des Mangels c) Berücksichtigung von Amts wegen d) Geltendmachung durch Dritte 3. Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (Einrede der allgemeinen Arglist) a) Allgemeines b) Einzelfälle c) Rechtsgeschäfte der öffentlichen Verwaltung 4. Folgen der Nichtigkeit a) Ausgleich zwischen den Beteiligten b) Der Bereicherungsanspruch c) Anwendung von § 817, Abs. 2 d) Wirkungen des nichtigen Grundgeschäftes auf das Erfüllungsgeschäft II. Die Form 1. Allgemeines 2. Die Arten der Formen 3. Auslegung formbedürftiger Rechtsgeschäfte III. Die gesetzlichen Formvorschriften 1. Formvorschriften des öffentlichen Rechts 2. Formvorschriften des Privatrechts

Anm.

1—18 1 2—6 3 4 5 6 7—11 7, 8 9, 10 11 12—18 12, 13 14 15 16—18 ig-—21 19 20 21 22—27 23—26 27 371

§125 Anm. 1

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte Anm.

I V . Die gewillkürte, vereinbarte Form 1. Art des Rechtsgeschäftes, das Verabreden der Form zum Gegenstand hat 2. Aufhebung der vereinbarten Form 3. Umfang der verabredeten Form 4. Die Auslegungsregel von § 125 Satz 2

28—32 29 30 31 32

V . Die formlosen Nebenabreden 33—42 1. Die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit 33 2. Ausschluß der Vermutung 34 3. Anderer Inhalt der Urkunde 35 4. Unvollständiger Inhalt der Urkunde 36 5. Die Beweislast 37-—39 a) Die Beweislast für die Gültigkeit von Nebenabreden bei rechtsgeschäftlichem Formzwang 37 b) Beweislast für die Gültigkeit von Nebenabreden bei gesetzlichem Formzwang 38 c) Weitere Einwendungen 39 6. Nichtigkeit wegen mangelnder Form von Nebenabreden 40, 41 7. Nebenabreden bei einseitiger Schriftform 42 V I . Ausnahme von der Nichtigkeitsfolge bei Formmangel, Heilung des Mangels, Umdeutung 43—45 1. Ausnahme von § 125 43 2. Heilung des Formmangels durch Erfüllung 44 3. Umdeutung 45 V I I . Prozeßhandlungen, Prozeßvergleich

46

Anm. 1 I. Die Nichtigkeit 1. Begriff Der Begriff Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts ist im Sinne des BGB f ü r a l l e F ä l l e , in denen er überhaupt in Frage kommt, ein f e s t s t e h e n d e r u n d g l e i c h m ä ß i g e r , mag die Nichtigkeit eintreten aus Gründen, die in der Person des Geschäftsurhebers liegen, insbesondere in seiner Geschäftsunfähigkeit (§§ 104, 105), oder wegen Formmangels (§§ 125fr), wegenScheins (§ 117), wegen des Geschäftsinhalts (§§ 134,138). Es empfiehlt sich daher, die Nichtigkeit und ihre Folgen, soweit angängig, hier erschöpfend zu behandeln. Der Begriff Nichtigkeit, auf ein Rechtsgeschäft angewandt, besagt, daß die r e c h t s g e s c h ä f t l i c h b e a b s i c h t i g t e n F o l g e n wegen des Nichtigkeitsgrundes n i c h t e i n t r e t e n k ö n n e n . Das Rechtsgeschäft wird so behandelt, als sei es überhaupt nicht abgeschlossen worden. Zwar können sich aus dem äußeren Tatbestand des nichtigen Rechtsgeschäfts u. U . Wirkungen ergeben, es können aber niemals die beabsichtigten sein. Das nichtige Rechtsgeschäft ist grundsätzlich einer H e i l u n g nicht fähig. Das Rechtsgeschäft wird insbes. nicht gültig, wenn der Nichtigkeitsgrund später wegfällt. Die beabsichtigten Wirkungen können nur durch die N e u v o r n a h m e des Rechtsgeschäfts herbeigeführt werden (§ 141). Eine „Bestätigung" ist daher nur in der Form einer Neuvornahme möglich. Hierbei müssen alle sachlichen und förmlichen Erfordernisse erfüllt werden (RG 61, 266) und ferner müssen die Beteiligten in Kenntnis der Nichtigkeit handeln (RG 93, 228; 104, 54). Ist nur ein T e i l eines Rechtsgeschäftes nichtig, so ist das ganze Rechtsgeschäft nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, daß es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde (§ 139). 372

Willenserklärung

§125

Anm. 2—6 Anm. 2 2. Wirkungen der Nichtigkeit Die Nichtigkeit wirkt gegenüber jedermann. Nicht nur die Beteiligten, sondern auch Dritte können sich auf die Nichtigkeit berufen. Sie tritt ein, ohne daß es eines besonderen Rechtsaktes bedarf. Aus einem nichtigen Rechtsgeschäft können Ansprüche, die den Bestand des Geschäftes voraussetzen, nicht hergeleitet werden. So können aus einem nichtigen Kaufvertrag keine Ansprüche auf Gewährleistung geltend gemacht werden (RG 7 1 , 433).

Anm. 3 a) Nebenrechte Das nichtige Rechtsgeschäft kann auch nicht als Grundlage für Nebenrechte, wie Bürgschaft, Pfand, Vertragsstrafe (§344) dienen; sowie nicht als Grundlage einer K l a g e bei Nichtigkeit aus § 138, durch die der Erwerber des Grundstücks etwa festgestellt wissen wollte, daß die Kaufgeldforderung nicht bestehe, u m alsdann die K a u f geldhypothek als Eigentümergrundschuld für sich umschreiben zu lassen ( R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 243).

Anm. 4 b) Heilung des Mangels Eine Heilung des Mangels der Nichtigkeit, insbesondere durch Erfüllung, Anerkenntnis oder Vergleich ist g r u n d s ä t z l i c h nicht möglich (vgl. aber Anm. 43—45). Beim Vergleich ist jedoch eine Einschränkung dieses Grundsatzes geboten und zwar mit Rücksicht auf den Zweck des Vergleiches, den Streit beizulegen. Wie in der Rechtsprechung anerkannt ist, kann der Streit über ein Rechtsgeschäft, dessen Nichtigkeit oder Klaglosigkeit behauptet wird, unter Umständen durch Vergleich wirksam beigelegt und dieser Vergleich dann nicht durch die Feststellung entkräftet werden, daß tatsächlich Nichtigkeit oder Klaglosigkeit vorgelegen habe. Vorausgesetzt ist dabei nur, daß die Beteiligten ernstlich über die Gültigkeit gestritten haben, und der Vergleich gerade die Beilegung dieses Streites, nicht etwa anderer Streitpunkte, die auch bei einem gültigen Rechtsgeschäfte vorkommen können, z. B. über das Zustandekommen eines Vertrags und Einzelheiten seines Inhalts, bezweckte ( R G 49, 1 9 2 ; 83, 1 1 0 ; R G J W 1902 Beil. 268 Nr. 1 9 1 ; R G W a r n R s p r 1 9 1 1 N r . 3 8 8 ; 1931 Nr. 58; R G Seuff Arch 85 Nr. 88; R G G r u c h o t 6 7 , 1 7 4 ; R G L Z 1 9 2 1 , 5 7 ; R G Recht 1927 Nr. 5 9 1 ) . Unbedingt nichtig sind aber zweifellos solche Vergleiche, die der Erfüllung des nichtigen Geschäfts dienen sollen ( R G 49,194), oder die auf Aufhebung des nichtigen Rechtsgeschäfts und auf Wiederherstellung des früheren Zustandes gerichtet sind ( R G J W 1 9 0 6 , 3 0 1 ) , und die bezwecken, den Beteiligten so das ohne Rechtsgrund Erlangte zu erhalten, oder ihnen noch ausstehende Vorteile zu verschaffen ( R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 388). Nach § 57 BörsG gilt ein nicht verbotenes B ö r s e n t e r m i n g e s c h ä f t als von Anfang an verbindlich, wenn der eine Teil bei oder nach Eintritt der Fälligkeit sich mit Bewirkung der vereinbarten Leistung einverstanden erklärt und der andere Teil diese Leistung bewirkt. Auch eine verhältnismäßig große Teilleistung kann dazu schon genügen ( R G 82, 176). Eine Heilung klagloser Termingeschäfte tritt auch dadurch ein, daß die Parteien durch nachträgliche Vereinbarung den Gegenstand der Leistung ändern und nun diese neue Leistung bewirkt wird ( R G Gruchot 59, 514).

Anm. 5 c) Berücksichtigung von Amts wegen D a die Nichtigkeit gegenüber jedermann wirkt, ist sie vom Richter von Amts wegen zu berücksichtigen ( B G H 12, 304). Ein Verzicht auf die Geltendmachung ist wirkungslos ( R G 6 1 , 267; R G J W 1922, 1 1 9 5 ) .

Anm. 6 d) Geltendmachung durch Dritte Auf die Nichtigkeit kann sich auch jeder Dritte berufen, der ein Interesse daran hat 1909, 696; RG Gruchot 54, 165). Ist die Bestellung einer Hypothek nichtig,

(RGJW 25

Komm. 2. BGB. n . Aufl. I. Bd. (Krüger-Nieland

373

§125 A n m . 7, 8

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

so kann jeder Nachfolger des Bestellers die Nichtigkeit geltend machen ( R G J W 1908, 297); ebenso kann der Schuldner sich auf die Nichtigkeit der Abtretung der Forderung berufen ( R G 93, 75). Ist wegen einer Forderung aus einem nichtigen Rechtsgeschäft ein Anerkenntnisurteil ergangen, so können diejenigen, denen gegenüber das Urteil keine Rechtskraft hat, sich auch weiterhin mit Erfolg auf die Nichtigkeit der Forderung berufen ( R G J W 1909, 131). Anm. 7 3. E i n w a n d der u n z u l ä s s i g e n R e c h t s a u s ü b u n g (Einrede der a l l g e m e i n e n Arglist) a) Allgemeines Jeder Beteiligte darf sich grundsätzlich auf die Nichtigkeit berufen, ohne daß ihm der Vorwurf sittenwidrigen oder arglistigen Verhaltens gemacht werden könnte. Dies gilt auch dann, wenn der sich auf die Nichtigkeit Berufende weiß, daß der andere Teil zur Herbeiführung eines formgerechten Vertrages Aufwendungen gemacht hat, die ihm nicht erstattet werden (RG 52, 5; 58, 217; 55, 372; 73, 209; 77, 277; 96, 3 1 5 ; R G J W 1912, 525; 1938, 1 7 2 1 ; R G SeuffArch 75 Nr. 3). § 226 findet keine Anwendung, denn die Nichtigkeit tritt ohne weiteres ein. Die Berufung hierauf ist keine Rechtsausübung im Sinne dieser Bestimmung. Aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles kann sich aber ergeben, daß die Berufung auf die Nichtigkeit ein Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben darstellt. In diesen Fällen kann der andere Teil gegenüber der Berufung auf die Nichtigkeit den Einwand der allgemeinen Arglist bzw. unzulässigen Rechtsausübung erheben. Dies hat zur Folge, daß das nichtige Rechtsgeschäft wie ein gültiges behandelt wird. Da die Parteien auch beim nichtigen Geschäft nicht gänzlich ohne Rechtsschutz sind, sondern ihnen u. U . Bereicherungsansprüche und Schadensersatzansprüche aus culpa in contrahendo zustehen, kann der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung nur in Ausnahmefällen zulässig sein (OGH 1, 217). Anm. 8 Im einzelnen sind von der R e c h t s p r e c h u n g folgende G r u n d s ä t z e für das Verhältnis des § 242 zu § 125 entwickelt worden: Die Einrede der Arglist bzw. der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung ist in all den Fällen zuzulassen, in denen die gegenwärtige Geltendmachung der Nichtigkeit im Hinblick auf ein früheres Verhalten der sich auf die Nichtigkeit berufenden Partei gegen die guten Sitten oder gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt ( R G 7i» 435; 76, 354; 85, 119; 86, 1 9 2 ; 87, 282; 1 2 1 , 14; R G J W 1927, 973, 974; 1936, 1 2 1 3 ; 1938, 1 7 2 1 ; R G Gruchot 73, 63). Dies ist dann der Fall, wenn der eine Teil den anderen, mit oder ohne böse Absicht, in den Irrtum versetzt oder in dem Irrtum gehalten hat, daß der Vertrag auch formlos gültig sei und alsdann die Nichtigkeit geltend macht. Unter diesen Voraussetzungen muß sich dann der eine Teil gegenüber dem anderen so behandeln lassen, als ob der Vertrag formgerecht geschlossen worden wäre ( R G 96, 3 1 5 ; 107, 180, 357; 115, 418; 117, 121, 287; 149, 80; R G Gruchot 68, 650; R G WarnRspr 1908 Nr. 38; 1917 Nr. 174; 1919 Nr. 23; 1925 Nr. 162; 1926 Nr. 113, Nr. 136;. 1936 Nr. 38; R G J W 1919, 993; 1935, 505; 1936, 97, 1826; R G H R R 1932 Nr. 98 u. 99; 1938 Nr. 503; R G SeuffArch 77 Nr. 114; R G L Z 1927, 1125). Wenn also eine Partei, sei es auch unabsichtlich, die andere veranlaßt hat, vom Abschluß eines formgültigen Vertrages abzusehen und diese daraufhin angenommen hat, daß eine formlose Vereinbarung genügt, so ist eine Berufung auf die Nichtigkeit arglistig ( R G 157, 209). Liegt aber weiter nichts vor, als daß beide Parteien bewußt oder unbewußt gegen die gesetzlichen Formvorschriften verstoßen haben, dann kann sich keiner darauf berufen, daß die Geltendmachung der Nichtigkeit wegen Formmängel sitten- oder treuwidrig sei ( R G 153, 59; K G J W 1926, 1810; 1928, 2437; 1935, 505; 1936, 1826; R G WarnRspr 1927 Nr. 135, 159; B G H 14. 3. 1955 II Z R 238/54; B G H 28.6. 1957 V I I I Z R 262/56).

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Willenserklärung

§125 Anm. 9

Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung ist aber nicht nur dann zuzulassen, wenn eine Partei durch ihr Verhalten den Formmangel verursacht hat, sondern ganz allgemein in den Fällen, in denen die Lossagung vom Vertrag mit ihrem bisherigen Verhalten unvereinbar ist ( R G 1 5 3 , 59; 157, 209; 169, 7 3 ; 170, 203; R G J W 1938, 1023), a l s ° überall da, wo auf Grund der Beziehungen zwischen den Parteien und im Hinblick auf die gesamten Umstände des Falles es Treu und Glauben widersprechen würde, die Vertragsansprüche am Formmangel scheitern zu lassen ( R G 169, 7 3 ; 170, 203; O G H 1, 2 1 7 ; O G H N J W 1950, 2 5 ; B G H 1 2 , 304; 16, 3 3 4 ; auch 2 1 , 59, 65). Voraussetzung ist hierbei aber, daß der den Parteien beim nichtigen Vertrag gewährte Rechtsschutz — nämlich Bereicherungs- und Schadensersatzansprüche •— nicht ausreicht, vielmehr gerade die Verweigerung oder Beseitigung des dem nichtigen Vertrage entsprechenden Erfüllungszustandes durch den Vertragsgegner mit T r e u und Glauben unvereinbar ist ( O G H 1 , 2 1 7 ) . Die Parteien sind also bei solcher Sachlage an den nichtigen Vertrag gebunden. Diese Gebundenheit besteht vor allem dann, wenn nach dem bisherigen Verhalten, insbesondere den Erklärungen und Zusicherungen des einen Teils (oder beider Teile) und der infolgedessen eingetretenen tatsächlichen Entwicklung der Verhältnisse eine befriedigende Lösung nur bei Anerkennung rechtsgeschäftlicher Beziehungen erreichbar erscheint ( B G H 12, 304; 16, 3 3 4 ; 20, 1 7 2 ; 23, 249; B G H Betrieb 1955, 479; B G H BB 1957, 1 1 2 3 ) . U n d zwar handelt es sich hier nicht um die Berücksichtigung eines Einwandes des Geschäftsgegners, sondern um eine „besondere Gestaltung des Falles, angesichts deren von Amts wegen dem Mangel der Form die Rechtsfolge der Nichtigkeit zu versagen ist" ( B G H 12, 304). Die nach § 242 vorzunehmende Abwägung darf aber eine etwaige Vertragsuntreue des anderen Teiles nicht außer acht lassen ( B G H 20, 338). Ferner kann eine Gebundenheit an den Vertrag nur dann angenommen werden, wenn die Nichtanerkennung für den anderen Teil zu einem untragbaren, nicht dagegen, wenn sie nur zu einem harten Ergebnis führen würde ( B G H BB 1957, 1 1 2 3 , O G H 1, 2 1 7 ) .

Anm. 9 b) Einzelfälle Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung ist z. B. dann gegeben, wenn der sich auf den Formmangel Berufende die aus dem Vertrage schon gezogenen Vorteile behalten, sich aber von der Gegenverpflichtung befreien will. Ein solches Verhalten ist mit der allgemeinen Anschauung von Billigkeit und Anstand nicht vereinbar ( R G 1 5 3 , 59; vgl. auch R G WarnRspr 1937 Nr. 47). Der Einwand ist ferner begründet, wenn der eine Teil auf den Abschluß eines formlosen Vertrages schon in der Absicht eingegangen ist, den anderen in Sicherheit zu wiegen, oder wenn er dem anderen vom Abschluß eines formgerechten Vertrages abgehalten hat, um demnächst die Nichtigkeit geltend zu machen ( R G J W 1 9 1 3 , 987; R G WarnRspr 1908, 38; 1 9 1 9 Nr. 23). Arglistig handelt auch, wer die Nichtigkeit eines von ihm abgeschlossenen Vertrages (Vergleich) geltend macht, um für sich einen Vorteil zu erlangen, den er, wie etwa den Anspruch aus einem anderen Vertrag, ohne den Abschluß nicht gehabt haben würde ( R G WarnRspr 1 9 1 7 Nr. 16). Hat ein Dritter, der ohne Vollmacht bei Vertragsverhandlungen mitwirkte, eine Vertragspartei durch Täuschung dazu bestimmt, von der erforderlichen Beurkundung abzusehen, so kann die getäuschte Partei dem Geschäftsgegner die Einrede der Arglist nur dann entgegenhalten, wenn dieser das auf Täuschung gerichtete Verhalten des Dritten kannte ( R G Recht 1929 Nr. 2 1 5 ) . A n eine formlose Vereinbarung über die Hofnachfolge kann der Hofeigentümer nach Treu und Glauben rechtlich gebunden sein. Dieser Grundsatz gilt aber nicht nur für einen die Hofnachfolge betreffenden Ubergabevertrag, sondern auch für einen Erbvertrag ( B G H 12, 286; 23, 249, vgl. auch B G H L M Nr. 2 zu § 2276). I m Verhältnis zwischen Siedlungsträger und Siedler (bei Kleinsiedlungen) kann der Träger an einen wegen mangelnder Form des § 3 1 3 nichtigen Siedlungsvertrag nach T r e u und Glauben gebunden und zur Vertragserfüllung verpflichett sein ( B G H 16, 334).

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§125

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 10—12 Anm. 10 Der Einwand der Arglist bzw. der unzulässigen Rechtsausübung steht dagegen demjenigen nicht zu, der selbst die Schuld daran trägt, daß es nicht zu einer formgültigen Bestätigung des formnichtigen Vertrages gekommen ist ( R G J W 1932, 2 1 5 2 ) . Dagegen genügt der Umstand, daß die Parteien das nichtige Rechtsgeschäft jahrelang als ein gültiges betrachtet und behandelt haben, für sich allein nicht, um die spätere Geltendmachung der Nichtigkeit zurückweisen zu können. Auch wird der Einwand nicht dadurch ausgeschlossen, daß derjenige, der ihn erhebt, sich an einem Steuerbetrug beteiligt hat, der durch die die Nichtigkeit begründende falsche Angabe verübt worden ist ( R G 107, 3 5 7 ; R G Gruchot 68, 650). I m übrigen kann die Berufung auf den Formmangel nicht mit dem Hinweis abgeschnitten werden, der Gegner habe es in der Hand, die streitige Verpflichtung freiwillig zu erfüllen; auch ist nicht anzuerkennen, daß sich eine Vertragspartei auf den Formmangel einer Bestimmung nicht berufen könne, wenn diese Bestimmung allein in ihrem Interesse getroffen ist ( R A G H R R 1934 Nr. 1523).

Anm. 11 c) Rechtsgeschäfte der öffentl. Verwaltung Die Frage, ob bei Verletzung der in den Satzungen der Körperschaften des öffentl. Rechts enthaltenen Formvorschriften bei privatrechtlichen Verträgen gegenüber der Berufung auf den Formmangel der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung erhoben werden kann, hängt davon ab, ob es sich bei diesen Vorschriften um gewöhnliche Formvorschriften handelt, oder ob diese Vorschriften auch zugleich oder ausschließlich die Vertretungsmacht der Organe der Körperschaft einschränkt. In den Fällen, in denen die erforderliche Genehmigung der Aufsichtsbehörde fehlt, kann der Berufung auf die Nichtigkeit wegen Formmangels nicht mit dem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung begegnet werden ( R G 157, 207; O G H 1, 242). Das Gleiche gilt für die Fälle, in denen nicht satzungsgemäß berufene Vertreter oder unzuständige Beamte gehandelt haben ( B G H 5, 205; O G H 1, 242; 2, 3 1 9 ) . Dagegen ist der Einwand zuzulassen, wenn ein nicht zur laufenden Verwaltung gehörendes Geschäft von dem berufenen Vertreter der Gemeinde, jedoch ohne Einhaltung der vorgeschriebenen Schriftform, abgeschlossen wurde ( B G H 2 1 , 66). Hier handelt es sich um einen reinen Formmangel, der nicht zugleich eine Verletzung der Zuständigkeitsregelung darstellt. Ist in einem vom vertretungsberechtigten Organ schriftlich geschlossenen Vertrag lediglich das gesetzlich vorgesehene Siegel oder der Stempel nicht beigefügt worden, so handelt es sich gleichfalls nur u m die Verletzung einer Formvorschrift. Die Vertretungsmacht der Organe wird hierdurch nicht berührt ( B G H N J W 1958, 866; für § 11 der Preuß. Mustersatzung für Sparkassen).

Anm. 12 4. Folgen der Nichtigkeit a) Ausgleich zwischen den Beteiligten Auch bei einem nichtigen Rechtsgeschäft können sich u. U . gegenseitige Ansprüche ergeben. In Betracht kommen Schadensersatzansprüche aus Verschulden bei Vertragsabschluß und unerlaubter Handlung. Ferner können Ansprüche auf Rückforderung der auf Grund des nichtigen Rechtsgeschäftes bewirkten Leistung entstehen. Wegen der Schadensersatzansprüche aus Verschulden bei Vertragsabschluß und unerlaubter Handlung vgl. die Anm. zu den §§ 276, 826, 249. Hier soll nur vom Ausgleich zwischen den Beteiligten die R e d e sein, wenn die Leistung auf Grund des nichtigen Rechtsgeschäftes erbracht worden ist. Die sich in diesem Fall ergebenden Ansprüche sind verschieden, j e nachdem, ob durch die Leistung eine Vermögensverschiebung eingetreten ist oder ob der geleistete Gegenstand trotz der Leistung im Vermögen des Leistenden verblieben ist. Hat beispielsweise jemand auf Grund eines nichtigen Rechtsgeschäftes dem anderen eine Sache zu Eigentum übertragen wollen, und hat der andere daran das Eigentum erworben, dann ist eine Vermögensverschiebung eingetreten. Hat dagegen die dingliche Übertragung den beabsichtigten Zweck nicht erzielt, weil sie ebenfalls nichtig war, so ist eine Vermögensver-

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Willenserklärung

§ 125

Arnn. 13—15

Schiebung nicht eingetreten. Im ersten Falle hat der Leistende gegen den Empfänger Ansprüche auf Herausgabe nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung (§ 812); im zweiten Fall kann er dagegen Ansprüche auf Herausgabe auf Grund des ihm verbliebenen Eigentums geltend machen (§ 985). A n m . 13 Zu unterscheiden ist ferner danach, ob es sich um eine sachenrechtliche oder um eine schuldrechtliche Leistung handelt, z.B. ob jemand auf Grund nichtigen Rechtsgeschäftes eine Forderung übertragen (§ 398), oder erlassen hat (§ 397) oder ein nichtiges abstraktes Schuldversprechen abgegeben hat. Bei der schuldrechtlichen Leistung besteht, wenn das Erfüllungsgeschäft ebenfalls nichtig ist, im Gegensatz zu einer sachenrechtlichen Leistung, zu einem Ausgleich kein Anlaß, da der Leistende nichts eingebüßt, der andere nichts erlangt hat. Ist die Abtretung einer Forderung nichtig, so bleibt das Gläubigerrecht bei seinem früheren Inhaber, und im Falle des Erlasses bleibt die Forderung bestehen. Bei der Abgabe eines nichtigen Schuldversprechens kommt die Forderung nicht zur Entstehung. Der Erklärende hat in all diesen Fällen aber die Möglichkeit, eine negative Feststellungsklage gem. § 256 ZPO zu erheben, um einer Gefährdung seiner Rechtslage vorzubeugen. A n m . 14 b) D e r B e r e i c h e r u n g s a n s p r u c h War das Erfüllungsgeschäft aber gültig, so kann der Leistende gegen den Empfänger Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung geltend machen. Die Grundsätze des Rücktrittsrechts (§ 346) sind nicht anwendbar (RG J W 1909, 486; 1910, 799)- Der Bereicherungsanspruch besteht auch dann, wenn die Vermögensverschiebung dadurch eintritt, daß der Empfänger die nicht wirksam erworbene Sache an einen gutgläubigen Erwerber (§§ 932, 892) weiter veräußert (§ 816) oder wenn die Sache untergeht. I m Falle einer Forderungsübertragung ist denkbar, daß auch hier nachträglich eine Vermögensverschiebung eintritt. Dies ist dann der Fall, wenn der Abtretungsempfänger über die Forderung nach den Grundsätzen vom gutgläubigen Rechtserwerb wirksam weiter verfügt (§§ 407—409). Unter diesen Umständen wäre die Ausgleichung wiederum nach §§ 812 ff zu suchen. — Wer auf Grund eines nach § 138 nichtigen Vertrags eine Sache käuflich erwirbt, kann nicht einen Gewährleistungsanspruch erheben; er kann aber Beseitigung der für den Kaufgelderrest eingetragenen Hypothek nach §§812, 817 fordern. Solange er jedoch die vertragsmäßige Gegenleistung verweigert, anderseits aber die Sache behält, wird sein Anspruch durch die Einrede der Arglist beseitigt (RG 71, 432). Vgl. hierzu auch RG WarnRspr 1911 Nr. 167. Auch die dingliche Hypothekenklage ist hinfällig, wenn die Hypothek auf Grund eines nichtigen Kaufvertrags eingetragen worden ist, ungeachtet dessen, daß das dingliche Vollzugsgeschäft an sich nicht von jener Nichtigkeit berührt wird (RG J W 1908, 297). Denn durch die an sich rechtsgültige Hypothekenbestellung wird wegen Nichtigkeit der Kaufpreisforderung zwar keine Hypothek, aber gemäß §§ 1163 Abs. 1, 1177 Abs. 1 eine Eigentümergrundschuld begründet (RG WarnRspr 1911 Nr. 167). Eine Sicherstellung ist nicht deshalb gem. § 138 nichtig, weil der zu sichernde Anspruch aus einem wider die guten Sitten verstoßenden Rechtsgeschäfte herrührt; aber sie ist es deswegen, weil der zu sichernde Anspruch überhaupt nicht besteht (RG J W 1909, 131). A n m . 15 c) A n w e n d u n g v o n § 817 A b s . 2 § 817 Abs. 2 ist, sofern die Voraussetzungen dieser Bestimmung im Einzelfalle vorliegen, auch auf den Bereicherungsanspruch nach §812 anzuwenden (RG 151, 80, vgl. auch B G H 3, 381). Voraussetzung ist aber, daß es sich um eine Leistung handelt, die endgültig in das Vermögen des Empfängers übergehen sollte (RG 67, 322; RG J W 1912, 862; RG WarnRspr 1917 Nr. 206; B G H 19, 206). Für Leistungen, die nur sicherungshalber bewirkt werden und bestimmungsgemäß zurückzugeben sind, trifft diese Voraussetzung nicht zu (RG 67, 322; B G H 19, 206); z. B. bei Leistung einer Kaution, wenn ein Grundstück mit der Verpflichtung zur Rückauflassung übertragen wurde, ferner

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§ 125 Anm. 16—18

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

wenn als Leistung nur „die Eingehung einer Schuldverbindlichkeit" vereinbart ist, da es sich hier um ein noch zu erfüllendes Schuldverhältnis handelt. Ist aber bereits eine Leistung in Geld oder Geldeswert bewirkt worden, so durch Hingabe eines auf den Kläger von einem Dritten gezogenen Wechsels an den Kläger in Anrechnung auf eine Kaufpreisforderung des Beklagten und fehlt es an einem Begebungsvertrag zwischen den Parteien selbst, so ist auf den Kondiktionsanspruch des Klägers § 8 1 7 Abs. 2 anwendbar ( R G Gruchot 56, 344). Das Gleiche gilt auch, wenn eine Grundschuld bestellt worden ist ( R G 73, 143). Vgl. im übrigen Näheres bei den Anm. zu § 8 1 7 .

Anm. 16 d) Wirkungen des nichtigen Grundgeschäftes auf das Erfüllungsgeschäft Bei Verträgen ist zwischen dem Grundgeschäft und dem Erfüllungsgeschäft zu unterscheiden. Beide sind nicht Teile eines einheitlichen Rechtsgeschäftes im Sinne von § 139 ( B G H L M Nr. 3 zu K W V O § i a ) . Das Erfüllungsgeschäft ist grundsätzlich von der Rechtsbeständigkeit des Grundgeschäftes unabhängig. Bei den sachenrechtlichen Geschäften kömmt das Erfüllungsgeschäft auf Grund des in der Einigung bestehenden dinglichen Vertrages zustande (§§ 925, 929), bei den Rechtsgeschäften im Gebiete der Schuldverhältnisse kommt es ebenfalls infolge bloßer Willenseinigung selbständig zur Entstehung (§§397, 398, 780, 781). Das Vorhandensein eines rechtsgültigen Grundgeschäftes wird daher begrifflich für das Erfüllungsgeschäft nicht vorausgesetzt ( R G 63, 184; 68, 89; 75, 69; 104, 1 0 2 ; 106, 307; R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 1 6 7 ; B G H L M Nr. 3 zu K W V O § i a ) . Die Nichtigkeit des Grundgeschäftes führt daher nicht ohne weiteres auch zur Nichtigkeit des Erfüllungsgeschäftes. Wer auf Grund eines nichtigen Kaufvertrages geleistet hat, kann daher die dem Käufer zu Eigentum übergebene Kaufsache nicht mit der Eigentumsklage zurückverlangen, sondern nur mit dem obligatorischen Herausgabeanspruch ( R G 63, 179; 68, 100; 75, 74). Die Abtretung einer Hypothek ist auch nicht schon deshalb nichtig, weil das Grundgeschäft sittenwidrig ist oder gegen ein ges. Verbot verstößt ( R G SeuffArch 78 Nr. 60).

Anm. 17 Unter Umständen wird jedoch das Erfüllungsgeschäft von der Nichtigkeit des Grundgeschäftes mitergriffen. Dies trifft zu, wenn die Parteien das Erfüllungsgeschäft von der Rechtsbeständigkeit des Grundgeschäftes haben abhängig machen wollen, die Gültigkeit des Grundgeschäftes kraft Parteiwillens also zu einer Bedingung des Erfüllungsgeschäftes gemacht wurde ( R G 57, 95; B G H L M Nr. 3 zu K W V O § 1 a). Eine Ausnahme ist ferner gegeben, wenn der Nichtigkeitsgrund des Grundgeschäftes auch dem Erfüllungsgeschäft anhaftet, z.B. wenn die Veräußerung gegen ein unbedingtes Verbotsgesetz verstößt (§ 134) oder wenn ein wucherisches Geschäft erfüllt wird (vgl. Anm. zu 138). Ferner liegt ein Ausnahmefall vor, wenn der nichtige schuldrechtliche Vertrag und das Leistungsgeschäft zusammenfallen ( R G 63, 187). Schließlich besteht eine Ausnahme in den Fällen, in denen derselbe Willensmangel dem Verpflichtungs- wie dem Erfüllungsgeschäft anhaftet und beide angefochten werden ( R G 6 9 , 1 3 ; R G J W 1 9 0 9 , 4 5 ) . Handelt es sich um den Nichtigkeitsgrund der Geschäftsunfähigkeit, so kommt es darauf an, ob die Geschäftsunfähigkeit auch noch im Zeitpunkt des Vollziehungsgeschäftes vorhanden war ( R G 72, 64).

Anm. 18 Das Reichsgericht hat den Grundsatz der Unabhängigkeit des Erfüllungsgeschäftes vom Grundgeschäft erheblich gemildert, indem es angenommen hat, daß bei einer Vertragspartei, die durch arglistige Täuschung zum Abschluß eines Vertrages bestimmt wurde, die Täuschung im Zweifel auch noch bei der Vornahme des Erfüllungsgeschäftes bestimmend fortgewirkt habe, und daß unter diesen Umständen die Anfechtung des Kaufvertrages auch die Nichtigkeit des dinglichen Übereignungsgeschäftes herbeiführe, falls nicht festgestellt werde, daß die Ubereignung von der anfechtungsberechtigten

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Willenserklärung

§125

Anm. 19—21 Partei auch ohne die Täuschung vorgenommen worden wäre (RG 70,57; vgl. auch RG 48, 44; RG SeuffArch 67 Nr. 192). In den Urteilen RG 75, 68 u. 78, 285 ist andererseits ausgesprochen, daß wenn eine Grundstücksveräußerung oder zugunsten des Restkaufgeldes eine Hypothekenbestellung auf Grund eines gemäß § 138 nichtigen Rechtsgeschäftes erfolgt, das dingliche Vollzugsgeschäft trotzdem unbedingt wirksam zur Entstehung gelange, weil der Nichtigkeitsgrund nicht auch der dinglichen Einigung anhafte und ihr nicht anhaften könne. Bei der Hypothek habe dies zur Folge, daß sie als Eigentümergrundschuld dem Eigentümer zustehe (entsprechend auch RG SeuffArch 69 Nr. 47; RG 93, 221). Die Nichtigkeit von K o m p e n s a t i o n s g e s c h ä f t e n führt nicht ohne weiteres auch zur Nichtigkeit des Erfüllungsgeschäftes (BGH L M Nr. 3 zu K W V O § 1 a). Der BGH hat in dieser Entscheidung an dem Grundsatz der Abstraktion festgehalten und ausgeführt: „Grund- und Erfüllungsgeschäft sind nicht Teile eines einheitlichen Rechtsgeschäftes im Sinne von § 139, sondern Verpflichtung und Erfüllung sind grundsätzlich voneinander unabhängige Rechtsgeschäfte, sofern nicht im Einzelfalle ein abweichender Wille der Vertragsteile erkennbar ist. Dabei gilt bei Kompensationsgeschäften noch die Besonderheit, daß der Parteiwille in der Regel dahin geht, das Erfüllungsgeschäft auch bei Kenntnis der Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäftes vorzunehmen, weil es ihm gerade auf den Leistungsaustausch ankommt".

Anm. 19 II. Die Form 1. Allgemeines I m a l l g e m e i n e n steht das Gesetz auf dem Standpunkt der F o r m f r e i h e i t . Für eine Reihe von Geschäften hat es aber, um die Beteiligten vor Übereilung zu schützen und den Abschluß und Inhalt des Rechtsgeschäfts im Interesse der Sicherheit des Rechtsverkehrs klarzustellen, eine Form vorgeschrieben. Außerdem ist den Parteien die Befugnis eingeräumt, für ein an sich formfreies Geschäft eine Form zu verabreden. Dabei bleibt es ihnen auch überlassen, die Art der einzuhaltenden Form zu bestimmen. Die Fälle des gesetzlichen und gewillkürten Formzwanges sind grundsätzlich gleichgestellt. Auch bei der gewillkürten Form hat die Nichteinhaltung zur Folge, daß der formlos geschlossene Vertrag nichtig ist und zwar nach § 139 regelmäßig das gesamte Geschäft, auch wenn der Nichtigkeitsgrund nur einen Teil des Vertrages betrifft (RG 63, 27; RG WarnRspr 1908 Nr. 25; vgl. im übrigen Näheres bei Anm. zu § 139).

Anm. 20 2. Die Arten der Form Das Gesetz kennt je nach Zweck des Geschäftes verschiedene Arten der Form: a) die Schriftform, die entweder ges. verlangt (§ 126) oder von den Parteien vereinbart werden kann (§ 127, gewillkürte Schriftform). Die Einhaltung der Schriftform kann, soweit sie auf Gesetz beruht, einseitig oder zweiseitig erforderlich sein. Nur eine einseitige Schriftform wird z.B. verlangt in den §§ 32, 37, 81, 368, 409, 416, 761, 766, 780, 781, 783, 784, 792, 1154; von beiden Seiten ist die Schriftform einzuhalten, z.B. bei den §§ 566, 581, Abs. 2. b) die amtliche Beurkundung (§ 128); c) die öffentliche Unterschriftsbeglaubigung (§ 129); d) die amtliche Beurkundung unter gleichzeitiger Anwesenheit der Parteien z.B.,

§§ 925, 1015, 2276, 2290;

e) bei dem Erfordernis der Anwesenheit von zwei Zeugen bei der Eheschließung (§14 EheG) handelt es sich nur um eine Ordnungsvorschrift.

Anm. 21 3. Auslegung formbedürftiger Rechtsgeschäfte Die an die Form gebundenen Willenserklärungen sind der A u s l e g u n g nach § 133 fähig. Zur Ermittlung des wirklichen Willens können auch Umstände berücksichtigt werden, die außerhalb der in der Urkunde enthaltenen Erklärungen liegen (RG 59, 379

§125

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 22—24 219; 154, 41). Diese Umstände können aber nur zur Auslegung des Textes der Urkunde herangezogen werden, dagegen n i c h t zur E r g ä n z u n g des Textes. Ist der Wortlaut einer Urkunde völlig eindeutig, dann kommt eine Auslegung überhaupt nicht in Betracht ( R G J W 1937, 392). Anm. 22 III. Die gesetzlichen F o r m Vorschriften Die gesetzlichen Formvorschriften selbst sind auslegungsfähig (RG 73, 74). Vor allem bei den im öffentlichen Recht enthaltenen Formvorschriften muß die Auslegung die Frage beantworten, ob es sich im Einzelfall um eine Regelung der Vertretungsmacht oder um eine nach § 125 zu beurteilende Formvorschrift handelt. Von der Beantwortung dieser Frage hängt es ab, ob einer Berufung auf die Nichtigkeit wegen Formmangels die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung entgegengesetzt werden kann (vgl. Anm. 1 1 ) . Anm. 23 1. F o r m Vorschriften des öffentl. Rechts Auch in Landesgesetzen gegebene Formvorschriften fallen unter § 125. Für eine Reihe von Gesetzen des öffentl. Rechts und für die deutsche Gemeindeordnung hat die Rechtsprechung des R G Grundsätze entwickelt, die, obwohl diese Gesetze durch die Landesgesetzgebung nach 1945 z.T. aufgehoben und durch neue Gesetze ersetzt wurden, auch heute noch von Bedeutung sind. Auch der Bundesgerichtshof hat in einer Reihe von Entscheidungen z. T. auch auf Grund dieser Gesetze, soweit sie noch in Kraft sind, Rechtsgrundsätze entwickelt. Im Folgenden soll ein Uberblick über die Entwicklung und den Stand dieser Rechtsprechung gegeben werden. Anm. 24 Die in den Satzungen und Verordnungen der Körperschaften des öffentl. Rechts enthaltenen Formvorschriften fallen unter § 125, auch wenn sie vor Inkrafttreten des BGB erlassen worden sind ( R G 29. 1. 1916 V 357/15). Zu diesen Vorschriften sind auch die Bestimmungen des Gemeinderechts über die einzuhaltende Form bei Verpflichtungen der Gemeinde zu rechnen. Bei ihnen handelt es sich jedoch nicht nur um Formvorschriften, sondern zugleich auch um eine allgemeine Beschränkung der Willensorgane der betreffenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts in ihrer Vertretungsmacht ( R G 64, 4 1 3 ; 67, 269; 68, 407; 73, 73, 205; 82, 7; 83, 396; 89, 433; 104, 205; 1 1 5 , 3 1 1 ; n 6 , 247; 1 2 1 , 14; 122, 175; 123, 358; 139, 58; 152, 345; R G J W 1905, 446; 1926, 1450; 1927, 1 2 5 1 ; 1931, 1698; R G WarnRspr 1923/24 Nr. 157; R G Seuff Arch 81 Nr. 160; R G H R R 1928 Nr. 1 5 1 1 ; 1933 Nr. 1234; R A G 4, 162; auch B G H 6, 330; vgl. auch O G H 1, 242; 2, 319). Die Vorschriften sind nicht nur dann anzuwenden, wenn Urkunden über Rechtsgeschäfte aufgenommen werden, durch die die Gemeinde sich verpflichtet, sondern sie sind bei den betr. Rechtsgeschäften schlechthin zu beachten. Die Gemeinde kann sich also nur in der vorgeschriebenen, urkundlichen Form gegenüber Dritten verpflichten und Rechte erwerben ( R G 68, 407; 67, 269; 64, 408; 82, 8; 121, 14; R G WarnRspr 1912 Nr. 143, Nr. 474; R G J W 1922, 392; 1925, 1614; R G H R R 1930 Nr. 909). Dem ges. Erfordernis ist jedoch genügt, wenn zum Abschluß des verpflichtenden Vertrages eine dem Gesetz entsprechende Vollmacht erteilt worden ist und der Bevollmächtigte den Vertrag alsdann vollmachtmäßig, wenn auch formlos, abgeschlossen hat ( R G 123, 358; R G J W 1912, 1064; 1930, 1 2 0 1 ; R G L Z 1926, 1341). Auch eine allgemeine Vollmacht (Generalvollmacht) ist ausreichend, wenn sie auf einen bestimmten Geschäftskreis beschränkt worden ist. Die aus einem Magistratsbeschluß zu entnehmende Ermächtigung des Bürgermeisters, mit dem Vertragsgegner zu verhandeln, kann die Wirksamkeit formloser Erklärungen des Ermächtigten begründen (RG L Z 1926, 1341). Eine Haftung der Körperschaft kann auch begründet sein, wenn ihre zuständigen Organe einen Zustand geduldet haben, durch den der Anschein der Vollmacht für einen Dritten erweckt wurde ( B G H NJW 1955, 985; vgl. Näheres bei § 167 Anm. 4ff).

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Willenserklärung

§125 A n m . 25—28

A n m . 25 Die Bestätigung eines der ges. Vorschrift nicht entsprechenden und daher unwirksamen Vertrags bedarf zu ihrer Wirksamkeit gleichfalls der Form des Gesetzes; fortgesetzte Erfüllung reicht nicht aus (RG Gruchot 65, 598). Notwendiges Erfordernis ist nach § 88 der Landgemeindeordnung auch die Beidrückung des Gemeindesiegels (RG 73> 735 R G J W 1922, 392), und dieser etwaige Mangel wird nicht dadurch geheilt, daß die Beidrückung des Siegels später nachgeholt wird. Die Beidrückung des Siegels ist auch dann erforderlich, wenn die Gemeinde den Veräußerungsvertrag in der Form des §313 abschließt. Endlich muß das Siegel zu der Erklärung der Gemeindevertreter selbst in räumlicher Beziehung stehen, so daß nicht genügt, wenn der Gemeinde-Urkundsbeamte das Siegel s e i n e r Unterschrift beidrückt, es sei denn, daß die Gemeindevertreter sich des Urkundsbeamten als Werkzeug bei der Untersiegelung bedient hätten (RG J W 1911, 749). A n m . 26 Formbedürftigkeit besteht nicht, falls keine Verpflichtungen für die Gemeinde übernommen werden, beispielsweise also nicht bei bloßen Kündigungen (RG 83, 397; RG Gruchot 60, 516), oder wenn nur der Vertragsgegner eine Verpflichtung eingeht, beispielsweise die zur Straßenherstellung, während die ihm dabei erteilte Bauerlaubnis nur einen Akt der Polizeiverwaltung darstellte (RG 2. 3. 1918 V 336/17), auch dann nicht, wenn es sich nur u m die Abwicklung von Geschäften aus bereits abgeschlossenen Verträgen handelt, oder bei Geschäften der l a u f e n d e n V e r w a l t u n g (RG 104, 205; 116, 247; 122, 175; 139, 58; 146, 42 [50]; RG J W 1938, 1403; RG H R R 1930 Nr. 909; 1933 Nr. 1232; 1935 Nr. 1421). Anstellung eines Schwimmlehrers und Bademeisters für eine viermonatige Badesaison als Geschäft der laufenden Verwaltung s. RAG 13, 265; ebenso Anstellung einer Bezirkshebamme s. RAG SeufTArch 91 Nr. 19. Der Erlaß eines Teiles der der Gemeinde zustehenden Leistung aus einem gegenseitigen Vertrag (eines Teiles des Pachtzinses) begründet keine neue Verpflichtung der Gemeinde und ist daher nicht formbedürftig (RG 92, 161). Der Form bedarf es auch nicht, wenn eine Stadtgemeinde eine Konzession für den Betrieb eines Unternehmens erteilt und sich hierbei das Recht vorbehalten hat, den Betrieb gegen Entrichtung einer Entschädigung unter Zugrundelegung des vom Unternehmer investierten Kapitals zu gewähren, alsdann aber die dazu vom Unternehmer vorgelegte Abrechnung genehmigt; es genügt hier die Unterschrift des Bürgermeisters, da durch die Genehmigung eine neue Verpflichtung nicht begründet wird (RG 4. 6. 1919 V 134/19). A n m . 27 2. F o r m v o r s c h r i f t e n des Privatrechts Wann im Privatrecht eine Form vom Gesetz verlangt wird, ist für die einzelnen Geschäfte besonders geregelt (vgl. die Aufzählung in Anm. 20). Auch bei Kleinsiedlungen bedürfen die Grundstücksveräußerungsverträge gem. §313 der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung (BGH L M Nr. 3 zu § 125BGH 16, 334; B G H 20, 172, 173). Kommt bei formgebundenen Verträgen der eine Teil mit der Leistung in Schuldnerverzug und hat ihm der andere Teil eine Nachfrist gem. § 326 gesetzt, so kann dieser, obgleich seine Verpflichtung zur Leistung mit Ablauf der Frist erloschen ist, vom säumigen Teil im Rahmen eines Schadensersatzanspruches Annahme der Leistung verlangen. Die Leistungspflicht kann jedoch nur unter der Wahrung der Form (für § 313) wiederhergestellt werden (RG 107, 345; B G H 20, 338). Kein Formerfordernis im Sinne von § 125 bildet die durch Bewirtschaftungsanordnungen auf dem Gebiete der Ernährungswirtschaft vorgeschriebene Ausstellung eines Schlußscheines über Veräußerungsgeschäfte von Nutz- und Zuchtvieh (BGH L M Nr. 7 zu § 125). A n m . 28 IV. Die gewillkürte vereinbarte F o r m Gemäß dem Grundsatz der Vertragsfreiheit können die Parteien für die von ihnen abzuschließenden Rechtsgeschäfte eine Form vereinbaren. Nach dem Gesetz können

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§125 Anm. 29—32

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

mit der Verabredung der Form verschiedene Zwecke verfolgt werden. Die vereinbarte Form kann nach dem Parteiwillen den Sinn haben, daß für die Rechtsgültigkeit des abzuschließenden Geschäftes die Einhaltung der Form wesentlich ist und das Formerfordernis auch nicht unter Berufung auf Treu und Glauben beseitigt werden kann (RG 98, 236). Die Verabredung einer Form kann aber auch nur zu Beweiszwecken erfolgen. Schließlich kann eine Schriftform vorgesehen sein, um dem Gegner eine zuverlässige Kenntnis zu geben, z. B. wenn Kündigungen durch eingeschriebenen Brief geschehen sollen (RG WarnRspr iga7 Nr. 50), oder bei Versicherungen, wenn eine schriftliche Anzeige des Unfalls vorgeschrieben ist (RG 98, 235).

Anm. 29 1. Art des Rechtsgeschäftes, das Verabredung der Form zum Gegenstand hat Auf die Art des Rechtsgeschäftes, durch welches die Form vereinbart wird, kommt es nicht an. Der Formzwang kann sowohl durch Vertrag als auch durch einseitiges Rechtsgeschäft, insbesondere durch letztwillige Verfügung bestimmt werden. Das Formerfordernis kann auch stillschweigend vereinbart werden, z.B. die notarielle Form in der Weise, daß der eine Teil einen Vertragsentwurf, in welchem diese Form vorgesehen ist, dem anderen Teile zusendet und dieser vorbehaltslos annimmt (RG WarnRspr 1908 Nr. 9; vgl. auch R G Gruchot 69, 74). Die Wirksamkeit einer Formabrede wird nicht durch die Gründe der Vereinbarung berührt, sie ist deshalb auch dann gültig, wenn sie auf einem Rechtsirrtum beruhte (RG Gruchot 69, 74).

Anm. 30 2. Aufhebung der vereinbarten Form Die getroffene Vereinbarung über den Formzwang kann von den Parteien selbst wieder aufgehoben werden (RG 95, 175). Die Aufhebung kann auch stillschweigend durch schlüssiges Verhalten erfolgen. Dies wird dann anzunehmen sein, wenn die Parteien trotz der verabredeten Form das Geschäft formlos vollziehen, also die vertragsmäßige Leistung bewirken (RG J W 1 9 1 1 , 94; R G WarnRspr 1912 Nr. 367). Ob eine stillschweigende Aufhebung erfolgt ist, wird durch Auslegung zu ermitteln sein. Eine Aufhebung des Formzwangs ist aber nur anzunehmen, wenn ein hierauf gerichteter Wille der Parteien zweifelsfrei ermittelt werden kann (RG D R 1943, 487).

Anm. 31 3. Umfang des verabredeten Formzwangs Soweit ein ges. Formzwang nicht besteht, sondern die Form von den Parteien vereinbart werden kann, steht es ihnen auch frei, zu vereinbaren, auf welche B e s t a n d t e i l e d e s R e c h t s g e s c h ä f t s sich der Formzwang erstrecken soll (vgl. R G 68, 1 5 ; R G SeuffArch 77 Nr. 118). Insbesondere können die Parteien vereinbaren, ob sich der Formzwang nur auf wesentliche Bestandteile erstrecken soll, ohne welche das Rechtsgeschäft überhaupt nicht bestehen kann, oder auch auf die an sich nicht wesentlichen Nebenumstände, wie Erfüllungszeit, Erfüllungsort und Bedingungen, die sog. Nebenabreden. Im allgemeinen läßt sich hier nun annehmen, daß das durch Parteiabrede vorgesehene Formerfordernis vermutlich auch diejenigen bloßen Nebenumstände mitumfaßt und mitumfassen soll, denen nach Lage des Falles, sei es wegen der Natur des Geschäfts, sei es zufolge der besonderen Parteiabsicht, dennoch eine bestimmende Bedeutung beigemessen ist — die sog. r e l a t i v w e s e n t l i c h e n . Das trifft stets zu bei B e d i n g u n g e n ; beispielsweise aber auch bei einer Z e i t b e s t i m m u n g über die Dauer einer Bürgschaft oder eines Mietverhältnisses (RG J W 1906, 348). Wegen des Formzwangs bei V o r v e r t r ä g e n vgl. Anm. 13 vor § 145.

Anm. 32 4. Die Auslegungsregel von § 125 Satz 2 In welchem Sinne ein rechtsgeschäftlicher Formzwang zu verstehen ist, ob als Wirksamkeitsvoraussetzung oder zu Beweiszwecken oder zur Sicherung des Zugehens einer Mitteilung, ist durch Auslegung zu ermitteln. Das Gesetz gibt jedoch eine Auslegungs382

Willenserklärung

§125 Anm. 33—36

regel, indem es die Vermutung aufstellt ( „ i m Zweifel"), es sei echter Formzwang gewollt ( R G Gruchot 52, 928). Hieraus ergibt sich zugleich die Beweisregel, daß in bezug auf die Absicht der Parteien derjenige beweispflichtig ist, der behauptet, die Form sei nur zu Beweiszwecken vereinbart worden. Für die Anwendung des § 125 S. 2 besteht jedoch kein Raum, wenn die Parteien die Beurkundung erst nach Abschluß des Vertrages vereinbaren, da das Gesetz die Beweisregel nur in bezug auf den erst abzuschließenden Vertrag gibt ( R G WarnRspr 1930 Nr. 69). Daher obliegt auch in solchem Falle der Beweis dafür, daß die Gültigkeit des Vertrages von der Wahrung der Form abhängig gemacht worden sei, demjenigen, der behauptet, daß die entsprechende Vereinbarung getroffen worden sei ( R G 94, 333; R G Gruchot 69, 74). Für (frühere) Tarifverträge, die vereinzelt Schriftlichkeit verlangten vgl. R A G 7, 118, 349; R A G H R R 1931 Nr. 1346.

Anm. 33 V. Die formlosen Nebenabreden 1. Die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit Der schriftliche — nicht minder der gerichtlich oder notariell beurkundete — Vertrag hat die Vermutung für sich, daß in ihm der endgültige und maßgebende Vertragswille niedergelegt ist. Wenn die Parteien das Rechtsgeschäft in Schriftform, gerichtlicher oder notariell beurkundeter Form niederlegen, gleichgültig, ob sie hierzu durch Gesetz oder durch rechtsgeschäftliche Vereinbarungen gezwungen waren, wird vermutet, daß die Urkunde vollständig und richtig ist ( R G 52, 23; 65, 46; 68, 15; 77, 405; 85, 326; 88, 370; R G WarnRspr 1911 Nr. 6; R G J W 1912, 237; 1937, 392). Es wird also vermutet, daß alle Abreden in der Urkunde enthalten sind und etwaige bei Vertragsschluß — nicht erst nachträglich —• getroffene Nebenabreden wieder aufgehoben worden sind. Die Vermutung gilt insbesondere dann, wenn die angeblich mündliche Nebenabrede mit dem Inhalt der Urkunde unvereinbar ist ( R G 21.3.1914 V 314/13); ferner auch dann, wenn im Falle ges. Formbedürftigkeit, z. B. notarieller Beurkundung (§ 3 r 3)> n u r eine privatschriftliche Urkunde aufgenommen wird ( R G 5.2.1912 V359/11) und schließlich auch dann, wenn die Urkunde nur des Beweises halber errichtet worden

ist (RG 23.9.1910 I I I 4/10). Anm. 34 2. Ausschluß der Vermutung Für diese Vermutung ist aber nur dann Raum, wenn das, was die Parteien vereinbart haben, klar und zweifelsfrei ist. Ist dies nicht der Fall, sondern der Vertrag auslegungsbedürftig, dann kann die Vermutung nicht angewendet werden, sondern der Inhalt des Vertrages ist durch Auslegung zu ermitteln (§ 133). Dabei ist der Parteiwille unter Berücksichtigung aller Umstände, auch der nicht in der Urkunde enthaltenen Erklärungen festzustellen. Der Einwand, der Vertrag sei anders niedergeschrieben worden als verabredet wurde, kann daher in Betracht kommen ( R G 59, 219; 62, 49). Die Vermutung ist auch dann ausgeschlossen, wenn die Erklärung in der Urkunde nachweisbar nur deshalb fortgelassen worden ist, weil die Beteiligten meinten, daß die Abrede ohnehin schon in den schriftlichen Erklärungen enthalten sei ( R G 88, 372; 52, 23; R G J W 1906, 11, 458).

Anm. 35 3. Anderer Inhalt der Urkunde Wurde ein anderer als der vereinbarte Inhalt in die Urkunde aufgenommen, so kann dies zur Anfechtung wegen Irrtums berechtigen (§ 119). Der Anfechtende muß aber, um die Vermutung der Richtigkeit des schriftlichen Vertrages auszuräumen, geltend machen, daß er sich bei Abgabe der Unterschrift im Irrtum befunden hat.

Anm. 36 4. Unvollständiger Inhalt der Urkunde Wird behauptet, daß die Vertragsurkunde den Vertragsinhalt nicht vollständig wiedergebe, weil daneben noch mündliche Vereinbarungen getroffen seien, so kommt

383

§125

A n m . 37

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

zunächst in Frage, ob die nur mündlich getroffene Abrede neben dem beurkundeten Vertrag überhaupt vertragliche Geltung haben und sonach ebenfalls einen Bestandteil des Vertrags bilden sollte; oder aber, ob sie um deswillen völlig unbeachtlich ist, weil die Parteien nicht willens waren, ihr die Bedeutung einer Vertragsabrede beizumessen, oder ob endlich der beurkundete Vertrag und die mündliche Nebenabrede ohne gegenseitige Abhängigkeit j e für sich bestehen sollten ( R G 102, 64). Liegen danach die Voraussetzungen für die Annahme der Zugehörigkeit der mündlichen Vereinbarung zum niedergeschriebenen Vertrag nicht vor, dann kann die Abrede höchstens bei der Auslegung des Vertrags in Betracht kommen ( R G 62, 49; R G WarnRspr 1 9 1 0 Nr. 408; R A G WarnRspr 1932 Nr. 19). Stellt die Nebenabrede aber einen Bestandteil des schriftlichen Vertrages dar, so daß der beurkundete Teil des Vertrages erst im Zusammenhang mit der mündlichen Nebenabrede den Gesamtvertrag ergibt ( R G 65, 94; 7 1 , 4 1 3 ; 102, 64), dann entsteht bei formbedürftigen Verträgen weiter die Frage, ob der Vertrag nicht wegen Unvollständigkeit nichtig ist. Bei einem Rechtsgeschäft, das nach dem Gesetz nur in bestimmter Form abgeschlossen werden kann, sind in die Urkunde alle wesentlichen Bestandteile des Geschäftes aufzunehmen ( R G 154, 44). So muß die Zusicherung einer Eigenschaft bei formbedürftigen Verträgen in der Vertragsurkunde niedergelegt werden ( R G 52, 1 ; 54, 109; 60, 3 3 8 ; 61, 2 5 1 ; 72, 4 1 7 ) , ebenso der Kaufpreis beim Grundstücksveräußerungsvertrag ( R G n 8, 244 fr).

A n m . 37 5. Die B e w e i s l a s t a ) Die B e w e i s l a s t f ü r die Gültigkeit von N e b e n a b r e d e n bei r e c h t s g e s c h ä f t lichem F o r m z w a n g Die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit kann ausgeräumt werden durch den Nachweis, daß eine mündliche Nebenabrede Teil des Vertrages ist. Die Beweislast für diese Behauptung hat derjenige, der die Abrede geltend machen will (vgl. R G 52, 26; 65, 49; R G WarnRspr 1909 Nr. 340; 1 9 1 1 Nr. 6). Die rechtliche Erheblichkeit der mündlichen Nebenabrede setzt voraus, daß diese nach dem Willen der Parteien Bestandteil des Vertrages sein sollte. Daher ist es bei einer im Voraus getroffenen Abrede erforderlich, daß die Parteien an ihr bis zuletzt haben festhalten wollen. Der Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit kann daher nicht mit der bloßen Behauptung begegnet werden, daß überhaupt eine solche Abrede getroffen worden ist, sondern die sich hierauf berufende Partei hat zumindest wahrscheinlich zu machen, daß man an der getroffenen Abrede bis zuletzt hat festhalten wollen (vgl. R G WarnRspr 1 9 1 7 Nr. 100; 1 9 1 8 Nr. 50). Der in R G 103, 157 vertretenen Auffassung, daß über die Frage, weshalb die mündliche Abrede nicht in die Urkunde aufgenommen worden ist, regelmäßig keine besondere Darlegung zu erfolgen brauche, kann nicht gefolgt werden. Vielmehr wird j e nach Lage des Falles und insbesondere nach der i n h a l t l i c h e n E r h e b l i c h k e i t der Abrede die Beweisanforderung strenger oder weniger streng zu stellen sein. Bei einer Abrede, die sachlich so erheblich ist, daß schon an sich die Annahme begründet scheint, die Parteien haben an ihr dauernd festhalten wollen, oder wenn sich die Richtigkeit dieser Annahme aus dem ganzen Vertragszwecke ergibt, wird möglicherweise schon darin eine genügende Erhärtung der Behauptung des Beweispflichtigen zu finden sein ( R G J W 1 9 1 2 , 2 3 7 ; R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 4 ; 1 9 1 3 Nr. 87; R G Gruchot 65, 80; R G 1 6 . 3 . 1 9 1 8 V 3 7 2 / 1 7 ; 1 1 . 5 . 1 9 1 8 V 3 1 / 1 8 ) . Dabei können auch schon frühere Umstände den vollen Vertragswillen ausreichend ergeben ( R G 68, 1 5 ; R G J W 1910, 936; R G Gruchot 64, 80). Handelt es sich dagegen um eine Abrede m i n d e r e r h e b l i c h e n o d e r a u ß e r g e w ö h n l i c h e n I n h a l t s (beispielsweise um Verzicht auf die Gewährleistung oder andererseits um eine Garantieleistung), dann wird sich ein gewisser Schluß darauf, daß die Abrede auch noch bei Vollziehung des Vertrags (§ 126) als maßgebend erachtet worden, regelmäßig nur dann ergeben, wenn auch wahrscheinlich gemacht wird, weshalb die Aufnahme der Abrede in die Vertragsurkunde unterblieben ist ( R G J W 1 9 1 1 , 534). Ein allgemeiner Grundsatz aber des Inhalts, der Beweispflicht könne immer nur dann genügt sein, wenn durch Anführung bestimmter 384

Willenserklärung

§125 Anm. 38—41

Umstände dargetan worden ist, weshalb die Nebenabrede nicht in die Urkunde aufgenommen sei, läßt sich nicht aufstellen (RG 52, 25; 68, 15; 88, 370; 103, 157; R G J W 1912, 237; 1915, 506; RG WarnRspr 1918 Nr. 50). Steht es fest, daß eine neben dem schriftlichen Vertrage getroffene mündliche Abrede unbedingt maßgebend sein soll, so ist sie bindend, mögen sich die Parteien auch nicht dessen bewußt gewesen sein, daß die Abrede über den Vertrag hinausgehe oder gar gegen ihn verstoße (RG L Z 1922, 259). Anm. 38 b) Beweislast für die Gültigkeit von Nebenabreden bei gesetzlichem F o r m zwang Ist bei einem nach dem Gesetz formbedürftigen Vertrag eine mündliche Nebenabrede nicht beurkundet worden, der Vertrag deshalb nichtig, aber durch spätere Erfüllung (Auflassung) geheilt, so umfaßt die Beweislast auch den Nachweis, daß die Parteien die Abrede auch noch zur Zeit der Auflassung haben gelten lassen wollen (RG 52, 4; 54, 109; 61, 2 5 1 ; 65, 49; RG Gruchot 48, 793; RG WarnRspr 1909 Nr. 350; 1910 Nr. 1 ; RG J W 1912, 237). Anm. 39 c) Weitere Einwendungen Der Einwand, daß man die Urkundenverlesung überhört oder das Selbstlesen versäumt habe, ist in der Regel nicht zuzulassen (RG 13. 4. 1907 V 378/06). Jedenfalls wird man bei öffentlichen Urkunden bis zum Beweise des Gegenteils davon ausgehen müssen, daß die Vertragspartei durch ihre Erklärung, daß sie das ihr Vorgelesene genehmige, ihren Willen hat kundtun wollen, alles Vorgelesene vollinhaltlich als maßgebend gelten zu lassen. Der Beweis, daß letzteres nicht zutreffe, die Partei vielmehr nur das habe genehmigen wollen, was sie als Vertragsinhalt angenommen habe, ist jedoch zuzulassen. Der § 415 ZPO schließt diese Annahme nicht aus, da das Wort „Vorgang" in Abs. 2 nicht auf die äußeren Umstände des Herganges einzuschränken ist, diese Vorschrift vielmehr auch den Beweis zuläßt, daß der Inhalt der Urkunde nicht dem wirklichen Willen der Vertragspartei bei Aufnahme der Urkunde entspreche (vgl. R G 50, 420; RG J W 1909, 1461; 1912, 87; RG 15. 4. 1916 V 73/16). Anm. 40 6. Die Nichtigkeit wegen mangelnder F o r m von Nebenabreden Soweit ein Formzwang besteht, sind die nur formlos getroffenen Nebenabreden nichtig. Ob infolge dieser teilweisen Nichtigkeit das gesamte Rechtsgeschäft, also auch der formgemäß abgeschlossene Teil nichtig ist, hängt davon ab, ob das Geschäft nach dem Parteiwillen nur so Geltung haben sollte, wie es sich nach den gesamten Abreden darstellt, oder ob die Parteien es auch ohne den nichtigen Teil abgeschlossen haben würden (§ 13g; RG 52, 4; 65, 393). Wird von der Nichtigkeit der Nebenabrede auch der schriftliche Vertrag mitergriffen, so hat dieser nur noch die Bedeutung einer Beweisurkunde. Zu unterscheiden ist zwischen gesetzlich vorgeschriebener und gewillkürter Form. Wird die Form vom Gesetz vorgeschrieben, so ergreift dieser Formzwang notwendig den ganzen Vertrag. Daraus folgt, daß auch jede einzelne, sei es nach der Natur des Geschäftes, sei es nach dem Willen der Parteien, wesentliche Abrede unter den Formzwang fällt. Eine formlos getroffene Nebenabrede stellt daher die Wirksamkeit des ganzen Vertrages in Frage. Anm. 41 Im Falle des gewillkürten Formzwanges besteht ein Formzwang nur insoweit, als es die Parteien wollen. Es steht daher auch in ihrem Belieben, ob sie neben dem schriftlichen Vertrag noch mündlich getroffene Abreden gelten lassen wollen, etwa weil der Formzwang sich nicht auf sie erstrecken sollte. Falls die Schriftform nicht Erfordernis für die Gültigkeit des Vertrages ist, sind auch die mit dem Wortlaut in Widerspruch

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§125 A n m . 42—45

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

stehenden Abreden als rechtswirksam anzusehen, wenn nachgewiesen wird, daß sie an Stelle des Beurkundeten Geltung haben sollten. Eine formlose Nebenabrede kann sich auch als ein selbständiger Nebenvertrag darstellen. Dann hat sie, falls sie selbst nicht formbedürftig ist, neben dem schriftlichen Vertrag Geltung (RG 65, 49; RG L Z 1919, 590). Schließlich besteht aber bei verabredeter Form die Vermutung, daß der Vertrag nicht geschlossen ist, bis die Beurkundung erfolgte (§ 154, Abs. 2). A n m . 42 7. N e b e n a b r e d e n bei einseitiger S c h r i f t f o r m Die Grundsätze von den Nebenabreden zu einem schriftlichen Vertrag sind im allgemeinen auch dann anzuwenden, wenn das Gesetz nur einseitige Schriftform verlangt. A n m . 43 VI. A u s n a h m e v o n der N i c h t i g k e i t s f o l g e bei F o r m m a n g e l , Heilung des Mangels, Umdeutung 1. A u s n a h m e v o n § 125 Von dem im § 125 aufgestellten Grundsatz, daß die Nichtbeachtung der Form Nichtigkeit des Geschäftes zur Folge hat, gibt es im Gesetz geregelte Ausnahmefälle. Danach tritt bei Verletzung der Formvorschrift keine, oder keine unbedingte Nichtigkeit ein. Hierzu gehört § 566, wonach ein Mietvertrag über ein Grundstück, der für länger als ein J a h r geschlossen wird, formbedürftig ist. Wird die Form nicht eingehalten, dann ist der Vertrag nicht nichtig, sondern gilt als auf unbestimmte Zeit geschlossen. Das gleiche gilt für Miete von Wohnräumen (§ 580) und Pacht (§ 581 Abs. 2). Ferner gehört hierher § 1154. Danach ist zur Abtretung der Forderung einer Hypothek eine schriftliche Abtretungserklärung erforderlich. Nach § 1154 Abs. 2 kann diese Schriftform durch Eintragung der Abtretung ins Grundbuch ersetzt werden. A n m . 44 2. Heilung d e s F o r m m a n g e l s durch Erfüllung Ein formlos geschlossener Grundstücksveräußerungsvertrag ist gem. § 3 1 3 nichtig. Der Mangel der Form wird aber geheilt, wenn Auflassung und Eintragung im Grundbuch erfolgen. Eine Heilung des Mangels tritt aber nur dann ein, wenn die Auflassung der formlosen Vereinbarung nachfolgt und diese erfüllen soll. Deckt die Auflassung das formungültige Geschäft nicht, so kommt ihr auch keine heilende Wirkung zu (OGH NJW 1949, 182, vgl. Näheres bei Anm. zu § 313). Nach § 766 muß die Bürgschaftserklärung schriftlich erteilt werden. Der Mangel der Form wird aber auch hier insoweit geheilt, als der Bürge die Hauptverbindlichkeit erfüllt (§ 766 S. 2). Das formlos abgegebene Schenkungsversprechen unter Lebenden (§518) ist ebenfalls nichtig, aber auch hier wird der Formmangel durch Erfüllung geheilt. Bei einer gemischten Schenkung besteht die Möglichkeit einer nur teilweisen Nichtigkeit (vgl. R G 148, 236). Die Heilung des Mangels wirkt in allen diesen Fällen nicht zurück. Vgl. im übrigen Näheres bei den Anm. zu den gen. Bestimmungen. Im Ehegesetz tritt eine Heilung der Ehenichtigkeit durch Zeitablauf ein (§ 17, Abs. 2 EheG). A n m . 45 3. U m d e u t u n g Ein wegen Formmangels nichtiges Rechtsgeschäft kann u. U. die Bestandteile eines anderen Rechtsgeschäftes enthalten, zu dessen Entsteheung eine Form nicht erforderlich ist. In diesen Fällen gilt das andere Rechtsgeschäft, wenn anzunehmen ist, daß dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde (§ 140).

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Willenserklärung

§ 1 2 5 A n m , 46

§ 126 Anm. 1 Anm. 46 VII. Prozeßhandlungen, Prozeßvergleich Prozeßhandlungen sind ausschließlich nach Verfahrensrecht zu beurteilen und zwar auch dann, wenn es sich um formbedürftige Geschäfte handelt ( R G 135, 338). Durch einen im Prozeß geschlossenen Vergleich, der ein formbedürftiges Geschäft zum Gegenstand hat, wird jede Form des B G B ersetzt ( B G H 14, 3 8 1 ) . V g l . Vorbem. vor § 104.

§136 Ist durch Gesetz schriftliche Form vorgeschrieben, so muß die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels gerichtlich oder notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet werden. Bei einem Vertrage muß die Unterzeichnung der Parteien auf derselben Urkunde erfolgen. Werden über den Vertrag mehrere gleichlautende Urkunden aufgenommen, so genügt es, wenn jede Partei die für die andere Partei bestimmte Urkunde unterzeichnet. Die schriftliche Form wird durch die gerichtliche oder notarielle Beurkundung ersetzt. E I 92 Abs. I, 3, 94 Abs. i II 105; M 1 184ÎÏ; i88ff; P i 89fr., 99ÉF; 5 444; 6 130ff

Ubersicht I. Gesetzliche Schriftform 1. Allgemeines 2. Inhalt der Urkunde 3. Einheitlichkeit der Urkunde 4. Beweiskraft der Urkunde I I . Die Unterschrift 1. Unterschrift als Abschluß der Urkunde 2. Blankounterschrift 3. Unterschrift bei Verträgen a) Verträge in einer Urkunde b) Verträge in mehreren Urkunden c) Wirksamwerden schriftlicher Erklärungen d) Abänderung oder Erneuerung vollzogener schriftlicher Verträge I I I . Die Eigenhändigkeit der Unterschrift 1. Der Aussteller 2. Faksimile 3. Unterschrift durch Vertreter I V . Arten der Unterschrift V . § 126 Abs. 3

Anm. 1—4 i 2

3 4

5—10

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10 Ii—13 11 12 13 14 15

Anm. 1 I. Gesetzliche Schriftform 1. Allgemeines Die Vorschrift bezieht sich nur auf die Fälle des gesetzlichen Formzwanges (vgl. anderseits § 127), ist insoweit aber auch in den außerhalb des B G B geregelten entsprechenden Fällen anzuwenden. Die in Betracht kommenden Vorschriften sind §§ 32 Abs. 2, 37 Abs. 1, 81 Abs. 1, m Abs. 3, 368, 409, 4 1 0 , 4 1 6 Abs. 2, 566, 761, 766, 78off, 792ff, 1 1 5 4 , 1 3 2 1 ; H G B 78, 79; A k t G 30 Abs. 2, 1 2 1 Abs. 2 u. a. m. T e l e g r a f i s c h e Ü b e r m i t t l u n g der Erklärung kann nur die durch Rechtsgeschäft vereinbarte Schriftform (§ 127 Abs. 2), nicht aber die durch Gesetz bestimmte Schriftform ersetzen. Ein Telegramm wahrt deshalb die für die Bürgschaftserklärung

387

§126

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 2—6 vorgeschriebene Schriftform nicht. Dies gilt nicht nur für fernmündlich aufgegebene Telegramme, sondern auch dann, wenn das Aufgabeformular des Telegramms die eigenhändige Unterschrift des Aufgebenden aufweist (BGH 24, 297).

Anm. 2 2. Inhalt der Urkunde Zur W a h r u n g d e r S c h r i f t f o r m ist erforderlich, daß in die Urkunde sämtliche Teile des Rechtsgeschäfts, bei einem Vertrage sämtliche von den Parteien als wesentlich erachteten Punkte aufgenommen werden. Dabei müssen die von dem Formerfordernis betroffenen Willenserklärungen in irgend einer erkennbaren Weise in der Urkunde ihren schriftlichen Ausdruck gefunden haben (RG 57, 260; 80, 402 fr; 136, 424; R G WarnRspr 1932 Nr. 1 3 7 ; R G Gruchot 69, 76). Der Parteiwille braucht sich jedoch nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Urkunde zu ergeben. Es genügt, wenn unter Anwendung der gesetzlichen Auslegungsregeln die formbedürftigen Willenserklärungen in der Urkunde gefunden werden können (RG H R R 1930 Nr. 278). Bei der Auslegung eines Vertrags sind auch Umstände außerhalb der Urkunde heranzuziehen zur Prüfung, ob die Beteiligten etwa den Wortlaut der Urkunde für einen genügenden Ausdruck ihres Vertragswillens gehalten und ihn deshalb gewählt haben, wenn er auch nicht für jeden Dritten erkennbar war (RG 154, 41).

Anm. 3 3. Einheitlichkeit der Urkunde Die rechtsgeschäftlichen Erklärungen, für die Schriftform vorgeschrieben ist, müssen in e i n e r Urkunde enthalten sein. M e h r e r e B l ä t t e r müssen zu einer e i n h e i t l i c h e n Urkunde zusammengefaßt sein (RG 136, 425). Die Unterzeichnung eines Schriftstücks, das erst im Zusammenhang mit anderen Schriftstücken, auf die Bezug genommen wird, die Erklärungen der Beteiligten erkennen läßt, genügt daher zur Wahrung der gesetzlichen Schriftform nicht (RG 105, 292; R G H R R 1928 Nr. i960; R A G 12, 174). Ist aber das in Bezug genommene Schriftstück der Haupturkunde u n m i t t e l b a r beigefügt, so daß beide eine Einheit bilden, dann deckt die Unterschrift unter der Haupturkunde auch den Inhalt der damit verbundenen Anlage (RG 107, 294; 125, 156; 1 3 1 , 1 ; 136, 424). Einheitlichkeit, d . h . körperliche Zusammengehörigkeit, liegt auch vor, wenn innerlich aufeinander verweisende Urkunden gemäß dem Willen des Ausstellers zu einem Aktenstück genommen werden (RG 148, 349). Auch Brief und Umschlag bilden regelmäßig eine Einheit (RG 137, 216; vgl. aber auch R G 110, 168).

Anm. 4 4. Beweiskraft der Urkunde Die in der vorgeschriebenen Form errichtete Privaturkunde begründet gem. § 4 1 6 Z P O den vollen Beweis dafür, daß die in ihr enthaltenen Erklärungen von dem Aussteller abgegeben worden sind.

Anm. 5 II. Die Unterschrift 1. Unterschrift als Abschluß der Urkunde Das Vorhandensein einer „ U n t e r s c h r i f t " als solcher setzt nur voraus, daß sie bei der (fertigen) Urkunde u n t e r h a l b des T e x t e s steht (RG 52, 280; 57, 67), d. h. sie ist örtlich so anzubringen, daß sie sich äußerlich als eine den Inhalt der Urkunde deckende und sie vollendende Willenserklärung darstellt (RG 62, 175; 1 1 0 , 168).

Anm. 6 2. Blankounterschrift Nicht notwendig ist dagegen im allgemeinen, daß die Unterschrift erst nach der Fertigstellung des Textes geleistet wird. Es genügt vielmehr in der Regel auch die sog. B l a n k o u n t e r s c h r i f t (RG 78, 29). Denjenigen, der die Blankounterschrift vollzogen hat, trifft gegebenenfalls die Beweislast dafür, daß der darüber gesetzte Text nicht 388

Willenserklärung

§126

A n m . 7—9 seinem Willen entspricht ( R G 57, 68; 63, 234; 71, 116, Str.). Hat er diesen Beweis geführt, dann kann er seine Erklärungen nur gemäß § 119 anfechten. Unwirksam ist die Abtretung einer Hypothek oder Grundschuld an einen u n g e n a n n t e n Abtretungsempfänger ( R G 63, 324fr). Sie wird aber wirksam, wenn die Abtretungsurkunde auf Grund einer Ermächtigung des abtretenden Hypothekengläubigers nachträglich mit dem Namen des Abtretungsempfängers ausgefüllt wird ( B G H 22, 128). In den Fällen, in denen die Schriftform allein oder in Verbindung mit einer anderen Tatsache unmittelbar zu einem dinglichen Rechtsübergang führt, wirkt das nachträgliche Ausfüllen einer B l a n k o a b t r e t u n g s e r k l ä r u n g nicht auf den Zeitpunkt der Unterschriftsleistung zurück ( R G 63, 324fr; B G H 22, 132). Diese Beschränkung gilt jedoch nicht bei B l a n k o v e r p f ä n d u n g e n von Hypotheken und Grundschulden ( R G 78, 30).

Anm. 7 3. Unterschrift bei Verträgen a) Verträge in einer Urkunde Bei V e r t r ä g e n muß im Falle gesetzlichen Formzwanges (bei gewillkürtem Formzwang vgl. § 127 Satz 2), wenn nur eine Urkunde vorhanden, die Unterzeichnung notwendig auf der nämlichen Urkunde erfolgen. Eine getrennte Beurkundung von Angebot und Annahme ist nur zulässig in den Fällen, in denen das Gesetz gerichtliche oder notarielle Beurkundung vorschreibt, sie genügt dagegen nicht, wenn vom Gesetz einfache Schriftform (§ 126) verlangt wird ( R G 8 7 , 196; 93, 176; 95, 83fr; 105, 62; 112, 200).

Anm. 8 b) Verträge in mehreren Urkunden Sind m e h r e r e U r k u n d e n errichtet worden, so muß jede Urkunde den gesamten Vertrag wiedergeben. In diesem Falle reicht es aus, wenn jede Vertragspartei die für den anderen Teil bestimmte Urkunde unterzeichnet. Dagegen genügt es nicht, daß jede Urkunde nur die e i n s e i t i g e Willenserklärung einer Partei darstellt ( R G J W 1934, 1233), so z. B. beim Briefwechsel ( R G 59, 245; 68, 186; 95, 84; R G H R R 1936 Nr. 790). A u c h die e i n s e i t i g e B e s t ä t i g u n g e i n e s V e r t r a g s v e r h ä l t n i s s e s genügt nicht zur Wahrung der gesetzlichen Schriftform. Die Schriftform wird auch nicht gewahrt, wenn jede Partei ihre einseitigen Erklärungen unterschreibt und diese Erklärungen aneinander gereiht werden, oder wenn eine Partei lediglich den Teil der Urkunde unterzeichnet, der ihre einseitigen Erklärungen enthält, und nur der andere Teil den gesamten Vertragsinhalt unterzeichnet. Daher genügt es auch nicht, wenn beispielsweise bei einem Mietvertrag gemäß § 566 der Mieter den Vertragsantrag des Vermieters auf gleicher Linie mit dessen Namenszug unter Voranstellung des Wortes ,,Einverstanden" unterschreibt ( R G 87, 198; 105, 62).

Anm. 9 c) Wirksamwerden schriftlicher Erklärungen Bei Willenserklärungen, die erst mit dem Z u g e h e n wirksam werden (§ 130), kommt der Vertrag nicht schon durch die beiderseitige Unterzeichnung der Vertragsurkunden zustande. Erforderlich ist vielmehr, daß die unterzeichneten Urkunden jeweils der Gegenseite zugegangen sind. Unter Anwesenden ist die Überreichung der Urkunde zum Zustandekommen des schriftlichen Vertrags erforderlich ( R G 61, 415). Vergleiche im übrigen Näheres bei den Anm. zu § 130. Die ausgetauschten urkundlichen Erklärungen stellen eine Einheit dar ( R G WarnRspr 1908 Nr. 25). Handelt es sich nur um e i n e Urkunde, dann ist ein schriftlicher Vertrag erst zustande gekommen, wenn der mit der Unterschrift des Antragenden versehene Antrag an ihn — vom Annehmenden unterzeichnet — wieder zurück gelangt ist. Dies gilt auch dann, wenn die Parteien sich zuvor bereits über den Vertragsinhalt geeinigt hatten ( R G 61, 347; 93, 175; 96, 288). Eine Ausnahme hiervon besteht nur gemäß § 152. 26

K o m m . z. B G B . II.AUH. I. Bd. (Kriiger-Nieland)

389

§ 126

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 10—13 Anm. 10 d) Abänderung oder Erneuerung vollzogener schriftlicher Verträge Wird ein bereits vollzogener Vertrag von einem Vertragsteil n a c h t r ä g l i c h a b g e ä n d e r t , so bedarf es, falls die Abänderung im Einverständnis mit dem anderen Vertragsteil erfolgt, nicht einer nochmaligen Unterschrift, um einen den nachträglichen Abreden entsprechenden schriftlichen Vertrag herzustellen ( R G 78, 30; R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 165). Ebenso ist es grundsätzlich zulässig, eine alte, schon unverbindlich gewordene Urkunde — z. B. eine äußerlich unverändert gebliebene, aber inhaltlich ungültig gewordene Hypothekenverpfändungsurkunde — ohne nochmalige Unterschrift zur Begründung eines neuen Rechtsgeschäfts (neue Verpfändung) mit dem früheren Inhalt zu verwenden ( R G 78, 30).

Anm. 11 III. Die eigenhändige Unterschrift 1. Der Aussteller Die Urkunde muß zwar vom Aussteller nicht selbst geschrieben ( R G 57, 67), wohl aber von ihm eigenhändig unterzeichnet werden. Als Aussteller einer Urkunde gilt, wer die in ihr enthaltene, von ihm unterschriebene rechtsgeschäftliche Erklärung, sei es in eigenem Namen, sei es als Vertreter, abgegeben hat ( R G 76, 1 9 1 ; 96, 288). Die bloße Mitunterschrift der Urkunde eines andern, die keine Erklärung des Mitunterschreibenden enthält, kann auch keine zu ihrer Begründung der Schriftform bedürfende Verpflichtung (Bürgschaft) zur Entstehung bringen; wohl aber möglicherweise eine Verbindlichkeit, zu deren Begründung die Schriftform nicht erforderlich ist (Schuldübernahme; R G 77, 3 7 8 ; 78, 39).

Anm. 12 2. Faksimile Die Unterzeichnung muß h a n d s c h r i f t l i c h geschehen. Die Verwendung einer N a c h b i l d u n g der Unterschrift (Faksimile) reicht zur Wahrung der Schriftform nach § 126 nicht aus ( R G 74, 339; 106, 3 3 0 ; R G J W 1900, 469; R G H R R 1933 Nr. 1326). So genügt z . B . eine faksimilierte Unterschrift bei der Ausstellung von Verpflichtungsscheinen an Order durch einen Nichtkaufmann nicht ( R G J W 1 9 1 1 , 86). Hinsichtlich der Übermittlung durch Telegramm vgl. Anm. 1 oben.

Anm. 13 3. Unterschrift durch Vertreter Der gesetzlichen Schriftform wird genügt, wenn der b e v o l l m ä c h t i g t e V e r t r e t e r als Aussteller der Urkunde mit d e m N a m e n ( o d e r d e r F i r m a ) des Vertretenen unterschreibt. Das Gesetz verlangt nur Unterzeichnung durch „Namensunterschrift" durch den Aussteller der Urkunde. Es verlangt aber nicht, daß der Aussteller mit seinem e i g e n e n Namen unterzeichnet. Es ist daher nicht ausgeschlossen, daß der Aussteller auch mit dem Namen eines anderen unterschreibt ( R G 74, 69; 8 1 , 2). Voraussetzung ist aber, daß es sich um einen S t e l l v e r t r e t e r und nicht nur um einen S c h r e i b g e h i l f e n handelt. Wird die Unterschrift von einer Person vollzogen, die bloßes Werkzeug ist, etwa weil ihr nicht nur der Text, sondern auch die Unterschrift •— wenn auch vom Erklärenden — diktiert wird, dann ist die Schriftform nicht gewahrt ( R G 58, 387; R G J W 1 9 1 1 , 442). War aber eine handlungsfähige Person damit beauftragt, die für die Abgabe einer urkundlichen Erklärung erforderliche Unterschrift zu vollziehen, dann bedient sich der Auftraggeber des Beauftragten regelmäßig nicht als Werkzeug, sondern als rechtsgeschäftlichen Vertreter. Wenn der Beauftragte daher mit dem Namen des Auftraggebers unterschreibt, ist in der Regel anzunehmen, daß er als Vertreter handelt, und zwar auch dann, wenn das Vertreterverhältnis sonst aus der Urkunde nicht hervorgeht ( R G 8 1 , 2). Es ist auch zulässig, daß der Vertreter die Urkunde mit seinem Namen und außerdem mit dem Namen des Vertretenen unterzeichnet. Unterzeichnet der Vertreter die Urkunde (Vertrag) nur mit s e i n e m e i g e n e n N a m e n , dann ist der erforderlichen

390

Willenserklärung

§ 126 A n m . 14, 15

§ 127 Schriftform nur dann Genüge geschehen, wenn die Stellvertretung aus der Urkunde selbst irgendwie hervorgeht (RG 67, 214; 71, 116; 75, 3; 76, 306; 80, 405; 96, 289; RG Gruchot 69, 76). Gibt ein Vertreter in der Urkunde Erklärungen für mehrere Vertretene ab, so genügt seine einmalige Unterschrift auch ohne einen Zusatz über die Vertretungsverhältnisse, wenn sich diese aus der Urkunde selbst ergeben. Das Vorhandensein eines rechtsgeschäftlichen Vertreterverhältnisses wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Vertreter vor Abgabe der Unterschrift zuvor die Willensmeinung des Vertretenen einholt (RG 76, 99). — Vorstehende Grundsätze gelten insbesondere auch hinsichtlich der Unterzeichnung von W e c h s e l n durch Dritte (RG 50, 5 1 ; RG WarnRspr 1908 Nr. 596). Anm. 14 IV. Arten der Unterschrift Die Unterschrift kann entweder durch Unterzeichnung mit dem Namen oder durch gerichtlich oder notariell beglaubigtes Handzeichen geleistet werden. Zur Namensunterschrift genügt der v o l l e F a m i l i e n n a m e . Die Beifügung des Vornamens ist nur bei der Errichtung des eigenhändigen Testamentes erforderlich. Unter Umständen, etwa bei Familienbriefen, genügt auch der Vorname (RG 137, 213). Kaufleute haben die Wahl, mit der F i r m a (jedoch nicht beim Testament) oder mit dem Namen zu unterzeichnen (RG 50, 60; 75, 1). Die Unterschrift mit der Firma genügt aber nur dann, wenn sie die Firma so wiedergibt, daß dies, der Verkehrsauffassung entsprechend, zur Individualisierung ausreicht (RG WarnRspr 1914 Nr. 272). Auch die Unterzeichnung mit einem angenommenen Namen, ( P s e u d o n y m ) oder einem Spitznamen muß als genügend angesehen werden, wenn der Deckname über die in Betracht kommende Person keinen Zweifel läßt. Welches H a n d z e i c h e n benutzt wird, ist gleichgültig. Es muß aber eigenhändig angefertigt und gerichtlich oder notariell beglaubigt sein. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Unterzeichnende schreiben oder lesen kann und ob er der in der Urkunde gewählten Sprache kundig ist (RG J W 1900, 2g). A n m . 15 V. § 126 Abs. 3 § 126 Abs. 3 bezieht sich nicht nur auf Beurkundungen von Rechtsgeschäften, sondern auf gerichtliche und notarielle Beurkundungen jeder Art, mithin auch auf solche gerichtliche oder notarielle Beurkundungen, bei denen das aufgenommene Protokoll nicht unterschrieben (RG 64, 87) oder vorgelesen zu werden braucht (RG 76, 194). Die Vorschrift bedeutet aber nicht etwa, daß eine Willenserklärung die Schriftform niemals dann erfüllen kann, wenn sie Bestandteil einer Verhandlung ist, die nur als solche unterschrieben, aber nicht in gerichtliche oder notarielle Form gekleidet ist (RG 142, 307).

§ 127 Die Vorschriften des § 126 gelten i m Zweifel auch für die durch Rechtsgeschäft b e s t i m m t e schriftliche Form. Zur Wahrung der F o r m genügt jedoch, soweit nicht ein anderer Wille anzunehmen ist, telegraphische Übermittlung und bei einem Vertrage Briefwechsel; wird eine solche F o r m gewählt, so kann nachträglich eine dem § 126 entsprechende Beurkundung verlangt werden. E I 92 Abs. 2, 93, 94 Abs. 2 II 106; M I i8j, 187; P I 90, 92fr, tjc/ff; 6 ijoff. Übersicht I. Die rechtsgeschäftliche Schriftform II. Erleichterungen der Schriftform 1. Telegrafische Übermittlung 2. Briefwechsel 3. Fernschreiber III. Die nachträgliche Beurkundung IV. Die Beweislast 26*

Anm. i—3 4—7 5 6 7 8 9 391

§127 Anm. 1—4

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 1 I. Die rechtsgeschäftliche Schriftform Die Vorschrift betrifft nur den Fall der d u r c h R e c h t s g e s c h ä f t v e r e i n b a r t e n S c h r i f t f o r m . Diese kann sowohl einseitig, z.B. in einer Vollmachtsurkunde, als auch vertraglich vorgesehen sein. Das Gesetz stellt für diese Fälle die V e r m u t u n g auf, daß für den vereinbarten Formzwang die Grundsätze des § 126 gelten sollen. Die Parteien können jedoch etwas anderes bestimmen und es gilt alsdann nicht die Formvorschrift des § 126, sondern das Vereinbarte. Welche Form an Stelle der ges. Schriftform erforderlich oder genügend sein soll, ist aus dem Parteiwillen und den Gepflogenheiten und Auffassungen des Rechtsverkehrs zu entnehmen. So ist die Unterzeichnung durch mechanisch hergestellte oder faksimilierte Unterschrift im Gegensatz zu § 126 regelmäßig zulässig (RG 106, 330 ff; 125, 73). Dafür, daß eine Bestimmung der Schriftform überhaupt erfolgt ist, besteht keine Vermutung, weder eine gesetzliche noch eine auch nur tatsächliche, mag auch in Wirklichkeit eine Beurkundung irgendwelcher Art stattgefunden haben; der Beweis obliegt dem, der die Bestimmung der Schriftform behauptet; über Beweislast vgl. Anm. 9. Die Vermutung bezieht sich auch nur auf die Erklärungsform, dagegen nicht auf eine etwa verabredete U b e r s e n d u n g s f o r m , wie beispielsweise die Übermittlung eines Briefes mittels „Einschreiben" (RG 77, 70; RG J W 1935, 2885). Die vereinbarte Form der Kündigung durch eingeschriebenen Brief wird dadurch ersetzt, daß der Gegner von dem Inhalt der die Kündigung enthaltenden Klagschrift Kenntnis erhält (RG 77, 70). Das gleiche muß gegebenenfalls gelten, wenn der Gegner von dem Inhalt eines ihm zugegangenen Kündigungsschreibens auf sonstige Weise Kenntnis nimmt, da die Vereinbarung, daß die Kündigung durch eingeschriebenen Brief zu erfolgen habe, nur die Gewähr dafür bieten soll, daß dem Gegner die Kündigung zugehen werde (vgl. Anm. 16 zu § 130). Anm. 2 Die §§ 126, 127 finden auch Anwendung auf einen s c h i e d s g e r i c h t l i c h e n A u s s p r u c h , wenn dessen Schriftlichkeit bedungen ist (RG J W 1 9 1 1 , 412). Ein L e b e n s v e r s i c h e r u n g s v e r t r a g ist gültig, auch wenn der Versicherungsantrag von dem Bevollmächtigten des Antragstellers nur mit dem eigenen Namen unterschrieben worden ist (RG J W 1927, 654). Anm. 3 M ü n d l i c h e N e b e n a b r e d e n können trotz entgegenstehender Bestimmungen des schriftlichen Vertrages wirksam getroffen werden, auch wenn die Beteiligten sich der Abweichung vom schriftlichen Vertrag nicht bewußt sind. Voraussetzung ist nur, daß nach ihrem Willen die Abreden neben dem schriftlichen Vertrag gelten sollen (RG SeufFArch 77 Nr. 1 1 3 ; vgl. Näheres Anm. 33—42 zu § 125). Auf Prozeßhandlungen, wie etwa den Widerruf eines Prozeßvergleichs, der nach Vereinbarung durch Anzeige zu den Gerichtsakten geschehen soll, findet § 127 keine Anwendung. Es genügt, wenn die Anzeige in prozeßrechtlich einwandfreier Form erfolgt (RG 135, 338; B G H 24, 300). Der gewillkürte Formzwang kann im beiderseitigen Einverständnis wieder b e s e i t i g t werden. Vgl. Näheres hierzu Anm. 30 zu § 125. Anm. 4 I I . Erleichterungen der Schriftform Die Vermutung des § 127 S. 1 bezieht sich aber nicht auf alle sich aus § 126 ergebenden Formerfordernisse. Das Gesetz hat vielmehr bei der gewillkürten Schriftform zwei E r l e i c h t e r u n g e n vorgesehen, die jedoch nur dann gelten, wenn die Parteien nichts Abweichendes vereinbart haben. Zur Wahrung vereinbarter Schriftform genügt danach die t e l e g r a f i s c h e Ü b e r m i t t l u n g und bei einem Vertrag B r i e f w e c h s e l . 392

Willenserklärung

§127

Anm. 5—9

Anm. 5 1. Telegrafische Übermittlung Das aufgegebene Telegramm braucht der Form des § 1 2 6 nicht zu entsprechen, denn das Gesetz spricht nur von der „Übermittlung" einer Erklärung. Eine eigene Unterschrift des Absenders ist nicht erforderlich, das Telegramm kann deshalb auch fernmündlich aufgegeben werden (str.). Andererseits wird zur Wahrung der Form aber notwendig sein, daß dem Empfänger der Inhalt des Telegramms schriftlich und nicht nur mündlich mitgeteilt wird (so auch S t a u d i n g e r Anm. 3 zu § 127). Wegen der Folgen bei unrichtiger Übermittlung vgl. Anm. zu § 120. Anm. 6 2. Briefwechsel Bei Verträgen genügt zur Wahrung der gewillkürten Schriftform der Austausch schriftlicher Erklärungen (Briefe). Hier liegt kein Grund vor, von dem Erfordenis der Namensunterschrift abzusehen (streitig aA S t a u d i n g e r Anm. 4 zu § 1 2 7 ; P l a n k Anm. 2 zu § 127). Das Formerfordernis soll wohl nur insoweit erleichtert werden, -als im Gegensatz zu § 126 nicht die Unterzeichnung auf ein und derselben Urkunde verlangt wird. Für die Ansicht, daß das Gesetz die Formfreiheit im gegebenen Falle noch weiter begünstigen wolle, findet sich dagegen in der vorliegenden Bestimmung keine Stütze. Die Briefe, durch die ein Vertrag geschlossen wird, müssen also von den Vertragsteilen oder ihren zum Abschluß bevollmächtigten Vertretern unterschrieben werden. Im Falle der Gesamtvertretung (Gesamtprokura) genügt jedoch unter Umständen die Unterschrift eines der mehreren Vertreter (RG 106, 268). Der Briefwechsel genügt nicht, wenn es sich um ein Abkommen im Sinne von § 566 handelt (Mietverlängerung für mehrere Jahre; vgl. RG WarnRspr 1919 Nr. 163). Anm. 7 3. Fernschreiben Bei der Entstehung des BGB war der elektrische Fernschreiber noch nicht bekannt. In analoger Anwendung des § 127 muß es aber zur Wahrung der vereinbarten Schriftform auch zulässig sein, die Erklärungen durch Fernschreiber zu übermitteln (so auch S t a u d i n g e r Anm. 5 zu § 127). Anm. 8 III. Die nachträgliche Beurkundung Der Empfänger einer telegrafisch oder durch Brief übermittelten Erklärung kann nachträglich eine dem § 126 entsprechende Beurkundung verlangen. Diese dient dann nur B e w e i s z w e c k e n . Beim Briefwechsel ist hierzu jeder Beteiligte berechtigt, weil jeder Empfänger einer Erklärung ist. Das Recht auf nachträgliche Beurkundung stellt aber kein neues, für die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts bedeutsames Formerfordernis dar, ein Verlangen nach Satz 2 Halbs. 2 berührt deshalb die Gültigkeit des Geschäftes nicht. Anm. 9 IV. Beweislast Da eine Vermutung dafür, daß überhaupt Schriftform vereinbart sei, nicht besteht, hat grundsätzlich derjenige, der eine solche Vereinbarung behauptet, diese zu beweisen (RG H R R 1936 Nr. 791). Gegenüber einer Klage, die sich auf einen m ü n d l i c h e n V e r t r a g s a b s c h l u ß stützt, stellt aber der Einwand des Beklagten, der Vertrag sei nicht rechtswirksam abgeschlossen, weil Schriftform vereinbart worden sei, ein Bestreiten des Klaggrundes dar. Der Kläger ist deshalb beweispflichtig, daß der Vertrag formlos zustandegekommen ist. Hierbei kann es für den Tatrichter möglicherweise genügen, wenn der Kläger dartut, daß die zum Vertragsschluß führenden Vorgänge nichts dafür erkennen lassen, daß nach dem Parteiwillen der Vertrag nur bei Beurkundung wirksam sein sollte (RG J W 1919, 304; RG WarnRspr 19x3 Nr. 44). Wer die Vereinbarung einer von § 126 abweichenden Form behauptet, hat dies zu beweisen (RG WarnRspr 1910 Nr. 368).

393

§128 Anm. 1—3

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

§138 Ist durch Gesetz gerichtliche oder notarielle Beurkundung eines Vertrags vorgeschrieben, so genügt es, wenn zunächst der Antrag und sodann die Annahme des Antrags von einem Gericht oder einem Notar beurkundet wird. E II ioöa; M I i86ff; 3 314; 4 311 ff, 972; 5 316; P 5 443ff. Übersicht

Anm. Die getrennte Beurkundung i Anwendungsfälle 2 Zuständigkeit und Verfahren 3, 4 Anwendung der Vorschrift auf rechtsgeschäftlich vereinbarte notarielle Beurkundung 5 V . Beweiskraft 6

I. II. III. IV.

Anm. 1 I. Die getrennte Beurkundung Die Bestimmung bezieht sich ausdrücklich nur auf die Fälle, in denen d a s G e s e t z d i e g e r i c h t l i c h e o d e r n o t a r i e l l e B e u r k u n d u n g eines V e r t r a g e s vorschreibt. Die Fälle der öffentlichen Beglaubigung der Unterschrift fallen nicht darunter (§ 129). Das Gesetz hat zur Erleichterung die Möglichkeit einer g e t r e n n t e n (successiven) Beurkundung vorgesehen. Danach ist zum Zustandekommen eines Vertrages weder erforderlich, daß die Beurkundung in Gegenwart beider Teile erfolgt, oder daß ihre beiderseitigen Erklärungen zusammen (simultan) beurkundet werden, noch daß sie wechselseitig ausgetauscht werden. Der Vertrag kommt im Falle des § 128 vielmehr zustande schon mit Beurkundung der Annahme. Erforderlich ist auch nicht einmal, daß die notarielle Urkunde über das Angebot bereits durch die Unterschrift des Notars vollzogen und fertiggestellt war, bevor die von dem Antragenden unterschriebene Erklärung dem andern Teile zugeht. Daher ist die Form des § 128 auch dann gewahrt, wenn der Notar die beiderseitigen Erklärungen der beiden Vertragsparteien ohne ihre gleichzeitige Anwesenheit in nur einem Protokolle nacheinander aufnimmt und das Protokoll erst demnächst vollzieht ( R G 69, 130 betreffend einen Erbverzichtsvertrag; R G J W 1909, 272 betreffend einen Grundstücksveräußerungsvertrag), streitig. Selbstverständliche Voraussetzung ist stets, daß die beiderseitigen Erklärungen einander entsprechen ( R G 52, 433), und daß die eine von ihnen als Antrag, die andere als Annahme aufgefaßt werden kann ( R G J W 1909, 139).

Anm. 2 II. Anwendungsfälle Die Vorschrift ist u. a. anzuwenden bei den § § 3 1 1 . 3 1 2 Abs. 2, 3 1 3 , 873 Abs. 2, 877, 1491 Abs. 2, 1 5 0 1 Abs. 2, 2033, 2348, 2 3 5 1 , 2 3 7 1 , 2385. Dagegen findet die Vorschrift keine Anwendung in den Fällen, in denen das Gesetz ausdrücklich g l e i c h z e i t i g e Beurkundung vorschreibt, so z.B. in §§ 925, 1750, 1770, 2276 2290. Sie ist weiterhin nicht anwendbar, wo der Beurkundungszwang nur für die Erklärung einer Partei besteht. So bedarf z. B. beim Schenkungsversprechen allein die Erklärung des Versprechenden der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung (§ 5 1 8 ) . Der Regelfall des § 128 liegt weiterhin dann nicht vor, wenn eine F r i s t f ü r d i e A n n a h m e gesetzt worden ist. Denn die Frist kann in der Regel nur dann gewahrt sein, wenn die Annahmeerklärung dem Antragenden fristgerecht so zugegangen, daß er über die Entschließung des andern rechtzeitig unterrichtet worden ist ( R G 49, 127 ff; vgl. indes hierüber noch Näheres Anm. zu § 152). Ein im Prozeß protokollierter Vergleich wahrt die Form.

Anm. 3 III. Zuständigkeit und Verfahren Die Zuständigkeit und das Verfahren bei öffentlichen Beurkundungen ist in den §§ 1 6 7 — 1 8 3 F G G geregelt. Bei der Beurkundung von Rechtsgeschäften muß das Pro-

394

Willenserklärung

§ 128 A n m . 4—6

§ 129 Anm. 1 tokoll gem. § 176 Abs. 2 F G G Ort und Datum der Verhandlung enthalten. Fehlen diese Angaben, dann ist die beurkundete Erklärung nichtig ( R G 81, 95; 84, 196; 109, 368 fr). Die nach § 177 Abs. 1 S. 2 F G G und nach § 2242 Abs. 1 S. 2 geforderte Feststellung durch die Urkundsperson, daß das Protokoll den Parteien vorgelesen, von ihnen genehmigt und unterschrieben worden ist, gehört nicht zu denjenigen Teilen der Urkunde, die vorgelesen, genehmigt und unterschrieben werden müssen. Diese Feststellung kann daher auch noch nachträglich wirksam nachgeholt werden ( R G 79, 368). Durch den unter das Protokoll gesetzten Vermerk „vorgelesen, genehmigt, unterschrieben" wird festgestellt, daß auch die dem Protokoll beigefügten Anlagen mit verlesen worden sind, weil diese einen Teil des Protokolls darstellen ( R G 54, 195; 61, 145; 71, 320; 96, 181).

Anm. 4 Nach Artikel 141 E G ist es der Landesgesetzgebung vorbehalten, entweder nur die Gerichte oder nur die Notare für zuständig zu erklären. Nach Artikel 142 E G bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, wonach in den Fällen der §§313, 873 Abs. 2 zur Beurkundung des Vertrags und der Einigung auch andere Behörden und Beamte als das Gericht und der Notar zuständig sind, unberührt. Zutreffendenfalls findet § 128 auch hier Anwendung ( R G 68, 393). Uber die einzelnen Landesgesetze vgl. S t a u d i n g e r Anm. 8 zu § 128.

Anm. 5 IV. Anwendung der Vorschrift auf rechtsgeschäftlich vereinbarte gerichtliche oder notarielle Beurkundung Die rechtsgeschäftlich vereinbarte gerichtliche oder notarielle Beurkundung fällt an und für sich nicht unter § 128. Entsprechend der Auslegungsregel in § 127 und im Hinblick auf die grundsätzliche Formfreiheit des BGB wird die Anwendung aber auch hier anzunehmen sein (so auch S t a u d i n g e r Anm. 2 zu § 128).

Anm. 6 V. Beweiskraft Die Beweiskraft der gerichtlichen oder notariell errichteten Urkunde bestimmt sich nach § 415 Z P O . Nach § 415 Abs. 2 Z P O ist der Beweis zulässig, daß der Vorgang unrichtig beurkundet ist. Der Beweis muß die Beurkundung der abgegebenen Erklärung betreffen, nicht ihre inhaltliche Unrichtigkeit oder Willensmängel. Entspricht das Beurkundete dem Erklärten, leidet die Erklärung aber an einem Willensmangel, dann sind die §§ 116—124 anzuwenden.

§139 Ist durch Gesetz für eine Erklärung öffentliche Beglaubigung vorgeschrieben, so muß die Erklärung schriftlich abgefaßt und die Unterschrift des Erklärenden von der zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten oder Notar beglaubigt werden. Wird die Erklärung von dem Aussteller mittels Handzeichen unterzeichnet, so ist die im § 126 Abs. 1 vorgeschriebene Beglaubigung des Handzeichens erforderlich und genügend. Die öffentliche Beglaubigung wird durch die gerichtliche oder notarielle Beurkundung der Erklärung ersetzt. E II ii;; P 6 130fr.

Anm. 1 1. Öffentliche Beglaubigung Gegenstand der Beglaubigung ist lediglich die Namensunterschrift oder das Handzeichen, nicht auch die in der Urkunde enthaltene Erklärung. Beglaubigt wird nur die Echtheit der Unterschrift, öffentliche Urkunde im Sinne von § 415 Z P O ist daher nur der Beglaubigungsvermerk, nicht auch die Urkunde im übrigen.

395

§ 1 2 9 A n m . 2—4 Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte §130 Da nur die Unterschrift zu beglaubigen ist, so kann auch eine Blankounterschrift beglaubigt werden (streitig, aA u. a. P a l a n d t , 17. Aufl. Anm. 3 zu § 129). Nach § 183 Abs. 2 FGG erfolgt die Beglaubigung durch einen unter die Unterschrift zu setzenden Vermerk, und eine beglaubigte Unterschrift kann als solche auch dann schon vorhanden sein, wenn der Wortlaut der Urkunde erst nach der Beglaubigung der Unterschrift über diese gesetzt wird. Die Beglaubigung hat endlich auch allein den Zweck, öffentlichen Glauben für die Echtheit der Unterschrift zu erbringen. Zu bescheinigen, welche Erklärung der Unterschreibende hat abgeben wollen, liegt dagegen außerhalb der Aufgabe des Beglaubigungsvermerks. Soweit nachträglich der Inhalt der Urkunde mit Wissen und Willen des Urhebers abgeändert wird, bedarf es keiner wiederholten Beglaubigung (RG 60, 397). Anm. 2 2. Zuständigkeit und Verfahren Die Zuständigkeit und das V e r f a h r e n bei der Beglaubigung bestimmen sich nach den §§ 167, 183, 184 FGG. Nach § 191 FGG bleibt es den Landesgesetzen vorbehalten, auch andere Behörden oder Beamte als zuständig zu erklären. Anm. 3 3. Anwendungs fälle Die Beglaubigung wird verlangt unter anderem in §§ 77, 371, 403, 4 1 1 , 444, 1035, 1154f, 1491, 1560, 1706, 1945, 2120f, 2198, 2215; GBO 29, 32; HGB 12; ZPO 726f, 75°f> 756f; Z V G 71, 80, 84, 91, 143, 144; FGG 13, 91, 107. Anm. 4 4. § 129 Abs. 2 Da die gerichtliche und notarielle Beurkundung gemäß § 128 Abs. 1 im Vergleich zur öffentlichen Beglaubigung ein Mehr darstellt, kann sie diese ersetzen.

§130 Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkte wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Sie wird nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht. Auf die Wirksamkeit der Willenserklärung ist es ohne Einfluß, wenn der Erklärende nach der Abgabe stirbt oder geschäftsunfähig wird. Diese Vorschriften finden auch dann Anwendung, wenn die Willenserklärung einer Behörde gegenüber abzugeben ist. E I 74 II 107; M I 156ff; P 1 68ff, 330ff; 4 1318.

Ubersicht I. Allgemeines II. Der Begriff des Zugehens 1. Der Brief a) Briefkasten b) Postschließfach, postlagernde Sendungen c) Einschreibesendungen 2. Übermittlung durch Fernschreiber und Telegramm 3. Übermittlung von Willenserklärungen durch Dritte a) Briefliche Erklärungen b) Mündliche Erklärungen 4. Vom Empfänger zu vertretende Verspätung oder Verhinderung des Zugangs 5. Besondere Vereinbarungen 6. Zugehen bei Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung . . . 396

Anm.

1—4 5—19 6—9 7 8 9 10 11—13 12 13 14, 15 16 17

§130

Willenserklärung

A n m . 1—4 Anm.

III. Zugang unter Anwesenden I V . Der Widerruf V . Tod oder Geschäftsunfähigkeit des Erklärenden V I . Willenserklärungen gegenüber einer Behörde V I I . Beweislast

.

18 19 20

21, 22 23

Anm. 1 I. Allgemeines Die Vorschrift befaßt sich mit der Frage, wann eine e m p f a n g s b e d ü r f t i g e Willenserklärung w i r k s a m wird, d. h. in welchem Zeitpunkt der Erklärende an seine abgegebene Erklärung gebunden und daraus verpflichtet wird bzw. wann die Erklärung rechtserzeugend wirkt. V o n der empfangsbedürftigen Willenserklärung ist die nicht empfangsbedürftige zu unterscheiden (vgl. hierzu Anm. 3 vor § 116). Das Gesetz unterscheidet ferner zwischen empfangsbedürftigen Willenserklärungen, die unter Anwesenden und solchen, die unter Abwesenden abgegeben werden. § 130 bezieht sich ausdrücklich nur auf die Abgabe einer empfangsbedürftigen Willenserklärung u n t e r A b w e s e n d e n (vgl. aber Anm. 20 unten).

Anm. 2 Eine empfangsbedürftige Willenserklärung wird erst wirksam, wenn und in dem Zeitpunkt, in welchem sie dem Erklärungsempfänger z u g e g a n g e n ist. Nicht entscheidend ist also der Zeitpunkt, in welchem die Willenserklärung a b g e g e b e n , d. h. in die äußere Erscheinung getreten ist ( Ä u ß e r u n g s t h e o r i e ) oder in welchem sie — etwa durch Post oder Boten — a b g e s a n d t wurde ( U b e r m i t t l u n g s t h e o r i e ) . Schließlich kommt es auch nicht auf den Zeitpunkt an, in welchem der Empfänger von der Willenserklärung K e n n t n i s erlangt hat ( V e r n e h m u n g s t h e o r i e ) . Das Gesetz hat all diese Theorien abgelehnt und sich für die E m p f a n g s t h e o r i e entschieden. Danach wird eine empfangsbedürftige Willenserklärung in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie dem Erklärungsempfänger zugegangen ist, d. h. derart in seinen Machtbereich gelangt ist, daß er sich unter gewöhnlichen Verhältnissen Kenntnis vom Inhalt der Erklärung verschaffen konnte und nach den Gepflogenheiten des Verkehrs auch von ihm zu erwarten war, daß er sich diese tatsächlich verschaffte ( R G 50, 191; 99, 22; 142, 407; B G H 20, 149). Der Empfänger muß sich auch, wenn er von der ihm zugegangenen Erklärung keine Kenntnis nimmt, so behandeln lassen, als ob ihm der Inhalt der Erklärung bekannt geworden sei ( R G 103 401; R G J W 1931, 524; 1927, 1675; R G WarnRspr 1932 Nr. 32; B G H 20, 149, 152).

Anm. 3 Eine B i n d u n g des Erklärenden tritt aber nur dann ein, wenn die abgegebene Erklärung m i t s e i n e m W i s s e n u n d W i l l e n dem Erklärungsempfänger zugegangen ist. Läßt z. B. der Erklärende einen an den Erklärungsempfänger gerichteten Brief auf seinem Tische liegen, weil er noch unschlüssig ist, ob er ihn absenden soll, und wird der Brief ohne sein Wissen und Willen von einem anderen abgesandt, dann ist der Erklärende an seine Erklärung trotz des Zugangs nicht gebunden. Anders ist es aber dann, wenn er die Geschäftsführung des Dritten genehmigt. Dagegen kommt es nicht darauf an, ob die vom Erklärenden gewollte Beförderung auch in der von ihm vorgesehenen Weise geschehen ist.

Anm. 4 § 130 ist nicht nur auf alle einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärungen, sondern auch auf Verträge anzuwenden. Die Vorschrift gilt grundsätzlich im gesamten Bereich des Privatrechts. Eine Ausnahme von § 130 enthält § 121 Abs. 1 S. 2.

397

§ 130 Anm. 5—10

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 5 II. Der Begriff des Zugehens Z u g e g a n g e n ist eine Erklärung dann, wenn sie in verkehrsüblicher Art derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, daß diesem unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme verschafft ist (RG 50, 1 9 1 ; 56, 263; 58, 407; 6o; 336; 61, 125; 96, 274; 99, 22; 142, 407; RG J W 1914. 863; RG L Z 1925, 470; vgl. auch Anm. 2 oben). Anm. 6 1. Der Brief Eine b r i e f l i c h e E r k l ä r u n g ist zugegangen, wenn der Brief dem Empfänger a u s g e h ä n d i g t wurde. Darauf, ob dieser von dem Inhalt des Briefes K e n n t n i s nimmt oder nicht, kommt es nicht an (RG J W 1905, 488). Gleiches gilt auch, wenn der Brief einem Familienmitglied oder einem Hausangestellten in der Wohnung des Empfängers abgeliefert wurde (RG 50, 1 9 1 ; 56, 262; 58, 406; 60, 336). Dies gilt auch dann, wenn der Empfänger selbst den Brief nicht erhält, z. B. weil er verlorengegangen ist. Mit Rücksicht auf den Erklärenden und die Sicherheit des Verkehrs muß es aber auch schon genügen, wenn die schriftliche Erklärung in der Weise zugänglich gemacht wird, daß der Empfänger auf Grund der von ihm erstellten und zum Empfang solcher Erklärungen bestimmten E i n r i c h t u n g e n in die Lage versetzt wird, die Erklärung zu erhalten, wobei es wiederum nicht darauf ankommt, ob er auch wirklich von dem Inhalt des Schreibens Kenntnis erhält. Uber die Frage, wann ein Schreiben mit zweifelhafter Anschrift (Undeutlichkeit oder Doppeldeutigkeit der Anschrift) dem wirklichen Empfänger zugegangen ist vgl. RG 125, 75. Wird Annahme eines solchen Schreibens verweigert, so gilt es als nicht zugegangen. Anm. 7 a) Briefkasten Ein Brief ist zugegangen im Sinn des § 130, wenn er in einen bei der Wohnung des Empfängers angebrachten B r i e f k a s t e n eingeworfen wird (RG Gruchot 54, 1127; RG WarnRspr 1921 Nr. 131). Wird ein Brief n a c h G e s c h ä f t s s c h l u ß in den Briefkasten eines Geschäftes geworfen, dann gilt die Erklärung erst in dem Zeitpunkt als zugegangen, in welchem die Geschäftsstunden wieder beginnen (RG 99, 28; 142, 402; streitig). Anm. 8 b) Postschließfach, postlagernde Sendungen Eine schriftliche Erklärung ist dem Erklärungsgegner auch dann zugegangen, wenn sie in ein von diesem unterhaltenes P o s t s c h l i e ß f a c h gelangt (RG 142, 402). Und zwar ist die Erklärung am Tage der Einsortierung zugegangen, sofern nach der Verkehrsauffassung mit dem Abholen der Post an diesem Tage zu rechnen war (RG 144, 289; B G H L M Nr. 2 zu § 130 = BB 1955, 178). P o s t l a g e r n d e S e n d u n g e n sind ebenfalls dann zugegangen, wenn sie beim Postamt zur Abholung bereit liegen, selbst wenn der Brief wieder an den Absender zurückgesandt wird, weil die Lagerfrist abgelaufen ist (RG 144, 289). Anm. 9 c) Einschreibesendungen Eine E i n s c h r e i b e s e n d u n g , die infolge Abwesenheit einer empfangsberechtigten Person in der Wohnung des Empfängers nicht zugestellt werden konnte, ist diesem auch dann nicht zugegangen, wenn der Postbote die Nachricht hinterläßt, daß die Sendung für den Empfänger bei der Post niedergelegt ist (RAG Gruchot 73, 61). Anm. 10 2. Übermittlung durch Fernschreiber und Telegramm Ein T e l e g r a m m ist dann zugegangen, wenn dem Empfänger vom Amt die Möglichkeit eröffnet worden ist, von seinem Inhalt Kenntnis zu nehmen. Dies kann auch 398

Willenserklärung

§130

Anm. H—14

in der Weise geschehen, daß dem Empfänger oder einem seiner Familien- oder Haushaltsmitglieder der Inhalt des Telegramms durch den Fernsprecher zugesprochen wird ( R G 97, 336; 105, 256). Ebenso ist eine durch F e r n s c h r e i b e r übermittelte Erklärung dann zugegangen, wenn sie auf dem Empfangsapparat erscheint und der Empfänger unter normalen Umständen die Möglichkeit hat, davon Kenntnis zu erhalten.

Anm. 11 3. Übermittlung von Willenserklärungen durch Dritte Wird eine empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber einem E r k l ä r u n g s m i t t l e r abgegeben, so ist sie damit dem Erklärungsgegner nur zugegangen, wenn die Mittelsperson nach Lage des Falles als dessen E m p f a n g s v e r t r e t e r oder E m p f a n g s b o t e erscheint (vgl. Anm. zu § 164). Andernfalls ist die Mittelsperson als Ubermittlungsorgan des Erklärenden ( E r k l ä r u n g s b o t e ) anzusehen. Das Risiko richtiger Übermittlung trifft dann allein den Erklärenden (vgl. Anm. zu § iao). „ E m p f a n g s b o t e " ; t nur, wer nach der Verkehrsauffassung als ermächtigt gilt, als solcher für den Empänger tätig zu werden.

Anm. 12 a) Bei b r i e f l i c h e n E r k l ä r u n g e n trifft dies auf Familienangehörige, Hausangestellte oder sonstige zum Haushalt gehörige Personen, beispielsweise auch eine Zimmervermieterin, zu, wenn der Brief an die vorgenannten Personen in der Wohnung des Empfängers abgegeben wird (RG 50, 1 9 1 ; 56, 262; 58, 406; 60, 336; 61, 125; 91, 62, vgl. Anm. 6 oben). Das gleiche gilt für Angestellte in einem Geschäftsbetrieb oder einem Anwaltsbüro.

Anm. 13 b) Da bei m ü n d l i c h e n E r k l ä r u n g e n , die an eine Mittelsperson des Empfängers abgegeben werden •— anders als bei der Weiterleitung schriftlicher Erklärungen —, die Gefahr u n r i c h t i g e r Weitergabe besteht, genügt es hier nicht, daß die Mittelsperson zu dem Hausstand oder dem Geschäftsbetrieb des Empfängers gehört. Sie muß vielmehr über die erforderlichen Fähigkeiten zur ordnungsgemäßen Übermittlung der Erklärung verfügen. Diese Voraussetzung ist aber bei erwachsenen Hausgenossen und Angestellten in der Regel als erfüllt anzusehen (RG 60, 334ff; 61, 126; Str.). Hat der Erklärende sich einer ungeeigneten Mittelsperson bedient, dann gilt die Erklärung nur und erst dann als zugegangen, wenn sie tatsächlich richtig weitergeleitet worden ist (RG 60, 336). Bei Übermittlung durch F e r n s p r e c h e r ist die Willenserklärung als zugegangen anzusehen, wenn sie von einem hierzu Befugten entgegengenommen wurde. Befugt ist in der Regel jeder kaufmännische Angestellte (RG 102, 296).

Anm. 14 4. Vom Empfänger zu vertretende Verspätung oder Verhinderung des Zugangs Zwar besteht eine allgemeine Pflicht, E m p f a n g s v o r k e h r u n g e n für Erklärungen zu treffen, grundsätzlich nicht. Wer jedoch mit dem Eingang rechtsgeschäftlicher Erklärungen ständig rechnen muß, insbesondere im Hinblick auf bestehende Rechtsverhältnisse, ist in der Regel gehalten, dafür V o r s o r g e zu treffen, daß ihn diese Erklärungen auch erreichen können. Unterläßt er es im Fall einer Wohnungsveränderung, Verlegung seines Geschäftslokals, einer Reise, Krankheit oder dgl., Zugangsvorkehrungen zu treffen, so kann er sich auf die hierdurch verursachte Verspätung des Zugangs nach Treu und Glauben nicht berufen. Er muß vielmehr den Zugang als r e c h t z e i t i g gelten lassen (RG 58, 406; 95, 3 1 7 ; R G H R R 1928 Nr. 1397; 1933 Nr. 1484; O L G 44, 120; R G L Z 1927, 925; B G H L M Nr. 1 zu § 130). Ebenso muß der Erklärungsgegner, der die Entgegennahme einer durch Fernsprecher zu erwartenden Annahmeerklärung durch sein Verschulden unmöglich gemacht hat, die ihm später auf andere Weise zugegangene Erklärung als rechtzeitig hinnehmen (RG L Z 1925, 252). 399

§130

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 15—18 Anm. 15 Voraussetzung ist aber, d a ß die Erklärung dem Empfänger, wenn auch verspätet, ü b e r h a u p t z u g e g a n g e n ist u n d ferner, d a ß der Erklärende sich nicht mit einem vergeblichen Zustellungsversuch innerhalb der Frist begnügt hat, sondern auch noch nach Ablauf der Frist alles ihm Zumutbare unternimmt, u m die Erklärung so bald als möglich in den Machtbereich des Erklärungsempfängers gelangen zu lassen. Beruhigt sich der Absender eines Briefes, der als u n b e s t e l l b a r an ihn zurückgekommen ist, bei der Tatsache des NichtZugangs, so kann er sich nicht auf § 242 berufen, um zu erreichen, d a ß seine Erklärung als rechtzeitig angesehen wird (RG 110, 34; K G Recht 1938 Nr. 4643; B G H L M Nr. 1 zu § 130). H a t der Empfänger oder auf dessen Weisung ein anwesendes Familienmitglied die A n n a h m e des die Erklärung enthaltenden Briefes v e r w e i g e r t , dann ist die Willenserklärung nur d a n n als zugegangen zu behandeln, wenn er arglistig gehandelt hat (RG 110, 34; streitig, aA u . a . S t a u d i n g e r Anm. 22 zu § 130). Über die Verweigerung der A n n a h m e eines Briefes durch die Ehefrau vgl. R A G D R W 1941, 1786 Nr. 7.

Anm. 16 5. Besondere Vereinbarungen Die Parteien können besondere Vereinbarungen darüber treffen, unter welchen Voraussetzungen das Erfordernis des Zugehens als erfüllt angesehen werden soll. I n diesem Fall ist d a n n nicht der ges. Begriff des Zugehens, sondern der Inhalt der Vereinbarung entscheidend (RG 108, 91). Ist vereinbart, d a ß eine Erklärung (z. B. Kündigung) nur d a n n rechtswirksam sein soll, wenn sie mit e i n g e s c h r i e b e n e m B r i e f erklärt worden ist, d a n n kann Zweck der Vereinbarung nur sein, d a ß der Zugang der Erklärung gewährleistet werden soll. Die Vereinbarung bedeutet dagegen nicht die Verabredung eines Formzwanges. Der Erklärungsgegner kann daher, wenn ihm die Erklärung auf andere Weise rechtzeitig zuverlässig bekannt geworden ist, nicht den Mangel der Form geltend machen (RG 77» 7°; vgl- Anm. 1 zu § 127).

Anm. 17 6. Zugehen bei Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung Bei V e r u r t e i l u n g z u r A b g a b e e i n e r W i l l e n s e r k l ä r u n g nach § 8 9 4 Z P O gilt die Willenserklärung m i t R e c h t s k r a f t des Urteils als a b g e g e b e n . O b die durch Urteil ersetzte Willenserklärung z u g e g a n g e n ist, richtet sich danach, o b das Urteil an den Gegner gelangt ist. Dies ist immer der Fall, wenn ihm das Urteil zugestellt worden ist, aber auch dann, wenn er bei der Verkündung anwesend war (vgl. R G 160, 32i)-

Anm. 18 111. Zugang unter Anwesenden § 130 spricht zwar ausdrücklich nur von den u n t e r A b w e s e n d e n abgegebenen Erklärungen, gleichwohl ist Abs. 1 S. 1 entsprechend anwendbar, wenn die Erklärung u n t e r A n w e s e n d e n abgegeben worden ist. Eine unter Anwesenden m ü n d l i c h abgegebene Erklärung ist erst zugegangen, wenn sie der Erklärungsgegner v e r n o m m e n hat. Bei Übermittlung durch Fernsprecher ist nur die vom Erklärenden unmittelbar gegenüber dem Empfänger abgegebene Erklärung eine Erklärung unter Anwesenden (RG 90, 166; vgl. auch Anm. zu § 147). Wird die Erklärung dagegen zur Weiterbestellung an den abwesenden E m p fänger an eine Mittelsperson abgegeben, d a n n handelt es sich u m eine Erklärung unter Abwesenden (RG 61, 126; vgl. ferner Anm. 11 oben). Eine s c h r i f t l i c h e E r k l ä r u n g ist unter Anwesenden erst „abgegeben" durch ihre Überreichung, und wirksam geworden erst in dem Zeitpunkt, in dem sie dem E m p fänger „zuging", also regelmäßig erst dann, wenn er die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Schriftstück erlangt hat (RG 61, 415). Dies wird immer d a n n der Fall sein, wenn dem Empfänger das Schriftstück zum Empfange angeboten wird, denn d a n n ist

400

Willenserklärung

§130

Anm. 19—21

er in der Lage, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Unterläßt er die Entgegennahme geflissentlich, um das Wirksamwerden der Erklärung zu verhindern, dann muß er die Erklärung gleichwohl als rechtzeitig zugegangen gegen sich gelten lassen (RG 60, 336). Die unter Anwesenden abgegebene schriftliche Erklärung gilt im Sinne von § 147 als eine Erklärung unter Abwesenden (RG 61, 405 fr; 83, 106).

Anm. 19 IV. Der Widerruf Durch den r e c h t z e i t i g e n W i d e r r u f wird das Wirksamwerden der abgegebenen Erklärung verhindert, eine rechtliche Bindung des Erklärenden tritt nicht ein. Der Widerruf muß vor oder spätestens gleichzeitig mit der Willenserklärung dem Empfänger zugehen. Entscheidend ist der Zeitpunkt des Z u g e h e n s des Widerrufs, nicht erst der Kenntnisnahme (RG 60, 334; 91, 62). Es genügt jedoch auch, wenn der Empfänger rechtzeitig K e n n t n i s vom Widerruf erhalten hat, ohne daß dieser ihm im Sinne von § 130 zugegangen ist. Eine Berufung auf verspäteten Zugang des Widerrufs würde in diesem Falle gegen Treu und Glauben verstoßen (vgl. S t a u d i n g e r Anm. 17 zu § 130). Die dem Grundbuchamt gegenüber erklärte Eintragungsbewilligung wird durch deren Zustellung an den Begünstigten u n w i d e r r u f b a r , die Eintragung muß daher auf den Antrag des Begünstigten auf Grund der bei den Grundakten zurückgebliebenen Urschrift auch trotz eines etwaigen nachträglichen Widerrufs erfolgen (RG 8. 4. 1 9 1 1 V 402/10).

Anm. 20 V. Tod oder Geschäftsunfähigkeit des Erklärenden S t i r b t d e r E r k l ä r e n d e oder wird er g e s c h ä f t s u n f ä h i g , nachdem er die Erklärung abgegeben hat, so wird h i e r d u r c h die Wirksamkeit der Erklärung nicht berührt. Diese Vorschrift besagt nicht etwa, daß die Erklärung unter den angeführten Voraussetzungen auch o h n e Z u g a n g wirksam werde oder etwa ein Vertragsantrag nicht der Annahme bedürfe (RG 64, 246). Nach § 153 aber kann der Vertragsantrag im Zweifel auch noch wirksam a n g e n o m m e n werden, wenn der Tod oder die Geschäftsunfähigkeit des Erklärenden n a c h dem Zugehen des Antrags, a b e r v o r seiner wirksamen Annahme eintritt. Die Annahmeerklärung muß dann eben den Erben oder im Fall der Geschäftsunfähigkeit dem gesetzlichen Vertreter des Antragenden zugehen (vgl. Anm. bei § 153). § 130 Abs. 2 bezweckt auch nicht, dem Erben oder ges. Vertreter des Erklärenden das ihnen nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen zustehende Recht des W i d e r r u f s zu nehmen. Empfangsbedürftige Willenserklärungen können auch in einem Testament abgegeben werden. § 130 Abs. 2 findet auch im Erbrecht Anwendung (BGH 9, 233). So kann der Erblasser im Testament eine Schenkung wegen groben Undanks widerrufen (RG 170, 380; Str.). Gegenseitig abhängige Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament können jedoch nicht in der Weise widerrufen werden, daß der Widerrufende die Anweisung gibt, erst nach seinem Tode seinen Widerruf dem überlebenden Ehegatten zu übermitteln (BGH 9, 233).

Anm. 21 VI. Willenserklärungen gegenüber einer Behörde Die Grundsätze von § 130 Abs. 1 und 2 sind gem. Abs. 3 auch anzuwenden, wenn die Willenserklärung gegenüber einer Behörde abzugeben ist. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung handelt, die s o w o h l gegenüber dem Erklärungsgegner als a u c h gegenüber der Behörde abgegeben werden kann (§§ Ö75> 876, 880 Abs. 2 u. a. m.), oder um eine Willenserklärung, die n u r gegenüber der Behörde zu erklären ist (§§ 376, 928, 976 u. a. m.). Das Gericht kann bei einem Vertragsschluß, der durch seine Vermittlung zustande kommt (Erbauseinandersetzungsvertrag), für die Empfangnahme der Erklärungen des Abwesenden auch als Vertreter angesehen werden (RG WarnRspr 1908 Nr. 188).

401

§ 1 3 0 A n m . 22, 23 § 131 A n m . 1, 2

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A n m . 22 Willenserklärungen gegenüber einer Behörde müssen den zum Empfang ermächtigten Organen zugehen. Werden sie andern übermittelt, so gelten sie erst dann als der Behörde zugegangen, wenn sie, worauf der Erklärende keinen Anspruch hat, an die zuständigen Organe weitergeleitet sind (RG 9. 12. 1924 II 125/24). Der Kreis der Personen oder Amtsstellen, bei denen eine Erklärung eingereicht werden kann, ist aber vielfach größer als der Kreis derer, die sonst zur Vertretung einer Körperschaft berufen sind. Mit der Einrichtung einer Dienststelle zur Entgegennahme gewisser Schriftstücke übernimmt die Körperschaft im allgemeinen auch die Gewähr dafür, daß sie von dort alsbald im Dienstwege an die Amtsstelle gelangen, welche die Rechtsfolgen aus der eingegangenen Erklärung zu ziehen hat. Mit dem Eingang bei jener Dienststelle ist daher nicht nur die Erklärung als der Körperschaft zugegangen anzusehen, sie kann sich nach Treu und Glauben in der Regel auch nicht auf die Unkenntnis des Inhalts berufen (RG 135, 252). A n m . 23 VII. Beweislast Der Erklärende hat den Zugang der Erklärung zu beweisen. Auch bei E i n s c h r e i b e s e n d u n g e n kann der Beweis für den Zugang nicht nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins schon mit dem Nachweis der Absendung (Einlieferungsbeleg) erbracht werden (BGH 24, 308, 313).

§131 Wird die Willenserklärung einem Geschäftsunfähigen gegenüber abgegeben, so wird sie nicht w i r k s a m , bevor sie d e m gesetzlichen Vertreter zugeht. Das gleiche gilt, wenn die Willenserklärung einer in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Person gegenüber abgegeben wird. Bringt die Erklärung jedoch der in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Person lediglich einen rechtlichen Vorteil oder hat der gesetzliche Vertreter seine Einwilligung erteilt, so wird die Erklärung in d e m Zeitpunkte w i r k s a m , in welchem sie ihr zugeht. E I 66 II 107; M I 139?; P I 62S, 71ff;6 Ij2ff. Anm. 1 1) Die Vorschrift ist die Ergänzung der Bestimmung über die Geschäftsunfähigkeit und über die beschränkte Geschäftsfähigkeit (§§ 104, 106, 114). Sie betrifft nur e m p f a n g s b e d ü r f t i g e W i l l e n s e r k l ä r u n g e n . Diese gelten nicht als zugegangen, wenn sie von einem Geschäftsunfähigen oder einem beschränkt Geschäftsfähigen entgegengenommen werden. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um eine Erklärung unter Abwesenden oder Anwesenden handelt oder um schriftliche oder mündliche Erklärungen. Die Erklärung muß, um wirksam werden zu können, gegenüber dem ges. V e r t r e t e r abgegeben werden. Erforderlich ist auch hier, daß der Erklärende die Absicht hat, seine Erklärung gegenüber dem ges. Vertreter abzugeben. Es genügt nicht, wenn die Erklärung ohne diese Absicht an den ges. Vertreter gelangt (streitig, aA O e r t m a n n , 2a, y zu § 131, wie hier auch P l a n k 2b zu § 131 und S t a u d i n g e r Anm. 4 zu § 131). Anm. 2 2) § 131 ist n i c h t a n z u w e n d e n auf empfangsbedürftige Willenserklärungen, die gegenüber einem Erklärungsempfänger abgegeben werden, der sich nur im Zustand der Bewußtlosigkeit oder der vorübergehenden Geistesstörung befindet (§ 105 Abs. 2). Grundsätzlich kann mithin solchen Personen eine Willenserklärung mit Rechtswirksamkeit zugehen. Man wird aber im allgemeinen annehmen müssen, daß eine Willenserklärung, die wissentlich einem Bewußtlosen gegenüber mündlich abgegeben wird, rechtlich nicht als abgegeben gelten darf, da der Erklärende gar nicht damit 402

Willenserklärung

§ 131 A n m . 3

§ 132 Anm. 1—3

rechnen kann, daß seine Erklärung dem andern zugehe. Anders ist die Sachlage bei schriftlichen Erklärungen, da solche zur Verfügung des Adressaten verbleiben und dieser daher von ihrem Inhalt nach Wiedererlangung des Bewußtseins Kenntnis nehmen kann. Anm. 3 3) Bei den b e s c h r ä n k t G e s c h ä f t s f ä h i g e n macht das Gesetz aber insoweit eine Ausnahme, als ihnen Willenserklärungen dann wirksam zugehen können, wenn sie hierdurch l e d i g l i c h e i n e n r e c h t l i c h e n V o r t e i l erlangen (§ 107) oder bei unvorteilhaften Rechtsgeschäften, wenn die Einwilligung des ges. Vertreters vorliegt. In dem Rahmen, in dem beschränkt Geschäftsfähige gem. §§112, 113 voll geschäftsfähig sind, werden ihnen gegenüber abgegebene Erklärungen wirksam, wenn es sich um Rechtsgeschäfte handelt, für die diese Person den Geschäftsfähigen gleichgestellt sind.

§

1 3 3

Eine Willenserklärung gilt auch dann als zugegangen, wenn sie durch Vermittelung eines Gerichtsvollziehers zugestellt worden ist. Die Zustellung erfolgt nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung. Befindet sich der Erklärende über die Person desjenigen, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben ist, in einer nicht auf Fahrlässigkeit beruhenden Unkenntnis oder ist der Aufenthalt dieser Person unbekannt, so kann die Zustellung nach den für die öffentliche Zustellung einer Ladung geltenden Vorschriften der Zivilprozeßordnung erfolgen. Zuständig für die Bewilligung ist i m ersteren Falle das Amtsgericht, in dessen Bezirke der Erklärende seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines inländischen Wohnsitzes seinen Aufenthalt hat, i m letzteren Falle das Amtsgericht, in dessen Bezirke die Person, welcher zuzustellen ist, den letzten Wohnsitz oder in Ermangelung eines inländischen Wohnsitzes den letzten Aufenthalt hatte. E I 75. 76 II 108; M 1 iöoif; P 1 73ff.

Anm. 1 1) Die Zustellung gemäß § 132 ist ein ges. Ersatzmittel für den Z u g a n g einer Willenserklärung. Sie ersetzt jedoch nur den Zugang, nicht auch die Kenntnis. Wenn das Gesetz sagt, daß eine Willenserklärung auch dann als zugegangen gelte, wenn sie zugestellt wird, so bedeutet dies, daß die Zustellung begrifflich nicht das Gleiche ist wie das Zugehen, daß aber bei einer zugestellten Willenserklärung das Zugehen fingiert wird. Die Willenserklärung wird wirksam im Zeitpunkt der Zustellung. Dieser bestimmt sich nach den §§ 166—213 ZPO. Anm. 2 2) Die Zustellung hat regelmäßig durch V e r m i t t l u n g des G e r i c h t s v o l l z i e h e r s zu erfolgen. Dabei genügt es, daß der Gerichtsvollzieher die Post um Zustellung ersucht. Dagegen liegt eine Zustellung durch Vermittlung des Gerichtsvollziehers nicht vor bei bloßer Aufgabe zur Post (§§ 192, 175 ZPO) oder durch Vermittlung einer Geschäftsstelle (§ 196 ZPO). Anm. 3 3) Von diesem Grundsatz bestehen Ausnahmen (§ 132 Abs. 2) für die Fälle, daß der Aufenthalt des Erklärungsempfängers unbekannt oder der Erklärende sich ohne Verschulden in Unkenntnis über die Person des Empfängers befindet. In diesen Fällen wird die Willenserklärung durch öffentliche Zustellung wirksam. Während der Zustellung durch den Gerichtsvollzieher ein allgemeines, ausnahmslos verwendbares Ersatzmittel ist, handelt es sich bei der öffentlichen Zustellung nur um ein a u s n a h m s weise gültiges (RG Gruchot 45, 1025).

403

§ 132 A n m . 4, 5 § 133 A n m . 1

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 4 4) Das Verfahren richtet sich in beiden Fällen nach den entsprechenden Vorschriften der ZPO. Für die Zustellung durch Vermittlung des Gerichtsvollziehers vgl. §§ 167, 169—173, 180, 181—184 (Ersatzzustellungen, die ebenfalls genügen), 186—191, 193—195, 195a und 199 ZPO. Wegen der öffentlichen Zustellung vgl. §§ 204—207 ZPO. Anm. 5 5) Durch die Zustellung nach § 132 wird der in § 131 aufgestellte Grundsatz n i c h t berührt. Ein durch Vermittlung des Gerichtsvollziehers einem Geschäftsunfähigen oder beschränkt Geschäftsfähigen zugestellte Willenserklärung wird nur wirksam, wenn die Zustellung an den ges. Vertreter erfolgt.

§133 Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille z u erforschen und nicht an d e m buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. E

I 73 II 90; M I 154ff; P I 68.

Ubersicht I. Allgemeines 1. Ziel und Grenzen der Auslegung 2. Aufgabe und Schranken der Willensinterpretation 3. Verhältnis von § 133 zu § 157 4. Gegenstand der Auslegung II. Anwendungsgebiet 1. Allgemeines 2. Auslegung von Gesetzen, Tarifnormen, behördlichen Akten . . . . 3. Auslegung stillschweigender Willenserklärungen III. Verfahren bei der Auslegung 1. Allgemeines 2. Besondere Auslegungsregeln 3. Einzelfälle IV. Verfahrensrechtliches 1. Beweisfragen 2. Revisibilität

Anm.

1—8 1—3 4, 5 6 7, 8 9—11 9 10 11 12—14 12, 13 14 15—17 18—23 18—20 21—23

Anm. 1 I. Allgemeines 1. Ziel und Grenzen der Auslegung Ziel der Auslegung einer Willenserklärung ist die F e s t s t e l l u n g i h r e s f ü r d a s R e c h t m a ß g e b e n d e n I n h a l t s . Durch die AuslegunS soll somit derjenige Sinn der Willenserklärung ermittelt werden, der für die rechtlichen Verhältnisse, die von der Willenserklärung betroffen werden, entscheidend ist. Einer solchen Sinnermittlung bedarf es jedoch nur, wenn über den Inhalt der Erklärung Z w e i f e l möglich sind, sie beispielsweise nach ihrem Wortlaut mehrdeutig oder mißverständlich ist (RG 82 316; RG WarnRspr 1912 Nr. 4). Ob dies der Fall ist, bemißt sich in der Regel nach Treu und Glauben und der Verkehrsauffassung (RG J W 1914, 673). Für eine Auslegung ist somit kein Raum, wenn die abgegebene Erklärung, zumal eine urkundliche (RG WarnRspr 1912 Nr. 4; BGH LM Nr. 7 zu § 2084) so klar und nach ihrer Bedeutung so zweifelsfrei ist, daß eine andere Deutung als ausgeschlossen angesehen werden muß (RG 95 126; RG WarnRspr 1919 Nr. 2; 1934 Nr. 47; RG Gruchot 70 245; siehe aber auch RG 136 424; 158, 124; KG NJW 1948, 21). Ist eine Willenserklärung völlig eindeutig, so ist sie selbst dann nicht auslegungsfähig, wenn sie gegen Treu und Glauben verstößt (RG 82, 316). So ist der Absender einer schriftlichen Erklärung an diese selbst

404

Willenserklärung

§133 A n m . 2—4

dann ihrem klaren und deutlichen Wortlaut entsprechend gebunden, wenn der Empfänger erkennt, daß die Erklärung dem Interesse des Erklärenden zuwiderläuft (RG WarnRspr 1912 Nr. 330). Anm. 2 Eine Auslegung scheidet aber auch aus, wenn feststeht, daß alle, die an der Erklärung interessiert sind, dieser ü b e r e i n s t i m m e n d eine bestimmte Bedeutung beigelegt haben, mag diese auch von dem objektiven Inhalt der Erklärung abweichen. Dann gilt diese von den Beteiligten übereinstimmend angenommene Bedeutung als Inhalt der Erklärung auch dann, wenn unbeteiligte Dritte der Erklärung einen anderen Sinn entnehmen würden (RG J W 1936, 249; R G D J 1938, 5 1 9 ; R G H R R 1938, 365; R G WarnRspr 1912 Nr. 288, 330; R G SeufTArch 62 Nr. 1 1 3 3 ; R G D R 1942, 38; BGH 20, 109; BGH L M Nr. 2 (Gf) zu § 157 = VersR 1956, 301). Haben die Parteien in bewußter Ubereinstimmung der Vertragsurkunde eine von den wirklichen Vereinbarungen abweichende Fassung gegeben, dann handelt es sich um eine beachtliche N e b e n a b r e d e und kann nur das maßgebend sein, was die Vertragschließenden wirklich gewollt haben. Bei f o r m b e d ü r f t i g e n Rechtsgeschäften käme es nur noch darauf an, ob der Gültigkeit der Nebenabrede nicht der Formmangel entgegensteht oder ob dieser Mangel etwa geheilt worden ist (RG WarnRspr 1912 Nr. 4, 1915 Nr. 7; vgl. auch Anm. zu § 125 und Anm. 3 Ein an sich eindeutiger und zweifelsfreier Wortlaut bildet aber auch dann keine Schranke für die Berücksichtigung des von ihm abweichenden wahren Willens des Erklärenden, wenn der Erklärungsgegner die Erklärung trotz der unrichtigen Ausdrucksweise so verstanden hat, wie sie von dem Erklärenden gemeint war. Der Wille des Erklärenden entscheidet dann gegen den Wortlaut. Das gleiche gilt, wenn dem Erklärungsgegner bei einer mehrdeutigen oder widersinnigen Erklärung der wirkliche Wille des Erklärenden nicht verborgen geblieben ist (RG J W 1918, 765). E i n e A u s l e g u n g k o m m t h i e r n a c h n u r in B e t r a c h t , w e n n e i n e W i l l e n s e r k l ä r u n g k e i n e n e i n d e u t i g e n I n h a l t h a t u n d sich a u c h n i c h t f e s t s t e l l e n l ä ß t , d a ß d i e B e t e i l i g t e n i h r ü b e r e i n s t i m m e n d den g l e i c h e n S i n n b e i l e g t e n . Die Grenzen der Auslegungsfreiheit sind überschritten, wenn die Auslegung zur Aufhebung einer klaren, zweifelsfreien Vertragsbestimmung nur aus vermeintlichen Billigkeitsgründen führt (RG 1, 127; 82, 3 1 6 ; R G J W 1936, 2857). Es ist insbesondere nicht zulässig, aus Erwägungen, die das Interesse des Erklärenden betreffen, an Stelle der abgegebenen Erklärung eine andere zu setzen (RG J W 1937, 217). Anm. 4 2. Aufgabe und Schranken der Willensinterpretation Wenn § 133 unter Ablehnung der reinen Wortinterpretation die allgemeine Auslegungsregel aufstellt, daß der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen sei, so steht dies im Einklang mit dem das BGB beherrschenden Grundsatz der Privatautonomie, wonach es grundsätzlich jedem freisteht, seine privatrechtlichen Rechtsverhältnisse nach seinem Willen zu ordnen (vgl. Anm. 1 vor § 104). Es ist deshalb nur folgerichtig, wenn § 133 anstrebt, die Wirkung rechtsgeschäftlicher Erklärungen möglichst dem Willen des Erklärenden anzupassen. Ihre Schranke aber findet diese Willensinterpretation in dem B e d ü r f n i s n a c h V e r k e h r s s i c h e r h e i t und der aus ihr folgenden Notwendigkeit, denjenigen zu schützen, der auf den von dem wirklichen Willen des Erklärenden abweichenden Erklärungswortlaut, wie er nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte zu verstehen ist, vertraut hat (RG 169, 124; R G J W 1937, 217). Dementsprechend legt § 133 nicht etwa fest, daß der wirkliche Wille des Erklärenden im E n d e r g e b n i s stets den für das Recht maßgebenden Inhalt seiner Erklärung bestimme, sondern besagt nur, daß im Rahmen der Auslegung der wirkliche Wille des Erklärenden zu „erforschen" sei. Ob dieser Wille aber als maßgebend erachtet werden kann, hängt davon ab, ob er nach dem gesamten Verhalten des Erklärenden in der Erklärung einen hinreichenden Ausdruck gefunden hat. 27

Komm. z. BGB. II. Aufl. I. Bd. (Krüger-Nieland)

405

§133 Anm. 5—7

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 5 Hierbei ist bei der Frage, ob der wirkliche Wille des Erklärenden gegenüber Unvollkommenheiten in der Erklärungshandlung durchgreift, ein unterschiedlicher Maßstab anzulegen, je nachdem, wie stark das Bedürfnis nach einem Schutz des Vertrauens der an der Erklärung Interessierten auf den objektiven Erklärungsgehalt ist (vgl. E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y , Allgemeiner Teil des BGB, 14. Aufl. S. 896fr). Anm. 6 3. Verhältnis des § 133 zu § 157 Während § 133 die Auslegung der e i n z e l n e n W i l l e n s e r k l ä r u n g e n regeln will, hat § 157 die Auslegung eines V e r t r a g e s insgesamt im Auge. Während danach bei § 133 Ziel der Auslegung ist, den Inhalt der einzelnen, tatsächlich vorhandenen Erklärungen zu ermitteln, handelt es sich nach § 157 regelmäßig um die Feststellung des gesamten Vertragsinhaltes und Vertragszwecks. Während es ferner gegebenenfalls Aufgabe der Auslegung gemäß § 133 vorerst ist, festzustellen, ob ein Vertrag überhaupt zustande gekommen ist, besteht für die Anwendung des § 157 in der Regel erst dann Raum, wenn das Vorhandensein des auszulegenden Vertrages schon feststeht, so daß der § 133 für den § 157 gewissermaßen erst die Grundlagen zu schaffen hätte. Der in § 157 unmittelbar nur für Verträge ausgesprochene Grundsatz, wonach so auszulegen ist, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern, ist aber entsprechend auch auf einseitige Willenserklärungen anwendbar. Dieser Grundsatz, der auf den objektiven Erklärungsinhalt abstellt, muß vor allem dann Platz greifen, wenn ein vom objektiven Erklärungsinhalt abweichender Wille des Erklärenden nicht feststellbar ist, oder der Schutz des Vertrauens der Allgemeinheit oder des Erklärungsgegners auf den objektiven Erklärungsinhalt den Vorrang vor der Berücksichtigung des wirklichen Willens des Erklärenden erheischt. Bei e m p f a n g s b e d ü r f t i g e n W i l l e n s e r k l ä r u n g e n ist ein feststehender Grundsatz, daß jede Partei ihre Erklärungen in dem Sinne gegen sich gelten lassen muß, in dem sie von der anderen Partei nach Treu und Glauben und nach der allgemeinen Auffassung des Verkehrs verstanden werden konnte. Dem Erklärenden, der behauptet, infolge Irrtums etwas erklärt zu haben, was er nicht wahrhaft gewollt habe, oder sich in der Erklärungsform vergriffen zu haben, bleibt nur die Anfechtung übrig (RG 67, 433; 68, 128; 70, 393; 86, 88; 88, 428; 91, 426; 170, 124; RG J W 1 9 1 1 , 87; 1937, 2 1 7 ; RG WarnRspr 1909 Nr. 57; 1912 Nr. 3; RG H R R 1929 Nr. 368; 1933 Nr. 1303; 1935 Nr. 1372). Die Anfechtbarkeit setzt aber voraus, daß der wirkliche Wille des Erklärenden in der Erklärung, wie sie nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte zu verstehen ist, nicht ausreichend zum Ausdruck gekommen ist, dieser Wille also nicht im Rahmen der Auslegung als maßgebend für den Erklärungsinhalt angesehen werden kann. D e n n die A u s l e g u n g g e h t der A n f e c h t u n g stets v o r (OGH 1, 126). In Fällen der V e r t r a u e n s h a f t u n g k r a f t s c h l ü s s i g e n V e r h a l t e n s (Anm. 8 und 9 vor § 116) scheidet eine Anwendung von § 133 aus, weil es hier auf den W i l l e n desjenigen, an dessen Verhalten die Vertrauenshaftung anknüpft, nicht ankommt. Insoweit ist nur § 157 maßgebend. Anm. 7 4. Gegenstand der Auslegung Gegenstand der Auslegung kann im Sinne des § 133 nur eine wirklich abgegebene Erklärung sein. Denn eine Willenserklärung, die das Gesetz hier als gegeben voraussetzt, liegt so lange überhaupt nicht vor, als der Wille nur ein innerer geblieben ist. Mit der Ermittlung dessen, was der Erklärende etwa außerhalb der abgegebenen Erklärung, sei es neben ihr, sei es im Widerspruch zu ihr, beabsichtigt hat, hat es mithin die Auslegung gemäß § 133 überhaupt nicht zu tun (RG WarnRspr 1912 Nr. 3; 1913 Nr. 395; 1914 Nr. 36; 1932 Nr. 174). Innere unausgesprochen gebliebene Absichten sind grundsätzlich (§ 116) ungeeignet, die ausgesprochene Erklärung zu beseitigen oder an ihre Stelle gesetzt zu werden (RG 67, 433; RG Gruchot 54, 387, 890; RG WarnRspr 1914 Nr. 177).

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Willenserklärung

§133 A n m . 8—10

Dieser Grundsatz greift auch gegenüber Bescheiden von B e h ö r d e n Platz (RG 95. 297; 96, 303; RG J W 1913, 697). Er gilt auch bei stillschweigenden, durch schlüssige Handlungen abgegebenen Willenserklärungen, so daß auch hier auf stille Vorbehalte nichts zu geben ist (RG 68, 128; RG J W 1915, 19). Anm. 8 Zu beachten ist jedoch, daß bei der Auslegung einer Willenserklärung der G e s a m t inhalt der Erklärung einschließlich aller Nebenumstände, wie etwaiger Vorbesprechungen und des Zweckes der Erklärung, ins Auge gefaßt werden muß (RG 128, 245; RG SeufTArch 86 Nr. 65). Hierbei muß der gesamte Auslegungsstoff einheitlich gewürdigt, insbesondere der Zusammenhang der einzelnen Teile berücksichtigt werden. Dabei können für urkundliche Erklärungen auch Umstände außerhalb der Urkunde bedeutsam sein (RG 136, 422; 154, 41; B G H L M § 133 (B) Nr. 1 und Nr. 3 = BB 1953, 302; B G H L M Nr. 1 zu § 2100 = M d R 1951, 474; vgl. auch unten Anm. 12). Anm. 9 II. A n w e n d u n g s g e b i e t 1. A l l g e m e i n e s Die Auslegung hat ihren Platz auf dem g a n z e n R e c h t s g e b i e t e , und zwar nicht nur bei eigentlichen rechtsgeschäftlichen Erklärungen, sondern auch bei sonstigen Rechtshandlungen, z.B. bei Gerichtsstandsvereinbarungen (RG WarnRspr 1911 Nr. 50), insbesondere aber auch auf dem Gebiete des Liegenschaftsrechts (RG 52, 416; RG 76, 375! 83, 126; 86, 223, betreffend Auslegung einer Vorrangseinräumung zugunsten von Baugeldhypotheken; RG 152, 191 über Auslegung von Auflassungserklärungen); bei Strafversprechen (RG J W 1910, 934), auch bei formbedürftigen Rechtsgeschäften (RG 59, 219; 62, 172ff; 71, 115, betreffend den Bürgschaftsvertrag gemäß § 766; RG 80, 403; RG LZ 1919, 787; RG J W 1910, 998). bei Wechselerklärungen (RG 85, 196; RG SeufTArch 90 Nr. 28) und bei letztwilligen Verfügungen (RG 70, 391; RG J W 1912, 344; RG WarnRspr 1913 Nr. 230; 1916 Nr. 111; R G SeuffArch 90 Nr. 102), falls der Wille des Erblassers überhaupt nur irgendwie festzustellen ist (BGH L M Nr. 1 zu § 2100; L M Nr. 1 (B), Nr. 2 (C) zu § 1 3 3 = M D R 1951, 474). Daher ist auch die unrichtige Bezeichnung eines Vermächtnisses unschädlich (RG LZ 1921, 376). Maßgebend sind bei Testamenten alten Rechtes die damaligen Auslegungsvorschriften (RG WarnRspr 1914 Nr. 257). Auch die Entscheidungen einer Verwaltungsbehörde unterliegen der freien Auslegung (RG 102, 3; 161, 308 [317]). Vgl. über Auslegung von vertraglichen Schweigegeboten (§ i33f GewO; R G J W 1912, 601). A n m . 10 2. A u s l e g u n g von Gesetzen, T a r i f n o r m e n , behördlichen A k t e n Bei der Auslegung von Gesetzen und ihnen gleichstehenden Rechtsnormen ist entsprechend dem in § 133 niedergelegten Grundsatze zu verfahren, also nicht am buchstäblichen Ausdruck zu haften, sondern der wirkliche Sinn und Zweck zu erforschen (RG 89, 187; 96, 327; 104, 171 ff; 117, 429; 127, 48; 139, 1 1 2 ; 142, 4of, übereinstimmend B G H 2, 176, 184; 3, 82; B G H L M Nr. 3 (D) zu § 133 = J Z 1957, 593). Dabei ist der Richter berechtigt und verpflichtet, alle zur Aufklärung des Gesetzeswillens dienlich scheinenden Mittel nach eigenem Ermessen zu beschaffen, er kann auch Zeugen und Auskunftspersonen hören (RG 81, 282; vgl. auch 79, 136). Hierher gehören auch amtliche Begründungen von Gesetzentwürfen und Berichte über gesetzgeberische Verhandlungen, bei Staatsverträgen das Zeugnis beteiligter Staatsvertreter; die Verwertbarkeit solcher Erkenntnisquellen setzt aber voraus, daß der aus ihnen sich ergebende Sinn einer Vorschrift in ihr selbst einen, wenn auch nur unklaren und unvollständigen Ausdruck gefunden hat (RG 133, 386; 13g, 1 1 2 ; RG J W 1935, 33; B G H L M Nr. 3 (D) zu § 133 = J Z 1957, 593). Uber einschränkende oder erweiternde Gesetzesauslegung gegenüber neuartigen Tatbeständen, die bei Erlaß des Gesetzes noch nicht berücksichtigt werden konnten, vgl. B G H 17, 266, 273fr. Eine Auslegung und Anwendung von Gesetzen im nationalsozialistischen Sinne ist durch MilRegG Nr. 1 Art. III Nr. 4 und 5 ausdrücklich verboten. Öffentlichrechtliche Bewirtschaftungsvorschriften über

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§133

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 11, 12 Lieferungszwang sind als Ausnahmevorschriften gegenüber dem bürgerlichrechtlichen Grundsatz der Vertragsfreiheit (s. Vorbem. 3 vor § 104) nicht ausdehnend auszulegen ( B G H N J W 1951, 109). Über die Auslegung von Tarifnormen s. Anm. zu § 611 und R A G 15, 196 (198), von allgemein verbindlichen Normenverträgen B G H L M Nr. 2 zum Einheitsmietvertrag für Baugeräte § 1 1 . — Auch bei behördlichen Rechtsakten ist entsprechend § 133 zu verfahren ( R G 141, 182 betreffend Einträgen in die gerichtliche Liste der Genossen; R G 139, 130; 131, 168 für Eintragungen im Grundbuch; R G 160, 39 für Pfändungsbeschluß. Uber die Auslegung von Patenten vgl. R G 8o, 55; 86, 201; RG J W 1914, 594).

Anm. 11 3. Auslegung stillschweigender Willenserklärungen § 133 gilt auch für die Auslegung schlüssigen Verhaltens, insbesondere des Stillschweigens als Willenserklärung. Bei der Frage, ob das Verhalten, insbesondere das bloße Schweigen, überhaupt als rechtsgeschäftliche Erklärung anzusehen ist, sowie bei der weiteren Frage nach dem Inhalt der Erklärung kommt es darauf an, wie das Verhalten nach den Gesamtumständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben im Verkehr vom Erklärungsgegner aufgefaßt werden mußte ( R G J W 1915, 19; R G D R W 1940, 2250 Nr. 20; vgl. auch Anm. 5 vor § 116 und Anm. g f F z u § 147). In Fällen der Vertrauenshaftung kraft eines schlüssigen Verhaltens, dem kein Geschäftswille zugrunde liegt, muß jedoch die Anwendung von § 133 ausscheiden, weil insoweit der Wille desjenigen, dessen Verhalten die Vertrauenshaftung ausgelöst hat, ohne Belang ist (vgl. oben Anm. 5 sowie Anmerkungen 6, 8 und g vor § 116; Anm. 11 vor § 145).

Anm. 12 III. Verfahren bei der Auslegung 1. Allgemeines § 133 untersagt die B u c h s t a b e n a u s l e g u n g . Der Wortlaut und seine gewöhnliche Bedeutung ist zwar Ausgangspunkt der Auslegung, es darf aber nicht an ihm gehaftet werden ( B G H L M Nr. 3 c (B) zu § 133 = BB 1953, 302). Der Wortsinn ist nur maßgebend, wenn er klar und bestimmt ist ( R G J W 1910, 105). Aber unter Umständen ist auch er nicht ausschließlich entscheidend ( R G J W 1912, 69). Denn daneben müssen der verfolgte wirtschaftliche Zweck des Geschäfts ( R G J W 1908, 544; 1935, 419), die begleitenden Umstände ( R G J W 1910, 72) und hierbei gegebenenfalls auch die gepflogenen Vorverhandlungen berücksichtigt werden (außer den zuvor angezogenen Urteilen auch R G 71 115 u. 223; R G J W 1906 1 1 ; R G Gruchot 65, 591), insbesondere auch bei Formverträgen ( R G 67, 214; R G WarnRspr 1917 Nr. 288). Die Berücksichtigung formloser Nebenabreden zur Auslegung einer förmlich abgegebenen Erklärung, die an sich statthaft ist ( R G 59, 219; 62, 49), findet indessen darin ihre Schranke, daß der formlos erklärte Wille in der förmlichen Erklärung seinen, wenn auch noch so unvollkommenen Ausdruck gefunden haben muß ( R G 71, 115, 223; R G J W 1910, 998; R G WarnRspr 1917 Nr. 288) und nicht mit ihr in Widerspruch stehen darf. Es entscheidet der erklärte Wille ( R G J W 1910, 998). Aber erklärt ist auch das, was sich als selbstverständliche Folge aus dem ganzen Zusammenhang der getroffenen Abreden darstellt ( R G Gruchot 54, 387; vgl. oben Anm. 8). Die Auslegung darf daher keine abstrakte, von der konkreten Sachlage, von allen tatsächlichen Umständen und vom Willen der Parteien absehende sein ( R G J W 1908, 476; 1909, 387). Der Richter wird sich vergegenwärtigen müssen, daß die Parteien keine Juristen sind ( B G H L M Nr. 1 zu § 2100 = M D R 1951, 474), und hat ihren Sprachgebrauch zugrunde zu legen ( R G 24. 9. 1907 III 28/07). Es besteht keine Vermutung, daß die Parteien die Gesetze kennen ( R G J W 1903, 399). Es ist auch nicht Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Willenserklärung, daß der Erklärende sich der rechtlichen Tragweite des von ihm Erklärten nach allen Richtungen bewußt gewesen ist, oder daß er gar den juristischen A u f b a u gekannt hat. Die rechtliche Tragweite einer Willenserklärung zu ermitteln, ist vielmehr Sache des Richters ( R G 64, 1 6 7 ; R G Gruchot 55, 103).

408

Willenserklärung

§133

A n m . 13—15 A n m . 13 Da bei der Auslegung einer Erklärung vom Standpunkt dessen auszugehen ist, für den die Erklärung bestimmt ist, können bei der Auslegung nur solche Umstände Berücksichtigung finden, die die Beteiligten kannten oder kennen mußten (RG 86, 88; i o i , 247; 1 3 1 , 349; 165, 68, 73, 193). Bei Erklärungen, die für einen unbestimmten Kreis von Personen wirksam werden sollen, wie Wechsel, Auslobungen, Voraussetzungen usw., können grundsätzlich für die Auslegung nur allgemein erkennbare und aus der Urkunde selbst sich ergebende Umstände in Betracht gezogen werden. Bei Erklärungen, auf die die Öffentlichkeit vertraut, wie beim Beitritt zu einer Handelsgesellschaft, kann für die Auslegung nur solchen Umständen Bedeutung beigemessen werden, die aus den öffentlich zugänglichen Registerakten ersichtlich sind (RG 165, 68,73). Über die beschränkte Auslegungsfähigkeit von Gesellschafterbeschlüssen vgl. R G 146, 154; O G H 2, 197, 200ff). A n m . 14 2. B e s o n d e r e Auslegungsregeln Es besteht keine Auslegungsregel dahin, daß g e g e n die Partei, der ein Recht eingeräumt worden ist, auszulegen sei (RG 7. 10. 07 I V 65/07), und ebensowenig, daß unter besonderen Voraussetzungen e i n s c h r ä n k e n d auszulegen sei. Aus Gründen, die in der Sache selbst liegen, wird eine einschränkende Auslegung am Platze sein bei einem vertraglich abgemachten Strafgedinge (RG J W 1904, 139; vgl. indes auch R G J W 1920, 1 3 7 1 ; 1910, 934 2 ; ferner dort 279, wonach die allgemeinen Auslegungsregeln der §§ 1 3 3 , 157, 242 auch bei Konkurrenzverboten mit Strafgedinge Anwendung finden, so daß unter Umständen auch eine ausdehnende Auslegung statthaft ist); ferner einschränkend insbesondere bei Zusagen, welche die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit im wesentlichen einschränken (RG J W 1900, 277); ferner im Falle der Bestellung eines dinglich beschränkten Rechts am Grundstück, wonach nicht anzunehmen ist, daß der Besteller sich auch persönlich hat verpflichten wollen (RG 13. 3. 1907 V 315/06). Denn es kann als allgemeiner Rechtsgrundsatz gelten, daß niemand sich zu mehr hat verpflichten wollen, als er versprochen hat. Ferner gilt der Grundsatz, daß Unklarheiten einer Urkunde zu Lasten desjenigen gehen, der sie aufgesetzt hat (RG 153, 147; für Formularverträge R G 120, 1 8 ; 145, 26; B G H 5, m ) . Wegen der streng formalen Bedeutung und Wirkung des Grundbuchrechts ist eine ausdehnende Auslegung über den Wortlaut einer Vormerkung unzulässig (RG 1 0 . 2 . 1 9 0 4 V 337/03). Andererseits aber gibt das Gesetz in einer Reihe von S o n d e r f ä l l e n bei diesen je e i g e n e A u s l e g u n g s r e g e l n (vgl. §§ 186, 336, 494, 2066, 2072); insbesondere gehören hierher diejenigen Fälle, in denen das Gesetz besagt, was i m Z w e i f e l s f a l l e gelten solle, wie beispielsweise in den §§ 30, 3I4> 714. 926, 1 0 3 1 , 1032. A n m . 15 3 . Einzelfälle Bedient sich der Erklärende bestimmter technischer Rechtsausdrücke, so ist der Richter an die daraus folgende j u r i s t i s c h e Q u a l i f i k a t i o n nicht in jedem Fall gebunden, sondern hat unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zu prüfen, welche rechtliche Einordnung gewollt war. Enthält das erklärte Rechtsgeschäft alle Merkmale eines M i e t v e r h ä l t n i s s e s , so ist ein solches begründet worden, selbst wenn die Parteien sich dessen nicht bewußt gewesen sind und demzufolge eine juristische unzutreffende Bezeichnung gewählt haben (RG 30.3.1906 V I I 343/05; R G J W 1910, 1 9 1 ) , oder ein V e r w a h r u n g s v e r t r a g , wenn die Parteien entsprechend statt Verwahrung L e i h e gesagt haben. Haben etwa die Parteien im Vertrag von einer b e d i n g t e n G ü l t i g k e i t des Vertrags gesprochen, so ist doch eine Auslegung dahin zulässig, daß in Wirklichkeit ein R ü c k t r i t t s r e c h t hat bedungen werden sollen (RG 7. 5. 1921 V 17/21), und haben sie erwiesenermaßen die V e r p f ä n d u n g e i n e r H y p o t h e k beabsichtigt, als verpfändet aber die Hypothekenurkunde bezeichnet, so wird trotzdem die Hypothek selbst als verpfändet gelten müssen (vgl. R G WarnRspr 1909 Nr. 1 8 1 ) . Unter

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§133 A n m . 16, 17

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

V e r p f ä n d u n g k a n n eine S i c h e r h e i t s ü b e r e i g n u n g verstanden sein ( R G W a r n R s p r 19 io N r . 448); unter P f ä n d u n g des Anspruchs auf Erbauseinandersetzung, P f ä n d u n g d e s M i t e r b r e c h t s (RG W a r n R s p r 1911 N r . 139). Der G e b r a u c h des Ausdruckes „ S c h e n k e n " in einer V e r f ü g u n g f ü r den Todesfall hindert nicht, die V e r f ü g u n g als Testament mit Erbeinsetzung oder Vermächtnis aufzufassen (RG 22. 1 1 . 1923 I V 792/22). Aus der vom Erblasser gebrauchten Bezeichnung des Bedachten als „ E r s a t z e r b e n " kann j e nach den U m s t ä n d e n eine Nacherbeinsetzung e n t n o m m e n werden ( B G H L M N r . 1 zu § 2100 = M D R 1951, 474). Die in einem A u f b a u v e r t r a g vereinbarte Leistung eines Baukostenvorschusses k a n n selbst d a n n als Mietvorauszahlung anzusehen sein, wenn sie als „ D a r l e h e n " bezeichnet worden ist ( B G H L M Nr. 2 zu § 57 b Z V G = M D R 1953, 473; vgl. hierzu auch B G H L M N r . 6 (A) zu § 157 = M D R 1954, 283). A n m . 16 Der I n h a l t eines dinglichen Rechtes ist nach seinem Wortlaut u n d so zu bestimmen, wie ihn j e d e r der dinglich Verpflichteten u n d Berechtigten aus der die G r u n d l a g e bildenden U r k u n d e entnehmen m u ß ( R G 1 3 1 , i 6 7 f ; R G H R R 1928 N r . 2079; 1931 Nr. 398; 1932 Nr. 1820). Auslegung von Grundbucheinträgen s. R G H R R 1933 N r . 468. A b t r e t u n g des Anspruchs auf Herausgabe von Sachen d u r c h Aushändigung der Lagerscheine s. R G 135, 85. Auslegung eines vor d e m Z u s a m m e n b r u c h des J a h r e s 1945 abgeschlossenen V e r g l e i c h s ü b e r A b f i n d u n g e i n e s u n e h e l i c h e n K i n d e s s. B G H 2 > 379> 385. Ü b e r die Auslegung eines Kaliabbauvertrages vgl. B G H L M N r . 1 zu § 595 = R d L 1953, 140 u n d L M N r . 4 (A) zu § 133. Ist in einem 1946 ü b e r ein H a u s g r u n d stück geschlossenen Mietvertrag vereinbart, d a ß der Mieter a n Stelle des Mietzinses die auf d e m Hause r u h e n d e n Steuern u n d öffentlichen Lasten einschließlich der künftig entstehenden u n d einschließlich der Vermögenssteuer, nicht dagegen eine Vermögensabgabe zu tragen hat, so schließt dies eine ergänzende Vertragsauslegung dahin, d a ß der Mieter sich a n der T r a g u n g der S o f o r t h i l f e beteiligen m u ß , nicht aus ( B G H L M N r . 3 (B) zu § 133 = BB 1953, 302). Z u r Auslegung einer U r k u n d e , die, im Ausland aufgenommen, neben d e m fremdsprachlichen auch einen deutschen Text enthält, vgl. R G H R R 1928 N r . 303; zur Auslegung der Erlaubnis zur Veröffentlichung eines Bildnisses vgl. B G H 20, 345. Wird eine n a c h V e r e i n b a r u n g mit d e m Schuldner nicht a b t r e t b a r e F o r d e r u n g entgegen dieser Abrede abgetreten, so k a n n eine nachträglich v o m Schuldner gegenüber d e m neuen Gläubiger abgegebene Erklärung, er werde die F o r d e r u n g begleichen, nach den U m s t ä n d e n des Einzelfalles die Auslegung zulassen, d a ß der Schuldner nicht n u r die A b t r e t u n g genehmige, sondern auch auf die G e l t e n d m a c h u n g der i h m gegenüber d e m ursprünglichen Gläubiger zustehenden Einwendungen verzichte ( B G H L M Nr. 2 zu § 4 0 6 = BB 1954, 207). H a b e n Ehegatten f ü r ihre E h e den Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft vereinbart, jedoch Teile ihres eingebrachten Gutes d u r c h E h e v e r t r a g z u m Gesamtgut erklärt, d a n n h ä n g t es von d e m Parteiwillen u n d damit der Vertragsauslegung ab, o b hierdurch dieses „eingebrachte G u t " auch bei einer etwaigen späteren Auseinandersetzung d e m R e c h t des Gesamtgutes der Errungenschaftsgemeinschaft oder den besonderen Regeln f ü r das eingebrachte G u t bei der allgemeinen Gütergemeinschaft unterstellt werden soll ( B G H L M N r . 1 zu § 1477 = N J W 1952, 1330). Ü b e r die Auslegung des Begriffes „Friedensschluß" f ü r Wechselvorlegungen vgl. B G H 22, 161. U b e r die Auslegung des Begriffes „ K r i e g s e n d e " in Verträgen vgl. O G H 1, 133. Der Begriffeines „ W o h n h a u s e s " wird n a c h d e m allgemeinen Sprachgebrauch nicht schon d a d u r c h beeinträchtigt, d a ß sich i m Hause einzelne Geschäftsräume, auch L ä d e n von Einzelhandelsgeschäften, befinden ( B G H L M N r . 4 (Fb) zu § 133 = BB 1956, 514). A n m . 17 Auch bei der A u s l e g u n g e i n e s T e s t a m e n t s ist davon auszugehen, d a ß der Wille des Erblassers nicht ausdrücklich erklärt zu sein b r a u c h t , d a ß er aber in der Gesamtheit der letztwilligen Verfügungen einen wenn auch noch so unvollkommenen Ausdruck gefunden h a b e n m u ß (RG 26. 11. 1906 I V 2 1 2 / 0 6 ; B G H L M N r . 1 zu § 2 1 0 0 ) . Z u r Frage der ergänzenden Testamentsauslegung s. R G 134, 277. Tatsachen, die u n a b -

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Willenserklärung

§133 A n m . 18—20

hängig vom Willen des Erblassers sich erst nach seinem Tode ereignen, lassen bei einer ergänzenden Testamentsauslegung grundsätzlich keinen Schluß auf die Willensrichtung des Erblassers zu. Sie sind aber daraufhin zu prüfen, welchen Willen der Erblasser gehabt hätte, wenn er ihren Eintritt vorausgesehen hätte (BGH L M Nr. 5 zu § 2084). Zur Abgrenzung des mutmaßlichen (wirklichen) und des im Wege ergänzender Auslegung unterstellbaren (hypothetischen) Willens des Erblassers vgl. B G H L M Nr. 7 (A) zu § 243. Hat ein Erblasser letztwillig einen Anerben bestimmt und ist diese Bestimmung infolge einer Aufhebung des Anerbengesetzes gegenstandslos geworden, so ist, falls der Erblasser für diesen Fall keine Bestimmung getroffen hat, seine letztwillige Verfügung entsprechend der Willensrichtung des Erblassers auszulegen, die sich an Hand des Testaments oder der allgemeinen Lebenserfahrung ergibt (BGH L M Nr. 3 zu § 2078). A n m . 18 IV. Verfahrensrechtliches 1. B e w e i s f r a g e n Die Auslegung von Rechtsgeschäften ist eine vom Richter zu erfüllende Aufgabe, die mit der Beweisführung und Beweiswürdigung nichts unmittelbar zu tun hat. Für eine Beweislast ist nur hinsichtlich tatsächlicher Behauptungen Raum, aus denen auf den Willen der am Rechtsgeschäft Beteiligten Schlüsse gezogen werden sollen (so B G H L M Nr. 1 (B) zu § 133; vgl. auch R G 1 3 1 , 343, 350; RG J W 1915, 650; 1927, 5 1 4 ; 1934, 3128; R G H R R 1935 Nr. 7 1 5 ; RG WarnRspr 1936 Nr. 70; R G SeuffArch 71, Nr. 106; RAG in H R R 1932 Nr. 2276). Die E r m i t t l u n g des P a r t e i w i l l e n s und die F e s t s t e l l u n g einer V e r k e h r s s i t t e ist zwar T a t s a c h e n f e s t s t e l l u n g , die Auslegung selbst jedoch r e c h t l i c h e W ü r d i g u n g (RG WarnRspr 1909 Nr. 340). Die Auslegung als solche kann deshalb nicht zugestanden (RG Recht 1931, 840) oder „bewiesen" werden (BGH L M Nr. 7 (A) zu § 242). A n m . 19 Nur die Feststellung der für die Auslegung wesentlichen Tatsachen erfolgt nach Maßgabe der für die Behauptungs- und Beweislast geltenden Grundsätze. Der Richter ist deshalb an die Behauptungen der Parteien über die möglichen Deutungen einer Urkunde nicht gebunden (RG L Z 1930, 513). Eine Partei ist jedoch beweispflichtig, wenn sie sich für die von ihr vertretene Auslegung auf außerhalb der Urkunde liegende bestrittene Tatsachen beruft (RG J W 1906, 226; 1925, 650; RG L Z 1927, 314). Wie jede andere Tatsache ist auch das Bestehen einer behaupteten örtlichen Verkehrssitte Gegenstand des Beweises (RG 13, 188). Es besteht keine Vermutung für die Fortdauer einer Verkehrssitte (RG J W 1914, 460). Da grundsätzlich die nach der Verkehrssitte gewöhnliche Auslegung maßgebend ist, hat derjenige, der eine von der Verkehrssitte abweichende Bedeutung eines Ausdrucks behauptet, die besonderen Umstände zu beweisen, die für diese Auslegung sprechen. Der Tatsachenrichter ist nicht gehalten, für die Auslegung wesentliche Umstände von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen (BGH 20, 109). Sind aber von den Parteien Umstände dargetan, die die Feststellung eines bestimmten Parteiwillens ermöglichen, so kommt eine Auslegung erst in Betracht, nachdem die Ergebnisse dieser Feststellung vorliegen (BGH 20, 1 1 0 ; R G D R 1942, 38). Läßt sich der wirkliche übereinstimmende Wille der Parteien im Wege der Beweiserhebung ermitteln, so ist kein Raum für eine Auslegung (BGH L M Nr. 2 (G f) zu § 157 = VersR 1956, 301). A n m . 20 Ist eine Erklärung so widerspruchsvoll oder widersinnig, daß überhaupt nicht festgestellt werden kann, was gewollt war, so kann die richterliche Beurteilung zu dem Ergebnis führen, daß eine Auslegung nicht möglich ist (RG J W 1910, 801; B G H 20, 10g, 112). Hierbei ist zu beachten, daß der Richter die einzelnen Ausdrücke und Wendungen nicht pressen darf, sondern die vorliegenden Erklärungen in ihrer Gesamtheit ins Auge fassen und erwägen muß, welchen Sinn die zweifelhafte Stelle nach ihrem Zusammenhang hat (RG J W 1909, 190).

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§133 A n m . 21, 22

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A n m . 21 2. Revisibilität Die Frage, inwieweit die Revision auf die Behauptung unrichtiger Auslegung gestützt werden kann (§ 549 Z P O ) , ist zweifelhaft, und es haben jeweils auch die einzelnen Senate des R G eine verschiedene Stellung zu ihr eingenommen (vgl. S t e i n - J o n a s Z P O § 54g Anm. I I I B 4). Auszugehen ist davon, daß das Verfahren bei der Auslegung auch die Anwendung von Rechtsgrundsätzen erheischt, und daß daher auch eine Gesetzesverletzung möglich ist (RG 71 223; R G J W 1909, 190). Die Revision kann insbesondere auf die Behauptung gestützt werden, daß das Gericht den § 133 insofern verletzt habe, als es sich an den bloßen Wortlaut gehalten und nicht unter Berücksichtigung der begleitenden Umstände den wirklichen Willen erforscht habe ( B G H L M Nr. 1 zu § 2 1 0 0 ; Nr. 1 u. 3 (B) zu § 1 3 3 ) ; oder anderseits darauf, daß gegen den klaren Wortlaut ausgelegt worden sei ( R G 95, 126; 82 3 1 6 ; 85. 3 2 7 ; R G WarnRspr 1919 Nr. 2; 1928 Nr. 142; R G SeuffArch 79 Nr. 1 1 7 ; R G H R R 1931 Nr. 2 ; B G H L M Nr. 7 zu § 2084 = BB 1956, 318) — es muß zum mindesten erörtert sein, weshalb eine an sich dem Wortlaut widersprechende Auslegung doch mit ihm vereinbar sein soll (RG 1 1 . 5. 26 V I I 622/25) —> oder darauf, daß eine Erklärung ausgelegt worden, die überhaupt nicht auslegungsfähig war, oder daß der Richter den Auslegungsgegenstand verkannt, die Grenzen der Auslegung überschritten, bei der Auslegung von der Partei behauptete wesentliche Tatsachen nicht berücksichtigt oder Tatsachen verwertet hat, die nicht Gegenstand der Verhandlung waren ( R G 17. 2. 1906 V 349/05; R G J W 1 9 1 1 , 180; B G H L M Nr. 2 (A) zu § 133 = BB 1952, 88). Sofern der Tatrichter eine Auslegung der Vertragserklärungen nicht vorgenommen hat, ist das Revisionsgericht nicht gehindert, selbständig und frei den Vertragswillen der Parteien durch Auslegung zu ermitteln ( B G H 16, 4, 1 1 ) ; ebenso wenn das Berufungsurteil nur lückenhafte Gründe enthält ( B G H L M Nr. 2 (A) zu § 133). Liegen alle für die Auslegung in Betracht kommenden Umstände offen, so kann das Revisionsgericht beim Fehlen einer eigenen Stellungnahme des Tatrichters selbst entscheiden, ob ein Vertrag für einen Vertragspartner Schutzpflichten gegenüber einem Dritten begründet, bei deren Verletzung dem Dritten Schadensersatzansprüche gemäß § 328 B G B zustehen ( B G H L M Nr. 5 (D) zu § 157). Die Feststellung, daß die Parteien selbständige Nebenabreden neben der schriftlichen Urkunde getroffen haben, ist als tatsächliche Feststellung der Nachprüfung in der Revisionsinstanz entzogen ( R G 28. 10. 1 9 1 0 I I 219/10). Bei der Auslegung eines I n d i v i d u a l v e r t r a g e s kann in der Revisionsinstanz insbesondere nachgeprüft werden, ob gegen gesetzliche Auslegungsgrundsätze (§§ 133, 157) oder gegen die Denkgesetze verstoßen worden ist ( B G H L M Nr. 3 (F b) zu § 1 3 3 ) ; oder ob die Auslegung mit dem klaren Sinn und Wortlaut des Vertrages im Widerspruch steht ( B a y O b L G Entsch. 1950/51, 263; B G H L M Nr. 1 u. 3 (B) zu § 133). Es gibt aber auch V e r t r a g s w e r k e m i t t y p i s c h e m V e r t r a g s i n h a l t , die g l e i c h G e s e t z e s w e r k e n auszulegen und entsprechend auch in der Revisionsinstanz zu behandeln sind. Ein typischer Vertragsinhalt ist gegeben, wenn durch allgemeine Bestimmungen eine Vielheit gleichartiger Rechtsverhältnisse geregelt werden soll. Ubereinstimmende Regelung in zahlreichen Einzelverträgen reicht nicht aus ( B G H 1, 8 3 ; B G H L M Nr. 4 (A) zu § 133). Der Bundesgerichtshof hat an der Rechtsprechung des Reichsgerichts, wonach bei der Auslegung t y p i s c h e r U r k u n d e n alles Zufällige des einzelnen Falles beiseite zu bleiben hat, festgehalten ( B G H 7, 365). Uber Rechtsnatur, Geltung und Auslegung von V e r t r a g s k l a u s e l n t y p i s c h e n I n h a l t s , insbesondere von a l l g e m e i n e n G e s c h ä f t s b e d i n g u n g e n und ihre R e v i s i b i l i t ä t vgl. Anm. 38—40 u. Anm. 54 zu § 157.

A n m . 22 Ist eine Vertragsklausel („frei bleibend") nicht auf Grund der konkreten Umstände, auch nicht mit Rücksicht auf einen etwaigen Handelsbrauch, sondern ausschließlich nach der Logik und nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen ausgelegt worden, dann unterliegt die Auslegung der Nachprüfung durch das Revisionsgericht ( R G 103, 4 1 5 ) , wie sich der B G H und das Reichsgericht auch das Recht zur Nachprüfung von a l l g e m e i n e n , vom Berufungsgerichte aufgestellten E r f a h r u n g s g r u n d s ä t z e n ,

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Willenserklärung

§ 133 A n m . 23 §134

insbesondere auch eines „ a l l g e m e i n e n d e u t s c h e n S p r a c h g e b r a u c h s " (beispielsweise „Lieferzeit bis i. Oktober", oder bei einem Angebote „gebunden bis zum 31. März") vorbehalten haben (RG 99, 71; 105, 418; wo angenommen ist, daß es naheliege, in Fällen bezeichneter Art den angegebenen Tag in die Frist mit einzubeziehen; vgl. auch BGH LM Nr. 4 [Fb] zu § 133 BGB zur Auslegung des Begriffs „Wohnhaus"). Ob ein Verstoß gegen Treu und Glauben vorliegt, ist keine reine Tatfrage, sondern zugleich eine die Z u l ä s s i g k e i t d e r R e v i s i o n b e g r ü n d e n d e R e c h t s f r a g e (RG 100, 135; RG J W 1905, 370; 1906, 456). Ebenso ist die Frage, welcher Sinn einer Erklärung vom Vertragsgegner nach Treu und Glauben beigelegt werden konnte, eine Rechtsfrage (RG J W 1913, 593; RG WarnRspr 1919 Nr. 131). Dagegen ist die Frage, ob eine behauptete Verkehrssitte besteht, eine der Nachprüfung durch das Revisionsgericht entzogene Tatfrage, da es sich bei ihr nicht um eine Rechtsnorm, sondern um eine tatsächliche Übung handelt (RG WarnRspr 1919 Nr. 131; BGH LM Nr. 1 (B) zu § 157 BGB). Die tatrichterliche Feststellung des Bestehens einer Verkehrssitte kann jedoch mit der Revision angegriffen werden, wenn sie unter Verletzung prozeßrechtlicher Vorschriften zustandegekommen ist (RG WarnRspr 1914 Nr. 324; BGH LM Nr. 1 (B) zu § 157). A n m . 23 Prozeßhandlungen (vgl. hierzu Anm. 10 ff vor § 104) unterliegen nach ständiger Rechtsprechung (vgl. RG 104, 136; 110, 15; RG H R R 1936 Nr. 432) der freien Auslegung durch das Revisionsgericht. Der Prozeßvergleich ist eine Prozeßhandlung nur insofern, als er den Prozeß ganz oder teilweise beendet; seinem sonstigen Inhalt nach ist er wie der außergerichtliche Vergleich ein privatrechtlicher Vertrag, dessen Auslegung an sich Sache des Tatrichters ist (vgl. RG 78, 287; 153, 67; RG WarnRspr 1937 Nr. 109 gegen 1916 Nr. 53; vgl. auch Anm. 12 u. 15 vor § 104). — Frei auszulegen durch das Revisionsgericht sind auch behördliche Erklärungen (RG 102, 3; RG J W 1927, 986; RG 16. 5. 1935 VI 49/35), Entscheidungen der Verwaltungsbehörden (RG 102, 3; 161, 308). — Auch die Auslegung der Satzungen einer Kapitalgesellschaft unterliegt der freien Nachprüfung durch das Revisionsgericht (RG 156, 133; 159, 326; RG DR 1942, 279; BGH 9, 279).

§134 Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, w e n n sich nicht aus d e m Gesetz ein anderes ergibt. E I 105 II 100; M 1 210ff; P x 122 ff.

Ubersicht I. Grundsätzliches 1. Verstoß gegen Verbotsgesetz 2. Umgehungsgeschäft a) Allgemeines b) Einzelfälle 3. Die Nichtigkeit a) Voraussetzungen b) Folgen der Nichtigkeit 4. Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft II. Form des Verbotes III. Verstoß gegen Verbotsgesetze mit unbedingter Nichtigkeitsfolge . . . 1. Schuldverschreibungen 2. Gaststättengesetz 3. Verbote im Gesellschafts- und Handelsrecht 4. Kettenhandel

Anm.

1—9 1

2, 3 2 3 4—8 4—7 8 9 10

11—21 1 2 r 3 14, 15 16

413

§ 134 Anm. 1, 2

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte Anm

5. Verbote im Preisrecht 17—20 a) Uberblick über die Entwicklung der Gesetzgebung 17 b) Die Preisstopverordnung 18, 19 c) Grundstücksverkehrsverordnung 20 6. öffentliches Recht 21 IV. Verstoß gegen Verbotsgesetze ohne unbedingte Nichtigkeitsfolge. . . . 22—39 1. Allgemeines 22 2. Strafgesetze 23 3. Behördliche und gesetzliche Veräußerungsverbote 24 4. Weitere Einzelfälle 25—29 5. Dekartellierungsgesetze 30 6. Verbotsgesetze mit Erlaubnisvorbehalt 31 a) Devisenrecht, Einfuhr- und Ausfuhrverbote 32 b) Bewirtschaftungsbestimmungen 33, 34 c) Einzelfälle 35—38 V. Ausländische Verbotsgesetze 39 V I . Unvollkommene Verbindlichkeiten 40 Anm. 1 I. G r u n d s ä t z l i c h e s 1. V e r s t o ß g e g e n V e r b o t s g e s e t z Ein gegen ein g e s . V e r b o t v e r s t o ß e n d e s R e c h t s g e s c h ä f t ist in d e r R e g e l n i c h t i g . Die Nichtigkeit tritt jedoch nicht ein, wenn sich aus dem betr. Verbotsgesetz etwas anderes ergibt. Ob dies der Fall ist, kann aus dem Wortlaut des Verbotsgesetzes, aber auch aus seinem Sinn und Zweck zu entnehmen sein. Ist die Abweichung von der Regel nicht ausdrücklich im Verbotsgesetz enthalten, dann kann sie durch Auslegung festzustellen sein. Tritt aber die Nichtigkeit ein (vgl. Anm. zu § 125), so ist sie eine unbedingte. Es entsteht weder ein Anspruch noch eine Einrede. Die Nichtigkeit ist von Amts wegen zu berücksichtigen und kann von und gegenüber jedermann geltend gemacht werden ( R G J W 1930, 907). Ob die Beteiligten den Inhalt des Rechtsgeschäftes billigen oder nicht, ist dabei gleichgültig ( R G m , 28). Darüber, in welchen Fällen die Nichtigkeit eines Teils des Rechtsgeschäftes dieses insgesamt vernichtet vgl. Anm. zu § 139. Anm. 2 2. U m g e h u n g s g e s c h ä f t a) Allgemeines Voraussetzung der Nichtigkeit wegen eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot ist, daß sich das Verbot gegen das Rechtsgeschäft selbst richtet, daß also das Rechtsgeschäft objektiv gegen das Gesetz verstößt (vgl. unten Anm. 6). Die Nichtigkeit tritt jedoch nicht nur ein, wenn gegen den Wortlaut des Gesetzes unmittelbar verstoßen wird, sondern auch dann, wenn der nach dem Verbotsgesetz unzulässige Erfolg durch die U m g e h u n g d e s G e s e t z e s erreicht wird oder werden soll ( R G J W 1 9 1 1 , 708; siehe auch R G 155, 146; R A G 8, 277). Bisweilen wird die mittelbare oder unmittelbare Umgehung des ges. Verbotes auch noch ausdrücklich verboten (vgl. z. B. die sog. Preisstopverordnung v. 26. 1 1 . 1936; R G B l I, 955). Zu beachten ist aber, daß eine unstatthafte Umgehung des Gesetzes nicht vorliegt, wenn ein zulässiger wirtschaftlicher Erfolg statt durch das verbotene Mittel, durch ein gesetzlich erlaubtes Rechtsgeschäft anderer Art erzielt werden sollte (vgl. Anm. zu § 1 1 7 ) . Denn dann kann eine Vereitelung des Gesetzeszweckes nicht in Frage stehen ( R G 37, 62, 44; 108; 61, 299; 125, 209; 155, 138, 146; B G H L M Nr. 19 zu § 134). Ein Vorteil aber, dessen Erlangung das Gesetz verbietet, kann nicht durch ein Umgehungsgeschäft erreicht werden, auch nicht über einen Schadensersatzanspruch ( R G 90, 305). Nichtig 414

Willenserklärung

§134 A n m . 3—5

ist ferner nicht nur derjenige Vertrag, der den Gesetzesverstoß unmittelbar enthält, sondern auch schon der, durch den sich jemand verpflichtet, einen solchen Vertrag abzuschließen ( R G L Z 1 9 3 1 , 1060). Z u r Frage der Gesetzesumgehung vgl. auch W a c k e Z A k D R 1936, 1 1 0 .

Anm. 3 b) Einzelfälle Die Umwandlung eines Arbeitsverhältnisses in ein pachtähnliches Verhältnis, in der Absicht, die sozialen Schutzvorschriften zu umgehen, ist nichtig ( R A G 17, 1 betr. Tankwart). Würde ein Erlaßvertrag zwischen einer G m b H und einer K G nicht wirksam abgeschlossen werden können, weil beide Gesellschaften durch dieselbe Person vertreten sind, und wird, um den erstrebten Erfolg zu erreichen, ein sog. pactum de non petendo zwischen der G m b H und dem Kommanditisten der K G zugunsten dieser Gesellschaft vereinbart, so ist dies zwar ein Umgehungsgeschäft, jedoch ist der damit verbundene Erfolg zulässig und deshalb der Vertrag wirksam ( B G H L M Nr. 19 zu § 134). Eine Honorarvereinbarung eines Armenanwalts mit der Armenpartei ist wegen Umgehung von § 1 1 5 Z P O nichtig ( R G H R R 1939 Nr. 526). Haben Ehegatten sich in einem gemeinsamen Testament gegenseitig zu Erben eingesetzt und weiter bestimmt, daß der Nachlaß nach dem Tode des Uberlebenden den beiden Kindern zu gleichen Teilen zufallen soll, so stellt es eine unzulässige Umgehung dar, wenn der Uberlebende kurz vor seinem Tode durch einen notariellen Vertrag den Hauptvermögenswert einem K i n d „unter Vorwegnahme und Anrechnung auf das E r b e " übereignet ( B G H L M Nr. 14 zu § 134). Kein unzulässiges Umgehungsgeschäft ist es, wenn ein konzessionierter Apotheker mit einem anderen einen Vertrag schließt, worin die Vertragschließenden so gestellt werden, als besäßen sie gemeinsam eine Konzession, da durch einen solchen Vertrag das Betriebsrecht des konzessionierten Apothekers nicht berührt wird ( B G H N J W «953» 818). Ein Vergleich, durch den die Rechtsbeständigkeit eines gegen ein ges. Verbot verstoßendes Rechtsgeschäft anerkannt oder durch den auf den Nichtigkeitseinwand verzichtet wird, ist rechtswirksam, wenn durch ihn der Streit gerade darüber beigelegt werden soll, ob das zugrunde liegende Rechtsgeschäft nichtig ist ( R G J W 1935, 1009). Nichtig ist ein Vertragswerk, das nach seinem Inhalt bezweckt, einem nicht zugelassenen und nicht unter Aufsicht stehenden Versicherungsunternehmen durch Tarnung den Betrieb aufsichtspflichtiger Versicherungszweige zu ermöglichen ( R G 1 5 5 , 138).

Anm. 4 3. Die Nichtigkeit a) Voraussetzungen Regelmäßig hat ein Rechtsgeschäft, das gegen ein ges. Verbot verstößt, nur dann Nichtigkeit zur Folge, wenn sich das V e r b o t g e g e n b e i d e T e i l e richtet ( R G 100, 40, 2 3 5 ; 105, 65; 106, 3 1 7 ) . Doch genügt es zum Eintritt der Nichtigkeit, wenn das Gesetz mit den Verboten, die sich nur gegen e i n e n Teil richten, dem mit dem Rechtsgeschäft bezweckten E r f o l g verhindern will und der vom Verbot nicht unmittelbar betroffene Teil zu dem Handeln des anderen bewußt mitwirkt ( R G J W 1 9 3 1 , 2088 n ; R G 60, 276; 78, 3 5 3 ; R G SeufFArch 76 Nr. 68). Das zum Schutze des Vermögens der Versicherungsträger in § 25, Abs. 3 R V O ausgesprochene Verbot der Übernahme anderer als der übertragenen Geschäfte richtet sich nur gegen den Versicherungsträger und läßt die Wirksamkeit der verbotswidrig von ihm abgeschlossenen Geschäfte unberührt ( R G .TW 1937, 3 1 1 4 ) .

Anm. 5 U m die Nichtigkeit herbeizuführen, ist ferner erforderlich, daß das Verbotsgesetz bereits im Z e i t p u n k t d e r V o r n a h m e d e s R e c h t s g e s c h ä f t s bestanden hat ( R G 105, 177). Wird ein Verbot später wieder aufgehoben, so wird ein verbotswidriges

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§134 A n m . 6, 7

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Geschäft nur dann nachträglich gültig, wenn die Voraussetzungen der §§ 308, 309 erfüllt sind (RG 105, 137; 138, 55; R G SeuffArch 79 Nr. 179). Die Anwendung der §§ 308 Abs. 1, 309 beschränkt sich auf die Fälle, in denen der Wegfall des Verbotes ins Auge gefaßt und die Leistung für die Zeit nach dem Wegfall des Verbotes vorgesehen ist. Sie entfällt dagegen, wenn vertraglich vereinbarte Leistungen alsbald und ohne Rücksicht auf ein bestehendes Verbot noch während seiner Geltungsdauer vollzogen werden sollen (RG SeuffArch 79 Nr. 179; OGH 3, 55; B G H L M Nr. 7 zu § 134). Eine Veräußerung eines gebrauchten Kraftfahrzeuges, die der 3. Anordnung zur Regelung der Verbraucherpreise und Handelsspannen im Geschäftsverkehr mit gebrauchten Kraftfahrzeugen v. 28. 2. 1941 (RAnz 1941 Nr. 65 S. 2) unterlag, ist nichtig, wenn die darin vorgeschriebene Abschätzung nicht innerhalb von zwei Monaten nachgeholt worden ist. Die Nichtigkeit ist jedoch nicht eingetreten, wenn die Nachholfrist im Zeitpunkt der Aufhebung der Anordnung (25. 6. 1948) noch nicht abgelaufen war (OGH 1, 1 7 1 ; B G H L M Nr. 7 zu § 1 3 4 = J Z 1 9 5 3 , 5 5 5 ) . Fehlt es an den Voraussetzungen der §§ 308, 309, dann muß das nichtige Geschäft neu vorgenommen werden (§ 141), es sei denn, daß das Verbotsgesetz eine Ausnahme bestimmt. Ist bei einem genehmigungspflichtigen Geschäft die Genehmigung einmal versagt und damit das bis zur Versagung schwebend unwirksame Geschäft nichtig geworden, so kann die Nichtigkeit nicht dadurch geheilt werden, daß die Genehmigung nachträglich doch noch erteilt wird (RG 106, 142; 168, 346; R G DR 44, 26; B G H 1, 2 9 4 ; B G H L M Nr. 1 0 zu § 1 3 4 = BB 1 9 5 4 , 3 3 2 ) . Anm. 6 Auch wenn die Nichtigkeit im Verbotsgesetz n i c h t a u s d r ü c k l i c h a n g e d r o h t ist, kann sie begründet sein. Dies ist dann der Fall, wenn sich das Verbot gegen den Inhalt des Rechtsgeschäfts und nicht gegen seine Vornahme richtet. Enthält ein Verbotsgesetz eine Strafandrohung, dann hat ein Verstoß gegen das Verbotsgesetz nur dann die Nichtigkeit zur Folge, wenn die Strafandrohung sich nicht nur gegen die besonderen Umstände, unter denen, und gegen die Absicht, in der ein Rechtsgeschäft geschlossen wird, richtet, sondern nur dann, wenn sich die Strafandrohung gegen das Rechtsgeschäft als solches wenden will (RG 6, 169; R G SeuffArch 73 Nr. 85). Die Vorschriften über das Verbot von Kompensationsgeschäften nach der K W V O richteten sich nicht nur gegen die Vornahme, sondern auch gegen den mit dem Rechtsgeschäft verfolgten Zweck. Machte daher eine Partei die Lieferung der Mangelware an die Gegenpartei davon abhängig, daß ihr außer der Geldzahlung ebenfalls Mangelware geliefert werde, so war das ganze Verpflichtungsgeschäft nichtig und nicht nur die Verpflichtung zur Gegenleistung (BGH 1, 1 2 8 ; zum Teil abweichend OLG Hamburg HEZ 2 , 3 0 7 f r ) . Anm. 7 Unter Umständen treffen bei einem Rechtsgeschäft die Nichtigkeitsgründe des § 134 und des § 138 zu. So z. B. bei einem vertragsmäßigen Ausschluß der Berufung für den Fall, daß auf Ehescheidung erkannt wird (RG 70, 60). In der Rechtsprechung wurde vor Inkrafttreten des Ehegesetzes v. 20. 2. 1946 ganz allgemein angenommen, daß Vereinbarungen unter Eheleuten, die eine Ehescheidung durch Verzicht auf Rechtsmittel oder sonst durch ihr Verhalten im Rechtsstreit erleichtern sollten und damit den in §§617 und 622 ZPO aufgestellten Grundsätzen des Eheschutzes zuwiderlaufen, aus § 134 oder wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 nichtig seien (RG 70, 59; 118, 171; 123, 84; R G J W 1913, 128; 1930, 983; R G WarnRspr 1909 Nr. 386; 1916 Nr. 9; 1917 Nr. 7). Nach Inkrafttreten des Ehegesetzes v. 20. 2. 1946 sind aber Unterhaltsvereinbarungen, die vor Rechtskraft der Scheidung getroffen worden sind, nicht schon deshalb nichtig, weil sie die Scheidung erleichtert oder ermöglicht haben (§ 72 EheG). Insoweit ist also die oben angeführte Rechtsprechung überholt. Sie ist aber noch von Bedeutung im Hinblick auf § 72 S. 2 EheG, wonach eine vor Rechtskraft des Urteils geschlossene Unterhaltsvereinbarung dann nichtig ist, wenn die Ehegatten im Zusammenhang mit der Vereinbarung einen nicht oder nicht mehr bestehenden Scheidungsgrund geltend gemacht hatten, oder wenn sich anderweitig aus dem Inhalt der Vereinbarung oder aus den sonstigen Umständen

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Willenserklärung

§ 134 A n m . 8, 9

ergibt, daß sie den guten Sitten widerspricht (vgl. hierzu Näheres Anm. 63 fr zu § 138 und die dort aufgeführte Rechtsprechung). Anm. 8 b) Folgen der Nichtigkeit Die auf Grund nichtigen Rechtsgeschäfts bewirkte Leistung kann nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff) zurückverlangt werden. Ergreift die Nichtigkeit sowohl das Verpflichtungs- wie auch das Erfüllungsgeschäft, dann kann die geleistete Sache mit der Eigentumsklage herausverlangt werden (§985). Der Rückerstattungsanspruch nach § 812 ist aber grundsätzlich durch § 817 Abs. 2 versagt (RG 72, 48, § 181 S. 3 K O betreffend), wenn die Leistung zur Erfüllung eines Vertrages erfolgt war, der einen gesetzlich verbotenen Zweck verfolgte (RG Gruchot 61, 303 zu §400). Wer z. B. eine Ware auf Grund eines als Kompensationsgeschäft nichtigen Kaufvertrages an den Käufer ausgeliefert hat, hat keinen Herausgabeanspruch nach §985; ein Bereicherungsanspruch ist aber durch §817, Abs. 2 ausgeschlossen (BGH LM Nr. 5 zu § 134 = J Z 1951, 782). Bei beiderseitigem Verstoß gegen ein Verbotsgesetz greift §817 Abs. 2 ein, ohne daß es auf den Grad des Verstoßes oder auf einen billigen Ausgleich der Belange der Parteien untereinander ankäme. Dies gilt auch bei beiderseitiger bewußter Preisüberschreitung (OGH 4, 57). Der objektive Verstoß reicht aber nicht aus, um den Ausschluß nach §817 Abs. 2 zu begründen, wenn es sich um ein Verbotsgesetz handelt, das wegen seiner Bedeutung noch nicht allgemein bekannt ist. Es wäre ungerechtfertigt, auch den unwissentlichen Verstoß gegen ein allgemein unbekanntes Verbot mit dem Ausschluß des Rückforderungsrechtes zu bestrafen (RG 95, 348). Das Rückforderungsrecht ist auch dann nicht ausgeschlossen, wenn eine Kaufpreisanzahlung, die im Zusammenhang mit einem verbotenen Kompensationsgeschäft geleistet wurde, v o r der Kompensationsabrede erfolgte (BGH LM Nr. 4 zur KWVO § 1 a). Ist im Zusammenhang mit einem nach § 134 nichtigen Vertrag in einer als solche rechtlich einwandfreien Nebenabrede eine Eigentümergrundschuld zur Sicherung der Forderungen des Vertragsgegners aus dem nichtigen Vertrag abgetreten worden, so steht dem Anspruch auf Rückabtretung der Eigentümergrundschuld die Bestimmung des § 817 Abs. 2 nicht entgegen (BGH 19, 205). Die Rechtsunwirksamkeit der Honorarabrede berührt in der Regel nicht die Gültigkeit des Anwaltsvertrages (BGH LM Nr. 1 zu § 1 RAGebVO, für Vereinbarung eines Erfolgshonorars, vgl. auch unten § 138 Anm. 76). Bei beiderseitigem bewußtem Verstoß gegen die Preisvorschriften der GrundstückspreisVO gilt für die Rückgewähr des über dem Stoppreis liegenden, nicht beurkundeten Teils des Entgeltes für das Grundstück die verschärfte Haftung des § 819 Abs. 2 BGB (BGH LM Nr. 30 zu § 134 = NJW 1958, 1725). Anm. 9 4. Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft bilden keine rechtliche Einheit im Sinne von § '39 (vgl. Anm. 16—18 zu § 125). Ein Verbot, das sich gegen den Abschluß des Verpflichtungsgeschäftes richtet, hat daher nicht ohne weiteres die Nichtigkeit des Erfüllungsgeschäftes zur Folge. So führte die Nichtigkeit eines nach § 1 a K W V O verbotenen Kompensationsgeschäftes nicht auch ohne weiteres zur Nichtigkeit des dazu gehörigen Erfüllungsgeschäftss (BGH LM Nr. 5 zu § 134 = J Z 1951, 782; für das Verpflichtungsgeschäft vgl. BGH 1, 128). Richtet sich ein Verbot der Einfuhr aus § 1 der Bekanntmachung v. 16. 1. 1917 über die Regelung der Einfuhr nur gegen den Käufer und nicht auch gegen den Lieferanten, dann ist die Möglichkeit des Eigentumserwerbs durch einen Dritten noch vor erfolgter Beschlagnahme rechtlich möglich (RG 102, 323). Das Einverständnis beider Vertragsteile über den Zweck der verbotenen Einfuhr macht aber auch das mit einem Ausländer geschlossene Rechtsgeschäft nichtig. Seine Aufrechterhaltung nach ausländischem Recht würde gegen den Zweck des deutschen Gesetzes verstoßen (vgl. EG Art. 39, RG J W 1924, 1710). — Uber Nichtigkeit des schuldrechtlichen und des

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§134

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 10, 11 dinglichen Devisengeschäfts nach den Bestimmungen über den Devisenhandel s. R G 98, 256; 105, 298; R G J W 1926, 2080. Die Abrede der Zahlung „ i n effektiven Devisen" macht, wenn sie gegen gesetzliche Bestimmungen verstößt, in der Regel nur diese Zahlungsbestimmung, nicht das ganze Rechtsgeschäft nichtig ( R G J W 1926, 2838). Wird dagegen die Vermögensverschiebung als solche unterbunden, so hat eine Verbotsübertretung auch die Nichtigkeit des Erfüllungsgeschäftes zur Folge ( B G H N J W 1954, 550).

Anm. 10 II. Form des Verbotes Es kommt nicht darauf an, ob das Verbot ausdrücklich oder mittelbar erlassen ist. Ferner ist es gleichgültig, ob das Verbot in einem Strafgesetz oder in einer privatrechtlichen Norm, und schließlich, ob es in einem Bundes- oder Landesgesetz oder in einem Gesetz der Besatzungsmacht enthalten ist. I m Sprachgebrauch des B G B wird das Verbot auf verschiedene Arten zum Ausdruck gebracht. In einigen Fällen wird das gegen die Norm verstoßende Rechtsgeschäft ausdrücklich als nichtig erklärt, so in den §§ 248, 3 1 0 , 3 1 2 , 443, 723, Abs. 3, 746 Abs. 3, 795 Abs. 3, 925 Abs. 2, 1 1 3 6 , 1229, 1 7 1 4 Abs. 2, 2040, 2302. In anderen Fällen gebraucht das Gesetz die Wendung „kann nicht", so u.a. in den §§ 1 3 7 , 225, 276 Abs. 2, 400, 4 1 9 Abs. 3, 1023 Abs. 2, 1 1 0 6 , 1 1 1 0 , i m , 1 1 1 4 , H49> 1 1 9 5 , 1250, 1274 Abs. 2, 1 6 1 4 , 1724, 1742, 1947, 2180, 2382 Abs. 2. Die Ausdrucksweise „ k a n n nicht" weist jedoch nicht immer auf Nichtigkeit hin, so z. B. nicht in § 1 8 1 . Wenn es dort heißt, daß der Vertreter ein Rechtsgeschäft namens des Vertretenen mit sich im eigenen Namen regelmäßig nicht vornehmen könne, so will das nur so viel besagen, daß ein derartig vorgenommenes Rechtsgeschäft nicht schlechthin und ohne weiteres imstande ist, die beabsichtigte Wirkung auszuüben, will jedoch nicht die Möglichkeit ausschließen, daß das Geschäft durch die nachträgliche Genehmigung des Vertretenen wirksam wird (vgl. Näheres bei A n m . zu § 1 8 1 , s. auch B G H L M Nr. 19 zu § 134). Gleiches wird auch für die §§ 1629 Abs. 2, 1795 zu gelten haben. Die vom Vormund oder Vater in diesen Bestimmungen genannten Rechtsgeschäfte sind genehmigungsfähig und können durch nachträgliche Genehmigung seitens des volljährig gewordenen Kindes oder seines Pflegers wirksam werden. Auch ein Verstoß gegen § 7 1 9 hat nicht Nichtigkeit, sondern schwebende Unwirksamkeit zur Folge, das Geschäft ist somit genehmigungsfähig ( B G H 1 3 , 179, 184). J e d o c h bedeutet die Wendung „ist nicht übertragbar" in der Regel Nichtigkeit des hiergegen verstoßenden Rechtsgeschäfts, so z. B. in den § § 5 1 4 , 6 1 3 , 1059, 1092, 1300, 1408. Eine Nichtigkeit tritt dagegen nicht ohne weiteres und nicht regelmäßig ein, wenn gegen ein mit der Wendung „darf nicht" zum Ausdruck gebrachtes Verbot verstoßen wird. Vielmehr sieht das Gesetz die Folgen der Zuwiderhandlung jeweils besonders vor (vgl. §§456, 457, 458, 1238). Bei dem Ausdruck „soll nicht" handelt es sich nur um eine Ordnungsvorschrift. E i n Verstoß hiergegen führt nicht zur Nichtigkeit. Dem Sprachgebrauch des B G B schließen sich auch die vor oder nach dem B G B erlassenen Gesetze an, so das H G B , G m b H G , A k t G u. a. m. Z u beachten ist also auch hier, daß Zuwiderhandlungen gegen ein Verbot, das mit der Wendung „ d a r f nicht" ausgedrückt ist, ebenfalls nicht immer zur Nichtigkeit des Geschäftes führt (vgl. z. B. § 60 H G B ) .

Anm. 11 III. Verstoß gegen Verbotsgesetze mit unbedingter Nichtigkeitsfolge Als Verbotsgesetze im Sinne des § 134 kommen in Betracht: § 169 StGB. Das wider besseres Wissen abgegebene Vaterschaftsanerkenntnis ist daher nichtig ( R G D J 1938, 642). Die Nichtigkeit ergreift aber nicht das in derselben Urkunde erklärte Anerkenntnis der Unterhaltungspflicht und die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung

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Willenserklärung

§134

A n m . 12, 13 wegen einer bestimmten Unterhaltsleistung ( R G D J 1938, 8 3 2 ; B G H 1, 1 8 1 ) . Ferner gehört hierher § 288 StGB, die Vollstreckungsvereitelung; § 23 H G B ; sodann § 181 K O ( R G 72, 48, R G SeuffArch 90 Nr. 2); § 1 A b z G und § 10 GewO. Ein Verbotsgesetz im Sinne des § 1 3 4 ist auch das Gesetz zum Schutze der J u g e n d in der Öffentlichkeit v. 4. 12. 1951 (BGBl I, 936). Obwohl das Gesetz vor allem dem Schutze des einzelnen Jugendlichen dienen will, handelt es sich gleichwohl um ein im öffentlichen Interesse ergangenes Verbot, so daß ein Verstoß hiergegen unter § 1 3 4 und nicht unter § 1 3 5 fällt. Die Nichtigkeit eines Dienstvertrages mit einem K i n d e schließt jedoch das K i n d nicht von der Unfallversicherung aus ( R G 66, 42). Ferner enthält § 4 1 4 S. 2 R V O ein Verbotsgesetz. Verträge zwischen Krankenkassen und Ärzten, die gegen diese Bestimmung verstoßen, sind nichtig ( R G 86, 3 7 1 ; 90, 39; R G J W 1 9 1 7 , 595). Auch das Gesetz zur Verhütung von Mißbräuchen auf dem Gebiet der Rechtsberatung v. 1 3 . 1 2 . 1935 ( R G B l I, 1478) stellt ein Verbotsgesetz im Sinne von § 1 3 4 dar. Gleichwohl kann aber für eine Auskunft, die unter Verstoß gegen dieses Gesetz erteilt ist, rechtswirksam die Haftung übernommen sein ( B G H

7, 370-

Nichtig sind auch nach § 1 3 4 Rechtsgeschäfte, durch die gegen das Süßstoffgesetz v. 1. 2. 1939 ( R G B l I, 1 1 1 ) verstoßen wird ( R G 105, 65; R G Gruchot 66, 98). Ein Verbotsgesetz ist auch das Wirtschaftsstrafgesetz v. 3. 7. 1954, verlängert bis 3 1 . 12. 1958 ( R G B l 56, 924). Bei der Anwendung von § 1 5 W i S t G ist nicht erforderlich, daß der Vorteil zum Zwecke der Herbeiführung einer unzulässigen Bevorzugung in rechtsverbindlicher Weise angeboten wird, es genügt vielmehr, wenn ein solcher Vorteil nur in Aussicht gestellt wird. Eine unzulässige Bevorzugung bei Lieferungsgeschäften der Industrie an den Großhandel liegt daher auch dann vor, wenn der Großhändler seinem Vertragspartner Rohmaterialien für dessen weitere Produktion anbietet und wenn bei gesunden Marktverhältnissen ein solches -Angebot den Handels- und Gesellschaftsgepflogenheiten der Parteien nicht entspricht ( B G H L M Nr. 23 zu § 134).

A n m . 12 1. Schuldverschreibungen Ein ges. Verbot enthält auch das Gesetz betr. die gemeinsamen Rechte von Besitzern von Schuldverschreibungen v. 4. 12. 1899 ( R G B l I, 6 9 1 ; geändert R G B l 1 9 1 4 , 1 2 1 ; 1932, I, 447; 1933, I, 523). Danach ist die Zulässigkeit eines beschlußmäßigen Verzichtes auf die den Nennwert der Schuldverschreibung entsprechenden Kapitalansprüche ausgeschlossen ( R G 75, 259). Die ohne die nach der B R V v. 8. 3. 1 9 1 7 ( R G B l 220) erforderliche Genehmigung abgeschlossenen Verträge über die Ausgabe von Teilschuldverschreibungen sind nichtig ( R G 106, 157). Nach dem Gesetz über den Kapitalverkehr v. 15. 1 2 . 1952 (BGBl 52, 8 0 1 ; G V B 1 1203) ist für die erstmalige Begebung von Teilschuldverschreibungen auf den Inhaber oder an Order eine Genehmigung erforderlich. Die Begebung von Inhaberschuldverschreibungen ist rechtsunwirksam, wenn sie ohne die erforderliche Genehmigung erfolgt (§ 1 Abs. 2 des Gesetzes über den Kapitalverkehr). Vergleiche im übrigen hierzu Anm. zu §§ 793ff.

Anm. 13 2. Gaststättengesetz Verbotsnormen sind auch im Gaststättengesetz v. 28. 4. 1930 ( R G B l I, 146) enthalten. Nach feststehendem Grundsatz sind Verträge nichtig, durch die unter Täuschung der zuständigen Behörde, die einer bestimmten Person konzessionierte Gast- und Schankwirtschaft einem anderen übertragen werden soll. Dabei ist es gleichgültig, in welcher Form das Gesetz umgangen wird, ob im Wege eines Mietvertrages oder durch angebliche Bestellung des anderen zum Vertreter ( R G 12. 1 . 1906 I I I 230/05; 8 . 2 . 1906 V I 193/05; 2 5 . 3 . 1 9 0 7 V I 379/06; R G J W 1 9 1 2 , 456; R G WarnRspr 1909 Nr. 443; 1920 Nr. 32). Nichtig sind auch die sog. K a s t e l l a n v e r t r ä g e , die einen nach dem Gaststättengesetz unerlaubten Wirtschaftsbetrieb zum Gegenstand haben, gleichgültig in welcher Geschäftsform die Überlassung vorgenommen wird ( R G 63, 1 4 5 ; 67, 3 2 3 ; 84, 3 0 5 ; R G WarnRspr 1909 Nr. 443; R G J W 1 9 1 7 , 654; R G H R R 1930 Nr. 485; 1 9 3 1

419

§ 134 Anm. 14, 15

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Nr. 1428). Die Nichtigkeit erstreckt sich hier gegebenenfalls, jedoch nicht notwendig auch auf den Mietvertrag im übrigen, oder auf die einzelnen infolge des Getränkeabnehmervertrages abgeschlossenen Kaufgeschäfte (RG 12. 1. 1906 I I I 230/05; 8. 2. 1906 V I 193/05); jedoch nicht auf eine auf Wareneinkäufe geleistete Bürgschaft (RG Gruchot 50, 919), wohl aber auf solche Kaufpreisforderungen, die die Natur des Anspruchs als Pachtzins verdecken (RG J W 1912, 133). Für Betriebsschulden, die der Pächter gemacht hat, haftet der Wirtschaftsinhaber (§ 164; RG H R R 1931 Nr. 820). Die Nichtigkeit eines Schankpachtvertrages wegen der Kastellanabrede erstreckt sich aber nicht auf eine Hilfsvereinbarung, wonach für den Fall der Aufdeckung des Verstoßes der Schankbetrieb des Pächters auf erlaubte Weise erreicht werden soll (RG 125, 209). Nach dem Gaststättengesetz v. 28.4.1930 ist abweichend von der früheren Regelung auch die Ausübung der in § 1 bezeichneten Gewerbe durch einen Stellvertreter nur noch mit behördlicher Genehmigung gestattet. Nichtig nach § 134 sind daher Verträge, die einen Stellvertreter ohne behördliche Erlaubnis die Führung des Betriebes im Namen und für Rechnung des Inhabers ermöglichen sollen, insbesondere aber solche Verträge, in denen zur Täuschung der Behörde die Vertragsabreden nur teilweise wiedergegeben und der Stellvertreter als Geschäftsführer bezeichnet wird (RAG 15, 7). Anm. 14 3. Verbot im Gesellschafts- und Handelsrecht Nichtig sind auch Verträge, die gegen § 52 und 54 AktG verstoßen; ferner Vergleiche und Verzichte vor Ablauf der Fünfjahresfrist nach § 84 Abs. 4 AktG (vgl. R G 133» 34ff)Ein Verbot enthält auch § 30 GmbHG.' Nichtig ist daher ein Beschluß, der einen Teil des Gesellschaftsvermögens einer GmbH den Gesellschaftern ausantwortet, ohne daß ein Anspruch hierauf bestand (vgl. RG 143, 142); ferner die Satzungsbestimmung einer GmbH, die für den Fall der Pfändung und des Konkurses eines Gesellschafters dessen Geschäftsanteil der unentgeltlichen Einziehung durch die Gesellschaft unterwirft (vgl. § 34 GmbHG; RG 142, 373). Der allgemeine Rechtsgrundsatz, daß das Stimmrecht eines Gesellschafters bei solchen Beschlüssen ausgeschlossen ist, bei denen über die Vornahme von Rechtsgeschäften gegenüber diesem Gesellschafter beschlossen wird, sofern er der Gesellschaft als Dritter gegenüber steht und kein Mitgliedsrecht ausübt, stellt ebenfalls ein im Falle des Verstoßes zur Nichtigkeit führendes Verbot dar (§47 GmbHG; R G 136, 236). Dieser Rechtsgrundsatz gilt auch bei Aktiengesellschaften, obgleich eine entsprechende Bestimmung im AktG fehlt, insbesondere § 252 Abs. 3 HGB, nicht übernommen worden ist (streitig, vgl. Anm. 70 zu § 1 1 4 AktG in Komm, von B a u m b a c h - H u e c k 9. Aufl.). Ist ein Gesellschaftsvertrag wegen Verstoß gegen ein Verbotsgesetz nichtig, so ist es nicht ausgeschlossen, daß der in Vollzug gesetzten Gesellschaft eine rechtliche Anerkennung unter dem Gesichtspunkt der faktischen Gesellschaft zuteil wird ( B G H L M Nr. 11 zu § 134; BGH 3, 285, 288). Anm. 15 Bilanzen, die unter Verletzung der Vorschriften des § 40 HGB und § 42 GmbHG aufgestellt wurden, sind nach § 134 nichtig (RG 80, 333). Die Bestimmungen des § 87 AktG schließen die Rechtsgültigkeit von schuldrechtlichen Verträgen nicht aus, die zwischen Aktionären einer A G über die Ausübung des Stimmrechts in der Generalversammlung, insbesondere bei Wahlen zum Aufsichtsrat beschlossen werden (RG 133, 90). Verstößt der Vertreter einer A G zu deren Schaden gegen ein Strafgesetz (§ 266 StGB), so macht er sich dadurch gegenüber der A G ersatzpflichtig; dem Dritten gegenüber, der durch die Verfügung Rechte erwirbt, bleibt das Rechtsgeschäft aber gültig, falls er nicht an der strafbaren Handlung teilgenommen hat und das vorgenommene Geschäft nicht aus anderen Gründen aus § 134 oder § 138 nichtig war (RG 78, 353). 420

Willenserklärung

§134

Anm. 16—18

Anm. 16 4. Kettenhandel Verbotsgesetze waren auch die Bestimmungen gegen den Kettenhandel. Über den Begriff des Kettenhandels vgl.RG 96, 330, 343599, 50; 103, 161; 101,371; 105, 177; R G WarnRspr 1921 Nr. 114 u. 115, 137. Wesentlich für den Begriff des Kettenhandels war danach eine unlautere, gemeinwirtschaftlich unnütze, eine Preissteigerung verursachende Machenschaft, und nichtig war ein Kettenhandelsgeschäft jedenfalls dann, wenn b e i d e n Teilen die Kenntnis vom Vorhandensein der objektiv vom Gesetze gemißbilligten Tatbestandsmerkmale beiwohnte, und sie den Willen hatten, sie zu verwirklichen (RG 98, 63; 101, 383). Vgl. zur Rechtsprechung hierüber im übrigen die 8. Aufl. in § 134 Anm. 1. Nach der P r e i s s t e i g e r u n g s V e r o r d n u n g v. 23. 7. 1915/23. з. 1916 reichte es für den subjektiven Tatbestand aus, wenn Beweggrund für den Täter war, durch die Preissteigerung für sich Gewinn zu erzielen, dagegen brauchte seine Absicht nicht auf „Steigerung des Preises" gerichtet zu sein (RG 105, 178). Uber die Herabsetzung des Preises bei Verstößen gegen die Preistreibereiverordnungen s. Anm. 25 unten. Die an die Stelle der PreistreibereiVO v. 8. 5. 1918 (RGBl 395) getretene PreistreibereiVO v. 13. 7. 1923 (RGBl I 760) wurde durch das am 24. 7. 1926 in Kraft getretene RGes. v. 19. 7. 1926 (RGBl I 413) aufgehoben, und zwar ohne rückwirkende Kraft (RG 115, 151; R G J W 1928, 1293; R G SeuffArch 82 Nr. 39).

Anm. 17 5. Verbote im Preisrecht a) Überblick über die Entwicklung der Gesetzgebung Nach Inkrafttreten des BGB wurden in bezug auf die Preisbildung die Höchstpreisverordnung (Ges. v. 4. 8. 1914) und die Preistreibereiverordnung ( B R V O v. 8. 5. 1918 и. 13. 7. 1923) erlassen. 1936 wurde die sog. Preisstopverordnung (Verordnung über Verbot von Preiserhöhungen v. 26. 11. 1936 [RGBl I 955]) verkündet. Am 7. 7. 1942 (RGBl I 451) erging die Verordnung über die Preisüberwachung und die Rechtsfolgen von Preisverstößen im Grundstücksverkehr, sog. Grundstücksverkehrsverordnung. Nach 1945 haben die Länder eine Reihe von Preisgesetzen erlassen. Durch das Preisgesetz des Wirtschaftsrates v. 10. 4. 1948 (WiGBl 27) wurde die Preisstopverordnung aufgehoben und die von den Ländern nach 1945 erlasssenen Preisverordnungen für rechtmäßig erklärt. Am 25. 6. 1948 erging auf Grund des Gesetzes des Wirtschaftsrates v. 14. 6. 1948 über den Abbau der Preise die Preisfreigabeanordnung (WiGBl 1948, 61). Die Grundstücksverkehrsverordnung gilt heute nur noch für unbebaute Grundstücke ( P R 75/52 v. 28. n . 1952 BGBl I, 792); B G H L M Nr. 29 u. 30 zu § 134).

A n m . 18 b) Die Preisstopverordnung Nach der Preisstopverordnung v. 26. 11. 1936 waren allgemein Erhöhungen von Preisen über den Stand v. 18. 11. 1936 hinaus verboten. Geschäfte, die gegen dieses Gesetz verstoßen haben oder mit denen eine Umgehung des Gesetzes bezweckt werden sollte, waren nach § 134 nichtig. Eine Ausnahme von der Nichtigkeitsfolge besteht aber dann, wenn Sinn und Zweck des Verbotes trotz des Verstoßes gegen die Preisvorschriften die Aufrechterhaltung des Geschäftes in Höhe des zulässigen Preises verlangen (BGH L M Nr. 8 zu § 134)Es wird deshalb nach dem Sinne der ganzen Regelung, der wohl mehr auf die Wahrung eines volkswirtschaftlich berechtigten Preises (RG 168, 313), als auf die Vernichtung von Geschäften gerichtet war, zumindest bei den Geschäften des täglichen Lebens der unzulässige Preis auf die zulässige Höhe herabzusetzen sein ( R G 88, 250; 166, 89; O G H N J W 1948, 688). Zu solchen Geschäften gehören die Güterumsatzgeschäfte des Warenhandels ( B G H L M Nr. 8 zu § 134), also Handelsgeschäfte des täglichen Lebens, aber auch Mietverträge, denn Wohnräume sind volkswirtschaftlich dazu bestimmt, dem allgemeinen Wohnbedürfnis, also einem für die Bevölkerung lebenswichtigen Zweck zu dienen ( B G H L M Nr. 8 zu BB § 134). Ein der Preisstopverordnung widersprechende Mietzinsvereinbarung ist daher in Höhe des erlaubten Preises gültig ( K G J W 1938, 28

Komm.

2. B G B . n . A u f l . I. Bd. (Krüger-Nieland)

421

§ 134

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 19, 20 1391, s. aber auch B G H L M Nr. 8 zu § 134, J Z 1953, 555, wo bei überhöhtem Pachtzins für Verpachtung eines Lichtspieltheaters Vollnichtigkeit angenommen worden ist, vgl. unten Anm. ig). Die Vereinbarung über einen v e r l o r e n e n B a u k o s t e n z u s c h u ß stellt eine indirekte Mieterhöhung dar. Nach dem Runderlaß 5/49 des Amtes für Verwaltung und Wirtschaft v. 7. 4. 1949 sind aber die nach dem 8. 5. 1945 getroffenen Vereinbarungen über verlorene Baukostenzuschüsse rückwirkend genehmigt ( O L G Celle N J W 1950,226). Durch die Preisstopverordnung ist auch die Zahlung von Abstandsgeldern für die Überlassung preisgebundener Mieträume verboten und gem. § 134 nichtig. Dies gilt auch dann, wenn die Vereinbarung zwischen dem alten und dem neuen Mieter getroffen wurde. Dieses Verbot ist auch nicht durch die Preisfreigabeanordnung v. 25. 6. 1948 aufgehoben oder inhaltlich in der Weise geändert worden, daß das Verbot auf das Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter beschränkt wurde (BGH 12, 71). Nach § 29 Abs. I I und I I I des ersten BMietG v. 27.7.1955 (RGBl I 459) ist jedoch die Gewährung von Abstandszahlungen für die Aufgabe des Besitzes an preisgebundenen Wohn- und anderen Räumen in gewissen Fällen preisrechtlich zulässig. Sind die Voraussetzungen dieser Bestimmungen nicht gegeben, so ist die Vereinbarung einer Abstandszahlung wegen Verstoßes gegen die Preisstopverordnung nach § 134 BGB nichtig (BGH 18, 325 = L M Nr. 20 zu § 134).

Anm. 19 Die Ausnahme, daß verbotswidrige Rechtsgeschäfte in Höhe des zulässigen Preises aufrechtzuerhalten sind, gilt nicht für Geschäfte, die nicht zu den Rechtsgeschäften des täglichen Lebens zu zählen sind. Hierher gehören insbes. die Veräußerung von Grundstücken (vgl. aber unten Anm. 20) und ähnlichen Gegenständen, die nicht dazu bestimmt sind, zur Deckung der Bedürfnisse der Bevölkerung umgesetzt zu werden. In diesen Fällen tritt bei einem Verstoß gegen die Preisbildungsvorschriften völlige Nichtigkeit ein. Wenn der Vertrag zu dem von der Preisbehörde herabgesetzten Preis zustande kommen sollte, dann konnte dies nur durch Neuvornahme geschehen (RG 166, 89; 168, 9 1 ; 172, 1). Wurde z.B. der für die Überlassung eines Lichtspieltheaters vereinbarte Pachtpreis von der zuständigen Behörde herabgesetzt, so blieb der Vertrag nicht zu dem herabgesetzten Preis wirksam, sondern wurde nichtig (BGH L M Nr. 8 zu § 134 = J Z I953> 555)Über Preisstopverordnung und Grundstückskauf siehe auch R G 165, 385; 168, 9 1 ; für die Verpachtung eines Eigenjagdbezirkes vgl. R G 168, 307. Näheres Anm. zu § 3 1 3 . A n m . 20

c) Grundstücksverkehrsverordnung Nach der Grundstücksverkehrsverordnung (VO vom 7. 7. 1942, R G B l I, 451) — die jetzt nur noch für unbebaute Grundstücke gilt (VO P R 75/52 v. 2 8 . 1 1 . 1 9 5 2 , BGBl I, 792; B G H L M Nr. 30 zu § 134 = N J W 1958, 1725) — sind Verträge, durch die sich jemand verpflichtet, das Eigentum von einem Grundstück gegen Entgelt zu übertragen, nichtig, wenn die Preisbehörde, der sie vorzulegen sind, das vereinbarte Entgelt beanstandet (§2 Abs. 1). Doch gilt das von der Preisbehörde als zulässig bezeichnete Entgelt unter Umständen als vereinbart; so wenn der Veräußerer sich dem Erwerber gegenüber mit diesem Entgelt einverstanden erklärt, wozu er verpflichtet ist, wenn seine Weigerung nach den besonderen Umständen des Falles gegen Treu und Glauben verstoßen würde (§ 2 Abs. 2 und 3). Nach § 4 der Verordnung vom 7. 7. 1942 soll, wenn die Vertragsteile in Täuschungsabsicht (OGH DNotZ 1950, 430, auch R G 171, 22), auch wenn nur die Täuschung der Steuerbehörde beabsichtigt ist (RG 1 7 1 , 22; B G H 7,302), ein Geringeres als das vereinbarte Entgelt beurkundet haben, unbeschadet der Vorschriften des § 2 Abs. 2 und des § 3 Abs. 1 das beurkundete Entgelt als vereinbart gelten. (Über die Rechtsgültigkeit dieser Bestimmung vgl. B G H 11, 90). Verstößt aber der Vertrag durch die Art und nicht durch die Höhe des vereinbarten Entgelts gegen ein ges. Verbot, so findet § 4 keine Anwendung ( O G H J R 1951, 282). Gleiches gilt auch, wenn andere wesentliche Bestandteile des Vertrages nicht beurkundet werden und der Vertrag deshalb nichtig ist (RG ZAk-

422

Willenserklärung

§134 Anm. 21—23

D R 1944, 13). Bei dem Verkauf einer Gastwirtschaft zu einem überhöhten Preis galten die gleichen Grundsätze wie beim Verkauf von Grundstücken, insbes. auch § 4 der V O vom 7. 7. 1942 (OGH i , 72).

Anm. 21 6. öffentliches Recht Die in den §§ 134, 138 zum Ausdruck kommenden allg. Rechtsgedanken gelten auch i m ö f f e n t l i c h e n R e c h t . Willenserklärungen, die einem gesetzlichen Verbot oder den guten Sitten zuwiderlaufen, können auch im öffentlichen Recht keine Geltung beanspruchen; so für Vereinbarungen zwischen Behörde und Beamten über dessen Ausscheiden aus demDienst ( R G 134, 1 6 2 ) ; für den Verzicht von Gemeinden auf öffentliche Abgabe ohne entsprechende Gegenleistung ( R G 148, 1 0 1 ) . Zur Frage, inwieweit eine Gemeinde sich rechtswirksam gegenüber dem Pächter eines ihr gehörigen gewerblichen Unternehmens verpflichten kann, Gemeindeabgaben ihm von der Hand zu halten siehe R G SeuffArch 90 Nr. 17. Eine Gemeinde, die im öffentl. Interesse eine Anlage (Hafenanlage) geschaffen hat, für deren Benutzung ein staatlich genehmigter Tarif aufgestellt ist, kann nicht vertraglich die Gebühr herabsetzen ( R G J W 1 9 1 4 , 185, zu den §§ 4, 5, 7 des P r K o m m A b g G ) . Nichtig sind auch Rechtsgeschäfte, die gegen das Verbot der §§ 73, 79 der deutschen Gemeindeordnung vom 30. 1. 1935 ( R G B l I, 49) verstoßen. Z u beachten ist aber, daß die deutsche Gemeindeordnung zum Teil durch die Landesgesetzgebung aufgehoben ist. Die durch ihre Organe handelnden juristischen Personen des öffentlichen Rechtes können außerhalb ihres Wirkungskreises überhaupt keine rechtlich beachtlichen Handlungen vornehmen. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob ihnen die fraglichen, außerhalb des ihnen zugewiesenen Aufgabenbereichs liegenden Geschäfte im Sinne des § 1 3 4 ausdrücklich verboten sind ( B G H 20, 1 1 9 , 126).

Anm. 22 IV. Verstoß gegen Verbotsgesetze ohne unbedingte Nichtigkeitsfolge 1. Allgemeines Nicht jeder Verstoß gegen ein Verbotsgesetz hat unmittelbar Nichtigkeit des fraglichen Rechtsgeschäftes zur Folge. Aus Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes kann sich vielmehr ergeben, daß entweder die Gültigkeit des verbotswidrigen Rechtsgeschäfts durch das Verbot nicht berührt werden oder dieses mit zulässigem Inhalt aufrechterhalten werden soll oder daß es zunächst schwebend unwirksam ist. O b eine solche Ausnahme vorliegt, ist, falls der Gesetzeswortlaut keine eindeutige Regelung erkennen läßt, durch A u s l e g u n g des betr. Ges. zu ermitteln (vgl. oben Anm. 1 u. 4—6).

Anm. 23 2. Strafgesetze Verbote eines Strafgesetzes (vgl. auch Anm. 1 1 ) machen ein Rechtsgeschäft namentlich dann nicht nichtig, wenn das Gesetz die durch das Rechtsgeschäft herbeigeführte Veränderung in dem Privatrechtsverhältnis nicht verhindern will, sondern andere Zwecke verfolgt ( R G SeuffArch 81 Nr. 2, Verkauf von Zigarren unter Verstoß gegen das Tabaksteuergesetz). Dies gilt insbesondere, wenn sich das Verbot nur gegen die Handlungsweise einer Partei richtet, wie z.B. bei den §§ 253, 263, 3 0 1 , 302 S T G B und bei § 7 A b z G (vgl. näheres bei R G 60, 275). Gleiches gilt auch für § 270 P r S T G B ( R G 60, 275; R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 368). Nach dieser Vorschrift ist das Abhalten vom Bieten in einer öffentl. Versteigerung verboten. Ob diese Bestimmung noch heute Geltung hat, ist streitig. (Bejahend R G in den zitierten Entscheidungen; verneinend S t a u d i n g e r Anm. 19 zu § 134). § 270 P r S T G B enthält aber ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2, in dem er eine Gefährdung der Interessen des Zwangsvollstreckungsschuldners und der übrigen Beteiligten verhindern will ( R G J W 1 9 1 1 , 2 9 1 ; 1 9 1 2 , 44). Hierher gehören ferner Verstöße gegen § 1 1 und 12 des LebensmittelG vom 5. 7. 1927 ( R G B l I, 134, idF v. 17. 1. 1936, R G B l I, 17) u. ferner § 7 des NitritG vom 19. 6. 1934 (RGBl 1 , 5 1 3 ) . 28

423

§134 Anm. 24—27

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Eine Nichtigkeit tritt ferner dann nicht ein, wenn nach der Absicht des Gesetzes das betr. Geschäft nicht schon allgemein mit Rücksicht auf seine Natur, sondern nur wegen der bes. Umstände, unter denen es vorgenommen wird, untersagt sein soll. Hierzu gehören z. B. Kaufgeschäfte, die unter Verletzung gegen die Bestimmungen über die Sonntagsruhe getätigt werden (vgl. § 4 i a GewO, aufgehoben durch § 3 1 des LadenschlußG vom 28. 1 1 . 1956, BGBl I, 875; § 1 4 6 a G e w O ; R G 60, 276; so auch Ausschank nach Polizeistunde R G 103, 264). Ferner gehören hierher Schenkungen, wenn der Beschenkte gegen das Verbot des Betteins verstößt. Ebenso das Verbot des Spielens in auswärtigen Lotterien ( R G 48, 1 7 8 ; 58, 278). Dieses Verbot hat durch § 763 für das bürgerl. Recht seine Bedeutung verloren. Ein Verstoß gegen § 241 K O führt ebenso nicht zur Nichtigkeit, selbst wenn beide Vertragsteile dieser Strafbestimmung zuwiderhandeln ( R G 56, 229). Eine Zuwiderhandlung gegen § 4 Abs. 2 A b z G macht nicht den ganzen Vertrag nichtig, sondern hat nur zur Folge, daß an die Stelle des nichtigen Teils die Vorschriften des A b z G treten ( R G 64, 92; 136, 137). Ein Vertrag, mit dem eine Steuerhinterziehung verbunden ist, ist nicht nichtig, wenn die Steuerhinterziehung nicht der alleinige Zweck des Geschäftes ist ( B G H 14, 25).

Anm. 24 3. Behördliche und gesetzliche Veräußerungsverbote Der Verstoß gegen behördliche oder ges. Veräußerungsverbote im Sinne von §§ 135, 136 hat keine Nichtigkeit zur Folge. Die § § 7 1 7 und 7 1 9 fallen nicht unter § 134, aber auch nicht unter § 1 3 5 ( B G H N J W 1954, 1 1 5 5 ; B G H 13, 179 unter Aufgabe v o n R G WarnRspr 1920, Nr. 10).

Anm. 25 4. Weitere Einzelfälle Nach der im ersten Weltkrieg erlassenen H ö c h s t p r e i s v e r o r d n u n g (Ges. v. 4. 8. 1 9 1 4 u. 2 1 . 1. 1 9 1 5 ) sollten die Waren dem Verbraucher zu einem erschwinglichen Preis zugänglich gemacht werden. Diese Verordnung stellte aber kein Verbotsgesetz im Sinne von § 1 3 4 dar, sondern die unter Verstoß gegen diese Verordnung abgeschlossenen K ä u f e waren unter Herabsetzung auf den zulässigen Preis aufrechtzuerhalten ( R G 88, 250; 89, 198). Das gleiche galt für die Fälle der P r e i s t r e i b e r e i nach der Verordnung vom 8. 5. 1 9 1 8 u. 13. 7. 1923 ( R G 9 8 , 2 9 3 ; R G SeuffArch 80 Nr. 1 9 ; 82 Nr. 39; R G L Z 1 9 2 1 , 216). Nach dieser Verordnung waren Verträge nach dem Ausland unbedingt statthaft, aber auch Inlandsgeschäfte, die nur mittelbar dazu dienten, die Ware einem ausländischen Verbraucherkreis zuzuführen ( R G WarnRspr 1922 Nr. 1 1 3 ) . In den Vorschriften über die Regelung von Preisen war vielfach ausdrücklich gesagt, daß an Stelle widersprechender Vertragsbestimmungen die nach den Vorschriften zulässigen Bestimmungen treten (vgl. z. B. § 3 der Verordnung vom 19. 3. 1938 R G B l I, 285 u. § 4 der Verordnung vom 10. 2. 1938 R G B l I, 188). Keine Verbotsgesetze waren der § 1 1 der Verordnung vom 24. 6. 1 9 1 6 sowie der gegen eine übermäßige Preissteigerung gerichtete § 5 Nr. 1 der B R V O vom 23. 3. 1 9 1 6 ( R G 96, 343).

Anm. 26 Nach § 38 des MilchG vom 3 1 . 7 . 1930 ( R G B l I, 4 2 1 ) und vom 20. 7. 1933 ( R G B l I, 527) konnten Verbote für die Uber- und Unterschreitung der festgesetzten Milchpreise und Handelsspannen erlassen werden. Durch diese Verbote wurde jedoch die Gewährung von Maklerprovisionen für die Erweiterung des Kundenkreises nicht ausgeschlossen ( R G SeuffArch 90 Nr. 164). § 38 des MilchG ist durch das Milch- und FettG vom 10. 12. 1952 (BGBl I, 8 1 1 ) ausdrücklich aufgehoben worden. Maßgebend ist seit 1. 1. 1958 § 100 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27. 7. 1957 (BGBl I, 1081).

Anm. 27 K e i n Verbotsgesetz im Sinne von § 1 3 4 war auch § 1 der V O vom 24. 6. 1 9 1 6 betr. die Erfordernisse zum Handel mit Lebensmitteln ( R G 96, 343; 106, 3 1 7 ; R G J W 1920,

424

Willenserklärung

§134 A n m . 28—30

47, 1 4 1 ; R G L Z 1925, 868), da diese Vorschriften nur gewerbepolizeilicher Natur waren und die Gültigkeit eines bürgerl.-rechtl. Rechtsgeschäfts nicht berühren wollten. In dem gleichen Sinne werden, falls abweichende Vorschriften fehlen, auch neuere Gesetze, die den Betrieb gewisser Handelszweige von einer Genehmigung abhängig machen, zu beurteilen sein. Für das Versteigerergewerbe s. § 8 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 12. 2. 1938 ( R G B l I, 202). Vgl. aber auch Rechtsberatungsmißbrauchsges. vom 13. 12. 1935 (RGBl I, 1478; R G J W 1938, 859). Nachdem durch Artikel I I I der WuchergerichtsVO v. 27. 1 1 . 1 9 1 9 (RGBl 1909) der V O zur Fernhaltung unzulässiger Personen vom Handel v. 23. 9. 1 9 1 5 (RGBl 603) eingefügten § 4 b , war jedes ohne die erforderliche Handelserlaubnis vorgenommene Geschäft nichtig (RG 105, 288, 366, 4 1 0 ; 106, 4 1 3 ; R G L Z 1925, 868), und die Nichtigkeit umfaßte nicht nur den schuldrechtlichen Kaufvertrag, sondern auch das dingliche Übereignungsgeschäft (RG 25. 3. 1924 V I I 227/23). Spätere Erteilung der Erlaubnis machte das nichtige Rechtsgeschäft nicht wirksam; es bedurfte dazu der Bestätigung im Sinne des § 1 4 1 . Nach § 26 der Verordnung über Handelsbeschränkungen vom 13. 7. 1923 ( R G B l I, 706, aufgehoben durch Verordnung vom 2 6 . 6 . 1924 R G B l I, 661), war Nichtigkeit vorgesehen, die jedoch nicht zum Nachteil dessen wirkte, der den Mangel der Erlaubnis weder kannte noch kennen mußte (RG SeuffArch 83 Nr. 1 2 2 ; R G J W 1926, 1335). Eine von §§ 394, 395 R V O abweichend getroffene Vereinbarung über die Erstattungspflicht des Arbeitnehmers für Beitragsrückstände während Bestehens des Arbeitsverhältnisses ist nichtig ( B A G N J W 1958, 1 3 1 9 ) . A n m . 28 Nach § 2 2 Abs. 2 G ü t e r k r a f t v e r k e h r s G vom 17. 10. 1952 (BGBl I, 697, in Fassung des Gesetzes vom 3. 6. 1957, BGBl I, 593) wird die rechtliche Wirksamkeit Beförderungsvertrages durch tarifwidrige Abreden nicht berührt. Die Höhe des förderungsentgeltes richtet sich vielmehr nach den Bestimmungen des Tarifs. Über zulässige Preisabreden im G ü t e r f e r n v e r k e h r vgl. B G H 8, 66.

der des Beun-

A n m . 29 Ein Verstoß gegen § 12 des W o h n u n g s g e m e i n n ü t z i g k e i t s G vom 29. 2. 1940 führt nicht zur Nichtigkeit des betr. Vertrages nach § 134, sondern hat gem. § 19 des Gesetzes nur zur Folge, daß dem Wohnungsunternehmen die Anerkennung als gemeinnütziges Wohnungsunternehmen zu entziehen ist ( B G H L M Nr. 12 zu § 134). A n m . 30 5. D e k a r t e l l i e r u n g s g e s e t z e Die Besatzungsmächte haben nach 1945 eine Reihe von Kartellgesetzen erlassen, so für die amerik. Zone M R G 56, für brit. Zone M R V O 78; für die französ. Zone M R V O 96. Seit dem 1. 1. 1958 ist das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27. 7. 1957 (BGBl I, 1081) an die Stelle der Gesetze der Besatzungsmächte getreten (vgl. hierzu näheres Anm. zu § 705). Nach der Rechtsprechung des B G H zu den alliierten KartellG führten Verletzungen dieser Gesetze nicht ohne weiteres zur Nichtigkeit der gesamten Vertragsabreden, sondern diese waren nur insoweit nichtig, als sie durch das Verbot betroffen waren ( B G H S t 8, 221 = N J W 1956, 68; vgl. auch B G H 3, 193). Sind in einem vor dem Inkrafttreten der Dekartellierungsbestimmungen abgeschlossenen Patentlizenzvertrag (Altvertrag) Einzelbestimmungen wegen Verstoßes gegen die Dekartellierungsbestimmungen nichtig geworden, so führt dies regelmäßig nicht zur Nichtigkeit des Gesamtvertrages. § 139 B G B findet keine Anwendung. Nichtigkeit des Gesamtvertrages ist nur dann anzunehmen, wenn durch den Wegfall des betroffenen Teils ein wirtschaftlich ganz anderer Vertrag entstehen würde ( B G H 17, 4 1 ) . Ein Verstoß gegen die alliierten KartellG liegt nicht vor, wenn ein Spediteur dem Auftraggeber gegenüber erklärt, er schließe den Speditionsvertrag nur auf Grund der A D S p ab und wenn im Speditionsvertrag daraufhin die A D S p zugrunde gelegt werden ( B G H L M Nr. 22 zu § 134).

425

§134

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A n m . 31—33 A n m . 31 6. Verbotsgesetze m i t Erlaubnisvorbehalt Fehlt es an einer vorgeschriebenen behördlichen Genehmigung, so ist das Rechtsgeschäft nicht nichtig, sondern bis zur Erteilung oder Versagung der Genehmigung s c h w e b e n d u n w i r k s a m . Ein gegen ein solches Gesetz verstoßendes Rechtsgeschäft ist aber auch dann nichtig, wenn die Parteien zwar die Einholung einer behördlichen Genehmigung vereinbaren, diese von ihnen vorgesehene Genehmigung aber das vereinbarte Geschäft nicht deckt ( B G H L M Nr. 3 zu § 134). Einer Prüfung der Notwendigkeit einer behördl. Genehmigung in einem Rechtsstreit über einen Anspruch, der von der Rechtswirksamkeit des Geschäftes abhängt, bedarf es dann nicht, wenn die für die Genehmigung zuständige Behörde zuvor entschieden hat, daß eine Genehmigung nicht erforderlich sei ( B G H 1, 294). Die schwebend unwirksamen Rechtsgeschäfte können auch ohne behördliche Genehmigung wirksam werden, wenn das Verbot während des Schwebezustandes aufgehoben wird ( B G H L M Nr. 15 zu § 1 3 4 ; vgl. auch B G H 11, 59). Verträg-, die nicht in der Absicht der Vereitelung oder Umgehung des M R G 52 geschlossen wurden, sind ebenfalls bis zur Entscheidung über die Genehmigung nur schwebend unwirksam ( O G H 3, 82). Ist ein solches Geschäft infolge Versagung der Genehmigung der Nichtigkeit verfallen, so kann diese nicht dadurch geheilt werden, daß die Genehmigung nachträglich doch noch erteilt wird ( R G 162, 1; B G H 1 , 3 0 2 ; B G H L M Nr. i o z u § 134).

A n m . 32 a) Devisenrecht, Ein- und Ausfuhrverbote Nach den vor 1945 geltenden Gesetzen (Devisengesetz vom 4. 2. 1935 R G B l I, 106; neugefaßt im Devisengesetz vom 12. 12. 1938 R G B l . I, 733) waren nicht genehmigte Devisengeschäfte nichtig. Die Genehmigung konnte aber noch nachträglich erteilt werden. Nach dem M R G 53 für die britische und amerik. Zone und der Ergänzung dieses Gesetzes durch das Gesetz Nr. 33 der Alliierten Hohen Kommission vom 2. 8. 1950 (Amtsblatt 514) und den dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen können die darin verbotenen Devisengeschäfte genehmigt werden. Auch in diesen Fällen kann die Genehmigung noch nachträglich eingeholt werden. Das Verbot, Einfuhrverträge vor Erteilung der Einfuhrbewilligung abzuschließen, schließt nicht aus, daß sich der Importeur durch Vorvertrag verpflichtet, die Einfuhrbewilligung für das in Aussicht genommene Geschäft zu beantragen und nach Erteilung der Bewilligung den Vertrag zu den vorgesehenen Bedingungen abzuschließen (BGH L M Nr. 16 zu § 134).

A n m . 33 b) B e w i r t s c h a f t u n g s b e s t i m m u n g e n Nach 1933 sind zur Wirtschaftslenkung eine Reihe von Gesetzen erlassen worden. Es seien hiervon nur diejenigen genannt, die seit Beginn des zweiten Weltkrieges verkündet worden sind. Hierzu gehört die Verordnung zur vorläufigen Sicherstellung des lebenswichtigen Bedarfs des deutschen Volkes vom 27. 8. 1939 ( R G B l I, 1498). Durch diese Verordnung wurde für einige hauswirtschaftliche Waren die Bezugscheinpflicht eingeführt. Ferner gehört hierher die Kriegswirtschaftsverordnung vom 4. 9. 1939 und die Einführung des § 1 a K W V O , wonach Kompensationsgeschäfte verboten wurden, durch Verordnung v. 2 5 . 3 . 1 9 4 2 ( R G B l I, 147). Nach dem Kriege trat das Bewirtschaftungsnotgesetz vom 30. 10. 1947 (WiGBl 48, 3) in Kraft. Darin war die Beschlagnahme bestimmter Waren vorgesehen mit der Wirkung, daß Veränderungen, Verarbeitung oder Verbrauch dieser Waren verboten war. An die Stelle dieser Gesetze ist das Gesetz für Sicherungsmaßnahmen auf einzelnen Gebieten der gewerbl. Wirtschaft vom 9. 3. 1952 (BGBl I, 163, neue Fassung 52 I, 928) und das Gesetz über Errichtung einer Bundesstelle für den Warenverkehr der gewerblichen Wirtschaft vom 29. 3. 1951 (BGBl I, 216) getreten. Beide Gesetze sind hinsichtlich ihrer

426

Willenserklärung

§134

A n m . 34—36

Geltungsdauer mehrfach verlängert worden, zuletzt am 28. 5. 1953 (BGBl I, 265) bis zum 30. g. 1954. A m 3. 1 1 . 1948 (WiGBl 1 1 6 ) wurde ein Gesetz gegen den Abschluß von Kompensationsgeschäften erlassen.

A n m . 34 Verpflichtende Verträge, die den Vorschriften zur Sicherung des lebenswichtigen Bedarfs des deutschen Volkes zuwiderlaufen, können sowohl durch Nachbringung des Bezugsscheins oder der Genehmigung der bewirtschaftenden Stelle oder auch den Wegfall der Zwangsbewirtschaftung wirksam werden ( L G Bonn M D R 4 9 , 5 5 3 ) . Nachträgliche Genehmigung eines solchen Rechtsgeschäfts durch behördliche Erteilung von Bezugsscheinen wirkt auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zurück, selbst bei Abschluß unter der aufschiebenden Bedingung behördlicher Genehmigung ( O L G Braunschweig M D R 1949, 552). Die Vertragsteile können auch wirksam vereinbaren, daß der Vertrag nur für den Fall der Erteilung des Bezugsscheins geschlossen sein soll, und in der R e g e l auch, daß sie sich zu gewähren haben, was sie haben würden, wenn der Bezugsschein schon zur Zeit des Vertragsschlusses vorgelegen hätte ( O G H 3 , 275).

A n m . 35 c) Einzelfälle Von früheren Gesetzen seien genannt: das PrAnsiedlG. Dieses war kein VerbotsG im Sinne von § 1 3 4 ( R G 75, 18); ebenso nicht das Gesetz über den Verkehr mit landwirtschaftl. Grundstücken vom 1 5 . 3 . 1 9 1 8 ( R G B l 123, i. d. Fassung v. 20. 1. 1937 [ R G B l I, 35]), aufgehoben durch Kontrollratsges. Nr. 45 v. 20. 2. 1947 ( A B L 256), dieses wiederum aufgehoben durch LandpachtG vom 25. 6. 1952 (BGBl I, 343). A u c h aus den Bestimmungen des nicht mehr geltenden PrGrundstücksverkehrsG ließ sich eine Nichtigkeit nicht herleiten ( R G 102, 103, 106; 106, 324; 108, 94; 1 1 5 , 35; 1 1 6 , 107; 1 1 7 , 362; 1 1 8 , 1 1 3 ; 1 2 1 , 1 5 4 ; R G Gruchot 67, 3 1 3 [verbotswidrige Auflassung]; R G J W 1927, 5 2 1 , 1 4 1 6 ; R G L Z 1927, 239; vgl. aber a u c h R G J W 1928, 2455). Eine unter Nichtbeachtung einer Verfügungsbeschränkung gem. § 77 R V e r s o r g G vom 12. 5. 1920 (in der Fassung R G B l 39, 663) geschlossener Grundstücksverkauf ist nicht nach § 1 3 4 nichtig, vielmehr nur seine Erfüllung während der Dauer der Sperrfrist unmöglich ( R G SeuffArch 8 1 , Nr. 82). Vgl. jetzt BVersorgG vom 20. 12. 1950 (BGBl I, 791), neugefaßt am 7. 8. 1953 (BGBl I, 866, 1 5 2 1 ) . Ein Verbotsgesetz enthält die Verordnung über den marktmäßigen Absatz von Holz vor und nach dem Einschlag vom 30. 4. 1938 ( R G B l I, 458). Danach ist, wenn für die nach dieser Verordnung verbotenen Geschäfte eine behördliche Genehmigung nicht vorgesehen ist, das verbotswidrige Geschäft und zwar Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft nichtig; dagegen ist soweit behördliche Genehmigungen vorgesehen sind, das verbotswidrige Geschäft schwebend unwirksam ( B G H L M Nr. 1 zu Holzabsatz V O ) . Ein unter Nichtbeachtung der Vorschriften über die Schlußscheinpflicht bei Veräußerung von Nutz- und Zuchtvieh geschlossenes Geschäft ist nicht nach § 1 3 4 unwirksam ( B G H L M Nr. 7 zu § 125).

A n m . 36 Bürgerl.-rechtl. Verträge über eine nach § 25 R L G beschlagnahmten R a u m sind trotz des Wortlauts dieser Bestimmung nicht schlechthin nichtig, sondern schwebend unwirksam, es sei denn, daß sie die mit der Beschlagnahme bezweckte Sicherstellung vereiteln wollen ( B G H L M Nr. 1 zu § 25 R L G ) . Ein Tauschvertrag über gebrauchte Kraftfahrzeuge war ohne die nach der Verordnung 35 des bayr. Ministerpräsidenten erforderliche Zustimmung des Bevollmächtigten für den Nahverkehr grundsätzlich bis zur rechtskräftigen Ablehnung der nachgesuchten Genehmigung schwebend unwirksam, so daß er mit dem Wegfall des Zustimmungserfordernisses während des Schwebezustandes rechtswirksam werden konnte ( B G H L M Nr. 15 zu § 134). 427

§134 Anm. 37—40 Anm. 37

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Wenn ein Dritter mit dem Empfänger eines Eingliederungsdarlehens einen Vertrag schließt, der mit den vom Ausgleichsamt bei der Darlehnsgewährung angeordneten, dem Dritten bekannten Bedingungen und Auflagen nicht im Einklang steht, so ist der Vertrag nicht nach § 1 3 4 nichtig ( B G H L M Nr. 1 zu § 253 L A G ) .

Anm. 38 Ein Verstoß gegen ein gesetzl. Verbot stellt es auch nicht dar, wenn vor dem Inkrafttreten des ersten WohnungsbauG vom 24. 4. 1950 der Bauherr die ihm bei der Bewilligung von öfFentl. Mitteln gemachten Auflagen nicht einhält, insbesondere einen höheren Mietzins vereinbart als angeordnet wurde ( B G H L M Nr. 24 zu § 134).

Anm. 39 V. Ausländische Verbotsgesetze Ausländische Verbotsgesetze haben nicht die verbindliche K r a f t der inländischen G e setze und begründen daher nicht die Anwendung des § 134. Es ist vielmehr in jedem Falle die Nichtigkeit oder Zulässigkeit des Geschäfts nach dem inländischen Rechte zu prüfen und dabei insbesondere zu erwägen, ob das Geschäft gegen die guten Sitten verstößt ( § 1 3 8 ) , und welche Bedeutung das inländische Recht dem ausländischen Verbote nach dessen Zweck und Inhalt beilegt ( R G 1 0 8 , 2 4 1 ; 1 6 1 , 296; R G W a r n R s p r 1 9 1 2 ^ . 2 4 1 ; R G Gruchot 6 1 , 4 6 1 ; 6 6 , 1 0 4 ; s. auch E G Art. 30). Deutschen Gesetzen sind gleichzustellen Gesetze und Verordnungen der Besatzungsorgane, die, wie Kontrollrat, Militärregierungen, Alliierte Hohe Kommission und Kommissare, die seit dem Zusammenbruch des Reiches an dessen Stelle in den Deutschland verbliebenen Gebieten maßgebend sind. Anders für Anordnungen fremder Besatzungsbehörden bei der Besetzung deutschen Gebietes nach dem ersten Weltkriege ( R G 107, 173). Für den heutigen Rechtszustand ist das Abkommen von Bretton Woods (1944) maßgebend, dem die Bundesrepublik 1952 beigetreten ist (vgl. Näheres S t a u d i n g e r A n m . 20 zu § 134). Völkerrecht!. Verbote fallen nur insoweit unter § 134, als sie Bestandteil des deutschen Rechts geworden sind. Dazu jetzt Grundgesetz der Bundesrepublik Artikel 2 5 und 26.

Anm. 40 VI. Unvollkommene Verbindlichkeiten Wohl zu unterscheiden von den Fällen, in denen das Gesetz einem Rechtsgeschäfte jede rechtliche Wirkung abspricht, sind diejenigen, in denen es wegen des Geschäftsinhalts zwar die K l a g e versagt, anderseits aber doch mittelbar eine erfüllbare Schuld als bestehend anerkennt, so daß die Rückforderung ausgeschlossen ist. Hier besteht zwar kein voll wirksamer Anspruch im Sinne des § ig4, jedoch ein durch Einrede geschütztes Interesse. Wird mithin die versprochene Leistung gewährt, so ist zwar eine klaglose Forderung, aber keineswegs eine Nichtschuld erfüllt (vgl. R G S t 40, 29), und der Empfänger der Leistung hat nicht eine Schenkung und nicht eine grundlose Bereicherung erfahren. Es handelt sich hier sonach um die sog. unvollkommenen Verbindlichkeiten. Nach dem B G B stehen dabei in Frage die Forderungen aus Spiel, Wette, staatlich nicht genehmigter Lotterie, DifFerenzgeschäft (§§ 762, 763, 764) sowie die Forderung auf den Ehemaklerlohn nach § 656. Als Grundlage für ein wirksames Strafgedinge reichen auch solche unvollkommene Verbindlichkeiten nicht aus (§ 344), wohl aber als Grundlage für eine wirksame Schuldübernahme ( R G WarnRspr 1 9 1 6 Nr. 68). Daß das Gesetz Anspruch auf Ersatz immateriellen Schadens nur ausnahmsweise gewährt, bedeutet kein Verbot und keine sittliche Mißbilligung f r e i w i l l i g e n Ersatzes solchen Schadens in anderen Fällen ( B G H L M Nr. 18 zu § 134; vgl. hierzu auch BGH 26, 349).

428

Willenserklärung

§ 135 Anm. 1, 2

§135 Verstößt die Verfügung über einen Gegenstand gegen ein gesetzliches Veräußerungsverbot, das nur den Schutz bestimmter Personen bezweckt, so ist sie nur diesen Personen gegenüber unwirksam. Der rechtsgeschäftlichen Verfügung steht eine Verfügung gleich, die im Wege der Zwangsvollstreckung oder der Arrestvollziehung erfolgt. Die Vorschriften zugunsten derjenigen, welche Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, finden entsprechende Anwendung. E I 107 Abs. i , 2 II 101; M 1

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Ubersicht Anm.

I. Allgemeines i—5 1. Das gesetzliche Veräußerungsverbot 1 2. Die relative Unwirksamkeit 2 3. Der Schutz des gutgläubigen Erwerbs 3—5 II. Rechtsbehelfe des Geschützten 6, 7 III. Die Veräußerungsverbote 8—n 1. Die relativen, bedingten Veräußerungsverbote 8—10 2. Die absoluten Veräußerungsverbote 11 IV. Verfügungen durch Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung, § 135 Abs. i S. 2 12 Anm. 1 I. Allgemeines 1. Das gesetzliche Veräußerungsverbot § 135 befaßt sich ebenfalls mit gesetzlichen Verboten, jedoch nur mit Veräußerungsverboten. Ein gesetzliches Veräußerungsverbot kann zum Schutze der Allgemeinheit oder nur zum Schutze einer bestimmten Person bestehen. § 135 betrifft nur den zweiten Fall. Ein Verstoß gegen ein gesetzliches Veräußerungsverbot, das den Schutz der Allgemeinheit bezweckt, führt zur absoluten gegenüber jedermann wirkenden Nichtigkeit (§ 134). Bei einem gesetzlichen Veräußerungsverbot, das zum Schutze und im Interesse einer bestimmten Person erlassen wurde, ist die verbotswidrige Verfügung nur dieser Person gegenüber unwirksam (relative Unwirksamkeit), als wäre sie nichtig (RG 71, 40; siehe auch RG H R R 1934 Nr. 1095; BGH 19, 355, 359). Im übrigen ist die Verfügung voll wirksam. Hat beispielsweise A eine Sache oder eine Forderung, deren Veräußerung ihm zugunsten des B verboten war, an C veräußert, so ist dieser zwar der Eigentümer oder der Gläubiger geworden, aber zugunsten des B ist es so anzusehen, als wäre noch A der Eigentümer oder der Gläubiger geblieben, und demgemäß würde auch A noch imstande sein, die Forderung, trotz der zuvor bereits an C erfolgten Abtretung auf B zu übertragen. Anm. 2 2. Die relative Unwirksamkeit Die relative Unwirksamkeit kann nur von den Personen g e l t e n d g e m a c h t werden, zu deren Schutz sie eintritt. Andere Personen können sich nicht darauf berufen. Sie ist auch im Rechtsstreit nicht von Amts wegen zu berücksichtigen. Ob die relative Unwirksamkeit überhaupt zu berücksichtigen ist, hängt davon ab, ob das Interesse der geschützten Person dies noch verlangt. Fällt das schutzbedürftige Interesse weg, so wird auch die relative Unwirksamkeit behoben und das Recht, sie geltend zu machen, erlischt. Trifft z. B. ein Gemeinschuldner eine den Gläubigern gegenüber nach § 7 K O unwirksame Verfügung, dann würden die Gläubiger an der Geltendmachung der Un429

§ 135 Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte Anra. 3—7 Wirksamkeit nach Aufhebung des Konkurses durch Vergleich kein schutzwürdiges Interesse mehr haben. Auf das Recht, die Unwirksamkeit geltend zu machen, kann auch verzichtet werden. Auf einen derartigen Verzicht können die Grundsätze von der Zustimmung nach §§ 182 ff insbesondere die Grundsätze von der Rückwirkimg der nachträglichen Zustimmung aus § 184 nicht angewendet werden (streitig, aA S t a u d i n g e r Anm. 5 zu § 1 3 5 ; vgl. auch Anm. zu § 182). Anm. 3 3. Der Schutz des gutgläubigen Erwerbs Bei unbedingter Nichtigkeit des Veräußerungsgeschäftes kommt es auf die Gutgläubigkeit des Erwerbes nicht an, denn der beabsichtigte Rechtserfolg ist rechtlich unmöglich. Bei dem nur relativ unwirksamen Veräußerungsgeschäft handelt es sich um einen Mangel im Recht des Veräußerers. Das Gesetz läßt hier gemäß § 135 Abs. 2 den gutgläubigen Erwerb zu, indem es die Vorschriften über den Schutz des guten Glaubens für entsprechend anwendbar erklärt. Bei beweglichen Sachen finden die Vorschriften der §§ 932 ff, 1032, 1207, 1208, 1244, Anwendung. Der gute Glaube muß sich auf das Nichtbestehen des Veräußerungsverbotes beziehen (RG 90, 338). Anm. 4 Da der Grundsatz vom gutgläubigen Erwerb bei der Abtretung von Forderungen nicht anerkannt ist, so kann ein gutgläubiger Erwerb von Forderungen auch nicht erfolgen. Die Frage, ob der in Unkenntnis des für die Forderung bestehenden Veräußerungsverbotes an den Abtretungsempfänger zahlende Schuldner dem Geschützten gegenüber befreit ist, d. h. ob § 407 entsprechend anzuwenden ist, ist umstritten. (Für eine Anwendung Staudinger Anm. 7 zu §135 mit weiteren Nachweisen, gegen eine Anwendung R G R Komm. 10. Aufl. Anm. 4.) Anm. 5 Bei V e r f ü g u n g e n über Grundstücke oder Rechten an Grundstücken, die gegen ein gesetzliches Veräußerungsverbot verstoßen, kommen in bezug auf den gutgläubigen Erwerb die Vorschriften der §§892, 893, 1138, 1155 zur Anwendung (RG 90, 338). Möglich ist aber nach § 892 nur der gutgläubige Erwerb durch R e c h t s g e s c h ä f t , dagegen nicht ein Erwerb im Wege der Zwangsvollstreckung (RG 90, 335ff). Vgl. im übrigen Näheres bei den Anm. zu §§ 892 fr. Anm. 6 II. Rechtsbehelfe des Geschützten Dem Geschützten steht gegen den Verfügenden ein Anspruch auf Beseitigung der durch die gegen das gesetzliche Verbot verstoßende Verfügung eingetretenen Folgen schon auf Grund des bestehenden Rechtsverhältnisses zu. Dieser Anspruch ist auf die Vornahme solcher Handlungen gerichtet, die zur Wiedererlangung des veräußerten Gegenstandes erforderlich sind. Ob der Geschützte den Anspruch auch gegenüber dem Dritten geltend machen kann, zu dessen Gunsten die Verfügung erfolgte, ist streitig. Soweit es sich um das Recht bei beweglichen Sachen handelt, ist hierüber im Gesetz nichts gesagt. Gleichwohl wird man einen solchen Anspruch des Geschützten als gegeben annehmen müssen und zwar nach dem Grundsatz: wem das Gesetz ein Recht gibt, dem bewilligt es auch die Mittel, ohne die es nicht durchgeführt werden kann (§ 89 Einl. z. PrALR). Anm. 7 Für das Liegenschaftsrecht besteht, wenn der Erwerber im Grundbuch eingetragen wurde, gemäß § 888 Abs. 2 in entsprechender Anwendung von § 894 zwar kein Anspruch auf Rückauflassung, sondern auf Grundbuchberichtigung. War die verbotswidrige Veräußerung des Grundstücks im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgt, so kann der Geschützte gemäß § 772 ZPO, wenn die Veräußerung entweder auf Grund

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Willenserklärung

§135 Anm. 8—10

eines persönlichen Anspruchs oder auf Grund eines infolge des Verbotes unwirksamen Rechtes erstrebt wird, die Widerspruchsklage aus § 771 ZPO erheben. Wird aber die Zwangsvollstreckung auf Grund eines v o r der Eintragung des Veräußerungsverbotes eingetragenen Hypothekenrechts betrieben, dann kann der Geschützte weder aus § 771 ZPO, noch aus § 772 ZPO eine Widerspruchsklage erheben (RG 17. 10. 1910 V 444/09). Anm. 8 III. Die Veräußerungsverbote 1. Die relativen, bedingten Veräußerungsverbote Ob die Verfügungsbeschränkungen des Vaters (§§ 1643 fr) und des Vormunds (§§ 1802 ff) zu den relativen Veräußerungsverboten gehören, ist streitig (vgl. S t a u d i n g e r Anm. 16 zu § 134 und P a l a n d t 17. Aufl. Anm. zu § 135). Von diesen wird die Ansicht vertreten, daß die genannten Bestimmungen nicht unter §§ 135 und 136 fallen. Dieser Auffassung ist unter Aufgabe der in der 10. Auflage dieses Kommentars vertretenen Ansicht zuzustimmen. Ebenso fallen die §§ 399, 717, 719, nicht unter §§ 135 und 136 (BGH NJW 54, 1 1 5 5 ; BGH 13, 179; anders noch RG WarnRspr 1920 Nr. 10 und RG 92, 401). Die Abtretung einzelner Verwaltungsrechte eines Gesellschafters fällt nicht unter § 135 (BGH 3, 354 für Abtretung eines Stimmrechts für Anteil eines OHGGesellschafters). Unter die relativen Veräußerungsverbote fällt auch nicht § 2 2 1 1 . Bei vorhandener Testamentsvollstreckung ist § 135 im Hinblick auf die Rechtstellung des Erben nicht anwendbar, weil § 2211 nicht ein Veräußerungsverbot dem Erben gegenüber ausspricht, vielmehr seine Verfügungsfähigkeit in den angegebenen Grenzen überhaupt ausschließt. Die Verfügung des Erben ist allerdings nicht nichtig, sondern nur einstweilen unwirksam und fähig, wirksam zu werden (RG 87, 433). Ebenso fällt § 2 1 1 3 nicht unter § 135, denn die Unwirksamkeit einer Verfügung entgegen dieser Bestimmung tritt nicht nur zugunsten des Nacherben, sondern zugunsten eines jeden ein und kann von Dritten geltend gemacht werden (RG WarnRspr 1914 Nr. 126). Streitig ist auch, ob § 514 ein relatives Veräußerungsverbot darstellt (bejahend RG 148, 105; 163, 155). Anm. 9 Im übrigen sind relative Veräußerungsverbote nur noch in den Gesetzen a u ß e r h a l b des B G B vorhanden. In Betracht kommen z.B. §§ 6, 7 KO. Danach entsteht für den Gemeinschuldner mit der Konkurseröffnung zugunsten der Konkursgläubiger eine Verfügungsbeschränkung, die jedoch jeder Interessent und nicht nur der Konkursverwalter geltend machen kann (vgl. RG 83, 189). Durch die Eintragung des Konkursvermerks wird das Grundbuch gegen Verfügungen des Eigentümers gesperrt (RG 71, 38). Das in der Beschlagnahme liegende Veräußerungsverbot (§ 23 ZwVG) trifft nur Verfügungen über das Grundstück, nicht die in einer Kündigung liegende Verfügung über die auf ihm ruhende Hypothek (RG Gruchot 71, 304). Den Konkursgläubigern gegenüber sind die nur bedingten Veräußerungsverbote ohne Wirkung. Dagegen bleibt auch ihnen gegenüber eine Beschlagnahme des unbeweglichen Vermögens nach dem Z w V G wirksam ( § 1 3 KO). Im Konkurs wird der gute Glaube bei Erwerbsgeschäften gegenüber der konkursmäßigen Verfügungsbeschränkung nur in Ansehung des unbeweglichen Vermögens geschützt. Die Vorschriften der §§ 892 ff bleiben unberührt. Dagegen genießt der gute Glaube beim Erwerb von beweglichen Sachen, die der konkursmäßigen Verfügungsbeschränkung unterliegen, keinen Schutz (§ 7 KO). Anm. 10 Zu den relativen Veräußerungsverboten gehören u. a. ferner die §§ 59 fr der VerglO; §§ 23,27 Abs. 2 Z w V G ; die §§ 97,99 V V G (RG 95,207); ferner §§ 283,284 StPO; §§829, 857. 938, 1019, ZPO; §§ 106, 107 K O ; 288 StGB. Das zwischen den Marktverbänden des graphischen Gewerbes und denen des Druckmaschinenhandels und der Druckmaschinenindustrie vereinbarte vertragliche Veräußerungsverbot wurde durch die Verbindlichkeitserklärung des R W M zu einem gesetzlichen Veräußerungsverbot im Sinne des § 135 ( K G J W 1938, 1721).

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§ 135 Anm. 1 1 , 1 2 § 136 Anm. 1

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Die Rechtshängigkeit schließt zwar an sich das Recht zur Veräußerung der im Streit befangenen Sache oder Forderung nicht aus (§ 265 ZPO). Aber das Urteil, das der Geschützte erstreitet (etwa gegenüber dem Dritterwerber), wirkt nach § 325 Z P O auch gegenüber dem weiteren Rechtsnachfolger, der das Recht nach eingetretener Rechtshängigkeit erwirbt. Anm. 11 2. Die absoluten Veräußerungsverbote Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein Veräußerungsverbot verstößt, das im Interesse und zum Schutze der Allgemeinheit erlassen wurde — absolutes, unbedingtes Veräußerungsverbot — fällt nicht unter § 135, sondern unter § 134 und ist nicht relativ unwirksam, sondern nichtig. Hierher gehören die Bestimmungen über die Beschlagnahme des Vermögens eines Angeschuldigten, so §§ 86, 98 Abs. 2 StGB; §§ 284, 290, 433 StPO und die Einziehung bestimmter Gegenstände auf Grund § 94 StPO, nämlich §§ 40, 42, 86, 98 Abs. 2, 152, 295 u. a. m. StGB; ferner §§ 89b, 1 1 5 a , 1 1 6 GewO. Wegen des Vorbehalts für die Landesgesetzgebung vgl. Art. 168, 1 1 9 E G . Weiterhin §6 des früheren Kapitalabfindungsgesetzes v. 3. 7. 1916 (RG 105, 71) sowie die Veräußerungsverbote nach § 7 7 a VersG und § 7 5 BVG. Erwirbt ein Beschädigter im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes mit einer Kapitalabfindung das Eigentum nur an dem ideellen Bruchteil eines Grundstücks, so kann die Verfügungsbeschränkung nur in Ansehung seines Bruchteils im Grundbuch eingetragen werden (BGH 19, 355). Ein absolutes Veräußerungsverbot enthält auch § 25 des Reichsleistungsgesetzes (vgl. Anm. 1 1 ff zu § 134). Anm. 12 IV. Verfügungen durch Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung, § 135, Abs. 1 Satz 2 Hierher gehören Veräußerungen von Sachen sowie Uberweisungen von Forderungen oder Rechten im Zwangsvollstreckungs- oder Arrestverfahren. Das geschützte Recht wird hier gemäß § 772 Satz 2 ZPO durch die Widerspruchsklage aus § 771 daselbst geltend gemacht. Zu den Geschützten gehört gemäß §§ 20, 23 Z w V G namentlich auch der die Zwangsvollstreckung in ein Grundstück betreibende Hypothekengläubiger in Ansehung aller von der Hypothek ergriffenen Gegenstände (RG 86, 255).

§136 Ein Veräußerungsverbot, das von einem Gericht oder von einer anderen Behörde innerhalb ihrer Zuständigkeit erlassen wird, steht einem gesetzlichen Veräußerungsverbote der i m § 135 bezeichneten Art gleich. E I 107 Abs. 1 II 102; M I 2izff; P I 124!?; 6 I29ff.

Ubersicht Anm.

I. Veräußerungsverbote II. Gerichtliche Veräußerungsverbote III. Gerichtliche Erwerbsverbote

. . . .

. I . 2 •

3

Anm. 1 I. Veräußerungsverbote Als V e r ä u ß e r u n g s v e r b o t e im Sinne des § 136 gelten, wie gemäß § 135, nur solche, die den S c h u t z b e s t i m m t e r P e r s o n e n bezwecken (RG 105, 75, wonach ein auf Grund des § 6 des Kapitalabfindungsgesetzes v. 3. 7. 1916 von der Behörde erlassenes Verbot der Veräußerung oder Belastung des mittels der gewährten Kapitalsabfindung erworbenen Grundstücks nicht unter § 136 fällt). Fehlt es an einer solchen Begrenzung des Schutzzweckes, so findet auch nicht die Bestimmung vom gutgläubigen

432

Willenserklärung

§ 136 A n m . 2, 3

§137

Erwerb (§ 135 Abs. 2) Anwendung, vielmehr macht das Verbot das verbotene Rechtsgeschäft unbedingt nichtig (RG 105, 75). Im übrigen aber vgl. wegen der Anwendung der Bestimmungen über den gutgläubigen Erwerb Anm. 3—5 zu § 135. Beschlagnahme nach den Vorschriften über Devisenbewirtschaftung s. KG J W 1938, 3122. Auch der Enteignungsbeschluß enthält ein Veräußerungsverbot (RG 62, 218). Anm. 2 II. Gerichtliche Veräußerungsverbote Als g e r i c h t l i c h e V e r ä u ß e r u n g s v e r b o t e kommen in Betracht: a) Aus der ZPO die einstweilige Verfügung nach §938 (RG 135, 378), die Leistungsverbote im Sinne der § 829 (RG 145, 328 [332]), § 857 und die Zahlungssperre gemäß § 101g. Das Verbot wird wirksam nach den prozeßrechtlichen Grundsätzen erst durch die Zustellung, so daß vor diesem Zeitpunkte auch die Kenntnis des Schuldners von der richterlichen Anordnung unschädlich ist. Bei einer nach der Zustellung verbotswidrig erfolgten Leistung kann sich der Schuldner auf seine etwaige Unkenntnis nicht berufen; denn ist die Zustellung der behördlichen Anordnung überhaupt rechtswirksam bewirkt worden, dann muß die letztere auch unbedingt als zugegangen gelten (vgl. auch § 132 BGB), mag der Schuldner von der Zustellung tatsächlich Kenntnis erhalten haben oder nicht (§§ 181, 182, 203 ZPO). Uber die besonderen Voraussetzungen der Pfändung einer Forderung, für welche eine Hypothek besteht, vgl. § 830 ZPO. b) Aus dem Z w a n g s v e r s t e i g e r u n g s g e s e t z e die Beschlagnahme des Grundstücks zum Zwecke der Zwangsversteigerung oder der Zwangsverwaltung nach §§ 20, 22, 23, wonach sich die Wirkung des Veräußerungsverbots auch auf diejenigen Gegenstände erstreckt, die von der hypothekarischen Haftung mitumfaßt werden (RG J W I I 9 5> 50 1 )- Die G u t g l ä u b i g k e i t im Sinne des § 135 Abs. 2 BGB hängt hier davon ab, ob derjenige, zugunsten dessen verfügt wurde, die „Beschlagnahme kannte", und der Kenntnis dieser Tatsache ist nach § 23 Abs. 2 ZwVG gleichgestellt die Kenntnis des Versteigerungsantrags. Nach erfolgter Eintragung des Versteigerungsvermerks gilt die Beschlagnahme auch in Ansehung der beweglichen Zubehörstücke als dem Dritten bekannt (§ 23 Abs. 2 Satz 2). c) Aus der K O das allgemeine Veräußerungsverbot nach § 106. d) Veräußerungsverbote im V e r g l e i c h s v e r f a h r e n s. Vergleichsordnung v. 26. 2. 1935 (RGBl I 321) §§ 5 9 f . e) Zu den gerichtlichen Veräußerungsverboten gehören auch solche der S t r a f g e r i c h t e (vgl. §§325, 326 StPO) und der S o n d e r g e r i c h t e (Arbeitsgerichte, Verwaltungsgerichte) . Anm. 3 III. Gerichtliche Erwerbsverbote G e r i c h t l i c h e E r w e r b s v e r b o t e werden hier nicht ausdrücklich erwähnt; die Anforderungen des Rechtsverkehrs nötigen jedoch dazu, sie entsprechend zu behandeln und anzunehmen, daß sie, gleich den gerichtlichen Veräußerungsverboten, nur bedingte (relative) Unwirksamkeit der ihnen zuwiderlaufenden Verfügungen bewirken (RG 117, 287: Verbot durch einstweilige Verfügung an den Käufer eines Grundstückes, Anträge zum Vollzuge der Auflassung beim Grundbuchamt zu stellen; zustimmend RG 120, 118).

§137 Die Befugnis zur Verfügung über ein veräußerliches Recht kann nicht durch Rechtsgeschäft ausgeschlossen oder beschränkt werden. Die Wirksamkeit einer Verpflichtung, über ein solches Recht nicht zu verfügen, wird durch diese Vorschrift nicht berührt. E

I 7 9 6 II 102; M

3 77; P 3 76ff, 2j7ff; 6 167.

433

§137 Anm. 1—3

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte Ubersicht

I. II. III. IV.

Das rechtsgeschäftliche Veräußerungsverbot Die Verpflichtung nach § 137 Satz 2 Forderungen Ersatzmittel für die rechtsgeschäftliche Verfügungsbeschränkung

Anm. 1, 2

3 4 5

Anm. 1 I. Das rechtsgeschäftliche Veräußerungsverbot Grundsätzlich ist jedes Recht veräußerlich, es sei denn, daß es seiner Natur nach nicht verkehrsfähig ist, oder das Gesetz dem Recht ausdrücklich die Verkehrsfähigkeit entzieht (§ 134). Die Verfügungsfreiheit kann mit d i n g l i c h e r W i r k u n g durch Rechtsgeschäft nicht ausgeschlossen werden ( B G H 19, 359). Indem das Gesetz die Ausschließung und Beschränkung der Verfügungsfreiheit für unwirksam erklärt, bringt es den Grundsatz „der unbedingten rechtsgeschäftlichen Aktionsfreiheit auf dinglichem Gebiete" (Prot. 3,256fr) zur gesetzlichen Anerkennung. Dagegen trägt § 1 3 7 Abs. 2 dem Grundsatz der Vertragsfreiheit auf schuldrechtlichem Gebiet Rechnung. Der erweiterungsfähige Rechtsgedanke ist der, daß es überhaupt rechtlich nicht möglich ist, einen anderen mit W i r k u n g n a c h a u ß e n hin zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen zu verpflichten. Wirkungslos nach außen hin ist daher auch eine Verabredung, durch die sich jemand seinen Berufsgenossen oder ihrem Verband gegenüber verpflichtet, Arbeitsverträge nur unter bestimmten Bedingungen abzuschließen.

Anm. 2 Verpflichtet sich jemand einem anderen gegenüber, über ein ihm zustehendes Recht nicht zu verfügen (es nicht zu übertragen, nicht zu belasten, nicht aufzugeben), so wird die Rechtswirksamkeit der gleichwohl vorgenommenen Verfügung durch das Bestehen der übernommenen Verpflichtung, nicht zu verfügen, in keiner Weise berührt. Auch wenn der Erwerber von der Verpflichtung des Veräußerers, sich der fraglichen Verfügung zu enthalten, Kenntnis gehabt hat, hat die Verfügung in vollem Maße die entsprechenden Folgen und bewirkt insbesondere eine unangreifbare Rechtsübertragung, weil die nur rechtsgeschäftliche Verfügungsbeschränkung Dritten gegenüber keine Geltung hat. § 137 findet auch Anwendung auf Verfügungen von Todes wegen. Dem Erben kann eine Verfügungsbeschränkung vom Erblasser grundsätzlich nicht auferlegt werden. Eine Ausnahme hiervon besteht nur im Falle einer Testamentsvollstreckung oder einer Vor- und Nacherbschaft ( R G SeuffArch 78 Nr. 3; vgl. auch R G 110, 270). Auch durch die nur treuhänderische Übertragung von Rechten wird kein dinglich wirkendes Veräußerungsverbot begründet ( B G H 1 1 , 37, 43), obwohl der Treugeber, wenn durch Gläubiger des Treuhänders in das Treugut vollstreckt wird, die Widerspruchsklage nach § 771 ZPO erheben kann ( R G 153, 366, Str.). Wurde eine Forderung zur Einziehung übertragen, dann kann das Recht des neuen Gläubigers, darüber zu verfügen, ebenfalls nicht durch Vereinbarung beschränkt oder ausgeschlossen werden ( R G 99, 142). Die Einräumung des Vorkaufsrechts (§§ 504fr; 1094fr) und des Wiederkaufsrechts werden durch § 137 nicht berührt.

Anm. 3 II. Die Verpflichtung nach § 137 Satz 2 Die Rechtsbeständigkeit einer V e r p f l i c h t u n g über ein veräußerliches Recht nicht zu verfügen, bleibt durch § 137 unberührt ( R G 73, 17; 75, 35). Es handelt sich hierbei um einen Unterlassungsanspruch, dessen Verletzung den Schuldner schadensersatzpflichtig macht, wobei nach § 249 er auch zur Wiederherstellung des früheren Zustandes gezwungen sein kann. Für den Fall der Zuwiderhandlung kann auch eine V e r t r a g s s t r a f e vereinbart werden ( R G 55, 78; 73, 16). So kann z. B. eine dem jeweiligen Eigentümer eines Grundstücks auferlegte Beschränkung, das Grundstück nicht 434

Willenserklärung

§137 Anm. 4—6

an einen Angehörigen einer bestimmten Nationalität (z. B. an einen Polen bei Gütern i n West- u n d Ostpreußen) zu veräußern, auch durch Eintragung ins Grundbuch keine dingliche Wirkung erlangen. Auch eine bloße Eintragungsbewilligung ist nichtig. Aber die vom Käufer übernommene Verpflichtung ist gegen ihn selbst wirksam und geeignet, durch eine Vertragsstrafe gesichert zu werden (RG 55, 78; 73, 16). Eine Ausnahme hiervon besteht nach § 1136. Danach ist eine Vereinbarung, in welcher sich der Eigentümer eines Grundstückes gegenüber dem Hypothekengläubiger verpflichtet, das Grundstück nicht zu veräußern, oder nicht weiter zu belasten, wirkungslos. Es entsteht auch kein schuldrechtlicher Anspruch. Anders dagegen, wenn das Verbot derart beschränkt lautet, d a ß etwa nur die Veräußerung an einen Nichtdeutschen untersagt ist (RG 55, 78).

Anm. 4 III. Forderungen Forderungen, denen andere Rechte gemäß §413 entsprechend gleichgestellt sind, wohnt zwar grundsätzlich ebenfalls die Eigenschaft der Übertragbarkeit bei. Nach § 399 kann aber die Ubertragbarkeit mit Wirkung gegenüber jedermann durch Vereinbarung ausgeschlossen werden. I n diesem Fall ist für die Anwendung des § 137 kein R a u m (RG 136, 3 9 9 ; B G H 19, 359; für Übertragung oder Verpfändung einer Hypothek vgl. R G H R R 1934 Nr. 557). Unter den Voraussetzungen des §405 ist jedoch der gutgläubige Erwerb einer Forderung (wie der eines Rechtes § 413) auch einer Veräußerungsbeschränkung im Sinne von §399 gegenüber geschützt (RG 71, 31; R G WarnRspr 1912 Nr. 334). Nach VerlG § 28 sind die Rechte des Verlegers übertragbar, soweit nicht die Übertragung durch Vereinbarung zwischen dem Verfasser und dem Verleger ausgeschlossen ist. Weder das Patent- noch das Urheber- noch das Verlagsrecht geben jedoch dem Rechtsinhaber die Möglichkeit, dem Abnehmer s e i n e r E r z e u g n i s s e deren Weiterveräußerung überhaupt oder zu gewissen Bedingungen durch Vertrag mit Wirkung gegen Dritte zu verbieten; das Rechtsgeschäft kann vielmehr nur schuldrechtlich unter den Vertragschließenden wirken (RG 63, 398, 69, 342; ; R G J W 1929, 243).

Anm. 5 IV. Ersatzmittel für die rechtsgeschäftliche Verfügungsbeschränkung Als Mittel, dem Erwerber einer Sache die Möglichkeit einer wirksamen Weiterverfügung über sie zu entziehen, dient dem Veräußerer mittelbar die Vereinbarung, d a ß der Fall der Weiterveräußerung als a u f l ö s e n d e B e d i n g u r g hinsichtlich des zwischen ihm u n d seinem Gegner abgeschlossenen Veräußerungf^'eschäfts gelten solle. Denn gegebenenfalls würde, abgesehen vom Falle gutgläubigen Erwerbs des Dritten (§161 Abs. 3), das Eigentum an der veräußerten Sache an den Veräußerer zurückfallen (§§ 158 Abs. 2, 161 Abs. 2). Bei der Übertragung des Eigentums an Grundstücken ist freilich gemäß § 925 Abs. 2 die Hinzufügung von Bedingungen unzulässig. Aber hier kann die Eintragung einer V o r m e r k u n g gemäß § 883 Abs. 1 Satz 2 nach § 883 Abs. 2 zum Ziele führen. Eine solche Vormerkung behält ihre Wirksamkeit auch f ü r den Konkurs. I n Betracht kommt weiter der Vorbehalt eines W i e d e r k a u f s r e c h t s oder eines V o r k a u f s r e c h t s im Sinne der §§ 497ff u. 504 ff, 1094 fr. Endlich kann der Berechtigte, dessen Anspruch auf Gewährung einer Sache durch das Verhalten des Verpflichteten gefährdet wird, ein Veräußerungsverbot in Form einer e i n s t w e i l i g e n V e r f ü g u n g erwirken, wonach die in den §§ 135, 136 dargelegten Folgen eintreten (vgl. § 136). Die einstweilige Verfügung ist •— als Zwangsvormerkung — eintragungsfähig (vgl. § 941 Z P O ; § 39 GBO).

Anm. 6 Nach Art. 168 E G bleibt eine zur Zeit des Inkrafttretens des BGB bestehende Verfügungsbeschränkung wirksam.

435

§138

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

§138 Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läßt, welche den Wert der Leistung dergestalt übersteigen, daß den Umständen nach die Vermögensvorteile in auffälligem Mißverhältnisse zu der Leistung stehen. E I 106 II 103; M I 211 ff; P I 123ff.

Übersicht Anm.

A . Allgemeines I. Begriff der guten Sitten 1. Maßstab für die sittlichen Anforderungen 2. Wandel in den sittlichen Anschauungen II. Die Sittenwidrigkeit 1. Voraussetzungen 2. Arten des Sittenverstoßes III. Folgen des Verstoßes gegen die guten Sitten 1. Die Nichtigkeit 2. Besonderheiten der Nichtigkeit beim Wuchergeschäft 3. Anfechtungsgründe 4. Folgen der Nichtigkeit I V . Anwendung des § 138 1. Im bürgerlichen Recht 2. Im öffentlichen Recht 3. Zeitliche Geltung 4. Revisibilität B. Sittenverstoß nur eines Geschäftspartners

1—16 1—4 2 3, 4 5—7 5, 6 7 8—12 8, 9 10 11 12 13—16 13 14 15 16 17—48

I. Das Wuchergeschäft 17—28 1. Allgemeines 17 2. Die subjektiven Voraussetzungen 18—24 a) Die Ausbeutung 18 b) „eines anderen" 19 c) Die Notlage 20—22 d) Der Leichtsinn 23 e) Die Unerfahrenheit 24 3. Die objektiven Voraussetzungen, das auffällige Mißverhältnis . . 25, 26 4. Rechtsbehelfe des Bewucherten 27 II. Andere Knebelungs- und Ausbeutungsgeschäfte 28—48 1. Freizeichnungsklauseln 29 2. Knebelungsverträge 30—36 a) Bierlieferungsverträge 31 b) Kreditsicherungsgeschäfte 32—35 c) Eigentumsvorbehalt 36 3. Dienstverhältnisse und ähnliche Verträge 37 4. Verlags- und Patentverträge 38 5. Wettbewerbsbeschränkungen 39, 40 6. Mißbrauch der Autorität, Ausnutzung von geistiger Minderwertigkeit, Angst und Unerfahrenheit 41—43 7. Weitere Einzelfälle 44—48

436

Willenserklärung

§ 138 Anm. 1, 2 Anm.

C. Gemeinschaftlicher Verstoß gegen die guten Sitten I. Gemeinschaftsschädigende Geschäfte II. Geschäfte zur Schädigung fremder Interessen und Rechte 1. Treubruchfördernde Geschäfte a) Verletzung der Treupflicht innerhalb einer Gesellschaft . . . b) Sonstige treuwidrige Geschäfte 2. Gläubigerbenachteiligung III. Schaffung einer Monopolstellung IV. Verstöße gegen Ehe- und Familienordnung 1. Vereinbarungen zum Zwecke der Scheidungserleichterung, insbesondere Unterhaltsvereinbarungen 2. Weitere Einzelfälle V. Förderung, Entlohnung von Unzucht und anderen Leidenschaften . 1. Unzucht 2. Glücksspiel V I . Standeswidrigkeiten und Geschäfte, durch die ideelle Güter mit vermögensrechtlichen Vorteilen verknüpft werden

49—78 49—gl 52—59 52—56 52, 53 54—56 57—59 60, 61 62—68 63—66 67, 68 69—73 69—-72 73 74—78

D. Sittenwidrigkeit von Vergleichen

79

E. Weitere Einzelfälle von Rechtsgeschäften, die nicht als sittenwidrig anzusehen sind

80

Anm. 1 A. Allgemeines I. Begriff der guten Sitten Die von der Rechtsordnung dem einzelnen verliehene Befugnis, seine Lebensverhältnisse durch Rechtsgeschäft zu gestalten, findet dort ihre Grenzen, wo er mit den „guten Sitten" in Widerspruch gerät. Der Begriff der „guten Sitten" ist in einem ethischen Sinne zu verstehen. Es handelt sich hierbei nicht um Lebensgebräuche, sondern um einen Begriff der Rechtsmoral. Was der Rechtsmoral entspricht, ergibt sich aus den im Volke herrschenden Anschauungen. Maßgebend sind die Anschauungen, die dem „Anstands- und Rechtsgefühl aller Billig- und Gerechtdenkenden" entsprechen. Ein Verhalten, das hiermit im Einklang steht, entspricht den „guten Sitten" (Motive II, 727; RG 150, 1; vgl. auch RG 63, 391; 77, 421; 80, 221; 120, 144; RG J W 1910, 124; 1912, 69; 1936, 569; RG WarnRspr 1913 Nr. 54). Anm. 2 1. Maßstab für die sittlichen Anforderungen Bei der Frage nach dem sittengemäßen Verhalten sind die allgemeinen Anschauungen, die im Volke herrschen, zu beachten. Dabei sind auch die Anschauungen der innerhalb der Volksgemeinschaft bestehenden engeren Lebensordnungen (wie etwa des Bauerntums, der Betriebsgemeinschaften des Arbeitertums, der „ehrbaren Kaufleute" usw.) zu berücksichtigen, aus denen das einzelne Rechtsgeschäft erwachsen ist und für die es wirken soll. Doch dürfen solche Anschauungen n i c h t zu Ergebnissen führen, die allgemein im Volke als unsittlich empfunden werden. M i ß b r ä u c h e und U n s i t t e n , die sich in bestimmten Kreisen gebildet haben, sind nicht zu berücksichtigen (RG 1 1 4 , 9 , 13; BGH 10, 228, 232; 16, 4, 12; BGH L M Nr. 20 zu § 134). Entscheidend sind grundsätzlich die jeweils herrschenden Anschauungen, für deren Feststellung auch von Bedeutung sein kann, welchen Niederschlag sie in der Gesetzgebung gefunden haben (vgl. RG 48,114; 77, 419; RG J W 1909,412; 1912, 134). So dient § 138, da er die Wahrung der guten Sitten zur Rechtspflicht macht und Verstöße mit Nichtigkeit bedroht, dem Einklang von Recht und Sitte. Nicht entscheidend ist ein allgemeines bloßes Billigkeitsgefühl (RG J W 1914, 83). Eine niedrige Denk- und Handlungsweise wird immer sittenwidrig sein. Im übrigen 29

Komm. 2. BGB. n . Aufl. Bd. I. (Krüger-Nieland)

437

§ 138 A n m . 3—5

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

wird bei der Abgrenzung dessen, was der Sitte gemäß, von dem, was sittenwidrig ist, nicht von der Art des Handelns, die einer besonders vornehmen Denkungsart selbstverständlich ist, auszugehen sein, sondern es wird ein Durchschnittsmaß von Redlichkeit und Anstand zugrunde zu legen sein (vgl. RG 48, 124; 55, 372; 58, 216; 67, 102; RGJW 1936, 3308; RG WarnRspr i g ^ N r . 189; 1936 Nr. I83;BGH 10, 228; 18, 325). Wer nur von seinem Rechte Gebrauch macht, handelt in der Regel nicht wider die guten Sitten, mag auch der Gegner dadurch in eine wirtschaftliche Bedrängnis kommen (RG WarnRspr 1921 Nr. 134; R G J W 1936, 3308). Doch können die Umstände zu einem anderen Ergebnis führen. Möglich ist es, daß nach den besonderen Umständen bei ein und demselben Vertrage die Frage, ob sein Abschluß eine unsitdiche Handlung darstellt, für die verschiedenen Beteiligten unterschiedlich zu beantworten ist (RG 58, 204, 399; wichtig für die Anwendung des § 817; RG Gruchot 53, 685).

Anm. 3 2. Wandel in den sittlichen Anschauungen Die vom allgemeinen Rechts- und Anstandsgefühl anerkannten Grundsätze sind aber wandelbar. Sie können sich auf Grund der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung im Laufe der Zeit ändern. Soweit es sich bei solchen Änderungen nicht nur um solche auf Grund besonderer und vorübergehender Verhältnisse (Kriegszeiten) hervorgerufene Wandlung in den moralischen Auffassungen handelt, sondern eine dauernde, sich in der Allgemeinheit festigende Änderung sittlicher Grundsätze eintritt, ist ihr auch Rechnung zu tragen. Ob ein Rechtsgeschäft nach der bei seinem Abschluß gegebenen Sach- und Rechtslage sittenwidrig war, bestimmt sich jedoch nach den z. Z. der Beurteilung herrschenden Ansichten. Maßgebend ist demnach nicht der Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts, sondern der der Entscheidung (RG 150, 1; R G WarnRspr 1934 Nr. 91); dabei kommt es allein auf die damalige Lage und Absichten der Parteien an, spätere, im voraus nicht geplante Maßnahmen können eine Sittenwidrigkeit nicht nachträglich begründen (RG H R R 1932 Nr. 1575). Die spätere Handhabung des Vertrages kann aber Rückschlüsse auf die dem Abschluß zugrunde liegenden Absichten ermöglichen ( R G J W 1932, 3760). Ist danach, was unter Berücksichtigung der Umstände des einzelnen Falles zu entscheiden ist, ein Vertrag heute als sittenwidrig anzusehen, so müßte er auch im Streitfalle als nichtig nach § 138 behandelt werden. Wollte man dies nicht anerkennen, so müßte doch jedenfalls Ansprüchen aus einem solchen Vertrag der Rechtsschutz versagt werden, da die Erfüllung zwar möglicherweise nicht zur Zeit des Vertragsschlusses, aber zur Zeit der Entscheidung mit den guten Sitten nicht mehr vereinbar wäre. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Sittenwidrigkeit von Geschäften, die mit Kriegslieferungen zusammenhingen, von ost- und westdeutschen Gerichten verschieden beurteilt. Während die ostzonale Rechtsprechung in solchen Geschäften einen Sittenverstoß erblickt hat (vgl. O G NJ 1951, 26, 27), haben die Gerichte der Bundesrepublik keine Sittenwidrigkeit angenommen (vgl. O L G Kassel NJW 1949, 583; L G Hamburg M D R 1950, 285).

Anm. 4 Bei l e t z t w i l l i g e n V e r f ü g u n g e n richtet sich die Frage nach der Sittenwidrigkeit aber grundsätzlich nicht nach den Verhältnissen zur Zeit des Erbfalles, sondern nach den Verhältnissen zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Verfügung (BGH 20, 71; unter Aufgabe von RG DR 1943, 91 u. 1944, 494; vgl. auch BGH 23, 76 und BGH L M Nr. 9 [C d] zu § 138).

Anm. 5 II. Die Sittenwidrigkeit 1. Voraussetzungen Bei der Frage, ob ein Rechtsgeschäft gegen die guten Sitten verstößt, kann nicht von feststehenden Tatbeständen ausgegangen werden und nicht gesagt werden, daß stets bestimmte Merkmale vorliegen müßten, wenn Nichtigkeit angenommen werden

438

Willenserklärung

§138

A n m . 6, 7

soll ( B G H io, 228; B G H NJW 1955, 1272). Die Frage der Nichtigkeit kann vielmehr nur auf Grund einer umfassenden Gesamtwürdigung des einzelnen Rechtsgeschäftes unter Berücksichtigung aller Umstände, die zu seinem Abschluß geführt haben, der Absichten und Beweggründe, die die Parteien verfolgt haben und nicht zuletzt der objektiven Verhältnisse, unter denen der Vertrag geschlossen wurde, beantwortet werden ( B G H NJW 1955, 1272). Nach den Motiven (1, 2 1 1 ) sollte es bei der Frage nach der Sittenwidrigkeit nur auf den objektiven Inhalt des Rechtsgeschäftes ankommen und die subjektiven Vorstellungen der Parteien außer Betracht bleiben. Dieser Auffassung kann nur insoweit beigepflichtet werden, als ein objektiv berechtigtes und zur Wahrung berechtigter Interessen dienendes Verhalten nicht allein deshalb als sittenwidrig angesehen werden kann, weil es auf verwerfliche Beweggründe zurückzuführen ist ( R G 58, 2 1 7 ; 63, 350; 68, 97; 71, 192; 82, 222; 78, 238; 101, 401). Andererseits kann aber der Beweggrund dazu beitragen, dem Geschäft seinen besonderen sittenwidrigen Charakter zu verleihen (vgl. R G 98, 73; R G WarnRspr 1916 Nr. 193); wie die subjektiven Momente auch entlastend wirken können, so wenn jemand aus tatsächlichem Irrtum ein Rechtsgeschäft für erlaubt hielt und infolge dieses Irrtums für erlaubt halten durfte ( R G 71, 1 1 2 ; 79, 23 — zu § 826 —; R G WarnRspr igog Nr. 506). Nach ständiger Rechtsprechung des Reichsgerichtes, der der Bundesgerichtshof gefolgt ist, sind somit bei Prüfung der Frage der Sittenwidrigkeit objektive und subjektive Momente zusammen zu berücksichtigen. Anm. 6 Der Tatbestand des § 138 setzt voraus, daß das Rechtsgeschäft sich nach seinem Inhalt, Beweggrund und Zweck, also nach seinem G e s a m t c h a r a k t e r als ein sittenwidriges darstellt ( R G 56, 2 3 1 ; 63, 346, 350; 68, 98; 75, 74; 78, 263; 80, 221; 107, 72; R G WarnRspr 1921, Nr. 89; R A G 14, 46). Nicht notwendig ist, daß sich der Handelnde der Sittenwidrigkeit bewußt ist, er muß sich jedoch derjenigen Tatumstände bewußt sein, die seine Handlung zu einer sittenwidrigen machen (RG 83, 112; 90, 400; 93, 29; 97» 255; 120, 144; 136, 240; 151, 70; 161, 233; R G J W 1935, 278, 2882; 1936, 2532, 3308; R G WarnRspr 1936 Nr. 183; R G Gruchot 64, 216). Ein Rechtsgeschäft, bei dem Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Mißverhältnis stehen, ist, wenn die Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 (Wucher) nicht vorliegen, nicht schon wegen des Mißverhältnisses nichtig ( R G 64, 1 8 1 ; 83, 1 1 2 ; 103, 35; R G H R R 1928 Nr. 2258; R G WarnRspr 1918 Nr. 129; B G H NJW 1951, 397; 1957, 1274), sondern nur dann, wenn eine besonders verwerfliche Gesinnung hinzukommt (RG 150, 1; B G H NJW 1951, 3975 1957, 1274). Aus verwerflicher Gesinnung handelt z. B. der, der die schwierige Lage des anderen ausnutzt, um sich übermäßige Vorteile zu verschaffen (RG 150, 1 ; 156, 265; R G J W 1936, 2129; R G WarnRspr 1937 Nr. 148), ferner derjenige, der sich böswillig oder grobfahrlässig der Erkenntnis verschließt, daß sich der andere aus einer mißlichen Lage heraus auf die schweren Bedingungen einläßt, die ihm auferlegt werden ( B G H NJW 1951, 397; B G H L M Nr. 11 [Cb] zu § 138) oder derjenige, der eine Machtstellung in verwerflicher Weise ausnutzt ( B G H NJW 1956, 585). Die besonderen Umstände des Falles können auch eine Pflicht zur Prüfung der finanziellen Lage des Schuldners durch den kreditgewährenden Gläubiger begründen. Ein Unterlassen dieser Pflicht kann unter bestimmten Voraussetzungen zur Nichtigkeit des Kreditgeschäftes und der damit verbundenen Sicherungsübereignungen wegen Sittenwidrigkeit führen (vgl. B G H 10, 228 und näheres Anm. 32—35 unten). Anm. 7 2. A r t e n d e s Sittenverstoßes Ein Verstoß gegen die guten Sitten kann im Verhalten n u r eines G e s c h ä f t s p a r t n e r s liegen und gegen den anderen gerichtet sein, so bei Wucher, Ausbeutungs- und Knebelungsgeschäften unter Ausnutzung einer Monopol- und Machtstellung; in den Fällen also, in denen weitgehend in die wirtschaftliche und sonstige Freiheit des anderen Geschäftspartners eingegriffen wird (RG 78, 353; 85, 344; 93, 30; 98, 78; 99, 108, 2 1 3 ; 113, 1; 118, 361; 120, 144; 137, 251; R G J W 1927, 2571; 1928, 52; 1929, 1395; 1935, i9'

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§ 138

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A n m . 8, 9 2882; R G WarnRspr 1 9 1 6 Nr. 3 7 1 ; 1 9 1 7 Nr. 234; 1 9 1 8 Nr. 1 ; 1921 Nr. 88; R G SeuffArch 78 Nr. i n ; 90 Nr. 3 3 ; R G H R R 1928 Nr. 589; 1933 Nr. 469; siehe auch R G H R R 1933 Nr. 1830). Es können aber auch b e i d e G e s c h ä f t s p a r t n e r gemeinsam gegen die guten Sitten verstoßen, und zwar zum Nachteil Dritter oder der Allgemeinheit. Hierzu gehören Geschäfte, die die Allgemeinheit schädigen, Geschäfte, durch die Treuwidrigkeiten oder Treubrüche gefördert werden, die Schaffung einer Monopolstellung, Verstöße gegen die Ehe- und Familienordnung, Verstöße gegen Standespflichten und schließlich die Verquickung höherer Güter (Ehre) mit Geldgeschäften. Auch die planmäßige Umgehung eines Gesetzes kann ein Verstoß nicht nur gegen § 134, sondern auch gegen § 138 sein, wenn das Gesetz lebenswichtige Belange der Volksgesamtheit gegen eigennützige Eingriffe des einzelnen schützen will ( R G H R R 1935 Nr. 923; vgl. auch R G 1 2 3 , 2 1 1 ) . Als sittenwidrig wurde auch der Mangel an vaterländischem Pflichtgefühl betrachtet ( R G 100, 249). Dagegen sind Geschäfte, die mit der Standesehre in Widerspruch stehen, nicht ohne weiteres sittenwidrig (vgl. hierzu im einzelnen Anm. 74—78 unten).

Anm. 8 III. Folgen des Verstoßes gegen die guten Sitten 1. Die Nichtigkeit Über den Begriff und die Folgen der Nichtigkeit, insbesondere über die Einwirkung der Nichtigkeit des G r u n d g e s c h ä f t e s auf d a s E r f ü l l u n g s g e s c h ä f t vgl. Anm. 1 6 f f zu § 125. Die Unsittlichkeit des Grundgeschäftes zieht regelmäßig die Nichtigkeit des dinglichen Erfüllungsgeschäftes nicht nach sich ( R G 63, 184; 68, 100; 75, 76; 109, 2 0 1 ; 1 1 1 , 239; R G SeuffArch 78 Nr 60; 84 Nr. 5 5 ; 86 Nr. 168; s.auch R G SeuffArch 79 Nr. 178 und R G H R R 1935 Nr. 1373). Eine Ausnahme besteht nach Abs. 2 für dieErfüllung wucherischer Rechtsgeschäfte, weil hier auch das Sichgewährenlassen der Vermögensvorteile für nichtig erklärt ist ( R G 57, 95; 72, 63; 109, 2 0 1 ; R G SeuffArch 84 Nr. 5 5 ; R G H R R 1933 Nr. 4 7 1 ; s. auch H R R 1937 Nr. 1292 und unten Anm. 10). Ferner kann auch abgesehen hiervon gerade im Leistungsgeschäft die Unsittlichkeit liegen ( R G 109, 2 0 1 ; 145, 1 5 2 ; R G SeuffArch 84 Nr. 55; R G H R R 1933 Nr. 469; R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 1 2 9 ; 1931 Nr. 100). Schließlich kann die Unsittlichkeit des schuldrechtlichen Geschäfts die Nichtigkeit des Erfüllungsgeschäfts herbeiführen, wenn letzteres (ausdrücklich oder stillschweigend) von der Gültigkeit des ersteren abhängig gemacht war ( R G 57, 95; R G J W 1930, 907; 1934, 1 4 1 2 ; R G WarnRspr 1 9 3 1 Nr. 100; R G SeuffArch 84 Nr. 5 5 ; R G H R R 1933 Nr. 469). Z u unterscheiden hiervon sind die Fälle, in denen nur ein T e i l e i n e s V e r t r a g e s nichtig ist. Ob dies Nichtigkeit des ganzen Vertrages zu Folge hat, hängt davon ab, ob der Vertrag auch ohne den nichtigen Teil geschlossen worden wäre (vgl. § 139 und Anm. hierzu). Ist bei Monopolstellung eines Vertragsteiles das Entgelt für seine Leistung sittenwidrig überhöht, so ist der Vertrag nichtig und nicht zum angemessenen Entgelt wirksam ( B G H N J W 1958, 1772). Handelt es sich um m e h r e r e V e r t r ä g e , so müssen auch dann, wenn sie in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, bei jedem von ihnen die Voraussetzungen des Gesetzes festgestellt werden, um seine Nichtigkeit annehmen zu können ( R G J W 1932, 3760). Dient ein Vertrag teils einem sittenwidrigen, teils einem erlaubten Zweck, so ist er nicht nichtig, wenn der erlaubte Zweck derart überwiegt, daß der andere ganz zurücktritt ( R G J W 1932, 3 8 1 3 ; vgl. auch R G J W 1933, 173). Sind zwei äußerlich voneinander getrennte Vereinbarungen getroffen worden, von denen nur die zweite gegen die guten Sitten verstößt, dann kann, auch wenn es sich um einen einheitlichen Vertrag handelt, die erste Vereinbarung wirksam sein, falls die Parteien sie auch ohne die nichtige Vereinbarung geschlossen haben würden ( B G H BB 1954, 172, 174). Eine Schuldübernahme, die im Zusammenhang mit einer sittenwidrigen Enteignung steht, kann rechtsgültig sein ( B G H 26, 9 1 ) .

Anm. 9 Die Nichtigkeit des ganzen Geschäftes ist, wenn es sich um Verträge handelt, in der Regel auch nicht anzunehmen, wo nur der eine Teil unsittliche Zwecke verfolgt, 440

Willenserklärung

§138 A n m . 10, 11

die nicht gegen den andern gerichtet sind, und wenn der andere Teil den unsittlichen Charakter des Geschäftes nicht kennt, sondern hierüber geflissentlich in Unkenntnis gehalten wird (vgl. R G 1 1 4 , 338; R G J W 1912, 525 betr. Kindesannahmevertrag; ferner R G 78, 3 5 3 ; 86, 148; 99, 107; 120, 144; R G WarnRspr 1917 Nr. 194; R G H R R 1935 Nr. 328, 1140). A n m . 10 2. B e s o n d e r h e i t e n d e r N i c h t i g k e i t b e i m W u c h e r g e s c h ä f t Auch das wucherische Rechtsgeschäft stellt im Zweifel ein einheitliches dar, so daß, wenn auch nur ein Teil des Geschäfts die wucherische Ausbeutung enthält, das Geschäft regelmäßig im ganzen nichtig ist (RG WarnRspr 1908 Nr. 280; R G 72, 63). Die Frage, ob nach geltendem Recht ein wucherischer oder sonst auf ein übermäßiges Entgelt gerichteter Darlehnsvertrag unter Beschränkung auf das gesetzlich Zulässige aufrechterhalten werden kann, ist in R G G Z S 161, 52 (55) unentschieden geblieben. Eine im Interesse des Bewucherten vielfach wünschenswerte Aufrechterhaltung des Geschäfts unter H e r a b s e t z u n g w u c h e r i s c h e r L e i s t u n g e n , z.B. der Zinsen, auf das angemessene M a ß ließe sich nach Lage des Gesetzes wohl nur durch eine entsprechende Anwendung des § 139 über das dieser Vorschrift bisher zugebilligte Anwendungsgebiet (§ 139) hinaus erreichen. Die Nichtigkeit des obligatorischen Rechtsgeschäfts ergreift grundsätzlich z u g l e i c h auch das dingliche E r f ü l l u n g s g e s c h ä f t . Denn die Bestimmung des Abs. 2 umfaßt,, wie das Versprechen, so auch das Gewähren wucherischer Vorteile (RG 57, 9 5 f f ; 75, 76; 93, 75; 109, 2 0 1 ; R G J W 1937, 1233, 2 5 1 5 ; R G L Z 1924, 329). Nichtig ist auch ein auf Grund wucherischen Vertrages gegebenes Wechselakzept (RG 15. 6. 1937 I I 291/36). Aber das Erfüllungsgeschäft ist nicht nichtig, wenn zur Zeit der Erfüllung die Voraussetzungen des Wuchers nicht mehr vorliegen. Wohl aber kann der Bewucherte seine auf Grund des wucherischen nichtigen Geschäfts bewirkte Leistung gemäß § 812 zurückfordern, es sei denn, daß er im Zeitpunkte der Leistung gewußt hat, daß er zur Leistung nicht verpflichtet sei (§ 814), was zu behaupten Sache des Gläubigers ist. Daher darf auch ein Schuldner, der etwa einen Wechsel zur Erfüllung eines wucherischen Vertrags gegeben hat, unter den entsprechenden Voraussetzungen die Leistung aus dem Wechsel verweigern (RG 29. 10. 1921 V 168/21; R G WarnRspr 1909 Nr. 295). Ist das Hauptgeschäft, z. B. ein Darlehnsvertrag, wegen Wuchers nichtig, dann ist es auch die für die Hauptschuld übernommene Bürgschaft (RG H R R 1930 Nr. 498) und die zur Sicherung der Hauptschuld erfolgte Abtretung einer Forderung (RG J W 1937, 1233). A n m . 11 3. A n f e c h t u n g s g r ü n d e Bloße Anfechtungsgründe ergeben n o c h k e i n e N i c h t i g k e i t a u s § 138. Äußert sich insbesondere die sittenwidrige Handlungsweise nur darin, daß eine unzulässige Willensbeeinflussung durch a r g l i s t i g e T ä u s c h u n g o d e r D r o h u n g stattfindet, dann kommt nur die Anfechtbarkeit des Geschäfts in Frage (RG 69, 145; 1 1 4 , 338; 1 1 5 , 3 8 2 ; R G J W 1908,710; 1 9 1 3 , 1 1 4 4 ; 1937,609; R G WarnRspr 1917 N r . 2 3 4 ; R G SeuffArch 75 Nr. 86; R A G WarnRspr 1937 Nr. 62). Denn die Anwendung des § 138 fordert, daß das Geschäft selbst gegen die guten Sitten verstößt und sie kann also nicht darauf gegründet werden, daß die eine Partei die andere arglistig zum Abschlüsse des Geschäfts bestimmt hat (RG 64, 1 8 1 ; 72, 2 1 6 ; 74, 226; 1 1 5 , 383; R G J W 1908, 7 1 0 ; 1 9 1 2 , 1 3 3 ; 1927» 2571). Möglich ist es jedoch, daß bei Vorhandensein von Anfechtungsgründen zugleich der Gesamtcharakter des Rechtsgeschäfts sich ändert und dieses zu einem sittenwidrigen wird (RG 1 1 4 , 338; R G WarnRspr 1917 Nr. 234; R G J W 1923, 922; R G SeuffArch 78 Nr. i n , dazu jetzt auch B G H J Z 1 9 5 1 , 686). Für das Verhältnis der Anwendung der §§ 138, 826 zur Anfechtung im Konkurs und außerhalb des Konkurses s. R G 74, 227; 170, 328 (332); R G WarnRspr 1910 Nr. 20; 1929 Nr. 164; 1932 Nr. 1 1 3 ; auch R G H R R 1936 Nr. 364. Allein der Umstand, daß ein Vertrag von beiden Parteien mit verschiedener Begründung angefochten wird, berechtigt das Gericht noch nicht, ohne Prüfung des Anfechtungstatbestandes von der Nichtigkeit des Vertrages auszugehen ( B G H N J W 1958, 1968).

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§138 Anm. 12—14

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 12 4. Folgen der Nichtigkeit Ist ein Rechtsgeschäft nichtig, dann kann dem die Erfüllung Verweigernden auch nicht die Einrede der Arglist entgegengehalten werden ( R G WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 273; R G L Z 1927,448). Die Nichtigkeit ist n i c h t h e i l b a r ; namentlich nicht durch eine Veränderung der Umstände oder durch Entgegenkommen des andern Teiles ( R G L Z 1 9 1 9 , 790); auch nicht durch Verzicht oder Anerkennung des durch das Rechtsgeschäft Beschwerten ( R G 64, 149; R G J W 1905, 639). D a das Rechtsgeschäft gegebenenfalls unbedingt nichtig ist, kann auch derjenige Beteiligte die Nichtigkeit geltend machen, dessen Handlungsweise ebenfalls gegen die guten Sitten verstoßen hat.

Anm. 13 IV. Anwendung des § 138 1. Im Bürgerlichen Recht Die Bestimmung ist auf j e d e A r t v o n R e c h t s g e s c h ä f t e n anwendbar, so auch auf Kündigungen, Mahnungen u. a. m. Nach Aufhebung des § 48 Abs. 2 TestG gilt die Bestimmung auch wieder allgemein für letztwillige Verfügungen. Auch ein Erbvertrag kann wegen Sittenverstoßes nichtig sein (vgl. B G H L M Nr. 1 [Bc] zu § 1 3 8 ; vgl. auch oben Anm. 4). N i c h t anzuwenden ist § 138 auf B e i t r i t t s e r k l ä r u n g e n z u K a p i t a l - u n d P e r s o n a l g e s e l l s c h a f t e n , ebenso nicht auf die B e s c h l u ß f a s s u n g e i n e r G e n e r a l v e r s a m m l u n g e i n e r A G . Ob solche Beschlüsse nichtig sind, richtet sich nach den Bestimmungen des Aktiengesetzes (§ 195 Ziff. 4 A k t G ; R G 75, 243; 91, 3 1 3 ; 1 1 5 , 378; 1 1 8 , 67; 124» 306; 1 3 1 , 1 4 5 ; R G J W 1929, 1 3 6 7 ; 1934, 1493). Nach § 195 Ziff. 4 A k t G ist ein Beschluß nichtig, wenn s e i n I n h a l t sittenwidrig ist. Das gleiche gilt auch für sittenwidrige Gesellschafterbeschlüsse einer G m b H , obgleich es für diese Gesellschaft im Gesetz an einer dem § 195 Ziff. 4 A k t G entsprechenden Bestimmung fehlt (vgl. hierzu R G 1 3 1 , 1 4 1 ; 166, 129; B G H 1 1 , 2 3 1 ; B G H 15, 382). Die Regelung, die in den R ü c k e r s t a t t u n g s g e s e t z e n der einzelnen Besatzungszonen getroffen worden ist, schließt eine Rückforderung nach allgemein Bürgerlichem Recht wegen Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit für gewöhnliche Entziehungsfälle aus ( B G H 10, 340). Nach § 138 ist aber der zu einer schweren Entziehung durch Gewährung eines Darlehns geleistete B e i s t a n d zu beurteilen. Dieser kann ein Verstoß gegen die guten Sitten sein, wenn der Darlehnsgeber selbst mit der Hingabe des Geldes einen Sittenverstoß herbeiführen, fördern oder zu eigenem Vorteil ausnützen wollte ( B G H L M Nr. 2 [ A a ] zu § 138 = BB 1954, 164). Der Unterschied zwischen § 138 und § 826 besteht darin, daß nach § 138 Abs. 1 der Abschluß eines Rechtsgeschäfts verlangt wird, während nach § 826 ein Verhalten des Schädigers genügt ( R G 143, 48).

Anm. 14 2. Anwendung i m öffentlichen Recht Die Grundsätze des § 138 sind auch im öffentlichen Recht a n w e n d b a r ( R G 134, 1 6 3 ; R G J W 1938, 43), jedoch können die Gerichte Hoheitsmaßnahmen unter diesem Gesichtspunkt nicht nachprüfen ( R G 164, 176). Sittenwidrig ist die Ausnutzung der Monopolstellung einer Stadt in bezug auf die Versorgung mit Elektrizität ( R G m , 310). Sittenwidrig ist auch, wenn die Erfüllung von Amtsobliegenheiten mit wirtschaftlichen Gegenleistungen des Gesuchstellers gekoppelt werden. So kann es sittenwidrig sein, wenn eine Gemeinde ein Baugesuch dazu benutzt, um sich durch Druck auf den Gesuchsteller eine gewünschte Anlage an der Uferpromenade zu verschaffen ( R G J W 1933, 2 1 1 6 ) . Nicht zu beanstanden ist es aber, wenn eine Gemeinde ihre Einwilligung von zu einer beantragten Bauerlaubnis von Bedingungen wirtschaftlicher Art, insbesondere der Abtretung der zu Straßen und Plätzen benötigten Grundfläche oder von anderen der Regelung einer Fluchtlinie dienenden Zusagen abhängig macht, sofern sie dabei nicht ihre obrigkeitliche Gewalt mißbraucht, um sich übermäßige Vorteile zu verschaffen ( R G 133, 3 6 1 ; 134, 25).

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§138

Anm. 15—17 Ebenso ist es nicht sittenwidrig, wenn eine Gemeinde die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung von einer Bausperre von wirtschaftlichen Leistungen und Auflagen an den Bauherrn abhängig macht, falls die Bedingungen mit den Zwecken der Bausperre in einem inneren Zusammenhang stehen und der Bauherr nicht schlechter gestellt ist, als wenn eine Enteignung durchgeführt werden würde (BGH 26, 84).

Anm. 15 3. Zeitliche Geltung des § 138 Der § 138 hat insofern rückwirkende Kraft, als den betreffenden Ansprüchen keinerlei Rechtsschutz gewährt werden kann (RG J W 1910, 62; 1907, 167; vgl. oben Anm. 3). Die rückwirkende Kraft dürfte aber nicht soweit gehen, daß auch die Beseitigung des vor dem Inkrafttreten des BGB bereits eingetretenen Rechtszustandes verlangt werden könnte.

Anm. 16 4. Revisibilität Die Nichtigkeit ist v o n A m t s w e g e n zu prüfen. Sie kann deshalb auch von dem Teil, der sich selbst eines Vorstoßes gegen die guten Sitten schuldig gemacht hat, geltend gemacht werden, ohne daß ihm, wie im Falle einer von ihm herbeigeführten Formwidrigkeit, die Einrede der allgemeinen Arglist entgegengehalten werden könnte (RG 160, 52; auch 162, 323; vgl. auch Anm. zu § 125). Die Frage, ob ein Vertrag gegen die guten Sitten verstößt, ist eine R e c h t s f r a g e , die auch vom Revisionsgericht nachgeprüft werden kann (RG 160,52;BGH L M Nr. 2 [Cd] zu § 138 = FamRZ 1954, 195). Das Revisionsgericht muß auch prüfen, ob die festgestellten tatsächlichen Umstände dem Maße von Anstand und Sitte widersprechen, das auch von einem Durchschnittsmenschen verlangt werden kann (RG 67, 101; 128, 95; 160, 56). Auch der Begriff der Notlage beim Wucher ist ein Rechtsbegriff (RG J W 1905, 75; 1909, 45). Das rechtskräftige Urteil hindert zwar die nachträgliche Erhebung des Einwands aus § 138 (§ 767 ZPO). Es vermag jedoch keinesfalls das an sich sittenwidrige Rechtsgeschäft umzugestalten und zu einem statthaften zu machen. Es steht daher Dritten, insbesondere dem Einwand des Bürgen aus § 767 nicht entgegen (vgl. RG 56, 109 u. RG Gruchot 53, 908, ein Anerkenntnisurteil betreffend). Ist das Urteil selbst in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise herbeigeführt worden, dann steht dem Verurteilten der Rechtsbehelf aus den §§ 826, 249 zu, wonach er die materielle Wirksamkeit des Urteils beseitigen kann (vgl. näheres Anm. zu § 826).

Anm. 17 B. Sittenverstoß nur eines Geschäftspartners I. Das Wuchergeschäft 1. Allgemeines Das Wuchergeschäft stellt, wie sich aus dem Wort „insbesondere" ergibt, einen Sonderfall des sittenwidrigen R e c h t s g e s c h ä f t e s dar und bezeichnet nur eine bestimmte Anwendung von § 138 Abs. 1. Sofern eines der Merkmale des Wuchers fehlt, kann nur in Frage kommen, ob sich das Geschäft aus anderen Gründen als ein sittenwidriges darstellt (RG 64, 1 8 1 ; 72, 61; RG WarnRspr 1909 Nr.94). Dazu reicht, wie schon dargelegt ist (vgl. oben Anm. 6), das Vorhandensein eines auffälligen Mißverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung nicht aus, es müssen vielmehr noch andere Umstände hinzukommen, die außerhalb des Tatbestandes des § 138 Abs. 2 die Anwendung von § 138 Abs. 1 zulassen (RG 64, 1 8 1 ; 83, 1 1 2 ; 93, 28; 97, 254; 103, 27; RG H R R 1934 Nr. 1661; 1935 Nr. 4; RG J W 1936, 1823), s o z - d i e verwerfliche Gesinnung des begünstigten Vertragsteiles, die in der bewußten Ausnützung der schwierigen Lage des anderen Teils liegen kann (BGH L M Nr. 2 [Ba] zu § 138 = NJW 1957, 1274) oder die unerlaubte, sittenwidrige Ausnutzung der Schwierigkeiten des Geld- und Arbeitsmarktes infolge eines Krieges (RG 90, 400; 93, 28, 107; RG WarnRspr 1916 Nr. 2; R G L Z 1921, 216), oder die Bestimmungen in einem Pachtvertrage, wonach bei irgendeiner nicht gehörigen Erfüllung durch den Pächter dieser für den fortlaufenden Pacht-

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A n m . 18—20 zins haftbar bleiben und die geleistete Anzahlung dem Verpächter ohne Gegenleistung verbleiben soll ( R G 103, 37). Ist anderseits der Tatbestand des § 138 Abs. 2 festgestellt, dann bedarf es nicht noch der Prüfung, ob das Rechtsgeschäft gegen die guten Sitten verstößt ( R G 72, 69). In welcher F o r m der W u c h e r äußerlich i n E r s c h e i n u n g t r i t t , ist nach dem Gesetze unwesentlich. Es unterscheidet insbesondere nicht mehr zwischen Sachwucher und Kreditwucher (vgl. die Gesetze betr. den Wucher v. 2. 5. 1880 u. 19. 6. 1893), so daß nach der gegenwärtigen Rechtslage jedes lästige Vermögensgeschäft ein wucherisches sein kann, namentlich: das Darlehn, der K a u f , das Pfandleihgeschäft, der Mietvertrag, Gesellschaftsvertrag (vgl. R G 46, 1 1 2 ; R G WarnRspr 1909 Nr. 387; 1 9 1 1 Nr. 9; 1 9 1 6 Nr. 98), der Dienstvertrag, das Vermittlungsgeschäft. Immer aber muß es sich um Rechtsgeschäfte handeln, bei denen sich Leistung und Gegenleistung gegenüberstehen, was bei einer Bürgschaft regelmäßig nicht zutrifft ( R G H R R 1932 Nr. 1430).

A n m . 18 2. Die subjektiven Voraussetzungen a) Die Ausbeutung Subjektiv erfordert der Wucher vorsätzliches Handeln. Das Erfordernis der Ausbeutung ist erfüllt, wenn der Wucherer bewußt, sei es die Notlage, sei es den Leichtsinn, sei es die Unerfahrenheit eines andern ausnützt ( R G H R R 1928 Nr. 2259). Daß indes auch seine Absicht hierauf gerichtet war, ist nicht erforderlich ( R G 60, 9; 86, 300; R G J W 1907, 167), wie es auch des Nachweises der Arglist nicht bedarf ( R G J W 1905, 366). Die A u s b e u t u n g verlangt auch nicht einmal ein angriffsweises Vorgehen; es genügt die Benutzung einer zufällig gegebenen Gelegenheit ( R G 60, g ; 86, 300; R G J W 1905, 366; 1 9 1 3 , 483; R A G g, 236). Das Erfordernis der Ausbeutung ist aber nicht erfüllt, wenn sich der Gläubiger des Vorhandenseins eines Mißverhältnisses nicht bewußt war ( R G H R R 1928 Nr. 2080; R G 1 1 . 10. 1 9 1 1 V 602/10; R A G 1 7 , 295).

A n m . 19 b) „eines anderen,, Derjenige, dessen Notlage ausgebeutet werden soll, kann auch ein a n d e r e r s e i n a l s d e r V e r t r a g s g e g n e r des Wucherers, sofern nur die Notlage dieses andern für das Geschäft wirtschaftlich bestimmend w a r ; insbesondere dann, wenn der wucherische Vertrag im wirtschaftlichen Interesse eines Dritten abgeschlossen wird und der Wucherer im Bewußtsein dessen die Notlage des Dritten ausbeutet ( R G J W 1 9 1 5 , 574; 1936, 3 2 3 ; R A G 16, 35 [38]; 17, 289). V e r p f l i c h t e n s i c h in einem einheitlichen Vertrage m e h r e r e P e r s o n e n dem Wucherer, sei es als Hauptschuldner, sei es als Bürge, dann reicht es zur Geltendmachung des Einwandes des Wuchers aus, wenn auch nur einem von den mehreren gegenüber Wucher vorliegt ( R G 72, 2 1 8 ; R G Gruchot 54, 886; R G S t 28, 1 1 5 ; 39, 125). Als Wucherer dagegen kann nur der Vertragsteil in Betracht kommen, der der Empfänger des Versprechens war.

A n m . 20 c) Die Notlage Die Tatbestandsmerkmale „Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit" bedeuten im Sinne des Gesetzes verschiedene mögliche Besonderheiten der gleichen Begehungsart ( R G S t 1 7 , 442). Notlage ist nicht jede finanzielle Bedrängnis (vgl. R G L Z 1926, 9 1 7 ; R G H R R 1934 Nr. 1006). D e r B e g r i f f d e r N o t l a g e e r -

fordert eine dringende Not, welche die wirtschaftliche Existenz bedroht. Ob

eine Notlage anderer Art in Betracht kommen kann, hat das Reichsgericht in ständiger Rechtssprechung verneint (vgl. R G J W 1 9 1 1 , 567; 1 9 1 5 , 547; 1937, 2447; B G H L M Nr. 1 zu § 3 0 2 StGB). Eine Notlage vorwiegend politischer Art genügt dann, wenn diese Notlage eine schwere Gefährdung auch der wirtschaftlichen Existenz mit sich bringt ( B G H L M Nr. 1 [ B a ] zu § 138 = BB 54, 175). Der Bundesgerichtshof hat in dieser Entscheidung die Frage, ob es ausreicht, wenn eine Gefahr nur für Leben, Gesundheit oder Ehre besteht, ausdrücklich offen gelassen.

444

Willenserklärung

§138 A n m . 21

Eine Notlage liegt nicht schon dann vor, wenn jemand ein Geschäft verkauft, weil er es wegen schwerer Erkrankung nicht mehr selbst führen kann und es auch nicht auf seine Erben kommen lassen will ( R G SeuffArch 82 Nr. 97). Ferner befindet sich derjenige nicht in einer Notlage, der im Interesse seines gewerblichen Betriebes in einer Großstadt mit starker allgemeiner Raumnot einen Miet- und Aufbauvertrag über nicht preisgebundene R ä u m e abschließt und sich darin verpflichtet, neben der Miete erhebliche nicht erstattungsfähige Aufwendungen für die Herrichtung der R ä u m e zu machen, denn es handelt sich hier nicht um eine nicht auf andere Weise abzuwendende Gefahr für seine wirtschaftliche Existenz ( B G H N J W 1957, 1274). Ein Zustand der Vermögenslosigkeit und Unpfändbarkeit ist noch nicht identisch mit dem Zustande eines dringenden Geldbedarfs zur Abwendung einer die wirtschaftliche Existenz bedrohenden Gefahr ( R G WarnRspr 1 9 1 9 Nr. 92; R A G 9, 236). Für das Vorhandensein einer solchen Gefahr reicht es aber aus, wenn eine wesentüche Verschlimmerung der derzeitigen wirtschaftlichen L a g e droht ( R G 16. 10. 1 9 1 8 V 4 1 / 1 8 ) . Doch kann eine die Existenz des Schuldners gefährdende w i r t s c h a f t l i c h e B e d r ä n g n i s zur Notlage im Sinne des § 138 Abs. 2 erst dann werden, wenn sie sich als Z w a n g z u m A b s c h l u ß d e s w u c h e r i s c h e n G e s c h ä f t s auswirkt; der, dessen Notlage ausgebeutet wird, braucht aber nicht der Vertragsgegner des Wucherers zu sein ( R G J W 1936, 323). Nach alledem kann nur bei Vermögensgeschäften von Wucher die R e d e sein, auch bei einem Erbschaftsentsagungsvertrage mithin lediglich unter ganz besonderen Umständen ( R G J W 1907, 167). Völlige Vermögenslosigkeit, unbedingter Mangel an Kredit und Zahlungsmittel ist kein Erfordernis, vielmehr genügt eine finanzielle Bedrängnis, ein unabweisliches Kreditbedürfnis, eine augenblickliche, anders nicht zu beseitigende Geldverlegenheit ( R G J W 1 9 1 1 , 576; R A G 9, 236; s. auch R G S t 7 1 , 325). Völlige wirtschaftliche Abhängigkeit der eben volljährig gewordenen Kinder erster Ehe gegenüber dem in zweiter Ehe stehenden Vater siehe R G J W 1937, 25.

A n m . 21 Die N o t l a g e m u ß t a t s ä c h l i c h (und zwar bei Abschluß des Rechtsgeschäftes; R G J W 1930, 8 3 1 ) v o r h a n d e n sein. Eine augenblicklich drängende Not genügt ( R G SeuffArch 64 Nr. 180). Eine nur eingebildete Notlage reicht nicht aus ( R G S t 28, 290). Steht nur die Beschaffung oder Erhaltung von Gewinn in Frage, handelt es sich somit nur um S p e k u l a t i o n s z w e c k e , so liegt keine Notlage vor. Wohl aber ist sie denkbar, auch wenn jemand Mittel zu Erwerbszwecken braucht, sofern nur von deren Erfüllung seine wirtschaftliche Existenz abhängt ( R G S t 4, 390 fr), und es muß sich auch um die Erhaltung eines bereits bestehenden, nunmehr gefährdeten Betriebes handeln ( R G J W 1919, 102). Es muß auch das wirtschaftliche Dasein überhaupt und nicht nur die Erfüllbarkeit der Aussicht auf Erwerb bedroht sein. Bei Spekulationsgeschäften ist auch ein auffälliges Mißverhältnis zwischen den beiderseitigen Leistungen nicht schon aus der objektiven Ungleichheit herzuleiten ( R G J W 1909, 2 1 5 ) . Auch bei Stundungen kann eine Notlage in Frage stehen ( R G S t 4, 390). Möglich ist es, daß sich eine wohlhabende Persönlichkeit im entscheidenden Zeitpunkte im Notstande befand ( R G H R R 1928 Nr. 2080). Notlage ist auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil der Bewucherte noch Sachen hat, die er zur Befriedigung des Gläubigers verwenden kann. Es kommt darauf an, ob ihm die Sachen nach den für seine Zukunft gefaßten Plänen unentbehrlich sind ( R G J W 1908, 142). Besaß aber der angebliche Bewucherte Vermögensstücke, durch deren Verwertung (Verpfändung) er sich möglicherweise hätte Geldmittel verschaffen können, dann gehört zum Nachweise der Notlage die Darlegung der Bemühungen, die er zur Beschaffung des Kapitals vergeblich angestellt hat ( R G SeuffArch 69 Nr. 232). Unter Umständen darf der Richter schon allein aus der Vornahme des wucherischen Geschäfts daraufschließen, daß es wegen eines vorliegenden Notstandes (oder aus Leichtsinn) abgeschlossen worden, nämlich dann, wenn das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ein so ungeheuerliches ist, daß die Annahme begründet scheint, es müßten die gesetzlich erforderten Voraussetzungen eines Notstandes (oder des Leichtsinns) vorgelegen haben ( R G 29. 10. 1921 V 168/21). Darlehnswucher unter Aus-

445

§138 Anm. 22—24

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

beutung einer Notlage der Darlehnsnehmer beim Zwecksparvertrag s. R G J W 1937, 2447, s. auch ebenda 2450.

Anm. 22 Auch bei einer P e r s o n e n m e h r h e i t ( G e s e l l s c h a f t o d e r j u r i s t i s c h e n P e r s o n ) kann eine NoÜage bestehen und sich dahin äußern, daß die dringende Gefahr der Liquidation und somit die Aufgabe der unwirtschaftlich gewordenen Existenz obwaltet ( R G 93, 28; R G SeuffArch 80 Nr. 2), so daß bei einer juristischen Person des Privatrechts (einer Aktiengesellschaft) ihre Existenz wegen Überschuldung und deswegen erforderlicher Konkursanmeldung gefährdet ist ( R G 98, 324).

Anm. 23 d) Der Leichtsinn Der Leichtsinn zeigt sich darin, daß der Handelnde den Folgen seines Tuns aus

Sorglosigkeit oder aus Mangel an genügender Überlegung die ihnen zukommende

Bedeutung nicht beilegt. E r muß bei dem in Frage stehenden Geschäft hervorgetreten sein, während es auf die sonstige Lebensweise des Betreffenden nicht ankommt ( R G S t 27, 18; R G WarnRspr 1 9 1 6 Nr. 128). Auch schon der Beweggrund kann auf Leichtsinn beruhen ( R G J W 1908, 1 4 2 ; R G SeuffArch 64 Nr. 2). Der Leichtsinn kann sich auch gerade darin zeigen, daß der Schuldner den Vertrag ohne Kenntnis seiner Einzelheiten oder des Wertverhältnisses zwischen den Vertragsgegenständen eingeht. Die Tatsache, daß sich das Geschäft in der Folge als sehr nachteilig erweist und diese Folgen bei ruhiger Überlegung auch voraussehbar gewesen wären, reicht zur Feststellung des Leichtsinns nicht aus, zumal bei Spekulationsgeschäften ( R G WarnRspr 1 9 1 6 Nr. 195). Leichtsinn ist es auch nicht, wenn jemand schwere Lasten auf sich nimmt, um sich damit die Erhaltung seiner Existenz zu erkaufen ( R G L Z 1926, 918 3 ). Ist das Geschäft durch einen Bevollmächtigten abgeschlossen worden, dann ist gegebenenfalls dessen Leichtsinn entscheidend; anders im Falle auftragloser Geschäftsführung, weil hier die Wirksamkeit des Geschäfts erst von der Entschließung und Genehmigung des Geschäftsherrn abhängt ( R G 9. 10. 1 9 1 5 V 130/15).

Anm. 24 e) Die Unerfahrenheit Unerfahrenheit bedeutet M a n g e l a n a l l g e m e i n e r L e b e n s e r f a h r u n g oder auch in geschäftlichen Dingen eines bestimmten Gebiets, also etwa auch nur in landwirtschaftlichen Dingen ( R G 60, 1 0 ; R G WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 1 1 1 ; R G L Z 1926, 8 1 9 ; 1927, 606). Die Unerfahrenheit ist eine Eigenschaft, sie beruht auf M a n g e l a n L e b e n s e r f a h r u n g u n d a n K e n n t n i s g e s c h ä f t l i c h e r D i n g e überhaupt oder auf einem beschränkten Gebiete menschlichen Wirkens; mangelnde Erfahrung in Ansehung einer besonderen Angelegenheit genügt daher nicht ( R G WarnRspr 1 9 1 6 Nr. 1 2 8 ; 1 9 1 8 Nr. 1 5 7 ; R G H R R 1931 Nr. 196; R A G 5, 52). Auf ihr Vorhandensein kann daraus geschlossen werden, daß der Handelnde die vorhandene und naheliegende Möglichkeit, sich Mittel auf andere, weit günstigere Art zu verschaffen, infolge mangelnder Geschäftskenntnis und Lebenserfahrung nicht benutzt hat ( R G S t 25, 3 1 9 ; R G 6 0 , 9; 6 4 , 1 8 1 ; R G J W 1 9 1 3 , 4 8 3 ) . Unerfahrenheit im Sinne des § 138 Abs. 2 konnte auch die Unkenntnis in bezug auf den Einfluß der Geldentwertung auf die Grundstückspreise sein (RG L Z 1926, 819, auch R G 23. 2. 1924 V 350/23). Mißbrauch der Unerfahrenheit eines Hypothekenschuldners durch den Gläubiger zum Zwecke der Erlangung einer das gesetzliche M a ß um ein vielfaches übersteigenden Aufwertung s. R G J W 1931, 602. Kreditbetrug des Darlehnsnehmers unter Ausnutzung der Unerfahrenheit des Kreditgebers ist nicht Wucher ( R G J W 1932, 3054). Daß der Bewucherte sich durch ein Gefühl der Dankbarkeit hat zum Abschluß bestimmen lassen, schließt nicht aus, daß er einer Ausbeutung seiner Unerfahrenheit zum Opfer gefallen ist ( R G H R R 1930 Nr. 693). Ausbeutung der Unerfahrenheit eben volljährig gewordener, von ihm wirtschaftlich völlig abhängiger Kinder erster Ehe durch den Vater zu seinem und seiner zweiten Ehefrau ungebührlichem Vorteil s. R G J W 1937, 25. Bei der Würdigung, ob Unerfahrenheit auf einer

446

Willenserklärung

§138

Anm. 25, 26

Vertragsseite vorliegt, kommt es, wenn ein V e r t r e t e r den Vertrag für diese abgeschlossen hat, auf seine Unerfahrenheit an ( R G ig. 12. 1934 I 153/34). — Die Ausbeutung eines geistig Minderwertigen verstößt noch mehr gegen die guten Sitten als die Ausbeutung der Unerfahrenheit ( R G 67, 393).

Anm. 25 3. Die objektiven Voraussetzungen, das auffällige Mißverhältnis Objektiv setzt das Wuchergeschäft ein M i ß v e r h ä l t n i s z w i s c h e n dem V e r m ö g e n s v o r t e i l und der L e i s t u n g voraus. Das Merkmal des Mißverhältnisses ist ein objektives und von den subjektiven Vorstellungen des Wucherers unabhängig. Das Bewußtsein der Ausbeutung gehört zu den subjektiven Erfordernissen des Tatbestandes ( R G 60, 1 1 ; 86, 300; R G WarnRspr 1 9 1 8 Nr. 23). Objektiv kommen neben dem Verkehrsüblichen anderseits auch die besondern Umstände (Risiko, Sanierungszweck) in Betracht ( R G J W 1909, 2 1 5 ) . Eine lex commissoria im Sinne des § 1229 kann, da sie an sich nichtig ist, zur Begründung des Wuchers nicht dienen ( R G J W 1909, 719). Als V e r m ö g e n s v o r t e i l k a n n auch die Möglichkeit, über fremdes Vermögen zu eigenem Nutzen zu verfügen, angesehen werden ( R G WarnRspr 1 9 1 9 Nr. 108). Ein unwiderrufliches Grundstückskaufangebot als Vermögensvorteil im Sinne des § 138 Abs. 2 s. H R R 1930 Nr. 1089. Es kommen außer dem objektiven Werte der beiderteitigen Leistungen auch die s u b j e k t i v e n V e r h ä l t n i s s e d e s B e w u c h e r t e n in Besracht ( R G J W 1905, 366); beispielsweise der Umstand, daß der Bewucherte, um vom Wucherer überhaupt Geld zu erlangen, genötigt wird, Sachen käuflich zu übernehmen, die für ihn unverwertbar sind ( R G 28. 1 1 . 1906 V 134/06).

Anm. 26 Bei der Frage, ob ein Mißverhältnis vorliegt, kommt es auf den W e r t der versprochenen Gegenleistung an, nicht aber darauf, was sich bei der demnächst durchgeführten Verwertung der beiderseitigen Leistungen ergibt ( R G J W 1918, 424; R G SeuffArch 80 Nr. 2; R A G 16, 35). Ob ein Mißverhältnis vorliegt, ergibt ein Vergleich der objektiven Werte der beiderseitigen Leistungen ( B G H L M Nr. 1 [ B a ] zu § 138 = BB 1954, 175). Entscheidend ist nicht allein der Nennwert der Leistung des Bewucherten. Bei der Bemessung des Wertes seiner Leistung sind vielmehr auch seine Vermögensverhältnisse maßgebend, so daß seine Leistung gegebenenfalls gar keinen Wert haben kann ( R G J W 1 9 1 3 , 424; 1918, 168; R G 28. 1 1 . 1 9 1 7 V 3 1 8 / 1 7 ) . Eine Minderung des Wertes der Leistung für den Bewucherten, die sich aus der Notlage ergibt, darf aber nicht berücksichtigt werden ( B G H L M Nr. 1 [ B a ] zu § 138 = BB 1954, 175). Der U m stand, daß eine Partei die vertraglich in normaler Höhe festgesetzte Leistung aus Mangel an Mitteln nicht bewirken kann und ihr Versprechen deshalb keinen Wert hat, vermag die Annahme eines auffälligen Mißverhältnisses der Leistungen noch nicht zu begründen ( R G 6. 7. 1932 V 168/32). Bei Abwägung des Mißverhältnisses sind im übrigen die im Z e i t p u n k t e d e s G e s c h ä f t s a b s c h l u s s e s vorhandenen Verhältnisse ins Auge zu fassen, und es kann sich daher der Wucherer nicht darauf berufen, wenn die empfangene Leistung nachträglich an Wert verliert, wie anderseits auch der angeblich Bewucherte nicht geltend machen kann, daß die von ihm hingegebenen Vermögensstücke eine unerwartete Wertsteigerung erfahren hätten ( R G 86, 296). Belanglos sind auch die Folgen einer nachträglichen in ihrem Ausmaß nicht voraussehbaren Folgen der Geldentwertung ( R G 130, 1 4 3 : Mietvertrag vom Februar 1 9 2 3 ; R G L Z 1924, 739). Bei der Beurteilung von Geschäften während und nach der Inflation waren die besonderen wirtschaftlichen Verhältnisse der damaligen Zeit zu berücksichtigen. Ob das Mißverhältnis ein auffälliges, ist von Fall zu Fall zu beurteilen, und zwar nach den Umständen, die zur Zeit der Eingehung des Geschäfts bestanden. Das Vorhandensein des Merkmals wird auch dadurch nicht nachträglich wieder beseitigt, daß in der Folge Ereignisse eintreten, die das Verhältnis zwischen dem Werte der beiderseitigen Leistungen anders gestalten ( R G 13. 6. 1906 I 50/06).

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§ 138

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 27, 28 Anm. 27 4. Rechtsbehelfe des Bewucherten

Bei der Frage nach den Rechtsbehelfen, die dem Bewucherten zur Seite stehen, ist zu beachten, d a ß grundsätzlich die Nichtigkeit des Grundgeschäftes auch das Erfüllungsgeschäft ergreift (vgl. hierzu Anm. i6ff zu § 125 und Anm. 8 oben). Die Art des Anspruchs des B e w u c h e r t e n hängt davon ab, ob mit der Leistung eine Vermögensverschiebung eingetreten ist oder nicht. Unter den im § 125 a a O angegebenen Voraussetzungen können dem Bewucherten folgende Ansprüche zustehen: a) die Ber e i c h e r u n g s k l a g e aus § 812 auf Rückgewährung dessen, was der Wucherer auf Kosten des Bewucherten erlangt hat, auf das mithin, was der erstere mehr empfangen hat, als er gegeben (RG WarnRspr 1911 Nr. 325; 1915 Nr. 199), d a die Leistung des Bewucherten (regelmäßig) nicht eine Sittenwidrigkeit darstellt, und ihm daher auch nicht der Ausnahmefall des § 817 Satz 2 entgegensteht (RG SeuffArch 70 Nr. 120); b) gegebenenfalls die dingliche Klage aus §985 (RG 6 3 , 1 8 4 ; 7 2 , 6 3 ; 75,76); c) die Klage auf Schadensersatz aus §826 (RAG 16,35). I s t der Wucherer zur Herausgabe der empfangenen Sache außerstande, so haftet er auf Ersatz des Wertes gemäß §§818, 819, 989, und für die Berechnung des Ersatzes ist der Wert der Sache zur Zeit der Annahme der Leistung maßgebend (RG 21. 12. 1906 II 254/06). Der W u c h e r e r kann ebenfalls das zurückverlangen, was er gewährt hat ( R G J W1900,347, für altes Recht), allerdings nicht mit der Vertragsklage, aber mittels des Bereicherungsanspruchs aus § 8 1 2 . Was die Anwendbarkeit des § 817 betrifft, so hat der Große Senat des Reichsgerichts für Zivilsachen in seinem Beschluß v. 30. 6. 1939 (RG 161, 52) zwei ihm vorgelegte Fragen wie folgt, beantwortet: „1. Bei einem nach § 138 Abs. 2 BGB nichtigen Darlehn wird dem Darlehnsgeber durch die Vorschrift des § 8 1 7 Satz 2 die Rückforderung der Darlehnssumme nicht schlechthin verwehrt; er kann aber den darlehnsweise hingegebenen Betrag trotz der Nichtigkeit des Darlehns nicht früher zurückverlangen, als es bei dessen Gültigkeit geschehen könnte. 2. Gleiches gilt, wenn ein gegen übermäßiges Entgelt gewährtes Darlehn deswegen nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist, weil sich der Darlehnsgeber b ö s w i l l i g der Erkenntnis der mißlichen Lage des Darlehnsnehmers verschlossen hat (RG 150 S- 1 [7])-" Versagt ist dem Wucherer die Aufrechnung mit seiner Forderung gemäß § 393 ( R G 21. 12. 1906 II 254/06). Über die Bestätigung eines wucherischen Geschäfts vgl. § 1 4 1 Abs. 2.

Anm. 28 II. Andere Knebelungs- und Ausbeutungsgeschäfte Sittenwidrig sind Geschäfte, in denen ein Geschäftspartner die wirtschaftlich schwächere L a g e des anderen, seine geistige Schwäche, Minderwertigkeit oder seine Angst ausnützt oder ihn in persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht beschränkt oder völlig von sich abhängig macht; wenn also eine M a c h t - o d e r Monopolstellung m i ß b r a u c h t wird. Sittenwidrig ist es daher, wenn der Inhaber eines für den Verkehr unentbehrlichen Gewerbes die zu seinen Gunsten bestehende Monopolstellung dazu mißbraucht, um dem allgemeinen Verkehr aus Eigennutz unbillige Opfer aufzuerlegen (RG 62, 364; 99, 109; 102, 396; 103, 82; 106, 386; 132, 305; 143, 24; RG LZ 1925, 1395; 1926, 570; 1927, 118, 655, 681; 1931, 2719, 3085; 1932, 743; R G SeuffArch 83 Nr. 203; R G H R R 1928 Nr. 1558; R G LZ Nr. 1925, 271). V e r t r a g s b e d i n g u n g e n , die eine übermäßig hohe Ausnützung der gegebenen Machtstellung enthalten, sind daher nichtig (RG 99, 190; vgl. auch B G H N J W 1958, 1772). Sittenwidrig ist der Mißbrauch eines tatsächlichen Monopols durch ein Kraftwerk, das beim Abschluß eines Stromlieferungsvertrages Schadensersatzansprüche aus der Nichteinhaltung eines früher mit einem anderen Stromlieferer vereinbarten Lieferverbotes auf den Vertragsgegner (Gemeinde) abwälzt (RG 143, 24). Über unsittliche Ausnutzung eines tatsächlichen Monopols für die Überlassung von Standplätzen an Straßenhändler vgl. B G H 19, 85, 93 ff. Derartige Bedingungen können in den allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten sein.

448

Willenserklärung

§138 Anm. 29, 30

Anm. 29 1. Freizeichnungsklauseln Die in den Geschäfts- oder Lieferungsbedingungen enthaltenen oder in einzelnen Verträgen vereinbarten Bestimmungen über H a f t u n g s a u s s c h l u ß oder H a f t u n g s e r l e i c h t e r u n g sind an sich zulässig. Sie sind aber sittenwidrig, wenn damit die Ausnützung einer Monopol- oder Machtstellung verbunden ist, unter deren Druck der andere sich zu einer unangemessenen und unbilligen Haftungserleichterung bereitfinden muß ( R G

142, 24; B G H L M Nr. 1 [Bb] zu §138 = BB 1952, 385; B G H N J W 1956, 1065). So ist es

z. B. unzulässig, wenn die sämtlichen Spediteure eines bestimmten Bezirkes oder auch nur die Angehörigen einer Gruppe, auf deren Inanspruchnahme ein bestimmter Kreis der Geschäftswelt bei der Abwicklung seiner Geschäfte angewiesen ist, ihre Haftpflicht auch für den Fall eigenen Verschuldens ausschließen oder auf einen verhältnismäßig geringfügigen Betrag beschränken ( R G 103, 82; 1 1 5 , 2 1 8 ; R G J W 1927, 1588; R G SeuffArch 79 Nr. 1 0 1 ) . Eine solche Beschränkung wird auch nicht dadurch zulässig, daß die Spediteure sich erbieten, auf Kosten des Auftraggebers das in Frage stehende Gut zu versichern ( R G 106, 386). Grundsätzlich ist jedoch nicht unzulässig, in allgemeinen Lieferungsbedingungen die Haftung für jede Fahrlässigkeit, also auch für grobe Fahrlässigkeit auszuschließen ( R G 168, 329; hier auch zum Einwand der unzulässigen Rechtsausübung, wenn die Freizeichnung von der Haftung für Verzögerungsschäden auf Grund allgemeiner Lieferungsbedingungen geltend gemacht wird). Sittenwidrig ist aber beim Seefrachtvertrag die Freizeichnung von der Haftung für verschuldete Seeund Ladeuntüchtigkeit ( B G H N J W 1956, 1065 = L M Nr. 1 [ C c ] zu § 138). Eine Ausnützung der wirtschaftlichen Vormachtstellung durch eine Unternehmergruppe kann auch dann vorliegen und der bedungene Haftungsausschluß daher sittenwidrig sein, wenn die Mitglieder der Gruppe gegenseitig nicht gebunden sind ( R G SeuffArch 89 Nr. 122 betr. Freizeichnungsklauseln von Werften). Der Ausschluß oder die Beschränkung der Haftung für Verschulden eines l e i t e n d e n A n g e s t e l l t e n ist ebenso zu behandeln wie der Ausschluß oder die Beschränkung der Haftung für eigenes Verschulden des Unternehmers ( R G 102, 396). I m allgemeinen kann der Unternehmer sich von einer Haftung für Verschulden des leitenden Angestellten jedoch nicht freizeichnen ( B G H N J W 1956, 1065 = L M Nr. 1 [ C c ] zu § 138, vgl. dort auch über den Begriff des leitenden Angestellten). Z u r Frage, wann die Berufung auf die Haftungsbegrenzung der Spediteure nach § 54 Abs. a Ziff. 2 A D S p bei gröblichem Verstoß des Spediteurs selbst oder seines leitenden Angestellten gegen T r e u und Glauben verstößt vgl. B G H N J W 1956, 908. Eine Vereinbarung, wonach dem Spediteur wegen aller seiner Ansprüche gegen den Auftraggeber, auch soweit sie nicht mit der Spedition des Gutes zusammenhängen, ein Pfand- und Zurückbehaltungsrecht an dem in seiner Verfügungsgewalt befindlichen Gütern, auch den nicht im Eigentum des Auftraggebers stehenden, haben soll, ist wegen Verstoßes gegen § 138 nichtig ( B G H 17, i abweichend von R G 1 1 3 , 427 und 1 1 8 , 250). Wirksam und nicht sittenwidrig ist unbeschadet der Vorschrift des § 276 Abs. 2 die vertragliche Ausschließung jeder Haftung einer gewerbsmäßigen Auskunftei für die Folgen der Entschließung, die auf Grund ihrer Auskünfte getroffen werden ( R G 1 1 5 , 122; R G SeuffArch 85 Nr. 172). Die Berufung einer Bank auf eine Freizeichnungsklausel kann als mißbräuchliche Rechtsausübung unbeachtlich sein, wenn es nach den besonderen Umständen des Einzelfalles mit Treu und Glauben unvereinbar ist, daß sich die Bank der Verantwortung für ihr Handeln entzieht ( B G H 13, 198 für Ausschluß der Haftung aus Auskünften und Empfehlungen). Über Grenzen der Haftungsbeschränkung einer Bank vgl. auch B G H 13, 127. Uber die Auslegung von Freizeichnungsklauseln vgl. Anm. 23 zu § 157.

Anm. 30 2. Knebelungsverträge Unter K n e b e l u n g s v e r t r ä g e n sind solche Verträge zu verstehen, durch welche der

Schuldner zugunsten des Gläubigers seiner wirtschaftlichen Freiheit b e r a u b t oder doch in einer übermäßig harten und drückenden Weise beschränkt wird. Bei der Prü-

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§ 138

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 31, 32 fung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, sind die gesamten Umstände des Einzelfalles und die Belange beider Vertragsparteien in Betracht zu ziehen ( R G 63, 297, 336, 390; 67, 1 0 2 ; 76, 78; 130, 1 4 3 ; 152, 2 5 7 ; 160, 2 6 4 f ; 165, 1 5 ; R G J W 1909, 4 1 2 ; 1910, 6 2 ;

R G W a r n R s p r i g i 2 N r . 142; 1918 Nr. 1 ; 1 9 2 7 ^ . 157; R G SeufFArch 80 Nr. 2 1 ; R A G J W 1935, 1350). Nicht notwendig ist in diesen Fällen, daß der wirtschaftlich Stärkere auch die A b s i c h t hat, den anderen Teil zu schädigen. Es genügt zur Sittenwidrigkeit, daß die wirtschaftliche Unfreiheit des anderen herbeigeführt wird ( R G J W 1919, 443). Ein Vertrag, durch den der Schuldner völlig unselbständig gemacht wird, ist jedoch dann nicht sittenwidrig, wenn der Gläubiger die wirkliche Vermögenslage des Schuldners nicht kennt ( R G J W 1928, 52). Ein Knebelungsgeschäft und damit sittenwidrig kann auch ein Vertrag sein, durch den sich der Gläubiger die ganze Habe einer alten, erwerbsunfähigen Frau übertragen läßt ( R G J W 1928, 2972).

Anm. 31 a) Bierlieferungsverträge B i e r l i e f e r u n g s v e r t r ä g e sind nur dann sittenwidrig, wenn der Gastwirt gegenüber der Brauerei seine wirtschaftliche Selbständigkeit verliert oder darin stark eingeschränkt wird ( R G J W 1936, 569). Dies kann der Fall sein, wenn ein Wirt zum Bierbezuge auf lange J a h r e unter solchen Bedingungen verpflichtet wird, daß „nach der Gesamtwirkung aller Umstände" eine übermäßige Beschränkung in seiner wirtschaftlichen Freiheit entsteht ( R G 63, 297, 336, 390; R G 67, 102; 76, 78; 152, 2 5 1 ; R G J W 1909, 4 ! 2 ; 1 9 1 0 , 62; 1935, 2553, 3 2 7 1 ; 1936, 569; R G W a r n R s p r 1 9 1 2 Nr. 242; 1936

Nr. 52; R G SeuffArch 80 Nr. 161; R G H R R 1938 Nr. 577). Solche langfristigen Verträge sind jedoch nicht schon an sich sittenwidrig, sondern nur dann, wenn nach Lage des Falles in der Länge der Gebundenheit eine unbillige drückende Härte, eine Knebelung, sei es schon allein für sich, sei es im Zusammenhang mit anderen Bedingungen, gefunden werden muß ( R G J W 1909, 4 1 2 ; 1927, 119; R G WarnRspr 1918 Nr. 223). Zur Frage der Sittenwidrigkeit eines mit einer Darlehnsgewährung verbundenen Bierlieferungsvertrages siehe auch R G J W 1930, 3471. Sehr harte im Bierlieferungsvertrag enthaltene Fälligkeitsklauseln machen aber nicht den ganzen Vertrag nichtig, sie bleiben vielmehr grundsätzlich außer Anwendung, es sei denn, daß seitens des Gastwirts ein vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verstoß gegen diese Klauseln begangen wird ( R G 152, 2 5 1 ; vgl. auch B G H M D R 1952, 222; wo darüber hinaus noch festgestellt wird, daß die Bierlieferungsverträge nicht den Kartellbestimmungen des Besatzungsrechts widersprechen).

Anm. 32 b) Kreditsicherungsgeschäfte Die S i c h e r u n g s ü b e r e i g n u n g ist nur dann sittenwidrig, wenn sie entweder einer Knebelung des Schuldners gleichkommt oder zum Zwecke der Benachteiligung oder zur Täuschung der Gläubiger vorgenommen wird (vgl. R G 143, 48; R G J W 1936, 1955 und wegen der Gläubigerbenachteiligung Anm. 5 7 f f unten). Eine Sicherungsübereignung, durch welche die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit erheblich eingeengt wird und der Schuldner seiner wirtschaftlichen Mittel fast gänzlich beraubt wird, ist sittenwidrig. Dies trifft zu, wenn der Gläubiger einseitig nur auf seine Sicherheit bedacht ist und die schutzwürdigen Interessen des Schuldners völlig außer Acht läßt ( R A G H R R 1930 Nr. 1 1 1 7 ) ; ferner, wenn die Kreditgeberin die Bestellung weiterer Sicherheiten für früher eingeräumte Kredite verlangt und das Unternehmen wirtschaftlich völlig von sich abhängig gemacht hatte, und nach den besonderen Umständen des Falles das Verlangen der Sicherheiten sich als sittenwidrige Ausnützung der wirtschaftlichen Machtstellung oder eines formalen Rechts der Kreditgeberin darstellt ( B G H 19, 1 2 ; 20, 43; B G H L M Nr. 4 [Bb] zu § I 3 8 ; B G H N J W 1957, 1272). Ferner ist Sittenwidrigkeit gegeben, wenn alle außenstehenden Forderungen und alle sonstigen Vermögensstücke, die das ganze oder fast das ganze Vermögen des Schuldners ausmachen, dem Gläubiger zur Sicherheit übertragen werden, während dem Schuldner äußerlich der Schein der Freiheit belassen wird ( R G WarnRspr 1915 Nr. 134; 1916 Nr. 2 7 1 ; 1926

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Willenserklärung

§138

Anm. 33, 34 Nr. 84; 1928 Nr. 34; 1929 Nr. 74; 1930 Nr. 3, 67, 100; RG J W 1917, 282; 1931, 2088p; RGHRR 1929 Nr. 284, 1300, 1719; BGH 19, 12). Sittenwidrig ist ferner ein Sicherungsübereignungsvertrag, bei dem die Verpflichtung durch einen vermögenslosen Geschäftsinhaber übernommen wird, alle gegenwärtigen und alle zukünftigen Forderungen für Waren, die dem Geschäftsinhaber zum Zwecke des Verkaufs geliefert wurden (RG WarnRspr 1914 Nr. 316), einem anderen sicherungshalber zu übereignen (RG Gruchot 55) 883)- Jedoch liegt keine Sittenwidrigkeit vor bei einem Vertrag, der dem Gläubiger Anspruch auf die Abtretung und Forderung in vertraglich bestimmten Umfang gewährt (RG WarnRspr 1930 Nr. 132). Im übrigen ist die Sicherungsübereignung eines ganzen W a r e n l a g e r s an sich, wenn nicht noch weitere Umstände hinzukommen, zulässig (RG 118, 361; 132, 183; RG J W 1911, 576; 1914, 83; 1921, 1363; 1931, 515; RG WarnRspr 1913 Nr. 400; 1917 Nr. 235; 1929 Nr. 165; 1931 Nr. 155; RG LZ 1922, 227). Anm. 33 Ob im konkreten Fall S i t t e n w i d r i g k e i t gegeben ist, hängt auch hier nicht nur von o b j e k t i v e n , sondern a u c h von s u b j e k t i v e n V o r a u s s e t z u n g e n ab. Eine Bank hat z. B., wenn sie einem konkursreifen Unternehmen Kredit gegen Sicherheitsleistung gewährt, die Pflicht, die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Sanierung zu prüfen. Unterläßt sie dies oder führt die Prüfung zu einem negativen Ergebnis, dann sind die Kreditverträge nach § 138 Abs. 1 nichtig (BGH 10, 288; 20, 43). Dagegen ist ein Vertrag, durch den sich jemand den gesamten Maschinenpark eines Unternehmens zur Sicherung übereignen läßt, nicht nichtig, wenn der Sicherungsnehmer aus einer ihm vorgelegten Bilanz — die in Wahrheit, wie später festgestellt, unrichtig war — entnehmen durfte, daß der Schuldner noch erhebliches Eigenkapital besitzt und wenn ihm der Inhaber des Unternehmens aus einer Jahrzehnte dauernden Geschäftsverbindung als tüchtiger und redlicher Kaufmann bekannt ist (BGH LM Nr. 6 [Cb] zu § 138 = NJW 1956, 585). Schließt ein Schuldner mit seinem Gläubiger nacheinander zwei selbständige Sicherungsübereignungsverträge ab und tritt erst durch den zweiten Vertrag eine Knebelung des Schuldners oder eine Gefährdung seiner sonstigen Gläubiger ein, die diesen Vertrag als sittenwidrig erscheinen läßt, so wird deshalb der erste Vertrag nicht rückwirkend nichtig. Ein Verstoß gegen die guten Sitten kann aber darin liegen, daß der Gläubiger den Schuldner unter Ausnützung seiner Machtstellung an den ersten Vertrag festhält und sich zu seiner Durchführung weiterhin neue Warenbestände auf Grund der schon im ersten Vertrag vorweggenommenen Einigung übereignen läßt (BGH 7, 111 = LM Nr. 1 zu § 930). Als sittenwidrig ist auch angesehen worden, eine Sicherungsübereignung unpfändbarer Gegenstände, z.B. Hausrat, unter dem Druck drohender Zwangsvollstreckung (OLG Marienwerder HHR 1939, 71); ferner ein Sanierungsvertrag bei Nichtbezifferung des zu gewährenden Kredits (RG HRR 1930 Nr. 90); ein Kreditvertrag bei übermäßiger Höhe der ausbedungenen Zinsen und Sicherungsübereignung der gesamten Einrichtung eines kreditsuchenden Ehepaares, sowie die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung (RG LZ 1927, 457). Anm. 34 Sittenwidrig ist auch die Gewährung eines Darlehns zum Ankauf eines zu Erwerbszwecken bestimmten Kraftwagens unter besonders harten, die Bewegungsfreiheit des Schuldners zu stark einengenden Vertragsbedingungen (RG 128, 251). Die zur Abdeckung eines Kredits erfolgte Abtretung der Forderung eines Bauunternehmers gegen seinen Auftraggeber an das kreditgewährende Geldinstitut, das die von dem Unternehmer durchgeführten Arbeiten finanziert hat, kann nichtig sein, wenn das Geldinstitut bereits vor Abschluß des Finanzierungsvertrags die ganze pfändbare Habe des Unternehmers an sich gebracht hatte und wenn es den Finanzierungsvertrag unter Ausnützung seiner Machtstellung abgeschlossen hat, so daß dem Unternehmer jegliche Freiheit für eigene wirtschaftliche Entschließeungen genommen wurde (BGH 19, 12). Sittenwidrig handelt ein Großgläubiger, wenn er einem konkursreifen Unternehmen gegenüber seine wirtschaftliche Machtstellung ausnützt, um sich sämtliche Werte dieses Unternehmens anzueignen, so daß ein später zu eröffnendes Konkursverfahren

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§138 A n m . 35, 36

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

mangels Masse eingestellt werden müßte und die übrigen Gläubiger unbefriedigt bleiben (BGH LM Nr. 5 [Cb] zu § 138). Hat jedoch der Gläubiger auf Grund rechtlich einwandfrei geschlossener Verträge einen Anspruch auf die vom Schuldner angebotene Leistung, so ist der Gläubiger nicht gehindert, diese entgegenzunehmen, mag er auch wissen, daß der Zusammenbruch des Schuldners und die Schädigung anderer Gläubiger unvermeidlich ist (BGH LM Nr. 13 [Bb] zu § 138). Dagegen handelt eine Bank, die einem Unternehmen gegen Hingabe angemessener Sicherheiten einen Kredit zur Aufnahme oder Erweiterung der Produktion einräumt, nicht sittenwidrig, wenn sie eine unvorhergesehene Erweiterung des Kredits ablehnt und von ihren Recht zur Kündigung Gebrauch macht, bevor das Fertigungsprogramm durchgeführt worden ist, so daß das Unternehmen in Konkurs fällt. (BGH LM Nr. 4 zu § 930 = NJW 1957, 945 in diesem Teil nicht abgedruckt.) Zur Frage der Sittenwidrigkeit von Kundenfinanzierungsverträgen vgl. ferner RG 131, 213; RG WarnRspr 1931 Nr. 35, RG H R R 1934 Nr. 1096). Als sittenwidrig ist ferner erachtet worden ein Kreditgeschäft wegen der planmäßigen Berechnung, mit der der Kreditgeber den wirtschaftlich schwachen Kreditnehmer (Landwirt) unter harten Bedingungen an sich gefesselt hat, um sein fortdauerndes Kreditbedürfnis zur Erlangung übermäßiger Kreditvorteile auszubeuten (RG J W 1936, 1823). A n m . 35 Nicht sittenwidrig ist ein Abkommen, dessen Hauptzweck darin besteht, das notleidende Unternehmen des Schuldners durch weitgehende Kreditsicherung zu retten, falls eine wirtschaftliche Selbständigkeit des Schuldners gewahrt bleibt, mag auch der einzelne Gläubiger eine besonders hohe Sicherheit erhalten haben und das Abkommen geheimgehalten werden (RG J W 1916, 476; siehe auch RG J W 1931, 515; RG WarnRspr 1932 Nr. 176); ferner nicht ein Vertrag, durch den ein Abzahlungskäufer zur Beschaffung von Kredit einen Teil seiner Außenstände an ein Kreditinstitut abtritt (RG J 33, 234)- Erfüllt jedoch ein Sicherungsübereignungsvertrag den Tatbestand einer Gläubigergefährdung (RG 136,254), so ist der Vertrag nichtig, wenn beide Vertragsteile beim Vertragsschluß die von ihnen mindestens als möglich erkannte Schädigung künftiger Kreditgeber in Kauf genommen haben. Die objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Gläubigergefährdung müssen jedoch noch zu dem Zeitpunkt vorgelegen haben, in dem der Vertrag ohne sie wirksam geworden wäre (BGH LM Nr. 1 [Cb] zu § 138). A n m . 36 c) Eigentumsvorbehalt Die Vereinbarung eines (verlängerten) E i g e n t u m s v o r b e h a l t e s ist dann sittenwidrig, wenn er zu einer unverhältnismäßigen und die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Käufers unerträglich beschränkenden Ubersicherung des Verkäufers führt (BGH 26, 185). N i c h t s i t t e n w i d r i g ist ein verlängerter Eigentumsvorbehalt dann, wenn der Verkäufer sich zur Freigabe der zur Sicherheit abgetretenen Forderungen verpflichtet, soweit die ihm gewährten Sicherungen seine Forderungen um 25% übersteigen und wenn er weiter dem Käufer die Einziehung der abgetretenen Forderungen gestattet, solange dieser seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommt (BGH 26, 185). Nicht Sittenwidriges liegt ferner darin, daß ein Fabrikant die verkaufte Ware nur gegen Sicherung des Kaufpreises herausgibt und diese Sicherung im Eigentumsvorbehalt an der Ware und in der vereinbarten Abtretung der aus der Weiterveräußerung zu erwartenden Forderungen sucht, mag er auch wissen, daß andere Lieferanten des Kreditempfängers in der gleichen Weise verfahren (RG 136, 100). Über die Zulässigkeit eines Eigentumsvorbehalts bis zur Bezahlung nicht nur der betreffenden Ware, sondern aller weiteren (vergangenen und künftigen) Warenlieferungen innerhalb derselben Geschäftsverbindung siehe RG J Z 1935, 695. Ein Geschäftsverkauf mit Eigentumsvorbehalt und Verfallklausel verstößt ebenfalls n i c h t ohne weiteres g e g e n die g u t e n S i t t e n (RG WarnRspr 1929 Nr. 2). Dagegen ist als s i t t e n w i d r i g angesehen worden ein Verkauf unter Eigentumsvorbehalt, wobei der zur Weiterveräußerung befugte 452

Willenserklärung

§138 A n m . 37, 38

Käufer im Falle der Zahlungseinstellung oder eines Antrags auf Eröffnung des Konkursoder Vergleichsverfahrens verpflichtet sein soll, dem Verkäufer die Kaufpreisforderungen aus der Weiterveräußerung abzutreten (RG 138, 89). A n m . 37 3. D i e n s t v e r h ä l t n i s s e u n d ä h n l i c h e V e r t r ä g e Ein Abkommen zwischen dem Dienstherrn und dem vermögenslosen Angestellten, das dieser ein bestimmtes Gehalt überhaupt nicht erhalten und außerdem am Verlust beteiligt sein soll, ist s i t t e n w i d r i g (RG J W 1910, 5); ferner der Verzicht des Arbeitnehmers auf das Gehalt des ganzen Jahres für den Fall, daß er bis zu dem vorgesehenen Zeitpunkt kündige oder ihm gekündigt werde (RG J W 1904, 4 8 1 ) ; ein Dienstvertrag, der für den Fall der Kündigung nicht nur die dem Angestellten zu zahlende Vergütung bis zum Ablauf einer längeren Kündigungsfrist erheblich herabsetzt, sondern ihn auch verpflichtet, entsprechende Beträge für die bereits abgelaufene Dienstzeit zurückzuzahlen ( R A G 5,52); des weiteren die Abwälzung des Geschäftsrisikos auf den nur für eine Firma tätigen auf Provision gestellten arbeitnehmerähnlichen Agenten (RAG J W 1938, 702). D a g e g e n ist die Übernahme der Haftung für Fehlbestände durch einen Lagerhalter n i c h t o h n e w e i t e r e s s i t t e n w i d r i g ( R A G 15, 174 betr. Tankstelle); ebenso nicht die Übernahme einer weitgehenden Fehlbetragshaftung seitens der Verkäuferin in einem Bahnhofskiosk bei angemessenem Monatsgehalt ( R A G 6, 233), auch nicht jede Beteiligung eines Prokuristen am Geschäftsverlust, wenn er auch kein festes Gehalt, sondern nur einen Anteil am Geschäftsgewinn als Vergütung zu beanspruchen hat ( R A G H R R 1933 Nr. 1 0 1 9 ) ; ebenso nicht jede Übernahme einer Haftung für die ihm unterstellten Hilfskräfte (Agenten usw.) durch den Bezirksdirektor einer Versicherungsgesellschaft ( R A G SeuffArch 88 Nr. 82); ferner nicht die Einräumung eines einseitigen Kündigungsrechts an den Dienstverpflichteten bei Anstellung auf Lebenszeit ( R A G 15, 87). Uber die Sittenwidrigkeit einer Provisionszusage an einen Agenten nur für den Fall eines bestimmten Gesamterfolgs s. R A G 19, 110. S i t t e n w i d r i g ist auch ein Vertrag, durch den sich ein Angestellter, der nur durch eine Beteiligung am Gewinn entlohnt werden soll und überdies eine Geschäftseinlage zu machen hat, aller seiner Ansprüche bei Zuwiderhandlungen gegen eine seiner Vertragspflichten zur Strafe verlustig gehen soll (RG 90, 1 8 1 ) ; ferner Verträge über Schmiergelder (RG 77, 96; 1 6 1 , 231). Als sittenwidrig wurde auch ein Vertrag angesehen, durch den sich ein Bühnenmitglied dem Unternehmer gegenüber auf eine lange Reihe von Jahren wirtschaftlich völlig abhängig machte (RG WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 187). Dagegen ist eine Sittenwidrigkeit nicht gefunden worden in Vereinbarungen, in denen die Einhaltung von Höchstsätzen bei Vergütungen an Dirigenten, Opernsängern und Opernsängerinnen durch den Deutschen Bühnenverein vorgeschrieben wurde (RG 128, 29). K e i n e S i t t e n w i d r i g k e i t wurde angenommen in der Aussperrung eines Arbeitnehmers durch den Arbeitgeberverband, wobei dem Arbeitnehmer ein sogenannter Handzettel versagt wurde, falls ein triftiger Grund vorhanden war, den Arbeitnehmer wegen seiner körperlichen oder geistigen Beschaffenheit von dem zum Verband gehörenden Betrieben fernzuhalten (RG 65, 423). A n m . 38 4. V e r l a g s - u n d P a t e n t v e r t r ä g e Eine verlagsrechtliche Optionsvereinbarung (Vorrechtsvertrag), die einen Verfasser verpflichtet, künftige Werke zuerst einem bestimmten Verleger zum Abschluß eines Verlagsvertrages anzubieten, sind wegen Verstoßes gegen die guten Sitten n i c h t i g , wenn sie o h n e z e i t l i c h e o d e r g e g e n s t ä n d l i c h e B e s c h r ä n k u n g e n f ü r d i e g e s a m t e n S c h r i f t w e r k e des Verfassers gelten sollen und der Verleger für die Einräumung des Optionsrechts keine angemessene Gegenleistung übernimmt ( B G H 22, 347; entgegen R G 79, 156fr). Verträge, in denen sich der Verleger das Verlagsrecht an allen Auflagen des Werkes einräumen läßt, sind grundsätzlich n i c h t z u b e a n s t a n d e n (RG 140, 264). Dies gilt auch, wenn der Verfasser sich zur Durchsicht oder Neubearbeitung 30

Komm. 2. BGB. n . Aufl. I. Bd.

(Kriiger-Nieland)

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§ 138 A n m . 39, 40

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

jeder Auflage verpflichtet und dem Verleger bei Behinderung des Verfassers das Recht gewährt wird, die notwendigen Änderungen durch einen sachkundigen Dritten vornehmen zu lassen (RG 1 1 2 , 173; R G J W 1927, 93; 1933, 1766; RG MuW 1933, 523; R G L Z 1926, 480). Als nicht sittenwidrig ist beim Verkauf eines Patents die Abrede erachtet worden, daß der Bruder des Patentinhabers Bau und Betrieb von Maschinen der patentierten Art unterlasse und alle zukünftigen Erfindungen an solchen Maschinen dem Patenterwerber kostenlos überlasse (RG 112, 361). A n m . 39 5. W e t t b e w e r b s b e s c h r ä n k u n g e n Sittenwidrig waren nach der ständigen Rechtsprechung des RG Verträge über W e t t b e w e r b s v e r b o t e z w i s c h e n Ä r z t e n u n d Z a h n ä r z t e n (vgl. R G 66, 146; 68, 186; 90, 35; R G WarnRspr 1913 Nr. 217; anders für amerikanische Zahntechniker, vgl. RG 70, 339; RAG 14, 260). Als sittenwidrig ist auch ein Vertrag, durch den die Freizügigkeit eines Arztes beschränkt wurde, angesehen worden (RG 68, 186; 90, 35). Nach B G H 16, 71 kann aber der Standpunkt des RG nicht mehr uneingeschränkt aufrechterhalten werden, vielmehr kann eine Vereinbarung über ein R ü c k k e h r v e r b o t bei Verträgen über den T a u s c h einer ärztlichen Praxis grundsätzlich nicht als sittenwidrig angesehen werden. S i t t e n w i d r i g sind Wettbewerbsverbote, die den Verpflichteten, sei es zeitlich, sei es örtlich oder gegenständlich, ü b e r m ä ß i g in seiner wirtschaftlichen Freiheit beschränken (RG 53, 156; 68, 229; RG WarnRspr 1928 Nr. 7; 1932, 34; R G J W 1907, 494; 1928, 289; R G D R 1942, 1226). Auch die auferlegte Schweigepflicht über Fabrikationsgeheimnisse kann eine übermäßige Beschränkung enthalten (RG Gruchot 47, 1002). Rechtsgeschäfte, bei denen nach der Gesamtheit der Bestimmungen nur das Interesse des einen Teils ganz einseitig berücksichtigt, dem anderen Teile (einem Angestellten) dagegen in seiner Bewegungsfreiheit eine übermäßige Schranke gesetzt wird (RG J W 1913, 592; 1914, 83; 1915, 1 9 1 ; RAG J W 1928, 289), oder wenn bestimmt ist, daß das Wettbewerbsverbot auch dann gelten soll, wenn der Angestellte wegen vertragswidrigen oder unehrbaren Verhaltens des Dienstherrn zu kündigen berechtigt ist (RG 59, 76; R G J W 1907, 707; R G WarnRspr 1913 Nr. 275) sind sittenwidrig. Die Vorschriften über die Wettbewerbsbeschränkungen von Betriebsbeamten u. dgl. sowie von Handlungsgehilfen und Handelsvertretern sind aber Sonderrechtssätze, die auf das zu Lasten des Pächters eines gewerblichen Unternehmens bedungene Wettbewerbsverbot nicht angewendet werden können (BGH 24, 165). S i t t e n w i d r i g ist auch ein Wettbewerbsverbot, das den Verpflichteten mittels E h r e n w o r t bindet und ihn im Falle der Zuwiderhandlung eine unverhältnismäßig hohe Vertragsstrafe auferlegt, so daß seine Vermögensstellung auf Lebenszeit gefährdet bleibt (RG 68, 229; 74, 332; 78, 258). Als s i t t e n w i d r i g ist auch angesehen worden, die Machenschaften von Unternehmerverbänden, namentlich durch planmäßige Irreführung des Bestellers zum Zwecke der Erteilung übermäßiger Preise (RG J W 1914, 976; 1913, 743; J W 1931, 2561; R G Gruchot 60, 484). A n m . 40 S i t t e n w i d r i g k e i t wurde dagegen n i c h t angenommen bei Verträgen, durch welche die Entfaltung der künstlerischen Tätigkeit mittels Wettbewerbsverbots eingeengt wurde (RG 80, 219); ferner nicht bei einem Vertrag, durch den ein Ausländer sich verpflichtete, in einer Stadt, in der sich eine Berlitz-School befand, während einer Frist von 10 Jahren keine Sprachschule zu gründen (RAG Gruchot 54, 892); oder ein Vertrag, durch den ein Kleinhändler sich zur Gewährung von Sonderrabatt an Mitglieder wirtschaftlicher Vereinigungen verpflichtete (RG 78, 194); oder durch den von einer Gemeinde einem Gastwirt Beschränkungen zum besten der Gemeindemitglieder auferlegt wurde oder in dem sich der eine Teil verpflichtet, für den anderen Teil Waren herzustellen und zu liefern, die der andere Teil in eigenem Namen verkaufen soll (RG Gruchot

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Willenserklärung

§138

Anm. 41—43 59> 467)- Zulässig sind Wettbewerbsverbote, die der Sicherung der bei der Auseinandersetzung der Gesellschafter einer O H G von den einzelnen Gesellschaften übernommenen Kunden dienen sollen (BGH 5, 126).

Anm. 41 6. Mißbrauch der Autorität, Ausnutzung von geistiger Minderwertigkeit, Angst und Unerfahrenheit Sittenwidrig sind Verträge, die unter A u s n u t z u n g der elterlichen Autorität geschlossen werden, so ein Vertrag, durch den sich eine Tochter zugunsten ihres Vaters der Verfügung über ihr Vermögen durch Einräumung eines lebenslänglichen Nießbrauchs und Erteilung einer langjährigen unwiderruflichen Vollmacht begibt (RG LZ 1919, 1131), ferner ein Abkommen, durch das ein Sohn seinen Eltern einen zu hohen Prozentsatz seines Einkommens verspricht, so daß ihm die Erziehung seiner Kinder unmöglich gemacht wird (RG WarnRspr 1934 Nr. 48); ferner der Mißbrauch des Vaters als Familienoberhaupt zur Erlangung von Vorteilen, die ihm selbst und seine zweite Frau ungebührlich bevorzugen, die volljährig gewordenen Kinder der ersten Ehe aber völlig wirtschaftlich abhängig machen (RG J W 1937, 25).

Anm. 42 Die mit einem G e i s t e s s c h w a c h e n oder geistig Minderwertigen abgeschlossenen Verträge sind nichtig, wenn eine Ausbeutung der Geistesschwäche oder der Minderwertigkeit stattgefunden hat, um ungewöhnliche Vorteile zu erlangen (RG 67, 393; 72, 68; RG WarnRspr 1908 Nr. 119; 1917 Nr. 234; 1918 Nr. 49; 1929 Nr. 120; RG J W 1913, 392; 1915, 392; 1925, 2126). Sittenwidrig ist ein Vertrag, in dem sich die Kinder unter Ausnutzung der geistigen Minderwertigkeit, Willensschwäche und Ängstlichkeit des Vaters dessen Vermögen übertragen lassen (RG WarnRspr 1927 Nr. 46); ferner die Herbeiführung einer Verpfändungserklärung einer Witwe durch Ausbeutung ihrer Willensschwäche und seelischen Notlage wegen des Tags zuvor erfolgten Selbstmordes ihres Mannes (RG WarnRspr 1934 Nr. 46). Die eigennützige A u s n u t z u n g der Krankheit eines Geschäftsfähigen, die seine Widerstandskraft gegen lästiges Drängen schwächt und ihn hindert, Rat und Hilfe zu suchen, kann sittenwidrig sein (RG 1. 10. 1936 IV 110/36; Schenkung fast des ganzen Vermögens), ferner ein Erbvertrag, wenn der geistig beschränkte Erblasser, der die Tragweite seines Handelns nicht mehr übersieht, von seiner ihn pflegenden Schwester mit dem planmäßigen Bestreben, erhebliche Vermögensteile an sich zu bringen, veranlaßt wird, sie in dem Vertrag als Erbin einzusetzen (BGH L M Nr. 1 [Bc] zu § 138).

Anm. 43 Sittenwidrig sind ferner Verträge, in denen die Unerfahrenheit und G e s c h ä f t s unkundigkeit zur Erzielung von übermäßigen Vorteilen ausgenutzt wird (RG WarnRspr 1908 Nr. 183). Über die Ausnutzung der Angst eines anderen s. RG J W 1910, 142. Gegen die guten Sitten verstößt es, wenn der Vertreter einer Haftpflichtversicherungsgesellschaft die gänzliche Unerfahrenheit des hinterbliebenen Erben benutzt, u m ihn zu veranlassen, gegen eine geringfügige Abfindung auf die Versicherungssumme zu verzichten (RG 96, 92). Wegen der Sittenwidrigkeit des Mißbrauchs der wirtschaftlichen Machtstellung einer Versicherungsgesellschaft gegenüber einer in dringender Notlage befindlichen jugendlichen unerfahrenen Unfallverletzten s. auch RG J W 1936, 2787. Für sittenwidrig ist erachtet worden die Abfindung eines durch einen Kraftwagen Verletzten wegen seiner Ansprüche gegen alle Beteiligten, insbesondere der leistungsfähigen Eigentümer des Kraftwagens, wenn der Verletzte unerfahren war (RG SeufTArch 79 Nr. 198). Wegen der Nichtigkeit eines Vertrags, durch den die Schwäche und Ängstlichkeit des einen Teils zu dessen Nachteil unter dem Deckmantel der Fürsorge ausgebeutet wird s. RG SeufFArch 78 Nr. 111. Ein Vater, der die Unerfahrenheit seiner Tochter benutzt, um mit ihr zu seinem Vorteil einen ihr nachteiligen, sie in der Verfügung über ihr Vermögen knebelnden Vertrag abzuschließen, handelt sittenwidrig. Der Vertrag ist nach § 138 nichtig (RG LZ 1919, 1131). 30«

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§138 A n m . 44—47

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A n m . 44 7. Weitere Einzelfälle Verträge, durch die jemand in unzulässiger Weise in seiner Bewegungsfreiheit eingeengt wird, sind sittenwidrig, so z. B. die zeitlich unbeschränkte Verpflichtung, an einem bestimmten Ort z u w o h n e n ( R G WarnRspr 1925 Nr. 8); dagegen ist das Versprechen einer lebenslänglichen Unterstützung gegen die Verpflichtung des anderen, den Wohnsitz dauernd zu verlegen, nicht als sittenwidrig angesehen worden ( R G WarnRspr 1 9 1 0 Nr. 4 1 2 ) . Sittenwidrig ist ein Abkommen bei Verträgen auf fortdauernde Leistung, durch das sich der eine Teil (der Verkäufer) ganz in die Hand des anderen Teils gibt ( R G 82, 308); ferner ein Vertrag über die „Rationalisierung" eines Betriebs bei übermäßiger Bindung der Bewegungsfreiheit des Geschäftsinhabers und demoralisierender Verquickung der Bestimmungen über das Entgelt mit den Rationalisierungsmaßnahmen ( R G H R R 1932 Nr. 9 3 1 ; vgl. aber zur Frage der Sittenwidrigkeit solcher „Organisationsverträge" auch R G H R R 1934 Nr. 1661).

A n m . 45 Nach ständiger Rechtsprechung des R G , bestätigt vom B G H ( B G H G R U R 1952, 1 4 1 ) zur Frage der Sittenwidrigkeit von V e r t r a g s s t r a f e n , reicht ein Mißverhältnis zwischen der Höhe der vereinbarten Vertragsstrafe und der einzelnen späteren Zuwiderhandlungen für sich allein nicht aus, um das Vertragsstrafeversprechen als sittenwidrig anzusehen ( R G 68, 229; 85, 102; 1 1 4 , 304; R G J W 1 9 1 3 , 3 1 9 ; R G WarnRspr 1909 Nr. 6; 1920 Nr. 99; 1921 Nr. 90; R G Gruchot 69, 90, 5 8 1 ; R G H R R 1932 Nr. 1644), es muß noch etwas anderes hinzukommen, was der Vereinbarung den Stempel der Sittenwidrigkeit aufdrückt, wie es bei Dienstverträgen oder bei Knebelungsverträgen der Fa'l sein kann ( R G 64, 1 8 1 ; 68, 229; 85, 100; R G WarnRspr 1909 Nr. 549; 1920 Nr. 99, R G J W 1930, 3 4 7 1 ; R G H R R 1932, 1644; vgl. hierzu auch Anm. zu § 343). Als sittenwidrig wurde eine Vereinbarung zwischen den Beteiligten eines Geschäfts angesehen, den Vertrag auch trotz aller künftigen etwaigen Vertragsverletzungen fortzusetzen und sich mit einer geringen Vertragsstrafe zu begnügen ( R G 78, 298).

A n m . 46 Sittenwidrig handelt auch, wer die durch die W o h n u n g s z w a n g s b e w i r t s c h a f t u n g geschaffene Lage rücksichtslos ausnützt ( R G J W 1926, 927). Ein Vertrag, in dem sich der Mieter preisgebundener R ä u m e für die Aufgabe des Besitzes an diesen R ä u m e n von dem Mietnachfolger eine A b s t a n d s s u m m e versprechen läßt, verstößt aber dann nicht gegen die guten Sitten, wenn die Abstandssumme dem weichenden Mieter das Beziehen einer neuen Wohnung ermöglicht ( B G H 18, 325); ebenso ist ein Vertrag, in welchem sich jemand bei einem Grundstückskauf verpflichtet, mit Rücksicht auf die herrschende Wohnungsnot, die Wohnung zu räumen und vom Orte wegzuziehen, nicht sittenwidrig ( R G WarnRspr 1925 Nr. 134). Ist in einem Mietvertrag das Wegnahmerecht des Mieters nur in Bezug auf eine von ihm eingebaute Einrichtung entschädigungslos ausgeschlossen, jedoch für andere Einrichtung nicht beschränkt worden, so ist diese Vertragsbestimmung nicht als sog. „mißbilligte Klausel" sittenwidrig ( B G H N J W 1958, 2109).

A n m . 47 Sittenwidrig ist ein Vertrag, in welchem eine Partei sich unter dem wirtschaftlichen Druck der anderen ungünstigen S c h i e d s g e r i c h t s b e d i n g u n g e n unterwirft ( R G 1 3 7 , 2 5 1 ) ; ebenso ein Schiedsvertrag, bei dem der Vorsitzende des Schiedsgerichts ein ständig besoldeter Beamter der einen Partei ist ( R G 137, 3 5 1 ) . Dagegen verstößt ein Schiedsvertrag nicht deshalb gegen die guten Sitten, weil der einen Partei ein größerer Einfluß auf die Benennung der Schiedsrichter eingeräumt ist ( R G J W 1 9 1 9 , 169; R G Recht 1 9 1 9 Nr. 475; R G L Z 1 9 1 9 , 3 2 7 ; R G SeuffArch 7 Nr. 6 1 ; R G WarnRspr 1 9 1 9 Nr. 5), es sei denn, daß die insoweit benachteiligte Partei durch wirtschaftlichen Druck z u m Abschluß des Schiedsvertrags genötigt wurde ( R G 1 3 7 , 2 5 1 ; R G 2 2 . 3 . 1 9 3 2 V I I 2 6 5 / 3 1 ; K G J W 1937, 554). Bei einem Verein verstößt eine satzungsmäßige Schieds-

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Willenserklärung

§138 A n m . 48—50

klausel, wonach zu Schiedsrichtern nur Vereinsmitglieder ernannt werden können und Obmann des Schiedsgerichts gleichfalls ein Mitglied des Vereins sein kann, nicht gegen die guten Sitten (RG J W 1926, 858). Nicht sittenwidrig ist auch die Bestimmung, daß der Obmann eines Schiedsgerichts von dem Zentralverband zu ernennen ist, dem eine Schiedspartei angehört (RAG 6, 150). A n m . 48 Die Aushändigung eines übermäßigen Entgelts kann unter Umständen sittenwidrig sein (RG J W 1912, 135). Sittenwidrig ist der Verkauf völlig wertloser Ware in Benutzung der Notlage des Publikums und unter Vortäuschung der Brauchbarkeit (RG L Z 1920, 294). Sittenwidrig ist auch ein Vertrag über die Höhe eines Schmiergeldes vom Kauflustigen an den gesetzlichen Vertreter des minderjährigen Verkäufers, wenn die Schmiergelder so hoch sind, daß eine Herabdrückung des Kaufpreises auf der Hand liegt (RG 16. 5. 1925 V 367/24). A n m . 49 C. G e m e i n s c h a f t l i c h e r Verstoß g e g e n die guten Sitten I. G e m e i n s c h a f t s s c h ä d i g e n d e Geschäfte Ein Sittenverstoß kann nicht nur im Verhalten gegenüber dem Geschäftspartner» sondern auch in einem Verhalten gegenüber der Allgemeinheit, insbesondere in einem Verstoß gegen deren Belange, liegen (BGH L M Nr. 1 [Ca] zu § 138 = BB 1953, 513). Dazu gehören die planmäßige Umgehung des Gesetzes, wenn dieses lebenswichtige Belange der Gemeinschaft gegen eigennützige Angriffe schützen will (RG 123, 2 1 1 ; RG H R R 1935 Nr. 923). Ein Vertrag, bei dem die vertragliche Leistung nach dem Willen der Parteien unter Verstoß gegen die Bewirtschaftungsanordnungen erbracht werden sollte, ist sittenwidrig (BGH L M Nr. 1 [Ca] zu § 138 = BB 1953, 513). Hierher gehören ferner Verträge zur Förderung des S c h m u g g e l s oder der wissentlichen Verletzung von Ausfuhrverboten (RG 42, 296; 56, 1 8 1 ; 96, 282; RG H R R 1929 Nr. 285; O L G 44, 126). Erforderlich ist in der Regel, daß entweder eine innere Beziehung zwischen dem unsittlichen Zweck und dem Inhalt des Vertrages, wie z. B. durch besonders hohe Bemessung der Vergütung, vorhanden ist, oder wenigstens der Wille des einen Teiles, die auf Schmuggel gerichtete Absicht des andern Teiles zu fördern (RG WarnRspr 1923 Nr. 49; RG J W 1923, 1359; 1926, 2169; 1927, 2288; 1929, 244; 1931, 928; RG Gruchot 69, 78). Schmuggeltransporte im Abwehrkampf gegen Maßnahmen des feindlichen Auslands sind dagegen nicht zu beanstanden (RG SeuffArch 84 Nr. 147). A n m . 50 Zu den g e m e i n s c h a f t s s c h ä d i g e n d e n Geschäften gehören ferner Verträge, die auf b e w u ß t e Z u w i d e r h a n d l u n g gegen b e h ö r d l i c h e M a ß n a h m e n zum Schutze der deutschen Wirtschaft in der Ubergangszeit gerichtet waren (RG L Z 1925, 366); ebenso ein Vertrag, durch den ein Teil veranlaßt werden sollte, Schleichhandelsware zu liefern (RG J W 1927, 2287); ferner Verträge, die zur Täuschung der Behörden abgeschlossen werden, so ein Vertrag, der zur Täuschung des Wohnungsamtes geschlossen wurde (RG WarnRspr 1 9 2 3 / 2 4 ^ . 89, 105, 153, 1 6 1 ; 1 9 2 9 ^ . 9 2 ; vgl. auch 1 9 2 6 ^ . 5 0 ) ; ferner ein Lieferungsvertrag, der die für die Einfuhrbewilligung und die Devisengenehmigung zuständige Behörde irreführen soll (RG J W 1926, 2838). Sittenwidrig ist auch ein Vertrag über die Einrichtung eines Bankkontos mit dem Hauptzweck, die darauf einbezahlten Beträge der Besteuerung zu entziehen (RG J W 1935, 420). Dagegen ist ein Rechtsgeschäft, dessen Rechtsform zum Zwecke der Steuerersparnis gewählt wurde, nicht schon aus diesem Grunde sittenwidrig, ebenfalls nicht ein Grundstücksveräußerungsvertrag, bei dem die Vertragsurkunde unrichtige Angaben über den Grundstückspreis enthält, was zur Einziehung einer geringeren Steuer führen könnte (RG 107, 364; RG J W 1928, 2362; RG WarnRspr 1921 Nr. 89, RG JRdsch. 1925, 598 Nr. 862; R G 17. 6. 1925 V 457/24). Ein Vertrag, mit dem eine Steuerhinterziehung verbunden

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§ 138 Anm. 51, 52

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

ist, ist aber weder nach § 138 noch nach § 134 nichtig, wenn die Steuerhinterziehung nicht der alleinige Zweck des Geschäftes ist (BGH 14, 25; vgl. aber auch RG J W 1935, 420). Der sogenannte K u n d s c h a f t e r v e r t r a g (Vertrag auf Beschaffung von politisch oder handelspolitisch wichtigen Nachrichten aus dem Ausland) ist nicht sittenwidrig. Die sich daraus ergebenden Verpflichtungen sind einklagbar (RG J W 1924, 1424). Anm. 51 Sittenwidrig sind Vereinbarungen zwischen Verkäufer und Käufer, die Ware zur Erzielung höherer Preise unter falscher Bezeichnung in den Verkehr zu bringen (RG 29. 11. 1907 II 223/07). Das Streben nach übermäßig hohem Gewinn verstößt dann gegen die guten Sitten (aber auch nur dann, RG J W 1918, 556; RG SeuffArch 75 Nr. 39), wenn zur Erzielung solchen Gewinnes unlautere Mittel benutzt oder durch unlautere Machenschaften eine außerordentliche Preissteigerung bewußt herbeigeführt wird (RG WarnRspr 1919 Nr.3). Dies gilt insbesondere für Zeiten der Kriegsnot bei einem Handeln auf Kosten eines einzelnen oder der Gesamtheit, zumal wenn es sich um Gegenstände des Lebensbedarfs handelt (RG 90, 401; 93, 208; RG WarnRspr 1910 Nr. g; RG SeuffArch 75 Nr. 67, betr. unverhältnismäßig hohen Maklerlohn für die Vermittlung von Kriegslieferungen. Daß hierbei Verluste der Militärverwaltung bereits eingetreten sind, ist keine Voraussetzung. Es genügt, daß durch die unverhältnismäßig hohe Provision die Gefahr solcher Verluste für die Zukunft besteht [RG 3. 11. 1920 V 198/20]). Sittenwidrig ist der aus Eigennutz erfolgte Verkauf von Gegenständen des Kriegsbedarfs, die beschlagnahmt sind (RG 100, 249). Abreden unter Unternehmern, die darauf abzielen, bei einer öffentlichen Ausschreibung einem Beteiligten den Zuschlag dadurch zu erwirken, daß die andern besonders hohe Gebote abgeben, sind aus diesem Grunde noch nicht sittenwidrig; sie sind es aber dann, wenn sie auf planmäßige Irreführung des Bestellers und zu dessen Schaden auf Erzielung übermäßiger Preise ausgehen (RG WarnRspr ig20 Nr. 74; RG Gruchot 60, 484). Anm. 52 II. Geschäfte zur Schädigung fremder Interessen und Rechte 1. Treubruchfördernde Geschäfte a) Verletzung der Treupflichten innerhalb einer Gesellschaft Sittenwidrig ist ein Gesellschaftsvertrag, durch den der eine Teil in seiner ganzen wirtschaftlichen Lage durch die Entschließungen des anderen Gesellschafters geknebelt wird (RG J W 1912, 457). Wegen der Folgen aus der Sittenwidrigkeit, insbesondere zur Frage der trotz Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrages in Vollzug gesetzten Gesellschaft (faktische Gesellschaft) vgl. BGH 3, 288 und die dort angeführten Entscheidungen des RG, ferner Anm. zu § 705. Sittenwidrig sind ferner Beschlüsse von GmbH und sonstigen Vereinbarungen, wodurch die Mehrheit ohne Rücksicht auf das Wohl der Gesellschaft eigensüchtige Zwecke auf Kosten der Minderheit verfolgt (RG 68, 235; 105, 373; 107, 72; 108, 41, 322; 112, 14; 113, 118; 118, 67; 119, 97, 248; 122, 159; 132, 149; RG J W 1916, 575; 1926, 534; 1932, 720; vgl. aber auch Anm. 13). Wegen der Ausschließung von Aktionären von der Teilnahme an der Generalversammlung wegen formeller Bedenken gegen die Art der Hinterlegung der Aktien als Verstoß gegen die guten Sitten s. RG 112, 109. Als sittenwidrig wurde ferner der Beschluß einer GmbH angesehen, wonach die Gesellschafter, die bei einem Konkurrenzunternehmen tätig sind, ihre Rechte aus dem Gesellschaftsverhältnis vertragsweise durch andere Gesellschafter wahrnehmen lassen können (RG 88, 220); dagegen wurde die Bestimmung in der Satzung einer GmbH, daß sich das einen Wettbewerb betreibende Mitglied in der Versammlung durch einen Mitgesellschafter vertreten lassen muß, nur bei Vorliegen besonderer Umstände als nichtig erachtet (vgl. RG 80, 385; 88, 390). Uber sittenwidrige Beschlüsse der Hauptversammlung einer AG oder der Gesellschafterversammlung einer GmbH vgl. auch BGH 15, 382.

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Willenserklärung

§138 A n m . 53—55

A n m . 53 Treuwidrig und daher gegen die g u t e n S i t t e n v e r s t o ß e n d ist auch das Versprechen eines Gesellschafters an einen Dritten, dem er sein Anteilsrecht veräußert hat, der Gesellschaft gegenüber Mitglied zu bleiben, falls der Aufsichtsrat die Veräußerung nicht genehmigt, aber seine Rechte nach dem Willen des Dritten auszuüben (RG 69, 137). Sittenwidrig ist die Abtretung von Anteilen einer GmbH zur Umgehung des Vorkaufsrechts eines Gesellschafters (RG J W 1934, 1412); die Bestimmung eines Gesellschaftsvertrages, wonach das Stimmrecht auch im Falle des Interessenwiderstreits nicht ausgeschlossen ist (RG 136, 236). Sittenwidrig kann auch die gegenseitige Verpflichtung zwischen den Mitgliedern einer GmbH sein, bei der Wahl des Aufsichtsrats für einen bestimmten Gesellschafter nicht zu stimmen oder eine Wahl selbst nicht anzunehmen (RG 57, 205); ferner die Vereinbarung, daß das Vorstandsmitglied einer A G nur bei Begehung einer den Verlust der Ehrenrechte nach sich ziehenden Handlung soll entlassen werden können (RG 75, 234). Eine Vereinbarung von Aktionären, mit welcher sie eine Schutzgemeinschaft zur Wahrung ihrer Belange anstreben, ist in der Regel nicht sittenwidrig (RG 133, 93; 165, 145). Zur Frage der Zulässigkeit von Stimmbindungsverträgen zwischen Aktionären und Gesellschaftern einer GmbH vgl. RG 133, 90; RG Gruchot 69, 671. S i t t e n w i d r i g ist auch die Belastung eines Grundstücks einer GmbH zugunsten erdichteter Forderungen, um für den Fall eines Zusammenbruchs den Beteiligten einen Teil des Gesellschaftsvermögens zuzuwenden (RG J W 1936, 3 1 1 1 ) . A n m . 54 b) Sonstige treuwidrige Geschäfte N i c h t i g sind Rechtsgeschäfte, die in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken zur Umgehung und Schädigung fremder schuldrechtlicher oder dinglicher Rechte vorgenommen werden (RG 62, 138; 81, 86; RG J W 1927, 1407; RG SeuffArch 79 Nr. 139; 81 Nr. 84; R G L Z 1920, 134). Dies gilt auch dann, wenn der entferntere Zweck der ist, einen gemeinsamen Nutzen zu fördern (RG 88, 365). Sittenwidrig ist das Übereinkommen zwischen den Vertragsparteien, die gegenseitigen Verpflichtungen zum Schaden anderer nicht zu erfüllen (RG J W 1917, 78g). Sittenwidrig ist der Abschluß eines Vertrages durch den B e v o l l m ä c h t i g t e n im Einverständnis mit dem Vertragsgegner zum S c h a d e n des V o l l m a c h t n e h m e r s , wenn der Bevollmächtigte sich (oder einer ihm nahestehenden Person, RG WarnRspr 1929 Nr. 129) dafür einen Vermögensvorteil zuwenden läßt (RG 130, 142; 132, 134; 134, 56; 136, 359; RG J W 1935, 2041; R G SeuffArch 79 Nr. 138; 83 Nr. 194; 86 Nr. 152; RG H R R 1930 Nr. 486; RG Recht 1923 Nr. 853; RG WarnRspr 1909 Nr. 481; 1928 Nr. 35); ferner ein Vertrag, durch den der Bevollmächtigte auf Grund eingeräumter Befugnis mit sich selbst abschließend den Vollmachtgeber bewußt schädigt (RG SeuffArch 81 Nr. 49; 86 Nr. 91). A n m . 55 S i t t e n w i d r i g ist ferner ein Vertrag, durch den sich ein Angestellter hinter dem Rükken eines Dienstherrn von einem andern Vorteile dafür versprechen oder gewähren läßt ( S c h m i e r g e l d e r ) , daß er ihn bei der Vergebung von Aufträgen vorziehen oder sich für seine Bevorzugung einsetzen werde, mag auch der Beteiligte mit einer nachteiligen Wirkung für den Dienstherrn nicht gerechnet und dieser einen Nachteil auch nicht erlitten haben (RG 161, 229); ferner der Abschluß eines Vertrags unter B e stechung eines Angestellten des anderen Vertragsteils (RG 134, 43; 136, 359); ein Vertrag über die Gewährung einer Vergütung für zu leistende Dienste, wobei ein Teil der Vergütung zu Bestechungszwecken verwendet werden soll (RG Gruchot 70, 546). Gegen die guten Sitten verstößt auch ein Vertrag, durch den ein Gewerbetreibender einen Handlungsgehilfen, dem von seinem früheren Dienstherrn für die Zeit nach Beendigung des Dienstverhältnisses eine Beschränkung gemäß § 74 H G B auferlegt war, dazu bestimmt, gegen diese Unterlassungspflicht zu verstoßen und in seine Dienste zu treten (RG 81, 86); ferner der Abschluß eines Dienstvertrages mit dem vertragsbrüchig gewordenen Angestellten eines Konkurrenten (vgl. RG J W 1910, 705, wonach dieser Vertrag nicht immer sittenwidrig ist).

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§138 Anm. 56—58

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 56 S i t t e n w i d r i g ist die Vereinbarung zwischen zwei Hypothekengläubigern, sich der E r S t e i g e r u n g des Grundstücks zu enthalten, um so planmäßig zum Schaden anderer einen Teil des Wertes des Grundstücks an sich zu bringen (RG J W 1907, 201); ferner das Versprechen dessen, der ein Grundstück meistbietend erstehen will, an einen anderen Kauflustigen, ihn für den Fall der A b s t a n d n a h m e vom M i t b i e t e n zu entschädigen (RG 58, 399; 60, 273); das zwischen zwei Personen abgeschlossene Rechtsgeschäft, das nur dem Zwecke dienen soll, das für einen Dritten bestehende V o r k a u f s r e c h t zu hintertreiben und den Dritten so zu schädigen (RG 88, 366). Sittenwidrig ist auch die bewußt geschäftsplanwidrige Gewährung von Darlehen aus Sparvermögen (RG H R R 1938 Nr. 273); ferner ein Abkommen über Eigentumswechsel mittels Betreibens der Zwangsversteigerung, um langjährige Mietverträge zu beseitigen (RG L Z 1927, 448); ferner ein Vertrag, in dem der Fideikommißanwärter die Zustimmung zur Belastung des Fideikommißgutes von einer Geldzuwendung abhängig macht (RG J W 1929, 1395); schließlich ein V e r g l e i c h , den der Grundstücksveräußerer über die Aufwertung des Kaufpreises unter Verzicht auf sämtliche Ansprüche mit seinem Käufer schließt, um Aufwertungsansprüche des früheren Hypothekengläubigers zu vereiteln (RG 132, 42). Anm. 57 2. Gläubigerbenachteiligung Gegen die guten Sitten verstoßen Rechtsgeschäfte, die darauf abzielen, die Befriedigung der Gläubiger zu erschweren oder zu vereiteln, also alle Geschäfte, durch die die Rechte von Gläubigern gefährdet werden, sei es, daß sich ein Gläubiger zum Nachteil der anderen übermäßig sichert, sei es, daß der Schuldner sein Vermögen verschiebt, oder schließlich, daß die Kreditwürdigkeit des Schuldners zum Schaden der Kreditgeber vorgetäuscht wird. Die Übertragung aller gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen eines Kaufmanns gegen seine Kunden an einen einzigen Gläubiger ist sittenwidrig, wenn dadurch den übrigen Gläubigern die sämtlichen Werte, die zu ihrer Befriedigung dienen könnten, entzogen werden (RG 67, 166; RG J W 1 9 1 1 , 576; R G WarnRspr igig Nr. 189; 1923 Nr. 6); ferner, wenn die Übertragung zum Zwecke der Täuschung über die Kreditwürdigkeit erfolgt, so die Übertragung aller künftigen Guthaben an einen einzelnen Gläubiger, während das Geschäft unter Aufrechterhaltung des Anscheins der Kreditwürdigkeit im Interesse des einen Gläubigers auf den Namen des übertragenden Kaufmanns fortgeführt wird (RG WarnRspr 1913 Nr. 129; 1927 Nr. 157; 1928 Nr. 55). Der organisierte Austausch von Wechselakzepten (Finanzwechseln) zum Zwecke der Kreditbeschaffung unter Einschaltung eines gewerbsmäßigen Vermittlers, dem die Prüfung der Kreditwürdigkeit überlassen bleibt, widerspricht den Grundsätzen des anständigen Geschäftsbetriebes. Die Teilnahme an einem solchen Austausch ist auch dann sittenwidrig, wenn im Einzelfall keine Täuschung des Dritten beabsichtigt ist (BGH NJW 1958,989). Sittenwidrig ist ferner eine Sicherungsübereignung, wenn die Verwendung in den Verhältnissen des Schuldners nach außen hin verdeckt und dadurch wissentlich eine Schädigung der Gläubiger des Übereignenden herbeigeführt wird; ferner ein fiduziarisches Geschäft, bei dem es ausschließlich auf die Täuschung der Außenwelt über das Vorhandensein eines Vermögenswertes bei dem Ubereigner abgesehen ist (RG Gruchot 54, 167); ferner eine Abtretung zu dem Zweck, daß der Abtretungsempfänger im Armenrecht klage und dem Gegner die Einziehung der Kosten unmöglich gemacht werde (RG 81, 175; RG J W 1932, 1206). Anm. 58 Eine sittenwidrige Gefährdung der übrigen Gläubiger tritt auch ein, wenn ein Großgläubiger unter Ausnützung seiner Machtstellung gegenüber einem konkursreifen Unternehmen sich sämtliche Werte dieses Unternehmens aneignet, so daß ein später eröffneter Konkurs mangels Masse eingestellt werden muß und die übrigen Gläubiger unbefriedigt bleiben (BGH L M Nr. [Cb] zu § 138 = NJW 1956, 417). Erfüllt ein Sicherungsübereignungsvertrag objektiv den Tatbestand der Gläubigergefährdung,

460

Willenserklärung

§ 138 A n m . 59

dann ist er nichtig, wenn beide Vertragsteile die von ihnen als möglich erkannte Schädigung der anderen Gläubiger in K a u f genommen haben ( B G H L M Nr. i [ C b ] zu § 138 = M D R 1 9 5 1 , 604). Die S i t t e n w i d r i g k e i t eines S i c h e r u n g s ü b e r e i g n u n g s g e s c h ä f t e s kann sich aber nicht nur aus einer vorsätzlichen oder in K a u f genommenen Gläubigerbenachteiligung ergeben, sondern unter Umständen auch daraus, daß der K r e d i t g e b e r es u n t e r l a s s e n h a t , die V e r h ä l t n i s s e beim Schuldner daraufhin z u p r ü f e n , ob dieser außer dem zur Sicherheit übereigneten Vermögen noch genügendes eigenes Kapital besitzt oder ob die mit der Kreditgewährung durchzuführende Sanierung Erfolgsaussichten bietet und schließlich, ob der Schuldner zuverlässig ist. So kann z.B. ein Vertrag, durch den eine Bank die Aufträge eines Bauunternehmers gegen sicherungsweise Vorausabtretung finanziert, nichtig sein, wenn sie bei Abschluß des Vertrages Umstände nicht berücksichtigt hat, aus denen sich Zweifel an der Zuverlässigkeit und Lauterkeit des Unternehmers oder daran ergeben, daß er seine Verpflichtungen nicht mit dem ihm gewährten Kredit erfüllen wird ( B G H 20, 43). Unterläßt eine Bank, die einem konkursreifen Unternehmen einen Kredit zur Sanierung gegen Sicherheitsleistung gewährt, die Prüfung, ob das Sanierungsvorhaben auch Erfolgsaussichten hat, dann können die im Zusammenhang mit der Kreditgewährung vorgenommenen Sicherungsübereignungen sittenwidrig und daher nichtig sein ( B G H 10, 228). Dagegen genügt jemand seiner Prüfungspflicht, wenn er aus ihm vorgelegten Bilanzen, die sich später als unrichtig erweisen, entnimmt, daß der Schuldner noch erhebliches Eigenkapital besitzt und ihm der Inhaber des Unternehmens aus einer J a h r zehnte währenden Geschäftsverbindung als tüchtiger und redlicher K a u f m a n n bekannt ist. Die nach dieser Prüfung vorgenommenen Sicherungsübereignungen sind auch dann nicht sittenwidrig, wenn dadurch eine Gefährdung der übrigen Gläubiger eintreten sollte ( B G H L M Nr. 6 [ C b ] zu § 138 = N J W 1956, 585). Eine Bank, die einem später in Konkurs fallenden Flüchtlingsbetrieb auf Grund der Bestimmungen über die Gewährung von Eingliederungsdarlehen ein Darlehen gewährt, handelt nicht sittenwidrig, wenn sie eine eigene Prüfung nicht vornimmt, aber sich darauf verläßt, daß eine eingehende behördliche Prüfung erfolgt ist, und ein Verdacht, daß diese Prüfung von unrichtigen Voraussetzungen ausgegangen sei, nicht besteht ( B G H L M Nr. 11 [ C b ] zu § 138). Ebenfalls nicht sittenwidrig handelt ein Gläubiger, der nach rechtlich einwandfrei geschlossenen Verträgen einen Anspruch auf die ihm vom Schuldner angebotene Leistung hat und trotz Kenntnis, daß der Zusammenbruch des Schuldners und die Schädigung anderer Gläubiger unvermeidlich ist, die Leistung annimmt. Der Erwerb kann aber nach dem A n f G oder der K O anfechtbar sein ( B G H L M Nr. 1 3 [Bb] zu § 138 = BB 1956, 1 1 1 7 ) . Ferner handelt eine Bank nicht sittenwidrig, die einem Unternehmen gegen Hingabe angemessener Sicherheiten Kredit zur Aufnahme der Produktion gewährt hat, eine erforderlich werdende Erweiterung des Kredites aber ablehnt und von ihrem Recht, den Kredit zu kündigen, Gebrauch macht, auch wenn das Unternehmen dadurch in Konkurs fällt ( B G H L M Nr. 4 zu § 930 = N J W 1956, 945). Zur Frage der Sittenwidrigkeit bei v e r l ä n g e r t e m E i g e n t u m s v o r b e h a l t vgl. B G H 26, 185 und Anm. 36.

Anm. 59 K e i n e G l ä u b i g e r b e n a c h t e i l i g u n g ist darin gesehen worden, daß ein Schuldner nach Aufgabe seines Geschäftes in dem alsdann neu gegründeten Geschäft seiner F r a u unentgeltlich Dienste leistet ( R G 67, 169); ferner nicht in der Übernahme der Verpflichtung seitens des Unternehmers, einen Teil der seinen Angestellten zukommenden Vergütung nicht an diesen, sondern an dessen Ehefrau zu zahlen, falls nur bezweckt war, der Familie des Angestellten den notwendigen Unterhalt zu sichern, nicht aber den Gläubigern die Mittel zur Befridigung zu entziehen ( R G 8 1 , 4 1 ; R G J W 1 9 1 2 , 689). S i t t e n w i d r i g ist dagegen die Gewährung eines Darlehns zur Ablösung der Ansprüche betreibender Gläubiger im Zwangsversteigerungsverfahren angesehen worden, wenn bezweckt war, sich selbst eine Rangstelle im Grundbuch und eine günstige L a g e zum Bieten zu verschaffen ( R G J W 1936, 98).

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§138 Anm. 60—63

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 60 III. Schaffung einer Monopolstellung Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts waren Kartelle allgemein nicht sittenwidrig (RG 73, 429); so z. B. nicht die Vereinbarung von gleichartigen oder verwandten Betrieben zur Ausschaltung oder Verminderung des Wettbewerbs unter den Mitgliedern oder zum Schutze des Gewerbebetriebs gegen Entwertung oder Preisunterbietung, soweit nicht als Mittel zur Hereinziehung in das Kartell gegen Außenseiter die Aussperrung benutzt wurde (RG WarnRspr 1913 Nr. 82); ferner nicht ein Vertrag unter mehreren Brauereien, durch den der gegenseitige Wettbewerb ausgeschlossen und der derzeitige Besitzstand gesichert werden sollte. Als Sittenverstoß wurde ein solcher Vertrag nur angesehen, wenn er auch gegen Dritte derart ausgenutzt werden sollte, daß diese gezwungen werden sollten, sich dem Vertrag zu eigenem Schaden zu unterwerfen (RG 93, 13). Als nicht sittenwidrig ist es auch erachtet worden, wenn ein Zusammenschluß von Reedern die Auszahlung des Frachtrabattes an die Verlader davon abhängig machte, daß sowohl diese selbst, wie etwa für sie verschiffende Spediteure alle Verschiffungen nach bestimmten Häfen nur solchen Reedereien übergeben haben, die dem Zusammenschluß angehörten (RG 118, 84). W e g e n der Z u l ä s s i g k e i t von K a r t e l l b i l d u n g e n , die n a c h dem z w e i t e n W e l t k r i e g durch die Gesetze der Besatzungsmächte verboten waren, vgl. jetzt Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27.7. 1957 (BGBl I, 1018). Anm. 61 Preisbindungen der zweiten Hand waren nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts ebenfalls zulässig (RG 133, 51, 360). V e r t i k a l e P r e i s b i n d u n g e n z w e i t e r H a n d waren auch nach den alliierten Dekartellierungsgesetzen unter gewissen Voraussetzungen rechtlich zulässig (BGH NJW 1958, 589 für Markenschokolade; NJW 1958, 5g 1 für Verlagserzeugnisse). Uber die Unzulässigkeit vertikaler P r e i s e m p f e h l u n g e n nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27. 7. 1957 vgl. BGH NJW 1958, 1868). Anm. 62 IV. Verstöße gegen Ehe- und Familienordnungen S i t t e n w i d r i g sind Vereinbarungen, die dem Sinn der Ehe zuwiderlaufen, so die Vereinbarung im Verlöbnis, die Kinderzahl zu beschränken (RG J W 1908, 28); die Vereinbarung, die eheliche Lebensgemeinschaft auszuschließen oder getrennt zu leben, falls das Getrenntleben auf an sich unerlaubte Weise gefördert oder erleichtert werden soll (RG 68, 322; RG J W 1936, 249; R G WarnRspr 1911 Nr. 2244; 1913 Nr. 188; R G Gruchot 64, 6 1 1 ; RG L Z 1920, 382); ferner eine unter Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft getroffene Vereinbarung über die Gewährung des Unterhalts, falls sie auf das Getrenntleben abzielt und ein gesetzlicher Grund für die Aufhebung der Gemeinschaft nicht vorliegt (RG 103, 137; 169, 137; 158, 297fr). Sittenwidrig ist auch der für alle Zeit bestimmte Verzicht der Eheleute auf gegenseitige Unterstützung und Beihilfe zur Lebensführung. Anm. 63 1. Vereinbarungen zum Zwecke der Scheidungserleichterung, insbesondere Unterhaltsvereinbarungen Vor dem Inkrafttreten des § 72 EheG hat die Rechtsprechung zur Frage der Sittenwidrigkeit von Unterhaltsvereinbarungen, die die Scheidung erleichtern sollen, eine Reihe von Grundsätzen entwickelt, die aber durch die Neuregelung im § 72 EheG zum überwiegenden Teil überholt sind. Sie können aber noch mit Rücksicht auf § 72 S. 3 EheG von Bedeutung sein und sollen deshalb im folgenden wiedergegeben werden: Grundsätzlich sind Vereinbarungen, die die Scheidung erleichtern sollen, nichtig. Dies bedeutet jedoch nicht, daß Vereinbarungen, mit denen eine B e s c h l e u n i g u n g des E h e s c h e i d u n g s v e r f a h r e n s verfolgt wird, ebenfalls nichtig sind (RG 126, 320; RG

462

Willenserklärung

§ 138 Arnn. 64, 65

J W 1933, 154; 1936, 2531; R G WarnRspr 1926 Nr. 82; 1934 Nr. 29; R G H R R 1931 Nr. 920), so nicht eine Unterhaltsvereinbarung, wenn ein Ehegatte einen unbedingten Scheidungsgrund hatte und entschlossen war, ohnehin auf Scheidung zu klagen (RG WarnRspr 1913 Nr. 3, 128, 398; 1916 Nr. 9; 1919 Nr. 93; 1922 Nr. 64; 1928 Nr. 36; R G J W 1916, 57; 1933, 155; R G H R R 1933 Nr. 567, R G Gruchot 58, 891; R G L Z 1922 Nr. 64). A n m . 64 Als nichtig angesehen wurde ein Prozeßvergleich, wonach der Ehemann der Ehefrau für den Fall der Scheidung aus beiderseitigem Verschulden eine Unterhaltsrente versprach, sofern damit mittelbar zugleich ein Verzicht auf die Einlegung des Rechtsmittels verbunden worden ist (RG Gruchot 60, 657); ferner ein gegen Übernahme der Alleinschuld durch den Ehemann erklärter Unterhaltsverzicht der Frau (RG J W 1928, 1500); ein Vertrag, demzufolge die nicht schuldige Frau gegen Gewährung erheblicher Vorteile sich als alleinschuldig bekennt (RG J W 1930, 983); ferner ein Vertrag, der die scheidungsberechtigte Frau durch Zusicherung reichlicher Mittel zu ihrem Unterhalt zur Scheidung erst geneigt machen sollte (RG WarnRspr 1931 Nr. 99); ein Vertrag, wonach zum gleichen Zwecke der scheidungsberechtigten Frau ein wertvolles Anwesen als Abfindung für Unterhaltsansprüche übertragen wurde (RG 145. 152). Als s i t t e n w i d r i g wurde auch angesehen ein erst nach Rechtskraft des Scheidungsurteils erklärter Unterhaltsverzicht der Frau, sofern er einen Teil eines die Scheidung erleichternden Abkommens bildet (RG 126, 320); ferner das Versprechen eines Vermögensvorteils, z. B. einer Abfindung oder auch eines über das gesetzliche Maß hinausgehenden Unterhalts im Falle der Scheidung, dafür, daß der eine Ehegatte die Scheidungsklage erhebt (RG 150, 385; R G WarnRspr 1913 Nr. 3; 1914 Nr. 273; R G J W 1913, 321; 1931, 1342), und zwar auch dann, wenn zur Erleichterung der Scheidung Abmachungen über das Recht zur Erziehung der Kinder getroffen wurden (RG Gruchot 49, 1175), oder wenn in einem Prozeßvergleich der Mann die Erziehung der Kinder der für alleinschuldig erklärten Frau überläßt (RG SeuffArch 75 Nr. 33), oder schließlich wenn vereinbart wird, an Stelle des wirklichen Scheidungsgrundes einen anderen geltend zu machen (RG SeuffArch 67 Nr. 193). Für s i t t e n w i d r i g wurde ein Ubereinkommen erachtet, wonach die B e r u f u n g gegen das k ü n f t i g e S c h e i d u n g s u r t e i l unzulässig sein soll (RG 70, 60; 71, 88; vgl. hierzu jedoch die in B G H 2, 112, 114 angeführten Bedenken; vgl. ferner B G H NJW 1958, 1397: über Übernahme der Verpflichtung auf Rechtsmittel gegen ein demnächst ergehendes Scheidungsurteil zu verzichten); ferner ein Vertrag, durch den ein Ehegatte sich für den Fall der von ihm ohne berechtigten Grund erstrebten Scheidung der Ehe von dem anderen Ehegatten Vermögensvorteile versprechen läßt (RG 108, 213); ferner der V e r z i c h t auf R e c h t s m i t t e l gegen ein Scheidungsurteil, wenn ihm eine auf Erleichterung der Scheidung abzielende Vereinbarung zugrundeliegt (RG 118, 1 7 1 ; 123, 84; R G J W 1911, 398; vgl. aber auch R G WarnRspr 1935 Nr. 134, B G H 2, 114; OLG Dresden DR 1942, 521). Uber die Sittenwidrigkeit von U n t e r h a l t s abkommen bei Ehescheidung, wenn zwischen den vom Ehemann übernommenen Leistungen und seinen Vermögens- und Einkommensverhältnissen zur Zeit des Vertragsschlusses ein grobes Mißverhältnis besteht s. R G 15g, 165. A n m . 65 Das Vorliegen eines Sittenverstoßes wurde in folgenden Fällen v e r n e i n t : Das Versprechen, des wegen Ehebruchs des andern Teiles geschiedenen Ehemannes niemals Strafantrag zu stellen, falls ihm dafür der gesetzliche Unterhalt versprochen wird (RG WarnRspr 1908 Nr. 126); die Einigung zwischen den Eheleuten über die während der Zeit des Getrenntlebens zu gewährenden Unterstützungen (RG WarnRspr 1911 Nr. 223); ein Vertrag, durch den sich die Frau die Möglichkeit des Getrenntlebens aus sittlich zu billigenden Gründen sichert (RG WarnRspr 1913 Nr. 188); Vereinbarungen zwischen Eheleuten vor erfolgter Scheidung zur Regelung der Unterhaltsansprüche, falls nicht 463

§138 Anm. 66, 67

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

die Regelung zur Erleichterung der Scheidung getroffen worden ist (RG J W 1916, 573); Vereinbarungen zwischen Eheleuten für die Zeit nach der Scheidung zur Vorsorge für ein Kind oder über ihre Vermögensverhältnisse (RG WarnRspr 1913 Nr. 3) oder über die Abkürzung des Scheidungsverfahrens, falls ein wirklich stichhaltiger Scheidungsgrund gegeben ist (RG Gruchot 58, 8g8); ferner ein „Ehevertrag" mit Abfindung für etwaige künftige Unterhaltsansprüche bei Zurücknahme einer anhängigen Scheidungsklage (RG WarnRspr 1933 Nr. 194); eine der Erleichterung der Ehescheidung dienende vertragliche Vermögensauseinandersetzung, wenn der nur auf Grund dieser Regelung mit der Scheidung einverstandene Ehegatte nicht günstiger gestellt wird, als er nach den gesetzlichen Bestimmungen gestellt wäre und die Ehe schon längere Zeit unheilbar zerrüttet ist (RG D J 1937, 1039). Anm. 66 Nach § 72 Satz 1 und 2 EheG sind Unterhaltsvereinbarungen für die Zeit nach der Scheidung, die vor Rechtskraft des Scheidungsurteils getroffen wurden, auch wenn sie dem Zwecke der Erleichterung oder Ermöglichung der Scheidung dienten, grundsätzlich wirksam. Sie können aber, wenn die besonderen Voraussetzungen des § 72 S. 3 EheG vorliegen, ebenfalls n i c h t i g sein. Dies ist dann der Fall, wenn die Ehegatten in Zusammenhang mit der Vereinbarung einen nicht oder nicht mehr bestehenden Scheidungsgrund geltend gemacht hatten oder sich sonst aus dem Inhalt oder den Umständen ein Sittenverstoß ergibt. So verstößt z. B. eine vor der Ehescheidung geschlossene Unterhaltsvereinbarung gegen die guten Sitten, in der der Ehefrau und einem ehelichen Kind für den Fall, daß die Ehe aus dem Verschulden des Mannes geschieden wird, von dem Ehemann, der durch ehewidrige Beziehungen die Ehe zerrüttet hat, unter Verbürgung der anderen Frau, Unterhaltsrenten versprochen werden, die von Anfang an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mannes übersteigen und von vornherein nur unter ständiger Inanspruchnahme der Bürgin bezahlt werden können (BGH L M Nr. 8 [Cd] zu § 138 = NJW 1957, 1188). Dagegen ist ein Unterhaltsversprechen, das von der Frau erteilt wird, die der Scheidungskläger zu heiraten beabsichtigt, nicht sittenwidrig, wenn die Scheidungsbeklagte unheilbar geistig krank war. In diesem Fall war der Scheidungskläger sittlich verpflichtet, die erkrankte Beklagte zu unterhalten und es ist daher nicht zu beanstanden, wenn er seine künftige Frau veranlaßt hat, sich an den Unterhaltsleistungen zu beteiligen (BGH L M Nr. 4 [Cd] zu § 138 = M D R 1957, 26). § 72 EheG kann nicht auf solche Unterhaltsvereinbarungen entsprechend angewendet werden, die zwischen einem Ehegatten und einem Dritten ohne oder gegen den Willen des andern Ehegatten zur Erleichterung oder zur Durchführung des Scheidungsverfahrens getroffen werden. Die Frage, ob solche Unterhaltsvereinbarungen sittenwidrig sind, ist unter Anwendung der vom RG vor Erlaß des EheG von 1938 entwickelten Rechtsgrundsätze über die Beurteilung scheidungserleichternder Unterhaltsvereinbarungen zu entscheiden. Danach wird eine solche Vereinbarung dann sittenwidrig sein, wenn ein Ehegatte durch das Unterhaltsversprechen des Dritten zur Scheidung bewogen werden soll (BGH L M Nr. 1 [Cd] zu § 138 = NJW 1951, 208). Anm. 67 2. Weitere Einzelfälle Als s i t t e n w i d r i g sind ferner angesehen worden Verträge zwischen Ehegatten, wonach die Sorge für die gemeinschaftlichen Kinder in einer den gesetzlichen Vorschriften widersprechenden Weise geregelt wurde (RG WarnRspr 1912 Nr. 1 1 5 ) ; ferner der Verzicht des Vaters auf das Erziehungsrecht (RG 68, 322), das Eheversprechen eines verheirateten Mannes (RG SeuffArch 78 Nr. 91). D a g e g e n ist ein Sitten verstoß n i c h t angenommen worden bei einer Abfindung einer verlassenen Braut (RG 9. 5. 1911 V I I 472/10); ferner ein Abkommen, daß der mutmaßliche außereheliche Erzeuger eines in der Ehe geborenen Kindes mit dem Ehegatten über die Gewährung von Unterhalt schließt (RG H R R 1937 Nr. 80). Als sittenwidrig wurde dagegen ein Abkommen zwischen den Ehegatten zur Vereitelung des Unterhaltsanspruches eines unehelichen Kindes des Mannes angesehen (RAG WarnRspr 1932 Nr. 96).

464

Willenserklärung

§138 Anm. 68—70

Anm. 68 Unsittlich und daher nichtig ist eine letztwillige V e r f ü g u n g , durch die ein Erblasser seine unmündigen mutterlosen Kinder enterbt hat, wenn in der letztwilligen Verfügung der vom Erblasser schon früher gefaßte und geäußerte Entschluß, sich von seinen Kindern loszusagen, zum Ausdruck kommt und die Enterbung zugunsten seiner Verlobten erfolgt, die mit der Enterbung und Verstoßung der Kinder einverstanden ist ( B G H L M Nr. 7 [ C d ] zu § 138 = F a m R Z 1956, 219). Setzt ein Ehemann unter gleichzeitiger Enterbung seiner Ehefrau zu Erben seine Kinder und eine andere F r a u ein, zu der er ehewidrige, wenn auch nicht auf geschlechtlichem Gebiet liegende Beziehungen unterhalten hat, so können solche Bestimmungen des Testamentes, in denen diese F r a u im Verhältnis zu den Kindern bevorzugt bedacht ist, wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig sein ( B G H L M Nr. 2 [ C d ] zu § 138 = F a m R Z 1954, 195). Eine Erbeinsetzung der Söhne durch einen Hofbauern unter der Bedingung, daß diese sich von ihren Frauen scheiden lassen, die während des Krieges und in Abwesenheit der Söhne die eheliche Treue gebrochen haben, verstößt nicht gegen die guten Sitten, wenn der Ehebruch als schwere Kränkung der Familienehre aufgefaßt wird (BGH L M Nr. 5 [ C d ] zu § 138 = J Z 1956, 279). Hat ein durch gemeinschaftliches Testament oder Erbvertrag an ein Vermächtnis gebundener Erblasser über den Gegenstand des Vermächtnisses durch Rechtsgeschäft unter Lebenden verfügt, so ist das Rechtsgeschäft nur nichtig, wenn die Parteien beabsichtigt haben, die im gemeinschaftlichen Testament gegebene Bindung in gesetzund sittenwidriger Weise zu umgehen ( B G H 26, 274).

Anm. 69 V. Förderung, Entlohnung von Unzucht und anderen Leidenschaften 1. Unzucht Rechtsgeschäfte, durch die die Unzucht oder andere Leidenschaften gefördert werden, sind sittenwidrig und daher nichtig. Sittenwidrig sind grundsätzlich letztwillige Verfügungen, in denen eine G e l i e b t e für ihre geschlechtliche Hingabe belohnt oder wodurch sie dazu bestimmt werden soll; so ist ein Vermächtnis, das die Bedachte in der ihr bekannten Absicht gewährt wird, sie für die außerehelichen oder ehebrecherischen geschlechtlichen Beziehungen zu belohnen oder zur Fortsetzung des Verkehrs geneigt zu machen, als sittenwidrig angesehen worden ( R G J W 1910, 6; 1 9 1 1 , 29; R G WarnRspr 1934 Nr. 9 1 ; s. ferner R G i n , 5 3 ; aber auch R G J W 1929, 3 3 ) ; ferner die Erbeinsetzung der Geliebten durch den geschiedenen Ehemann, wenn das Liebesverhältnis schon vor der Ehescheidung begonnen hatte ( R G H R R 1929 Nr. 1 3 0 1 ) ; ferner ein unwahres testamentarisches Schuldanerkenntnis zugunsten der Geliebten und zur Vereitelung von Erb- und Pflichtteilsansprüchen des Sohnes ( R G H R R 1935 Nr. 3), eine letztwillige Verfügung, die der Geliebten als Dank für geschlechtliche Hingabe zum Nachteil der Ehefrau des Erblassers die Stellung einer Ehefrau und Mutter einräumt ( R G H R R 1937 Nr. 493). Die Erbeinsetzung einer Geliebten kann auch dann sittenwidrig sein, wenn sie nicht dazu bestimmt ist, den Geschlechtsverkehr zu belohnen oder seine Fortsetzung zu sichern oder zu fördern ( O G H 3, 158).

Anm. 70 Sittenwidrig sind grundsätzlich auch letztwillige Verfügungen, durch die die H a u s h ä l t e r i n des Erblassers, mit der er geschlechtliche Beziehungen hatte ( R G H R R 1938 Nr. 576) begünstigt wird. So ist z. B. ein weitgehendes und die Familie benachteiligendes Vermächtnis eines von seiner Ehefrau getrennt lebenden Ehemannes zugunsten seiner mit ihm in ehebrecherischem Verhältnis lebenden Hausdame sittenwidrig ( R G 166, 395). Dagegen ist ein zugunsten einer Haushälterin unter Benachteiligung der erbberechtigten Geschwister errichtete letztwillige Verfügung dann nicht sittenwidrig, wenn zwischen der Haushälterin und dem Erblasser zwar ein Liebesverhältnis bestanden hat, der Erblasser die Haushälterin aber nicht nur hierfür, sondern in erster Linie für die langjährigen Dienste belohnen wollte ( B G H L M Nr. g [ C d ] zu § 138 = M D R 1958, 316).

465

§138

A n m . 71—73

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A n m . 71 Sittenwidrig ist auch d i e Z u w e n d u n g von Bezugsberechtigungen aus einer L e b e n s v e r s i c h e r u n g als Dank und Belohnung für ein ehebrecherisches Liebesverhältnis, auch wenn der Versicherer von dem unsittlichen Charakter nichts weiß (RG 142, 410; 154, 99 gegen RG J W 1934, 1409). Ist die Zuwendung der Bezugsberechtigung aber aus überwiegend beachtenswerten Gründen erfolgt, nämlich zur Belohnung für einen langjährigen gemeinsamen Daseinskampf, so reicht der Umstand, daß zwischen dem Versicherungsnehmer und der Begünstigten unsittliche Beziehungen bestanden, für sich allein nicht aus, um die Begünstigung als sittenwidrig erscheinen zu lassen (BGH 23> 7 6 )A n m . 72 Sittenwidrig ist die vertragliche A n s t e l l u n g einer Hausdame, wenn in Wirklichkeit beiderseits ein K o n k u b i n a t s v e r h ä l t n i s bezweckt ist (RG WarnRspr 1926 Nr.41; vgl. auch R A G 16, 22 und R A G WarnRspr 1931 Nr. 137); ferner ein Schuldversprechen eines Mannes gegenüber einer Frau, mit der er in wilder Ehe gelebt hat, zu dem Zweck, um ihn von einer anderen Eheschließung abzuhalten oder um ihm die Fortsetzung des außerehelichen Verkehrs zu sichern (RG g8, 176); ferner die Gewährung eines Darlehns zur Befestigung eines ehebrecherischen Verhältnisses (RG WarnRspr 1931 Nr. 119); das Versprechen eines Mannes an eine Frau, mit der er in Geschlechtsverkehr gelebt hatte, ihr für den Fall seiner anderweitigen Verheiratung eine bestimmte Summe zu zahlen, falls die Abrede dazu gedient hat, den Mann von der Verheiratung abzuhalten, anders aber, wenn damit bezweckt war, von der Frau Nachteile abzuwenden (RG J W ig20, 960). Sittenwidrig ist ferner die Schenkung eines Grundstücks an eine Person, mit der der Schenker die Ehe gebrochen hat in der Absicht, das Grundstück der Ehefrau zu entziehen (RG i n , 151 zu R G LZ 1925, 990); ferner das Verlöbnis einer verheirateten Person (RG 170, 76). Sittenwidrig ist auch eine Zuwendung an die uneheliche Mutter, um sie zur Verschweigung der Vaterschaft zu bestimmen (RG SeuffArch 7 _7_Nr. 5 8). Als s i t t e n w i d r i g ist ferner angesehen worden ein Geldversprechen, daß sich ein Mann von seiner Geliebten als Entschädigung für verpaßte Heiratsgelegenheiten geben läßt (RG J W 1913, 855), ferner eine Schenkung an eine Frau zur Belohnung dafür, daß sie nicht zu ihrem Manne zurückkehrt, mag auch die Absicht eines Geschlechtsverkehrs dabei nicht mitgewirkt haben (RG 4. 4. 1924 VII 532/23). Als n i c h t s i t t e n w i d r i g wurde angesehen das von einem Mann einer Frau gegebene Schuldversprechen zur Entschädigung dafür, daß sie ihren Beruf aufgegeben hat, um mit ihm in wilder Ehe zu leben (RG 98, 177). A n m . 73 2. Glückspiel Ob ein zu Zwecken des Glückspiels gegebenes Darlehen sittenwidrig ist, hängt von den Umständen des einzelnen Falles ab. So ist ein Darlehen nicht schon aus dem Grunde unsittlich, weil der Darlehnsgeber weiß, daß der Empfänger den Betrag zum Glückspiel verwenden will (RG 67, 355; 70, 1; R G J W 1926, 2918). Ebenso verstößt ein Vertrag über die entgeldiche Lieferung von Geräten zu Spielzwecken nicht ohne weiteres gegen die guten Sitten (RG WarnRspr 1923 Nr. 8). Dagegen wurde die Miete eines Hotels zu Spielzwecken aus gewinnsüchtiger Absicht für nichtig angesehen (vgl. R G WarnRspr 1922 Nr. 121), ferner ein erhebliches Darlehen an einen jungen Menschen, um in eigennütziger Absicht ihm die Teilnahme am Glücksspiel zu ermöglichen (RG 70, 1; RG J W 1920, 96), und das Darlehen, das aus Gewinnsucht gegeben wird, indem das Glücksspiel zur Quelle eigenen Verdienstes dienen soll (RG 67, 355; 70, 1; RG J W 1920, 96; RG WarnRspr 1921 Nr. 11, 13; 1922 Nr. 63; vgl. auch Anm. zu §762). Sittenwidrig ist auch die Vereinbarung eines Schiedsgerichts zur Entscheidung über eine Spielschuld (RG 68, 9). 466

Willenserklärung

§138 Anm. 74—76

Anm. 74 VI. Standeswidrigkeiten und Geschäfte, durch die ideelle Güter mit vermögensrechtlichen Vorteilen verknüpft werden S i t t e n w i d r i g ist das Versprechen oder die Gewährung von Vermögensvorteilen, um jemand zum G l a u b e n s Wechsel zu bestimmen, es sei denn, daß jener ohnehin dazu entschlossen gewesen wäre und ihm der Übertritt nur erleichtert werden sollte ( R G J W 1913, 1100). Die entgeltliche Übernahme der Pflicht zur N i c h t e r s t a t t u n g oder Z u r ü c k n a h m e einer S t r a f - o d e r D i s z i p l i n a r a n z e i g e ( R G 42, 60; R G J W 1904, 404; R G SeufFArch 84 Nr. 77). Dagegen ist das Versprechen, einen Strafantrag zu unterlassen, falls sich der Geschädigte nur den ihm durch die Straftat zugefügten Schaden wenigstens zum Teil ersetzen läßt, nicht sittenwidrig ( R G WarnRspr 1910 Nr. 370; vgl. auch R G J W 1909, 487). S i t t e n w i d r i g ist eine l e t z t w i l l i g e V e r f ü g u n g , durch die durch vermögensrechtliche Anordnungen auf die freie Entschließung des Bedachten in der Wahl des religiösen Bekenntnisses eingewirkt werden soll ( R G SeuffArch 1914 Nr. 48); ferner die Vereinbarung wirtschaftlicher Nachteile für den Gutsübernehmer, um ihn von bestimmten Entscheidungen auf religiösem Gebiete (Wahl des religiösen Bekenntnisses für sich und seine Kinder) abzuhalten (RG H R R 1933 Nr. 1830). Sittenwidrig ist ferner das Versprechen, eine Stiftung zu errichten, unter der Bedingung, daß dem Stifter Titel oder Orden verschafft werden. Die Rückforderung der Leistung ist nach § 817 Abs. 2 unstatthaft (RG 86, 98, R G WarnRspr 1919 Nr. 51).

Anm. 75 Hierher gehören ferner Verträge, in denen Vertragspflichten durch E h r e n w o r t bestärkt werden, wenn die dadurch begründete Bindung geeignet ist, die bürgerliche Stellung und das Fortkommen zu gefährden ( R G 82, 222, betr. ehrenwörtliches Versprechen eines Zahnarztes zur Einhaltung von Mindestgebührensätzen); ferner die Verpfändung des Ehrenwortes für eine vermögensrechtliche Leistung, die jedoch dann zulässig sein kann, wenn der Gewissenszwang nur zum Schutze anerkennenswerter Interessen ausgenützt und durch ihn einer ehrlosen Handlung vorgebeugt werden soll ( R G 78, 258; R G WarnRspr 1915 Nr. 227). Sittenwidrig ist auch eine Vereinbarung, wonach anläßlich der Austragung sportlicher Wettkämpfe ein Bewerber anderen Mitbewerbern für ihre Nichtbeteiligung Geldleistungen im Falle seines Sieges verspricht ( R G 138, 137). Hierher gehört ferner ein Versprechen, daß sich ein Zeuge zur Vergütung seiner Aussage geben läßt ( R G 79, 371; 88, 374), sowie die Vereinbarung einer beträchtlichen Geldsumme für die Hergabe von Briefen, die bei Bekanntwerden dem Zahlenden schwere Ungelegenheiten bereiten würden.

Anm. 76 Ein Vertrag, der unter Verletzung der Standespflicht geschlossen wird, ist nicht ohne weiteres sittenwidrig ( R G 83, 110; 144, 242; 146, 190; 153, 302; R G SeuffArch 86 Nr. 89; J W 1932, 370), auch hier kommt es auf die Gesamtumstände an. Bei Personen, die Träger wichtiger öffentlicher Funktionen sind, wie z. B. Richter und Rechtsanwälte, wird ein standeswidriges Verhalten in der Regel auch ein sittenwidriges sein ( R G 144, 244). Über Vereinbarungen, die von Berufsorganisationen als standeswidrig mißbilligt werden, vgl. auch B G H 22, 347, 357. Als sittenwidrig ist ein Vertrag erklärt worden, durch den ein Richter auf seine eigne Veranlassung gegen Entgelt zum Obmann eines Schiedsgerichts bestellt wurde, das über einen Rechtsstreit entscheiden sollte, mit dem der Richter amtlich befaßt war ( R G 113, 1), ebenso — unbeschadet einer anderen Beurteilung bei besonderer Sachlage, wie z.B., wenn die Partei ohne erhebliche Verletzung ihrer eigenen Interessen die Zahlung eines Honorars in anderer Form nicht zu übernehmen vermag — ein Vertrag, in dem ein Rechtsanwalt sich ein nach der Höhe des im Rechtsstreit zu erzielenden Betrages abgestuftes Honorar versprechen läßt ( R G 115, 141); ferner ein Vertrag, durch den sich ein Rechtsanwalt als Vergütung einen be-

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§138

A n m . 77—79

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

stimmten Teil des Gewinnes ausbedingt, der durch seine Tätigkeit erzielt werden wird (RG 142, 70). Während in Deutschland die Frage, ob sich der Rechtsanwalt von seinem Auftraggeber einen Streitanteil versprechen lassen darf, zwar gesetzlich nicht geregelt, aber von der Rechtsprechung als standeswidrig und bei Erschwerungsgründen auch als sittenwidrig angesehen wurde (RG 83, m ; 1 1 5 , 1 4 1 ; 142, 70; R G J W 1939, 4 1 1 ) und die Vereinbarung eines E r f o l g s h o n o r a r s nach § 93 Abs. 2 S. 5 der R A G e b O unwirksam ist, vgl. auch das Vereinheitlichungsgesetz v. 1 2 . 9 . 1950 (BGBl. 505), ist die Vereinbarung eines nach einem Streitanteil berechneten Erfolgshonorars zwischen einem im Ausland ansässigen Rechtsanwalt und seinem deutschen Auftraggeber zulässig ( B G H 22, 162). Ist ein Rechtsanwalt mit einer gegenständlich dem Anwaltsberuf zuzurechnenden Tätigkeit beauftragt, so kann nicht schon wegen des vereinbarten Erfolgshonorars ein Anwaltsvertrag verneint werden. Die Honorarabrede unterliegt dann den Beschränkungen der §§ 93 Abs. 2, 95 R A G e b O . Ihre Rechtswirksamkeit berührt in der Regel nicht die Gültigkeit des Anwaltsvertrages ( B G H L M Nr. 1 zu § 1 R A G e b O ) . Auch die Abmachung, daß die Gebühren unabhängig davon fällig werden, ob der Erfolg auf die Tätigkeit des Rechtsanwalts zurückzuführen ist, schließt die Wirksamkeit nicht ohne weiteres aus (BGH 22, 162). Die entgeltliche A b g a b e und Ü b e r n a h m e e i n e r R e c h t s a n w a l t s p r a x i s verstößt gegen die guten Sitten, wenn die Bedingungen so beschaffen sind, daß die Gefahr besteht, der übernehmende Anwalt werde unter Zurücksetzung seiner Justizaufgaben die Praxis rücksichtslos als reine Erwerbsquelle ausnutzen. Nicht zu beanstanden ist, wenn der übernehmende Anwalt eine angemessene Entschädigung der Witwe des bisherigen Inhabers zahlt (RG 153, 280; vgl. auch R G 1 6 1 , 1 5 3 ; R G D R W 1939, 2 1 5 4 Nr. 2; R G Recht 1939 Nr. 5901). A n m . 77 Sittenwidrig ist die entgeltliche Ü b e r t r a g u n g e i n e r ä r z t l i c h e n P r a x i s an sich zwar nicht (RG WarnRspr ig 12 Nr. 150; R G J W 1937, 923), sie kann es aber sein, wenn sie unter so schweren Bedingungen erfolgt, daß der Käufer genötigt sein könnte, sein Augenmerk vor allem auf die Erzielung möglichst hoher Einnahmen zu richten (RG 66, 139; R G 75, 120; 1 1 5 , 1 7 2 ; 155, 280; R G J W 1 9 1 1 , 276; R G WarnRspr 1 9 1 5 Nr. 162, vgl. hierzu auch B G H 7, 1, 27). Sittenwidrig sind auch Vereinbarungen eines Arztes, die auf eine hauptsächliche oder vorwiegende Ausnützung seines Berufes als reine Erwerbsquelle abzielen ( R G WarnRspr 1 9 1 5 Nr. 162); ferner ein geheim zu haltendes Abkommen zwischen Ärzten, wonach der eine als Krankenhausleiter sich von dem anderen als seinen Nachfolger für dessen Empfehlung eine Vergütung versprechen läßt ( R G J W 1916, 252). Uber Arztpraxistausch mit Rückkehrverbot vgl. B G H 16, 71 und oben Anm. 39. A n m . 78 Ein Vertrag, wodurch ein im Ruhestand befindlicher hoher Beamter sich einer Baufirma gegenüber verpflichtet, ihr unter Ausnützung seiner persönlichen Beziehungen zu dem maßgebenden Beamten Aufträge zuzuführen, ist sittenwidrig ( R A G 12, 212). Nicht unter allen Umständen sittenwidrig ist ein Vertrag, durch den ein Architekt die Garantie dafür übernimmt, daß der Voranschlag für einen Bau nicht überschritten werde, selbst wenn die Überschreitung unvermeidlich sein sollte ( R G H R R 1937 Nr. 129 a). A n m . 79 D. Sittenwidrigkeit von Vergleichen Auch ein Vergleich kann sittenwidrig sein (BGH N J W 1 9 5 1 , 397). Bei der Abwägung der beiderseitigen Leistungen sind der Wert der vor dem Vergleichsabschluß bestehenden Verpflichtungen, soweit dieser festgestellt werden kann, und der Wert der im Vergleich übernommenen Verpflichtungen zu vergleichen (RG 83, 1 1 3 ; 156, 265). Ein Mißverhältnis zwischen beiden Leistungen genügt an und für sich nicht, es muß auf Seiten des den übermäßigen Vorteil beanspruchenden Teiles eine solche Gesinnung vorliegen, daß

468

Willenserklärung

§ 138 Ä n m . 80 §139

das Rechtsgeschäft nach Inhalt, Beweggrund und Zweck dem Anstandsgefühl aller Billigdenkenden widerspricht (BGH NJW 1951, 397)- Die Frage, ob ein Prozeßvergleich nichtig oder anfechtbar ist, kann durch Fortsetzung des bisherigen durch den Vergleich beendeten Verfahrens geklärt werden (BGH NJW 1958, 1970). A n m . 80 E. Weitere Einzelfälle von Rechtsgeschäften, die als sittenwidrig anzusehen sind Als nicht sittenwidrig wurde angesehen der Erwerb des Eigentums an einer Sache trotz Kenntnis des älteren Rechts eines andern (RG 83, 240); ein Vertrag, durch den mehrere Personen einem andern bei einer Ausbietung das Alleinrecht zur Abgabe von Geboten auf ein bestimmtes Los einräumen, während der andere sich verpflichtet, auf weitere Lose nicht mitzubieten (RG J W 1915, 1258); ein der Verordnung v. 24. 6. 1916 betreffend den Verkauf von Lebensmitteln zuwiderlaufendes oder die bestimmten Richtpreise überschreitendes Rechtsgeschäft (RG 96, 232, 343; 97, 83). Daß sich der Nießbraucher eines Grundstücks rückständige Hypothekenansprüche abtreten läßt und sich nicht aus den Grundstückseinkünften bezahlt macht, reicht für die Annahme eines Verstoßes gegen die guten Sitten nicht aus (RG ioo, 158). Hat der Vertreter des Vermieters für den Abschluß eines Mietvertrages vom Mieter eine Provision erhalten, so kann eine Nichtigkeit dieses Vertrages wegen Sittenwidrigkeit nur dann in Frage kommen, wenn dem Vermieter ein Nachteil entstanden ist (RG 27.6.1929 VII 222/29), maßliche Wille der Parteien maßgeblich und daß eine Auslegung gegen diesen Für rechtlich einwandfrei wurde auch die Anfechtung eines Erbvertrages erachtet, obgleich der Erblasser die Voraussetzungen für die Anfechtung erst durch die Annahme an Kindesstatt geschaffen hatte (RG 138, 373). Für zulässig erachtet wurde auch die Gewährung eines Darlehns zur freiwilligen Erfüllung verbotener Terminsgeschäfte (RG Gruchot 54, 613); die Übernahme der Verpflichtung, ein Grundstück nur an Käufer deutscher Nationalität zu verkaufen (RG 75, 78; 73, 16) oder doch nicht an den Angehörigen einer bestimmten anderen Nation (RG 53, 71; 73, 21); rechtsgeschäftliche Maßregeln zur Erhaltung deutschen Besitztums in deutscher Hand (RG WarnRspr 1914 Nr. 110; ferner die Übermäßigkeit einer Vertragsstrafe (RG 68, 229; RG J W 1909, 988; 1913, 319); und schließlich die Vereinbarung eines an sich unzuständigen Gerichts (RG 86, 7). Die Nichtigkeit einer Gerichtsstandsklausel in allgemeinen Geschäftsbedingungen wegen Verstoßes gegen § 138 führt grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit des ganzen Vertrages (BGH 22, 90).

§139 Ist ein Teil eines Rechtsgeschäfts nichtig, so ist das ganze Rechtsgeschäft nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, daß es auch ohne den nichtigen Teil vorg e n o m m e n sein würde. E I 1 1 4 II 1 1 2 ; M x 222; P 1 134.

Übersicht Anm.

I. Allgemeines 1. Anwendung im bürgerlichen Recht 2. Anwendung des Rechtsgedankens des § 139 im öffentlchen Recht . 3. Verhältnis zu den Grundsätzen der Unmöglichkeit II. Teilbares Rechtsgeschäft 1. Verbindung mehrerer Rechtsgeschäfte zu einer rechtlichen Einheit durch Parteiwillen 2. Nichtigkeit einzelner Bestimmungen eines Vertrages 3. Mehrheit von Personen 31

Komm. 2. B G B . I i . Aufl. I. Bd. (Krüger-Nieland)

1—4 2 3 4 5—10 6—8 9 10 469

§139

V-

j.^.v .

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A n m . 1, 2 Anm.

I I I . U n a n w e n d b a r k e i t des § 139 1. Allgemeines 2. U n a n w e n d b a r k e i t kraft Gesetzes . . . I V . D i e R e g e l des § 139 u n d ihre A u s n a h m e n 1. D i e R e g e l 2. Die A u s n a h m e 3. Einzelfälle V . Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft V I . Beweislast

.

11—15 11—13 '4> 15 16—20 16 17 18—20 21, 22 23» 24

Anm. 1 I. Allgemeines Der Vorschrift des § 139 liegt zusammen mit den Vorschriften der §§ 140 u n d 155 der Rechtsgedanke zugrunde, das abgeschlossene Rechtsgeschäft in seinem Bestand n a c h Möglichkeit zu schützen, soweit dies mit den Parteiabsichten vereinbar ist. Zwischen § 139 und den §§ 133 und 157 besteht ebenfalls insofern ein innerer Z u s a m m e n h a n g , als allen diesen Bestimmungen gemeinsam ist, d a ß für die Auslegung der erklärte oder mutmaßliche W i l l e d e r P a r t e i e n maßgeblich und daß eine Auslegung gegen diesen Willen nach objektiven Grundsätzen nicht zulässig ist ( B G H 19, 272). Für die A n w e n d u n g des § 139 ist der erklärte oder vermutliche Parteiwille insofern m a ß g e b e n d , als z u fragen ist, o b die Parteien das Rechtsgeschäft a u c h ohne den nichtigen T e i l geschlossen haben würden. Die Feststellung, d a ß die Parteien in j e d e m Fall, w e n n a u c h vielleicht anders, abgeschlossen hätten, reicht nicht aus. Es m u ß vielmehr feststehen, d a ß der verbleibende Restvertrag nach d e m durch Auslegung zu ermittelnden Parteiwillen auch ohne den nichtigen T e i l zustande gekommen w ä r e ( R G 146, 1 1 9 ; vgl. a u c h B G H N J W 1951, 3975 B G H 13, 232).

Anm. 2 1. Anwendung i m bürgerlichen Recht § 139 betrifft d e m Wortlaut nach nur R e c h t s g e s c h ä f t e und z w a r Rechtsgeschäfte j e d e r A r t . Es m u ß sich aber u m z u s t a n d e g e k o m m e n e Rechtsgeschäfte handeln denn w e n n ein Rechtsgeschäft, wie etwa beim Einigungsmangel (§§ 154, 155) nicht zustande gekommen ist, kann von Nichtigkeit nicht die R e d e sein ( R G 79, 78; R G 1 1 8 , 2 1 8 ; vgl. ferner R G 120, 366; 121, 246; R G H R R 1934 Nr. 30). D a g e g e n findet diese V o r schrift keine A n w e n d u n g , auch keine entsprechende, auf die E i n t r a g u n g solcher Beschlüsse ins Genossenschaftsregister ( R G 132, 22), wohl aber auf G r u n d b u c h e i n t r a gungen ( R G 119, 214). D e m Sinne nach bezieht sich die Vorschrift a u c h auf solche Rechtsgeschäfte, deren Wirksamkeit v o n einer G e n e h m i g u n g abhängt ( s c h w e b e n d u n w i r k s a m e G e s c h ä f t e ) und die bei Fehlen der G e n e h m i g u n g teilweise unwirksam sind ( R G 93, 338; 114, 3 5 f f ; 120, 126; 133, 7; 146, 367). Ist ein T e i l eines Rechtsgeschäfts schwebend unwirksam, d a n n m u ß im Zweifel a n g e n o m m e n werden, d a ß der ganze V e r t r a g schwebend unwirksam ist. W i r d die erforderliche G e n e h m i g u n g versagt, dann ist Nichtigkeit nicht nur des genehmigungsbedürftigen Teils, sondern des ganzen V e r trages anzunehmen. A u s § 139 kann aber für die Fälle, in denen nach §§ 1822, Ziff. 5, 1902 eine G e n e h m i g u n g nur für V e r t r ä g e erforderlich ist, die über eine b e s t i m m t e Z e i t d a u e r hinaus abgeschlossen werden, entnommen werden, d a ß diese V e r t r ä g e als für die Zeitdauer wirksam abgeschlossen gelten, für die sie n a c h den genannten Bestimmungen einer G e n e h m i g u n g nicht bedurft hätten ( R G 82, 124; 114, 35). So ist es möglich, d a ß ein Pachtvertrag, der auf länger als ein J a h r geschlossen w o r d e n ist und für den die nach § 1822 Ziff. 5 erforderliche G e n e h m i g u n g nicht erteilt wurde, für die genehmigungsfreie Zeit (1 Jahr) wirksam ist, vorausgesetzt, d a ß die Parteien bei Kenntnis der Genehmigungsbedürftigkeit den V e r t r a g für diese Zeit geschlossen h a b e n würden. Lebensversicherungsverträge, die wegen ihrer beabsichtigten D a u e r der G e n e h m i g u n g nach §§ 1822, Ziff. 5 und 1902 bedürfen, können dagegen nicht für

470

Willenserklärung

§139

Anm. 3—5 die zulässige Dauer als wirksam abgeschlossen angesehen werden, da mit der Verkürzung der Laufzeit sich die Prämien erhöhen und daher in der Regel nicht gesagt werden kann, daß die Parteien den Vertrag mit gleichem Inhalt auch für die genehmigungsfreie Zeit abgeschlossen haben würden ( B G H 28, 79). Ist vom Vormundschaftsrichter ein Vertrag genehmigt worden, bei dem der Richter nicht erkannte, daß einige Klauseln nichtig waren, dann wird durch den Wegfall des nichtigen Teils der Vertrag nicht zu einem andern, nämlich einem nicht genehmigten, vielmehr muß auch in diesem Fall die Prüfung der Gültigkeit des Rechtsgeschäfts nach § 139 vorgenommen werden ( B G H L M Nr. 9 zu § 139 = D N o t Z 1954, 370). § 139 findet auch auf Beschlüsse der Generalversammlung einer Genossenschaft Anwendung, soweit sie rechtsgeschäftlichen Inhalt haben, obwohl diese erst mit der Eintragung ins Genossenschaftsregister wirksam werden und mangels solcher Eintragung teilweise unwirksam sind.

Anm. 3 2. Anwendung des Rechtsgedankens des § 139 im öffentlichen Recht Der dem § 139 zugrunde liegende Rechtsgedanke ist auch auf Verwaltungsakte, Gesetze und Verordnungen anwendbar, d. h. das von der Verwaltung oder dem Gesetzgeber Gewollte soll nach Möglichkeit erhalten bleiben. Die Nichtigkeit eines Teiles eines Verwaltungsaktes, eines Gesetzes oder einer Verordnung führt nicht ohne weiteres zur Nichtigkeit des ganzen Verwaltungsaktes, des ganzen Gesetzes oder der ganzen Verordnung, vielmehr ist zu prüfen, ob die Behörde den Verwaltungsakt auch ohne den nichtigen Teil, der Gesetzgeber das Gesetz oder die Verordnung auch ohne die nichtige Bestimmung erlassen haben würde, und ferner, ob sich nicht aus zwingenden Vorschriften oder aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen oder aus den besonderen U m ständen ergibt, daß der — an sich rechtlich unbedenkliche — Rest des Hoheitsaktes allein nicht Bestand haben kann ( R G 1 3 3 , 2 1 1 ; 134, 1 5 ; B G H 3, 1 7 ; 7, 1 0 ; 9, 370; 16, 198; 26, 93).

Anm. 4 3. Verhältnis zu den Grundsätzen der Unmöglichkeit § 139 ist nicht anwendbar, soweit die Grundsätze von der nachträglichen Unmöglichkeit der Leistung durchgreifen. Ist das Rechtsgeschäft unteilbar, weil der Lei-

stungsgegenstand unteilbar ist, dann fehlt es für die Anwendbarkeit des § 139 an der erforderlichen Voraussetzung. Ist andererseits der Leistungsgegenstand teilbar, dann ist im Falle nachträglicher Unmöglichkeit für § 139 deswegen kein R a u m , weil hier der erfüllbare Teil des Rechtsgeschäfts, sofern nicht gegebenenfalls die nur teilweise Unmöglichkeit der völligen Unmöglichkeit gleichzustellen ist, nach der Bestimmung des § 275 oder der §§ 3 2 3 — 3 2 5 erhalten bleibt. Bei der anfänglichen Unmöglichkeit liegt die Sache freilich anders. In § 306 ist der Fall anfänglicher nur teilweiser Unmöglichkeit überhaupt nicht vorgesehen. Diese Lücke muß daher der § 1 3 9 ausfüllen, und er ist dazu auch geeignet (vgl. R G 5 1 , 94; vgl. auch R G 68, 293; 78, 12). Allerdings muß man sich dabei dessen bewußt bleiben, daß hier ein eigentlicher Fall des § 139 nicht vorliegt. Ist beispielsweise eine Sache verkauft worden, für die ein Gebrauchsmuster eingetragen war, und fehlte es aber an den gesetzlichen Voraussetzungen für einen Musterschutz, dann tritt zwar Nichtigkeit des ganzen Geschäfts wegen teilweiser Unmöglichkeit der ganzen Leistung ein, aber die Voraussetzung eines zusammengesetzten Rechtsgeschäfts im Sinne des § 139 trifft nicht zu; denn die Zusicherung, daß die Kaufsache mit einem Musterschutz versehen sei, diente nur zur Bestimmung der Art der Kaufsache, das Geschäft an sich war aber im ganzen notwendig ein einheitliches.

Anm. 5 II. Teilbares Rechtsgeschäft § 139 ist nur auf Rechtsgeschäfte anwendbar, die derart t e i l b a r sind, daß an und für sich jeder Teil oder zum mindesten der vom Nichtigkeitsgrund nicht betroffene Teil, Gegenstand eines selbständigen Rechtsgeschäfts darstellen könnte. Auszuscheiden 3'*

471

§ 139 A n m . 6—8

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

aus dem Anwendungsbereich des § 139 sind daher die Fälle, in denen der Nichtigkeitsgrund einen wesentlichen Bestandteil eines an sich u n t e i l b a r e n Rechtsgeschäfts betrifft, eines Teiles also, ohne den das Rechtsgeschäft überhaupt nicht bestehen kann. Wäre z. B. in einem Grundstückskaufvertrag der Kaufpreis unrichtig beurkundet oder sonst ein wesentlicher Bestandteil nichtig, dann könnte der Vertrag schon aus disem Grunde keinen Bestand haben ( R G WarnRspr 1927 Nr. 18, vgl. aber auch Anm. 20 zu § 134). Es muß sich also um ein in mehrere Teile zerlegbares Rechtsgeschäft handeln und von diesem Teil zum mindesten der eine (der vom Nichtigkeitsgrund nicht betroffene Teil) unabhängig von dem andern, dem nichtigen Teil, selbständig für sich bestehen können. Voraussetzung ist ferner, daß der dem einen Teil anhaftende Nichtigkeitsgrund nicht ohne weiteres das gesamte gewollte Rechtsgeschäft vernichtet. Den Regelfall des teilbaren Rechtsgeschäfts bildet die durch Parteiwillen herbeigeführte Zusammenfassung mehrerer Rechtsgeschäfte zu einer rechtlichen Einheit, oder ein einzelnes von den Parteien auch als Einheit gedachtes Rechtsgeschäft, das derart teilbar ist, daß nach Abtrennung des nichtigen Teils, etwa einer einzelnen Vertragsklausel, immer noch ein Rest bleibt, der für sich allein betrachtet, als Rechtsgeschäft selbständig bestehen kann ( R G 93, 3 3 4 ; R G J W 1936, 2532; R G WarnRspr 1934 Nr. 89).

Anm. 6 1. Verbindung m e h r e r e r Rechtsgeschäfte zu einer rechtlichen Einheit durch Parteiwillen Unter § 139 fallen Rechtsgeschäfte, die als z u s a m m e n g e s e t z t e R e c h t s g e s c h ä f t e bezeichnet werden können. Das bedeutet nicht, daß es sich um Rechtsgeschäfte handeln muß, bei denen schon begrifflich ein zusammengesetzter Tatbestand notwendig ist, sondern um eine gewillkürte Verbindung von Rechtsgeschäften. Dabei ist es gleichgültig, ob die Rechtsgeschäfte dem gleichen oder einem verschiedenen juristischen Typus angehören ( R G 78, 44; 79, 436; 88, 4 1 3 ; 1 3 2 , 134). Der regelmäßige Fall der Zusammensetzung ist der, daß m e h r e r e Geschäfte, die j e für sich als ein besonderes, selbständiges Rechtsgeschäft in Betracht kommen könnten, durch den Willen der Parteien insgesamt zu einem Geschäfte miteinander verbunden werden, so daß der Parteiabsicht nach die Gültigkeit des einen Rechtsgeschäfts von der des andern abhängen soll ( R G 62, 186; 79, 436; 97, 220); selbst wenn an den mehreren Verträgen nicht durchweg dieselben Personen teilgenommen haben ( R G 67, 104). Notwendig ist, daß zwischen den Leistungspflichten aus den beiden Geschäften ein rechtlicher und nicht nur ein wirtschaftlicher Zusammenhang besteht ( R G 103, 298, 299; R G J W 1924, 1506; 1932, 1 7 2 3 entgegen R G 78, 4 3 ; 79, 34).

Anm. 7 Nicht erforderlich ist, daß schon äußerlich nur e i n Vertrag vorliegt. Es können vielmehr auch mehrere äußerlich getrennte Verträge in Frage stehen, falls diese sich nur zusammen als ein gewolltes Ganzes darstellen ( R G 79, 436; 8 1 , 5 1 ; R G WarnRspr 1922 Nr. 123). Dabei kommt es auch nicht auf die zeitliche Reihenfolge an, in welcher die verschiedenen Urkunden hergestellt wurden ( R G SeuffArch 73 Nr. 109). Andererseits findet § 139 keine Anwendung, wenn mehrere voneinander unabhängige Rechtsgeschäfte in ein und derselben Urkunde abgeschlossen und die Vereinheitlichung nur eine äußerliche und scheinbare ist, so z. B. wenn mehrere Personen sich für die gleiche Schuld in einer Urkunde als Bürgen verpflichten und jede Bürgschaftsverpflichtung selbständig für sich allein bestehen soll ( R G 86, 324; 88, 4 1 5 ) . Für das Verhältnis von Darlehnshingabe und Vereinbarung einer Hypothekenbestellung s. R G 108, 146. Die Bestellung einer Grundschuld bildet regelmäßig mit dem ihr zugrunde liegenden Kreditabkommen kein einheitliches Rechtsgeschäft im Sinne von § 139 und wird daher auch von der Nichtigkeit des Kreditabkommens nicht ergriffen ( R G 145, 155).

Anm. 8 Als B e i s p i e l e für solche zusammengesetzte Rechtsgeschäfte kommen in Betracht: ein Grundstücksveräußerungsvertrag, verbunden mit Vermögensübertragung ( R G 6 1 ,

472

Willenserklärung

§ 139 A n m . 9, 10 284); ein in zwei Kaufverträge zerlegbarer Tauschvertrag (RG 78, 41); ein Grundstücksveräußerungsvertrag, verbunden mit Miete (RG 16. 1. 1907 I 251/06); die Übernahme der Verpflichtung zur Grundstücksveräußerung, verbunden mit Vollmachtserteilung (RG 50, 169; 54, 79; 62, 337; 78, 41; 79, 212; 81, 51; 94, 147; 10. 12. 1919 V 2 49/ I 9)! ein kaufmännisches Lombardgeschäft, verbunden mit Bürgschaft (RG 87, 159); ein Grundstücksveräußerungsvertrag, verbunden mit einem Mietvertrage (RG 97, 219); oder einem Darlehnsvertrage (RG WarnRspr 1920 Nr. 34); oder mit einem Bierbezugsvertrage (RG WarnRspr 1913 Nr. 219); ein Miet- oder Pachtvertrag mit Vereinbarung eines Vorkaufsrechts (RG 107, 39). Anm. 9 2. Nichtigkeit einzelner B e s t i m m u n g e n eines Vertrages § 139 findet nicht nur Anwendung auf die Fälle, in denen mehrere selbständige Rechtsgeschäfte zu einem einheitlichen Ganzen zusammengefaßt werden, sondern auch auf die Fälle, in denen e i n z e l n e B e s t i m m u n g e n eines V e r t r a g e s nichtig sind und der nach Abtrennung des nichtigen Teils verbleibende Restvertrag für sich allein noch als Rechtsgeschäft selbständig bestehen kann (RG J W 1936, 2532; RG WarnRspr 1934 Nr. 89), so z. B. wenn ein Dienstvertrag eine nichtige Wettbewerbsklausel enthält (RG 146, 119) oder wenn ein Anwaltsvertrag eine nichtige Honorarvereinbarung enthält (BGH 18, 340). Uber die Nichtigkeit einzelner Bestimmungen von allgemeinen Geschäftsbedingungen vgl. BGH 22, 90 und die Anm. F i s c h e r in LM zu Nr. 1 Allg. Geschäftsbedingungen. Ist in allg. Geschäftsbedingungen die Gerichtsstandsklausel wegen Verstoß gegen §§ 138, 242 nichtig, so führt das grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit des ganzen auf Grund der allg. Geschäftsbedingungen geschlossenen Vertrages. A n m . 10 3. Mehrheit von Personen Die Voraussetzung eines zusammengesetzten Rechtsgeschäfts kann auch gegeben sein, wenn sich am Vertragsschluß auf der einen oder andern Seite eine Mehrheit von Personen beteiligt und die Nichtigkeit nur gegenüber einem von den mehreren Beteiligten vorliegt (RG 59, 175; 62, 186; 71, 201; 72, 218 betreffend mehrere Wechselschuldner; 79, 436; 114, 35; 133, 15; 141, 104; RG J W 1912, 189; RG LZ 1924, 329; BGH 3, 209). Vgl. SeuffArch 65 Nr. 434, betreffend eine von Miteigentümern bestellte Hypothek. So kann ein von beiden Eheleuten geschlossener Kaufvertrag für die Ehefrau gültig sein, obwohl er etwa dem geschäftsunfähigen Manne gegenüber nichtig ist, falls nämlich die Frau den Vertrag erweislich auch ohne Beteiligung des Mannes geschlossen haben würde (RG 59, 174; 62, 186). Die Nichtigkeit der B ü r g s c h a f t s e r k l ä r u n g eines von mehreren Mitbürgen läßt regelmäßig die Rechtswirksamkeit der andern Bürgschaftserklärungen unberührt; doch können die Umstände des Falles eine andere Beurteilung rechtfertigen (RG 88, 412; 99, 52; 138, 270). Der Eigentumserwerb von M i t e i g e n t ü m e r n ist als Erwerb der Miteigentumsanteile für jeden gesondert zu beurteilen; ist ein Anteil nicht erworben, so entscheidet sich der Erwerb der anderen Anteile nach § 139. Bestellen die mehreren Miteigentümer eines Grundstücks zusammen eine Hypothek auf dem ganzen Grundstück, und betrifft der gegebene Nichtigkeitsgrund nur das von einem der mehreren Miteigentümer abgeschlossene Rechtsgeschäft, dann kommt die Hypothek auf den Miteigentumsanteilen der andern Miteigentümer zur Entstehung, f a l l s d e r A u s n a h m e f a l l des § 139 e r w e i s l i c h v o r l i e g t . Denn die Hypotheken belasten jeden einzelnen Miteigentumsanteil selbständig (RGJW 1910, 473). Ob Entsprechendes für alle Verfügungen über einen im Miteigentum stehenden Gegenstand angenommen werden kann (so P a l a n d t 17. Aufl. § 747 Anm. 3) ist in BGH 7, 214 ausdrücklich dahingestellt gelassen. Vgl. hierzu auch BGH NJW 1959, 34. Nichtigkeit des gesamten Vertrags (im Zweifel) auch dann, wenn das Rechtsgeschäft gegenüber einem von mehreren Mitbeteiligten wegen M i n d e r j ä h r i g k e i t (RG 51, 34) oder wegen Wuchers (RG 72, 218) nichtig ist. Nichtigkeit eines Darlehnsgeschäfts wegen G e i s t e s k r a n k h e i t eines der mehreren Darlehnsschuldner s. RG SeuffArch 77 Nr. 20. Haftung des einen Gesellschafters einer offenen Handelsgesellschaft aus den in deren Namen abgeschlossenen Rechtsgeschäften, wenn der Gesellschaftsvertrag 473

§139

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A n m . 11, 12 wegen Geisteskrankheit des andern nichtig ist, s. R G 145, 155. Darauf, ob ein Gesamtschuldverhältnis vorliegt, kommt es nicht an ( R G 99, 5 3 ; SeuffArch 76 Nr. 20; R G J W 1905, 684). Ein wirtschaftlich einheitlich aufzufassender Kaufvertrag wird durch A n f e c h t u n g im ganzen nichtig, wenn nur einer der mehreren Verkäufer sich des Betrugs schuldig gemacht hat ( R G J W 1906, 83; R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 360; R G SeuffArch 67 Nr. 105). Haben Eheleute durch einen gemeinsam abgeschlossenen Vertrag ein K i n d an Kindes Statt angenommen, steht aber der Gültigkeit der gemeinschaftlichen K i n d e s a n n a h m e ein in der Person des einen Ehegatten liegendes Hindernis entgegen, so kann die Kindesannahme unter der Voraussetzung des § 139 als Einzeladoption seitens des anderen Ehegattens aufrechtzuerhalten sein. Dies ist dann der Fall, wenn bei Kenntnis, des Hinderungsgrundes eine Einzeladoption vorgenommen worden wäre ( B G H 24,

345)-

Die Wirkungen einer begründeten T e i l a n f e c h t u n g eines zusammengesetzten Rechtsgeschäfts bemessen sich nach § 139 ohne Rücksicht darauf, ob sich der Anfechtende darüber klar ist, welche Folgen sich aus der Beschränkung der Anfechtung für den Bestand des ganzen Rechtsgeschäfts ergeben und ob er diese Folgen will. Verbindet er mit der Teilanfechtung die Erklärung, daß sie nur gelten soll, wenn das Rechtsgeschäft im übrigen bestehenbleibt, so ist die Anfechtung, sei es wegen einer mit ihr unverträglichen Bedingung oder wegen Fehlens der erforderlichen Bestimmtheit, unwirksam ( R G 146, 234).

A n m . 11 III. Unanwendbarkeit des § 139 1. Allgemeines § 139 findet keine Anwendung, wenn m e h r e r e R e c h t s g e s c h ä f t e voneinander schon an und für sich u n a b h ä n g i g sind. So ist z.B. die abstrakte Vollmachtserteilung nicht deshalb nichtig, weil der ihr zugrunde liegende Vertrag nichtig ist ( R G 69, 234). Selbständig stehen einander gegenüber auch die Aufrechnung im Kontokorrent und die Saldofeststellung ( R G 56, 24). Weiter ist für § 139 dann kein R a u m , wenn eine rechtsgeschäftliche Abrede mit einer nicht rechtsgeschäftlichen in Verbindung gebracht ist, die nach der Parteiabsicht überhaupt keine Rechtswirksamkeit haben sollte ( R G 68, 322; 79, 3 0 3 ; 86, 324; R G WarnRspr 1 9 1 9 Nr. 155). Eine Anwendung, von § 139 kommt weiterhin nicht in Betracht, wenn nur der eine Teil das Rechtsgeschäft wirklich gewollt, der andere dagegen es nur zum Schein erklärt hat ( R G 104, 1 0 2 ; R G J W 1910, 388; R G WarnRspr 1937 Nr. 7). Das gleiche gilt, wenn sich die Beteiligten beim Abschluß des Rechtsgeschäfts seiner teilweisen Nichtigkeit von vornherein bewußt waren, weil es insoweit dann an dem Erfordernis eines Geschäftswillens fehlt, und sie daher von Anfang an nur dem übrigen rechtswirksamen Teil ihrer Vereinbarung rechtsgeschäftliche Bedeutung beigemessen haben ( R G 68, 3 2 5 ; 79, 4 3 7 ; 125, 209; 137, 29; R G WarnRspr 1930 Nr. 29). Die Nichtigkeit eines der Wahrheit zuwider abgegebenen Vaterschaftsanerkenntnisses ergreift nicht ohne weiteres das in derselben Urkunde erklärte Anerkenntnis der gesetzlichen Unterhaltspflicht und die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung wegen einer bestehenden Unterhaltsleistung ( B G H 1, 1 8 1 ) . In einem gemäß § 1 1 7 nichtigen Grundstücksveräußerungsvertrag bleibt die förmlich beurkundete Auflassung gültig und wirksam, sofern sie der Erfüllung des durch das Scheingeschäft gedeckten, von den Beteiligten wirklich gewollten Rechtsgeschäfts dienen sollte ( R G 104, 102, 296; vgl. R G 94, 1 4 7 ; g7, 273; R G WarnRspr 1923/24 Nr. 99, 100). Das gleiche muß für die Auflassungsvollmacht gelten ( R G 103, 302; 1 1 4 , 3 5 1 ; 137, 399; R G WarnRspr 1923/24 Nr. 1 6 3 ; 1925 Nr. 17, 20; 1932 Nr. 100; O L G 43, 30, 65). § 139 greift auch dann nicht Platz, wenn zu einem schriftlichen und der Schriftform bedürftigen Vertrag (Bürgschaft) eine bloß mündliche Nebenabrede getroffen und diese einen selbständigen Nebenvertrag darstellt, der auch formlos gültig war ( R G L Z 1919, 590).

A n m . 12 Bei einer mit einem Hauptgeschäft verbundenen N e b e n a b r e d e kommt es für die Anwendbarkeit von § 139 darauf an, ob die Parteien beides als rechtliche Einheit wollten

474

Willenserklärung

§139 A n m . 13—15

oder ob nach ihrem Willen beide Verträge zwei voneinander selbständige und unabhängige Rechtsgeschäfte darstellen sollen. Ist letzteres gewollt, dann ist § 139 nicht anwendbar (RG 102, 64; RG WarnRspr 68 Nr. 2) und die Gültigkeit des Hauptgeschäfts wird von der Nichtigkeit der Nebenabrede nicht berührt. Umgekehrt kann die Nebenabrede wirksam sein, auch wenn das Hauptgeschäft nichtig ist. Ist ein Hauptvertrag nichtig, der eine Schiedsklausel enthält („Hamburger freundliche Arbitrage"), wonach das Schiedsgericht unter Ausschluß des ordentlichen Rechtswegs über sämtliche aus dem Geschäft entstehende Streitpunkte und auch über die Frage seiner eigenen Zuständigkeit entscheiden soll, so hat die Schiedsklausel gegenüber dem Hauptvertrag selbständige Bedeutung, so daß von der Nichtigkeit des Hauptvertrages die Schiedsklausel nicht berührt und § 139 nicht anwendbar ist (BGH L M Nr. 6 zu § 139 = M D R 1952, 487 = BB 1952, 529). Unanwendbar ist § 139 auch in dem Falle, daß die in einem formlos abgeschlossenen S c h i e d s v e r t r a g enthaltene Vereinbarung über die Zuständigkeit im schiedsgerichtlichen Verfahren wegen Nichteinhaltung der Schriftform unwirksam ist. Die Folge des Formmangels besteht nur darin, daß es bei der gesetzlichen Zuständigkeit bleibt, der Bestand des Schiedsvertrags im übrigen wird nicht berührt (RG SeufTArch 79 Nr. 58). Der Grundsatz, daß die Nichtigkeit der in einem L a n d p a c h t v e r t r a g enthaltenen Vereinbarung über s c h i e d s g e r i c h t l i c h e E n t s c h e i d u n g nicht die Nichtigkeit des ganzen Vertrages zur Folge hat, gilt nicht für einen gerichtlichen Vergleich, in dem die Beteiligten außer einer Vereinbarung schiedsgerichtlicher Entscheidung über die Höhe des volkswirtschaftlich gerechtfertigten Pachtpreises noch weitere Bestimmungen über die Bemessung des Pachtpreises getroffen haben (BGH L M Nr. 7 zu § 139). A n m . 13 Für § 139 ist Voraussetzung, daß der Mangel des Rechtsgeschäfts von A n f a n g a n besteht, d. h. daß entweder der Nichtigkeitsgrund oder der Anfechtungsgrund von Anfang an vorlag (RG 146, 366 fr). Gleichgültig ist jedoch, ob die Nichtigkeit ohne weiteres eingetreten oder erst durch die nachträgliche Anfechtung des von vornherein anfechtbaren Geschäftes herbeigeführt worden ist (RG 62, 186; RG SeufTArch 85 Nr. 19; RG H R R 1930 Nr. 1595). Unwesentlich ist auch die Art des Nichtigkeitsgrundes (RG 52, 4; 59. 133; 64» 4°; 6 5. 393; 68, 192, 232, 293; 71, 388). O b jedoch bei einer Nichtigkeit des Rechtsgeschäftes wegen Verstoßes gegen die guten Sitten § 139 Anwendung finden kann, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht entschieden (vgl. RG 131, 222; 161, 52; B G H L M Nr. 8 zu § 139 = BB 1954, 174, wo die Frage für zwei äußerlich voneinander getrennte Vereinbarungen eines einheitlichen Vertrages bejaht wird). A n m . 14 2. Unanwendbarkeit kraft Gesetzes Ist die Nichtigkeit von Rechtsgeschäften für ein Rechtsgebiet besonders geregelt, so durch § 75 G m b H G für die G m b H und durch § 216 AktG für die Aktiengesellschaft, dann kommen nicht die Grundsätze von § 139 von der teilweisen Nichtigkeit zur Anwendung, sondern greifen diese speziellen Regeln Platz (RG 73, 429; 114, 77; RG WarnRspr 1916 Nr. 147). Das gleiche gilt, wo das G e s e t z s e l b s t n u r d i e t e i l w e i s e N i c h t i g k e i t v o r s i e h t , so in den Fällen der §§ 443, 476 (Ausschließung der Gewährleistung). Hier tritt die Nichtigkeit nur insoweit ein, als die Arglist reicht (RG 62, 125; RG WarnRspr 1914 Nr. 115). Ist ein Wettbewerbsverbot als Teil eines Dienstvertrages auf Grund von Schutzvorschriften zugunsten des Dienstverpflichteten nichtig, so wird die Gültigkeit des Dienstvertrages durch die Nichtigkeit des Wettbewerbsverbotes nicht berührt (RG 146, 116). A n m . 15 § 139 kann im allgemeinen keine einer G e s e t z e s ä n d e r u n g ein Teil Schiedsvertrag nach Art. 9 Nr. I I I 5 bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom

Anwendung finden, wenn nachträglich infolge des Rechtsgeschäfts unwirksam wird. Ist ein des Gesetzes zur Änderung des Verfahrens in 27. 10. 1933 in Verbindung mit 1027 nF Z P O 475

§139

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A n m . 16 unwirksam geworden, so hat dies in der Regel nicht zur Folge, daß ein in derselben Urkunde geschlossener Mietvertrag ebenfalls nichtig wird (RG 146, 366). Ein Mietvertrag ist auch nicht schon deshalb ungültig, weil er Bestimmungen enthält, die gegen das zwingende Recht des Mieterschutzes verstoßen. Unwirksam sind regelmäßig nur die gesetzwidrigen Einzelbestimmungen (RG Gruchot 68, 518). Sind in einem vor dem Inkrafttreten der Dekartellierungsbestimmungen geschlossenen Patentlizenzvertrag Einzelbestimmungen wegen Verstoßes gegen die Dekartellisierungsgesetze nichtig, so ist Nichtigkeit des gesamten Vertrages nur anzunehmen, wenn durch den Wegfall der nichtigen Bestimmungen ein wirtschaftlich ganz anderer Vertrag entstehen würde ( B G H 17, 41). Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos ( B G H 5, 173, 185). Allgemein wird man sagen können: W e n n d a s i m G e s e t z v e r k ö r p e r t e G e m e i n s c h a f t s i n t e r e s s e die A u f r e c h t e r h a l t u n g eines V e r t r a g e s f o r d e r t , d a n n w i r d ohne Rücksicht auf den wirklichen oder mutmaßlichen Willen der Beteiligten, von dem § 139 für die ihm zugewiesenen Fälle ausgeht, an d i e S t e l l e d e r n i c h t i g e n B e s t i m m u n g die dem Gesetz entsprechende R e g e l u n g treten müssen. Wenn aber im einzelnen Fall der durch eine Gesetzesänderung unwirksam gewordene Teil eines Vertrages mit den anderen Vereinbarungen in einem derart engen Zusammenhang steht, daß der Vertrag ohne ihn nicht abgeschlossen worden wäre, so ist der ganze Vertrag nichtig ( B G H L M Nr. 4 zu § 139 = N J W 1952, 299; B G H 5, 186). Das gleiche kann gelten, wenn bereits bei Abschluß des Vertrages die Rechtsunwirksamkeit einer einzelnen Bestimmung voraussehbar war. Ist z. B. bei einer Pachtzinsbestimmung die vereinbarte W e r t s i c h e r u n g s k l a u s e l unwirksam, so kann dies die Unwirksamkeit des ganzen Vertrags zur Folge haben, wenn bereits bei Vertragsschluß die Rechtsunwirksamkeit der Klausel bestand oder vorausgesehen werden konnte ( B G H L M Nr. 2 zu § 3 WährG = DNotZ 1952, 360; vgl. auch B G H L M Nr. 9 zu § 139 = DNotZ 1954, 370). Ist ein Vertrag wegen eines Verstoßes gegen gesetzliche Bestimmungen in vollem Umfang nichtig, so verbleibt es bei der Nichtigkeit auch nach einer Gesetzesänderung, durch die die fraglichen Bestimmungen aufgehoben werden ( B G H 25, 163, 173, für einen vor Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes abgeschlossenen Kindesannahmevertrag). A n m . 16 I V . Die Regel des § 139 und ihre A u s n a h m e n 1. Die Regel In der Regel führt nach § 139 die Nichtigkeit eines Teiles eines Rechtsgeschäfts zur Nichtigkeit des g e s a m t e n R e c h t s g e s c h ä f t s . Dabei ist gleichgültig, worin die Nichtigkeit ihren Grund hat (RG 62, 186). Dies entspricht der Anschauung des Gesetzes (vgl. §§ 154, 155, 320, 323), wonach im Zweifel alle Bestimmungen eines Vertrages nach der Parteiabsicht als ein zusammengehöriges Ganzes zu betrachten sind (RG 72, 2 1 8 ; 94, 149) und daß besondere Umstände vorliegen müssen, um eine Ausnahme hiervon zu begründen (RG 57, 165; 7 1 , 388). Wegen der Nichtigkeit eines formlos abgeschlossenen Vertrages wegen der darin enthaltenen Bestellung eines Vorkaufsrechts an einem Grundstück vgl. R G SeuffArch 81 Nr. 203. Es steht dem Richter nicht zu, den nichtigen Vertrag in der Weise aufrechtzuerhalten, daß er unterstellt, die Parteien hätten nur das vereinbart, was zulässig gewesen wäre. Ist beispielsweise ein Bierabnahmevertrag wegen zu langer Bindung nach § 138 Abs. 1 nichtig, so ist es unzulässig, die Bindungsdauer auf eine angemessene Frist in der Annahme herabzusetzen, daß die Einigung auf eine zu lange Zeit auch die auf eine angemessene Zeit mitumfasse (RG 76, 78). Ist bei Monopolstellung eines Vertragsteiles das Entgelt für seine Leistung s i t t e n w i d r i g überhöht, so ist der ganze Vertrag nichtig und nicht etwa zum angemessenen Entgelt wirksam (BGH N J W 1958, 1772). Die Nichtigkeit des ganzen Geschäfts aus § 139 kann auch nicht dadurch abgewendet werden, daß ein Vertragsteil auf die Rechtsgültigkeit desjenigen Vertragsbestandteils, der nur ihr einen Vorteil bringt, der aber nichtig ist, Verzicht leisten zu wollen erklärt. Auch die Einrede der allgemeinen Arglist kann die Partei dem Vertragsgegner, der die Nichtigkeit des ganzen Vertrags einwendet, regelmäßig nicht entgegenhalten (RG 91, 361). 476

Willenserklärung

§ 139

A n m . 17, 18

W o h l aber dann, wenn die Berufung auf § 139 der Partei dazu dienen soll, sich ihrer Vertragspflicht zu entziehen, gleichzeitig aber das auf Grund des Vertrags Erhaltene zu behalten ( R G 86, 123; 71, 435; 78, 436; 91, 361; 121, 84; R G J W 1910, 390; 1916, 390; 1926, 1144; R G L Z 1921, 103; R G SeufTArch 82 Nr. 40 mit Nr. 16); ebenso wenn der nichtige Teil des Vertrags nur dem daran Festhaltenden zugute kommen sollte, die Geltendmachung der Nichtigkeit des ganzen Geschäfts durch den andern Teil also arglistig ist ( R G J W 1926, 1144). Ist eine Hauptforderung wegen Nichtigkeit des Vertrages nicht entstanden (z. B. wegen Formmangels), so besteht auch nicht die Nebenforderung, etwa der Zinsanspruch ( R G 74, 342). Verstößt die Übernahme einer Verpflichtung auf Ehrenwort gegen die guten Sitten, so ist auch die ehrenwörtlich übernommene Verpflichtung nichtig ( R G SeufTArch 67 Nr. 104).

A n m . 17 2. Die A u s n a h m e Die Ausnahmebestimmung, wonach gegebenenfalls nur der von der Nichtigkeit betroffene T e i l des gesamten Rechtsgeschäfts nichtig sein soll, erklärt sich grundsätzlich aus der Neigung des Gesetzes, einmal abgeschlossene Rechtsgeschäfte nach Möglichkeit zu schützen und zu erhalten (vgl. §§ 140, 155). Es befolgt dabei den Grundsatz pacta servantur und entnimmt die Rechtfertigung hierfür dem Satze utile non debet per inutile vitiari. Die Frage, ob der Regelfall oder der Ausnahmefall als gegeben anzusehen, ist auch hier nach der vermutlichen Parteiabsicht zu entscheiden, und zwar nach der A b sicht, wie sie zur Zeit der V o r n a h m e des Geschäfts nach den damaligen Verhältnissen vermutlich bestanden haben würde ( R G WarnRspr 1912 Nr. 4 1 1 ) . Der Richter hat dabei durch Auslegung zu ermitteln, was die Parteien v e r s t ä n d i g e r w e i s e gewollt haben ( R G 91, 361; 118, 222) und wird sich, zumal bei lebenswichtigen oder sonst wertvollen Geschäften, für die A u f r e c h t e r h a l t u n g des Rechtsgeschäfts ohne den nichtigen Teil immer dann entscheiden dürfen, wenn den Parteien dies v e r n ü n f t i g e r w e i s e zuzumuten ist (vgl. V o l k m a r Z A k D R 1937, 634). Haben die Parteien im Prozesse die teilweise Nichtigkeit nicht geltend gemacht, dann ist der Schluß zulässig, daß sie diesen Teil des Vertrags nicht als wesentlich angesehen haben ( R G 13. 12. 1916 V 262/16). Ähnliche Regelung im Falle der §§ 140, 155. Es kommt nicht darauf an, ob die Parteien den etwa formnichtigen Teil des Vertrags bei Kenntnis in gültiger Form abgeschlossen, sondern darauf, ob sie den Restvertrag auch ohne den nichtigen Teil abgeschlossen hätten ( R G 146, 116). Die Probe liegt in der Frage des Gesetzes, ob anzunehmen ist, d a ß der Urheber des Geschäfts dieses vormals auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen haben würde ( R G 52, 4; 59, 174; 64, 40; 65, 393; 118, 222; R G WarnRspr 1908 Nr. 352), und das wäre namentlich dann zu bejahen, wenn feststünde, daß sich die Parteien bei Abschluß des Vertrags der Nichtigkeit eines Teiles bewußt gewesen sind, zumal dann, wenn sie sich das gegenseitig auch zu erkennen gegeben haben und davon ausgingen, d a ß das nicht eintreten werde, was rechtlich (wegen Nichtigkeit des betroffenen Vertragsteils) nicht erzwungen werden könne ( R G 68, 325; 86, 324; R G WarnRspr 1914 Nr. 209; 1919 Nr. 155). Nicht erforderlich ist für die Anwendung der Ausnahmebestimmung, d a ß der nichtige Vertragsteil für die Beteiligten ganz unwesentlich war, wie insbesondere bei formularmäßigen Verträgen vielfach der Fall. Die Regel des § 139 entfällt schon, wenn die Parteien dem nichtigen Teil nicht die Bedeutung beilegten, d a ß davon das Zustandekommen des ganzen Vertrags abhänge, und dies kann auch dann zutreffen, wenn eine Partei sich bemüht hatte, die andere zur A n n a h m e der nichtigen Vereinbarung zu bestimmen ( R G 107, 39).

A n m . 18 3. Einzelfälle Ist ein Darlehen gegen eine gem. § 138 sittenwidrige ehrenwörtliche Übernahme gewisser Verpflichtungen von Seiten des Schuldners und unter Ausbedingung einer V e r tragsstrafe für den Zuwiderhandlungsfall gewährt worden, dann ergreift die Nichtigkeit nur die Übernahme der bezeichneten Verpflichtungen und die Vertragsstrafe, dagegen

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§139 A n m . 19—21

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

nicht auch das Darlehn, das durch die Hingabe entstanden ist, wenn anzunehmen ist, daß beide Teile die Wirksamkeit dieses Geschäfts auch für den Fall der Nichtigkeit der sonstigen Abreden gewollt haben ( R G WarnRspr 1 9 1 5 Nr. 226). Desgleichen bleibt eine für die Darlehnsschuld geleistete B ü r g s c h a f t von der Nichtigkeit einer ebenfalls erfolgten Pfandbestellung unberührt ( R G 86, 323). Dagegen muß ein Vertrag, in dem mehrere Sachen gegen eine teilbare Gegenleistung übertragen wurden, als im gesamten nichtig angesehen werden, wenn der Vertrag wegen Versagens der erforderlichen Genehmigung zwar nur zum Teil nichtig ist, die teilbare Gegenleistung aber nicht auf die einzelnen Gegenstände aufgeschlüsselt worden ist und sich auch nicht durch Auslegung ermitteln läßt, inwieweit die Gegenleistung sich auf die eine oder andere Sache bezieht ( B G H L M Nr. 13 zu § 1 3 9 = M D R 1957, 466 = BB 1957, 164). Ebenso ist der ganze Vertrag nichtig, wenn eine Vertragspartei die bevorzugte Belieferung der Gegenpartei mit Mangelware davon abhängig macht, daß ihr die Gegenpartei ihrerseits außer der Zahlung bevorzugt Mangelware liefert. Nichtig ist hier nicht nur die Verpflichtung zur Leistung, sondern auch die zur Gegenleistung (BGH 1, 128). Haben die Parteien zwei äußerlich getrennte Vereinbarungen getroffen, von denen nur die zweite unwirksam ist, dann kann die erste, auch wenn es sich um einen einheitlichen Vertrag handelt, wirksam sein, wenn sie von den Parteien auch ohne den nichtigen Nachtrag geschlossen worden wäre ( B G H L M Nr. 8 zu § 139 = BB 1954, 172, 174).

A n m . 19 Ist das Hauptgeschäft (Kauf, Darlehn) rechtsgültig zustande gekommen, und ist n u r d a s N e b e n g e s c h ä f t (die Bestellung einer Sicherheit für die Schuld) nichtig dann darf der Verpflichtete, der das Empfangene behalten will, nicht aus § 139 die Nichtigkeit des gesamten Rechtsgeschäfts geltend machen, um sich seiner Verpflichtung zu entziehen, weil dem die Einrede der Arglist entgegenstünde ( R G 86, 3 2 3 ; R G J W 1916, 390; dazu auch R G 9 1 , 362; 7 1 , 436; 78, 354). Einrede der Arglist gegenüber einem Jagdpächter, der J a h r e hindurch die J a g d genutzt hat und nun wegen einer nur zugunsten des Verpächters getroffenen nichtigen Abrede die Nichtigkeit des ganzen Vertrages geltend macht, um den Pachtzins nach Abzug des Wertes des erlegten Wildes zurückzuverlangen ( R G H R R 1928 Nr. 810). Ist derjenige Teil des Vertrags, der sich als sittenwidrig darstellt, nur für einen bestimmten, aber nicht eingetretenen Fall berechnet worden (Abrede zwischen Eheleuten für den Fall der Scheidung), dann ist zu ermitteln, ob die andern nicht sittenwidrigen Abreden von der Nichtigkeit trotzdem mitergriffen werden ( R G WarnRspr 1 9 1 8 Nr. 172). Es handelt sich in allen derartigen Fällen um Ausmittlung des mutmaßlichen Willens unter Berücksichtigung der obwaltenden Umstände ( R G 79, 304; 86, 324).

A n m . 20 Wenn ein Bevollmächtigter bei Abschluß eines Vertrages die ihm erteilte V o l l m a c h t ü b e r s c h r e i t e t , so fragt es sich, ob der ganze Vertrag für den Vertretenen unwirksam ist oder ob in Anwendung von § 139 der Teil, der sich innerhalb der Vollmacht hält, wirksam bleibt, sofern die Parteien ihn gewollt hätten. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, ob eine Vollmachtsüberschreitung im eigentlichen Sinne vorliegt, d. h. ob ein Teil des Vertrages sich noch im Rahmen der Vollmacht hält. Dies ist zu verneinen, wenn der nichtige Teil des Vertrages, der auch zugleich die Vollmachtsüberschreitung darstellt, den Vertrag im übrigen so beeinflußt, daß ein Vertrag ganz anderer Prägung entsteht. In diesen Fällen ist daher davon auszugehen, daß der Bevollmächtigte sich auch in Ansehung des nicht nichtigen Teiles des Vertrages nicht im Rahmen seiner Vollmacht gehalten, sondern diese überschritten hat ( B G H L M Nr. 5 zu § 177 = N J W 1958, 75).

Anm. 21 V. Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft sind grundsätzlich von einander unabhängig. Hiervon kann es aber Ausnahmen geben (vgl. Anm. 1 6 — 1 8 zu § 1 2 5 und

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Willenserklärung

§ 139

A n m . 22 Anm. 9 zu § 134). Beide Geschäfte stellen nicht ohne weiteres eine rechtliche Einheit im Sinne von § 139 dar. So führt z.B. die Nichtigkeit von Kompensationsverträgen nicht auch ohne weiteres zur Nichtigkeit der dazugehörigen Erfüllungsgeschäfte ( B G H L M Nr. 3 zu K W V O § i a = N J W 1952, 60 = J Z 1 9 5 1 , 782). Jedoch kann eine K a u f preisanzahlung, die im Zusammenhang mit einem verbotenen Kompensationsgeschäft geleistet worden ist, zurückgefordert werden, wenn die Kompensationsabrede erst nach Leistung der Anzahlung getroffen worden ist ( B G H Nr. 4 zu K W V O § 1 a). Die Auflassung eines Grundstücks oder die Erteilung einer Auflassungsvollmacht ist nicht schon deshalb nichtig, weil sie in der Urkunde erklärt worden ist, die die Beurkundung des nichtigen Kaufvertrags enthält; so auch die neuere Rechtsprechung in R G 103, 300; 104 102, 296; R G WarnRspr 1923/24 Nr. 99, 100 (s. auch K G in J W 1937, 2 1 8 7 , ferner Anm. zu § 3 1 3 ) . Die Auflassung bleibt gültig, wenn die Parteien die Auflassung im Bewußtsein der heilbaren Nichtigkeit des Vertrags vorgenommen haben, um durch sie die Heilung zu erwirken. Ist die Nichtigkeit eine unbedingte und unheilbare (§ 138), dann wird auch die Auflassung als das Erfüllungsgeschäft von der Nichtigkeit regelmäßig mitergriffen ( R G 78, 44). Möglich ist aber auch, daß die Parteien die Abhängigkeit des Vollzugsgeschäfts vom Grundgeschäft gewollt haben, und liegt das erweislich vor, dann hat die Nichtigkeit des letzteren Geschäfts auch die Nichtigkeit des Leistungsgeschäfts zur Folge ( R G 54, 340; 57, 96; 78, 44).

A n m . 22 O b nach dem mutmaßlichen Parteiwillen eine Abhängigkeit des Erfüllungsgeschäfts vom Grundgeschäft anzunehmen ist, wird sich nur nach den Umständen des Einzelfalls entscheiden lassen. Über die Verknüpfung von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft im Urheberrechtsverkehr vgl. B G H 28, 70). Geht der Parteiwille dahin, das Erfüllungsgeschäft trotz der erkannten Nichtigkeit des Grundgeschäftes vorzunehmen —• etwa beim verbotenen Kompensationsgeschäft die vereinbarten Leistungen auszutauschen — so führt die Anwendung von § 139 nicht zur Nichtigkeit des Erfüllungsgeschäftes ( B G H L M Nr. 3 zu K W V O § 1 a = N J W 1952, 60 = J Z 1 9 5 1 , 782). Wurde in einem Grundstücksveräußerungsvertrage zur Berichtigung des Kaufgeldes auf den Verkäufer eine Hypothek übertragen und diese Übertragung im Vertrag beurkundet, der Kaufvertrag alsdann aber mit Erfolg angefochten, so würde es kaum den Absichten der Beteiligten entsprechen, daß derjenige Teil des Vertrags, der die Übertragung der Hypothek zum Gegenstand hat, dennoch wirksam bleiben und der K ä u f e r daher nur berechtigt sein sollte, die Rückübertragung wegen grundloser Bereicherung des Verkäufers zu verlangen. Ein derartig unliebsames Ergebnis ist abzulehnen und ist auch abgelehnt worden mit der Annahme, daß die Anfechtung des Grundgeschäfts ( K a u f ) zugleich die im Vertrage erklärte Abtretung einer Forderung zur Begleichung der Preisforderung mit vernichtet (vgl. R G 70, 89; R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 360, wo angenommen ist, daß die zur Berichtigung des Kaufpreises erfolgte Übertragung einer Hypothek auf einen Dritten [§ 328] von der durch Anfechtung herbeigeführten Nichtigkeit des Kaufvertrags um deswillen mitergriffen wird, weil die Verpflichtung zur Übertragung der Hypothek ein wesentlicher Teil des Vertrags gewesen und zweifellos von dem Bestehen des K a u f v e r trags abhängig gemacht worden sei). In R G 58, 368 ist angenommen worden, daß die Nichtigkeit eines Kaufvertrages aus § 138 zugleich die Nichtigkeit der im Vertrage enthaltenen Schuldübernahme (also ebenfalls eines abstrakten Rechtsgeschäfts) nach sich zieht, und in R G 87, 71 wird ausgeführt, daß das in einem Kaufvertrage mitenthaltene der Abtretung zugrunde liegende obligatorische Grundgeschäft als Bestandteil des K a u f vertrags von allen Mängeln des Kaufgeschäfts mitergriffen wird. (In R G 23. 1 1 . 1921 V 209/21 ist freilich das Gegenteil angenommen.) Anderseits läßt die t e i l w e i s e N i c h t i g k e i t d e s d i n g l i c h e n V o l l z u g s g e s c h ä f t s im gegebenen Falle richtiger: die teilweise Nichtentstehung des Vollzugsgeschäfts (beispielsweise der Auflassung, weil etwa mehr aufgelassen worden, als nach dem beiderseitigen Willen aufgelassen werden sollte) das schuldrechtliche Grundgeschäft unberührt ( R G 78, 375; R G WarnRspr 1926 Nr. 40; vgl. auch R G 79, 185). Sind lediglich m e h r e r e a b s t r a k t e R e c h t s g e s c h ä f t e z u s a m m e n vorgenommen, etwa in einer Urkunde mehrere Hypothekeneintragungen bewilligt worden, dann wird die Nichtig-

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§ 139 A n m . 23, 24 §140

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

keit der einen Hypothek nicht zugleich die der anderen zur Folge haben, falls nicht die Einigung der Beteiligten nur unter der Bedingung der Rechtsbeständigkeit aller Hypotheken erzielt worden ist. A n m . 23 V I . Beweislast Werden m e h r e r e R e c h t s g e s c h ä f t e i n e i n - u n d d e r s e l b e n U r k u n d e beurkundet, dann kann eine tatsächliche Vermutung dafür sprechen, d a ß die Herstellung eines einheitlichen Gesamtvertrags im Willen der Parteien lag, und dann wird das die Partei zu widerlegen haben, die die Unabhängigkeit der Rechtsgeschäfte voneinander behauptet. Haben dieParteien anderseits über die mehreren Rechtsgeschäfte v e r s c h i e d e n e U r k u n d e n hergestellt oder verlautbart, dann läßt sich von vornherein eher vermuten, d a ß sie die einzelnen Geschäfte als voneinander unabhängige gewollt, und dies auch durch ihre äußerliche Trennung zum Ausdruck gebracht sein sollte (RG 79, 439; 103, 297); dann wird also die Einheitlichkeit der Geschäfte von dem zu beweisen sein, der sie geltend macht. I m übrigen aber kann sich die eine Vermutung oder die andere auch aus dem Inhalte der mehreren Geschäfte und dem daraus zu entnehmenden Zusammenhang ergeben, so daß die Sache in jedem Falle anders liegen kann. Handelt es sich beispielsweise u m einen Grundstücksveräußerungsvertrag und ein gleichzeitig abgeschlossenes Darlehnsgeschäft, so tritt ein innerer, rechtlicher Zusammenhang nicht ohne weiteres zutage. Stehen anderseits ein Grundstücksveräußerungsvertrag und ein Bierbezugsvertrag oder der Verkauf des Grundstücks und daneben ein Kaufvertrag über das Grundstücksinventar in Frage, d a n n ist das Gegenteil der Fall und wird leicht anzunehmen sein, d a ß auch die Leistungspflichten aus den beiden Verträgen in gegenseitiger Beziehung zueinander derart stehen, d a ß der eine Vertrag nicht ohne den andern abgeschlossen sein würde. In R G 103, 297 scheint das nicht genügend beachtet zu sein. Stets ist aber zu beachten, daß die Parteien es nicht in der H a n d haben, in Wirklichkeit einheitliche Gesamtverträge etwa mit Rücksicht auf Kostenersparnis (bei formbedürftigen Rechtsgeschäften) willkürlich zu zerreißen. A n m . 24 Die Beweislast für das Vorhandensein des A u s n a h m e f a l l s des § 139 hat der Teil, der den Ausnahmefall geltend macht, also behauptet, das Rechtsgeschäft wäre auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden (RG 61, 286; 141, 104). Es m u ß ein positiver Beweis erbracht werden (RG 74, 332).

§140 Entspricht ein nichtiges Rechtsgeschäft den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts, so gilt das letztere, wenn anzunehmen ist, daß dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde. E I 1 1 1 ; M 1 218; P I 126ff.

Ubersicht Anm.

I. Umdeutung 1. Allgemeines 2. Objektive Voraussetzungen 3. Subjektive Voraussetzungen II. Anwendbarkeit III. Einzelfälle

480

1—3 1 2 3 4—6 7, 8

Willenserklärung

§140 Anm. 1—3

Anm. 1 I. Umdeutung 1. Allgemeines § 140 steht insofern in innerem Zusammenhang mit §§ 139, 155, als diese Bestimmung gleichfalls anstrebt, einmal vorgenommene Rechtsgeschäfte nach Möglichkeit aufrechtzuerhalten (vgl. § 139 Anm. 1). Eine Umdeutung (Konversion) kann aber nur in Betracht kommen, wenn die N i c h t i g k e i t des vorgenommenen Rechtsgeschäftes f e s t s t e h t , was gegebenenfalls eine vorherige Ermittlung des Parteiwillens zur Bestimmung •des Inhaltes des beabsichtigten Rechtsgeschäftes durch eine Auslegung der abgegebenen Willenserklärungen gemäß §§ 1 3 3 , 157 erforderlich macht.

Anm. 2 2. Objektive Voraussetzungen Voraussetzung der Umdeutung eines nichtigen Rechtsgeschäftes in ein anderes Rechtsgeschäft ist, daß das nichtige Rechtsgeschäft zugleich s ä m t l i c h e B e s t a n d t e i l e d e s a n d e r e n R e c h t s g e s c h ä f t e s in sich schließt, diese Bestandteile von der Nichtigkeit nicht mitergriffen werden und das andere Rechtsgeschäft ausreicht, um wenigstens in wirtschaftlicher Hinsicht im wesentlichen gleichartige Wirkungen wie das beabsichtigte, aber nichtige Rechtsgeschäft zu erzielen. U m d e u t u n g b e d e u t e t a l s o , d a ß a n d i e S t e l l e des b e a b s i c h t i g t e n , a b e r n i c h t i g e n R e c h t s g e s c h ä f t s das a n d e r e (nicht b e a b s i c h t i g t e Rechtsgeschäft), dessen V o r a u s s e t z u n g e n schon durch A b s c h l u ß d e s n i c h t i g e n R e c h t s g e s c h ä f t s e r f ü l l t s i n d , z u s e t z e n i s t und daß dadurch der gewollte wirtschaftliche Erfolg, sei es ganz, sei es nur zum Teil, erreicht wird ( R G 48, 250; 110, 3 9 1 ; 137, 1 7 6 ; R G WarnRspr 1928 Nr. 8; R G Gruchot 6 1 , 466; B G H 19, 275). Die Umdeutung darf nicht zu einer Umänderung oder Ergänzung des abgeschlossenen Geschäftes in der Weise führen, daß sich für die Parteien ganz andere oder weitergehende Folgen ergeben, als sie mit dem nichtigen Rechtsgeschäft beabsichtigt waren. Es ist insbesondere nicht zulässig, an die Stelle des nichtigen Rechtsgeschäfts ein anderes n u r d e s h a l b zu setzen, weil es die Beteiligten bei Kenntnis der Nichtigkeit des ersteren abgeschlossen haben würden ( R G SeuffArch 80 Nr. 1 1 0 ; R G WarnRspr 1928 Nr. 1 2 0 ; R A G 7, 3 1 ; s. auch R G 1 2 1 , 99; 125, 209).

Anm. 3 3. Subjektive Voraussetzungen Andererseits ist auch beim Vorliegen der angeführten objektiven Voraussetzungen f ü r eine Umdeutung nur R a u m , wenn anzunehmen ist, daß die Parteien das andere Rechtsgeschäft bei Kenntnis der Nichtigkeit des vorgenommenen Rechtsgeschäfts g e w o l l t haben würden. O b diese Voraussetzung vorliegt, kann nur durch Auslegung der beiderseitigen Willenserklärungen ermittelt werden (§§ 1 3 3 , 157). Es ist dabei nicht erforderlich, daß die Beteiligten schon bei Abschluß des Rechtsgeschäfts eine etwaige Geltung des anderen Rechtsgeschäfts ins Auge gefaßt haben, sondern es genügt, daß sie bei Kenntnis der Nichtigkeit des vorgenommenen Rechtsgeschäfts das andere Geschäft •abgeschlossen haben würden (RG 103, 388; 1 1 0 , 3 9 1 , 1 2 1 , 85; R G WarnRspr 1928 N r . 8 ) . Es handelt sich hierbei um die Ermittlung des hypothetischen Willens d e r P a r teien. Es genügt deshalb nicht, nur objektive und von der Meinung der Beteiligten unabhängige Vernunftsgründe festzustellen, sondern es sind auch hierbei die Auslegungsgrundsätze der §§ 133 und 157 sinngemäß zu berücksichtigen, wonach der erklärte oder mutmaßliche Wille der Beteiligten maßgeblich ist und eine Auslegung gegen diesen Willen nach nur objektiven Grundsätzen nicht zulässig ist ( B G H 19, 269). Bei Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens kann insbesondere von Bedeutung sein, ob für die Parteien bei Abschluß des nichtigen Rechtsgeschäftes dessen wirtschaftlicher Erfolg oder das benutzte rechtstechnische Mittel, die gewählte Rechtsform, von entscheidender Bedeutung gewesen ist ( B G H 1 9 , 2 7 3 fr). I m Sinne des Parteiwillens wird die Aufrechterhaltung eines nichtigen Rechtsgeschäftes durch Umdeutung in der Regel liegen, wenn Zweck und Erfolg der beiden Rechtsgeschäfte weitgehend gleichwertig sind.

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§140

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A n m . 4—7 Anm. 4 II. Anwendbarkeit § 140 ist nur anwendbar auf n i c h t i g e R e c h t s g e s c h ä f t e , gleichgültig, ob die Nichtigkeit von Anfang an bestand oder erst durch Anfechtung herbeigeführt wurde. Der in § 140 zum Ausdruck gekommene Rechtsgedanke greift auch ein, soweit die Aufrechterhaltung eines Vertrages in Frage steht, der auf Grund allgemeiner Geschäftsbedingungen abgeschlossen wurde, von denen einzelne Bestimmungen nichtig sind (vgl. B G H 22, 90 und Anm. F i s c h e r zu L M Nr. 1 zu Allg. Geschäftsbedingungen). Dagegen ist die Vorschrift nicht anwendbar auf Geschäfte, deren Wirksamkeit von der Genehmigung eines Dritten abhängen (schwebend unwirksame Rechtsgeschäfte) und auf solche, die zwar anfechtbar sind, aber noch nicht angefochten wurden ( R G 79, 308). Außerdem kommt eine Umdeutung nicht in Frage bei Rechtsgeschäften, die deshalb nichtig sind, weil sie von einem Nichtberechtigten vorgenommen wurden ( R G 124, 28; R G WarnRspr 1908 Nr. 441). Die Anwendbarkeit ist auch dahin einzuschränken, daß es nicht möglich ist, im Wege der Umgestaltung einer Willenserklärung ein anderes Recht oder ein Recht für eine andere Person zu begründen ( R G 70, 358, wonach nicht eine Eigentümergrundschuld gemäß § 140 als entstanden gelten kann, wenn der Eigentümer zur Täuschung seiner Gläubiger für seine Kinder eine Hypothek ohne Einigung mit ihnen bestellt hat; vgl. ferner R G H R R 1933 Nr. 98g). Auf die Art des Nichtigkeitsgrundes (Anm. zu § 125) sowie darauf, ob der Grund das gegebene Rechtsgeschäft durchweg, oder aber, ob er nur einen seiner mehreren Bestandteile berührt (Formmangel; vgl. § 1 3 9 Anm. 5), soll es im übrigen nicht ankommen. Zulässig ist auch die Umdeutung eines nichtigen Rechtsgeschäfts in ein heilbar nichtiges, wie etwa in einen dem Formerfordernis des § 3 1 3 unterstehenden, aber nicht genügenden Vertrag ( R G 129, 122). Der Umdeutung fähig sind auch solche Rechtsgeschäfte, deren Nichtigkeit auf einem Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134) beruht ( R G 1 2 5 , 2 1 2 ; R G S e u f F A r c h 8oNr. 1 1 0 ; B G H 26, 328). DieRegel des § 140 d a r f a u c h nicht a l l g e m e i n dazu führen, dieNichtigkeit eines Vertrages derart zu beseitigen, daß ihm ein nur beschränkter Inhalt gegeben, beispielsweise also die verabredete übermäßige Dauer eines Knebelungsvertrages auf ein geringeres M a ß herabgesetzt wird ( R G 76, 78), für sittenwidrig überhöhtes Entgelt vgl. BGH N J W 1958, 1772.

Anm. 5 Der Rechtsgedanke der Umdeutung kann auch im ö f f e n t l i c h e n R e c h t Anwendung finden; die Versetzung eines Kündigungsbeamten in den Ruhestand, ausgesprochen in der Annahme, daß seine Dienstunfähigkeit auf einen Dienstunfall zurückzuführen sei, kann aber nicht als Kündigung aufgefaßt werden, wenn sich die Annahme nachträglich als irrig erweist ( R G H R R 1931 Nr. 858). Uber Anwendung des § 140 auf Verwaltungsakte s. auch L G Osnabrück NdsRpfl 1948, 1 7 6 ; O V G Münster D Ö V 1952, 766).

Anm. 6 Liegen die erforderlichen Voraussetzungen vor, dann ist die Vorschrift des § 140 z w i n g e n d , m. a. W. es ist Pflicht des Richters, zu prüfen, ob das nichtige Rechtsgeschäft einer Umdeutung fähig ist und diese vorzunehmen, wenn die Voraussetzungen hierfür gegeben sind.

Anm. 7 III. Einzelfälle Ein formungültiger eigener Wechsel kann in einen Schuldschein ( R G SeuffArch 80 Nr. 22: Schuldversprechen im Sinne von § 780) oder gemäß § 363 H G B in einen kaufmännischen Verpflichtungsschein umgedeutet werden ( R G 48, 2 2 3 ) ; ferner auch ein Pfandvertrag in ein rechtsgeschäftliches, zwischen den Parteien nur persönlich wirkendes Zurückbehaltungsrecht ( R G 66, 24; 68, 368; O G H 4, 146); weiter ist die U m wandlung eines einzutragenden dinglichen Vorkaufsrechts mit festem Preise in ein durch die Bestellung einer Auflassungsvormerkung zu sicherndes schuldrechtliches Vorkaufsrecht möglich ( R G 104, 122).

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Willenserklärung

§ 140 Anm. 8

Ein formungültiges Rechtsgeschäft unter Lebenden (nur schriftliches Schenkungsversprechen) kann als eigenhändiges Testament a u f r e c h t e r h a l t e n werden (RG J W 1910, 467, auch Koblenz NJW 1948, 384); ein mangels Beobachtung der Formvorschriften in §§ 2275, 2276 ungültiger notarieller Erbvertrag zwischen Vater und Kindern als Vertrag unter künftigen gesetzlichen Erben über ihren Erbteil gemäß § 3 1 2 Abs. 2 (RG 12. 5. 1927 IV 82/27); e ' n mangels Wahrung der gesetzlichen Form (§ 2371) nichtiger Erbschaftskauf als Erbauseinandersetzung gemäß § 2042 (RG 129, 122); der nichtige Verkauf eines Erbteils (§2371) als Abtretung der sich bei der Auseinandersetzung für den Erben ergebenden Ansprüche (RG 137, 1 7 1 ) ; die ungültige Abtretung eines Nießbrauchsrechts als bloße Überlassung seiner Ausübung (RG J W 1910, 801); die Aufrechterhaltung eines formungültigen Vermögensübertragungsvertrags als Verpflichtung zur Übertragung einzelner Gegenstände (RG 76, 13; 82, 277; vgl. auch BGH 26, 328); ein gemäß § 310 nichtiger Übertragungsvertrag in Ansehung vom künftigen Vermögen als Erbvertrag (RG J W 1910, 467; BGH 8, 23, 34); eine formungültige Bürgschaft als Schuldübernahme (RG 65, 27; vgl. anderseits R G 78, 39); eine ungültige Prokura als Handlungsvollmacht; der Fall eines nichtigen Indossaments als Eigentumsübertragung durch Abtretung des Herausgabeanspruchs (RG SeuffArch 67 Nr. 83, der indossierte Lagerschein rührte nicht von einem privilegierten Lagerhalter her); die Übertragung zum Nießbrauche als Übertragung zum Gebrauche (RG Warn Rspr 1910 N. 317). Eine ohne die vereinbarte Kursgarantieklausel eingetragene Hypothek kann als Hypothek ohne diese Klausel a u f r e c h t erhalten werden (RG 108, 146); ferner eine ins Grundbuch eingetragene Abtretung einer vermeintlich zur Eigentümergrundschuld gewordenen nichtigen Hypothek als Bestellung einer Grundschuld (RG L Z 1931, 839); ein wegen Formmangels nichtiger Grundstücksveräußerungsvertrag als Vertrag über die Bestellung eines lebenslänglichen Nießbrauchs (RG 110, 391); der unzulässige Vorbehalt des Eigentums an einem Keller des verkauften Grundstücks als Ausbedingung eines Erbbaurechts am Keller (RG SeuffArch 79 Nr. 31); wegen inhaltlicher Unzulässigkeit nichtige Verträge über die Bestellung von Erbbaurechten, Pachtverträge (RG SeuffArch 80 Nr. 135). Die vereinbarte Bestellung eines dinglichen Vorkaufsrechts zu einem bestimmten Preise kann in die Vereinbarung der Eintragung einer Vormerkung zur Erhaltung des Rechts auf Auflassung umgedeutet werden (RG SeuffArch 77 Nr. 124), ferner ein der Form des § 313 ermangelndes Grundstücksveräußerungsgeschäft als Einräumung eines Optionsrechts durch einseitiges, in gehöriger Form erklärtes Vertragsangebot (RG 169, 65 [71]); der an sich nichtige Kauf der eigenen Sache als Kauf des Besitzes oder Rückgängigmachung eines früheren Kaufvertrags (RG JW 1924, 1360); eine unzulässige Blankoabtretung von Hypotheken in Bestellung eines Pfand- oder Zurückbehaltungsrechts (RG J W 1928, 174); ein als Erbpachtvertrag unzulässiger Vertrag in einen Pachtvertrag (RG WarnRspr 1928 Nr. 120); die testamentarische Anordnung der (nun gesetzlich verbotenen) Errichtung eines Familienfideikommisses als Anordnung einer Nacherbschaft oder eines Nachvermächtnisses (RG 13. 5. 1931 IV 398/30); ein mangels Beobachtung der Form des § 313 nichtiger Vertrag, durch den der Bauer sich gegenüber dem zukünftigen Anerben zur Gutsüberlassung gegen Gewährung eines Altenteils verpflichtet, in eine schuldrechtliche Verpflichtung des Bauern, für die Zeit bis zum Erbfall zugunsten des Anerben den Nießbrauch am Erbhof zu bestellen (RG J W 1937, 3153)Anm. 8 Unvereinbar ist aber mit § 2265 die Aufrechterhaltung von letztwilligen Verfügungen, die von andern als Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testamente errichtet worden sind, als Einzeltestamente (RG 87, 33), anders für nicht wechselbezügliche Einzelverfügungen (Koblenz NJW 1948, 385), unzulässig ist auch die U m g e staltung einer Verpfändung in eine Abtretung (RG 79, 308); die Umwandlung einer Gewerkschaft in einen nichtrechtsfähigen Verein (RG Gruchot 61, 463); die Umdeutung einer Rücktrittserklärung gemäß § 326 in eine Anfechtung wegen Irrtums nach § 119 (RG 105, 206). Über die Umdeutung der (rechtsunwirksamen) Umwandlung 483

§ 141 Anm. 1

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

einer Darlehnshypothek in eine Leibrentenschuld als Vereinbarung dahin, daß die Hypothek bestehen bleiben, der Grundstückseigentümer aber gehalten sein soll, an Zahlungs Statt in Form einer Rente zu leisten, s. R G H R R 1928 Nr. 207. Über die Umdeutung eines gesellschaftsrechtlich ungültigen Vertrags in einen rein schuldrechtlichen Vertrag s. R G 165, 133 f. Uber die Umdeutung einer Kündigung in den Antrag auf Schließung eines Aufhebungsvertrages R G 143, 124. Ausgeschlossen ist es, ein nichtiges Blankoindossament in eine bestärkende Schuldübernahme umzudeuten (RG 130, 82). Auch kann ein wegen Formmangels ungültiges Wechselakzept nicht in ein Schuldversprechen, Schuldanerkenntnis oder eine sonstige Verpflichtungserklärung umgedeutet werden (RG 136, 207, R G J W 1930, 1376; 1935, 1778; BGH NJW 1957, i 8 37)Nicht möglich ist es auch, eine formbedürftige, unwiderrufliche V o l l m a c h t bei Nichteinhaltung der Form als formfreie widerrufliche Vollmacht aufrechtzuerhalten ( R G Gruchot 68, 538) oder eine nach § 1250 nichtige Abtretung des Pfandrechts ohne die persönliche Forderung in eine Abtretung von Pfandrecht und Forderung umzudeuten ( R G J W 1938, 44). Bei einem nichtigen Erbschaftsverkauf s. R G H R R 1934 Nr. 1035.

§141 Wird ein nichtiges Rechtsgeschäft von demjenigen, welcher es vorgenommen hat, bestätigt, so ist die Bestätigung als erneute Vornahme zu beurteilen. Wird ein nichtiger Vertrag von den Parteien bestätigt, so sind diese i m Zweifel verpflichtet, einander zu gewähren, was sie haben würden, wenn der Vertrag von Anfang an gültig gewesen wäre. E I 110 n 110; M 1 2i7ff; P i 126. Ü b ersieht I. Allgemeines II. Bestätigung durch Neuvornahme III. Folgen der Bestätigung

. . . .

Anm. I 2—4 5, 6

Anm. 1 I. Allgemeines Unter Bestätigung ist nach dem Sprachgebrauch des BGB dasjenige Rechtsgeschäft zu verstehen, durch welches jemand einem von ihm vorgenommenen, nichtigen oder anfechtbaren Rechtsgeschäft Rechtsbeständigkeit verleihen will. Notwendig ist ein Bestätigungswille ( R G 68, 3g8, 69, 412; 93, 228; 104, 54; 138, 52; 150, 388; R G WarnRspr 1913 Nr. 43; 1922 Nr. 64; 1923/24 Nr. 163; 1925 Nr. 20; R G J W 1912, 681; R G S e u f f A r c h 77 Nr. 57, 102), und damit die K e n n t n i s d e r N i c h t i g k e i t oder wenigstens die Kenntnis der Möglichkeit einer Nichtigkeit ( R G 150,388;RGDJ 1935, 267; R G J W 1935, 2041; R G SeuffArch 79 Nr. 102; s. auch BGH 11, 59). Möglich ist auch die Bestätigung nur eines bestimmten Teils des Rechtsgeschäfts ( R G WarnRspr 1913 Nr. 43). V o n der Bestätigung ist zu unterscheiden die formgerechte Ergänzung eines unvollständig beurkundeten Vertrages ( R G J W 1929, 575) und die Genehmigung, die in der Regel von einem Dritten bei schwebend unwirksamen Geschäften erteilt wird (vgl. §§ 184, 185, 177, '79, 684). Der dem § 141 zugrunde liegende Rechtsgedanke ist auch auf die nach dem 14. 2. 1924 erfolgte Bestätigung eines in der Rückwirkungszeit abgeschlossenen Aufwertungsvergleiches anzuwenden (RG J W 1929, 731). Der Grundsatz des § 141 findet auch auf nichtige V e r w a l t u n g s a k t e Anwendung. Der nichtige Verwaltungsakt kann bestätigt werden, vorausgesetzt, daß die Behörde dies will und die Nichtigkeit kannte (BGH W M 1954, 40).

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Willenserklärung

§ 141

A n m . 2—4 Anm. 2 II. Bestätigung d u r c h N e u v o r n a h m e

Die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts ist nicht heilbar. U m dem nichtigen Rechtsgeschäft zur Wirksamkeit zu verhelfen, muß es vielmehr e r n e u t v o r g e n o m m e n w e r d e n . B e s t ä t i g u n g im Sinne von § 141 b e d e u t e t demnach N e u v o r n a h m e des nichtigen Rechtsgeschäfts. Diese erneute Vornahme kann ausdrücklich, stillschweigend oder durch schlüssiges Verhalten geschehen. Die Nichtigkeit kann nur durch sie beseitigt werden ( R G 6 1 , 2 6 5 5 6 4 , 1 4 9 ; R G J W 1 9 0 9 , 1 1 ) . Die „Bestätigung" kann daher nur Erfolg haben, wenn sie allen Anforderungen des betreffenden Rechtsgeschäftes entspricht ( R G 6 1 , 266), also insbesondere auch die Formerfordernisse erfüllt werden ( R G 68, 4 1 ; 76, 84; 150, 385; R G WarnRspr 1908 Nr. 1 2 1 ; R G Gruchot 7 1 , 387). Ein nicht in der vorgeschriebenen Form abgeschlossener Grundstücksveräußerungsvertrag wird zwar durch Auflassung und Eintragung geheilt ( § 3 1 3 Satz 2); leidet aber der Grundstücksveräußerungsvertrag noch an einem weiteren Mangel, etwa daran, daß er durch einen nicht beauftragten Vertreter vorgenommen wurde, dann können Auflassung und Eintragung diesen Mangel nicht heilen. Es bedarf vielmehr der Neuvornahme in der Form des § 3 1 3 und zwar auch dann, wenn die Bestätigung durch Vergleich erfolgen soll ( R G 94, 1 5 1 ; vgl. näheres Anm. zu § 3 1 3 ) .

Anm. 3 Ist eine Form nicht vorgeschrieben, so genügt zur Neuvornahme jedes Verhalten, aus dem der Bestätigungswille der Parteien erkennbar wird, insbesondere kann sich die erforderliche Willenseinigung auch stillschweigend durch schlüssiges Verhalten vollziehen ( R G 125, 7; B G H 11, 59; R G WarnRspr 1921 Nr. 60, R G J W 1903 Beil. 42). Zur Neuvornahme kann auch auf den Inhalt des nichtigen Geschäfts Bezug genommen werden. Dies gilt auch dann, wenn die Parteien im Bestätigungsvertrag auf ein ehemals nach § 1 a K W V O verstoßendes und schon teilweise erfülltes Geschäft Bezug nehmen, vorausgesetzt, daß die Parteien zur Zeit der Bestätigung Leistungen austauschen, die zu diesem Zeitpunkt erlaubt sind und erst auf Grund des neuen Vertrags das Eigentum an denjenigen Gegenständen, die bereits früher geliefert waren, rechtswirksam auf die Gegenpartei übertragen wird ( B G H 11, 59). Ist dagegen eine Form vorgeschrieben, so genügt die bloße Bezugnahme und Neuvornahme durch schlüssiges Verhalten nicht. Vielmehr muß die Bestätigung in der vorgesehenen Form erfolgen ( R G J W 1903 Beil. 42; R G 8. 4. 1907 I V 424/06). So ist in der auf Grund eines formungültigen Grundstücksveräußerungsvertrages vor dem Notar erklärten und angenommenen Auflassung auch bei Bezugnahme auf den Vertrag eine wirksame Bestätigung nicht zu finden ( R G J W 1925, 2230).

Anm. 4 Handelt es sich um einen V e r t r a g , so muß in der nachträglichen Bestätigung insbesondere auch die Willensübereinstimmung über alle wesentlichen Punkte zum Ausdruck gelangt sein ( R G 61, 266; 104, 54; 168, 346 [352]; R G Gruchot 7 1 , 387), und es müssen die Beteiligten jedenfalls in Kenntnis der Nichtigkeit des Vertrags gehandelt haben (s. Anm. 1). Sind ferner beim Vertragsabschluß m e h r e r e b e t e i l i g t gewesen, dann müssen alle Beteiligten auch bei dem Bestätigungsgeschäfte mitwirken ( R G 52, 164). Der Bestätigung d a r f a u c h nicht, falls die Nichtigkeit im I n h a l t des Geschäfts ihren Grund hatte, der betreffende Mangel wiederum anhaften. Insbesondere kann ein unsittliches Rechtsgeschäft durch Bestätigung niemals zu einem sittlichen werden ( R G 64, 149; R G WarnRspr 1922 Nr. 64; R G Gruchot 53, 684), es sei denn, daß der die Sittenwidrigkeit begründende Umstand weggefallen ist. Ein zur Erleichterung der Ehescheidung abgeschlossener nichtiger Vertrag wird nicht durch die fortdauernd geleisteten Zahlungen wirksam ( R G L Z 1922, 158; für den Fall einer Bestätigung nach rechtskräftiger Scheidung der Ehe s. R G 150, 385 und L G Hamburg D Z 1936, 692). So wäre auch die Bestätigung des Abkommens zwischen einer G m b H und einem Gesellschafter, daß dieser unter gewissen Voraussetzungen seine Stammeinlage zurückfordern dürfe, als gegen § 30 Abs. 1 G m b H G verstoßend, ebenfalls nichtig ( R G 5. 5. 32

Komm. 2. B G B . I i . Aufl. I. Bd. (Krüger-Nieland)

485

§ 1 4 l A n m . 5, 6 §142

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

1906 I 611/05). Desgleichen die Bestätigung eines Vertrages, in dem ein Miterbe seinen vermeintlichen Erbanspruch an einem Bestandteil des Nachlasses verkauft, weil bei einem solchen Geschäft überhaupt ein zulässiger Gegenstand fehlt (§§ 1922 Abs. 2, 2033 Abs. 1 Satz 1; RG 61, 78). Die Bestätigung eines w u c h e r i s c h e n Rechtsgeschäfts kann dann von Erfolg sein, wenn zur Zeit ihrer Vornahme die Voraussetzungen des Wuchers nicht mehr bestehen. Durch Aufhebung eines Verbotsgesetzes wird das einmal ungültige Geschäft grundsätzlich nicht nachträglich wirksam, es kann nur im Sinne einer erneuten Vornahme bestätigt werden (BGH 25, 163 für Kindesannahmevertrag), eine Bestätigung ist aber nicht aus Leistungen des Bürgen abzuleiten, der die Nichtigkeit des Hauptgeschäftes nicht gekannt hat (RG 138, 52). Bestätigung einer gegen die Verordnungen über Valutaspekulationen verstoßenden Mietzinsvereinbarung nach Aufhebung jener Verordnungen s. RG 125, 3. — Im Falle der Nichtigkeit eines b e u r k u n d e t e n Vertrags erfordert die erneute Vornahme nicht auch die wiederholte Beurkundung des vollen Vertragsinhalts, vielmehr genügt die Bezugnahme auf die früheren Vertragsurkunden (RG Gruchot 71, 387). Anm. 5 III. Folgen der B e s t ä t i g u n g Die Bestätigung hat zur Folge, daß das beabsichtigte Rechtsgeschäft auf der Grundlage des erneut vorgenommenen Rechtsgeschäftes nunmehr wirksam wird (RG 68, 4 1 ; 76, 84; RG H R R 1928 Nr. 1277). Die Bestätigung hat keine rückwirkende Kraft, in der Weise, daß das nichtige Geschäft als von Anfang an als gültig anzusehen wäre, sondern die Bestätigung wirkt ex nunc. Dingliche Verfügungen werden erst im Zeitpunkt der Neuvornahme wirksam (RG 75, 1 1 5 ; RG SeuffArch 78 Nr. 133). Dadurch entfallen aber dann auch etwaige vor der Bestätigung bestehende Ausgleichsansprüche. Bei schuldrechtlichen Verträgen besteht von diesem Grundsatz insofern eine Ausnahme, als die Parteien nach erfolgter Bestätigung im Zweifel verpflichtet sind, einander das zu gewähren, was sie haben würden, wenn der Vertrag von Anfang an gültig gewesen wäre. Diese Ausnahme gilt nur für das Verhältnis zwischen den Vertragsparteien (RG J W 1911, 187). Wenn in RG 75, 1 1 5 gesagt ist, daß die Heilung eines formlosen Kaufvertrags durch Auflassung und Eigentumseintragung gemäß § 3 1 3 Satz 2 der Bestätigung eines nichtigen Vertrags nach § 141 Abs. 2 gleichzusetzen sei, so kann es sich dabei nicht um eine unmittelbare Anwendung des § 141 Abs. 2 handeln; nur der ihm zugrunde liegende schuldrechtliche Gedanke muß auch im Falle des § 3 1 3 Satz 2 zur Anwendung kommen (RG 115, 6). Eine mittelbare Anwendung des Abs. 2 tritt auch ein, wenn die Beteiligten den nach § 3 1 3 nichtigen mündlichen Kaufvertrag für gültig ansahen und den vermeintlich bindenden, zum Teil schon ausgeführten Vertrag nur notariell aufgezeichnet wissen wollten (RG J W 1935, 2041). Auch nach außen hin tritt sonach eine dingliche Wirkung nicht ein, so daß auch Verfügungen, die der eine Vertragsteil in der Zwischenzeit zugunsten Dritter vorgenommen hat, ungeachtet der nachträglichen Bestätigung des nichtigen Vertrags in Kraft bleiben (RG 75, 116). Rückwirkende Kraft hat auch die Bestätigung einer nichtigen E h e (§§ 21 Abs. 2, 22 Abs. 2 EheG). Anm. 6 § 141 Abs. 2 enthält eine g e s e t z l i c h e V e r m u t u n g (im Zweifel). Zur Entkräftung dieser Vermutung bedarf es der Feststellung besonderer Umstände, die unzweideutig erkennen lassen, daß die Parteien einen hiervon abweichenden Willen gehabt haben (RG J W 1931, 2227).

§143 Wird ein anfechtbares R e c h t s g e s c h ä f t angefochten, s o i s t es als von A n f a n g an nichtig anzusehen. Wer die Anfechtbarkeit kannte oder kenne m u ß t e , w i r d , w e n n die A n fechtung erfolgt, s o behandelt, w i e w e n n er die Nichtigkeit d e s Rechtsges c h ä f t s gekannt hätte oder hätte kennen m ü s s e n . E I 112 837 Abs. 2 Satz 2, 877 Satz 2 II 1 1 3 ; M 1 2i8ff; P 1 127, 164fr; 3 214.

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Willenserklärung

§ 142

Anm. 1—3 Übersicht Anm.

I. Die Anfechtung 1. Allgemeines 2. Anfechtungsgründe 3. Teilanfechtung 4. Sachliche Bedeutung des Anfechtungsrechts 5. Anfechtbarkeit nichtiger Rechtsgeschäfte II. Die Wirkung der Anfechtung 1. Allgemeines 2. Folgen der Rückwirkung 3. Ausgleichsansprüche aus § 8 1 2 III. Wirkung der Anfechtung auf Rechtsverhältnisse mit Dritten 1. Allgemeine Wirkungen 2. Schutz des gutgläubigen Erwerbs I V . Beweislast

i—6 i, 2 3 4 5 6 7—11 7, 8 9, 10 11 12, 13 12 13 14

Anm. 1 I. Die Anfechtung 1. Allgemeines Mit der Anfechtung macht der Anfechtungsberechtigte den Mangel einer Willenserklärung geltend. Da jedem Rechtsgeschäft begrifflich notwendig eine Willenserklärung

zugrunde liegt, so ist die A n f e c h t b a r k e i t eines jeden Rechtsgeschäfts (auch einer

in einem gerichtlichen Vergleich enthaltenen Willenserklärung; R G WarnRspr 1908 Nr. 594) denkbar. Dies gilt auch für die Stimmabgabe eines Gesellschafters, die als Willenserklärung ( R G 118, 67) nach den bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen anfechtbar ist, soweit sie nicht als Beitrittserklärung Bestandteil eines Gründungsvorganges ist ( B G H 14, 267). Anfechtbar ist sowohl das Verpflichtungs- als auch das Erfüllungsgeschäft. Es macht grundsätzlich auch keinen Unterschied, ob die Willenserklärung ausdrücklich oder stillschweigend erfolgt ist ( R G 69, 17). Zur Anfechtung genügt eine f o r m l o s e E r k l ä r u n g . Sie kann im Wege der Klage oder durch Einrede geltend gemacht werden. Die einredeweise geltend gemachte Anfechtung ist zuzulassen, auch wenn sie nur auf einer Vermutung beruht, vorausgesetzt, daß sie in tatsächlicher Hinsicht genügend begründet wird ( R G WarnRspr 1911 Nr. 361).

Anm. 2 Wo das Gesetz von Anfechtung mit Bezug auf e i n R e c h t s v e r h ä l t n i s spricht, so bei Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes (§§ 1593fr) und Anfechtung des Erbschaftserwerbs, um die Erbunwürdigkeit geltend zu machen (§§ 2340fr), handelt es sich nicht um die Anfechtung einer Willenserklärung. Sie kann n u r i m W e g e d e r K l a g e e r f o l g e n und ihre Wirkung tritt erst mit Rechtskraft des Urteils ein. Dies gilt auch für die Anfechtung der Gesellschaftsbeschlüsse einer A G (§ 107 Abs. 1 AktG) oder G m b H ( B G H 11, 231 mit Nachweisen).

Anm. 3 2. Anfechtungsgründe Anfechtungsgründe nach dem BGB sind der I r r t u m (§§ 119, 2078, 2079, 2281 f f ) ; die u n r i c h t i g e Ü b e r m i t t l u n g (§ 120); a r g l i s t i g e T ä u s c h u n g und widerrechtliche Drohung (§§ 123, 2078 Abs. 2). Eine Sonderregelung gilt für die Anfechtung der Ehe. Nach § 28ff EheG kann eine mit den in §§ 32—34 EheG genannten Mängeln behaftete Ehe nicht angefochten, sondern nur durch Anfechtungsklage beseitigt werden. Eine Sonderregelung besteht ferner für die Anfechtung von Annahme und Ausschlagung einer Erbschaft (§§ 1954fr). Zur Frage, inwieweit auf p r o z e s s u a l e R e c h t s h a n d l u n g e n die bürgerlichrechtlichen Grundsätze der Anfechtung anzuwenden sind, vgl. Anm. 15 vor § 104. Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Willensmängel und über die Nichtigkeit 32*

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A n m . 4—6 von Rechtsgeschäften finden auf die nur dem Prozeßrecht unterliegenden Prozeßhandlungen, so auch auf die Prozeßvollmacht (§ 8o ZPO) keine Anwendung. (RG 105, 355; 156, 93; 162, 65; OGH N J W 1 9 5 1 , 7 2 ) ¡jedoch können offenbare Versehen (Schreibfehler) nachträglich richtig gestellt werden, wenn der Erklärungsempfänger das Versehen erkennen konnte (RG 81, 178; 105, 356). Anm. 4 3. Teilanfechtung Eine nur teilweise Anfechtung eines Rechtsgeschäfts mit der Folge, daß das Rechtsgeschäft i m übrigen bestehen bleibt, ist bei einem zusammengesetzten Rechtsgeschäft (vgl. hierzu näheres bei § 139) möglich. Die Wirkungen der Teilanfechtung bestimmen sich nach § 139. Danch bleibt der nicht angefochtene Teil des Rechtsgeschäfts nur dann bestehen, wenn er von dem angefochtenen unabhängig ist und für sich allein Bestand haben kann (RG WarnRspr 1937 Nr. 45) und ferner anzunehmen ist, daß die Parteien den Vertrag auch ohne die anfechtbare Vereinbarung geschlossen haben würden (vgl. Anm. zu § 139; RG J W 1938, 1891). Sonst greift der G r u n d s a t z durch, daß alle Bestimmungen eines Vertrags im Zweifel als ein einheitliches Ganzes angesehen werden müssen (RG 94, 149), und daß folgerichtig (wie beim Rücktritt, RG 67, 103) die an sich zulässige Anfechtung nur im ganzen möglich ist (RG J W 1913, 18), oder aber, daß die Anfechtung eines Teiles des Rechtsgeschäfts das gesamte Geschäft vernichtet (RG 67, 103). So kann ein über ein aus mehreren Grundstücken bestehendes Anwesen geschlossener einheitlicher Kaufvertrag wegen Irrtums nur einheitlich, nicht unter Beschränkung auf einzelne Grundstücke angefochten werden (RG H R R 1929 Nr. 2). Der Anfechtungsberechtigte hat in diesen Fällen also bei einheitlichen (einfachen) Rechtsgeschäften, die schon bei allgemeiner Betrachtung sich in selbständige Teile zerlegt nicht denken lassen, nur die Wahl, entweder das Rechtsgeschäft im ganzen Umfange anzufechten oder dabei stehen zu bleiben (RG 146, 234; RG J W 1938, 1891; RG WarnRspr 1914 Nr. 586). Eine gleichwohl erklärte Teilanfechtung wäre wirkungslos (RG 146, 234). Anm. 5 4. Sachliche Bedeutung d e s A n f e c h t u n g s r e c h t s Seiner sachlichen Bedeutung nach stellt sich das Anfechtungsrecht als ein bereits vorhandenes und daher auch v e r e r b l i c h e s V e r m ö g e n s r e c h t dar. Seiner selbständigen rechtsgeschäftlichen U b e r t r a g b a r k e i t stellt sich aber der Umstand entgegen, daß es, weil an das zugrunde liegende Rechtsverhältnis untrennbar geknüpft, der erforderlichen Selbständigkeit entbehrt und somit in Wirklichkeit nur eine dem Rechte selbst innewohnende Befugnis darstellt. Da aber auch derartige (unselbständige) bloße Befugnisse wenigstens der A u s ü b u n g nach übertragbar sind, so ist auch eine Ubertragbarkeit des Anfechtungsrechtes der bloßen Ausübung nach im Sinne einer Ermächtigung möglich (RG 73, 307; streitig). Anm. 6 5. Anfechtbarkeit nichtiger Rechtsgeschäfte Die Frage, ob ein nichtiges Rechtsgeschäft auch angefochten werden kann, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht entschieden worden. Im Schrifttum wird überwiegend der Standpunkt vertreten, daß ein Rechtsgeschäft nur dann anfechtbar sein kann, wenn es gültig zur Entstehung gelangt war ( O e r t m a n n BGB Allg. Teil 3. Aufl. Vorbem. i d vor § 139fr; S o e r g e l BGB 8. Aufl. Anm. V I zu § 123; vgl. auch R G 49, 422, aA sind S t a u d i n g e r 11. Aufl. Anm. 15—18 zu § 123 und Anm. 18 zu § 142, ferner P a l a n d t 17. Aufl. Uberblick vor § 104 Anm. 4e). Der Bundesgerichtshof hat in der Entscheidung in B G H L M Nr. 2 zu § 142 = J Z 1955, 500 diese Frage ausdrücklich offen gelassen, aber ausgesprochen, daß es im Prozeß den Parteien frei stehe, die Nichtigkeit eines wegen Formmangels ungültigen Rechtsgeschäfts auch daraus herzuleiten, daß das Rechtsgeschäft wegen Irrtums, Täuschung oder Drohung anfechtbar

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Willenserklärung

§142

A n m . 7—9 und rechtzeitig angefochten ist, weil es ihnen unbenommen bleibe, den Klageanspruch auf ursprüngliche Nichtigkeit oder auf eine durch Anfechtung herbeigeführte Nichtigkeit zu stützen. Anm. 7 II. Die Wirkung der Anfechtung 1. A l l g e m e i n e s Durch die Anfechtung wird das an sich rechtswirksam entstandene Geschäft (auch ein gerichtlicher Vergleich; R G WarnRspr 1908 Nr. 594) nichtig, und zwar ohne daß es der Annahme der Anfechtung oder einer sonstigen Mitwirkung des Anfechtungsgegners bedarf. Die Nichtigkeit tritt ohne weiteres und endgültig ein, ohne daß — wie etwa beim Rücktritt oder bei der Wandlung — zunächst nur ein Anspruch auf Wiederherstellung des früheren Zustandes entstünde ( R G 66, 38g). Die Anfechtung bewirkt, daß das Rechtsgeschäft als von Anfang an nichtig anzusehen ist, und zwar gilt dies auch für ein bereits in Vollzug gesetztes Dauerverhältnis ( R G 62, 186; 69, 17). Die Nichtigkeit wirkt materiell für und gegen Jedermann ( R G 69, 17). Das Rechtsgeschäft kann nur durch erneute Vornahme (§ 141 Abs. 1) unter Mitwirkung sämtlicher Beteiligten wieder hergestellt werden ( R G 74, 1; R G J W 1924, 404; R G WarnRspr 1923/24 Nr. 162). Die Beteiligten sind ferner nicht in der Lage, die einmal wirksam und berechtigt erklärte Anfechtung als unberechtigte oder wirkungslose zu behandeln ( R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 149) oder sie durch Widerruf oder durch gegenseitige Einigung zu beseitigen ( R G 146, 238; R G WarnRspr 1912, Nr. 149; 1 9 1 3 Nr. 190; R G SeufFArch 68 Nr. 4). Es besteht ferner keine Möglichkeit, das durch Anfechtung nichtige Rechtsgeschäft mit verändertem Inhalt aufrechtzuerhalten. Ist zugleich Anfechtung und W a n d l u n g erklärt, so ist zunächst die Anfechtung zu berücksichtigen, da bei ihrer Wirksamkeit für die Wandlung kein R a u m bleibt ( R G 74, 3; R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 190). Im Prozeß muß daher die von der einen Partei aufgestellte Behauptung, daß die Anfechtung erfolgt sei, unbedingt berücksichtigt werden; sie wird erst unbeachtlich, wenn die behauptende Partei die Behauptung nicht mehr aufrecht erhält und sie auch vom Gegner nicht daran festgehalten wird ( R G H R R 1932 Nr. 1 1 9 5 ; R G BayZ 1922, 259 Nr. 1). Allein der Umstand, daß ein Vertrag von beiden Parteien mit verschiedener Begründung angefochten wird, berechtigt das Gericht noch nicht, ohne Prüfung des Anfechtungstatbestandes von der Nichtigkeit des Vertrages auszugehen ( B G H N J W 1958, 1968). Anm. 8 Solange die Anfechtung noch nicht erklärt ist, ä u ß e r t die A n f e c h t b a r k e i t des Rechtsgeschäftes im allgemeinen noch k e i n e W i r k u n g , und die Anfechtung selbst steht auch nur dem am Rechtsgeschäft selbst Beteiligten zu. Ausnahmsweise hat aber der Bürge ohne Rücksicht auf die erfolgte Anfechtung die verzögerliche Einrede aus § 770, und der Eigentümer sowie der Verpfänder haben, die gleiche Einrede aus dem Anfechtungsrecht des persönlichen Schuldners ( § § 1 1 3 7 , 1 2 1 1 ) . Anm. 9 2. D i e F o l g e n d e r R ü c k w i r k u n g d e r A n f e c h t u n g Die Rückwirkung der Anfechtung äußert sich (anders als bei der Wandlung und beim Rücktrittsrecht) d i n g l i c h ( R G 66, 389) und führt zu folgenden Ergebnissen: a ) Wird ein d i n g l i c h e s R e c h t s g e s c h ä f t angefochten — sei es für sich allein, sei es zugleich mit dem Grundgeschäft (vgl. Anm. zu § 1 2 5 ; R G 70, 55; 66, 389) —• dann wird der Rechtserwerb des Anfechtungsgegners (§ 143) derart vernichtet, als wäre er niemals wirksam entstanden. Zugunsten des Verfügenden ist die Rechtslage dann so, als ob er das übertragene Recht niemals eingebüßt habe (vgl. R G 69, 16; B G H L M Nr. 1 zu § 142 = N J W 1952,782). Er hat somit im Falle der Eigentumsübertragung einer beweglichen Sache den Herausgabeanspruch nach §985 und bei Grundstücken die Klage auf Berichtigung des Grundbuchs gem. §894. Kann durch die Anfechtung der Ubereignung von Geldscheinen das Eigentum des Veräußerers nicht wieder hergestellt werden, weil

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§ 142 A n m . 10, H

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

das Geld inzwischen durch Hinterlegung (§ 7 HO) in das Eigentum des Staates übergegangen ist, so ist die Rechtsstellung des Veräußerers nach erfolgter Anfechtung so zu beurteilen, als ob er bis zur Hinterlegung Eigentümer geblieben wäre (BGH L M Nr. 1 zu § 142 = NJW 1952, 782). A n m . 10 b) Bei Schuldverhältnissen äußert sich die Rückwirkung der Anfechtung dahin, daß nach erfolgter Anfechtung bis zur Erfüllung jedem Teil der Einwand der Nichtigkeit zusteht. Anspruch und Verpflichtung sind durch die Anfechtung erloschen. Nach der Erfüllung aber findet die Ausgleichung in der Regel gem. §§ 812 ff statt (RG 68, 3 1 2 ; R G WarnRspr 1936 Nr. 17), und zwar unter dem Gesichtspunkt, daß der Rechtsgrund, auf Grund dessen die Leistung erfolgte und angenommen worden ist, durch die Anfechtung des Grundgeschäftes weggefallen ist (§812 Abs. 1 Satz 2). Die Eigentumsklage aus § 985 ist ausgeschlossen, wenn das dingliche Leistungsgeschäft, als von dem Grundgeschäft unabhängig, trotz dessen Vernichtung bestehen geblieben ist. Wird dagegen auch das dingliche Rechtsgeschäft nichtig, dann steht dem Anfechtenden nur der dingliche Anspruch zu. Ob der Anfechtende im übrigen auch berechtigt ist, Schadensersatz zu verlangen, richtet sich nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen (§§ 276, 823, 826). Jedenfalls aber darf er nicht das Erfüllungsinteresse, sondern nur das sogenannte negative Vertragsinteresse geltend machen (vgl. hierzu näheres Anm. zu § 122), also nur Ersatz desjenigen Schadens fordern, den er durch den Abschluß des Vertrages erlitten hat (RG 59, 157; 74, 3; RG SeuffArch 77 Nr. 55 zu § 463). A n m . 11 3. D e r A u s g l e i c h s a n s p r u c h nach § 812 Nach der ständigen Rechtsprechung erfolgt der aus wirksamer Anfechtung herzuleitende Ausgleich unter den Beteiligten durch Rückgängigmachung der Vermögensverschiebung unter dem Gesichtspunkt ungerechtfertigter Bereicherung nach §§812 ff (RG WarnRspr 1935 Nr. 17). In erster Linie kann jeder Teil seine Leistung in Natur zurückfordern (RG 94, 254; 96, 156, 347). Ist der Gegner zu dieser Rückgabe nicht mehr imstande, dann kann der Berechtigte von ihm den Betrag herausfordern, um den er bereichert worden ist (§§812, 818, 819). Der Betrag der Bereicherung ergibt sich jedoch nicht lediglich aus der Leistung, die der Verpflichtete empfangen hat, sondern aus dem, was er auf Grund des Rechtsgeschäfts im Sinne des § 812 „erlangt" hat, also aus d e m V e r gl e i c h e z w i s c h e n der e m p f a n g e n e n L e i s t u n g und seiner G e g e n l e i s t u n g , also zwischen allen erlangten Vorteilen und den in ursächlichem Zusammenhange stehenden Nachteilen, so daß die H ö h e der B e r e i c h e r u n g sich nur in dem Ü b e r s c h u ß a u s s p r i c h t (RG 54, 1 4 1 ; 94, 254; RG WarnRspr 1922 Nr. 122; RG J W 1915, 918). Kann der Berechtigte seinerseits die empfangene Leistung nicht mehr in Natur zurückgeben, dann muß es sich der Verpflichtete gefallen lassen, daß ihm nur der Wert seiner Leistung zugute gerechnet wird (RG 86, 344). Zweifelhaft kann sein, ob es, sofern es sich um einen Anspruch aus § 812 handelt, nicht schon zur Begründung der Klage und zur V e r m e i d u n g einer Z u v i e l f o r d e r u n g gehört, daß schon der Kläger, der die Bereicherung des Gegners herausverlangt, seine eigene Leistung darlegt und sie zugunsten des Gegners in Anrechnung bringt, um so den „Uberschuß" nachzuweisen, womit auch die weitere Frage zusammenhängt, ob nicht der Richter die ihm (etwa auch nur aus dem Vortrage des Klägers selbst) bekanntgewordene Leistung des Beklagten bei Prüfung des Klageanspruchs schon deswegen ohne weiteres mit zu berücksichtigen hat (RG 29. 9. 1920 V 155/20), oder ob er es erst zu tun braucht, wenn der Beklagte seinen Anspruch „irgendwie geltend macht" (RG WarnRspr 1918 Nr. 1 8 1 ; R G J W 1919, 377). Handelt es sich um gleichartige Leistungen, namentlich um beiderseitige Geldansprüche, dann werden die beiden aufgestellten Fragen z u u n g u n s t e n des Klägers zu beantworten sein. Stehen dagegen ungleichartige Leistungen in Frage, fordert insbesondere der Kläger seine Leistung in Natur zurück, dann wird er zu dieser

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Willenserklärung

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Anm. 12, 13 Forderung schlechthin berechtigt sein (vgl. darüber R G 94, 254, 3 1 0 ; 54, 1 3 7 ; 29. 9. 1920 V 155/20). Geht—wenn auch nur—aus dem Klagevorbringen des Verkäufers bereits hervor, daß er Gegenleistungen empfangen hat, und hat er sich in der K l a g e schon selbst zur Erstattung des Empfangenen bereit erklärt, dann darf der beklagte K ä u f e r zur Herausgabe des Grundstücks nur gegen Erstattung seiner Leistungen verurteilt werden (RG 7 1 , 399, 4 0 1 ; 29. 9. 1920 V 155/20). Hat endlich die Partei den Mangel des rechtlichen Grundes beim Empfang der Leistung gekannt, dann haftet sie gem. § 8 1 9 so, wie wenn der Herausgabeanspruch rechtshängig gewesen wäre ( R G WarnRspr 1 9 1 9 Nr. 196; 1922 Nr. 122).

A n m . 12 III. Wirkung der Anfechtung auf Rechtsverhältnisse Dritter 1. Allgemeine Wirkungen Die dingliche Wirkung der Anfechtung betrifft nur die materielle Seite. Ein zwischen den Parteien ergehendes, die Nichtigkeit des Rechtsgeschäftes feststellendes Urteil, hat Dritten gegenüber keine Rechtskraft ( R G 8o, 3 2 2 ; R G J W 1 9 1 2 , 788). Materiell kann die Vernichtung eines Vertrages sich aber auch gegenüber Dritten äußern; so verliert der Mäkler die Gebührenforderung, wenn das durch ihn vermittelte Rechtsgeschäft wirksam angefochten ist ( R G 76, 355), und der Dritte, zu dessen Gunsten der Vertrag abgeschlossen ist (§ 328), büßt durch die dem Vertragsgegner gegenüber erfolgte Anfechtung seinen ihm zugewachsenen Anspruch ein (vgl. Anm. zu § 334). Ficht jedoch der Versprechende seinen Vertrag mit dem Versprechensempfänger an, nachdem er die ihm aus diesem Vertrag obliegende Leistung an den Dritten bereits in der Weise bewirkt hat, daß dadurch eine Verbindlichkeit des Versprechensempfängers gegenüber dem Dritten erfüllt worden ist, dann kann der Versprechende die Leistung von dem Dritten nicht nach den Vorschriften über ungerechtfertigte Bereicherung zurückfordern, wenn das Rechtsverhältnis zwischen dem Versprechensempfänger und dem Dritten rechtlich von Bestand bleibt ( B G H 5, 281). Die in § 1 0 1 V V G vorbehaltene Verpflichtung des Versicherers gegenüber dem Hypothekengläubiger entfällt, wenn der Versicherer den Versicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung durch den Versicherungsnehmer mit Erfolg angefochten hat ( R G 131, 82).

A n m . 13 2. Der gutgläubige Erwerb Hat der Anfechtungsgegner das erworbene Recht oder die Sache an einen Dritten weiterveräußert, so wird dieser von der durch die Anfechtung rückwirkend eintretenden Nichtigkeit insofern betroffen, als er sein Recht, das er zur Zeit der Verfügung von einem Berechtigten herleitete, nunmehr von einem Nichtberechtigten erworben hat. Gegen diese Wirkung ist der Dritte nach Maßgabe d e r V o r s c h r i f t e n ü b e r d e n g u t g l ä u b i g e n E r w e r b v o m N i c h t b e r e c h t i g t e n geschützt. Der gute Glaube bezieht sich hier aber nicht auf die Berechtigung des Veräußerers, d. h. darauf, daß dessen Recht bis zur Anfechtung bestanden hat, was j a tatsächlich zutrifft, sondern der gute Glaube muß sich a u f d i e U n a n f e c h t b a r k e i t d e s R e c h t s g e s c h ä f t s , durch das der Veräußerer seinerzeit das Recht erworben hatte, beziehen. War der Dritte in diesem Sinne gutgläubig, so verbleibt ihm das Eigentum an der Sache auch nach erfolgter Anfechtung des Rechtsgeschäfts gegenüber dem Veräußerer. Hat der Dritte dagegen die Anfechtbarkeit gekannt oder hätte er sie kennen müssen (§ 122 Abs. 2), also infolge einer ihm zuzurechnenden Fahrlässigkeit (ob einfache oder grobe, streitig; vgl. S t a u d i n g e r Anm. 12 zu § 142) nicht gekannt, dann ist, wenn tatsächlich angefochten wird, ein gutgläubiger Erwerb ausgeschlossen. § 142 Abs. 2 stellt somit eine Erweiterung der in § 142 Abs. 1 vorgesehenen dinglichen Wirkung der Nichtigkeit und nicht eine Einschränkung dar ( R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 360). Im Falle mehrfacher Ü b e r t r a g u n g e i n e r F o r d e r u n g können die überhaupt nur im Gebiete des Sachenrechts anwendbaren Grundsätze vom guten Glauben keine Anwendung finden. § 404 enthält gegenüber § 142 Abs. 2 eine Sonderregelung für den Fall der Forderungsabtretung ( R G H R R 1929 Nr. 1306; B G H L M Nr. 1 zu § 142 = N J W

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§ 1 4 2 A n m . 14

§143

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

1952, 782). Die Nachfolger des Anfechtungsgegners verlieren daher unbedingt ihr Gläubigerrecht. Denn die auch erst nach der Abtretung erfolgte Anfechtung wirkt auch zuungunsten des Abtretungsempfängers (RG J W 1906, 380), und der Schuldner, der an einen solchen Nichtgläubiger gezahlt hat, ist mithin gegen eine nochmalige Inanspruchnahme durch den Gläubiger nur unter den besonderen Voraussetzungen der §§ 409, 410 geschützt. Im übrigen hat er vor der Leistung gegebenenfalls das Hinterlegungsrecht nach § 372. Die Vorschrift des § 142 Abs. 2 wirkt außer gegen Dritte nicht nur gegen den, der die eine Anfechtung begründende Handlung vorgenommen hat, sondern auch gegen den Empfänger eines Grundstückskaufpreises, der selbst die Anfechtung durchgeführt hat und damit rechnen muß, daß er die empfangene Leistung herausgeben muß (RG J W 1932, 1724). Anm. 14 IV. Die Beweislast Die Beweislast regelt sich dahin, daß der Anfechtende die Voraussetzungen des Anfechtungsrechts, der Anfechtungsgegner etwa dessen Erlöschen durch Bestätigung (§ 144) nachzuweisen hat. Vergleiche ferner Anm. zu § 121.

§143 Die Anfechtung erfolgt durch Erklärung gegenüber d e m Anfechtungsgegner. Anfechtungsgegner ist bei einem Vertrage der andere Teil, i m Falle des § 1 2 3 Abs. 2 Satz 2 derjenige, welcher aus dem Vertrag unmittelbar ein Recht erworben hat. Bei einem einseitigen Rechtsgeschäfte, das einem anderen gegenüber vorzunehmen war, ist der andere der Anfechtungsgegner. Das gleiche gilt bei einem Rechtsgeschäfte, das einem anderen oder einer Behörde gegenüber vorzunehmen war, auch dann, wenn das Rechtsgeschäft der Behörde gegenüber vorgenommen worden ist. Bei einem einseitigen Rechtsgeschäft anderer Art ist Anfechtungsgegner jeder, der auf Grund des Rechtsgeschäfts unmittelbar einen rechtlichen Vorteil erlangt hat. Die Anfechtung kann jedoch, wenn die Willenserklärung einer Behörde gegenüber abzugeben war, durch Erklärung gegenüber der Behörde erfolgen; dieBehörde soll die Anfechtung demjenigen mitteilen, welcher durch das Rechtsgeschäft unmittelbar betroffen worden ist. E I 113 Abs. 1, 2 II 112; M 1 220ff; Pl 127ff; 6 145ff, 383. Übersicht I. Die Anfechtungshandlung 1. Begriff" 2. Voraussetzungen und Inhalt 3. Bedingungsfeindlichkeit 4. Umfang der Anfechtung 5. Anfechtung im Prozeß II. Anfechtungsberechtigte III. Anfechtungsgegner 1. Beim Vertrag a) Mehrere Anfechtungsberechtigte und -Gegner 2. Einseitige empfangsbedürftige Willenserklärungen 3. Einseitige nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen 492

Anm, i—& 1 2, 3 4 5. 6 7 8—12 9 10 11 12

Willenserklärung

§143

A n m . 1—4 Anm. 1 I. Die Anfechtungshandlung 1. Begriff Die Anfechtungshandlung, deren Ziel es ist, das anfechtbare Rechtsgeschäft zu vernichten, ist g r u n d s ä t z l i c h f o r m l o s e e m p f a n g s b e d ü r f t i g e , v o m A n f e c h t u n g s berechtigten an den A n f e c h t u n g s g e g n e r zu richtende Willenserklärung. Sie ist u n w i d e r r r u f l i c h und kann nur durch gegenseitige (§ 1 4 1 ) , dagegen nicht durch einseitige Bestätigung gemäß § 144 ( R G 74, 1) und auch nicht durch nachträglichen Verzicht beseitigt werden ( R G J W 1 9 1 0 , 647).

Anm. 2 2. Voraussetzungen und Inhalt Die Anfechtungserklärung setzt Kenntnis des Anfechtungsgrundes voraus ( R G 68, 8). Einer Begründung der Anfechtungserklärung bedarf es nicht. Es ist auch nicht erforderlich, daß das Wort „anfechten" ausdrücklich gebraucht wird, sondern es genügt jede zuverlässige Erklärung, aus der genügend und unzweideutig hervorgeht, daß das Rechtsgeschäft von Anfang an beseitigt werden soll ( R G 65, 88; R G WarnRspr 1908 Nr. 595; R G SeuffArch 78 Nr. 1 1 0 ; R G J W 1 9 1 1 , 5 7 5 ; 1 9 1 2 , 28; R G Gruchot 50, 908; B G H M D R 1955, 24). Schon Wendungen, wie „ i c h sehe das Geschäft als nicht zustande gekommen a n " ( R G J W 1 9 1 1 , 575) oder wie Bestreiten der Verpflichtung, Nichtanerkennen, Zurückforderung können ausreichen ( R G 48, 2 2 1 ; 158, 168; B G H M D R 1955, 24), auch unter Umständen die Erklärung, daß gewandelt werde ( R G WarnRspr i g i o Nr. 100).

Anm. 3 In der Mitteilung, daß zu einer (anzufechtenden) Einverständniserklärung nicht die geringste Veranlassung bestanden habe und die darauf gestützten Ansprüche abgelehnt würden, kann eine Anfechtung wegen Irrtums zu finden sein ( R G WarnRspr 1935 Nr. 128). Ist aber absichtlich ein falscher Anfechtungsgrund angeführt worden, dann kann nicht nachträglich der wirklich gewollte geltend gemacht werden ( R G L Z 1922, 679). Auch die Angabe des abstrakten Anfechtungsgrundes, wie Betrug, Irrtum, ist nicht erforderlich ( R G 65, 86; R G J W 1 9 1 2 , 28; 1 9 1 4 , 1036). Jedoch kann in einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung auch eine solche wegen Irrtums gefunden werden ( B G H M D R 1955, 24). Dies braucht aber im Hinblick auf § 122 nicht immer der Fall sein ( R G 100, 205; R G J W 1925, 2725; vgl. auch Anm. zu § 122). Es ist auch zulässig, daß in der Anfechtungserklärung zunächst der Gesichtspunkt der Nichtigkeit hervorgekehrt wurde, und dann später erst, wenn auch erst nach Ablauf der Anfechtungsfrist, die Anfechtung als solche geltend gemacht wird (RG 4. 4. 1907 I V 404/06). Doch enthält die Behauptung, ein Vertrag sei wegen Formmangels nichtig, keine Anfechtung wegen Irrtums; daß das Rechtsgeschäft wegen Irrtums nicht gelten solle, muß aus der Erklärung hervorgehen ( R G 26. 6. 1 9 1 7 I I 4 3 / 1 7 ; 9. 1. 1924 V 94/23). Eine Erklärung, die einen Rücktritt gemäß § 326 zum Ausdruck bringt, genügt als Anfechtung nicht ( R G 105, 207; 158, 166; R G J W 1936, 2065).

Anm. 4 3. Bedingungsfeindlichkeit Die Anfechtung muß bedingungslos erfolgen ( R G 66, 1 5 3 ; 146, 238). Sie darf daher auch nicht von der Stellungnahme des Anfechtungsgegners abhängig gemacht werden ( R G J W 1906, 10). Möglich freilich ist die Anfechtung für den Fall, daß der Anfechtende die jetzt angefochtene, in erster Linie aber überhaupt in Abrede gestellte Erklärung wirklich abgegeben haben sollte ( R G 20. 6. 1905 V I I 549/04), weil es sich dann nicht um eine eigentliche Bedingung, sondern nur um eine eventuelle, also nur unter Voraussetzung eines bestimmten, zunächst zwar noch unbekannten, aber doch schon jetzt bestimmbaren Sachverhalts erklärte Anfechtung handelt. V g l . Anm. vor § 158 und R G 97. 273-

493

§ 143

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A n m . 5—9 Anm. 5 4. U m f a n g der Anfechtung N i c h t n ö t i g ist es, daß zur Beseitigung des ganzen Vertrages der g e s a m t e V e r t r a g a n g e f o c h t e n w i r d , unter Umständen kann vielmehr schon die teilweise Anfechtung zur Vernichtung des ganzen Geschäftes ausreichen ( R G 48, a n , wo der Besteller von Waren nur denjenigen Teil des Bestellscheins angefochten hatte, in dem eine Bestimmung über den Erfüllungsort enthalten war).

Anm. 6 5. Anfechtung i m Prozeß Die Anfechtung kann im Prozeß durch Feststellungsklage (§256 Z P O ) oder durch Einrede ( R G WarnRspr 1908 Nr. 594) erfolgen. Z u beachten ist aber, daß eine in der K l a g schrift enthaltene Anfechtung das Feststellungsinteresse nicht zu begründen vermag. Vielmehr muß auf Grund besonderer Umstände ein besonderes rechtliches Interesse vorliegen, das den Anspruch auf Feststellung, daß ein Rechtsgeschäft nichtig sei, rechtfertigt. Die sich aus der Anfechtung ergebende Nichtigkeit ist in erster Linie durch K l a g e auf Leistung geltend zu machen. Über die Befugnis des Prozeß Vertreters, eine Anfechtungserklärung anzunehmen, vgl. Anm. 1 5 vor § 104.

Anm. 7 II. Anfechtungsberechtigte Anfechtungsberechtigt ist derjenige, dessen Interessen durch das anzufechtende Rechtsgeschäft unmittelbar verletzt sind, und in dessen Person der Anfechtungsgrund zutrifft. Nach dieser Regel kann auch bei V e r t r ä g e n z u g u n s t e n e i n e s D r i t t e n (§§ 3 2 8 f f ) nur einer der Vertragschließenden selbst Anfechtungsberechtigter sein (vgl. Anm. zu § 334). Von m e h r e r e n B e r e c h t i g t e n k a n n j e d e r einzelne das Anfechtungsrecht ausüben ( R G 65,405), und das zugunsten oder zuungunsten des einen Anfechtungsberechtigten ergangene Urteil schafft den übrigen gegenüber auch keine Rechtskraft ( R G J W 1 9 1 2 , 788). V o n mehreren Beteiligten kann jedoch immer nur derjenige als Anfechtungsberechtigter in Betracht kommen, in dessen Person der Anfechtungsgrund gegeben ist ( R G 62, 184; 65, 404). Hinsichtlich der Einwirkung der Anfechtung auf das gesamte Rechtsgeschäft vgl. § 139 und § 142. Nur a u s n a h m s w e i s e sind auch D r i t t e zur Anfechtung berechtigt, so bei letztwilligen Verfügungen derjenige, dem die Aufhebung der Verfügung unmittelbar zustatten käme (§ 2080). I m Falle des § 3 1 8 ist aber anfechtungsberechtigt nicht auch der Dritte, der die Bestimmung der Leistung getroffen hat. In andern Fällen haben Dritte die bloße Befugnis zur einstweiligen Verweigerung der Leistung auf Grund des Anfechtungsrechts eines andern; so der Bürge nach § 770, der Grundstückseigentümer aus § 1 1 3 7 und der Pfandschuldner aus § 1 2 1 1 .

Anm. 8 III. Anfechtungsgegner Anfechtungsgegner ist derjenige, d e m g e g e n ü b e r d i e A n f e c h t u n g z u e r k l ä r e n i s t . Bei Verträgen und einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärungen ist der Erklärungsempfänger auch der Anfechtungsgegner; bei einseitigen aber nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen ist Anfechtungsgegner jeder, der auf Grund des Geschäftes unmittelbar einen rechtlichen Vorteil erlangt hat. I m einzelnen gilt folgendes:

Anm. 9 1. B e i m Vertrag Bei einem Vertrage ist regelmäßig der a n d e r e T e i l der Anfechtungsgegener. Dieser bleibt auch dann Anfechtungsgegner, wenn er die Ware weiter veräußert oder die aus dem Vertrage hervorgegangene Forderung abgetreten hat ( R G 86, 310; R G SeuffArch 69 Nr. 68; R G H R R 1929 Nr. 796). Die Anfechtung ihm gegenüber wirkt alsdann auch dem Abtretungsempfänger gegenüber ( R G J W 1906, 380), gleichgültig, ob dieser von der Anfechtbarkeit Kenntnis hatte oder nicht. O b auch ein Urteil gegenüber dem A b t r e t u n g s e m p f ä n g e r Rechtskraft hat, bestimmt sich nach § 407 Abs. 2. A n sich gilt der

494

Willenserklärung

§ 143 A n m . 10—12 § 144 Grundsatz, daß das über die Anfechtung ergehende Urteil prozessuale Wirkung nur zwischen den Parteien äußert. Bei einem Vertrage zugunsten eines Dritten kann eine Anfechtung wegen Irrtums vom Versprechenden nur gegenüber dem Versprechensempfänger erklärt werden, denn der Dritte ist nicht Anfechtungsgegner im Sinne von § 143 (BGH NJW i 9 5 7 , 1357 = BB 1957, 659). Eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß die Anfechtung beim Vertrag gegenüber dem anderen Teil zu erklären ist, besteht aber dann, wenn Anfechtungsgrund eine a r g l i s t i g e T ä u s c h u n g ist und durch die Täuschung ein Dritter unmittelbar Vorteile erlangt hat. In diesem Falle ist der Dritte Anfechtungsgegner. A n m . 10 a) Mehrere Anfechtungsberechtigte und Anfechtungsgegner Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts ist das Anfechtungsrecht in der Weise teilbar, daß bei Anfechtung mehreren Vertragsgenossen gegenüber die Möglichkeit besteht, die Anfechtung nur gegenüber einem von ihnen zu erklären (RG 56, 423; 65, 399; 71, 202). Das gegen diesen ergehende Urteil hat den anderen Vertragsgenossen gegenüber keine Rechtskraft (RG WarnRspr 1912 Nr. 360). Ein Kaufvertrag über Geschäftsanteile einer Gesellschaft m.b.H. kann dem Verkäufer gegenüber angefochten werden, ohne daß die Anfechtung zugleich der Gesellschaft gegenüber erfolgt (RG 77, 128). Bei mehreren Vertragsgegnern kann das Anfechtungsrecht auch nur einem von ihnen gegenüber gegeben sein, dem andern gegenüber dagegen nicht, falls nämlich nur in der Person des einen der Anfechtungsgrund vorliegt (RG 65, 405). Ob durch die nur dem einen von den mehreren Vertragsgegnern gegenüber erfolgende Anfechtung der Vertrag im ganzen nichtig wird, ist nach § 139 zu beurteilen, der hier ebenfalls Platz greift (RG 65, 405, 62, 184; 71, 201). A n m . 11 2. Einseitige empfangsbedürftige Willenserklärungen Bei einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärungen ist ebenfalls der Erklärungsempfänger der Anfechtungsgegner. Dies gilt auch für solche Erklärungen, die gegenüber einer B e h ö r d e abzugeben waren, z.B. §§875, 876, 880, 1168, 1180, 1183, 1726, 1748. Bei Erklärungen, die gegenüber Mehreren abgegeben werden können, so die Vollmacht, die sowohl gegenüber dem Bevollmächtigten als auch dem Dritten erklärt werden kann, hat die Anfechtung gegenüber demjenigen zu erfolgen, der Empfänger der Erklärung war (vgl. näheres Anm. zu § 166). A n m . 12 3. Einseitige nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen Bei einem einseitigen, aber nicht empfangsbedürftigen Rechtsgeschäft (§§ 657, 793, 959) 1 7 'S) ist Anfechtungsgegner jeder, der auf Grund des Geschäfts unmittelbar einen rechtlichen Vorteil erlangt hat. Mußte (nicht konnte) die Erklärung gegenüber einer B e h ö r d e abgegeben werden (§§ 928, 1017, 1109 Abs. 2, 1188 u. a. m.), dann kann die Anfechtung auch nur gegenüber der Behörde erklärt werden. Diese hat dann dem unmittelbar Betroffenen Mitteilung zu machen (§ 143 Abs. 4). „Auf Grund" eines nicht empfangsbedürftigen Rechtsgeschäfts erlangt einen Vorteil unmittelbar z. B. derjenige, der sich die von einem andern preisgegebene Sache aneignet. Denn entscheidend ist, daß schon allein die Preisgabe die Aneignung ermöglicht und es zu dieser also nicht mehr eines Zwischenerwerbs durch einen Mittelsmann bedarf. Im Falle der Anerkennung der Vaterschaft gemäß § 1718 kann die Anerkennung, falls sie auf Grund arglistiger Täuschung durch die Mutter erfolgt ist, auch dem Kinde gegenüber angefochten werden (RG 58, 353; s. auch RG SeufFArch 80 Nr. 192).

§ 144 Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn das anfechtbare Rechtsgeschäft von d e m Anfechtungsberechtigten bestätigt wird. Die Bestätigung bedarf nicht der für das Rechtsgeschäft bestimmten F o r m . E I 1 1 3 Abs. 3 I I 1 1 5 ; M x 222; P 1 133ff.

495

§144 Anm. 1, 2

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte Ubersicht Anm.

1. 2. 3. 4. 5.

Begriff" und Bedeutung der Bestätigung Vornahme der Bestätigung Kenntnis des Anfechtungsgrundes . . Beweislast Folgen der Bestätigung

1 2 3

4

5-

Anm. 1 1. Begriff und Bedeutung der Bestätigung Die B e s t ä t i g u n g eines anfechtbaren, aber noch nicht angefochtenen Rechtsgeschäfts ist n i c h t eine e r n e u t e V o r n a h m e des R e c h t s g e s c h ä f t s , sondern ein Verzicht des Anfechtungsberechtigten aufsein Anfechtungsrecht (RG 68, 400). Daher ist für eine Bestätigung und damit Anwendung des § 144 kein Raum mehr, wenn die Anfechtung bereits v o r der Bestätigung erklärt worden ist (RG74, 1), weil durch die Anfechtung das Rechtsgeschäft nichtig geworden ist. In diesem Fall bedarf es zur Beseitigung der Nichtigkeitsfolge einer erneuten Vornahme des Rechtsgeschäftes nach § 141. Sind mehrere Anfechtungsgründe vorhanden, dann bedeutet die Geltendmachung nur eines Grundes nicht ohne weiteres einen Verzicht auf die Anfechtung aus anderen Gründen, da ein Verzicht nicht weiter geht, als er erklärt worden ist. So kann derjenige, der auf eine Anfechtung des Rechtsgeschäftes wegen Irrtums im Hinblick auf § 122 verzichtet hat, das Rechtsgeschäft hinterher noch wegen arglistiger Täuschung anfechten.

Anm. 2 2. Vornahme der Bestätigung Die Bestätigung erfolgt durch n i c h t e m p f a n g s b e d ü r f t i g e W i l l e n s e r k l ä r u n g ( R G 68, 399; R G J W 1935, 2617; R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 225). Sie bedarf nicht der für das Rechtsgeschäft bestimmten Form und kann auch durch bloßes schlüssiges Verhalten, z. B. durch freiwillige Erfüllung ( R G J W 1905, 75; 1910, 573; 1 9 1 1 , 359; R G SeufTArch 86, Nr. 22) oder andererseits durch Entgegennahme der Leistung oder durch Verfügung über den Vertragsgegenstand ( R G J W 1 9 1 1 , 359; R G H R R 1935 Nr. 924) erklärt werden. Dabei ist aber immer zu prüfen, ob der Anfechtungsberechtigte in Kenntnis der Anfechtbarkeit seinen Willen, den Vertrag aufrechtzuerhalten und auf die Anfechtung zu verzichten, zu erkennen gegeben, oder ob er aus anderen Gründen gehandelt hat ( R G 68, 398; 69, 410; R G J W 1910, 573; 1914, 187; 1935, 2617; R G WarnRspr 1912 Nr. 1 5 1 ; 1937 Nr. 45, 163; R G SeufFArch 86 Nr. 22, 40). Auch in einer Fortsetzung des Vertragsverhältnisses braucht jedoch nicht unbedingt eine Bestätigung gefunden zu werden ( R G WarnRspr 1912 Nr. 5); beispielsweise dann nicht, wenn der Anfechtungsberechtigte nur gehandelt hat, um größere Vermögensverluste (durch die Verpachtung der Kaufsache) abzuwenden ( R G 9 . 3 . 1912 V 369/11). Alles in allem muß sonach das Verhalten des Anfechtungsberechtigten mit dem Willen, das Rechtsgeschäft als nichtig zu behandeln, unvereinbar sein, wobei es auf seine etwaigen stillen Vorbehalte (bei Annahme von Erfüllungshandlungen und eigener Leistung) nicht ankommt ( R G WarnRspr ig 13 Nr. 276). Bestätigung eines anfechtbaren, einem Makler gegebenen Provisionsversprechens ist beispielsweise noch nicht darin zu finden, daß der Geschäftsherr den vom Makler vermittelten und abgeschlossenen Vertrag genehmigt und erfüllt ( R G 2 6 . 1 . 1 9 1 2 I I I 124/11). Wenn ein Käufer trotz Kenntnis der Anfechtbarkeit des Vertrags wegen arglistiger Täuschung lediglich den durch diese verursachten wirklichen Schaden ersetzt verlangt, so kann hierin die stillschweigende Erklärung liegen, daß er beim Vertrage stehen bleiben und nur auf Grund des Vertrags den Schaden ersetzt verlangen wolle ( R G 65, 403). Eine Bestätigung liegt nicht vor, wenn in erster Linie Ansprüche aus Wandlung geltend gemachr werden und nur fürsorglich Anfechtung wegen Täuschung erklärt wird ( R G 66, 1 5 3 ; R G WarnRspr 1922 Nr. 6).

496

Willenserklärung

§ 144 Anm. 3—5

Anm. 3 3. Kenntnis des Anfechtungsgrundes Die Bestätigung setzt notwendig die Kenntnis

des Anfechtungsgrundes voraus ( R G WarnRspr 1909 Nr. 5 5 3 ; 1 9 1 2 Nr. 57; 1 9 1 3 Nr. 276; R G SeuffArch 86 Nr. 22), wenigstens die sichere Kenntnis des Anfechtungsgrundes, d.h. der die Anfechtung begründenden Tatsache, verbunden mit der Vorstellung, es könne daraufhin das Anfechtungsrecht bestehen und nach den Gesetzen wirksam geltend gemacht werden ( R G 68, 398; 69, 4 1 0 ; 128, 1 i 6 ; R G W a r n R s p r 1 9 1 3 N r . 8 4 ; R G H R R 1935 Nr. 924). Ist eine Willenserklärung wegen Irrtums und wegen arglistiger Täuschung anfechtbar, so schließt ihre Bestätigung, wenn dem Bestätigenden nur der Irrtum bekannt war, die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nicht aus ( R G H R R 1938 Nr. 1004). Das äußere Verhalten des Anfechtungsberechtigten kann dabei für sich allein nicht entscheiden. Es ist kein Erfordernis der Verkehrssicherheit, würde vielmher gegen Treu und Glauben im Verkehr verstoßen, wenn der arglistig Täuschende aus dem äußeren Anschein, daß der Getäuschte die Anfechtungstatsachen erfahren habe, ohne sein Verhalten danach einzurichten, eine Bestätigung des Rechtsgeschäfts ableiten wollte, gleichviel ob der Getäuschte den U m f a n g der Täuschung und den Täuschungswillen schon erkennen konnte ( R G J W 1937, 2651). I m Falle des § 123 Abs. 2 Satz 1 ist Voraussetzung, daß der Anfechtungsberechtigte entsprechend auch gewußt hat, der andere habe die Täuschung gekannt oder kennen müssen ( R G W a r n R s p r 1909Nr.440; R G J W 1 9 1 4 , 188). Anderseits genügt es freilich auch für die Annehmbarkeit des Verzichtswillens, wenn sich der Berechtigte auch nur der Möglichkeit der Anfechtung bewußt gewesen ist ( R G 69, 4 1 2 ; R G J W 1909, 1 9 ; 1 9 1 1 , 359; 1 9 1 4 , 187). Im Falle der Drohung ist zu wirksamer Bestätigung auch Wegfall der Zwangslage erforderlich ( O G H S J Z 1949, 470).

Anm. 4 4. Beweislast Wer die Anfechtbarkeit eines Rechtsgeschäftes behauptet, muß sie beweisen. Die Beweislast des Anfechtungsberechtigten geht jedoch nicht so weit, daß er auch beweisen müßte, daß das Rechtsgeschäft nicht bestätigt worden ist. Diesen Beweis muß vielmehr der Anfechtungsgegner erbringen. Hierzu genügt es, wenn der Anfechtungsgegner nachweist, daß dem Anfechtungsberechtigten im entscheidenden Zeitpunkt die die Anfechtung begründenden Tatsachen bekannt gewesen sind ( R G 68, 401).

Anm. 5 5. Folgen der Bestätigung Die Bestätigung hat die Beseitigung des Anfechtungsrechtes

zur Folge. Weitere Folgen hat sie jedoch nicht, insbesondere wird ein etwaiger Schadensersatzanspruch wegen Betrugs nicht ausgeschlossen ( R G J W 1 9 1 1 , 398; R G WarnRspr 1933 Nr. 193). Für die Frage eines Verzichts auf andere Rechte (§§ 823 fr) s. § 397. I m Zweifel erstreckt aber die Bestätigung ihre Wirkung a u f d e n g e s a m t e n V e r t r a g , so daß sie regelmäßig auch die Möglichkeit einer nur teilweisen Anfechtbarkeit beseitigt. D a jedoch nicht ausgeschlossen ist, daß ein Vertrag auch nur teilweise anfechtbar ist, so kann unter U m ständen entsprechend auch nur eine t e i l w e i s e B e s t ä t i g u n g in Frage kommen. Erfolgt bei Vorhandensein von m e h r e r e n A n f e c h t u n g s b e r e c h t i g t e n oder mehreren A n f e c h t u n g s g e g n e r n die Bestätigung nur von Seiten eines der Berechtigten oder nur gegenüber einem der Verpflichteten, dann bleibt im übrigen das Anfechtungsrecht bestehen, und erfolgt insoweit demnächst die Anfechtung, dann kommt hinsichtlich der Erstreckung ihrer Wirkung (§ 142 Abs. 1) der § 139 in Frage.

497

V o r § 145 Anm. 1, 2

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte Dritter

Titel

Vertrag Vorbemerkungen Ü b ersieht Anm.

I. Allgemeines i—5 1. Begriff des Vertrages 1—3 2. Inhalt der Verträge 4 3. Einteilung der Verträge 5 II. Das Zustandekommen des Vertrages 6 III. Vertragsfreiheit und Abschlußzwang 7—11 1. Vertragsfreiheit 7 2. Abschlußzwang 8 3. Diktierter Vertrag 9 4. Der normierte Vertrag 10 5. Vertragsverhältnis auf Grund des sogenannten sozialtypischen Verhaltens n I V . Vorverhandlungen und Vorvertrag 12—15 1. Vorverhandlungen 12 2. Vorvertrag 13—15

Anm. 1 I. Allgemeines 1. Begriff des Vertrages Unter Vertrag ist ein Rechtsgeschäft zu verstehen, bei dem die Rechtswirkung durch die übereinstimmenden Willenserklärungen mehrerer Personen hervorgebracht wird (vgl. R G WarnRspr 1909 Nr. 185). Wesentlicher Bestandteil des Vertrages ist demnach die Einigung. Es ist jedoch möglich, daß durch die Willenseinigung allein ein Vertrag noch nicht zustande kommt, sondern weitere Tatbestandsmerkmale hinzutreten müssen (z. B. behördliche Genehmigung). Allgemeine Voraussetzungen für das Zustandekommen eines rechtsgeschäftlichen Vertrages sind die Willenseinigung, die Zulässigkeit des Gegenstandes, die Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des Gegenstandes (§ 315, R G 66, 121; R G Gruchot 56, 918; B G H 7, 365) und möglicherweise die Einhaltung einer Form (§ 125). Ein unzulässiger Gegenstand liegt z. B. in einer Vereinbarung über die Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen Amtspflicht ( R G 85, 413).

Anm. 2 Verträge sind auf allen Rechtsgebieten möglich, und zwar sowohl in erhalb als

auch außerhalb des eigentlichen Privatrechts. Möglich sind p r i v a t r e c h t l i c h e V e r t r ä g e insbesondere auch auf dem Gebiete des ö f f e n t l i c h e n R e c h t s . Solche privatrechtlichen Verträge können im öffentlichen Recht geschlossen werden, wenn nicht das Gemeinwohl, sondern die Interessen des einzelnen Gegenstand des Rechtsgeschäftes sind und die Körperschaft des öffentlichen Rechts einen privatrechtlichen Vertrag abschließen will und schließlich dem Vertrag mit dem beabsichtigten Inhalt keine zwingenden Vorschriften entgegenstehen. So kann zum Beispiel eine Gemeinde ohne entsprechende Gegenleistung nicht gegenüber einem einzelnen auf die öffentlichen Abgaben verzichten ( R G 148, 101). Dagegen handelt es sich um zulässige privatrechtliche Verträge bei Bewilligung von Ausnahmen gegenüber einem Bauverbot ( R G 56, 4; 65, 1; R G J W 1912, 531); Verträge zur Genehmigung von Ansiedlungen ( R G 73, 19); Verträge mit Stadtgemeinden über die Bebauung und Anlegung von öffentlichen Straßen ( R G 56, 6; 67, 291; 73, 197; 15. 2. 1913 V 395/12), oder über die Schullasten ( R G 79, 198); über die Aufnahme von Kranken in eine städtische (öffentliche) Anstalt gegen Entgelt ( R G 64, 231; 91, 136). Erfolgt die Aufnahme auf Grund behördlicher Anordnung aus Rücksicht öffentlich-rechtlicher Fürsorge, dann wird hierdurch kein bürgerrechtliches,

498

Vertrag

V o r § 145 Anm. 3—5

sondern ein öffentlich-rechtliches Verhältnis begründet ( R G 9 1 , 264). Endlich gab es und gibt es auch auf öffentlich-rechtlicher Grundlage beruhende vertragsähnliche Verhältnisse, bei denen die Anwendbarkeit von schuldrechtlichen Grundsätzen zulässig ist, namentlich die der §§ 276, 278; so bei Verhältnissen zwischen dem Deutschen Reich und Beteiligten am Fernsprecher ( R G 98, 343). Ferner bei dem Verhältnis zwischen einer Stadtgemeinde und Beteiligten an der Wasserleitung, Badeanstalten usw. ( R G 99, 98). Uber Vergleiche, die öffentlich-rechtliche Rechte und Pflichten zum Gegenstand haben vgl. R G 147, 282.

Anm. 3 Auf privatrechtlichem Gebiet

sind Verträge am häufigsten im Schuldrecht, aber in Sachen-, Erb- und Familienrecht. Bei den sachenrechtlichen Verträgen handelt es auch sich um die sogenannten dinglichen Verträge, bei denen die „ E i n i g u n g " einen die Sache oder das Recht unmittelbar betreffenden Rechtserfolg herbeiführt (§§ 873, 880, 929, 1 0 1 5 , 1205, 1260). Während auf dem Gebiete des Schuldrechts der G r u n d s a t z d e r V e r t r a g s f r e i h e i t herrscht, ist dies in den anderen Gebieten nicht der Fall. Dagegen gelten die a l l g e m e i n e n Grundsätze der §§ 1 0 4 — 1 8 5 sowohl für Verträge auf dem Gebiete des Schuldrechts als auch des Sachenrechts. Die b e s o n d e r e n Bestimmungen, die für schuldrechtliche Verträge gelten, sind jedoch für sachenrechtliche Verträge nicht anzuwenden ( R G 66, 97). Vgl. Anm. vor § 104.

Anm. 4 2. Inhalt der Verträge Gegenstand des Vertrags kann die V e r p f l i c h t u n g z u e i n e r L e i s t u n g sein, so bei schuldrechtlichen Verträgen. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen (§ 241). Auch eine V o r a u s s e t z u n g kann als Vertragsinhalt vereinbart sein, und zwar derart, daß die Erfüllung des Vorausgesetzten verlangt werden kann oder aber in der Weise, daß zwar die Erfüllung des Vorausgesetzten nicht verlangt, aber wegen Nichterfüllung vom Vertrage zurückgetreten werden kann ( R G 14. 3. 1928 I 269/27). Durch einen Vertrag können Forderungen begründet oder auf ein Erbrecht verzichtet werden (Erbverträge) und ferner auf dem Gebiete des Sachenrechts Rechte begründet oder über bestehende Rechte verfügt werden. Die Gründung eines Vereins oder einer Genossenschaft ist nach herrschender Ansicht kein Vertrag, sondern ein Gesamtakt ( R G 147» 257; streitig).

Anm. 5 3. Einteilung der Verträge Das Gesetz unterscheidet einseitige kommen zweiseitige Verträge.

und

gegenseitige Verträge

und

unvoll-

E i n s e i t i g e V e r t r ä g e sind solche, bei denen nur der eine Vertragsteil verpflichtet wird (z. B. Schenkung); g e g e n s e i t i g e V e r t r ä g e sind solche, in denen beide Vertragsteile einander den Austausch von Leistungen zu gewähren haben (z. B. K a u f , Tausch, Miete u . a . m . ) . Ein gegenseitiger Vertrag kann auch vorliegen, wenn dieLeistung nicht den Vertragsgegnern, sondern einem Dritten zu erbringen ist ( R G 124, 356 ff). Bei den u n v o l l k o m m e n z w e i s e i t i g e n V e r t r ä g e n ist nur der eine Teil verpflichtet, aus dem Vertragsverhältnis kann aber eine Verpflichtung des anderen Teils entstehen, so z. B. beim Auftrag. Hier ist nur der Beauftragte verpflichtet, den Auftrag auszuführen, dem Auftraggeber kann aber die Verpflichtung entstehen, dem Beauftragten etwaige in Ausführung des Auftrags entstandene Aufwendungen zu ersetzen. Zur Frage, ob Gesellschaftsverträge als gegenseitige Verträge anzusehen sind, vgl. Anm. zu § 705. Für die weitere Unterscheidung in formfreie und formbedürftige, entgeltliche und unentgeltliche, abstrakte und kausale Verträge, die nicht nur für Verträge, sondern für Rechtsgeschäfte überhaupt von Bedeutung ist, vgl. Anm. 7 vor § 104.

499

V o r § 145 Anm. 6-—8

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 6 II. Das Zustandekommen des Vertrages Der Vertrag kommt durch übereinstimmende Willenserklärungen der Parteien zustande. Die Willenserklärungen müssen alle für den Vertrag wesentlichen Bestandteile enthalten. Fehlt z. B. bei einem Kaufvertrag die Einigung über Ware oder Preis, dann ist ein Kaufvertrag nicht zustande gekommen (RG 124, 83). Jedoch ist es nicht erforderlich, daß alle Rechtsfolgen vereinbart werden. Das Fehlende kann sich aus dem Gesetz ergeben oder durch Auslegung (§ 157) ermitteln lassen. In der Regel kommt der Vertrag durch Antrag (§ 145) und Annahme (§§ 146fr) zustande, und zwar sind grundsätzlich Antrag und Annahme zwei aufeinander folgende Willenserklärungen. Annahme und Antrag sind in den §§ 145 fr besonders geregelt. Die erforderliche Willenseinigung kann aber auch durch schlüssiges Verhalten zum Ausdruck gebracht werden (vgl. hierzu und zur Vertrauenshaftung kraft schlüssigen Verhaltens Anm. 8, 9 vor § 116). Die Fälle der unvollständigen, teilweisen Einigung sind in den §§ 154, 155 geregelt. Der Fall des Zustandekommens eines Vertrages bei einer Versteigerung in § 156. Über den Ort des Vertragsschlusses gibt das Gesetz keine Bestimmung. Er ist derjenige Ort, an welchem die Einigung zustande kommt (§ 151). Grundsätzlich demnach der Ort, wo der Antrag angenommen oder die Annahmeerklärung abgegeben wird (RG 62, 38). Praktisch bedeutsam ist der Vertragsort insbesondere für die Form des Geschäfts (Art. 11 EG). Als Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist derjenige anzusehen, in dem die Annahmeerklärung dem Gegner zugeht (§ 130) und, falls es des Zugangs dieser Erklärung überhaupt nicht bedarf, derjenige Zeitpunkt, in dem die Annahme erfolgt (§ 151). Den Parteien ist es selbstverständlich unbenommen, den Eintritt der Vertragswirkungen abredegemäß auf einen früheren Zeitpunkt zurückzuverlegen. Anm. 7 III. Vertragsfreiheit und Abschlußzwang 1. Vertragsfreiheit Das Privatrecht wird vom Grundsatz der Vertragsfreiheit beherrscht. Das bedeutet, daß dem einzelnen nicht nur freisteht, ob er einen Vertrag abschließen, sondern auch, wie er ihn im einzelnen ausgestalten will. Dieser Grundsatz ist aber in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt. Im Gebiete des Erb-, Familien- und Sachenrechts sind Verträge nur in den vom Gesetz anerkannten Fällen zulässig. Im Gebiete des Schuldrechts ist die Vertragsfreiheit, was die Ausgestaltung anbelangt, durch die gesetzlichen Verbote (§§ 134fr) und durch § 138 eingeschränkt. Darüber hinaus besteht aber auch keine vollkommene Abschlußfreiheit, d. h. die Freiheit in der Entschließung, einen Vertrag abzuschließen oder nicht, ist nicht unbegrenzt. Es besteht vielmehr in bestimmten Fällen ein Zwang zum Abschluß eines Vertrages ( K o n t r a h i e r u n g s z w a n g ) . Anm. 8 2. Der Abschlußzwang Der Kontrahierungszwang kann sich aus dem Gesetz oder aus einem auf Grund Gesetzes erlassenen Verwaltungsakt oder daraus ergeben, daß ein Unternehmen eine Monopolstellung einnimmt. Beim Kontrahierungszwang handelt es sich um die Verpflichtung, einen privatrechtlichen Vertrag abzuschließen. Eine solche Verpflichtung kann auch für öffentlich-rechtliche Einrichtungen bestehen, und zwar trifft dies für alle diejenigen Einrichtungen zu, die für die allgemeine Benutzung geschaffen sind. So z. B. die Bundesbahn (vgl. § 453 HGB hinsichtlich der Güterbeförderung), die öffentlichen Versorgungsbetriebe, wie Elektrizitäts-, Gas- und Wasserwerke; Straßenbahnen und Omnibuslinien; ferner privatwirtschaftliche Energieversorgungsverträge (vgl. Energiewirtschaft G v. 13. 12. 1935, RGBl I, 1451; vgl. auch BGH L M Nr. 2 zu § 6 EnergiewirtschaftsG). Vgl. ferner § 3 PostG; § 5 TelG; § 26 VerlagG und das SchwerbeschädigtenG. v. 12. 1. 1923, § 15 PatG. 500

Vertrag

Vor § 145

Anm. 9—11

Aus der M o n o p o l s t e l l u n g ergibt sich der Kontrahierungszwang nicht ohne weiteres, doch kann sich eine Abschlußverweigerung als sittenwidrige Ausnutzung der Monopolstellung darstellen (RG 48, 127; 132, 273; R G L Z 1927, 449; R G H R R 1933, Nr. 6; 1935 Nr. 1 1 2 5 ; s. auch R G H R R 1933 Nr. 1881). Für ein städtisches Theater besteht keine Rechtspflicht, jedermann zum Besuch der Vorstellung zuzulassen; eine Zurückweisung kann aber unter Umständen, z. B. wenn sie willkürlich oder aus offensichtlich nichtssagenden Gründen geschieht, wider die guten Sitten verstoßen und so nach §826 schadensersatzpflichtig machen (RG 133, 388). Uber die Zulässigkeit des Rechtsweges für den Streit, ob eine Stadtgemeinde als Unternehmerin eines Theaters bestimmten Personen den Zutritt zu den öffentlichen Vorstellungen untersagen darf, s. R G Gruchot 69, 234. Bedürfnisse der Allgemeinheit können aber auch sonst eine Regelung auf lebenswichtigen Gebieten erforderlich werden lassen. So bestand bei wirtbeschafteten Gütern gegenüber Inhabern von Bezugsberechtigungen (Lebensmittelkarten) L i e f e r z w a n g (BGH N J W 1951, 109 = L M Nr. 1 zu § 284). Der Kontrahierungszwang erstreckt sich nicht nur auf den Abschluß eines Vertrages, sondern enthält auch die Verpflichtung, die Verträge mit g a n z b e s t i m m t e n , gleichbleibenden Bedingungen abzuschließen.

Anm. 9 3. Der diktierte Vertrag Während bei den bisher beschriebenen Fällen des Kontrahierungszwangs der Abschluß des Vertrages wenigstens vom Willen eines Vertragsteils abhing (z. B. bei der Bundesbahn vom Reisenden) und nur der andere Teil zur Annahme des Angebots gezwungen ist, wird beim sog. „diktierten Vertrag" der A b s c h l u ß des V e r t r a g e s d u r c h V e r w a l t u n g s a k t e r s e t z t . MitErlaß des Verwaltungsaktes gilt der Vertrag als geschlossen. So z. B. bei der Festsetzung eines Zwangsmietvertrages nach § 16 WohnraumbewirtschaftungsG. Das daraus entstehende Rechtsverhältnis ist jedoch privatrechtlicher Natur.

Anm. 10 4. Der normierte Vertrag Normenverträge sind solche Verträge, in denen B e s t i m m u n g e n (Normen) v e r e i n -

bart werden, die für künftige schuldrechtliche Verträge maßgebend sein sollen. Der Normenvertrag enthält also die Verpflichtung, im Falle eines Vertragsschlusses den Vertrag mit bestimmten, im Normenvertrag bezeichneten Inhalt abzuschließen. Der Begriff des Normenvertrages kommt aus dem Arbeits- insbesondere Tarifvertragsrecht. Der mit dem Normenvertrag verbundene Zwang besteht nur in Ansehung des Inhalts, edoch nicht auch in bezug auf den Abschluß des Vertrages.

Anm. 11 5. Vertragsverhältnis aui Grund des sogenannten sozialtypischen Verhaltens Nach der neueren Rechtsprechung des BGH sollen Vertragsverhältnisse nicht nur durch rechtsgeschäftlichen Vertragsschluß, sondern nach dem Grundsatz von Treu und Glauben auch durch t a t s ä c h l i c h e V o r g ä n g e b e g r ü n d e t werden können. Und zwar soll die Begründung des Vertragsverhältnisses hier darin liegen, daß ein rein tatsächliches öffentliches Angebot einer Leistung durch den Verkehrsteilnehmer rein tatsächlich in Anspruch genommen wird, wie z. B. das Einsteigen in eine Straßenbahn, die Benutzung eines bewachten Parkplatzes. Wenn auch auf Grund eines solchen Verhaltens, wenn es an einem entsprechenden Erklärungsbewußtsein und Geschäftswillen fehlt, keine Willenseinigung zustandekommt, so hat dieser Vorgang nach seiner sozialtypischen Bedeutung die gleichen Rechtsfolgen wie ein rechtsgeschäftliches Handeln ( B G H 21, 334; 23, 175). Wer daher während der Bewachungszeit die besonders kenntlich gemachte Parkfläche zum Parken benutzt, führt schon dadurch ein vertragliches Rechtsverhältnis herbei, das ihn zur Bezahlung des Parktarifes verpflichtet. Auf seinen etwaigen inneren abweichenden Willen kommt es nicht an ( B G H 21, 334). Das gleiche gilt für 33

Komm. z. BGB. u . Aufl. I. Bd. (Krüger-Nieland)

501

V o r § 145

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 12, 13 denjenigen, der die Leistungen eines Versorgungsunternehmens für Wasser, Gas oder Elektrizität als Wohnungsinhaber und Haushaltungsvorstand tatsächlich in Anspruch nimmt ( B G H 23, 175). Vgl. hierzu auch H a u p t , Über faktische Vertragsverhältnisse (Festschrift der Leipziger juristischen Fakultät für Siber Bd. I I S. 1 ff) und L a r e n z , Lehrbuch des Schuldrechts 1. Bd. §4. Anderer Ansicht E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y , Allg. Teil des bürgerlichen Rechts 14. Aufl. § 163 V I I und S t a u d i n g e r B G B 1 1 . Aufl. Allg. Teil, Einl. zum I I I . Abschnitt, Anm. 75 und Anm. vor § 1 1 6 Anm. 23 a.

Anm. 12 IV. Vorverhandlungen und Vorvertrag 1. Die Vorverhandlungen Dem Abschluß eines Vertrages gehen in der Regel Vorverhandlungen voraus. Diese sind nicht bindend und begründen in der Regel keine Verpflichtung. Sie können aber f ü r die Auslegung des später geschlossenen Vertrages von Bedeutung sein (vgl. A n m . zu § 133 und 157). Das gleiche gilt auch, wenn die Parteien sich über einzelne Punkte geeinigt und diese auch schriftlich niedergelegt haben. Auch hierdurch wird eine Rechtsverbindlichkeit noch nicht herbeigeführt, so daß jede Partei das Zugestanden wieder zurücknehmen kann (vgl. R G 130, 73). Wenn auch durch die Vorverhandlungen Verpflichtungen nicht begründet werden, so entsteht doch zwischen den Parteien ein „vertragsähnliches Vertrauensverhältnis" ( R G 120, 2 5 1 ) , das den Parteien gewisse Sorgfaltspflichten auferlegt, aus deren Verletzung sich eine Haftung aus Verschulden bei Vertragsabschluß ergeben kann (vgl. hierzu Anm. zu § 276).

Anm. 13 2. Der Vorvertrag Unter Vorvertrag ist ein Vertrag zu verstehen, in welchem sich die Parteien b i n -

dend verpflichten, später einen H a u p t v e r t r a g abzuschließen. Das Gesetz erwähnt

die Vorverträge nicht ausdrücklich. Ihre Zulässigkeit ergibt sich aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit. In bezug auf ihren Inhalt unterstehen sie den allgemeinen Rechtsgrundsätzen. In der Regel wird zwar ein sofort wirksamer Hauptvertrag abgeschlossen, so daß der Abschluß eines Vorvertrages die Ausnahme bildet ( R G 86, 30). Es müssen also besondere Gründe vorhanden sein, aus denen hervorgeht, daß die Parteien mit dem Vertragsschluß nicht das regelmäßige Ziel aller derartiger Abkommen erstrebt haben, sondern sich nur zum Abschluß eines zukünftigen Vertrages binden wollen (BGH BB 1956, 1091 = L M Nr. 40 zu § 256 Z P O ) . Vorverträge haben ihre Bedeutung insbesondere in den Fällen, in denen die Sache zum Abschluß des eigentlichen auf den angestrebten Zweck selbst gerichteten Vertrags aus irgendeinem rechtlichen oder tatsächlichen Grund noch nicht reif ist, während die Parteien die dem Zweck entsprechende Bindung schon jetzt begründen wollen, um sich so die wirkliche Erreichung des Zweckes für später zu sichern. Dies gilt insbesondere z.B. bei Gesellschaftsverträgen ( R G 66, 1 1 0 ; 106, 174; 165, 260; R G J W 1 9 3 8 , 2 7 , 4 0 ; BGH L M Nr. 3 zu § 705 = BB 1953, 97; BB 1956, 1091 = L M Nr. 40 zu § 256 Z P O ) . Ein gültiger Vorvertrag s e t z t v o r a u s , daß die Parteien sich über alle wesentlichen Punkte des demnächst abzuschließenden Hauptvertrages einigen ( R G 72, 385) und d a ß er genügend bestimmt oder bestimmbar ist ( R G 66, 1 2 1 ; 72, 385; 106, 1 7 7 ; 124, 8 1 ; R G Gruchot 56, 9 1 8 ; B G H L M Nr. 3 zu § 705 = BB 1953, 97). Der Vorvertrag muß jedoch nicht die gleiche Vollständigkeit aufweisen, wie der Hauptvertrag. Es genügt, wenn er ein solches M a ß an Bestimmheit enthält, daß im Streitfalle der Inhalt des V e r trages richterlich festgesetzt und bei einer etwa fehlenden Einigung der Parteien in einem einzelnen Punkte unter Berücksichtigung des vermutlichen Parteiwillens ergänzt werden kann ( B G H L M Nr. 3 zu § 705 = BB 1953, 97). Wo das Gesetz für den Hauptvertrag eine F o r m vorschreibt, muß diese auch bei Abschluß des Vorvertrages eingehalten werden, da es sich bei ihm um den Gegenstand des Hauptvertrages handelt ( R G 43, 1 3 9 ; 48, 186; 50, 48; 53, 239; 66, 1 2 0 ; 72, 3 8 5 ; 106, 174; 1 1 2 , 199). Für den Abschluß eines für länger als auf ein J a h r bestimmten Mietvertrages (§ 566) gerichteten Vorvertrages ist jedoch aus praktischen Erwägungen

502

Vertrag

V o r § 1 4 5 A n m . 14, 15

§145 angenommen worden, daß es der Form des § 566 nicht bedarf ( R G 86, 30; 104, 132). Deshalb kann ein Vorvertrag zu einem länger als 1 J a h r dauernden Mietvertrag auch mündlich abgeschlossen werden ( B G H BB 1956, 1091 = L M Nr. 40 zu § 256 Z P O ) . Da nun für den rein schuldbegründeten Vertrag, abgesehen von den besonderen Ausnahmefällen (§§ 311, 313, 518, 566, 766), ein Formerfordernis überhaupt nicht aufgestellt ist, so bedarf regelmäßig auch der entsprechende Vorvertrag einer besonderen Form nicht. Aber für das Liegenschaftsrecht gilt dabei der Grundsatz, daß die nachfolgende dingliche Einigung die in § 873 Abs. 2 vorgeschriebene Form nötig hat ( R G 50, 8 1 ; 48, 133). Wenn also die Parteien beispielsweise die Begründung einer Hypothek formlos vereinbaren, so entsteht aus diesem Vorvertrage beiderseitig zwar das Recht und die Pflicht, diejenigen Voraussetzungen zu erfüllen, die gemäß § 873 zur Begründung des dinglichen Rechtes überhaupt erfüllt werden müssen; bevor aber die Parteien dem nachgekommen sind, bevor sie sich insbesondere in der nach Abs. 2 des § 873 vorgeschriebenen Form geeinigt haben, fehlt es noch an der dinglichen Bindung. Der Grundsatz, daß die Gültigkeit des Vorvertrages in der Regel von der Wahrung der für den Hauptvertrag gesetzlich vorgeschriebenen Form abhängt, gilt nicht für die g e w i l l k ü r t e S c h r i f t f o r m . Soweit die Formbedürftigkeit auf Parteiwillen beruht, ist es vielmehr Frage der Auslegung, ob sich das vereinbarte Formerfordernis nach dem Willen der Vertragsparteien auch auf den Vorvertrag erstrecken oder nur für den Hauptvertrag gelten soll ( B G H N J W 1958, 1281). Tatsachen, die zur Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund berechtigen würden, gewähren in der Regel auch ein Rücktrittsrecht von einem Vorvertrag, der die Begründung eines solchen Dauerschuldverhältnisses zum Gegenstand hat. Erscheint nach den Gesamtumständen des Einzelfalls die Bindung an den Vorvertrag — etwa wegen Erschütterung der Vertrauensgrundlage — nicht mehr zumutbar, so kann das Rücktrittsrecht auch von einem Vertragspartner ausgeübt werden, der sich selbst nicht vertragsgetreu verhalten hat ( B G H N J W 1958, 1531).

Anm. 14 Der Vorvertrag v e r p f l i c h t e t b e i d e P a r t e i e n z u m A b s c h l u ß des H a u p t v e r t r a g e s , also zur Abgabe eines entsprechenden Angebots unter Annahme eines vom Vertragsgegner gemachten Angebots. Das bloße Angebot der einen Partei ist daher noch keine Erfüllung der für sie durch den Vorvertrag begründeten Verpflichtung mit der Folge, daß die durch Vorvertrag begründete Verpflichtung gemäß § 362 Abs. 2 BGB erloschen wäre. Vielmehr kann ein Vorvertrag nur durch übereinstimmende Willenserklärung aufgehoben werden. Denkbar ist allerdings, daß in der Ablehnung des Angebots zugleich die Erklärung liegt, einen endgültigen Vertrag nicht mehr schließen zu wollen und daß der Gegner sich damit einverstanden erklärt. Ist dies jedoch nicht der Fall, dann bleiben die Verpflichtungen aus dem Vorvertrag bestehen. Die ablehnende Partei kann jedoch gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn sie ihrerseits denAbschluß des Hauptvertrags nunmehr verlangt ( B G H L M Nr. 3 zu § 305).

Anm. 15 Bei e i n e m S t r e i t ü b e r d a s Z u s t a n d e k o m m e n e i n e s V o r v e r t r a g e s ist im allgemeinen auf Abschluß eines entsprechenden Hauptvertrages und nicht auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer erst nach Abschluß des Hauptvertrages bestehenden Verpflichtung zu klagen ( B G H L M Nr. 40 zu § 256 Z P O = BB 1956, 1091).

§ 145 Wer einem anderen die Schließung eines Vertrags anträgt, ist an den Antrag gebunden, es sei denn, daß er die Gebundenheit ausgeschlossen hat. E I 8off II 118; M I 164ff; P I 7jff.

503

§145

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 1, 2 Übersicht Anm.

I. Der Antrag 1. Begriff und Erfordernisse 2. Bestimmbarkeit der Person des Antragsgegners 3. Bestimmtheit des Inhalts II. Gebundenheit 1. Bedeutung 2. Klausel „freibleibend" III. Rechtliche Natur der Annahmebefugnis I V . Beweislast



3 1 2

3 4—6

4 5. 6

7, 8 9» 10

Anm. 1 I. Der Antrag 1. Begriff und Erfordernisse Der Vertragsantrag ist eine einseitige e m p f a n g s b e d ü r f t i g e , also erst m i t Z u g a n g w i r k s a m e W i l l e n s e r k l ä r u n g , durch die der eine Teil dem anderen Teil den Abschluß des Vertrages anbietet. Der Inhalt des Antrages muß nach Person des Gegners und Gegenstand so bestimmt sein, daß der Vertrag ohne weitere Verhandlung mit der Annahme zustande kommen kann. Voraussetzung ist, daß der Antragende den Antrag in bindender Absicht abgegeben hat. Die Annahme muß, damit ein Vertrag zustande kommt, dem Antrag schlechthin entsprechen. Der Vertragsantrag ist zu unterscheiden von der bloßen Mitteilung, daß man zu einem Vertragsschluß bereit sei, und ferner von der A u f f o r d e r u n g z u r A b g a b e e i n e s A n g e b o t s . Der Unterschied besteht darin, daß Mitteilung und Aufforderung nach Art und Inhalt den Anforderungen eines Vertragsantrages nicht entsprechen und ferner, daß der Bindungswille fehlt. Ein Vertragsantrag liegt demnach nicht vor, wenn Angebote nur an die Allgemeinheit ergehen, z. B. Ankündigungen, öffentliche Bekanntmachungen von Bedingungen ( R G J W 1905, 76; R G SeuffArch 60 Nr. 3). Ferner liegt ein Vertragsantrag nicht vor b e i V e r s e n d u n g v o n P r e i s l i s t e n . Versendet dagegen eine Bank an die mit ihr in dauernder Geschäftsverbindung stehenden Banken Zirkulare, in denen die bisherigen Geschäftsbedingungen abgeändert werden, dann ist hierin ein Vertragsantrag zu finden. Geben hierauf die Kunden das Formular, in dem die Annahmeerklärung vorgedruckt ist, unterschrieben zurück, dann liegt auch eine Vertragsannahme vor, während der bloße Vermerk „Kenntnis genommen" eine Annahme regelmäßig nicht enthalten würde ( R G WarnRspr 1911 Nr. 362). Inwiefern in der Z u s e n d u n g e i n e s L o t t e r i e l o s e s ein Vertragsangebot liegen kann, vgl. R G 48, 175!?"; 50, 193; 59, 296; R G WarnRspr 1914 Nr. 3; B G H L M Nr. 2 zu § 148 und Anm. zu § 763.

Anm. 2 2. Bestimmbarkeit der Person des Antragsgegners Grundsätzlich muß der Vertragsantrag an eine b e s t i m m t e P e r s o n gerichtet sein. Ein Angebot des Inhalts, das die Annahme durch den Antragsgegner selbst o d e r d u r c h e i n e v o n i h m z u b e z e i c h n e n d e a n d e r e P e r s o n e r f o l g e n k a n n , ist jedoch rechtlich möglich. Ein solcher Antrag entbehrt nicht der erforderlichen Bestimmtheit des Antragsgegners und enthält zugleich die Zustimmung der Abtretung der Rechte aus dem Vertragsangebot ( R G J W 1914, 380). Eine andere Frage ist, ob der Antragende in diesen Fällen gebunden ist, jede beliebige Person als Vertragsgegner anzunehmen. Diese Frage ist von Fall zu Fall auslegungsweise nach den Grundsätzen von Treu und Glauben zu entscheiden (§ 157); eine unzuverlässige Person kann der Antragende ablehnen (RG 12. 1. 1916 V 223/15).

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Vertrag

§145 Anm. 3

Es besteht auch die Möglichkeit, einen Antrag einer noch unbestimmten, aber bestimmbaren Person zu machen. Hierher gehören die Fälle, in denen ein Vertragsangebot mittels eines A u t o m a t e n an jeden einzeln gemacht wird, der ihn anzunehmen bereit ist und diese Bereitschaft dadurch bestätigt, daß er das richtige Geldstück in den Automaten hieinsteckt. Bei der A u s l o b u n g wird der Auslobende durch seine einseitige Erklärung ebenfalls derjenigen noch unbestimmten Person verpflichtet, welche die fraglichen Handlungen vornimmt (§ 657). Die Ankündigungen von Theater-, Konzert- und ähnlichen Veranstaltungen ist kein an die Allgemeinheit gerichteter bindender Antrag auf Abschluß eines Vertrages, sondern nur eine unverbindliche Bereiterklärung entsprechende Verträge (über Theaterbesuch) abzuschließen ( R G 1 3 3 , 39i)-

Anm. 3 3. Bestimmtheit des Inhalts D a ein Vertrag durch die Annahme des Antrages zustande kommt (§ 1 5 1 ) und zustande kommen soll, so kann eine Erklärung den Anforderungen eines Vertragsantrages inhaltlich nur dann genügen, wenn es zur Herbeiführung der Willenseinigung über den gesamten Vertragsgegenstand nur noch der Annahme des Vertragsangebotes bedarf. Ist dieses so unbestimmt, daß im Falle ihrer Annahme eine Einigung über einen bestimmten Gegenstand nicht erzielt werden kann, so ist sie als Antrag unzureichend ( R G H R R 1930 Nr. 9 1 ; vgl. auch R G 170,400). Das Erfordernis der Bestimmtheit schließt

nicht in sich, daß der Antrag in allen Einzelheiten ausdrücklich Erklärungen

enthalten muß. Grundsätzlich ist der Inhalt eines Vertragsantrages vielmehr so zu verstehen, wie er nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstanden werden muß. Demgemäß ist die Erklärung auch aus anderen Beziehungen, z. B. aus der früheren Geschäftsverbindung zwischen den Parteien, oder nach dem mutmaßlichen Willen des Antragenden ergänzungsfähig, wobei der Grundsatz gilt, und zwar bei Anträgen sowohl unter An- wie Abwesenden, daß, wenn der Antragsgegner den Antrag so verstanden hat, wie er nach dem Grundsatz von Treu und Glauben zu verstehen war, der Antragende nicht behaupten kann, er habe den Antrag anders aufgefaßt. In diesem Fall steht dem Antragenden nur die Anfechtung seiner Erklärung frei. Die gehörig veröffentlichten „allgemeinen Bedingungen" eines Betriebs, der nach Art und Umfang derart ist, daß das Publikum nach dem zur Zeit Üblichen mit dem Bestehen solcher allgemeinen Bedingungen rechnen muß (wie das beispielsweise bei einer Bank oder einem dem Verkehre dienenden Verbände zutreffen kann), muß der Vertragsgegner auch dann als Teil des Antrags oder des Vertrags gelten lassen, wenn er sie nicht gekannt hat, soweit es sich nicht um solche Bedingungen handelt, von denen von vornherein anzunehmen ist, daß der Vertragsgegner sie nicht angenommen hätte ( R G 103, 86; vgl. auch Anm. zu § 157). Enthält ein Schreiben, richtig verstanden, keinen Antrag, sondern nur die Aufforderung zur Abgabe eines Angebots, versteht aber der Empfänger die ihm zugegangene Erklärung als bindenden Antrag und gibt er das durch sein Antwortschreiben dem Gegner zu erkennen, dann ist dieser durch T r e u und Glauben zur Aufklärung verpflichtet, andernfalls muß er sein Schreiben als Antrag gelten lassen ( R G L Z 1920, 175). Die Bekanntgabe eines Kontos auf einer Rechnung ist als Angebot zu verstehen, den Kaufpreis im Uberweisungswege zu begleichen. Dieses Angebot, von dem sich der Antragende nicht einseitig lösen kann, wird durch Erteilung des Uberweisungsantrags angenommen ( O G H 4, 188, 194). Wenn jemand t e l e g r a p h i s c h a n b i e t e t und Drahtzusage verlangt, so liegt der maßgebende Antrag schon im Telegramm und nicht im nachfolgenden Bestätigungsschreiben. Es ist also der Inhalt des Telegramms maßgebend. Eine Verstümmelung des Telegramms verliert ihre Bedeutung, wenn der Absender den verstümmelten Inhalt gelten lassen will ( R G 13. 3. 1925 V I 6/25). Die „ F e s t o f f e r t e " bedeutet nach der Verkehrsauffassung eine Verpflichtung des Antragenden, die Ware dem Antragsgegner bis zum Ablauf der in der Festofferte genannten Frist zur Verfügung zu halten, so daß dieser bis zum Ablauf der Frist das Angebot annehmen kann (vgl. R G SeuffArch 82 Nr. 3 1 ; 70 Nr. 7).

505

§145 A n m . 4—6

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 4 II. Die Gebundenheit 1. Bedeutung Der einmal wirksam erklärte (also auch bereits zugegangene) Antrag, bewirkt regelmäßig eine Bindung des Antragenden an den Antrag. Die Bindung dauert bis zum Erlöschen des Antrages nach § 146 fort (RG 43,79). Da der Antragende kraft Gesetzes an seinen Antrag gebunden ist, seine Erklärung mithin einen künftigen, durch die Annahme entstehenden Anspruch des Antragsempfängers zum Gegenstand hat, kann in einem Vertragsangebot auch die Unterwerfung oder die sofortige Zwangsvollstreckung im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO wirksam erklärt werden (RG 132, 6). Durch die Gebundenheit wird ein auf Treu und Glauben beruhendes gegenseitiges Vertrauensverhältnis begründet, aus dem sich für den Antragsgegner gewisse Sorgfaltspflichten für die Behandlung des Angebots ergeben, namentlich dann, wenn besondere Vorkehrungen zur Entgegennahme und Weiterbeförderung von Vertragsanträgen getroffen worden sind. Für ein Verschulden seines Angestellten hat der Antragsgegner in diesem Zusammenhang ebenfalls zu haften (§ 278; RG 107, 240). Die Gebundenheit hat ferner zur Folge, daß der Antrag bis zu dem Zeitpunkt, in dem er erlischt (§ 146), nicht w i d e r r u f e n werden kann. Hat sich der Antragende aber das Widerrufsrecht vorbehalten (RG J W 1911, 643), dann erlischt dieses in dem Zeitpunkt, in dem ihm die Annahmeerklärung zugeht, es sei denn, daß der Widerruf rechtzeitig vorher erfolgt war. Ein Widerruf verlangt, der Vorschrift des § 349 entsprechend, eine zuverlässige und unbedingte Erklärung. Eine Bindung des Kaufinteressenten an ein Kaufangebot tritt auch nicht ein, wenn die Kaufsache mit Fehlern behaftet ist, die den Antragenden im Falle des bereits zustande gekommenen Vertrages zur Wandlung berechtigen würden (RG 87, 260). Die Gebundenheit des Antragenden tritt nicht ein, wenn er sie in irgend einer Form ausdrücklich a u s g e s c h l o s s e n hat, sei es sofort bei der Antragstellung, sei es nachträglich, falls nur diese Erklärung spätestens mit dem Antrag dem Annehmenden zugegangen ist (RG J W 1911, 643). Der Antragende kann die Gebundenheit ausschließen, beispielsweise durch Wendungen wie „ohne Verbindlichkeit", „ohne Obligo", „freibleibend" oder dgl. Anm. 5 2. Die Klausel „freibleibend" Die Klausel „freibleibend" kann den A u s s c h l u ß der G e b u n d e n h e i t bei einem Vertragsangebot bedeuten, aber auch—und dies ist imZweifel anzunehmen — den Sinn haben, daß kein Vertragsangebot, sondern eine Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes erklärt worden ist. Handelt es sich bei dem mit der Klausel gemachten Antrag nur um eine Aufforderung, dann kommt der Vertrag erst durch die Annahme des auf die Aufforderung erfolgten Angebots zustande (RG 105, 12). Sowohl in den Fällen, in denen die Klausel nur den Ausschluß der Gebundenheit eines Antrags bedeutet, als auch in denen, in denen sie lediglich eine Offerte zum Vertragsabschluß darstellt, kann es nach Treu und Glauben erforderlich sein, daß der Antragende auf eine daraufhin erfolgte Bestellung unverzüglich antworten muß, und daß im Zweifel sein Schweigen als Zustimmung zu werten ist (RG J W 1921, 393; 1926, 2674; RG Gruchot 65, 339; vgl. aber auch RG 105, 12). Anm. 6 Die Klausel „freibleibend" kann auch die Bedeutung haben, daß es dem Verkäufer auch noch nach A b s c h l u ß des V e r t r a g e s f r e i s t e h e n soll, ob er l i e f e r n w i l l o d e r n i c h t , während der Käufer, falls der Käufer leisten will, zur Abnahme verpflichtet ist. Die Klausel kann auch auf eine einzelne Vertragsbestimmung, wie Preis oder Lieferfrist, beschränkt werden. Eine Preisklausel, durch die sich der Verkäufer vorbehält, unter bestimmten Voraussetzungen einen erhöhten Kaufpreis zu fordern, kann entweder dahin ausgelegt werden, daß der Verkäufer im gegebenen Fall berechtigt ist, den

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Vertrag

§145 Anm. 7—9

neuen Preis nach billigem Ermessen zu bestimmen, sie kann aber auch dahin auszulegen sein, daß der Verkäufer unter Abstandnahme von dem ursprünglichen Vertrage dem K ä u f e r ein neues Angebot unterbreitet ( B G H i, 354); vgl. im übrigen Anm. 26 zu § 157.

Anm. 7 III. Rechtliche Natur der Annahmebefugnis Es ist fraglich, ob infolge der Gebundenheit des Antragenden für den Antragsgegner ein Recht entsteht. Ein Anspruch im Sinne von § 241 entsteht nicht, da der Antragsgegner vom Antragenden weder ein T u n noch ein Unterlassen fordern kann. Die Annahmebefugnis ist ein Gestaltungsrecht ( R G 132, 6), das u. U . übertragbar und als ein Vermögensrecht vererblich sein kann (§ 1922), jedoch mit der in der Natur der Sache liegenden Einschränkung, daß der Antrag nicht dahin auszulegen ist, daß der Vertragsschluß nur dem Gegner persönlich angetragen ist. Daher scheint es auch nicht richtig, wenn man dem Antragsgegner für alle Fälle nur eine „Rechtsposition" zuschreibt ( R G J W 1 9 1 1 , 7 5 2 ; 1 9 1 2 , 1 9 5 ; R G G r u c h o t 53,835). Es entspricht diese Auffassung mindestens nicht derjenigen des Verkehrs, der erfahrungsgemäß gerade von der freien Ubertragbarkeit des Rechtes aus dem Angebot (so namentlich aus K a u f - oder Verkaufsanträgen) ausgeht. Nach dem diesseitigen Standpunkte läßt sich demgemäß auch die weitere Frage, ob das Recht des Antragsgegners auf Annahme des Angebots rechtsgeschäftlich übertragbar ist (§ 398), nicht schon deshalb verneinen, weil es sich stets nur um eine Rechtsposition handle, und auch nicht schon deshalb etwa, weil jedenfalls kein Anspruch bestehe, denn übertragbar sind auch Rechte ( § 4 1 3 ; vgl. R G J W 1 9 1 4 , 350; R G H R R 1934 Nr. 662). J e d o c h wird eine willkürliche Ubertragbarkeit der Annahmebefugnis trotzdem nicht gegeben sein, weil es nämlich nicht im Belieben des Antragsgegners stehen kann, dem Antragenden irgendeine dritte Person als Vertragsgegner aufzunötigen. Ansprüche aus Verträgen sind freilich regelmäßig frei veräußerlich. A b e r das ist deswegen der Fall, weil in derartigen Fällen der Vertragsgegner trotz der Übertragung immer noch sein Vertragsrecht an den Veräußerer des Rechtes behält. I m Falle der Übertragung des Rechtes aus einem vorerst nur erklärten Antrage durch den Antragsgegner würde durch die Annahme des Antrags allein von Seiten des Abtretungsempfängers der Antragende das Vertragsrecht allein diesem gegenüber erlangen können. Derart auf die Rechtslage des Antragstellers durch die Abtretung einzuwirken, steht dem Antragsgegner nicht zu. D a jedoch im besonderen Falle die Sache so liegen kann, daß der Antragende, sei es ausdrücklich, sei es stillschweigend, i m v o r a u s s e i n E i n v e r s t ä n d n i s mit der Übertragung des Rechtes auf Annahme des Antrags erklärt hat (vgl. R G J W 1 9 1 4 , 350 und 1. 4. 1 9 1 4 V 5 1 4 / 1 3 ; ferner 22. 1. 1 9 1 6 V 223/15), so sind allerdings auch solche Fälle denkbar, in denen das Annahmerecht rechtlich unbedenklich übertragen werden kann. Überdies könnte die Sache unter Umständen auch so angesehen werden, als wäre der Antrag zugleich an den Dritten gerichtet worden. So geschieht es tatsächlich häufig, daß mit Stellung des Vertragsantrags zugleich das Einverständnis mit der Übertragung des Annahmerechts verbunden wird. Von der Frage nach der Abtretbarkeit des bezeichneten Rechtes hängt auch die Frage nach seiner Pfändbarkeit ab (§851 Abs. 1 Z P O ) .

Anm. 8 Daß eine s c h u l d h a f t e H a n d l u n g s w e i s e d e s A n t r a g e n d e n , durch die er dem Gegner die Annahme rechtswidrig vereitelt, ihn nicht nach §823 haftbar macht ( R G 5 0 , 195), folgt daraus, daß das Annahmerecht sich im besten Falle nur als ein Vermögensrecht darstellt, und daß dieses nicht unter den Begriff „sonstiges R e c h t " im Sinne von § 823 fällt ( R G 5 7 , 3 5 3 ; 59,327). Anwendbar wäre aber § 826, falls der Antragende den Antragsgegner vorsätzlich an der Annahme hindert ( R G 50, 9 1 ; 63, 286; R G J W 1908, 85)-

Anm. 9 IV. Beweislast Den etwaigen Ausschluß der Gebundenheit an den Antrag hat derjenige zu beweisen, der sich darauf beruft. Die Ansicht, daß die Geltungsmachung des Vorbehalts

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§ 145 A n m . 10

§ 146 Anm. 1—3

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

im Sinne des § 145 eine bloße Verneinung der Verbindlichkeit des Antrags bedeute, und daß das Vorbringen des Vorbehalts daher den anderen Teil zum Beweise eines vorbehaltslosen Antrags nötige, kann nicht gebilligt werden. Wer den Vorbehalt behauptet, macht vielmehr einen Ausnahmefall geltend und übernimmt daher die Beweislast (streitig).

Anm. 10 Wegen Vorverträgen, Vorverhandlungen, normierten Verträgen und diktierten Verträgen vgl. Anm. 9, 10, 12—15 vor § 145.

§146 Der Antrag erlischt, wenn er dem Antragenden gegenüber abgelehnt oder wenn er nicht diesem gegenüber nach den §§ 147 bis 149 rechtzeitig angenommen wird. E I 82ff, 88 Abs. 2 II 119; M I l68ff ,175; P 1 77; 6 124, 128. Übersicht I. Allgemeines II. Die Ablehnung I I I . Die Zusendung unbestellter Ware

Anm, . I . 2 • 3

Anm. 1 I. Allgemeines Mit dem Erlöschen wird der Antrag beseitigt, so daß er nicht mehr annahmefähig ist ( R G 93, 176; RGWarnRspr igig Nr. 131; R G SeuffArch77 Nr. 112). Eine nach Erlöschen des Antrags nachträglich erfolgte Annahme ist als n e u e r A n t r a g anzusehen (§ 150; B G H L M Nr. 1 zu § 150). Der Antrag erlischt durch Ablehnung oder durch Ablauf einer festgesetzten Frist. Ein „festes" Angebot mit einseitiger Bindung, auf Verlangen des anderen Teils liefern zu wollen, erlischt nach Ablauf einer nach den Umständen zu bemessenden Frist ( R G 97, 3). Ist keine Frist gesetzt, so bestimmt sich das Erlöschen des Antrages nach § 147. Uber sonstige Erlöschungsgründe vergleiche § 145 (Widerruf im Falle des Vorbehalts) und § 156. Bei dem Beitritt zu einer Genossenschaft (wie bei der Aktienzeichnung) handelt es sich um den Teil eines körperschaftlichen Aktes, neben dem schuldrechtliche Verträge einhergehen können, der aber nicht selbst zu einem Vertrag führt; daher tritt auch ein Erlöschen der Beitrittserklärung nicht nach § 146 ein ( R G 147, 262).

Anm. 2 II. Die Ablehnung Die Ablehnung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die mit ihrem Zugang wirksam wird (§ 130). Ihr gleichgestellt ist nach § 150 Abs. 2 die mit Erweiterungen oder Einschränkungen verbundene Annahme. Hat der Antragsgegner alles Erforderliche getan, um das rechtzeitige Eintreffen seiner Annahmeerklärung zu bewirken, und ist der verspätete Eingang nur auf Umstände zurückzuführen, die in der Person des Empfängers lagen, dann kann sich dieser auf die Verspätung nicht berufen ( R G 95> 317; vgl- auch Anm. 14 und 15 zu § 130).

Anm. 3 III. Die Zusendung unbestellter Ware Bei unbestellt zugesandter Ware kann eine Vertragsannahme auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen, so durch Ingebrauchnahme des Gegenstandes, z.B. Aufschneiden des Buches (RG 102, 273). Im übrigen ist mit der Zusendung unbestellter Ware für den

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Vertrag

§147

Anm. 1, 2 Empfanger keinerlei Verpflichtung zur Abgabe einer Ablehnung verbunden, und zwar auch dann nicht, wenn ihm zur Antwort oder Rücksendung eine Frist gesetzt wurde und der Absender erklärt hat, er werde die Ware nach Ablauf der Frist als abgenommen betrachten. Der Empfänger braucht die Ware auch nicht zurückzusenden, jedoch ist ihm nicht gestattet, ohne den Willen des Absenders darüber zu verfügen oder auf sie in schädigender Absicht einzuwirken, weil darin u. U. eine Verletzung des Eigentums oder eine gegen die guten Sitten verstoßende Schädigung liegen kann (streitig; hierzu näheres Anmerkungen bei S t a u d i n g e r n . Aufl. Anm. 8 zu § 146; vgl. auch B G H I ZR 179/57 vom 1 1 . 1 1 . 1958 zur Frage der wettbewerbsrechtlichen Unzulässigkeit unverlangter Warenzusendungen).

§147 Der einem Anwesenden gemachte Antrag kann nur sofort angenommen werden. Dies gilt auch von einem mittels Fernsprechers von Person zu Person gemachten Antrage. Der einem Abwesenden gemachte Antrag kann nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf. E I 8jff II 120; M I i68ff; P I 78ff

Übersicht Anm.

I. Allgemeines II. Die Annahme 1. Annahme unter Anwesenden 2. Annahme unter Abwesenden III. Das Bestätigungsschreiben 1. Allgemeines 2. Schweigen als Zustimmung 3. Einfluß auf Vertragsinhalt 4. Weitere Voraussetzungen 5. Bezugnahme auf allgemeine Geschäftsbedingungen 6. Vertreter 7. Auftragsbestätigung, endgültige Bestätigung 8. Anfechtung der Zustimmung

i 2—8 4 5—8 9—16 9 10 11 12 13 14 15 16

Anm. 1 I. Allgemeines § 147 handelt von der gesetzlichen Annahmefrist. Er gilt nur, wenn der Antragende zur Annahme eine Frist nicht gesetzt hat (§ 148). § 147 und § 148 begrenzen die zeitliche Gebundenheit des Antragenden an seinen Antrag ( R G 43, 79). Eine Ausnahme von § 147 gilt gemäß § 81 V V G für den Antrag auf Abschluß einer F e u e r v e r s i c h e r u n g . Nach dieser Bestimmung erlischt ein entsprechender Antrag erst, wenn er nicht innerhalb von z w e i W o c h e n angenommen worden ist. Für andere Versicherungszweige ist diese Frist zur Annahme des Antrages auf Vertragsabschluß nicht gesetzlich festgelegt, jedoch vielfach in die allg. Geschäftsbedingungen übernommen worden. Die für den Antrag auf Abschluß der Versicherung maßgebende Annahmefrist gilt jedoch nicht ohne weiteres für einen Antrag auf Aufhebung oder Abänderung des Versicherungsvertrages ( B G H L M Nr. 1 zu § 147).

Anm. 2 II. Die Annahme Die Annahme ist, abgesehen von dem Fall des § 151 eine empfangsbedürftige Erklärung des Inhalts, daß das Angebot v o r b e h a l t s l o s a n g e n o m m e n wird (vgl. wegen fehlerhafter Annahme Anmerkungen zu §§ 149, 150). Der Vertrag kommt mit dem

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§147 A n m . 3, 4

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Zugang der Annahmeerklärung an den Antragenden und in den Fällen der §§ 150, 151 mit Abgabe der Annahmeerklärung zustande. Die Annahmeerklärung kann auch s t i l l s c h w e i g e n d durch schlüssiges Verhalten erfolgen, etwa dadurch, daß der Antragsgegner sich so verhält, wie es der Antragende von ihm erwartet, indem er die verlangte Leistung bewirkt (RG 54, 219) oder die ihm angetragene Erwerbshandlung vornimmt (RG WarnRspr 1936 Nr. 79). Im übrigen bedeutet das bloße Stillschweigen auch im Handelsverkehr in der Regel Ablehnung des Antrags (OGH NJW 1949, 943; B G H 1, 354; B G H J Z 1951, 783). Das Schweigen auf einen Antrag kann nur ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Umstände als Annahme angesehen werden; und zwar muß es sich um Umstände handeln, die keine andere Deutung zulassen (BGH J Z 1951, 783) oder um solche, bei denen die Nichtbeantwortung eine Verletzung der Redlichkeit und eine Nichtbeachtung von Treu und Glauben enthalten würden (RG 54, 2 1 3 ; RG SeufFArch 79 Nr. 103). Solche Umstände können z. B. darin liegen, daß die Parteien in ständiger Geschäftsbeziehung stehen (BGH 1, 354; B G H J Z 1951, 783). Das Schweigen auf ein Kaufangebot, das der andere Teil auf Grund der Mitteilung über vorhandene Ware nebst Kaufpreis und sonstigen Bedingungen abgegeben hat, kann als Annahmeerklärung des Kaufangebotes aufzufassen sein (RG 19. 12. 1924 V I 217/24). Im Falle des K o n t r a h i e r u n g s z w a n g e s ist das bloße Stillschweigen des Lieferanten auf eine dringende Lieferungsanforderung des Bezugsberechtigten als Annahme des Vertragsangebotes angesehen worden (OGH NJW 1950, 24). Das Schweigen ist insbesondere dann als Zustimmung zu werten, wenn der Gegner nach Treu und Glauben mit einem unverzüglichen Widerspruch rechnen durfte (OGH NJW 1950, 385), so bei Schweigen auf eine Abrechnung. Vgl. auch Anm. 5—8 vor § 116. Anm. 3 Gilt danach im einzelnen Fall das Schweigen bei mündlicher Verhandlung als Annahme, so wird diese Rechtswirkung nicht dadurch wieder beseitigt, daß der Schweigende unmittelbar darauf schriftlich seinen gegenteiligen Standpunkt zum Ausdruck bringt (RG 115, 266). Handelt es sich nicht um ein beliebiges Geschäft des (kaufmännischen) Verkehrs, sondern um ein außergewöhnliches, namentlich um einen Vergleichsvorschlag, dann kann im Schweigen auf den Vorschlag eine Annahme des Antrags nach Treu und Glauben nicht gefunden werden (RG WarnRspr 1919 Nr. 131). Anm. 4 1. A n n a h m e unter A n w e s e n d e n Ein Vertragsschluß unter Anwesenden setzt voraus, daß von Person zu Person verhandelt wird und der Antragsgegner den Antrag sofort annimmt. Sofort bedeutet ohne jedes Zögern. Ob die Annahmeerklärung „sofort" abgegeben wurde, ist nach Lage des Falles zu entscheiden (M I, 196). Wird die Annahme nicht sofort erklärt, dann erlischt der Antrag (§ 146). Eine verspätete Annahme hat die Bedeutung eines neuen Antrags (§ 150). Zu beachten ist aber, daß aus § 147 Abs. 1 nicht gefolgert werden kann, daß auf jeden einem Anwesenden gemachten Antrag eine Erklärung über Annahme oder Ablehnung sofort abgegeben werden müßte, widrigenfalls das Schweigen des Antragsgegners als Annahme zu gelten hätte (RG J W 1 9 1 1 , 535). Die Regel, daß ein Vertragsantrag unter Anwesenden nur sofort angenommen werden könne, ist vertraglicher Änderung zugänglich. Ist ein fernmündlicher Vertragsantrag zur unbefristeten, aber nicht sofortigen Annahme gemacht worden, so bedeutet die Antwort, daß nach zwei Tagen endgültiger Bescheid gegeben werde, die Angemessenheit der Frist vorausgesetzt, keine Ablehnung mit neuem Antrag und die Annahme innerhalb der Frist ist noch rechtzeitig (RG SeuffArch 80 Nr. 72). Ein Vertragsschluß unter Anwesenden liegt nicht vor, wenn sich der Antragende zur Erklärung eines Boten, oder beim Verhandeln mittels Fernsprechers eines Mittlers bedient, der zur Entgegennahme der Annahmeerklärung nicht bevollmächtigt ist. Denn unter diesen Voraussetzungen geht die Erklärung dem Antragsteller nicht von Person zu Person, sondern erst mit ihrer Bestellung zu. Anders, wenn die Mittelsperson zur Vertretung des Auftraggebers bei Entgegennahme der Erklärung befugt war (RG SeufF-

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Vertrag

§147

A n m . 5—8 Arch 59 Nr. 387; R G Gruchot 67, 194). Ein Verhandeln von Person zu Person findet auch dann nicht statt, wenn einem Anwesenden nur ein schriftlicher Antrag überreicht wird. Wird bei einem Telefongespräch die Verbindung gestört, so erlischt die Bindung des Antragenden, wenn das Gespräch nicht sogleich wieder aufgenommen wird, da die Annahme dann nicht sofort erfolgt ist.

Anm. 5 2. Annahme unter Abwesenden Wann ein Verhandeln unter Abwesenden vorliegt, ergibt sich aus dem Gegensatz zu § 147 Abs. 1. Als Antrag unter Abwesenden gilt auch der u n t e r A n w e s e n d e n s c h r i f t l i c h e ü b e r r e i c h t e A n t r a g ( R G 6 1 , 4 1 5 ; 83, 106). Die Bedingung für das Zustandekommen des Vertragsabschlusses ist hier regelmäßig, daß die Annahmeerklärung dem Gegner in einer nach den Umständen zu bemessenden Frist zugeht. Der Zusatz „Brief folgt" in einer sonst ordnungsgemäßen telegrafischen Annahmeerklärung verzögert die Annahme nicht ( R G L Z 1924, 8 1 1 ) . Uber Annahmetelegramm mit dem Zusatz „schriftliche Bestellung folgt" s. R G SeuffArch 83 Nr. 104.

Anm. 6 Für die B e r e c h n u n g d e r F r i s t kommen als wesentlich in Betracht die Beförderungszeit des Antrags sowie die der Antwort und dazu noch eine dem Antragsgegner zu bewilligende angemessene Uberlegungsfrist ( R G 27. 6. 1924 II 770/23), wobei davon auszugehen ist, daß der An tragende mit regelmäßiger Beförderung und auch mit Anwesenheit des Antragsgegners in seinem Wohnorte rechnen darf ( R G 4 3 , 79; 59, 300; R G J W 1 9 1 0 , 999). Falls der Antrag einer Gesellschaft, einem Verein, einer Körperschaft gemacht wird, ist überdies auch eine angemessene Frist für die erforderliche Beschlußfassung zu bewilligen. Besondere die Antwort verzögernde Umstände, die dem Antragenden nicht bekannt sind und nicht bekannt zu sein brauchen, sind bei der Bemessung der Frist außer Betracht zu lassen ( R G WarnRspr 1928 Nr. 2).

Anm. 7 Ob die Annahme rechtzeitig erklärt worden ist, ist stets nur nach Maßgabe der regelmäßigen Umstände zu begrenzen, worüber das richterliche Ermessen entscheidet. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die bei Anlegung eines gegenständlichen Maßstabes den Absender zu einer Erstreckung des Zeitraumes veranlassen konnten, soweit sie dem Antragenden bekannt waren oder er mit ihnen rechnen mußte, auch die von den Beteiligten sonst in der Sache eingehaltenen Fristen ( R G 142, 402; R G H R R 1937 Nr. 849). Daß dem Antragsgegner zur Erstreckung der Frist a u ß e r g e w ö h n l i c h e E r e i g n i s s e (äußerliche Beförderungshindernisse oder Abwesenheit des Empfängers von seinem Wohnsitze) zugute gerechnet werden, braucht sich der Antragsteller i m a l l g e m e i n e n n i c h t gefallen zu lassen ( R G 59,300). Wo h l a b e r d a n n , wenn er mit der A bw e s e n h e i t des Gegners schon nach dem regelmäßigen Gange der Dinge (z.B. Urlaubszeit) von vornherein r e c h n e n m u ß t e . So war z. B. auch die durch die Währungsumstellung bedingte Arbeitsüberlastung von Versicherungsgesellschaften bei der Fristbemesung zu berücksichtigen, weil der Antragsteller mit diesem die Antwort verzögernden Umstand nach der Verkehrsanschauung der beteiligten Wirtschaftskreise rechnen mußte ( B G H L M Nr. 1 zu § 147). Verhindert der Antragsteller den rechtzeitigen Zugang der Annahmeerklärung arglistig oder schuldhaft, dann gilt die Frist gleichwohl als gewahrt ( R G 58, 406). Verzichtet der Antragende auf die Erklärung der Annahme, dann kommt für die Fristberechnung nicht § 147, sondern § 1 5 1 zur Anwendung ( R G 83, 106). In dem Schweigen des Antragenden auf eine verspätete Annahmeerklärung kann die Annahme des damit gegebenen neuen Antrags liegen (vgl. Anm. zu § 150). § 147 Abs. 2 ist entsprechend auch bei der Festsetzung des Zeitpunktes maßgebend, in dem ein stillschweigend zustande gekommener Vertrag als abgeschlossen anzusehen ist ( R G Gruchot 55, 892; vgl. Anm. 7 zu § 1 5 1 ) .

Anm. 8 Die Entscheidung der Frage, bis zu welchem Zeitpunkt der Antragende unter regelmäßigen Umständen eine Antwort auf seinen Antrag erwarten durfte, ist als Er-

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§147

Anm. 9—11

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

messensentscheidung des Tatrichters vom R e v i s i o n s g e r i c h t d a r a u f h i n n a c h p r ü f b a r , ob der Tatrichter die Voraussetzungen und Grenzen seines Ermessens richtig bestimmt und eingehalten hat ( R G 157, 350; B G H L M Nr. 1 zu § 147).

Anm. 9 III. Das Bestätigungsschreiben 1. Allgemeines I m Handelsverkehr ist es häufig

üblich, einen bereits erfolgten Vertragsschluß zu bestätigen. I m Hinblick darauf, daß im kaufmännischen Verkehr Nebenpunkte vielfach erst im Bestätigungsschreiben geregelt werden und daß es Abweichungen von dem bisher besprochenen enthalten kann, ist die Frage von Bedeutung, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Schweigen auf ein Bestätigungsschreiben als Annahme zu gelten hat. Grundsätzlich kann von einem Bestätigungsschreiben nur gesprochen werden, wenn ein Vertragsschluß bereits erfolgt war ( R G 95, 96). Dies ist aber nicht immer erforderlich, sondern das Bestätigungsschreiben kann sich auch auf vorausgegangene V e r t r a g s v e r h a n d l u n g e n beziehen, die noch nicht zu einem festen Vertragsschluß geführt haben ( B G H 7, 187). Die für das Stillschweigen auf Bestätigungsschreiben entwickelten Rechtssätze gelten grundsätzlich nur für Kaufleute, aber auch Minderkaufleute ( B G H 1 1 , 1). O b sie auch gegenüber Nichtkaufleuten anzuwenden sind, kann nur nach L a g e des einzelnen Falles entschieden werden ( R G Gruchot 7 1 , 2 5 3 ; R G L Z 1920, 755; für Rechtsanwälte s. R G J W 1 9 3 1 , 522).

Anm. 10 2. Schweigen als Zustimmung Weicht der Inhalt des Bestätigungsschreibens von dem unter den Parteien bisher Besprochenen ab, so gilt der Grundsatz, daß unter besonderen Umständen nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Gepflogenheiten des Verkehrs ein W i d e r s p r u c h des Empfängers e r f o r d e r l i c h ist und sein Schweigen daher als Zustimmung zum Inhalt des Bestätigungsschreibens anzusehen ist ( R G 54, 3 1 0 ; R G SeuffArch 81 Nr. 1 9 7 ; B G H 7, 1 8 7 ; 1 1 , 1). Die widerspruchslose Annahme eines Bestätigungsschreibens ist selbst dann als Zustimmung anzusehen, wenn eine G e g e n b e s t ä t i g u n g verlangt worden ist ( R G 88, 380; 104, 2 0 1 ; 106, 4 1 4 ; vgl. auch R G WarnRspr 1922 Nr. 92, 93), insbesondere, wenn es im Bestätigungsschreiben heißt, daß Stillschweigen als Einverständnis erachtet werde ( R G WarnRspr 1922 Nr. 5). Hat der Empfänger eines Bestätigungsschreibens dieses eine Woche lang unbeantwortet gelassen, so muß er die Fiktion seines Einverständnisses auch dann gegen sich gelten lassen, wenn er verreist war und nach seiner Rückkunft sofort Widerspruch erhoben hatte ( R G 105, 398).

Anm. 11 3. Einfluß auf den Vertragsinhalt Die genehmigte Bestätigung hat eine rechtsgestaltende Wirkung in der Weise, daß nun ihr Inhalt maßgebend ist und abweichende frühere Abreden als beseitigt zu gelten haben und überdies noch solche Bedingungen Vertragsinhalt werden, die früher nicht vereinbart waren ( R G 54, 1 7 7 ; 58, 69; 88, 380; 90, 1 3 6 ; R G WarnRspr 1 9 1 9 Nr. 50; R G SeuffArch 73 Nr. 9 3 ; 76 Nr. 5 ; B G H 7, 187). Der Inhalt des Bestätigungsschreibens ist auch dann maßgebend, wenn es mit dem Bestellschreiben nicht in allen Punkten übereinstimmt und auch bei Heranziehung des sonstigen Briefwechsels Zweifel bleiben ( R G SeuffArch 83 Nr. 202). Hat der eine Teil dem anderen ein Bestätigungsschreiben zugesandt und dies vom Gegner mit Zusätzen zurückerhalten und daraufhin geschwiegen, dann muß in diesem Verhalten eine Zustimmung gefunden werden, so daß der Vertrag mit Einschluß der Zusätze in dem Zeitpunkt zustande kommt, in welchem der Gegner den Zugang des Widerspruchs hätte erwarten können ( R G Gruchot 55, 888). Die im Bestätigungsschreiben enthaltenen Bedingungen werden bei widerspruchsloser Annahme nicht nur dann ergänzend Vertragsinhalt, wenn sie vom bisherigen Inhalt der Vertragsverhandlungen abweichen, sondern wenn über sie bei den Vertragsver-

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Vertrag

§147 A n m . 12—14

handlungen überhaupt noch nicht gesprochen worden war ( R G WarnRspr 1925 Nr. 57; B G H 7, 187). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Inhalt der Abmachungen arglistig entstellt oder der Inhalt des Bestätigungsschreibens auf Erfindung beruhte ( R G 95, 48; 129, 347), wenn also das Bestätigungsschreiben inhaltlich soweit von dem Besprochenen abweicht, daß der Bestätigende selbst nicht mehr mit einem Einverständnis des Empfängers rechnen kann ( R G 95, 48; B G H 7, 187), also hinsichtlich der Abweichung nicht in gutem Glauben ist ( B G H 11, 1).

A n m . 12 4. Weitere Voraussetzungen In dem Schweigen auf ein Bestätigungsschreiben kann ein Einverständnis jedoch nur dann gefunden werden, wenn anzunehmen ist, daß es der Empfänger so verstanden hat oder nach der Verkehrssitte so verstehen mußte, wie es vom Absender gemeint war ( R G 97, 195), das Bestätigungsschreiben muß deshalb eindeutig gefaßt sein ( R G J W 1938, 1902). Wenn ein A n t r a g d u r c h F e r n s p r e c h e r „als freibleibend" bezeichnet wurde und vom Annehmenden auch so verstanden wurde, dann braucht er dem Bestätigungsschreiben des Antragenden, in dem es heißt „Leistungsmöglichkeit vorbehalten" nur widersprechen, wenn er den Antrag nicht richtig verstanden oder den Vorbehalt nicht vernommen hat ( R G WarnRspr 1921 Nr. 138).

A n m . 13 5. Bezugnahme auf allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeine Geschäftsbedingungen, die bei den mündlichen Verhandlungen und im Bestätigungsschreiben nicht erwähnt sind, werden nicht schon dadurch verbindlich, daß sie auf der Rückseite des Bestätigungsschreibens abgedruckt oder diesem in einem besonderen Blatt beigefügt sind; der Handel erfordert klare und unzweideutige Erklärungen ( R G J W 1925, 779). Ist aber im Bestätigungsschreiben ausdrücklich auf die Geschäfts-, Lieferungs- oder Vertragsbedingungen Bezug genommen, so steht der Annahme dieser Bedingungen durch Schweigen auch der Umstand nicht entgegen, daß die Bedingungen dem Schreiben nicht beigefügt und dem Bestätigenden auch sonst nicht bekannt waren. Voraussetzung ist, daß der Bestätigende aus dem Schreiben erkennen konnte, der andere Teil wolle sie zum Vertragsinhalt machen ( B G H 7, 187). Bei Vertragspartnern, die in laufender Geschäftsverbindung stehen, muß aber auf eine Änderung in den allgemeinen Geschäftsbedingungen ausdrücklich hingewiesen werden ( R G SeufFArch 86 Nr. 169).

A n m . 14 6. Vertreter H a t ein von mehreren Gesamtvertretern (einer Genossenschaft) von dem Inhalt des Bestätigungsschreibens Kenntnis erlangt, dann genügt sein Schweigen als Zustimmung, auch wenn die übrigen Gesamtvertreter nichts erfahren und zwar auch dann, wenn der Vertreter das Schreiben unterschlagen hat ( R G SeufFArch 81 Nr. 197; B G H 20, 149). Ist der Vertragsantrag von einem nichtbefugten Vertreter des angeblichen Antragstellers ausgegangen, dann kann dessen Schweigen auf das ihm selbst zugegangene Bestätigungsschreiben des Antragsgegners, aus dem hervorgeht, daß dieser den Antrag als den des angeblichen Antragstellers angesehen hat, auch als Genehmigung der Vertretung gelten; diese anzunehmende stillschweigende Genehmigungserklärung ist dann aber anfechtbar ( R G 103, 98, 401). Die widerspruchslose Hinnahme eines Bestätigungsschreibens durch eine Aktiengesellschaft gilt auch dann als Annahme, wenn die vorausgegangene Abmachung von einem zur Alleinvertretung nicht befugten Vorstandsmitglied getroffen w a r ( R G J W 1938, 1902). H a t der Empfänger eines Bestätigungsschreibens durch sein Verhalten bei den Vertragsverhandlungen mit einem Vertreter dem Gegner (Vertretenen) berechtigten Anlaß gegeben zu der Annahme, daß ein Vertrag zustande gekommen ist, dann muß er dem Bestätigungsschreiben auch dann widersprechen, wenn der Vertreter arglistig gehandelt hat ( B G H 1 1 , 1).

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§ 147 Anm. 15, 16 § 148 Anm. 1

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 15 7. Auftragsbestätigung, „endgültige Bestätigung" Die für ein echtes Bestätigungsschreiben entwickelten Rechtsgrundsätze sind nicht auf den Fall einer sogenannten A u f t r a g s b e s t ä t i g u n g zu übertragen, mit der der Empfänger eine Bestellung das Vertragsangebot nur mit Abweichungen annimmt. Der Besteller ist in diesem Falle nicht verpflichtet, der sogenannten Auftragsbestätigung unverzüglich zu widersprechen; vielmehr kommt ein Vertrag nach Maßgabe der Auftragsbestätigung grundsätzlich nur zustande, wenn der Besteller die modifizierte Annahmeerklärung seinerseits annimmt ( B G H N J W 1955, 1794). Welche Bedeutung die Bitte um „endgültige Bestätigung" hat, ist eine Frage des Einzelfalles. Ist anzunehmen, daß der Verfasser des Schreibens davon ausging, eine vollständige Einigung sei bereits erzielt worden, dann kann seine ausgesprochene Bitte regelmäßig nur im Sinne eines Verlangens nach voller Gewißheit und nach einem urkundlichen Beweismittel verstanden und kann das Schweigen des Gegners auch nicht als Ablehnung des Vertragsabschlusses aufgefaßt werden (RG 104, 202). Wer eine schriftliche Bestätigung zu erwarten erklärt, bringt damit regelmäßig zum Ausdrucke, daß er bloßes Stillschweigen nicht als Annahme der Bestätigung ansehe, vielmehr im Schweigen eine Ablehnung finde (RG 103, 86). Vereinbaren die Parteien, für die Agenten den Vertrag bei der Börse abgeschlossen haben, demnächst die schriftliche Bestätigung, so sind die Bestätigungsschreiben nicht nur für die Nebenpunkte, sondern für den ganzen Vertrag maßgebend (RG J W 1922, 1675). Anm. 16 8. Anfechtung der Zustimmung Die im Schweigen auf ein Bestätigungsschreiben liegende Zustimmung kann von dem Empfänger des Bestätigungsschreibens nicht mit der Begründung angefochten werden, er habe sich über die Bedeutung des Schweigens in einem Irrtum befunden ( B G H 1 1 , 1 ; 27, 149, 154; aA R G 103, 4 0 1 ; 129, 347; 134, 1 9 5 ; vgl. auch Anm. 10 vor § 116).

§148 Hat der Antragende für die Annahme des Antrags eine Frist bestimmt, so kann die Annahme nur innerhalb der Frist erfolgen.

E I 82 II m; M I l68ff; P I n«. Ubersicht I. Anwendung I I . Fristsetzung I I I . Beweislast

Anm. I 2—4 5

Anm. 1 I. Anwendung Die gesetzlichen Bestimmungen für die Annahmefrist (§ 147) finden nur dann Anwendung, wenn der Antragende für die Annahme eine Frist nicht bestimmt hat. Die gewillkürte Annahmefrist begrenzt nicht nur die Annahmefähigkeit, sondern auch die Gebundenheit des Antragenden. Die Fristsetzung kann auf verschiedene Weise erfolgen. Wird ein bestimmter Termin genannt, etwa „bis zum 3 1 . Oktober", dann gehört dieser Tag im Zweifel noch mit zur Frist (RG 92, 2 1 0 ; 105, 420). Die Fristberechnung erfolgt im übrigen gemäß § 186 ff. Wegen eines Vertragsantrages unter der Bedingung „umgehende Antwort" s. R G L Z 1924, 648. Die Frist kann vom Antragenden beliebig verlängert werden. Bedurfte der befristete Antrag der n o t a r i e l l e n F o r m , so muß auch die Verlängerung der Annahmefrist durch den Antragenden in dieser Form vorgenommen werden (RG J W 1928, 649).

514

Vertrag

§ 148 Anm. 2—5 §149

Anm. 2 II. Fristsetzung Bei Abkürzung der gesetzlichen Frist

muß die Fristsetzung zugleich oder vor der Antragstellung erklärt werden. Bei nachträglicher Fristsetzung muß sie aber gleichzeitig mit dem Antrag zugehen ( R G J W 1928, 649). Im Zweifel ist hierbei davon auszugehen, daß die Frist nur dann als gewahrt gelten soll, wenn die Antwort dem Antragsteller innerhalb der Frist z u g e g a n g e n ist und nicht schon dann, wenn die Antwort innerhalb der Frist a b g e g a n g e n ist ( R G 53, 5g; 49, 1 3 2 ; R G WarnRspr 1908 Nr. 1 8 7 ; 1 9 1 2 Nr. 152). J e d e Ü b e r s c h r e i t u n g d e r A n n a h m e f r i s t b e d e u t e t A b l e h n u n g d e s A n t r a g e s ( B G H L M Nr. 1 zu § 150 = N J W 1 9 5 1 , 3 1 3 für Versicherungsantrag). Wenn der Antragsgegner eine neue Frist verlangt, dann handelt es sich um einen neuen Antrag mit Fristsetzung. Hat der Empfänger einer Annahmeerklärung deren rechtzeitigen Zugang schuldhaft verhindert, dann gilt die Annahmeerklärung gleichwohl als rechtzeitig zugegangen (vgl. Anm. 14 und 1 5 zu § 130 und Anm. 2 zu § 146). Wird durch eine vom Antragenden nicht verschuldete Störung an seinem Fernsprecher die rechtzeitige Annahme seines befristeten Antrages verhindert, so geht dies zu Lasten des Antragsgegners ( R G SeufTArch 80 Nr. 175).

Anm. 3 H a t der Antragende die Gebundenheit an seinen Antrag davon abhängig gemacht, daß der Antragsgegner in bestimmter Frist (sofort) eine bestimmte Handlung vornehme, dann kommt bei Nichteinhaltung der Bedingung ein Vertrag nicht zustande, und zwar gleichgültig, ob die Verzögerung durch den Antragsgegner verschuldet wurde oder nicht und ohne daß es eines Widerrufes bedarf ( R G 48, 179). Schickt zum Beispiel ein Lotterieunternehmer seinem Kunden unter Verrechnung mit einem Gewinn formularmäßig ein Ersatzlos mit der Bitte zu, den vorgedruckten Annahmeschein einzusenden, oder noch am gleichen T a g das Ersatzlos zurückzusenden, so kann in der bloßen Untätigkeit des Kunden grundsätzlich keine Annahme gesehen werden. Z u einem Vertragsabschluß durch schlichte Annahme kann es nur kommen, wenn der Lotterieeinnehmer durch sein Verhalten in früheren gleichgelagerten Fällen in dem Kunden den Eindruck hervorgerufen hat, daß er auch mit einem Vertragsabschluß dieser Art einverstanden sei ( B G H L M Nr. 2 zu § 148 = N J W 1957, 1 1 0 5 ) .

Anm. 4 A u c h nach Ablauf der Annahmefrist kann unter besonderen Umständen ein V e r trauensverhältnis fortbestehen, kraft dessen f ü r Verschulden beim Vertragsabschluß für den Abschlußgehilfen (Agenten) gehaftet wird; das gilt auch im Versicherungsrecht (RG 147, 103). Nicht unter § 148 gehört der Fall, daß ein K a u f unter der Bedingung nachträglicher Einigung über den Preis zustande gekommen ist. Der Verkäufer kann daher dem K ä u f e r nicht eine Frist zur Erklärung des Einverständnisses über den verlangten Preis bestimmen ( R G 2. 4. 1924 I 285/22). Vgl. § 5 1 6 Abs. 2, wonach Schweigen innerhalb der gesetzten Frist als Annahme gilt.

Anm. 5 III. Beweislast Behauptet der Antragsgegner, daß im gegebenen Fall einer Fristsetzung nicht die Bedeutung der zeitlichen Begrenzung der Annahmefähigkeit des Antrages beigemessen worden ist,dann hat er für diese Behauptung die B e w e i s l a s t (RG76,366; RGJW 1 9 1 2 , 1 3 3 ; R G Gruchot 57, 148; R G SeufTArch 75 Nr. 4). Uber die Beweislast bei Streit darüber, ob der Antrag befristet war, vergleiche R G SeufTArch 80 Nr. 72.

§149 Ist eine dem Antragenden verspätet zugegangene Annahmeerklärung dergestalt abgesendet worden, daß sie bei regelmäßiger Beförderung ihm rechtzeitig zugegangen sein würde, und mußte der Antragende dies erkennen, so 515

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte §149 Anm. 1—3 hat er die Verspätung dem Annehmenden unverzüglich nach dem Empfange der Erklärung anzuzeigen, sofern es nicht schon vorher geschehen ist. Verzögert er die Absendung der Anzeige, so gilt die Annahme als nicht verspätet. E I 8j II 122; M I l7off; P i Ii. Übersicht I. Allgemeines II. Anzeigeobliegenheit III. Bedeutung der Verspätungsanzeige

Asm. . I . 2

• 3

Anm. 1 I. Allgemeines Die §§ 149, 150 behandeln die f e h l e r h a f t e A n n a h m e . Der Mangel kann begründet

sein durch verspäteten Zugang (§150 Abs. 1), oder durch den Inhalt der Annahmeerklärung selbst (§ 150 Abs. 2). In beiden Fällen ist die fehlerhafte Annahme als n e u e r A n t r a g anzusehen, auf den dann wiederum die Grundsätze der §§ 1 4 5 f r anzuwenden sind. Die Voraussetzungen der Verspätung sind in den §§ 147, 148 geregelt. Eine inhaltlich fehlerfreie Annahme liegt nur bei vorbehaltloser Bejahung des Angebots vor ( R G 27. g. 1911 II 160/07), andernfalls enthält die Erklärung zugleich eine Ablehnung des Antrags. Eine A u s n a h m e von dem Grundsatz, daß die v e r s p ä t e t e Annahme eine A b lehnung des Angebots, verbunden mit einem neuen Antrag darstellt, ist in § 149 enthalten. Ist der verspätete Zugang der Annahmeerklärung nicht auf ein Verhalten des Annehmenden, sondern auf V e r z ö g e r u n g e n i n d e r B e f ö r d e r u n g zurückzuführen, und hätte der Antragende das erkennen müssen, dann gilt die Annahme als rechtzeitig zugegangen, wenn der Empfänger die Verspätung nicht unverzüglich (120 Abs. 1) nach dem Empfang der Erklärung oder schon vorher dem Absender (Annehmenden) anzeigt.

Anm. 2 II. Anzeigeobliegenheit Die Fiktion des rechtzeitigen Zugangs der Annahmeerklärung greift nur Platz, wenn die Annahmeerklärung rechtzeitig abgesandt war und dem Antragenden überhaupt, wenn auch erst nach Ablauf der Annahmefrist zugegangen ist. Ferner ist Voraussetzung, daß die Verzögerung ausschließlich durch Unregelmäßigkeiten der Beförderung verursacht wurde. Dies ist nur anzunehmen, wenn der Annehmende die üblichen Beförderungsmittel für die Übersendung seiner Erklärung benutzt (Post) und dort die Verzögerung eingetreten ist. Schließlich ist Voraussetzung, daß der Antragende bei Anwendung der erforderlichen Aufmerksamkeit hätte erkennen können, daß die Anzeige rechtzeitig abgesandt und die Verzögerung nur auf Unregelmäßigkeiten bei der Beförderung zurückzuführen ist.

Anm. 3 III. Die Bedeutung der Verspätungsanzeige Die Verspätungsanzeige muß erkennen lassen, daß die Annahmeerklärung dem Antragenden verspätet zugegangen ist. Es genügt nicht, daß der Antrag aus anderen Gründen als erloschen erklärt wird ( R G 105, 255). Die Anzeige ist keine empfangsbedürftige Willenserklärung, da nach dem Gesetz zur Abwendung der angedrohten Folge schon die ( r e c h t z e i t i g e ) A b s e n d u n g der Erklärung genügt. V o n einer V e r p f l i c h t u n g zur Anzeige ist nicht zu reden. Das Gesetz knüpft an die Unterlassung der Erklärung nur die Fiktion des rechtzeitigen Zugangs der Annahme.

516

Vertrag

§149 Anm. 4 § 1 5 0 A n m . 1—3

Anm. 4 4. Beweislast Der Antragsgegner, der die Fiktion der Rechtzeitigkeit f ü r sich geltend machen will, hat nur deren Voraussetzung zu beweisen. Der Antragende dagegen, der alsdann die Anwendbarkeit der Fiktion von sich abwenden will, weil er rechtzeitig die erforderliche Anzeige erstattet habe, hat hierfür die Beweislast ( R G 53, 62; streitig).

§150 Die verspätete Annahme eines A n t r a g s gilt als neuer A n t r a g . Eine A n n a h m e unter Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen gilt als Ablehnung, verbunden m i t einem neuen Antrage. E I 88 Abs. 1, 3; M I 175; P I 86.

Ubersicht Anm.

I. Die verspätete Annahme 1. Grundsatz 2. Ausnahmen 3. Der neue Antrag I I . Annahme unter Änderungen

1—3 1 2 3 4—6

Anm. 1 I. Die verspätete Annahme 1. Grundsatz Der Grundsatz, wonach die verspätete Annahme als n e u e r A n t r a g anzusehen ist, gilt auch dann, wenn der Antragsgegner das Angebot durch nachträgliche Leistung dessen, was dem Antrag an sich entsprach, v e r s p ä t e t a n g e n o m m e n hat. Ein Vertrag kommt auch in diesem Falle erst zustande, wenn der Antragende seinerseits das neue Angebot des Annehmenden angenommen hat ( R G 3 . 4 . 1907 V 406/06). Auch ein Bestätigungsschreiben, das dem Zwecke dienen sollte, ein nach der Meinung des Schreibenden mündlich abgeschlossenes Geschäft zu bestätigen, während der Vertrag in Wirklichkeit nicht zustande gekommen war, kann als ein neues Vertragsangebot gelten ( R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 4 2 2 ; vgl. hierzu Anm. 15 zu § 147).

Anm. 2 2. A u s n a h m e n Ob bei einer längeren Annahmefrist e i n e k u r z e Ü b e r s c h r e i t u n g d e r F r i s t alsAblehnung auzufassen ist, ist Auslegungsfrage ( R G H R R 1925, Nr. 1559). Bei V e r s i c h e r u n g s v e r t r ä g e n bedeutet jede auch nur geringfügige Überschreitung der Annahmefrist eine Ablehnung des Versicherungsantrages ( B G H L M Nr. 1 zu § 150 = N J W 1951, 3 1 3 , vgl. § 148 Anm. 2). Der Grundsatz des § 150 Abs. 1 kommt ferner nicht zur Anwendung, wenn der Antragende bei gewillkürter Annahmefrist (§ 148) die Frist in unklarer Weise bestimmt hat und trotz verspäteter Annahme den Vertrag bestätigt. In diesem Fall kann der Antragende die Verspätung nicht noch nachträglich geltend machen, weil er durch die Bestätigung zu erkennen gegeben hat, daß er die Annahme als rechtzeitig erfolgt gelten lassen wolle ( R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 423).

Anm. 3 3. Der neue A n t r a g Auf den in der verspäteten Annahme liegenden neuen Antrag finden die Grundsätze der §§ 145 fr Anwendung. Es bedarf somit wiederum der Annahme seitens des ursprünglichen Antragenden. Diese Annahme kann auch s t i l l s c h w e i g e n d erfolgen ( R G 103, 1 2 ; R G H R R 1929, Nr. 1 5 5 9 ; R G SeuffArch 77, Nr. 1 1 2 ) . Ein Schweigen des ursprünglichen Antragstellers auf den in der verspäteten Annahme liegenden neuen 34

Komm. 2. BGB. 1 1 . Aufl. I. Bd. (Kruger-Nieland)

517

§150 A n m . 4, 5

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Antrag ist jedenfalls dann als Einverständnis mit dem Vertragsabschluß zu werten, wenn keine Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer Änderung seiner sachlichen Entschließung nahelegen (RG H R R 1929 Nr. 1559). Dies gilt auch für das Schweigen auf die verspätete Annahme eines Versicherungsantrages (BGH L M Nr. 1 zu § 150 = NJW 1951, 313). Bei verspäteter, aber unveränderter Annahme ist für die Berechnung der dem ersten Antragenden zu belassenden Frist zur Beantwortung zu beachten, daß seine Entschließung regelmäßig nicht die gleichen Überlegungen erfordern wird, wie ein sachlich neuer Antrag (RG H R R 1929 Nr. 1559). Schweigt der Empfänger einer verspäteten Annahmeerklärung nach deren Eingang länger als nach Treu und Glauben zu erwarten gewesen wäre, dann gilt der in der verspäteten Annahme liegende Antrag als in dem Zeitpunkt zugegangen, in welchem der Gegner eine ablehnende Antwort erwarten durfte (RG 103, 12; RG SeuffArch 77 Nr. 112). Anm. 4 II. A n n a h m e unter Änderungen Eine veränderte A n n a h m e liegt vor, wenn das Angebot nicht vorbehaltlos ang e n o m m e n , sondern die Annahmeerklärung Erweiterungen, Einschränkungen, Bedingungen, Befristungen oder ähnliche Abänderungen enthält (RG 92, 232). Aber nicht jeder Zusatz bei der Annahme bedeutet eine Änderung im Sinne von § 150 Abs. 2. Ist eine Annahmeerklärung trotz Hinzufügung einer Änderung nach Treu und Glauben als u n b e s c h r ä n k t e Annahme aufzufassen, so kann § 150 nicht zur Anwendung kommen (RG J W 1908, 4). Sucht z. B. der Gläubiger nach Empfang einer seinen Wünschen nicht völlig entsprechenden Bürgschaftserklärung eine Erweiterung der Bürgschaft zu erreichen, so braucht darin nicht eine Ablehnung der geringeren Bürgschaft im Sinne des § 150 Abs. 2 zu liegen (RG J W 1931, 1181). Erreicht der Gläubiger die von ihm erstrebte Verstärkung der ihm geleisteten Bürgschaft nicht, so bleibt es bei der einfachen Bürgschaft; § 139 greift nicht Platz (RG 14. 11. 1932 V I I I 327/32). Hat der Antragsgegner bei der Annahmeerklärung einen Vorbehalt gemacht, hat darauf der Antragende dem Vorbehalte widersprochen, und der Antragsgegner hierauf geschwiegen, so ist anzunehmen, daß er den Vorbehalt aufgegeben hat (RG WarnRspr 1918 Nr. 178). Wird eine größere Menge angenommen, als angeboten war, so liegt darin nicht schlechthin die Annahme der angebotenen geringeren Menge, etwa mit der Aufforderung, noch eine weitere Menge zu der gleichen Bedingung zu liefern. Die besonderen Umstände des Falles können jedoch eine solche Auslegung rechtfertigen; (RG J W 1925, 236). Uber die Annahme einer Teilmenge bei größerem Angebot s. O L G 44, 130. Wegen der Ablehnung eines Vertragsantrages oder Verlängerung der Annahmefrist vgl. RG WarnRspr 1931 Nr. 58. Anm. 5 Eine veränderte Annahme liegt auch vor, wenn der Empfänger eines Angebotes, dem der Antragsteller seine G e s c h ä f t s b e d i n g u n g e n zugrunde gelegt hat, bei der Annahmeerklärung auf seine eigenen Lieferungsbedingungen verweist (BGH L M Nr. 2 zu § 150 = BB 1952, 238). Die G r u n d s ä t z e von T r e u und G l a u b e n , die auch im Rahmen des § 150 Abs. 2 anzuwenden sind, erfordern, daß der Empfänger eines Angebotes seinen abweichenden Willen u n z w e i d e u t i g zum Ausdruck bringt. Tut er dies nicht, so ist seine Annahme als u n b e s c h r ä n k t e anzusehen und der Vertrag kommt mit den im Angebot enthaltenen Bedingungen zustande, auch wenn der Antragende der Annahmeerklärung die den Abänderungswillen kaum erkennen ließ, nicht widersprochen hat (BGH L M Nr. 2 zu § 150 = 6 6 1 9 5 2 , 2 3 8 ) . Wird dagegen der a b w e i c h e n d e W i l l e , nämlich nicht zu den Verkaufs- und Lieferungsbedingungen des Antragenden, sondern zu den eigenen Bedingungen abschließen zu wollen, u n z w e i d e u t i g zum Ausdruck gebracht, dann handelt es sich um eine veränderte Annahme, auf die § 150 Abs. 2 anzuwenden ist. Nimmt der Antragende diese Annahmeerklärung widerspruchslos hin, dann kommt der Vertrag mit den Verkaufs- und Lieferungsbedingungen des Annehmenden zustande (BGH L M Nr. 3 zu § 150 = M D R 1954, 733; B G H L M Nr. 5 zu § 150 = BB 1957, 951).

518

Vertrag

§ 150 Anm. 6

§ 151 Anm. 1 Anm. 6 Eine sog. „ A u f t r a g s b e s t ä t i g u n g " , mit der der Empfänger einer Bestellung die Bestellung annimmt, ist keine Bestätigung eines bereits geschlossenen Vertrages (vgl. Anm. 15 zu § 147),sondern eine A n n a h m e e r k l ä r u n g . Enthält die Auftragsbestätigung A b w e i c h u n g e n vom Angebot, so ist der Besteller nicht verpflichtet, ihr unverzüglich zu widersprechen. Ein Vertrag nach Maßgabe der Auftragsbestätigung kommt vielmehr nur zustande, wenn der Besteller die in ihr liegende modifizierte Annahmeerklärung, die einen neuen Vertragsantrag darstellt, seinerseits annimmt (BGH 18, 212).

§151 Der Vertrag kommt durch die Annahme des Antrags zustande, ohne daß die Annahme dem Antragenden gegenüber erklärt zu werden braucht, wenn eine solche Erklärung nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder der Antragende auf sie verzichtet hat. Der Zeitpunkt, in welchem der Antrag erlischt, bestimmt sich nach dem aus dem Antrag oder den Umständen zu entnehmenden Willen des Antragenden. E I 86 II 124; M 1 171 ff; P I 81 ff.

Üb ersieht Anm.

I. Bedeutung der Vorschrift II. Die Verkehrssitte 1. Begriff 2. Einzelfälle III. Der Verzicht IV. Die Annahmefrist

1, 2 3—5 3 4, 5 6 7

Anm. 1 I. Bedeutung der Vorschrift Die Vorschrift macht eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß ein Vertrag nur zustande kommt, wenn die Annahmeerklärung dem Gegner zugegangen ist. § 151 setzt aber ebenfalls voraus, daß der Annahmewille irgendwie durch schlüssige und unzweideutige Handlungen, die allerdings nicht dem Antragenden gegenüber vorgenommen zu werden und auch zunächst nicht zu seiner Kenntnis zu gelangen brauchen, äußerlich in Erscheinung getreten ist (RG 84, 320; 90, 434; R G WarnRspr 1919 Nr.131; 1922, Nr. 125; R G J W 1914,241; R G H R R 1928 Nr.2260). Die Vorschrift setzt weiter voraus, daß eine Annahmeerklärung nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder der Antragende darauf verzichtet hat (s. Anm. 3 u. 6). Die Annahme ist aber stets, auch bei § 151, eine Willenserklärung, sie kann daher w e g e n W i l l e n s m a n g e l a n g e f o c h t e n w e r d e n . Eine Annahme durch schlüssiges Verhalten ist z. B. die A n e i g n u n g einer zum Kauf angebotenen Ware ( R G J W 1900, 297), oder das Bewirken der vom Antragsgegner erbetenen Leistung, z. B. sofortige Lieferung der bestellten Ware (RG 102, 372), oder die Überweisung eines bestimmten Betrages auf das Postscheckkonto eines Dritten (RG 129, 109). Erforderlich ist auch hier, daß die Annahme mit dem Antrag übereinstimmt. Uber den käuflichen Erwerb unverlangt übersandter Waren vgl. § 146 Anm. 3. Eine Handlung, die der Antragsgegner nicht in der Absicht und nicht mit dem Willen zur Annahme eines Angebotes vornimmt, ist grundsätzlich nicht geeignet, den Vertrag zustande zu bringen, da es an einem Geschäftswillen fehlt. Ein Verhalten aber, das nach Treu und Glauben als Ausdruck der Annahme verstanden werden muß, muß der Antragsempfänger auch in diesem Sinne gegen sich gelten lassen. (Vgl. Näheres über Schweigen im Rechtsverkehr Anm. 2 zu § 147, Anm. 5—8 vor §116 und Anm. 11 vor § 145 u. BGH 21, 31g; 23, 175, über Vertragsabschluß auf Grund sog. sozialtypischen Verhaltens). In dem Schweigen auf ein Angebot, das auf Grund einverständlicher und »4'

519

§151 Anm. 2—4

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

alle wichtigen Punkte betreffenden Vorverhandlungen ergeht, ist daher in der Regel eine stillschweigende Annahme zu sehen, sofern nicht nach den Umständen des Falles der Antragsgegner eine solche stillschweigende Annahmeerklärung ausschließen wollte oder mit einer inzwischen eingetretenen Änderung seiner Willensbildung zu rechnen ist ( B G H L M Nr. 2 zu § 1 5 1 = BB 1955, 1073). Andererseits kann in der Untätigkeit auf ein Angebotsschreiben zum K a u f e i n e s E r s a t z l o s e s , in welchem der Antragsgegner aufgefordert wurde, das Ersatzlos noch am gleichen T a g e zurückzusenden, grundsätzlich eine Annahmeerklärung nicht erblickt werden. Es kann aber zu einem Vertragsschluß kommen, wenn der Antragende (Lotterieeinnehmer) durch sein Verhalten in früheren gleichgelagerten Fällen in dem Antragsgegner den Eindruck hervorgerufen hat, daß er auch mit einem Vertragsschluß dieser Art einverstanden ist ( B G H L M Nr. 2 zu § 148 = N J W 1957, 1 1 0 5 ; vgl. auch § 148 Anm. 3).

Anm. 2 Der Vertrag muß im Falle des § 1 5 1 als in demjenigen Zeitpunkt abgeschlossen gelten, in welchem die Annahme erfolgt ist, nicht in demjenigen, in welchem der Antragende von der Annahme erfährt ( R G 36, 323). V o n diesem Zeitpunkt an kann von keinem der beiden Vertragsparteien widerrufen werden. Als O r t des Vertragsschlusses ist derjenige anzusehen, in welchem die Annahme erfolgt ist ( R G 62, 381).

Anm. 3 II. Die Verkehrssitte 1. Begriff Für die Anwendbarkeit des § 1 5 1 genügt nicht, daß nach der besonderen L a g e des Falles eine Erklärung der Annahme nicht zu erwarten ist, vielmehr muß eine dahingehende Verkehrssitte bestanden haben (RG J W 1909, 720). Für die Frage, was Verkehrssitte ist, sind insbesondere die A n s c h a u u n g e n des H a n d e l s v e r k e h r s maßgebend. Es handelt sich hierbei um Auffassungen des Geschäftslebens, die von den Beteiligten allgemein geteilt werden (vgl. R G 1 1 4 , 9; 1 3 5 , 340; B G H N J W 1957, 1 1 0 5 ) . Die Fälle, in denen nach der Verkehrssitte eine Annahmeerklärung nicht zu erwarten ist, sind sehr verschieden und zahlreich.

Anm. 4 2. Einzelfälle I m bloßen B e h a l t e n e i n e r u n b e s t e l l t e n W a r e liegt keine Annahme. Es besteht auch keine besondere Verpflichtung, die Ware zurückzusenden oder zu verwahren (vgl. hierzu Anm. 3 zu § 146). Eine Annahme ist erst dann anzunehmen, wenn der E m p fänger sich die Ware aneignet, indem er sie in Gebrauch nimmt (RG 102, 273). Bei einer d a u e r n d e n G e s c h ä f t s v e r b i n d u n g kann aber schon im Behalten der Ware eine Annahme liegen; dies gilt aber dann nicht, wenn bei der Zusendung eine neue Bedingung gestellt wurde (RG 48, 175). Bei einer u n e n t g e l t l i c h e n Zusendung oder einem Schulderlaß wird nach der Auffassung des Lebens eine besondere Annahmeerklärung nicht erwartet; die Zustimmung gilt hier als selbstverständlich ( R G 1 9 . 4 . 1907 V I I , 348/06; R G J W 1 9 1 1 , 87; 1 9 3 1 , 1353). Gleiches gilt bei dem schriftlichen Anerkenntnis einer Forderung und bei einer kumulativen Schuldübernahme ( R G SeuffArch 79 Nr. 89). Eine Annahmeerklärung wird nach der Verkehrssitte auch dann nicht zu erwarten sein, wenn es sich u m Geschäfte handelt, die nach Zweck und Inhalt e i l i g sind. Steht eine Bank mit einem Kunden in dauernder Geschäftsverbindung und handelt es sich um ein wichtiges Geschäft, das auch große Eile erfordert, dann muß beim Schweigen des Kunden auf einen Antrag der Bank Zustimmung angenommen werden. Der Widerspruch muß in solchen Fällen auch telegraphisch oder mittels Fernsprecher erklärt werden ( R G 87, 143). — Stehen künftige Vertragsparteien unter K o n t r a h i e r u n g s z w a n g , so kann nach Treu und Glauben schon in dem bloßen Stillschweigen des Lieferungsverpflichteten auf eine dringende Anforderung des Bezugsberechtigten der Vertragsschluß liegen ( O G H 2, 352).

520

Vertrag

§151

A n m . 5—7 Bei der Schenkung gilt nach § 5 1 6 Abs. 2 Nichtablehnung innerhalb der Frist als Annahme. Bei einer schenkungsweise abgeschlossenen Lebensversicherung zugunsten eines Dritten bedarf es zum Zustandekommen der für die Schenkung erforderlichen Einigung über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung jedoch keiner Annahmeerklärung des Bezugsberechtigten gegenüber dem Versicherungsnehmer oder seinen Erben ( R G J W 1 9 3 1 , 1353)- I m übrigen aber besteht im Versicherungsrecht keine Verkehrssitte, nach der eine Annahmeerklärung nicht zu erwarten ist. Die an ein Registergericht gerichtete Beitrittserklärung als Mitglied einer Genossenschaft kann als stillschweigende Genehmigung des Beitritts durch den Vorstand gelten (RG 60, 4 1 a ) .

Anm. 5 Tritt der Schuldner eine Forderung zahlungshalber an den Gläubiger eines Gläubigers ab, dann ist die Annahme des Zahlungsangebots durch den ersteren ohne weiteres anzunehmen (RG go, 434). Zum Zustandekommen einer die Übergabe des Hypothekenbriefs ersetzenden Vereinbarung gemäß 1 1 1 7 Abs. 2 ist die Annahmeerklärung des Erwerbers nicht notwendig, wenn die ihm zugesandte Urkunde die Erklärung des Hypothekenbestellers enthält, daß der zu bildende Hypothekenbrief dem Erwerber ausgehändigt werden solle, und wenn der Hypothekenbestellung (oder -abtretung) eine darüber zuvor getroffene Verabredung zugrunde liegt, oder wenn der Gläubiger die ihm übersandte Urkunde an das Grundbuchamt mit seinem Antrage weitergibt ( R G 93, 248). Auch in der nur einseitigen Erklärung des Verkäufers in seinem Bestätigungsschreiben kann die Zusicherung von Eigenschaften der Kaufsache gefunden werden (RG 95, 120).

Anm. 6 III. Der Verzicht Der Verzicht auf die Annahmeerklärung kann ausdrücklich oder stillschweigend erklärt werden. E r bedarf keiner Annahme durch den Antragsgegner. Ein stillschweigender Verzicht liegt z. B. dann vor, wenn bei einem Kaufmann Waren zur schleunigen Lieferung bestellt oder einem mit der Besorgung fremder Geschäfte Befaßten schleunige Aufträge erteiltwerden ( R G 8 4 , 3 2 3 ; R G J W 1 9 1 3 , 1 1 4 5 ) . Wer starken Preisschwankungen ausgesetzte Waren „als express" bestellt, verzichtet auf eine Annahmeerklärung, und der Absender der Ware ist mit der Absendung derart an den so zustande gekommenen Vertrag gebunden, daß er sich auch durch einen Widerruf bei der Post nicht mehr befreien kann ( R G 102, 372). Wenn der Verkäufer einer beweglichen Sache diese dem K ä u f e r ohne eine Bedingung zu stellen, übersendet und der Käufer die Sache annimmt, geht das Eigentum auf ihn über, ohne daß der K ä u f e r dem Verkäufer gegenüber noch eine Erklärung abgibt ( R G 64, 145). Liefert der Verkäufer mehr gleichartige Waren, als bestellt waren, dann liegt insoweit ein Vertragsangebot mit einem Verzicht auf eine Annahmeerklärung vor, und es kann unter besonderen Umständen (so, wenn die Ware dem Verderben ausgesetzt ist) schon in dem Schweigen des Käufers während auch nur einer verhältnismäßig kurzen Frist die Annahme des Angebots gefunden werden ( R G L Z 1 9 1 9 , 966). In der Zahlung der ersten Prämie ist kein Verzicht des Antragstellers auf Zugang der Annahmeerklärung des Versicherers über den Abschluß des beantragten Versicherungsvertrages zu sehen ( B G H L M Nr. 1 zu § 150 = N J W 1 9 5 1 , 313)- Über Vertragsabschluß durch stillschweigende Annahme von Vertragsangeboten, wenn nach den besonderen Umständen des Falles angenommen werden kann, daß die Beteiligten untereinander auf Zugang zustimmender Erklärungen verzichtet haben, vgl. O G H 4, 66 = M D R 1950, 541 (Änderung eines Gesellschaftsvertrages).

Anm. 7 IV. Annahmefrist Die Frist für die Annahme (nicht für die Erklärung) und damit zugleich für die Gebundenheit des Antragstellers bestimmt sich in erster Linie aus der i m A n t r a g e hierüber ausdrücklich getroffenen Bestimmung; sonst nach dem mutmaßlichen, a u s

521

§ \ 52

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 1, 2 d e n U m s t ä n d e n zu entnehmenden Willen des Antragenden. Mit Ablauf der Frist erlischt der Antrag (vgl. Anm. i zu § 146). In der Regel wird es sich um Fälle handeln, in denen eine sofortige Leistung erwünscht war. In solchen Fällen anderseits, in denen eine Fristsetzung nicht erfolgt und auch nicht einmal aus den Umständen zu entnehmen ist, wird anzunehmen sein, daß der Antragende eine Frist überhaupt nicht hat setzen wollen und daß er daher bis zur Ablehnung des Antrags durch den Antragsgegner gebunden bleibt ( R G 17. 2. 1917 V 339/16); mit der Maßgabe freilich, daß der Antragende noch nachträglich bis zur Erklärung des Gegners eine Frist bestimmen kann, um eine Entscheidung herbeizuführen (vgl. hierzu aber auch Anm. 5 ff zu § 147). — Geltungsdauer eines Angebots bei gerichtlicher Versteigerung, wenn eine Frist für die Annahme nicht gesetzt ist, s. R G L Z 1926, 437.

§ 1 5 3 Wird ein Antrag gerichtlich oder notariell beurkundet, ohne daß beide Teile gleichzeitig anwesend sind, so kommt der Vertrag mit der n a c h § 128 erfolgten Beurkundung der Annahme zustande, wenn nicht ein anderes bestimmt ist. Die Vorschrift des§ 151 Satz 2 findet Anwendung. E II 124a; P ? 4 3 9 f r .

Ubersicht Anm. I. Bedeutung der Vorschrift II. Ausnahmen III. Beweislast

. I . 2

• 3

Anm. 1 I. Bedeutung der Vorschrift Die Vorschrift ist, wie § 151 Abs. 1, eine A u s n a h m e von d e m G r u n d s a t z , daß der Vertrag erst durch und in dem Zeitpunkt des Z u g e h e n s der Annahmeerklärung an den Antragenden wirksam wird. Im Falle der öffentlichen Beurkundung kommt der Vertrag im Zweifel im Zeitpunkt der Beurkundung der Annahme zustande ( R G 68, 393; R G J W 1909, 139), und zwar auch ohne daß der Antragende hiervon Kenntnis erhält. Einen Anspruch auf Benachrichtigung von der Annahme hat der Antragende nicht. Der beurkundende Notar kann zugleich die eine Partei bei der Entgegennahme des Antrages vertreten ( R G 49, 127), so daß die Erklärung in diesem Fall der Partei selbst als zugegangen gelten muß. Die Vorschrift findet Anwendung in den Fällen, in denen die gerichtliche oder notarielle Beurkundung durch Gesetz bestimmt oder von den Parteien vereinbart worden ist (vgl. Anm. zu § 128). § 1750, wonach ein K i n d e s a n n a h m e v e r t r a g nicht durch einen Stellvertreter geschlossen werden kann, schließt nur die S t e l l v e r t r e t u n g in d e r W i l l e n s b i l d u n g aus. Im übrigen ist dieser Vorschrift nur zu entnehmen, daß entgegen der Regel, von der § 152 ausgeht, Antrag und Annahme nicht getrennt beurkundet werden können ( B G H 5, 344, 349). § 152 greift auch Platz bei Beurkunden durch eine nach Landesrecht zuständige Behörde ( R G 68, 393; 72, 412).

Anm. 2 II. Ausnahmen V o n der Regel des § 152 können abweichende Bestimmungen getroffen werden. Dies ist z. B. der Fall, wenn eine Frist für die Annahme gesetzt wurde ( R G 49, 131). Ist in einem notariellen Vertragsantrag nur gesagt, daß der Antrag bis zu dem angegebenen Zeitpunkte verbindlich sein sollte, dann spricht viel dafür, daß der Antragsteller zu erkennen gegeben hat, er wolle bis zu dem Endtermine Gewißheit über die erfolgte Annahme haben. Regelmäßig ist daher im Falle solcher Fristsetzung auch anzunehmen, daß das Zustandekommen des Vertrags auch davon abhängt,

522

Vertrag

§152 Anm. 3 § 153 Anm. 1

daß die Annahmeerklärung dem Antragenden innerhalb der Frist zugegangen ist, oder daß er sonst von ihr wenigstens zuverlässige Kenntnis erhalten hat. Ob die dem Antragenden zuteil gewordene Mitteilung von der formgerechten Vertragsannahme eine zuverlässige war, ist nach den Umständen des Falles zu entscheiden. Daß die Benachrichtigung durch einen Dritten erfolgte, schließt die Zuverlässigkeit nicht aus. Hatte der Antragende eine Mitteilung erhalten, die er selbst als zuverlässig ansehen konnte und angesehen hat, dann verlangen es Treu und Glauben, falls ihm doch noch Zweifel kommen, daß er solche kundtut (RG 96, 275). Vgl. auch R G 49, 1 3 2 ; 76, 366; R G WarnRspr 1912 Nr. 1 5 2 ; R G Gruchot 57, 148, 925; 60, 1 2 1 ; R G 13. 7. 1 9 1 2 V 99/12; 1. 4. 1914 V 5 1 4 / 1 3 , wonach namentlich angenommen ist, daß eine zuverlässige Bekanntgabe der erfolgten Vertragsannahme genügt. Aber schließlich bleibt es immer Auslegungssache, was mit der Erklärung hat bestimmt werden sollen (RG WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 1 5 2 ; R G Gruchot 60, 925). Gegenstand der Auslegung muß natürlich die die Festsetzung enthaltende Urkunde sein, und dabei kommt es entscheidend nicht darauf an, was der Antragende für sich etwa gewollt hat, sondern darauf, wie seine urkundliche Erklärung nach Treu und Glauben zu verstehen war (RG 96, 275). Hat derjenige, welchem der Vertrag eine befristete Rechtsausübung einräumt, alles getan, was nach den Verhältnissen von ihm erwartet werden konnte, um seine Erklärung rechtzeitig zugehen zu lassen, und lag die Verspätung des Zugangs nur an Umständen, die in der Person des Erklärungsempfängers lagen, dann kann dieser die Verspätung als solche nicht geltend machen (RG 95, 3 1 7 ; R G J W 1919, 569). Anm. 3 III. Beweislast Die Beweislast hat derjenige, der behauptet, die Fristsetzung habe nicht die Bedeutung gehabt, daß der Antragsgegner von der Annahme innerhalb der Frist auch Kenntnis erhalten haben müsse (RG WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 354).

§153 Das Zustandekommen des Vertrags wird nicht dadurch gehindert, daß der Antragende vor der Annahme stirbt oder geschäftsunfähig wird, es sei denn, daß ein anderer Wille des Antragenden anzunehmen ist. E I 89 II I2J; M 1 175ff; P i 86ff. Übersicht I. Tod oder Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des Antragenden II. Tod oder Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des Antragsgegners I I I . Entsprechende Anwendung

Anm. . I . 2 •

3

Anm. 1 I. Tod oder Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des Antragenden Stirbt der Antragende oder wird er geschäftsunfähig, nachdem er das Angebot a b g e g e b e n bzw. a b g e s a n d t hat, so wird seine Erklärung an sich erst wirksam, wenn sie dem Empfänger zugegangen ist (§ 130 Abs. 2). Nach § 153 kann der Antrag aber in diesen Fällen noch angenommen werden und somit der Vertrag noch zustande kommen, wenn der Antrag erst nach dem Tode oder dem Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des Antragenden dem Antragsgegner z u g e g a n g e n ist. Die Vorschrift dient als bloße Auslegungsregel (im Zweifel) und kommt daher nicht zur Anwendung, wenn dem nach den Umständen erkennbar ein anderer Wille des Antragenden entgegensteht. Dies trifft z. B. zu, wenn der Antragende den Antrag ausdrücklich nur für seine Person gemacht hat oder wenn sonst ersichtlich ist, daß er den Vertrag nur in seinem eigenen Interesse hat abschließen wollen. Die Vorschrift entspricht dem G r u n d s a t z d e r G e s a m t r e c h t s n a c h f o l g e , d. h. die Erben rücken in die Rechtsstellung des Erblassers ein und sind daher wie dieser bis

523

§ 1 5 3 A n m . 2, 3 §154

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

zum Erlöschen an den Antrag gebunden. Ob die Erben berechtigt sind, den bereits erklärten, aber noch nicht zugegangenen Antrag zu w i d e r r u f e n , richtet sich nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Gesamtrechtsnachfolge. Den Beweis dafür, daß der Antragende einen von der Regel des §153 abweichenden Willen hatte, haben die Erben zu führen, wenn sie behaupten, an den Antrag nicht gebunden zu sein. Anm. 2 II. T o d oder Eintritt der G e s c h ä f t s u n f ä h i g k e i t des A n t r a g s g e g n e r s Über die Frage, welchen Einfluß der Tod oder der Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des Antragsgegners auf den Antrag hat, ist im Gesetz nichts bestimmt. Hier greifen die a l l g e m e i n e n Rechtsgrundsätze ein. Stirbt der Antragsgegner, bevor ihm der Antrag zugegangen ist, dann kann der Antrag mangels Zugehens in der Regel nicht mehr rechtswirksam werden (§ 130). Eine Gebundenheit des Antragenden tritt nicht ein. Die Erben können, da noch keine rechtlichen Beziehungen bestehen, den Antrag nicht annehmen. Anderes gilt nur, wenn der Antrag auch als an die Erben gerichtet anzusehen ist, was Auslegungsfrage ist. Wird der Antragsgegner geschäftsunfähig, dann wird der Antrag wirksam, wenn er seinem gesetzlichen Vertreter zugeht (§ 131). Stirbt der Antragsgegner, nachdem der Antrag ihm z u g e g a n g e n ist, aber bevor er ihn angenommen hat, dann tritt an sich eine Gebundenheit des Antragenden ein. Als Regel muß jedoch auch hier gelten, daß die Rechtsnachfolge des Antragsgegners keine Befugnis haben, den Vertrag durch ihre Annahmeerklärung zustandezubringen, wenn der durch Auslegung zu ermittelnde Wille des Antragenden dahin ging, nur mit der Person des Antragsgegners abzuschließen (RG JW 1911, 752; M 1, 175/176 zu § 89 E I ) . Dies wird in der Regel angenommen werden müssen, wenn dem Antragsgegner z. B. eine Schenkung gemacht wird oder er sich zu h ö c h s t p e r s ö n l i c h e n L e i s t u n g e n verpflichten sollte. Über die Vererblichkeit des aus dem Vertragsantrag dem Erklärungsgegner erwachsenden Gestaltungsrechtes vgl. auch Anm. 7 zu § 145. Hat der Annehmende die Annahme bereits vor seinem Tode erklärt, dann wird die Erklärung mit dem Zugehen an den Antragenden wirksam. Dies gilt auch für den Fall des Eintritts der Geschäftsunfähigkeit nach Abgabe der Annahmeerklärung. Anm. 3 III. Entsprechende A n w e n d u n g Im Falle einer Verfügungsbeschränkung des Antragenden, insbesondere im Fall seines Konkurses ist § 153 entsprechend anwendbar. Mit der Konkurseröffnung erlischt die Gebundenheit des Antragenden nicht. Durch Annahme kommt der Vertrag mit dem Gemeinschuldner, nicht aber mit den Konkursgläubigern zustande. Die nach Annahme auf Grund des Angebots erfolgte Verfügung ist unter den Voraussetzungen des § 7 K O den Konkursgläubigern gegenüber unwirksam. Bei K o n k u r s des A n t r a g s g e g n e r s behält dieser die Annahmebefugnis. Was er aus dem Vertrag erwirbt, bleibt ihm, da er es nach Eröffnung des Konkurses erworben hat (§ 1 KO).

§154 Solange nicht die Parteien s i c h über alle Punkte eines Vertrags geeinigt haben, über die n a c h der Erklärung auch nur einer Partei eine Vereinbarung getroffen w e r d e n soll, ist i m Zweifel der Vertrag nicht g e s c h l o s s e n . Die Vers t ä n d i g u n g über einzelne P u n k t e ist auch dann nicht bindend, w e n n eine A u f zeichnung stattgefunden hat. Ist eine Beurkundung des beabsichtigten Vertrages verabredet worden, s o i s t i m Zweifel der Vertrag nicht g e s c h l o s s e n , bis die Beurkundung erfolgt ist. E I 78 II 116; M I 162ff; P I 74ff, 8 j f f ; 6 133.

524

Vertrag

§ 154

A n m . 1, 2 Ubersicht Anm.

I. Der offene Einigungsmangel II. Beurkundung des Vertrages . III. Beweislast

1—3 4. 5

6

Anm. 1 I. Der offene E i n i g u n g s m a n g e l § 154 Abs. 1 stellt keine V e r m u t u n g auf (BGH LM Nr. 1 zu § 154 = NJW 1951, 397), sondern gibt eine A u s l e g u n g s r e g e l für den Fall, daß die Parteien beim Vertragsschluß eine volle Ubereinstimmung nicht erzielt haben (RG HRR 1937 Nr. 496). Der Vorschrift liegt die vom Gesetz durchweg festgehaltene Auffassung zugrunde (RG 57, 164; 6a, 187; § 139 Abs. 1), daß die gesamten Vertragserklärungen ein einheitliches G a n z e s darstellen und ein Vertrag daher nur zustande kommt, wenn die Parteien sich über alle Punkte geeinigt haben. Die Einigung über einzelne Punkte (Punktation) eines Vertrages vermag im Zweifel keine Bindung zu erzeugen, und zwar selbst dann nicht, wenn darüber Aufzeichnungen gemacht worden sind. Was alles Gegenstand der Vereinbarung sein soll, entscheidet sich nicht nur nach der Natur des Vertrages, sondern auch nach dem Willen der Parteien (RG JW 1911, 442). Die Frage, ob es sich um einen wesentlichen Punkt im Sinne des § 154 handelt, ist daher — soweit es sich nicht um ein gesetzliches Vertragserfordernis handelt — nicht allein nach objektiven Gesichtspunkten zu entscheiden. Maßgebend ist vielmehr, ob die Parteien einer Einigung über den offen g e b l i e b e n e n P u n k t e w e s e n t l i c h e Bed e u t u n g beigemessen haben (BGH L M Nr.2 zu § 154 = M D R i 954, 217). Erforderlich ist aber, daß der entsprechende Wille der einzelnen Partei ausreichend erkennbar gemacht worden ist, was auch durch schlüssige Handlungen geschehen kann (RG SeuffArch 78 Nr. 61). § 154 betrifft nur den Fall des offenen Mangels der Willenseinigung (offener Dissens; über versteckten, unbewußten Dissens vgl. § 155) und setzt daher voraus, daß eine Partei sich die Klärung eines bestimmten Punktes vorbehalten hat. Der erklärte Vorbehalt hindert das Zustandekommen des Vertrages selbst dann, wenn bei einem schriftlichen Vertrage der Vorbehalt nicht in die Urkunde aufgenommen worden ist (RG 29- 4• !903 V 518/02). Anm. 2 Da § 154 Abs. i lediglich ,,im Zweifel" gilt, steht es den Parteien frei, zunächst nur über gewisse Punkte eine Vereinbarung zu treffen und andere Punkte einer späteren Regelung vorzubehalten (RG WarnRspr 1910 Nr. 413). Der Vorbehalt der Einigung über einzelne Punkte schließt also nicht aus, daß im übrigen ein fester Vertrag abgeschlossen sein soll (RG HRR 1937 Nr. 496). So ist es z.B. möglich, daß ein Kauf durch die bloße Einigung über die Ware und über den Preis zustande kommt und die Vereinbarung über sonstige Geschäftsbedingungen noch vorbehalten wird. Aber eine solche Parteiabsicht muß deutlich erkennbar sein (RG 105, 13). Wegen der Vereinbarung des Ausscheidens aus einer Firma gegen eine bestimmte, ,,in einer noch näher zu vereinbarenden Art" zu zahlenden Abfindungssumme s. RG SeuffArch 82 Nr. 182. Dagegen genügt es nicht, wenn nur der Kaufgegenstand feststeht, bezüglich des Preises aber nur die äußere Grenze nach oben festgesetzt ist und die näheren Bedingungen des Kaufes ausdrücklich vorbehalten sind (RG 124, 81). Nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit können die Parteien auch, obwohl eine Einigung über einzelne Punkte nicht erzielt worden ist, n a c h t r ä g l i c h den Vertrag als abgeschlossen gelten lassen. Die dadurch entstandene Lücke i m Vertrag muß den gesetzlichen Bestimmungen gemäß ausgefüllt werden (RG 52, 437; 57, 51; 60, 174; RG Recht 1941, 3853 für den Fall, daß in einem Mietvertrag Vertragsdauer und Mietzinshöhe offen geblieben sind). Es besteht jedoch keine V e r m u t u n g dafür, daß der ganze Vertrag nach dem Willen der Vertragsparteien als abgeschlossen gelten soll, wenn einzelne Bestimmungen eines Vertrages von den Parteien in Kraft gesetzt worden sind (BGH L M Nr. 1 zu § 154 = NJW 1951, 397).

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§154

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A n m . 3—5 Anm. 3 Eine u n v o l l s t ä n d i g e V e r e i n b a r u n g im Sinne des § 154 l i e g t n i c h t v o r , wenn die Vertragsleisungen zwar nicht fest bestimmt wurden, aber (bei im übrigen vorliegender wirklicher Willenseinigung) nach den gegebenen Umständen bestimmbar sind, was insbesondere dann zutrifft, wenn die Bestimmung der Parteiabsicht entsprechend nach verabredeter Maßgabe getroffen werden soll ( R G Gruchot 53, 830). So kann beispielsweise ein Mietvertrag vollgültig zustande kommen, wenn die Parteien die Bestimmung des Mietpreises späterer Vereinbarung vorbehalten ( R G WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 325). So genügt es auch, wenn hinsichtlich der Leistungszeit nur so viel vereinbart ist, daß der Richter imstande ist, über die Rechtzeitigkeit der Leistung zu befinden ( R G 90, 29); vgl. auch §§ 3 1 5 , 3 1 6 . Die Berufung auf einen offenen Einigungsmangel kann einen V e r s t o ß g e g e n T r e u u n d G l a u b e n darstellen und unbeachtlich sein. Dies ist z . B . dann der Fall, wenn eine Vertragspartei sich unter Berufung auf den offenen Einigungsmangel nur ihren eigenen Verpflichtungen entziehen, die erlangten Vorteile aus der Vereinbarung aber f ü r sich behalten will und wenn die andere Vertragspartei die offen gebliebene Vertragslücke im Sinne der bisherigen Vorschläge ihres Vertragsgegners zu schließen gewillt ist ( B G H L M Nr. 2 zu § 154 = M D R 1954, 217).

Anm. 4 II. Beurkundung des Vertrages § 154 Abs. 2 setzt im Gegensatz zum § 154 Abs. 1 voraus, daß eine Einigung bereits erfolgt ist ( R G J R d s c h 1927, 193), das Zustandekommen des Vertrages aber noch von der Bedingung seiner Beurkundung abhängig gemacht wird. Das Anwendungsgebiet des § 154 Abs. 2 beschränkt sich auf die Fälle, daß die B e u r k u n d u n g v o r o d e r b e i m A b s c h l ü s s e d e s V e r t r a g e s vereinbart worden ist ( R G 62, 78; 94, 3 3 3 ; R G SeuffArch 78 Nr. 59; 86 Nr. 3 ; R G Gruchot 69, 74). Eine nachträglich entsprechende Abrede stellt einen neuen Vertrag dar, der die gleiche Wirkung haben kann ( R G J W 1908, 739). Der § 154 Abs. 2 ist auch auf den Fall beschränkt, daß die Beurkundung des zwischen den Parteien selbst abzuschließenden Vertrags erfolgen soll, die Vorschrift ist dagegen nicht anwendbar, wenn etwa verabredet wird, daß die eine Partei mit einem Dritten einen zu beurkundenden Vertrag abschließen soll ( R G WarnRspr 1 9 1 5 Nr. 43). Der Wille der Parteien, die Wirksamkeit des Vertrages von der Beurkundung abhängig zu machen, muß deutlich erkennbar sein ( R G SeuffArch 86 Nr. 3). Ein Vertrag entsteht unter dieser Voraussetzung erst dann, wenn die Form erfüllt und die Vertragsurkunde dem Antragsgegner zugegangen ist ( R G Gruchot 6 1 , 776). Dies gilt entsprechend auch dann, wenn die Parteien beispielsweise einen Kaufvertrag über ein Grundstück beabsichtigen, die Vertragsbedingungen, über die sie einig sind, schriftlich festlegen, indessen willens sind, daß der Vertrag förmlich nach § 3 1 3 abgeschlossen werden soll. Hier liegt, falls letzteres unterbleibt, kein Nichtigkeitsfall aus § 3 1 3 vor, vielmehr ist ein Vertragsabschluß überhaupt noch nicht erfolgt ( R G 79, 78). Zwei gegeneinander ausgetauschte Vertragsurkunden gelten als eine rechtliche Einheit ( R G WarnRspr 1908, 29). Unter Umständen ist eine stillschweigende Verabredung der Beurkundung anzunehmen ( R G J W 1908, 446). Auf den Beweggrund der Verabredung einer Beurkundung kommt es für die Anwendung des § 154 Abs. 2 nicht an ( R G Gruchot 69, 74).

Anm. 5 Für die Auslegungsregel des Absatzes 2 ist selbstverständlich kein R a u m , wenn die Beurkundung nach dem Parteiwillen nicht Bedingung für das Zustandekommen des Vertrags sein soll, sondern n u r B e w e i s z w e c k e n oder der Erfüllung einer weiteren Verpflichtung dienen sollte ( R G H R R 1929 Nr. 370; 1930 Nr. 92; R G WarnRspr 1935 Nr. 5 1 ; 1937 Nr. 6 1 ) . Möglich ist auch, daß die Parteien, die eine derartige Bedingung ursprünglich vereinbart hatten, beim formlosen Abschluß des Vertrags das Formerfordernis wieder aufgegeben haben ( R G SeuffArch 68 Nr. 5 1 ) . Sinngemäß ist anderseits die Bestimmung des Abs. 2 auch dann anwendbar, wenn vor erfolgter Einigung abgemacht wurde, daß der A u s t a u s c h d e r m e h r e r e n schriftlichen Urkunden

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Vertrag

§ 154 Anm. 6 §155

erfolgen und der Vertragsschluß hiervon abhängig sein solle. Falls im Antrage die Beurkundung des Vertrags verlangt ist und der Antragsgegner den Antrag vorbehaltlos annimmt, erstreckt sich die Annahme auch auf das bezeichnete Verlangen, und es greift sonach Abs. 2 Platz ( R G WarnRspr 1908 Nr. 9). Möglich ist j e nach den Umständen auch, daß ein Vertrag vor der vereinbarten Beurkundung wenigstens teilweise wirksam wird ( R G WarnRspr 1935 Nr. 159). Uber Nebenabreden vergleiche § 125.

Anm. 6 III. Die Beweislast Wer aus einem Vertrag Rechte herleitet, hat dessen Zustandekommen zu beweisen. Dazu genügt an und für sich der Nachweis der Einigung über die nach der Natur des Geschäfts an sich wesentlichen Punkte. Dies gilt jedoch auch für Nebenpunkte, wenn sie nach dem erklärten Parteiwillen im Vertrag geregelt werden sollten. Behauptet eine Partei, daß trotz fehlender Einigung über einzelne Punkte ein bindender Vertrag zustande gekommen sei, so hat sie hierfür die Beweislast (OL G4, a n ; R G SeuffArch 6 1 , Nr. 74). Eine Vermutung, daß Teilabreden bindende Wirkung haben, besteht auch dann nicht, wenn sie vollzogen worden sind ( B G H L M Nr. 1 zu § 154 = N J W 1 9 5 1 , 397). Behauptet der andere Teil, daß der Vertrag durch die bloße Einigung noch nicht zustande gekommen sei, weil sich die Parteien bei ihren Verhandlungen über die Schriftform geeinigt hätten, dann handelt es sich um ein begründetes Bestreiten, und der K l ä g e r muß jetzt also noch dartun (streitig), daß die sachliche Einigung schlechthin zustande gekommen ist ( R G WarnRspr 1913 Nr. 44; 1 9 1 8 Nr. 72; 1922 Nr. 48; R G Gruchot 62,950; R G 1 9 . 2 . 1 9 2 4 III 553/23); oder gibt der Kläger die Formverabredung an sich zu, dann hat er nachzuweisen, daß die Form hier nur aus Beweiszwecken vereinbart worden sei. Jedenfalls muß der Kläger, ähnlich hier wie im Falle, daß der Beklagte Abschluß unter einer a u f s c h i e b e n d e n B e d i n g u n g einwendet, beweisen, daß der Vertrag in der von ihm selbst behaupteten Art und Weise zustande gekommen ist ( R G WarnRspr 1 9 1 8 Nr. 72); wobei es jedoch genügt, wenn der Kläger das Vorhandensein einer Vereinbarung nachweist, die den vom Beklagten eingewendeten Vorbehalt nicht erkennen läßt. Vgl. A n m . zu § 158. Macht der Beklagte endlich nur eine Vereinbarung geltend, die nicht beim Vertragsabschlüsse selbst, sondern schon b e i f r ü h e r e r Gelegenheit oder erst bei s p ä t e r e r getroffen worden sein soll, dann steht ein selbständiger Einwand in Frage und der Beweis obliegt jetzt daher dem Beklagten (vgl. R G WarnRspr 1908 Nr. 9 und R G L Z 1932, 3°)-

§155 Haben sich die Parteien bei einem Vertrage, den sie als geschlossen ansehen, über einen Punkt, über den eine Vereinbarung getroffen werden sollte, in Wirklichkeit nicht geeinigt, so gilt das Vereinbarte, sofern anzunehmen ist, daß der Vertrag auch ohne eine Bestimmung über diesen Punkt geschlossen sein würde. E I 100 II 117; M 1 202; P 1 115ff. Übersicht Anm. I. Allgemeines 1 I I . Der versteckte Einigungsmangel 2—6 1. Begriff 2 2. Die einzelnen Tatbestände 3—6 I I I . Abgrenzung des versteckten Dissens von anderen Mängeln bei Vertragsabschluß 7—g 1. Falsche Bezeichnung 7 2. Irrtum 8 3. Nichtigkeit g

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§155 A n m . 1—4

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 1 I. Allgemeines § 155 betrifft den Fall, daß die Parteien den Vertrag als geschlossen ansehen, also die Einigung über den gesamten Vertragsgegenstand als erzielt erachten, obwohl dies in Wirklichkeit nicht zutrifft, sondern die Einigung über einen Punkt fehlt, die P a r teien sich aber der fehlenden Einigung — im Gegensatz zu § 154 — nicht bewußt sind (versteckter Dissens). An sich müßte unter diesen Voraussetzungen eine Bindung verneint werden, jedoch gilt auch hier der Grundsatz, daß der Vertrag nach Möglichkeit aufrecht zuerhalten ist (vgl. Anm. zu § 139), so daß das Vereinbarte gilt, falls anzunehmen ist, daß der Vertrag auch ohne den noch offenen Punkt abgeschlossen worden wäre. Die entstandene L ü c k e ist wie in anderen Fällen unvollständiger Verträge aus den einschlägigen Bestimmungen zu ergänzen (RG 60, 174; 88, 378; RG WarnRspr 1914 Nr. 326; vgl. Anm. zu § 154 und Anm. zu §§ 133, 157). In welchen Fällen anzunehmen ist, daß die Parteien den Vertrag auch ohne eine Einigung über den nicht geregelten Punkt geschlossen haben würden, ist nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Ergibt sich, daß die Parteien den Punkt als w e s e n t l i c h betrachtet haben, dann ist ein Vertrag nicht zustande gekommen (RG 93, 299). Das gleiche gilt, wenn ein vom Gesetz vorausgesetztes Erfordernis nicht erfüllt worden ist. Wegen V e r s c h u l d e n s b e i m V e r t r a g s s c h l u s s e haften die Parteien auf das negative Interesse, wenn sie es verschuldet haben, da wegen dieses versteckten Einigungsmangels der Vertrag nicht zustande gekommen ist, und zwar je nachdem beide Parteien unter Schadensaufteilung gemäß § 254, oder nur die eine Partei, falls nur sie ein Verschulden trifft (vgl. Anm. zu § 276; R G 104, 267; RG J W 1932, 735; dazu RG 143, 2 2 1 ; RAG 20, 68). Die Beweislast dafür, daß die Parteien den Vertrag auch ohne den offenen Punkt geschlossen haben würden, trifft diejenige Partei, die die Wirksamkeit der Vereinbarung geltend macht. Anm. 2 II. Der versteckte Einigungsmangel 1. Begriff Ein versteckter Einigungsmangel liegt vor, wenn eine Willensübereinstimmung der Parteien über den Vertragsinhalt nicht erzielt worden ist, sei es 1. daß die Erklärungen unvollständig geblieben sind, weil ein Punkt vergessen oder übersehen worden ist; sei es 2. daß die beiderseitigen Willenserklärungen jede für sich zwar eindeutig, aber voneinander abweichen, sich inhaltlich also nicht decken; sei es schließlich 3. daß die Erklärungen zwar äußerlich übereinstimmen, aber objektiv mehrdeutig sind und von den Parteien auch verschieden gemeint und verstanden worden sind. Anm. 3 2. Die einzelnen Tatbestände Zu 1 : Bei der unvollständig gebliebenen Erklärung haben die Parteien bei an sich sonst eindeutigen und inhaltlich übereinstimmenden Erklärungen übersehen, daß sie sich in einem wesentlichen Punkte nicht geeinigt haben, glauben aber, daß sie auch über diesen Punkt einig geworden seien. Anm. 4 Zu 2: Hierbei handelt es sich um den Fall, daß Erklärung und Wille jeder P a r t e i übereinstimmen, jede Partei ihre Erklärung jeweils irrtumsfrei abgegeben, aber beide Erklärungen sich nicht decken, sondern ihrem Inhalt nach voneinander abweichen; jede Partei also irrtumsfrei etwas anderes erklärt als die andere, aber beide glauben, dasselbe erklärt zu haben. Die Erklärungen gehen also aneinander vorbei. Ob der Inhalt 528

Vertrag

§155 Anm. 5

der abgegebenen Willenserklärungen voneinander verschieden ist, ist durch Auslegung zu ermitteln, d. h. es ist zunächst der objektive Inhalt der Erklärungen zu ermitteln und dieser miteinander zu vergleichen. Ergibt sich, daß die Bedeutung der Erklärungen nicht übereinstimmt, dann liegt Dissens vor. Die Ermittlung des objektiven Erklärungsinhalts aber hat nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte zu geschehen ( R G D J 1938, 5 1 9 ) . Es ist ein feststehender G r u n d s a t z , d a ß j e d e r E r k l ä r e n d e s i c h s e l b s t b e i m W o r t e n e h m e n l a s s e n u n d s i c h g e f a l l e n l a s s e n m u ß , d a ß s e i n e E r k l ä r u n g so v e r s t a n d e n w i r d , w i e s i e v o n d e r A l l g e m e i n h e i t a u f g e f a ß t w i r d ( R G 68, 1 2 8 ; 95, 5 3 ; 100, 1 3 4 ; 1 6 2 , 1 7 7 ; R G H R R i g 3 5 N r . 7 2 2 ; R G J W i g i i , 9 o ; 1926,2620),wie anderseits auch, d a ß j e d e r T e i l d i e E r k l ä r u n g d e s G e g n e r s so g e l t e n z u l a s s e n h a t , w i e s i e n a c h T r e u und G l a u b e n mit R ü c k s i c h t auf die V e r k e h r s s i t t e zu v e r s t e h e n i s t ( R G 6 7 , 4 3 3 ; 6 8 , 1 2 8 ; 86,88; 88,428; 9 1 , 4 2 6 ; 9 5 , 5 3 ; 105, 209; 1 1 6 , 2 7 4 ; R G G r u c h o t 6 5 , 5 9 5 ; R G J W 1 9 0 8 , 4 ; 1909,489; 1 9 1 3 , 4 8 0 ; R G WarnRspr 1 9 3 1 Nr. 2 1 7 ; R G SeufFArch 7 7 N r . 1 7 2 ; 7 g N r . 6 i ; 8 6 N r . 6 o ; R G H R R 1 9 3 0 ^ . 9 3 ; 1 9 3 1 Nr. 1 4 3 0 , 1 7 3 6 ; vgl. auch A n m . zu §§ 1 3 3 , 157). Daraus ergibt sich aber einmal, daß der Erklärende, der eine an sich klare und bestimmte Erklärung abgegeben hat, die sein Gegner inhaltlich nur so verstehen konnte, wie er sie verstand, sich zur Verneinung der Einigung nicht der Ausflucht bedienen darf, er selbst habe seiner Erklärung (innerlich) einen andern Sinn beigelegt. Ferner folgt, daß, wenn die sich äußerlich deckenden Erklärungen beider Teile überhaupt nur einen objektiv bestimmten klaren Inhalt gehabt haben, das Zustandekommen des Vertrags nicht dadurch gehindert ist, daß sich jeder Teil bei den Erklärungen etwas anderes gedacht hat als der andere ( R G 58, 2 3 3 ; 66, 1 2 2 ; 105, 209; R G SeuffArch 79 Nr. 6 1 ; 81 Nr. 43). Nur wenn danach der Inhalt der Willenserklärungen bei einer Auslegung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der gesamten U m stände sich nicht deckt, kann § 1 5 5 anwendbar sein ( R G 165, 199); anderenfalls kann höchstens die Möglichkeit einer Anfechtung nach § n g i n Frage kommen ( R G 66, 1 2 2 ; ioo, 1 3 4 ; 146, 1 2 0 ; R G WarnRspr 1933 Nr. 143).

Anm. 5 Zu 3: Sind die dem Wortlaut nach übereinstimmenden Erklärungen objektiv m e h r d e u t i g , dann ist entscheidend, ob die Parteien in Wirklichkeit auch etwas verschiedenes gewollt haben und ob ihnen der abweichende Wille des Gegners verborgen geblieben ist ( R G 58, 2 3 3 ; 66, 2 1 ; 105, 209; R G Gruchot 50, 897; R G J W 1 9 1 1 , 87, 2 1 3 ; R G WarnRspr 1908 Nr. 185, 5 9 1 ; 1909 Nr. 5 7 ; R G SeufFArch 77 Nr. 59; R G H R R 1936 Nr. 526). Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ist auch die Einschränkung zu machen, daß sich kein Vertragsteil auf die Mehrdeutigkeit der Erklärungen und darauf, daß er ihnen einen andern Sinn beigelegt hat als der andere Teil, dann b e r u f e n k a n n , w e n n e r die Erklärung des Gegners nach T r e u und Glauben so v e r s t e h e n m u ß t e , w i e s i e g e m e i n t w a r (s. oben), o d e r , wenn er die Auffassung des Gegners e r k a n n t hatte, da er in solchem Falle die Erklärung so gelten lassen müßte, wie sie wirklich gemeint war, und sein stiller Vorbehalt etwa, das gegnerische Angebot in anderm Sinne anzunehmen, gemäß § 1 1 6 unbeachtlich wäre ( R G 66,428; R G SeuffArch 74 Nr. 47). Sein stiller Vorbehalt, das nicht zu wollen, was ihm bewußt der Gegner wollte, wäre ohne Bedeutung (§ 1 1 6 ) . Hat freilich der Erklärende (oder sein Vertreter) gewußt, daß der Erklärungsgegner die Erklärung nicht so verstehe, wie sie an sich zu verstehen war, dann darf er sich auf den erörterten Grundsatz nicht berufen, vielmehr liegt jetzt ein den Vertragsschluß hindernder Dissens vor ( R G 97, 195). Z u beachten ist im übrigen, daß das entscheidende Gewicht nicht darauf zu legen ist, ob die beiderseitigen Erklärungen äußerlich gleichlauteten, sondern darauf, ob sie den nämlichen Inhalt hatten ( R G 66, 1 2 2 ; R G J W 1907, 386). O b der Einigungsmangel den gesamten Vertrag betrifft, oder nur einen Teil davon, ist gemäß § 154 unerheblich, solange nicht der Ausnahmefall des § 1 5 5 gegeben ist. D i e l e d i g l i c h d i e H ö h e d e s B e t r a g s b e t r e f f e n d e U n e i n i g k e i t h i n d e r t j e d o c h n i c h t immer das Vorhandensein eines Vertragsanspruchs; nämlich dann nicht, w e n n d e r B e r e c h t i g t e n u r d a s M i n d e r e f o r d e r t , das der Verpflichtete als bedungen zugesteht. Beispielsweise A behauptet,

529

§155 Anm. 6—8

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

einen Kaufpreis von i ooo Mark vereinbart zu haben, während B entgegnet, es seien nur 8oo Mark verabredet ( R G 28. 6. 1907 I I 123/07). Hier kann A deswegen 800 Mark fordern, weil, wenn er es tut, anzunehmen ist, daß hierüber die Einigung jedenfalls erfolgt sein würde.

Anm. 6 U m feststellen zu können, daß eine Einigung zwischen den Parteien nicht zustande gekommen ist, muß der Richter das beiderseitige Vorbringen soweit würdigen, daß hierdurch die Feststellung möglich wird, das Vorhandensein einer Einigung sei in der Tat ausgeschlossen ( R G 9 5 , 1 0 1 ) . Die Anwendung der Regel des § 1 5 5 ist ausgeschlossen, wenn die Auslegung nach Treu und Glauben eine Willensübereinstimmung ergibt, sofern sich nämlich derjenige Teil, der mangelnde Willenseinigung geltend macht, es sich auch nur gefallen lassen muß, so behandelt zu werden, als hätte sein Wille mit dem des Gegners übereingestimmt, weil andernfalls sein Verhalten gegen Treu und Glauben verstoßen würde ( R G 100, 135, hier hatte der eine Teil eine Stelle in dem dem andern Teile zur Unterschrift vorgelegten gedruckten Vertragsformulare in einer leicht übersehbaren und vom anderen Teile tatsächlich übersehenen Weise eingeklammert) ( R G SeufTArch 76 Nr. 109).

Anm. 7 III. Abgrenzung des versteckten Dissens von anderen Mängeln bei Vertragsabschluß 1. Falsche Bezeichnung Z u unterscheiden ist der Fall der mangelnden Einigung von dem der bloßen falschen Bezeichnung. Ein Fall der letzteren Art liegt vor, wenn die Vertragsparteien über den Vertragsinhalt wirklich einig gewesen sind, und nur ihre b e i d e r s e i t i g e n Erklärungen sich mit dem nicht decken, was sie ü b e r e i n s t i m m e n d gewollt haben. Hier gilt der

anerkannte Rechtsgrundsatz, daß eine bloße irrige Bezeichnung unschädlich (RG

60,338; 99,148), und die erzielte Willenseinigung entscheidend ist ( R G 61,265; 6 3 , 1 6 9 ; 99, 148; R G J W 1905, 639). Vgl. § 119. Danach ist beispielsweise ein Kaufvertrag, durch welchen nach der Absicht beider Parteien nur ein bestimmter Teil eines Grundstücks verkauft werden sollte, auch dann zustande gekommen, wenn in der Vertragsurkunde versehentlich das gesamte Grundstück als verkauft bezeichnet worden ist, da der Vertrag alsdann in Ansehung des bezeichneten Grundstücksteils besteht ( R G 66, 21; R G Gruchot 59, 1002). Eine Auflassung hat gleichfalls nur soweit Wirkung, als sie nach dem beiderseitigen Willen hat gehen sollen, während die etwa weitergehende Bezeichnung des Auflassungsgegenstandes wirkungslos ist ( R G 4 6 , 225; 63, 169; 66, 2 1 ; 73, 1 5 7 ; 77) 3 3 ; R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 394). Haben die Parteien beiderseits die Begründung einer Leibrente gewollt, indes in beiderseitigem Mißverständnisse des gegenseitig Erklärten Erklärungen abgegeben, die eine Rentenschuld zum Gegenstande haben, dann ist, die Wahrung der Form vorausgesetzt, ein Leibrentenvertrag zustande gekommen ( R G SeufTArch 70 Nr. 235). Hat nur die eine Partei sich bei der Bezeichnung geirrt, die andere aber in Erkenntnis dieses Irrtums schlechthin zugestimmt, dann liegt kein Nichtigkeitsfall vor (§ I i 6 ) ; vielmehr ist die Sache so anzusehen, als hätten beide Parteien die falsche Bezeichnung irrtümlich gewählt ( R G 25. 1. 1 9 1 9 V 250/18).

Anm. 8 2. Irrtum V o m Falle des Irrtums im Sinne des § 1 1 9 unterscheidet sich der vorliegende Fall mangelnder Willenseinigung insofern, als dort vorauszusetzen ist, daß die e i n e V e r -

tragspartei sich über den Inhalt ihrer eigenen Erklärung i m Irrtum befunden

hat, oder daß sie eine andere Erklärung hat abgeben wollen, als sie abgegeben hat, während § 155 verlangt, daß die Parteien sich über das im I r r t u m b e f u n d e n haben, was der a n d e r e T e i l g e w o l l t h a t . Im Falle des § 1 1 9 decken sich also nicht der eigene Wille und die eigene Erklärung, im Falle des § 155 nicht die beiderseitigen Absichten ( R G 58, 236). Verkauft beispielsweise A an B das Grundstück X in der irrtümlichen

530

Vertrag

§ 155 A n m . 9

§ 156 Anm. 1, 2 Meinung, daß die Parzelle U zum Grundstück nicht zugehöre, nimmt aber B anderseits das Angebot in der zutreffenden Meinung an, daß die Parzelle U einen Bestandteil des Grundstücks bildet, dann ist der Vertrag (weil die Erklärung des A an sich nur eindeutig war) über das gesamte Grundstück zustande gekommen, ein Fall des § 1 5 5 also nicht gegeben. Für A besteht hier l e d i g l i c h d a s A n f e c h t u n g s r e c h t a u s § 119 ( R G 26. 5. 1910 V 577/09; 14. 2. 1912 V 345/11; R G J W 1899, 680), während, wenn ein Vertrag gemäß § 154 oder § 155 überhaupt nicht zustande gekommen ist, für die Anfechtung niemals R a u m sein kann ( R G 58, 236; R G J W 1909, 489; 1910, 803; 1911,

87, 179)-

Anm. 9 3. Nichtigkeit V o m Falle der Nichtigkeit endlich ist der des § 155 insofern zu unterscheiden, als dort ein Vertrag, d. h. eine Willenseinigung, tatsächlich zustande gekommen ist, nur daß das Rechtsgeschäft die gewollten Rechtswirkungen nicht hervorzubringen vermag, während es bei § 155 an einem Vertrag überhaupt fehlt ( R G 79, 78). Von der Nichtigkeit des Vertrags auf Grund mangelnder Einigung durfte also auch in R G 66, 24 nicht gesprochen werden. Sehen beide Parteien einen Vertrag als geschlossen an und legen nur seine Bestimmungen verschieden aus, dann kann ein Nichtzustandekommen des Vertrags nur in Ausnahmefällen und nur dann angenommen werden, wenn auch im Wege der Auslegung (§ 157) ein eindeutiger Sinn des Vertrags nicht zu ermitteln ist (RGJW 1935, 2881).

§156 Bei einer Versteigerung kommt der Vertrag erst durch den Zuschlag zustande. Ein Gebot erlischt, wenn ein Übergebot abgegeben oder die Versteigerung ohne Erteilung des Zuschlags geschlossen wird. E I 90 II Ä126; M I 176s; P I 87. Übersicht I. Begriff II. Geltung der Vertragsfreiheit III. Anwendungsgebiet

Anm. 1 2 3

Anm. 1 I. Begriff Die Versteigerung ist ein öffentlicher Verkauf bei dem das Publikum zur Abgabe von Geboten im gegenseitigen Wettbewerb aufgefordert wird. Sie untersteht den Regeln des Vertragsrechts. Vertragsantrag ist das Gebot, Antragsannahme der Zuschlag. Der Bieter ist an seinen Antrag gebunden bis ein Übergebot erfolgt (ohne Rücksicht auf dessen Rechtsbeständigkeit, da nach dem Gesetz der tatsächliche Hergang entscheidet) oder bis zum Schluß der Versteigerung. Der Zuschlag ist als Annahme schon kraft seiner Erteilung wirksam, und zwar unabhängig davon, ob er dem Bieter zugeht, oder ob dieser ihn vernommen hat oder nicht. Die Annahme — in Form des Zuschlags an den Meistbietenden — steht wie regelmäßig im Belieben des Verkäufers, so auch hier im Belieben des Versteigerers. Dem Bieter erwächst somit kein Anspruch auf den Zuschlag. Uber die Rechtsfrage, ob in den nach dem Meistgebote liegenden Handlungen die Erteilung des Zuschlages zu finden ist, s. RG L Z 1924, 633.

Anm. 2 II. Geltung der Vertragsfreiheit Da das Versteigerungsgeschäft unter die Regeln des Vertragsrechts fällt, so kommt auch der Grundsatz der V e r t r a g s fr e i h e i t zur Geltung, und den Parteien steht

531

§ 156 Anm. 3 §157

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

danach frei, abweichende Bestimmungen zu treffen. So kann der Versteigerer sich verpflichten, den Zuschlag zu erteilen, anderseits sich das Recht vorbehalten, den Zuschlag nach seiner Wahl nicht dem Meistbietenden, sondern einem andern Bieter zu geben. Eine solche Abmachung mit den Bietern würde zugleich die Außerkraftsetzung der Vorschrift über das Erlöschen des Gebots durch ein Übergebot in sich schließen.Es kann auch verabredet werden, daß d e r Z u s c h l a g erst s p ä t e r e r t e i l t w e r d e n solle, oder daß sich der Versteigerer die Erteilung des Zuschlages vorbehalte. Alsdann liegt das Verhältnis nicht anders als sonst bei einem Vertragsabschlüsse unter Abwesenden, der Versteigerungsvertrag kommt also erst durch die empfangsbedürftige Zuschlagserteilung und deren Zugang (§ 130) zustande (RG 96, 102). Anm. 3 III. Anwendungsgebiet Das Anwendungsgebiet des § 156 umfaßt die Versteigerungen nach den Vorschriften des BGB §§ 383ff, 489, 753, 966, 975, 979fr, die P f a n d v e r k ä u f e nach den §§ 1233 fr, die Fälle der §§ 373, 376 HGB, ferner die Zwangsversteigerungen wegen Geldforderungen nach den Vorschriften der ZPO. Hier ist die Anwendung des § 156 durch §817 Abs. 1 ZPO ausdrücklich vorgeschrieben unter gleichzeitiger Erteilung weiterer Sonderbestimmungen für den Versteigerungsvertrag. Im Falle der Z w a n g s v e r s t e i g e r u n g nach dem ZVG ist dagegen für den § 156 kein R a u m . Denn zweifellos sind hier die vertragsrechtlichen Grundsätze über die Gebundenheit des Bieters sowohl wie anderseits über die Entschließungsfreiheit des Antragsgegners durch die Bestimmungen der §§ 71 ff u. 81 ZVG außer Anwendung gesetzt. Danach ist der Bieter nicht schon schlechthin durch sein Gebot gebunden, sondern erst unter der Voraussetzung, daß sein Gebot vom Richter als wirksam befunden und zugelassen wird. Anderseits aber hat der Meistbietende hier einen Anspruch auf die Erteilung des Zuschlags, was bei Anwendung der Grundsätze vom Vertrage nicht der Fall sein könnte. Der §72 ZVG gibt ferner eigenartige Bestimmungen über das Erlöschen eines Gebots. Der Zuschlag selbst entnimmt seine Kraft überhaupt nicht einer Willenseinigung der Beteiligten. Der Richter überträgt vielmehr durch den Zuschlag das Eigentum auf den Ersteher des Grundstücks kraft der ihm vom Gesetze gegebenen Macht (RG 60, 54). Nach § 53 ZVG gilt der Eigentümer des Grundstücks als der „Veräußerer" (nicht als der Verkäufer). Diese Ausgestaltung des Zwangsversteigerungsgeschäfts weist somit mehr auf seinen öffentlich-rechtlichen Charakter als auf einen Vertrag hin. Die betreffenden rechtsgeschäftlichen Erklärungen sind auch nicht nach den Grundsätzen der §§ 119 ff anfechtbar. Vgl. Anm. vor § 104.

§157 Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben m i t Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. E I 359 II 127; M 2 I97ff; P 1 6 2 3 !

Üb ersieht Anm.

I. II. III. IV.

Allgemeines Sachlicher und zeitlicher Anwendungsbereich Vertragsergänzung Treu und Glauben 1. Allgemeines

2. Einzelfälle V. Verkehrssitte VI. Einzelne Auslegungsgrundsätze VII. Einzelne Fälle aus der Rechtsprechung 1. Allgemeines 2. Kurzklauseln 532

1—3 4—6 7—10 n , 12 n 12 13— 16 17—27 28—37 28—36 37

Vertrag

§ 157

A n m . 1, 2 Anm.

V I I I . Allgemeine Geschäftsbedingungen 1. Rechtsnatur und Geltungsbereich 2. Auslegung 3. Einzelfälle

38—40 38 3g 40

I X . Versicherungsverträge 1. Allgemeines 2. Lebensversicherung 3. Unfallversicherung 4. Haftpflichtversicherung 5. Luftfahrt- u n d Seeversicherung 6. Transportversicherung 7. Feuerversicherung

41—52 41—46 47 48 49 50 51 52

X . Verfahrensrechtliches 1. Beweisfragen 2. Revisibilität

53—55 53 54, 55

Anm. 1 I. Allgemeines Ü b e r A u f g a b e und Grenzen der Auslegung vgl. § 133 A n m . 1 — 5 ; über das V e r hältnis zu § 133 vgl. dort A n m . 6. W ä h r e n d nach § 133 ausschließlich v o m Standpunkt des Erklärenden zu ermitteln ist, was sein wirklicher Wille gewesen, sollen nach § 157 als Auslegungsmaßstab auch Merkmale dienen, die außerhalb des Erklärenden selbst zu finden sind, nämlich die A n f o r d e r u n g e n von T r e u und G l a u b e n mit R ü c k s i c h t auf die V e r k e h r s s i t t e . Es steht somit im gewissen U m f a n g hier ein o b j e k t i v e r M a ß s t a b in Frage. Eine Auslegung nach § 157 kommt erst in Betracht, wenn feststeht, d a ß ein V e r t r a g geschlossen worden ist. J e d o c h greift der in § 157 enthaltene Grundsatz von T r e u und G l a u b e n u. U . auch insoweit Platz, als es sich u m die Frage handelt, ob ein V e r t r a g z u s t a n d e g e k o m m e n ist. Dies gilt namentlich, w e n n nach T r e u und G l a u b e n zu beurteilen steht, ob Schweigen als Zustimmung gewertet werden m u ß (vgl. unten A n m . 24 und die dortigen Hinweise). Die Anwendungsgebiete der §§ 133 und 157 sind hiernach nicht nur nach ihren Voraussetzungen, sondern auch nach ihren Zielen voneinander verschieden. D e n n soll der Richter es nach § 157 nicht dabei bewenden lassen, eine tatsächlich vorhandene Erklärung einer Auslegung zu unterziehen, hat er hier vielmehr die A u f g a b e , den gesamten Vertragszweck und Vertragsinhalt auch n a c h objektiven M a ß s t ä b e n z u ermitteln, dann hat i h m das Gesetz nicht nur ein sachlich umfassenderes Ziel, sondern zugleich a u c h eine weitere Befugnis als die des § 133 einräumen wollen und einräumen müssen. Es ist klar, daß, wenn der Richter der i h m durch § 157 gestellten A u f g a b e genügen will, er auch das zu ermitteln suchen und mitberücksichtigen m u ß , was die Parteien z w a r nicht erklärt haben, aber in G e m ä ß h e i t des gesamten Vertragszwecks erklärt haben würden, w e n n sie den offengebliebenen Punkt in ihren Vereinbarungen ebenfalls geregelt hätten. M a ß g e b e n d sind insoweit j e d o c h nicht rein objektive, von der M e i n u n g der Vertragsparteien unabhängige V e r n u n f t g r ü n d e , sondern der mutmaßliche oder hypothetische Wille der Parteien, wie er den übrigen Vertragsbestimmungen unter Berücksichtigung des Vertragszweckes und von T r e u und G l a u b e n im V e r k e h r z u entnehmen ist. Eine Ä n d e r u n g des Vertrages ohne Berücksichtigung des Willens der Vertragschließenden allein im W e g e richterlicher Vertragsgestaltung ist nicht zulässig (vgl. F i s c h e r , A n m . in L M zu Nr. 1 zu § 140 und N r . 1 z u A l l g . Geschäftsbedingungen).

Anm. 2 W ä h r e n d § 157 grundsätzlich der Feststellung des Vertragsinhaltes dient, regelt § 242 die A b w i c k l u n g des V e r t r a g e s u n d e t w a i g e Ä n d e r u n g e n des z u v o r d u r c h A u s l e g u n g e r m i t t e l t e n V e r t r a g s i n h a l t e s , namentlich bei V e r ä n d e r u n g der V e r hältnisse. H ä u f i g werden beide Bestimmungen nebeneinander angeführt, da die Ü b e r JJ

Komm. z. BGB. n . Aufl. I. Bd. (Krüger-Nieland)

533

§157

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A n m . 3, 4 legungen ineinander übergreifen (vgl. etwa B G H io, i : Rückzahlung einer wenige T a g e vor der Währungsreform fällig gewordenen Abfindungsforderung an Erben kann im Einzelfall gegen Treu und Glauben verstoßen, ebenso die Geltendmachung vertraglich zugesicherter Versorgungsansprüche durch frühere Organmitglieder: B G H 13, 3 4 6 ; B G H L M Nr. 2 u. 3 [ G a ] zu § 157). In klarer Abgrenzung führt jedoch der Bundesgerichtshof in dem Urteil B G H 16, 4 (8) aus, daß die Vertragsauslegung gemäß § 157 der Prüfung, welche Vertragspflichten sich aus § 24a ergeben, in der Regel vorauszugehen hat; denn die Frage nach dem rechtlichen Sollen stellt sich im allgemeinen erst, wenn sich aus dem rechtlichen Wollen der Parteien, das durch Auslegung ihrer Erklärungen zu ermitteln ist, ausreichende Anhaltspunkte f ü r eine Entscheidung des Streitfalles nicht gewinnen lassen (vgl. auch B G H 9, 273, 279). Nach der Entscheidung B G H L M Nr. 2 zu § 779 (mit weiteren Hinweisen) ist andererseits zu beachten, daß der Fortfall der Geschäftsgrundlage nicht in jedem Fall zu einer völligen Nichtigkeit des Geschäftes oder zu einem Rücktrittsrecht führt, U m f a n g und Inhalt der aus dem Rechtsgeschäft sich ergebenden Rechte und Pflichten sind vielmehr in einem solchen Falle nach dem inneren Sinn und Zweck des Geschäftes unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der vorhandenen „richtigen" Geschäftsgrundlage, gemäß §§ 157, 242 zu beurteilen und zu bemessen, d. h. nach Treu und Glauben an die wirkliche Sachlage anzupassen. Uber den Einfluß veränderter U m stände auf den Bestand des Vertrages und die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten vgl. im einzelnen die Ausführungen zu § 242.

Anm. 3 Der in § 1 5 7 ausgesprochene Grundsatz stellt nur eine Sonderausprägung des das ganze B G B beherrschenden Prinzips dar, wonach das gesamte Verhalten der Parteien so zu deuten ist, wie es redlich Denkende unter den gleichen Umständen des individuellen Falles zu meinen pflegen und wonach a r g l i s t i g handelt, wer sich auf Grund eines Vertrages dem Vertragsgenossen gegenüber zu einem Verhalten für berechtigt hält, das mit Treu und Glauben unvereinbar ist. Insomit bildet § 157 in Verbindung mit § 242 die Grundlage f ü r die im B G B nicht ausdrücklich aufgenommene, aber doch anerkannte e x c e p t i o d o l i g e n e r a l i s des gemeinen Rechtes ( R G 7 1 , 4 3 5 ; R G J W 1904, 89; s. auch B G H 10, 1; 13, 346, 348; vgl. auch Anm. zu § 242). Die Einrede der A r g list im Fall arglistiger Täuschung entsteht aus § 157 selbständig, ohne daß es der A n fechtung des Geschäftes oder der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches bedarf ( R G 58, 3 5 6 ; R G J W 1904, 89).

Anm. 4 II. Sachlicher und zeitlicher Anwendungsbereich Das Anwendungsgebiet des § 157 umfaßt Verträge aller Art und Gattung, auch dingliche Verträge ( R G J W 1937, 2 1 8 7 ; über die Auslegung von V e r trägen, in denen dingliche Rechte begründet werden, s. R G L Z 1 9 1 7 , 9 1 7 ; R G SeufFArch 79 Nr. 1 1 7 ; 85 Nr. 74; R G 9. 10. 1930 V I 814/29); entsprechend aber auch vertragsähnliche Verhältnisse (wie beispielsweise die Auslobung) mit alleiniger Ausnahme der Fälle, wo die Anwendung des Grundsatzes von T r e u und Glauben und der Verkehrssitte ausdrücklich ausgeschlossen ist ( R G 6. 10. 1903 V I I 208/03). Uber die Auslegung von Gesellschaftsverträgen einer G m b H unter Anwendung der §§ 1 3 3 , 1 5 7 s. R G 165, 68 (73), wobei zu beachten ist, daß die Satzung sich an einen unbestimmten Personenkreis — Gläubiger, künftige Gesellschafter — wendet, der über die Gedanken und Absichten der Vertragschließenden nicht unterrichtet ist, weshalb Nebenabreden, die in der Satzung keinen Ausdruck gefunden haben, unberücksichtigt bleiben müssen. Anwendung auf Tarifverträge R A G 1, 1 2 7 ; 12, 40; 24, 3 2 5 ; auf Tarifschiedssprüche R A G 1, 2 1 3 ; 4, 1 0 4 ; auf den Inhalt von Arbeitsordnungen R A G 1, 283. Für Tarifordnungen s. Anm. zu § 6 1 1 . Die allgemeinen Auslegungsgrundsätze der §§ 1 3 3 , 157» 242 sind auch bei Strafgedingen, insbesondere solchen, die mit Konkurrenzverboten verbunden sind, anwendbar ( R G J W 1908, 476; 1 9 1 0 , 279 und 934; 1920, 137) vgl. auch § 1 3 3 Anm. 9 — 1 1 .

534

Vertrag

§157

A n m . 5—7 Anm. 5 Die Grundsätze von Treu und Glauben gelten auch für das Gebiet des ö f f e n t l i c h e n R e c h t s . Hat der Vorstand einer Sparkasse satzungswidrige Geschäfte selbst vorgenommen oder zu ihnen Auftrag gegeben, so würde es gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn die Sparkasse den Sparkassenleiter für sein satzungswidrig von ihm abgeschlossenes Geschäft in Anspruch nehmen wollte (RG H R R 1932 Nr. 1382). Auch im öffentlichen Recht muß ferner nach Treu und Glauben jeder seine Erklärungen und Handlungen so gelten lassen, wie der andere sie auffassen durfte (RG 130, 99; R G H R R 1928 Nr. 1345; R G J W1931,1964; R G D R Z 1931, Nr. 5). Das R G ist jedoch in ständiger Rechtsprechung von der Ausschließlichkeit öffentlich-rechtlicher Satzungsvorschriften für die V e r t r e t u n g öffentlicher Anstalten, insbesondere von Sparkassen, ausgegangen und hat hieraus gefolgert, daß eine Vertretungsmacht aus anderweiten Tatbeständen (Treu und Glauben, stillschweigende Vollmacht, Anscheinsvollmacht) nicht zur Entstehung gelangt (RG 1 1 4 , 227, 230 und 247, 254; 127, 226; 146, 42; 157, 207; 162, 129, 149)- Auch der O G H hat die Auffassung vertreten, daß die im öffentlichen Interesse erlassenen Vorschriften über die rechtsgeschäftliche Vertretung öffentlich-rechtlicher Körperschaften und Anstalten nicht durch Berufung auf Treu und Glauben umgangen werden dürften ( O G H 1, 242; 2, 319, 330). Von dieser Rechtsprechung geht auch B G H 6. 330 aus. Dagegen läßt die Entscheidung B G H L M Nr. 3 (Ga) zu § 157 ausdrücklich die Frage offen, ob auch im Rechtsverkehr mit öffentlichen Kreditanstalten und Sparkassen eine Berufung auf die Rechtsgrundsätze der A n s c h e i n s v o l l m a c h t möglich ist, erklärt dagegen die Berufung auf eine F r e i z e i c h n u n g s k l a u s e l in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Bank als mißbräuchliche Rechtsausübung für unbeachtlich, weil sie nach den besonderen Umständen des Einzelfalles mit Treu und Glauben unvereinbar sei (s. auch Anm. 1 1 zu § 125). Im B e a m t e n r e c h t , das von einer besonderen Formstrenge beherrscht wird, muß, namentlich zum Schutz der Beamten, die auf Klarheit behördlicher Bescheide Anspruch haben und deren eigene Erklärungen nur bei unzweideutiger Sachlage zu ihrem Nachteil zu deuten sind ( R G 96, 302; 1 1 4 , 130), der Eigenart dieses Rechtes Rechnung getragen werden (RG 113, 8 1 ; 125, 3 ' 5 ; R G J W 1928, 1508; 1932, 3253), vgl. auch § 1 3 3 Anm. 10.

Anm. 6 Für die Auslegung von Verträgen, die v o r d e m I n k r a f t t r e t e n des B G B geschlossen sind, gelten an sich die früheren Gesetze (Art. 170 E G ) , also auch die früheren Auslegungsvorschriften; doch dürfen die Grundsätze des neueren Rechtsdenkens, insbesondere der §§ 133, 157, 242 dabei nicht außer acht bleiben (RG H R R 1937 Nr. 228; s. auch H R R 1933 Nr. 191).

Anm. 7 III. Vertragsergänzung Wie oben Anm. 2 dargelegt wurde, ist Aufgabe der Auslegung nach § 157 nicht nur, den sich aus den Parteierklärungen unmittelbar ergebenden Vertragsinhalt festzustellen, sondern darüber hinaus o f f e n g e b l i e b e n e P u n k t e , die durch die Parteierklärungen keiner feststellbaren Regelung zugeführt worden sind, im Wege einer e r g ä n z e n d e n V e r t r a g s a u s l e g u n g in der Weise zu regeln, wie es dem mutmaßlichen oder dem hypothetischen Parteiwillen, der unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte zu ermitteln ist, entspricht. Ergibt sich im Einzelfalle, daß die Parteien innerhalb ihrer Vereinbarungen eine L ü c k e offengelassen haben, die, falls nicht der gesamte Vertragszweck mehr oder weniger gefährdet sein, oder der eine Vertragsteil einen ungebührlichen, ihm nicht zuzumutenden Nachteil erleiden soll, notwendig der Ausfüllung bedarf, dann wird der Richter die Frage prüfen und beantworten müssen, wie die Parteien den fraglichen, ungeregelt gebliebenen Punkt dann geregelt haben würden, wenn sie ihn ausdrücklich hätten regeln wollen. V o r a u s -

setzung ist dabei i m m e r , daß der Vertrag wirklich besteht, und daß e s sich

n u r u m e i n e L ü c k e h a n d e l t , die, ohne den Vertrag als solchen gemäß § 154 in Frage zu stellen, insofern als ausfüllbar erscheinen kann, als anzunehmen ist, daß beide Teile den fraglichen Punkt bei redlichem Verhalten übereinstimmend in der ermittelten Weise 35

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§157

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A n m . 8—10 geregelt haben würden. Für eine Ergänzung ist somit nur R a u m , wenn der Vertrag innerhalb seines tatsächlich gegebenen Rahmens oder innerhalb der wirklich getroffenen Vereinbarungen, also innerhalb des abredegemäßen Vertragsgegenstandes selbst eine Lücke aufweist ( B G H 9, 273; 12, 337). Es handelt sich nicht um eine Ergänzung des Parteiwillens, wie vielfach gesagt wird, sondern um die E r g ä n z u n g d e s V e r t r a g s i n h a l t s durch Ermittlung dessen, was für einen später eingetretenen, beim Vertragsschluß nicht vorgesehenen Fall zwischen den Vertragsteilen rechtens sein soll, nach den Richtlinien von Treu und Glauben im Verkehr, s o w i e u n t e r B e r ü c k s i c h t i g u n g des im V e r t r a g e f ü r die dort ins A u g e g e f a ß t e n V e r h ä l t n i s s e a u s g e d r ü c k t e n P a r t e i w i l l e n s ( R G H R R 1929 Nr. 794; B G H ig, 269 für die Umdeutung eines Rechtsgeschäftes sowie Anm. F i s c h e r in L M zu Nr. 1 zu § 140 und Nr. 1 zu Allg. Geschäftsbedingungen) .

Anm. 8 Weist der Vertrag innerhalb seiner eigenen Grenzen eine ersichtliche Lücke auf, dann ist es gleichgültig, ob die Lücke deswegen entstanden ist, weil die Vertragsparteien die zu vermissende Regelung u n b e w u ß t o d e r b e w u ß t unterlassen haben, wie auch ferner, ob die Lücke als solche v o n A n f a n g a n b e s t a n d e n hat, oder ob sie sich e r s t n a c h t r ä g l i c h als Folge des weiteren Verlaufs der Dinge ergeben hat ( R G H R R 1932 Nr. 702; B G H 12, 337). In diesem Falle wird zu fragen sein, wie würden die Parteien den ungeregelt gebliebenen Punkt, wiederum nach Treu und Glauben bemessen, dann geregelt haben, wenn sich die Notwendigkeit der Regelung schon beim Vertragsschluß herausgestellt hätte. Entzieht sich das eingetretene Ereignis infolge einer Veränderung der allgemeinen Verhältnisse und der Rechtsanschauung einer Beurteilung nach dem Vertragswillen, dann kommt freilich eine ergänzende Vertragsauslegung zur Ausfüllung einer nachträglich entstandenen Vertragslücke nicht in Betracht ( B G H 23, 282).

Anm. 9 Z u r ergänzenden Auslegung von Tarifverträgen s. R A G 5, 1 3 0 ; 7, 5 7 ; 8, 228 und Anm. zu § 6 1 1 . Im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung wurde z.B. auch angenommen, daß die Parteien eines behördlicher Genehmigung unterliegenden Grundstücksveräußerungsvertrages gegenseitig verpflichtet sind, zur Herbeiführung der Genehmigung mitzuwirken ( L G L Z 1927, 23g). Ergänzende Auslegung eines Ehe-, Erbund Erbverzichtsvertrages R G SeufFArch go Nr. 152. Ergänzende Auslegung von Eisenbahntarifen R G 137, 133. In dem Urteil R G WarnRspr ig 13 Nr. 302 ist die ergänzende Auslegung auch für die Feststellung als zulässig erachtet worden, w e l c h e m R e c h t e , ob dem deutschen oder dem fremden, die Parteien sich unterworfen haben würden, wenn sie diese Frage in Berücksichtigung gezogen hätten. Zur Feststellung des vermutlichen Willens der Vertragsteile zur Bestimmung des anzuwendenden Rechtes s. auch R G 1 1 8 , 283; 1 1 g , 259.

A n m . 10 Im Interesse der Sicherheit des Rechtsverkehrs und nach dem das Rechtsleben beherrschenden Grundsatz pacta sunt servanda darf die ergänzende Auslegung keinesfalls zu einer A b ä n d e r u n g des geschlossenen Vertrages im Widerspruch zu dem im Vertrag zum Ausdruck gebrachten Parteiwillen ( R G H R R 1929 Nr. 794; 1933 Nr. 1 5 7 3 ; 1934 Nr. 1 2 7 5 ; B G H 24, 165, 169) noch zu einer unzulässigen Erweiterung des Vertragsgegenstandes ( R G 87, 2 1 3 ; 129, 88; 136, 185), sondern bloß zu einer Ergänzung des Vertragsinhaltes führen ( R G 129, 88; R G SeuffArch go Nr. 140, B G H g, 273, 278; 23, 282). Maßgebend bleibt der im Vertrag zum Ausdruck gekommene Vertragswille ( R G WarnRspr i g i 6 Nr. 1 5 7 ; vgl. auch R G 87, 2 1 1 : Hier hatte sich der Kläger vom Beklagten ein Wegerecht nur an einer ganz bestimmten Strecke ausbedungen, der Kläger wollte es aber vermöge ergänzender Auslegung auch noch an einer anderen Strecke bewilligt haben; vgl. ferner R G 136, 1 7 8 ; R G Gruchot 65, 471 und 5g4). Eine durch die Auslegung auszufüllende Vertragslücke kann auch nicht schon dann angenommen werden, wenn die vom Gläubiger erwartete Sicherung seiner Forderung sich später als ungenügend erweist ( R G 1 1 8 , 370; 145, 5 1 ; 154, 187 bis 192). Das Ergebnis

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Vertrag

§157 A n m . 11, 12

der ergänzenden Auslegung m u ß sich als selbstverständliche Folge aus d e m Z u s a m m e n h a n g der wirklich getroffenen Abreden derart darstellen, d a ß eine Ablehnung der E r g ä n z u n g sich in Widerspruch zu d e m ausdrücklich Verabredeten setzen w ü r d e ( R G W a r n R s p r 1916 Nr. 289). Einem festgestellten Vertragswillen gegenüber kann eine Auslegung nach Billigkeit u n d nach der Verkehrssitte niemals Platz greifen ( R G W a r n Rspr 1916 Nr. 241; R G H R R 1928 Nr. 206). Auch m u ß es sich u m einen Punkt handeln, der der Regelung bedurfte, u n d es m u ß die E r g ä n z u n g in d e m Vertragsinhalt eine Stütze als Richtlinie finden ( R G 92, 320 u n d 420; 136, 178 u n d dort erwähnte Entsch.; ferner 136, 271). Die E r g ä n z u n g d u r c h Auslegung ist nach alledem nur i m R a h m e n d e s V e r t r a g e s zulässig, darf nicht zur U m ä n d e r u n g des Vertrages f ü h r e n u n d ist, unter d e m Gesichtspunkt von T r e u u n d Glauben, n a c h den aus d e m Vertrag sich ergebenden Richtlinien vorzunehmen ( R G 87, a n ; 92, 320 u n d 421; 136, 178; R G J W 1921,1077; i934> 753; 1935. 1233; R G H R R 1933 Nr. 1573; 1934 Nr. 1275; R G W a r n Rspr 1912 Nr. 289; R G Gruchot 54, 386; 61, 113). Hierbei ist das Interesse beider Vertragsparteien zu berücksichtigen ( R G 79, 438; 88, 416). Die Ergänzung des Vertrages im Wege der Auslegung hat ihre Grenze, wo a n u n d

für sich bestehende Vertragslücken durch gesetzliche Vorschriften geregelt werden, die zu Zwecken der L ü c k e n a u s f ü l l u n g erlassen sind. Die H a f t u n g aus Art. 47 R E G (AmZ.) Art. 39 R E G (BrZ.) kann daher nicht d u r c h ergänzende Vertragsauslegung nach § 157 ausgeschlossen oder eingeschränkt werden. Ein Ausschluß oder eine Einschränkung der H a f t u n g nach diesen Vorschriften ist n u r nach § 242 möglich ( B G H L M N r . 5 [A] zu § 133).

A n m . 11 IV. Treu und Glauben 1. A l l g e m e i n e s Bei der Auslegung von Verträgen, namentlich auch bei der Feststellung von Nebenpflichten, spielt der Grundsatz von T r e u u n d Glauben eine bedeutsame Rolle. Er darf freilich nicht zu einer Korrektur der in den gesetzlichen Grenzen getroffenen Vereinb a r u n g f ü h r e n . Die bloße Möglichkeit einer H ä r t e m a c h t einen V e r t r a g nicht auslegungsfähig ( R G J W 1909, 16g). Ist eine Erklärung klar u n d zweifelsfrei, so kann sie nicht deshalb umgedeutet werden, weil sie gegen T r e u u n d Glauben verstößt ( R G 82, 316; vgl. auch § 133 A n m . 3). Gegen T r e u u n d Glauben verstößt im allgemeinen nicht die G e l t e n d m a c h u n g der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts, worauf diese auch b e r u h e n m a g ( R G W a r n R s p r 1911 N r . 224; s. jedoch § 125 A n m . 7—10).

A n m . 12 2. Einzelfälle Die Zubilligung einer Pension i m Wege der ergänzenden Vertragsauslegung k a n n mit T r e u u n d Glauben unvereinbar sein, wenn ein Vertrag wegen erheblicher politischer Belastung gekündigt worden ist u n d die G e w ä h r u n g eines Ruhegehaltes auf die Sicherung von Vermögensvorteilen hinauslaufen würde, die der Gekündigte im wesentlichen oder zu einem erheblichen Teil seinen engen Beziehungen z u m Nationalsozialismus zu verdanken h a t ( B G H 12, 337). Zu beachten ist, d a ß die Frage, was T r e u u n d Glauben entspricht, zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich zu beantworten sein kann (RG 148, 93). Die Geltendmachung vertraglich zugesagter Versorgungsansprüche d u r c h frühere Organmitglieder einer Kapitalgesellschaft oder deren Hinterbliebenen kann gegen T r e u u n d Glauben verstoßen, wenn die Ansprüche aus sachlich nicht gerechtfertigten Gründen gewährt worden sind ( B G H 13, 346). Die Rückzahlung einer a m Tage oder wenige T a g e vor der Währungsumstellung formal fällig gewordenen Abfindungsforderung, die durch V e r f ü g u n g über elterliches Vermögen z u m Zweck einer vorweggenommenen Erbregelung begründet worden ist, kann im Einzelfall gegen T r e u u n d Glauben verstoßen ( B G H L M N r . 3 zu § 378).

§ 157

Anm. 13—16

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 13 V. Die Verkehrssitte Verkehrssitte ist die den Verkehr der beteiligten Kreise beherrschende tatsächliche Übung ( R G 4 9 , 1 6 2 ; 55,377; R G J W 1 9 0 6 , 7 3 6 ; R G WarnRspr 1919 Nr. 131). Sie ist aber nur dann von Bedeutung, wenn sie für beide Vertragsteile gilt (RG 135, 345). Zur Verkehrssitte gehören insbesondere Handelsbräuche im Sinne von § 346 H G B (RG 1 3 5 , 345). Es braucht sich nicht u m Sätze des Handelsgewohnheitsrechts zu handeln, vielmehr können auch bloß in der Übung beruhende Regeln in Betracht kommen ( R G J W 1922, 706). Uber den Begriff der Verkehrssitte und den Unterschied zwischen örtlicher Verkehrssitte und örtlichem Gewohnheitsrecht s. R A G 13, 188. Z u berücksichtigen ist eine Verkehrssitte oder ein Handelsgebrauch auch dann, wenn sie sich e r s t n a c h A b s c h l u ß des V e r t r a g e s g e b i l d e t haben ( R G WarnRspr 1 9 1 6 Nr. 69). Eine Verkehrssitte, die sich nach Vertragsschluß gebildet hat, kann zwar nicht zur Auslegung der früher liegenden Willenserklärung der Beteiligten verwertet werden, aber unter Umständen, namentlich bei langdauernden Vertragsverhältnissen für eine Vertragsergänzung oder dafür von Bedeutung sein, wie die geschuldete Leistung zu bewirken ist ( R G J W 1938, 859).

Anm. 14 Allgemein ist davon auszugehen, daß jedermann sein Verhalten im geschäftlichen Verkehr gegen sich so gelten lassen muß, wie es von der Verkehrssitte verstanden wird, ohne daß es auf seinen inneren Willen ankommt ( R G 68, 1 2 1 ; 95, 122, 243; R G J W 1 9 1 1 , 90; 1926, 2838; 1929, 3 3 ; R G Recht 1923 Nr. 854; 1927 Nr. 2396). Der g e h e i m e V o r b e h a l t einer Partei, sie wolle sich einem Handelsbrauch nicht unterwerfen, kann an dem Vertragsinhalt nichts ändern ( R G J W 1908, 688). Die Verkehrssitte ergänzt das Gesetz und b i n d e t im allgemeinen auch den, der mit i h r e m V o r h a n d e n s e i n n i c h t v e r t r a u t w a r , ohne daß eine stillschweigende Vereinbarung zugrunde gelegt zu werden braucht. Der Wille, sich der Verkehrssitte nicht zu unterwerfen, muß kundgetan sein ( R G 6 9 , 1 2 5 ; R G J W 1907, i 4 g ; R G G r u c h o t 5 3 , 4 i o ; 5 9 , 1 1 5 ; R G SeufFArch 84 Nr. 18). Widerspricht der Wille der Parteien, wie er in ihrer Vertragserklärung in Erscheinung getreten ist, unzweideutig der Verkehrssitte, so ist nicht diese, sondern der Inhalt der Erklärung maßgebend ( R G 69, 126; B G H L M Nr. 1 [B] zu § 157). Liegt aber kein unzweideutiger Widerspruch vor, und weiß der Gegner des Erklärenden auch nicht, daß die Erklärung im Sinne eines solchen Widerspruches zu verstehen ist, so muß die Erklärung unter Berücksichtigung der Verkehrssitte ausgelegt werden, auch wenn diese dem Erklärenden nicht bekannt war ( R G 1 1 4 , g, 12). So ist anzunehmen, daß derjenige, der auf einem bestimmten Marktplatz Geschäfte abschließt, sich den dortigen Gebräuchen unterwirft; hat er sich nach ihnen nicht erkundigt, so hat er fahrlässig gehandelt und muß die Folgen tragen ( R G J W 1922, 706). Bei Bestellung von Waren ist maßgebend, was an dem Orte, wo die Bestellung erfolgt ist, unter den gebrauchten Ausdrücken verstanden wird ( R G J W 1922, 706). Die Verkehrssitte, daß bei Kunstversteigerungen der Versteigerer Provision auch von den Käufern nimmt, müssen diese selbst dann gegen sich gelten lassen, wenn sie die Sitte nicht gekannt haben ( R G 20.9. 1929 I I I 528/28).

Anm. 15 Immer aber sind Handels- und Verkehrssitte nur da zu beachten, wo sie mit der Sicherheit des Verkehrs vereinbar sind, den Beteiligten nicht Unbilliges zumuten, also wo sie sich nicht als ein M i ß b r a u c h erweisen ( R G 1 1 4 , 9, 1 3 ; R G J W 1922, 488; 1926, 642, 2079; 1932, 586; B G H 16, 4, 12).

Anm. 16 Besteht eine allgemeine und ausnahmslose Verkehrsauffassung über die Bedeutung von Rechtshandlungen, so genügt für die Auslegung im Zweifel die Bezugnahme auf jene Auffassung, wird aber eine Verkehrsauffassung n u r a l s in d e r R e g e l , dagegen n i c h t a l s a u s n a h m s l o s bestehend angenommen, so bedarf es zur Feststellung des kon-

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Vertrag

§157 Anm. 17—20

kreten Vertragswillens der Parteien eines bestimmten Ausspruchs dahin, daß sich die Parteien die Regel als Richtschnur haben dienen lassen ( R G 75, 340). Eine an sich allgemein geltende Regel kann durch einen a b w e i c h e n d e n ö r t l i c h e n G e b r a u c h durchbrochen sein ( B G H L M Nr. 1 [B] zu § 157 Reklame an Geschäftshäusern).

Anm. 17 VI. Einzelne Auslegungsgrundsätze G e s e t z l i c h e A u s l e g u n g s r e g e l n u n d V e r m u t u n g e n greifen nur insoweit ein, als sich nicht durch Auslegung des individuellen Vertragsverhältnisses ein anderes ergibt. Der Verpflichtung zur Auslegung darf sich der Richter nicht durch Verwendung von Beweisvermutungen entziehen ( R G J W 1 9 1 1 , 87, 2 1 3 ) . Vgl. auch unten Anm. 53 ff.

Anm. 18 Bei der Auslegung von Willenserklärungen sind alle U m s t ä n d e zu beachten, die, sofern eine Erklärung überhaupt auslegungsfähig ist, geeignet sind, einen wesentlichen Anhalt für die Feststellung des wirklichen, in der Erklärung nur unvollkommen ausgedrückten Willens zu bieten; so auch Erklärungen bei den zum Abschlüsse und zur (schriftlichen) Abfassung eines Vertrages führenden Vorverhandlungen. Enthält eine einzelne Vertragsbestimmung keine eindeutige Regelung, so verstößt es gegen §§ 1 3 3 , 157, wenn das Gericht sich bei der Auslegung auf den Wortlaut dieser Bestimmung beschränkt, ohne den Inhalt des ganzen Vertrages heranzuziehen und bei der Auslegung das Gesamtbild der vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien zu berücksichtigen ( B G H L M Nr. 3 [B] zu § 1 3 3 ) . Für die Ermittlung des Vertragsinhalts kommt namentlich auch der V e r t r a g s z w e c k und das, was nach ihm auch bei nicht ausdrücklicher Festlegung als von den Vertragsteilen vernunftgemäß gewollt anzusehen ist, maßgebend in Betracht ( R G H R R 1936 Nr. 1610). Schließt jemand zur Erreichung eines von ihm allein nicht erreichbaren Zieles mit vielen anderen ohne Begründung eines gesellschaftlichen Zusammenschlusses gleichlautende Verträge, so ist bei der Auslegung des Inhaltes der Einzelverträge auch das allen Teilnehmern bewußte Ziel der Gesamtaktion mit zu berücksichtigen ( B G H L M Nr. 8 [A] zu § 157 = N J W 1955, 587). Die Erwägungen des Gerichts brauchen sich nicht auf das ausdrückliche Vorbringen der Parteien zu beschränken; auch Erfahrungstatsachen sind zu verwerten ( R G 10. 6. 1933 I 2/33). S. auch § 1 3 3 Anm. x—4 und Anm. 18.

Anm. 19 Ein Vertrag darf nicht nach den einseitigen Interessen und dem bloß inneren Willen der einen oder der anderen Partei ausgelegt werden. Die Auslegung muß vielmehr unter

Berücksichtigung der Interessen beider Teile und ihres erklärten Willens er-

folgen ( R G 7g, 438; 8 8 , 4 1 6 ) . Die verkehrsgemäße unter Heranziehung der Umstände des Falles ermittelte Bedeutung einer Erklärung kann auch nicht f ü r jede der Parteien eine andere sein ( R G H R R 1932 Nr. 1030). Wer seine Willenserklärung anders aufgefaßt wissen will, als sie von der Allgemeinheit aufgefaßt wird, ist nach T r e u und Glauben verpflichtet, den anderen über seine wahren Absichten aufzuklären; andernfalls haftet er nach Maßgabe der abgegebenen Erklärung so, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern ( R G J W 1908, 4 ; 1909, 489 und 90). E r kann nicht geltend machen, daß die seiner Erklärung gegebene Auslegung nicht seinem Willen entspreche. Bei der Vertragsauslegung kann ein Unterschied zwischen Irrtum im Beweggrund und Irrtum über den Erklärungswillen nicht gemacht werden (RG SeuffArch 64 Nr. 137). Z u r Vertragsauslegung, wenn bei wörtlich gleichen Erklärungen jede Partei ihre Erklärung anders verstanden wissen will, R G H R R 1930 Nr. 279. Der bewußte Wechsel eines einmal eingenommenen Rechtsstandpunktes kann die Einrede der Arglist begründen (RG 144, 89), nicht aber genügt dazu die Aufgabe einer irrtümlich angenommenen Rechtsanschauung ( R G Gruchot 50, 962).

Anm. 20 Es gibt keinen Rechtssatz des Inhalts, daß eine Bestimmung, die nicht völlig klar ist, g e g e n d e n a u s z u l e g e n s e i , d e m e i n R e c h t e i n g e r ä u m t worden ist (RG

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§157 A n m . 21—23

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

W a r n R s p r 1908 N r . 7); a u c h keinen des Inhalts, d a ß gewisse V e r t r ä g e e n g auszulegen sind ( R G J W 1908,476). W e r a b e r , z.B. d u r c h V e r w e n d u n g eines von i h m üblicherweise g e b r a u c h t e n V o r d r u c k s oder d u r c h die Fassung eines Vertrages oder allgemeiner V e r t r a g s b e d i n g u n g e n oder des Inhalts von Briefen, die einen schriftlichen V e r t r a g ersetzen, eine U n k l a r h e i t v e r a n l a ß t h a t , m u ß sich regelmäßig gefallen lassen, d a ß die Auslegung zu seinem Nachteil geschieht ( R G 6 3 , 1 3 ; 67, 4 3 3 ; 68, 128; 86, 8 8 ; 8 8 , 4 2 8 ; 91, 426; 131, 351; R G J W 1911, 90; 1935, 3161; R G W a r n R s p r 1912 N r . 330; R G L Z 1927,1340; R G 13. 10. 1 9 2 8 I 178/28; s. auch R G J W 1938,1891). A u c h d ü r f e n f o r m u l a r m ä ß i g e Sicherungserklärungen, die eine Bank sich ausstellen läßt, nicht o h n e G r ü n d e a u s d e h n e n d zu Lasten des E r k l ä r e n d e n ausgelegt w e r d e n ( R G J W 1934, 3054). A n d e r R e c h t s p r e c h u n g des Reichsgerichts, d a ß Zweifel bei der Auslegung von F o r m u l a r v e r t r ä g e n gegen d e n auszulegen sind, d e r das F o r m u l a r gewählt h a t u n d sich h ä t t e klarer ausdrücken k ö n n e n ( R G 117, 107; 120, 18; 145, 26; R G L Z 1927, 1340), h a t d e r Bundesgerichtshof festgehalten (vgl. B G H 5, 111).

A n m . 21 Eine Regel d a h i n , d a ß R e c h t s v e r z i c h t e nicht zu v e r m u t e n seien, besteht i m allgemeinen n i c h t ; steht aber ein u n e n t g e l t l i c h e r V e r z i c h t in Frage, d a n n ist d e r V e r t r a g gegen d e n auszulegen, d e m d e r Verzicht z u m Vorteil gereichen w ü r d e ( R G J W 1911, 1014). Begrenzung d e r Tragweite eines vergleichsweise erklärten Verzichts auf alle künftigen A n s p r ü c h e aus einer K ö r p e r b e s c h ä d i g u n g i m Sinne beiderseitiger Vorstellung s. R G 131, 278. F ü r den Fall eines e i n d e u t i g e n Verzichts a u c h auf u n v o r h e r gesehene Schäden in einem Abfindungsvergleich ist n a c h B G H v. 25. 6. 1957 V I 178/56: in der Regel jede N a c h f o r d e r u n g ausgeschlossen. A n d e n Nachweis einer beschränkten W i r k u n g des Vergleichs sind besonders strenge A n f o r d e r u n g e n zu stellen. Der V e r z i c h t a u f G e w ä h r l e i s t u n g jeglicher Art schließt die B e h a u p t u n g aus, d a ß n a c h d e r Verkehrssitte die Gewährleistung f ü r S c h w a m m s c h ä d e n v o m Verzicht n i c h t u m f a ß t sei ( R G 10. 2. 1906 V 335/05), d e n n die Klausel ist klar u n d nicht auslegungsfähig. Die A n n a h m e des Verzichts auf einen geltend g e m a c h t e n A n s p r u c h bedarf u n t e r U m ständen besonderer Feststellung, n a m e n t l i c h n a c h der R i c h t u n g , o b auf d e n A n s p r u c h selbst verzichtet oder n u r eine von m e h r e r e n Begründungsmöglichkeiten fallengelassen w e r d e n soll ( R A G 9, 231).

A n m . 22 V e r w i r k u n g s k l a u s e l n sind n u r i m Zweifel zugunsten des Verpflichteten auszulegen ( R G 82, 54). Vgl. ferner ü b e r die Auslegung von Verwirkungsklauseln §§ 357, 360. Bedeutung einer sog. V e r f a l l k l a u s e l s. R G G r u c h o t 71, 79. I m Zweifel ist a n z u n e h m e n , d a ß die Folgen der N i c h t e i n h a l t u n g einer Frist n u r i m V e r z u g s f a l l , also bei s c h u l d h a f t e r Fristversäumnis eintreten sollen ( R G J W 1908, 234; 1919, 570; R G W a r n R s p r 1913 N r . 223; 1919 N r . 161; R G H R R 1935 N r . 2; 1938 N r . 1104).

A n m . 23 F r e i z e i c h n u n g s k l a u s e l n sind bei w e i t g e h e n d e m Haftungsausschluß, insbesondere in allgemeinen Bedingungen, e n g auszulegen, U n k l a r h e i t e n gehen bei Freizeichnungsklauseln zu Lasten dessen, der sie ausbedingt ( R G 142, 353; R G J W 1934, 2 3 9 5 ! ! 9 3 8 , 1594). Insbesondere k a n n ein Ausschluß d e r H a f t u n g f ü r e i g e n e s V e r s c h u l d e n oder das von E r f ü l l u n g s g e h i l f e n n u r bei ausdrücklicher E r k l ä r u n g a n g e n o m m e n werden ( R G H G Z H p t b l . 1889, N r . 99; B G H 5, m ) . Die Freizeichnung des Lagerhalters g e m ä ß § 52 A D S p von der H a f t u n g f ü r S c h ä d e n , die bei einem Dritten entstehen, sieht voraus, d a ß der Dritte einen Teil der Vertragspflichten als selbständiger U n t e r n e h m e r ü b e r n o m m e n h a t ; sie greift dagegen nicht ein, w e n n der Spediteur sich des Dritten als Gehilfen bedient h a t ( B G H 9, 63). Freizeichnungsklausel „Lieferzeit u n v e r b i n d l i c h " u n d „ S c h a d e n s e r s a t z a n s p r ü c h e vollständig ausgeschlossen" s. R G H R R 1934 N r . 560. F ü h r t d e r V e r k ä u f e r eine Freizeichnungsklausel (hier: richtige u n d rechtzeitige Selbstbelieferung, glückliche A n k u n f t , behördliche M a ß n a h m e n vorbehalten) u n t e r einem besonderen Stichwort (hier u n t e r „ L i e f e r z e i t " ) , so k a n n d e r V e r t r a g

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Vertrag

§157 A n m . 24

dahin ausgelegt werden, daß die Freizeichnung nur für diesen Vertragspunkt (hier die Lieferzeit) wirkt ( B G H 24, 39). Die in den Hamburger Dock- und Reparaturbedingungen enthaltene Freizeichnungsklausel für Schadensersatzansprüche schließt nicht den Anspruch auf Ersatz von Schäden aus, deren Beseitigung sich zwar nicht rechtlich, aber wirtschaftlich gesehen als N a c h b e s s e r u n g darstellt ( B G H L M Nr. 37 [Cd] zu § 242). Ausschluß der H a f t u n g e i n e r B a n k für A u s k ü n f t e u n d E m p f e h l u n g e n durch eine Freizeichnungsklausel in den allgemeinen Geschäftsbedingungen s. B G H L M Nr. 3 (Ga) zu § 157 und B G H 13, 198. Die Geltendmachung des Haftungsausschlusses kann unter besonderen Umständen rechtsmißbräuchlich sein. Das gleiche gilt auch für die Aufrechnungsausschlußklausel von Ziff. 2 der Allg. Geschäftsbedingungen der Banken ( B G H L M Nr. 20 (Ba) zu § 242). Werden in allgemein verbindlichen oder üblicherweise in einem Geschäftszweig zugrundegelegten Allgemeinen Vertragsbedingungen die gesetzlichen Gewährleistungsansprüche auf Wandelung und Minderung ausgeschlossen, und wird dafür eine Nachbesserungspflicht des Verkäufers vereinbart, so umfaßt ein außerdem vereinbarter Ausschluß mittelbarer und unmittelbarer Schadensersatzansprüche nicht ohne weiteres auch die Schadensfolgen, die sich aus einer schuldhaften Verletzung der Nachbesserungspflicht ergeben ( B G H L M Nr. 1 zu Allg. Beding, f. d. Verkauf von Kfz.). Sind durch die Allg. Geschäftsbedingungen die Gewährleistungsansprüche des Käufers für Sachmängel völlig ausgeschlossen, so stehen dem Käufer statt dessen Nachbesserungsansprüche zu (RG 142, 353; R G L Z 1 9 3 1 , 1379; R G D R 1 9 4 1 , 1 7 2 6 ) . Wird die Nachlassung verweigert oder ungebührlich verzögert, so kann der Käufer auf die Gewährleistungsansprüche zurückgreifen (RG 87, 3 3 5 ; 96, 268; R G L Z 1 9 3 1 , 1379; B G H 22, 90 bei einem Verkauf fabrikneuer Möbel an den letzten Abnehmer). Ist ein Abzahlungsgeschäft in Form von Allgemeinen Geschäftsbedingungen in zwei selbständige Verträge — einen Kauf- und einem Darlehnsvertrag — aufgespalten, so kann bei der geschilderten Sachlage der Käufer die Sachmängeleinwendungen auch dem Zahlungsbegehren des Kreditinstituts entgegensetzen ( B G H 22, 90). Die Klausel in einem Kaufvertrage (über zu liefernde Maschinen), daß „alle anderen Ansprüche, insbesondere solche auf Schadensersatz, Wandlung, Minderung ausgeschlossen seien", kann im Zweifel nach Treu und Glauben nicht dahin verstanden werden, daß auch Schadensersatzansprüche wegen N i c h t e r f ü l l u n g ausgeschlossen seien, die Klausel bezweckt vielmehr nur eine Beschränkung der Mängelhaftung (RG WarnRspr 1920 Nr. 144; vgl. auch unten Anm. 3 8 f f ) . A n m . 24 Ob S c h w e i g e n als Zustimmung zu gelten hat, ist nach den Gesamtumständen des Einzelfalles unter Berücksichtigung von Treu und Glauben im Verkehr zu beurteilen (RG J W 1 9 1 5 , 19; R G D R W 1940, 2250 Nr. 2 vgl. auch Anm. 11 zu § 133, § gif zu § 147; Anm. 5 vor § 1 1 6 ) . Zum Schweigen als Annahme eines neuen Angebotes unter Bezugnahme auf einen ursprünglichen Vertrag bei beiderseitigen Handelsgeschäften B G H 1, 353. Die Untätigkeit auf die Übersendung eines E r s a t z l o s e s d u r c h L o t t e r i e u n t e r n e h m e n ist regelmäßig keine Annahmeerklärung, es sei denn, daß durch das Verhalten in früheren gleichgelagerten Fällen der Eindruck eines Einverständnisses hervorgerufen worden ist ( B G H L M Nr. 2 zu § 148). Stillschweigende A u f l ö s u n g eines Vertragsverhältnisses s. R G H R R 1931 Nr. 100. Zur Wiederholung einer bereits abgegebenen Erklärung ist der Erklärende dann nicht verpflichtet, wenn der Gegner bei Abgabe seiner Erklärung nicht erwarten durfte, daß der Erstgenannte von seinem früher kundgegebenen Standpunkt abgehen werde (RG 29. 11. 1910 N 61/10). Es besteht auch kein allgemeiner Rechtssatz dahin, daß Schweigen auf die Kundgebung einer abweichenden Vertragsauffassung Zustimmung bedeutet (RG H R R 1933 Nr. 1567). Das längere Zeit hindurch fortgesetzte Verhalten eines Vertragsteiles kann aber die Auslegung einer an sich zweifelhaften Vertragsbestimmung beeinflussen (RG 144, 89). Unter Kaufleuten gilt die widerspruchslose Entgegennahme eines Bestätigungsschreibens grundsätzlich als Zustimmung. Die stillschweigende Genehmigung des Inhalts des Bestätigungsschreibens umfaßt in der Regel auch die in ihm in bezug genommenen Geschäftsbedingungen ( B G H 7, 187). Hat ein Einzelhändler geduldet, daß auf seinen Namen von dem Vertreter eines Großhändlers, mit dem er in Geschäfts-

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§157 A n m . 25, 26

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

beziehungen steht, Geschäfte auf eigene Rechnung getätigt werden, so darf er sich dem Großhändler gegenüber nicht schweigend verhalten, wenn ihm später auf Veranlassung des Vertreters Rechnungen für unbestellte Waren zugehen und er diese Geschäfte nicht gegen sich gelten lassen will (BGH L M Nr. 4 (Gb) zu § 157). Uber die V e r t r a u e n s h a f t u n g k r a f t schlüssigen V e r h a l t e n s siehe Anm. 6, 8 u. 9 vor § 1 1 6 ; Anm. 11 zu § 133; Anm. 11 vor § 145). A n m . 25 Zur Auslegung doppelsprachiger Urkunden, die, im Ausland aufgenommen, neben dem fremdsprachlichen auch einen deutschen Text enthalten, RG H R R 1928 Nr. 303. Zur Auslegung ausländischer Urkunden RG DR 1943, 1066. Zur Bestimmung des anzuwendenden Rechts durch Auslegung vgl. oben Anm. 9. A n m . 26 Die bei Unsicherheit der Verhältnisse übliche Klausel freibleibend äußert sich verschieden, je nachdem sie in einem Vertragsantrage gemacht oder in den Vertrag selbst aufgenommen worden ist. Bei A n g e b o t e n bedeutet die Klausel, daß sich der Antragende an sein Angebot vorerst noch nicht gebunden wissen will, vielmehr erst vom Gegner die Abgabe eines Angebotes erwartet (RG 105,12;RG WarnRspr 1921 Nr. 38; RG SeuffArch 79 Nr. 103; RG L Z 1926, 43, 435); nimmt indes der Antragsgegner jenes Angebot an, dann muß sich der Antragende alsbald darüber erklären, ob er gebunden sein will oder nicht, andernfalls ist nach Treu und Glauben das erstere anzunehmen (RG Gruchot 66,462,RGJW 1923,118,1926, 2674; RG WarnRspr 1921 Nr. 38; 1925 Nr. 14; RG SeuffArch 80 Nr. 25). „Freibleibend unter Vorbehalt des Zwischenverkaufs" bedeutet in der Regel allgemeines Freibleiben, nicht beschränkt auf den Fall des Zwischenverkaufs (RG 24. 10. 1925 I 18/25). I s t die in dem Angebote enthaltene Klausel beim Vertragsschlusse selbst nicht wiederholt worden, dann hat sie sich durch diesen erledigt (RG 101,75; I02 > 228; RGJW1922,1319). Als Bestandteil eines V e r trags gibt die Klausel dem Berechtigten, falls sie ohne nähere Bestimmung dessen, worauf sie sich beziehen soll, schlechthin hinzugefügt ist, nur die Befugnis, den Vertrag überhaupt rückgängig zu machen, nicht aber auch die, den Vertragsinhalt zu ändern (RG Gruchot 66,213; RG WarnRspr 1923/24 Nr. 101; R G J W 1922, 23). Die Klausel des Inhalts „ f r e i b l e i b e n d unter V o r b e h a l t der L i e f e r u n g s m ö g l i c h k e i t " oder „Berechnung des Preises zum Preise des Lieferungstages vorbehalten" berechtigt den Verkäufer, die Lieferzeit sowie die Höhe des Preises nach Treu und Glauben zu bestimmen, und solche Verträge sind auch zulässig (RG 104, 115, 306; RG WarnRspr 1922 Nr. 61; RG 7. 12. 1923 II 288/22; vgl. hierzu auch BGH NJW 1958, 1627). Die Vertragsklausel freibleibend kann statthafterweise auch die Bedeutung haben, daß der Verkäufer zur Bemessung des Preises gemäß § 315 befugt sein soll (RG 103, 415; 65, 339; RG WarnRspr 1922 Nr. 61). Die Klausel „ L i e f e r u n g s m ö g l i c h k e i t v o r b e h a l t e n " gibt dem Verkäufer keinen Freibrief, durch den er seine Pflichten aus dem Kaufvertrag einseitig nach seinem Beheben gestalten könnte (RG 132, 305). Sie bedeutet, daß die Lieferungspflicht ausgeschlossen sein soll, wenn die Lieferung an sich zwar möglich bleibt, aber nur unter besonderen Schwierigkeiten und Opfern ( R G J W 1921, 333; vgl. auch RG WarnRspr 1922 Nr. 90, 91; 1923/24 Nr. 137; RG L Z 1925, 768). Bei einem Gattungskaufe gemäß § 279 ist ein solcher Fall in der Regel nur dann gegeben, wenn die Ware überhaupt nicht zu beschaffen ist; es müßte denn zwischen den Parteien Einverständnis darüber geherrscht haben, daß der Verkäufer die Ware von einem bestimmten Dritten beziehen sollte, der den Verkäufer ohne sein Verschulden im Stich ließ ( R G J W 1922, 1675) oder daß der Verkäufer die Ware als Fabrikant selbst herstellen oder von einem bestimmten Fabrikanten bearbeiten lassen sollte, was ihm ohne sein Verschulden unmöglich wurde; in solchen Fällen wird der Verkäufer frei ( R G J W 1922, 1675; 1925, 49). Die Klausel, daß Käufer „keinen Rechtsanspruch wegen Nichtlieferung haben soll, wenn der Verkäufer aus irgendwelchen Gründen außerstande ist, zu liefern", enthebt den Verkäufer nicht der Verpflichtung, gegenüber seinem Lieferanten mit allen Mitteln und Rechtsbehelfen auf Lieferung zu dringen, wobei er dafür einstehen muß, daß dieser ihm nicht 542

Vertrag

§157 Anm. 27

zu leichteren Bedingungen verpflichtet ist, als er seinem Abnehmer zugestanden hat ( R G 1 5 . 5. 1923 I I 756/22; vgl. R G 97, 325). Zur Auslegung der Klausel, daß der Verkäufer nicht zu liefern brauche, wenn er von seinem Lieferer im Stiche gelassen werde, s. R G J W 1925, 239 2 . Die Klausel „stets freibleibend" in einem Vertragsschlusse ist wegen ihrer Unbestimmtheit und Allgemeinheit rechtlich bedeutungslos ( R G 102, 229). A l s A u s n a h m e v o n d e n ü b l i c h e n V e r e i n b a r u n g e n i s t d i e Klausel freiblei-

bend streng auszulegen, und sie v e r p f l i c h t e t ganz besonders zur W a h r u n g

v o n T r e u u n d G l a u b e n ( R G 102, 228; R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 6 1 ; R G J W 1922, 2 3 ; 1 9 2 1 , 234); sie darf auch nicht beliebig oft verwendet werden, gestattet vielmehr nur eine einmalige Ausübung ( R G J W 1922, 1 3 1 9 ) . Ist die Klausel dahin zu verstehen, daß der Verkäufer im Falle der Preissteigerung nur berechtigt sein sollte, einen andern Preis oder eine andere Regelung vorzuschlagen, und der Käufer alsdann sich darauf zu erklären hatte, dann kann der Verkäufer nicht einseitig den neuen Preis bestimmen, und erklärt sich der K ä u f e r auf den neuen Antrag des Verkäufers nicht, dann ist der Vertrag f ü r die Folge (betreffs der noch ausstehenden Lieferungen) aufgehoben und der Verkäufer zur weiteren Erfüllung nicht mehr verpflichtet ( R G WarnRspr 1922 Nr. 6 1 ) . Preisklauseln, durch die sich der Verkäufer vorbehielt, unter bestimmten Voraussetzungen einen erhöhten Kaufpreis zu fordern, können dahin ausgelegt werden, daß der Verkäufer berechtigt ist, im gegebenen Fall den Preis nach billigem Ermessen zu bestimmen. Es ist aber auch die Auslegung möglich, daß der Verkäufer unter Abstandnahme von dem ursprünglichen Vertrage dem K ä u f e r ein neues Angebot unterbreitet ( B G H 1, 353). Zur Auslegung von Preisänderungsklauseln in Stromlieferungsverträgen mit Sonderabnahmen in bezug auf § 1 V O P R 18/52 vgl. B G H L M Nr. 1 5 (Ba) zu § 242 = J Z 1 9 5 1 , 56. Werden für den Fall „kostensteigernde Faktoren" Vorbehalte gemacht, so gelten diese nicht auch für kostenmindernde ( B G H L M Nr. 1 zu § 1 WiStG). Die Klausel „freibleibend unter Vorbehalt des Rücktrittsrechts" macht den Vertrag nicht unwirksam ( R G 105, 368). „ A u f t r a g freibleibend" s. R G WarnRspr 1923/24 Nr. 1 2 1 ; „Preiserhöhung durch Gestehungskosten vorbehalten" und „ N e u e Preise müssen angezeigt werden" s. ebenda Nr. 164. — Vgl. auch § 433.

Anm. 27 Klauseln, daß Ereignisse, wie Krieg, Streik, Betriebsstörungen und andere Fälle höherer Gewalt befreien sollen, setzen einerseits nicht voraus, daß das eingetretene Ereignis die Erfüllung (rechtzeitige Erfüllung) wirklich unmöglich macht, anderseits aber, daß der Eintritt des Ereignisses wirklich wesentlich störend einwirkt, daß also auch zwischen dem Ereignisse und den Handlungen oder Unterlassungen ein ursächlicher Zusammenhang besteht ( R G 90, 380; 109, 28; 126, 236; R G J W 1 9 1 3 , 87; R G WarnRspr 1 9 1 6 Nr. i 2 2 ; R G L Z 1920, 159). Nach der s o g e n a n n t e n K r i e g s k l a u s e l ist der Krieg ohne weiteres als ein Ereignis anzusehen, das die Erfüllung unmöglich macht, gleichgültig, ob die Unmöglichkeit tatsächlich eingetreten ist oder nicht ( R G 87, 9 2 ; R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 3 , 4 , 2 1 2 , 2 1 5 ) . Die Klausel,, Unter allen durch den Krieg bedingten Vorbehalten" umfaßte auch die Folgen der durch den Krieg hervorgerufenen Revolution ( R G WarnRspr 1922 Nr. 1 1 4 ) . Der Rücktritt kann gegebenenfalls nur i n a n g e m e s s e n e r , im Streitfalle vom Richter zu bestimmender F r i s t wirksam ausgeübt werden ( R G 88, 146; 9 1 , 59, 109). Anderseits muß aber unter außerordentlichen Umständen auch der andere Teil einer verspäteten Rücktrittserklärung gegenüber in angemessener Frist widersprechen, falls er nicht als zustimmend gelten soll ( R G 88, 261). Eine auf Streitigkeiten „ a u s dem Vertragsverhältnisse" abgestellte Kriegsklausel ist nicht auf Ansprüche wegen unerlaubter Handlungen auszudehnen, mögen sie auch auf dem Boden des Vertrags erwachsen sein ( R G J W 1 9 1 8 , 264). Uber die Auslegung des Ausdrucks „Friedensschluß", „endgültiger Friedensschluß" in Verträgen s. R G WarnRspr 1920 Nr. 8 1 ; 1922 Nr. 8 3 ; 1923/24 Nr. 93. Vertragliches Rücktrittsrecht wegen Streik und Aussperrung s. R G J W 1924, 1039. — Was in Verträgen, wie auch in Gesetzen, unter dem Wort „Kriegsende" zu verstehen ist, läßt sich nicht allgemein sagen, ist vielmehr in jedem Falle durch Auslegung festzustellen, die j e nach Gegenstand, Inhalt und Zweck der einzelnen Bestimmung sehr verschieden ausfallen kann. Siehe

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§ 157 Anm. 28—30

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

d a z u O G H i , 133, auchNJW1948, 624; Potsdam NJW1948, 476, Nürnberg M D R i 9 4 g , 420, für Jagdpachtverträge Celle M D R 1950, 737. Beim Fehlen besonderer Vorschriften wird m a n im Zweifel davon ausgehen können, daß als Kriegsende nicht schon d e r Z u s a m m e n b r u c h des Deutschen Reiches, seine Kapitulation oder die Besetzung der Reichsgebiete gemeint war.

Anm. 28 V I I . Einzelne Fälle aus der Rechtsprechung I. Allgemeines Auslegung einer Ausbietungsgarantie (Übernahme einer A n b l e t u n g s p f l i c h t oder nur Ausfallgarantie) s. R G J W 1934, 2761; 1935, 3033; Ausbietungsgarantie für eine Grundschuld s. R G 157, 175. — Der mit einer Leistung bezweckte E r f o l g kann (über die Gegenleistung hinaus) auch bei gegenseitigen V e r t r ä g e n z u m Inhalt des Vertrages gemacht werden (RG 132, 242; 106, 98; 66, 134; R G J W 1925, 1751; R G W a r n R s p r 1917 Nr. 112; R G H R R 1933 Nr. 1729). — U n t e r freiem E r m e s s e n in einem V e r trage ist nach T r e u und G l a u b e n in der R e g e l ein b i l l i g e s E r m e s s e n zu verstehen (RG H R R 1932 N r . 225). D e r Zusatz in einem T e l e g r a m m „ B r i e f f o l g t " ist nach T r e u und G l a u b e n unter Berücksichtigung aller Umstände auszulegen und kann den sofortigen A b s c h l u ß des Vertrages hindern. Widersprechen sich demnächst die telegraphische und die briefliche Erklärung, dann kann eine Erklärung überhaupt nicht als abgegeben gelten, und daher ist die etwaige A n f e c h t u n g Sache des Gegners, falls dieser in der irrtümlichen A n n a h m e , d a ß eine bestimmte Erklärung abgegeben sei, sich a n die vermeintliche Erklärung gebunden hat (RG 105, 13; R G W a r n R s p r 1921 Nr. 119). Der Stundungsvertrag wird im Zweifel als im V e r t r a u e n auf eine gesicherte V e r mögenslage des Schuldners geschlossen angesehen; daher Rücktrittsrecht des Gläubigers, w e n n sich die Vermögenslage des Schuldners verschlechtert (RG J W 1905, 1685; R G W a r n R s p r 1912 N r . 6), z. B. dadurch, daß der Schuldner eine neue Schuld von erheblichem Betrage aufnimmt (RG S e u f f A r c h 64 Nr. 220).

Anm. 29 Gestattet eine Stadtgemeinde den Betrieb einer Straßenbahn auf bestimmten Strecken, so ist die Zulassung von Wettbewerbsbetrieben (nur) bei Vorliegen (Entstehung) eines dringenden Bedürfnisses statthaft (RG 10. 7. 1905 V I 181/05). Stillschweigende Auferlegung eines Wettbewerbsverbotes beim V e r k a u f eines kaufmännischen Geschäftes s. R G 117, 176; bei der Gestattung der Führung des gleichen Firmennamens ( B G H L M Nr. 5 zu § 16 U W G ) . Das Konkurrenzverbot ist im Zweifel nicht auf den Fall zu beziehen, w e n n der Dienstherr seinem Angestellten ohne einen v o n diesem gegebenen gerechtfertigten G r u n d kündigt (RG 7. 6. 1904 II 107/04; R G 59, 76 f ü r den Fall, daß der Dienstherr dem Angestellten G r u n d zur K ü n d i g u n g gibt). V g l . a u c h R G W a r n R s p r 1913 Nr. 275.

Anm. 30 Die A b r e d e im Kaufvertrage, „ d e m Käufer sind die Mietverträge b e k a n n t " , hat zur Folge, d a ß sich der K ä u f e r so behandeln lassen m u ß , als hätte er alle V e r t r ä g e wirklich gekannt, so d a ß der § 439 Platz greift (RG 8. 4. 1916 V 36/16). Eine Vereinbarung des Inhalts, d a ß der Verkäufer für alle Schäden aufzukommen hat, die d e m K ä u f e r oder seinen A b n e h m e r n daraus erwachsen, daß die verwendete Konstruktion der Vertragsware gegen bestehende Rechte anderer verstößt, kann dahin ausgelegt werden, daß d e m Verkäufer versagt sein soll, sich darauf zu berufen, der K ä u f e r habe fahrlässig Erkundigungen in der R i c h t u n g unterlassen, ob der vertragsgemäßen V e r w e n d u n g der W a r e im Bestimmungsland fremde Patentrechte entgegenstehen ( B G H L M Nr. 3 (Gd) zu § 157). Eine Bestimmung im K a u f v e r t r a g e , daß das Grundstück „ a n N N . bzw. dessen von ihm zu benennenden A u f t r a g g e b e r " v e r k a u f t worden, läßt die Auslegung zu, daß N N . der K ä u f e r ist unter V o r b e h a l t des Rechtes für ihn, einen Dritten in den V e r t r a g eintreten zu lassen und auch die Auflassung an den Dritten

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Vertrag

§157

Anm. 31—34 fordern zu dürfen (RG 26. 11. 1913 V 242/13). Über Tragweite und Bedeutung sog. Lastenausgleichsklauseln in vor Erlaß des LAG abgeschlossenen Grundstücksverträgen vgl. BGH L M Nr. 6 (C) zu § 157.

Anm. 31 Bei der Bürgschaft (wie beim Garantievertrage im Sinne des § 538) besteht keine Pflicht zur Sorgfalt des Gläubigers; aber er darf seine Vertragsgenossen nicht dadurch schädigen, daß er gegen Treu und Glauben bestehende Sicherheiten aufgibt (RG 13. 7. 1907 V 621/06). Ein Rechtssatz, daß Bürgschaften im Zweifel eng ausgelegt werden müssen, besteht nicht; es gelten die allgemeinen Auslegungsregeln (RG 11. 1. 1932 VIII 581/31; 10. 10. 1932 VIII 283/32). Auslegung einer selbstschuldnerischen Bürgschaft für eine Unterhaltsverpflichtung BGH L M Nr. 1 (Gd) zu § 157. Bei einem Baugeldvertrage entspricht es regelmäßig der Vertragsabsicht, daß der Bauunternehmer die ihm bestellte Baugeldhypothek vor der Geldabgabe abtreten darf, um sich so die Mittel zur Fortsetzung des Baues zu verschaffen, oder um sich für die ihm erwachsenen Bauforderungen zu befriedigen. Anderseits ist es nach der Verkehrsanschauung und nach Treu und Glauben der Regel nach unstatthaft, die Hypothek auch dann noch abzutreten, wenn der Schuldner auf die vollendete Bauausführung nichts mehr zu leisten hat.

Anm. 32 Die Bezeichnung einer in einem A u f b a u v e r t r a g vereinbarten Leistung als „Darlehn" schließt nicht aus, sie als Mietvorauszahlung anzusehen (BGH LM Nr. 1 zu § 57 b ZVG). Soll der Mieter den geleisteten Baukostenvorschuß abwohnen, so ist im allgemeinen eine M i e t v o r a u s z a h l u n g gewollt (BGH L M Nr. 6 [A] zu § 157). Ist in einem 1946 über ein Hausgrundstück geschlossenen Vertrag vereinbart, daß der Mieter an Stelle des Mietzinses die auf dem Grundstück ruhenden Steuern und öffentlichen Lasten einschließlich der künftig entstehenden und der Vermögenssteuer, nicht dagegen eine Vermögensabgabe zu tragen hat, so schließt diese Bestimmung eine ergänzende Vertragsauslegung dahin, daß der Mieter sich an der S o f o r t h i l f e beteiligen muß, nicht aus (BGH L M Nr. 3 [B] zu § 133). Übernahme von Abgaben durch Mieter und Lastenausgleich BGH L M Nr. 7 (D) zu § 157.

Anm. 33 Wer Zahlung verspricht, wiewohl er die Leistung beanstandet, erklärt damit nach Treu und Glauben einen Verzicht auf die Bemängelung (RG 18. 12. 1906 VII 88/06). Wenn ein Schuldner seinen Gläubigern die Verwertung seines Vermögens aufträgt, liegt in ihrem Beitritt zum Liquidationsverfahren nicht ohne weiteres ein Verzicht in Höhe des Ausfalls ihrer Forderungen, vielmehr ist der wahre Wille nach §§ '33) ! 5 7 z u ermitteln (RG J W 1911, 213). Ein Bankier, der einem anderen verspricht, die Schuld eines Dritten abzulösen, will damit regelmäßig unter Befriedigung des andern an dessen Stelle als neuer Gläubiger eintreten ( R G J W 1912,28).

Anm. 34 Ein durch U n p ü n k t l i c h k e i t in d e r Z i n s z a h l u n g entstehendes Kündigungsrecht erlischt nicht durch vorbehaltlose Annahme der nachträglichen Zahlung: kein Verstoß gegen Treu und Glauben (RG SeufTArch 63 Nr. 444). Verträge, in denen dem einen Teile unter gewissen Umständen ein s o f o r t i g e s K ü n d i g u n g s r e c h t oder die sofortige Fälligkeit bedungen ist. sind dahin auszulegen, daß der Berechtigte von seinem, Rechte bei Verlust seines Erlöschens in angemessener Frist Gebrauch machen muß damit nicht der Verpflichtete in einen besonders lästigen Schwebezustand gerät (RG 88, 145; R G WarnRspr 1908 Nr. 283; 1918 Nr. 201; R G J W 1915, 572. Über Fortdauer einer Umsatzbeteiligung im Falle der fristlosen Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses BGH L M Nr. 12 zu § 123). Der Versicherungsnehmer kann das Versicherungsverhältnis, auch wenn er mit einem der Staatsaufsicht unterliegenden Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit abgeschlossen worden ist, fristlos kündigen, wenn die Erfüllung des Versicherungsvertrages durch den Versicherer unsicher geworden ist (BGH 1,

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§157 Anm. 35—37

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

334). Eine Bestimmung im M i e t v e r t r a g e , daß der Mieter berechtigt sei, nach Ablauf der Mietzeit den Vertrag auf unbestimmte Zeit zu verlängern, ist dahin auszulegen, daß sich der Mieter bereits innerhalb bestimmter Frist über sein Optionsrecht zu äußern hat (RG gg, 155). Kein Anspruch auf Herabsetzung des Erbbauzinses im Fall einer Zerstörung und eines Wiederaufbaues des auf Grund des Erbbauvertrages errichteten Gebäudes (BGH LM Nr. 1 (D) zu § 157). Anm. 35 Nimmt der K ä u f e r e i n e r W a r e diese von e i n e m a n d e r n als dem Verkäufer an, so verlangt es Treu und Glauben, daß er den Preis dem andern zahlt, falls dieser ihm zu erkennen gegeben hat, daß der Kaufpreis an ihn gezahlt werden müsse (RG 101, 321). — L i e f e r u n g s v e r t r ä g e , bei denen sich der Verkäufer abredegemäß der Hilfe eines U n t e r l i e f e r a n t e n bedient, sind dahin auszulegen, daß der Verkäufer für die Vertragstreue des Unterlieferanten einzustehen hat, sofern er eine solche Haftung nicht ausgeschlossen hatte (RG 103, 181). Ist in einem K o h l e n l i e f e r u n g s v e r t r a g e zur Ausfuhr nach dem Auslande bestimmt, daß sich der Preis nach dem S t e i g e n und F a l l e n der S y n d i k a t p r e i s e ändern solle, dann ist dieser Bestimmung nach Treu und Glauben auch dann Raum zu geben, wenn die Mindestpreise für Auslandsverkäufe durch behördliche Festsetzung erhöht werden (RG 101, 45). Wird in einem Pensionsv e r t r a g vereinbart, daß das zu zahlende Ruhegehalt sich in einem bestimmten Abstand von einem Tarifgehalt bewegen soll, so ist diese Vertragsbestimmung nicht als W e r t s i c h e r u n g s k l a u s e l im Sinne der BRVO g2 und des § 3 WährG, sondern als Spannungsklausel zu deuten (BGH Nr. 2 (A) zu § 133). Zur Abänderung vertraglich vereinbarter Altenteilbestimmungen BGH NJW ig57, 1798. Zur Auslegung von Ruhegehaltsvereinbarungen BGH 12,337; r3> 34-6- Auslegung einer C h a r t e r p a r t i e , in die Zusicherungen des Verfrachters über den Zeitpunkt der Ladebereitschaft aufgenommen sind, RG 116, 156. Zur Auslegung von Kaliabbauverträgen vgl. BGH LM Nr. 1 zu § 585 und Nr. 4 (A) zu § 133. Die Sperrverpflichtung beim Kauf von Pfandbriefen besagt, daß der Käufer die innerhalb der Sperrfrist an das Emissionshaus zurückgelangten Stücke mindestens zum Emissionskurs wieder abnehmen muß (BGH LM Nr. 1 (F) zu § 157). Anm. 36 Zur Auslegung von Schadensteilungsabkommen in der Haftpflichtversicherung BGH 20, 385. Uber Auslegung eines sog. aufgespaltenen Arzt-Krankenhausvertrages vgl. BGH LM Nr. 4 zu § 31. Gestattet ein Künstler unentgeltlich die Veröffentlichung seines Bildes, so bezieht sich sein Einverständnis im Zweifel nicht auf die Verwertung seines Bildes für eine Warenreklame (BGH 20, 345). Zum Begriff der „Roheinnahmen" als Grundlage für die Berechnung von Aufführungstantiemen vgl. BGH LM Nr. 7 (A) zu § 157. Anm. 37 2. Kurzklauseln Uber Auslegung der Klauseln wie „gesehen" oder „Kenntnis genommen" vgl. RG 84, 1 und 7. In einem Kaufvertrag bedeutet diese Klausel in der Regel den Ausschluß der Haftung für Mängel, die bei ordnungsgemäßer Besichtigung erkennbar waren. FernerRG31, 162; g4, 287; RGGruchot53, 176; RGWarnRspr igi3, Nr. 281; 1919 Nr. 114; RG SeuffArch 87 Nr. 130. Die Klausel ,,wie es steht und liegt" kann den Ausschluß der Mängelhaftung überhaupt bedeuten, was Sache der Auslegung ist (RG Gruchot 63, 222). Auslegung der Vereinbarung einer Vertragsstrafe RG 85, 103; einer Bürgschaftserklärung RG 85, 327; eines Schiedsvertrages RG 88, 183; RG JW 1935, 2617; der Klausel „Kasse gegen Verladungsdokumente" RG 61, 348; 65, 185; 97, 152; 106. 299; RG LZ 1926, 480. Die Klausel „netto Kasse gegen Rechnung und Verladepapiere" enthält einen Aufrechnungsverzicht, der grundsätzlich durch ergänzende Vertragsauslegung nicht beseitigt werden kann (BGH 14, 61). „Kasse gegen Rechnung bei Verladebereitschaft" „Netto Kasse gegen Faktura" RG 69, 125 95, 243; RG SeuffArch 84 Nr. 18; RG J W 1907, 149; RG Gruchot 53, 410. „Zahlung Netto 546

Vertrag

§ 157 Anm. 38

Kasse" R G WarnRspr 1922 Nr. 9. „Zahlung bei Erhalt der Faktura" R G Gruchot 67, 649. „Kasse bei Faktura" R G J W 1923, 685. „Zahlung durch Scheck" R G J W 1926^ 2074. „Zahlung bei Empfang" O L G 44, 242. Bei der Abrede „Lieferziel Oktober bis M a i " ist dieser Monat eingeschlossen (RG 92, 22). Zur Bedeutung der Klausel „zahlbar in" s . R G J W 1938,1891. „rebus sie stantibus" bei Akzeptkredit R G 65,185. Klausel „ e i f " R G 87,134; 90, 1. Schlußscheinklausel „Hamburger freundschaftliche Arbitrage" s. R G WarnRspr 1934 Nr. 42; O G H 4, 247. Kassalieferschein B G H 6, 378. „Circa"Klausel B G H L M Nr. 2 (G e) zu § 1 5 7 . Uber die Beschränkung des Geltungsbereiches einer Freizeichnungsklausel auf einen bestimmten Vertragspunkt B G H 24, 39. Die Wendung „oder an Ihre Order" wird im kaufmännischen Verkehr vielfach im nichttechnischen Sinne, nur zur Betonung der Abtretungsmöglichkeit und auch da gebraucht, wo an der rechtlichen Möglichkeit der Abtretung kein Zweifel besteht (RG 119, 119).

Anm. 38 VIII. Allgemeine Geschäftsbedingungen 1. Rechtsnatur und Geltung Im Wirtschaftsleben ist es vielfach üblich, formularmäßige Vertragsbedingungen aufzustellen, die als a l l g e m e i n e N o r m e n den Inhalt der abschließenden Einzelverträge von vornherein festlegen (RG 135, 92; R a i s e r : Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen 1935; F i s c h e r BB 1957, 481 mit Nachw.). Sie gelten für die Einzelverträge, wenn dies a u s d r ü c k l i c h vereinbart ist (RG 34, 7; R G J W 1914, 138). Die verbindliche Kraft solcher Vertragsklauseln t y p i s c h e n Inhalts (vgl. zu dem Begriff B G H 1, 83; B G H L M Nr.4 (A) zu § 133) für die Einzelverträge kann aber auch auf s t i l l s c h w e i g e n d e r Vereinbarung beruhen. Eine stillschweigende Vereinbarung ist vor allem anzunehmen, wenn die Kenntnis der allgemeinen Geschäftsbedingungen dem anderen Teil nach Treu und Glauben zuzumuten ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn zwischen den Parteien eine l ä n g e r e G e s c h ä f t s v e r b i n d u n g besteht, und die allgemeinen Geschäftsbedingungen dem Vertragspartner bei Eröffnung der Geschäftsverbindung b e k a n n t g e g e b e n worden sind (RG 109, 299; R G BankArch 24, 456; R G Recht 1929 Nr. 795; R G J W1927,1467; R G HRR1926,46). Auch ohne eine solche Bekanntgabe im Einzelfall beherrschen aber allgemeine Geschäftsbedingungen das Einzelvertragsverhältnis dann, wenn der Vertragsgegner nach der allgemeinen Erfahrung damit rechnen mußte, daß in dem fraglichen Geschäftszweig z. B. im Bank-, Versicherungs-, Transportgewerbe Verträge nur unter Zugrundelegung allgemeiner Geschäftsbedingungen abgeschlossen werden und diese in einer Weise öffentlich bekannt gemacht worden sind, daß der Geschäftsgegner von ihnen jederzeit Kenntnis nehmen kann (RG103, 86; 105,291; 58,151; R G WarnRspr 1932, Nr. 174; R G SeuffArch 83 Nr. 52). Nach neuerer Rechtsprechung handelt es sich hierbei nicht um eine echte v e r t r a g l i c h e V e r e i n b a r u n g aller dieser den Vertragsinhalt bildenden allgemeinen Normen, sondern u m eine U n t e r w e r f u n g unter eine fertig bereitliegende privat gesetzte Rechtsordnung, weshalb es nicht darauf ankommt, ob dem in diese Rechtsordnung Eintretenden die Vertragsbedingungen im einzelnen bekannt sind. Voraussetzung ist aber stets, daß tatsächlich von einer „Unterwerfung" ausgegangen werden kann, die freilich auch stillschweigend erfolgen und sich aus den Umständen des Falles ergeben kann ( R G 103; 86; 109,304; 157,67; 1705233; i 7 i , 4 3 ; R G D R i 9 4 i , 1210; O G H N J W i g 4 9 , 9 0 3 ; O G H 2 , 299 5 B G H 1, 83; 2, 1; 3, 201 [203]; 8, 3; 9, 1; B G H BB 1954, 302; vgl. hierzu auch die Kritik von E n n . - N i p p e r d e y I 2 § 163 VI 2). So kann eine stillschweigende Unterwerfung unter die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp) nur angenommen werden, wenn der Vertragsgegner des Spediteurs wußte oder wissen mußte, daß der Spediteur seinen Geschäften die ADSp zugrunde zu legen pflegt ( B G H 9, 1). Die allgemeinen Bedingungen bilden nicht einen selbständigen Vertrag, sondern werden Bestandteil der Einzelverträge (RG 105, 29). Klauseln, die von dem Üblichen abweichen und denen sich der Vertragsgegner bei ihrer Kenntnis sicher nicht unterworfen hätte, werden nicht Vertragsbestandteil (RG 103, 83).

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§157

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A n m . 39, 40 Die V e r e i n b a r u n g der allgemeinen Geschäftsbedingungen kann auch durch eine Bezugnahme auf sie in einem B e s t ä t i g u n g s s c h r e i b e n o d e r B e s t e l l s c h e i n unter deren w i d e r s p r u c h s l o s e n H i n n a h m e erfolgen, mögen auch die Bedingungen den fraglichen Schreiben nicht beigelegen haben ( R G 88,380; R G WarnRspr 1919 Nr. 50). Für den anders gelagerten Fall der sog. Auftragsbestätigung, durch die ein Vertragsangebot mit Abweichungen angenommen wird, vgl. B G H 18, 212. Voraussetzung ist jedoch, daß der Vertragsgegner erkennen konnte, der andere Teil wolle sie zum Vertragsinhalt machen ( B G H 7, 187). Die Bedingungen werden dann nicht Vertragsbestandteil, wenn sie in unscheinbarer Form wiedergegeben werden, ohne daß in dem maßgeblichen Text auf sie verwiesen wird ( R G J W 1 9 2 5 , 7 7 9 ; R G S e u f f A r c h 83, Nr. 341). Ein Hinweis auf die Geschäftsbedingungen in einer mit der Ware übersandten Rechnung genügt gleichfalls nicht ( R G 133, 338). Hat der Verkäufer erklärt, er werde den „ A u f t r a g " nur auf Grund seiner dem Käufer bekannten Lieferungsbedingungen ausführen, der Käufer dagegen hierauf geantwortet, er bestelle zu seinen Lieferungsbedingungen, so ist dem Umstand, daß der Verkäufer in einem weiteren Schreiben auf seine „Auftragsbestätigung" und die „Bestellung" des Käufers Bezug genommen hat, noch nicht zu entnehmen, daß er sich dem Verlangen des Käufers ausdrücklich oder stillschweigend unterworfen habe; die Bedingungen beider Vertragsteile können jedenfalls nicht insoweit Vertragsbestandteil geworden sein, als sie sich widersprechen ( B G H L M Nr. 5 zu § 150). Vgl. auch Anm. 13 zu § 142. A n m . 39 2. Auslegung Alle typischen Vertragsbedingungen ( R G 155,33) sind ähnlich wie Gesetze nur aus sich selbst auszulegen, wobei alles Zufällige des einzelnen Falles beiseite zu bleiben hat ( R G 8 1 , 1 1 7 ; 149, 96; 155, 26; B G H 7. 365, 368). Ein in diesem Sinn „typischer" Vertragsinhalt ist jedoch nur gegeben, wenn durch allgemeine Bestimmungen eine Vielheit gleichartiger Rechtsverhältnisse geregelt werden soll. Eine übereinstimmende Regelung in zahlreichen Einzelverträgen reicht nicht aus ( B G H 1 , 8 3 ; B G H L M Nr. 4 (A) zu § 133). Bei der Auslegung von Typenverträgen sind die Belange beider Verkehrskreise, denen die Beteiligten angehören, in billiger Weise gegeneinander abzuwägen ( R G 175, 240). Bei ihrer Auslegung ist weiterhin davon auszugehen, daß sie nur zum Schutz solcher Interessen des Unternehmers bestimmt sind, die sich als berechtigte darstellen und daß sie nicht darauf abzielen, den Interessen und Rechten des Vertragsgegners Abbruch zu tun ( R G 79, 438; 88, 4 1 6 ; 98, 123). Bleiben bei der Auslegung von Typenverträgen nach diesen Gesichtspunkten Z w e i f e l , so s i n d sie in d e r R e g e l g e g e n d i e sie a l l g e m e i n n u t z e n d e P a r t e i a u s z u l e g e n , da es ihre Sache war, sich klarer auszudrücken ( R G 1 1 7 , 1 0 7 ; 120, 18; 145, 26; R G L Z 1927, 1340; B G H 5, 1 1 1 ) . Insbesondere kann ein Ausschluß der Haftung für eigenes Verschulden oder der von Erfüllungsgehilfen nur bei ausdrücklicher Erklärung angenommen werden ( B G H 5, 1 1 1 ) . Grundsätzlich ist bei der Anwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu beachten, daß stets zu prüfen ist, ob diese für die Vertragsgestaltung aufgestellten g e n e r e l l e n Regeln nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242) zumutbar sind. Bereits das Reichsgericht hat anerkannt, daß z.B. der Geltendmachung von Freizeichnungsklauseln in Formularverträgen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen § 242 entgegengehalten werden kann ( R G 168, 329; D R 1941, 1726) und im Zweifelsfall eine enge Auslegung solcher Klauseln geboten ist ( R G 142, 3 5 3 ; R G J W 1934, 2395). Dem ist der Bundesgerichtshof gefolgt ( B G H 22, 90, 96 und Anm. F i s c h e r in L M Nr. 1 zu Allg. Geschäftsbedingungen). Über die Auslegung von Freizeichnungsklauseln vgl. auch oben Anm. 23. Über die R e v i s i b i l i t ä t der Auslegung von T y p e n v e r t r ä g e n vgl. unten Anm. 54 u- 55A n m . 40 3 . Einzelfälle Werden in allgemeinen Geschäftsbedingungen die gesetzlichen G e w ä h r l e i s t u n g s a n s p r ü c h e a u f W a n d e l u n g u n d M i n d e r u n g ausgeschlossen, und dafür eine N a c h b e s s e r u n g s p f l i c h t des Verkäufers vereinbart, so umfaßt ein außerdem ver-

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Vertrag

§157 A n m . 41, 42

einbarter Ausschluß mittelbarer oder unmittelbarer Schadensersatzansprüche nicht ohne weiteres auch die Schadensfolgen, die sich aus einer schuldhaften Verletzung der Nachbesserungspflicht ergeben. (BGH Nr. i zu Allg. Beding, f. d. Verkauf von Kfz.) Allgemeine Geschäftsbedingungen können wegen eines Verstoßes gegen das Kartellverbot wie auch gegen die guten Sitten nichtig sein (vgl. Anm. zu § 138). Die Berufung einer Bank auf eine Freizeichnungsklausel in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen kann sich nach den besonderen Umständen des Einzelfalles als mißbräuchliche Rechtsausübung darstellen (BGH L M Nr. 3, zu (Ga) § 157). Vgl. auch oben Anm. 23. A n m . 41 IX. Versicherungsverträge 1. A l l g e m e i n e s D e r V e r s i c h e r e r m u ß sich gefallen lassen, daß die v o n i h m a u f g e s t e l l t e n V e r s i c h e r u n g s b e d i n g u n g e n , die allgemeinen u n d d i e b e s o n d e r e n , im F a l l e d e r U n k l a r h e i t g e g e n i h n ausgelegt werden, weil es ihm oblag, sich deutlich auszudrücken (RG 145, 21; R G J W 1935, 1009; R G H R R 1937 Nr. 1328; R G WarnRspr 1934 Nr. 22; R G D J Z 10, 71). Wie der Versicherungsnehmer die Bedingungen verstanden hat, ist jedoch n u r dann maßgebend, wenn er sie nach T r e u u n d G l a u b e n in diesem Sinne verstehen konnte (RG 92, 64; 116, 274; 120, 18; R G J W 1930, 3625; '933) 764; 1938, 1113; R G WarnRspr 1919 Nr. 158; R G DJ 1938, 271). Auch bei der Auslegung einer in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen enthaltenen H a f t u n g s a u s s c h l u ß k l a u s e l m u ß deren Sinn und Zweck berücksichtigt werden, derart, daß sie nicht weiter ausgelegt werden darf, als ihr wirtschaftlicher Zweck erfordert (RG 157, 67; 170, 233; 171, 43; O G H 2, 2 9 8 ; B G H Vers.R 1951, 79). Eine Vereinbarung, durch die eine Obliegenheit des Versicherungsnehmers zur Bedingung des Versicherungsanspruchs gemacht wird, findet ihre Grenze an der vom Versicherungsnehmer nicht zu vertretenden Unmöglichkeit des Eintritts der Bedingung (BGH 2, 336). Wird die Zahlung der e r s t e n P r ä m i e als Beginn für die Versicherung vereinbart, dann ist das dahin zu verstehen, d a ß das Recht des Versicherungsnehmers erst mit Zahlung der ersten Prämie erworben sein soll (RG 80, 144). Über den Begriff der Erstprämie gemäß § 3 8 V V G vgl. B G H 21, 122. Über das Verhältnis von vorläufiger Deckungszusage und endgültiger Versicherung s . R G 113,150; 114,321; R G J W i g 2 7 , 1 6 9 . Eine vorläufige Deckungszusage kann nicht erst in dem endgültigen Versicherungsvertrag erteilt, sondern muß selbständig vereinbart werden (BGH L M Nr. 1 zu § 1 V V G = N J W 1951, 313). Ist die Dauer der vereinbarten vorläufigen Deckung nicht an einen besonderen Versicherungsantrag geknüpft, sondern soll die vorl. Deckung während der ganzen Dauer der Vertragsverhandlungen gewährt werden, so endet sie erst mit dem endgültigen Scheitern der Vertragsverhandlungen (BGH L M Nr. 2 zu § 1 V V G = BB 1955, 493). Über das Verhältnis zwischen Versicherungsvertrag u n d vorläufiger Dekkungszusage vgl. auch B G H Vers.R 1955, 738 = Betrieb 1955, 1161. A n m . 42 Auch unter der Herrschaft des BGB ist daran festzuhalten, daß die V e r w i r k u n g s a b r e d e n in Versicherungsverträgen im Zweifel den Vorbehalt für den Versicherten enthalten, daß er sich durch den Nachweis der N i c h t V e r s c h u l d u n g von der Verwirkung zu befreien vermag (RG 62, 190; 69, 175; 70, 44; 71, 440; B G H L M Nr. 1 zu § 12 V V G = M D R 1955,221), und daß daher sein Anspruch gegebenenfalls nicht erlischt, wiewohl in der Abrede regelmäßig eine Ausschlußfrist enthalten ist (RG Gruchot 54, 825 und R G J W 1911, 805; R G WarnRspr 1913 Nr. 26, wo die Unterlassung der Prämienzahlung als eine nicht schuldhafte angesehen wird, wenn bisher die Prämie vom Agenten stets abgeholt worden war). Vgl. ferner § 6 (dazu R G 117, 270; 133, 117; 134, 133; R G J W 1928, 791; R G WarnRspr 1931 Nr. 205, 206; 1933 Nr. 29; R G H R R 1937 Nr. 168; R G SeuffArch 81 Nr. 150) und über die Folgen nicht rechtzeitiger Prämienzahlung (Befreiung des Versicherers von der Leistung) die §§ 38, 39 VVG. Die auf Verletzung einer vertragsmäßigen A n z e i g e p f l i c h t abgestellte Verwirkung tritt ebenfalls nicht ohne weiteres ein, sondern nur unter der Voraussetzung, daß eine s c h u l d 36

Komm. z. BGB. u . A u f l . I. Bd. (Krüger-Nie)and/Kuhn)

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§157 A n m . 43

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

h a f t e Verletzung in Frage steht ( R G 83,43; R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr.95; R G L Z 1927, 638). Schon leichte Fahrlässigkeit genügt aber zur Verwirkung des Anspruchs ( R G WarnRspr 1910 Nr. 138). Zur Verletzung der Anzeigepflicht in bezug auf gefahrerhebliche Umstände (§§ 1 6 , 1 7 V V G ) s.auch R G 1 2 8 , 1 1 6 ; R G J W 1 9 3 3 , 762; R G H R R 1936 Nr. 886; B G H L M Nr. 1 zu § 23 V V G = N J W 1 9 5 1 , 2 3 1 ) . Über den Begriff der Gefahrerhöhung B G H 7, 3 1 1 ; 23, 142. Die Verpflichtung zur Anzeige des eingetretenen Versicherungsfalls (§ 33 V V G ) hat der den Anspruch Erhebende, wenn dies im Vertrage (Lebensversicherungsvertrag) vorgesehen ist, daher kommt es ausschließlich auf s e i n Verschulden an, wenn diese Anzeigepflicht verletzt ist ( R G WarnRspr 1912 Nr. 95), also nicht etwa auf ein etwaiges Verschulden des vom Anspruchsberechtigten verschiedenen Versicherungsnehmers bei Aufbewahrung der Police ( R G WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 43). Die Befreiung des Versicherers, die an die Verzögerung oder Unterlassung der Schadensanzeige oder sonstiger mit dem Versicherungsfall zusammenhängender Anzeigen geknüpft ist, tritt ohne Rücksicht darauf ein, ob durch die Verzögerung oder Unterlassung dem Versicherer ein Nachteil entstanden, z. B. bei der Haftpflichtversicherung die Geltendmachung des Anspruchs des Verletzten gegen den Versicherten erleichtert worden ist ( R G 127, 367; 136, 370; R G . H R R 1936 Nr. 413). Macht der Versicherer bei v e r s p ä t e t e r B e z a h l u n g der Prämie von der entsprechenden Vertragsbestimmung Gebrauch, so verstößt dies nur dann gegen Treu und Glauben, wenn sein früheres Verhalten in dem Versicherungsnehmer den Glauben erregen konnte, von der Klausel werde nicht Gebrauch gemacht werden ( R G WarnRspr 1910 Nr. 486). Spricht der Versicherer den Wunsch aus, die Entschädigungsfrage bis zum Schlüsse einer strafgerichtlichen Untersuchung aufzuschieben, so ist darin ein Verzicht auf die Verwirkungseinrede zu finden ( R G J W 1910, 35). Die Verwirkung tritt auch dann nicht ein, wenn ihr Eintritt schon mit der Vertragstreue und Billigkeit in Widerspruch stünde ( R G J W 1909, 198). D e r V e r s i c h e r t e k a n n v o n d e m V e r s i c h e r u n g s v e r t r a g e z u r ü c k t r e t e n , wenn der Versicherer selbst unsicher wird, und daher auch im Falle der Verschmelzung der Gesellschaft mit einer anderen, wenn dabei die Interessen der Versicherten nicht genügend gewahrt sind ( R G 60, 56). Über die fristlose Kündigung des Versicherungsverhältnisses durch den Versicherungsnehmer, wenn die Erfüllung des Versicherungsvertrages durch einen unter Staatsaufsicht stehenden Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit unsicher geworden ist vgl. B G H 1, 334. Bedient sich der Anzeigepflichtige zur Anzeige eines anderen, d a n n g r e i f t § 278 n i c h t P l a t z , weil die Anzeigepflicht keine Verbindlichkeit dem Versicherer gegenüber, sondern nur eine Voraussetzung für das Recht auf Erhebung des Anspruchs darstellt ( R G 8 3 , 4 3 ; R G J W 1909, 198). Unentschuldbare unrichtige Beantwortung einer für den Entschluß des Versicherers erheblichen Frage macht die Versicherung für den Versicherer schon gemäß §§ 133, 157 unverbindlich ( R G J W 1910, 193). Anfechtung des Versicherungsvertrags wegen falscher Beantwortung von Fragen nach § 123 s. R G WarnRspr 1930 Nr. 88. Den Versicherer trifft die volle Beweislast dafür, daß der Versicherungsnehmer ihn in unlauterer Weise durch unrichtige Angaben zur Annahme des Versicherungsantrags bestimmen wollte. Es besteht kein allgemeiner Erfahrungssatz, daß der Versicherungsnehmer mit Arglist in bezug auf die Willensbildung des Versicherers gehandelt hat, indem er Antragsfragen bewußt unrichtig beantwortete ( B G H L M Nr. 14 zu § 123).

A n m . 43 Für die u n r i c h t i g e B e a n t w o r t u n g der im Formular des Versicherungsantrags gestellten Fragen haftet der Versicherungsnehmer regelmäßig auch ohne besonderes Verschulden, und zwar auch dann, wenn der Agent des Versicherers die Antwort abgefaßt und niedergeschrieben hat ( R G 46, 184; R G WarnRspr 191 o Nr. 467). Dem Versicherungsnehmer ist solches jedoch dann nicht als Verschulden zuzurechnen, wenn er dem Agenten, der die selbständige Beantwortung von Fragen übernimmt, diese schlechthin überläßt, vorausgesetzt, daß es sich um solche Fragen handelt, die der Agent ebensogut und zuverlässig, j a nach seiner Sachkunde noch zuverlässiger als er selbst beantworten kann ( R G WarnRspr 1910 Nr. 264); oder wenn der Versicherungsnehmer durch den Agenten zu der unrichtigen Beantwortung veranlaßt worden ist, zumal wenn in den

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Vertrag

§157 A n m . 44

allgemeinen Versicherungsbedingungen auf den Agenten als Auskunftsperson verwiesen ist ( R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 306 und 307). Vgl. Gruchot 1 9 1 4 , 467; R G J W 1 9 1 9 , 3 8 1 , wonach d i e G e s e l l s c h a f t f ü r d i e E r k l ä r u n g s o l c h e r A g e n t e n e i n s t e h e n m u ß . Der Vorwurf einer schuldhaften Verletzung der Anzeigepflicht entfällt, wenn der Versicherungsnehmer auf Grund einer Belehrung durch den Versicherungsagenten von einer Anzeige abgesehen hat ( B G H L M Nr. 1 zu § 33 V V G = BB 1955, 463). Die Gesellschaft haftet f ü r die Erklärungen des Agenten insoweit, als dieser den Versicherungsnehmer über die Bedeutung der Versicherungsbedingungen aufklärt und belehrt ( R G 86, 1 2 8 ; 73, 3 0 3 ; 86, 1 3 1 ; R G J W 1 9 1 6 , 1 2 2 ; 1928, 3 1 7 4 ; 1 9 3 0 , 3 6 1 8 ; R G WarnRspr 1920 Nr. 20; vgl. auch B G H 2, 87). Darüber hinaus haftet die Versicherungsgesellschaft f ü r Verschulden des Agenten bei den Vertragsverhandlungen aus seinen Erklärungen und Vereinbarungen nur insoweit, als diese in dem Versicherungszweige üblich sind und deshalb als vom Willen des Versicherers umfaßt, angesehen werden können ( R G 23. 1 . 1928 V I 200/27). Die V e r t r e t u n g s b e f u g n i s d e s V e r s i c h e r u n g s a g e n t e n f i n d e t i h r e G r e n z e jedenfalls da, wo seine Erklärungen mit dem in den Versicherungsbedingungen klar und zweifelsfrei ausgedrückten Willen der Gesellschaft in Widerspruch stehen ( R G J W 1920, 280). Uber das Einstehen der Versicherungsgesellschaft f ü r Erklärungen, die ihr Vermittlungsagent bei Stellung des Versicherungsantrages dem Versicherungsnehmer über Inhalt und Bedeutung der Versicherungsbedingungen und sonstige Anforderungen (Fragen im Antragsvordruck) gibt, s. auch R G 147, 186. Z u r Rechtsstellung des A b s c h l u ß a g e n t e n , auch im Hinblick auf §§ 276, 278 s. R G 1 4 1 , 410 (419). — Ü b e r d i e A n z e i g e p f l i c h t d e s V e r s i c h e r u n g s n e h m e r s und demgegenüber betreffs des Rücktrittsrechts des Versicherers bei Verletzung der bezeichneten Pflicht vgl. die §§ 16 ff V V G , dazu R G 1 1 8 S. 57, 2 1 7 ; 128, 1 1 6 ; 1 3 2 , 386; R G J W 1936, 2403; R G WarnRspr 1932 Nr. 45, 69, 8 3 ; 1933 Nr. 1 3 ; 1935 Nr. 3 1 , 1 0 8 ; R G SeuffArch 87 Nr. 73. Die Bestimmungen der §§ 7 1 , 1 5 8 h V V G über die Anzeigepflicht stellen kein den Schutz des geschädigten Dritten bezweckendes Gesetz im Sinn von § 8 2 3 Abs. 2 dar ( B G H L M Nr. 1 zu § 1 5 8 h V V G = N J W 1953, 1 1 8 2 ) . Beweist der Versicherte, daß ihn wegen falscher Beantwortung einer Frage oder wegen verspäteter Anzeige kein Verschulden trifft, dann darf der Versicherer weder aus dem einen Grunde, noch aus dem anderen Rechte herleiten ( R G J W 1906, 1 4 5 ; 1 9 1 3 274, 275). Wegen Unterlassung der an sich erforderlichen Anzeige des Versicherten kann der Versicherer nur dann zurücktreten, wenn die Anzeige nicht grob fahrlässig, sondern arglistig unterlassen ist ( R G J W 1 9 2 1 , 109). Ist im Fall der Gefahrerhöhung vertraglich eine Anzeigepflicht vereinbart, so bestimmt sich die Zeit, innerhalb der der Versicherer bei schuldhafter Verletzung dieser Pflicht vom Vertrag zurücktreten kann, nach Treu und Glauben ( B G H L M Nr. 1 zu § 24 V V G = N J W 1 9 5 1 , 2 3 1 ) . A n m . 44 D e r § 3 9 V V G m a c h t d e m V e r s i c h e r e r unabänderlich z u r P f l i c h t , bei Bestimmung der dort vorgesehenen Frist zugleich die Rechtsfolgen anzugeben, wo sie aus Abs. 1 mit dem Fristablaufe verbunden sind, und eine ungenügende Fristsetzung ist unwirksam ( R G 86, 27). Ungenügend ist auch die Erklärung, der Versicherer werde im Falle des Verzuges den Vertrag als aufgehoben betrachten ( R G 93, 82). Daraus allein, daß im Versicherungsschein die Zeit der vorläufigen Deckung in die Versicherungszeit eingerechnet worden ist, kann noch nicht die Vereinbarung entnommen werden, daß für die Zahlung der ersten Prämie § 39 a a O gelten soll ( R G 1 1 4 , 3 2 1 , vgl. 1 1 3 , 1 5 0 ; 152, 235). Uber die Wahrung von Ausschlußfristen zur Geltendmachung eines vom Versicherer abgelehnten Versicherungsanspruches bei Teilklagen s. R G 152 3 3 0 ; R G WarnRspr 1936 Nr. 1 7 7 ; über die Einrede der Arglist gegen den Einwand der Versäumung der Klagefrist s. auch R G J W 1938, 1658, K G H R R 1935 Nr. 195. — Z u r Auslegung einer Bestimmung, wonach der Versicherer den Versicherten zunächst auf Durchsetzung seiner Ansprüche gegen Dritte verweisen will, s. R G J W 1926, 1930 7 . Der V e r s i c h e r u n g s a n s p r u c h wird mit Ablehnung oder Anerkennung der Leistungspflicht durch den Versicherer f ä l l i g ( B G H L M Nr. 1 zu § 1 1 V V G = BB 1954, 6 1 4 und L M Nr. 3 zu § 1 1 V V G = BB 1955, 433). Seine V e r j ä h r u n g beginnt mit der Fälligkeit ( B G H L M Nr. 2 zu § 12 V V G ) .

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Allgemeiner §157 Anm. 45—47 Anm. 45 Wegen veränderter Umstände

Teil. Rechtsgeschäfte

ist dem Versicherungsnehmer ein Kündigungsrecht einzuräumen, falls mittels ergänzender Auslegung anzunehmen ist, daß der Genannte nur bei Fortdauer gewisser für das Vertragsverhältnis bedeutsamer Umstände an den Vertrag gebunden sein wollte ( R G 6o, 65; R G J W 1 9 1 4 , 2 9 6 ; R G Gruchot 60,988). Hat der Versicherte nach seinem Schadensfall und vergleichsweiser Erledigung formularmäßig auf alle Ansprüche verzichtet, auch wenn künftig neue Folgen sich ergeben sollten, so bleibt bei Eintritt einer Spätfolge im Wege der Vertragsauslegung immer noch zu prüfen, ob der Verzicht auch diese Folge mitumfaßte ( R G J W 1934, 3265). — Die Bestimmung des § 94 Abs. 2 V V G hat nicht die Bedeutung, daß der Versicherungsnehmer nach Ablauf eines Monats seit der Anzeige, falls sich sein Schaden ohne sein Verschulden nicht feststellen läßt, immer nur so viel fordern könne, als der Versicherer ihm zubilligen wolle ( R G SeufTArch 72 Nr. 176). Soll der Versicherer nach den Vertragsbedingungen von seiner Verpflichtung befreit sein, falls die ihn befreiende Tatsache dem Leiter des versicherten Betriebs bekannt gewesen wäre, dann genügt es, wenn auch nur sonst ein A n g e s t e l l t e r v o n j e n e r T a t s a c h e K e n n t n i s g e h a b t h ä t t e ( R G 1 0 1 , 403).

Anm. 46 Z u r B e w e i s p f l i c h t d e s V e r s i c h e r e r s für die Behauptung, daß der Schaden durch Verschulden des Versicherten verursacht worden sei, s. R G 127, 26; 130, 263; vgl. auch R G J W 1928, 354; R G WarnRspr 1931 Nr. 235. Für schuldhaftes Verhalten Dritter z. B. auch der Ehefrau, hat der Versicherte nicht einzustehen ( R G J W 1927, 2801). F ü r eine schuldhafte Herbeiführung des Versicherungsfalles auch seiner H i l f s p e r s o n e n hat der Versicherte nicht nach § 278, sondern nur insoweit einzustehen, als diese seine Repräsentanten sind ( B G H 1 1 , 120).

Anm. 47 2. Lebensversicherung Vermutung für die stillschweigende Unterwerfung des Versicherungsnehmers unter Allgemeine Versicherungsbedingungen bei der Lebens- und Unfallversicherung s. R G H R R 1937 Nr. 1 7 1 . — B e i d e r L e b e n s v e r s i c h e r u n g braucht der Versicherungsnehmer nur die in Hinsicht auf die Gefahrumstände gestellten Fragen zu beantworten; insoweit muß er aber auch etwaige erst nachträglich, indes noch vor dem Vertragsabschlüsse eingetretene Umstände ohne weiteres anzeigen ( R G WarnRspr 1 9 1 5 Nr. 252 zu §§8 Abs. 2, 16 V V G , dazu auch R G J W 1 9 2 7 , 3048; 1928, 2128). Eine vor Abschluß des Lebensversicherungsvertrages eingetretene schwere Krankheit ist ein anzeigepflichtiger Umstand, dessen schuldhaftes Verschweigen den Versicherer berechtigen kann, auch erst nach Eintritt des Versicherungsfalles vom Vertrag zurückzutreten ( B G H L M Nr. 1 zu § 16 V V G = N J W 1956, 20). Auslegung von Bedingungen einer Lebensversicherung, wonach die Leistungspflicht der Gesellschaft mit der ersten Prämienzahlung beginnt, vorausgesetzt, daß der Versicherte seit der ärztlichen Untersuchung (oder seit der Antragstellung) nicht erheblich erkranktes. R G 130, 5 5 ; 134, 148. Ausschluß der R ü c k v e r g ü t u n g g e z a h l t e r P r ä m i e n bei der Lebensversicherung, falls der Versicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung durch den Versicherungsnehmer angefochten ist, s. R G 130, 2 7 1 . Willenserklärungen des Versicherungsnehmers über die B e z u g s b e r e c h t i g u n g , namentlich die Bestimmung eines Bezugsberechtigten, müssen bei der Lebensversicherung dem Versicherer zugehen, u m rechtswirksam zu sein ( R G 140, 30; B G H L M Nr. 1 zu § 166 V V G = BB 1953, 339). Vereinbarung der Inhaberklausel enthält für sich allein noch keinen Verzicht des Versicherers auf das Zugehen des Widerrufs einer Bezugsberechtigung ( R G 136, 49). Dem L e b e n s v e r s i c h e r u n g s s c h e i n kann abredegemäß eine solche konstitutive Wirkung beigelegt werden, daß sich das Rechtsverhältnis ausschließlich nach ihm regelt ( R G SeufTArch 76 Nr. 4). Die Anwendbarkeit der die Haftung des Versicherers einschränkenden K r i e g s k l a u s e l b e i L e b e n s v e r s i c h e r u n g s v e r t r ä g e n verlangt nur, daß der Versicherte im Kriegsdienste tätig und hierdurch einer Erhöhung der seinem Leben drohenden

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Vertrag

§157 A n m . 48

Gefahren ausgesetzt ist. Dazu kann auch genügen, daß die Gefahr aus etwaigen Krankheiten gesteigert ist ( R G 93, 84; hier war der Offizier in der Etappe an den Folgen einer Blinddarmoperation verstorben). Uber die Wartefrist für Selbstmord bei einer wiederhergestellten Lebensversicherung vgl. B G H 13, 226. Ist in einem Lebensversicherungsvertrag von einem Versicherungsnehmer, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, bei einem zum Geschäftsbetrieb im Inland zugelassenen ausländischen Versicherungsunternehmen durch dessen inländischen Hauptbevollmächtigten abgeschlossen worden, so gehört die Versicherung zum Bestand der inländischen Zweigniederlassung und kann von einer inländischen staatlichen Enteignung erfaßt werden (BGH 9, 34).

A n m . 48 3. Unfallversicherung Wegbedingung der Vorschriften über die Unterversicherung (§ 56 V V G ) s. R G 127, 303. Enthält ein U n f a l l v e r s i c h e r u n g s v e r t r a g die Bestimmung, daß der Unfall die „ a l l e i n i g e " („ausschließliche") Ursache für den Erfolg gewesen sein müsse, so ist als Vertragswille anzusehen, daß eine Verursachung des Schadens allein durch den Unfall dann nicht als vorliegend angenommen werden soll, wenn vor dem Unfälle eine krankhafte Veränderung des Klägers bestand, ohne welche die schädliche Folge überhaupt nicht eingetreten wäre? der Krankheitszustand muß alsdann als „mitwirkende Ursache" erachtet werden ( R G WarnRspr 1909 Nr. 444). Ist der Unfall nur infolge einer abnormen Veranlagung schädlich geworden, so kann er nicht als die alleinige Ursache der entstandenen Nachteile angesehen werden ( R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 94). Als solche kann jedoch nicht schon eine nach dem natürlichen Verlaufe der Dinge, z. B. infolge des Alters eingetretene größere Empfänglichkeit gelten ( R G 68, 67; R G J W 1908,346,565; R G WarnRspr 1909 Nr. 126). Z u m Begriffe des Unfalles im Sinne der Allgemeinen Versicherungsbedingungen des Unfallversicherungsverbandes s . R G 120, 1 8 ; R G WarnRspr 1930 Nr. 1 1 3 (Vergiftung); vgl. hierzu auch B G H VersR 1955, 385; R G SeuffArch 84 Nr. 86 (Ertrinken beim Baden). Uber den Begriff der „Bewußtseinsstörung" im Sinne von § 3 Ziff. 5 A V B vgl. B G H L M Nr. 2 zu § 3 A V B f. UnfallVers. und Nr. 29 (C) zu § 286 Z P O ; B G H 18, 3 1 1 . Z u m Begriffe des Unfalles, wenn sich ein Arzt gegen Infektionen bei Ausübung seines Berufes versichert hat ( R G 135, 136). Keine Haftung des Versicherers f ü r einen Kraftfahrzeugunfall, wenn der Versicherungsnehmer oder sein Wagenführer keinen Führerschein hatte ( R G J W 1928, 1 7 2 7 ; R G WarnRspr 1932 Nr. 208); wenn der Kraftwagen, in dem der verunglückte Fahrgast befördert wurde, noch nicht behördlich zugelassen war ( R G J W 1929, 910). Kein Versicherungsschutz, wenn ein Fahrschüler ohne Führerschein den Kraftwagen lenkt, während der Fahrlehrer, der einen Führerschein hat, daneben sitzt ( R G WarnRspr 1932 Nr. 82). Ausschluß des Versicherungsschutzes bei Entziehung des Führerscheins wegen des Unfalles s. R G WarnRspr 1931 Nr. 187. Die Ausschlußfrist für die Unfallanzeige kann nicht beginnen, solange der Eintritt einer Verletzung dem Versicherten noch nicht erkennbar geworden ist ( R G Gruchot 54, 814). Ist im Vertrage die Haftung des Versicherten durch K l a u s e i n , w i e , , U n f ä l l e d u r c h E r d b e b e n , d u r c h K r i e g s e r e i g n i s s e oder i m m o b i l e n M i l i t ä r d i e n s t e , d u r c h U n r u h e n " , ausgeschlossen, dann muß zum Eintritt der Befreiung zwischen dem Unfälle und der Befreiung ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen, ein nur mittelbarer genügt nicht ( R G Gruchot 6 1 , 778). Z u r Auslegung von Kriegsklauseln in Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen s. auch O G H 2, 298, wonach solche Klauseln nur dann anzuwenden sind, wenn aus dem Krieg eine besondere Gefahrenlage für das versicherte Gut adäquat entsteht, die in ihrem Eintritt oder Ablauf unberechenbar ist und der mit dem Einsatz normaler Mittel nicht begegnet werden kann, und wenn der einzelne Unfall wiederum adäquat auf eine solche Gefahrenlage zurückzuführen ist. Z u m Begriff der bürgerlichen U n ruhen im Versicherungsrecht R G 108, 188. Z u den Begriffen „Verkehrsmittel" und „ F a h r g a s t " im Sinne der Unfallversicherung s. R G 125, 7. Erleidet der Insasse eines Kraftfahrzeuges einen Unfall, so steht ihm ein Schadenersatzanspruch gegen den schuldigen Fahrzeughalter neben dem Recht aus einer von diesem abgeschlossenen Insassenversicherung zu ( B G H 19, 94).

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§157

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 49—51 Anm. 49 4. Haftpflichtversicherung Uber die Auslegung der Bestimmung einer Haftpflichtversicherung, daß die Haftpflicht des Versicherten aus dem Besitz von Schußwaffen und ihrem Gebrauch „ a u c h als Schütze, nicht als J ä g e r " in die Versicherung einbegriffen sei, s. R G 1 5 3 , 147. Verwirkung des Versicherungsanspruchs durch Weigerung des gegen Haftpflicht Versicherten, die Führung des Haftpflichtprozesses dem Versicherer allein zu überlassen, s. R G 1 0 1 , 2 1 3 ; R G L Z 1924, 8g. Uber die Anzeigepflicht von der gerichtlichen Geltendmachung des Haftpflichtsanspruchs vgl. B G H L M N r . 1 zu § i s 8 d V V G = N J W 1956, 1796. Der Haftpflichtversicherer ist aus einem von ihm abgeschlossenen Schadenteilungsabkommen schon dann erstattungspflichtig, wenn der Schadensfall mit dem Haftpflichtgefahrenbereich, f ü r den der Haftpflichtversicherer Deckung zu gewähren hat, in ursächlichem Zusammenhang steht. Seine Erstattungspflicht entfällt aber f ü r Schadensfälle, bei denen es schon auf Grund des unstreitigen Sachverhalts unzweifelhaft ist, daß eine Schadensersatzpflicht des Haftpflichtversicherers nicht in Betracht kommt ( B G H 20, 385). Bei einem vom Grundstückseigentümer abgeschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrag wird durch die Zerstörung des Grundstücksgebäudes das versicherte Interesse nicht berührt, sondern nur das Versicherungsrisiko vermindert ( B G H L M Nr. 1 zu § 4 i a V V G = N J W 1 9 5 1 , 3 1 4 ) . Der Haftpflichtversicherte ist nicht gehindert, bei dem Geschädigten den Entschluß zu fördern, b e r e c h t i g t e Haftpflichtansprüche geltend zu machen ( B G H L M Nr. x zu § 62 V V G = BB 1955, 463). Der Haftpflichtversicherte, der den Geschädigten auf Grund eines wirksamen Versicherungsvertrages befriedigt hat, kann nicht wegen des auf ihn übergegangenen Ausgleichsanspruchs den Haftpflichtversicherer des Mitschädigers aus § 158 c V V G in Anspruch nehmen ( B G H 20, 3 7 1 ) . Der bei der Privathaftpflichtversicherung erfolgte Einschluß der Haftpflicht der Kinder des Versicherungsnehmers umfaßt auch die Haftpflicht seiner Stiefkinder ( B G H Nr. 1 zu § 74 V V G = Betrieb 1954, 192). Der Haftpflichtversicherer ist nicht berechtigt, die Versicherungssumme an den Versicherten selbst zu zahlen, solange dieser den Haftpflichtgläubiger nicht befriedigt hat ( B G H 15, 154). Der Versicherungsnehmer genügt seiner Beweispflicht mit dem Nachweis, daß er aus dem unter Versicherungsschutz gestellten Rechtsverhältnis haftpflichtig geworden ist (BGH 23, 356).

Anm. 50 5. Luftfahrt- und Seeversicherung Z u m Begriff der „ K u n s t f l ü g e " , die von der Luftfahrtversicherung ausgeschlossen sind, s. R G WarnRspr 1929 Nr. 163. Uber die Klausel bei der Seeversicherung „ n u r für Seegefahr", „frei von Kriegsverlust" vgl. R G 89, 140, 143, 3 1 7 . Zur Auslegung der A l l g e m e i n e n D e u t s c h e n S e e v e r s i c h e r u n g s b e d i n g u n g e n (ADS) s. R G H5> 67» 975 ' 6 5 , 397; 1 1 6 , 224; 1 1 7 , 3 9 1 ; 1 1 8 , 1 3 ; 120, 39; 1 2 1 , 3 9 6 ; 1 2 3 , 10, 14, 1 4 1 , 320; 130, 47, 302; 150, 2 6 1 ; 1 5 3 , 1 1 3 ; 169, 1 f f ; RG J W 1937, 1920; 1938, 876; R G SeuffArch 90 Nr. 1 1 . Gemäß A D S 1 9 1 9 gilt der Grundsatz, Totalschaden verschlingt nicht den Partialschaden ( B G H 2, 336). Nach § 35 dieser Bedingungen haftet der Versicherer auch für Schäden aus dem Auffahren des Schiffes auf eine von einer neutralen Macht ausgelegten Mine ( B G H V e r s R 1952, 1 1 7 ) .

Anm. 51 6. Transport- und Reisegepäckversicherung Betreffs der Versicherung gegen Kriegsgefahr und des darauf beruhenden Verzögerungsschadens bei der Transportgefahr in Verbindung mit der Freizeichnungsklausel vgl. z. B. R G WarnRspr 1 9 1 9 Nr. 109. Ist eine Versicherung in Gemäßheit der K r i e g s k l a u s e l auf die in der W e g n a h m e , B e s c h ä d i g u n g o d e r Z e r s t ö r u n g der versicherten Waren bestehende Kriegsgefahr abgestellt, dann bleibt die Entschädigungspflicht auf diese Fälle beschränkt, und sie kann nicht auch auf sonstige Fälle erweitert werden, wo ein das Gut betreffender Schaden unmittelbar auf den Krieg zurückzuführen ist, wie namentlich auf eine vom Feinde angeordnete Beschlagnahme

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Vertrag

§ 157

A n m . 52, 53 (RG 96, 150; RG 27. 3. 1925 VI 502/24). Auslegung der Klausel „innerer Verderb, hervorgerufen durch Streik" s. RG J W 1925, 616. Verschulden des Versicherungsnehmers bei der Reisegepäckversicherung s. RG SeufFArch 82 Nr. 19. Wird bei Gütertransporten im Interzonenverkehr die Gefahr der Beschlagnahme mitversichert, so enthält die Klausel: „Die Versicherung ist dadurch bedingt, daß der Warenbegleitschein ordnungsgemäß abgestempelt ist" keine „Obliegenheit", sondern eine echte Risikobeschränkung (BGH L M Nr. 4 zu § 6 VVG = BB 1955, 749). Hat der Spediteur die Beschlagnahme des Beförderungsgutes verschuldet, so kann er den Absender nicht auf die Speditionsversicherung verweisen (BGH NJW 1954, 1930; B G H M D R 1955, 542)-

A n m . 52 7. Feuerversicherung Zur Auslegung der Klausel in F e u e r v e r s i c h e r u n g s v e r t r ä g e n , wonach der Versicherer von der Leistungspflicht frei wird, wenn sich der V e r s i c h e r t e b e i E r m i t t l u n g d e s S c h a d e n s e i n e r a r g l i s t i g e n T ä u s c h u n g schuldig macht, s. RG 124» 343; H 6 . 22 1 ; l5°> H 7 ; !54> 212; vgl. auch RG J W 1928, 1738; 1936, 2404, 2978, 3452; R G H R R 1934 Nr. 944; RG WarnRspr 1930 Nr. 221; 1931 Nr. 13; 1932 Nr. 12 u. 185 (Beweislast, Beweis des ersten Anscheins); 1934 Nr. 23, 60, 1 8 1 ; 1935 Nr. 165; R G H R R 1 9 3 4 Nr.945, 946; 1935 Nr. 1487. E i n b e t r ü g e r i s c h e s V e r h a l t e n des von ihm zur S c h a d e n s e r m i t t l u n g b e s t e l l t e n V e r t r e t e r s hat der Versicherungsnehmer zu vertreten (RG 58, 347; 150, 147; RG WarnRspr 1914 Nr. 109). S. aber auch RG J W 1938, 3 3 1 : keine Haftung des gutgläubigen Versicherungsnehmers für den vorsätzlich oder arglistig handelnden „Wissensvertreter". — Die Bestimmung, daß bei U b e r g a n g d e s v e r s i c h e r t e n B e t r i e b s auf einen andern dieser ohne weiteres in den Vertrag eintrete, kann einen Vertrag im Sinne des § 328 ergeben (RG WarnRspr 1914 Nr. 280). Gemäß § 69 Abs. 1 VVG und einer dieser Vorschrift gleichlautenden Vertragsbestimmung erlischt das Recht des Versicherungsnehmers auf die Brandversicherungssumme nicht schon dadurch, daß er die versicherte Sache verkauft, sondern erst dadurch, daß auch bereits die Ubereignung erfolgt, und der Erwerber hierdurch in den Vertrag eingetreten ist (RG 84, 409). Wird das auf einem verkauften Grundstück stehende Gebäude nach dem Ubergang der Gefahr durch Brand zerstört, so hat der Verkäufer das, was er von dem Versicherer auf Grund des Brandes erhält, jedenfalls dann an den Käufer abzuführen, wenn dieser im Zeitpunkt des Brandes den Kaufpreis noch nicht bezahlt hatte (BGH L M Nr. 1 zu § 69 V V G = BB 1955, 225). Die Anzeigepflicht bei Eigentumswechsel (§§69, 71 VVG, dazu RG WarnRspr 1932 Nr. 141) erstreckt sich auch auf Sicherungsübereignungen (RG 117, 270; RG WarnRspr 1931 Nr. 157). Versäumung der Veräußerungsanzeige aus Rechtsunkenntnis s. RG J W 1930, 3626. Der Versicherer darf durch das Unterlassen der Anzeige über die Veräußerung der versicherten Sache keinen Nachteil erleiden (BGH VersR 1957, 502). Befreiung des Versicherers gemäß § 61 V V G bei Brandstiftung durch den Vater des minderjährigen Versicherungsnehmers s. R G 135, 370. Wird der Versicherer gemäß § 61 V V G auch dem Versicherungsnehmer gegenüber wegen dessen Beteiligung an der Brandstiftung befreit, so b l e i b e n d o c h d i e A n s p r ü c h e d e r H y p o t h e k e n g l ä u b i g e r a u s § 1 0 1 V V G bestehen (RG 102, 350). Vgl. auch R G 141, 82. Uber die Berechnung der Entschädigung bei Neuwertversicherung vgl. B G H 9, 195. A n m . 53 X . Verfahrensrechtliches 1. B e w e i s fragen Der Richter hat die A u s l e g u n g eines Vertrages von sich aus v o r z u n e h m e n ; sie hat mit der Beweislast und Beweisführung nichts zu tun. Er darf daher nicht gegen eine Partei aus dem Grunde entscheiden, weil sie für die ihr günstige Auslegung keinen Beweis angetreten oder erbracht hat. Die Feststellung der für die Auslegung m a ß g e b l i c h e n U m s t ä n d e kann hingegen nur unter Berücksichtigung der für die B e h a u p t u n g s - u n d B e w e i s l a s t geltenden Grundsätze erfolgen. Der Tatsachenrichter ist

555

§157 A n m , 54, 55

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

daher nicht gehalten und nicht in der Lage, derartige, für die Auslegung wesentliche Umstände von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen (BGH 20,109). Vgl. im übrigen Anm. 18—20 zu § 133. A n m . 54 2. Revisibilität Uber die Nachprüfbarkeit der Auslegung von Individualverträgen in der Revisionsinstanz vgl. § 133 Anm. 21 und 22. Die Auslegung von Vertragsklauseln typischen Inhalts, wie etwa von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, deren Anwendungsbereich sich auf mehrere Oberlandesgerichtsbezirke erstreckt, unterliegt regelmäßig der freien N a c h p r ü f u n g durch d a s Revisionsgericht (RG 81, 117; 83, 296; 86, 284; 87; 3355 96, 209 u. 266; 103, 414; 108, 60; 135, 136; 155, 26, 133; R G J W 1916, 134; 1919, 18g; 1926, 1947; 1934, 346; R G WarnRspr 1922 Nr. 10; R G Gruchot 1921, 349; R G H R R 1928 Nr. 1797; R A G 1, 162; OGH NJW 1949, 905; B G H L M Nr. 2 zu ADS; B G H VersR 1951, 79; st. Rspr.); für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge R G 114, 409; für Vertragsbedingungen einer gewerbsmäßigen Auskunftei über den Haftungsausschuß R G 115, 122; für die Lieferungs- und Zahlungsbedingungen des Verbandes Rheinisch-Westfälischer Baumwollspinner R G 155, 133. Über die Revisibilität allgemeiner Lieferungsbedingungen s. noch R G 142, 139; 149, 96; 155, 26. Für die vom Aero-Lloyd-Konzern aufgestellten allgemeinen Beförderungsbedingungen s. R G 117, 105; für die vom Verband deutscher Elektrotechniker aufgestellten Sicherheitsvorschriften s. R G J W 1932, 745, für die Allgemeinen Bedingungen für Privatgleisanschlüsse s. R G 147, 369; R G H R R 1934 Nr. 1544; R G SeuffArch 89 Nr. 164; für Verbandsverträge, denen eine marktregelnde Anordnung des RWirtschMin auf Grund des ZwKartG v. 15. 7. 1933 zugrunde liegt ( R G J W 1936, 1894); Vertragsbedingungen der Reichsstelle für Getreide usw. über den Verkehr mit monopolpflichtigen Ölsaaten ( R G J W 1938, 807 33 ). Revisibel können auch die formularmäßigen Mietverträge von Hausbesitzervereinigungen (s. jetzt den Deutschen Einheitsmietvertrag) sein. Für Geschäftsbedingungen der Banken vgl. R G 135, 91. Nachprüfung der Auslegung von Gesellschaftssatzungen s. R G 83, 319; 86, 283; 97, 242; R G J W 1930, 37353; R G WarnRspr 1922 Nr. 100; R G H R R 1933 Nr. 1445; B G H 9, 279. Auslegung von „Schleppbedingungen" s. R G 98, 122; 126, 324. Ausbildungsabkommen mit Jungbergleuten als typische vom Revisionsgericht nachzuprüfende Vertragsbestimmungen s. R A G H R R 1934 Nr. 184. Kaliabbauverträge B G H LM Nr. 4 (A) von § 133; Schadensteilungsabkommen von Versicherungsträgern B G H 20, 385. Formblätter, die, wenn auch vielleicht allgemein üblich, doch nicht von beiden Parteien der Vertragsfassung zugrundegelegt, sondern nur einseitig von der einen Partei benutzt wurden, gehören nicht hierher (RG 134, 82; 136, 42; R G J W 1934, 2761; 1938, 1120); wohl aber allgemeine Vertragsbedingungen, die in einem Formblatt enthalten sind, das bei den Vertragsabschlüssen einer Partei im ganzen Reichsgebiet Anwendung findet (RG J W 1938, 1245). Keine typische, vom Revisionsgericht frei auszulegende Urkunde ist das Formblatt einer Zollbehörde für Zollbürgschaften ( R G J W 1932, 2285). Nachprüfung der Schuldversprechen in für den allgemeinen Verkehr bestimmten, im ganzen Deutschen Reich verbreiteten Wertpapieren s. R G 152, 166. Uber den Begriff der „Typenverträge" vgl. auch B G H 1, 83. Uber die bei typischen Vertragsbedingungen zu beachtenden Auslegungsgrundsätze vgl. oben Anm. 38 u. 39. A n m . 55 Uber Auslegung allgemeiner Versicherungsbedingungen vgl. R G 8 1 , 117; 108, 188; 112, 372; 124, 330; 145, 21; 154, 155; R G J W 1932, 2521; 1937, 2668; 1938, 1113; R G WarnRspr 1919 Nr. 158; 1932 Nr.82; R G SeuffArch 86 Nr. 61, I 0 7 ; R G L Z 1920, I 54i B G H VersR 1951, 79). Allgemeine Versicherungsbedingungen einer öffentlichen Feuerversicherungsanstalt s. R G 124,330; eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit R G SeuffArch 89 Nr. 32, 15g. Auch die „besonderen Bedingungen" der Versicherungsgesellschaften können in der Revisionsinstanz nachgeprüft werden ( R G J W 1926, 554; 1928, 1737). Vorausgesetzt ist aber dabei, daß die Bedingungen für alle gleichartigen 556

Bedingung. Zeitbestimmung

V o r § 158 A n m . 1—3

Versicherungsverträge des Versicherers zu gelten bestimmt sind und daß dessen Wirkungskreis über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinausgeht (RG 81, 119; 144, 301; 149, 69; 153, 62; RG JW 1934, 346). Kommen neben typischen Vertragsbedingungen besondere Vereinbarungen für den Einzelfall in Betracht, dann ist das Revisionsgericht an die Auslegung der Sonderbestimmung durch den Tatrichter in den für Individualverträge dargelegten Grenzen (vgl. § 133 Anm. 20) gebunden (RG 155, 133; R G JW 1936, 858). Vierter Titel Bedingung. Zeitbestimmung Vorbemerkung Ubersicht Anm.

I. Begriffliches 1. Das Gemeinsame 2. Die Bedingung 3. Die Zeitbestimmung II. Das künftige Ereignis III. Keine Bedingungen sind 1. Die Geschäfts- oder Vertragsbedingungen 2. Annahmen, Erwartungen, Voraussetzungen 3. Die uneigentlichen Bedingungen IV. Einteilung der Bedingungen V. Die bedingungsfeindlichen Geschäfte VI. Besonderheiten bei einzelnen Rechtsgeschäfsen VII. Die Rechtsnatur bedingter Rechte VIII. Bedingte und befristete Geschäfte für den Todesfall IX. Die Auflage

j

1—3 1 2 3 4, 5 6—9 6 7 8, 9 10 11—17 18 19 20 21

Anm. 1 I. Die Begriffe der Bedingung und Z e i t b e s t i m m u n g werden vom Gesetz als bekannt vorausgesetzt. 1. Das G e m e i n s a m e von Bedingung und Zeitbestimmung ist, daß sie nicht notwendige Bestandteile eines Rechtsgeschäfts sind, sondern dem Rechtsgeschäft nur beigefügt werden. Beide Rechtseinrichtungen schränken eine abgegebene Willenserklärung ein. Sie werden samt der Auflage (vgl. dazu unten VII) unter dem Oberbegriff „Nebenbestimmungen" zusammengefaßt. In einer ungewissen Befristung (Erreichung eines bestimmten Lebensalters, am Tage der Ablegung eines Examens, Zeitpunkt einer angestrebten Wahl) liegt an sich sowohl eine Befristung wie eine Bedingung. In der Regel enthält die Bedingung (z. B. falls ich gewinne) zugleich eine Befristung. So werden beide Begriffe aber weder vom Sprachgebrauch noch vom Gesetz verwendet. Anm. 2 2. Zur B e d i n g u n g gehört, daß der Eintritt oder die Dauer einer Rechtswirkung von einem zukünftigen ungewissen Umstand abhängig gemacht wird. Auch dieses Ereignis selbst wird Bedingung genannt. Anm. 3 3. Eine Z e i t b e s t i m m u n g liegt dagegen vor, wenn eine Rechtswirkung mit dem Eintritt eines zukünftigen gewissen Ereignisses beginnen (Anfangstermin) oder aufhören (Endtermin) soll.

557

V o r § 158 A n m . 4, 5

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 4 II. D a s künftige Ereignis Das die Bedingung darstellende künftige Ereignis können Handlungen, Unterlassungen, und zwar der Parteien selbst oder Dritter, und sonstige Begebenheiten rein tatsächlicher oder rechtsgeschäftlicher Art sein. Die Leistung einer Handlung des einen Teiles kann als Bedingung für den Fortbestand der vom anderen Teil übernommenen Verpflichtung auch dann wirksam vereinbart werden, wenn jene Leistung wegen ihrer Unbestimmtheit nicht klagbar wäre ( R G 28. 3. 01 V I 3/01). Auch das G e s c h ä f t s m o t i v kann vertraglich zur Bedingung gemacht werden (z.B. Miete eines Fensters unter der Bedingung, daß von ihm aus ein geplanter Festumzug gesehen werden kann). Aber nicht alles, was in die Form einer Bedingung gekleidet ist, braucht eine Bedingung im Rechtssinne zu sein. So kann die letzwillige Verfügung: „Sollte ich auf der Reise sterben, so erhält mein Bruder 60000,— DM, das andere Vermögen meine Frau" bedeuten, daß die Reise nur Beweggrund für das Testament und die Anordnung weder bedingt noch auf die Dauer der Reise zeitlich beschränkt war ( R G 22. 2. 06 I V 409/05). Anm. 5 Der Eintritt des als Bedingung gestellten Ereignisses kann von der Willkür einer Vertragspartei ( P o t e s t a t i v b e d i n g u n g , Wollensbedingung, Willkürbedingung), vom Lauf der Dinge — Zufall — ( z u f ä l l i g e B e d i n g u n g ) oder von beidem abhängig sein ( g e m i s c h t e B e d i n g u n g ) . Eine Potestativbedingung ist allerdings nur dann Bedingung im Rechtssinne, wenn nicht die Entstehung des Rechtsgeschäfts, sondern seine Wirksamkeit von einer noch ungewissen Entschließung eines der Beteiligten abhängig ist. Ist schon in das freie Belieben einer Partei gestellt, ob sie gebunden sein soll oder nicht, so liegt keine Bedingung im Rechtssinne vor, weil dann das Zustandekommen des Vertrages selbst und nicht dessen Wirkung in Frage gestellt ist, wie dies § 158 voraussetzt ( R G 131, 24; 136, 132). Wer sich nur für den Fall verpflichtet, daß er wollen wird, verpflichtet sich tatsächlich nicht ( R G 72, 385; 136, 135). Soll ein bereits beiderseits unterschriebener „Vertrag" erst nach erfolgter Gegenbestätigung eines der beiden Beteiligten in K r a f t treten, so ist das kein bedingter Vertrag, sondern bloß ein Vertragsangebot des anderen Teils ( R G 1 3 1 , 24; vgl. auch R G 1 1 7 , 89; 124, 336). Ebenso ist die vertragliche Einräumung einer Option auf Erfindungen und Schutzrechte kein bedingter Vertrag, sondern lediglich Vertragsangebot ( R G 136, 132). Soll dagegen alsbald eine vertragliche Bindung eingegangen werden, aber die Durchführung des Geschäfts späterer Billigung vorbehalten bleiben, so ist ein bedingter Vertrag geschlossen. Daß die Durchführung eines Rechtsgeschäfts von dem Belieben des Berechtigten abhängig gemacht werden kann, zeigt § 495, der den Kauf auf Probe als Kauf unter der aufschiebenden Bedingung der Billigung kennzeichnet ( R G 72, 385; 94, 297). Ist vertragliche Bindung gewollt, so kann die Durchführung des Rechtsgeschäfts aber auch daran geknüpft werden, daß es der Verpflichtete binnen bestimmter Frist noch gutheißt: z.B. Geht der Kaufinteressent eines Grundstücks ins Ausland und wird deshalb ein beiderseits bindender Vertrag in notarieller Form geschlossen, aber mit der Bedingung ausgestattet, daß der Verkäufer das Geschäft binnen einem Monat telegraphisch billigt, so ist diese reine Wollensbedingung eine Bedingung im Rechtssinne ( E n n e c c e r u s / N i p p e r d e y § 194 I V 3). Auch bei einer einseitigen Willenserklärung kann es so liegen; man denke an das notarielle Schenkungsversprechen eines Auswanderers unter dem Vorbehalt schriftlicher Bestätigung binnen Jahresfrist. Erst recht kann eine von der Willkür des Verpflichteten abhängige Handlung als Bedingung gesetzt werden; eine solche Bedingung liegt im Verkauf der dem Vorkaufsrecht unterliegenden Sache ( R G 67, 45; 72, 385) oder in der Abrede, daß eine bestimmte Rechtswirkung davon abhängen soll, daß gewisse Schulden getilgt werden ( R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 174). Auch die Abgabe einer Erklärung ( R G 77, 415), die Ausübung eines Rechts, z. B. die Ausübung des Verkaufsrechts ( R G 67, 45) oder des Wiederkaufsrechts ( R G 69, 281), und eine bloße Entschließung ( R G WarnRspr 09 Nr. 67 = Gruchot 53, 4 1 1 ) können als Bedingung gestellt werden. Hat die Klausel: „Eine Lieferungsverpflichtung wird mit der Abgabe des Angebots und der Annahme des Auftrags nicht

558

Vor §158

Bedingung. Zeitbestimmung

Anm. 6—9 übernommen" den Sinn, daß keine vertragliche Bindung eingegangen werden sollte, so ist ein Vertrag nicht zustande gekommen; ist dagegen Vertragsbindung gewollt, so ist die Vertragserfüllung von der Willkür eines der Beteiligten abhängig; das ist eine Bedingung im Rechtssinne ( R G 104, 98). Zur Klausel „Preise freibleibend" vgl. R G 103, 4 1 4 , zur Klausel „freibleibend unter Vorbehalt der Lieferungsmöglichkeit" vgl. R G 104, 1 1 4 und zum Freibleiben in Preis, Lieferung und Lieferzeit vgl. R G 104, 306 (vgl. auch § 4 3 3 Anm. 40). Die Klausel „richtige und rechtzeitige Selbstbelieferung vorbehalten" bedeutet, daß der Verkäufer von seiner Verpflichtung frei wird, wenn er von seinem Lieferanten im Stich gelassen wird, O G H N J W 1949, 22; O L G Hamburg H E Z 1, 1 2 6 ; BB 1955, 942. Uber Preisklauseln, durch die sich der Verkäufer vorbehält, unter bestimmten Voraussetzungen einen erhöhten Kaufpreis zu fordern, vgl. B G H 1, 353. Z u m K a u f mit Richtpreisabrede O G H 4, 172.

Anm. 6 III. Keine Bedingungen sind: 1 . Umstände, die in Verträgen zwar als Bedingungen bezeichnet werden, aber bloß zum Inhalt des Geschäfts gehören und nicht die Rechtswirkung der abgegebenen Erklärungen einschränken (sog. Geschäfts- oder Vertragsbedingungen). Keine Bedingung, sondern eine Abrede über Leistung und Gegenleistung stellt die Vertragsbestimmung dar: „Bezahlung soll erst erfolgen, wenn die gekauften Maschinen 30 T a g e mangelfrei gelaufen sind" ( R G J W 09, 453). Soll der Verkäufer die ihm innerhalb bestimmter Frist angezeigten Mängel nachbessern und der K ä u f e r das Wandlungsrecht nur haben, falls die Nachbesserung nicht gelingen sollte, so ist die „Bedingung", daß der K ä u f e r die gekauften Maschinen fest übernimmt, falls sie innerhalb jener Frist einwandfrei funktionieren, keine Bedingung im Rechtssinne, sondern eine die Gewährleistung betreffende Abrede ( R G SeuffArch 86 Nr. 90).

Anm. 7 2. Annahmen, Erwartungen

und Voraussetzungen, mögen sie auch dem anderen Vertragsteil erkennbar gemacht worden sein ( R G 62, 267; 66, 132). Das Fehlen einer von einem Vertragsbeteiligten unterstellten Voraussetzung kann aber zur Anfechtung wegen Irrtums ( R G 70, 86), zum Rücktritt vom Vertrage wegen veränderter Umstände ( R G 62, 267) oder zu einem billigen Ausgleich ( R G 1 4 1 , 2 1 7 ; B G H L M Nr. 18 zu § 242 [Bb.] BGB) berechtigen. Soll eine Voraussetzung, von der ein Teil bei dem Vertragsschluß ausgegangen ist, Geschäftsgrundlage geworden sein, so muß es sich um eine dem Vertragsgegner kundgegebene und von ihm erkannte und nicht bloß um eine ihm erkennbare Vorstellung handeln.

Anm. 8 3. die sog. uneigentlichen Bedingungen. Bei ihnen wird ein Umstand zur

„ B e d i n g u n g " erhoben, der objektiv gar nicht ungewiß ist, der ein gesetzliches Erfordernis der angestrebten Rechtswirkung ist ( R e c h t s b e d i n g u n g ) oder verhindert, daß das abgeschlossene Rechtsgeschäft wirksam wird. Alle diese „Bedingungen" folgen nicht den §§ 1 5 8 f f , sondern eigenen Regeln ( R G 144, 7 3 ; O G H 3, 250, 253).

Anm. 9 Uneigentliche Bedingungen sind: a ) in der Vergangenheit oder Gegenwart liegende Ereignisse, über deren Eintritt die Vertragschließenden noch im ungewissen sind — R G 22. 1 1 . 09 V I 437/08 —

Vergangenheits-

und G e g e n w a r t s b e d i n g u n g .

Hier

besteht

keine

objektive

Ungewißheit, sondern nur eine subjektive. Möglicherweise liegt Wette vor. b) Ereignisse, die notwendigerweise eintreten müssen (notwendige Bedingung). Die Zwangsläufigkeit des Geschehensablaufs schließt jede Ungewißheit aus. Wird eine Rechtswirkung an einen derartigen Umstand geknüpft, so ist kein bedingtes, sondern ein unbedingtes Rechtsgeschäft gegeben. Unter Umständen kann ein befristetes Geschäft anzunehmen sein; soll die Wirkung eines Rechtsgeschäfts bei Eintritt eines not-

559

V o r § 158

Anm. 10

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

wendigerweise eintretenden Ereignisses aufhören, so handelt es sich der Sache nach um einen Endtermin. c) Ereignisse, die gar nicht eintreten können ( u n m ö g l i c h e B e d i n g u n g ) . Wird der Eintritt einer Rechtswirkung von einer unmöglichen Bedingung abhängig gemacht, so ist der Vertrag wie ein Vertrag, der auf eine unmögliche Leistung gerichtet ist (§ 306), nichtig, da nur der mögliche Wille Rechtswirkungen hervorrufen kann. Ist die Beendigung einer Rechtswirkung von einer unmöglichen Bedingung abhängig, so ist die Bedingung bedeutungslos. Zulässig ist es, ein Ereignis zur Bedingung zu setzen, dessen Eintritt zur Zeit unmöglich ist, falls nur die Unmöglichkeit in der Folge, beispielsweise durch Änderung der Gesetzgebung, behoben werden kann (Mot. 1, 265 fr; vgl. auch §306, 308 Abs. 1). d ) Bedingungen , die für keinen Teil einen Vorteil begründen ( u n n ü t z e B e d i n g u n g e n ) , können die Ernstlichkeit des Geschäfts in Frage stellen. Sonst unterliegen sie den allgemeinen Grundsätzen von der Bedingung, insbesondere müssen sie erfüllt werden, soll die von ihnen abhängige Rechtswirkung eintreten. e) An sich u n v e r s t ä n d l i c h e ( p e r p l e x e ) B e d i n g u n g e n sind geeignet, das ganze Rechtsgeschäft wegen mangelnder Bestimmtheit und Unklarheit zu vernichten. f ) U n e r l a u b t e u n d u n s i t t l i c h e B e d i n g u n g e n machen das Geschäft ganz oder teilweise nichtig (§§ 134, 148). Eine Bedingung kann selbst unerlaubt oder sittenwidrig sein, aber auch das Geschäft zu einem unerlaubten oder unsittlichen machen. Die Nichtigkeitsfolge tritt nicht bloß dann ein, wenn die Bedingung schon für sich gegen die guten Sitten verstößt, sondern auch dann, wenn nach dem Gesamtinhalt des Geschäfts ein Sittenverstoß gegeben ist. Während ein gesetzlich verbotenes Geschäft für den Fall geschlossen werden darf, daß das Verbot aufgehoben wird (§§ 309, 308), ist ein gegen die guten Sitten verstoßendes Geschäft nichtig, auch wenn es für den Fall abgeschlossen wird, daß es infolge Anschauungswandels zu einem erlaubten Geschäft werde. g ) Die R e c h t s b e d i n g u n g e n . Wird ein Tatbestandserfordernis eines Rechtsgeschäfts oder eine notwendige gesetzliche Voraussetzung einer Rechtswirkung in einer Willenserklärung zur Bedingung gemacht, so wird das Geschäft nicht zu einem bedingten, selbst wenn das Merkmal oder der Umstand bei Vornahme des Geschäfts noch nicht gegeben war (RG JW 1912, 135). Zum gesetzlichen Entstehungstatbestand des Mäklerlohns gehört, daß infolge der Tätigkeit des Mäklers ein Vertrag zustande kommt; die vertragliche Anerkennung dieser notwendigen Rechtsvoraussetzung macht den Mäklervertrag nicht zu einem bedingten ( R G Gruchot 56, 119). Die zu einem Rechtsgeschäft erforderliche vormundschaftsgerichtliche Genehmigung kann nicht zur Bedingung der Wirksamkeit dieses Geschäfts gemacht werden (RG 23. 2. 07 I 404/06, in R G 65, 227 nicht mit abgedruckt). Die Unsicherheit, die schon von Rechts wegen dem Geschätt innewohnt, folgt nicht den Grundsätzen der §§ 158 ff, sondern ihren eigenen Regeln (RG 144, 73; O G H 3, 253); insbesondere die §§ 159, 162 sind nicht anwendbar. Im übrigen vgl. § 162 Anm. 9.

Anm. 10 I V . Die hergebrachte E i n t e i l u n g d e r B e d i n g u n g e n in bejahende und verneinende, potestative, kasuelle und gemischte, notwendige, unmögliche, unnütze, perplexe, unerlaubte und unsittliche ist dem Gesetz fremd. Das Bürgerliche Gesetzbuch erachtet in allen diesen Beziehungen mit Recht Sonderbestimmungen für überflüssig. Denn, handelt es sich um eine wirkliche Bedingung, so muß ohnehin überall dieser Rechtsbegriff mit den daran geknüpften Rechtsfolgen Platz greifen; soweit es sich dagegen um uneigentliche Bedingungen handelt, reichen die sonstigen allgemeinen Rechtsgrundsätze zur Beurteilung ihrer Wirkung aus. In jedem Falle ist die Frage, welchen Einfluß eine Bedingung auf die Gültigkeit eines Rechtsgeschäfts haben kann, nach dem Inhalt des ganzen Geschäfts zu beurteilen, mag dieses seine besondere Beschaffenheit auch erst durch die hinzugefügte Bedingung erhalten haben. Denn immer muß das Geschäft mit allen seinen Bestandteilen als ein einheitliches Ganzes betrachtet werden. So ist es möglich, daß ein Geschäft gerade durch die Hinzufügung der Bedingung eine solche Unbestimmtheit annimmt, daß es sich aus diesem Grunde als ungültig darstellt.

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Bedingung. Zeitbestimmung

Vor § 158

Anm 11—13 Anm. 11 V. Die bedingungsfeindlichen Geschäfte

Gewisse Geschäfte sind bedingungsfeindlich. Werden sie doch bedingt vorgenommen, so sind sie unwirksam. Das gilt von der Aufrechnung (§ 388 Satz 2), der Auflassung (§ 925 Abs. 2), —• die Auflassung an eine erst in der Entstehung begriffene juristische Person oder in der Weise, daß das Eigentum an dem Grundstück erst nach Entstehung einer Errungenschaftsgemeinschaft auf diese übergehen soll, steht aber unter einer Rechtsbedingung und fällt daher nicht unter § 925 Abs. 2 ( B G H N J W 1952, 1330) — der Übertragung des Erbbaurechts ( § 1 1 Abs. 1 Satz 2 E r b b V O ) , der Eheschließung (§§ 13, 17 Abs. 1 E h e G ) , der Annahme an Kindes Statt (§ 1742) und der Aufhebung der Adoption (§ 1768 Abs. 1 Satz 2), der Ehelichkeitserklärung (§ 1724), der Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft (§ 1947) oder eines Vermächtnisses ( § 2 1 8 0 Abs. 2), der Ablehnung der Fortsetzung der Gütergemeinschaft (§ 1484 Abs. 2), der Annahme oder Ablehnung des Amts des Testamentsvollstreckers (§ 2202 Abs. 2 Satz 2), der Bestellung des Vormunds. Seine Entlassung kann dagegen an eine Bedingung geknüpft oder auf einen bestimmten Termin gestellt werden (§ 1790).

Anm. 12 Die Ausübung der Rechte des rechtlichen Könnens

(vgl. RG 92, 6/7) sind grundsätzlich bedingungsfeindlich. So verträgt die Anfechtungserklärung nicht die Beifügung einer Bedingung ( R G 66, 1 5 3 ; 146, 238), denn sie muß einen sofort bestimmten Rechtszustand schaffen und duldet keinen Schwebezustand. Hängt die Wirkung einer Anfechtungserklärung dagegen nicht von dem Eintritt eines ungewissen Ereignisses ab, sondern bloß von der künftigen Klarstellung eines derzeit nur für die Parteien ungewissen, aber bereits bestehenden Rechtszustandes, kann es sich also wie bei einer auf die Vergangenheit oder die Gegenwart abgestellten Bedingung nur u m die Aufklärung der Parteien über eine schon eingetretene Rechtswirkung handeln, so ist die Anfechtung, weil nicht bedingt, wirksam ( R G 146, 239). Auch die R ü c k t r i t t s e r k l ä r u n g , der W i d e r r u f , die A u s ü b u n g d e s V o r k a u f s - u n d W i e d e r k a u f s r e c h t s und die W a h l e r k l ä r u n g nach den §§263, 2 1 5 4 sind unwirksam, wenn sie unter einer Bedingung vorgenommen werden. Alle diese Erklärungen können aber hilfsweise für den Fall abgegeben werden, daß ein Vertrag, der in erster Linie bestritten wird, zustandegekommen ist — E v e n t u a l e r k l ä r u n g — ( R G 57, 1 0 1 ; 97, 269; 142, 1 7 6 ; 167, 257).

Anm. 13 Nach R G 9 1 , 308/09; WarnRspr 1 9 1 5 Nr. 103 ist die von einer echten Bedingung abhängige Kündigung unwirksam. Das bedarf einer Einschränkung: Der Schutzzweck der Kündigungsfrist ist erreicht, wenn die Bedingung vor Beginn der Frist eingetreten und dies dem Gekündigten bekannt ist. Aus dem Erfordernis der Bestimmtheit der Kündigung ( O G H 3, 252) ist daher nur ableitbar, daß die mit einer bedingten Kündigung verbundene Ungewißheit nicht in die Kündigungsfrist hineinreichen darf. In § 643 behandelt das Bürgerliche Gesetzbuch selbst einen Fall bedingter Kündigung. Die bedingte Kündigung kann daher nicht schlechthin unzulässig sein. Die K ü n d i g u n g u n t e r e i n e r P o t e s t a t i v b e d i n g u n g ist zulässig ( R A G A r b R S 8, 67; D R 1943, 546), es sei denn, daß der Schutzzweck der Kündigungsfrist nicht erreicht oder daß der Kündigungsgegner sonst in seinen Rechten beeinträchtigt wird. Diese Ausnahmen sind gegeben, wenn die Kündigung als nicht ausgesprochen gelten soll, falls der Gekündigte binnen eines bestimmten Zeitraums der Kündigungsfrist mit der ihm angetragenen Verschlechterung des Vertrages einverstanden ist ( B G H W M 1955, 1550),

561

V o r § 158 A n m . 14—18

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

oder wenn die Kündigung eines Mietverhältnisses nicht gelten soll, falls der Mieter das Musizieren während der Dauer der Kündigungsfrist unterläßt (weitere Beispiele bei E n n e c c e r u s / N i p p e r d e y § 195 Anm. 12). D i e u n t e r e i n e R e c h t s b e d i n g u n g g e s t e l l t e K ü n d i g u n g ist wirksam (OGH 3, 250), da bei ihr nicht die Kündigungserklärung selbst in der Schwebe bleibt, sondern lediglich aufzuklären ist, ob die rechtliche Voraussetzung ihrer Abgabe vorgelegen hat oder nicht. A n m . 14 Die Versetzung eines Beamten in den Ruhestand erfordert notwendigerweise eine unbedingte Erklärung (RG 161, 317). A n m . 15 Die Mahnung, die zwar kein Rechtsgeschäft ist, auf die aber die Vorschriften über Rechtsgeschäfte entsprechend anzuwenden sind, muß dem Schuldner darüber Klarheit verschaffen, daß der Gläubiger zu einem bestimmten Termin die Leistung verlange (RG 93, 300; 156, 154; B G H M D R 1952, 155). Die Beifügung einer Bedingung, deren Eintritt oder Ausfall sich vor diesem Zeitpunkt ereignet, kann daher die Mahnung nicht unwirksam machen. Dagegen ist eine Mahnung, die nur für den Fall ausgesprochen wird, daß die vorgenommene Anfechtung des Vertrages keinen Erfolg haben sollte, unwirksam (RG 75, 335). A n m . 16 Die G e n e h m i g u n g kann unter Bedingungen erteilt werden (RG H R R 1928, I 559)- Diese Entscheidung behandelt die Frage, ob die Übernahme der persönlichen Schuld unter der Bedingung genehmigt werden kann, daß der Schuldübernehmer das belastete Grundstück erwirbt und damit auch in die dingliche Haftung eintritt. A n m . 17 Auch abstrakte R e c h t s g e s c h ä f t e vertragen die Hinzufügung einer Bedingung (RG WarnRspr 1915 Nr. 165), soweit nicht das Gesetz etwas Gegenteiliges bestimmt. A n m . 18 VI. B e s o n d e r h e i t e n bei einzelnen Rechtsgeschäften Der Wechsel verträgt zwar Befristungen, aber keine Bedingungen (Art. 1 Ziff. 2 WG), weil die Zahlungsvoraussetzungen im Interesse der Verkehrssicherheit und Umlaufsfähigkeit aus der Wechselurkunde selbst hervorgehen müssen. Die Zeichnung von Aktien muß den Zeitpunkt enthalten, in dem die Zeichnung unverbindlich wird, wenn nicht bis dahin die Errichtung der Gesellschaft beschlossen ist (§ 30 Abs. 2 Nr. 5 AktG); andere Beschränkungen, insbesondere andere Befristungen oder Bedingungen, machen die Aktienzeichnung nichtig (§ 30 Abs. 3 Satz 1 AktG). Die Beitrittserklärung der Gründer einer G m b H darf weder bedingt noch befristet sein, denn das GmbH-Gesetz kennt keine bloß vorläufige Beteiligung (RG 33, 93; 78> 360; 83, 258). Betrifft die Ungewißheit eine der nach § 3 Abs. 1 G m b H G wesentlichen Angaben, so kann die eingetragene Gesellschaft für nichtig erklärt oder von Amts wegen gelöscht werden (§§ 75 GmbHG, 144 FGG). Dieser Fall ist gegeben, wenn der Gründungsvertrag die Bestimmung enthält, daß die Vertragschließenden auch noch denjenigen Stammeinlagebetrag übernehmen, der bestimmten Personen vorbehalten ist, von diesen aber nur zum Teil übernommen wird (RG 83, 256). Bedingungen, die die Verpflichtung zur Leistung der Stammeinlage einschränken, berechtigen nicht zur Nichtigkeitsklage, mögen sie auch den Gesellschaftsvertrag nichtig machen und die Eintragung hindern. Denn § 75 G m b H G beschränkt die Nichtigkeitsgründe für die Zeit nach der Eintragung der Gesellschaft auf die von ihm ausdrücklich aufgeführten Fälle (RG 82, 292; B G H 21, 378, 381). Auch wenn die Gesellschaft für nichtig erklärt wird, haben die Gesellschafter die versprochenen Einlagen zu leisten, soweit es zur Erfüllung der eingegangenen Verbindlichkeiten erforderlich ist (§77 Abs. 3 GmbHG). Wird eine Ü b e r n a h m e e r k l ä r u n g (§ 55 GmbHG) bedingt abgegeben, so ist die Kapitalerhöhung nichtig und darf nicht eingetragen werden; ge562

Bedingung. Zeitbestimmung

Vor § 158 Anm. 19

schieht das doch, so hat der Übernehmer die auf das erhöhte Stammkapital zu leistende Stammeinlage in entsprechender Anwendung des § 77 Abs. 3 G m b H G insoweit zu erbringen, als dies zur Schuldendeckung erforderlich ist (RG 85, 3 1 5 ) . Der Beitritt zu einer Genossenschaft bedarf einer unbedingten Erklärung ( § 1 5 Abs. 1 GenG). Die bedingte Beitrittserklärung ist unwirksam und zur Eintragung des Betreffenden in die Genossenliste ungeeignet; sie führt nicht zum Erwerb der Mitgliedschaft und begründet nicht die Verpflichtung, eine unbedingte Beitrittserklärung abzugeben (vgl. R G g7, 309). Eine etwa erfolgte Eintragung in die Genossenliste ist wirkungslos. Zulässig und wirksam ist dagegen die Vereinbarung mit der Genossenschaft, daß die Beitrittserklärung nur nach Eintritt bestimmter Bedingungen beim Registergericht eingereicht werden soll. Zuwiderhandeln löst allenfalls Haftung des Vorstandes nach § 34 GenG aus, dagegen entsteht die Mitgliedschaft durch die Eintragung (§ 15 Abs. 3 GenG). Die bedingte Auflösung einer G m b H ist eine Abänderung des Gesellschaftsvertrages (RG 65, 264; aA K G D R 1939, 1166. falls der Eintritt der Auflösung infolge der Bedingung nur kurzfristig hinausgeschoben wird und die Hinausschiebung lediglich den Zwecken der Auflösung dient). Dasselbe gilt von einem befristeten Auflösungsbeschluß, wenn dadurch die Auflösung zu einem späteren Zeitpunkt als dem statuarisch vorgesehenen erreicht werden soll. Die befristet beschlossene Auflösung einer auf unbestimmte Zeit errichteten G m b H ist dagegen keine Satzungsänderung, wenn die Hinausschiebung der Auflösung nur von kurzer Dauer ist und nur den Zweck hat, die Liquidation in sachgemäßer Weise durchzuführen (RG 145, 99). Eine Einschränkung des Umfanges der Prokura durch Bedingung oder Befristung ist Dritten gegenüber unwirksam (§ 50 Abs. 1 HGB). Beim Verlöbnis ist die Befristung unzulässig, da sie mit dessen Wesen als einem familienrechtlichen Vertrag, durch den sich die Partner die Ehe versprechen, unvereinbar und unsittlich ist. Bedingung (etwa die Erlangung einer Wohnung oder Stellung) ist statthaft, aber ungewöhnlich. Eher wird die Bedingung der versprochenen Eheschließung gelten. Das ist in einem Falle angenommen worden, in dem die Heirat von der Zustimmung des Vaters des Bräutigams gemacht war (RG 80, 88). Die Verzeihung von Scheidungsgründen (§ 49 EheG) ist aufschiebend bedingt zulässig, falls der Inhalt der Bedingung mit dem Wesen der Ehe und der Verzeihung vereinbar ist (RG Gruchot 48, 804; WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 205; 1 9 1 7 Nr. 24; Recht 1923 Nr. 1353). Eine Bedingung, die einen mit der Ehe unvereinbaren Schwebezustand schafft, kann die Wirkung der Verzeihung nicht beseitigen (RG D R 1944, 664; vgl. auch R G 163, 141/42). Die nur bedingt erklärte Verzeihung wird häufig bloß als Verzeihungsbereitschaft zu werten sein. Eine auflösende Bedingung wird in der Regel als mit dem Wesen der Ehe unvereinbar und damit als nicht gesetzt anzusehen sein. Die Einsetzung eines Nacherben ist trotz der Vorschrift des § 2065 unter der Bedingung zulässig, daß der Vorerbe nicht anders über den Nachlaß verfügt (RG 9 5, 278). Anm. 19 VII. Die Rechtsnatur bedingter Rechte Ein bedingter Vertrag erzeugt eine rechtliche Gebundenheit (RG Gruchot 54, 1166). Das Gesetz faßt bedingte oder befristete Rechte nicht als eine bloße Aussicht, sondern als ein bereits erworbenes Vermögensrecht auf (RG 69, 421). Bedingte Rechte sind übertragbar, vererblich und nach Maßgabe der §§ 160—162 geschützt. Der bedingte Anspruch kann durch Vormerkung (§ 883 Abs. 1 Satz 2), Bürgschaft (§ 765 Abs. 2), Hypothek (§ 1 1 1 3 Abs. 2) und Pfand (§ 1204 Abs. 2) gesichert werden und als Grundlage für einen Arrest (§ 916 Abs. 2 ZPO), für die Feststellungsklage (§ 256) sowie eine Klage auf künftige Leistung (§ 259 Z P O ) dienen. Das bedingte und betagte Recht ist pfändbar (§ 844 ZPO) und im Konkurse und bei der Grundstücksversteigerung zu berücksichtigen (§§ 66, 67, 154, 168 K O ; §§ 14, 48, 1 1 9 , 120 Z V G ) . Derartige Rechte gehören auch zur Konkursmasse. Steht eine letztwillige Zuwendung unter einer auf-

563

V o r § 158 A n m . 20, 21 § 158 A n m . 1

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

schiebenden Bedingung, so ist im Zweifel anzunehmen, daß die Zuwendung nur gelten soll, wenn der Bedachte den Eintritt der Bedingung erlebt (§§ 2074, 2108 Abs. 2 Satz 2). Das aufschiebend bedingte Eigentumsrecht gibt aber vor Eintritt der Bedingung noch kein Eigentum und noch kein dingliches, gegen jedermann wirkendes Recht zum Besitz ( B G H 10, 69). A n m . 20 VIII. B e d i n g t e und b e f r i s t e t e G e s c h ä f t e f ü r den T o d e s f a l l . Grundsätzlich ist es zulässig, daß jemand durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden für den Fall seines Todes Verfügungen trifft oder Verpflichtungen eingeht, deren Vollzug bis nach dem Tode dieser Person hinausgeschoben wird; derartige Geschäfte sind entweder aufschiebend oder auflösend bedingt oder befristet abgeschlossen ( B G H 8,23,30/31). Entgeltliche Verträge dieser Art bedürfen nicht der Form des §2301 ( B G H 8,31 m. w. Nachw.). A n m . 21 I X . Die A u f l a g e Die Auflage, die nur bei Zuwendungsgeschäften vorkommt, stellt keine Rechtswirkung ins Ungewisse, sondern verpflichtet den Zuwendungsempfänger zur Erbringung der ihm auferlegten Leistung (§§ 525fr, 1940, 2193—2196, 2278). Sie ist der Bedingung nur insofern ähnlich, als sie eine dem Rechtsgeschäft eingefügte Nebenbestimmung ist, durch die der in der Anordnung ausgedrückte Zweck erreicht werden soll ( R G 105, 308),

§158 Wird ein R e c h t s g e s c h ä f t unter einer a u f s c h i e b e n d e n B e d i n g u n g v o r g e n o m m e n , so tritt die von der B e d i n g i m g a b h ä n g i g g e m a c h t e W i r k u n g m i t d e m Eintritte der B e d i n g u n g ein. Wird ein R e c h t s g e s c h ä f t unter einer a u f l ö s e n d e n B e d i n g u n g v o r g e n o m m e n , so endigt m i t d e m Eintritte der B e d i n g u n g die Wirkung d e s R e c h t s g e s c h ä f t s ; m i t d i e s e m Zeitpunkte tritt der f r ü h e r e R e c h t s z u s t a n d wieder ein. E I lz8ff, n 128; M 1 2joff; P 1 179C

Ü b ersieht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Begriffliches Auslegung Die Wirkung der aufschiebenden Bedingung Eintritt und Ausfall der Bedingung Rechtsfolge davon bei der aufschiebenden Bedingung Rechtsfolge von 4 bei der auflösenden Bedingung Die Bedingung bei Grundstücksgeschäften Beweislast a) bei der auflösenden Bedingung b) bei der aufschiebenden Bedingung

Anm.

1 2 3 4 5, 6 7 8 9, 10 9 10

Anm. 1 1. B e g r i f f l i c h e s Uber den Begriff Bedingung vgl. Vorbem. I—III. Uber die Eigenschaft des bedingten Rechtes als Vermögensrecht vgl. Vorbem. V I I . Der Wortlaut stellt außer Zweifel, daß nach der Auffassung des Gesetzes nichts anderes als die Wirkung des Rechtsgeschäfts durch die Bedingung betroffen wird. Der frühere Streit darüber, was als unbedingt zu denken sei, ob der Wille oder der Erfolg, kann somit keine Bedeutung mehr haben. Betrifft die Bedingung ausschließlich die Wirkung des sonst als rechtsbeständig zu denkenden Geschäfts, dann kann durch sie auch nichts anderes als der Beginn oder aber die Fortdauer der Wirkung in Frage gestellt sein. Demnach liegt eine aufschiebende Bedingung vor, wenn die von der Bedingung abhängig gemachte Wirkung (erst) mit ihrem Eintritt entsteht, eine auflösende, falls die Wirkung mit dem Eintritt der Bedingung aufhört. 564

Bedingung. Zeitbestimmung

§158 Anm. 2—5

Anm. 2 2. Auslegung Im Zweifel ist es Sache der Auslegung, ob nach der Parteiabrede die eine oder die andere Bedingung als gewollt anzunehmen ist (§§ 1 3 3 , 157). Die Abrede, daß der eine Vertragsteil das Recht haben soll, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zurückzutreten, kann auflösende Bedingung sein, R G g. 3. 1 9 1 0 I 167/09. Als auflösende Bedingung kann auch die Klausel „Lieferung vorbehalten" zu verstehen sein ( R G 104, 1 1 4 ) ; mit dieser Klausel wird dem Verkäufer aber nicht das Recht eingeräumt, den Vertrag willkürlich aufzulösen oder nicht zu erfüllen ( R G 23. 1. 1923 I I I 154/22). Was der Vertrag als „selbstverständliche Voraussetzung" bezeichnet, kann, nach § 157 ausgelegt, Bedingung sein ( R G SeuffArch 91 Nr. 73). Möglich ist auch eine Vereinbarung dahin, daß eine Leistung nur bedingt als zur Erfüllung des Schuldverhältnisses bewirkt gelten soll; mit dem Eintritt der auflösenden Bedingung tritt dann nach Abs. 2 der frühere Rechtszustand, das Bestehen der Forderung, wieder ein ( R G 142, 156, 1 6 1 ) . Allgemeine Auslegungsregeln gibt das Gesetz nicht; einzelne Auslegungsregeln enthalten die §§455, 495, 2075.

Anm. 3 3. Die Wirkung der aufschiebenden Bedingung Bei der aufschiebenden Bedingung ist das Rechtsgeschäft sofort wirksam, der beabsichtigte Rechtserfolg tritt aber erst mit dem Eintritt der Bedingung ein. Ist eine Forderung oder ein Recht nur bedingt übertragen, so steht die beabsichtigte dingliche Rechtsänderung einstweilen noch aus, und das Gläubigerrecht ist noch nicht entstanden, das Eigentum noch nicht übergegangen. Ist ein bloßes Forderungsrecht unter einer aufschiebenden Bedingung begründet worden, so ist es auch noch nicht erfüllbar; die gleichwohl bewirkte Leistung kann somit nach § 8 1 2 zurückgefordert werden. Die unbedingte Abtretung einer aufschiebend bedingten Forderung ist dagegen sofort wirksam, nicht erst mit Eintritt der Bedingung ( R G 67, 425; Gruchot 54, 1 1 6 5 ) .

Anm. 4 4. Eintritt und Ausfall der Bedingung Eingetreten ist die Bedingung — aufschiebende wie auflösende —, falls sich derjenige Tatbestand, der als Bedingung gesetzt worden ist, voll und ganz vollzogen hat; also bei der bejahenden, sobald das Ereignis eingetreten ist, bei der verneinenden, sobald feststeht, daß es nicht eintreten kann ( R G J W 1 9 1 2 , 135 7 ). Ausgefallen ist die Bedingung, wenn sich der fragliche Tatbestand nicht mehr vollziehen kann; daher bei der bejahenden, sobald die Möglichkeit des Eintritts des fraglichen Ereignisses vereitelt ist; bei der verneinenden, sobald dasjenige Ereignis eingetreten ist (z. B. Verheiratung), von dessen Nichteintritt die Wirkung des Rechtsgeschäfts abhängig gemacht worden ist. Ein Zwang auf Erfüllung einer Bedingung besteht niemals. Anders als die A u f l a g e zwingt die Bedingung nicht. Ausnahmsweise gilt die einer letztwilligen Verfügung beigefügte Bedingung, die den Vorteil eines Dritten bezweckt, im Zweifel als eingetreten, wenn der Dritte die zum Eintritt der Bedingung erforderliche Mitwirkung verweigert (§ 2076; vgl. auch § 162). Besteht die Bedingung in einer Handlung des Verpflichteten, so überträgt sich die Erfüllungsmöglichkeit auf seine Erben (Vorbem. V I I ) . Die Zeit der Erfüllbarkeit muß stets erkennbar sein; andernfalls wäre das ganze Geschäft wegen Unbestimmtheit ungültig ( R G 27. 2. 1906 V I I 308/05), soweit nicht die Lücke durch richterliche Entscheidung ausfüllbar ist; vgl. § 3 1 5 . Bis zum Eintritt der Bedingung besteht ein S c h w e b e z u s t a n d . Über die verbindlichen Beziehungen zwischen den beiden Beteiligten während des Schwebezustandes vgl. die §§ 160, 1 6 1 .

Anm. 5 5. D e r E i n t r i t t d e r a u f s c h i e b e n d e n B e d i n g u n g hat automatisch den Eintritt der Wirkung des Rechtsgeschäfts zur Folge ( B G H 20, 97), und zwar vom Zeitpunkt des Eintritts ab (§ 159). Das vom Berechtigten zuvor nur bedingt erworbene Recht ist 37

Komm. 2. BGB. u . Aufl. I. Bd. (Kuhn)

565

§158

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 6, 7 nunmehr zu einem unbedingten geworden. Hatte also die Übertragung der veräußerten Forderung, die Übergabe der Sache bereits stattgefunden, so bedarf es, um den Erwerb zu einem endgültigen zu machen keines weiteren Übertragungsakts mehr ( R G 54, 3 4 1 ; J W 08, 270 3 ). Das zum Zwecke der Vertragserfüllung vor Eintritt der Bedingung Geleistete kann nicht mehr zurückgefordert werden. § 158 gilt auch für eine bedingte Verfügung ( B G H 20, 97). Das unter einer aufschiebbaren Bedingung übertragene Eigentum geht daher, falls der Anwartschaftsberechtigte das Anwartschaftsrecht auf einen Dritten übertragen hat, bei Bedingungseintritt automatisch unmittelbar auf den Dritten über, auch wenn der Veräußerer der Sache den unmittelbaren Eigentumsübergang nicht will und der Übertragung des Anwatschaftsrechts nicht zugestimmt hat (BGH 20, 88).

Anm. 6 F ä l l t d a g e g e n d i e B e d i n g u n g a u s , so verliert das Geschäft seine Wirksamkeit und der Erwerber jede Rechtsanwartschaft; die ihm übergebene Sache, die ihm übertragene Forderung hat er fortan ohne Rechtsgrund hinter sich, und die Rückforderung kann sowohl mit der dinglichen K l a g e wie mit dem Bereicherungsanspruch nach Satz 2 § 8 1 2 , wie endlich auch mit der Vertragsklage erfolgen. Denkbar ist es freilich, daß die Parteien das dingliche Vollzugsgeschäft, z. B. die Übergabe der Kaufsache auch dann unbedingt vornehmen, wenn das Schuldverhältnis ein bedingtes war. In diesem Falle bleibt das dingliche Geschäft wirksam; bei Ausfall der Bedingung verbleibt dem Erwerber das ihm übertragene Recht, der Veräußerer ist auf die Rückforderung aus § 8 1 2 und auf die Vertragsklage angewiesen. Auf eine Bedingung, die nur im Interesse des einen Vertragsteils gestellt ist, kann dieser verzichten (vgl. R G 26. 4. 1924 V 453/23: Erteilung einer Konzession an den K ä u f e r als Bedingung des Kaufvertrags).

Anm. 7 6. B e i d e r a u f l ö s e n d e n B e d i n g u n g liegt die Sache umgekehrt wie bei der aufschiebenden: Die dingliche Rechtsänderung entsteht sofort; der Veräußerer büßt somit das unter einer auflösenden Bedingung veräußerte Recht sogleich ein, während auf der anderen Seite der Erwerb sofort stattfindet. Tritt die Bedingung ein, so endigt die Wirkung des Rechtsgeschäfts, und es tritt nunmehr ohne weiteres, aber nur von jetzt ab, der frühere Rechtszustand wieder eine (§ 159). Der Erwerber verliert das Forderungsoder Eigentumsrecht; es steht wieder dem Veräußerer zu. Diese Wirkung ist eine dingliche und zeigt sich daher nicht nur im Verhältnis der unmittelbar Beteiligten untereinander, sondern auch Dritten gegenüber (vgl. das Nähere hierüber bei § 1 6 1 ) . Der Veräußerer kann fortan wieder die Eigentumsklage geltend machen und bei eingetragenen Rechten ( R G J W 08, 270 3 ) gemäß § 894 die Berichtigung des Grundbuchs verlangen. Einer Übertragungshandlung bedarf es nicht. Der Veräußerer ist materiell auch nicht Rechtsnachfolger des bedingt Verpflichteten (vgl. über die prozessuale Frage § 161 Anm. 5); denn der Rückerwerb des Rechtes vollzieht sich unmittelbar allein zufolge des Eintritts der Bedingung. Das alles gilt freilich nur unter der Voraussetzung, daß nicht allein das Schuldverhältnis, sondern auch das dingliche Vollzugsgeschäft nach der Absicht der Parteien auflösend bedingt sein sollte. Andernfalls bliebe das letztere trotz Eintritts der Bedingung wirksam, und die Rückgewähr könnte nur mit der persönlichen K l a g e gefordert werden. Alsdann entsteht die beiderseitige Herausgabepflicht nach den Grundsätzen von der ungerechtfertigten Bereicherung, wobei jedoch eine Zug-um-Zug-Verpflichtung (wie im Falle eines Rücktrittsrechts) nicht besteht ( R G 49, 424; 29. 6. 1 9 1 0 V 34/09). Der Bereicherungsanspruch geht nur auf dasjenige, was nach der Ausgleichung des durch die Vermögensverschiebung Erhaltenen mit dem anderseits Weggegebenen und den etwa entstandenen sachlichen Nachteilen schließlich als Vermögensvermehrung übrigbleibt ( R G 54, 140; 60, 284), so daß unter Umständen, wenn der empfangene Gegenstand inzwischen eine wesentliche Verschlechterung erlitten hat, der etwa zurückzuerstattende Kaufpreisbetrag sich mindern, j a gänzlich fortfallen kann ( R G 28. 4. 1920 V 470/19). F ä l l t d i e B e d i n g u n g a u s , so wird damit das Recht des auflösend Verpflichteten ein endgültiges.

566

Bedingung. Zeitbestimmung

§ 158 A n m . 8 — 1 0

§159 Anm. 8 7. Die Bedingung bei Grundstücksgeschäften Die A u f l a s s u n g e i n e s G r u n d s t ü c k s kann nicht unter einer Bedingung vor" genommen werden (§925). Zulässig ist dagegen ein bedingter Grundstücksverkauf. E r kann durch Vormerkung gesichert werden (§ 883 Abs. 1 Satz 2). Auf diese Weise kann der Käufer gegen anderweite Verfügungen des Verkäufers und ihnen gleichstehende Rechtsakte (§ 883 Abs. 2 Satz 2) geschützt werden. Die Vormerkung eignet sich auch zur Sicherung von Rückauflassungsansprüchen: z. B. Der Verkäufer eines Grundstücks läßt sich das Recht auf Rückauflassung für den Fall des Ausfalls einer aufschiebenden oder für den Fall des Eintritts einer auflösenden Vertragsbedingung eintragen (§ 883).

Anm. 9 8. Die Beweislast a ) Wer den Eintritt einer a u f l ö s e n d e n B e d i n g u n g behauptet und daraus einen Anspruch herleitet (z. B. auf Rückgabe der bedingt veräußerten Sache), hat dies als zum Klagegrund gehörig zu beweisen. Behauptet derjenige, der aus einem angeblich unbedingten oder unbefristeten Rechtsgeschäft in Anspruch genommen wird, das Rechtsgeschäft sei auflösend bedingt geschlossen oder es sei ein Endtermin vereinbart worden, so gibt er damit den Klagegrund zu und behauptet dessen Erlöschen (qualifiziertes Geständnis); er ist daher für die rechtszerstörende Tatsache beweispflichtig ( RG 28, 145).

A n m . 10 b ) Behauptet der auf Erfüllung eines Rechtsgeschäfts in Anspruch Genommene, das Rechtsgeschäft sei unter einer a u f s c h i e b e n d e n B e d i n g u n g abgeschlossen worden und mangels Eintritts der Bedingung nicht wirksam geworden, so hat der Fordernde zu beweisen, daß das Geschäft mit einem Inhalt zustande gekommen ist, der eine Bedingung nicht enthielt oder wenigstens nicht erkennen ließ ( R G 68, 307; J W 1919, 3 0 4 1 ; WarnRspr 1 9 1 8 Nr. 72; R G D R 1939, 769 1 ). Denn hier leugnet der Beklagte die Wirksamkeit des Geschäfts und damit den Klagegrund (motiviertes Leugnen). Ist der Abschluß eines aufschiebend bedingten Rechtsgeschäfts unbestritten und wird lediglich darüber gestritten, ob die Bedingung eingetreten ist, so hat, ohne Rücksicht auf die Parteirolle, derjenige den Eintritt der Bedingung zu beweisen, der hieraus Rechte herleitet. Wendet der Beklagte ein, daß ein unbedingt abgeschlossenes Rechtsgeschäft nachträglich unter eine aufschiebende Bedingung gestellt worden sei, so ist er hierfür beweispflichtig, denn er gibt den Abschluß des Vertrages zu und erhebt den selbständigen Einwand, daß der Vertrag abgeändert und in der geänderten Form mangels Eintritts der Bedingung nicht rechtswirksam geworden sei (qualifiziertes Geständnis); vgl. R G 107, 405.

§159 Sollen nach dem Inhalte des Rechtsgeschäfts die an den Eintritt der Bedingung geknüpften Folgen auf einen f r ü h e r e n Zeitpunkt zurückbezogen werden, so sind i m Falle des Eintritts der Bedingung die Beteiligten verpflichttet, einander zu gewähren, w a s sie haben würden, wenn die Folgen in dem f r ü h e r e n Zeitpunkt eingetreten w ä r e n . E I 130 II 129; M I 2j4ff; P I i8off. Der Eintritt sowohl der auflösenden wie der aufschiebenden Bedingung hat grundsätzlich keine r ü c k w i r k e n d e K r a f t ( R G 77, 190; B G H 10, 72). Die gewollte Rechtswirkung tritt vielmehr erst mit dem Eintritt der Bedingung ein und wird von Gesetzes wegen nicht auf den Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses zurückbezogen ( § 1 5 8 Abs. 1). Das folgt auch aus § 159, der die Rückbeziehung der an den Bedingungseintritt geknüpften Folgen ausdrücklich von dem Inhalt des Rechtsgeschäfts, also von rechtsgeschäftlicher Vereinbarung abhängig macht. § 159 sagt aber noch mehr: Die A b r e d e 57

567

§160 A n m . 1, 2

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

d e r R ü c k w i r k u n g hat keine unmittelbare, dingliche Wirkung; auch wenn die Beteiligten wünschen, daß das schließlich gewollte Ergebnis ohne weiteres eintritt (z. B. das Eigentum an den Früchten ohne weiteres demjenigen zufällt, dem kraft Eintritts der Bedingung nunmehr das Eigentum an der Sache zusteht), können sie das nicht erreichen. Denn § 159 mißt der Rückwirkungsvereinbarung lediglich obligatorische Wirkung bei: I m Falle des Eintritts der rückbezogenen Bedingung sind die Beteiligten nur persönlich verpflichtet, einander das zu gewähren, was sie haben würden, wenn die Folgen schon in „ d e m früheren Zeitpunkt" eingetreten wären ( R G 59, 3 7 1 ; 68, 276). Die Beteiligten können dagegen frei vereinbaren, welcher Zeitpunkt der maßgebende sein soll; das entscheidet sich lediglich nach dem Inhalt der Abrede. Von der Frage, ob der Eintritt der Bedingung zurückwirken soll oder nicht, hängt insbesondere ab, welchem Teil die Früchte der Zwischenzeit seit der Errichtung des Rechtsgeschäfts bis zum Eintritt der Bedingung gebühren, und wer die Gefahr während dieser Schwebezeit zu tragen hat. Von der Rückwirkung gegenüber Zwischenverfügungen handelt § 1 6 1 , wo sie an und für sich angenommen wird.

§160 W e r u n t e r e i n e r aufschiebenden B e d i n g u n g b e r e c h t i g t i s t , k a n n i m F a l l e des E i n t r i t t s d e r B e d i n g u n g S c h a d e n s e r s a t z von d e m a n d e r e n Teile v e r l a n g e n , w e n n d i e s e r w ä h r e n d d e r Schwebezeit d a s v o n d e r B e d i n g u n g a b h ä n g i g e R e c h t d u r c h sein V e r s c h u l d e n vereitelt o d e r b e e i n t r ä c h t i g t . Den gleichen A n s p r u c h h a t u n t e r denselben V o r a u s s e t z u n g e n bei e i n e m u n t e r einer a u f l ö s e n d e n B e d i n g u n g v o r g e n o m m e n e n R e c h t s g e s c h ä f t e d e r jenige, z u d e s s e n G u n s t e n d e r f r ü h e r e R e c h t s z u s t a n d w i e d e r e i n t r i t t . E I 134 II 130; M I 258ff; P 1 1 8 3 c

Anm. 1 S c h a d e n s e r s a t z a n s p r u c h d e s bedingt B e r e c h t i g t e n Der bedingt Berechtigte ist während des Schwebezustandes (§ 158 Anm. 3, 4, 6) nicht in der Lage, das von der Bedingung abhängige oder das ihm wieder zufallende Recht seinerseits ausreichend zu schützen. Als prozessuale Sicherheitsmittel stehen ihm der Arrest und die einstweilige Verfügung zur Seite; auch eine Klage auf künftige Leistung (§ 259 Z P O ) ist möglich ( R G 5 1 , 243). E r kann aber keine weitergehenden Vorkehrungen treffen, um zu erreichen, daß das von der Bedingung abhängige Recht erhalten bleibt und ihm im Falle des Eintritts der Bedingung auch wirklich zufallen kann. Darum gewährt § 160 einen Schadensersatzanspruch für den Fall, daß der andere Teil während der Schwebezeit das von der Bedingung abhängige Recht schuldhaft vereitelt oder beeinträchtigt und die Bedingung eintritt. Die Besonderheit dieses Anspruchs liegt darin, daß schon die Verletzung eines bedingten Rechts zum Schadensersatz berechtigt, falls die Bedingung eintritt. Die schadenstiftende Handlung muß zeitlich während des Schwebezustandes begangen werden; sie besteht in der schuldhaften Verursachung, daß der bedingt Berechtigte eintretendenfalls nicht das erlangt, was er hat erlangen sollen ( R G J W 1 9 1 2 , 135 7 ). Nach § 160 haftet der Verpflichtete gegebenenfalls sowohl für schuldhafte (§ 276) positive Handlungen, sei es tatsächlicher, sei es rechtlicher Art, wie für vertretbare Unterlassungen auf Ersatz des vollen dem Berechtigten dadurch verursachten Schadens. Die Durchführung des Anspruchs regelt sich nach den §§ 249 ff. Anm. 2 Die G e f a h r des Zufalls trägt dagegen der bedingt Berechtigte. E r muß von vornherein damit rechnen, daß ihm sein Recht während der Schwebezeit durch zufällige Ereignisse vereitelt werden kann. 568

Bedingung. Zeitbestimmung

§ 160 Anm. 3

§ 161 A n m . 1, 2

Anm. 3 Die f ü r einen u n r i c h t i g b e u r k u n d e t e n G r u n d s t ü c k s k a u f p r e i s ü b e r n o m m e n e B ü r g s c h a f t ist wirksam, da die nur noch durch die Eintragung des Käufers ins Grundbuch bedingte Kaufpreisschuld gemäß § 765 Abs. 2 eine genügende Grundlage für die Bürgschaft bildet (RG 134, 243).

§161 Hat jemand unter einer aufschiebenden Bedingung über einen Gegenstand verfügt, so ist jede weitere Verfügung, die er während der Schwebezeit über den Gegenstand trifft, i m Falle des Eintritts der Bedingung insoweit unwirks a m , als sie die von der Bedingung abhängige Wirkung vereiteln oder beeinträchtigen würde. Einer solchen Verfügung steht eine Verfügung gleich, die während der Schwebezeit i m Wege der Zwangsvollstreckung oder der Arrestvollziehung oder durch den Konkursverwalter erfolgt. Dasselbe gilt bei einer auflösenden Bedingung von den Verfügungen desjenigen, dessen Recht m i t d e m Eintritte der Bedingung endigt. Die Vorschriften zugunsten derjenigen, welche Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, finden entsprechende Anwendung.

E I 1 3 5 II 1 3 1 ; M I 2)9ff; P 1

184; 6 I29ff,

133.

Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Gesetzeszweck, Unterschied zu §§ 160, 162 Verfügung Der Verfügung gleichstehende Maßnahmen Prozeßführung Unwirksamkeit Absatz 3 Eintragungsfähigkeit der Bedingung Verfügungen des Anwartschaftsberechtigten

Anm. 1,2 3 4 5 6 7 8 9

Anm. 1 1. Gesetzeszweck, Unterschied zu §§ 160, 162 Zweck des Gesetzes ist der Schutz des bedingt Berechtigten gegenüber nachträglichen Verfügungen des bedingt Verpflichteten. Während § 160 dem Berechtigten einen Schadensersatzanspruch gibt, wenn sein Rechtserwerb durch Maßnahmen des bedingt Verpflichteten beeinträchtigt oder vereitelt wird, bezweckt der § 161, den Rechtserwerb (Abs. 1), oder den Rückerwerb (Abs. 2) zu sichern. Das geschieht in der Weise, daß er Verfügungen des durch eine bedingte Verfügung Gebundenen für den Fall des Eintritts der Bedingung insoweit für unwirksam erklärt, als sie die von der Bedingung abhängige Wirkung vereiteln oder beeinträchtigen würden. Anm. 2 In Abs. 1 behandelt das Gesetz den Fall, daß jemand über einen Gegenstand unter einer aufschiebenden Bedingung verfügt hat, so daß der Berechtigte (Anwärter) das bedingt erworbene Recht automatisch mit dem Eintritt der Bedingung endgültig erwerben würde, falls es inzwischen nicht einem gutgläubigen Dritten (§161 Abs. 3) übertragen worden wäre. Abs. 2 betrifft den Fall, daß ein Recht unter einer auflösenden Bedingung übertragen ist und bei Eintritt der Bedingung ohne weiteres zurückfallen würde, falls der bloß auflösend bedingte Rechtsinhaber nicht inzwischen über das Recht verfügt haben würde und nicht ein Gutgläubiger dieses Recht erworben hätte. § 161 betrifft die Vereitelung oder Beeinträchtigung der bedingungsabhängigen Wirkung einer Verfügung, § 162 betrifft die unzulässige Einwirkung auf die Bedingung selbst. 569

§ 161

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A n m . 3—6 Die Vorschrift erklärt sich daraus, daß das Gesetz dem Eintritt der Bedingung die rückwirkende K r a f t versagt (§ 15g) und es deshalb notwendig ist, die bedingt getroffene Verfügung nach Möglichkeit vor Maßnahmen des bedingt Gebundenen zu schützen, die im Falle der aufschiebenden Bedingung den endgültigen Erwerb des Rechts und im Falle der auflösenden Bedingung den Rückfall des Rechts vereiteln oder beeinträchtigen würden. Das gesetzliche Mittel hierzu ist die Anordnung, daß die nachträgliche, zugunsten eines Dritten getroffene Verfügung im Falle des Eintritts der Bedingung grundsätzlich insoweit unwirksam ist, als sie den Rechts- oder Rückerwerb des bedingt Berechtigten beeinträchtigen oder vereiteln würde.

Anm. 3 2. V e r f ü g u n g ist jedes Rechtsgeschäft, durch das bestehende Rechte mit unmittelbarer Wirkung aufgehoben, übertragen, belastet oder verändert werden ( B G H 1, 304).

Anm. 4 3. Der Verfügung gleichstehende Maßnahmen Der rechtsgeschäftlichen Verfügung des bedingt Gebundenen steht eine Verfügung gleich, die während der Schwebezeit im Wege der Zwangsvollstreckung oder der Arrestvollziehung oder durch den Konkursverwalter erfolgt. Dieselbe Bestimmung findet sich in § 1 3 5 Abs. 1 Satz 2 (vgl. auch § 184 Abs. 2).

Anm. 5 4. Prozeßführung Sie ist keine Verfügung. Wird ein streitbefangenes Recht unter einer aufschiebenden Bedingung veräußert, so wirkt das ergehende Urteil nach Eintritt der Bedingung auch für und gegen den zunächst nur bedingt Berechtigten (§ 325 Z P O ) . Ergeht dagegen ein Urteil gegenüber demjenigen, der ein Recht unter einer auflösenden Bedingung erworben hat, so wirkt es nicht für oder gegen denjenigen, an den das rechtshängig gewordene Recht kraft Eintritts der Bedingung zurückfällt, denn hier ist keine Rechtsnachfolge gegeben ( S t e i n / J o n a s / S c h ö n k e , Z P O § 325 I I I 1 ; a A C o i n g in Staudinger § 158 Anm. 10 m. w. Nachw.).

Anm. 6 5. Unwirksamkeit Unwirksam sind nur solche Verfügungen des bedingt Gebundenen, die die von der Bedingung abhängige Wirkung vereiteln oder beeinträchtigen würden. Wirksam sind daher weitere Verpflichtungsgeschäfte; sie lösen gegebenenfalls Schadensersatzansprüche nach § 280 oder § 325 aus. Wirksam sind auch Verfügungen, die das Interesse des bedingt Berechtigten nicht berühren. Ist z. B. ein Recht an einer fremden Sache (Pfandrecht, Nießbrauch) bedingt bestellt worden, so ist die Ubereignung der Sache an einen Dritten wirksam, da durch sie das Pfandrecht (der Nießbrauch) nicht berührt wird; auf einer anderen Ebene liegt es, wenn der Dritterwerber in Ansehung des Pfandrechts oder des Nießbrauchs gutgläubig ist und daher das Eigentum frei von dem bedingten Recht erwirbt (§§ 161 Abs. 3, 1032, 1207). Die Unwirksamkeit t r i t t n u r f ü r d e n F a l l d e s E i n t r i t t s d e r B e d i n g u n g e i n , gilt aber gegenüber jedermann ( a b s o l u t e U n w i r k s a m k e i t ) und nicht bloß gegenüber dem bedingt Berechtigten (vgl. O e r t m a n n § i 6 i 1). Deshalb und weil der Rechtsnachfolger, vom Fall des § 161 Abs. 3 abgesehen, nicht mehr Rechte erwirbt, als der Rechtsvorgänger inne hat, wirkt die Unwirksamkeit auch gegenüber dem Rechtsnachfolger des Dritterwerbers ( R G 76, 91). Da § 161 aber nur dem Schutz des bedingt Berechtigten dient, kann mit seiner Einwilligung wirksam verfügt und eine zunächst unwirksame Verfügung durch seine Genehmigung wirksam werden ( R G 76, 91). Die Vorschrift ist auch auf den Fall anwendbar, daß ein Vorerbe ohne Zustimmung des Nacherben über ein Nachlaßgrundstück verfügt ( R G WarnRspr ig 14 Nr. 126).

570

Bedingung. Zeitbestimmung

§161 Anm. 7—9

Anm. 7 6. Der gute Glaube Dem Schutz des durch eine Verfügung bedingt Berechtigten geht der Schutz des Gutgläubigen vor. Deshalb finden nach Abs. 3 die Grundsätze vom gutgläubigen Erwerb (§§892, 8g3, 1032, 1207) entsprechende Anwendung. Wer einen Gegenstand aus der Hand einer Person erwirbt, die darüber bereits unter aufschiebender Bedingung verfügt hat, erwirbt an sich aus der Hand des Eigentümers (Rechtsinhabers), der diese Eigenschaft auch bei Eintritt der Bedingung bis zu diesem Ereignis behält, da der Bedingungseintritt keine rückwirkende K r a f t besitzt (§ 159). Aber der Verfügende ist bedingt gebunden, und jede dem Absatz 1 des § 161 entsprechende weitere Verfügung soll im Falle des Eintritts der Bedingung unwirksam sein. Deshalb kommt nur die entsprechende Anwendung der Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb in Betracht. Sie bedeutet, daß dem Dritten weder bekannt noch infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt sein darf, daß der Verfügende bedingt gebunden ist. Die Wirkung des guten Glaubens besteht darin, daß der Rechtserwerb des Gutgläubigen auch bei Eintritt der Bedingung nicht unwirksam ist. Ist die (aufschiebend bedingte) Erstverfügung durch Einigung und Übergabe einer Sache getroffen worden und konnte deshalb der Verfügende über diese Sache nurmehr durch Abtretung des Herausgabeanspruchs weiter verfügen, so nützt der gute Glaube dem Dritten nichts, da, wie sich aus der entsprechenden Anwendung des § 936 Abs. 3 ergibt, der besitzende Anwartschaftsberechtigte demjenigen Gutgläubigen, der nur über § 931 einen entfernteren Besitz erlangt, nicht zu weichen braucht (v. T h ü r , Allg. Teil I I 2, 304 96 ).

Anm. 8 7. Eintragungsfähigkeit der Bedingung Nach § 137 Satz 1 kann die Befugnis zur Verfügung über ein veräußerliches Recht nicht durch Rechtsgeschäft ausgeschlossen oder beschränkt werden. Deshalb ist auch die Eintragung einer rechtsgeschäftlichen Verfügungsbeschränkung ins Grundbuch unzulässig. Der Eintritt einer Bedingung hat nicht die Eigenschaft einer rechtsgeschäftlichen Verfügungsbeschränkung, sondern wirkt gemäß § 158 unmittelbar kraft Gesetzes. Die Bedingung ist daher auch eintragungsfähig. Die Auflassung kann nicht unter einer Bedingung vorgenommen werden ( § 9 2 5 Abs. 2). Der Anspruch auf Übereignung eines Grundstücks, auch der bedingte (§ 883 Abs. 1 Satz 2), kann aber durch Eintragung einer Vormerkung gesichert werden (§ 158 Anm. 7).

Anm. 9 8. Verfügungen des Anwartschaftsberechtigten Wer das Eigentum an einer Sache unter einer aufschiebenden Bedingung erworben hat (Eigentumsvorbehaltskäufer) kann seine Anwartschaft an einen Dritten veräußern. Macht er von diesem Recht Gebrauch, so verfügt er nicht über das Eigentum, sondern über eine ihm zustehende Rechtsposition und damit als Berechtigter. D a § 158 auch für eine bedingte Verfügung gilt und daher bei Bedingungseintritt automatisch die von den Parteien des Übereignungsgeschäfts beabsichtigte Rechtsfolge eintritt, geht bei einer Übertragung des Anwartschaftsrechts das Eigentum an der Sache bei Eintritt der Bedingung unmittelbar, ohne Durchgang durch das Vermögen des Veräußerers des Anwartschaftsrechts, auf den Erwerber dieses Rechts über, auch wenn der Veräußerer der Sache den unmittelbaren Eigentumsübergang nicht will und der Übertragung des Anwartschaftsrechts nicht zugestimmt hat ( B G H 20, 88; B l o m e y e r J Z 1956, 4 1 3 Anm.). Der Inhaber einer Eigentumsanwartschaft hat ein Recht inne, das dem Volleigentum wesensähnlich ist, ebenso wie jenes gegen Dritte wirkt und vor deren Angriffen geschützt wird; es ist ein sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 ( B G H W M ! 9 5 7 j 5i5)-

571

§162 Anm. 1, 2

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

§163 Wird der Eintritt der Bedingung von der Partei, zu deren Nachteil er gereichen würde, wider Treu und Glauben verhindert, so gilt die Bedingung als eingetreten. Wird der Eintritt der Bedingung von der Partei, zu deren Vorteil er gereicht, wider Treu und Glauben herbeigeführt, so gilt der Eintritt als nicht erfolgt. E I 136 II 132; M 1 262ff; P 1 184; 6 ijjff. Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Das arglistige Verhalten und seine Wirkung Beispiele Vereitelungsabsicht Das Erfordernis positiven Eingreifens Beweislast Zeitpunkt des fiktiven Bedingungseintritts Anwendungsbereich Unanwendbarkeit a) bei Rechtsbedingungen b) bei behördlicher oder gerichtlicher Genehmigung

Anm. 1 2 3 4 5 6 7, 8 9, 10 9 10

Anm. 1 1. Das arglistige Verhalten und seine Wirkung Die Vorschriften des § 162 enthalten im Grunde nur eine besondere Anwendung des das Vertragsrecht beherrschenden allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242). Abs. 1 stellt eine Fiktion zugunsten desjenigen auf, dem der Eintritt der Bedingung, der Abs. 2 zugunsten desjenigen, dem das Ausbleiben der Bedingung vorteilhaft wäre. Im ersten Falle soll die Bedingung als eingetreten, im zweiten als nicht eingetreten gelten, wenn der Gegner wider Treu und Glauben dort ihren Eintritt vereitelt, hier ihn herbeigeführt hat. Das ist nach den Umständen des Falles zu beurteilen (§ 1 5 7 ; R G 53, 257; 79, 98; 88, 4). Gegebenenfalls kann der Berechtigte die Erfüllung des Vertrags fordern; er kann aber auch, wenn der Eintritt der Bedingung schon zur Zeit des Vertragsabschlusses unmöglich war und er hierüber durch den bedingt Verpflichteten arglistig getäuscht worden, statt des negativen Schadens das positive Vertragsinteresse geltend machen (RG WarnRspr 1 9 1 5 Nr. 200). Anm. 2 2. Beispiele: Ist die Wirksamkeit eines Vertrages von einem Ereignis abhängig gemacht, dessen Eintritt von dem Willen des bedingt Verpflichteten an sich unabhängig war, dann widerspricht es Treu und Glauben, wenn er eine Tatsache herbeiführt, die, wie er weiß, dazu angetan ist, die Bedingung zu vereiteln (RG J W 1912, 188 1 ) oder auch nur ihren Eintritt zu erschweren (RG 66, 226). Ein Fall des § 162 liegt auch dann vor, wenn der Verkäufer den Käufer, der sich das Rücktrittsrecht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt vorbehalten hat, durch arglistige Täuschung vom Rücktritt zurückhält; die Rücktrittserklärung gilt in diesem Falle als abgegeben (RG 9. 3. 10 I 167/09). § 162 greift auch ein, wenn zugunsten eines nacheingetragenen Hypothekars eine Vormerkung für den Fall eingetragen ist, daß die Forderung des vorhergehenden Hypothekengläubigers nicht zur Entstehung gelangen sollte, als Bedingung aber für diese Forderung gesetzt worden ist, daß der Vorhypothekar die zur Bebauung des Grundstücks erforderlichen Mittel darleiht; hindert der Eigentümer alsdann die Weiterführung des Baues wider Treu und Glauben, und hält der Nachhypothekar aus diesem Grunde die Weitergewährung der Mittel zurück, die er andernfalls gegeben hätte, dann muß seine Forderung 572

Bedingung. Zeitbestimmung

§162

Anm. 3, 4 trotzdem als entstanden gelten, und der Nachhypothekar kann von der Löschungsvermerkung keinen Gebrauch machen ( R G 93, 121). Der Gesichtspunkt des § 162 trifft ferner dann zu, wenn der bedingt Verpflichtete den bedingt Berechtigten darüber getäuscht hat, daß die Bedingung aller Voraussicht nach nicht eintreten werde; hier ist der bedingt Berechtigte so zu stellen, als wäre die tatsächlich herbeiführbare, infolge der Täuschung aber nicht veranlaßte und deshalb ausgefallene Bedingung eingetreten ( R G Gruchot 60, 305). Über den Einfluß der Auflösung und Neugründung eines Syndikats auf ein Agenturverhältnis, das vertraglich mit der Auflösung des Syndikats endigen soll, vgl. R G 129, 80.

Anm. 3 3. Vereitelungsabsicht Sie ist grundsätzlich nicht erforderlich, um den Eintritt einer Bedingung als wider Treu und Glauben verhindert anzusehen; es genügt, wenn der bedingt Verpflichtete den Eintritt der Bedingung in einer dem Sinn und Zweck des Rechtsgeschäfts zuwiderlaufenden Weise verhindert ( R G 122, 247: Vereitlung der behördlichen Genehmigung einer Lichtreklameanlage durch Einreichung ungeeigneter Pläne). A n der in R G 1 2 . 1 2 . 0 6 V 169/06 gebilligten Annahme, beim bedingt Verpflichteten müsse die Absicht vorhanden sein, die Bedingung zu vereiteln, bloße Fahrlässigkeit, selbst grobe, genüge nicht, hat die spätere Rechtsprechung nicht festgehalten ( R G 122, 247; vgl. auch R G WarnRspr 1 9 3 1 Nr. 138).

Anm. 4 4. Das Erfordernis positiven Eingreifens Dagegen wird in Abs. 1 und 2 ein positives Eingreifen in den Gang der Dinge vorausgesetzt. Bloßes Unterlassen von Bemühungen, um den Eintritt der Bedingung zu vereiteln oder herbeizuführen, genügt nicht, wenn keine Rechtspflicht zum Handeln bestand. Es muß unter Berücksichtigung aller Umstände festgestellt werden, wie sich die Partei redlicher Weise hätte verhalten müssen ( R G 29. 10. 28 V I 148/28). Eine R e c h t s p f l i c h t z u m H a n d e l n besteht ohne weiteres, wenn der bedingt Verpflichtete nach Treu und Glauben auch im Interesse des anderen zu handeln hatte. So beispielsweise, wenn sich ein Grundstückseigentümer zur Verzinsung einer Hypothek unter der Bedingung verpflichtet hat, daß alle Wohnungen seines Grundstücks vermietet seien; alsdann muß er sich um die Vermietung der Wohnungen mit der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bemühen ( R G J W 07, 357®). Nicht erforderlich ist, daß der bedingt Verpflichtete zur Erfüllung der Bedingung auch vertraglich verpflichtet ist. Denn es geht bei § 162 nicht darum, ob sich der bedingt Verpflichtete einer vertraglichen Verpflichtung entzieht, sondern nur darum, ob er wider Treu und Glauben den Eintritt des zur Bedingung gestellten Ereignisses verhindert hat. War der Eintritt des Ereignisses von der Vornahme einer Handlung des bedingt Verpflichteten abhängig, so ist es für die Anwendbarkeit des § 162 nicht entscheidend, ob eine Vertragspflicht zur Vornahme der Handlung bestand, sondern nur, ob die Vornahme nach T r e u und Glauben geboten w a r ; dies ist der Fall, wenn die Handlung nicht in das freie Belieben des bedingt Verpflichteten gestellt ist, sondern die Beteiligten übereinstimmend davon ausgegangen sind, daß der Eintritt der Bedingung unter allen Umständen oder redlicherweise herbeizuführen sei ( R G 79, 96). Ist in einem Anstellungsvertrage (zwischen einem K a u f m a n n und einem Handlungsbevollmächtigten) bestimmt, daß der Vertrag sich verlängern soll, wenn im letzten Geschäftsjahr eine aktive Bilanz erzielt wird, dann muß der Prinzipal auch dann die Bedingung als eingetreten gelten lassen, wenn er im letzten J a h r e Verlustgeschäfte abgeschlossen hat, um auf diese Weise den Wettbewerb von andern Firmen auszuschließen ( R G Gruchot 64, 614). Eine Verkehrssitte, daß gegen eine für einen Rechtserwerb oder Rechtsverlust als Bedingung gesetzte gerichtliche Entscheidung das zulässige Rechtsmittel einzulegen sei, besteht nicht; in der Unterlassung kann somit auch kein Handeln wider Treu und Glauben gefunden werden ( R G 5. 2. 06 V 512/05).

573

§162

Anm. 5—-8 Anm. 5 5. Beweislast

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Eingreifen des anderen und dem Ausfall der Bedingung ist von der Partei, die sich auf § 162 beruft, zu beweisen; eine Vermutung besteht insoweit nicht ( R G 66, 222, 224; 79, 96; 122, 247; R G J W 1933, 1387 2 ; B G H W M 1957, 1 3 1 2 , 1 3 1 3 ; B G H L M Nr. 2 zu § 162 BGB). Die Partei genügt aber ihrer Beweispflicht, wenn sie darlegt, daß der andere Teil wider Treu und Glauben den Eintritt der Bedingung herbeigeführt (oder gehindert), den Erfolg mithin verursacht hat; sie braucht nicht außerdem noch zu beweisen, daß andernfalls der Vertrag wirksam geworden wäre, daß also in dem Verhalten des anderen Teils die einzige Ursache für den Eintritt (oder Ausfall) der Bedingung zu erblicken ist ( R G J W 1 9 1 1 ,

2I310)-

Anm. 6 6. Zeitpunkt des fiktiven Bedingungseintritts Als Zeitpunkt, in dem gegebenenfalls die Bedingung als eingetreten zu gelten hat, ist der Zeitpunkt anzusehen, in dem der Eintritt bei redlichem Verhalten des bedingt Verpflichteten erfolgt sein würde ( R G 79, 96).

Anm. 7 7. Anwendungsbereich Das Anwendungsgebiet des § 162 beschränkt sich grundsätzlich auf solche Fälle, in denen die Erfüllung der Bedingung der Willkür der Parteien entzogen sein soll (Bern. I I vor § 158). Daher ist für § 162 grundsätzlich kein R a u m im Falle von reinen Willkürbedingungen. Eine Partei, deren Verpflichtung nach dem Vertrage von einer bloßen Willkürbedingung abhängt, verstößt in der Regel nicht gegen Treu und Glauben, falls sie den Eintritt der Bedingung wenn auch in der Absicht verhindert, sich die Vorteile des Geschäfts auf andere Weise zu sichern ( R G 53, 257). Doch kann auch die Unterlassung einer Handlung, von deren Vornahme die Vertragsparteien ausgegangen sind und die redlicherweise vorzunehmen war, ein Verstoß gegen Treu und Glauben sein (vgl. Anm. 4 ; R G 79, 96; hier hatte der K l ä g e r vom Beklagten ein Grundstück unter der Bedingung gekauft, daß der Beklagte die Konzession für den Hotelbetrieb erhalte; der Beklagte erlangte die Konzession nicht, und der Kläger machte geltend, daß der Beklagte den Eintritt der Bedingung wider Treu und Glauben vereitelt habe, weil er die Instandsetzung seines Grundstücks unterlassen hätte). Ist jemand fest entschlossen gewesen, die zur Bedingung gestellte Handlung rechtzeitig vorzunehmen, hat er sie aber nicht bis zu dem in die Bedingung aufgenommenen Zeitpunkt, sondern erst kurz darauf vorgenommen, und zwar ausschließlich zu dem Zweck, um nicht durch den Eintritt der Bedingung den Vertrag wirksam werden zu lassen, so kann es doch recht und billig sein, die Sache so anzusehen, als wäre die Bedingung wider Treu und Glauben vereitelt worden (§ 157).

Anm. 8 A u c h a u ß e r h a l b d e s A n w e n d u n g s g e b i e t e s d e s § 162 v e r b i e t e n T r e u u n d G l a u b e n einem V e r t r a g s t e i l , eine von ihm selbst u n r e c h t m ä ß i g , wenn a u c h o h n e V e r s c h u l d e n zu u n g u n s t e n des a n d e r e n V e r t r a g s t e i l s g e s c h a f f e n e L a g e a u s z u n u t z e n (§242). So kann ein Gläubiger sich auf die durch Einleitung der Zwangsversteigerung begründete Fälligkeit einer Hypothek nicht berufen, wenn er selbst das Zwangsversteigerungsverfahren objektiv zu Unrecht herbeigeführt hat ( R G H R R 1 9 3 1 , 1905). Anwendbar ist der § 162 auch bei bedingter Verzeihung einer Eheverfehlung ( R G J W 1 9 1 9 , 820 2 ). Bei Abkommen unter Ehegatten, die den Fortbestand der Ehe zur Grundlage haben, kann sich der Ehegatte, der die Scheidung selbst verschuldet hat, nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen; das folgt nicht bloß aus § 242, sondern auch aus entsprechender Anwendung des § 162 ( R G H R R 1937, 1 2 1 7 ) . Uber eine ent-

574

Bedingung. Zeitbestimmung

§ 162 Anm. 9, 10 § 163 A n m . 1

sprechende Anwendung des § 162 auf den Fall, daß zwar keine Bedingung vereinbart, aber einem Rechtsakt aus nicht billigenswerten Erwägungen die Geschäftsgrundlage entzogen ist, s. auch R G J W 1936, 987 1 . Der Rechtsgrundsatz des § 162 gilt entsprechend auch für das öffentliche Recht ( R G 6. 5. 25 I I I 303/24)-

Anm. 9 8. Unanwendbarkeit a) bei R e c h t s b e d i n g u n g e n § 162 gilt nicht bei Rechtsbedingungen (RG 129, 357, 376; 168, 261, 267); z.B. nicht, falls die Wirksamkeit eines Vertrags von der gemäß § 1829 Abs. 1 Satz 2 in den Willen des Vormundes gestellten Entscheidung abhängt (RG 6. 4. 21 V 480/20). Keine Rechtsbedingung, sondern eine echte Bedingung ist der bei dem Verkauf eines Grundstücks an einen mit Kapital abgefundenen Schwerkriegsbeschädigten gemachte Vorbehalt der Genehmigung des Hauptversorgungsamts (RG J W 1933, 1387 2 ). Anm. 10 b) bei b e h ö r d l i c h e r oder g e r i c h t l i c h e r G e n e h m i g u n g § 162 ist auf behördliche Genehmigungen weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar (RG 129, 357, 376 m. w. Nachw.; 168, 261, 267; H R R 1934, 1). Eine Vertragspartei, die eine zur Wirksamkeit des Vertrages notwendige behördliche Genehmigung hintertreibt, kann aber gegenüber ihrem Vertragspartner unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes verpflichtet sein, ihn so zu stellen, wie wenn die Genehmigung erteilt worden wäre; unter diesem Gesichtspunkt kann unter Umständen auch die Erfüllung des Vertrages gefordert werden (RG 110, 356, 364; 129, 357, 382 f; BGH L M N r . 4 zu Art. IV K R G 4 5 ) . Hängt die Wirksamkeit eines Vertrages von einer behördlichen Genehmigung ab, so obliegt den Parteien ohne Rücksicht darauf, ob ihnen daraus Nachteile erwachsen (RG 98, 262), die gegenseitige Treupflicht, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um die Genehmigung herbeizuführen, und alles zu unterlassen, was dieser Genehmigung hinderlich sein könnte (RG 129, 357, 376; OGH 2, 318; B G H BB 1956, 869; O L G Stuttgart N J W 1953, 670). Erteilt das Bauerngericht die Genehmigung zu einer Grundstücksveräußerung unter einer Bedingung, so darf deren Eintritt nicht durch die in § 162 enthaltene Fiktion ihres Eintritts ersetzt werden (BGH L M Nr. 4 zu Art. IV K R G 45).

§163 Ist für die Wirkung eines Rechtsgeschäfts bei dessen Vornahme ein Anfangs- oder ein Endtermin bestimmt worden, so finden i m ersteren Falle die für die aufschiebende, i m letzteren Falle die für die auflösende Bedingung geltenden Vorschriften der § § 158, 160, 161 entsprechende Anwendung. E I 141 n 132; M 1 269fr; P 1 1 8 6 ; 2 694.

Ubersicht 1. 2. 3. 4. 5.

Zeitbestimmung Befristung Klage auf künftige Leistung Die befristete Forderung im Konkurs Beweislast

Anm.

1,2 3 4 5 6

Anm. 1 1. Zeitbestimmung Die Zeitbestimmung steht der Bedingung — aufschiebenden wie auflösenden — gleich, falls sie die Wirkung des Rechtsgeschäfts beeinflußt, also der Beginn oder die Beendigung der Wirkung eines Rechtsgeschäfts vom Eintritt des Zeitpunkts abhängig

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§163 A n m . 2—6

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

gemacht ist (RG 54, 898; J W 09, Ii 3 ). Die §§ 158, 160, 161 finden dann entsprechende Anwendung. Eine Zurückwirkung kraft Gesetzes kann hier niemals stattfinden. Bloße Verpflichtungen im Sinne des § 159 zu begründen, muß jedoch den Parteien auch hier nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit unbenommen sein (RG 68, 141). Eine entsprechende Anwendung auch des § 162 auf die Zeitbestimmung ist der Natur der Sache nach ausgeschlossen. Soll trotz Bestimmung eines Anfangstermins die Wirkung des Rechtsgeschäfts sofort eintreten, dann bleibt für die Gleichstellung der Zeitbestimmung mit der Bedingung kein Raum mehr. In solchen Fällen spielt der Anfangs- wie der Endtermin bei Schuldverhältnissen nur die Rolle, das Recht auf die Leistung oder den Zeitpunkt der Leistungspflicht hinauszuschieben; es handelt sich alsdann lediglich um ein betagtes oder befristetes Recht (vgl. § 813), das sofort wirksam und bei dem nur die Befugnis zur Ausübung (Fälligkeit) hinausgeschoben ist. Ob nach der Parteiabsicht Bedingung oder bloße Befristung vorliegt, ist Sache der Auslegung. Vgl. R G 8, 140; Gruchot 46, 366; SeuffArch 57 Nr. 217. In der Bestimmung eines Anfangstermins, von dem ungewiß ist, ob und wann er eintreten werde, ist nur eine Befristung „während einer angemessenen Zeit" enthalten (RG Gruchot 46, 366; vgl. auch Gruchot 54, 898). Der § 1154, der für die Abtretung einer Briefhypothek die Abtretungserklärung und die Ubergabe des Hypothekenbriefs fordert, schließt das Hinausschieben der Wirkung durch Setzen einer aufschiebenden Bedingung oder einer Zeitbestimmung nicht aus (RG J W 1912, 681 3 ). Auch das befristete Recht stellt gleich dem bedingten ein bereits erworbenes Vermögensrecht dar. Anm. 2 Der § 163 ist nicht anwendbar, wenn bei einem Kauf verabredet wird, daß der Abruf bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgt sein müsse und dieser Klausel nicht die Bedeutung eines Endtermins, sondern die Bedeutung beizulegen ist, daß nach Ablauf des Zeitraumes die Erfüllung habe ausgeschlossen sein sollen (RG WarnRspr 1916 Nr. 273). Das schließt aber nicht aus, daß die Vertragschließenden der vereinbarten Erfüllungszeit eine so wesentliche Bedeutung beilegen, daß die Vertragserfüllung nach Ablauf des Zeitraums ausgeschlossen sein soll, B G H BB 1958, 281 Nr. 503. Anm. 3 2. Befristung Zulässig sind Befristungen bei Rechtsgeschäften aller Art, falls sie nicht ausdrücklich für unzulässig erklärt sind, wie in den §§ 388 S 2, 925 Abs. 2, 1017 Abs. 2, 1724, 1742, 1768 Abs. 1 S 2, 1947, 2180 Abs. 2 S 2, 2002 Abs. 2 Satz 2). Unzulässig ist eine Zeitbestimmung auch bei der Eheschließung ( § 1 3 Abs. 2 EheG). Anm. 4 3. Klage auf künftige Leistung Nach den §§ 257—259 Z P O kann auf künftige Leistung geklagt werden. Tritt die Fälligkeit nach Klageerhebung ein, so kann dies der Kläger in den beiden ersten Instanzen geltend machen, ohne daß dies Klageänderung ist (RG 57, 46; 88, 178). Anm. 5 4. § 163 g i l t a u c h im K o n k u r s . Die befristete Forderung steht der aufschiebend bedingten gleich (§ 163); sie ist darum im Konkurse anmeldefähig (§ 3 K O ) , berechtigt aber nur zu einer Sicherung (§67 K O ) . Anm. 6 5. Beweislast. Sofern die Zeitbestimmung einer Bedingung gleichsteht, greifen die dort geltenden Beweisregeln Platz ( § 1 5 8 Anm. 9). Steht nur eine Befristung (oben Anm. 1) in Frage, dann gilt der Grundsatz, daß, wer vom Gesetz abweichende Nebenbestimmungen behauptet, hierfür beweispflichtig ist; also hat derjenige, der eine andere als die gesetzliche Kündigungsfrist behauptet, dies auch zu beweisen (RG 57, 46). Der Beklagte hat die Behauptung der Stundung zu beweisen.

576

Vertretung. Vollmacht

Vor § 1 6 4 Anm. 1

Fünfter Titel Vertretung. Vollmacht Vorbemerkung Übersicht Anm.

I. Allgemeines 1. Offenheitsprinzip 2. Abstraktionsprinzip 3. Repräsentationstheorie II. Vertretung 1. Erfordernisse 2. Bestellung von Organen 3. Konkursverwalter, Zwangsverwalter, Testamentsvollstrecker. 4. Gerichtsvollzieher 5. Aktive und passive Stellvertretung 6. Gesamtvertretung 7. Unzulässigkeit der Stellvertretung a) Gesetzlicher Ausschluß b) Persönliche Anwesenheit c) Realakte, Besitzerwerb d) Wissenserklärung, eigenhändige Erklärung

. . .

III. Treuhänder 1. Voraussetzungen 2. Ermächtigungstreuhandschaft 3. Zweckgebundenheit des Treuguts 4. Treuhandvergleich 5. Einzelheiten 6. Treuhandschaft im wirtschaftlichen Sinne I V . Die Geschäftsvermittler V . Der Bote V I . Dolmetscher V I I . Legitimationszession V I I I . Ermächtigung 1. Abgrenzung 2. Einziehungsermächtigung 3. Verpflichtungsermächtigung I X . Handeln für den, den es angeht (verdeckte Stellvertretung)

i—3 1 2 3 4—13 4 5 6 7 8 9 10—13 10 11 12 13 14—19 14 15 16 17 18 19 20 21 22

. . . .

23 24—26 24 25 26 27

Anm. 1 I. Allgemeines 1. Offenheitsprinzip. Beim Abschluß eines Vertrages werden im allgemeinen nur für den Erklärenden persönliche Rechte und Pflichten aus dem Vertragsabschluß begründet (BGH L M Nr. 1 zu § 5 1 7 Z P O ) . Der Wille, im Namen eines Dritten zu handeln, ist nach § 164 Abs. 1 und 2 nur zu beachten, wenn er ausdrücklich erklärt ist oder sich aus den Umständen ergibt. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch gehört zur Stellvertretung ein Handeln in fremdem Namen. Handelt jemand bloß im Interesse eines anderen („für" einen anderen) — m i t t e l b a r e , i n d i r e k t e S t e l l v e r t r e t u n g — , so bleibt die Vertretung eine interne Angelegenheit der beiden Beteiligten. Die vom indirekten Stellvertreter abgegebenen Willenserklärungen wirken nur zwischen ihm und dem Vertragsgegner oder Erklärungsempfänger. Der mittelbare Stellvertreter tritt selbst als Geschäftsherr auf und ist nur verpflichtet, dem still Vertretenen nach Maßgabe der zwischen beiden bestehenden Rechtsbeziehungen die Vorteile des Geschäfts zuzuwenden (RG 58, 276; 8 0 , 4 1 7 ;

577

V o r § 164 Anm. 2, 3

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

WarnRspr 1930 Nr. 207; SeufFArch 82 Nr. 171). Daher kann die vom stillen Stellvertreter erworbene Forderung von seinen Gläubigern gepfändet werden (RG J W 1914, 866 1 ); § 392 Abs. 2 HGB, nach dem Forderungen des Kommissionärs aus Ausführungsgeschäften im Verhältnis zwischen dem Kommittenten und dem Kommissionär oder dessen Gläubigern als Forderungen des Kommittenten gelten, ist eine Sonderbestimmung, die nur für den durch die §§ 383, 406 HGB bestimmten Kreis von Geschäften gilt (RG 58, 276/77). Das Bürgerliche Gesetzbuch stellt für die indirekte Stellvertretung überhaupt keine Regeln auf. Daher ist der mittelbare Stellvertreter anders als der Verkaufskommissionär (RG 132, 196) ohne besondere Ermächtigung nicht befugt, die ihm vom Vertretenen überlassene Ware, einem Dritten zur Sicherheit für ein aufgenommenes Darlehen zu übereignen. Anerkannt ist aber, daß der mittelbare Stellvertreter bei Vertragsbruch durch den anderen Teil nicht nur den Schaden ersetzt verlangen kann, den er selbst erlitten hat, sondern auch denjenigen Schaden, der seinem Auftraggeber erwachsen ist (Schadensliquidation aus Drittinteresse, R G 58, 42; 6 2 , 3 3 1 ; 87,290; 90, 246; 93, 39; 1 1 3 , 254; 1 1 5 , 425; 170, 246; D R 1939, 1439; 1941, 638; B G H 15, 224. Anm. 2 2. Abstraktionsprinzip. Vollmacht (vgl. dazu auch § 164 Anm. 2, 12 und § 166 Anm. 24) ist die durch Rechtsgeschäft erteilte Vertretungsmacht (§ 166 Abs. 2). Sie berechtigt den Bevollmächtigten, im Namen des Vollmachtgebers zu handeln und auf diese Weise für und gegen ihn Rechtswirkungen hervorzurufen. Der Bevollmächtigung — das ist die Erteilung der Vollmacht — liegt regelmäßig ein Auftrag (§ 662), ein Geschäftsbesorgungsverhältnis (§ 675) oder ein Gesellschaftsverhältnis (§ 714) zugrunde. Nach diesem Vertragsverhältnis beurteilt sich, ob der Bevollmächtigte tätig werden muß, ob er Weisungen des Vollmachtgebers zu befolgen hat, inwieweit er regreßpflichtig ist u. ä. Die Bevollmächtigung und die Vollmacht sind in ihrem Rechtsbestande von dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis (Tätigkeitsvertrag) unabhängig; die Bevollmächtigung ist ein abstraktes Rechtsgeschäft, da sie den Grund, auf dem sie beruht, nicht in sich aufnimmt ( E n n e c c e r u s / N i p p e r d e y § 184 I I I 2). Die Bevollmächtigung ist kein Teil des vom Vertreter vorgenommenen Rechtsgeschäfts (Vertretergeschäft), sondern ein davon völlig getrenntes, selbständiges Geschäft. M ü l l e r - F r e i e n f e l s , Die Vertretung beim Rechtsgeschäft (1955) meint, daß die Bevollmächtigung und das rechtsgeschäftliche Handeln des Vertreters eine Einheit bilden; nach ihm sind Bevollmächtigung und Vertretergeschäft als ein Gesamttatbestand anzusehen, dessen einer Bestandteil die Bevollmächtigung und dessen anderer Bestandteil das Geschäft mit dem Dritten abgeben. Wenn das richtig wäre, müßte die für das Geschäft mit dem Dritten vorgeschriebene Form entgegen § 167 Abs. 2 auch für die Erteilung der Vollmacht gelten; dann würde nur eine formalisierte Vollmacht zu formbedürftigen Geschäften berechtigen oder die für das Rechtsgeschäft vorgeschriebene Form müßte für die Bevollmächtigung nachgeholt werden, soll der Bevollmächtigte ein formbedürftiges Geschäft vornehmen dürfen. Ließe man, wie das M ü l l e r F r e i e n f e l s will, die Art des vom Vertreter abgeschlossenen Geschäfts entscheiden, so würde die von einem Minderjährigen oder vom falsus procurator erteilte Vollmacht schwebend unwirksam sein, soweit sie zu einem einseitigen Vertrage ermächtigt (§ m , 180), und die Vollmacht eines Minderjährigen zu einem lediglich vorteilhaften Geschäft wäre voll wirksam. Der Vollmacht eines Minderjährigen oder vollmachtlos Handelnden wäre also, wenn sie nicht auf ein bestimmtes Geschäft beschränkt ist, von vornherein nicht anzusehen, ob sie wirksam ist. Diese Unsicherheit wird durch den von M ü l l e r F r e i e n f e l s gewonnenen Vorteil, daß z. B. ein Minderjähriger ohne Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters eine Vollmacht zur Annahme einer ihm zugedachten Schenkung erteilen darf, nicht aufgewogen. Daher ist der herrschenden Ansicht der Vorzug zu geben, daß die Vollmacht von dem Geschäft, zu dessen Vornahme sie erteilt wird, unabhängig ist. Anm. 3 3. Repräsentationstheorie. Der Stellvertreter schließt das Geschäft ab, nur die Wirkungen des Geschäfts treffen den Vertretenen. Die Stellvertretung ist Vertretung 578

Vertretung. Vollmacht

Vor § 164 A n m . 4, 5

m Willen und nicht bloß in der Erklärung. Dadurch unterscheidet sich der Stellvertreter vom Boten (vgl. unten Anm. 21). Soweit die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch Willensmängel oder durch die Kenntnis oder das Kennenmüssen gewisser Umstände beeinflußt werden, kommt die Person des Vertreters und nicht die des Vertretenen in Betracht (§ 166 Abs. 1). Abweichungen von diesem Prinzip enthalten die §§ 165, 166 Abs. 2. II. Vertretung Anm. 4 1. E r f o r d e r n i s s e . Zur Vertretung gehört, daß jemand im Namen eines anderen handelt. Das kann kraft Vollmacht oder kraft Gesetzes geschehen. Die gesetzliche Vertretung (elterliche Gewalt, § 1630; Vormundschaft, § 1793; Schlüsselgewalt der Ehefrau, § 1357) beruht auf einer gesetzlich geregelten Beziehung zwischen den beteiligten Personen, während die gewillkürte Stellvertretung auf der Vollmacht beruht. Zur Vertretung gehört weiter, daß sich der Handelnde im Rahmen ihm zustehender Vertretungsmacht hält. Wer zwar im Namen eines anderen, aber ohne eine ihm zustehende Vertretungsmacht handelt, tritt zwar als Stellvertreter auf, ist aber keiner ( M ü l l e r - F r e i e n f e l s aaO S. 18). Anm. 5 2. Bestellung von Organen. Private juristische Personen werden durch das zur Vertretung berechtigte Organ vertreten. Vertretungsorgan ist der Vorstand (§§ 71 AktG, 24 GenG, 26 BGB), — bei der GmbH der Geschäftsführer, § 35 GmbHG — bei Rechtsgeschäften mit dem Vorstand der Aufsichtsrat (§§ 97 AktG, 39 GenG) und in Rechtsstreitigkeiten, die die Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen oder die Feststellung der Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses oder eines Jahresabschlusses zum Gegenstand haben, Vorstand und Aufsichtsrat (§§ 199 Abs. 2, 201 Abs. 1, 202 Abs. 3 AktG). Die Vertretungsbefugnis des Aufsichtsrats ist auf die im Aktiengesetz geregelten Fälle beschränkt, B G H 13, 190. Die Berufung in das Vertretungsorgan erfolgt durch Bestellung (§§ 75 AktG, 6, 46 Ziff. 5 GmbHG, 24 GenG, 27 BGB) oder Wahl (§ 87 AktG); fehlen die zur Vertretung erforderlichen Vorstandsmitglieder, so sind sie in dringenden Fällen auf Antrag eines Beteiligten durch das Gericht zu bestellen (§§ 76 AktG, 29 BGB, der auch für die Gesellschaft mbH und die Genossenschaft gilt, R G 68, 180; 1 1 6 , 1 1 8 ; 138, 1 0 1 ; J W 1936, 2311). Soweit es auf guten Glauben, Kennen oder Kennenmüssen ankommt, schadet der juristischen Person bereits die Bösgläubigkeit eines Vorstandsmitglieds, auch des am Rechtsgeschäft unbeteiligten. Denn das Wissen eines der mehreren Organvertreter ist das Wissen der juristischen Person, R G J W 1935, 2044; B G H N J W 1956, 869 m. w. Nachw.; B G H 17. 5. 1956 I I Z R 10/55. Die V e r t r e t u n g s m a c h t e i n e s V e r e i n s - ( S t i f t u n g s - ) V o r s t a n d e s findet ihre Grenze an dem erkennbaren Zweck des Vereins oder der Stiftung, B G H J Z 1953, 474» BB 1957, 276. Die in der Entstehung begriffene Aktiengesellschaft, GmbH oder Genossenschaft (sog. V o r g e s e l l s c h a f t ) ist eine Organisationsform eigener Art ( B G H 20, 2 8 1 ; 21, 242). Das Vertretungsorgan hat bereits Organstellung und kann sowohl für die Gründerorganisation wie für die künftige Rechtsperson handeln. Die Befugnis zur Vertretung der künftigen Rechtsperson ist auf den Abschluß solcher Geschäfte beschränkt, die zur Herbeiführung der Rechtsfähigkeit notwendig oder die in der Satzung oder im Gesellschaftsvertrag festgesetzt sind (RG 83, 3 7 3 ; 105, 229; 134, 122; 1 5 1 , 91). Das folgt daraus, daß die errichtete Rechtsperson, wie die §§ 19, 20, 28, 41, 49 AktG, 5 Abs. 4, 6, 7, 8, igff, 78 GmbHG, 9—11 GenG zeigen, bloß mit dem Gründungsaufwand und den Kosten für Sachübernahmen belastet werden darf. Soweit das Vertretungsorgan Geschäfte im Rahmen seiner Vertretungsmacht für die werdende Rechtsperson abschließt, werden sie mit der Entstehung der Rechtsperson automatisch für und gegen diese wirksam (RG 141, 209, 149, 303; K G J W 1937, 46; B G H 17, 390). Im Namen der künftigen Rechtsperson vorgenommene, jedoch nicht erforderliche

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V o r § 164 A n m . 6—8

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Geschäfte verpflichten die eingetragene Gesellschaft (Genossenschaft) dagegen nicht ohne weiteres (arg. § 34 Abs. 2 AktG); derartige Geschäfte berechtigen die juristische Person auch nicht, da sie ohne Vertretungsmacht abgeschlossen sind. So ist ein Grundstückskauf im Namen der werdenden Rechtsperson schwebend unwirksam, RG H R R 1931, 1636; nach der herrschenden Ansicht kann er aber von der entstandenen juristischen Person genehmigt werden, da die §§ 177 ff nicht nur beim Handeln ohne Vertretungsmacht, sondern entsprechend auch beim Handeln für eine noch nicht entstandene juristische Person angewendet werden (so RG 105, 228, 230; 106, 64, 74; 134, 121, 122; R G J W 1923, I 2 0 4 ; B G H 17, 3 8 5 ; 20, 281, 286; vgl. a b e r § 177 A n m . 3).

Anm. 6 3. Konkursverwalter, Zwangs Verwalter, Testamentsvollstrecker. Sie haben nicht die Stellung eines Vertreters, sondern üben, ihrer uneigennützigen Aufgabe entsprechend, ein privates Amt aus und haben gesetzlich die Befugnis, kraft eigenen Rechts über fremde Rechte mit Wirkung für und gegen den Rechtsinhaber zu verfügen (RG 29, 29; 52, 333; 65, 388; 76, 125; 81, 292; 97, 109; 120, 192 — Konkursverwalter —; RG 61, 139; 76, 125; BGH 13, 203; 25, 275, 279 — Testamentsvollstrecker —; RG 24, 3°4; 5 3 . 2 6 3 ; 5 9 , 8 8 ; 6 8 , 1 0 ; 8 0 , 3 1 1 ; 9 2 , 2 0 ; 9 9 , 1 9 9 — Zwangsverwalter —). Der Testamentsvollstrecker ist weder Vertreter des Erblassers noch Vertreter des Erben, sondern hat die Stellung eines Treuhänders und ist Inhaber eines privaten Amtes, zu dem er allein durch den Willen des Erblassers berufen ist, auch wenn er von anderer Seite zum Testamentsvollstrecker ernannt worden sein sollte, BGH 13, 203; im Sinne des § 278 ist der Testamentsvollstrecker dagegen als „gesetzlicher Vertreter" anzusehen (RG 144, 399; BGH WM 1957, 515). Der Testamentsvollstrecker kann grundsätzlich nur den Nachlaß und nicht den Erben verpflichten; er kann daher das zum Nachlaß gehörende Handelsgeschäft nicht kraft Amtes fortführen, denn dies würde auf die Führung eines Handelsgeschäfts mit beschränkter Haftung hinauslaufen, RG 132, 128. Er kann das Handelsgeschäft aber im eigenen Namen und unter eigener persönlicher Haftung als Treuhänder für Rechnung des Erben oder bei erteilter Vollmacht unter dem Namen des Erben und dessen persönlicher Haftung führen, BGH 12, 100; 24, 106, 112. Der Konkursverwalter tritt nicht bloß im Rechtsstreit als Partei kraft Amtes auf, sondern handelt auch bei materiellen Rechtsgeschäften auf Grund seines Amtes kraft eigenen Rechts im eigenen Namen, RG 8 0 , 4 1 7 / 1 8 . Anm. 7 4. Gerichtsvollzieher. Der Gerichtsvollzieher ist Beamter; seine Handlungen, sowohl bei der Zustellung wie bei der Zwangsvollstreckung sind Amtshandlungen. Er wird ausschließlich als Organ der Staatsgewalt tätig und hat seine Aufgaben in voller Unabhängigkeit von seinem „Auftraggeber" zu erfüllen. Wenn auch seine Inanspruchnahme in den §§ 1 6 6 — 1 6 8 , 7 5 3 — 7 6 6 ZPO als „Auftrag" bezeichnet ist, so wird dadurch doch kein Auftragsverhältnis begründet (RG 82, 83 gegen RG 16, 396). Der Gerichtsvollzieher ist nicht Vertreter des vollstreckenden Gläubigers; seine Kenntnis begründet daher keine Bösgläubigkeit (§ 898 ZPO) und kommt auch für § 30 K O (Kenntnis der Zahlungseinstellung) nicht in Betracht, RG 90, 193; 95, 152. Gibt er die in Besitz genommenen Pfandstücke einem Dritten in Verwahrung, so schließt er den Vertrag im eigenen Namen und nicht als privatrechtlicher Vertreter des Gläubigers, RG 102, 79. Er haftet auch nicht kraft privatrechtlicher Verpflichtung, sondern kraft Amtspflicht, RG 1 4 0 , 4 2 7 ; 1 5 1 , 1 1 3 . Anm. 8 5. Aktive und passive Stellvertretung. Es ist zwischen der aktiven und der passiven Stellvertretung zu unterscheiden, je nachdem ob der Vertreter eine Willenserklärung namens des Vertretenen abgibt oder die Willenserklärung eines Dritten im Namen des Vertretenen entgegennimmt. Die gegenüber dem Stellvertreter abgegebene Willenserklärung wird für und gegen den Vertretenen auch dann wirksam, wenn der Vertreter nicht den Willen hat, sie in Vertretung des anderen entgegenzunehmen, RG J R 1 9 2 6 Nr. 1 6 0 1 .

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Vertretung. Vollmacht

Vor § 164

A n m . 10—12 Anm. 9

6. G e s a m t v e r t r e t u n g . Sind mehrere Bevollmächtigte nur gemeinschaftlich vertretungsberechtigt, so müssen sie bei der Willensbildung zusammenwirken. Das braucht nicht gleichzeitig zu geschehen ( R G 6i, 223; 75, 423; vgl. auch § 166 Anm. 30). Die Gesamtvertreter können auch einen von ihnen zum Abschluß eines Geschäfts bevollmächtigen, R G 80, 181; 81,325; 106,268; 112,215. Handelt ein Kollektivvertreter ohne Vollmacht der übrigen, so können sie das Geschäft formlos genehmigen, R G 118, 170. Die von einem Dritten gegenüber einem Gesamtvertretungsberechtigten abgegebene Erklärung wird mit dem Zugang wirksam, auch wenn die übrigen Gesamtvertreter nichts von ihr erfahren, R G 53, 230. Für die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit eines Rechtsgeschäfts reicht das Vorliegen des Nichtigkeits- oder Anfechtungsgrundes bei einem der handelnden Gesamtvertreter aus ( R G 53, 231; 59, 408; 78, 354; 134, 36). Kennen oder Kennenmüssen eines am Geschäftsabschluß beteiligten Kollektivvertreters hindert gutgläubigen Erwerb; anders, wenn der bösgläubige Gesamtvertreter nicht mitgewirkt hat. Gesamtvertretung sehen die §§48 Abs. 2, 125 Abs. 2, 150 H G B , 71 A k t G , 25 GenG und 35 Abs. 2 G m b H G vor. Unterdrückt ein Gesamtvertreter ein lediglich ihm zur Kenntnis gelangtes Bestätigungsschreiben und wird deshalb dem Inhalt dieses Schreibens nicht widersprochen, so kommt durch Schweigen der Kollektivvertretung ein Vertrag nach Maßgabe des Bestätigungsschreibens zustande; auf diese Weise kann e i n Gesamtvertreter eine Verpflichtung für den Vertretenen begründen, die er in seiner Eigenschaft als Kollektivvertreter durch ausdrückliche Erklärung allein nicht hätte begründen können ( R G J W 1927, 1675; B G H 20, 149, 153). Das kann aber nicht ausnahmslos gelten; vereinbart der Vorstand einer Aktiengesellschaft mit dem bloß gesamtvertretungsberechtigten Aufsichtsratsvorsitzenden eine Ergänzung seines Anstellungsvertrages und bestätigt er dem Aufsichtsratsvorsitzenden die Abrede, so kann er aus ihr, ohne daß der Aufsichtsrat dazu gehört worden ist, keine Rechte herleiten. Denn im Hinblick auf das Treueverhältnis zwischen Vorstand und Aktiengesellschaft erscheint es ausgeschlossen, daß der Vorstand Rechte aus einem Vertrage herleiten könnte, über den das zur Vertretung der Gesellschaft berufene Organ nicht gefragt worden ist (vgl. B G H 20, 239, 248).

A n m . 10 7. Unzulässigkeit der Stellvertretung

a ) G e s e t z l i c h e r A u s s c h l u ß . In einer Reihe von Fällen erklärt das Gesetz die Stellvertretung für ausgeschlossen: §§ 1358 Abs. 3, 1595, 1728, 1731, 1748 Abs. 2, 1750 Abs. 1, 1755, 2271, 2282 Abs. 1, 2296 Abs. 1. Das Verbot des § 1750 Abs. 1 betrifft nur die Vertretung im Willen und nicht die Vertretung in der Erklärung. Die früher herrschende Auffassung, daß es beim Abschluß eines Adoptionvertrages der persönlichen Anwesenheit sämtlicher Vertragsteile in der gerichtlichen oder notarischen Verhandlung bedürfe, hat das Reichsgericht ( R G D R 1945, 76) aufgegeben. Dem hat sich der Bundesgerichtshof ( B G H 5, 344) mit Recht angeschlossen (aA H u e c k ArchZivPr 152, 432).

A n m . 11 b ) P e r s ö n l i c h e A n w e s e n h e i t . Unzulässig ist die Stellvertretung, wo das Gesetz die persönliche Anwesenheit der Beteiligten erfordert, wie in § 13 EheG und den §§ 2064, 2256 Abs. 3, 2274, 2284, 2290 Abs. 2 BGB.

A n m . 12 c) R e a l a k t e , B e s i t z e r w e r b . Die §§ 1 6 4 f f beziehen sich ihrem Wortlaut nach nur auf Willenserklärungen, — rechtsgeschäftliche Vertretung — R G J W 1933, 215. Sie sind daher auf Realakte (Besitzerwerb, Verarbeitung, Verbindung, Vermischung, Fund) nicht anwendbar ( B G H 20, 263); ergreift aber ein Besitzdiener den Besitz für seinen Geschäftsherrn, so tritt eine ganz ähnliche Rechtswirkung wie bei der Stellvertretung ein, R G 137, 25; J W 1933, 215; B G H 8, 132. Besitzerwerb durch Stellvertreter ist auch möglich beim Erwerb mittels bloßer Einigung (§ 854 Abs. 2) und in der Weise, daß der Vollmachtgeber mit seinem Bevollmächtigten ein Besitzmittlungsverhältnis (§ 868) vereinbart und dann der Vertreter den unmittelbaren Besitz erwirbt. 38

Komm. z. B G B . n . Aufl. I. Bd. (Kuhn)

581

Vor § 164

Anm. 13—15

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 13 d) W i s s e n s e r k l ä r u n g , e i g e n h ä n d i g e E r k l ä r u n g . Auch bei der Ableistung eines Eides oder der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung ( R G S t 75, 1 1 3 ) und der Unterzeichnung einer Urkunde, die, wie beim Testament, nach gesetzlicher Vorschrift oder, wie bei der schriftlichen eidesstattlichen Versicherung, ihrer Eigenart nach eigenhändig geschrieben oder unterschrieben werden muß ( R G S t 57, 2 3 5 ; O L G Hamburg J W 1938, 582; R G S t 69, 1 1 9 ) , ist Stellvertretung ausgeschlossen.

III. Treuhänder Anm. 14 1. V o r a u s s e t z u n g e n . Ein Treuhandverhältnis liegt vor, wenn jemand (der Treugeber) einen bisher rechtlich zu seinem Vermögen gehörenden Gegenstand einem anderen (Treuhänder) mit der Bestimmung übereignet (zu treuen Händen anvertraut) hat, daß der andere das übertragene Recht zwar im eigenen Namen ausübe, es aber nicht zu seinem Vorteil solle gebrauchen können, R G 1 3 3 , 84, 87; 127, 3 4 1 , 344; 9 1 , 1 6 ; 84, 2 1 7 . Dem Treuhandverhältnis ist wesentlich, daß das Treugut zwar rechtlich, aber nicht wirtschaftlich aus dem Vermögen des Treugebers ausscheidet. K e i n T r e u h a n d v e r h ä l t n i s ist gegeben, wenn jemand einen Gegenstand lediglich für Rechnung und im Interesse eines anderen als stiller Stellvertreter für diesen von einem Dritten erworben hat und dem anderen infolge des Vertretungsverhältnisses n u r ein schuldrechtlicher Anspruch auf Übereignung des erworbenen Vermögensgegenstandes zusteht (wie zuvor). Nur in einem scheinbaren Widerspruch hierzu steht B G H L M Nr. 1 3 zu § 242 (Bb) B G B ; dieses Urteil hat ein Treuhandverhältnis für den Fall angenommen, daß A im Auftrage von B ein Grundstück auf Kredit erwirbt, hierbei zwar im eigenen Namen, aber für Rechnung des B handelt, das Grundstück alsbald an B zur Bewirtschaftung zu überlassen hat und sich von vornherein zur Übertragung des Grundstückseigentums an B verpflichtet, sobald B den Kredit abgedeckt hat. Denn hier handelt A nicht lediglich für Rechnung eines anderen, sondern auch zu dem Zweck, durch das Grundstückseigentum eine fiduziarische Sicherheit dafür zu erlangen, daß ihn B von der eigegangenen Darlehensschuld befreit. Stets muß der Treuhänder berechtigt sein, kraft eigenen Rechts und im eigenen Namen zu handeln, R G 84, 2 1 7 ; 94, 308; SeufTArch 77 Nr. 1 7 3 . Das Rechtsinstitut der Treuhandschaft wird oft dazu benutzt, um einen in anderer Weise nicht durchführbaren Rechtsakt durchführen zu können. So wird angenommen, daß die Anordnung einer Testamentsvollstreckung, die auch die Verwaltung des Handelsgeschäfts des Erblassers oder seines Anteils als persönlich haftender Gesellschafter einer Personalhandelsgesellschaft zur Aufgabe hat, eine A u f l a g e an den Erben enthält, das Handelsgeschäft oder den Gesellschaftsanteil auf den Testamentsvollstrecker treuhänderisch zu übertragen, falls der Erbe nicht damit einverstanden ist, daß der Testamentsvollstrecker das Handelsgeschäft auf den Namen des Erben, also auch unter dessen unbeschränkter persönlicher Verpflichtung, führt, B G H 12, 100, 1 0 2 ; 24, 106, 1 1 2 . I m Verhältnis zum Treugeber, also im Innenverhältnis, richtet sich die Rechtsstellung des Treuhänders nach dem Treuhandvertrag. I m Innenverhältnis ist der Treuhänder schuldrechtlich verpflichtet, von dem ihm eingeräumten Recht nur insoweit Gebrauch zu machen, als es den grtroffenen Abmachungen und dem wirtschaftlichen Zweck des Treuhandvertrages entspricht. Für das Außenverhältnis kommt es dagegen auf das fiduziarische Verhältnis nicht an.

Anm. 15 2. E r m ä c h t i g u n g s t r e u h a n d s c h a f t . Ist der Treuhänder lediglich ermächtigt, im eigenen Namen über fremdes Vermögen zu verfügen (§ 185), so spricht man von einer Ermächtigungstreuhandschaft. Die Ermächtigungstreuhand unterscheidet sich von der fiduziarischen Treuhand, insbesondere der Sicherungsübereignung dadurch, daß der Treuhänder nach außen hin bloß als Berechtigter legitimiert wird, ohne das dingliche Recht übertragen zu erhalten ( S i e b e r t , Das rechtsgeschäftliche Treuhandverhältnis S. 232; N i p p e r d e y , Festschrift für Nikisch S. 3 2 1 ) . 582

Vertretung. Vollmacht

Vor § 164

Anm. 16—18 Anm. 16 3. Zweckgebundenheit des T r e u g u t s . Das zu treuen Händen gewährte Recht scheidet rechtlich völlig aus dem Vermögen des Treugebers aus ( R G 79, 1 a 1 ; 84, 2 1 ; 9 1 , 1 2 ; 1 0 3 , 1 9 9 ; 1 2 7 , 3 4 4 ; i 3 3 > 8 4 ; i53> 369 m. w. Nachw.; R G J W 1936, 1 4 3 3 1 ; R G Gruchot 72, 198). Das hat zur Folge, daß alle dinglichen Beziehungen des Treugebers zu der übereigneten Sache oder zu dem übertragenen Recht gelöst werden. Der Treugeber hat daher gegenüber einem Dritterwerber keinen dinglichen Anspruch und steht zu ihm auch nicht in unmittelbaren vertraglichen Beziehungen ( R G 153, 366). Aus der Zweckgebundenheit des Treuguts folgt, daß das Treugut im Konkurse des Treugebers zur Konkursmasse gehört und daß der Treugeber das Treugut beim K o n kurse des Treuhänders aussondern und einer Pfändung des Treuguts durch einen Gläubiger des Treuhänders nach § 771 Z P O widersprechen kann ( R G 45, 80; 79, 1 2 1 ; 9 1 , 1 2 ; 1 2 7 , 9 ; 127, 344, 1 3 3 , 8 4 ; K u T 1929, 1 2 1 ) . Verfügt der Treuhänder abredewidrig über das Treugut und pfändet ein Gläubiger des Treuhänders dessen Anspruch auf Rückübertragung des Treuguts, so kann der Treugeber der Pfändung nicht widersprechen, da der gepfändete Anspruch mangels dinglicher Surrogation nicht an die Stelle des Treuguts getreten ist, R G 153, 369/70.

Anm. 17 4. T r e u h a n d v e r g l e i c h . Ist auf Grund gerichtlichen Treuhandvergleichs dem Treuhänder das Vermögen des Schuldners übereignet worden ( e c h t e s T r e u h a n d v e r h ä l t n i s ) , so fällt das Treugut mit der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Schuldners automatisch in die Konkursmasse; einer Rückübertragung bedarf es nicht, R G 145, 256/57. Beim a u ß e r g e r i c h t l i c h e n T r e u h a n d v e r g l e i c h kann das Treugut dem Treuhänder unter der auflösenden Bedingung der Konkurseröffnung übereignet sein; in diesem Falle verliert der Treuhänder das Eigentum am Treugut mit dem Eintritt der Bedingung; selbst wegen eigener Verwendungen auf das Treugut steht ihm weder abgesonderte Befriedigung noch eine bevorrechtigte Konkursforderung zu ( O L G Frankfurt M D R 1954, 1 1 0 ) ; der Treuhandvertrag erlischt nach § 23 Abs. 2 K O mit der Konkurseröffnung, R G 145, 256; D R 1 9 4 1 , 720 2 4 ; auch die am Vergleich beteiligten Gläubiger haben kein Recht auf abgesonderte Befriedigung aus dem Treugut, R G 145, 256. Liegt es dagegen so, daß das Treugut unbedingtes zweckgebundenes Eigentum des Treuhänders geworden ist, so endet der Treuhandvertrag nicht mit der Konkurseröffnung über das Vermögen des Schuldners, weil sich das Geschäftsbesorgungsverhältnis auf das Treugut und nicht auf die Konkursmasse bezieht ( P o h l e M D R

Anm. 18 5. Einzelheiten a ) Der Treugeber kann dem vom Treuhänder um das Treugut geführten Prozeß als Nebenintervenient beitreten, R G 145, 188. b ) Gegen die Zulässigkeit einer Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen an einen anderen zu treuen Händen mit der Verpflichtung, sie jederzeit zurückzuübertragen, bestehen keine rechtlichen Bedenken, R G 1 5 3 , 352. Die Rückübertragungspflicht ist eine gesetzliche Pflicht (§ 667) oder eine mittelbare Folge des Treuhandvertrages und bedarf darum nicht der Form des § 1 5 Abs. 4 G m b H G , B G H 19, 70. Auch die Abtretung des Anspruchs des Treugebers gegen den bisherigen Treuhänder auf Übertragung eines GmbH-Geschäftsanteils auf einen neuen Treuhänder ist nicht formbedürftig (§ 1 5 Abs. 3 G m b H G ) , B G H 19, 71/72. c ) D a der Kreis der Parteien kraft Amtes im deutschen Recht auf bestimmte Fälle beschränkt ist und nicht durch Verwaltungsakt ausgedehnt werden kann, kann ein Treuhänder nicht ohne gesetzliche Grundlage durch Verwaltungsakt zum gesetzlichen Vertreter einer natürlichen oder juristischen Person bestellt werden, B G H 20, 2 1 1 . d ) Ein Treuhänder, der durch Verfehlungen das Vertrauensverhältnis zerstört hat, ist nicht verpflichtet, dem Treugeber eine umfassende Vollmacht zu erteilen, R G 1 4 5 , 3 5 . e) Rechtswirksam ist die Vereinbarung, durch die sich jemand verpflichtet, für einen anderen zur Lösung einer ihm gestellten Aufgabe erfinderisch tätig zu werden und die

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V o r § 164 A n m . 19—21

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

fertige Erfindung zunächst auf seinen Namen anzumelden, während das Patent sofort und unmittelbar mit seiner Erteilung dem anderen zustehen soll, RG 139, 52. f ) Die Stellung eines Treuhänders hat auch ein Notar, der Geldbeträge zwecks Ablösung von Vorbelastungen empfängt (RG 15. 12. 1931 I I I 200/31). Treuhandverhältnisse sind auch unter Eheleuten möglich (RG J W 1912, 32 1 6 ; H R R 1929, 1303; WarnRspr 1915 Nr. 135). A n m . 19 6. T r e u h a n d s c h a f t i m wirtschaftlichen Sinne. Es hat sich herausgebildet, alle möglichen Vertrauensverhältnisse und alle von besonderem Vertrauen getragenen Tätigkeiten als Treuhandschaften zu bezeichnen. Häufig handelt es sich dabei um bloße Auftragstätigkeit oder um Geschäftsbesorgungsverhältnisse, um die Anlage oder Verwaltung von Vermögen, um Sanierungen oder Wirtschaftsberatung, um überwachende oder geschäftsführende Tätigkeiten. Wegen der Vielgestaltigkeit solcher mehr wirtschaftlich treuhänderischer Funktionen ist eine einheitliche Einordnung nicht möglich; vielfach wird ein Vertragsverhältnis eigener Art anzunehmen sein. T r e u h ä n d e r als G l ä u b i g e r v e r t r e t e r kommen von Gesetzes wegen bei Hypotheken für Forderungen aus Inhaberschuldverschreibungen und Orderpapieren (§§ 1187, 1189), im Schuldverschreibungsgesetz v. 1 2 . 1 2 . 1899, im Hypothekenbankgesetz (§§ 29fr) und im Gesetz über die Sicherung von Bauforderungen v. 1. 6. 1909 vor. Auf Landesebene sind zahlreiche Treuhandschaften wirtschaftlicher Art geschaffen worden (Wirtschaftsprüfer-Jahrbuch 1954, 1203/4). Gemeinsam ist diesen Regelungen, daß in der Regel solche Geschäfte unzulässig sind, die dem Schutz- und Sicherungszweck des Gesetzes nicht entsprechen. Das wird auch als Richtschnur für die Befugnisse der Treuhänder im wirtschaftlichen Sinne zu nehmen sein, nur daß hier der Vertrag den Einsetzungszweck des Treuhänders ergibt und umreißt. A n m . 20 IV. Die G e s c h ä f t s v e r m i t t l e r . Geschäftsvermittler sind der Agent, der Makler, der Handelsvertreter, soweit er nicht abschlußberechtigt ist, und der Handelsmäkler. Vermittler (Agent, Makler) ist, wer ein Rechtsgeschäft nur derart vorbereitet, daß sein Abschluß Sache des Geschäftsherrn bleibt, R G 105, 206. Schließt der Vermittler selbst ab, ohne hierzu Vollmacht zu haben, so kommen die §§ 177—180 zur Anwendung, R G WarnRspr 1910 Nr. 321. Der H a n d e l s v e r t r e t e r kann damit betraut sein, Geschäfte für den Unternehmer in dessen Namen abzuschließen (§§ 84, 86 HGB); er ist dann rechtsgeschäftlich bestellter Vertreter im Sinne der §§ 164 fr. Seine Tätigkeit kann aber auch darauf beschränkt sein, den Abschluß von Verträgen durch den Unternehmer vorzubereiten, zu ermöglichen und herbeizuführen; er ist dann bloß Vermittler und nicht Stellvertreter. Auch der Handelsmäkler (§ 93 HGB) hat keine Vertretungsbefugnis, er hat nur zu vermitteln; verhandeln die Parteien unter Vermittlung eines Handelsmäklers, so vollendet sich der Vertragsschluß schon dadurch, daß die Annahme des Angebots dem Makler gegenüber abgegeben wird, denn er ist zur Mitteilung und Entgegennahme der Parteierklärungen berechtigt und hat sofort nach Abschluß des Geschäfts (§ 94 HGB) den Parteien die Schlußnote zuzustellen, RG 104, 366. A n m . 21 V. Bote. Bote ist, wer einen fremden Willensentschluß übermittelt; er vertritt seinen Auftraggeber lediglich bei der Abgabe der Erklärung, nicht im Willen (RG 58, 347). Der Bote gibt eine fremde Willenserklärung, der Vertreter dagegen eine eigene Willenserklärung ab. Im Innenverhältnis hat der Bote keine Entscheidungsfreiheit; außerdem soll er die Erklärung als die seines Auftraggebers und nicht, wie der Vertreter, als eigene abgeben. Wer bewußt eine andere Erklärung als die ihm aufgetragene abgibt, mag zwar Bote sein, handelt aber nicht als solcher; darum ist § 120 in diesem Falle unanwendbar (RG H R R 1940, 1278 = SeuffArch 94 Nr. 70). Die Unterscheidung zwischen Boten und Stellvertreter ist schwierig. Wer sie bloß nach dem äußeren Auftreten sucht, läßt die Stellung entscheiden, die sich jemand anmaßt, und nicht die Stellung, die der Betreffende haben sollte. Das erscheint nur da gerechtfertigt, wo das

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Vertretung. Vollmacht

Vor § 164 Anm. 22—25

Verkehrsinteresse ein Festhalten am hervorgerufenen Anschein, am Auftreten oder der abgegebenen Erklärung erfordert (vgl. R G 68, 128; 95, 93); sonst wird man dagegen das Innenverhältnis für sich allein oder zusammen mit dem äußeren Auftreten entscheiden lassen müssen. Für die Beweisfrage wird man davon ausgehen dürfen, daß, wer nach dem Innenverhältnis Bote sein sollte, auch als Bote aufgetreten ist.

A n m . 22 V I . D o l m e t s c h e r . Der von dem der Landessprache unkundigen Vertragsteil zugezogene Dolmetscher ist nicht Stellvertreter im Sinne der §§ 164fr. Er wirkt nur bei der Abgabe einer fremden Willenserklärung mit, § 1 2 0 ist daher entsprechend anwendbar, RG L Z 1926, 917 4 .

A n m . 23 V I I . L e g i t i m a t i o n s z e s s i o n . Bei der Legitimationsübertragung wird die Form der Rechtsübertragung dazu benutzt, um den Ubertragungsempfänger, statt zum Rechtsinhaber zu machen, nach außen hin bloß als Inhaber des Rechts zu legitimieren. Eine wirkliche Übertragung wird nicht vorgenommen, da der Wille hierzu fehlt. Gleichwohl liegt kein Scheingeschäft vor, da die Beteiligten wollen, daß der Erwerber die Befugnisse des Rechtsinhabers auszuüben berechtigt ist. Bei Inhaber- und Namensaktien ist die Legitimationszession, die schon in der Rechtsprechung anerkannt war ( R G 30, 5 1 ; 40, 80; i n , 408, 1 1 8 , 330), nunmehr durch die §§ 1 1 0 Satz 2, 1 1 4 Abs. 4 AktGgesetzlich anerkannt. Sie entspricht der Abtretung einer Forderung zur Einziehung und der Übertragung eines Wechsels durch verdecktes Vollmachtsindossament. Die Legitimationsübertragung berechtigt, das übertragene Recht im eigenen Namen auszuüben, befreit aber nicht von den Beschränkungen oder dem Ausschluß des Stimmrechts nach § 1 1 4 Abs. 4—6 A k t G . Von der Stellvertretung unterscheidet sie sich in der Art der Handlungsbefugnis: während der Stellvertreter im fremden Namen auftritt, handelt der Legitimationszessionar im eigenen Namen (wie zuvor und R G 60, 1 7 2 ; 105, 289; 1 1 7 , 72; 1 3 3 , 2 4 1 ) . Auf eine der Aktiengesellschaft angenäherte Kommanditgesellschaft sind die Grundsätze über die Legitimationszession nicht anwendbar, B G H 20, 364.

VIII. Ermächtigung A n m . 24 1. A b g r e n z u n g . Die Ermächtigung gibt die Befugnis, ein fremdes Recht im eigenen Namen auszuüben. Darin unterscheidet sie sich zugleich von der Stellvertretung. Für Verfügungen ergibt sich die Zulässigkeit der Ermächtigung aus § 185. Die Ermächtigung macht eine Verfügung, die ein Nichteigentümer über einen Gegenstand trifft, sowohl im Verhältnis zum Erwerber wie im Verhältnis zum bisherigen Rechtsinhaber wirksam. Insoweit deckt sie sich mit der Einwilligung. Soweit sie dazu berechtigt, durch Rechtsgeschäft auf den Rechtskreis eines anderen einzuwirken, berührt sie sich aber auch mit der Vollmacht. Die Vertretungsmacht bezieht sich auf die Person des Vertretenen, die Ermächtigung betrifft das Verfügungsobjekt. Die Ermächtigung gibt immer nur die Macht, über ein bestimmtes Recht zu verfügen, die Verfügungsvollmacht bezieht sich nicht auf ein einzelnes Recht, sondern auf die ganze Rechtssphäre des Vollmachtgebers oder einen generell umschriebenen Ausschnitt davon. Das ist sicher nur ein Gradesunterschied ( M ü l l e r - F r e i e n f e l s , Die Vertretung beim Rechtsgeschäft (1955) S. 99/100). Aber es bleibt als echter Unterschied, daß die Ermächtigung zum Handeln im eigenen Namen berechtigt.

A n m . 25 2 . E i n z i e h u n g s e r m ä c h t i g u n g . Der Inhaber eines Rechts kann einen anderen ermächtigen, dieses Recht, ohne es ihm zu übertragen, im eigenen Namen geltend zu machen. Eine solche Einziehungsermächtigung berechtigt zur Klage, wenn ihr Inhaber ein eigenes rechtliches Interesse an der Verfolgung des fremden Rechts im eigenen Namen hat ( R G 170, 191 m. w. Nachw.; O G H 1, 3 3 5 ; B G H 4, 164/65; 19, 7 1 ; B G H L M Nr. 1 zu § 185 B G B ; N J W 1957, 1838).

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V o r § 164 A n m . 26, 27 Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

§164

Die Klage des Einziehungsermächtigten unterbricht die Verjährung, auch wenn sie prozeßrechtlich unzulässig ist, weil kein besonderes schutzwürdiges Interesse des Ermächtigten an der gerichtlichen Geltendmachung des fremden Rechts im eigenen Namen besteht ( B a u r J Z 1958, 246). A n m . 26 3. Verpflichtungsermächtigung. Umstritten ist die Frage, ob jemand ermächtigt werden kann, durch rechtsgeschäftliches Handeln im eigenen Namen für Rechnung eines anderen, des Ermächtigenden, einen Vertrag zu schließen oder sonstwie zu verpflichten —• Verpflichtungsermächtigung — (vgl. über den Streitstand E n n e c c e r u s / N i p p e r d e y §204 I 3 b und C o i n g in Staudinger Bern. 63c vor §§ 164fr, beide mit w. Nachw.). Bei Zustimmung des Betroffenen mögen zwar von dessen Seite her keine rechtlichen Bedenken gegen einen Vertrag zu Lasten eines Dritten bestehen, aber der Vertragsgegner hat ein berechtigtes Interesse daran, zu wissen, wer sein Schuldner ist. Gegen die Zulässigkeit der Verpflichtungsermächtigung spricht auch der Offenheitsgrundsatz im Vertretungsrecht (vgl. oben I 1), der sonst leicht umgangen werden könnte. A n m . 27 I X . Handeln für den, den es angeht (verdeckte Stellvertretung). Zahlreiche Geschäfte des täglichen Lebens werden von Bevollmächtigten vorgenommen, ohne daß zum Ausdruck kommt, daß im Namen eines anderen gehandelt wird. Wollte man auch diese Geschäfte dem Offenheitsprinzip (vgl. oben I 1) unterstellen, so würden sie nach § 164 Abs. 2 nicht für den Vertretenen, sondern in der Person des Vertreters wirksam. Das ist keine angemessene Lösung derjenigen Fälle, in denen dem anderen Teil ganz gleichgültig ist, mit wem er kontrahiert, und der Vertreter für seinen Geschäftsherrn handeln will. Alsdann besteht kein Interesse an der Einhaltung des Offenheitsprinzips, und der Schutzzweck des § 164 Abs. 2 entfällt. Unter den genannten Voraussetzungen kommt das Geschäft mit dem zustande, den es angeht. Bei Bargeschäften und ihrer Erfüllung wird dem Veräußerer in der Regel gleichgültig sein, wer sein Vertragspartner und Nachfolger im Eigentum wird. Bei Kreditgeschäften bedarf die Annahme eines Geschäfts, wen es angeht, besonders sorgfältiger Prüfung und überzeugender Begründung. Die Übereignung wird grundsätzlich an den vorgenommen werden, dem gegenüber erfüllt werden muß, um aus dem zugrunde liegenden Verpflichtungsgeschäft frei zu werden. Soll im Fall stiller Stellvertretung das Eigentum entgegen der Regel des § 164 Abs. 2 nicht auf den Vertreter sondern unmittelbar auf den Vertretenen übergehen, so muß folgendes zusammenkommen: a) dem Veräußerer muß die Person des Erwerbers gleichgültig sein, b) der Vertreter muß für seinen Machtgeber erwerben wollen und entweder muß er auch durch Vertrag mit sich selbst — Insichgeschäft — (§ 181) zugunsten des Vertretenen ein Besitzmittlungsverhältnis herstellen oder es muß zwischen ihm und dem Vertretenen ein Besitzdienerverhältnis (855) bestehen (RG 140, 223, 229; 100, 190, 192; 99, 208; 73, 4 1 5 ; J W 1928, 561 9 ). Die Voraussetzung zu a) ist bereits gegeben, wenn der Veräußerer tatsächlich zwar an den vor ihm Stehenden übereignen will, objektiv aber kein Interesse an der Person des Vertragsgegners zu haben braucht (Ohr ArchZivPrax. 150, 525, 529fF).

§164 Eine Willenserklärung, die jemand innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht i m Namen des Vertretenen abgibt, wirkt unmittelbar für und gegen den Vertretenen. E s m a c h t keinen Unterschied, ob die Erklärung ausdrücklich i m Namen des Vertretenen erfolgt oder ob die Umstände ergeben, daß sie in dessen Namen erfolgen soll. T r i t t der Wille, in fremdem Namen zu handeln, nicht erkennbar hervor, so k o m m t der Mangel des Willens, i m eigenen Namen zu handeln, nicht in Betracht. 586

Vertretung. Vollmacht

§ 164 Anm. 1

Die Vorschriften des Abs. 1 finden entsprechende Anwendung, wenn eine gegenüber einem anderen abzugebende Willenserklärung dessen Vertreter gegenüber erfolgt. E I 116 II 134; M I 225ff;P 1 136E

Übersicht Anm.

I. Allgemeines II. Vertretungswirkung 1. im Verhältnis zum Vertretenen 2. Das Innen Verhältnis 3. im Verhältnis zwischen Vertreter und Dritten III. Handeln im Namen des Vertretenen I V . Absatz 2 V . Passive Stellvertretung V I . Beweislast V I I . Vollmacht

1 2—4 2 3 4 5—7 8, 9 10 11 12

Anm. 1 I. Allgemeines Die §§ 164 fr beziehen sich nur auf die rechtsgeschäftliche Vertretung, also auf die Stellvertretung bei der Abgabe von Willenserklärungen. Stellvertretung liegt vor, wenn jemand ein Rechtsgeschäft in der Weise vornimmt, daß sich die Wirkung unmittelbar allein in der Person eines anderen äußern soll. Erforderlich ist, daß der Erklärende ausdrücklich oder wenigstens erkennbar i m N a m e n des a n d e r e n h a n d e l t und daß er zu einem solchen Handeln berechtigt ist. Diese Berechtigung kann entweder das Gesetz selbst bieten (gesetzliche Stellvertretung: väterliche Gewalt, Vormundschaft, Schlüsselgewalt der Ehefrau) oder eine dem Vertreter rechtsgeschäftlich erteilte Vollmacht (gewillkürte Stellvertretung; Bern. II 1 vor § 164). Der Stellvertreter muß auf Grund einer ihm zustehenden Vertretungsmacht handeln. Handelt jemand für einen anderen ohne Berechtigung, so kommen die §§ 177—180 zur Anwendung. Die Stellvertretung ist V e r t r e t u n g i m W i l l e n , nicht bloß Vertretung in der Erklärung. Der Stellvertreter übermittelt anders als der Bote (Bern. V vor § 164) nicht fremden Willensentschluß, sondern faßt selbständige, eigene Willensentschlüsse (RG 58, 347). Aus der unterschiedlichen Regelung für bloß durch Boten übermittelte Erklärungen (§ 120) und der Stellvertretung (§ 166 Abs. 1) folgt, daß der Stellvertreter das Geschäft abschließt und nur die Wirkungen des Geschäfts den Vertretenen treffen — R e p r ä s e n t a t i o n s t h e o r i e — (vgl. Bern. I 3 vor § 164). Ein Bevollmächtigter wird noch nicht dadurch zum Boten, daß er erst die Willensmeinung des Vollmachtsgebers einholt (RG 76, 99). Der Grundsatz, daß der Stellvertreter den Geschäftsherrn im Willen vertritt, bedeutet, daß nicht der Wille des Geschäftsherrn als der eigentliche Träger des Rechtsgeschäfts für dessen Entstehung und Rechtsbeständigkeit maßgebend ist, sondern vielmehr der Wille und die Erklärung des Vertreters. Bei Verträgen ist mithin allein der Vertreter derjenige, der den Vertrag abschließt, während Vertragspartei der Vertretene ist. Diese Auffassungsweise ist auch dann von besonderer Bedeutung, wenn ein Bevollmächtigter wider die ihm vom Machtgeber erteilten Weisungen handelt. Sind nämlich nach außen hin allein sein Wille und seine Erklärung maßgebend, so versteht es sich von selbst, daß das Rechtsgeschäft, sofern nur die Grenzen der Vollmacht selbst eingehalten werden, so gelten muß, wie der Vertreter es abgeschlossen hat, während die Weisungen des Vollmachtgebers grundsätzlich nur für das Innenverhältnis zwischen ihm und dem Vertreter von Belang bleiben (vgl. § 166 Anm. 26). Dasselbe gilt auch von Weisungen, die der abwesende Inhaber eines Handelsgeschäfts demjenigen erteilt hat, dem er für die Zeit seiner Abwesenheit die Leitung des Geschäfts übertragen hat (RG 106, 200). 587

§164 A n m . 2—4

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 2 II. V e r t r e t u n g s w i r k u n g 1. I m V e r h ä l t n i s z u m V e r t r e t e n e n . Die v o m Vertreter abgegebenen Willenserklärungen wirken unmittelbar f ü r u n d gegen den Vertretenen. Der Vertretene wird ohne weiteres u n d sofort berechtigt oder verpflichtet, so, als h ä t t e er selbst gehandelt. A u c h bei dinglichen Geschäften wirkt die z u m Rechtserwerb erforderliche, d u r c h den Vertreter vorgenommene „ E i n i g u n g " ( § § 8 7 3 , 929, 1032, 1205) unmittelbar zugunsten des Vertretenen. Gegen den Vertretenen können keine Rechte hergeleitet werden, w e n n der Vertreter seine Vertretungsmacht bewußt z u m Nachteil des Vertretenen m i ß b r a u c h t u n d der Dritte den M i ß b r a u c h k a n n t e oder kennen mußte, R G 52, 99; 75. 299; 134) 7 ' 5 I59> 363; J W 1931, 2229; D R 1941, 858 (vgl. auch § 166 A n m . 27). Die Wirkung der von einem rechtsgeschäftlichen Vertreter abgegebenen E r k l ä r u n g f ü r oder gegen den Vertretenen h ä n g t von d e m U m f a n g der Vertretungsmacht u n d d a m i t von d e m U m f a n g der erteilten Vollmacht ab. Diese ist der Auslegung z u g ä n g lich, soweit nicht der U m f a n g der Vertretungsmacht gesetzlich genau vorgeschrieben ist, wie z.B. in den §§ 370, 1630 BGB, 74 Abs. 2 AktG, 37 Abs. 2 G m b H G , 27 Abs. 2 GenG, 49, 50, 54, 56 HGB. D a m i t darf nicht verwechselt werden, d a ß v o m Vollmachtgeber erteilte Weisungen n u r i m Innenverhältnis gelten u n d die Vertretungsmacht des Bevollmächtigten Dritten gegenüber nicht berühren. Eine in die V o l l m a c h t s u r k u n d e aufgenommene Einschränkung der Vertretungsmacht ist beachtlich, auch w e n n die U r k u n d e beim Geschäftsabschluß nicht vorgelegt wird. Eine a u ß e r h a l b der Vollmachtsu r k u n d e erklärte Einschränkung ist wirksam, wenn der Inhalt der V o l l m a c h t s u r k u n d e d e m Geschäftsgegner weder vorgezeigt noch mitgeteilt worden ist ( B G H 30. 6. 54 I I Z R 132/53)Ist die Vertretungsbefugnis der Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft, der Geschäftsführer einer G m b H oder der Vorstandsmitglieder einer Genossenschaft d u r c h den Gesellschaftsvertrag (Satzung, Statut) beschränkt, so bedarf das u n d j e d e Änder u n g der Vertretungsbefugnis der Eintragung ins Handels-(Genossenschafts-)Register; die Bezugnahme auf die beim Gericht eingereichten U r k u n d e n genügt nicht (§§ 32, 148 A k t G ; 10, 54 G m b H G ; 16, 26, 29 G e n G ) . Ebenso hängt die Wirksamkeit einer d u r c h Satzungsänderung beschlossenen Beschränkung derVertretungsmacht des Vorstandes eines eingetragenen Vereins davon ab, d a ß die Beschränkung ins Vereinsregister eingetragen ist u n d d a ß die E i n t r a g u n g die Beschränkung unmittelbar wiedergibt; eineEintragung, d a ß die Satzung n a c h M a ß g a b e des über den Beschluß a u f g e n o m m e n e n Protokolls geändert sei, genügt nicht ( B G H 18, 303). Anm. 3 2. D a s I n n e n v e r h ä l t n i s Das Rechtsverhältnis zwischen d e m Vertretenen u n d d e m Vertreter regelt sich nach, den der Vollmachterteilung z u g r u n d e liegenden Rechtsbeziehungen (vgl. Bern. I 2 vor § 164 u n d unten A n m . 12). Der Vertreter h a t gegen den Vertretenen auf G r u n d d e s bloßen Vollmachtsverhältnisses keine Klage auf Erfüllung des im N a m e n des Vollmachtgebers wirksam abgeschlossenen Vertrags ( R G 24. 3. 11 I I I 58/10). Anm. 4 3. I m V e r h ä l t n i s z w i s c h e n V e r t r e t e r u n d D r i t t e n Ein Rechtsverhältnis zwischen d e m Vertreter u n d d e m Dritten entsteht bei d e r befugten unmittelbaren Stellvertretung ü b e r h a u p t nicht (RG L Z 1927, 4 5 1 6 : G e n e r a l vollmacht). A u c h ein Verschulden des Vertreters beim Vertragsschluß m a c h t im allgemeinen n u r den Vertretenen, nicht aber den Vertreter auf vertragsähnlicher G r u n d lage schadensersatzpflichtig (RG 1 3 1 , 357; 132, 80). U n t e r U m s t ä n d e n k a n n aber d e r Vertreter persönlich f ü r ein Verschulden bei Vertragsverhandlungen oder b e i m V e r tragsschluß h a f t b a r gemacht werden. Das gilt insbesondere f ü r einen Vertreter, der a n d e m erstrebten oder vollzogenen Geschäftsabschluß ein eigenes wirtschaftliches I n t e r esse gehabt h a t (RG 120, 249, 252; 132, 76, 80; 159, 5 4 ; B G H 14, 3 1 3 , 3 1 8 ; B a l l e r s t e d t A c P 1 5 1 , 501 ff; S t a u d i n g e r / C o i n g § 164 A n m . 17). Der Vertreter haftet a u c h d a n n , wenn er in besonderem M a ß e persönliches V e r t r a u e n in Anspruch g e n o m m e n

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Vertretung. Vollmacht

§164 Anm. 5

und dadurch die Vertragsverhandlungen beeinflußt hat; einen solchen Vertreter trifft auch persönlich die Pflicht ( B G H L M Nr. i zu § 276 [ F b ] B G B ; B G H L M Nr. 1 zu § 307 B G B ) , bei den Vertragsverhandlungen Tatsachen, zu offenbaren, die für den Willensentschluß des anderen Teils von wesentlicher Bedeutung sind und deren Mitteilung von ihm nach Treu und Glauben erwartet werden muß, B G H 4. 12. 1958 I I Z R 168/57. Dagegen ist der Vertreter persönlich nicht schon deshalb haftbar, weil er das Rechtsgeschäft in Vertretung eines dem Namen nach Unbekannten abgeschlossen hat. ( R G SeuffArch 78 Nr. 63). Doch ist es nicht ausgeschlossen, daß sich der Bevollmächtigte neben dem Vollmachtgeber vertraglich gleichzeitig selbst verpflichtet, was mangels ausdrücklicher Abrede auch aus den Umständen hervorgehen kann ( R G J W 1 9 3 1 , 1028 5 ; R G SeuffArch 81 Nr. 85; R G L Z 1927, 451 6 ).

Anm. 5 III. Handeln im Namen des Vertretenen Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Abs. 1 Satz 1 ist, daß der Vertreter im Namen des Vertretenen gehandelt hat, B G H 2, 144. Auch der vertretungsberechtigte Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft muß, wenn durch seine Erklärungen die offene Handelsgesellschaft verpflichtet werden soll, für den Dritten erkennbar in deren Namen auftreten ( R G 1 1 9 , 64). Aus einer Erklärung, die für einen anderen wirksam werden soll, wird dieser nur berechtigt und verpflichtet, wenn derjenige, der lediglich im Namen dieses Dritten Erklärungen abgeben will, dies auch ausdrücklich erklärt oder wenn die Umstände dies der Gegenseite erkennbar ergeben, B G H L M Nr. 1 zu § 5 1 7 Z P O . Das letztere ist der Fall, wenn der Handelnde in fremden Diensten steht (Angestellter, Beamter) und das Geschäft den Belangen seines Dienstherrn dient. Wer mit dem Bevollmächtigten eines geschäftlichen Betriebes kontrahiert, schließt mit dem Inhaber ab, mag er auch den Stellvertreter irrtümlich für den Inhaber halten, R G J W 1 9 2 1 , 1309 und unten Anm. 8. Hat ein Beamter doppelte Funktionen und tritt beim Vertragsschluß nicht klar zutage, in welcher seiner beiden amtlichen Eigenschaften er tätig werden wollte, so kommt es darauf an, in welcher dieser Eigenschaften er tätig geworden ist, B G H 5, 279. Der Wille, im Namen eines andern zu handeln, braucht nicht durch die Nennung seines Namens erkennbar gemacht zu werden ( R G 140, 3 3 8 ; R G SeuffArch 78 Nr. 63). Tritt der Wille, im fremden Namen zu handeln, erkennbar hervor, so ist es unerheblich, ob die Person des Vertretenen mit Namen benannt wird, B G H W M 1957, 710. Das Handeln in fremdem Namen setzt die Angabe des Namens des Vertretenen nicht voraus; ein Stellvertreter kann einen Vertrag auch zwischen Personen, die sich unbekannt bleiben, zustande bringen ( R G J W 1936, 1952 4 ; B G H W M 1957, 7 1 0 ) . Auch wenn ein Angebot an die Privatadresse des Vertreters gerichtet und von diesem unter seinem Namen angenommen wird, können doch die Umstände ergeben, daß der Vertragsschluß dem Vertretenen gelten sollte ( R G WarnRspr 1 9 1 8 Nr. 3). Ein von den Gesellschaftern gemeinschaftlich gemachter Erwerb gilt als Erwerb der G e sellschaft, auch wenn der Wille, für sie zu erwerben, dem Gegner gegenüber nicht kundgetan worden ist ( R G 24. 1. 14 V 444/13). Es spricht keine Vermutung dafür, daß der Teilhaber einer Erwerbsgesellschaft, dessen Namen mit der Gesellschaftsfirma gleichlautet, und der ein Geschäft in dem Handelszweige der Gesellschaft abschließt, dies nicht für sich, sondern für die Gesellschaft tut; gegebenenfalls könnte mangelnde Willensübereinstimmung in Frage kommen ( R G WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 2 1 0 ) . Wer erkennbar im Auftrage und im Interesse eines Dritten ein Rechtsgeschäft im eigenen Namen abschließt, haftet mit seinem eigenen Vermögen, sofern nicht eine Beschränkung der Haftung als vereinbart anzusehen ist ( R A G J W 1934, 3775 R G Z A k D R 1937, 58). K a u f t ein Bankangestellter bei seiner Bank Wertpapiere im eigenen Namen, aber für Rechnung eines Dritten, so entstehen unmittelbare Beziehungen zwischen der Bank und dem Dritten nicht, auch wenn der Bank erkennbar ist, daß ihr Angestellter für Rechnung eines anderen handelt ( R G SeuffArch 82 Nr. 20). Es ist nicht ungewöhnlich, daß der Vermittler, um seine Geschäftsbeziehungen geheimzuhalten, nach beiden Seiten den Namen des anderen Vertragsteils nicht nennt, obwohl er, beiden Teilen erkennbar, selbst nicht als Vertragsteil, sondern nur als Vermittler gelten will; dann

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§164

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A n m . 6—8 kommt der Vertrag zwischen den beiden Personen zustande, die sich vorerst nicht kennen, bei glatter Ausführung auch nicht kennen zu lernen brauchen ( R G J W 1936, I952 4 ).

Anm. 6 Es ist zulässig, daß jemand eine Willenserklärung z u g l e i c h i m e i g e n e n u n d i m f r e m d e n N a m e n abgibt ( R G 6 1 , 347; 75, 3 ; 127, 1 0 5 ; WarnRspr 1927 Nr. 42) und daß der Stellvertreter sich gleichzeitig selbst dem Gegner vertraglich verpflichtet ( R G J W 1 9 3 1 , 1028).

Anm. 7 Ist die V o l l m a c h t nach dem Willen des Vollmachtgebers ü b e r s e i n e n T o d h i n a u s wirksam und schließt der Vertreter ein Geschäft in dessen Namen zu einer Zeit ab, als dieser, wie ihm noch nicht bekannt ist, bereits gestorben ist, so ist das Geschäft für und gegen den Erben wirksam, auch wenn der Vertreter der alleinige Erbe seines Vollmachtgebers ist, denn es ist anzunehmen, daß der Inhaber einer solchen Vollmacht für den jeweils Betroffenen handelt (vgl. über den Meinungsstand B G H N J W 1954, 1 4 5 ) ; unter Umständen kann aber der Vertragsgegner wegen Irrtums über die Person des Geschäftsgegners anfechten ( C o i n g in Staudinger § 164 Anm. 9a). Ein Vertrag, der von einem V e r t r e t e r o h n e V e r t r e t u n g s m a c h t i m N a m e n e i n e s V e r m i ß t e n geschlossen wurde, kann durch Genehmigung der Erben des Vermißten wirksam werden, sobald sich ergibt, daß der Vertretene zur Zeit des Vertragsschlusses nicht mehr lebte, B G H N J W 1954, 145.

Anm. 8 IV. Absatz 2 Ist der Vertreter weder ausdrücklich noch erkennbar namens des zu Vertretenden aufgetreten ( R G 85, 183), hat er aber auch nicht den Willen gehabt, in eigenem Namen zu handeln, so fehlt es sowohl an den Voraussetzungen der Stellvertretung nach Abs. 1 wie an dem eigenen Geschäftswillen ( R G 58, 276). An sich könnte daher die Erklärung des Vertreters weder in der Person des Vertretenen (§ 164 Abs. 1 Satz 1) noch in der des Vertreters Wirksamkeit erlangen. Ein Rechtsgeschäft käme unter solchen U m ständen überhaupt nicht zustande. Das Gesetz schützt jedoch das Verkehrsinteresse auch hier, indem es vorsieht, daß der Mangel des eigenen Geschäftswillens auf Seiten des Vertreters nicht in Betracht kommt. Das bedeutet, daß das Geschäft zwischen dem Dritten und dem Vertreter trotz seines entgegengesetzten Willens ( R G 58, 276; 99, 208) zustande kommt und daß der einem Eigenabschluß entgegenstehende, aber nicht erkennbar hervorgetretene Wille keinerlei Einfluß hat, insbesondere auch nicht zur Anfechtung wegen des Mangels eines eigenen Geschäftswillens (§ 1 1 9 ) berechtigt, B G H L M Nr. 1 zu § 5 1 7 Z P O . Diese Regel anzuwenden, liegt freilich dann kein Anlaß vor, wenn nicht nur vom Vertreter, sondern auch vom Geschäftsgegner der Abschluß des Geschäfts mit Wirkung für den Vertretenen gewollt war ( R G J W 08, 2g 3 ; 1 9 2 1 , 1309 4 ); das trifft insbesondere dann zu, wenn jemand mit dem im Geschäftsraum anwesenden Bevollmächtigten des Geschäftsinhabers in der irrigen Annahme verhandelt, es mit dem Inhaber selbst zu tun zu haben ( R G 67, 149; WarnRspr 1 9 1 0 Nr. 3 1 6 ; J W 1 9 2 1 , 1309 4 , wo es sich darum handelte, daß der Ehemann der Beklagten auf deren Gut Pflanzen für dieses gekauft hatte). Wer mit einem Gewerbetreibenden abschließt, will in der Regel mit dem Betriebsinhaber kontrahieren, auch wenn er den Verhandelnden für den Inhaber des Betriebes hält, R G 30, 77; 67, 148; 95, 188; R G SeufFArch 76 Nr. 1 7 6 ; B G H 2 1 . 3. 57 I I Z R 260/55; B G H W M 1957, 1284. Das gilt insbesondere, wenn wahrnehmbare äußere Umstände darauf hinweisen, daß als Geschäftsinhaber und damit als Vertragspartner ein anderer als der Verhandelnde in Betracht kommt, B G H W M 1957, 1284, 1285. § 164 Abs. 2 greift dagegen Platz, wenn der Bevollmächtigte den Vertrag mit dem Namen des Vollmachtgebers unterschreibt, der Vertragsgegner aber annahm und annehmen durfte, der Verhandelnde selbst sei sein Vertragspartner ( R G 95, 188). Ist fraglich, wer eine Erklärung abgegeben hat, so sind für die Feststellung dessen nicht

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Vertretung. Vollmacht

§164 A n m . 9—12

die §§ 133, 157, sondern die §§ 164, 177 maßgebend (RG 87, 145). Auszahlung eines Scheckbetrages, wenn der Vorzeiger nicht zum Ausdruck bringt, daß er den Betrag für einen andern abhebe, s. RG WarnRspr 1923/24 Nr. 158. Anm. 9 Auch bei der d i n g l i c h e n E i n i g u n g (bei der Übergabe gibt es keine Stellvertretung, RG J W 1933, 215 1 ; vgl. auch Bern. II 7 c vor § 164) regelt sich die Frage, ob der Vertreter, der nicht erkennbar im Namen des Machthabers handelt, seinerseits das Recht erwirbt, oder ob es gegebenenfalls der Machtgeber erwirbt, nach der Regel des Abs. 2 (RG 140, 229). Grundsätzlich wird sich also im vorausgesetzten Fall der Rechtserwerb in der Person des Vertreters und nicht des Vertretenen vollziehen, beispielsweise der Erwerb des Eigentums an den vom Geschäftsgegner veräußerten Sachen. Auch der Strohmann als stiller Stellvertreter erwirbt das Eigentum an der ihm vom Veräußerer übergebenen Sache (RG LZ 1921, 23 2 ; RG Gruchot 66, 100). Es ist jedoch für den Fall eine Ausnahme zu machen, daß dem Veräußerer die Person des Erwerbers gleichgültig ist und der Vertreter den Willen hat, das Recht für seinen Machtgeber zu erwerben (vgl. Bern. I X vor § 164). Das ist beim Schuldrechtsverhältnis deshalb anders, weil bei ihm die Person des Schuldners regelmäßig von wesentlicher Bedeutung ist (RG 58, 277). Ist ein Fall des § 164 Abs. 2 gegeben, so bleibt der Vertreter dem Verkäufer gegenüber der Berechtigte und Verpflichtete, auch wenn er das Eigentum sofort für den Geschäftsherrn erwirbt (RG 99, 208; 100, 192). Durch die Einzahlung eines S p a r k a s s e n g u t h a b e n s wird, gleichgültig, auf wessen Namen das Buch ausgestellt ist, derjenige der Gläubiger, zu dessen Gunsten die Einzahlung erfolgt ist, da die Sparkasse nur mit dem wirklichen Darlehnsgeber den Vertrag abschließen will; der Abs. 2 des § 164 steht dem nicht entgegen (RGSt. 43, 17). A n m . 10 V. P a s s i v e Stellvertretung Sie besteht darin, daß jemand die Vertretungsmacht besitzt, für einen anderen Willenserklärungen entgegenzunehmen (vgl. Bern. I I 5 vor § 164). Sie kommt sowohl bei schuldrechtlichen, wie bei dinglichen Rechtsgeschäften in Frage. Die Erklärung muß dem Vertreter gegenüber erkennbar in dieser Eigenschaft abgegeben sein; es ist dagegen nicht erforderlich, daß auch der Vertreter die Erklärung als Vertreter in Empfang zu nehmen willens war. A n m . 11 VI. B e w e i s l a s t Wendet der Vertragschließende ein, die Wirkungen seiner rechtsgeschäftlichen Erklärung träfen nicht ihn, sondern einen Dritten, in dessen Namen er die Erklärung abgegeben habe, so trifft ihn im vollen Umfang die Beweislast für diejenigen Voraussetzungen, von denen nach § 164 Abs. 1 die Wirkung einer Willenserklärung für und gegen einen Vertretenen abhängt (BGH L M Nr. 1 zu § 517 Z P O m. w. Nachw.; RG 95» 190/91; O L G Stuttgart M D R 1954, 415). A n m . 12 VII. Vollmacht Vollmacht ist die durch Rechtsgeschäft erteilte Vertretungsmacht (§ 166 Abs. 2). Ihr Rechtsbestand ist von dem ihr zugrunde liegenden Rechtsverhältnis unabhängig (Bern. I 2 vor § 164). Die Vollmacht kann auch durch schlüssige Handlung, ja, stillschweigend erteilt werden. Hierzu gehört der Wille, Vollmacht einzuräumen oder eine erloschene Vollmacht aufrechtzuerhalten. Der schlüssig oder stillschweigend Bevollmächtigte ist wirklicher Vertreter; die von ihm abgeschlossenen Geschäfte berechtigen und verpflichten den Vertretenen, ohne daß es darauf ankommt, ob der Geschäftsgegner an das Bestehen der Vertretungsmacht geglaubt hat oder nicht (vgl. § 167 Anm. 2, 3).

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§165 §166 Anm. 1

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

§165 Die Wirksamkeit einer von oder gegenüber e i n e m Vertreter abgegebenen Willenserklärung wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß der Vertreter i n der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist. E II 135; P I 138ff.

Die Bestimmungen der §§ 107, 108 beschränken die Geschäftsfähigkeit der Minderjährigen und der ihnen nach § 114 Gleichgestellten nur in Richtung auf ihre eigenen Angelegenheiten. Die beschränkte Geschäftsfähigkeit des Vertreters schließt dagegen seine Fähigkeit zur Vornahme von Rechtsgeschäften namens anderer nicht aus. G e s c h ä f t s u n f ä h i g e , deren Willenserklärungen nichtig sind (§ 105), können jedoch nicht Stellvertreter sein. Der § 165 greift sowohl bei der gewillkürten wie bei der gesetzlichen Vertretung Platz, und zwar sowohl im Falle befugter wie nicht befugter Stellvertretung. Uber den Ausschluß der Haftung des minderjährigen Vertreters vgl. § 179 Abs. 3 Satz 2.

§166 Soweit die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch Willensm ä n g e l oder durch die Kenntnis oder das K e n n e n m ü s s e n g e w i s s e r U m s t ä n d e beeinflußt werden, k o m m t nicht die P e r s o n des Vertretenen, sondern die d e s Vertreters in Betracht. Hat i m Falle einer durch Rechtsgeschäft erteilten Vertretungsmacht (Vollm a c h t ) der Vertreter nach b e s t i m m t e n Weisungen des Vollmachtgebers gehandelt, so kann sich dieser in A n s e h u n g solcher U m s t ä n d e , die er s e l b s t kannte, nicht auf die Unkenntnis des Vertreters berufen. Dasselbe gilt von U m s t ä n d e n , die der Vollmachtgeber kennen m u ß t e , sofern das K e n n e n m ü s s e n der Kenntnis gleichsteht. E I 117 II i j 6 f ; M I 226ff; P I i t f g .

Ubersicht Anm.

I. II. III. IV. V.

Der Grundsatz Anwendungsfälle Bei mehreren Vertretern Absatz Die vom Vertreter begangene arglistige Täuschung 1. Anfechtung 2. Schadensersatz VI. Vollmacht 1. Allgemeines 2. Anfechtbarkeit der Vollmacht 3. Umfang der Vollmacht 4. Mißbrauch der Vollmacht 5. Untervollmacht, Ersatzvollmacht 6. Spezial- und Generalvollmacht 7. Gesamtvollmacht 8. Geschäftsstatut 9. Prozeßvollmacht

1 2—9 10 11—16 17—23 17 18—23 24—32 24 25 26 27 28 29 3° 31 32

Anm. 1 I. Der Grundsatz Wird eine Willenserklärung durch einen Stellvertreter abgegeben, so ist es zwar seine eigene, aber sie wirkt für und gegen den Vertretenen. Weil das Rechtsgeschäft 592

Vertretung. Vollmacht

§166

Anm. 2—6 ausschließlich auf der Willensentschließung und der Willenserklärung des Vertreters beruht ( § 1 6 4 Abs. 1), ist die Frage, ob ein Irrtum erheblich ist, aus der Person des Vertreters zu entscheiden (RG 58, 347; 59, 349; 76, 109; 78, 3 5 3 ; 106, 200). Das gleiche gilt, wenn es sich um das Kennen oder Kennenmüssen gewisser Umstände, also die Gutgläubigkeit (§ 932), die Kenntnis von Mängeln (§ 460) oder das subjektive Erfordernis nach § 122 Abs. 2 handelt. Da der Vertreter der Vertragschließende ist, ist zu prüfen, wie er sich bei richtiger Kenntnis der Dinge verhalten haben würde. Zu beachten ist aber, daß der Vertretene der sachlich Berechtigte ist und daß deshalb für den Vertreter die Rücksicht auf das Interesse des Vertretenen maßgebend gewesen sein wird. Nimmt der Vertreter irrtümlich an, die von ihm abgegebene Willenserklärung entspreche dem ihm vom Vertretenen erteilten Auftrag, so irrt er sich nicht über den Inhalt seiner Erklärung (RG 82,193). Der Vertretene hat die Kaufgewährrechte nur, wenn der Vertreter den Fehler der Kaufsache nicht kannte; andererseits kommt ihm die Unkenntnis des Vertreters zugute. In dem Sonderfall, daß die Vollmacht im eigenen Interesse des Bevollmächtigten oder im Interesse eines Dritten erteilt ist, sind die eigenen Verhältnisse des Vertreters oder die des Dritten maßgebend. Erstreckt sich die Vollmacht auf die Ausübung des Anfechtungsrechts, so hat der Vertreter ohne schuldhaftes Zögern anzufechten, nachdem er von dem Anfechtungsgrunde Kenntnis erlangt. Beim gesetzlichen Vertreter kommt für die Rechtzeitigkeit der Anfechtung in jedem Falle nur seine Kenntnis in Betracht. Anm. 2 II. Airwendungsfälle § 166 greift auch da Platz, wo zwar k e i n e e i g e n t l i c h e S t e l l v e r t r e t u n g stattfindet, jemand aber wenn auch kraft eigenen Rechtes so doch mit unmittelbarer Wirksamkeit für andere Rechtsgeschäfte abschließt, wie beispielsweise der Zwangsverwalter (RG 2 1 . 9. 18 V 122/18). Anm. 3 Eine weitere Folge des Grundsatzes des Abs. 1 ist es, daß der Vertretene durch b e w u ß t w a h r h e i t s w i d r i g e E r k l ä r u n g e n des Vertreters keine Rechtsvorteile erlangen kann. Insbesondere verliert der Versicherungsnehmer den Versicherungsanspruch, wenn sein Stellvertreter über den Schadenshergang wissentlich falsche Angaben macht und damit nach dem Vertrage der Verlust des Versicherungsanspruchs verbunden ist (RG 58, 343). Anm. 4 Weil der Besitzdiener nicht Vertreter ist und ein Besitzerwerb nicht auf Willenserklärungen beruht (vgl. Bern. I I 7c vor § 164), ist § 166 Abs. 1 beim B e s i t z e r w e r b d u r c h B e s i t z d i e n e r nicht anwendbar. Rechtswirkungen, die aus der Bösgläubigkeit des Besitzers folgen (§ 990), können daher nicht dadurch entfallen, daß der für ihn handelnde Besitzdiener gutgläubig war. Dagegen kann eine Bösgläubigkeit des zum Besitzerwerb benutzten Besitzdieners in entsprechender Anwendung des in den §§ 166, 831 enthaltenen Rechtsgedankens die Haftung des gutgläubigen unmittelbaren Besitzers begründen, wenn er bei der Auswahl und Überwachung des Besitzdieners nicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat (BGH 16, 260). Anm. 5 Ein I r r t u m des Vertreters ü b e r d e n I n h a l t des i h m e r t e i l t e n A u f t r a g s begründet keinen Anfechtungsgrund ( R G Gruchot 49, 1049; J W 1 9 1 3 , 733 1 )Anm. 6 Die Grundsätze des Abs. 1 finden auch auf dem Gebiete der G l ä u b i g e r a n f e c h t u n g in und außerhalb des Konkurses Anwendung (RG 68, 375; 72, 1 3 3 ; 80, 5). Auf die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters eines Minderjährigen von der Benachteiligungsabsicht des Schuldners kommt es also an, und zwar auch dann, wenn der Minderjährige vom Vormundschaftsgericht gehört worden ist und dieses erst dann den

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§ 166

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A n m . 7—11 Vertrag genehmigt hat (RG 26. 1. 1932 V I I 275/31). Hat aber z. B. der minderjährige Anfechtungsgegner die rechtsgeschäftliche Willenserklärung selbst abgegeben, dann kommt es für die Kenntnis der Benachteiligungsabsicht nur auf seine Person an; denn die nachträgliche Genehmigung durch den gesetzlichen Vertreter macht die Willenserklärung nicht zu einer solchen des Vertreters, und in diesem Falle ist § 166 Abs. 1 nicht anwendbar (RG 1 1 6 , 134). Anm. 7 Ferner ist Abs. 1 anzuwenden bei einem vom a u f t r a g s l o s e n G e s c h ä f t s f ü h r e r abgeschlossenen und nachträglich genehmigten Rechtsgeschäft (RG 68, 376; 135, 2 1 9 ; 1 6 1 , 1 6 1 ) unbeschadet einer Anfechtung der Genehmigung als einer vom Geschäftsherrn allein ausgehenden Erklärung wegen Willensmängeln, die bei ihm vorlagen ( R G 24. 1. 1925 V 338/24). Die Kenntnis des bloßen Vermittlers ersetzt nicht die fehlende Kenntnis des Geschäftsherrn (RG WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 86). Schließt aber der Vermittler das Geschäft selbst ab, dann liegt (auftragslose) Stellvertretung vor (RG WarnRspr 1 9 1 0 Nr. 3 2 1 ) ; genehmigt der vollmachtlos Vertretene das Geschäft, so hat er in entsprechender Anwendung des § 166 Abs. 1 für das Verschulden des Vertreters ohne Vertretungsmacht einzustehen, R G 1 3 1 , 357. Anm. 8 Der V e r s i c h e r t e , der sich auf Reisen begibt, muß sich gefallen lassen, daß derjenige, den er sonst zu einer geschäftlichen Vertretung bestellt hat, auch in bezug auf Vorschriften des Versicherungsvertrags, die an Ort und Stelle und ohne Aufschub erfüllt werden müssen, als sein Vertreter angesehen wird; aus der Person des Vertreters ist dann in entsprechender Anwendung des § 166 Abs. 1 zu beurteilen, ob die durch den Versicherungsvertrag begründeten Obliegenheiten erfüllt sind ( R G SeuffArch 80 Nr. 13). Anm. 9 Ist jemand g l e i c h z e i t i g V e r t r e t e r b e i d e r T e i l e (§ 181), dann ist seine Kenntnis oder das Kennenmüssen notwendig beiden Vertretenen in gleicher Weise zuzurechnen ( R G 74, 414). A n m . 10 III. B e i m e h r e r e n V e r t r e t e r n Hat eine j u r i s t i s c h e P e r s o n ein aus mehreren Mitgliedern bestehendes Vertretungsorgan, so schadet ihr bereits die Kenntnis oder das Kennenmüssen eines Organmitglieds, auch des am Geschäftsabschluß unbeteiligten. Denn das Wissen eines Organmitglieds ist das Wissen der juristischen Person, R G J W 1935, 2044; B G H W M 1955, 830, 832; N J W 1956, 869 m. w. Nachw.; B G H 17. 5. 1956 I I Z R 10/55. Auch der S t a a t muß sich die Kenntnis auch nur eines seiner am Geschäftsabschluß beteiligten Vertreter zurechnen lassen (RG 59, 408). Bei der G e s a m t v e r t r e t u n g steht dagegen nur die Kenntnis, der böse Glaube und die Arglist eines der mehreren am Geschäftsabschluß beteiligten Gesamtvertreter der Kenntnis des Vertretenen gleich, R G 53, 2 3 1 ; 5 1 , 408; 78, 354; 134, 36. Hat der Vertretene außer der zur Gesamtvertretung berufenen Zahl von Personen noch weitere Personen Gesamtvertretung erteilt, so kommt es allein auf die Gutgläubigkeit der am einzelnen Geschäft mitwirkenden Gesamtvertretern an. Im Falle der Gesamtvertretung genügt sowohl für die Haftung aus unerlaubter Handlung wie für die vertragliche Haftung das Verschulden eines Vertreters, um die Haftung des Vertretenen zu begründen (RG 1 1 0 , 1 4 5 ; 1 1 7 , 145; 1 3 1 , 3 5 5 ; R G WarnRspr 1932 Nr. 127 m . w . Nachw.). A n m . 11 IV. Absatz 2 Beruht die Vertretungsmacht auf einer durch Rechtsgeschäft erteilten Vollmacht und handelt der Vertreter nach bestimmten Weisungen, so kann der Vertretene nicht

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Vertretung. Vollmacht

§166

A n m . 12—16

die Unkenntnis seines Vertreters vorschützen, wenn er selbst die Kenntnis hatte oder haben mußte. Diese Ausnahmebestimmung will das Interesse des Dritten schützen und gilt daher nur zuungunsten des Vertretenen; sie wird darum nur praktisch, wenn der Vertreter keine Kenntnis hatte. Andernfalls greift schon die Grundregel des Abs. i durch. Hat ein dem Vertreter übergeordneter Generalbevollmächtigter dem Vertreter die Weisungen erteilt, dann kommt es auch auf seine Schlechtgläubigkeit an (RG Gruchot 58, 907; WarnRspr 1932 Nr. 1 3 5 ; s. auch R G 146, 353). A n m . 12 Der Begriff „nach bestimmten Weisungen" ist nicht zu eng auszulegen (RG 1 3 1 , 356; 161, 153, 1 6 1 ; § 164 Abs. 2 ist schon dann gegeben, wenn der Bevollmächtigte zu dem bestimmten Geschäft schreitet, zu dessen Vornahme der Vollmachtgeber ihn veranlaßt hat (RG J W 1916, 3 1 7 2 ; hier war einem Rechtsanwalt Vollmacht zur Einklagung eines Wechsels und damit „gemäß" § 81 Z P O ohne weiteres auch Vollmacht zum Betrieb der Zwangsvollstreckung erteilt worden"; ferner R G SeuffArch 82 Nr. 41). A n m . 13 Abs. 2 gilt ausschließlich bei der gewillkürten Stellvertretung, einschließlich des Falles der Stellvertretung ohne Vertretungsmacht (RG 68, 376), aber auch bei der dinglichen Einigung (RG 62, 218; 137, 27). Auf die Vertretung ohne Vertretungsmacht findet § 166 Abs. 2 mit der Maßgabe Anwendung, daß an Stelle der Vollmacht und der bestimmten Weisungen die Genehmigung des Geschäftsherrn tritt (RG 128, 1 1 6 ; R G J W 1937, 2515 1 0 und § 177 Anm. 5). A n m . 14 Der R e c h t s g e d a n k e des § 1 6 6 A b s . 2 ist verwendbar, wenn eine Prozeßpartei ihren Prozeßbevollmächtigten zur Abgabe eines Geständnisses bewußt unrichtig informiert; in diesem Falle ist der Widerruf des Geständnisses (§ 290 ZPO) ausgeschlossen, R G 146, 348, 353. A n m . 15 Der K o m m i t t e n t kann sich auf einen Irrtum des Kommissionärs über das verkaufte Kommissionsgut nicht berufen, wenn er nicht selbst im Irrtum war, R G 124, 1 1 5 . A n m . 16 Auf den g e s e t z l i c h e n V e r t r e t e r ist § 166 Abs. 2 unanwendbar, da die Vorschrift von der „durch Rechtsgeschäft erteilten Vollmacht" und von „Weisungen des Vollmachtgebers" spricht. Benutzt aber ein Ehemann die Schlüsselgewalt (§ 1357), um mit Hilfe seiner gutgläubigen Frau Sachen zu erwerben, die, wie er weiß, nicht dem Veräußerer gehören, so ist ein dem § 166 Abs. 2 gleichwertiger Tatbestand gegeben, der die entsprechende Anwendung der Vorschrift rechtfertigt ( N e u m a n n - D u e s b e r g J R 1 9 5 0 , 332; E n n e c c e r u s / N i p p e r d e y § 182 Anm. 15). Beim bösgläubigen Minderjährigen, der seinen gutgläubigen Vater oder Vormund veranlaßt, für ihn eine dem Veräußerer nicht gehörende Sache zu erwerben, liegt es anders, da er niemandem Vollmacht oder Weisungen rechtswirksam erteilen kann. Das Reichsgericht (RG 161, 153, 161 hält den Fall des Handelns nach bestimmten Weisungen schon dann für gegeben, wenn „der Bevollmächtigte zu dem bestimmten Geschäft schreitet, zu dessen Vornahme ihn der Vollmachtgeber veranlassen wollte". Dagegen geht M ü l l e r - F r e i e n f e l s (Die Vertretung beim Rechtsgeschäft, 1955 S. 396 ff) zu weit, wenn er sowohl beim Bevollmächtigten wie beim gesetzlichen Vertreter genügen lassen will, daß der Vertretene nicht eingreift, keine Weisungen erteilt, falls der Vertreter vor der Herbeiführung einer Rechtsfolge steht, die der Vertretene wegen seiner Kenntnis der Dinge selbst handelnd nicht für sich erreichen könnte.

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§166 Anm. 17—20

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 17 V. Die vom Vertreter begangene arglistige Täuschung § 166 trifft keine Bestimmung für den Fall, daß sich der Vertreter einer arglistigen Täuschung oder einer Drohung dem Geschäftsgegner gegenüber schuldig gemacht hat.

1. Anfechtung Der Vertreter ist nicht Dritter im Sinne des § 123, der Geschäftsherr muß daher die Handlungsweise des Vertreters unmittelbar gegen sich gelten lassen, R G 58, 3 4 7 ; 76, 107. Die Anfechtung aus § 123 kann auch auf eine arglistige Handlungsweise des Vertretenen selbst gestützt werden; das gilt auch dann, wenn der Vertreter seinerseits gutgläubig gehandelt hat. Hat eine juristische Person mehrere Vertreter, aber nur einer von diesen das Rechtsgeschäft abgeschlossen, dann genügt es für dessen Anfechtung, wenn der abschließende Vertreter zwar gutgläubig war, ein anderer Vertreter jedoch den Irrtum des Vertragsgegners gekannt, es aber trotz seiner Kenntnis des bevorstehenden Vertragsschlusses unterlassen hat, den Vertragsgegner sowie den gutgläubigen abschließenden Vertreter über die wirkliche Sache in Kenntnis zu setzen ( R G 8 1 , 433). Zuzurechnen ist einer juristischen Person nur die Kenntnis derjenigen Vertreter, die zur Zeit der Vornahme des Geschäfts die Vertreter waren; unwesentlich ist daher, wenn etwa bloß ein früherer Vertreter Kenntnis von der Fehlerhaftigkeit des erst von einem späteren Vertreter verkauften Gegenstandes gehabt hatte ( R G 3. 12. 1921 V 2 1 8 / 2 1 ) .

Anm. 18 2. Haftung auf Schadensersatz a ) F ü r E r k l ä r u n g e n des bevollmächtigten Vertreters, d i e z u m V e r t r a g s i n h a l t g e w o r d e n s i n d , muß der Vertretene schlechthin aufkommen, da das Rechtsgeschäft ihm gegenüber im ganzen so wirksam geworden ist, wie es abgeschlossen wurde (§ 164).

Anm. 19 b) Für einen a u f G r u n d r e c h t s g e s c h ä f t l i c h e r V e r t r e t u n g s m a c h t e i n e m D r i t t e n w i d e r r e c h t l i c h u n d s c h u l d h a f t z u g e f ü g t e n S c h a d e n haftet der Vollmachtgeber nach den Vorschriften der unerlaubten Handlung (§§ 823 Abs. 2, 826); solchenfalls steht dem Vertretenen der Entlastungsbeweis ( § 8 3 1 ) offen, R G 6 1 , 2 1 1 / 1 2 ; 63, 1 5 2 ; 73, 436. Dasselbe gilt auch von der Haftung für den Prozeßbevollmächtigten, RG 96, 177.

Anm. 20 c ) Ein V e r s c h u l d e n des V e r t r e t e r s b e i m V e r t r a g s s c h l u ß macht den Vertretenen nach Vertragsgrundsätzen schadensersatzpflichtig. Die gegenteilige Auffassung des Reichsgerichts ( R G 6 1 , 209; 96, 179) konnte nicht aufrecht erhalten werden, weil sie das praktische Bedürfnis nicht befriedigte und mit Recht und Billigkeit nicht vereinbar war. Erteilt jemand einem anderen Vollmacht, dann gibt er zu erkennen, daß das gesamte, dem Vertragsabschluß dienende Verhalten des Bevollmächtigten und dessen Erklärungen für ihn, den Vollmachtgeber, so maßgebend sein sollen, als hätte er sie selbst abgegeben; der Vertragsgegner kann sich in jeder Hinsicht auf die Handlungsweise des Bevollmächtigten so verlassen, als hätte der Vollmachtgeber selbst verhandelt. Deshalb muß der Vollmachtgeber für fälschliche Vorspiegelungen oder arglistiges Verschweigen seines Bevollmächtigten in gleicher Weise haftbar sein, als hätte er sich bei Gelegenheit des Vertragschlusses selbst des Betruges schuldig gemacht. I n dem gleichen Maße, in dem der Vollmachtgeber für eigenes Verschulden beim Vertragsschluß verantwortlich sein würde, muß er auch für das Verschulden seines Bevollmächtigten einstehen. Die Haftung des Vertretenen für das Verschulden des Vertreters bei Vertragsverhandlungen ist denn jetzt auch anerkannt ( R G 78, 240; 97, 3 3 9 ; 103, 50; 104, 267; 1 0 7 , 2 4 2 ; 1 0 7 , 3 6 2 ; 1 0 8 , 4 1 0 ; 1 1 4 , 1 5 9 ; 1 3 2 , 8 0 ; R G J W 1 9 1 5 , 2 4 0 3 ; 1 9 1 5 , 5 7 7 1 0 ; R G WarnRspr 1928 Nr. 74). Grundsätzlich ist nur das negative Interesse zu ersetzen, R G 132, 79; 159, 54; 170, 284. Es kann auch mit dem positiven Interesse zusammen-

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Vertretung. Vollmacht

§166

Anm. 21—24

fallen ( R G 147, 110), nicht aber darüber hinausgehen ( R G 170, 284). Unter Umständen kann auch volle Schadloshaltung verlangt werden, R G 1 5 1 , 359. Unter Umständen kann der Vertreter auch persönlich für ein Verschulden bei Vertragsverhandlungen oder beim Vertragsschluß haftbar gemacht werden (vgl. § 164 Anm. 4). A n m . 21 d) Eine Haftung für die A r g l i s t des g e s e t z l i c h e n V e r t r e t e r s (elterlichen Gewalthabers, Vormundes) ist ausgeschlossen, weil das Gesetz den Vertreter nicht hat befähigen wollen, den Vertretenen durch eine unerlaubte Handlung zu verpflichten ( R G 6 1 , 209; J W 1 9 1 3 , 587 1 ; dazu R G 132, 76). A n m . 22 e) Eine Haftung für die A r g l i s t e i n e s b l o ß e n V e r m i t t l e r s besteht regelmäßig nicht (RG J W 04, 354 3 ), mag er auch das Geschäft bis zum unmittelbaren Abschluß vorbereitet haben (RG SeuffArch 83 Nr. 4). Eine außervertragliche Haftung kann jedoch auch hier nach Maßgabe des § 8 3 1 gegeben sein (RG SeuffArch 69 Nr. 197); auch eine vertragliche Haftung nach den oben Anm. 20 dargelegten Gesichtspunkten (RG 63, 150) kommt in Betracht; so, wenn der Verkäufer den Käufer wegen der gewünschten Auskünfte an den Vermittler verweist. Für den Vermittlungsagenten war anerkannt, daß der Geschäftsherr die Geschäfte, wenn er Rechte daraus ableiten will, so entgegennehmen muß, wie sie vom Agenten abgeschlossen sind, und daß er folgeweise auch das Kennen und Kennenmüssen des Agenten gegen sich gelten lassen muß (RG SeuffArch 83 Nr. 153). Dasselbe hat nunmehr für einen Handelsvertreter zu gelten, der nur mit der Vermittlung von Geschäften betraut ist (§ 91 a H G B ) . Für den Versicherungsagenten s. R G 1 4 1 , 410. Anm. 23 f) Die unbedingte Haftung der juristischen Person für die A r g l i s t i h r e s V o r s t a n d e s ergibt sich daraus, daß der Vorstand das Organ der juristischen Person ist und daher seine Erklärungen die Erklärungen der juristischen Person selbst sind und ihr nicht wie die Erklärungen eines Vertreters bloß zuzurechnen sind, R G 8 1 , 433; 72, 1 3 3 ; 76, 107. A n m . 24 VI. Vollmacht 1. Allgemeines. Vollmacht ist die durch Rechtsgeschäft erteilte Vertretungsmacht (vgl. Bern. I 2 vor § 164 und § 164 Anm. 12). Daß die Bevollmächtigung die ihr zugeschriebene Wirkung zu äußern vermag, beruht auf der Vorstellung, daß es grundsätzlich möglich ist, jemandem die Befugnis einzuräumen, Rechtsgeschäfte mit unmittelbarer Wirkung für einen anderen vorzunehmen. Die Bevollmächtigung ist ein e i n s e i t i g e s , e m p f a n g s b e d ü r f t i g e s , s e l b s t ä n d i g e s ( a b s t r a k t e s ) R e c h t s g e s c h ä f t , dessen Rechtsbestand von dem ihm zugrunde liegenden Rechtsverhältnis unabhängig ist (RG 62, 3 3 7 ; 69, 234; J W 08, 655; Gruchot 7 1 , 605). Sie setzt das Vorhandensein eines Grundgeschäfts begrifflich überhaupt nicht voraus, weder für ihre Entstehung noch für ihren Fortbestand (§ 168). In der Vollmacht drückt sich lediglich die selbständig bestehende Befugnis aus, nach außen hin als Stellvertreter eines anderen aufzutreten, ohne daß aus dieser Befugnis an und für sich betrachtet irgendein Anspruch für einen der Beteiligten erwüchse. Andererseits äußert das die Vollmachterteilung veranlassende Grundgeschäft ausschließlich Wirkungen zwischen den beiden unmittelbar beteiligten Personen, wie beispielsweise der Auftrag und der Dienstvertrag. Auch die Ungültigkeit des Grundgeschäfts hat gegenüber dem gutgläubigen Dritten, der auf Grund formell ordnungsmäßig erscheinender Vollmacht mit dem Bevollmächtigten abgeschlossen hat, die Nichtigkeit der Vollmacht nicht zur Folge (RG 69, 232). Daß die Vollmacht in ihren Wirkungen jedoch nicht völlig von dem Grundgeschäft unabhängig ist, ergibt die Bestimmung des § 168 über 39

Komm. z. BGB. n . Aufl. T. Bd. (Kuhn)

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§ 1(6 A n m . 25, 26

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

ihr Erlöschen (RG 75, 299; JW 1911, 3995). Da bei der Vollmacht das etwaige Grundgeschäft begrifflich unwesentlich und die Außenwirkung das Wesentliche ist, so kann sie auch durch Erklärung gegenüber dem Geschäftsgegner erteilt werden (§ 167). Zur Wirksamkeit der Vollmacht gehört es, daß sie von einemhierzu Berechtigten erteilt wird. Die Prokura kann nur von dem Inhaber des Handelsgeschäfts oder seinem gesetzlichen Vertreter erteilt werden (§ 48 Abs. 1 HGB). Die Bestellung eines Prokuristen oder eines Handlungsbevollmächtigten für den gesamten Geschäftsbetrieb einer Gesellschaft m.b.H., die durch den Geschäftsführer ohne Mitwirkung der Gesellschafter erfolgt, ist bloß nach innen unwirksam, nach außen dagegen wirksam, weil § 46 Nr. 7 GmbHG nur das Innenverhältnis im Auge hat (RG 75, 164). Die Erteilung einer P o s t v o l l m a c h t macht den Postbevollmächtigten nicht zum Vertreter im Sinne des § 166 (RG SeuffArch 87 Nr. 152). Die einem anderen erteilte Ermächtigung, im e i g e n e n I n t e r e s s e über ein Recht des Erklärenden zu verfügen, enthält nur eine Zustimmung, keine Vollmacht (RG 53, 274)A n m . 25 2. Anfechtbarkeit der Vollmacht. Als selbständiges Rechtsgeschäft ist die Vollmacht auch s e l b s t ä n d i g a n f e c h t b a r . Anfechtungsgegner ist gemäß § 143 Abs. 3, je nachdem die Vollmachtserteilung gegenüber dem Bevollmächtigten selbst oder gegenüber dem Dritten gemäß §§167, 170 oder gemäß § 171 durch öffentliche Bekanntmachung erklärt worden ist, der Bevollmächtigte, der Dritte oder jeder, mit dem das Rechtsgeschäft durch den Vertreter abgeschlossen worden ist. Da die Anfechtung gemäß § 142 zurückwirkt, so sind die vom Bevollmächtigten bereits vorgenommenen Rechtsgeschäfte als von einem auftraglosen Vertreter (§ 177) vorgenommen anzusehen. Kommt es dem Vollmachtgeber nur darauf an, die Vollmacht für die Zukunft zu beseitigen, so wird er sich des Widerrufs nach § 168 bedienen müssen. Anfechtbar ist die Bevollmächtigung aus Gründen in der Person des Vollmachtgebers (Irrtum), oder in der Person des Bevollmächtigten (eine durch ihn begangene arglistige Täuschung des Vollmachtgebers), oder, falls ein Dritter sich einer arglistigen Täuschung schuldig gemacht hat, gemäß § 123 Abs. 2. Daß auch das vom Bevollmächtigten abgeschlossene Rechtsgeschäft für den Vollmachtgeber anfechtbar ist, kann nicht zweifelhaft sein. Dagegen, ist die Ansicht unhaltbar, daß die Anfechtung der Vollmacht zugleich die Anfechtung des auf Grund dieser Vollmacht abgeschlossenen Geschäfts bedeutet. A n m . 26 3. Umfang der Vollmacht. Wieweit der Bevollmächtigte den Machtgeber zu berechtigen und zu verpflichten vermag, bestimmt sich grundsätzlich nach dem Inhalt der Vollmacht (vgl. § 164 Anm. 2), der seinerseits gemäß den Grundsätzen von Treu und Glauben nach den Erfordernissen des vorzunehmenden Rechtsgeschäfts und namentlich wie sonst eine Willenserklärung durch Auslegung gemäß §§ 133, 157 zu ermittelnist (RG 71, 221; 73, 349; 143, 196; R G J W 1931, 22293). Hierbei gilt der Grundsatz, daß, soweit nicht der größere Umfang nachweisbar ist, nur der geringere Umfang angenommen werden kann ( R G J W 1913, 16343). Umstände, die außerhalb einer Vollmachtsurkunde liegen, können nur insoweit herangezogen werden, als sie demjenigen, dem gegenüber von der Vollmacht Gebrauch gemacht wird, bekannt sind (RG 143, 196,199). Zur Abgrenzung einer stillschweigend erklärten Vollmacht s. R G SeuffArch 90 Nr. 35. Handelt der Vertreter außerhalb dieser Grenze, dann liegt ein Fall des § 177 vor, gleichviel ob eine bloße Überschreitung der Vollmacht vorliegt oder ob der Vertreter überhaupt ein anderes Rechtsgeschäft als das vollmachtmäßige abgeschlossen hat. Etwaige W e i s u n g e n , die der Geschäftsherr dem Bevollmächtigten erteilt, bilden keinen Bestandteil der Vollmacht. Sie sind daher auch nur für das Innenverhältnis von Belang (RG Gruchot 52, 953), können aber als Auslegemittel zur Feststellung des Vollmachtsumfangs verwendet werden. Daher ist das Rechtsgeschäft für den Vollmachtgeber verbindlich, gleichviel ob der Vertreter den Weisungen gemäß oder ihnen zuwidergehandelt hat. Hier greift der allgemeine Gesichtspunkt durch, daß derjenige, der eine Vollmacht erteilt, stets eine Außenwirkung anstrebt und ohne weiteres zu 598

Vertretung. Vollmacht

§ 166

A n m . 27

erkennen gibt, daß er nach Maßgabe der Vollmacht gebunden sein will, sofern nur der Ermächtigte auf Grund der Vollmacht und innerhalb der Vollmachtsgrenze abschließt. Außerdem besteht auch keine innere Berechtigung für die Vermutung, daß eine Vollmacht eingeschränkt sei, wie freilich auch keine Vermutung für die Ausdehnung der Vollmacht gegeben ist (RG 23. 9. 1905 V 42/05, wonach in der Ermächtigung zum Verkauf nicht zugleich die zu einer Garantieübernahme enthalten ist). A n m . 27 4. Mißbrauch der Vollmacht. Die Regel, daß für die Verbindlichkeit des Rechtsgeschäfts dem Vollmachtgeber gegenüber grundsätzlich allein der Vollmachtsinhalt maßgebend ist, muß dann eine Ausnahme erleiden, wenn zuungunsten des Geschäftsgegners die Grundsätze vom Handeln wider Treu und Glauben Platz greifen (RG SeuffArch 75 Nr. 126). Der Geschäftsgegner braucht sich im allgemeinen allerdings nur um die Vollmachtsmäßigkeit des Rechtsgeschäfts zu kümmern, und diese wird nicht schon dadurch ausgeschlossen, daß der Stellvertreter auftragswidrig oder gar gegen das Interesse seines Machtgebers handelt (RG 71, 222, dazu aber auch R G 145, 315). Kennt aber der Geschäftsgegner die Weisungen, weil sie in der Vollmachtsurkunde mitenthalten sind, weil er von ihnen sonst erfahren hat oder mußte er sich bei pflichtmäßiger Sorgfalt ohnehin sagen, daß der Stellvertreter dem Willen des Machtgebers offenbar zuwiderhandle und daß der letztere das fragliche Geschäft keinesfalls beabsichtigt haben könne (RG 52, 98; RG WarnRspr 1936 Nr. 153), oder war dem Geschäftsgegner bekannt (RG 71, 219; 74, 219; 75, 299) oder hat er auch nur erkennen müssen (RG 143, 196, 201; 145, 311; RG J W 1931, 2229®; RG H R R 1932, 434 3 ), daß der Stellvertreter seine Vollmacht mißbraucht und die Interessen seines Machtgebers beeinträchtigt, und hat er trotzdem das Rechtsgeschäft mit dem Stellvertreter abgeschlossen, so ist das Rechtsgeschäft zwar wirksam, es können aber aus ihm keine Rechte gegen den Vertretenen hergeleitet werden (RG 75, 299; 134, 71; 159, 367; J W 1931, 2229; D R 1939, 371 ; 1941, 858; vgl. auch § 164 Anm. 2). Die sich im Rahmen der Vollmacht haltende Verfügung ist zwar an sich wirksam; ihre Geltendmachung begegnet aber dem Einwand der Arglist; auch kann ein Schadensersatzanspruch begründet sein (RG 145, 311; RG SeuffArch 81,80; RG H R R 1929, 84; 1933, 277; 1933, 992). Dazu S t o l l , Der Mißbrauch der Vertretungsmacht in Festschrift für Heinrich Lehmann 1937, 115fr. Mißbrauch der Vollmacht als „Überschreitung" der (pflichtbegrenzten) Vertretungsmacht s. S i e b e r t Ztschr. f. d. ges. Staatswissenschaft 95, 269fr. Die Arglisteinrede entfällt auch nicht, wenn sich der Geschäftsgegner demnächst anheischig macht, die Bedingungen des Vertretenen einhalten zu wollen (RG SeuffArch 61 Nr. 385). Verspricht der Dritte dem Bevollmächtigten einen Vorteil dafür, daß der Bevollmächtigte gegen das Interesse des Vollmachtgebers handelt, dann ist der vom Bevollmächtigten mit dem Dritten abgeschlossene Vertrag gemäß § 138 nichtig (RG130, 142; I32> 134; r34> 5 6 ; ' 3 6 , 3 5 9 ; D R !939> 2155*). Werden von einer Vertragspartei dem Vertreter der anderen Partei persönliche Vorteile für das Zustandekommen des Vertrages in Aussicht gestellt, so muß der Vertragsgegner der vertretenen Partei beweisen, daß seine Zusage ohne nachteilige Wirkung auf das Rechtsgeschäft geblieben ist, OGH J R 1950, 246. Die Regeln über den Mißbrauch der Vollmacht sind entsprechend auch für die Abmachungen eines ohne Abschlußvollmacht ständig zum Vermittler bestellten H a n d e l s v e r t r e t e r anzuwenden. Dem Geschäftsgegner steht die Einrede der Arglist entgegen, wenn er weiß oder sich sagen muß, daß zwar der Vermittlungsvertreter, nicht aber der Geschäftsherr eine Tatsache kennt, die den Geschäftsherrn bei Kenntnis vom Vertragsschluß abgehalten hätte, und damit rechnet, daß der Geschäftsherr diese Kenntnis auch nicht von seinem Vermittlungsvertreter erlangen wird; solchenfalls verstößt der Geschäftsgegner gegen Treu und Glauben, wenn er sich nach Vertragsschluß darauf beruft, die Kenntnis des Handelsvertreters sei dem Geschäftsherrn zurechenbar (RG 134, 72). Der Grundsatz, daß der Mißbrauch einer Vollmacht dem Vertragsgegner dann entgegengehalten werden kann, wenn er den Mißbrauch erkannt hat oder hätte er59'

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§166

Anm. 28

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

kennen müssen, gilt auch für den M i ß b r a u c h e i n e r g e s e t z l i c h e n V e r t r e t u n g s v o l l m a c h t ( R G 145, 311). Bei der gesetzlichen Ermächtigung besteht zwar für Erwägungen über ein anweisungswidriges Verhalten selbstverständlich kein Raum. Hier entscheidet über den Umfang der Ermächtigung lediglich das Gesetz selbst. Wohl aber kann hier in Betracht kommen, daß der Geschäftsgegner bei Anwendung gehöriger Sorgfalt hätte erkennen können, daß der gesetzliche Vertreter mit seiner Ermächtigung Mißbrauch treibt ( R G 83, 348; 17. 1. 1914 V 358/13, betreifend einen Testamentsvollstrecker). Ob sich der Vertreter durch ein anweisungswidriges oder pflichtwidriges Verhalten dem Vertretenen gegenüber h a f t b a r macht oder nicht, entscheidet sich nach dem der Vollmacht zugrunde liegenden Rechtsverhältnis und nach den allgemeinen Grundsätzen vom vertraglichen oder außervertraglichen Schadensersatz. An die B e s t ä t i g u n g einer Verfügung des Bevollmächtigten, der erkennbar unter Mißbrauch seiner Vollmacht getroffen ist, sind strenge Anforderungen zu stellen; der Fall liegt rechtsähnlich dem des § 144 ( R G 6. 2. 1935 V 170/34). A n m . 28 5. U n t e r v o l l m a c h t , E r s a t z v o l l m a c h t . Ob ein Bevollmächtigter Untervollmacht erteilen darf, hängt in erster Linie von der Willensäußerung des Geschäftsherrn ab. Fehlt es hieran, so kann sich die Befugnis zur Erteilung der Untervollmacht aus den Umständen ergeben; das Interesse des Vertretenen oder ein sich aus der Sachlage ergebendes Bedürfnis werden dann maßgebend sein, R G L Z 1928,1065; B G H 15.12.1958 II Z R 110/57. Ohne ausdrückliche Erlaubnis ist die Bestellung eines Unterbevollmächtigten dann statthaft, wenn der Hauptvollmachtgeber kein Interesse daran haben kann, daß der Bevollmächtigte die Angelegenheit persönlich wahrnimmt ( K G Recht 1920 Nr. 859). Beruht die Hauptvollmacht auf ganz besonderem Vertrauen, so wird das in der Regel ein Umstand sein, der die Annahme einer stillschweigend erteilten Erlaubnis zur Unterbevollmächtigung ausschließt. Die Prokura ist überhaupt nicht, die Handlungsvollmacht nur mit Zustimmung des Inhabers des Handelsgeschäfts übertragbar (§§ 52, 58 HGB). Das schließt aber die Unterbevollmächtigung zu einzelnen Geschäften nicht aus. Mangels entgegenstehender Umstände berechtigt die Befugnis zur Bestellung eines Unterbevollmächtigten dazu, die Untervollmacht nach Maßgabe des Inhalts der Hauptvollmacht zu erteilen, K G DR 1941, 997 7 . Enthält die Hauptvollmacht die Befreiung von der Beschränkung des § 181, so kann auch der Unter bevollmächtigte berechtigt sein, mit sich selbst oder mit dem Hauptvertreter zu kontrahieren. Ein zur Bestellung eines Unterbevollmächtigten zwar befugter, von der Beschränkung des § 181 aber nicht befreiter Bevollmächtigter ist regelmäßig rechtlich außerstande, den Unterbevollmächtigten von der Einhaltung des § 181 zu befreien ( K G D R 1941, 997 7 ). Über die Umgehung des § 181 mit Hilfe einer Untervollmacht vgl. § 181 Anm. 2. Die Vollmacht enthält nicht das Recht, sie in der Weise weiterzuübertragen, daß der ursprünglich Bevollmächtigte ganz ausscheidet (§§ 27, 86, 613, 664, 713; ferner §§52, 58 HGB). — E r s a t z v o l l m a c h t . — Die Bevollmächtigung enthält im Gegensatz zur Prozeßvollmacht (§ 81 ZPO) auch nicht ohne weiteres die Befugnis zur Bestellung eines Ersatzbevollmächtigten mit der Tragweite, daß das ursprüngliche Vollmachtsverhältnis bestehen bleibt und der Ersatzbevollmächtigte nur an Stelle des Bevollmächtigten handeln soll, so daß das Geschäft dem Geschäftsherrn gegenüber in gleicher Weise wirkt, als hätte der Bevollmächtigte selbst gehandelt. Letzten Endes handelt es sich jedoch um eine Auslegungsfrage. Man wird annehmen können, daß die Befugnis zur Übertragung insoweit gegeben sein soll, als es der Übertragung zur Ausführung des Geschäfts bedarf, und als die Übertragung das Interesse des Machtgebers in keiner Weise verletzt. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, daß die Vollmacht die Ermächtigung zur Vornahme aller derjenigen Handlungen umfaßt und umfassen soll, ohne die das aufgetragene Geschäft nicht ausgeführt werden kann (§ 98 I 13 A L R ) . Danach ist übrigens auch zu beurteilen, ob der Bevollmächtigte befugt ist, die Ausführung nur einzelner, dem Zweck des Ganzen dienenden Verrichtungen auf einen anderen zu übertragen.

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Vertretung. Vollmacht

§166 A n m . 29, 30

Anm. 29 6. S p e z i a l - u n d G e n e r a l v o l l m a c h t . J e nachdem ob die Vollmacht für ein bestimmtes Geschäft oder für alle das ganze Vermögen betreffenden Angelegenheiten erteilt ist, unterscheidet man S p e z i a l - u n d G e n e r a l v o l l m a c h t . Auch die letztere ermächtigt den Bevollmächtigten dem Vollmachtgeber gegenüber nicht zu Geschäften gegen dessen ausgesprochenen Willen, und wenn der Vertragsgegner diesen Widerspruch kennt, so kann er aus einem derartigen Geschäft keine Rechte herleiten ( R G 52, 100; 7 1 , 222). In der Generalvollmacht kann auch die Ermächtigung enthalten sein, namens des Vollmachtgebers für seine, des Bevollmächtigten, eigene Schuld einem Dritten gegenüber eine Bürgschaft zu übernehmen; ob die Bürgschaftsübernahme im Interesse des Vollmachtgebers liegt, berührt nur das innere Verhältnis zwischen ihm und dem Bevollmächtigten ( R G 7 1 , 2 2 1 ) . Eine Einschränkung der Vertretungsmacht gegenüber Dritten ist auch nicht darin zu finden, daß der Generalbevollmächtigte ermächtigt wird zu tun, was im Interesse des Vollmachtgebers liegt oder was ihm in dessen Interesse zweckmäßig erscheint ( R G 52, 98; R G H R R 1 9 3 1 , 1037). Der Begriff des G e n e r a l v e r t r e t e r s ist kein feststehender, er wird auch in Fällen verwendet, wo der Generalvertreter in eigenem Namen und für eigne Rechnung handelt ( R G 65, 3 7 ; WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 8). Wer bloß als Generalvertreter auftritt und unter dieser Berufsbezeichnung Erklärungen abgibt, erklärt damit nicht, daß er nicht für sich selbst, sondern im Namen der Firma handelt, deren Generalvertreter er ist, O L G Celle N J W 1956, 383. Auch bei der Generalvollmacht richtet sich die freie Widerruflichkeit nach dem ihr zugrunde liegenden Rechtsverhältnis ( R G J W 1 9 1 2 Nr. 1 1 0 2 2 ) . Eine vom Geschäftsführer einer Gesellschaft m.b.H. einem Dritten erteilte Generalvollmacht, die die Übertragung der gesamten Geschäftsführung zum Inhalt hat, ist auch Dritten gegenüber unwirksam ( R G 86, 265; J W 1 9 1 2 , 527); doch kann die von einem solchen Generalbevollmächtigten vorgenommene Gründung einer neuen G m b H formlos genehmigt werden, wenn nur die Vollmacht in der Form des § 2 Abs. 2 G m b H G erteilt ist ( R G 102, 2 1 ) .

Anm. 30 7. G e s a m t v o l l m a c h t . Ist die Vollmacht mehreren erteilt, so kann entweder beabsichtigt sein, daß jeder einzelne von ihnen oder nur alle zusammen zur Vertretung befugt sein sollen (Gesamtvollmacht). Das ist von Fall zu Fall zu entscheiden. Eine Regel stellt das Gesetz nicht auf. Die Grundsätze der §§ 420 f r werden hier schwerlich Anwendung finden können, da aus dem VollmachtsVerhältnis Ansprüche überhaupt nicht hervorgehen, mithin insoweit auch von Gläubigerschaft und Schuldnerschaft nicht die Rede sein kann. Sondervorschriften sind gegeben für die Gesellschafter in den §§ 709, 7 1 0 in Verbindung mit § 7 1 4 ; im H G B in den §§48 Abs. 2, 1 2 5 Abs. 2, 1 5 0 ; im Aktiengesetz in den §§ 7 1 , 72; ferner im G e n G in § 25 und im G m b H G in § 35 Abs. 2. Bei der Gesamtvertretung ist ein Zusammenwirken aller Vertreter notwendig (vgl. auch Bern. I I 6 vor § 164); daher wird das Rechtsgeschäft fehlerhaft (nichtig oder anfechtbar), wenn ein Willensmangel auch nur in der Person eines Vertreters bestanden hat. Ein Grundsatz des Inhalts, daß bei Behinderung eines Mitglieds des Vertretungsorgans einer G m b H das andere allein vertretungsberechtigt sei, ist nicht anzuerkennen; die Gesellschaft muß vielmehr für Abhilfe sorgen, falls nicht beide Geschäftsführer einem Dritten Vollmacht erteilt haben ( R G 103, 4 1 7 ) . Die Mitwirkung aller Gesamtvertreter braucht nicht eine gleichzeitige zu sein; sie muß aber von Seiten jedes einzelnen dem Geschäftsgegner gegenüber erfolgen ( R G 6 1 , 2 2 3 ; 75, 423). Es ist zulässig und ausreichend, daß die übrigen Gesamtvertreter einem von ihnen Vollmacht (auch stillschweigend) zum Abschluß eines bestimmten Geschäfts erteilen ( R G 80, 1 8 1 ; 8 1 , 3 2 5 ; 106, 268; 112, 215; R G S e u f f A r c h 8 2 Nr. 153). Handelt der eine von mehreren Gesamtvertretern ohne eine solche Ermächtigung, daher auftragslos, dann bedarf es der nachträglichen, sei es auch nur formlosen Genehmigung des Rechtsgeschäfts durch die übrigen Vertretungsberechtigten; dabei genügt es, wenn die Genehmigung dem handelnden Gesamtvertreter gegenüber erklärt wird ( R G 8 1 , 3 2 5 ; 1 0 1 , 343;' 112, 215; R G J W 1928, 2626 1 1 ; R A G 15, 268). Bei Wechselerklärungen einer G m b H genügt es

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§166

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A n m . 31, 32 ( G m b H G § 35 Abs. 2), wenn von zwei Geschäftsführern der eine ordnungsmäßig unterschreibt und der andere sein Einverständnis durch vorherige Zustimmung oder nachträgliche Genehmigung erklärt ( R G 118, 168). Nach Treu und Glauben und nach der Verkehrssitte reicht auch eine stillschweigend erklärte Genehmigung aus ( R G J W 1911, 491 2 0 ); sie kann schon darin gefunden werden, daß der andere Geschäftsführer die von dem einen allein abgeschlossenen Geschäfte fortgesetzt unbeanstandet gelassen hat ( R G 75, 424). Tritt an die Stelle einer Gesamtvertretung die alleinige Vertretung durch eine Person, so kann diese das von einem der Gesamtvertreter rechtsunwirksam abgeschlossene Rechtsgeschäft nachträglich genehmigen; doch kann von einer Genehmigung nur die Rede sein, wenn diese Person die Rechtsunwirksamkeit kennt oder doch sich der Möglichkeit einer solchen bewußt ist ( R G 118, 336; B G H 2, 150). Genügt satzungsgemäß das Zusammenwirken von zwei Vorstandsmitgliedern einer Genossenschaft, so ist das durch nur einen von ihnen abgeschlossene Rechtsgeschäft unwirksam; es wird jedoch wirksam, wenn das andere Mitglied seine Genehmigung erteilt. Unzulässig ist aber eine Übertragung der einem von den mehreren Mitbevollmächtigten zustehenden Gesamtbefugnis auf einen Dritten (§ 184; R G 86, 265). Obwohl bei der Genossenschaft zwingend Gesamtvertretung vorgeschrieben ist ( § 2 4 Abs. 2 GenG), kann der Vorstand zur Vornahme bestimmter Geschäfte oder bestimmter Arten von Geschäften auch eines seiner Mitglieder ermächtigen, und dieses ist von seiner Mitwirkung bei Erteilung dieser Ermächtigung nicht ausgeschlossen ( R G 80, 180). Bei der p a s s i v e n S t e l l v e r t r e t u n g können Willenserklärungen gegenüber auch nur einem von mehreren Gesamtvertretern mit Wirkung für die vertretene Person abgegeben werden. Die Kenntnis eines am Geschäft mitwirkenden Gesamtvertreters genügt, um Kenntnis der vertretenen Person annehmen zu können ( R G 53, 231; 59, 408; 78, 354; 134, 36; vgl. auch oben Anm. 10). Geht ein B e s t ä t i g u n g s s c h r e i b e n einem von mehreren Gesamtvertretern zu, so genügt sein Schweigen als Zustimmung, mögen auch die anderen Gesamtvertreter nichts erfahren haben ( R G SeuffArch 81 Nr. 197). Ist das R e c h t s g e s c h ä f t f o r m b e d ü r f t i g , dann muß die Form von allen mitwirkenden Vertretern gewahrt werden; handelt einer von den mehreren Gesamtvertretern allein und daher ohne Vertretungsmacht (als auftragloser Geschäftsführer), dann genügt für die nach § 177 erforderliche Zustimmung eine formlose Erklärung ( R G J W 1913, 482 2 ; R G 118, 168). Die juristische Person haftet außervertraglich auf Schadensersatz, wenn sich auch nur einer von den mehreren Gesamtvertretern eine unerlaubte Handlung zuschulden kommen läßt ( R G 53, 277; 74, 21; 74, 255; J W 1912, 3992). Dasselbe gilt von der Haftung aus vertraglichem Verschulden ( R G 110, 145). Betrügliches Handeln eines von mehreren Gesamtvertretern s. R G WarnRspr 1932 Nr. 127. Für die N i c h t i g k e i t o d e r A n f e c h t b a r k e i t des von den Gesamtvertretern vorgenommenen Rechtsgeschäfts genügt es, wenn der Willensfehler nur bei einem von ihnen vorlag ( R G 78, 354). Der § 125 Abs. 2 H G B schließt nicht aus, daß mehreren Gesellschaftern in der Art das Vertretungsrecht eingeräumt wird, daß der eine von ihnen für sich allein, die anderen aber nur alle zusammen vertretungsberechtigt sind ( R G 90, 21).

Anm. 31 8. G e s c h ä f t s s t a t u t . Die Tragweite einer Vollmacht bestimmt sich regelmäßig nach dem Recht des Ortes, an dem der Bevollmächtigte tätig werden, sich also seine Vertretungsmacht auswirken soll (Wirkungsland), R G 78, 60, es sei denn, daß sich aus der Partei Vereinbarung etwas anderes ergibt ( R G 134, 69 m . w . N a c h w . ) .

A n m . 32 9. P r o z e ß v o l l m a c h t . Die Prozeßvollmacht berechtigt zur Abgabe und Entgegennahme aller zum Angriff oder zur Verteidigung dienenden Erklärungen mit materieller Wirksamkeit, R G 53, 213. Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Willens-

602

Vertretung. Vollmacht

§ 167 Anm. 1, 2

mängel und über die Nichtigkeit von Rechtsgeschäften finden auf die Prozeßvollmacht als eine Prozeßhandlung keine Anwendung, O G H 4, 278/79. § 166 gilt auch für die Prozeßerklärungen, z. B. bei einem Rechtsmittelverzicht (RG Gruchot 49, 1049).

§167 Die Erteilung der Vollmacht erfolgt durch Erklärung gegenüber dem zu Bevollmächtigenden oder dem Dritten, dem gegenüber die Vertretung stattfinden soll. Die Erklärung bedarf nicht der Form, welche für das Rechtsgeschäft bestimmt ist, auf das sich die Vollmacht bezieht. E l l 137; M I 228if; P 164, i)S;

1 2 4 ® 134.

Übersicht Anm.

I. Erteilung der Vollmacht 1. Allgemeines 2. Schlüssig oder stillschweigend erteilte Vollmacht I I . Duldungsvollmacht I I I . Anscheinsvollmacht I V . Formfreiheit

i—3 1 2, 3 4, 5 6, 7 8—15

Anm. 1 I. Erteilung der Vollmacht 1. Allgemeines Die Vollmacht wird durch eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung erteilt; dazu gehört auch eine letztwillige Verfügung (aA K G H R R 1928, 590), wenn nur sichergestellt ist, daß die Erklärung dem Bevollmächtigten, etwa bei der Testamentseröffnung, zugeht (RG J W 1936, 2462; R G 170, 380; O L G Köln N J W 1950, 702). Die Annahme der Vollmachtserteilung durch den Bevollmächtigten ist nicht erforderlich. O b der Geschäftsgegner an das Bestehen der Vertretungsmacht geglaubt hat oder nicht, ist unerheblich (aA R G WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 387). Die gefälschte Vollmacht wird durch Genehmigung des Namensträgers wirksam; selbst eine gefälschte Wechselunterschrift wird wirksam, wenn der Namensträger den ihr zugrundeliegenden wechselrechtlichen Begebungsvertrag genehmigt (RG 145, 87; B G H L M Nr. 1 zu Art. 7 W G ) . Für das Bestehen einer Vollmacht spricht grundsätzlich keine Vermutung, B G H W M 1957, 1 1 3 2 . Anm. 2 2. Schlüssig oder stillschweigend erteilte Vollmacht Die Vollmacht kann auch durch schlüssige Handlung und sogar stillschweigend erteilt werden. Hierzu gehört der Wille, Vollmacht einzuräumen oder eine erloschene Vollmacht aufrechtzuerhalten. Der schlüssig oder stillschweigend Bevollmächtigte ist wirklicher Vertreter; die von ihm abgeschlossenen Geschäfte berechtigen und verpflichten den Vertretenen, ohne daß es darauf ankommt, ob der Geschäftsgegner an das Bestehen der Vertretungsmacht geglaubt hat oder nicht. Entgegen B G H ( M D R 1953, 345) liegt eine stillschweigende Vollmachtserteilung nicht schon darin, daß der Vertretene das ihm bekannte Verhalten des Vertreters duldet. Hierzu muß vielmehr die Feststellung hinzukommen, daß der Vertretene bevollmächtigen wollte, also mit Erklärungswillen duldete. Dann kommt es aber nicht mehr, wie diese Entscheidung annimmt, darauf an, daß der Geschäftsgegner die Duldung dahin deuten durfte, daß die Vollmacht erteilt sei. Denn, ist Vollmacht erteilt, so wird der Vertretene durch das in seinem Namen abgeschlossene Geschäft gebunden, auch wenn sich der Geschäftsgegner vorstellt, es mit einem vollmachtlos handelnden

603

§167 Anm. 3

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Vertreter zu t u n zu h a b e n . Wollte m a n schon in der bloßen D u l d u n g vorgenommener V e r t r e t u n g eine Bevollmächtigung sehen, so w ü r d e m a n nicht viel gewinnen, denn der Vertretene würde die Bevollmächtigung nach § 1 1 9 wegen I r r t u m s über die Bedeutung seines Verhaltens anfechten können. Schlüssige oder stillschweigende Bevollmächtigung ist beispielsweise a n z u n e h m e n , wenn der Agent einer Versicherungsgesellschaft ermächtigt ist, die Police zu u n t e r schreiben ( R G 50, 75); wenn der I n h a b e r eines geschäftlichen U n t e r n e h m e n s sich jeder tatsächlichen Mitwirkung bei der Geschäftsführung enthält u n d diese ganz einem anderen überläßt ( R G Gruchot 52,937); wenn j e m a n d laufend als Bevollmächtigter eines anderen auftritt u n d dieser das geschehen läßt ( R G 43, 190; 65, 295; W a r n R s p r 1 9 1 3 N r . 130); insbesondere w e n n ein K a u f m a n n es widerspruchslos h i n n i m m t , d a ß ein nicht mit Handlungsvollmacht ausgestatteter Angestellter als sein Bevollmächtigter auftritt ( R G 65* 2 9 5 ! IOO> 48; 105, 185; R G W a r n R s p r 1923/24 N r . 157), in seinem N a m e n Wechselverbindlichkeiten eingeht ( R G 117, 164) oder unter V e r w e n d u n g des Firmenstempels u n d des mit d e m Firmenaufdruck versehenen Papiers Schreiben rechtsgeschäftlichen Inhalts hinausgehen läßt ( R G 18. 5. 25 I V 533/24); wenn der Handlungsgehilfe, der f ü r seinen Geschäftsherrn Vertragsbedingungen zu vermitteln hat, Erklärungen abgibt, u n d der Geschäftsherr d e m nicht widerspricht ( R G 1. 2 . 0 7 I I 272/06); weiter i m Falle der fortgesetzten wissentlichen D u l d u n g der Überschreitung einer Vollmacht ( R G 8. 1 2 . 0 5 V I I 173/05; 27. 2. 06 V I I 280/05). Wer seinen nichtbevollmächtigten auswärtigen „ V e r t r e t e r " briefliche Angebote a n Dritte m a c h e n läßt, m u ß a u c h briefliche A n n a h m e e r k l ä r u n g e n dieser Dritten a n den „ V e r t r e t e r " , sofern sie der Vorschrift des § 147 Abs. 2 entsprechen, als rechtzeitig gelten lassen; die Gefahr einer verspäteten Weitergabe d u r c h den Vertreter trägt der Vertretene ( R G 14. 12. 23 I I 2 1 7 / 2 3 ) . Die gleichen Grundsätze gelten auch f ü r Vertreter von Nichtkaufleuten, w e n n es sich u m einen Betrieb handelt, der, wie dies z. B. bei einem größeren land- u n d forstwirtschaftlichen Besitz zu geschehen pflegt, in kaufmännischer Art geleitet wird ( R G J W 1927 1089 2 ). U b e r den M i ß b r a u c h von amtlichen Briefbogen u n d Dienststempeln d u r c h Beamte u n d Angestellte staatlicher Behörden s. j e d o c h R G SeuffArch 89 Nr. 93. Stillschweigende E r m ä c h t i g u n g des Prozeßbevollmächtigten z u m Zahlungsempfang s. R G SeuffArch 87 Nr. 154. Ü b e r g a b e eines Grundschuldbriefs mit der den N a m e n des künftigen Geldgebers u n d Abtretungsempfängers noch nicht enthaltenden Abtretungserklärung als Abtretungsvollmacht s. R G Gruchot 7 1 , 605. Anm. 3 Der U m f a n g d e r s t i l l s c h w e i g e n d e n V o l l m a c h t h ä n g t davon ab, welche Schlüsse aus d e m Verhalten des Geschäftsherrn auf seinen Willen gezogen werden k ö n n e n ; aus d e m Dulden minder wichtiger Geschäfte kann nicht auch auf eine E r m ä c h t i g u n g zu wichtigen Geschäften, beispielsweise auf die zur Eingehung wechselrechtlicher Verbindlichkeiten, geschlossen werden ( R G W a r n R s p r 1930 N r . 18). Bei Beurteilung des U m f a n g s einer stillschweigend erteilten Vollmacht sind die allgemeinen Grundsätze der §§ 133, 157 u n d die Verkehrssitte zu berücksichtigen ( R G 73, 349, einen k a u f m ä n nischen Angestellten betreffend). L ä ß t die Vollmacht d a n a c h d e m Bevollmächtigten einen gewissen Spielraum, so ist sein Ermessen entscheidend u n d f ü r den Geschäftsherrn bindend ( R G J W 1924, 9 6 1 1 ; R G 81, 257; W a r n R s p r 08 N r . 4 3 9 ; 08, 463; 1 9 1 3 Nr. 130). W e r einen anderen mit einer Tätigkeit betraut, mit der f ü r d e n V e r k e h r mit einem Dritten gewisse Vollmachten v e r b u n d e n zu sein pflegen, m u ß die d a n a c h Dritten gegenüber begründete Ermächtigung auch f ü r sich gelten lassen ( R G SeuffArch 76 N r . 73). U b e r die Vertretungsbefugnis desjenigen, der in einem L a d e n angestellt ist, s. § 56 H G B u n d R G 108, 48. Der in einem kaufmännischen Betrieb den Fernsprecher bedienende Angestellte gilt als ermächtigt, rechtsgeschäftliche Erklärungen Dritter entgegenzunehmen, nicht aber seinerseits bindende Erklärungen f ü r die F i r m a abzugeben, falls diese nicht in den Bereich einer i h m sonst zustehenden Vertretungsmacht fallen ( R G 61, 1 2 7 ; 102, 295; R G J W 1925, 6 1 1 1 5 ; R G L Z 1925, 8 5 1 1 ; R G SeuffArch 77 Nr. 150; 80 N r . 172). Z u r E m p f a n g n a h m e von Geldern kann der Bürovorsteher eines Rechtsanwalts i m allgemeinen n u r i m Falle einer ausdrücklichen Bevollmächtigung als ermächtigt gelten

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Vertretung. Vollmacht

§167 Anm. 4, 5

( R G J W 1922, 1 3 1 5 2 ) . Gemäß § 54 H G B hat ein Geschäftsreisender Abschlußvollmacht nur insoweit, als er im allgemeinen zum Abschluß oder zur Vermittlung von Geschäften ermächtigt worden ist ( R G 97, 1). U m f a n g der Vollmacht der zu K a u f a b schlüssen auf einer Messe bestellten Vertreter s. R G L Z 1924, 3 6 4 ^ R G J W 1925, 1 2 7 6 2 ; R G SeufFArch 79 Nr. 104.

Anm. 4 II. Duldungsvollmacht Von der wirklichen Vollmacht ist die Duldungsvollmacht zu unterscheiden. Wer weiß, daß jemand, der hierzu nicht bevollmächtigt ist, für ihn handelt, dies aber duldet, kann sich auf den Mangel der Vollmacht nicht berufen, wenn der Geschäftsgegner die Duldung der Vertretung nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte dahin werten konnte und gewertet hat, daß der Handelnde Vollmacht habe (Duldungsvollmacht, R G 117, 165/66; B G H M D R 1953, 345; 1955, 403 = N J W 1955, 985). Hier wird es ganz ohne Rücksicht darauf, ob in der Duldung der ausgeübten Stellvertretung eine Bevollmächtigung liegt, so angesehen, als ob Vollmacht erteilt sei; das gilt aber nur dann, wenn der Geschäftsgegner aus dem Verhalten des Geschäftsherrn das Bestehen einer Vollmacht entnehmen durfte und entnommen hat. Während der schlüssig oder stillschweigend Bevollmächtigte wirklich Vollmacht besitzt, fehlt es bei der Duldungsvollmacht an echter Vertretungsmacht, der „Vertretene" darf sich bloß nicht auf den Mangel der Vollmacht berufen. Z u r schlüssig oder stillschweigend erteilten Vollmacht gehört die Feststellung, daß der Vertretene den Willen hatte, Vollmacht zu erteilen, daß also bloß eine dahingehende ausdrückliche Erklärung fehlt. Zur Duldungsvollmacht gehört die Feststellung, daß der Vertretene ein Handeln in seinem Namen geduldet und der Gegner diese Duldung als Bevollmächtigung auffassen konnte und aufgefaßt hat. I m Falle der Duldungsvollmacht kennt der Vertragsgegner das Verhalten des Vertretenen und schließt daraus auf bestehende Vertretungsmacht. Es liegt nicht wesentlich anders, wenn jemand einem anderen eine Vollmachtsurkunde aushändigt, ohne ihm Vollmacht erteilt zu haben, und der andere unter Vorlegung der Urkunde im Namen ihres Ausstellers handelt. Hier wirkt die in Wahrheit nicht erteilte Vollmacht gegen ihren Aussteller kraft des von ihm selbst erzeugten Rechtsscheins.

Anm. 5 Der Gesichtspunkt der Duldungsvollmacht ist auch g e g e n ü b e r e i n e r K ö r p e r s c h a f t d e s ö f f e n t l i c h e n R e c h t s verwendbar ( R G 162, 129 1 5 0 ; B G H M D R 1955, 403 = N J W 1955, 985). Duldet das für eine öffentlich-rechtliche Körperschaft oder Anstalt zuständige Organ das Handeln eines anderen, so entsteht der Anschein einer privatrechtlich erteilten Vollmacht. M a g der Duldende auch ohne Erklärungswillen gehandelt haben, so läßt er doch einen anderen für die Körperschaft oder Anstalt handeln. In einem solchen Fall verlangt es das Verkehrsinteresse und der Vertrauensschutz, daß dem Vertragsgegner, der den Handelnden für den Vertreter der Körperschaft oder Anstalt hielt, nicht nachträglich, womöglich nach J a h r und T a g , entgegengehalten werden kann, der abgeschlossene und möglicherweise bereits längere Zeit gehandhabte Vertrag sei unwirksam. Das ist entgegen der Annahme von C a p e l l e r ( M D R 1956, 7) auch dann nicht anders, wenn das zuständige Vertretungsorgan der Körperschaft zu dem fraglichen rechtsgeschäftlichen Handeln nach öffentlich-rechtlichen Bestimmungen (etwa § 36 Abs. 2 Satz 1 D G O oder § 37 Abs. 2 Satz 1 rev. D G O ) , eine Formvorschrift einzuhalten hätte. Denn der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung ist gegenüber einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft jedenfalls dann statthaft, wenn die Unwirksamkeit vertraglicher Abreden weder aus einem Verstoß gegen eine öffentlich-rechtliche Zuständigkeitsregelung noch aus Bestimmungen über die Vertretung der beteiligten Körperschaft, sondern lediglich daraus hergeleitet wird, daß die für die Form der Eingehung von Verbindlichkeiten getroffenen Anordnungen verletzt sind ( B G H 20. 1. 54 I I Z R 155/52; 2 1 . 6. 56 I I Z R 188/55; 28. 6. 56 I I Z R 327/53). Es ist daher der Satz aufzustellen: Haben die zuständigen Organe einer K ö r -

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§167 A n m . 6, 7

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

perschaft geduldet, daß ein Dritter, ohne daß ihm ausdrücklich Vollmacht erteilt worden ist, für diese Körperschaft auftritt, und konnte derjenige, mit dem der Dritte für die Körperschaft kontrahiert hat, nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte annehmen, daß der Dritte Vollmacht zur Vertretung der Körperschaft habe, so muß die Körperschaft das Geschäft gegen sich gelten lassen. Anm. 6 III. Anscheinsvollmacht Wer zwar nicht weiß, bei pflichtgemäßer Sorgfalt aber hätte erkennen und verhindern können, daß jemand, der hierzu nicht bevollmächtigt war, als sein Stellvertreter auftrat, kann sich im Interesse der Rechtssicherheit nicht auf den Mangel der Vollmacht berufen, wenn der Geschäftsgegner nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte annehmen durfte, der Vertretene kenne und dulde das Auftreten des für ihn Handelnden (Anscheinsvollmacht, R G 170, 284; B G H 5, 1 1 1 , 1 1 6 ; B G H M D R 1953, 345; 1955, 2 1 3 ; N J W 1956, 460; 1956, 1673; B G H W M 1957, 1 1 3 2 ; 1958, 403). Es handelt sich hierbei um eine dem Vertretenen auferlegte V e r t r a u e n s h a f t u n g . Sie findet ihre Rechtfertigung darin, daß der Vertragsgegner das Verhalten des Vertreters dahin auffassen durfte, es habe dem Vertretenen bei Anwendung verkehrsmäßiger Sorgfalt nicht verborgen bleiben können. Der Vertretene haftet anders als bei der Duldungsvollmacht nicht aus einem von ihm (durch seine Duldung) erzeugten Rechtsschein, sondern aus einem infolge seiner Nachlässigkeit von seinem Vertreter herbeigeführten, also aus entstandenem Rechtsschein. Das Vertrauen in das Bestehen der behaupteten Vollmacht kann schon wegen der Art des Geschäfts fahrlässig sein; deshalb ist Zurückhaltung in der Annahme einer Anscheinsvollmacht bei wichtigen, gründliche Vorbereitung und dabei nicht eilbedürftigen Geschäften geboten (BGH N J W 1958, 2061). Neuerdings wird die Duldungsvollmacht vielfach der stillschweigenden Bevollmächtigung gleichbehandelt ( B G H W M 1956, 154; N J W 1956, 1673, W M 1957, 926). Wer das tut, stellt für die Anscheinsvollmacht auf einen vom Vertretenen erzeugten Rechtsschein ab. So sagt B G H W M 1957, 926, die Haftung aus Anscheinsvollmacht setze ein Verhalten des Vertretenen voraus, aus dem der Geschäftsgegner auf eine Bevollmächtigung schließen darf, und hierfür sei nur das Verhalten einer Person maßgebend, die in der Lage sei, eine wirksame Vollmacht für den Vertretenen zu erteilen. In jedem Falle muß der hervorgerufene Rechtsschein den Geschäftsgegner zum Geschäftsabschluß bestimmt haben, B G H W M 1957, 926. Bei der Prüfung, ob der Vertretene sich den Rechtsschein der Vollmacht des für ihn Handelnden entgegenhalten lassen muß, ist auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages abzustellen; später liegende Vorgänge können nur unter dem Gesichtspunkt der Genehmigung eines ohne Vertretungsmacht abgeschlossenen Vertrages von Bedeutung sein, B G H W M 1957, 1 1 3 2 . Anm. 7 Die Haftung auf Grund einer Anscheinsvollmacht ist nicht auf den kaufmännischen Verkehr zu beschränken, R G D R 1942, 1 7 2 ; B G H N J W 1 9 5 1 , 309. Im Bankverkehr wird allerdings eine solche Haftung kaum praktisch werden, da eine genaue Regelung der Zeichnungs- und Vertretungsbefugnis der für die Bank handeinen Personen üblich ist und der Bankkunde durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen und ausgehängte Zeichnungslisten auf die Vertretungsregelung hingewiesen wird, so daß der Bankkunde kaum annehmen kann, die Bank billige eine davon abweichende Handhabung; allein daraus, daß ein Angestellter seine Vertretungsmacht behauptet und der Geschäftsgegner sich hierauf verlassen hat, kann eine Bindung der Bank an die Erklärungen eines nicht bevollmächtigten Angestellten nicht hergeleitet werden,BGH M D R 1 9 5 5 , 2 1 3 . Diese Entscheidung hebt hervor, daß das Reichsgericht in gefestigter Rechtsprechung (RG 1 1 6 , 227, 230; 1 1 6 , 247, 254; 127, 226, 228; 146, 42, 49; 157, 207; 162, 129, 149) die Ausschließlichkeit der öffentlich-rechtlichen Satzungsvorschriften für die Vertretung öffentlicher Anstalten, insbesondere von Sparkassen, mit der Folge aner-

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Vertretung. Vollmacht

§167 Anm. 7

kannt habe, daß eine Vertretungsmacht aus anderen Tatbeständen (stillschweigende Vollmacht, Anscheinsvollmacht, Treu und Glauben) nicht zur Entstehung gelangt. Das ist auch die Ansicht des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone ( O G H i, 242, 244; 2, 3 1 9 , 330); er hat betont, daß die im öffentlichen Interesse über die Zuständigkeit zur rechtsgeschäftlichen Vertretung öffentlich-rechtlicher Körperschaften und Anstalten erlassenen Vorschriften zwingender Natur seien und nicht durch Berufung auf Treu und Glauben umgangen werden dürften. Diesen Standpunkt vertreten auch die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs B G H 6, 3 3 0 ; L M Nr. 1 zu § 36 D G O . Diese Meinung wird einer sorgfältigen Nachprüfung bedürfen. Der I I . Zivilsenat des B G H hat in den drei oben Anm. 5 zitierten insoweit unveröffentlichten Entscheidungen ausgesprochen, daß es mit Treu und Glauben unvereinbar ist, wenn sich eine Körperschaft des öffentlichen Rechts auf die Unwirksamkeit vertraglicher Abreden wegen fehlender Schriftform (§ 36 Abs. 2 D G O , § 37 Abs. 2 rev. D G O ) beruft. E r begründet dies damit, es sei Sinn und Zweck der in § 36 Abs. 2 S. 1 D G O vorgeschriebenen Form, die öffentliche Hand vor unbedachten und übereilten Handlungen ihrer Vertretungsorgane zu schützen und alle Verpflichtungen nach Gegenstand und U m f a n g klarzustellen; insoweit bestehe ein Unterschied etwa zu dem in § 3 1 3 verfolgten Gesetzeszweck, und dort könne auch der Berufung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft auf den Formmangel mit dem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung begegnet werden. Hier ist immerhin gegenüber einem vom öffentlichen Recht verlangten Geschäftserfordernis ein Einwand aus § 242 B G B gegenüber Behörden zugelassen worden. Der V . Zivilsenat des B G H ( J Z 1952, 591) hat angenommen, daß eine Gemeinde auch aus Verschulden beim Vertragsschluß schadensersatzpflichtig werden könne und daß diese Haftung bloß voraussetze, daß der für die Gemeinde Verhandelnde hierzu bevollmächtigt war, nicht aber, daß er Abschluß voll macht hatte. Damit ist nicht vereinbar, wenn eine Haftung von Körperschaften des öffentlichen Rechts aus Anscheinsvollmacht abgelehnt wird. Für die öffentliche Hand kann kein anderes (besseres) Recht gelten als für den Privaten ( S c h o l z N J W 1953, 9 6 1 ; 1950, 83). Gewiß hat B e i t z k e ( M D R 1953, 1) Recht, daß die vom öffentlichen Recht für Privatrechtsgeschäfte der öffentlichen Hand aufgestellten Wirksamkeitserfordernisse nicht ohne weiteres unbeachtet bleiben dürfen; deshalb kann Anscheinsvollmacht bei Rechtsgeschäften, die für eine juristische Person außerhalb ihres durch Gesetz oder Satzung bestimmten Wirkungskreises vorgenommen werden (vgl. dazu B G H 20, 1 1 9 ) , nie in Betracht kommen; aber das zur Anscheinsvollmacht gehörende Vertrauenserfordernis gibt die Möglichkeit zu sachgerechter Abgrenzung. Wenn der Vertragsgegner nach allgemeiner Lebenserfahrung und vernünftiger Betrachtung objektiv erkennen konnte, daß der Handelnde überhaupt keine oder nicht die zu dem Geschäft erforderliche Vertretungsmacht haben kann, ist für die Annahme einer Anscheinsvollmacht kein R a u m , weder im Verkehr privater Bürger untereinander noch im privaten Geschäftsverkehr mit einer Behörde. Die Vertretung der öffentlichen Hand ist für den einfachen Menschen weitgehend undurchsichtig und ohne Publizität geordnet und der Schutz des Vertrauens darum besonders wichtig ( N i p p e r d e y J Z 1952, 577). I m übrigen greift die Bindung kraft Anscheinsvollmacht nur da ein, wo die verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Körperschaft ihre Sorgfaltspflicht in einer Weise verletzt haben, daß der Geschäftsgegner aus dem Verhalten des für die Körperschaft Handelnden entnehmen durfte, daß die verfassungsmäßigen Vertreter das Auftreten des Handelnden kennen und dulden. Schließlich ist zu beachten, daß es sich bei der Bindung auf Grund Anscheinsvollmacht nicht um eine Haftung kraft Rechtsgeschäfts (Vollmacht), sondern um eine sich aus der Verkehrs- und Rechtssicherheit ergebende, also um eine auferlegte Haftung geht ( C o i n g in Staudinger § 167 Anm. g d und i o d ) . Der Gedanke von B G H 12, 105, daß aus dem Vertrauen auf einen Rechtsschein niemand weitergehende Ansprüche herleiten kann, als er haben würde, wenn der Rechtsschein der wirklichen Rechtslage entspräche, ist auch bei der Haftung aus einer Anscheinsvollmacht verwendbar. Ein Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft darf sich im Hinblick auf sein Anstellungsverhältnis und die sich daraus ergebende Treupflicht nicht auf die Grundsätze über die Anscheinsvollmacht berufen, wenn es eine Verbesserung seines Anstel-

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§ 167

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A n m . 8—11 lungsvertrages in Anspruch nimmt, die ihm der Aufsichtsrat tatsächlich nicht gewähren wollte, B G H 20, 239, 248. Die Grundsätze über die Anscheinsvollmacht kommen nicht in Betracht, wenn jemand den für eine Personalgesellschaft Handelnden für einen vertretungsberechtgten Gesellschafter und nicht für eine bevollmächtigte Person hält ( B G H W M 1956, 461, 462); diese Grundsätze kommen nur in Frage, wenn der im Namen eines anderen Handelnde als Bevollmächtigter angesehen wird.

Anm. 8 IV. Formfreiheit Die Bevollmächtigung ist grundsätzlich formfrei ( R G 54, 79; 65, 1 7 8 ; Gruchot 50, 1 1 5 ; J W 1927, 1 3 6 3 ; SeufTArch 86 Nr. 197). Die Vollmacht zur Abtretung von Geschäftsanteilen einer G m b H bedarf nicht der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung ( R G 135, 70); damit aber der Zweck der Formvorschrift des § 1 5 Abs. 3, 4 G m b H G , den formlosen Handel mit Geschäftsanteilen zu verhindern, erreicht werden kann, muß die Vollmacht den Bevollmächtigten namentlich nennen, damit nur ein einmaliger Verkauf und eine einmalige Abtretung ermöglicht wird, B G H 13, 49. Die Vollmacht zum Verkauf und Erwerb von Grundstücken ist grundsätzlich formfrei, da sich § 3 1 3 nur auf das Hauptgeschäft, den Kaufvertrag, und nicht auf ein Hilfsgeschäft, wie die Vollmacht bezieht ( R G 62, 336; 108, 125).

Anm. 9 Die Vollmacht bedarf aber der für das Rechtsgeschäft bestimmten Form, wenn sie bloß Teil eines einheitlichen Geschäfts ist, das der Form bedarf; oder wenn schon die Vollmacht demselben Zweck dient wie der Abschluß des formbedürftigen Hauptgeschäfts (§ 3 1 3 ) ; das ist der Fall, wenn der Verkäufer eines Grundstücks einen anderen ermächtigt, den K a u f gemäß § 181 mit sich selbst abzuschließen, oder wenn der Bevollmächtigte dem Vollmachtgeber gegenüber, etwa als sein Angestellter, verpflichtet ist, lediglich nach dessen Weisungen als willenloses Werkzeug tätig zu sein ( R G 54, 79; 62, 3 3 6 ; 76, 1 8 3 ; 7 9 , 2 1 5 ; 8 1 , 5 1 ; 9 7 , 3 3 4 ; WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 3 9 3 ; J W 1920, g66 5 ; SeufTArch 77 Nr. 6 1 ; 85 Nr. 60; H R R 1928, 304); oder wenn der Bevollmächtigung zum Verkaufeines Grundstücks ein unwiderruflicher Auftrag zugrunde liegt ( R G 104, 238; 110» S ^ J W 1928, 2 5 1 6 3 ; 1929, 1968 1 7 ; 1 9 3 1 , 5 2 2 3 ; 1937, 4 7 1 ; WarnRspr 1930 N r . 9 2 ; R G L Z 1927, 1 0 3 5 ; B G H N J W 1952, 1 2 1 0 ) .

A n m . 10 Die Formfreiheit der Vollmachterklärung darf nicht dazu dienen, einen formpflichtigen Grundstückskaufvertrag im Wege formfreier Bevollmächtigung vorzunehmen ( R G 108, 1 2 5 ; R G SeufFArch86 Nr. 1 1 2 ) . Uber die unwiderrufliche Vollmacht für den Bevollmächtigten, Grundstücke an sich selbst oder an denjenigen aufzulassen, an den er die Rechte aus einem Kaufangebot abtreten würde, s. R G J W 1932, 1367 2 3 . Immer sind aber die Umstände des einzelnen Falles, sowie Inhalt und Zweck des Vertrages zu berücksichtigen; ist danach eine Umgehung der Form nicht beabsichtigt, so bedarf es auch nicht der Einhaltung der Formvorschrift ( R G J W 1930, 1300 4 ). Diese aus den besonderen Verhältnissen des Grundeigentums und dem Zweck des § 3 1 3 sich ergebenden Grundsätze lassen sich aber auf den Fall einer Veräußerung von Anteilen einer Gesellschaft m b H (§ 1 5 Abs. 3, 4 G m b H G ) nicht übertragen; insbesondere ist es für die Formfreiheit von Vollmachten, die einen Bevollmächtigten benennen, ohne Belang, ob damit eine Abtretung verdeckt oder eine Bindung des Vollmachtgebers begründet wird ( R G 1 3 5 , 70; vgl. oben Anm. 8).

A n m . 11 Eine Vollmacht zur Übertragung des A n t e i l s d e s V o l l m a c h t g e b e r s a n e i n e r E r b s c h a f t gemäß § 2033 Abs. 1 bedarf der dort vorgeschriebenen Form, wenn durch die Vollmacht im wesentlichen dieselbe Rechtslage geschaffen werden soll, wie durch die Übertragung des Erbanteils selbst ( K G H R R 1937, 994).

608

Vertretung. Vollmacht

§ 1 6 7 A n m . 12—15 § 168 A n m . 1, 2

A n m . 12 Die z u r U n t e r z e i c h n u n g e i n e s G e s e l l s c h a f t s v e r t r a g s ü b e r d i e E r r i c h t u n g e i n e r G m b H e r t e i l t e V o l l m a c h t bedarf der Form des § a Abs. 2 G m b H G ; auch die nachträgliche Genehmigung einer etwaigen auftragslosen Geschäftsführung ist derart formbedürftig (RG 102, 2 1 ) . A n m . 13 Die V o l l m a c h t z u r S t i m m a b g a b e in der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft bedarf nach § 1 1 4 Abs. 3 A k t G der Schriftform ( R G 105, 292). A n m . 14 Soweit eine schriftliche Vollmacht erforderlich ist, muß aus der Urkunde selbst der G e g e n s t a n d d e r B e v o l l m ä c h t i g u n g hervorgehen, andernfalls ist die Vollmacht nichtig (RG 105, 292). A n m . 15 Die Nichtigkeit der erteilten Vollmacht kann nicht einem gutgläubigen Dritten entgegengehalten werden; der g u t g l ä u b i g e D r i t t e muß sich auf die Gültigkeit einer ordnungsmäßig erscheinenden Vollmacht verlassen können, ihm kann nicht die Prüfung der Gültigkeit der Vollmacht zugemutet werden ( R G 69, 234; 97, 273). Der Dritte kann aber nicht auf die Gültigkeit der Vollmacht vertrauen, wenn ihre Nichtigkeit aus der Urkunde hervorgeht, R G 108, 125.

§168 Das Erlöschen der Vollmacht bestimmt sich nach dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnisse. Die Vollmacht ist Fortbestehen des Rechtsverhältnisses widerruflich, sofern diesem ein anderes ergibt. Auf die Erklärung des Widerrufs schrift des § 167 A b s . 1 entsprechende Anwendung.

ihrer Erteilung auch bei dem sich nicht aus findet die V o r -

E I 119 II 158; M I 233?; F I 14;ff.

Übersicht I. II. III. IV. V.

Satz 1 Widerruf der Vollmacht T o d des Vollmachtgebers Andere Erlöschensgründe Erklärung des Widerrufs

Anm.

1, 2 3—-5 6 7—12 13

Anm. 1 I. Satz 1 Die Vollmacht erlischt mit dem ihr zugrunde liegenden Rechtsverhältnis. Das ist bloß ein mittelbarer Erlöschensgrund. Welche Umstände das Grundverhältnis zum Erlöschen bringen, bestimmt sich nach seiner Natur. Als der Vollmacht zugrunde liegende Rechtsverhältnisse kommen hauptsächlich in Betracht: Auftrag, Dienstvertrag, Werkvertrag, Gesellschaft, und als Erlöschensgründe: Kündigung — sowohl von Seiten des Vollmachtgebers wie des Bevollmächtigten —, Tod, Konkurs, Eintritt der Geschäftsunfähigkeit (§§671 ff, 62off, 649, 723 fr) sowie das Rücktrittsrecht gemäß § 3 2 6 und § 23 K O . Eine Vollmacht auf die Dauer eines Rechtsverhältnisses (sogar eines solchen im eigenen Interesse des Bevollmächtigten) kann auch durch eine Verfügung von Todes wegen erteilt werden ( R G 28. 1 1 . 1907 I V 146/07). Anm. 2 Eine V o l l m a c h t k a n n a u c h ü b e r d e n T o d d e s V o l l m a c h t g e b e r s f o r t d a u e r n ( R G 88, 3 4 5 ; 106, 1 8 5 ; 1 1 4 , 3 5 1 , 354); in diesem Falle erlischt die Vollmacht

609

§168 A n m . 3—5

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

durch den Tod des Vollmachtgebers auch dann nicht, wenn der Bevollmächtigte alleiniger Erbe des Vollmachtgebers ist ( H u e c k J Z 1948, 458 und § 164 Anm. 7). Da § 168 Satz 1 einen allgemeinen Grundsatz enthält, erlischt auch die Prozeßvollmacht mit der Konkurseröffnung, RG 118, 158. Anm. 3 II. Widerruf der Vollmacht Der Vollmachtgeber kann die Vollmacht jederzeit und ohne Rücksicht auf den Fortbestand des Rechtsverhältnisses widerrufen, es sei denn, daß sich aus diesem ein anderes ergibt. Da die letztere Voraussetzung nur dann gegeben sein kann, wenn die Vollmacht mit Rücksicht auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis erteilt worden, so folgt, daß die rein abstrakte Vollmacht unter allen Umständen frei widerruflich ist, mithin auch dann, wenn ihr die Bestimmung der Unwiderruflichkeit beigefügt wird, während umgekehrt eine solche Bestimmung bindend ist, wenn sie mit Rücksicht auf das der Vollmacht zugrunde liegende Rechtsverhältnis hinzugefügt und erkennbar dazu vorgesehen ist, die Fortdauer der Vollmacht für die Dauer des Rechtsverhältnisses selbst, oder aber bis zur Erledigung aller aus ihm hervorgehenden Beziehungen zu sichern (RG 62, 337; H R R 1934, 2). Die Vereinbarung der Beteiligung eines Mäklers an einem den Mindestverkaufpreis übersteigenden Mehrerlös schließt den Widerruf der Vollmacht mangels anderweitiger Sonderabrede aus, sofern der Mäklerauftrag für festbestimmte Zeit erteilt ist (RG J W 1927, 11391). Der einseitige Verzicht des Vollmachtgebers auf den Widerruf der mit Rücksicht auf ein bestehendes Rechtsverhältnis erteilten Vollmacht ist nicht bindend (RG 62, 337); wohl aber ist es der durch Annahme des Verzichts abgeschlossene Verzichtvertrag. Eine auf Einräumung der Verwaltung des ganzen Vermögens und auf Vertretung in allen vermögensrechtlichen Angelegenheiten gerichtete Vollmacht (Generalvollmacht im weitesten Sinne) kann ohnehin schon gemäß § 138 (wegen übermäßiger Beschränkung der Willensfreiheit) nichtig sein (RG WarnRspr 1912 Nr. 413). Eine abstrakt erteilte G e n e r a l v o l l m a c h t ist frei widerruflich; bei einer auf Grund eines bestimmten Rechtsverhältnisses erteilten Generalvollmacht greifen die gewöhnlichen Regeln Platz (RG WarnRspr 1912 Nr. 413; RG SeuffArch 79 Nr. 221). Anm. 4 F r e i w i d e r r u f l i c h ist d i e V o l l m a c h t in d e r R e g e l d a n n n i c h t , wenn sie nicht oder doch nicht nur im Interesse des Vollmachtgebers, sondern auch in fremdem Interesse, dem des Bevollmächtigten oder eines Dritten, erteilt ist, insbesondere, um den Bevollmächtigten zu ermächtigen, eine Forderung zu eigener Befriedigung oder zur Befriedigung eines Dritten einzuziehen (RG 52,99; 53,419; WarnRspr 08 Nr. 123; 1935 Nr. 174; H R R 1934, 2; dort auch über Unwiderruflichkeit bei Parzellierungsvollmachten). Denn unter solchen Umständen folgt der Verzicht des Vollmachtgebers auf das Widerrufsrecht und seine Annahme durch den Bevollmächtigten regelmäßig aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis ohne weiteres. Das Vorliegen einer einseitigen Erklärung des Vollmachtgebers genügt für sich allein auch in Fällen dieser Art nicht, es bedarf einer, wenn nicht ausdrücklichen, so doch stillschweigenden Vereinbarung mit dem Bevollmächtigten oder dem Dritten (RG 109, 331; RG Gruchot 69, 218; RG J W 1932, 15181). Eine Vollmacht, die Bestandteil eines Vertrages ist, kann nur aus Gründen, die zur Vertragsänderung berechtigen, einseitig eingeschränkt oder beseitigt werden, BGH 15. 12. 1958 II ZR 110/57. Die einer Vollmacht beigefügte Unwiderruflichkeitsabrede ist wirkungslos, wenn der Vollmachterteilung lediglich ein Auftrag zugrunde gelegen hat (RG WarnRspr 1912 Nr. 369; H R R 1934, 2). Auch eine unwiderruflich erteilte Vollmacht kann aus einem wichtigen Grunde kündbar sein (HRR 1937, 1575). Anm. 5 Für einen W i d e r r u f d u r c h d e n B e v o l l m ä c h t i g t e n ist kein Raum, da er bei Begründung des Vollmachtsverhältnisses überhaupt nicht mitwirkt und seine Rechts-

610

Vertretung. Vollmacht

§168 Anm. 6—12

Stellung sich in einer bloßen Befugnis erschöpft. Der Bevollmächtigte kann jedoch mittelbar auf die Beseitigung des Vollmachtsverhältnisses in der Weise einwirken, daß er das Grundverhältnis zum Erlöschen bringt.

Anm. 6 III. Tod des Vollmachtgebers D a ß der Tod des Vollmachtgebers grundsätzlich als ein unmittelbar wirkender Erlöschungsgrund anzusehen sei, bestimmt das Gesetz nicht, ist daher auch nicht anzunehmen. Es ist Auslegungssache, ob der Machtgeber die Ermächtigung ausschließlich für seine Person hat geben wollen. Grundsätzlich behält die Vollmacht auch über den Tod des Vollmachtgebers hinaus ihre volle Wirksamkeit (RG 88, 345; 106, 185; 114, 351,354); in diesem Falle bedarf der Bevollmächtigte, wenn Erbe des Vollmachtgebers ein Minderjähriger ist, zu Rechtsgeschäften, zu denen der gesetzliche Vertreter vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung bedarf, nicht dieser Genehmigung (RG 106, 185; K G DJ 1935, 940). Eine Generalvollmacht besteht auch ohne dahingehende Anordnung nach dem Tode des Vollmachtgebers fort, es sei denn, d a ß der Vollmacht kein kausales Verhältnis zugrundeliegt oder d a ß das Innenverhältnis mit dem Tode des Vollmachtgebers erlischt, R G J W 1929, 16474. Die Vollmacht kann sogar auf den Fall des Todes des Vollmachtgebers berechnet sein (RG WarnRspr 1925 Nr. 126). Ist die Vollmacht widerruflich, so kann jeder Erbe für seine Person dem Bevollmächtigten die Vertretungsmacht wirksam entziehen (RG SeufFArch 79 Nr. 221; K G H R R 1937, 1368).

Anm. 7 IV. Andere Erlöschensgründe 1. Der T o d d e s B e v o l l m ä c h t i g t e n beendet das Vollmachtsverhältnis in der Regel unmittelbar, weil die Vollmachterteilung regelmäßig Vertrauenssache ist und sonach schon die Vermutung für eine Beschränkung auf die Person spricht. Regelmäßig stellt die in der Vollmacht enthaltene Befugnis auch kein Vermögensrecht im Sinne des § 1922 dar.

Anm. 8 2. G e s c h ä f t s u n f ä h i g k e i t d e s B e v o l l m ä c h t i g t e n Grunde ebenfalls als Erlöschungsgrund anzusehen sein.

wird aus dem gleichen

Anm. 9 3. Bloße Beschränkung der Geschäftsfähigkeit ist an u n d für sich einflußlos (§ 165). Die B e s c h r ä n k u n g i n d e r V e r f ü g u n g s b e f u g n i s (§ 6 K O ) ist insoweit von Bedeutung, als sie auf das Grundverhältnis einwirkt.

Anm. 10 4. E r l i s c h t d a s V e r f ü g u n g s r e c h t d e s V o l l m a c h t g e b e r s i n A n s e h u n g e i n e s f r e m d e n V e r m ö g e n s (wie das des Konkursverwalters, Zwangs Verwalters, Testamentsvollstreckers), dann erlischt damit auch die Vollmacht. Die vom gesetzlichen Vertreter erteilte Vollmacht erlischt dagegen mit Aufhören des Vertretungsrechts nicht (RG 41, 65).

Anm. 11 5. Die Vollmacht endet mit Ablauf der vereinbarten F r i s t oder mit dem Eintritt der vorgesehenen B e d i n g u n g .

Anm. 12 6. Kein Erlöschungsgrund ist es dagegen, wenn der V o l l m a c h t g e b e r nach Erteilung der Vollmacht g e s c h ä f t s u n f ä h i g w i r d .

611

§ 1 6 8 A n m . 13 § § 169, 170

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 13 V . E r k l ä r u n g d e s W i d e r r u f s . Der Widerruf der Vollmacht kann in entsprechender Anwendung des § 167 Abs. I sowohl dem Bevollmächtigten als auch dem Geschäftsgegner gegenüber erklärt werden. Der Dritte ist jedenfalls in den Fällen der §§ 170—172 der richtige Erklärungsempfänger. Der Vollmachtswiderruf ist eine einseitige, formlose, empfangsbedürftige Willenserklärung. Uber den Fortbestand einer Generalvollmacht in einem Falle, in dem der Vollmachtgeber die Vollmachtsurkunde zurückverlangt, gleichwohl aber in der Hand des Bevollmächtigten belassen hatte, s. R G J W 1932, 12021.

§ 1 6 9

Soweit nach den §§ 674, 729 die erloschene Vollmacht eines Beauftragten oder eines geschäftsführenden Gesellschafters als fortbestehend gilt, wirkt sie nicht zugunsten eines Dritten, der bei der Vornahme eines Rechtsgeschäfts das Erlöschen kennt oder kennen muß. EI

119 II 138; M I Z34ff; P 2 ji8ff.

Ein Auftrag, der in anderer Weise als durch Widerruf (z. B. durch Konkurs des Auftraggebers) erlischt, gilt nach § 674 z u g u n s t e n d e s B e a u f t r a g t e n a l s f o r t b e s t e h e n d , bis dieser von dem Erlöschen Kenntnis erlangt oder das Erlöschen kennen muß. Ganz entsprechend gilt die einem Gesellschafter durch den Gesellschaftsvertrag übertragene Befugnis zur Geschäftsführung als fortbestehend, wenn die Gesellschaft in anderer Weise als durch Kündigung aufgelöst wird (§ 729). Beide Bestimmungen bezwecken, den gutgläubigen Beauftragten (Geschäftsführer) gegen die Gefahren zu schützen, die ihm aus einer auftraglosen Geschäftsführung entstehen können. Dementsprehend gilt auch eine gemäß § 168 Satz 1 an sich erloschene Vollmacht zugunsten des Vertreters als fortbestehend. In beiden Fällen (§§ 674, 729) wirkt die Vertretungsbefugnis aber nur zugunsten desjenigen Dritten fort, der das Erlöschen der Vollmacht bei Vornahme des Rechtsgeschäfts weder kannte noch kennen mußte ( R G J W 05, 488'). Die Gutgläubigkeit des Dritten muß bei Vornahme des Rechtsgeschäfts vorhanden sein, bei Vertragsschluß durch Angebot und Annahme also bis zur Annahme ( R G 25. 6. 1931 V I 82/31).

§ 1 7 0

Wird die Vollmacht durch Erklärung gegenüber einem Dritten erteilt, so bleibt sie diesem gegenüber in Kraft, bis ihm das Erlöschen von dem Vollmachtgeber angezeigt wird. E II 139; P I 147ff.

Ist die Vollmacht durch Erklärung gegenüber einem D r i t t e n erteilt worden (§ 167), so kann sie dem Dritten gegenüber, auch wenn sie nach § 168 bereits erloschen ist, nur dadurch außer Kraft gesetzt werden, daß ihm das E r l ö s c h e n der Vollmacht a n g e z e i g t wird (§ 130). Zu beachten bleibt dabei jedoch die Regel des § 173, wonach schlechtgläubige Dritte das Fehlen der Anzeige nicht vorschützen können. Ist die Vollmacht durch Erklärung dem B e v o l l m ä c h t i g t e n gegenüber erteilt worden, so greift § 1 7 0 nicht Platz; der Dritte muß daher das Erlöschen der Vollmacht ohne weiteres gegen sich gelten lassen. Da das Gesetz eine Verpflichtung des Vollmachtgebers zur Anzeige des Erlöschens der Vollmacht überhaupt nicht vorsieht, so kann er vom Dritten wegen Unterlassens der Anzeige höchstens nach den Grundsätzen von unerlaubten Handlungen (§§ 823 fr) haftbar gemacht werden. Die Vorschrift des § 170 ist entsprechend auch dann anwendbar, wenn die Vollmacht des Vertreters inhaltlich abgeändert, namentlich eingeschränkt wird ( R G J W 1915, 998") •

612

Vertretung. Vollmacht

§171 Anm. 1—5

§171 Hat jemand durch besondere Mitteilung an einen Dritten oder durch öffentliche Bekanntmachung kundgegeben, daß er einen anderen bevollmächtigt habe, so ist dieser auf Grund der Kundgebung i m ersteren Falle dem Dritten gegenüber, i m letzteren Falle jedem Dritten gegenüber zur Vertretung befugt. Die Vertretungsmacht bleibt bestehen, bis die Kundgebung in derselben Weise, wie sie erfolgt ist, widerrufen wird. E I 120 II 140; M I 237ff; P I 14s ff.

Anm. 1 I. Gibt jemand durch besondere Mitteilung oder öffentliche Bekanntmachung

kund, er habe einem anderen Vollmacht erteilt, so hat der andere Vertretungsbefugnis, auch wenn ein Vollmachtsverhältnis in Wirklichkeit nicht besteht ( R G 104, 360). Es bleibt sich gleich, ob die Vollmacht in Wirklichkeit überhaupt nicht erteilt worden oder aus irgendeinem Grunde nicht wirksam zur Entstehung gelangt oder durch Anfechtung vernichtet worden ist. Die Vertretungsbefugnis gilt bei Mitteilung an einen bestimmten Dritten diesem, bei öffentlicher Bekanntmachung jedem Dritten gegenüber als gegeben. Die Mitteilung bedarf keiner Form ( R G 2. 7. 1902 V 160/02). Ebensowenig ist eine bestimmte Art der Bekanntmachung vorgesehen. Sie kann daher in jeder geeigneten Weise (auch durch Anschlag im Geschäftslokal oder durch das Firmenschild) bewirkt werden. Die Kundgebung muß aber, wenn sie die Wirkung des § 1 7 1 haben soll, für sich allein ohne Hinzutritt sonstiger Umstände die Bevollmächtigung und insbesondere auch die Person des Bevollmächtigten erkennen lassen ( R G J W 1929, 576'). Z u beachten bleibt die Vorschrift des § 173 ( R G 3. 12. 1907 III 178/07).

Anm. 2 A n w e n d b a r i s t § 1 7 1 nur insoweit, als die Ermächtigung für ein erst vorzunehmendes Rechtsgeschäft in Frage steht; dagegen nicht auch dann, wenn es sich darum handelt, ob ein anderer zur Vornahme eines bereits abgeschlossenen Rechtsgeschäfts bevollmächtigt gewesen sei; die Vertretungsbefugnis besteht erst, nachdem die K u n d gabe erfolgt ist ( R G 104, 360). Kannte der Dritte die Unwirksamkeit der Vollmacht, dann kann er sich auf § 1 7 1 nicht berufen; er würde wissen, daß der angeblich Bevollmächtigte mit der nur scheinbaren Vollmacht Mißbrauch treibe (vgl. § 166 Anm. 27). Unkenntnis aus bloßer Fahrlässigkeit kann dagegen dem Dritten nicht entgegenstehen; der § 1 7 3 hat lediglich den Fall des Erlöschens der Vollmacht und nicht auch den ihrer Erteilung im Auge.

Anm. 3 D r i t t e r i m S i n n e d e s § 1 7 1 muß ein anderer sein als der angeblich Bevollmächtigte, während die Kundgabe an jemand, daß er bevollmächtigt sei, die Bevollmächtigung selbst enthält ( R G 104, 360).

Anm. 4 Liegt in einer bestimmten Wortfassung nicht die Erteilung einer Vollmacht, so kann in der Verwendung derselben Worte einem Dritten gegenüber auch nicht die Mitteilung einer Vollmacht liegen, B G H 20, 248.

Anm. 5 Hat der Gläubiger die von ihm mit einer B l a n k o a b t r e t u n g ausgestellte Schuldurkunde einem anderen ausgehändigt, dann gilt dieser Dritten gegenüber als zur freien Verfügung über die Forderung befugt, zumal wenn der andere ein Bankier ist; verfügt der andere über die Forderung nicht auftragsgemäß im Interesse des Gläubigers, sondern mißbräuchlich im eigenen Interesse, so ist die Verfügung gleichwohl wirksam, es sei denn, daß der Dritte gewußt hat oder aus den Umständen, insbesondere aus dem Inhalt der Blankoabtretung ersehen mußte, daß der andere auftragswidrig und mißbräuchlich 40

Komm. z. BGB. n . A u f l . I. Bd. (Kuhn)

613

§ 1 7 1 A n m . 6, 7

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

§ 1 7 2 A n m . 1—3 handle ( R G 7 1 , 22). Blankoscheck als Vollmacht s. R G SeuffArch 79 Nr. 1 4 1 . Nach den gleichen Grundsätzen muß auch derjenige, welcher einem anderen eine zu dessen Gunsten lautende Abtretungsurkunde ausgehändigt hat, dem Dritten gegenüber, der von dem angeblichen Abtretungsempfänger gutgläubig erworben hat, seine Abtretungserklärung auch dann gegen sich gelten lassen, wenn sie nur zum Schein abgegeben worden ist ( R G 90, 277). Wer einem anderen Grundschuldbriefe nebst unterschriebenen Abtretungsformularen aushändigt, gibt jedem Dritten, mit dem sich der andere einläßt, zu erkennen, daß er den anderen zur Verfügung über die Grundschuldbriefe ermächtigt hat (RG 8 1 , 257).

Anm. 6 A u f d e n g u t e n G l a u b e n d e s a n g e z e i g t e n B e v o l l m ä c h t i g t e n kommt es nicht an, denn die Bestimmung des § 1 7 1 dient lediglich zum Schutz des gutgläubigen Dritten (vgl. dagegen zu § 169).

Anm. 7 I I . Die nach Abs. 1 anzunehmende V e r t r e t u n g s m a c h t kann nur auf dem Wege der Mitteilung oder der öffentlichen Bekanntmachung b e s e i t i g t werden. Auch diese Erklärungen sind formfrei. Gegenüber demjenigen Dritten, dem der Widerruf besonders bekanntgemacht worden ist, bedarf es, um die Vollmacht ihm gegenüber zu entkräften nicht erst der öffentlichen Bekanntmachung des Widerrufs (§ 173).

§ 1 7 3 Der besonderen Mitteilung einer Bevollmächtigung durch den Vollmachtgeber steht es gleich, wenn dieser dem Vertreter eine Vollmachtsurkunde ausgehändigt hat und der Vertreter sie dem Dritten vorlegt. Die Vertretungsmacht bleibt bestehen, bis die Vollmachtsurkunde dem Vollmachtgeber zurückgegeben oder f ü r k r a f t l o s e r k l ä r t w i r d . E I 121 II 141 4; M I 238?; P I 147ff.

Anm. 1 I . V o r l e g u n g d e r V o l l m a c h t s u r k u n d e . Die Beurkundung der Vollmacht ist kein Wirksamkeitserfordernis. Ist aber eine Urkunde ausgestellt, vom Vollmachtgeber oder aocn mit seinem Wissen und Willen ( R G 23. 1 1 . 1923 V 107/23) dem Vertreter ausgehändigt und von diesem dem Geschäftsgegner vorgelegt worden, dann gilt ihm gegenüber das Vollmachtsverhältnis so, wie beurkundet, als bestehend, selbst wenn tatsächlich etwas anderes gewollt ist. Dem Geschäftsgegner kann also nicht entgegengehalten werden, die Vollmacht sei nichtig oder nicht so erteilt, wie sie laute oder ihm mitgeteilt sei oder daß die Vollmacht anfechtbar und wirksam angefochten ist ( R G 108, 1 2 5 ; R G H R R 1937, 548; 1936, 865, sowie § 1 7 1 Anm. 1).

Anm. 2 Die A u s h ä n d i g u n g d e r U r k u n d e an den Vertreter u n d ihre V o r l e g u n g an den Dritten sind W i l l e n s e r k l ä r u n g e n und als solche nach §§ 105 Abs. 1, 1 3 1 Abs. 1 unwirksam, wenn der Erklärende oder der Empfänger der Erklärung geschäftsunfähig ist ( R G WarnRspr 1936 Nr. 2).

Anm. 3 Auf § 172 kann sich n u r d e r g u t g l ä u b i g e D r i t t e berufen. Wer weiß oder wissen muß, daß die Vollmacht nicht oder nicht wirksam, oder daß sie anfechtbar oder nur mit Einschränkungen erteilt worden ist, kann sich auf die Vorschriften der § § 1 7 1 Abs. 1, 172 Abs. 1 ebensowenig berufen, wie die Vorschriften der §§ 170, 1 7 1 Abs. 2, 172 Abs. 2 dem zugute kommen, der das Erlöschen der Vertretungsmacht bei Vornahme des Rechtsgeschäfts kennt oder kennen muß (§ 173). Dabei braucht der Dritte rechtliche

614

Vertretung. Vollmacht

§ 172 A n m . 4—6

Mängel der Bevollmächtigung oder des ihr zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses die aus der Urkunde nicht hervorgehen, nicht gegen sich gelten zu lassen, wenn sie ihm nicht sonst bekannt geworden oder erkennbar sind. Rechtliche Mängel, die aus dem Inhalt der Urkunde selbst zu erkennen sind, muß er gegen sich gelten lassen ( R G 108, 1 2 5 ; R G J W 1929, 1968 1 7 ; R G Gruchot 68, 538; L Z 1 9 1 4 , 1804; 1919, 243; R G SeuffArch 78 Nr. 167; H R R 1932, 703). So kann dem gutgläubigen Erwerber eines Grundstücks, dem bei der Auflassung die in den Veräußerungsvertrag eingeschlossene Auflassungsvollmacht vorgelegt wurde, die Nichtigkeit des Veräußerungsvertrags gemäß § 138 und die daraus sich ergebende Nichtigkeit der Vollmacht ( R G 94, 147) nicht entgegengehalten werden ( R G 97, 275); der Erwerber kann sich dagegen nicht auf die Gültigkeit der Vollmacht berufen, wenn sich aus der vom Vertreter des Veräußerers vorgelegten privatschriftlichen Vollmachtsurkunde die Unwiderruflichkeit der Vollmacht und damit zugleich ihre Nichtigkeit wegen Nichteinhaltung der Form des § 3 1 3 ergibt ( R G 108, 1 2 5 ) ; wohl aber darf er sich auf die Gültigkeit der Vollmacht verlassen, wenn ihre Unwiderruflichkeit aus der Vollmachtsurkunde nicht ersichtlich ist und dem Dritten auch sonst nicht bekannt ist oder sein muß ( R G J W 1 9 3 1 , 522 6 ). Bei einer Vollmachtsurkunde, die ein Hauseigentümer einem anderen für den Abschluß von Rechtsgeschäften über das Grundstück erteilt, kann nicht ohne weiteres angenommen werden, daß der Vollmachtgeber mit ihrer Verwendung zur Herbeiführung einer Zwangsversteigerung einverstanden ist ( R G 143, 196). Die Unwirksamkeit eines vom Bevollmächtigten unter Vorlegung der Vollmachtsurkunde abgeschlossenen Rechtsgeschäfts, die durch Anfechtung der Vollmacht herbeigeführt worden ist, kann dem Geschäftsgegner nur entgegengehalten werden, wenn er die Anfechtung der Vollmacht kannte oder kennen mußte ( R G 26. 1. 1937 I I 189/36).

Anm. 4 Z u r V o r l e g u n g (die auch vor dem Geschäftsabschluß erfolgt sein kann) gehört, daß die Urkunde der sinnlichen Wahrnehmung des Dritten unmittelbar zugänglich gemacht wird; die bloße Inbezugnahme einer Urkunde steht der Vorlegung nicht gleich; das gilt auch dann, wenn sich der Dritte damit begnügt, daß sich der „Bevollmächtigte" auf eine Vollmachtsurkunde beruft ( R G 56, 63). Es ist nicht erforderlich, daß die Partei auch Einsicht in die Vollmacht genommen hat ( R G 88,430). Daß sich die Urkunde im Besitz des beurkundenden Notars befunden hat, genügt nicht; sie muß bei der Verhandlung dem Geschäftsgegner vorgelegt werden ( R G 22. 4. 1925 V 277/24). Ebenso wird der gutgläubige Erwerb vom Bevollmächtigten durch die Vollmacht nicht gedeckt, wenn sie bei der Verhandlung nicht vorgelegt, sondern nur als bei den Grundakten vorhanden erwähnt wird ( R G J W 1928, 884 1 ).

Anm. 5 Die A u s h ä n d i g u n g e i n e r L ö s c h u n g s b e w i l l i g u n g a n e i n e n N o t a r enthält keine Vollmacht zum Zahlungsempfang, aber der Erteiler der Löschungsbewilligung ist an die vom Notar gegen Empfang der Zahlung weitergegebene Löschungsbewilligung gebunden, auch wenn der Notar das Geld unterschlägt ( R G 15. 1. 1908 V 116/07). — Rechtsähnlich liegt es, wenn eine Angestellte über Blanko-Lagerscheine ihres Dienstherrn mit dessen Willen verfügt, die Urkunden ausfüllt und in den Verkehr bringt ( R G 138, 269); es ist Sache des Arbeitgebers, seine Angestellten zu überwachen, denen er Blanketturkunden mit seiner Unterschrift überläßt; geschieht dies nicht, so kann nicht der redliche Verkehr die Folgen davon tragen.

Anm. 6 I I . D i e V e r t r e t u n g s b e f u g n i s b l e i b t bis zur Rückgabe oder Kraftloserklärung der Vollmachtsurkunde b e s t e h e n ; das gilt gleichviel, ob die Vollmachtsurkunde zur Verfügung des Dritten belassen wurde oder nicht (vgl. indessen § 173). Die Kraftloserklärung erfolgt nach § 176. 40'

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§173 § 174 A n m . 1 — 3

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

§ 1 7 3 Die Vorschriften des § 170, des § 171 Abs. 2 und des § 172 Abs. 2 finden keine Anwendung, wenn der Dritte das Erlöschen der Vertretungsmacht bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts kennt oder kennen muß. E I 120 II 142; M 1 239; P 1 147*7; 4 2 2 ; ; 6 134.

Die hier angezogenen Bestimmungen haben sämtlich vor Augen, daß eine Vollmacht trotz ihres Erlöschens zugunsten Dritter als noch fortbestehend gilt; sie sollen nur dem gutgläubigen Dritten zugute kommen. Nicht geschützt ist, wer das Erlöschen der Vertretungsmacht bei der Vornahme des Geschäfts gekannt hat oder bei Anwendung der nötigen Sorgfalt hätte kennen müssen (§§ 122 Abs. 2, 276; R G 69, 235; 108, 125). Schließt jemand, der zugleich Gesamtvertretungsmacht für eine juristische Person hat, als Bevollmächtigter eines Dritten unter Vorlegung der Vollmachtsurkunde mit der durch die übrigen Gesamtvertreter vertretenen juristischen Person ein Rechtsgeschäft ab, so muß letztere die dem Bevollmächtigten zugegangene Kündigung gegen sich gelten lasssen, auch wenn sie den für sie handelnden Gesamtvertretern nicht bekannt war ( R G 22. 4. 1925 V 277/24). Die Gutgläubigkeit des Dritten muß bis zum völligen Abschluß des Rechtsgeschäfts vorhanden sein, bei Vertragsschluß durch Angebot und Annahme also auch bei der Annahme ( R G 25. 6. 1931 V I 82/31).

§ 1 7 4 Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, ist unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Die Zurückweisung ist ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte. E I 122 II 143; M I 240; P I 1 5 2 f r .

Anm. 1 Das Anwendungsgebiet dieser Vorschrift beschränkt sich auf einseitige, empfangswie beispielsweise die Kündigung. Sie geht davon aus, daß der Erklärungsempfänger bei diesen Rechtsgeschäften handelnd überhaupt nicht mitwirkt, die Vornahme des Rechtsgeschäfts auch nicht hindern kann und daher für den Fall, daß ihm die Erklärung durch einen (angeblichen) Vertreter seines Gegners abgegeben wird, wenigstens Sicherheit darüber verlangen kann, daß der Vertreter befugt handelt. Das Gesetz, das nach § 180 Satz 1 bei einseitigen Rechtsgeschäften eine Stellvertretung ohne Vertretungsrecht grundsätzlich als unzulässig erklärt, gewährt daher dem Erklärungsempfänger das Recht, das vom Vertreter vorgenommene einseitige Rechtsgeschäft zurückzuweisen, falls der Genannte nicht eine Vollmachtsurkunde vorlegt ( § 1 7 2 Abs. 1). Macht er von dieser Befugnis unverzüglich Gebrauch, so ist die Erklärung unwirksam. Eine Zurückweisung aus einem anderen Grunde hat diese Folge nicht. Die Vorlegung einer nicht ausreichenden Vollmachtsurkunde genügt nicht ( R G 66, 431). Ähnlich § i n .

bedürftige Geschäfte,

Anm. 2 Der Erklärungsempfänger hat zu beweisen, daß er das Rechtsgeschäft zurückgewiesen habe; die Nichtrechtzeitigkeit hat der Gegner zu beweisen.

Anm. 3 Die Vorschrift des § 1 7 4 ist a u f e i n v o m g e s e t z l i c h e n V e r t r e t e r (besonders dem Vormund) v o r g e n o m m e n e s e i n s e i t i g e s R e c h t s g e s c h ä f t auch n i c h t entsprechend a n w e n d b a r ( R G 74, 263), weil die Bestallung nicht die Eigenschaft einer

616

Vertretung. Vollmacht

§ 174 A n m . 4 § 175 A n m . 1—5

Vollmacht, sondern nur die Bedeutung eines gerichtlichen Zeugnisses über die Bestallung der betreffenden Person als Vormund hat. Anm. 4 Hat der Vollmachtgeber dem Dritten die Bevollmächtigung mitgeteilt (§ 171), so ist das Zurückweisungsrecht ausgeschlossen (Abs. 2).

§175 N a c h d e m Erlöschen der V o l l m a c h t h a t der Bevollmächtigte die Vollm a c h t s u r k u n d e d e m Vollmachtgeber zurückzugeben; ein Zurückbehaltungsrecht steht i h m nicht zu. H I 121 II 144; M 1 239; P z 147. 149&

Anm. 1 § 175 gibt dem Vollmachtgeber einen unbedingten A n s p r u c h auf Rückgabe der Vollmachtsurkunde. Voraussetzung dieses Anspruchs ist das Erlöschen der Vollmacht. Dagegen ist gleichgültig, ob der Vollmachtgeber oder der Bevollmächtigte das Eigentum an ihr hat. Der Anspruch wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß in der Urkunde außer der Bevollmächtigung noch das ihr zugrunde liegende Rechtsverhältnis niedergelegt worden ist (RG J W 02 Beil. 2 1 1 Nr. 52). Widerruft ein Miterbe die vom Erblasser über den Tod hinaus erteilte Vollmacht, so wird sie dadurch bezüglich der anderen Miterben nicht berührt; der Bevollmächtigte ist deshalb zur Rückgabe der Vollmachtsurkunde nicht verpflichtet (RG J W 1938, 1892 33 ). Anm. 2 Der Anspruch ist nicht dem Zurückbehaltungsrecht ausgesetzt, weil er sonst entwertet werden könnte. Anm. 3 Im Falle des Verzugs macht sich der Bevollmächtigte gemäß §§ 284 fr ersatzpflichtig. Anm. 4 Nach dem Wortlaut des Gesetzes besteht der Anspruch nur dem Bevollmächtigten gegenüber. Daß aber auch der D r i t t e , dem die Urkunde vom Bevollmächtigten ausgehändigt ist, ebenfalls zur Rückgabe verpflichtet ist, kann nicht zweifelhaft sein. Denn er kann vom Bevollmächtigten kein besseres Recht an der Urkunde erlangt haben, als dieser selbst hatte. Nach P l a n c k Anm. 3 soll das für den Fall nicht zutreffen, daß der Vertreter zur Aushändigung der Urkunde an den Dritten ermächtigt war. Indes läge in einer solchen Ermächtigung nicht zugleich eine Beschränkung für nur so lange, als das Vollmachtsverhältnis bestände? Denkbar ist es freilich, daß der Dritte ein besonderes Interesse an Zurückhaltung der Urkunde hat, und solange das der Fall, wird der Dritte die ihm kraft der dem Bevollmächtigten erteilten Ermächtigung ausgehändigte Urkunde auch weiter zurückbehalten dürfen. Anm. 5 Ist die Urkunde in den Besitz irgendeines anderen gelangt, dann wird das Rückforderungsrecht nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu beurteilen sein. Daß § 175 einen besonderen Anspruch jedem beliebigen Besitzer gegenüber gewährt (Coing in Staudinger § 175 Anm. 5), kann nicht angenommen werden. Zum Schutz gegen eine Gefährdung jedwedem Dritten gegenüber kann sich der Vollmachtgeber des § 176 bedienen.

617

§§ 176, 1 7 7

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

§176 Der Vollmachtgeber kann die Vollmachtsurkunde durch eine öffentliche Bekanntmachung für kraftlos erklären; die Kraftloserklärung muß nach den für die öffentliche Zustellung einer Ladung geltenden Vorschriften der Zivilprozeßordnung veröffentlicht werden. Mit dem Ablauf eines Monats nach der letzten Einrückung in die öffentlichen Blätter wird die Kraftloserklärung wirksam. Zuständig für die Bewilligung der Veröffentlichung ist sowohl das Amtsgericht, in dessen Bezirke der Vollmachtgeber seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, als das Amtsgericht, welches für die Klage auf Rückgabe der U r kunde, abgesehen von dem Werte des Streitgegenstandes, zuständig sein würde. Die Kraftloserklärung ist unwirksam, wenn der Vollmachtgeber die Vollmacht nicht widerrufen kann. E I 121 II 144; M I 239fr; P 1 ijoff; 6 135. Anm. 1 Die Kraftloserklärung der Vollmachtsurkunde kommt insbesondere in Betracht, wenn die Urkunde verlorengegangen ist oder wenn sich der Rückforderung Schwierigkeiten entgegensetzen. Sie dient dazu, die Urkunde für Dritte rechtlich unverwendbar zu machen, um den Vollmachtgeber gegen die Gefahr zu schützen, daß die Urkunde trotz Erlöschens der Vollmacht gegen ihn gemäß § 172 noch wirksam verwendet werden kann. Anm. 2 Die Veröffentlichung der Kraftloserklärung ist durch das Amtsgericht (Abs. 2) zu bewilligen, und zwar ohne Prüfung materiellrechtlicher Voraussetzungen (RG H R R 1934, 2). Die Bewilligung ist Sache der freiwilligen Gerichtsbarkeit; der Beschluß ist mit der Beschwerde anfechtbar (§§ 19 ff FGG). Die Veröffentlichung selbst ist nach den Vorschriften der §§ 204, 205 Z P O durchzuführen. Wirksam wird die Kraftloserklärung, entsprechend § 206 ZPO, mit dem Ablauf eines Monats (§§ 187, 188) nach der letzten Einrückung. Anm. 3 Unwirksamkeit der Kraftloserklärung (Abs. 3). Rechtlich belanglos ist das ganze Verfahren, wenn der Widerruf ausgeschlossen ist (§ 168 Anm. 3, 4). Ist die Vollmacht dagegen widerruflich, aber noch nicht erloschen, so ist die Kraftloserklärung nicht unwirksam, denn in der Herbeiführung der Kraftloserklärung liegt die schlüssige Erklärung des Widerrufs.

§ 177 Schließt jemand ohne Vertretungsmacht im Namen eines anderen einen Vertrag, so hängt die Wirksamkeit des Vertrags für und gegen den Vertretenen von dessen Genehmigung ab. Fordert der andere Teil den Vertretenen zur Erklärung über die Genehmigung auf, so kann die Erklärung nur ihm gegenüber erfolgen; eine vor der Aufforderung dem Vertreter gegenüber erklärte Genehmigung oder Verweigerung der Genehmigung wird unwirksam. Die Genehmigung kann nur bis zum Ablaufe von zwei Wochen nach dem Empfange der Aufforderung erklärt werden; wird sie nicht erklärt, so gilt sie als verweigert. F. I

618

123

II 1 4 ; ; M 1 240ff; P 1 i;4ff; 6

124fr, 276fr.

Vertretung. Vollmacht

§177

Anm. 1—3 Ü b ersieht Anm.

I. II. III. IV. V.

Grundsätzliches Genehmigung des Vertretenen . . Aufforderung zur Genehmigung . Kein Anspruch auf Genehmigung Beweislast

i—3 4—13 14 15 16

Anm. 1 I. Grundsätzliches S t e l l v e r t r e t u n g o h n e V e r t r e t u n g s m a c h t liegt vor sowohl, wenn der Vertreter keine Vertretungsbefugnis hat, sei es, daß ihm Vollmacht überhaupt nicht erteilt worden, sei es, daß die erteilte Vollmacht wegen Geschäftsunfähigkeit des Vollmachtgebers oder aus anderen Gründen nichtig ist ( R G 69, 266; 1 1 0 , 3 1 9 ; 150, 385), als auch, wenn der Vertreter die ihm erteilte Vertretungsbefugnis überschreitet ( R G J W 1937, 2036 4 ; R G WarnRspr 09 Nr. 345). Im Falle der Überschreitung der Vollmacht unterliegt das ganze Rechtsgeschäft den §§ 177fr, falls es unteilbar ist; andernfalls ist § 139 anzuwenden. Keine Überschreitung der Vollmacht, sondern im ganzen vollmachtloses Handeln liegt vor, wenn ein Handlungsbevollmächtigter beim Verkauf von Waren ohne Wissen und Billigung des Vollmachtgebers mit dem Käufer vereinbart, daß das Geschäft zum Zwecke der Steuerhinterziehung bei beiden Vertragsteilen nicht ordnungsmäßig verbucht werden soll, B G H N J W 1958, 57. Die §§ 1 7 7 — 1 8 0 sind den §§ 108, 109 nachgebildet. Die §§ 1 7 7 — 1 7 9 behandeln den vom Vertreter ohne Vertretungsmacht abgeschlossenen Vertrag, auch den dinglichen ( R G 69, 263), und zwar § 177 die Stellung des Vertretenen, § 178 die des Vertragsgegners und § 179 die des Vertreters. § 177 ist entsprechend anwendbar, wenn jemand kraft Amtes oder in einer amtsähnlichen Stellung (beispielsweise als Verwalter eines Fideikommisses) im eigenen Namen, aber im fremden Interesse handelt ( R G 80, 4 1 7 ) . Ebenso, wenn jemand Vollmacht hat, aber bei Vertragsschluß unter Beiseitelassung der Vollmacht als Vertreter ohne Vertretungsmacht auftritt ( R G 2 1 . 12. 1923 V I I 723/23; O G H 1, 209). § 177 ist nicht anwendbar, wenn der Vertreter vollmachtgemäß die Genehmigung des Vertretenen vorbehalten hat; hier ist auch Abs. 2 nicht anzuwenden ( R G J W 1937, 2036 3 ). Wer eine Unterschrift fälscht, handelt zwar nicht im Namen, sondern unter dem Namen eines anderen; das schließt aber die entsprechende Anwendung des § 177 nicht aus. Deshalb wird selbst eine gefälschte Wechselunterschrift wirksam, wenn der Namensträger den zugrundeliegenden wechselrechtlichen Begebungsvertrag genehmigt; hierdurch wird der Namensträger wechselmäßig verpflichtet ( R G 145, 87; B G H L M Nr. 1 zu Art. 7 W G ) . Die §§ 1 7 7 — 1 8 0 sind auf das H a n d e l n f ü r e i n e n o c h n i c h t e x i s t e n t e n a t ü r l i c h e P e r s o n entsprechend anwendbar.

Anm. 2 Auch eine in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Person kann vollmachtlos vertreten werden; das Rechtsgeschäft wird dann durch die Genehmigung des gesetzlichen Vertreters (nötigenfalls durch die hinzukommende Genehmigung des Gegenvormundes oder des Vormundschaftsgerichts wirksam); dabei reicht es aus, wenn der auftragslose Geschäftsführer das Rechtsgeschäft unter Voraussetzung seiner künftigen Bestellung als Vertreter abgeschlossen hat und er es alsdann nach seiner Bestellung selbst genehmigt ( R G J W 1916, 1016 2 ).

Anm. 3 Auf Fälle der Unwirksamkeit nach den §§ ig, 20 A k t G sind die §§ 1 7 7 f f B G B nicht anzuwenden ( R G 130, 248). Liegt die zu einem N a c h g r ü n d u n g s v e r t r a g ( § 4 5 AktG) erforderliche Zustimmung der Hauptversammlung noch nicht vor, so fehlt noch ein Wirksamkeitserfordernis; daher ist § 178 nicht, auch nicht entsprechend anwendbar; der Vertragsgegner ist vielmehr an den Vertrag gebunden und kann der

619

§177 Anm. 4—8

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Entscheidung der Hauptversammlung über eine etwaige Genehmigung nicht durch einen Widerruf zuvorkommen ( F l e c h t h e i m J W 1929, 2944 A n m . ; G e i l e r J W 1929, 2924; S c h l e g e l b e r g e r / Q u a s s o w s k i A k t G § 4 5 Anm. 1 1 ; B a u m b a c h / H u e c k A k t G § 45 Anm. 3 ; G a d o w , Großkomm. A k t G § 45 Anm. 5 ; a A R G J W 1929, 2944; L Z 1 9 3 1 , 446; C o i n g in Staudinger § 177 B G B Anm. 1 1 ) . Die herrschende Auffassung ( R G 105, 228, 230; 106, 64, 74; 134, 121, 1 2 2 ; R G J W 1923, 120 4 ; B G H 1 7 , 385; 20, 2 8 1 , 286; F i s c h e r in Großkomm. A k t G § 34 Anm. 1 7 , 1 8 ; J . v. G i e r k e , Handelsrecht § 4 1 I V 2 d , § 5 0 I V 6) wendet die §§ 1 7 7 f f auf das Handeln für eine zwar gegründete, aber noch nicht eingetragene Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft entsprechend an. Das ist nicht unbedenklich, da ein solches Handeln nicht gefördert, sondern eingedämmt werden sollte. Uber die unterschiedlichen Versuche hierzu vgl. z.B. D ü r i n g e r / H a c h e n b u r g , H G B §200 Anm. 1 3 ; B a u m b a c h / H u e c k , G m b H G § 1 1 A n m . 3 B ; S c h i l l i n g in Hachenburg, G m b H G § 1 1 Anm. 4, 6).

Anm. 4 II. Genehmigung des Vertretenen Die Genehmigung setzt begrifflich voraus, daß sich der Genehmigende der schwebenden Unwirksamkeit des Vertrages, also des Mangels der Vollmacht, bewußt ist oder doch jedenfalls mit einer solchen Möglichkeit ( R G SeuffArch 89 Nr. 155) rechnet, B G H 2, 1 5 0 ; B G H L M Nr. 1 zu § 177 B G B ; B G H W M 1957, 1030; 1957, 1 1 3 2 ; die nur das Innenverhältnis der Beteiligten betreffende Genehmigung des § 684 schließt eine Genehmigung nach § 177 nicht notwendig in sich ( R G H R R 1935, 103). Für die Genehmigung gelten die Vorschriften der §§ 182, 184, 185 insoweit, als nicht die Sonderbestimmungen der §§ 177 Abs. 2 178 Platz greifen ( R G 69, 207; R G WarnRspr 1926 Nr. 93).

Anm. 5 Die E r t e i l u n g der Genehmigung macht das bis dahin schwebend unwirksame Rechtsgeschäft wirksam, wie wenn der Vertreter mit Vertretungsbefugnis gehandelt hätte, so daß auch die Vorschriften des § 166 Abs. 1 u. 2 Anwendung finden ( R G 68, 3 7 6 ; 76, 107; 128, 1 1 6 ; 1 3 1 , 3 5 7 ; 1 3 5 , 2 1 9 ; 1 6 1 , 161 ; J W 1937, 2 5 1 5 1 0 ) . Zugleich wird auch eine etwaige Auftragsüberschreitung gegenüber dem Vertreter genehmigt und daher ein Ersatzanspruch gegen ihn ausgeschlossen ( R G 7, 306). Ist die Vollmacht wegen Geschäftsunfähigkeit des Vollmachtgebers nichtig, so ist das vom Vertreter vorgenommene Rechtsgeschäft doch genehmigungsfähig ( R G 69, 266). Die Rückwirkung der Genehmigung eines Abtretungsvertrages wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Genehmigungserklärung des Abtretungsempfängers erst abgegeben wird, nachdem über das Vermögen des Abtretenden das Konkursverfahren eröffnet und ein allgemeines Veräußerungsverbot gemäß § 106 K O erlassen worden ist ( R G 134, 73).

Anm. 6 Durch die Erteilung der Genehmigung wird n u r d e r M a n g e l d e r V o l l m a c h t g e h e i l t , andere Mängel, wie z. B. das Fehlen einer vorgeschriebenen Form, die Scheinnatur oder die Sittenwidrigkeit des Vertrags behalten ihre Wirkung ( R G 121, 1 8 ; 135, 2 1 9 ; 150, 385).

Anm. 7 V e r w e i g e r t d e r V e r t r e t e n e d i e G e n e h m i g u n g oder gilt diese nach Abs. 2 als verweigert, so bleibt der Vertrag für wie gegen ihn ohne jede Wirkung ( R G J W 02 Beil. 2 I i 6 1 ) , und zwar dauernd und unwiderruflich, da der andere Teil Gewißheit darüber haben muß, ob der bisher in der Schwebe befindliche Vertrag zu Recht besteht oder nicht ( R G 24. 5. 1927 I I I 373/26; R A G 1 5 , 120).

Anm. 8 Die G e n e h m i g u n g s e r k l ä r u n g b e d a r f an sich k e i n e r b e s o n d e r e n F o r m (vgl. § 182 Abs. 2 und R G WarnRspr 1926 Nr. 93). Sie kann auch durch schlüssige

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Vertretung. Vollmacht

§177 Anm. 9—14

Handlungen abgegeben werden, z. B. durch Entgegennahme der Vertragsurkunde ohne Beanstandung (RG 30. 10. 1907 I 601/06), oder durch Unterlassung des Widerspruchs gegen ein Schreiben, mit dem der Gegner ein vom Nichtbevollmächtigten abgeschlossenes Geschäft bestätigt (RG 3. 6. 1924 I I 823/23), oder wenn der persönlich haftende Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft zu einem in ihrem Namen von einem Kommandisten abgegebenen Schuldanerkenntnis trotz Kenntnis längere Zeit schweigt (RG H R R 1930, 766), vorausgesetzt, daß der Vertragsgegner den Mangel der Vertretungsmacht nicht kannte (RG WarnRspr 1910 Nr. 369). In jedem Falle ist ein Verhalten des Vertretenen erforderlich, das erkennen läßt, daß er den ohne Vertretungsmacht abgeschlossenen Vertrag als wirksam gelten lassen will; er muß also auch den Mangel der Vertretungsmacht und die dadurch begründete Rechtsunwirksamkeit des Vertrags oder doch die Möglichkeit einer solchen kennen (RG 118, 335; R G WarnRspr 1925 Nr. 20; R G SeuffArch 86 Nr. 1 1 2 ; R G H R R 1932, 1821). Stillschweigen des vollmachtlos Vertretenen wird im allgemeinen nicht als Genehmigung anzusehen sein; das gilt insbesondere, wenn der andere Vertragsteil eine Stellungnahme des Vertretenen vernünftigerweise nicht erwarten kann ( B G H W M 1957, 1030). In der Regel kann Stillschweigen nur dann als Genehmigung gewertet werden, wenn die Vertragschließenden den Vertretenen unterrichtet haben und eine Erklärung erwarten dürfen; wird der Vertretene nur von dritter Seite unterrichtet, so liegt in seinem Schweigen keine Genehmigung ( B G H NJW 1951, 398 4 ).

Anm. 9 Ist d i e E r t e i l u n g d e r B e v o l l m ä c h t i g u n g f o r m b e d ü r f t i g (§ 167 I V ) , d a n n ist es a u c h d i e n a c h t r ä g l i c h e G e n e h m i g u n g der auftragslosen Geschäftsführung (RG 102, 21).

Anm. 10 E i n v o m V e r t r e t e r d e r V o r s c h r i f t des § 1 8 1 z u w i d e r v o r g e n o m m e n e s R e c h t s g e s c h ä f t kann nur durch die Genehmigung der beiden Vertretenen gültig werden (RG 67, 51). Regelmäßig kann die Genehmigung mit Wirkung sowohl dem Vertreter wie dem Geschäftsgegner gegenüber erklärt werden (vgl. R A G 16, 83 und den Ausnahmefall unten Anm. 14). Hat aber der Vertreter mit sich in eigenem Namen zugleich namens des Vertretenen abgeschlossen (§ 181), dann kann zur Entgegennahme der Genehmigungserklärung nur der Vertreter berechtigt sein.

Anm. 11 Wenn zwei Personen G e s a m t v e r t r e t u n g s m a c h t haben, so können die Erklärungen eines Bevollmächtigten nicht nur durch die Genehmigung des Vollmachtgebers, sondern auch durch die Genehmigung des Mitbevollmächtigten wirksam werden; alsdann kann die Genehmigung auch dem anderen Bevollmächtigten gegenüber erklärt werden (RG 1 1 2 , 2 1 5 ; vgl. § 166 Anm. 30).

Anm. 12 Wie eine G e n e h m i g u n g u n t e r E r w e i t e r u n g e n , E i n s c h r ä n k u n g e n o d e r s o n s t i g e n Ä n d e r u n g e n zu bewerten ist, insbesondere ob darin eine Verweigerung liegt, kann nur nach den Umständen des Falles beurteilt werden (RG 6. n . 1903 I I I 413/03; 2. 5. 1925 V 391/24)-

Anm. 13 Ein Vertrag, der von einem Vertreter ohne Vertretungsmacht i m N a m e n e i n e s V e r m i ß t e n geschlossen wurde, kann durch Genehmigung der Erben des Vermißten wirksam werden, wenn sich später ergibt, daß der Vertretene zur Zeit des Abschlusses des Vertrages nicht mehr lebte (BGH N J W 1954, 145; vgl. auch § 164 Anm. 7).

Anm. 14 III. A u f f o r d e r u n g z u r G e n e h m i g u n g . An sich ist das Recht zur Genehmigung nicht befristet. Das Gesetz gibt jedoch dem Vertragsgegner ein Mittel, den endgültigen

621

§ 177 A n m . 15, 16

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

§178 Zustand herbeizuführen. Er kann nämlich den Vertretenen zur Erklärung über die Genehmigung auffordern mit der Wirkung, daß sich der Aufgeforderte alsdann nur ihm gegenüber zu erklären vermag und daß eine dem Vertreter gegenüber bereits abgegebene Erklärung nachträglich unwirksam wird. Dieselbe Regelung findet sich in § 108 Abs. 2. I m Hinblick auf die im Abs. 2 Satz 2 vorgesehene Folge muß die Aufforderung ausdrücklich und für den Vertretenen deutlich erkennbar sein ( R A G H R R 1935, 1036). Die Genehmigung muß innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Wochen nach Empfang der Aufforderung erklärt werden, widrigenfalls anzunehmen ist, daß sie verweigert wurde. Die Frist des Abs. 2 Satz 2 kann von den Beteiligten abgeändert oder außer Geltung gesetzt werden; bei Abschlüssen mit Behörden über erhebliche Gegenstände kann das auch stillschweigend anzunehmen sein (RG J W 1937, 2036 4 ). Die Aufforderung dient gegebenenfalls zugleich der Klarstellung des Verhältnisses des Geschäftsgegners dem Vertreter gegenüber (§ 178). A n m . 15 I V . Kein Anspruch auf Genehmigung. Wer im Namen eines anderen einen Vertrag als Vertreter ohne Vertretungsmacht schließt, mag aus Geschäftsführung ohne Auftrag Anspruch auf Ersatz seiner Verwendungen haben (§ 683), hat aber von den Fällen des § 679 abgesehen keinen Anspruch auf Genehmigung des Vertrages durch den Geschäftsherrn ( B G H N J W 1 9 5 1 , 398). Auch wenn der Vertragsabschluß dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des vollmachtlos Vertretenen entspricht, wird dieser durch den Vertrag nicht verpflichtet ( B G H L M Nr. 2 zu § 683 B G B ; W M 1957, 1 1 3 2 . A n m . 16 V . Beweislast. Wer im Falle des § 177 die Wirksamkeit des Vertrags geltend machen will, hat das zu beweisen, mithin die rechtzeitige Genehmigung. Der andere Teil könnte demgegenüber einwenden, daß der Vertrag vorher bereits widerrufen war, und hat hierfür die Beweislast. Falls der Vertretene die Wirkungslosigkeit des Widerrufs behauptet, hat er zu beweisen, daß der Vertragsgegner den Mangel der Vertretungsmacht bei Vertragsschluß gekannt hat. (§ 178).

§178 Bis zur Genehmigung des Vertrags ist der andere Teil zum Widerrufe berechtigt, es sei denn, daß er den Mangel der Vertretungsmacht bei dem A b schlüsse des Vertrags gekannt hat. Der Widerruf kann auch dem Vertreter gegenüber erklärt werden. E I 123 II 145; M 1 243; P 1 154fr.

Vgl. § 109. Der Vertragsgegner ist vor erteilter Genehmigung dann nicht gebunden, wenn er den Vertretungsmangel nicht gekannt hat; in diesem Falle hat er vielmehr das Recht des Widerrufs. Anders liegt es, wenn er, gleichviel infolge welchen Vorgangs, den Mangel der Vertretungsmacht bei Vornahme des Geschäfts gekannt hat; hier ist er von vornherein, also schon vor Erteilung der Genehmigung, gebunden. Die Bindung wird unbedingt und dauernd (nach § 177), sobald der Vertretene das Geschäft (vor erfolgtem Widerruf) wirksam genehmigt hat. Die Genehmigung wirkt auf den Zeitpunkt des Geschäfts zurück (§ 184). Sie bildet die Grenze für den Widerruf, wie anderseits der voraufgegangene Widerruf das Recht zur Genehmigung ausschließt (RG J W 1929, 2944 1 2 ). Der Widerruf bedarf an sich keiner Begründung; die Erklärung muß aber den Willen erkennen lassen, die auftragslose Geschäftsführung als rechtlich unwirksam und den Vertrag sonach als nicht abgeschlossen gelten zu lassen (RG 102, 25).

622

Vertretung. Vollmacht

§ 179 A n m . 1, 2

§179 Wer als Vertreter einen Vertrag geschlossen hat, ist, sofern er nicht seine Vertretungsmacht nachweist, d e m anderen Teile nach dessen Wahl zur E r füllung oder zum Schadensersatze verpflichtet, wenn der Vertretene die Genehmigung des Vertrags verweigert. Hat der Vertreter den Mangel der Vertretungsmacht nicht gekannt, so ist er nur z u m E r s ä t z e desjenigen Schadens verpflichtet, welchen der andere Teil dadurch erleidet, daß er auf die Vertretungsmacht vertraut, jedoch nicht über den B e t r a g des Interesses hinaus, welches der andere Teil an der Wirksamkeit des Vertrags hat. Der Vertreter haftet nicht, wenn der andere Teil den Mangel der Vertretungsmacht kannte oder kennen mußte. Der Vertreter haftet auch dann nicht, wenn er in der Geschäftsfähigkeit beschränkt war, es sei denn, daß er m i t Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters gehandelt hat. E I 125 II 146; M 1 243ff; P 1 156ff.

Übersicht I. Die Eigenverpflichtung des vollmachtlosen Vertreters 1. Die Voraussetzungen 2. Die Rechtsfolge 3. Das Wahlrecht 4. Der Erfüllungsanspruch 5. Der Schadensersatzanspruch II. Das Anwendungsgebiet des § 179 III. Einschränkung der Haftung (Abs. 2) IV. Ausschluß der Haftung (Abs. 3) V. Beweislast

Anm.

1—5 1 2 3 4 5 6—g 10 11 12

Anm. 1 j . Die Eigenverpflichtung des vollmachtlosen Vertreters 1. Die Voraussetzungen. Wer beim Abschluß eines Vertrags als Vertreter eines anderen aufgetreten ist, aber das Vorhandensein der Vertretungsmacht nicht nachweist oder nicht nachzuweisen vermag, ist selbst dem anderen Teil zur Erfüllung oder zum Schadensersatz verpflichtet, falls der Vertretene den Vertrag nicht als für sich abgeschlossen anerkennt. Das gilt, gleichviel ob Vertretungsmacht bestand oder nicht. Ein Fall des § 179 liegt auch vor, wenn jemand unter Vorlage einer Vollmacht erklärt, zu der in Frage stehenden Willenserklärung ermächtigt zu sein, es aber zufolge eines gesetzlichen Hindernisses (§42 Abs. 2 GenG) nicht ist (RG J W 1934, 32Ö73). Voraussetzung ist, daß der Vertrag zwar abgeschlossen, dem Vertretenen gegenüber aber unwirksam ist, weil es an der Vertretungsmacht tatsächlich fehlt oder der Vertreter den ihm obliegenden Nachweis der Vertretungsbefugnis nicht erbringt. Für die Anwendbarkeit des § 179 ist kein Raum, wenn der Vertretene den Vertrag genehmigt, da hierdurch die Unwirksamkeit des Vertrags gemäß § 177 auf alle Fälle beseitigt wird. § 179 setzt darum voraus, daß der Vertretene das Geschäft nicht genehmigt. Wie sich aus Abs. 2 ergibt, gehört zur Haftung nach Abs. 1 weiter, daß der Vertreter den Mangel der Vertretungsmacht gekannt hat. § 179 ist auf Fälle, in denen ein Vertrag aus anderen Gründen als wegen Mangels der Vertretungsmacht unwirksam ist, unanwendbar (RG 106, 68, 7 1 ; RG WarnRspr 1926 Nr. 152; O L G 44, 134). Dasselbe gilt, wenn der Vertreter die Genehmigung des Vertretenen ausdrücklich vorbehalten hat (RG 7. 10. 24 VII 912/23). Anm. 2 2. Die Rechtsfolge. Falls alle Voraussetzungen erfüllt sind, hat der Geschäftsgegner einen unmittelbaren Anspruch gegen den Vertreter, und zwar nach eigener

623

§179 Anm. 3—6

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Wahl (§§ 262 fr) auf Erfüllung oder auf Schadensersatz. Ist der auftragslose Vertreter nach der Natur der Leistung außerstande, sie an Stelle des Vertretenen zu erfüllen, dann ist der Vertragsgegner auf den Schadensersatzanspruch beschränkt (§ 265). Anm. 3 3. Das Wahlrecht. Die Ausübung des Wahlrechts richtet sich nach den §§ 262 fr (vgl. RG 154, 58). Der Vertragsgegner verliert das Wahlrecht, wenn der auftragslose Vertreter die Leistung anbietet. Denn der Gläubiger muß nach § 267 die Leistung auch von einem Dritten annehmen (aM H R R 1932, 2237). Anm. 4 4. Der Erfüllungsanspruch. Wird die Erfüllung des Vertrags gefordert, so bedeutet das nicht, daß der Vertreter dadurch zur Vertragspartei wird oder daß der Vertrag mit dem Vertreter zustande käme; die Regelung bedeutet vielmehr nur, daß der Vertreter das zu leisten hat, was der Vertretene im Falle der Wirksamkeit des Vertrags zu leisten gehabt hätte, und bezweckt nur eine Art von Interessenausgleich. Das Zustandekommen eines Vertragsverhältnisses zwischen dem Geschäftsgegner und dem Vertreter läßt sich, da der vollmachtlose Vertreter nicht in eigenem Namen, sondern namens eines anderen gehandelt haben muß, nicht begründen (RG 120,126; aA P l a n c k Anm. 4 b, wonach der Vertreter an Stelle des Vertretenen in den Vertrag eintreten muß). Daher kann auch nicht angenommen werden, der haftende Vertreter könnte, falls der Geschäftsgegner von ihm Erfüllung fordert, nun auch seinerseits Erfüllung verlangen. Da jedoch bei gegenseitigen Verträgen Leistung und Gegenleistung durch einander bedingt sind, so folgt hieraus wenigstens soviel, daß gegebenenfalls auch dem haftenden Vertreter die Rechtsbehelfe aus den §§ 320ff zustehen. Hat bei einem gegenseitigen Vertrage der Geschäftsgegner die Erfüllung gewählt, so ist ihm damit nicht der Weg des § 326 verschlossen; er kann vielmehr, wenn der vollmachtlose Vertreter mit der Erfüllung in Verzug gerät, nach Fristsetzung gegebenenfalls Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen (RG 120, 126). E r f ü l l u n g k a n n nicht v e r l a n g t w e r d e n , w e n n der vom Vertreter abgeschlossene Vertrag auch bei Vorhandensein der Vertretungsmacht nichtig sein würde (RG 106, 70/71; 145, 43 m. w. Nachw.). Anm. 5 5. Der Schadensersatzanspruch. Der Anspruch auf Schadensersatz richtet sich nicht nach den Vorschriften der §§ 249 ff. Die Wiederherstellung desjenigen Zustandes, der bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten, der Vertrag also dem Vertragsgegner gegenüber wirksam zustande gekommen wäre, würde zu einem der in § 179 vorausgesetzten Sachlage widersprechenden Ergebnis führen. Im Falle des § 179 ist entscheidend, daß der Vertrag nicht wirksam zustande kommt, und deshalb ist das Interesse zu ersetzen, das der andere Teil an der Wirksamkeit des Vertrages hat (OLG Hamburg H R R 1932, 2237). Zulässig ist sowohl die konkrete wie die abstrakte Schadensberechnung (RG 58, 327). In entsprechender Anwendung des § 179 haftet der vollmachtlose Vertreter auf das Vertrauensinteresse (negatives Vertragsinteresse), wenn der von ihm abgeschlossene Vertrag auch beim Vorhandensein der Vertretungsmacht nichtig sein würde, der andere Teil aber auf das gültige Zustandekommen des Vertrages vertrauen konnte (RG 106, 72; 145, 43/44)Der Anspruch aus § 179 verjährt nach § 195 in dreißig Jahren. § 196 ist nicht anwendbar (RG 145, 40). Anm. 6 II. Das Anwendungsgebiet des § 179 Anwendbar ist § 179 sowohl im Falle des Handelns auf Grund angeblich gesetzlicher (RG 104, 193) wie angeblich gewillkürter Stellvertretung; stets ist er aber auf den Fall der Stellvertretung zu beschränken und nicht auf den Fall der bloßen Übermittlung im Sinne des § 120 auszudehnen. Nach § 179 bestimmt sich z.B. die Haftung des früheren 624

Vertretung. Vollmacht

§179 Anm. 7—9

Inhabers oder Mitinhabers eines geschäftlichen Unternehmens, wenn er Dritten gegenüber wie ein Inhaber oder Mitinhaber aufgetreten ist ( R G 24. 6. 3 1 I 359/30). Anwendbar ist § 179 auch dann, wenn ein gesetzlicher Vertreter seine Vertretungsmacht überschreitet ( R G WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 1 ; 1926 Nr. 1 5 2 ; R G SeuffArch 82 Nr. 57; R G H R R 1928, 1396); das kommt insbesondere da in Betracht, wo der gesetzliche Vertreter gewissen nach außen hin wirkenden Beschränkungen unterliegt ( R G 104, 193).

Anm. 7 Vertretung gar nicht bestehender Personen.

Die Grundsätze des § 179 müssen nach dem Rechtsgedanken und nach dem Zweck des Gesetzes auch dann Platz greifen, wenn der Vertreter vorspiegelt, Vollmacht von jemandem erhalten zu haben, der überhaupt nicht oder nicht mehr existiert. Der Wortlaut des Gesetzes schließt diese Annahme jedenfalls nicht aus, umfaßt vielmehr nach seiner uneingeschränkten Fassung unterschiedslos alle Fälle, in denen der Vertreter einer Vollmacht entbehrt, also auch den, daß er die fälschlich vorgespiegelte Vollmacht überhaupt nicht haben kann, weil der angebliche Vollmachtgeber gar nicht vorhanden ist. Anderseits fehlt jeder innere Grund dafür, daß der § 179 nur für solche Fälle gegeben sein könnte, in denen sich der Vertreter als Bevollmächtigter einer wirklich vorhandenen Persönlichkeit ausgibt. Insbesondere ist nicht ersichtlich, weshalb der als Vertreter einer nicht existenten Person Handelnde besser gestellt sein sollte, als derjenige, der das Vorhandensein einer Vollmacht fälschlich vorgibt. Der gegen die Anwendung des § 179 angeführte Grund ( R G Recht 09 Nr. 1841), daß der namens einer nicht vorhandenen Person abgeschlossene Vertrag nichtig sei, greift nicht durch, weil der § 179 den falsus procurator überhaupt nicht aus dem Vertrage haften läßt (ebensowenig wegen Verschuldens R G 60, 345), sondern auf Grund der von ihm durch das Auftreten als Vertreter eines anderen übernommenen Gewährpflicht; dem entspricht eine Gewährpflicht für das Vorhandensein der angeblich vertretenen Persönlichkeit. Auch wenn der Dritte die Erfüllung wählt, ist die persönliche Haftung des Vertreters gerechtfertigt, weil der falsus procurator das Wirksamwerden des Vertrages zwischen dem Dritten und dem angeblich Vertretenen vereitelt hat. § 179 ist aber nicht bloß für den Fall, daß die angeblich vertretene Person nicht existiert, sondern auch für den Fall entsprechend anwendbar, daß sie zwar existiert, aber zum Abschluß eines Geschäfts von der Art, wie es in ihrem Namen vorgenommen wurde, rechtlich nicht befähigt ist ( R G 106, 68). Verkauft dagegen jemand, der erkennbar nicht im eigenen Namen handeln will, als „Beauftragter des Eigentümers", ohne dessen Namen zu nennen, eine bewegliche Sache, und ist der Auftraggeber gar nicht Eigentümer, so handelt der Beauftragte nicht namens des ihm unbekannten Eigentümers, von dem er keine Vollmacht hat, sondern im Namen des wirklichen Vollmachtgebers; hier ist für eine unmittelbare oder entsprechende Anwendung des § 179 kein R a u m , B G H W M 1957, 710.

Anm. 8 In entsprechender Anwendung des § 179 haftet ein Testamentsvollstrecker, der einem Dritten zum Verkauf eines Nachlaßgrundstücks Vollmacht erteilt, die Vollmachtsurkunde und das Testamentsvollstreckerzeugnis ausgehändigt, die Urkunden aber bei Erlöschen der Testamentsvollstreckereigenschaft nicht wieder abverlangt hat, wenn das Grundstück später von dem Dritten verkauft wird ( R G H R R 1933, 1 8 3 1 ) .

Anm. 9 Nicht anwendbar ist§ 179,

wenn jemand für einen anderen handelt, als den er sich selbst fälschlich ausgibt, weil in solchem Falle schon an sich eine Stellvertretung niemals in Frage kommen kann ( R G 38, 179). Unanwendbar ist § 179 ferner, wenn ein Angestellter eine geschäftliche Mitteilung, die bereits die Unterschrift des Geschäftsherrn trägt, auftragswidrig vervollständigt und an den gutgläubigen Vertragsgegner absendet; hier kann nur Anfechtung nach § 1 1 9 helfen ( R G 105, 183). Unanwendbar ist die Vorschrift auch, soweit die §§ 34 AktG, 1 1 G m b H G eingreifen; nach diesen Bestimmungen haftet persönlich, wer im Namen der werdenden Aktiengesellschaft oder G m b H handelt (vgl. im einzelnen K u h n W M Sonderbeilage 5 / 1 9 5 6 ) ; für diese Haf-

625

§179

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

A n m . 10—12 tung kommt es auf die Kenntnis des Geschäftsgegners von dem Fehlen der Eintragung nicht an. Der zur Vertretung der werdenden Rechtsperson Berufene verpflichtet die künftige juristische Person durch solche Geschäfte, die er in ihrem Namen abgeschlossen hat und die zu ihrer Entstehung erforderlich sind ( R G 1 4 1 , 209; 149, 3 0 3 ; K G J W 1937, 46; B G H 17, 390; vgl. auch Bern. I I 2 vor § 164).

A n m . 10 III. Einschränkung der Haftung (Abs. 2) Der Vertreter haftet nur auf das negative Interesse, jedoch nicht über das Erfüllungsinteresse hinaus, wenn er den Mangel der Vertretungsmacht nicht gekannt hat (Abs. 2). Auf Kennenmüssen oder Verschulden kommt es nicht an ( R G J W 1933, 2 6 4 1 1 ) . Dem § 179 liegt der Rechtsgedanke des im Verkehrsinteresse erforderlichen Vertrauensschutzes zugrunde; er ist auf ähnliche Tatbestände entsprechend anwendbar; deshalb kann der Vollmachtgeber den Vertreter, auch wenn diesen kein Verschulden trifft, auf Grund des § 179 Abs. 2 in Anspruch nehmen, wenn ein Unterbevollmächtigter trotz des Erlöschens der Hauptvollmacht noch ein Geschäft schließt, das den Vertretenen nach § 172 Abs. 2 bindet ( R G J W 1933, 2 6 4 1 1 ) . Der Vertrauensschaden kann auch abstrakt berechnet (Unterschied zwischen K a u f preis und Marktpreis; R G 58, 326) und schon dann gefordert werden, wenn sich der Vertragsgegner, auf die Erfüllung des Vertrags vertrauend, im Interesse seines allgemeinen Geschäftsbetriebs, um seinen Kundenkreis befriedigen zu können, anderweit eindeckte; es ist nicht einmal erforderlich, daß er sich anderen gegenüber schon zur Lieferung der Ware gebunden hat ( R G Gruchot 5 1 , 903).

A n m . 11 IV. Ausschluß der Haftung (Abs. 3) Der ohne Vertretungsmacht handelnde Vertreter haftet überhaupt nicht (Abs. 3), wenn der Vertragsgegner den Mangel der Vertretungsmacht kannte oder kennen mußte (§§ 122, 276). Erkennt der Geschäftsgegner bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt das Fehlen der Vertretungsmacht ( R G 104, 194), so hat er die Folgen selbst zu verantworten. Regelmäßig darf man auf das Vorhandensein der Vertretungsmacht des Handelnden oder auf die Herbeiführung der Genehmigung vertrauen (Mot 1, 244); unter Umständen kann es aber auch so liegen, daß dem Geschäftsgegner nach den Anschauungen des gesunden Verkehrs eine Erkundigungspflicht obliegt ( R G WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 1). Über die Verpflichtung einer Bank zur Nachprüfung der Rechtsgültigkeit einer von einer Genossenschaft ausgestellten Generalvollmacht s. R G H R R 1935, 104. Die Haftung des Vertreters entfällt im Falle des Abs. 3 völlig; die M ö g l i c h k e i t e i n e s b i l l i g e n A u s g l e i c h s unter den Beteiligten ist n i c h t v o r g e s e h e n . Die Haftung des vollmachtlosen Stellvertreters ist auch ausgeschlossen, wenn der Vertreter in der Geschäftsfähigkeit beschränkt war und nicht mit Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters gehandelt hat. H a t der V e r t r e t e r den V e r t r a g a u s d r ü c k l i c h von der G e n e h m i g u n g des V e r t r e t e n e n a b h ä n g i g g e m a c h t , dann liegt ein bedingtes Rechtsgeschäft vor (§ 1 5 8 ) ; von einer Haftung des Vertreters kann auch hier im Zweifel keine Rede sein ( R G 4. 3. 14 V 1 9 2 / 1 3 ; 7. 10. 24 V I I 912/23)-

A n m . 12 V. Beweislast Der vom Vertreter Erfüllung oder Schadensersatz fordernde Vertragsgegner muß beweisen, daß der Vertreter namens eines anderen gehandelt hat und daß der Vertretene die Genehmigung verweigert hat oder diese als verweigert anzusehen ist. Sache des in Anspruch genommenen Vertreters ist es, nachzuweisen, daß er Vertretungsmacht hatte ( R G J W 02, 365 2 3 ), oder daß der Vertragsgegner ihr Nichtvorhandensein gekannt hat; oder daß er (der Vertreter) in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt war,

626

Vertretung. Vollmacht

§180

Anm. 1, 2

während demgegenüber der Vertragsgegner die Zustimmung des gesetzlichen V e r treters zu beweisen hätte; wendet der Vertreter ein, daß er nach Abs. 2 nur beschränkt hafte, so muß er beweisen, daß er den Mangel der Vertretungsmacht selbst nicht gekannt hat.

§180 Bei einem einseitigen Rechtsgeschäft ist Vertretung ohne Vertretungsmacht unzulässig. Hat jedoch derjenige, welchem gegenüber ein solches Rechtsgeschäft vorzunehmen war, die von dem Vertreter behauptete Vertretungsmacht bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts nicht beanstandet oder ist er damit einverstanden gewesen, daß der Vertreter ohne Vertretungsmacht handele, so finden die Vorschriften über Verträge entsprechende Anwendung. Das gleiche gilt, wenn ein einseitiges Rechtsgeschäft gegenüber einem Vertreter ohne Vertretungsmacht mit dessen Einverständnisse vorgenommen wird. E I 126 II 148; M I 244ff; P I 167®.

Ubersicht I. II. III. IV. V. VI.

Der Grundsatz Die Ausnahmen Satz 3 Haftung des Vertreters Prozessuale Erklärungen Beweislast

Anm.

1 2 3 4 5 6

Anm. 1 I . D e r G r u n d s a t z . Einseitige Rechtsgeschäfte können weder von einem Vertreter ohne Vertretungsmacht noch ihm gegenüber vorgenommen werden. Sie sind grundsätzlich wirkungslos und können daher nicht durch Genehmigung wirksam gemacht werden. Sie können nur im Wege der Bestätigung, also nur durch erneute Vornahme Wirksamkeit erlangen (§ 1 4 1 ) . § 180 ist auch anwendbar, wenn eine Vollmacht unzureichend war ( R G 66, 430).

Anm. 2 I I . D i e A u s n a h m e n . Einseitige empfangsbedürftige Willenserklärungen eines Vertreters ohne Vertretungsmacht sind aber wirksam (Satz 2), wenn der Erklärungsempfänger die behauptete Vertretungsmacht bei Vornahme des Rechtsgeschäfts nicht beanstandet oder mit einem Handeln ohne Vertretungsmacht einverstanden war. So ist eine Mahnung wirksam, wenn sie der gemahnte Schuldner nicht zurückweist. Dasselbe gilt von einer vom vollmachtlosen Stellvertreter ausgesprochenen und vom Empfänger nicht zurückgewiesenen Kündigung ( R A G 14, 227). Kündigung durch den stellvertretenden Vorsitzenden statt durch den Vorstand einer Krankenkasse ( R A G 16, 77). Die vom Vertreter behauptete Vertretungsmacht ist nicht beanstandet, wenn weder Vorlegung einer Vollmachtsurkunde verlangt, noch das Geschäft zurückgewiesen wird (§ 174). Dabei ist vorausgesetzt, daß der Erklärende zum Ausdruck bringt, woraus er seine Vertretungsmacht ableitet ( R A G SeufFArch 88 Nr. 67), und daß Vertreter und Erklärungsempfänger von derselben Art der Vertretungsmacht, also entweder einer rechtsgeschäftlichen oder einer gesetzlichen, ausgehen ( R G J W 04, 5 74 5 ). Eine von einem Vertreter ohne Vertretungsmacht ausgesprochene und vom Empfänger nicht zurückgewiesene Kündigung, die der Vertretene zunächst nicht genehmigt hat, kann nachträglich nicht mehr genehmigt werden ( R A G 15, 120). Hat der Vertreter ohne Vertretungsmacht dem nämlichen Dritten gegenüber nacheinander zunächst einen Vertrag abgeschlossen und daraufhin ein einseitiges Rechtsgeschäft vorgenommen 627

§ 1 8 0 A n m . 3—6 § 181 A n m . 1

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

(Mietvertrag, Kündigung), und hat der Geschäftsgegner die Vornahme des letzteren Geschäfts nicht beanstandet, so wird auslegungsweise angenommen werden können, daß er sich auch hinsichtlich des Vertrags des Widerrufsrechts aus § 177 begeben hat. Anm. 3 III. Satz 3. Das gegenüber einem Vertreter ohne Vertretungsmacht vorgenommene einseitige Rechtsgeschäft ist g e n e h m i g u n g s f ä h i g (§§ 177fr), falls der Vertreter mit der Geschäftsvornahme ihm gegenüber einverstanden ist. Anm. 4 IV. Haftung des Vertreters. Eine H a f t u n g des V e r t r e t e r s ohne Vertretungsmacht, entsprechend derjenigen aus § 179, ist in § 180 nicht vorgesehen, da die Vornahme des Geschäfts unwirksam ist. Sie kann grundsätzlich nur nach den allgemeinen Grundsätzen über unerlaubte Handlungen (§§ 823fr) begründet werden. Der § 179 muß aber Platz greifen, falls der Geschäftsgegner die Vertretung nicht beanstandet und der Vertreter der Vertretungsmacht entbehrte. Ist der Geschäftsgegner mit der Vertretung ohne Vertretungsmacht einverstanden, dann ist der Vertreter nach § 179 Abs. 3 Satz 1 nicht haftbar. Anm. 5 V. Prozessuale Erklärungen. Auf prozessuale Erklärungen ist § 180 nicht anwendbar. Die von einem Vertreter ohne Vertretungsmacht erklärte Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) ist als rein prozessuale Willenserklärung nicht nach § 180 zu beurteilen; sie wird vielmehr durch Genehmigung des Vertretenen (§89 ZPO) rechtswirksam (RG 146, 308). Anm. 6 VI. Die Beweislast. Wer die Wirksamkeit des einseitigen Geschäfts geltend macht, hat die Voraussetzungen hierfür nachzuweisen, also das Einverständnis oder die Nichtbeanstandung; hierbei muß jedoch genügen, daß Tatsachen dargetan werden, aus denen das Einverständnis zu folgern ist. Sache des Gegners ist es, demgegenüber nachzuweisen, durch welche Erklärung er die Vornahme des Geschäfts beanstandet habe; der andere Teil hat dann die Verspätung der Beanstandung (§ 174) darzutun.

§181 Ein Vertreter kann, soweit nicht ein anderes i h m gestattet ist, i m N a m e n des Vertretenen m i t sich i m eigenen N a m e n oder als Vertreter eines Dritten ein Rechtsgeschäft nicht vornehmen, es sei denn, daß das Rechtsgeschäft ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit besteht. E II 149; M I 224?; P I 1748; 1 73 ff.

Übersicht I. II. III. IV.

Die Bedeutung des §181 Die Wirkung des Verbots Das Anwendungsgebiet Die beiden Ausnahmen 1. Gestattetes Selbstkontrahieren 2. Erfüllungsgeschäfte

Anm.

1—4 5 6—14 15—28 15—26 27

Anm. 1 I. Die Bedeutung des § 181 Die Vorschrift geht davon aus, daß in allen Fällen des Selbstkontrahierens die Gefahr eines Interessenkonflikts und einer Schädigung des einen oder anderen Teils be628

Vertretung. Vollmacht

§181

Anm. 2 steht, und verbietet das Insichgeschäft, im Interesse der Rechtssicherheit und um dem Vertretenen einen wirksamen Schutz gegen die für ihn mit dem Selbstkontrahieren des Vertreters verbundene Gefahr zu gewähren ( R G 68, 175). Möglich sind zwei Fälle: Der Vertreter schließt für sich selbst und zugleich namens des Vertretenen a b ; oder jemand vertritt zwei verschiedene Personen und kontrahiert im Namen beider. Die Bestimmung betrifft sowohl zweiseitige wie auch empfangsbedürftige einseitige Rechtsgeschäfte ( R G 143, 352). Anm. 2 Umstritten ist, ob § 181 das Insichgeschäft als solches, wegen der Art seines Zustandekommens, verbietet oder eine allgemeine Schutzvorschrift gegen Mißbrauch der Vertretungsmacht darstellt. Das Reichsgericht ( R G 76, 89; 102, 4 1 1 ; 103, 4 1 7 ; 108, 405; 127, 1 0 5 ; 157, 24, 3 1 / 3 2 ; WarnRspr 1 9 1 5 Nr. 1 7 9 ; J W 1 9 3 1 , 222g 3 ) hat den Standpunkt vertreten, daß § 1 8 1 dem Vertreter nur ein Rechtsgeschäft mit sich selbst untersagt und ihm nicht Geschäfte verbietet, bei denen die Gefahr besteht, daß die Interessen des Vertretenen denen des Vertreters zuwiderlaufen (so nahezu wörtlich R G 157, 3 1 ) . Es hat deshalb den § 181 für nicht gegeben erachtet, wenn der Vertreter eine Forderung des Vertretenen im eigenen Namen abtritt und die Forderungsabtretung namens des Vertretenen durch Erklärung gegenüber dem Abtretungsempfänger genehmigt ( R G 76, 89, 92/93), weil der Vertreter hier, anders als wenn er sich die Abtretung durch eine an sich selbst gerichtete Erklärung genehmigt hätte, kein Rechtsgeschäft mit sich selbst abschließt. Übernimmt der Vertreter namens des Vertretenen eine ihn persönlich treffende Schuld durch Vertrag mit dem Gläubiger (§ 4 1 4 ) , so trifft § 181 nicht zu, während die Vorschrift gegeben ist, wenn er die Schuldübernahme im Einverständnis mit dem Gläubiger durch Vertrag mit sich selbst, also nach § 4 1 5 , vollzieht ( R G 5 1 , 422). § 181 greift auch nicht ein, wenn der Vertreter für eine eigene Schuld die Bürgschaft im Namen des Vertretenen übernimmt ( R G 71, 217). Dasselbe gilt, wenn der Vertreter einem anderen Untervollmacht erteilt und dieser namens des Vertretenen zugunsten des Hauptvertreters ein Schuldanerkenntnis abgibt ( R G 103, 4 1 7 ) . Ein vom Unterbevollmächtigten auf Grund der Untervollmacht mit sich selbst abgeschlossenes Rechtsgeschäft kann dadurch "wirksam werden, daß es der Hauptbevollmächtigte namens des Vollmachtgebers genehmigt ( R G D R 1 9 4 1 , 997 7 ). Wegen des Einigungserfordernisses (§ 873) kann eine Hypothek, die sich der Vertreter an dem Grundstück des Vollmachtgebers bewilligt oder über deren Bestellung er sich einerseits namens des Grundstückseigentümers und andererseits namens des Begünstigten einigt, materiell nicht entstehen ( R G 89, 369). Dagegen kann der Vertreter einen Rangrücktritt einerseits namens des betroffenen Hypothekars bewilligen und andererseits namens des Grundstückseigentümers der Rangänderung zustimmen, da er hier kein Geschäft mit sich selbst abschließt, sondern nur mit Dritten in rechtsgeschäftlichen Verkehr tritt, R G 157, 24, 32. Ebenso kann der Vertreter eines Hypothekars die Löschung der Post bewilligen und der Löschung im eigenen Namen als Grundstückseigentümer zustimmen, denn beide Erklärungen sind dem Grundbuchamt gegenüber abzugeben (§§875 Abs. 1 Satz 2, 1 1 8 3 Satz 2); der Vertreter handelt also nicht mit sich selbst (in allen Punkten a A C o i n g in Staudinger § 181 Anm. 3 — 3 d , 22—23 a m. w. Nachw.). A n d e r e r s e i t s i s t § 181 a u c h n i c h t e i n z u s c h r ä n k e n . Schließt der Vertreter mit sich selbst ab, so ist § 1 8 1 , seiner eindeutigen Fassung gemäß, auch dann anwendbar, wenn das Geschäft dem Vertretenen nur Vorteil bringen konnte, ein Mißbrauch der Vertretungsmacht also ausgeschlossen war ( R G WarnRspr 1 9 1 0 Nr. 4 1 4 ; 1932, Nr. 200; R G 157, 24, 3 1 ) . D e r V e r t r e t e n e ist e i n e m V o l l m a c h t s m i ß b r a u c h a b e r a u c h n i c h t s c h u t z l o s p r e i s g e g e b e n . Einmal kann er gegen den ungetreuen Vertreter Schadensersatzansprüche aus dem der mißbrauchten Vollmacht zugrunde liegenden Rechtsverhältnis herleiten. Andererseits können ihm auch die §§ 138, 826 oder § 8 2 3 Abs. 2 B G B mit § 266 S t G B oder § 1 3 4 B G B mit § 81 a G m b H helfen ( R G 157, 24, 32). Ein Fall dieser Art liegt vor, wenn der Vertreter mit der Erteilung der Untervollmacht eine U m 41

Komm. 2. BGB. n . Aufl. I. Bd. (Kuhn)

629

§181

A n m . 3—5

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

g e h u n g des § 181 beabsichtigt hat; ein auf dieser Grundlage vorgenommenes Rechtsgeschäft kann keine größere Wirksamkeit haben als ein unmittelbar den Tatbestand des § 181 erfüllendes (RG 56, 104). Bieten aber die Umstände des Falles keinen Anhalt für die Absicht einer Umgehung des Gesetzes und beabsichtigen die Beteiligten auch sonst nicht etwa in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise unter Mißbrauch ihrer Vertretungsmacht den Vollmachtgeber zu schädigen (§826), so steht nichts im Wege, daß der Unterbevollmächtigte im Namen des Machtgebers mit dem Bevollmächtigten, von dem er die Untervollmacht erhalten hat, wirksam Rechtsgeschäfte abschließt; so wenn die Untervollmacht schon zu einer Zeit erteilt worden ist, als an das vorgenommene Rechtsgeschäft noch nicht gedacht wurde ( R G 108, 405). Enthält die Ermächtigung zur Bestellung eines Untervertreters zugleich die Gestattung, daß der Vertreter mit dem Unterbevollmächtigten oder mit sich selbst kontrahieren kann, so können sich allenfalls aus dem Innenverhältnis Ansprüche für den Vertretenen ergeben. Ein zur Bestellung eines Unterbevollmächtigten befugter, aber von der Beschränkung des § 181 nicht befreiter Bevollmächtigter ist regelmäßig rechtlich nicht in der Lage, eine Untervollmacht ohne die Beschränkung des § 181 zu erteilen, K G D R 1941, 997'. Ist der Dritte nur zur Vertretung des Vertreters berufen und kontrahiert er mit ihm, so liegt die Sache nicht anders, als wenn der Vertreter mit sich selbst abgeschlossen haben würde. Kein F a l l des § 181 liegt vor, wenn der Bevollmächtigte mit einem Dritten abschließt, der ohnebin, etwa als Prokurist, schon zur Vertretung des Vollmachtgebers berechtigt war (RG 89, 371). Ein Fall des Verhandeins mit sich selbst liegt auch nicht vor, wenn der Vertreter im eigenen Namen und zugleich namens des Vertretenen mit einem Dritten einen Vertrag abschließt; er ist dazu vielmehr schlechthin befugt ( R G 127, 103; R G W a r n R s p r 1912 Nr. 399; R A G 1 1 . 2. 1 9 3 1 , 451/30). Auch ein Interessenwiderstreit kann hier, unbeschadet der Folgen eines Mißbrauchs der Vollmacht, die Anwendung des § 181 nicht rechtfertigen (RG J W 1 9 3 1 , 2 2 2 9 3 ) . Desgleichen ist § 181 nicht anwendbar, wenn der Prokurist einer Firma auf einen von ihm auf die Firma gezogenen Wechsel das Akzept der Firma setzt, weil es sich hier nicht um ein vom Prokuristen mit sich in eigenem Namen vorgenommenes Rechtsgeschäft handelt ( R G Gruchot 63, 84). Anm. 3 Die Anwendbarkeit des § 181 wird nicht dadurch berührt, daß der Vertreter ein von ihm als solchem gemachtes Angebot zu einer Zeit annimmt, in der seine Vertretungsbefugnis aufgehört hat (RG H R R 1928, 105). Ein Anwendungsfall des § 181 ist auch dann gegeben, wenn die gleiche Person auf der einen Seite als einzelner oder als Einzelvertreter, auf der andern Seite mit andern zusammen in Gesamtvertretung steht (RG 89, 3 7 3 ; R G L Z 1926, 438®) oder wenn auf Seiten beider Geschäftspartner Kollektivvertretung besteht und einer der Gesamtvertreter zur Vertretung der beiden Partner berechtigt ist ( O L G Gelle S J Z 1948, 3 1 1 ) . Anm. 4 Nicht unter § 181 gehört der Fall, daß zwei Vertreter der nämlichen Person, wie etwa zwei verschiedene Verwaltungsstellen des Staates, eine Vereinbarung vermögensrechtlicher Art treffen; hier handelt es sich nicht um rechtsgeschäftlichen Verkehr, sondern nur um rechnungsmäßige Verwaltungsakte ( R G J W 1927, 2849°). Anm. 5 I I . Die W i r k u n g des Verbots Von den beiden in § 181 bestimmten Ausnahmen abgesehen, kann der Vertreter nicht mit sich selbst kontrahieren. Diese Ausdrucksweise hat zu der Annahme geführt, ein Zuwiderhandeln habe ohne weiteres Nichtigkeit zur Folge. Dieser Standpunkt, den früher auch das Reichsgericht vertrat ( R G 5 1 , 422), ist jedoch nicht richtig. E r entbehrt jedes inneren Grundes. Das Gesetz will vielmehr besagen: In der Vertretungsmacht liegt nicht ohne weiteres die Befugnis zum Abschluß mit sich selber, und sie „ k a n n " in ihr insbesondere deshalb nicht gefunden werden, weil von vornherein mit der Möglichkeit widerstreitender Interessen zu rechnen ist. Der Vertreter, der trotz-

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Vertretung. Vollmacht

§181 A n m . 6—8

dem mit sich selbst abschließt, handelt mithin regelmäßig außerhalb der Grenzen seiner Vertretungsmacht. Dieses Bedenken fällt aber fort, wenn der Machtgeber dem Vertretenen die Befugnis zum Selbstkontrahieren eingeräumt hat, oder wenn ein solches Bedenken nach der Art der Geschäftserledigung an sich nicht bestehen kann. V o n diesem Gesichtspunkt aus erklären sich die beiden Ausnahmefälle folgerichtig; die „Gestattung" und die ausschließliche Erfüllung einer Verbindlichkeit. Sofern lediglich eine Verbindlichkeit erfüllt wird, kann schon aus diesem Grunde von widerstreitenden Interessen keine Rede sein. Das Reichsgericht hat denn auch angenommen, daß unbefugtes Selbstkontrahieren bei g e w i l l k ü r t e r S t e l l v e r t r e t u n g genau so zu beurteilen ist wie eine Überschreitung der Vollmacht; das Rechtsgeschäft ist also nicht nichtig, sondern genehmigungsfähig ( R G 56,104; 67,51; 68,37; 89,3 74; 93, 33 7; 108,406; J W 1928, 2013 1 ; B A G A P Nr. 1 zu § 242 BGB). Es kann von dem Vertretenen auch durch schlüssiges Verhalten genehmigt werden ( B A G wie zuvor). § 181 enthält kein Verbotsgesetz ( R G 103, 418). Das gleiche muß auch im Falle der g e s e t z l i c h e n V e r t r e t u n g gelten ( R G J W 1924, 18626). Die Frage der Befugnis zum Selbstkontrahieren ist nicht von so weittragender Bedeutung, daß eine abweichende Regelung ausländischen Rechtes im Sinne des E G Art. 30 gegen den Zweck des deutschen Gesetzes verstoßen würde ( R G J W 1928, 2013 1 ). Der Vertretene ist verpflichtet, ein vom Vertreter mit sich selbst vorgenommenes Geschäft zu genehmigen, wenn die Versagung der Genehmigung gegen Treu und Glauben verstoßen würde oder arglistig wäre, R G 110, 214.

Anm. 6 III. Das Anwendungsgebiet Es erstreckt sich auf alle Rechtsgeschäfte, einschließlich der dinglichen ( R G 89, 367) sowie der familienrechtlichen, soweit hier die Stellvertretung überhaupt zulässig ist ( R G 79, 283). Es umfaßt in gleicher Weise die aktive wie die passive Stellvertretung. Immer aber muß eine Stellvertretung stattfinden.

Anm. 7 § 181 g i l t a u c h b e i d e r g e s e t z l i c h e n V e r t r e t u n g ( R G 71, 163; R G SeuffArch 77 Nr. 62; R G J W 1924, 18626). Der Vormund mehrerer Mündel kann Verträge zwischen den Mündeln nicht abschließen (vgl. §§ 1795, 1630; R G 67, 61). Hierzu kann ihn auch das Vormundschaftsgericht nicht ermächtigen; es vermag dem Rechtsgeschäft auch durch Genehmigung nachträglich keine Wirksamkeit zu verleihen ( R G 71, 162).

Anm. 8 Wenn auch Z w a n g s V e r w a l t e r u n d T e s t a m e n t s v o l l s t r e c k e r nicht die Stellung eines Vertreters haben, sondern ein privates Amt ausüben (vgl. Bern. II 3 vor § 164), so ist § 181 doch auf sie entsprechend anwendbar (arg. R G 80, 416), da sie in fremdem Interesse handeln und als Verwalter fremden Vermögens Verträge schließen. Ein vom Erblasser zum Testamentsvollstrecker berufener Miterbe ist aber nicht gehindert, sich bei der Auseinandersetzung einen seinem Erbteil entsprechenden Bruchteil am Nachlaßgrundstück aufzulassen; zu einer Erbteilung, die in seinem Interesse von dem Willen des Erblassers abweicht, ist er dagegen nicht befugt ( R G 61, 139, 142/43; vgl. auch B G H L M Nr. 1 zu § 2203 BGB). A u f den K o n k u r s v e r w a l t e r ist § 181 dagegen nicht anwendbar. Andernfalls hinge selbst ein den Gläubigern günstiger Erwerb des Konkursverwalters aus der Konkursmasse von der Genehmigung des Gemeinschuldners ab, und der Versagung der Genehmigung könnte nur mit dem bloß selten anwendbaren § 226 entgegengetreten werden. Es hilft §83 K O ; danach hat das Konkursgericht gegen Massegeschäfte des Konkursverwalters mit sich selbst, die nicht die Billigung des Gläubigerausschusses oder der Gläubigerversammlung gefunden haben, einzuschreiten, wenn sie irgendwie zu beanstanden sind ( S k r o t z k i K T S 1955, 112). 41

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§181 A n m . 9—15

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 9 Nach den Rechtsgedanken des § 181 ist es auch ausgeschlossen, daß die von ihrem Ehemann zur Alleinerbin berufene Ehefrau nach Eintritt des Erbfalls als gesetzliche Vertreterin eines nach Testamentserrichtung aus der Ehe hervorgegangenen Kindes das T e s t a m e n t a n f i c h t (§ 2079); die Anfechtungserklärung ist aus Gründen der Rechtssicherheit zwar an das Nachlaßgericht zu richten (§ 2081 Abs. 1), Anfechtungsgegner bleibt aber der von dem Wegfall des Testaments betroffene Erbe ( R G 143, 350).

Anm. 10 Bei der A u s e i n a n d e r s e t z u n g e i n e r E r b e n g e m e i n s c h a f t , a n d e r mehrere M i n d e r j ä h r i g e und ihr gesetzlicher Vertreter b e t e i l i g t s i n d , muß bei der Umwandlung des Gesamthandeigentums an einem Grundstück in Bruchteilseigentum für jeden Minderjährigen ein Pfleger bestellt werden, sofern nicht einer der Ausnahmefälle des § 181 vorliegt, R G 67, 6 1 ; B G H 2 1 , 229.

A n m . 11 Der V a t e r kann nicht als gesetzlicher Vertreter seiner minderjährigen Kinder mit sich selbst einen G e s e l l s c h a f t s v e r t r a g abschließen; für jedes K i n d muß vielmehr ein Pfleger bestellt werden. Er kann aber eine schuldrechtlich wirksame G r u n d s t ü c k s s c h e n k u n g in der Weise vollziehen, daß er im eigenen Namen die Auflassung erklärt und im Namen seines beschenkten minderjährigen Kindes annimmt, B G H 15, 168.

A n m . 12 B e i m d i n g l i c h e n V e r f ü g u n g s g e s c h ä f t muß das Selbstkontrahieren äußerlich deutlich erkennbar sein ( O L G Hamburg M D R 1956, 416). Wer durch Insichgeschäft insbesondere an beweglichen Sachen das Eigentum übertragen will, muß diesen Willen durch solche Tatsachen bestätigen, die den Eigentumsübergang auch für andere erkennbar machen ( R G 52, 1 3 0 ; 63, 1 6 ; 73, 4 1 5 ; 99, 208; 1 1 6 , 198; R G WarnRspr 1925 Nr. 28). Z u m Abschluß eines Schuldvertrags genügt es dagegen, wenn der gemeinschaftliche Vertreter in sich die Willenseinigung vornimmt, ohne dies auch äußerlich zum Ausdruck zu bringen ( R G Gruchot 1 9 1 2 , 895).

A n m . 13 Die Anwendbarkeit des § 181 kann seinem Zweck nach auch dann gegeben sein, wenn die Stellvertretung von beiden Vertragsparteien nur scheinbar auf j e eine verschiedene Persönlichkeit übertragen worden ist, während in Wirklichkeit die Sache anders liegt (vgl. R G Gruchot 58, 1 7 6 ; hier war eine Landbank vom Kläger zum Ankauf eines Grundstücks bevollmächtigt worden, und der Eigentümer, der das Verkaufsangebot machte, bevollmächtigte zum Vertragsabschluß die Vorstandsmitglieder der Landbank, worauf das eine Vorstandsmitglied namens der Klägerin und das andere namens des Beklagten den Vertrag abschloß).

A n m . 14 Die Anwendbarkeit des § 1 8 1 wird endlich auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß das Rechtsgeschäft dem Vertretenen nur vorteilhaft ist. Daher kann der gesetzliche Vertreter eines noch nicht siebenjährigen Kindes nicht durch Verhandeln mit sich selbst einen Schenkungsvertrag mit dem Vertretenen wirksam abschließen ( R G WarnRspr 1 9 1 0 Nr. 4 1 4 ; 1932 Nr. 10).

A n m . 15 IV. Die beiden Ausnahmen 1. G e s t a t t e t e s S e l b s t k o n t r a h i e r e n . Der Vertreter ist zu Geschäften mit sich selbst befugt, wenn ihn der Vollmachtgeber von der Einhaltung des § 181 befreit hat. Diese Erlaubnis wird durch Gestattung gewährt. Das ist eine rechtsgeschäftliche Erklärung ( R G 5 1 , 4 2 2 ; 76, 184), die auch schlüssig abgegeben werden kann ( R G 68, 1 7 2 ; 74, 4 1 3 ; 99, 208; R G WarnRspr 1931 Nr. 1 5 3 ; R G J W 1932, 3g 2 ; H R R 1936, 262; K G H R R 1937, 927). In der Erteilung einer Vollmacht mit der Klausel: „soweit

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Vertretung. Vollmacht

§181 A n m . 16—23

die Gesetze eine Vertretung zulassen", liegt keine Erlaubnis zum Selbstkontrahieren ( K G J W 1937, 4 7 1 1 ® ; D R 1 9 4 1 , 99 7 7 ; J R 1952, 438). Dasselbe hat in der Regel auch für die Generalvollmacht zu gelten. Bevollmächtigen beide Parteien eines Grundstückskaufvertrages einen und denselben Dritten zur Auflassung, so liegt darin die Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens ( K G J W 1937, 4 7 1 1 9 ) . Bevollmächtigt der Gläubiger, für den eine Hypothek eingetragen werden soll, den Grundstückseigentümer, für ihn den Hypothekenbrief vom Grundbuchamt in Empfang zu nehmen, so liegt darin die Ermächtigung, die Ubergabe des Hypothekenbriefs durch Vertrag mit sich selbst nach Maßgabe der §§ 1 1 1 7 , 930 zu vollziehen, R G 73, 4 1 5 .

A n m . 16 Der Vertretene kann sich auf das Fehlen der Gestattung des Selbstkontrahierens dann nicht berufen, wenn die Versagung der Zustimmung nach den besonderen Umständen des Falles a r g l i s t i g wäre, R G 64, 373.

A n m . 17 Eine gesetzliche Bestimmung, die dem gesetzlichen Vertreter die Vornahme eines Rechtsgeschäfts durch Selbstkontrahieren dann gestattete, wenn d e m V e r t r e t e n e n daraus n u r V o r t e i l e e r w a c h s e n , besteht nicht ( R G WarnRspr 1932 Nr. 200).

A n m . 18 Wird jemand zum Verkauf eines Grundstücks bevollmächtigt und in der Vollmachtsurkunde ermächtigt, den Kaufvertrag auch mit sich selbst abzuschließen, so bedarf die Vollmacht dann der Form des § 3 1 3 , wenn die Umstände des Falles ergeben, daß sich der Vollmachtgeber durch Aushändigung der Urkunde bereits rechtlich binden wollte ( B G H N J W 1952, 1 2 1 0 ) .

A n m . 19 Eine V o l l m a c h t z u m V e r k a u f und zur Abtretung e i n e s G m b H - G e s c h ä f t s a n t e i l s , die den Bevollmächtigten namentlich benennt, bedarf auch dann nicht der Form des § 1 5 G m b H G , wenn der Bevollmächtigte von dem Verbot des Selbstkontrahierens befreit ist, B G H 1 3 , 49.

A n m . 20 Ein zur Bestellung eines Unterbevollmächtigten befugter, aber von der Beschränkung des § 181 nicht befreiter Bevollmächtigter ist regelmäßig rechtlich nicht in der Lage, eine U n t e r v o l l m a c h t ohne die Beschränkung des § 181 zu erteilen, K G D R »941, 997'-

A n m . 21 Wer ein privates Amt ausübt ( K o n k u r s v e r w a l t e r , Z w a n g s v e r w a l t e r , T e s t a m e n t s v o l l s t r e c k e r ) , wird einem eingesetzten Bevollmächtigten das Selbstkontrahieren nur insoweit gestatten dürfen, als dies mit einer sachgerechten Führung des Amtes vereinbar ist. Der Testamentsvollstrecker ist zur Gestattung von Insichgeschäften auch insoweit berechtigt, als ihm dies selbst durch eine Anordnung des Erblassers erlaubt ist (vgl. R G 6 1 , 139, 142/43 und B G H L M Nr. i zu § 2203 BGB).

A n m . 22 Das V e r t r e t u n g s o r g a n e i n e r j u r i s t i s c h e n P e r s o n kann durch die Satzung, bei der Aktiengesellschaft auch durch den Aufsichtsrat, beim Verein durch die Mitgliederversammlung oder bei der G m b H durch die Gesellschafter von dem Verbot des § 1 8 1 befreit werden (§§ 71 A k t G , 32 B G B , 3 5 G m b H G ) .

A n m . 23 Die E r l a u b n i s z u m S e l b s t k o n t r a h i e r e n kann sich auch unmittelbar a u s d e m G e s e t z ergeben. Hierin gehören die §§ 1009, 1409 BGB, aber auch die §§ 1 2 5 H G B , 71 Abs. 2 A k t G .

683

§ 1 8 1 A n m . 24—27

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

§182 Anm. 24 Nach Ansicht vieler soll sich die Gestattung des Insichgeschäfts auch aus der V e r k e h r s ü b u n g ergeben können. Dieser Standpunkt wird vor allem bei der Schenkung des elterlichen Gewalthabers an die eigenen Kinder unter 7 Jahren oder dann praktisch, wenn der Verwalter fremder Gelder zum Zwecke des Herausgebens Kassengeld gegen eigenes Geld wechselt. Ihm kann nicht beigetreten werden, da er darauf hinausläuft, der Verkehrsübung gegenüber dem Gesetz derogierende Kraft zuzubilligen. Die Erlaubtheit des erörterten Geldwechselgeschäfts kann nur mit schlüssig erklärter Gestattung begründet werden; zu der vom elterlichen Gewalthaber beabsichtigten Schenkung an das eigene, noch nicht siebenjährige Kind muß dem Geschäftsunfähigen ein Pfleger bestellt werden. Anm. 25 Zulässig ist eine D o p p e l b e v o l l m ä c h t i g u n g in der Weise, daß ein Dritter vom Vormund zur Mitteilung der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts an den Vertragsgegner und von diesem zur Empfangnahme der Mitteilung ermächtigt wird (RG 1 2 1 , 30; R G WarnRspr 1922 Nr. 98). Anm. 26 Ein Vertrag, durch den ein Bevollmächtigter auf Grund eingeräumter Befugnis mit sich selbst abschließend, zu eigenem Nutzen den Vollmachtgeber bewußt schädigt, ist nach § 138 nichtig (RG SeuffArch 81 Nr. 49). A n m . 27 2. Erfüllungsgeschäfte. § 181 gestattet dem Vertreter, da mit sich selbst zu kontrahieren, wo es ausschließlich um die Erfüllung einer Verbindlichkeit geht. Diese gesetzliche Erlaubnis umfaßt unterschiedslos alle Erfüllungsgeschäfte, mögen sie in einer dinglichen Leistung oder in einem schuldrechtlichen Geschäft (Aufrechnung) bestehen. Die Ausnahmebestimmung bezieht sich nur auf die Erfüllung von Verbindlichkeiten des Vertreters gegenüber dem Vertretenen und umgekehrt. Voraussetzung ist stets, daß es sich um eine rechtsverbindliche Schuld (beispielsweise um eine formgültige Schenkung, R G 23. 10. 1912 V 239/12) und um die Leistung des eigentlichen Schuldgegenstandes handelt. Daher gehört die Leistung an Erfüllungs Statt nicht hierher (§ 365). Der Vertreter darf die Rechte des Vertretenen durch Vornahme der Erfüllung im Wege des Insichgeschäfts nicht schmälern; er darf daher eigene zweifelhafte oder noch nicht fällige Forderungen an den Vertretenen nicht selbst befriedigen.

Sechster Titel Einwilligung. Genehmigung

§183 Hängt die Wirksamkeit eines Vertrags oder eines einseitigen Rechtsgeschäfts, das einem anderen gegenüber vorzunehmen ist, von der Zustimmung eines Dritten ab, so kann die Erteilung sowie die Verweigerung der Zustimmung sowohl dem einen als dem anderen Teile gegenüber erklärt werden. Die Zustimmung bedarf nicht der für das Rechtsgeschäft bestimmten Form. Wird ein einseitiges Rechtsgeschäft, dessen Wirksamkeit von der Zustimmung eines Dritten abhängt, m i t Einwilligung des Dritten vorgenommen, so finden die Vorschriften des § 111 Satz 2, 3 entsprechende Anwendung. H I 127 II IJO; M 1 24JFF; P I 1761!; 6 124, 128, 138.

634

Einwilligung. Genehmigung

§ 182 A n m . 1—6

Übersicht Anm.

I. II. III. IV. V.

Grundsätzliches Behördliche Genehmigungen Das Anwendungsgebiet des § 182 Die Zustimmung Form

i—7 8, 9 10, 11 12, 13 14, 15

Anm. 1 I. Grundsätzliches. In einer Reihe von Fällen hängt die Wirksamkeit eines Vertrages oder einer einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärung von der Zustimmung eines Dritten ab. Das gilt für Rechtsgeschäfte, durch die in eine fremde Rechtssphäre eingegriffen wird (vgl. die §§415, 458, 876, 1071, 1245, 1255, 1276). Ferner bedürfen Rechtsgeschäfte von beschränkt geschäftsfähigen Personen (§§ 106—114) und von Vertretern ohne Vertretungsmacht (§ 177), zahlreiche Geschäfte im ehelichen Güterrecht (§§ 1395ff, I4°5> 1444ff, 1516) und Verfügungen des Nichtberechtigten (§ 185) sowie bestimmte Verfügungen des Vorerben (§2120) der Zustimmung eines anderen. Die Veräußerung von Teilen eines GmbH-Geschäftsanteils kann nach § 17 Abs. 1 GmbHG nur mit Genehmigung der Gesellschaft stattfinden. Nach § 15 Abs. 5 GmbHG kann die Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen gesellschaftsvertraglich an die Genehmigung der Gesellschaft geknüpft werden. Anm. 2 Die im voraus erteilte Zustimmung heißt Einwilligung, die nachträglich erteilte wird Genehmigung genannt. Die Zustimmung des Vormundschaftsgerichts heißt immer Genehmigung. In § 133 K O wird der Ausdruck Genehmigung für die vorherige Zustimmung gebraucht. Anm. 3 Die Bestätigung (§ 141) unterscheidet sich von der Zustimmung dadurch, daß sie dazu bestimmt ist, eigene nichtige Geschäfte wirksam zu machen, während die Zustimmung dazu dient, Rechtsgeschäfte wirksam zu machen, bei deren Abschluß der Zustimmende unbeteiligt war. Anm. 4 Die Vollmacht ist eine Ermächtigung zum Handeln im Namen des Vollmachtgebers; die Einwilligung wird dagegen zu Handlungen erteilt, die jemand im eigenen Namen, aber im Interesse eines anderen vorgenommen hat (RG 105, 290; 104, 359; 53, 275; RG WarnRspr 1926 Nr. 93). Anm. 5 Wo das Gesetz von einer Erlaubnis spricht (§§ 549, 583, 603, 1784, 1888), geht es überhaupt nicht darum, ein Rechtsgeschäft wirksam zu machen. Anm. 6 Eine Verfügung, die an sich gegen ein r e l a t i v e s V e r ä u ß e r u n g s v e r b o t verstößt (§ 135)) ist bei Zustimmung der geschützten Personen wirksam. Ebenso behebt die Z u s t i m m u n g des V o r m e r k u n g s b e r e c h t i g t e n den Mangel einer Eintragung, die an sich dem Vormerkungsberechtigten gegenüber unwirksam wäre, RG 154, 367. Die Abtretung einer nach Vereinbarung mit dem Schuldner nicht abtretbaren Forderung (§ 399) kann genehmigt werden (BGH LM Nr. 2 zu § 406 BGB); ist die verbotswidrig abgetretene Forderung aber vor Genehmigung der Zession nach § 851 Abs. 2 ZPO wirksam gepfändet worden, so berührt die Genehmigung das Pfandrecht nicht, weil die vertragswidrig vorgenommene Abtretung infolge der Genehmigung keinen Vorrang vor der von einer Genehmigung unabhängigen Pfändung gewinnen kann (RG 75, 142); unter Umständen will der durch das vereinbarte Abtretungsverbot begünstigte

635

§182

Anm. 7—9

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Schuldner aber nicht genehmigen, sondern bloß auf seine Rechte aus der Vereinbarung verzichten. Ein V e r z i c h t würde nicht zurückwirken, also eine unwirksam vorgenommene Abtretung nicht rückwirkend, sondern bloß vom Wirksamwerden der Verzichtserklärung ab wirksam machen.

Anm. 7 Die ohne die erforderliche Genehmigung der übrigen Gesellschafter vorgenommene Abtretung eines Gesellschaftsanteils an einer Kommanditgesellschaft ist nicht relativ, sondern schwebend unwirksam, B G H 13, 179.

Anm. 8 II. Behördliche Genehmigungen Die §§ 1 8 2 — 1 8 4 sind auf b e h ö r d l i c h e Z u s t i m m u n g s e r k l ä r u n g e n (Beispiel: die staatliche Genehmigung von Stiftungen, § 80) nicht anwendbar (über ihre entsprechende Anwendbarkeit vgl. aber § 184 Anm. 12). Hier liegt ein bedingtes Rechtsgeschäft vor, da schon vor der Genehmigung vertragliche Bindung besteht und bloß die angestrebte Rechtswirkung von der Erteilung der Genehmigung abhängig ist. R G 75, 409 hat offen gelassen, ob die §§ 160, 161 im Falle der Errichtung einer Stiftung auf den vor Erteilung der Genehmigung bestehenden Schwebezustand anwendbar sind. Das wird mit Rücksicht auf § 81 zu verneinen sein.

Anm. 9 Bei Verträgen einer Gemeinde, die zu ihrer Wirksamkeit der G e n e h m i g u n g der A u f s i c h t s b e h ö r d e bedürfen, entsteht zunächst ein Schwebezustand, währenddessen die Vertragsparteien an den Vertrag gebunden bleiben und es der Gemeinde obliegt, auf die Genehmigung hinzuwirken ( R G 98, 48). Nach R G 157, 207 kann eine Gemeinde aus einer Willenserklärung, die der Genehmigung der Aufsichtsbehörde bedarf, beim Fehlen dieser Genehmigung auch dann nicht in Anspruch genommen werden, wenn die Ablehnung der Erfüllung den Umständen nach gegen Treu und Glauben verstoßen würde; dieser Standpunkt ist für echte oder gar ernste Verstöße gegen Treu und Glauben nicht bedenkenfrei (vgl. N i p p e r d e y J Z 1952, 5 7 7 ; S c h o l z N J W 1950, 8 1 ; 1953, 9 6 1 ; C o i n g in Staudinger § 187 Anm. 1 0 — i o d ; vgl. auch § 167 Anm. 5 und 7 ; zustimmend dagegen B e i t z k e M D R 1953, 1). Über die Unwirksamkeit von Geschäften des bürgerlichen Rechtsverkehrs, die ohne die erforderliche Genehmigung der Aufsichtsbehörde abgeschlossen werden, s. § 104 Abs. 1 der Deutschen Gemeindeordnung v. 30. 1. 1935 ( R G B l I 49), über die Bedeutung der aufsichtsbehördlichen Genehmigung bei Bestellung von Sicherheiten ebenda §§ 78, 79 s. R G Z A k D R 1938, 97; J W 1937, 292 7 3 8 ; H R R 1937, 1450. Ein Schwebezustand der gedachten Art greift auch Platz bei G r u n d s t ü c k s v e r ä u ß e r u n g s g e s c h ä f t e n , die eine Genehmigung der Verwalt u n g s b e h ö r d e e r f o r d e r n . Auch insoweit sind die §§ 1 8 2 — 1 8 4 nicht anwendbar, da es sich bei der Genehmigung um einen Staatshoheitsakt handelt; es sind vielmehr die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts anzuwenden ( R G 106, 1 4 2 ; 1 2 3 , 3 2 7 ; 154, 304). Doch enthält der § 184 mit der Anordnung der rückwirkenden K r a f t der Genehmigung einen allgemeinen Rechtsgedanken, der auch im Verwaltungsrecht gilt, Ist die Vereinbarung, durch die dem Verkäufer eines Grundstücks das Wiederkaufsrecht eingeräumt wird, mangels Genehmigung der Verwaltungsbehörde schwebend unwirksam, so wird sie rückwirkend wirksam, wenn die Ausübung des Wiederkaufsrechts genehmigt wird; der Eintritt dieser Wirkung wird nicht dadurch verzögert, daß ein Vertragsteil den Genehmigungsbescheid unzulässigerweise anficht ( B G H N J W I 95 I > 5!7)- Ein Pachtvertrag, der der Wohnsiedlungsgenehmigung bedarf, wird mit der Erteilung der Genehmigung wirksam, auch wenn die Genehmigung erst nach dem Ablauf der Pachtzeit erteilt wird ( B G H L M Nr. 6 zu § 184 BGB). V o r der Genehmigung kann nicht auf Erfüllung und nicht einmal auf die Feststellung des Bestehens des K a u f vertrags geklagt werden; vorher kann auch ein Vorkaufsrecht nicht ausgeübt werden ( R G SeufTArch 90 Nr. 1 5 5 ) ; aber auch hier besteht eine Gebundenheit der Parteien insoweit, als sie während des Schwebezustandes nicht zurücktreten können ( R G 98, 245; 106, 1 4 2 ; 1 1 5 , 3 5 ; 1 1 6 , 1 0 7 ; R G SeufTArch 85 Nr. 25). Die Parteien haben ohne

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Einwilligung. Genehmigung

§182 A n m . 10

Rücksicht darauf, ob ihnen daraus Nachteile erwachsen, gegenseitig die Pflicht, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um die Genehmigung herbeizuführen, und alles zu unterlassen, was dieser Genehmigung hinderlich sein könnte (RG 129, 357, 376; OGH 2, 318; BGH BB 1956, 869; OLG Stuttgart N J W 1953, 670). Hintertreibt eine Partei die Genehmigung, so kann sie unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes verpflichtet sein, den Vertragspartner so zu stellen, wie wenn die Genehmigung erteilt worden wäre; so kann unter Umständen auch die Erfüllung des genehmigungspflichtigen, aber nicht genehmigten Vertrages verlangt werden (RG 110, 356, 364; 129, 357, 382 ff;BGH L M Nr. 4 zu Art. IV KRG 45). Die Bindung der Parteien entfällt erst, wenn die Genehmigung endgültig versagt ist; wird die Genehmigung nachträglich doch noch erteilt, so bleibt das Rechtsgeschäft, falls es nicht erneuert wird, unwirksam (RG 103, 104; 106, 142, 146; 168,346,351; 172, 1 , 5 ; BGH DNotZ 1953, 397); das gilt auch dann, wenn der die Genehmigung versagende Verwaltungsakt fehlerhaft ist und deshalb durch einen anderen Verwaltungsakt als von Anfang an unwirksam aufgehoben wird (BGH N J W 1956, 1618 m. zust. Anm. H a u e i s e n N J W 1957, 385). Eine unter einer Bedingung erteilte Genehmigung wirkt erst mit Eintritt der Bedingung (RG H R R 1928, 1559). Eine solche Genehmigung kann auch die Versagung der Genehmigung zum abgeschlossenen Geschäft und die Erteilung der Genehmigung für ein den Beteiligten freigestelltes Geschäft bedeuten. Die Verwaltungsbehörde ist an die getroffene Entscheidung nicht gebunden, bevor sie den Beteiligten förmlich bekanntgemacht ist (RG 102, i f f ) . Die den Parteien bereits bekanntgemachte Versagung der Genehmigung kann, da sie eine rechtsbegründende oder rechtszerstörende Wirkung hat, selbst nicht mehr widerrufen werden (RG 103, 104; R G J W 1928, 16 11 ; 1931, 3449 18 ; OGH DNotZ 50, 424). Wohl aber kann die Erteilung der Genehmigung eines Grundstückskaufvertrages so lange widerrufen werden, als die Auflassung noch nicht erfolgt ist; denn ist der Kaufvertrag genehmigt, so kann immer noch die Genehmigung zur Auflassung versagt werden (RG 106, 142). Über die Bindung der Behörde an ihre einmal getroffene Entscheidung (Genehmigung oder Versagung) bei Rentengutsverträgen s. R G 12g, 357). Uber die Rückwirkung der Erteilung oder Versagung behördlicher Genehmigungen im Grundstücksverkehr s. R G 123, 327; 125,53; I3I> 97! 154, 304; R G WarnRspr 1928 Nr. 128. Entsprechendes gilt für Fälle, in denen es, wie nach Art. 7 § 2 Abs. 2 preuß. AG BGB für ausländische juristische Personen zum Erwerb von Grundstücken der staatlichen Genehmigung bedarf. Ein hierauf gerichteter schuldrechtlicher Vertrag ist, solange über die Genehmigung noch nicht entschieden ist, schwebend unwirksam, mit der Erteilung der Genehmigung wird er wirksam, mit ihrer Versagung hört die Gebundenheit der Vertragschließenden auf (RG 128, 371). Uber die Zulässigkeit der Zurücknahme eines Genehmigungsantrags nach dem preuß. Grundstücksverkehrsgesetz s. R G 130, 407. Die Rechtmäßigkeit der Erteilung oder Versagung der Genehmigung und die Ordnungsmäßigkeit des der Entscheidung vorausgegangenen Verfahrens ist von den Gerichten nicht nachzuprüfen, wohl aber die Frage, ob ein genehmigungspflichtiges Rechtsgeschäft überhaupt vorlag (RG 131, 56; R G J W 1927, 1856 36 ; 1929, 743 48 ; i93i» 603 25 ; 1931, 2639 11 ; 1931, 3449 17 ). A n m . 10 III. Das Anwendungsgebiet des § 182 Es umfaßt Verträge und einseitige empfangsbedürftige Willenserklärungen, während § 185 hinsichtlich der Verfügungen Nichtberechtigter eine Sonderbestimmung gibt. Voraussetzung ist immer, daß gerade die Wirksamkeit eines Vertrags von der Zustimmung eines Dritten abhängt. Daher greift § 182 nicht Platz, wenn an die Zustimmung des Dritten andere Folgen als die Wirksamkeit des von anderen Beteiligten abgeschlossenen Vertrags geknüpft sind, wie beispielsweise in § 549. Erhält jemand das Recht auf Überlassung einer Sache (Miete) durch einen anderen als den Eigentümer der Sache vertraglich eingeräumt, und willigt der Eigentümer in den Vertrag ein oder erteilt er nachträglich seine Genehmigung, dann greifen die §§ 183, 184 (nicht § 185) mit der Folge ein, daß der Vertrag gegenüber dem Eigentümer in gleicher Weise wirksam ist, als wäre er in seinem Namen durch einen Vertreter abgeschlossen worden (RG 637

§182 A n m . 11—15

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

80, 399; R G J W 1924, 809 1 '). Bei einseitigen nicht empfangsbedürftigen Erklärungen kann eine Zustimmung überhaupt nicht in Frage kommen.

A n m . 11 Der § 182 greift auch im Falle der Schuldübernahmc nach § 4 1 5 Platz ( R G 9 . 5 . 1 1 V I I 456/10). Die §§ 1 8 2 — 1 8 4 ergänzen die Vorschrift des § 17 G m b H G ( R G 105, 153).

Anm. 12 IV. Die Zustimmung Sie ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung ( R G WarnRspr 1 9 1 9 Nr. 132) und ein abstraktes Rechtsgeschäft. Sie kann ausdrücklich oder auch stillschweigend erteilt werden, muß aber im letzteren Falle dem anderen erkennbar sein ( R G J W 08, 3 0 1 7 ; 1928, 2 1 5 2 ; WarnRspr 1 9 1 9 Nr. 132). Stillschweigen kann in der Regel nur dann als Genehmigung gewertet werden, wenn die Vertragschließenden den anderen unterrichtet haben und eine Erklärung erwarten dürfen; wird der andere von dritter Seite unterrichtet, so liegt in seinem Schweigen keine Genehmigung, B G H N J W 1 9 5 1 , 398. Die Zustimmung setzt voraus, daß der Erklärende den Willen gehabt hat, den von anderen abgeschlossenen Vertrag durch seine Zustimmung wirksam zu machen, und erfordert also auch, daß der Erklärende sich der wirklichen Sachlage bewußt war ( R G 1 1 8 , 3 3 5 ; R G J W 1928, 2 1 5 2 ; 1929, 2944 1 2 ; R G WarnRspr 1930 Nr. 92; B G H 2, 150). Ist bei einem schwebend unwirksamen Kaufvertrag das Entgelt auf ein Bankkonto des Verkäufers überwiesen und hat der Verkäufer über dieses Guthaben verfügt, so kann aus diesem nur der Bank gegenüber getätigten Verhalten nicht auf eine Genehmigung des Kaufvertrages geschlossen werden ( B G H N J W 1953, 58). Eine wirksame Zustimmung liegt nicht vor, wenn der beim Vertragsabschluß vollmachtlos Vertretene den Vertrag in der irrigen Annahme erfüllt, der für ihn Handelnde habe Vertretungsbefugnis gehabt. — Uber die Widerruflichkeit vgl. § 183. — Als Willenserklärung ist die Zustimmung auch gemäß § § 1 1 9 , 1 2 3 anfechtbar, und zwar nach § 143 Abs. 2 jeder der beiden Vertragsparteien gegenüber.

A n m . 13 Die Zustimmung kann n u r g e g e n ü b e r dem oder den am Rechtsgeschäft B e t e i l i g t e n erklärt werden ( R G 1 1 9 , 3 9 1 ) . Die Erklärung an eine andere Person oder Stelle (Gericht) ist wirkungslos ( R G 64, 1 5 3 ; WarnRspr 1 9 1 0 Nr. 3 2 2 ; 1 9 1 5 Nr. 1 0 ; 1 9 1 9 Nr. 132). Bei einem Vertrage hat der Zustimmende zwischen den beiden Vertragspartnern die Wahl.

A n m . 14 V. F o r m Die Zustimmungserklärung ist grundsätzlich formfrei und kann deshalb, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, auch stillschweigend erfolgen (vgl. jedoch die Sonderbestimmungen der §§ 1 5 1 6 , 1730, 1748, § 2 1 2 0 , §§5, 10 Ges. übe. die Verwahrung und Anschaffung von Wertpapieren v. 4. 2. 1937 ( R G B l I 1 7 1 ; vgl. R G SeuffArch 83 Nr. 92); auch bei der Genehmigung eines Grundstücksveräußerungsvertrags ( R G 15. 2. 13 V 4 4 7 / 1 2 ) ; Genehmigung eines in ihrem Namen abgeschlossenen Grundstücksveräußerungsvertrags durch Miterben s. R G L Z 1926, 438*, Abtretung einer Grundschuld ( R G J W 1 9 3 1 , 269s 5 ); Einwilligung der Miterben in einen Grundstücksverkauf s. R G 129, 284; Formpflichtigkeit eines ein Grundstücksveräußerungsgeschäft betreffenden Vergleichs s. R G L Z 1926, 480 3 .

A n m . 15 Ein e i n s e i t i g e s R e c h t s g e s c h ä f t , dessen Wirksamkeit von der Zustimmung eines Dritten abhängt, kann in entsprechender Anwendung des § 1 1 1 zurückgewiesen werden, wenn nicht der Handelnde die Zustimmung des Dritten in s c h r i f t l i c h e r F o r m vorlegt. Die Zurückweisung ist ausgeschlossen, wenn der Zustimmungsberechtigte den anderen von der Zustimmung in Kenntnis gesetzt hatte.

638

Einwilligung. Genehmigung

§ § 183, 184

§ 1 8 3 Die vorherige Zustimmung (Einwilligung) ist bis zur Vornahme des Rechtsgeschäfts widerruflich, soweit nicht aus dem ihrer Erteilung zugrunde liegenden Rechtsverhältnisse sich ein anderes ergibt. Der Widerruf kann sowohl dem einen als dem anderen Teile gegenüber erklärt werden. E I 127 II 1 j 1; M I 24jff; P I 176fr; 6 124, 128. Anm. 1 I. Die Einwilligung Sie ist eine einseitige empfangsbedürftige, der Regel nach bis zur Vornahme des Rechtsgeschäfts frei widerrufliche Willenserklärung. Das Widerrufsrecht entfällt jedoch kraft besonderer gesetzlicher Bestimmung (so in den Fällen der §§876, 1071, 1178, 1245, 1255, 1276, 1516, 1517, 1748) oder nach dem Zweck des zugrunde liegenden Geschäfts (RG JW 1910, 32g2). Ist der Dritte zur Einwilligung verpflichtet, so hat er kein Widerrufsrecht. Wer Ware unter Eigentumsvorbehalt verkauft, dem Käufer jedoch gestattet, sie auch vor der Zahlung des Kaufpreises im ordnungsmäßigen Geschäftsgang zu veräußern, kann die Einwilligung, über die Ware zu verfügen, in der Regel solange widerrufen, als die Ware nicht schon einem Dritten übereignet worden ist; der Widerruf wird nicht schon dadurch unzulässig, daß der Dritte die Ware kauft und bezahlt, BGH 14, 114. Die Einwilligung macht das Rechtsgeschäft des Dritten schon von seinem Zustandekommen an vollwirksam. Wird die Einwilligung mit Rücksicht auf ein zugrunde liegendes Rechtsverhältnis erteilt, so erlischt sie mit dem letzteren ohne weiteres; § 168 ist entsprechend anwendbar. Die Einwilligung kann sich auch aus schlüssigem Verhalten, insbesondere aus einer bestimmten tatsächlichen Übung ergeben (RG 133, 249, 233/34). Willigt der in einem Erbvertrag eingesetzte Erbe in ein späteres Testament des Erblassers ein, so muß er dessen letztwillige Verfügung auch insoweit gegen sich gelten lassen, als diese in seine Rechtsstellung eingreift, R G 134, 325. Anm. 2 II. Satz 2 Der Widerruf kann ebenso wie die Erteilung und die Verweigerung der Zustimmung (§ 182 Abs. 1) sowohl dem einen als dem anderen Teil gegenüber erklärt werden.

§ 1 8 4 Die nachträgliche Zustimmung (Genehmigung) wirkt auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurück, soweit nicht ein anderes b e s t i m m t ist. Durch die Rückwirkung werden Verfügungen nicht unwirksam, die vor der Genehmigung über den Gegenstand des Rechtsgeschäfts von d e m Genehmigenden getroffen worden oder i m Wege der Zwangsvollstreckung oder der Arrestvollziehung oder durch den Konkursverwalter erfolgt sind. E I 127 II 152; M 1 247; P 1 176fr; 6

129fr,

133

Übersicht I. II. III. IV. V. VI.

Die Genehmigung Der Schwebezustand Die Rückwirkung der Genehmigung Zwischenverfügungen Vormundschaftsgerichtliche Genehmigung Behördliche Genehmigung

Anm. 1—6 7 8 9, 10 11 12

639

§184

A n m . 1—8

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 1 I. Die Genehmigung. Auch sie ist eine einseitige empfangsbedürftige, nicht widerrufliche Willenserklärung, die auch stillschweigend, insbesondere durch Klageerhebung, erklärt werden kann (RG 50, 154; 64, 149; 106, 44; 1 1 5 , 34; R G L Z 1927, 7 3 2 1 ; R G SeuffArch 88 Nr. 33). Auch eine bedingte Genehmigung ist nicht ausgeschlossen (RG H R R 1928, 1559). Möglich ist die Genehmigung auch ohne Kenntnis des wesentlichen Inhalts eines Geschäfts, allein auf Grund der Kenntnis der Tatsache seines Abschlusses (RG 10. 10. 06 V 11/06) es kann auch genügen, wenn der Genehmigende nur mit der Möglichkeit rechnet, daß seine Genehmigung, z. B. zu der von einem Vertreter für ihn vorgenommenen Auflassung, erforderlich sei (RG 13. 6. 23 V 526/22); aber die Genehmigung setzt begrifflich voraus, daß sich der Genehmigende der schwebenden Unwirksamkeit des Vertrages bewußt ist oder doch jedenfalls mit einer solchen Möglichkeit rechnet, B G H 2, 1 5 0 ; w. Nachw. in Anm. 12 zu § 182. Anm. 2 Die G e n e h m i g u n g ist a n f e c h t b a r , aber nur aus Gründen, die der Genehmigungserklärung selbst anhaften, und nicht wegen Mängeln des genehmigten Rechtsgeschäfts. Anm. 3 Ist auf Grund der von einem nicht bevollmächtigten Vertreter entgegengenommenen Auflassung der Vertretene als Eigentümer eingetragen worden, so wird der Eigentumsübergang durch Genehmigung auch dann wirksam, wenn der Vertretene im Zeitpunkt der Genehmigung nicht mehr als Eigentümer eingetragen ist ( R G Gruchot 67, 549). Anm. 4 Genehmigt der Eigentümer einer Sache, die ein anderer in eigenem Namen an einen Dritten vermietet hat, das Rechtsgeschäft, dann kommt hierdurch ein Mietverhältnis unmittelbar zwischen dem Eigentümer und dem Dritten zustande (RG 80, 399). Anm. 5 Der Grundsatz des Abs. 1 ist auch beim Besitzerwerb (RG 29, 310) sowie bei der Klageerhebung anwendbar ( R G 9, 68). Anm. 6 Die von einem Miterben vorgenommene Kündigung einer gestundeten Nachlaßforderung ist unwirksam und kann nicht von den übrigen Miterben genehmigt werden. Die Wirksamkeit e i n s e i t i g e r R e c h t s g e s c h ä f t e kann, wie sich aus den §§ 182 Abs. 3, 180 Satz i, i n ergibt, nicht in der Schwebe bleiben, R G 146, 316. Anm. 7 I I . Der Schwebezustand. Bis zur Erteilung der Genehmigung oder bis zu ihrer Verweigerung befindet sich das Rechtsgeschäft im Zustand schwebender Unwirksamkeit, währenddessen die Parteien gegenseitig gebunden sind und kein einseitiges Widerrufsrecht haben (RG 64, 154). Die Parteien können den Vertrag aber noch im beiderseitigen Einverständnis aufheben (anders allerdings im Falle der §§ 177, 178). Ist ein Vertrag mit dem Vorbehalt der Genehmigung eines Dritten, sei es einer Behörde oder einer Privatperson, abgeschlossen worden, so darf die durch den Schwebezustand begründete einstweilige Gebundenheit der Beteiligten (vgl. R G 64, 154) nicht auf längere Zeit erstreckt werden, als für die Einholung der Entschließung des Zzstimmungsberechtigten unbedingt erforderlich ist (RG 16. 5. 24 V I I 497/23). Anm. 8 III. Die Rückwirkung der Genehmigung. Die Genehmigung hat rückwirkende Kraft, sie macht das Geschäft von Anfang an wirksam ( R G 69, 263; 142, 59). Den Parteien steht es jedoch frei, den Zeitpunkt des Wirksamwerdens anders zu bestimmen. Die Rückwirkung der Genehmigung einer Schuldübernahme kann sich auch auf einen Zeitpunkt erstrecken, in dem die Schuldübernahme dem Gläubiger noch nicht mitge-

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Einwilligung. Genehmigung

§184

Anm. 9—12

teilt war ( R G 134, 185). Ist die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses tarifvertraglich an die Zustimmung des Betriebsrats gebunden, so kann die Zustimmung auch nach dem Ausspruch der Kündigung erteilt werden und wirkt auf den T a g der Erklärung der Kündigung zurück, B A G A P Nr. 1 zu § 184 B G B . Die Rückwirkung hat keinen Einfluß auf den Beginn der Verjährung, weil dazu gehört, daß der Anspruch schon geltend gemacht werden konnte, wie die Verjährung sich auch auf rein tatsächliche Verhältnisse, wie Besitzverhältnisse, nicht erstreckt ( R G 65, 245; 75, 1 1 4 ) . Die Rückwirkung äußert sich auch dinglich: die Verfügung des Nichtberechtigten wird infolge der Genehmigung von Anfang an wirksam; auf diese Weise kann selbst die Ubereignung gestohlener Sachen wirksam werden. Auch die Übertragung der Mitgliedschaft innerhalb einer Gesellschaft durch einen zur Übertragung nicht Befugten wird durch die Genehmigung der Gesellschaft mit rückwirkender K r a f t wirksam ( R G WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 179). Immer aber ist Voraussetzung der Rückwirkung, daß eine wirksame Genehmigung vorliegt, d. h. eine Genehmigung dessen, der durch seine Zustimmung dem Mangel des Rechtsgeschäfts abzuhelfen die rechtliche Macht hat. K o m m t es dafür auf den öffentlichen Glauben des Grundbuchs an, so muß dieser zur Zeit der Genehmigung noch fortbestehen ( R G 134, 283). Nichtrückwirkung der Genehmigung bei Kapitalkündigungen s. R G 1 4 1 , 220; 146, 3 1 4 .

Anm. 9 IV. Zwischenverfügungen. D u r c h

die R ü c k w i r k u n g s o l l e n R e c h t e Dritter n i c h t b e e i n t r ä c h t i g t w e r d e n , die durch Verfügungen entstanden sind, die der Genehmigungsberechtigte vor der Erteilung der Genehmigung getroffen hat; dasselbe gilt für vom Konkursverwalter oder im Wege der Zwangsvollstreckung getroffene Verfügungen. Der Genehmigende darf die rückwirkende K r a f t der Genehmigung nicht dazu benutzen, Verfügungen unwirksam zu machen, die er selbst in der Zwischenzeit getroffen hat oder die gegen ihn im Wege der Zwangsvollstreckung oder der Arrestvollziehung oder durch den Konkursverwalter getroffen worden sind, R G 134, 73, 78. Unter Verfügungen im Sinne des § 184 sind Rechtsgeschäfte zu verstehen, durch die mit unmittelbarer Wirkung bestehende Rechte aufgehoben, übertragen, belastet oder verändert werden ( B G H 1, 304). Daher gehört ein gegen die Richtigkeit des Grundbuchs eingetragener Widerspruch nicht hierher ( R G 69, 263; 134, 283, 288).

Anm. 10 Das R ü c k w i r k u n g s v e r b o t des § 184 Abs. 2 richtet sich nur gegen Verfügungen des Genehmigenden; sie gilt daher nicht f ü r die Genehmigung des Vertragsgegners der Partei, von der oder gegen die zwangsweise verfügt worden ist ( R G 134, 1 2 1 ; R G J W 1936, 2063 3 ; D R 1942, 1 1 5 9 ; O L G Stuttgart N J W 1954, 36). So schließt auch ein allgemeines Veräußerungsverbot nach § 106 K O nicht aus, daß ein Abtretungsvertrag, den der Gemeinschuldner mit einem vollmachtlosen Vertreter des Abtretungsempfängers vor der Konkurseröffnung geschlossen hat, noch nachher von dem letzteren rückwirkend genehmigt wird ( R G 134, 73).

Anm. 11 V. Vormundschaftsgerichtliche Genehmigung.

Der § 184 ist auch auf die

vormundschaftsgerichtliche Genehmigung anwendbar; solange der Vormund die erteilte Genehmigung noch nicht bekanntgemacht hat, ist der Vertrag noch nicht wirksam geworden; ob der Vormund von der gerichtlich erteilten Genehmigung überhaupt Gebrauch machen will oder nicht, hängt von seinem Ermessen a b ; wirksam wird der Vertrag erst dadurch, daß der Vormund die Genehmigung dem Vertragsgegner mitteilt ( R G 76, 366; 142, 59; B G H 15, 97, 99; 19, 6).

Anm. 12 VI. Behördliche Genehmigung. § 184

Abs. 1 findet auf behördliche Genehmigungen nicht unmittelbar Anwendung, da die §§ 182 ff Rechtsgeschäfte im Auge haben, die der Zustimmung eines Dritten bedürfen, deren Wirksamkeit also von einer privatrechtlichen Willenserklärung abhängig ist, während die behördliche Genehmigung

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§185

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 1—3 einen Verwaltungsakt darstellt. Die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die Zustimmung sind aber auf behördliche Genehmigungen entsprechend anzuwenden, B G H M D R 1952, 1 5 7 ; W M 1956, 637. Verträge, die behördlicher Genehmigung bedürfen, erlangen durch Erteilung der Genehmigung darum mit Wirkung vom Vertragsschluß ab Wirksamkeit, B G H W M 1956, 637. Bedarf ein Vertrag, der nur für begrenzte Zeit Geltung haben soll, behördlicher Genehmigung, so kann er selbst nach Verstreichen dieser Zeit noch genehmigt und hierdurch wirksam werden, falls der Vertrag gehandhabt worden ist oder sonst ein Interesse daran besteht, an die Stelle des schwebend unwirksamen Vertrages keinen vertragslosen Zustand treten zu lassen, B G H W M 1958, 3 5 8 ; 1956, 637.

§185 Eine Verfügung, die ein Nichtberechtigter über einen Gegenstand trifft, ist wirksam, wenn sie mit Einwilligung des Berechtigten erfolgt. Die Verfügung wird wirksam, wenn der Berechtigte sie genehmigt oder wenn der Verfügende den Gegenstand erwirbt oder wenn er von dem Berechtigten beerbt wird und dieser für die Nachlaßverbindlichkeiten unbeschränkt haftet. In den beiden letzteren Fällen wird, wenn über den Gegenstand mehrere miteinander nicht in Einklang stehende Verfügungen getroffen worden sind, nur die frühere Verfügung wirksam. E I 153; P 1 179.

Übersicht

Anm.

I. II. III. IV. V.

Verfügungen des Nichtberechtigten 1—9 Absatz 2 10—15 Anwendungsgebiet 16—-28 § 816 29 Die Verfügung des Eigentumsvorbehaltskäufers über sein Anwartschaftsrecht 30 V I . Verpflichtungsermächtigung 31

Anm. 1 I. Verfügungen des Nichtberechtigten Eine V e r f ü g u n g ist ein Rechtsgeschäft, durch das bestehende Rechte mit unmittelbarer Wirkung aufgehoben, übertragen, belastet oder verändert werden, B G H 1, 304. Verfügt ein Nichtberechtigter über einen Gegenstand und gibt der Berechtigte hierzu seine Einwilligung, so enthält schon die bloße Zustimmung zur Rechtshandlung des anderen eine Verfügung, R G 1 3 7 , 356.

Anm. 2 G e g e n s t a n d ist jedes geldwerte Gut. Dazu gehören auch Ansprüche, die erst durch ein in Aussicht stehendes Gesetz geschaffen werden, R G 149, 1 9 ; in diesem Falle kommen allerdings nur Verfügungen eines Noch-nicht-Berechtigten in Betracht; aber auf Verfügungen einer derartigen Person ist § 185 gleichfalls anwendbar ( R G 149, 19).

Anm. 3 D i e v o n e i n e m N i c h t b e r e c h t i g t e n über ein (fremdes) Recht g e t r o f f e n e V e r f ü g u n g ist nicht wirksam, andererseits aber auch nicht nichtig. Sie ist von Anfang an wirksam, wenn sie mit Einwilligung des Berechtigten erfolgt (§ 185 Abs. 1). Einwilligung ist nach § 183 vorherige Zustimmung. Die von einem Nichtberechtigten getroffene Verfügung wird wirksam, wenn der Berechtigte sie genehmigt ( § 1 8 5 Abs. 2); die Genehmigung hat wie im Falle des § 184 rückwirkende K r a f t ( R G 89, 152, 1 5 8 ; R G L Z 1927, 732 1 ). In der Auflassungserklärung des eingetragenen Eigentümers liegt zugleich

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Einwilligung. Genehmigung

§185 A n m . 4—10

die Zustimmung dazu, daß der Erwerber das Grundstück, schon bevor er als Eigentümer eingetragen wird, weiter aufläßt ( R G 89, 152, 1 5 7 ; 135, 378, 382/83). Ebenso liegt in der Übertragung einer Buchhypothek die Einwilligung dazu, daß der Erwerber die Hypothek weiter überträgt, ohne zuvor selbst eingetragen zu sein.

Anm. 4 In der Aushändigung eines mit einer B l a n k e t t a b t r e t u n g versehenen Grundschuldbriefs liegt die Einwilligung zur Abtretung der Grundschuld ( R G 8 1 , 257). Wer eine Briefhypothek oder Briefgrundschuld in der Weise abtritt, daß der Abtretungsempfänger in der Abtretungsurkunde offenbleibt, ermächtigt den Abtretungsempfänger zur Ausfüllung der Abtretungsurkunde; die Abtretung wird aber erst wirksam, wenn von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht wird, da zu einer Abtretungserklärung nach § 1 1 5 4 die Angabe des Abtretungsempfängers gehört ( B G H 22, 128, 132).

Anm. 5 Hat der Berechtigte die G e n e h m i g u n g ohne Vorbehalt einer späteren Genehmigung, also nicht nur vorläufig, sondern e n d g ü l t i g v e r w e i g e r t , so ist die zunächst schwebend unwirksame Verfügung endgültig unwirksam geworden; für einen Widerruf der Verweigerung und für eine nachträgliche Genehmigung ist kein R a u m mehr (RG 139, 1 1 8 ) .

Anm. 6 Das dem Ermächtigten gegenüber ergehende Urteil hat auch dem Einwilligenden gegenüber R e c h t s k r a f t ( R G 73, 306).

Anm. 7 Nimmt der Berechtigte selbst die Verfügung als Bevollmächtigter des Nichtberechtigten für diesen vor, dann liegt darin regelmäßig zugleich eine Einwilligung in die Verfügung ( R G J W 1 9 1 3 , 594 1 ).

Anm. 8 Schreibt das Gesetz vor, daß m e h r e r e P e r s o n e n n u r g e m e i n s c h a f t l i c h über einen Gegenstand v e r f ü g e n k ö n n e n (z.B. § 2040), so ist nicht die rechtliche Gleichartigkeit der Mitwirkung aller Beteiligten erforderlich, R G 152, 380; daher kann die Verfügung eines von mehreren Miterben entgegen R G 93, 292 und R G J W 1925, 604 nachträglich noch von den übrigen Beteiligten genehmigt werden ( R G 152, 380; vgl. auch R G 129, 284; 149, 19, 23, 24; 139, 1 1 8 , 1 2 2 ; 146, 3 1 4 ) .

Anm. 9 Eine den §§ 108 Abs. 2, 177 Abs. 2, 4 1 5 Abs. 2 entsprechende Bestimmung fehlt bei § 185. Gleichwohl wird dem Berechtigten in entsprechender Anwendung des § 4 1 5 Abs. 2 eine F r i s t z u r E r k l ä r u n g ü b e r d i e G e n e h m i g u n g mit der Wirkung gesetzt werden können, daß die Genehmigung nur bis zum Ablauf der Frist erklärt werden kann und als verweigert gilt, wenn innerhalb der Frist keine Erklärung abgegeben wird (aA wohl R G 139, 127). Uber die E i n z i e h u n g s e r m ä c h t i g u n g vgl. Bern. V I I I 2 vor § 164.

A n m . 10 II. Absatz 2 Die Verfügung des Nichtberechtigten wird außer durch nachträgliche Genehmigung (Anm. 3) auch dann wirksam, wenn der Verfügende den Gegenstand erwirbt oder von dem Berechtigten beerbt wird und dieser für die Nachlaßverbindlichkeiten unbeschränkt haftet. In diesen beiden Fällen tritt jedoch keine Rückwirkung ein; die Verfügung des Nichtberechtigten wird vielmehr erst vom Eintritt der bezeichneten Ereignisse ab wirksam ( R G 89, 1 5 8 ; 135, 378).

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§185 Anm. 11—16

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

Anm. 11 § 185 Abs. 2 ist nur anwendbar auf V e r f ü g u n g e n , die ein Nichtberechtigter i m e i g e n e n N a m e n über einen Gegenstand trifft, B a y O b L G N J W 1956, 1279.

Anm. 12 Bewilligt der K ä u f e r eines Grundstücks die Eintragung einer Hypothek, so wird die Einigung wirksam und unwiderruflich, sobald der Käufer im Grundbuch als Eigentümer eingetragen ist ( R G 77, 84). Heilung ( K o n v a l e s z e n z ) tritt auch ein, wenn der Ehemann, der über Frauengut unberechtigt verfügt hat, den Gegenstand später erwirbt. § 185 Abs. 2 S. 1 ist entsprechend anwendbar, wenn jemand, der in der Verfügung beschränkt war und während dieses Zustandes eine Verfügung getroffen hat, demnächst das V e r f ü g u n g s r e c h t w i e d e r e r l a n g t ( R G Recht 1 9 1 2 Nr. 22). Die unberechtigte Belastung eines Grundstücks mit einer Hypothek kann, wenn der Verfügende nachträglich einen Grundstücksanteil erwirbt, wenigstens t e i l w e i s e , nämlich dergestalt w i r k s a m w e r d e n , daß die Hypothek allein diesen Grundstücksanteil ergreift ( R G D R 1939, 1949). Auf eine letztwillige Verfügung oder sonstige Verfügung von Todes wegen ist § 185 Abs. 2 Satz 1 nicht anzuwenden ( R G I i i , 247).

Anm. 13 Der Ausdruck „ B e r e c h t i g t e r " ist hier im weitesten Sinne zu verstehen. Als Berechtigter ist nicht nur derjenige anzusehen, dem das Recht selbst zusteht, sondern auch derjenige, welcher namens des Rechtsinhabers zu verfügen befugt ist, so der gesetzliche Vertreter ( R G 68, 40), oder derjenige, dem die Verfügungsgewalt kraft eigenen Rechts zukommt, wie der Konkursverwalter, Zwangsverwalter, Testamentsvollstrecker. Wird eine vereinbarungsgemäß unabtretbare Forderung (§ 399) verbotswidrig abgetreten und dann gepfändet, so ist die Pfändung wirksam (§ 851 Abs. 2 Z P O ) und bleibt es auch, falls der Schuldner nachträglich die Abtretung genehmigt. Denn die von keiner Genehmigung abhängige, sofort wirksame Pfändung kann nicht rückwärtshin so behandelt werden, als habe sie eine nicht mehr zum Vermögen des Pfändungsschuldners gehörige Forderung betroffen ( R G 75, 142 und § 182 Anm. 6).

Anm. 14 § 185 Abs. 2 muß entsprechend angewendet werden, wenn ein N i c h t b e r e c h t i g t e r in die Verfügung eines anderen Nichtberechtigten e i n w i l l i g t und darauf den Gegenstand, über den der andere verfügt hat, erwirbt und damit nachträglich verfügungsberechtigt wird, B G H W M 1957, 1092.

Anm. 15 Für den Fall, daß der Nichtberechtigte über den nämlichen Gegenstand n a c h e i n a n d e r m e h r e r e V e r f ü g u n g e n trifft, z.B. dieselbe Sache durch Besitzkonstitut (§ 930) mehrfach veräußert, ist nur die frühere Verfügung wirksam. I m Falle ihrer Nichtigkeit kann natürlich nur die spätere Verfügung in Betracht kommen.

Anm. 16 III. Anwendungsgebiet Der § 185 betrifft ausschließlich ( R G 4 9 , 416) Verfügungen r e c h t s g e s c h ä f t l i c h e r Art, nicht die Prozeßführung ( B G H J Z 1956, 62; B G H L M Nr. 8 zu § 185 B G B mit klarstellender Anm. B ü l o w M D R 1958, 4 2 1 ) und nicht Akte der Zwangsvollstreckung ( R G 60, 70; R G J W 1934, 221 9 ). E r setzt eine Verfügung im eigenen Namen voraus; handelt der Verfügende für einen anderen, so kommt Handeln ohne Vertretungsmacht in Frage; zur Gültigkeit des Rechtsgeschäfts bedarf es dann der Genehmigung nach § 177 ( R G H R R 1934, 1276). § 185 Abs. 2 ist auf K ü n d i g u n g e n nicht anwendbar, da der Empfänger der Kündigung alsbald in der L a g e sein muß, ihre Wirksamkeit zu übersehen und sich darauf einzurichten ( R G 1 4 1 , 220; 146, 3 1 4 ) . Dagegen ist § 185 Abs. 1 auf die Kündigung eines Mietverhältnisses anwendbar, da damit über Rechte verfügt wird ( R G 1924 Nr. 1 3 1 9 ) . Der Schuldübernahmevertrag des § 4 1 5 ist eine Verfügung des Schuldners über das Recht des Gläubigers; die in § 4 1 5 vorgesehene Genehmigung des Glau-

644

Einwilligung. Genehmigung

§185

A n m . 17—23

bigers ist eine solche im Sinne des § 185 Abs. 2, auf die demgemäß § 184 Anwendung finden muß (RG 120, 153); die Genehmigung wirkt daher auf den Zeitpunkt zurück, in dem der Schuldübernahmevertrag zwischen Schuldner und Übernehmer abgeschlossen wurde, gleichviel wann die Übernahme dem Gläubiger mitgeteilt war ( R G I34> 185). A n m . 17 § 185 gilt sowohl für Verfügungen auf schuldrechtlichem Gebiet wie im Sachenrecht und insbesondere im Liegenschaftsrecht ( R G 54, 366; R G J W 1931, 26g5 5 ). Hier kommt § 185 vor allem dann in Betracht, wenn ein n i c h t e i n g e t r a g e n e r N i c h t b e r e c h t i g t e r die Eintragung eines Rechts bewilligt und erreicht. Nicht hierher gehört dagegen der Fall, daß der Bewilligende, obwohl nicht eingetragen, doch der wirklich Berechtigte war (etwa weil er das Recht nicht durch Rechtsgeschäft, sondern auf eine andere Weise erworben hat), oder der Fall, daß der Bewilligende zwar eingetragen, aber trotzdem nicht berechtigt war. Denn ersterenfalls ist nur die Ordnungsvorschrift des § 39 GBO verletzt, die die ordnungswidrig erfolgte Eintragung nicht unwirksam macht; im anderen Falle finden die Bestimmungen über den gutgläubigen Erwerb Anwendung (§§ 892, 893, 1138). A n m . 18 Wenn sich auch § 185 seinem Wortlaut nach auf die Fälle rechtsgeschäftlichen Erwerbs beschränkt, ist doch anzunehmen, daß auch ein P f ä n d u n g s p f a n d r e c h t wirksam wird, wenn der Schuldner nachträglich die Pfandsache zu Eigentum erlangt ( R G 60, 72; s. aber auch SeufFArch 82 Nr. 68). Voraussetzung für eine derartige Heilung ist jedoch, daß das Recht, welches der Pfandschuldner nachträglich erlangt, das nämliche ist wie das den Gegenstand der Pfändung bildende. Das trifft beispielsweise nicht zu, falls ein Amortisationsguthaben des Grundeigentümers gepfändet ist und nachträglich der letztere im Wege der Verrechnung aus jenem Guthaben eine Eigentümergrundschuld erwirbt (RG 64, 211). A n m . 19 Als Verfügung im Sinne des § 185 ist auch eine P a r z e l l i e r u n g s v o l l m a c h t anzusehen, durch die der Beauftragte zur Einräumung des Besitzes und des Nutzungsrechts an die Käufer der Trennstücke ermächtigt wird (RG 90, 400). A n m . 20 Das g e s e t z l i c h e P f a n d r e c h t des V e r m i e t e r s entsteht, sobald der Mieter die eingebrachten Sachen eines Dritten zu Eigentum erwirbt (RG 60, 70). A n m . 21 Die Anwendung des § 185 ist in § 362 Abs. 2 für den Fall verordnet, daß an einen Dritten zum Zwecke der Erfüllung geleistet wird. A n m . 22 E n t s p r e c h e n d a n w e n d b a r ist § 185 auf Verfügungen einer Person, die zeitweilig i n d e r V e r f ü g u n g ü b e r i h r V e r m ö g e n b e s c h r ä n k t w a r , aber ihr Verfügungsrecht wiedererlangt hat, wie das beim Gemeinschuldner zutreffen kann. Anm. 23 § 185 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 3 ist auf V e r f ü g u n g e n des V o r e r b e n im Sinne des § 2113 entsprechend anwendbar (RG 110, 94; R G WarnRspr 1914 Nr. 126; R G 154, 355) 367). Konvaleszenz tritt aber nur ein, wenn der Erbe für die Nachlaßverbindlichkeiten des Nichtberechtigten unbeschränkt haftet, sich also Recht und Pflicht in der Person des Erben vereinigen; daran fehlt es, wenn der Erwerber und der Berechtigte Miterben sind und deshalb nach § 2063 Abs. 2 im Verhältnis zu einander die Haftung auf den Nachlaß beschränkt ist. Der Berechtigte kann daher Herausgabe des Gegenstandes, über den der Erblasser zugunsten eines seiner Erben unberechtigterweise ver42

Komm. 2. B G B . I I . Aufl. I. Bd. (Kuhn/Johannsen)

645

§185 Anm. 24—30

Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte

fügt hat, verlangen, und der Erwerber kann sich diesem Verlangen gegenüber nicht auf § 185 Abs. 2 berufen (RG 110, 94). Ebenso liegt es, wenn ein Vorerbe zugunsten eines von mehreren Nacherben eine unentgeltliche Verfügung trifft und auch seinerseits von den Nacherben beerbt wird (BGH L M Nr. 1 zu § 2 1 1 3 BGB). Anm. 24 § 185 Abs. 1 kann auch in dem Fall entsprechend angewendet werden, daß der Vormerkungsberechtigte der Eintragung eines Rechts zustimmt, RG 154, 355, 367. Anm. 25 § 185 Abs. 2 ist entsprechend anwendbar, wenn ein N i c h t b e r e c h t i g t e r , der in die V e r f ü g u n g eines N i c h t b e r e c h t i g t e n e i n g e w i l l i g t h a t , den G e g e n s t a n d , über den der andere verfügt hat, e r w i r b t (BGH L M Nr. 7 zu § 185 BGB). Voraussetzung hierfür ist aber, daß der Zustimmende durch den nachträglichen Rechtserwerb diejenige Verfügungsmacht erlangt, von deren Besitz die Heilung der getroffenen Verfügung abhängt (BGH DB 1958, 1326). Anm. 26 Ein G r e n z ü b e r b a u , den der Pächter des Stammgrundstücks als Nicht berechtigter ausführt, hat, falls der Eigentümer eingewilligt oder genehmigt hat, in sinngemäßer Anwendung des § 185 die sich aus den §§ 912 ff ergebenden Wirkungen, BGH 15, 218. Anm. 27 Ein vereinbartes Z u r ü c k b e h a l t u n g s r e c h t wirkt an sich nur zwischen den Vertragschließenden; nach § 185 wirkt es aber auch dem Eigentümer gegenüber, falls er einen anderen ermächtigt hat, ein Zurückbehaltungsrecht im eigenen Namen einzuräumen, RG 124, 28. Anm. 28 Mit der Forderung eines anderen kann einseitig, also gegen den Willen des Aufrechnungsgegners, nicht aufgerechnet werden; wegen § 387 ist das selbst dann ausgeschlossen, wenn der Berechtigte die Aufrechnung nachträglich genehmigt; die vertragliche Aufrechnung mit einer einem Dritten zustehenden Forderung kann dagegen geheilt werden, wenn der Forderungsberechtigte genehmigt (RG 72, 377; 78, 382; WarnRspr 1912 Nr. 66). Anm. 29 IV. § 816 Trifft ein Nichtberechtigter über einen Gegenstand eine Verfügung, die dem Berechtigten gegenüber wirksam ist, so ist er dem Berechtigten zur Herausgabe des durch die Verfügung Erlangten verpflichtet (§816 Abs. 1 Satz 1). Wer eine gestohlene Sache erwirbt und weiterveräußert, hat dem Eigentümer den durch die Weiterveräußerung erlangten Erlös herauszugeben, falls der Eigentümer die Weiterveräußerung genehmigt (RG 106, 44; 1 1 5 , 3 1 , 34, 35). In der Inanspruchnahme des Nichtberechtigten liegt dann eine Genehmigung, wenn der erhobene Anspruch sonst nicht begründet ist (BGH L M Nr. 6 zu § 816 BGB). Die Pflicht zur Herausgabe des durch die Verfügung Erlangten oder dessen Wertes (§818 Abs. 2) vermindert sich nicht um die Aufwendungen, die der Nichtberechtigte zum Zwecke des Erwerbs des Gegenstandes gemacht hat, BGH 9» 333-

Anm. 3 0 V. Die Verfügung des Eigentumsvorbehaltskäufers über sein Anwartschaftsrecht Uberträgt der Verkäufer einer unter Eigentumsvorbehalt verkauften Sache das Eigentum unter der aufschiebenden Bedingung vollständiger Zahlung des Kaufpreises (§ 455)> so erlangt der Käufer ein Anwartschaftsrecht, ein subjektives Recht (BGH NJW 1954, 1325). Veräußert der Käufer dieses Anwartschaftsrecht, so verfügt er als 646

Fristen. Termine

§ 185 A n m . 31

Vor § 186 A n m . 1-4

Berechtigter und, lediglich soweit er mittelbar auch über das Eigentum an der Kaufsache verfügt, als Nichtberechtigter. Die Veräußerung des Anwartschaftsrechts hat entgegen RG 140, 223 zur Folge, daß der Dritte das Eigentum bei Eintritt der Bedingung unmittelbar, ohne Durchgang durch das Vermögen des Eigentumsvorbehaltskäufers, erwirbt, auch wenn der Eigentumsvorbehaltsverkäufer der Übertragung nicht zugestimmt hat; § 185 ist auf einen Fall dieser Art nicht anzuwenden, B G H 20, 88. Veräußert der Eigentumsvorbehaltskäufer vor vollständiger Zahlung des Kaufpreises dagegen das Eigentum an der Kaufsache, so handelt er als Nichtberechtigter, es sei denn, daß der Vorbehaltsverkäufer die Weiterveräußerung gestattet hat (§185 Abs. 1). Die Einwilligung, über die Vorbehaltssache zu verfügen, kann in der Regel solange widerrufen werden, als die Sache nicht einem Dritten übereignet worden ist; der Widerruf wird nicht schon dadurch unzulässig, daß ein Dritter die Ware kauft und bezahlt (BGH 14, 114). A n m . 31 VI. V e r p f l i c h t u n g s e r m ä c h t i g u n g . Das ist die Ermächtigung, im eigenen Namen einen anderen, den Ermächtigenden, zu verpflichten, also unter dem eigenen Namen einen Vertrag für den Ermächtigenden einzugehen. Macht der Ermächtigte hiervon Gebrauch, so wird er selbst der Vertragspartner des Dritten, mit dem er abschließt, und verpflichtet nicht den Ermächtigenden (RG JW 1924, 809 Nr. 17; B G H LM Nr. 6 zu § 185 BGB). Das folgt daraus, daß sich § 185 nicht auf Verpflichtungen zu Verfügungen bezieht und für die Stellvertretung das Offenheitsprinzip gilt (vgl. Bern. 1 vor § 164). Vierter Abschnitt Fristen. T e r m i n e Vorbemerkung Ubersicht Anm.

1. Fristen a) Ausschlußfristen b) Verjährungsfristen 2. Unterschied zwischen Ausschluß- znd Verjährungsfristen 3. Vereinbarte Fristen 4. Termine

1—-3 2 3 4—8 9—11 12

Anm. 1 1. F r i s t bedeutet nach dem Sprachgebrauche des BGB einen abgegrenzten Zeitraum, gleichviel ob er zusammenhängend verlaufen muß oder nicht (§ 191; Mot. 1, 282). Zu unterscheiden sind: Anm. 2 a) die A u s s c h l u ß f r i s t (Präklusivfrist), die besagt, daß eine Handlung mit Wirkung nur innerhalb der bestimmten Frist vorgenommen werden kann (vgl. beispielsweise die §§ 121, 123, 148, 1944, 1994; §41 K O ) ; es gibt gesetzlich bestimmte, auf richterlicher Anordnung beruhende und vertraglich vereinbarte Ausschlußfristen (vgl. Anm. 7). Anm. 3 b) die Verjährungsfrist, die rechtsverändernd, sei es rechtsbegründend (erwerbende), sei es rechtszerstörend (erlöschende Verjährung) wirkt. Das BGB kennt nur die Anspruchs Verjährung (§ 194). 2 . U n t e r s c h i e d e z w i s c h e n A u s s c h l u ß - und V e r j ä h r u n g s f r i s t e n Anm. 4 Die Ausschlußfrist kommt zwar in allen Rechtsgebieten, aber anderseits doch nur in den ausdrücklich vorgesehenen Fällen in Betracht, die Verjährungsfrist dagegen 4»'

647

Vor § 186

Allgemeiner Teil

A n m . 5—12 lediglich bei „Ansprüchen", hier aber — abgesehen von gewissen Ausnahmen — durchweg (§ 194). Die Ausschlußfrist wirkt von Rechts wegen und unbedingt. Die gesetzliche Ausschlußfrist kann vertraglich nicht verlängert werden ( B G H 15, 161, 166). Anm. 5 Das Recht ist regelmäßig (über eine Ausnahme vgl. § 157 Anm. 42) auch dann verwirkt, wenn der Berechtigte die Handlung innerhalb der Frist gar nicht vornehmen konnte (RG 48, 164) oder wenn er vom Rechte nicht unterrichtet war (RG 66, 129). Gegenüber dem Ablauf einer Ausschlußfrist sind die Berufung auf Treu und Glauben oder der Einwand unzulässiger Rechtsausübung nicht möglich ( B G H 14, 122, 128 für die Klagfrist nach § 143 DBG). Die vollendete Verjährung gibt dagegen nur eine Einrede (§§ 222, 813). Anm. 6 Bei der Ausschlußfrist sind grundsätzlich Hemmung (vgl. R G 158, 140; B G H L M AktG § 197 Nr. 1) wie Unterbrechung des Fristlaufs ausgeschlossen, während bei der Verjährung das Gegenteil zutrifft (§§ 202 ff, 208). Nur ausnahmsweise erklärt das Gesetz die Hemmungsgründe der §§ 203, 206, 207 auch bei der Ausschlußfrist für anwendbar. Diese kann begrifflich überhaupt nur Platz greifen, wo die Rechtsausübung von vornherein an eine bestimmte Frist geknüpft ist, während es zur Natur der verjährbaren Ansprüche gerade nicht gehört, daß sie auf eine bestimmte Zeit beschränkt sind. Anm. 7 Die Dauer der Verjährungsfrist ist allgemein vom Gesetze festgesetzt (vgl. jedoch § 225), die der Ausschlußfrist kann entweder auf Gesetz (gesetzliche Frist; § 1 2 1 unverzüglich, §§ 147 Abs. 2, 150) oder auf richterlicher Bestimmung (§ 1944, richterliche Frist) oder auf Bestimmung der Partei (§§ 148, 326, Parteifrist) beruhen. Anm. 8 Zum Verhältnis von Ausschlußfrist zu Verjährungsfrist s. auch R A G 17, 229. 3. V e r e i n b a r t e F r i s t e n Anm. 9 Über Rechtsähnlichkeit v e r t r a g l i c h e r Ausschlußfristen mit einer Verjährungsfrist s. R G 87, 283; 142, 285; 152, 344. Ob im Einzelfalle eine v e r e i n b a r t e Frist Ausschlußfrist sein soll, ist Sache der Auslegung. A n m . 10 Ausschlußfrist ist angenommen bei der Abmachung, daß der betreffende Anspruch nur innerhalb 4 Monaten vom angegebenen Zeitpunkte ab berücksichtigt werden könne (RG J W 1906, 209); ferner bei der Abrede, daß durch den Ablauf der Frist alle nicht anerkannten oder durch Klage verfolgten Ansprüche auf Brandentschädigung erlöschen ( R G 22. 6. 1906 V I I 531/05). Hier ist zugleich der praktisch sehr wichtige Grundsatz angenommen, daß die Versicherungsgesellschaft sich auf die Frist nicht berufen könne, wenn das gegen Treu und Glauben verstieße, was der Fall wäre, falb der Versicherte die Versäumnis zu entschuldigen vermöchte. Uber die Anwendung des § 693 Abs. 2 Z P O auf vertragliche Ausschlußfristen im Sinne des § 12 Abs. 2 V V G R G H R R 1933, 1499. A n m . 11 Eine Ausschlußfrist ist regelmäßig auch in einer Verwirkungsklausel zu finden (RG J W 1 9 1 1 , 805). Auslegung der Vereinbarung eines Werkvertrages, daß die Ansprüche des Unternehmers verwirkt sein sollen, wenn er sie vor Empfangnahme nicht bestimmt bezeichnet und ihre Geltendmachung sich vorbehält, s. R G J W 1937, 3222 mit Anm. S i e b e r t . Vgl. auch § 157 Anm. 22, 42. A n m . 12 4. T e r m i n ist der bestimmte Zeitpunkt, an welchem sich ein rechtserheblicher Vorgang ereignen soll .beispielsweise eine Kündigung.

648

Fristen. Termine

§ 186 § 187 Anm. 1 - 4

§186 Für die in Gesetzen, gerichtlichen Verfügungen und Rechtsgeschäften enthaltenen Frist- und Terminsbestimmungen gelten die Auslegungsvorschriften der §§ 187 bis 193. E I 147 II 154; M I 282; P I 188.

Die gesetzlichen Bestimmungen über Fristen und Termine haben grundsätzlich nur die Bedeutung von Auslegungsvorschriften und können daher insoweit nicht Platz greifen, als einer Frist durch Parteiabrede ausdrücklich oder stillschweigend eine besondere, vom Gesetze abweichende Bedeutung beigelegt worden ist. Als Gesetz kommen Gesetze aus allen Rechtsgebieten in Betracht, so auch das Patentgesetz (RG 65, 25; vgl. § 187 Anm. 4). Anwendbar sind die Vorschriften insbesondere auch im Gebiete des Handelsrechts, Wechselrechts und Scheckrechts, soweit hier nicht besondere Vorschriften bestehen (WechselG Art. 36f, 72—74, 77; ScheckGArt. 2gf, 55—57); ferner im Gebiete des Zivilprozesses (§ 222 ZPO) und der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 17 FGG) und auf die im Personenstandsgesetz bestimmten Anzeigefristen (BayObLG J W 1926, 2450).

§187 Ist für den Anfang einer Frist ein Ereignis oder ein in den Lauf eines Tages fallender Zeitpunkt maßgebend, so wird bei der Berechnung der Frist der Tag nicht mitgerechnet, in welchen das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Ist der Beginn eines Tages der für den Anfang einer Frist maßgebende Zeitpunkt, so wird dieser Tag bei der Berechnung der Frist mitgerechnet. Das gleiche gilt von dem Tage der Geburt bei der Berechnung des Lebensalters. E I 148 II 155; M 1 282ff; P I i88ff.

Übersicht Fristberechnung und Anfang der Frist

Anm.

1. Ereignis oder Zeitpunkt im Laufe eines Tages als Anfang der Frist (Abs. 1). . 1—5 2. Anfang der Frist mit Beginn eines Tages (Abs. 2) 6, 7 3. Stundenfristen 8 1. Ereignis oder Zeitpunkt im Laufe eines Tages als Anfang der Frist (Abs. 1) Anm. 1 Ist der Anfang der Frist ein Ereignis oder ein Zeitpunkt im Laufe eines Tages, dann beginnt die Frist nach Abs. 1 erst mit dem Beginn des darauf folgenden Tages. Falls es z. B. heißt „vom Einlaufen des Schiffes ab in einer Woche" oder vom „ 1. April mittags 12 Uhr ab binnen 3 Tagen", wird der Tag des Einlaufens, im 2. Fall der 1. April nicht mitgezählt (vgl. RG LZ 1925, 34: Angebot auf Zusage innerhalb vierzehn Tagen). Anm. 2 Dem Abs. 1 liegt der Gedanke zugrunde, daß nur volle Tage in Rechnung kommen sollen (vgl. daher die andere Vorschrift des Abs. 2). Anm. 3 Die Regel des Abs. 1 und nicht die des Abs. 2 gilt auch, wenn das für den Fristbeginn maßgebende Ereignis zufällig auf den Beginn eines Tages fällt. Anm. 4 Bei der fünfjährigen Frist des § 28 Abs. 3 des (früheren) Patentgesetzes war der Tag der Bekanntmachung nicht mitzuzählen (RG 65, 24), bei der Verjährungsfrist für Wechselregreßansprüche (jetzt WechselG Art. 70) wird der Tag der Protesterhebung in die Frist nicht eingerechnet (RG 113, 340). 649

§ 1 8 7 A n m . 5—8 § 188 A n m . 1

Allgemeiner Teil

Anm. 5 Bei einer Gesetzesnorm, die „nach dem Tage der Verkündung in Kraft tritt", ist hierfür schon der Beginn des Tages maßgebend (RG 91, 340). Berechnung von Zahlungsfristen und ähnlichen Fristen im Versicherungsrecht s. RG J W 1938, 683. 2. Anfang der Frist mit Beginn eines Tages (Abs. 2) Anm. 6 Hier handelt es sich um den Fall, daß nicht, wie bei Abs. 1, ein in den Lauf eines Tages fallender Vorgang oder Zeitpunkt, sondern daß schon der Beginn des Tages für den Anfang der Frist maßgebend sein soll; so beim Mieten einer Wohnung vom 1. April ab auf 1 Jahr. In diesem Falle muß folgerichtig der betreffende Tag eingerechnet werden. Die Begründungsfrist für eine während der Gerichtsferien eingelegte Berufung beginnt danach am 16. September und endet mit dem 15. Oktober (BGH 5, 275). Anm. 7 Nach Satz 2 findet die Regel des Satz 1 entsprechende Anwendung auch bei der Berechnung des L e b e n s a l t e r s , so daß der Tag der Geburt voll gerechnet wird, gleichgültig, zu welcher Stunde diese stattfand. Anm. 8 3. Stundenfristen Fristen von Stunden berücksichtigt das Gesetz nicht. Möglich sind sie aber bei Fixgeschäften (§ 361) wie auch sonst nach Verabredung, insbesondere bei der Miete (RG J W 1911, 92). In der Regel wird hierbei wirklich nach Stunden zu rechnen sein. Die Frist wird daher von dem Augenblick an berechnet, in dem das für ihren Beginn maßgebende Ereignis eingetreten ist. Ob nicht bei Bestimmung einer Frist von 24 Stunden ein Tag gemeint ist, ist Sache der Auslegung (vgl. § 222 Abs. 3 ZPO).

§188 Eine nach Tagen bestimmte Frist endigt mit dem Ablaufe des letzten Tages der Frist. Eine Frist, die nach Wochen, nach Monaten oder nach einem mehrere Monate umfassenden Zeiträume — J a h r , halbes J a h r , Vierteljahr — bestimmt ist, endigt im Falle des § 187 Abs. 1 mit dem Ablaufe desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher durch seine Benennung oder seine Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt, im Falle des§ 187 Abs. 2 mit dem Ablaufe desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher dem Tage vorhergeht, der durch seine Benennung oder seine Zahl dem Anfangstage der Frist entspricht. Fehlt bei einer nach Monaten bestimmten Frist in dem letzten Monate der für ihren Ablauf maßgebende Tag, so endigt die Frist mit dem Ablaufe des letzten Tages dieses Monats. E I 148, 149 II 156; M I 2820; P I 189; 6 ij8ff.

Übersicht Fristablauf 1. Nach Tagen bemessene Frist (Abs. 1) 2. Nach Wochen, Monaten, Jahren usw. bemessene Fristen (Abs. 2) 3. Besondere Regelung für das Ende von Monatsfristen (Abs. 3)

Anm.

1 2—7 8

1. Nach Tagen bemessene Fristen Anm. 1 Die Regel des Abs. 1 gilt ausnahmslos. Ob etwa unter der Bestimmung „in acht Tagen" eine Woche oder die Zahl der Tage verstanden werden soll, ist Sache der Aus650

Fristen. Termine

§ 1 8 8 A n m . 2—8 §189

legung. Nach § 359 Abs. 2 HGB sollen im Zweifel acht volle Tage gerechnet werden. Die Erklärung des Antragenden, bis zu einem bestimmten Tage gebunden sein zu wollen, bedeutet im Zweifel Bindung einschließlich dieses Tages (vgl. RG 105, 417). 2. N a c h Wochen, Monaten, J a h r e n u s w . b e m e s s e n e Fristen (Abs. 2) Anm. 2 Ist die Frist nach Wochen, Monaten oder nach einem mehrere Monate umfassenden Zeitraum bestimmt, so ist zu unterscheiden: Anm. 3 a) Fällt der für den Anfang der Frist maßgebende Vorgang oder Zeitpunkt in den Lauf des Tages (§ 187 Abs. 1), dann endigt die Frist mit dem Ablaufe des entsprechenden Wochentages oder Monatstages (z. B. am Montage, wenn das für den Lauf einer Wochenfrist maßgebende Ereignis auf einen Montag fiel). Anm. 4 b) Fängt dagegen der Fristlauf bereits mit dem Beginne des Tages an, dann endigt die Frist schon mit Ablauf des vorhergehenden Tages. Ist beispielsweise zu zahlen vom 1. April mittags 12 U h r ab binnen 1 Monat, so endigt die Frist mit dem 1. Mai; ein vom I.April ab für ein J a h r abgeschlossener Mietvertrag läuft dagegen mit dem 31. März ab, nicht erst mit dem 1. April. Die Frist zur Begründung der während der Gerichtsferien eingelegten Berufung läuft nach der Z P O mit dem 15. Oktober ab (BGH 5, 275). Anm. 5 Eine zur Fristwahrung vorzunehmende einseitige Handlung darf noch bis zum Ablaufe des letzten Fristtags (Mitternacht) vorgenommen werden; ist jedoch die Mitwirkung des andern Teiles erforderlich, dann darf diesem hinsichtlich der Tageszeit nicht mehr zugemutet werden, als Treu und Glauben entspricht (RG Gruchot 54, 1128). Anm. 6 U n f ä h i g k e i t d e s j e n i g e n , der die Frist wahren soll, zur Vornahme der Handlung hindert den fruchtlosen Fristablauf nicht. Vgl. jedoch § 193. Anm. 7 Bei einer Abrede wie „Lieferzeit Oktober bis Mai" ist der letzte Monat in die Frist im Zweifel einzurechnen (RG 95, 22). Anm. 8 3. A b s . 3 : z. B. endet eine am 31. Dezember beginnende Frist von 2 Monaten mit Ablauf des 28. oder 29. Februars.

§189 U n t e r e i n e m halben Jahre w i r d eine Frist v o n s e c h s Monaten, unter e i n e m Vierteljahre eine F r i s t von drei Monaten, unter e i n e m h a l b e n M o n a t eine Frist v o n fünfzehn T a g e n verstanden. Ist eine Frist auf einen oder m e h r e r e ganze Monate und einen halben Monat gestellt, s o sind die f ü n f z e h n T a g e zuletzt z u zählen. E I IJO II 157; M 1 285; P I 189; 6 I38FF.

Dauer der Fristen Eine vertragsmäßige Frist von „4 Wochen" darf nicht ohne weiteres gleich 1 Monat gerechnet werden (RG 2. 11. 1904 V 304/04). Hinsichtlich der Bezeichnungen „Frühj a h r " und „Herbst" vgl. für das Gebiet des Handelsrechts § 359 HGB, wonach im Zweifel der Handelsbrauch entscheidet.

651

Allgemeiner Teil

§§190—193

§ 1 9 0 Im Falle der Verlängerung einer Frist wird die neue Frist von dem A b laufe der vorigen Frist an berechnet. E I 152 II IJS; M I 186; P 1 189.

Fristverlängerung Diese Vorschrift trifft alle Fälle einer Fristverlängerung, auch wenn sie erst bei oder sogar nach Ablauf der Frist bewilligt worden ist. Nur darf es sich nicht um eine ganz neue Frist handeln. Vor allem wird zu prüfen sein, was beabsichtigt war (§ 186 Anm.). Die ursprüngliche Frist endet stets mit dem Ablaufeines Tages. Der Ablauf der verlängerten Frist ist daher nach § 187 Abs. 2 zu berechnen. § 1 9 1 Ist ein Zeitraum nach Monaten oder nach Jahren in dem Sinne bestimmt, daß er nicht zusammenhängend zu verlaufen braucht, so wird der Monat zu dreißig, das Jahr zu dreihundertfünfundsechzig Tagen berechnet. E I 151 II 159; M I 286; P 1 189.

Nicht zusammenhängend verlaufender Zeitraum Die Motive führen als Beispiele an: die Zusicherung eines dreimonatigen, aber nicht auf einmal zu nehmenden Urlaubs; die Verpflichtung eines Geschäftsreisenden, sich jährlich mindestens neun Monate auf der Reise zu befinden. Hier entscheidet also nicht das Kalenderjahr. A u f die gesetzliche Frist des § 48 EheG (dreijährige Trennung) findet § 191 keine Anwendung (RG 160, 280, 285). § 1 9 3 Unter Anfang des Monats wird der erste, unter Mitte des Monats der fünfzehnte, unter Ende des Monats der letzte T a g des Monats verstanden. E I 153 II 160; M 1 286; P 1 189.

Anfang, Mitte, Ende des Monats Diese, dem Art. 30 W O (jetzt WechselG Art. 36) entsprechende Vorschrift berücksichtigt die im Verkehr üblichen Zeitbestimmungen: Anfang, Mitte, Ende des Monats. § 1 9 3 Ist an einem bestimmten Tage oder innerhalb einer Frist eine Willenserklärung abzugeben oder eine Leistung zu bewirken und fällt der bestimmte T a g oder der letzte T a g der Frist auf einen Sonntag oder einen am Erklärungsoder Leistungsorte staatlich anerkannten allgemeinen Feiertag, so tritt an die Stelle des Sonntags oder des Feiertags der nächstfolgende Werktag. E N «8; M 1286,287; p 1 190ff. 510.

Ubersicht Sonn- und Feiertage Anm.

1. 2. 3. 4. 5.

Entstehungsgeschichte Anwendungsgebiet Bedeutung der Bestimmung Auslegungsregel Feiertage im Bund und in den Ländern

652

I 2—7 8 9 10

Fristen. Termine

§193 A n m . 1—6

1. Entstehungsgeschichte Anm. 1 Der I. Entwurf enthielt keine dem § 193 entsprechende Bestimmung. Man nahm vielmehr an, daß die entsprechenden Bestimmungen im Wechsel-, Handels-, Zivil- und Strafprozeßrecht ihren Grund in den besonderen Verhältnissen dieser Rechtsgebiete hätten und nicht auf das allgemeine bürgerliche Recht übertragen werden könnten. Im Recht der Schuldverhältnisse wurde dann jedoch im Entwurf I I § 228 und auch im Entwurf I I I § 265 eine entsprechende Vorschrift aufgenommen. Sie betraf jedoch nur die Fälle, in denen es sich um die Bewirkung einer Leistung handelte. § 193, der auf einem Beschluß der Reichstagskommission beruht, dehnt die Vorschrift auch auf die Abgabe von Willenserklärungen aus. Anm. 2 2 . Anwendungsgebiet Die Bestimmung betrifft nicht nur die Fälle, daß eine Verpflichtung zur Abgabe einer Willenserklärung oder zur Bewirkung einer Leistung besteht, sondern sie gilt ganz allgemein, wenn ein bestimmter T a g oder eine Frist für die Abgabe von Willenserklärungen oder die Bewirkung von Leistungen gesetzt ist. § 193 ist daher auch anwendbar auf die für die Abgabe von Willenserklärungen gesetzlich bestimmten Ausschlußfristen, deren Versäumung Rechtsnachteile mit sich bringt (RG 100, 18). Er ist anwendbar auf vertragliche oder gesetzliche Kündigungsfristen (RAG 4, 139; 16, 1 2 5 ; H R R 1930, 1 1 1 8 ; A r b R S l g 6, 3 5 1 ; 8,444), auf die in einem Prozeßvergleich bestimmte Widerrufsfrist (Saarbrücken D R Z 1950, 299; Bamberg DRsp 1 1 3 , 49 a) und auf die gesetzlich oder vertraglich bestimmten Fristen zur Ausübung eines Rücktrittsrechts. Anm. 3 § 193 ist entsprechend anwendbar, soweit für das Geltendmachen von Rechten Ausschlußfristen bestehen, die durch die Erhebung einer Klage zu wahren sind ( B G H L M BGB § 193 Nr. 1 = N J W 1953, 1 1 3 9 für die Jahresfrist in § 41 Abs. 1 Satz 1 K O ) , oder wenn eine Klage zur Unterbrechung der Verjährung erhoben werden muß (RG 1 5 1 , 345). Ebenfalls ist die Bestimmung entsprechend anwendbar, wenn Fristen für rechtserhebliche Anzeigen oder Mitteilungen bestehen, z. B. für die Anzeige zur Erhaltung der Mängelansprüche nach § 485. Anm. 4 Die Bestimmung ist nur dann anwendbar, wenn der letzte T a g einer Frist auf einen Sonntag oder Feiertag fällt (RG J W 1902, 10). Danach kann § 193 dem Schuldner nicht zur Seite stehen, wenn etwa bestimmt ist, daß die Forderung sofort fällig sein soll, falls er die j e am ersten Vierteljahrestage fälligen Zinsen nicht innerhalb einer Woche bezahlt hat, und wenn alsdann der erste Vierteljahrstag auf das Neujahrsfest, der letzte T a g der späteren einwöchigen Frist aber auf einen Werktag fällt. Anm. 5 Im Zweifel würde auch anzunehmen sein, daß die Vertragsparteien für die Berechnung der letzten Frist unbedingt den vertragsmäßigen Fälligkeitstag im Auge gehabt haben. Aber vgl. R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 223. Hier war die Kündbarkeit einer Hypothek für den Fall pünktlicher d. h. innerhalb einer Woche nach Fälligkeit erfolgender Zinszahlung vertraglich bis zu einem bestimmten Zeitpunkte ausgeschlossen, und es wurde die Ansicht des Berufungsgerichts, daß die Nachsichtsfrist von einer Woche ohne Rücksicht auf den § 193 immer streng und genau vom ersten Tage des Kalendervierteljahrs zu berechnen sei, mißbilligt. Anm. 6 Nicht anwendbar ist § 193 auf den Fall, daß der Eintritt oder Nichteintritt eines Ereignisses innerhalb einer Frist von Bedeutung ist für eine Bedingung, von der die Wahlbefugnis einer Partei abhängt (RG SeuffArch 86 Nr. 59).

653

§193

Allgemeiner Teil

Anm. 7—10 Anm. 7 Für das Gebiet der prozessualen Fristen ist durch § 222 Abs. 2 Z P O der in § 193 f ü r Willenserklärungen und Leistungen aufgestellte Grundsatz unbeschränkt ausgesprochen ( R G 83, 3 3 8 ; 1 3 1 , 3 3 7 ; in der ersten Entscheidung ist zugleich die Unwirksamkeit eines Schuldnerverzichts auf Einhaltung der Frist des § 798 angenommen).

Anm. 8 3. Bedeutung der Bestimmung Umstritten ist, ob § 193 auch zugunsten des Leistungs- und Erklärungsempfängers wirkt. Diese in früheren Auflagen unter Hinweis auf R G J W 1907, 705 vertretene Ansicht kann nicht aufrecht erhalten werden. Es mag sein, daß bei der Beratung des Gesetzes die Absicht bestand, der Bestimmung einen so weitgehenden Inhalt zu geben. Diese Absicht hat aber im Gesetz keinen Ausdruck gefunden. Es wäre auch unlogisch, ihr einen so weitgehenden Inhalt zu geben. P l a n c k / K n o k e 4. Aufl. § 193 Anm. 2 weist zutreffend darauf hin, daß es keine allgemeine Bestimmung gibt, nach der es verboten ist, an einem Sonntag oder einem Feiertag eine Willenserklärung abzugeben oder eine Leistung zu bewirken, wenn dieser T a g innerhalb der Frist liegt, in der die Erklärung abzugeben oder die Leistung zu bewirken ist. Wird diese Frist durch § 193 um einen weiteren T a g erstreckt, dann besteht kein Grund, von diesem innerhalb der Frist liegenden Sonn- oder Feiertag eine Ausnahme zu machen. § 193 wirkt daher grundsätzlich nur zugunsten desjenigen, der die Erklärung abzugeben oder die Leistung zu bewirken hat. Nach den allgemeinen Bestimmungen ist zu entscheiden, ob der Empfänger berechtigt ist, die Leistung oder die ihm gegenüber abgegebene Willenserklärung zurückzuweisen. Dieses Recht kann er nach § 358 H G B haben. Er hat es auch, wenn die Leistung am Sonntag oder Feiertag nach der Verkehrssitte als nicht zu gehöriger Zeit erfolgt anzusehen ist. Der Fall, auf den P l a n c k / K n o k e 4. Aufl. § 193 Anm. 2 b Abs. 2 hinweist, daß die Leistung nur an einem T a g erfolgen dürfe, wird praktisch nicht oft vorkommen.

Anm. 9 4. Auslegungsregel Die Bestimmung ist nur eine Auslegungsregel. Sie ist vertraglich ausgeschlossen bei den Fixgeschäften, bei denen die Leistung gerade an dem in dem Vertrag bezeichneten T a g erbracht werden muß (Mieten eines Kraftwagens für einen Sonntagsausflug) .

Anm. 10 5. Feiertage im Bund und in den Ländern Welchen Tagen die Bedeutung als Feiertag zukommt, ist nach den Rechten des Ortes, an dem die Handlung vorzunehmen ist, zu beurteilen ( R G S t 24, 268; 3 1 , 2 2 1 ) . Der Feiertag muß ein allgemeiner sein. Er darf mithin nicht auf die Angehörigen nur einer Konfession beschränkt sein ( R A G 3, 3 3 8 ; 5, 70). Die allgemeinen Feiertage waren früher für das gesamte Reichsgebiet durch das Gesetz vom 27. Februar 1934, R G B l I 129, und die Verordnung vom 27. Oktober 1 9 4 1 , R G B l I 662, einheitlich geregelt. Alle Bundesländer haben jetzt durch Landesgesetz eine andere Regelung getroffen. Nach Bundesrecht ist nur der 17. J u n i als T a g der Deutschen Einheit gesetzlicher Feiertag, BGBl 1953 I 778. Feiertage sind nach Landesrecht in allen Ländern: Neujahr, Karfreitag, Ostermontag, 1. Mai, Himmelfahrt, Pfingstmontag, 1. und 2. Weihnachtstag. Es gelten für a) Baden-Württemberg das Gesetz vom 13. Dezember 1954, GBl 167. Danach kommen zu den oben erwähnten Feiertagen noch: 6. J a n u a r , Fronleichnam, Allerheiligen und Büß- und Bettag. b) Bayern Gesetz vom 15. Dezember 1949, BayBS I 380. Danach kommen zu den obenerwähnten noch folgende Feiertage: 6. J a n u a r und in den überwiegend evangelischen Gemeinden der 1. November, Büß- und Bettag, in den überwiegend katholischen Gemeinden: Fronleichnam, der 15. August (Maria Himmelfahrt) und Allerheiligen, ferner noch im Stadtkreis Augsburg der 8. August.

654

Verjährung

Vor § 194 Anm. 1, 2

c) Berlin-West Gesetz vom 28. Oktober 1954, G V B 1 615. Z u den obengenannten kommt noch der Büß- und Bettag. d) Bremen Gesetze vom 12. November 1954, GBl 115, und vom 10. Juni 1958, GBl 61. Z u den obengenannten kommt noch der Büß- und Bettag. e) H a m b u r g Gesetz vom 16. Oktober t953> G V B 1 1 289. Z u den obengenannten kommt noch der Büß- und Bettag. f) Hessen Gesetze vom 17. September 1952, GVB1 145, 6. November 1954, G V B 1 185, und 16. April 1957, GVB1 4g. Z u den obengenannten kommen noch der Fronleichnamstag und der Büß- und Bettag. g) Niedersachsen Gesetze vom 5. Februar 1952, G V B I 5 ; 15. Oktober 1952, GVB1 1 7 1 ; 30. Mai 1956, GVB1 57. Z u den obengenannten kommt noch der Büß- und Bettag. h) Nordrhein-Westfalen Gesetz vom 16. Oktober 1951, G S 136, und § 1 Nr. 17 des Gesetzes vom 23. Juli 1957, GVB1 189. Z u den obengenannten kommen noch Fronleichnamstag, Allerheiligen und Büß- und Bettag. i) Rheinland-Pfalz Gesetz vom 25. Juni 1948, GVB1 253. Z u den obengenannten kommen der Fronleichnamstag, Allerheiligen und Büß- und Bettag. k) Schleswig-Holstein Gesetz vom 12. Dezember 1953, GVB1 161. Z u den obengenannten kommt noch der Büß- und Bettag. 1) Saarland Verordnung vom 25. Oktober 1945, ABl 37, und I . J u l i 1947, A B l 225. Z u den obengenannten kommen noch: Fronleichnam, Maria Himmelfahrt, Allerheiligen, Büß- und Bettag. m) Für die D D R s. das Gesetz vom 21. April 1950, GBl 355.

Fünfter

Abschnitt

Verjährung Vorbemerkung Ubersicht Anm.

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Allgemeines Zweck der Verjährung Ausschlußfristen Verwirkung Verjährung im öffentlichen Recht Örtlich anzuwendendes Recht Zeitlich anzuwendendes Recht Systematische Ubersicht

1—3 4, 5 6, 7 8, 9 10, 11 12—14 15 16

1. Allgemeines Anm. 1 Die Verjährung gehört zu denjenigen juristischen Tatbeständen (vgl. Vorbem. vor § 104 A n m . 1), die kraft Gesetzes wirksam werden. A n sich kann ihre Wirksamkeit sich rechtserzeugend oder zerstörend äußern, weshalb man die erwerbende und erlöschende Verjährung unterschied. Das BGB kennt jedoch n u r d i e e r l ö s c h e n d e , auf die sich allein dieser Abschnitt bezieht. Die Stelle der erwerbenden Verjährung wird nach dem geltenden Rechte durch die E r s i t z u n g vertreten (§§900, 937—945, 1033, 2026).

Anm. 2 Nach dem Gesetze stellt die Verjährung unterschiedslos ein einheitliches Rechtsgebilde dar. Insbesondere ist ihm die A b a r t der unvordenklichen Verjährungen unbe-

655

Vor § 194

Allgemeiner Teil

A n m . 3—7

kannt. Indessen sind hier doch die landesgesetzlichen Vorschriften insoweit in Geltung geblieben, als ein Gebiet der Landesgesetzgebung überhaupt vorbehalten worden ist ( E G Art. 56, 66, 69, 73, 74, 132, 1 3 3 ; R G 2. 12. 1925 V 39/25)-

Anm. 3 Der Verjährung unterliegen, wie sich aus § 194 Abs. 1 ergibt, nur Ansprüche. Wo nicht das Bestehen oder Fortbestehen eines Anspruchs in Frage steht, ist auch für die Verjährung kein R a u m .

2. Zweck der Verjährung Anm. 4 Die Rechtseinrichtung der Verjährung dient einmal dazu, die Lage des nach längerer Zeit in Anspruch Genommenen zu erleichtern. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, daß Ansprüche in aller Regel nicht allzu lange, nachdem sie fällig geworden sind, geltend gemacht werden. J e länger die Zeit ist, die seit dem Entstehen des Anspruchs vergangen ist, desto schwieriger wird die Bevveislage für den in Anspruch Genommenen. Z w a r muß der Berechtigte beweisen, daß der Anspruch für ihn entstanden ist. Für den in Anspruch Genommenen kann es aber infolge des Zeitablaufs schwierig sein, gegenüber den von dem Kläger unter Beweis gestellten anspruchsbegründenden Tatsachen solche Umstände darzulegen und zu beweisen, durch die die Beweiskraft der vom Kläger vorgetragenen Tatsachen erschüttert wird. Auch müßte der in Anspruch Genommene beweisen, daß der Anspruch wieder erloschen ist, z. B. dadurch, daß er ihn erfüllt oder der Berechtigte ihm die Schuld erlassen hat. Dieser Beweis wird für ihn naturgemäß schwieriger, j e mehr Zeit seit dem Entstehen des Anspruchs verstrichen ist. Mit Rücksicht auf diese Beweisschwierigkeiten hat der Gesetzgeber dem Anspruchsberechtigten zugemutet, seinen Anspruch innerhalb bestimmter Fristen geltend zu machen. Unterläßt er das, dann kann der in Anspruch Genommene sich auf die Verjährung berufen und damit den Beweisschwierigkeiten entgehen ( B G H 17, 199, 206).

Anm. 5 Die Verjährung dient ferner dem allgemeinen Interesse. Rechtssicherheit und Rechtsfrieden sollen dadurch aufrechterhalten werden, daß die Anspruchsberechtigten genötigt werden, ihre Ansprüche bald durchzusetzen und daß dem in Anspruch Genommenen nach Ablauf der Verjährungsfrist die Möglichkeit gegeben wird, sich auf die Verjährung zu berufen ( R G 120, 355, 358; B G H 17, 206). Entsprechend dieser der Verjährung zukommenden Bedeutung bestimmt § 225, daß die Verjährung durch Rechtsgeschäft zwar erleichtert und abgekürzt, aber nicht ausgeschlossen oder erschwert werden kann. Das schließt aber nicht aus, daß der Einrede der Verjährung der Gegeneinwand der Arglist entgegengesetzt werden kann (vgl. dazu B G H 9, 1, 5 und § 225 Anm. 1).

3. Ausschlußfristen Anm. 6 V o n den Verjährungsfristen zu unterscheiden sind die Ausschlußfristen, wie sie sich z. B. in den §§ 1 2 1 , 124, 561 Abs. 2, 703, 801, 861, 862, 864, 927, 1 1 2 3 , I I 70> 1 1 7 1 , 1 1 8 8 , 1289, 1594, 1944, 1954, 1974, 1995, 1996, 2060, 2061, 2081, 2283 und 2340 finden. Ferner gehören hierzu die Fristen, die einer Partei von der anderen oder vom Gericht oder einer Behörde zur Ausübung eines Rechtes gesetzt werden können und bei deren fruchtlosem Ablauf das Recht erlischt, z.B. §§ 108, 177, 264, 283, 326, 542, 634, 976 Abs.2, 1052 u . a .

Anm. 7 Verjährungsfristen und Ausschlußfristen unterscheiden sich nach Gegenstand und Wirkungen (vgl. Anm. 1—8 vor § 186). Der Verjährung unterliegen nur Ansprüche. Ausschlußfristen gelten auch und sogar vorzüglich für andere Rechte, z. B. für Gestaltungsrechte. Die Verjährung läßt den Anspruch bestehen, sie muß durch Einrede geltend

656

Verjährung

V o r § 194 Arnn. 8—12

gemacht werden, und die Partei muß sich im Rechtsstreit darauf berufen. Mit Ablauf der Ausschlußfrist erlischt das Recht. Der Ablauf der Ausschlußfrist ist daher im Rechtsstreit von Amts wegen zu beachten. Die Verjährungsfrist kann gehemmt oder unterbrochen werden, die Ausschlußfrist dagegen grundsätzlich nicht. Dieser Grundsatz wird allerdings durch zahlreiche, gesetzlich bestimmte Ausnahmen durchbrochen. Für den L a u f zahlreicher Ausschlußfristen ist bestimmt, daß die für die Verjährung geltenden Vorschriften der §§ 203, 206, 207 entsprechend anzuwenden sind. In allen Fällen, in denen die entsprechende Anwendung dieser Vorschriften vorgeschrieben ist, handelt es sich um Ausschlußfristen ( R G 76, 270, 274). Andere als die angeführten Bestimmungen können nicht entsprechend angewandt werden ( R G 88, 294).

4. Verwirkung Anm. 8 Von der Verjährung zu unterscheiden ist ferner die Verwirkung. Ein Recht kann dadurch, daß es längere Zeit nicht geltend gemacht worden ist, verwirkt sein. Hierbei handelt es sich im Grunde nur um einen Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung. Ein allzu spätes Geltendmachen des Rechtes kann gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn der Schuldner aus dem Verhalten des Gläubigers berechtigterweise annehmen konnte, das Recht bestehe nicht oder werde nicht mehr geltend gemacht, und wenn dem Schuldner bei Berücksichtigung der gesamten Sachlage und der Eigenart des Schuld Verhältnisses die Leistung jetzt nicht mehr zugemutet werden kann.

Anm. 9 Der Verwirkung unterliegen nicht nur Ansprüche, sondern Rechte jeder Art. Die Verwirkung hat im gesamten Rechtsgebiet Bedeutung und ist nicht wie die Verjährung oder die Ausschlußfrist an den Ablauf fest bestimmter Zeiten gebunden. Sie ergibt sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalles nach den Grundsätzen von T r e u und Glauben. Die Verwirkung gibt keine Einrede im rechtstechnischen Sinn. Sie führt zur Vernichtung oder Veränderung des ihr unterliegenden Rechtes. Sie ist von Amts wegen zu beachten. Über die näheren Einzelheiten vgl. § 242).

5. Verjährung i m öffentlichen Recht Anm. 10 Die Rechtseinrichtung der Verjährung ist Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens, der im bürgerlichen Recht gesetzlich normiert ist. Dieser Rechtsgedanke beherrscht auch das öffentliche Recht. Vermögensrechtliche Ansprüche des öffentlichen Rechts verjähren, soweit nicht ein Sondergesetz eine kürzere Verjährung vorschreibt, nach der allgemeinen 30jährigen Verjährungsfrist ( B G H 9, 209).

Anm. 11 Eine andere Frage ist, ob die Verjährung im öffentlichen Recht dieselben Wirkungen wie im bürgerlichen Recht hat. Mit Rücksicht auf die besondere Natur der öffentlich-rechtlichen Ansprüche und den zwingenden Charakter des öffentlichen Rechts spricht viel dafür anzunehmen, daß die Verjährung im öffentlichen Recht von Amts wegen zu berücksichtigen ist und zu einem Erlöschen des Anspruchs führt (so F o r s t h o f f , Verwaltungsrecht 6. Aufl. 156 und 174). Auch das Reichsgericht hat diese Ansicht für die in § 103 des Gewerbeunfallversicherungsgesetzes vom 5. J u l i 1900, R G B l . 585, geregelte Verjährung vertreten ( R G 84, 265, 281).

6. örtlich anzuwendendes Recht Anm. 12 Als materiell-rechtliches Gebilde ist die Verjährung nach dem Rechte des Ortes zu beurteilen, dem das Schuldverhältnis angehört ( R G 1 1 8 , 1 4 2 ; Gruchot 55, 1036). Bei Ansprüchen aus einer im Auslande begangenen unerlaubten Handlung ist E G Art. 12 zu beachten; der beklagte Deutsche kann sich danach gegebenenfalls auf den Ablauf der Verjährungsfrist nach § 852 berufen ( R G 1 1 8 , 1 4 1 ) . Auch dann, wenn die Parteien das Schuldverhältnis einem ausländischen

657

Vor §194

Allgemeiner Teil

Anm. 13—16 Recht unterworfen haben, richtet sich die Verjährung nach diesem Recht. Es spielt keine Rolle, ob das ausländische Recht die die Verjährung regelnden Vorschriften dem Gebiete des Prozeßrechts zuzählt. Es ist unrichtig, wie es in R G 7, 24 und vielleicht auch 2, 13 geschehen ist, dann anzunehmen, daß die Forderung überhaupt nicht der Verjährung unterliegt, da deutsches sachliches Recht nicht anzuwenden sei und der deutsche Richter Normen des ausländischen Prozeßrechts nicht anzuwenden habe. Vielmehr ist zu beachten, daß auch die dem Prozeßrecht angehörenden Normen des ausländischen Rechts, die die Verjährung regeln, einen sachlich-rechtlichen Gehalt haben, der in seinen Wirkungen der dem deutschen sachlichen Recht angehörigen Rechtseinrichtung der Verjährung gleichkommt. Sie können daher trotz ihrer Eigenschaft als Prozeßrechtsnormen von dem deutschen Richter angewandt werden (RG 145, 1 2 1 , ia6ff).

Anm. 13 Das ausländische Recht verstößt nicht deswegen gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes im Sinne des Art. 30 E G B G B , weil es die Verjährung anders als das deutsche Recht regelt. Wenn aber ein Anspruch nach ausländischem Recht nicht der Verjährung unterliegt, würde dieses gegen den deutschen ordre public verstoßen, da die Verjährungsvorschriften der Aufrechterhaltung des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit dienen. Die Lücke, die dadurch entsteht, daß die Norm des ausländischen Rechtes, die die Verjährung ausschließt, nicht angewandt werden kann, muß soweit möglich aus dem ausländischen Recht geschlossen werden. Falls das nicht geschehen kann, ist diejenige deutsche Rechtsnorm anzuwenden, die dem aus dem ausländischen Recht zu entnehmenden Gesetzeszweck am besten entspricht (RG 106, 83; 145, 1 2 1 , 129). Danach wird in der Regel für Ansprüche, die nach ausländischem Recht keiner Verjährung unterliegen, die 30jährige Verjährungsfrist gelten.

Anm. 14 Im Verhältnis des deutschen zum ausländischen Recht ist auch für Fragen der Unterbrechung und Hemmung der Verjährung mangels einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarung das Recht des Erfüllungsortes maßgebend. Dasselbe muß bei Verschiedenheit der Rechte auch für den innerdeutschen Verkehr gelten.

Anm. 15 7. Zeitlich anwendbares Recht Die Verjährung in der Ubergangszeit nach dem Inkrafttreten des BGB regelt Art. 169 EGBGB. Diese Bestimmung betrifft aber nur solche Ansprüche, die auch nach dem BGB bestehen. Besteht ein Anspruch nur nach den Vorschriften des alten Rechts und nicht nach denen des BGB, dann kann sich auch die Verjährung nur nach den Normen des alten Rechts richten (RG 56, 253; 64, 4 2 1 ; 136, 427). Nach neuem Recht sind aber auch in diesen Fällen die Voraussetzungen für den Gegeneinwand der Arglist zu beurteilen; denn dann handelt es sich um die Würdigung des gegenwärtigen Verhaltens des Schuldners (RG 144, 378).

Anm. 16 8. Systematische Übersicht § 194 enthält den G r u n d s a t z , daß alle Ansprüche der Verjährung unterliegen. § 195 bestimmt als regelmäßige V e r j ä h r u n g s f r i s t die Frist von 30 Jahren. Die §§ 196—197 schreiben kurze Verjährungsfristen für Ansprüche aus Rechtsgeschäften des täglichen Lebens und auf wiederkehrende Leistungen vor. Die §§ 198—201 regeln den B e g i n n der Verjährung, die §§ 202—217 die H e m m u n g

und Unterbrechung. Die §§ 218 und 219 bestimmen, daß ein rechtskräftig fest-

g e s t e l l t e r A n s p r u c h oder Ansprüche, die sich aus einem vollstreckbaren Vergleich, einer vollstreckbaren Urkunde oder aus einer vollstreckbaren Konkursfeststellung ergeben, erst in 30 Jahren verjähren. Eine Ausnahme besteht, soweit sich die Feststellung auf regelmäßig wiederkehrende, erst künftig fällig werdende Leistungen bezieht. § 220

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Verjährung

§ 194 Anm. 1—3

regelt die Verjährung von Ansprüchen, die vor einem Schiedsgericht, einem besonderen Gericht, einem Verwaltungsgericht oder einer Verwaltungsbehörde geltend zu machen sind. §221 betrifft für die Verjährung dinglicher Ansprüche den während der Verjährungsfrist eingetretenen Besitzwechsel. Die Wirkungen der Verjährung regeln die §§ 222—224. § 225 bestimmt dem Wesen und Zweck der Verjährung entsprechend, daß die Verjährung durch Rechtsgeschäft wohl abgekürzt oder erleichtert, dagegen nicht ausgeschlossen oder erschwert werden kann.

§194 Das Recht, von einem anderen ein Tun oder ein Unterlassen zu verlangen (Anspruch), unterliegt der Verjährung. Der Anspruch aus einem familienrechtlichen Verhältnis unterliegt der Verjährung nicht, soweit er auf die Herstellung des dem Verhältnis entsprechenden Zustandes für die Zukunft gerichtet ist. E I i ; 4 II 161; M l z88ff; F l 194C

Ubersicht Anspruchs verj ähr ung 1. Begriff des Anspruchs 2. Dauerschuldverhältnisse 3. Unverjährbarkeit a) Ansprüche aus familienrechtlichen Verhältnissen b) Regelung in Einzelbestimmungen c) Klagerecht, Aufrechnung, Anfechtungsrecht, Einreden d) Sonstiges

Anm. i—3 4—6 7—17 8—11 12 13—15 16, 17

1. Begriff des Anspruchs Anm. 1 Nach Abs. 1 ist der Anspruch das Recht des Berechtigten, vom Verpflichteten ein Tun oder Unterlassen zu verlangen. (Zum Anspruch auf Unterlassung vgl. noch § 241 Auf die Natur des dem Ansprüche zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses kommt es nicht an. Es kann sich insbesondere um ein reines Schuldverhältnis handeln, das seiner Natur nach von vornherein eine unmittelbare Beziehung zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten voraussetzt, gleichgültig ob sie rechtsgeschäftlich oder kraft Gesetzes besteht. Anm. 2 Auch ein dingliches Rechtsverhältnis kann in Frage kommen. Dieses erzeugt zwar an und für sich eine unmittelbare Beziehung nur zu der seinen Gegenstand bildenden Sache oder zu dem Rechte, und nicht sofort auch eine Beziehung zu einer bestimmten Person. Indessen können aus ihm durch Hinzutritt einer weiteren Tatsache, insbesondere einer Verletzung des Rechts, demnächst Ansprüche hervorgehen, die nunmehr auch eine Beziehung zu einer bestimmten Person ergeben, wie z. B. das aus dem Eigentume hervorgehende Recht, die Sache von demjenigen herauszuverlangen, der sich in ihren Besitz gesetzt hat (§ 985), sowie die Ansprüche aus einer sonstigen Beeinträchtigung des Eigentums (§ 1004). Auch dann handelt es sich um wahre Ansprüche, und diese unterliegen mithin ebenfalls der Verjährung (RG 93, 283; 105, 88; LZ 1927, 164; J W 1927, 893)Anm. 3 Da nur Ansprüche der Verjährung unterliegen (vgl. Vorbemerkung Anm. 3), kann überall, wo das Gesetz von der Verjährung spricht, auf das Bestehen eines Anspruchs im Sinne des Gesetzes geschlossen werden. 659

§194

Anm. 4—10

Allgemeiner Teil

2. Dauerschuldverhältnisse Anm. 4 Bei Vertragsrechten, die Ansprüche auf k u r z z e i t i g w i e d e r k e h r e n d e , w i r t s c h a f t l i c h e i n h e i t l i c h e L e i s t u n g e n begründen, ist nach den Umständen des einzelnen Falles zu unterscheiden, ob es sich dabei um selbständige, unverknüpfte oder nur durch eine Anwartschaft gebundene Einzelforderungen handelt, oder ob den Einzelansprüchen ein Gesamtanspruch zugrunde Hegt. Letzteres wird häufig der Fall sein. Es ist jedoch z. B. vom Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung für die Leibrente bejaht worden (vgl. § 759 Anm. 2 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).

Anm. 5 Besteht ein solcher Gesamtanspruch, dann unterliegt auch dieser und nicht nur der Anspruch auf die einzelne Leistung der Verjährung. Seine Verjährung beginnt im selben Zeitpunkt, in dem auch die Verjährung für den Anspruch auf die einzelne Leistung beginnt (RG 136, 427). Wenn die Verjährungsfrist für den Anspruch auf die Einzelleistung nach § 197 vier J a h r e beträgt, verjährt der Gesamtanspruch, falls nicht besondere Bestimmungen etwas anderes vorschreiben, doch nach § 195 erst nach 30 J a h r e n .

Anm. 6 Einen der Verjährung unterliegenden Gesamtanspruch hat das Reichsgericht in einem Falle angenommen, in dem sich ein Privateisenbahnunternehmer Gemeindeverbänden gegenüber in einem über die Straßenbenutzung geschlossenen Vertrag verpflichtet hatte, an Haltestellen Anschlußgleise für gewerbliche Unternehmen auf seine Kosten anzulegen. Dieses Grundrecht unterliegt nicht der Verjährung, es bleibt vielmehr auf die ganze Vertragsdauer bestehen; die einzelnen durch Eröffnung von gewerblichen Unternehmen entstehenden Ansprüche unterliegen der dreißigjährigen Verjährung ( R G 1 . 4 . 1927 V I 474/26).

3. Unverjährbarkeit Anm. 7 Nach der allgemeinen Bestimmung des Abs. 1 sind Ansprüche jedweder Art verjährbar, soweit nicht das Gesetz ausdrücklich eine Ausnahme macht. Solche Ausnahmen sind vorgesehen:

a) bei Ansprüchen aus einem familienrechtlichen Verhältnisse gemäß Abs. 2 Anm. 8 Das gilt, soweit die Ansprüche auf die Herstellung des dem Verhältnisse entsprechenden Zustandes f ü r die Zukunft gehen, gleichgültig ob sie gegen einen Familienangehörigen oder gegen Dritte gerichtet sind (Mot. 1, 294). Für das Eherecht kommen hier die §§ 1 3 5 3 , 1356, 1360, 1360 a, für das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern die §§ 1 6 1 7 , 1632, für das vormundschaftliche Verhältnis die §§ 1800, 1897, f ü r die Unterhaltspflicht unter Verwandten die §§ 1601 ff in Betracht.

Anm. 9 N i c h t g e t r o f f e n durch Abs. 2 sind solche Ansprüche, welche eine Ausgleichung f ü r die Vergangenheit anstreben (§ 1 6 1 3 ) . Eine Sonderregelung enthalten ferner der frühere § 1623, betreffend den Anspruch der Tochter auf Aussteuer, ferner die §§ 1298 bis 1 3 0 1 , betreffend Ansprüche bei Aufhebung eines Verlöbnisses, endlich die Vorschrift des § 73 EheG, betreffend Rückforderung der Geschenke nach erfolgter Ehescheidung.

Anm. 10 Das Verhältnis zwischen der unehelichen Mutter und dem Erzeuger ihres Kindes ist kein familienrechtliches, mithin gehören die betreffenden Ansprüche unter § 194 Abs. 1 (§ 1 7 1 5 ) .

660

Verjährung

§194

Anm. 11—17 Anm. 11 Die Motive lassen es unentschieden, ob der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten gegen den allein für schuldig erklärten Teil (nach § 58 EheG) hierher gehört (Mot. 1, 294), und es fehlt anderseits auch eine Sonderbestimmung. Da jedoch der bezeichnete Anspruch gleichfalls allein in dem betreffenden familienrechtlichen Verhältnisse einen rechtlichen Grund haben kann — wenn freilich auch in dem ehemaligen, inzwischen bereits beendigten — , so muß hier der § 194 Abs. 2 anwendbar sein.

b) in Einzelbestimmungen Anm. 12 In Frage kommen der Anspruch auf Aufhebung einer Gemeinschaft (§ 758), auf Auseinandersetzung [der Erbengemeinschaft (§ 2042 Abs. 2); Ansprüche aus eingetragenen Rechten (§ 902 Abs. 1 Satz 1, mit der Beschränkung nach Satz 2 daselbst) sowie ein Recht, wegen dessen ein Widerspruch gegen die Richtigkeit des Grundbuchs eingetragen ist (§ 902 Abs. 2); die in den §§ 894—896 bezeichneten Ansprüche auf Grundbuchberichtigung (§ 898); nachbarrechtliche Ansprüche der in § 924 aufgeführten Art.

c) Klagrechte, Aufrechnung, Anfechtungsrecht, Einreden Anm. 13 Schon grundsätzlich können der Verjährung nicht unterworfen sein, weil sie keinen Anspruch darstellen, K l a g e r e c h t e jeder Art, die A u f r e c h n u n g , die in einer einseitigen Erklärung besteht (§ 387), das A n f e c h t u n g s r e c h t , endlich die E i n r e d e n im Sinne des Gesetzes, mithin das Recht, eine Leistung zu verweigern (vgl. §202 Anm. 1 i f f ) . Soweit aber eine Einrede sich aus einem Ansprüche ergibt, muß dessen Verjährung auch die Einrede beseitigen, da diese in dem Ansprüche allein ihren Grund hat (Mot. 1, 291).

Anm. 14 Wandlungs- u. Minderungsrechte begründen Ansprüche, die der Verjährung unterliegen. Nach § 478 können sie, wenn der Mangel vor der Verjährung dem Verkäufer angezeigt oder die Anzeige an ihn abgesandt ist, entgegen der allgemeinen Regel auch nach der Verjährung noch einredeweise gegenüber der Kaufpreisforderung geltend gemacht werden ( R G 74, 292). Nur der § 1169 gibt dem Eigentümer das Recht, auf Grund einer bloßen die Geltendmachung der Hypothek dauernd ausschließenden Einrede vom Hypothekar den Verzicht auf die Hypothek anspruchsweise durch K l a g e zu fordern ( R G 71, 12).

Anm. 15 In den §§821, 853 ist ferner vorgesehen, daß die Einrede der Erfüllungsverweigerung auch dann bestehen bleibt, wenn die Ansprüche auf Befreiung von der Verbindlichkeit und auf Aufhebung der Forderung verjährt sind.

d) Sonstiges Anm. 16 Ist ein Grundstück verkauft und übergeben, die Auflassung aber unterblieben, so erlischt das Recht des Käufers zum Besitz gegenüber dem Verkäufer und seinen Erben auch dann nicht, wenn der Auflassungsanspruch verjährt ist ( R G 138, 296).

Anm. 17 Der Anspruch auf Buße ist der Verjährung so lange entzogen, als der betreffende Strafanspruch noch nicht verjährt ist (RGSt 44, 294). 43

Komm. z. B G B . II. Aufl. I. Bd. (Johannsen)

661

§195

Allgemeiner Teil

Anm. 1—3

§195 Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt dreißig Jahre. E I IJJ II

M I 295ff; P I 194, 201.

Ubersicht

Regelmäßige Verjährungsfrist Anm.

1. 30jährige Verjährung als Regel 1 2. Anspruchskonkurrenz 2 3. Einheitliche und unterschiedliche Verjährung verschiedener Ansprüche aus einem Rechtsverhältnis 3—6 4. Verjährungsfrist in besonderen Fällen 7—15 5. Berechnung des Fristlaufs 16

Anm. 1 1. 30jährige Verjährung als Regel Die §§ 1 9 5 — 1 9 7 bestimmen die Verjährungsfristen. Die dreißigjährige Verjährungsfrist gilt überall, wo nicht einer der vielen vom Gesetze geschaffenen Ausnahmefälle vorliegt, jedoch immer unter Berücksichtigung der in § 2 1 8 für rechtskräftig festgestellte Ansprüche gegebenen Regel, vgl. dort Anm. 1—8. — Auch der Aufopferungsanspruch auf Grund des § 903 unterliegt der regelmäßigen Verjährung von 30 J a h r e n , nicht der kurzen Verjährung des § 852 ( R G 167, 27).

Anm. 2 2. Anspruchskonkurrenz Im Falle der Konkurrenz mehrerer Ansprüche, bespielsweise eines vertraglichen und eines solchen aus unerlaubter Handlung, folgt jeder seiner besonderen Regel ( R G 66, 86; WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 1 5 4 ; B G H 9, 3 0 1 ; L M B G B § 254 E Nr. 2). Ebenso für das Verhältnis von Bereicherungsanspruch und Anspruch aus unerlaubter Handlung R G D J 1938, 1598. Die Haftung des Unternehmers einer Straßenbahn aus dem HaftpflichtG unterliegt nach § 8 das. der zweijährigen Verjährung, der daneben bestehende Anspruch aus dem Beförderungsvertrage aber der dreißigjährigen nach § 195. Ist einer der konkurrierenden Ansprüche verjährt, so kann der andere, nicht verjährte weiter geltend gemacht werden. Es kann sich aber aus dem Gesetz etwas anderes ergeben. Nach §§ 558, 606 findet die kurze Verjährungsfrist für Ersatzansprüche des Vermieters und Verleihers zugleich auf die etwaigen Ansprüche aus unerlaubter Handlung Anwendung ( R G 66, 363), ebenso die kurze Verjährungsfrist für Ansprüche des Dienstberechtigten gegen den Handlungsgehilfen wegen Verletzung des Wettbewerbsverbots gemäß §§60, 61 H G B auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung ( R G J W 1937, 2654), und ein gleiches kann dann gelten, wenn die Verjährungsfrist vertragsmäßig abgekürzt ist ( R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 154).

3. Einheitliche und unterschiedliche Verjährung verschiedener Ansprüche aus einem Rechtsverhältnis Kaufvertrag Anm. 3 Der Schadensersatzanspruch wegen mangelhafter Erfüllung der Nebenverpflichtungen aus einem Kaufvertrag verjährt nicht in der kurzen Verjährungsfrist des § 477, sondern nach § 195 in 30 Jahren, wenn diese Verpflichtungen mit der Mangelhaftigkeit der Kaufsache selbst nicht in einem unmittelbaren, untrennbaren Zusammenhang stehen ( R G 144, 162). Über Verjährung von Ansprüchen aus dem Rücktritt von einem Abzahlungsgeschäft s. Königsberg H R R 1937, 788.

662

Verjährung

§195 A n m . 4—10

Verzugschaden Anm. 4 Für den Schadensersatzanspruch wegen Verzuges gilt dieselbe Verjährungsfrist wie für den Hauptanspruch, mit dem der Schuldner in Verzug geraten ist ( B G H L M B G B § 286 Nr. 3).

Beförderungsvertrag Anm. 5 Der Anspruch auf Rückzahlung von Fahrgeld und auf Ersatz des erforderlich gewordenen Aufwandes, wie jeder Ersatzanspruch wegen positiver Verletzung des Beförderungsvertrags, verjährt im Falle einer Zugentgleisung nach § 638 Abs. 1, der Anspruch anderseits auf Ersatz des Sachschadens in 30 J a h r e n ( R G 62, 1 1 9 ; WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 245).

Werkvertrag Anm. 6 Der Anspruch auf Ersatz desjenigen Schadens, der unmittelbar durch die mangelhafte Beschaffenheit des Werkes selbst begründet ist (wie derjenige auf Ersatz der zur Beseitigung der am Werke vorhandenen Mängel aus § 633 Abs. 3 ; R G 80,439), verjährt nach § 638; der Anspruch auf Ersatz desjenigen Schadens, den der Besteller infolge eines körperlichen Unfalls bei Benutzung des fehlerhaften Werkes erleidet, verjährt nach § 195 ( R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 2 3 5 ; B G H L M B G B § 254 E Nr. 2). Verlangt der Besteller nach Abnahme des Werkes Beseitigung eines Mangels, so unterliegt auch dieser Anspruch (aus § 633) der kurzen Verjährung des § 638 ( R G 95, 329). Entsprechend kann der Schuldner auch die Einrede aus § 222 nur gegenüber demjenigen von mehreren Ansprüchen geltend machen, bezüglich dessen die Verjährung eingetreten ist.

4. V e r j ä h r u n g s f r i s t e n in b e s o n d e r e n Fällen Anm. 7 Auf E r s a t z a n s p r ü c h e , die a u s § 7 5 E i n l . P r A L R hergeleitet werden, finden hinsichtlich der Verjährung nach Art. 4 E G die Grundsätze des B G B Anwendung. Sie unterliegen der dreißigjährigen Verjährung auch dann, wenn der Anspruch etwa gegen eine Stadt infolge eines Eingriffs mittels einer Verfügung der städtischen Polizei bewirkt worden ist, da dieser Eingriff nicht als eine unerlaubte Handlung (§ 852) angesehen werden kann ( R G 78, 205).

Anm. 8 Sie gilt auch, wenn für einen s c h u l d l o s e n o d e r s c h u l d h a f t e n r e c h t s w i d r i g e n ( e n t e i g n u n g s g l e i c h e n ) E i n g r i f f Ersatz in entsprechender Anwendung des § 75 Einl. P r A L R zu leisten ist ( B G H 9, 209).

Anm. 9 I n R G 7 o , 1 5 4 f r (vgl. d a z u R G J W 1927, 893 und Gruchot 69, 105) ist für Fälle,in denen nach besonderen Vorschriften die Ansprüche aus dem Eigentum im Interesse des öffentlichen Wohles versagt werden, im Anschlüsse an R G 35, 309; 54, 260; 23, 2 5 7 ; 37, 270 zutreffend folgende Unterscheidung gemacht worden: Ersatzansprüche verjähren in 30 J a h r e n , wenn durch die schädigende Anlage das Eigentums- (oder Nutzungs-) Recht u n m i t t e l b a r verletzt ist; sie unterliegen dagegen der kurzen Verjährung des § 852, wenn durch die Anlage nur m i t t e l b a r in das Recht eingegriffen ist, und zwar auch dann, wenn der Anspruch mangels Verschuldens aus gesetzlicher Bestimmung hergeleitet wird. Namentlich trifft letzteres auch im Falle unerlaubter Immissionen zu ( R G J W 1912, 31).

A n m . 10

A n s p r ü c h e d e s B e a m t e n g e g e n s e i n e n D i e n s t h e r r n wegen Verletzung der diesem obliegenden Fürsorgepflicht nach § 36 D B G , jetzt § 79 B B G , verjähren in 30 Jahren ( B G H 14, 137), ebenso die entsprechenden Ansprüche aus der Zeit vor Inkrafttreten des D B G ( R G 158, 241). 4}

668

§ 1 9 5 A n m . 11—16

§196

Allgemeiner Teil

A n m . 11 Derselben Verjährung unterliegen die Ansprüche der Anstellungskörperschaft g e g e n ihre Angestellten wegen Dienstpflichtverletzung (Karlsruhe H R R 1937, 1498; K G J W 1927, 1249), für Bayern gilt nach Art. 124 BayAGBGB eine Sonderregelung, Verjährung drei Jahre nach Feststellung der den Anspruch begründenden Tatsache ( R G 154, 257). A n m . 12 Erstattungsansprüche aus öffentlich-rechtlichen Unterbringungsverhältn i s s e n , deren Beurteilung sich nach privatrechtlichen Gesichtspunkten regelt, unterliegen der dreißigjährigen Verjährung des § 195 (RG D R 1943, 854). A n m . 13 Der dreißigjährigen Verjährung unterlagen mangels einer abweichenden Sonderregelung früher auch die im Verfahren vor d e m Reichsgericht entstehenden Gerichtskosten (RG 148, 129). Später war § 6a G K G , eingefügt durch VO v. 27. März 1936, RGBl I 319, maßgebend (RG J W 1936, 3309). A n m . 14 Schadensersatzansprüche g e g e n einen Rechtsanwalt verjähren, wenn, wie regelmäßig, ein Dienstverhältnis vorliegt, in 5 Jahren (§ 32a RAnwO v. 1.7.1878, RGBl 177; §37 RAnwO idF v. 2 1 . 2 . 1936, RGBl I 107; §42 RAnwOBrZ v. 1 0 . 3 . 1949, VOBlBrZ 80; § 32a BayRAnwO v. 6. 1 1 . 1946, BayBS III 45; §37 HessRAnwO v. 18. 10. 1948. GVB1 126; § 32a WürttBadRAnwO v. 4. 3. 1948, RegBl 1 0 1 ; § 32a BlnRAnwO v. 6. 5. 1952, G V B I 3 1 1 ) , nach §37 SaarlRAnwO v. 2. 5. 1955, ABl 41, in 4 Jahren; handelt es sich ausnahmsweise um einen Werkvertrag, so ist die Sondervorschrift des § 638 maßgebend (RG 88, 223 und § 638 Anm. 1 Abs. 4). A n m . 15 Gegenüber A n s p r ü c h e n aus § 17 StVG greift die Verjährung aus § 195 Platz, nicht die des § 14 des Ges. (RG 90, 293). Dasselbe gilt für den Ausgleichsanspruch unter G e s a m t s c h u l d n e r n nach § 426 A b s . 1. Er unterliegt nicht einer etwa für die Gläubigeransprüche bestehenden kurzen Verjährung nach § 852 oder anderen gesetzlichen Bestimmungen (RG 69, 426; 77, 322; 146, 101; J W 1935, 1340; B G H LM BinnSchG § 118 Nr. 1). A n m . 16 5. B e r e c h n u n g des F r i s t l a u f s Zu berechnen ist die Frist nach den §§ 187, 188 Abs. 2, 3; § 193 ist gleichfalls entsprechend anwendbar. Eine an einem Sonn- oder Feiertag ablaufende Verjährungsfrist wird daher auch dann unterbrochen, wenn die Unterbrechungshandlung am nachfolgenden Werktag vorgenommen wird (RG 1 5 1 , 345; § 193 Anm. 3).

§196 In z w e i J a h r e n verjähren die A n s p r ü c h e : 1. der Kaufleute, Fabrikanten, H a n d w e r k e r und derjenigen, w e l c h e ein K u n s t g e w e r b e betreiben, für Lieferung v o n Waren, A u s f ü h r u n g v o n Arbeiten u n d B e s o r g u n g f r e m d e r Geschäfte, m i t E i n s c h l u ß der A u s lagen, e s sei denn, d a ß die Leistung für den Gewerbebetrieb des Schuldners erfolgt; 2. derjenigen, w e l c h e Land- oder F o r s t w i r t s c h a f t betreiben, für Lieferung von land- oder f o r s t w i r t s c h a f t l i c h e n E r z e u g n i s s e n , sofern die Lieferung zur V e r w e n d u n g i m Haushalte des Schuldners erfolgt; 664

Verjährung

§196

3. der E i s e n b a h n u n t e r n e h m u n g e n , Frachtfuhrleute, Schiffer, Lohnkutscher und B o t e n w e g e n des F a h r g e l d e s , derFracht, des Fuhr- und B o t e n l o h n s , m i t E i n s c h l u ß der A u s l a g e n ; 4. der Gastwirte u n d derjenigen, w e l c h e S p e i s e n oder Getränke g e w e r b s m ä ß i g verabreichen, für G e w ä h r u n g v o n Wohnung und B e k ö s t i g u n g s o w i e für andere den G ä s t e n zur Befriedigung ihrer B e d ü r f n i s s e gew ä h r t e Leistungen, m i t Einschluß der A u s l a g e n ; 5. derjenigen, w e l c h e Lotterielose vertreiben, aus d e m Vertriebe der Lose, e s sei denn, d a ß die Lose z u m Weitervertriebe geliefert w u r d e n ; 6. derjenigen, w e l c h e bewegliche Sachen g e w e r b s m ä ß i g v e r m i e t e n , w e g e n des Mietzinses; 7. derjenigen, w e l c h e , ohne zu den in N r . 1 bezeichneten P e r s o n e n zu gehören, die B e s o r g u n g f r e m d e r Geschäfte oder die Leistung von Diensten g e w e r b s m ä ß i g betreiben, w e g e n der ihnen a u s d e m Gewerbebetriebe gebührenden Vergütungen, m i t Einschluß der A u s l a g e n ; 8. derjenigen, w e l c h e i m Privatdienste stehen, w e g e n des Gehalts, Lohnes oder anderer Dienstbezüge, m i t E i n s c h l u ß der A u s l a g e n , s o w i e der Dienstberechtigten w e g e n der auf solche Ansprüche g e w ä h r t e n Vorschüsse ; 9. der gewerblichen Arbeiter — Gesellen, Gehilfen, Lehrlinge, Fabrikarbeiter —, der Tagelöhner und Handarbeiter w e g e n des Lohnes und anderer an Stelle oder als Teil des Lohnes vereinbarter Leistungen, m i t Einschluß der Auslagen, s o w i e der Arbeitgeber w e g e n der auf solche Ansprüche g e w ä h r t e n V o r s c h ü s s e ; 10. der Lehrherren und L e h r m e i s t e r w e g e n des Lehrgeldes und anderer i m Lehrvertrage vereinbarter Leistungen s o w i e w e g e n der für die Lehrlinge bestrittenen A u s l a g e n ; 11. der öffentlichen Anstalten, welche d e m Unterrichte, der Erziehung, Verpflegung oder Heilung dienen, s o w i e der Inhaber von Privatanstalten solcher A r t für G e w ä h r u n g von Unterricht, Verpflegung oder Heilung und für die d a m i t z u s a m m e n h ä n g e n d e n A u f w e n d u n g e n ; 12. derjenigen, w e l c h e P e r s o n e n zur Verpflegung oder zur Erziehung aufn e h m e n , für Leistungen und A u f w e n d u n g e n der in N r . 11 bezeichneten Art; 13. der öffentlichen Lehrer und der Privatlehrer w e g e n ihrer Honorare, die A n s p r ü c h e der öffentlichen Lehrer jedoch nicht, w e n n sie auf Grund besonderer Einrichtungen gestundet s i n d ; 14. der Ärzte, insbesondere auch der Wundärzte, Geburtshelfer, Zahnärzte und Tierärzte, s o w i e der H e b a m m e n für ihre Dienstleistungen, m i t Eins c h l u ß der A u s l a g e n ; 15. der R e c h t s a n w ä l t e und N o t a r e s o w i e aller P e r s o n e n , die zur B e s o r g u n g g e w i s s e r Geschäfte öffentlich bestellt oder z u g e l a s s e n sind, w e g e n ihrer Gebühren und A u s l a g e n , s o w e i t nicht diese zur S t a a t s k a s s e fließen; 16. der Parteien w e g e n der ihren R e c h t s a n w ä l t e n geleisteten V o r s c h ü s s e ; 17. der Zeugen und Sachverständigen w e g e n ihrer Gebühren und A u s lagen. S o w e i t die i m A b s . 1 N r . 1, 2, 5 bezeichneten A n s p r ü c h e nicht der Verjährung von z w e i J a h r e n unterliegen, verjähren sie in vier Jahren.

E I IJ6 II 163; M x 297fr; P 1 201 ff 665

§196 Anm. 1—3

Allgemeiner Teil Übersicht

Ansprüche aus Geschäften des täglichen Verkehrs Anm.

1. Grund und Zweck der Vorschrift i 2. Anwendungsbereich a) Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag und Bereicherung . . . 2—5 b) Wechsel des Inhabers und Veränderung des Inhalts des Anspruchs . . 6 c) Schuldumschaffung 7,8 d) Besondere Fälle 9—11 3. Gewerbebetrieb 12—17 4. Erläuterungen zu Nr. 1 a) Kaufmann 18, 19 b) Ware 20, 21 c) Vertragsstrafe 22 d) Bereicherungs- und Herausgabeansprüche 23 24—26 e) Sonstige Ansprüche f ) Handwerker und Kunstgewerbetreibender 27 g) Bauunternehmer und Architekten 28—36 h) Besondere Fälle 31—37 i) Leistungen für den Gewerbebetrieb des Schuldners 38 k) Schuldner 3g 5. Erläuterungen zu Nr. 2 — 1 7 40—67 6. Vierjährige Verjährung nach Abs. 2 68

Anm. 1 1. Grund und Zweck der Vorschrift Die kurze, nach § 201 vom Jahresschlüsse ab zu berechnende z w e i j ä h r i g e V e r ist für die „Geschäfte des täglichen Verkehrs" angeordnet, aus „rechtspolizeilichen", nicht wirtschaftlichen Gründen (Mot. 1, 297fr). Der Gesetzgeber hat dabei erwogen, daß über Ansprüche aus Geschäften des täglichen Verkehrs, die in der Regel alsbald beglichen werden, meist keine Quittungen erteilt und, soweit solche erteilt werden, diese doch nicht längere Zeit aufbewahrt werden. Die kurze Verjährungsfrist soll verhindern, daß der Schuldner oder seine Erben, die die Beweislast für die Erfüllung des Anspruchs haben, genötigt sein können, eine bereits erfüllte Forderung nach längerer Zeit nochmals zu begleichen, da sie den Beweis der Erfüllung nicht erbringen können.

jährungsfrist

2. Anwendungsbereich a) Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag und Bereicherung Anm. 2 Das Gesetz setzt seinem Wortlaute nach keineswegs voraus, daß die Forderung gerade aus einem Vertrage entstanden ist. Daher greift der § 196 beispielsweise auch dann Platz, wenn der Anspruch unter dem Gesichtspunkte der auftragslosen Geschäftsführung (§§ 677ff) oder der Bereicherung (§ 812) geltend gemacht wird. Der Handwerker führt eine Reparatur an dem einem Dritten gehörenden Haus als Geschäftsführer ohne Auftrag aus. Sein Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen verjährt in zwei Jahren, ebenso, wenn der Vertrag über eine der in Nr. 1 — 1 7 genannten Leistungen nichtig ist und der Vergütungsanspruch unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung geltend gemacht wird.

Anm. 3 Erforderlich ist aber in jedem Fall, daß die o b j e k t i v e n V o r a u s s e t z u n g e n des Gesetzes wirklich erfüllt sind, daß also bei Nr. 1 von einem Kaufmann Waren geliefert oder von einem Handwerker Arbeiten ausgeführt sind und daß es sich um einen Anspruch hieraus handelt. 66G

Verjährung

§196

Anm. 4—10 Anm. 4 Diese Bedingung ist dann nicht erfüllt, wenn jemand die der kurzen Verjährung unterliegende Forderung eines Kaufmanns an diesen ohne Auftrag bezahlt und nun aus dem Gesichtspunkte der §§ 677, 683, 684 vom Schuldner Erstattung verlangt. Denn in diesem Falle macht der Zahler nicht den Anspruch des Kaufmanns, sondern eine erst in seiner Person durch die Zahlung entstandene Forderung geltend, da das B G B eine Sondernachfolge kraft Gesetzes (cessio legis) unter den angegebenen Voraussetzungen grundsätzlich nicht anerkennt. Das ist der Standpunkt der Mot. 1, 360 a. E. und 2, 684 Abs. 3. E r scheint auch jetzt zutreffend. Vgl. R G 69, 429; 86, 96.

Anm. 5 Andererseits hat das Reichsgericht in R G 170, 252 entschieden, daß der Anspruch desjenigen, der als Geschäftsführer ohne Auftrag einem unehelichen K i n d Unterhalt leistet, gegen den Erzeuger des Kindes auch nach § 197 B G B in vier J a h r e n verjährt. Dieses Urteil steht der hier im Anschluß an die früheren Entscheidungen des Reichsgerichts vertretene Ansicht nicht entgegen (vgl. § 197 Anm. 12).

Anm. 6 b) Wechsel des Inhabers und Verjährung des Inhalts des Anspruchs Die kurze Verjährungsfrist greift stets Platz, wenn nach dem Entstehungsgrunde der Forderung der objektive Tatbestand des Gesetzes gegeben ist. Hieraus folgt, daß die kurze Frist auch ferner in Geltung bleibt, wenn i a a ) sich durch Ü b e r t r a g u n g , sei es rechtsgeschäftlicher Art (§ 398), sei es in den zutreffenden Ausnahmefällen der §§ 774, 1 1 4 3 , 1225, 1607 Abs. 2, 1709 Abs. 2 kraft Gesetzes nur die Person des Gläubigers ändert ( R G 70, 29); b b ) die der kurzen Verjährung unterliegende Forderung infolge eines dazutretenden Umstandes lediglich e i n e a n d e r e R i c h t u n g e r h ä l t , so wenn etwa wegen Verzugs des Schuldners nunmehr statt Erfüllung gemäß § 326 Schadensersatz verlangt wird

( R G 6 1 , 390; 85, 242; 116, 285; JW 1913, 129; BGH Betrieb 1958, 307).

c) Schuldumschaffung Anm. 7 Sobald die Forderung zugleich eine rechtsgeschäftliche Umgestaltung erfährt, wenn also eine Kaufschuld fortan als Darlehn geschuldet sein soll (§ 607 Abs. 2), oder wenn der Schuldner nachträglich ein Versprechen oder ein Anerkenntnis abgibt, durch das die Verpflichtung für künftig selbständig begründet wird (§§ 780, 781), liegt der eben unter bb behandelte Fall nicht mehr vor. Unter diesen Umständen kommt vielmehr nur der neue Anspruch in Betracht, bei dem der Tatbestand des § 196 nicht mehr vorliegt ( R G J W 1906, 457 Nr. 10). Es greift alsdann die dreißigjährige Verjährung des § 195 Platz ( R G 75, 4).

Anm. 8 Ein V e r g l e i c h jedoch, in dem sich der Schuldner zur Zahlung für den Fall verpflichtet, daß er in bessere Umstände kommt, gestaltet die Schuld nicht um, sondern bedeutet sachlich nur eine Stundung ( R G J W 1906, 457 Nr. 1 1 ) ; ebensowenig die Ausstellung eines bloßen Schuldscheins ( R G J W 1906, 457 Nr. 10). Durch denAbschluß eines Vergleichs über die der kurzen Verjährung unterliegende Forderung (Werklohnforderung) entsteht wiederum eine der kurzen Verjährung unterworfene Forderung ( R G Gruchot 60, 658).

d) Besondere Fälle Anm. 9 Uber die Verjährung der Verpflichtung aus einem Vertrage zugunsten Dritter, worin sich jemand verpflichtet, eine fremde Schuld zu begleichen, s. R G 1 1 4 , 298.

Anm. 10 Die Verjährung einer Geschäftsschuld, für die der Geschäftsübernehmer nach § 25 H G B mithaftet, läuft zu seinen Gunsten weiter; eine nach der Geschäftsübernahme nur

667

§196 Anm. 11—18

Allgemeiner Teil

gegenüber dem früheren Inhaber vorgenommene Unterbrechung der Verjährung wirkt aber nicht auch gegen den Ubernehmer ( R G 1 3 5 , 104). Dadurch, daß die einer kurzen Verjährungsfrist unterliegende Forderung als Rechnungsposten in ein Kontokorrent aufgenommen wird, büßt sie für die Verjährung ihren rechtlichen Charakter ein. Die §§ 196, 197 gelten für sie nicht mehr ( R G 1 3 2 , 330).

Anm. 11 Der sog. Aufwertungsanspruch unterliegt der nämlichen kurzen Verjährung wie der ursprüngliche Anspruch ( R G 120, 3 5 5 ; WarnRspr 1926 Nr. 1 2 6 ; R A G 5, 230; vgl. auch R G J W 1925, 1 3 7 1 ; 1928, 100; 1930, 1 7 2 8 ; sowie Königsberg H R R 1934, 1 1 8 6 ) . Ebenso der Anspruch auf Ersatz eines Verzugsschadens; seine Verjährung beginnt aber erst mit dem Eintritte der Verzugsfolgen ( R G m , 102; SeufTArch 84 Nr. 207). Wegen der V e r t r a g s s t r a f e vgl. Anm. 22.

3. Gewerbebetrieb Anm. 12 Die Nummern 1—-15 betreffen Forderungen aus berufs- oder gewerbsmäßig übernommenen Leistungen ( R G 60, 3 4 1 ) . Ein Gewerbebetrieb setzt eine dauernde berufsmäßige Tätigkeit voraus, die, auf einen Kreis von Geschäften als Ganzes gerichtet, als eine dauernde, berufsmäßig fließende Einnahmequelle dienen soll ( R G 66,48). Gewerbebetrieb liegt daher nicht vor, wenn die Absicht nur auf einzelne oder mehrere einzelne Geschäfte (die Verwertung nur bestimmter Grundstücke) gerichtet war ( R G Gruchot 57, 935).

Anm. 13 Die Vermietung von Wohnungen durch den Eigentümer stellt regelmäßig keinen Gewerbebetrieb dar, weil es sich gemeinhin nur um eine allgemein übliche Ausnutzung des Eigentums handelt; wohl aber dann, wenn der Eigentümer beabsichtigt, auch unter Aufwendung persönlicher Arbeitsleistungen seinen Unterhalt zu gewinnen ( R G 94> 162).

Anm. 14 Mietet jemand ein Haus im ganzen, um einzelne Weitervermietungen vorzunehmen und sich daraus unter Verwendung seiner persönlichen Arbeitskraft eine dauernde, berufsmäßige Erwerbsquelle zu verschaffen, so liegt ein Gewerbebetrieb vor ( R G 74, 150).

Anm. 15 Gewerbebetrieb einer Baugenossenschaft s. R G WarnRspr 1928 Nr. 73.

Anm. 16 Bei Verträgen eines Gewerbetreibenden kann, wenn sie nicht im Einzelfalle klar erkennbar eine andere Richtung erhalten haben, regelmäßig die Beziehung auf den Gewerbebetrieb angenommen werden ( R G J W 1904, 77).

Anm. 17 Nicht hierher gehört die Lieferung von Vieh f ü r den landwirtschaftlichen Betrieb des Schuldners; die Landwirtschaft ist kein Gewerbebetrieb im Sinne des § 196 Abs. 1 Nr. 1 ( R G 120, 3 5 5 ; auch J e n a J W 1937, 2590 gegen Celle J W 1932, 1573).

4. Zu Nr. 1 a) Kaufmann Anm. 18 Uber den Begriff K a u f m a n n vgl. die §§ 1 — 6 H G B . Nicht schon das bloße Auftreten als K a u f m a n n rechtfertigt die Anwendung des § 196 Nr. 1 ; der Gläubiger muß vielmehr wirklich K a u f m a n n im Sinne des H G B gewesen sein ( R G 89, 1 6 3 ; 129, 403). K a u f m a n n im Sinne des H G B kann auch ein Weingutsbesitzer sein, der

668

Verjährung

§196 A n m . 19—24

nebenberuflich ein Weinkommissionsgeschäft betreibt; die Vermutung des § 344 Abs. 1 H G B gilt auch für die Anwendung der Vorschriften über die Verjährung; für Forderungen aus dem Verkauf eigenen Wachstums kommt Nr. 2 in Betracht ( R G 130, 233).

Anm. 19 Die o b j e k t i v e n V o r a u s s e t z u n g e n müssen bereits zurZeit der Entstehung der Forderung erfüllt gewesen sein ( R G J W 1 9 0 5 , 1 6 9 ) . Das ist nicht der Fall, wenn der Gläubiger erst nachträglich, infolge einer andern Gesetzgebung, Kaufmannseigenschaft erhalten hat, so daß auch die Frage, ob die Person schon vormals K a u f m a n n war, nach dem früheren Rechte zu beurteilen ist ( R G 60, 74).

b) Ware Anm. 20 Ware im Sinne der Nr. 1 sind ganz allgemein bewegliche körperliche Sachen, die Gegenstand des Handelsverkehrs sind oder nach der Anschauung des Verkehrs als Gegenstände des Warenumsatzes in Betracht kommen können, auch in der Verkehrssprache als Waren bezeichnet werden (nicht Wertpapiere R G 74, 1 6 1 ) , selbst wenn sie der K a u f m a n n im einzelnen Falle nicht zum regelmäßigen Absatz bestimmt hat; so auch ein Holzlager, das ein Möbelfabrikant nur im Hinblick auf die bevorstehende Auflösung seines Geschäfts verkauft ( R G 130, 85).

Anm. 21 Bei Forderungen von Kaufleuten ist für den Beginn der Verjährung nicht Bedingung, daß die Waren bereits geliefert sind; dem Wortlaute nach trifft der Ausdruck „ f ü r L i e f e r u n g d e r W a r e n " auch dann zu, wenn sie noch nicht geliefert worden sind, daher die Forderung für eine noch ausstehende Lieferung geschuldet wird ( R G 62, 1 7 8 ; streitig). Vorfrage hierbei ist freilich, ob die Kaufpreisforderung im Sinne des § 198 überhaupt schon entstanden sein kann, bevor die Ware geliefert wird. Indessen ist das grundsätzlich zu bejahen, weil der Anspruch des Verkäufers allein auf dem Abschlüsse des Vertrags beruht (§§ 433 Abs. 2, 320). Solange der Kläger nicht geliefert hat, hat der Gegner nur eine Einrede, und diese hat auch nicht einmal die Hemmung der Verjährung zur Folge (§ 202 Abs. 2; vgl. R G 62, 178).

Anm. 22 c) Vertragsstrafe Der Anspruch für „Lieferung von W a r e n " muß im übrigen, wenn auch nicht die Preisforderung selbst, so doch eine Gegenleistung für die Warenlieferung darstellen; daher ist § 196 nicht anwendbar hinsichtlich der wegen Verletzung sonstiger Vertragspflichten bedungenen V e r t r a g s s t r a f e ( R G 85, 242). Auch der Gesichtspunkt der Ersatzleistung ( R G 6 1 , 390) rechtfertigt nicht die Anwendung des § 196 Nr. 1, wenn die Strafe so hoch bemessen worden ist, daß sie nicht mehr als bloße Ersatzleistung angesehen werden kann, sondern den Berechtigten auch sonst in seinem Interesse schützen soll ( R G 85, 243; J W 1 9 1 4 , 977).

Anm. 23 d) Bereicherungs- und Herausgabeansprüche Der Umstand, daß es sich um einen Bereicherungsanspruch handelt, steht der Anwendung des § 196 Abs. I Nr. 1 nicht entgegen ( R G 86, 97; 129, 401). Der Anspruch auf Herausgabe leihweise mitgelieferter Flaschen gehört nicht hierher, wenn er auf das Eigentum gestützt wird (RG WarnRspr 1929 Nr. 27); ebenso nicht der auf § 989 gestützte Anspruch auf Ersatz für das untergegangene Leergut ( B G H L M B G B §989 Nr. 2).

e) Sonstige Ansprüche Anm. 24 Unter § 196 Abs. 1 Nr. 1, gegebenenfalls Abs. 2 fallen auch Ansprüche wegen unbegründeter Verkürzung des Kaufpreises ( R G WarnRspr 1934 Nr. 150).

669

§196

Allgemeiner Teil

Anm. 25—31 Anm. 25 Der Anspruch des Verkäufers a u f A b n a h m e der Sache ( R G 57, 106) unterliegt der regelmäßigen Verjährung nach § 195 ( R G 62, 183 läßt die Frage unentschieden). Ebenso der Anspruch des Käufers auf Lieferung und Schadensersatz wegen Nichtlieferung ( R G 1 1 6 , 2 8 1 ; H R R 1934, 560) sowie der Anspruch auf Gewährleistung wegen Rechtsmängel ( R G WarnRspr 1932 Nr. 99); für Sachmängel s. § 477.

Anm. 26 Z u den Ansprüchen eines Kaufmanns für „ A u s f ü h r u n g v o n A r b e i t e n " gehört auch der Anspruch des Schleppschiffahrtsunternehmers auf Zahlung des vereinbarten Schlepplohns ( R G 1 1 8 , 27). Über den Beginn der Frist vgl. § 201.

Anm. 27 f) Handwerker und Kunstgewerbetreibender Nach R G Gruchot 50, 95 ist Handwerker, wer nach althergebrachter Arbeitsteilung in kleinerem Umfange durch Alleinarbeit oder doch unter eigener Mitarbeit gewisse Gebrauchs- oder Verbrauchsgegenstände herstellt und in den Verkehr bringt oder sonst bestimmte Werke verrichtet, während der Betrieb eines K u n s t g e w e r b e s erfordert, daß die Erzeugnisse eine künstlerische Beschaffenheit aufweisen.

g) Bauunternehmer und Architekten Anm. 28 Arbeiten eines Z i v i l i n g e n i e u r s o d e r B a u u n t e r n e h m e r s (zum chausseebaumäßigen Ausbau eines Weges) fallen weder unter den Begriff des Handwerks (Nr. 1) noch unter den der Dienstleistungen nach Nr. 7 ( R G 60, 74; Gruchot 50, 93). I n R G 66) 50; J W 1905, 1 1 0 ; 1 9 1 3 , 196 ist die kurzbefristete Verjährung aus § 196 Nr. 1 bei Ansprüchen aus einem Bauentreprisevertrag gleichfalls als ausgeschlossen erachtet.

Anm. 29 Die Honorarforderung eines A r c h i t e k t e n fällt nicht unter Nr. 1, sondern unter Nr. 7, falls nicht ein Werkvertrag vorliegt, auf den die Vorschrift zu Nr. 7 nicht anzuwenden ist ( R G 97, 1 2 5 ; 72, 179; 86, 75).

Anm. 30 Nach R G 70, 28 in Ubereinstimmung mit R G 66,4; J W 1907,325 u. 1908, 235 unterliegen aber auch die Ansprüche eines Kaufmanns wie diejenigen eines Handwerkers der kurzen Verjährung, falls die Bauarbeiten von den Genannten in ihrer Eigenschaft als K a u f m a n n und Handwerker übernommen sind. Es ist dabei davon ausgegangen, daß es einen eigenartigen Vertrag betreffend die Übernahme eines Baues neben dem Werkvertrage nach geltendem Rechte nicht mehr gebe. Dieser Standpunkt erscheint zutreffend. Der Bauunternehmer braucht freilich nicht notwendig immer K a u f m a n n , Hat Fabrikant, Handwerker oder Unternehmer eines Kunstgewerbes zu sein. jemand einen Bau in keiner der bezeichneten Eigenschaften übernommen, dann wird allerdings auch für die Anwendung von § 196 Nr. 1 kein R a u m sein, weil es an den objektiven Voraussetzungen der Bestimmung fehlen würde (Anm. 12). Bauunternehmer als Handwerker s. Königsberg H R R 1934, 1 1 8 6 . Vgl. auch R G WarnRspr 1908 Nr. 286 und J W 1908, 328, wonach ein Bauunternehmer weder zu den Handwerkern noch ohne weiteres zu den Kaufleuten gehört.

h) Besondere Fälle Anm. 31 Der § 196 Abs. 1 findet auch gegenüber der Haftung desjenigen Anwendung, der für eine noch nicht eingetragene G m b H handelt (§ 1 1 Abs. 2 G m b H G ) , weil die Sache auch jetzt schon so anzusehen ist, wie der Fall sein würde, wenn die Gesellschaft bereits eingetragen gewesen und das Rechtsgeschäft schon mit ihr abgeschlossen wäre ( R G 75, 203).

670

Verjährung

§196

Anm. 32—39 Anm. 32 Für Künstler (z. B. eine Sängerin), die höhere Kunstleistungen, wenn auch gegen Entgelt darbieten und daher nach der Auffassung des Verkehrs nicht als Gewerbetreibende gelten, kommt der § 196 Nr. 1 nicht in Betracht ( R G 75, 52).

Anm. 33 Werden Waren von mehreren Personen bestellt, die Gesamtschuldner sind, dann genügt es für die Anwendung des § 196 Nr. 1, wenn die Leistung nur für den Gewerbebetrieb des einen von den Schuldnern erfolgt ist, wenn der andere am Gewerbebetriebe nicht beteiligt ist; auch ihm gegenüber läuft alsdann die kurze Verjährung ( R G 78, 275)-

Anm. 34 Eine Anwendung der Ausnahmebestimmungen des § 195 auf wesentlich andere als die im Gesetz ins Auge gefaßten Ansprüche ist nicht statthaft ( R G 1 1 6 , 281, 286).

Anm. 35 Nicht anzuwenden ist § 196 Nr. 1 oder 3, sondern § 195 auf den Anspruch einer Eisenbahngesellschaft gegen eine andere auf Auskehrung eines Frachtanteils auf Grund einer Beförderungsgemeinschaft ( R G J W 1934, 1 1 1 3 ) .

Anm. 36 Nicht anzuwenden ist § 196 Nr. 1 ferner auf Lieferungsansprüche und Schadensersatzansprüche wegen Nichtlieferung, die ein Bezirksvertreter gegen die von ihm vertretene Fabrik erhebt, weil diese die vertragsmäßige Belieferung des Vertreters mit den zur Erfüllung seiner Verkaufsabschlüsse nötigen Kraftwagen und Ersatzteilen vorzeitig vertragswidrig eingestellt hat ( R G J W 1938, 3 1 7 ) .

Anm. 37 Gleichgültig ist überall die Höhe der Forderung ( R G J W 1907, 359), und die Nebenverpflichtung teilt gemäß § 224 das Schicksal der Hauptforderung ( R G 62, 183). Hierzu zählt nicht der auf Eigentum gestützte Anspruch auf Rückgabe des mitgelieferten Packmaterials, der Leerflaschen usw. (vgl. Anm. 23).

Anm. 38 i) Leistungen für den Gewerbebetrieb des Schuldners Der Ausnahmefall der Leistung für den Gewerbebetrieb des Schuldners — bei dem Abs. 2 des § 196 Anwendung findet —, setzt nur die Zweckbestimmung voraus, dagegen nicht auch, daß die empfangene Leistung auch wirklich in dem Betriebe des Schuldners verwendet worden ist ( R G J W 1905, 1 1 0 ) . Es genügt, daß die Leistung irgendwie dem Zwecke des Geschäfts dienlich ist ( R G 5, 274; Gruchot 32, 1077), mag es sich auch erst um dessen Begründung gehandelt haben ( R G 8 1 , 9). Wer das Vorhandensein des Ausnahmefalles behauptet, hat für ihn die Beweislast. Ausnutzung ihres Grundbesitzes durch eine Gemeinde (Landgemeinde) als Gewerbebetrieb s. R G J W 1929, 179. Gewerbebetrieb i. S. dieser Bestimmung ist auch der landwirtschaftliche Betrieb (Celle J W 1932, 1 5 7 3 ; L G Cleve N J W 1954, 1890; L G Detmold R d L 1958, 4 3 ; a M R G 120, 3 5 6 ; K G O L G 20, 7 1 ; Breslau O L G 22, 164.

Anm. 39 k) Schuldner Der Ausdruck „Schuldner" im Sinne von Nr. 1 ist wörtlich zu verstehen und ist nicht gleichbedeutend mit „ E m p f ä n g e r " . Die Ausnahmevorschrift greift also nicht Platz, wenn Schuldner und Empfänger nicht dieselbe Person sind, z. B. jemand in eigenem Namen, aber für den Gewerbebetrieb eines Dritten gekauft hat, und sie gilt, wenn mehrere eine Ware als Gesamtschuldner gekauft haben, aber nur einer von ihnen sie für seinen Gewerbebetrieb empfangen hat, nur für diesen ( R G 78, 275).

671

§196

Allgemeiner Teil

A n m . 40—48

5. Erläuterungen zu Nr. 2—17 Zu Nr. 2 Anm. 40 Streitig ist, ob hierunter auch die sog. U r p r o d u k t i o n , wie insbesondere J a g d und Fischerei, fallen. Eine entsprechende Anwendung (so S t a u d i n g e r / G o i n g I i . Aufl. § 196 A n m . 19) ist nicht zulässig. Denn unbedingt ist für die Anwendung der Bestimmung Voraussetzung, daß der Gläubiger „ L a n d - o d e r F o r s t w i r t s c h a f t b e t r i e b e n h a t " , und zwar berufsmäßig ( R G 60, 3 4 1 ) . Nun kann freilich die Ausübung der J a g d und der Fischerei, die Gewinnung von Sand, Steinen usw. ein Nebengewerbe der bezeichneten Betriebe darstellen. Dann wäre die Anwendung des Gesetzes aus diesem Grunde unmittelbar zulässig. Zu den landwirtschaftlichen Betrieben im Sinne der Nr. 2 ist auch der Weinbau zu rechnen ( R G 130, 233).

Anm. 41 Das Vorhandensein der Einschränkung, daß die Lieferung zum Zwecke der Verwendung im Haushalte erfolgt ist, hat zu beweisen, wer die kurze Verjährung geltend macht.

Zu Nr. 3 Anm. 42 Auch die Ansprüche des Staates als Eisenbahnfiskus gehören hierher ( R G J W 1907, 56; s. auch EisenbahnverkehrsO v. 8. 9. 1938, R G B l I I 663, § 94). Streitig, ob auch die des Postfiskus. Die Frage dürfte zu verneinen sein. Die handelsrechtlichen Vorschriften vom Frachtgeschäft sollen auf die Postverwaltungen des Reiches sowie der Einzelstaaten nicht Anwendung finden (§452 H G B ) . Das Gesetz setzt aber in § 196 objektiv die Forderung „ e i n e s F r a c h t f u h r m a n n s " ausdrücklich voraus, entsprechend wie unter Nr. 1 die Eigenschaft des Berechtigten als K a u f m a n n usw.

Anm. 43 Der kurzen Verjährung unterliegt auch der an Stelle der Frachtgebühr tretende Anspruch des Frachtführers auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung ( R G 6 1 , 3 9 1 ) .

Anm. 44 Unter Nr. 3 fallen auch die Ansprüche aus Frachtverträgen zwischen Großkaufleuten, und zwar auch aus der Beförderung zur See ( R G 86, 42 a). Uber den Anspruch einer Eisenbahngesellschaft gegen eine andere auf Auskehrung eines Frachtanteils auf Grund einer Beförderungsgemeinschaft s. oben Anm. 35. Die Vorschrift ist gleichfalls nicht anzuwenden auf die Ansprüche der Schleppschiffahrtsunternehmer auf Zahlung des vereinbarten Schlepplohns; der Schleppvertrag ist Werkvertrag, aber nicht Frachtvertrag ( R G 1 1 8 , 27).

Anm. 45 Z u N r . 4. Hierzu rechnen auch die Forderungen der Pensionsinhaber für Wohnung und Beköstigung.

Anm. 46 Z u N r . 5. Vgl. §§ 763, 134. Bei einer hiernach nichtigen Forderung könnte Verjährung überhaupt nicht in Frage kommen. Erfordert ist ein berufsmäßiger Betrieb (RG 60, 3 4 1 ) .

Anm. 47 Z u N r . 6. Uber Vermietung von unbeweglichen Sachen s. § 197.

Zu Nr. 7 Anm. 48 Kommissionäre gehören zu den Kaufleuten (Nr. 1 ) ; unter Nr. 7 fallen Agenten, Naturärzte, Stellenvermittler, Lohndiener, Prozeßagenten, 672

Verjährung

§196 A n m . 49—55

H e l f e r i n S t e u e r s a c h e n . § 196 Nr. 7 ist nicht nur in den Fällen anzuwenden, in denen es sich um die Erledigung alltäglicher, kleiner gewerbsmäßiger Geschäftsbesorgungen und Dienstleistungen handelt, sondern auch dann, wenn die Ansprüche aus einer einzelnen wirtschaftlich bedeutsamen Geschäftsbesorgung herrühren ( R G 8 1 , g), beispielsweise aus der Umwandlung eines Geschäfts in eine Aktiengesellschaft, sofern kein Werkvertrag vorliegt ( R G 72, 179).

A n m . 49 Der Werkvertrag fällt nicht unter Nr. 7 ; daher auch nicht der Anspruch des Bauunternehmers ( R G J W 1 9 1 3 , 196). Der zwischen dem Bauherrn und dem Architekten abgeschlossene Vertrag kann allerdings auch Dienstvertrag (nicht Werkvertrag) sein, nämlich dann, wenn die Hauptleistung nicht in der Herstellung des Bauplanes, sondern in der Leitung des Baues besteht ( R G 86, 75; J W 1930, 1728). Liegt ein Werkvertrag vor, dann greift die Vorschrift Nr. 7 überhaupt nicht Platz ( R G 97, 1 2 5 ; 72, 179; 86, 75). Daher gehören auch Ansprüche eines Architekten, der als Unternehmer eines Straßenbaues tätig geworden ist, nicht hierher ( R G 129, 401).

A n m . 50 Wesentlich ist für die Anwendbarkeit der Nr. 7, daß gerade durch die gewerbsmäßige Besorgung fremder Geschäfte oder Leistung von Diensten selbst schon „gebührende Vergütungen mit Einschluß der Auslagen" erworben werden; es genügt nicht, daß j e m a n d nachträglich die Ergebnisse seiner Arbeit verkauft ( R G 1 2 3 , 378).

Zu Nr. 8 Anm. 51 Die Vorschrift setzt ein Dienstverhältnis mit fortlaufenden Dienstleistungen und Bezügen voraus; soll der Dienstverpflichtete, etwa nach Besserung der Vermögensverhältnisse des Dienstberechtigten, später eine einmalige Vergütung erhalten, so gilt die regelmäßige Verjährung von 30 J a h r e n ( R G WarnRspr 1928 Nr. 143). Ebensowenig ist § 196 Nr. 8 auf selbständige Handelsvertreter im Sinne des § 84 H G B anzuwenden ( K G J W 1937, 2823). Nichtanwendbarkeit des § 196 Nr. 8 wurde auch angenommen in einem Falle, in dem der Dienstverpflichtete völlig außerhalb des Rahmens des bisherigen Dienstverhältnisses Vergütung wie ein selbständiger Unternehmer erhielt ( R A G 1 5 , 156). Dagegen findet die kurze Verjährung auch Anwendung bei einer vertraglich f ü r die vorzeitige Auflösung eines Dienstvertrages ausbedungenen Abfindungssumme ( R A G 14. 10. 1 9 3 1 , 269/31).

A n m . 52 I m übrigen gehören hierher die Ansprüche aller derjenigen, die im Privatdienste stehen, und zwar nicht nur hinsichtlich des Gehalts, sondern hinsichtlich aller Bezüge ( R G 19. 6. 1906 I I I 538/05), einschließlich des Anspruchs auf einen Anteil am Gewinn ( R G J W 1 9 1 8 , 550; R A G 14, 20) und des Ruhegehalts; unter § 197 fallen nur Ansprüche aus öffentlichen Beamtenverhältnissen ( B A G N J W 1955, 1 1 6 7 ) . Ruhegehaltsanspruch des Angestellten einer privaten Versicherungsgesellschaft s. R A G 5, 230.

A n m . 53 Unter § 196 Nr. 8, nicht § 197, fallen ferner die Ansprüche der Privatangestellten von Berufsgenossenschaften ( R A G WarnRspr 1932 Nr. 20).

A n m . 54 Auch der wegen vertragswidrigen Verhaltens des Prinzipals gegebene Schadensersatzanspruch unterliegt der kurzen Verjährung ( R G J W 1 9 1 8 , 550).

A n m . 55 Werden nicht abgehobene Teile des Gehalts vom Arbeitgeber in laufende Rechnung aufgenommen, so verlieren sie ihren rechtlichen Charakter als Dienstlohnforderung, und die Vorschrift des § 196 Nr. 8 findet keine Anwendung ( R G 1 3 2 , 326).

673

§196

A n m . 56—64

Allgemeiner Teil

A n m . 56 Der Einrede der kurzen Verjährung des Lohnanspruchs läßt sich nicht dadurch begegnen, daß der Anspruch auf Verletzung der Fürsorgepflicht des Dienstberechtigten gestützt wird ( R A G 16, 69). A n m . 57 Z u N r . 9. Forderungen der Arbeitgeber können hier nur insoweit in Betracht kommen, als sie auf Erstattung von Vorschüssen gehen. A n m . 58 Z u N r . 11. „Nicht berührt durch die Vorschrift wird das Schulgeld, zu dessen Entrichtung das öffentliche Recht verpflichtet" (Mot. 1, 301). Auch Verpflegungsansprüche der Provinzial-Irrenanstalten gehören hierher ( R G Gruchot 52, 125), dagegen nicht Ersatzansprüche eines Armenverbandes wegen des einem Hilfsbedürftigen gewährten Unterhalts gegen diesen selbst oder gegen dritte Unterstützungspflichtige ( R G 72, 334). A n m . 59 Z u N r . 12. Vorausgesetzt ist gewerbs- oder berufsmäßiger Betrieb ( R G 60, 340)• A n m . 60 Z u N r . 13. Ausgenommen sind insbesondere die nach den staatlichen Einrichtungen gestundeten Kollegiengelder der Universitätsprofessoren (Mot. 1, 302). Z u N r . 14 A n m . 61 In Betracht kommen nur Forderungen a p p r o b i e r t e r Ä r z t e und H e b a m m e n , und zwar auch dann, wenn der Arzt seine Praxis schon aufgegeben hat und nur noch in besonderen Einzelfällen tätig wird. Forderungen der Naturärzte usw. fallen, soweit diese die Dienste im Gewerbebetriebe leisten, unter Nr. 7; sonst greift die dreißigjährige Verjährung Platz. A n m . 62 In Betracht kommen ferner nur Forderungen aus der Ausübung der beruflichen Tätigkeit; daher nicht die Ansprüche eines Arztes auf Zahlung des Betrages, den ihm während des Kampfes zwischen den Krankenkassen und dem Leipziger Ärzteverband eine Krankenkasse für den Fall zugesichert hat, daß seine Dienste von ihr nicht in Anspruch genommen werden sollten ( R G J W 1927, 1846; WarnRspr 1927 Nr. 65; 1931 Nr. 56; SeuffArch 81 Nr. 44). Z u N r . 15 A n m . 63 Fassung gemäß Art. X Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher Vorschriften vom 26. 7. 1957, BGBl I 861. Die Verjährung der Ansprüche der Gerichtsvollzieher, die früher ebenfalls durch diese Bestimmung geregelt wurde, ist jetzt in § 12 des Gesetzes über Kosten der Gerichtsvollzieher vom 26. 7. 1957, BGBl I 887, geregelt. Die Verjährungsfrist für diese Ansprüche beträgt 4 Jahre. A n m . 64 Hierunter fallen Rechtsanwälte (dazu R G WarnRspr 1929 Nr. 130), die öffentlich bestellten oder zugelassenen Feldmesser, Fleischbeschauer, Auktionatoren, Bücherrevisoren und Wirtschaftsprüfer. Auch der Anspruch des Armenanwalts gegen die Staatskasse gehört hierher (München SeuffArch 85 Nr. 90; Stuttgart H R R 1933, 1306); ebenso der Anspruch des Pflichtverteidigers gegen die Staatskasse (Hamburg J W 1938, 1201).

674

Verjährung

§ 1 9 6 A n m . 60—68 §197

Anm. 65 Für Notare s. jetzt KostO §§ 1 4 1 , 143, 17. Soweit die Gebühren dem Notar selbst zufließen, verjährt die Gebührenforderung in 2 J a h r e n . Das gilt auch dann, wenn der Notar seine Kostenrechnung nach §§ 154, 155 KostO mit einer Vollstreckungsklausel versehen hat ( K G N J W 1955, 633). Die Verjährung wird schon durch die Aufforderung zur Zahlung oder eine dem Schuldner mitgeteilte Stundung unterbrochen, §§ 1 4 1 , 143, 17 Abs. 3 Satz 2 KostO.

Anm. 66

Bei einer nachträglichen Änderung des Streitwerts beginnt die Verjährung für den Anspruch des Rechtsanwalts auf den Mehrbetrag der Gebühren mit dem Schluß des Jahres, in dem der Streitwert neu festgesetzt wurde ( K G J W 1930, 576, 579; a A Düsseldorf J W 1928, 1522). Vgl. auch Tschischgale, Verjährung und Verwirkung im Anwaltskostenrecht AnwBl. 1958, 1 8 1 .

Anm. 67 Z u N r . 1 7 . Nach § 14 Z e u g G e b O „erlischt" die Gebührenforderung, wenn das Verlangen nicht binnen 3 Monaten gestellt worden ist. Insoweit handelt es sich um eine Ausschlußfrist. Die Bestimmung Nr. 17 trifft nach § 14 Abs. 4 Z e u g G e b G dann zu, wenn das Verlangen während der Ausschlußfrist gestellt und so dem Erlöschen der Forderung noch vor Ablauf der Verjährungsfrist vorgebeugt worden ist. Die Verjährung des § 196 läuft jedoch nach § 198 von der Entstehung des Anspruches an (so jetzt auch S t a u d i n g e r / C o i n g 1 1 . Aufl. § 196 Anm. 33).

Anm. 68 6. Vierjährige Verjährung nach Abs. 2 Soweit die Ansprüche der Nr. 1, 2, 5 nicht der zweijährigen Verjährung unteriegen, verjähren sie in vier J a h r e n gemäß Abs. 2. Das trifft zu, wenn die Leistungen erfolgt sind: bei Nr. 1 für den Gewerbebetrieb des Schuldners—• Beweislast des Gläubigers — ; bei Nr. 2 für andere Zwecke als zur Verwendung im Haushalt des Schuldners, sei es für ihn, sei es für die sonstigen, seinem Haushalt zugehörenden Personen — Beweislast des Schuldners, der die kürzere Verjährungsfrist geltend machen will — ; endlich bei Nr. 5 zum Zwecke des Weitervertriebs der Lose •— Beweislast des Gläubigers, falls er sich auf die längere Verjährungsfrist beruft.

§197 In vier Jahren verjähren die Ansprüche auf Rückstände von Zinsen, mit Einschluß der als Zuschlag zu den Zinsen zum Zwecke allmählicher Tilgung des Kapitals zu entrichtenden Beträge, die Ansprüche auf Rückstände von Miet- und Pachtzinsen, soweit sie nicht unter die Vorschrift des§ 196 Abs. 1 Nr. 6 fallen, und die Ansprüche auf Rückstände von Renten, Auszugsleistungen, Besoldungen, Wartegeldern, Ruhegehalten, Unterhaltsbeiträgen und allen anderen regelmäßig wiederkehrenden Leistungen. E I 157 II 164; M l 305 ff; P I 202 ff 207ff, 2i2ff.

Übersicht

Vierjährige Verjährungsfrist Anm.

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Zinsen Renten Besoldungsansprüche Rückstände von Unterhaltsbeiträgen Wiederkehrende Leistungen Beginn des Fristlaufs

i—4 5 6 7—9 10—12 13

675

§197 Anm. 1—9

Allgemeiner Teil

1. Zinsen Anm. 1 Hierher gehören Zinsen aller Art (§ 301), rechtsgeschäftliche wie gesetzliche, beispielsweise Verzugszinsen, oder Zinsen aus § 36 Abs. 2 PrEnteigG (RG 65, 129; J W 1908, 656), sowie Rückstände von gesetzlichen Zinsen (RG WarnRspr 1908 Nr. 17), auch Hypotheken- und Grundschuldzinsen (§ 902 Abs. 1 Satz 2). Anm. 2 R ü c k s t ä n d e von Z i n s e n liegen auch dann vor, wenn die gesamte Zinsschuld noch rückständig, d. h. fällig und nicht getilgt ist. Hierher gehören auch Zinsen aus einem vor Inkrafttreten des BGB im Gebiete des preußischen Rechts erlassenen rechtskräftigen Urteile (RG 70, 68). Anm. 3 Die Z u s c h l ä g e müssen als solche „zu den Zinsen" vereinbart sein (Amortisationsquoten) ; es darf sich also nicht um sonstige selbständige Teilzahlungen handeln. Dividenden haben nicht die Natur von Zinsen; sie bedeuten Anteil am Gewinne. Anm. 4 Wegen des Mietzinsanspruchs der gewerbsmäßigen Vermieter beweglicher Sachen vgl. § 196 Nr. 6. Vgl. ferner § 196 Anm. 13, 14 wegen Vermietung im Gewerbebetriebe. Anm. 5 2. Renten Vgl. die §§ 759ff, 843, 912 Abs. 2, 916, 917 Abs. 2, 1199, 1361, 1580, 1612, 1710. Hierher gehören auch Renten aus Stiftungen und Fideikommissionen sowie Aulösungsrenten (Mot. 1, 305). Anm. 6 3. Besoldungsansprüche Hierbei handelt es sich ausschließlich um öffentlich-rechtliche Bezüge, im Gegensatz zu den Ansprüchen der Privatbediensteten, die nach § 196 Nr. 8 bereits in zwei Jahren verjähren (BAG NJW 1955, 1167). Nicht hierher gehören auch die Ansprüche der Privatangestellten von Berufsgenossenschaften (RAG WarnRspr 1932 Nr. 20). Von den Ansprüchen der öffentlichen Beamten sind der kurzen Verjährung nur unterworfen die auf regelmäßig wiederkehrende Leistungen gerichteten, wie auf Besoldung, Ruhegehalt; dagegen nicht etwaige Ansprüche auf Ersatz von Auslagen oder auf Tagegelder (RG 84,406). Für den Aufwertungsanspruch gilt die gleiche Verjährungsfrist wie für den ursprünglichen Gehaltsanspruch (RG WarnRspr 1932 Nr. 130). 4. Rückstände von Unterhaltungsbeiträgen Anm. 7 Hierzu gehören alle Beiträge, die hätten geleistet werden müssen und nicht geleistet worden sind; sie unterliegen, soweit sie nach § 1613 für die Vergangenheit geltend gemacht werden können, der vierjährigen Verjährung; daß die Beiträge dem Grunde wie der Höhe nach bereits festgestellt sind, gehört nicht zum Begriffe des Rückstandes (RG 72, 334, 340ff). Anm. 8 Als U n t e r h a l t u n g s b e i t r ä g e sind auch die auf Reichs- oder Landesgesetz beruhenden Leistungen zur Versorgung der Hinterbliebenen von Beamten zu verstehen. Anm. 9 Die Uberleitungsanzeige nach § 2 1 a FürsPflVO v. 13. 2. 1924, RGBl I 100, bewirkt, daß die Ansprüche des Hilfsbedürftigen gegen den Dritten auf den Fürsorgeverband übergehen (BGH 20, 127, 130). Ubergegangene Ansprüche verjähren dann nach den 676

Verjährung

§ 197

A n m . 10—13 f ü r sie geltenden Bestimmungen, Unterhaltsansprüche nach § 197 in 4 J a h r e n . Dagegen verjährt der Erstattungsanspruch, den ein Fürsorgeverband gegen den anderen Verband nach den Bestimmungen der Verordnung über die Fürsorgepflicht hat, nach § 1 8 a dieser Verordnung in 2 J a h r e n , gerechnet vom Ablauf des Jahres, in dem dieser A n spruch entstanden ist.

5. Wiederkehrende Leistungen A n m . 10 Ansprüche auf Rückstände von regelmäßig wiederkehrenden Leistungen sind solche, die von vornherein und ihrer Natur nach auf Leistungen gerichtet sind, die nicht einmal, sondern in regelmäßiger zeitlicher Wiederkehr zu erbringen sind. Daran fehlt es, wenn ein einheitlicher Anspruch ausnahmsweise durch Zahlung einer Rente zu befriedigen ist, wie es z.B. bei dem Schmerzensgeldanspruch nach § 847 und bei dem Aufopferungsanspruch nach § 75 Einl. P r A L R der Fall sein kann ( B G H L M P r A L R Einl. § 75 Nr. 23).

A n m . 11 F ü r den Begriff der w i e d e r k e h r e n d e n L e i s t u n g e n kommt es nur auf die fest bestimmte regelmäßige zeitliche Wiederkehr an, nicht aber auf die Gleichmäßigkeit des Betrags ( R G 88, 46; J W 1 9 1 2 , 7 9 1 ; B G H 28, 150). Entscheidend ist allein, daß nach Gesetz oder Parteivereinbarung an von vornherein bestimmten regelmäßig wiederkehrenden Terminen Leistungen zu erbringen sind. Die Höhe der einzelnen Leistung braucht nicht von vornherein festgelegt zu sein. Sie kann schwanken und es kann sich ergeben, daß zu einzelnen Terminen keine Leistungen zu erbringen sind. Deswegen sind in B G H 28, 144 mit Recht die zu regelmäßig wiederkehrenden Terminen fällig werdenden Gewinnanteilsansprüche aus einem Patentverwertungsvertrag als Ansprüche auf regelmäßig wiederkehrende Leistungen im Sinne des § 197 angesehen worden; a A Düsseldorf, Betrieb 1957, 555 für den Anspruch auf Gewinnbeteiligung aus einem partiarischen Rechtsgeschäft. Ein Anspruch auf eine wiederkehrende Leistung ist auch der Anspruch auf die Lizenzgebühr ( R G 88, 43). Die (zeitlich beschränkten) Leistungen der Krankenkassen an die sog. Nothelfer sind wiederkehrende Leistungen im Sinne des § 197 ( R G J W 1 9 3 1 , 1457). Auch die auf längere Zeit in regelmäßiger Wiederholung zahlbaren laufenden Vergütungen des Vermittlers eines langfristigen Vertrages gehören hierher ( R G 153, 375).

A n m . 12 Eine vierjährige Verjährungsfrist hat das Reichsgericht auch für die Ansprüche desjenigen angenommen, der als Geschäftsführer ohne Auftrag für den Erzeuger eines unehelichen Kindes diesem Unterhalt gewährt hat ( R G 170, 252; a A Hamburg J W 1936, 3066 und Stuttgart N J W 1 9 5 5 , 1 5 9 3 ; irrig S t a u d i n g e r / C o i n g 1 1 . Aufl.§ 197 A n m . 8 ) . Dieses Urteil des Reichsgerichts widerspricht nicht den Entscheidungen R G 69, 429 und 86, g6, nach denen der Anspruch des Geschäftsführers ohne Auftrag, der eine einer kurzen Verjährung unterliegende Forderung für einen Dritten erfüllt hat, erst in 30 J a h ren verjährt (vgl. § 196 A n m . 5). In R G 170, 252 ist die kurze Verjährung nicht mit Rücksicht auf die für die Unterhaltsforderung geltende vierjährige Verjährung angenommen worden, sondern weil das Reichsgericht den Anspruch des Geschäftsführers ohne Auftrag auf Ersatz seiner Aufwendungen seiner Natur nach selbst als einen A n spruch auf regelmäßig wiederkehrende Leistungen angesehen hat, der als solcher unter § 197 fällt. O b der Anspruch in dem vom Reichsgericht entschiedenen Fall in dieser Weise charakterisiert werden konnte, ist allerdings mindestens zweifelhaft.

A n m . 13 6 . B e g i n n d e s F r i s t l a u f s . Der Beginn des Fristlaufs richtet sich nach § 201. 44

Komm. z. BGB. II. Aufl. I. Bd. (Johannsen)

677

§198 Anm. 1, 2

Allgemeiner Teil

§198 Die Verjährung beginnt mit der Entstehung des Anspruchs. Geht der Anspruch auf ein Unterlassen, so beginnt die Verjährung mit der Zuwiderhandlung. E I Ij8 II 165; M I 307ff; P 1 209g.

Ubersicht

Beginn der Verjährung Anm.

1. Allgemeines 1 2. Entstehung des Anspruchs 2—18 a) Allgemeines 2—6 b) Gewährleistungsanspruch aus formlosem Grundstücksveräußerungsvertrag 7 c) Rückgriffsansprüche 8—10 d) Abänderungsklage aus § 323 Z P O 11 e) Vertrag zugunsten Dritter 12 f)—1) Sonderfälle 13—18 3. Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung 19—21 4. Kenntnis von der Rechtsverletzung und dem Bestehen des Anspruchs . . 22—26 a) Bedeutung im allgemeinen 22 b) Bedeutung für den Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung. 23 c) Bedeutung f ü r den Pflichtteilsanspruch 24 d) § 1 5 1 P r B e r g G und § 60 Abs. 1 H G B 25 e) Bekanntgewordener Schaden 26 27, 28 5. Zuwiderhandeln gegen den Anspruch auf Unterlassen

Anm. 1 1. Allgemeines Die §§ 199, 200 behandeln Fälle, in denen die Verjährung früher beginnt, als dies nach der Regel des § 198 der Fall sein müßte, der § 201 schiebt dagegen den Beginn der Verjährung hinaus, und die §§ 202—205 handeln von der Hemmung des Fristablaufs. Falls keiner der bezeichneten Fälle vorliegt, greift die allgemeine Regel des § 198 Satz 1 Platz, daß die Verjährung m i t d e r E n t s t e h u n g d e s A n s p r u c h s beginnt. Nur für gewisse Sonderfälle hat das Gesetz den Beginn der Verjährung noch an andere Tatsachen als die Entstehung des Anspruchs geknüpft, so bei der Wandlung und Minderung an die Ubergabe (§ 477), bei der Wandlung beim T i e r k a u f a n das Ende der Gewährfrist (§490), bei Ansprüchen aus einer Schuldverschreibung an die Vorlegung der Urkunde (§801 Abs. 1 Satz 2). Erste Voraussetzung für den Beginn der Verjährung ist aber auch hier überall, daß der Anspruch überhaupt entstanden ist. So kann die Verjährung der Gewährleistungsklage wegen Mängel erst mit dem Wirksamwerden des Kaufvertrags (beispielsweise durch vormundschaftsgerichtliche Genehmigung) beginnen, auch wenn die Ubergabe der Sache bereits früher erfolgt war ( R G 65, 245). Dagegen ist keine Voraussetzung für den Beginn der Verjährung die Kenntnis des Anspruchs ( R G WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 46), vgl. unten Anm. 22.

2. Entstehen des Anspruchs a) Allgemeines Anm. 2 Der Anspruch ist entstanden, sobald er geltend gemacht werden, sobald also im Sinne des § 194 das „ T u n " oder das „Unterlassen" gefordert werden kann (Zeitpunkt der actio nata). Bei einer Vertragsschuld ist der fragliche Zeitpunkt durch Auslegung des Vertrages zu ermitteln ( R G J W 1 9 1 2 , 29). Erforderlich ist demnach gegebenenfalls, daß sich der gesamte Tatbestand, auf Grund dessen der Gläubiger 678

Verjährung

§198 Anm. 3—10

nunmehr fordern kann (RG J W 1 9 1 2 , 29), und der zum Wirksamwerden des Rechtsgeschäfts gehört, erfüllt hat; jedenfalls soweit, daß eine F e s t s t e l l u n g s k l a g e erhoben werden kann (RG 83, 358; 153, 1 0 1 ) . Anm. 3 Bei dinglichen Rechten entsteht der Anspruch erst mit der Verletzung ( § 1 9 4 Anm. 2). Anm. 4 Bei Scbuldverhältnissen wird die Entstehung des Anspruchs regelmäßig mit der Entstehung des Gläubigerrechts zusammenfallen, und zwar ohne Rücksicht auf einen etwaigen Verzug, so bei der Verwahrung, bei welcher die hinterlegte Sache „jederzeit" zurückgefordert werden kann (§ 695); ferner beim Kaufe, wo die Forderung auf den Preis unter gewöhnlichen Umständen (s. Ausnahme unter § 202 Abs. 1) mit dem Abschlüsse des Vertrags entstanden ist (RG 62, 178; 83, 179). Anm. 5 Bedingte Ansprüche, die erst mit Eintritt der Bedingung wirksam werden, und befristete, bei denen der Zeitpunkt der Verfolgbarkeit des Anspruchs hinausgeschoben ist, sind im Sinne des § 198 erst mit Eintritt der Bedingung oder des Zeitpunkts entstanden. Demzufolge beginnt die Verjährung erst mit Eintritt der Bedingung oder des Zeitpunkts (RG H R R 1 9 3 1 , 1 1 2 4 : aufschiebende Bedingung). Vgl. auch R G 65, 245 bei Anm. 1. Anm. 6 Bei nachträglich eingetretener Vergrößerung des Schadens beginnt insoweit eine neue Verjährung (RG 2 . 6 . 1 9 1 0 V I 381/09, vgl. jedoch unten Anm. 19, 20); gleichfalls, wenn an die Stelle des ursprünglichen Vertragsanspruchs der Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung (§§ 280, 283, 325, 326) tritt; denn hier liegt ebenfalls ein neu entstandener Anspruch vor (zustimmend R G 128, 76). Anm. 7 b) Die Verjährung eines Gewährleistungsanspruchs aus einem formlosen Grundstücksveräußerungsvertrage kann erst von dem Zeitpunkte ab beginnen, wo Auflassung und Eintragung erfolgt sind, mithin nicht schon mit der Übergabe (RG 75; 114; I34> 87)c) Rückgriffsansprüche Anm. 8 Ein Rückgriffsanspruch ist entstanden, sobald durch das Verschulden des Haftbaren sich die Vermögenslage des Geschädigten verschlimmert hat. Das gilt auch für die Verjährung des Schadensersatzanspruchs gegen einen Rechtsanwalt (vgl. § 195 Anm. 14); sie beginnt also, sobald durch das Versehen des ersatzpflichtigen Rechtsanwalts zugunsten des in erster Linie Verpflichteten die Einrede der Verjährung entstanden (RG 90, 84) oder sonst ein Schaden eingetreten ist (RG 153, 1 0 1 ; H R R 1938, 1 0 4 1 ; s. auch L G Berlin J W 1938, 1838). Anm. 9 Die Kenntnis von dem Bestehen eines Ersatzanspruchse ist nicht Voraussetzung für den Beginn der Verjährung (RG J W 1935, 2276; WarnRspr 1935 Nr. 18). Anm. 10 Uber den Gegeneinwand der unerlaubten oder unbilligen Rechtsausübung gegenüber der Verjährungseinrede des ersatzpflichtigen Rechtsanwalts s. R G J W 1936, 1953, über den Gegeneinwand der Arglist allgemein vgl. B G H 9, 1, 5 und § 225 Anm. 1, 4. 44*

679

§198 Anm. 11—19 Anm. 11 d) Die Verjährung

Allgemeiner Teil

der Abänderungsklage aus§ 323 ZPO beginnt erst mit dem Zeitpunkte, in dem die wesentliche Veränderung der Verhältnisse eingetreten ist und dieses, falls § 852 in Frage steht, dem Verletzten auch bekannt geworden war ( R G 86, 181 und die dort angeführten Urteile). In gleicher Weise war für Rentenansprüche aus dem Reichshaftpflichtgesetz, die wegen Geldentwertung erhöht wurden, davon auszugehen, daß für den Anspruch auf die Erhöhung die Verjährungsfrist des § 8 H p f l G nicht v o m T a g e des Unfalles, sondern erst vom Eintritt der die Erhöhung bedingenden Änderung dqr Verhältnisse an zu laufen begann; die durch die Erhebung der Klage bewirkte Unterbrechung der Verjährung ergriff auch den später wegen der Geldentwertung erweiterten Anspruch ( R G 108, 3 8 ; vgl. R G 106, 184).

Anm. 12 e) Beginn

der Verjährung bei der in einem Vertrage zugunsten Dritter übernommenen Verpflichtung, eine fremde Schuld zu begleichen s. R G 1 1 4 , 298.

Anm. 13 f ) Bei Ansprüchen einer Aktiengesellschaft gegen die Mitglieder ihres Vorstandes oder Aufsichtsrats wegen vorschriftswidriger Anlegung von Gesellschaftsvermögen beginnt die Verjährung mit der Vornahme der pflichtwidrigen Handlung und der damit begründeten Verschlechterung der Vermögenslage, nicht erst mit einer endgültigen Vermögensverminderung für die Gesellschaft ( R G J W 1932, 1648).

Anm. 14 g ) Bei G e w i n n a n t e i l s a n s p r ü c h e n eines Angestellten beginnt die Verjährung mit der endgültigen Feststellung des für die Berechnung maßgebenden Gewinnes ( R G J W 1 9 1 8 , 550; R A G 14, 20). Entsprechend sind Ansprüche, die den R ü c k t r i t t von einem Rechtsgeschäfte zur Voraussetzung haben, erst mit dem Rücktritt entstanden.

Anm. 15 h) Beginn der Verj ährung des Versicherungsanspruchs bei der Haftpflichtversiche-

rung s. R G 150, 2 2 7 ; J W 1936, 3 5 3 1 . Beginn der Verjährung des Anspruches auf Invaliditätsentschädigung aus dem Vertrag über eine Versicherung von Kraftwageninsassen s. RG 158, 1 1 3 .

Anm. 16 i) S o n d e r b e s t i m m u n g e n Verleihers und des Bestellers).

der

§§ 558,606,638

(Ersatzansprüche des Vermieters,

Anm. 17 k) Bei

Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen beginnt hinsichtlich jeder Leistung eine besondere Verjährung. In Ansehung der Nebenleistungen vgl. noch § 224.

Anm. 18 1) Für

den Schadensersatzanspruch wegen Verzuges, der darauf gegründet wird, daß bei rechtzeitiger Zahlung vor der Währungsreform Sachwerte angeschafft worden wären, so daß damit ein das Umstellungsverhältnis 1 0 : 1 übersteigender Wert erhalten worden wäre, beginnt die Verjährung frühestens mit dem Inkrafttreten des Umstellungsgesetzes ( B G H L M B G B § 286 Nr. 3).

3. Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung Anm. 19 Über den Beginn der Verjährung von Schadensersatzansprüchen aus unerlaubter Handlung vgl. § 8 5 2 . Hier sei nur auf folgende Grundsätze hingewiesen: Der einmal entstandene Schadensersatzanspruch umfaßt als einheitlicher Anspruch auch die späteren schädigenden Folgen des Verhaltens des Verpflichteten, soweit sie sich voraussehen und erwarten ließen ( R G 83, 360; 87, 3 1 1 ) . Das gilt jedoch nur inso-

680

Verjährung

§198 Anm. 20—23

weit, a b die nachteiligen Folgen aus der einmal vorgenommenen Handlung ohne erneutes Zutun immer wieder eintreten. Es gilt nicht, wenn schädigende Handlungen, obwohl gleichartiger Natur, immer wieder vorgenommen werden, beispielsweise schädigende Immissionen aus Zuführung von Abwässern ( R G 1 9 1 2 , 3 1 ) , oder bei Fortsetzung eines schädigenden Fabrikbetriebes ( R G 26. 9. 1 9 1 8 V 120/18). Der aus einer unerlaubten Handlung erwachsene voraussehbar gewesene Schaden stellt andernfalls eine Einheit und nicht etwa eine Summe verschiedener selbständiger Einzelschäden dar ( R G 70, 1 5 7 ; 85, 424; 86, 1 8 1 ; WarnRspr 1 9 1 4 Nr. 84), während die Entstehung eines neuen Schadens ein neues selbständiges Ereignis voraussetzt ( R G 20. 2. 1 9 1 5 V 441/14).

Anm. 20 Die Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des durch den Verzug eingetretenen weiteren Schadens nach § 288 Abs. 2 beginnt insoweit, als es sich dabei um voraussehbare Verzugsfolgen handelt, bereits in dem Zeitpunkt, in dem der Schuldner in Verzug gerät (BGH L M B G B § 558 Nr. 1).

Anm. 21 Die infolge der Veränderung aller Verhältnisse eingetretene Erhöhung der Kosten für die W i e d e r h e r s t e l l u n g e i n e r b e s c h ä d i g t e n S a c h e stellt eine neue Schadensfolge dar und unterliegt daher einer besonderen Verjährung ( R G 102, 143). Diese jedenfalls dem Rechtsgefühle entsprechende Entscheidung ist auch sonst zu billigen, weil der haftbare Urheber des Schadens grundsätzlich für alle Folgen einzustehen hat, auch soweit, als solche konkret nicht voraussehbar und nicht erkennbar waren (§ 276), als aber die schädlichen Wirkungen noch auf seine Handlungsweise ursächlich zurückzuführen sind. Das kann auch für den Umstand zutreffen, daß nachträglich Zustände eingetreten sind, infolge deren (etwa auch der inzwischen eingetretenen Geldentwertung) die Wiederherstellungskosten wesentlich gesteigert sind. Alsdann stellt sich dieser Anspruch in der T a t als ein neuer dar. Allerdings ist hierbei ein besonderer Vorbehalt zu machen, dessen Berücksichtigung in der genannten Entscheidung zu vermissen ist: das Erfordernis der gesteigerten Aufwendung darf nicht erst dadurch veranlaßt sein, daß der Geschädigte, der sich zur Herstellung der Sache entschlossen hatte (§ 249 Satz 2), die Vornahme der erforderlichen Maßnahmen schuldhaft und ohne Not verzögert hat; denn dadurch wäre der ursächliche Zusammenhang unterbrochen. Mit Recht hat das Urteil R G J W 1 9 2 1 , 1230 der Verjährungseinrede stattgegeben bei einem erst nachträglich aus § 847 wegen einer zugefügten Knieverletzung erhobenen Ansprüche, mit der Ausführung, daß dieser Anspruch gegenüber denen aus den §§ 842,843 zwar eine besondere Forderung darstelle, daß aber die durch die Verletzung begründeten Folgen voraussehbar gewesen seien.

4. Kenntnis von der Rechtsverletzung und dem Bestehen des Anspruchs Anm. 22 a) Bedeutung im allgemeinen Weitere Voraussetzungen für den Beginn der Verjährung als die unter Anm. 1 — 1 8 angegebenen kennt das Gesetz nicht. Insbesondere ist bei Schuldverhältnissen grundsätzlich nicht Erfordernis eine bereits erfolgte Rechtsverletzung oder das Unterrichtetsein des Gläubigers von seinem Anspruch ( R G J W 1 9 1 2 , 70). M a n g e l n d e K e n n t n i s vom Bestehen des Anspruchs ist dementsprechend in der Regel auch kein Hemmungsgrund.

Anm. 23 b) Bedeutung für den Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung Nur der Lauf der dreijährigen Verjährung (nicht auch der dreißigjährigen, R G 95,79) beginnt nach § 852 bei Ansprüchen aus unerlaubten Handlungen ausnahmsweise erst mit der Kenntnis des Ersatzberechtigten vom Schaden (jedoch nicht auch von dessen Umfange; R G 63, 255) sowie von der Person des Ersatzpflichtigen.

681

§ 1 9 8 A n m . 24—28 §199

Allgemeiner Teil

A n m . 24 c) Bedeutung für den Pflichtteilsanspruch Eine entsprechende Bestimmung gibt § 2332 hinsichtlich des Pflichtteilsanspruchs. Dessen Verjährung beginnt mit Kenntnis von dem Erbanfalle und der den Berechtigten beeinträchtigenden Verfügung, ohne daß es auch der Kenntnis vom Nachlaßstande bedarf (RG 104, 197). A n m . 25 d) Desgleichen beginnt die Verjährung gemäß § 151 P r B e r g G erst dann, wenn der Beschädigte eine so volle Kenntnis des Schadens und seines Urhebers erlangt hat, als zur K l a g e erforderlich ist ( R G J W 1 9 1 1 , 726); ferner bei Ersatzansprüchen des Prinzipals gegen den Handlungsgehilfen gemäß § 60 A b s . 1 H G B erst mit dem Zeitpunkte, wo der Prinzipal von der Zuwiderhandlung Kenntnis erhält ( R G 63, 255). Anm. 26 e) Bekanntgewordener Schaden Als dem Verletzten bekanntgeworden muß der Schaden insoweit gelten, als die nachträglichen Folgen der schädigenden Tatsache auch dem Umfange nach bereits voraussehbar waren; spätere wesentliche Verschlimmerungen, deren Eintritt nicht zu erwarten war, sind dem Geschädigten dagegen nicht zuzurechnen (RG WarnRspr 1 9 1 6 Nr. 1 3 7 ; Gruchot 65, 610). Anders bei Forderungen auf Schadensersatz auf Grund des § 8 H p f l G , wo die Regel des § 198 Satz 1 gilt, also schon der Zeitpunkt des Unfalls unbedingt entscheidend ist. 5. Zuwiderhandeln gegen den Anspruch auf ein Unterlassen A n m . 27 Praktisch bedeutungslos ist der Streit, ob man in Satz 2 eine Folgerung aus dem in Satz 1 ausgesprochenen Grundsatze oder ein Abweichen von dieser Regel zu finden hat. Die Entscheidung hängt davon ab, ob man annimmt, daß der Anspruch auf Unterlassung erst mit der Zuwiderhandlung oder schon mit der Begründung des Rechtsverhältnisses entsteht. Die Verjährung indessen kann jedenfalls erst mit der Z u w i d e r h a n d l u n g beginnen, so daß eine Verjährung nicht in Frage kommen könnte, falls im besonderen Falle nur die Verpflichtung zu einer einmaligen Unterlassung gegeben wäre, weil in diesem Falle nach erfolgter Zuwiderhandlung ein Anspruch auf die Unterlassung überhaupt nicht mehr verwirklicht werden könnte. A n m . 28 Bei Ansprüchen auf d a u e r n d e U n t e r l a s s u n g beginnt bei jeder wiederholten Zuwiderhandlung eine neue besondere Verjährung ( R G 49, 20; J W 1902, 101 Nr. 49), so daß sie nicht vor der letzten Zuwiderhandlung zur Vollendung gelangen kann (RG 80, 438; betreffend einen Unterlassungsanspruch aus § 8 U W G ) . Im übrigen liegt auch hier (vgl. § 194 Anm. 1, 2) kein zwingender Grund vor, Satz 2 nur hinsichtlich solcher Ansprüche anzuwenden, die von Hause aus gegen eine bestimmte Person gerichtet sind, ihn dagegen außer Anwendung zu lassen, falls der Anspruch auf Unterlassung gegen eine bestimmte Person erst dadurch zur Entstehung kommt (wie es bei dinglichen Ansprüchen der Fall ist, §§ 1004, 1027), daß die Person das Recht des Berechtigten verletzt oder beeinträchtigt hat (aA P l a n c k § 198 Anm. 2). Gegenstand der Verjährung ist dann nicht die Unterlassung als solche, sondern der Anspruch auf die Beseitigung der durch die Zuwiderhandlung erfolgten Beeinträchtigungen. Vgl. § 194 Anm. 2.

§199 Kann der Berechtigte die Leistung erst verlangen, wenn er dem Verpflichteten gekündigt hat, so beginnt die Verjährung mit dem Zeitpunkte, von welchem an die Kündigung zulässig ist. Hat der Verpflichtete die Leistung erst

682

Verjährung

§ 199 A n m . 1—4

zu bewirken, w e n n seit der Kündigung eine b e s t i m m t e Frist verstrichen i s t , so wird der B e g i n n der Verjährung u m die Dauer der Frist hinausgeschoben. E I 158 II 165; M i 308ff; P i zojff.

Ubersicht Verjährungsbeginn bei kündbaren A n s p r ü c h e n Anm.

1. Fälligkeit sofort nach Kündigung (Satz 1) 2. Einfluß der Kündigungsfrist auf den Beginn der Verjährung (Satz 2) 3. Nicht unter § 199 fallende Fälle

I 2, 3 4» 5

Anm. 1 1. Fälligkeit sofort n a c h Kündigung (Satz 1) In der Regel beginnt die Verjährung in dem Augenblick, in dem der Anspruch fällig wird. Falls die Leistung gemäß § 271 Abs. 1 sofort gefordert werden kann, beginnt die Verjährung sofort (§ 695 Verwahrung). Die vom Gesetzgeber mit dem Rechtsinstitut der Verjährung verfolgten Zwecke verbieten es aber, dem Gläubiger zu gestatten, den Beginn der Verjährung willkürlich dadurch hinauszuschieben, daß er einen Anspruch, den er an sich geltend machen kann, nicht geltend macht. Dem tragen § 199 und § 200 Satz 1 Rechnung. Demzufolge beginnt nach § 199 Satz 1 die Verjährung in den Fällen, in denen der Berechtigte die Leistung erst nach einer von ihm ausgesprochenen Kündigung verlangen kann, nicht erst mit dem Zeitpunkt der Kündigung, sondern bereits in dem Zeitpunkt, von dem an die Kündigung zulässig ist, sofern der Schuldner nach Kündigung sofort zu leisten hat. Der Beginn der Verjährung ist dann nur so lange hinausgeschoben, als die Kündigung ausgeschlossen ist. Für den Fall, daß die Leistung nicht sofort nach der Kündigung verlangt werden kann, siehe Anm. 2. 2. Einfluß der Kündigungsfrist auf den B e g i n n der Verjährung (Satz 2) Anm. 2 Satz 2 trifft eine Regelung für die Fälle, in denen die Leistung kraft Gesetzes oder kraft der vertraglichen Bestimmungen nicht sofort nach der Kündigung, sondern erst nach Ablauf einer bestimmten Frist gefordert werden kann. Hier beginnt die Verjährung auch nicht erst in dem Zeitpunkt, in dem die Leistung zu bewirken ist. Es bleibt vielmehr bei dem Grundsatz des Satzes 1, daß die Verjährung in dem Zeitpunkt beginnt, von dem an die Kündigung zulässig ist; ihr Beginn wird aber um die Dauer der Kündigungsfrist hinausgeschoben. Beträgt beispielsweise die Leistungsfrist bei einem am 1. April gegebenen, sofort kündbaren Darlehn nach § 609 drei Monate, so würde die Verjährung nach Satz 1 schon am 1. April beginnen müssen, unter Berücksichtigung des Satzes 2 jedoch beginnt sie erst mit dem i . J u l i (Fristberechnung nach §§ 187 Abs. 1 u. 188 Abs. 2). Die Verjährungsfrist hätte erst am r. Januar des auf die Darlehnshingabe folgenden Jahres zu laufen begonnen, wenn das am 1. April gegebene Darlehn erst nach sechs Monaten mit dreimonatiger Frist kündbar gewesen wäre. Anm. 3 Ob der Schuldner nach § 271 Abs. 2 berechtigt gewesen wäre, die Leistung früher anzubieten, als der Gläubiger fordern konnte, ist für den Beginn der Verjährung unerheblich. 3. Nicht unter § 199 fallende Fälle Anm. 4 § 199 trifft nur die Fälle, in denen die Fälligkeit von einer Kündigung abhängt. Kündbarkeit steht im Sinne des § 199 nur dann in Frage, wenn es vom freien Willen des Gläubigers abhängt, die Klagbarkeit der Forderung herbeizuführen; sie ist nicht gegeben, wenn der Berechtigte die Leistung erst nach gewisser Zeit fordern kann (RG 3 1 . 3. 1911 II 413/10). In diesem Fall beginnt die Verjährung erst in dem Zeitpunkt, in dem die Leistung gefordert werden kann.

683

§ 199 Anm. 5 § 200 Anm. 1, 2

Allgemeiner Teil

Anm. 5 Hat der Schuldner, bevor die Kündigung für den Gläubiger zulässig war, die Fälligkeit des Anspruchs durch eine von ihm ausgesprochene Kündigung herbeigeführt,, dann beginnt die Verjährung in dem Augenblick, in dem der Gläubiger auf Grund dieser Kündigung die Leistung verlangen kann, sofern sie mit der Kündigung sofort fallig wiru, in dem Zeitpunkt der Kündigung. Sofern eine Kündigungsfrist besteht, wird der Beginn der Verjährung entsprechend Satz 2 um die Dauer der Frist hinausgeschoben.

§ 300 Hängt die Entstehung eines Anspruchs davon ab, daß der Berechtigte von einem ihm zustehenden Anfechtungsrechte Gebrauch macht, so beginnt die Verjährung mit dem Zeitpunkte, von welchem an die Anfechtung zulässig ist. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Anfechtung sich auf ein familienrechtliches Verhältnis bezieht. Rev. E 19;; P 1 209, 211; 6 I39ff, 110. 200. Ubersicht Verjährung der durch Anfechtung entstehenden Ansprüche 1 . Allgemeine Regel (Satz 1) a) Allgemeines b) Zulässigkeit der Anfechtung c) Zeitpunkt des Beginns der Verjährung d) Verjährung der Ansprüche des Anfechtungsgegners e) Anfechtung von Erlaß, Aufrechnung und Vergleich 2. Ausnahme für familienrechtliche Verhältnisse (Satz 2)

Anm. —6 1 2 3,4 5 6 7

1. Allgemeine Regel (Satz 1) Anm. 1 a) Allgemeines Die Anfechtung eines Rechtsgeschäfts bewirkt, daß dieses nach § 142 als von Anfang an nichtig anzusehen ist. Die auf Grund des Rechtsgeschäfts bewirkten Leistungen können nach § 8 1 2 ff BGB zurückgefordert werden. Dieser Anspruch entsteht erst durch die Anfechtung. Denn trotz der sich aus § 142 ergebenden Rückwirkung konnte er doch vorher nicht geltend gemacht werden. Da z. B. die Anfechtung nach § 1 2 1 , wenn der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund vorher keine Kenntnis erlangte, noch 30 Jahre nach Abgabe der Willenserklärung zulässig ist, könnte der Bereicherungsanspruch möglicherweise erst 60 Jahre, nachdem die Leistung erbracht worden war, verjähren. Um diese unerwünschte Folge zu vermeiden, bestimmt § 201 Satz 2 ähnlich wie § 199 Satz 1 für die Kündigung, daß die Verjährung bereits in dem Zeitpunkt beginnt, von welchem an die Anfechtung zulässig ist. Anm. 2 b) Zulässigkeit der Anfechtimg Die Anfechtung ist zulässig, sobald die objektiven Umstände, die das Anfechtungsrecht begründen, gegeben sind. Soweit es sich um die Anfechtung wegen Irrtums oder wegen arglistiger Täuschung handelt, ist dies der Zeitpunkt, in dem die angefochtene Willenserklärung abgegeben worden ist. Für den Beginn der Verjährungsfrist ist es unerheblich, wann der Berechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Ihr Beginn ist allein an die rechtliche und nicht an die tatsächliche Möglichkeit der Anfechtung geknüpft.

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Verjährung

§200

Anm. 3—7 c) Zeitpunkt des Beginns der Verjährung Anm. 3

Die V e r j ä h r u n g f ü r den durch die Anfechtung begründeten Bereicherungsanspruch beginnt in den Fällen der Anfechtung nach §§ 199, 1 2 3 , falls durch das angefochtene Rechtsgeschäft nicht nur Verpflichtungen begründet, sondern unmittelbare V e r f ü g u n gen getroffen worden sind, bereits in dem Zeitpunkt, in d e m das Rechtsgeschäft v o r genommen worden ist. Der Bereicherungsanspruch verjährt dann zugleich mit dem A b lauf der 30jährigen Ausschlußfrist aus § 1 2 1 Abs. 2, § 1 2 4 Abs. 3, d a diese Frist und die Verjährungsfrist zeitlich zusammenfallen.

Anm. 4 Anders ist es, wenn durch das angefochtene Rechtsgeschäft zunächst nur Verpflichtungen begründet worden sind, die erst in einem späteren Zeitpunkt zu erfüllen sind. N a c h dem Wortlaut des § 200 Satz 1 würde die Verjährungsfrist auch dann schon in dem Zeitpunkt beginnen, in dem die Anfechtung zulässig ist. Sie würde dann schon in einem Zeitpunkt beginnen, in dem selbst unter Berücksichtigung des § 142 der A n spruch auf R ü c k g e w ä h r noch gar nicht bestand. Das ist nicht der Sinn der Vorschrift. Die V e r j ä h r u n g des Bereicherungsanspruchs beginnt vielmehr, wenn die Anfechtung bereits zulässig w a r , bevor die zurückgeforderte Leistung erbracht worden w a r , erst m Z e i t p u n k t der Leistung.

Anm. 5 d) Verjährung der Ansprüche des Anfechtungsgegners D u r c h die Anfechtung eines gegenseitigen Vertrages, dessen Leistungen beiderseits erbracht worden sind, entsteht auch f ü r den Anfechtungsgegner ein Anspruch aus u n gerechtfertigter Bereicherung auf R ü c k g e w ä h r der Leistung. Die Frist f ü r die V e r j ä h rung dieses Anspruchs beginnt auch nicht erst im Augenblick der Anfechtung zu laufen, sondern in dem Zeitpunkt, in dem die zurückgeforderte Leistung erbracht worden ist. Es w ä r e unbillig, den Anfechtungsgegner hinsichtlich des Beginns der V e r j ä h rungsfrist besser zu stellen als den Anfechtungsberechtigten.

Anm. 6 e) Anfechtung von Erlaß, Aufrechnung und Vergleich Diente das anfechtbare Rechtsgeschäft nicht zur Begründung, sondern zur Beseitigung eines gegebenen Anspruchs (Erlaß, Aufrechnung, Vergleich), dann soll der § 200 n a c h R G 86, 367 nicht anwendbar sein. E i n e entsprechende A n w e n d u n g scheint hier aber doch geboten ; denn ob die Entstehung eines Anspruchs oder ob das Wiederaufleben eines zuvor erloschenen Anspruchs in F r a g e steht, ist f ü r den Rechtsgedanken des § 200 gleichwertig. Die entsprechende A n w e n d u n g dieser Vorschrift würde ergeben, daß die Anspruchsverj ä h r u n g zunächst z w a r nach dem Grundsatze des § 198 zu laufen begonnen hätte, daß ihr L a u f demnächst aber durch das anfechtbare Rechtsgeschäft (den E r l a ß oder den Vergleich) gehemmt worden, und daß sie erst von dem Zeitpunkte ab weitergelaufen wäre, in dem die Anfechtung des fraglichen Rechtsgeschäfts zulässig geworden w a r , was indes mit dem Zeitpunkte der V o r n a h m e des Rechtsgeschäfts zusammenfallen kann, sofern nämlich schon damals die objektiven Voraussetzungen der Anfechtbarkeit gegeben waren.

Anm. 7 2. Ausnahme für familienrechtliche Verhältnisse (Satz 2) Bei familienrechtlichen Verhältnissen, so wenn sich die Anfechtung bezieht auf die Ehelichkeit eines Kindes (§§ 1 5 9 3 fr) und auf die A n n a h m e an Kindes Statt (§ 1755)> verbleibt es bei der R e g e l , daß die V e r j ä h r u n g des durch die Anfechtung bedingten Anspruchs allemal erst mit der E n t s t e h u n g dieses Anspruchs beginnt, also erst in dem Zeitpunkte, in dem die Anfechtung wirklich geltend gemacht worden ist. A n die Stelle der Anfechtung einer E h e (§§ 1 3 3 0 f r ) ist inzwischen die A u f h e b u n g der E h e durch gerichtliches Urteil getreten, s. jetzt E h e G § 28 fr.

685

§ 201 A n m . 1—3 §202

Allgemeiner Teil

§ 301 D i e V e r j ä h r u n g d e r i n d e n § § 196, 197 b e z e i c h n e t e n A n s p r ü c h e b e g i n n t m i t d e m S c h l ü s s e d e s J a h r e s , i n w e l c h e m d e r n a c h d e n § § 198 b i s 2 0 0 m a ß gebende Zeitpunkt eintritt. Kann die Leistung erst nach d e m Ablauf einer über diesen Zeitpunkt hinausreichenden Frist verlangt werden, so beginnt die Verjährung m i t d e m Schlüsse des Jahres, in w e l c h e m die Frist abläuft. EI 159 II '66; M l 310; P 1 211, 2i6ff; 6 140fr. Ubersicht Beginn der kurzen Verjährung Anm.

1. Allgemeine Regel (Satz i) 2. Beginn bei Ansprüchen mit hinausgeschobener Fälligkeit

i 2, 3

Anm. 1 1. A l l g e m e i n e R e g e l ( S a t z 1) Hier wird im Gegensatz zu den §§ 199 u. 200 der Beginn der Verjährung über die Entstehung des Anspruchs hiraus auf einen s p ä t e r e n T e r m i n verlegt, und zwar auf den Schluß des Jahres, d. i. des Kalenderjahres, in welchem der Anspruch vom Gesichtspunkte der §§ 198, 199 aus beurteilt, als entstanden anzusehen ist. Vgl. die §§ 198, 199 Satz 1 u. 2, 200, 202. Da das Kalenderjahr mit dem 31. Dezember abschließt, kann somit die Verjährung in den zutreffenden Fällen immer erst mit dem 1. Januar des nächstfolgenden Kalenderjahrs anfangen. 2. B e g i n n b e i A n s p r ü c h e n m i t h i n a u s g e s c h o b e n e r F ä l l i g k e i t Anm. 2 Wenn die Fälligkeit eines Anspruchs erst nach dessen Entstehung eintritt, so bestimmt sich dasjenige Jahr, mit dessen Schlüsse die Verjährung beginnt, nach dem Zeitpunkte der Fälligkeit, so daß unter Umständen der Beginn der Verjährung um ein weiteres Jahr hinausgeschoben wird. Demnach beginnt die Verjährung der Forderung eines Kaufmanns regelmäßig mit dem Schlüsse desjenigen Jahres, in welchem der Vertrag geschlossen ist, und nicht desjenigen, in welchem er die Kaufsache geleistet hat (RG 62, 178; vgl. auch § 196 Anm. 21); falls die Fälligkeit jedoch aus irgendeinem Grunde (insbesondere Stundung) erst im folgenden Jahre eintritt, kann die Verjährung erst mit dem 1. Januar des weiterhin folgenden Jahres anfangen. Anm. 3 Wird in den Fällen der §§ 196, 197 der Lauf der Verjährung u n t e r b r o c h e n (§§ 208ff), so hat dies nur zur Folge, daß nach der Beendigung der Unterbrechung eine neue Verjährung beginnt, und zwar s o f o r t mit Beendigung der Unterbrechung; für die Anwendung des § 201 besteht hier dagegen kein Raum, da der „nach den §§ 198—200 maßgebende Zeitpunkt" nicht von neuem eintreten kann (RG 65, 268; 128, 76).

§ 303 Die Verjährung ist g e h e m m t , solange die Leistung gestundet oder der Verpflichtete aus e i n e m anderen Grunde vorübergehend zur Verweigerung der Leistung berechtigt ist. Diese Vorschrift findet keine A n w e n d u n g auf die Einrede des Zurückbehaltungsrechts, des nicht erfüllten Vertrags, der mangelnden Sicherheitsl e i s t u n g , d e r V o r a u s k l a g e s o w i e a u f die n a c h § 770 d e m B ü r g e n u n d n a c h den § § 2014, 2015 d e m Erben zustehenden Einreden. E I 162 II 168; M 1 J12ff; P 1 21 jff; 2 518; 6 141, 385.

686

Verjährung

§ 202 Anm. 1—3

Ubersicht Hemmung der Verjährung Amn.

I. Wesen der Hemmung i—io 1. Allgemeines i, 2 2. Grundgedanke 3—5 3. Keine Wirkung für Dritte 6 4. Wegfall des Hemmungsgrundes 7 5. Keine Hemmungsgründe 8—10 II. Die Hemmungsgründe 11—22 1. Nur aufschiebende, keine zerstörenden Einreden 11 2. In Betracht kommende Einreden 12—17 18 3. Vorübergehende Nichtdurchsetzbarkeit des Anspruchs 4. Besonderheiten infolge Geldentwertung nach dem ersten Weltkrieg . . 19—22 III. Die Verjährung nicht hemmende Einreden 23 IV. Hemmungsvorschriften aus Anlaß des ersten und zweiten Weltkrieges . 24—39 1. Erster Weltkrieg 25, 26 2. Zweiter Weltkrieg 27—33 a) Kriegsvorschriften 27 b) Nachkriegsvorschriften 28—33 Britische Zone 28 Amerikanische Zone 29 Französische Zone 30 West-Berlin 31 Saargebiet 32 Sowjetische Zone 33 3. Abschlußregelung der Bundesrepublik 34 4. Internationaler Rechtsverkehr 35—38 5. Abschlußregelung für West-Berlin 39 1. Wesen der Hemmung 1. Allgemeines Anm. 1 Die §§ 202—205 handeln von der Hemmung der Verjährung. Die §§ 202—204 geben die Hemmungsgründe an, der § 205 bestimmt ihre Wirkungen. Das Gesetz hat hier solche Fälle im Auge, in denen die Verjährungsfrist an sich in Lauf gesetzt ist, und die Verjährung in der zutreffenden Zeit sich auch vollenden würde, falls der Fristverlauf voll zur Anrechnung kommen dürfte, in denen jedoch jener Erfolg ausbleibt, weil die Anrechnung eines gewissen Zeitraums unterbleiben muß. Hemmung bedeutet mithin sachlich nichts anderes als Ruhen des Fristlaufs infolge Vorhandenseins und Fortwirkens eines Hemmungsgrundes. Anm. 2 J e nachdem der Hemmungsgrund beim Anfang der Verjährung oder aber in ihrem weiteren Verlaufe eintritt, hat dies das Ruhen des Fristlaufs von Anfang an oder erst in einem späteren Zeitabschnitte zur Folge. Deshalb kann auch der Fristlauf ersterenfalls erst von da ab beginnen, letzterenfalls aber erst von da ab weitergerechnet w e r d e n , wo der Hemmungsgrund beseitigt ist. In jedem Falle ist die praktische Wirkung der Hemmung die, daß sich die eigentliche Verjährungsfrist um den Zeitraum der Hemmung verlängert. (Uber die hiervon verschiedene Wirkung der Unterbrechung der Verjährung vgl. § 208 Anm. 1.) 2. Grundgedanke Anm. 3 Der Grundgedanke der Hemmung spricht sich in dem Satze aus: agere non valenti non currit praescriptio. Die einzelnen gesetzlich ausgesprochenen Hemmungs687

§202

A n m . 4—9

Allgemeiner Teil

gründe (Anm. 1 1 ff, §§ 203, 204) bilden seine gesetzlich anerkannten Anwendungsfälle. Im übrigen haben mit dem Grundsatze des § 202 alle Fälle getroffen werden sollen (Prot. 1, 217), in denen der Geltendmachung des an sich fortbestehenden Anspruchs ein ernstliches Hindernis entgegensteht (RG 80, 216, mit Bezug auf die §§ 135, 146 UnfallversicherungsG für Land- und Forstwirtschaft idF v. 5. 7. 1900, R G B l 641) und insbesondere die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zum Zwecke der Unterbrechung der Verjährung als ausgeschlossen erscheint (RG 94, 180; 136, 193), nicht bei Ersatzansprüchen gegen einen pflichtwidrig handelnden Vorstand oder Aufsichtsrat während seiner Amtszeit (RG 156, 291). Daraus ist aber nicht umgekehrt zu folgern, daß jede Klagemöglichkeit den Hemmungstatbestand ausschließe. Anm. 4 S o l a n g e der V e r p f l i c h t e t e die L e i s t u n g v o r ü b e r g e h e n d v e r w e i g e r n k a n n , b e s t e h t die H e m m u n g des § 2 0 2 , m a g a u c h e i n e K l a g e a u f F e s t s t e l l u n g o d e r a u f k ü n f t i g e L e i s t u n g m ö g l i c h sein (RG 142, 258; BGH L M BGB § 202 Nr. 1). Anm. 5 Wie die Fassung des Gesetzes ergibt, handelt es sich bei den Hemmungsgründen nur um solche Umstände, die den Verpflichteten berechtigen, die Leistung zu verweigern. Umstände, die allein den Gläubiger hindern, den Anspruch geltend zu machen, hemmen die Verjährung nach § 202 nicht. Anwendung des dem § 202 zugrunde liegenden Grundsatzes bei dem gerichtlich angeordneten Ruhen des Verfahrens s. § 2 1 1 Anm. 20. Anm. 6 3. Keine Wirkung für Dritte Da die Hemmungsursachen sämtlich allein in der Person des Berechtigten oder in den persönlichen Beziehungen zwischen ihm und dem Verpflichteten ihren Grund haben, so folgt, daß die Hemmung unmittelbar auch nur zwischen den Genannten wirkt (vgl. insbesondere für G e s a m t s c h u l d v e r h ä l t n i s s e die §§ 425 und 429 Abs. 3). Mittelbar kann die Hemmung jedoch auch einem Dritten insofern zum Nachteile gereichen, als dieser gegebenenfalls berechtigt wäre, die etwa zugunsten des Schuldners vollendete Verjährung auch für sich geltend zu machen, und als ihn um deswillen die Hinausschiebung des Fristablaufs ebenfalls nachteilig berührt. Das trifft insbesondere den Bürgen gemäß § 768. Anm. 7 4. Wegfall des Hemmungsgrundes F ü r a l l e A n w e n d u n g s f ä l l e des § 202 A b s . 1 g i l t , d a ß mit d e m W e g f a l l des H e m m u n g s g r u n d e s d i e V e r j ä h r u n g s o f o r t zu l a u f e n o d e r w e i t e r z u l a u f e n b e g i n n t ; auch bei Ansprüchen der im § 196 Abs. 1 bezeichneten Art nicht erst mit dem Schlüsse des Jahres, in dem dieser Wegfall eingetreten ist; § 201 Satz 2 findet hier keine Anwendung (RG 120, 355; 130, 85). 5. Keine Hemmungsgründe Anm. 8 A n d e r e H e m m u n g s g r ü n d e g e l t e n n i c h t ; insbesondere nicht die mangelnde Kenntnis vom Bestehen des Anspruchs, § 198 Anm. 22 (RG WarnRspr 1913 Nr. 46), selbst wenn die Nichtkenntnis durch ein arglistiges Verhalten des Schuldners herbeigeführt wurde (RG 64, 222). Anm. 9 Beim Rückgriffsanspruch des Staates gegen Beamte läuft die Verjährung ohne Rücksicht darauf, ob der Staat die Persönlichkeit des Schuldigen kennt; sie wird auch nicht gehemmt durch Verhandlungen des Staates mit dem Beamten über die Anerkennung seiner Ersatzpflicht (RG 2 1 . 4. 1937 V 279/36). Gegebenenfalls könnte der Berechtigte 688

Verjährung

§202

Anm. 10—15

aber die Wirkung der bereits vollendeten Verjährung auf Grund des § 249 in Verbindung mit § 826 beseitigen ( R G 64, 222 und § 222 Anm. 12—'ig). Anm. 10 Ein besonderer Fall der Hemmung besteht hinsichtlich der Verjährung eines Anspruchs auf Buße: er ist der Verjährung so lange entzogen, als die Verjährung des entsprechenden Strafanspruchs noch läuft (RGSt 17. 1. 1911 5 D 207/10). II. Die Hemmungsgründe 1. Nur aufschiebende, keine zerstörenden Einreden Anm. 11 Die Hemmungsgründe werden zunächst durch die aufschiebenden (dilatorischen) Einreden gebildet. Es sind dies die Einreden, die ohne das Bestehen des Anspruchs an sich zu berühren, dem Verpflichteten nur v o r ü b e r g e h e n d das R e c h t z u r V e r w e i g e r u n g der L e i s t u n g geben (RG 86, 370; 94, 180). Außer Betracht bleiben somit die zerstörenden (peremptorischen) Einreden, welche, wie insbesondere nach § 853 die Einrede des Betrugs, ein Recht auf dauernde Verweigerung geben und mithin die Durchführbarkeit des Anspruchs dauernd ausschließen. Die Geltendmachung einer Tatsache, die den Anspruch zerstört, wie die der Erfüllung, der erfolgten Aufrechnung, der erfolgten Anfechtung, bedeutet nach dem Sprachgebrauch des BGB an sich nicht eine „Einrede". Insoweit handelt es sich nur um die Geltendmachung eines Einwands. 2. In Betracht kommende Einreden Anm. 12 Die nachstehenden aufschiebenden Einreden kommen hier in Betracht: die der S t u n d u n g (RG J W 1910, 280; 1910, 574; WarnRspr 1919 Nr. 2), und zwar einer nachträglichen (andernfalls läge der Tatbestand des § 199 vor; RG J W 1908, 430); die Verweisung auf die hinterlegte Sache (§379); das Verweigerungsrecht des Schenkers aus §§519, 526; ferner die Geltendmachung eines persönlichen (Miete) oder dinglichen (Nießbrauch) R e c h t e s zum Besitze gegenüber dem Eigentumsanspruche auf Herausgabe im Sinne des § 986; weiter die Einrede des Eigentümers gegenüber dem (dinglich) Vorkaufsberechtigten aus § 1100; endlich die Einrede des Miterben bis zur Teilung des Nachlasses, wenn er für Nachlaßverbindlichkeiten aus § 2059 in Anspruch genommen wird. Diese Hemmungsgründe sind auch bei der Wechselverjährung zu berücksichtigen (RG 63, 370). Anm. 13 Die im Prozesse getroffene Vereinbarung, daß das Verfahren r u h e n solle, hat nur eine prozeßrechtliche Wirkung, gewährt dem Schuldner dagegen keine Stundung und kein Leistungsverweigerungsrecht (RG J W 1914, 34); die durch die Klageerhebung unterbrochene Verjährung (§ 209) beginnt daher gemäß § 2 1 1 Abs. 2 wieder zu laufen, und alles das gilt auch dann, wenn die Parteien ein Ruhen des Prozesses bis zur Erledigung eines andern Rechtsstreits vereinbaren (RG 73, 394). Anders wäre es nur, wenn die Vereinbarung über das Ruhen des Verfahrens dem Schuldner zugleich das Recht geben würde, die Abweisung der Klage zu erreichen, falls der Gläubiger den Prozeß weiter führen würde (BGH Betrieb 1955, 895). Anm. 14 Nicht gehemmt wird die Verjährung der Gehaltsansprüche des in einem Knappschaftsbetriebe Beschäftigten dadurch, daß der Streit darüber besteht, ob er Angestellter im Sinne des Angestelltenversicherungsgesetzes ist, und daß zur Entscheidung dieser Frage die Knappschaftsversicherungsbehörden angerufen sind ( R A G 17, 172). Anm. 15 Um eine S t u n d u n g handelt es sich dagegen, wenn zwischen dem Pflichtteilsberechtigten und dem Erben verabredet wird, daß die ziffernmäßige Berechnung des

689

§202

Anm. 16—19

Allgemeiner Teil

herauszugebenden Pflichtteils wegen noch erforderlicher Feststellung der Nachlaßmasse einstweilen auszusetzen sei.

Anm. 16 Der § 202 Abs. i ist auch dann anwendbar, wenn der Gläubiger und Schuldner vereinbaren, daß der erstere seine Befriedigung zunächst aus einer ihm dazu vom Schuldner abgetretenen Forderung suchen soll (RG 70, 37). Der Lauf der Verjährungsfrist ist gehemmt, wenn dem Gläubiger zur Befriedigung eine andere Forderung erfüllungshalber abgetreten worden ist. Die Verjährungsfrist beginnt wieder zu laufen, wenn sich herausstellt, daß der Gläubiger aus der ihm erfüllungshalber abgetretenen Forderung keine Befriedigung finden wird, z. B. weil der Schuldner dieser Forderung in Konkurs gefallen ist ( B G H L M B G B § 242 Cb Nr. 3). § 202 Abs. 1 ist ferner anzuwenden, wenn dem Versicherten aus der Unfallversicherung eine Rente durch Bescheid des Vorstandes ausgesetzt worden ist, dieser Bescheid demnächst aber durch Urteil des Schiedsgerichts wieder aufgehoben wird ( R G 80, 2 1 3 ) . Über die Frage einer Anwendung des § 202 im Falle der Armenrechtsbewilligung und des Nachzahlungsbeschlusses nach § 125 Z P O s. S t e i n / J o n a s , Z P O § 125 Anm. II 1 und RG 148, 129.

Anm. 17 Die Frage, ob die Einrede aus § 2 1 Abs. 4 UmstG den Ablauf der Verjährung hemmt, hängt davon ab, ob diese Einrede eine peremtorische, zerstörende, oder nur eine dilatorische, aufschiebende ist. Die erste Ansicht hat der I. Zivilsenat in B G H 2, 268 beiläufig vertreten, während er die Einrede in B G H 7, 2 3 1 , 237 wohl zutreffend als eine dilatorische ansieht. Sie unterbricht daher die Verjährung (Bremen N J W 1955, 1 4 0 1 ) .

Anm. 18 3. Vorübergehende Nichtdurchsetzbarkeit des Anspruchs Uber die Fälle der eigentlichen Einrede hinaus tritt eine Hemmung auch in solchen Fällen ein, in denen der an sich fortbestehende Anspruch aus Rechtsgründen vorübergehend nicht durchgesetzt werden kann. Entsprechend dem in § 202 zum Ausdruck gelangten Grundsatz kommen aber nur solche Hindernisse in Betracht, die den Verpflichteten berechtigen, sich aus Rechtsgründen seiner Leistungspflicht vorübergehend zu entziehen ( B G H 10, 3 1 0 ) . Der Bundesgerichtshof hat daher eine Hemmung der Verjährung in einem Fall angenommen, in dem die Militärregierung nach 1945 dem Schuldner untersagt hatte, den Anspruch zu befriedigen ( B G H L M B G B § 202 Nr. 1). Anders wäre es, wenn dem Gläubiger verboten worden wäre, den Anspruch geltend zu machen ( B G H 10, 310). Ebenso ist die Verjährung des Unterhaltsanspruchs des als ehelich geltenden Kindes gegen seinen Erzeuger nicht bis zur Anfechtung der Ehelichkeit des Kindes gehemmt (aM R G D R 1944, 3 3 4 ; Braunschweig M D R 1947, 3 3 ; vgl. dagegen Oberstes Gericht der D D R , Neue Justiz 1956, 281). Der Erzeuger kann daraus, daß das Kind als eheliches gilt, kein Leistungsverweigerungsrecht herleiten, sondern für das Kind folgt aus § 1593 das Verbot, den Anspruch gegen den Erzeuger vor rechtskräftiger Feststellung seiner Unehelichkeit geltend zu machen (vgl. B G H 24, 9> !2).

4. Besonderheiten infolge Geldentwertung nach dem ersten Weltkrieg Anm. 19 Für A u f w e r t u n g s a n s p r ü c h e war §202 (oder auch § 2 0 3 , s . R G 139,273) sinngemäß dahin anzuwenden, daß ihre Verjährung frühestens im Laufe des Jahres 1923, in keinem Fall vor dem Urteile des Reichsgerichts vom6. August 1923 (RG 106,422), beginnen konnte, weil bis dahin ein Aufwertungsanspruch grundsätzlich und allgemein noch nicht anerkannt war (RG 111, 1 4 7 ; 1 1 3 , 1 4 1 ; 1 2 0 , 3 5 5 ; 122, 320; J W 1926, 154; 1927, 983; 1928, 100; WarnRspr 1925 Nr. 190; 1926 Nr. 126; SeuffArch 80 Nr. 128, 1 7 3 ; 81 Nr. 202; vgl. auch München O L G 46, 78).

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Verjährung

§202

Anm. 20—24 Anm. 20 Der gleiche Grundsatz mußte auch bei Klagen auf S c h a d e n s e r s a t z w e g e n G e l d e n t w e r t u n g Anwendung finden, da auch diese erst durchdringen konnten, nachdem sich der Aufwertungsgedanke Bahn gebrochen hatte (RG J W 1926, 154; 1928, 2841; SeuffArch 80 Nr. 128; Recht 1926 Nr. 785). Nicht dagegen auf solche Schadensersatzansprüche, bei denen der Geschädigte auch in der Zeit der Geldentwertung stets in der Lage war, den Ersatz in der dem jeweiligen Geldstand entsprechenden Weise zu beziffern (RG 117, 423: Ersatzanspruch des Eigentümers nach §§ g8gff). Als Zeitpunkt, wann Aufwertungsansprüche oder Schadensersatzansprüche wegen Geldentwertung mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden konnten, ist in der angegebenen Rechtsprechung schließlich die zweite Hälfte des Jahres 1923 angenommen worden, so d a ß das rechtliche Hindernis für die Geltendmachung eines Aufwertungsverlangens zu Anfang des Jahres 1924 als weggefallen angesehen werden konnte.

Anm. 21 Die gleichen Grundsätze mußten für die Aufwertung v o r b e h a l t l o s a n g e n o m m e n e r Z a h l u n g e n in entwertetem Gelde Anwendung finden, obwohl deren Anerkennung durch die oberstrichterliche Rechtsprechung erst erheblich später (Ende 1924 und 1925) erfolgt ist. In dieser Richtung bewegte sich auch die spätere Rechtsprechung, in der wiederholt anerkannt ist, daß der Hemmungsgrund für die Geltendmachung von Aufwertungsansprüchen spätestens Mitte 1924 ( i . J u l i ) weggefallen gewesen sei. So eingehend R G 120, 355; zustimmend R G 122, 326; 126, 60; 126, 294; 130, 85; 130, 233; J w '929. 179; !929, 505; 193°; 172 8 ; ^ S 1 » : 4 5 7 ; WarnRspr 1929 Nr. 130; 1933 Nr. 130; SeuffArch 83 Nr. 124; 84 Nr. 207; H R R 1929, 1991; 1931, 504 u. a.: ebenso auch R A G 5, 230. Uber den Einfluß des D e v i s e n r e c h t e s auf die Verjährung s. R G H R R 1935, 174.

Anm. 22 Zu unterscheiden von der Verjährung ist die V e r w i r k u n g von Aufwertungsansprüchen, wobei nicht der Zeitablauf allein maßgebend, sondern die Entscheidung von dem Grundsatze des § 242 aus nach Treu und Glauben gemäß den Umständen des Falles unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen zu treffen ist (vgl. Vorbem. vor § 194 Anm. 8, 9 und § 242 Anm. 4 Abs. 3).

Anm. 23 III. Die Verjährung nicht hemmende Einreden Den in Abs. 2 aufgeführten verzögerlichen Einreden ist die Wirkung der Hemmung ausnahmsweise versagt, nämlich dem Z u r ü c k b e h a l t ü n g s r e c h t e (§§273, 274, 1000, 1428, 1585); der Einrede des n i c h t e r f ü l l t e n V e r t r a g s (§320); der Einrede m a n g e l n d e r S i c h e r h e i t s l e i s t u n g (§§ 258, 811, 867, 1005, 1049 Abs. 2, 2125 Abs. 2); den Einreden des B ü r g e n (§§ 771, 770 Abs. 1); den Einreden des E r b e n (§§2014, 2015; vgl. auch die Sonderbestimmung § 2332 Abs. 3). Denn wie dem Berechtigten das Recht entzogen wird, den Beginn der Verjährung willkürlich aufzuhalten (oben § 199 Anm. 1; § 200 Anm. 1), so soll es ihm anderseits auch verwehrt sein, ihre Vollendung dadurch zu hemmen, d a ß er durch Unterlassung der eigenen Leistung bzw. der Sicherheitsleistung oder der Inanspruchnahme des Hauptschuldners, sich eine aufschiebende Einrede willkürlich lange erhält.

IV. Hemmungsvorschriften aus Anlaß des ersten und zweiten Weltkrieges Anm. 24 Während des ersten und zweiten Weltkrieges und auch nach diesen Kriegen sind besondere, die Verjährung betreffende Vorschriften erlassen worden. Sie gewähren dem Schuldner kein eigentliches Leistungsverweigerungsrecht, sondern ordnen eine Ablaufshemmung an (vgl. darüber § 206 Anm. 1).

691

§202

Anm. 25—28

Allgemeiner Teil

1. E r s t e r Weltkrieg Anm. 25 Während des ersten Weltkrieges wurden bürgerliche Rechtsstreitigkeiten der Kriegsteilnehmer, der sich dienstlich aus Anlaß der Kriegsführung im Ausland aufhaltenden oder als Kriegsgefangene oder Geiseln in Feindeshand befindlichen Personen unterbrochen (§ 2 des Gesetzes betr. den Schutz der infolge des Krieges an der Wahrnehmung ihrer Rechte behinderten Personen vom 4. 8. 1914, RGBl 328). Nach § 8 dieses Gesetzes wurde die Verjährung zugunsten dieser Personen und ihrer Gegner gehemmt. Dasselbe galt für den Ablauf der Ausschlußfristen für die Beschreitung des Rechtsweges (vgl. R G 128, 46). Die Verjährung der in §§ 196, 197 geregelten Ansprüche betraf die Bundesratsbekanntmachung vom 22. 12. 1914, RGBl 543. Die Frist ist zuletzt durch die Verordnung vom 26. 1 1 . 1919, RGBl 1918, bis Ende des Jahres 1920 verlängert worden. Anm. 26 Für die Zeit nach dem ersten Weltkrieg ist Art. 300 des Versailler Friedensvertrages vom 28. 6. 1919, RGBl 687, zu beachten. Er betrifft die Hemmung der Verjährungs-, Ausschluß- und Verfallsfristen im Verhältnis der Angehörigen der bisher im Krieg befindlichen Staaten. Diese Fristen begannen nach dem Gesetz über den Wiederbeginn und den Ablauf von Fristen vom 3. 4. 1920, RGBl 445, am 16. August 1920 wieder zu laufen. Durch das Gesetz vom 12. 8. 1920, RGBl 1571, und die Verordnung vom 29.4.1921, RGBl 491, wurden sie bis zum 1 o. August 1921 verlängert. Besonderheiten galten für die in § 905 HGB angeführten Ansprüche aus dem Seeversicherungsvertrag; deren Verjährungsfrist wurde bis zum Ende des Jahres 1926 verlängert. 2. Zweiter Weltkrieg Anm. 27 a) Kriegsvorschriften Artikel 8 der Verordnung vom 1. 9. 1939, R G B l I 1656, ordnete die Ablaufshemmung für sämtliche Verjährungs- und Ausschlußfristen an. Diese Verordnung wurde durch § 32 VertragshilfeVO vom 30. 1 1 . 1939, RGBl I 2329, aufgehoben. Die Hemmung nach der Verordnung vom 1. 9. 1939 hat danach nur 87 Tage gedauert. Nach § 32 Abs. 2 VertragshilfeVO idF vom 3. 1 1 . 1941, RGBl I 684, galt die Hemmung nicht für Fristen, die erst nach dem 31. 12. 1941 abliefen. § 30 VertragshilfeVO idF vom 3. 1 1 . 1941 bestimmte die Hemmung der Verjährungsfristen für Wehrmachtsangehörige und andere in der Vorschrift aufgeführte, durch die Kriegsführung besonders betroffene Personen. Nach §31 waren bestimmte Ausschlußfristen in derselben Weise gehemmt. Nach der Verordnung vom 9. 12. 1943, RGBl I 688, verjährten die in §§ 196, 197 bezeichneten Ansprüche nicht vor Ende des Jahres 1944. Eine zunächst abschließende Regelung erfolgte durch die zweite Kriegsmaßnahmenverordnung vom 27. 9. 1944, RGBl I 668. Nach deren § 32 waren alle Verjährungs- und ähnlichen Fristen für und gegen alle Personen vom 15. Oktober 1944 bis Ende 1945, also ein J a h r und 78 Tage, gehemmt. Die §§30, 31 VertragshilfeVO und die Verordnung vom 9. 12. 1943 waren nach § 34 der 2. KriegsmaßnahmenVO nicht mehr anzuwenden. Danach war beim Zusammenbruch die Verjährung aller zu dieser Zeit noch nicht verjährten Ansprüche bis zum Ende 1945 gehemmt. Nach dem Zusammenbruch trat zunächst eine erhebliche Rechtsverschiedenheit in den einzelnen Besatzungszonen ein. b) Nachkriegsvorschriften A n m . 28 Britische Zone. In der britischen Zone erging, nachdem zunächst die Hemmung der Verjährung und des Fristablaufs durch Anordnungen der verschiedenen Oberlandesgerichtspräsidenten bis Ende 1946 verlängert war, eine einheitliche Regelung für die Zone durch die Verordnungen des Präsidenten des Zentraljustizamtes vom

692

Verjährung

§202 Anm. 29—32

16. 12. 1946, V O B l B r Z 9, und die Verordnung vom 17. 12. 1947, V O B l B r Z 174. Schließlich bestimmte die Verordnung des Präsidenten des Zentraljustizamtes v o m 1 3 . J a n u a r 1949, V O B l B r Z 19, daß die in den J a h r e n 1939 bis 1948 angeordnete H e m m u n g der Verjährung und sonstigen Fristen als nicht erfolgt gelte. Die Ansprüche, die a m 1 . September 1939 noch nicht verjährt waren, sollten frühestens, falls die Verjährungsfrist für sie bis zu zwei J a h r e n betrage, a m I . J u l i 1949, falls sie über zwei bis vier J a h r e betrage, mit dem 1. J a n u a r 1950, falls sie über vier bis zehn J a h r e betrage, mit dem 1 . 1. 1 9 5 1 und falls sie über zehn J a h r e betrage, mit dem 1. 1. 1952 enden. Die §§ 30, 3 1 VertragshilfeVO vom 30. 1 1 . 1939 idF v o m 3. 1 1 . 1941 und 1 1 . 12. 1942 sollten wieder angewandt werden.

Anm. 29 A m e r i k a n i s c h e Z o n e . Der Fristablauf war durch Gesetze der einzelnen Länder geregelt. Es handelte sich dabei u m folgende Bestimmungen: F ü r Bayern: Gesetze v o m 18. 6. 1946 und 29. 1. 1948, B a y B S I I I 1 1 6 . F ü r Bremen: Ges. vom 16. 1 2 . 1946, G B l 1 2 3 , und Ges. v o m 1 7 . 1. 1948, G B l 9. F ü r Hessen: V O v o m 1 7 . 1 . 1946, G V B 1 55, Ges. v o m 20. 3. 1947, G V B 1 24, und Ges. v o m 5. 2. 1948, G V O B 1 19. F ü r Württemberg-Baden: Ges. vom 16. 5. 1946, R e g B l 207, Ges. vom 23. 4. 1947, R e g B l 38, und Ges. v o m 5. 2. 1948, R e g B l 26. Nach dem 3 1 . Dezember 1948 galten in der amerikanischen Zone die §§ 30 und 3 1 VertragshilfeVO v o m 30. 12. 1939 idF v o m 3 . 12. 1941 weiter.

Anm. 30 F r a n z ö s i s c h e Z o n e . I n der französischen Zone fehlte eine einheitliche Regelung. F ü r die einzelnen L ä n d e r ergingen besondere Vorschriften, die den Fristablauf f ü r die J a h r e 1946 und 1947 hemmten. Gegenüber der britischen und amerikanischen Zone w a r damit die Hemmungszeit u m ein J a h r verkürzt. I n Betracht kommen folgende gesetzliche Bestimmungen: für Südbaden V O vom 7. 3. 1947, A B l B a d F r Z 43, f ü r Württemberg-Hohenzollern Rechtsanordnung vom 3. 2. 1947, A B l 5 1 3 , f ü r L i n d a u Rechtsanordnung v o m 30. 6. 1947, A B l des Bay. Kreises L i n d a u 1947 Nr. 50. Eine besondere Regelung wurde in Rheinland-Pfalz durch die V O vom 25. 2. 1947, V O B 1 37, getroffen. Anschließend an die landesgesetzlich bestimmte Fristablaufshemmung traten die bis dahin suspendierten §§ 30 und 3 1 VertragshilfeVO wieder in K r a f t .

Anm. 31 West-Berlin. kriegsvorschriften die § § 3 0 und 31 G V B 1 3 3 3 , außer

I n West-Berlin wurde der Ablauf der Fristen nicht durch Nachgehemmt. M i t Wirkung v o m 1 . J a n u a r 1946 galten vielmehr wieder VertragshilfeVO. Sie ist erst durch das Gesetz vom 26. April 1 9 5 1 , K r a f t gesetzt worden.

Anm. 32 S a a r l a n d . I m Saarland war der Fristablauf zunächst bis E n d e 1947, dann bis E n d e 1948 gehemmt (Rechtsanordnungen v o m 6. 12. 1946, A B l 259, und vom 1 2 . g. 1947, A B l 5 1 7 ) . N a c h dem Gesetz vom 22. 1 1 . 1948, A B l 1548, in Verbindung mit dem Änderungsges. vom 14. 12. 1950, A B l 1 1 3 1 , und vom 3 1 . 12. 1 9 5 1 , A B l 1952, 45, laufen Verjährungsfristen bis zu zwei J a h r e n a m 3 1 . 1 2 . 1949, bis zu vier J a h r e n a m 3 1 . 12. 1952, bis zu zehn J a h r e n frühestens am 3 1 . 12. 1952, von mehr als zehn J a h r e n frühestens a m 3 1 . 12. 1953 ab. §§ 30 Nr. 3, 3 1 VertragshilfeVO sind v o m 1 . J a n u a r 1949 ab wieder anzuwenden. Die Einrede der Verjährung ist überhaupt ausgeschlossen, wenn der Berechtigte infolge des von dem nationalsozialistischen R e g i m e ausgehenden physischen oder moralischen Zwanges an der rechtzeitigen Geltendmachung seines Rechtes verhindert worden ist. 4?

Komm. 2. BGB. n . Aufl. T. Bd. (Johannsen)

693

§202

Anm. 33—35

Allgemeiner Teil

Anm. 33 Sowjetische Besatzungszone. Die Fristablaufshemmung wurde nur für das Land Brandenburg durch Anordnung vom 29. 1 1 . 1945, VOB1 1946, 21, bis Ende 1946 verlängert. In Brandenburg galten ab 1. Januar 1947 und in allen übrigen Ländern bereits ab 1. Januar 1946 die §§ 30 und 31 VertragshilfeVO von 1939/1941. Die Verjährung von Ansprüchen, die zum Volkseigentum gehören oder von staatlichen Organen geltend zu machen sind, und die Verjährung von Ansprüchen gesellschaftlicher Organisationen und Genossenschaften war fortlaufend gehemmt bis zum 3 1 . Dezember 1954, zuletzt durch die V O vom 17. 12. 1953, GBl DDR 1953, 1 3 1 1 . Für Ost-Berlin gilt die gleiche Regelung wie für die sowjetische Besatzungszone. Anm. 34 3. Abschlußregelung der Bundesrepublik In der Bundesrepublik wurde durch das Gesetz über den Ablauf der durch Kriegs- und Nachkriegsvorschriften gehemmten Fristen vom 28.12.1950, BGBl 821, eine einheitliche Regelung geschaffen. Nach § 1 dieses Gesetzes verjähren die zur Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes noch nicht verjährten Ansprüche, deren Verjährung durch Kriegs- oder Nachkriegsvorschriften gehemmt war, in dem Zeitpunkt, in dem sie ohne die Hemmung verj ähren würden, jedoch nicht vor dem 3 1 . März 1951. Danach muß der Zeitpunkt der Verjährung nach den allgemeinen Vorschriften festgestellt werden. Liegt dieser Zeitpunkt vor dem 3 1 . März 1951, dann ist der Ablauf der Verjährungsfrist bis zu diesem Tage gehemmt. Liegt er später, dann vollendet sie in dem sich nach den allgemeinen Vorschriften ergebenden Zeitpunkt. Ein weitergehender Schutz besteht für die Ansprüche oder Verpflichtungen solcher Personen, die zur Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes noch weiter an der Geltendmachung ihrer Rechte durch Kriegsereignisse gehindert waren. Für sie trifft § 2 eine dem § 30 VertragshilfeVO entsprechende Regelung. § 2 ordnet eine Hemmung der Verjährung für alle bürgerlich-rechtlichen Ansprüche an, deren Gläubiger oder Schuldner sich infolge von Kriegsereignissen oder -zuständen außerhalb des Gebietes aufhält, in dem eine deutsche Gerichtsbarkeit ausgeübt wird. Die Verjährung dieser Ansprüche vollendet nicht vor Ende des Kalenderjahres, das auf das Jahr folgt, in dem der Betroffene in das Gebiet, in dem deutsche Gerichtsbarkeit ausgeübt wird, zurückkehrt oder zurückkehren kann. Entsprechendes soll gelten, wenn der Gläubiger oder Verpflichtete außerhalb der Bundesrepublik unter solchen Umständen gefangen gehalten wird, daß die sachgemäße Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht möglich ist. Falls der Gläubiger oder Schuldner im Zusammenhang mit Kriegsereignissen oder -zuständen verschollen ist, vollendet die Verjährung nicht vor dem Ende des Kalenderjahres, das folgt auf den Eintritt der Rechtskraft der Todeserklärung oder des Erlasses des Beschlusses, in dem der Zeitpunkt des Todes festgestellt wird. Eine kürzere Frist gilt für Ansprüche, deren Verjährungsfrist nicht mehr als sechs Monate beträgt. Die Regelung gilt auch für die prozessualen Ausschlußfristen und solche Fristen, auf die § 203 entsprechend anzuwenden ist. 4. Internationaler Rechtsverkehr Anm. 35 Für den internationalen Rechtsverkehr gelten Sondervorschriften. Nach § 3 des Gesetzes über den Ablauf der durch Kriegs- oder Nachkriegsvorschriften gehemmten Fristen vom 28. 12. 1950, BGBl 821, tritt an die Stelle des in § 1 genannten Ablaufszeitpunktes (31. März 1951) für Zahlungsansprüche aus dem zwischenstaatlichen Geld- und Kapitalverkehr das Ende des Kalenderjahres, vor dessen Beginn das Erfordernis einer devisenrechtlichen Genehmigung zur Erfüllung des Anspruchs wegfällt. Zur Ergänzung des Gesetzes vom 28. 12. 1950 erging das Gesetz vom 30. 3. 1951, BGBl I 213. Nach § 1 dieses Gesetzes gelten bürgerlich-rechtliche Ansprüche als vor dem g. Mai 1945 nicht verjährt, wenn die Verjährung noch nicht vollendet war, als der Kriegszustand zwischen den Ländern eintrat, denen der Berechtigte und der Verpflichtete angehörten oder in denen sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten. Das gleiche gilt für entsprechende Ausschlußfristen.

694

Verjährung

§ 202 A n m . 36—39

§203 Falls für einen vor dem 21. November 1950 fällig gewordenen Anspruch eine devisenrechtliche oder eine Genehmigung nach MilRegG 52 erforderlich war, verjährt der Anspruch nicht vor Ende 1951. Das gilt auch, wenn die Verjährung bereits nach dem 9. Mai 1945 eingetreten war. A n m . 36 Durch das Gesetz Nr. 67 der Alliierten Hohen Kommission vom 23. 11. 1951, AB1AHK 1310, wurde bestimmt, daß Ausschlußfristen zur Vornahme von Rechtshandlungen als nicht vor dem 9. Mai 1945 abgelaufen gelten, wenn sie noch nicht abgelaufen waren, als zwischen dem Deutschen Reich und einem Lande, dessen Staatsangehörigkeit ein Beteiligter zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen dem 31. August 1939 und dem 9. Mai 1945 besaß, der Kriegszustand eintrat. Falls eine Devisen- oder eine Genehmigung nach MilRegG 52 erforderlich war, soll der Fristablauf nicht vor dem i . J u l i 1952 eintreten. A n m . 37 Im Hinblick auf die besondere Regelung für die Abwicklung von Auslandsverbindlichkeiten im Londoner Schuldenabkommen vom 27. 2. 1953, BGBl I I 331, trifft Artikel 18 dieses Abkommens eine besondere Bestimmung. Sie betrifft Verjährungsund Ausschlußfristen, die bis zum 1. J u n i 1933 noch nicht abgelaufen waren. Der Lauf dieser Fristen ist vom 1. Juni 1933 bis zum Ablauf von 18 Monaten nach dem Zeitpunkt, in dem das Schuldenabkommen auf die betreffende Schuld angewandt werden kann, gehemmt. A n m . 38 Eine weitere eingehende Regelung trifft das am 1. Februar 1957 in Kraft getretene Gesetz über die Verjährung von deutschen Auslandsschulden und ähnlichen Schulden vom 19. 12. 1956, BGBl I 915. Es bezieht sich auf die beim Inkrafttreten des Gesetzes noch nicht verjährten Ansprüche ausländischer Gläubiger, zu deren Erfüllung eine devisenrechtliche Sondergenehmigung oder eine Sondergenehmigung nach Art. I Abs. i Buchst, f MilRegG 52 erforderlich ist oder die nach dem Londoner Schuldenabkommen zu regeln sind. Das Gesetz regelt den Ablauf der Verjährung dieser Ansprüche und den Ablauf von Ausschlußfristen für Rechtshandlungen, die zur Geltendmachung oder Erfüllung der Ansprüche erforderlich sind. Die Ansprüche, für die eine devisenrechtliche oder eine Genehmigung nach dem MilRegG 52 erforderlich ist, verjähren nicht vor dem Ablauf von 18 Monaten nach dem Inkrafttreten des Gesetzes. Ansprüche, deren Regelung nach dem Londoner Schuldenabkommen erst nach einer zwischenstaatlichen Vereinbarung oder dem Erlaß eines Bundesgesetzes möglich ist, verjähren nicht vor dem Ablauf von 18 Monaten nach dem Inkrafttreten der betreffenden zwischenstaatlichen Vereinbarung oder des Bundesgesetzes. A n m . 39 5. Abschlußregelung für West-Berlin Es entsprechen dem Gesetz vom 28. 12. 1950 das Gesetz vom 26.4. 1951, GVB1 333 — es setzt jedoch als Frist den 30. September 1951 —, dem Gesetz vom 30. 3. 1951 das Gesetz vom 3. 7. 1951, GVB1 498, in dem die Frist auf den 15. Februar 1951 gesetzt ist, dem A H K G 67 das Gesetz Nr. 20 der Alliierten Kommandatura Berlin vom 23. 1. 1952, GVB1 88. Das Gesetz über die Verjährung von deutschen Auslandsschulden usw. vom 19. 12. 1956 gilt auch in Berlin (Bln. Ges. vom 29. 12. 1956, GVB1 1957, 17).

§ 303 Die Verjährung i s t g e h e m m t , solange der Berechtigte durch Stillstand der Rechtspflege innerhalb der letzten s e c h s Monate der Verjährungsfrist a n der Rechtsverfolgung verhindert i s t . Das gleiche gilt, w e n n eine solche Verhinderung in anderer Weise d u r c h höhere Gewalt herbeigeführt w i r d . E I 164 II 169, 165; Mi 315ff;Pi 218E 45*

695

§203 Anm. 1—5

Allgemeiner Teil Ubersicht Stillstand der Rechtspflege, höhere Gewalt

1. Stillstand der Rechtspflege 2. Begriff höhere Gewalt . . a) Absolute und relative Theorie b) Besondere Art des Zufalls 3. Einzelfälle höherer Gewalt . 4. Besondere Kriegsvorschriften

I. 2 3 4 5—7

1. Stillstand der Rechtspflege Anm. 1 Über das Wesen der Hemmung siehe § 202 Anm. 1. Voraussetzung ist, daß die Gerichtstätigkeit selbst eingestellt ist, nicht, daß nur der Berechtigte persönlich gehindert ist, das Gericht in Anspruch zu nehmen (RG 128, 47). In Betracht kommen Unzugänglichkeit wegen Überschwemmung, Krieg, auch Schließung der Gerichte nach MilRegG g2 V I I I . Bloße Erschwerung kommt nicht in Betracht. Anm. 2 Falls der Berechtigte zwischen mehreren Gerichtsständen die Wahl hat, könnte der Stillstand der Rechtspflege an nur einem der mehreren Gerichte die Verjährung jedenfalls dann nicht hemmen, wenn es dem Berechtigten an einem erheblichen Grunde fehlte, die Ausübung des Wahlrechts zu unterlassen, zumal wenn er dies nur in der Absicht täte, den Verpflichteten zu schädigen (§ 226). Die Ansicht, daß der Gerichtsstillstand auch bei nur einem Gerichte unbedingt einen Hemmungsgrund bilde (Staud i n g e r / G o i n g § 203 Anm. 5), kann nicht gebilligt werden. E n t s p r e c h e n d e Anwendung des § 203 auf die Klage auf Aufhebung der Ehe EheG § 35 Abs. 3; auf Anfechtung der Ehelichkeit s. § 1594 Abs. 3. Anm. 3 2. Der Begriff höhere Gewalt, der vom BGB noch in den §§ 701 (Haftung des Gastwirts) und 1996 (Verhinderung des Erben an der Inventarerrichtung) verwertet wird, ist als gegeben vorausgesetzt (Mot. 1, 317fr). Anm. 4 a) Absolute und relative Theorie Nach der a b s o l u t e n T h e o r i e gehören zur höheren Gewalt alle Ereignisse, welche von außen her eingreifen und die unter gewöhnlichen Umständen voraussehbaren Gefahren merklich übersteigen (RG 95, 64; 101, 95; WarnRspr 1920 Nr. 172 u. 174). Nach der r e l a t i v e n T h e o r i e ist überhaupt kein allgemeiner Maßstab gegeben, es kommt vielmehr auf die jedesmaligen Verhältnisse an; nach ihnen ist zu prüfen, ob der Handelnde auch bei Anwendung eines höheren Grades von Aufmerksamkeit und von Vorsicht imstande war, die Gefahr vorauszusehen und abzuwenden. Der letztere Standpunkt ist zu billigen. b) Besondere Art des Zufalls Anm. 5 Die höhere Gewalt ist eine besondere Art des Zufalles, d. i. eines Ereignisses, das vom Handelnden nicht verschuldet ist und von ihm auch bei Anwendung der allgemein erforderlichen Aufmerksamkeit nicht vorausgesehen und nicht verhindert werden konnte. In der Regel befreit ein solches Ereignis von der Haftung. Soweit aber das Gesetz eine Verantwortlichkeit darüber hinaus annimmt und die Befreiung erst unter der Voraussetzung der „höheren Gewalt" eintreten lassen will, reicht dazu nicht schon ein Zufall im gewöhnlichen Sinne aus. Es muß vielmehr ein Ereignis eingetreten sein, das auch bei Anwendung aller Vorsicht und Aufmerksamkeit nicht voraussehbar und selbst mit allen zu Gebote stehenden Mitteln nicht 696

Verjährung

§203 A n m . 6-—11

abzuwenden war (RG g5, 65). Falls daher mit gewissen Betrieben die Gefahr des Zufalls schon der Natur der Sache nach verbunden ist, so daß gewisse Unfälle mehr oder minder häufig vorzufallen pflegen, wird man von höherer Gewalt folgerichtig nur dann sprechen können, wenn sich das Ereignis, auch nach dem zuvor bezeichneten Maßstabe bemessen, noch als ein außergewöhnliches darstellt. Mit den in der Gefährlichkeit des Betriebs ohnehin begründeten Gefahren hat der Unternehmer allemal zu rechnen. Anm. 6 Daraus, daß die höhere Gewalt eine besondere Art von Zufall bedeutet, folgt endlich, daß ihr Vorhandensein ausgeschlossen ist durch jede Art von Verschulden des Handelnden. Es wird sich in der Regel um ein Ereignis handeln, das von außen her eingewirkt hat (vgl. R G 95, 65; 2 1 , 1 6 ; 44, 27; 50, 92; 54, 407; 64, 404; J W 1910, 1000), ohne daß der Begriff auf Fälle dieser Art zu beschränken ist (vgl. R G J W 1938, 176). Anm. 7 Als Richtschnur für den Begriff höhere Gewalt kann die B e s t i m m u n g des § 233 Z P O (RG H R R 1 9 3 1 , 1738; s. aber auch R G 158, 357, 360f) gelten. Die höhere Gewalt des § 203 entspricht im wesentlichen dem nach § 233 Z P O maßgebenden „ u n a b w e n d b a r e n Z u f a l l " (vgl. R G 48, 409; J W 1938, 176). 3. E i n z e l f ä l l e h ö h e r e r G e w a l t Anm. 8 Wird ein Wechsel von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt, so ist der Kläger im Wechselprozesse an der Rechtsverfolgung durch höhere Gewalt um deswillen nicht gehindert, weil er den Prozeß nach § 596 in das ordentliche Verfahren übergehen lassen kann, aber auch deswegen nicht, weil ihm die Möglichkeit gegeben ist, den Prozeß durch Gerichtsbeschluß aussetzen zu lassen (RG 72, 187). Anm. 9 S c h w e r e E r k r a n k u n g ist noch kein Hemmungsgrund im Sinne des Abs. 2; sie ist es erst dann, wenn dem Berechtigten infolge seines Zustandes (Bewußtlosigkeit, Fieberdelirien) die Versorgung seiner Angelegenheiten schlechthin unmöglich geworden war ( R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 153). Denn stets muß es sich um ein Ereignis handeln, das unter den gegebenen Umständen auch durch die äußerste, diesen Umständen angemessene Sorgfalt und Umsicht nicht verhütet werden konnte ( R G J W 1910, 1000), und das außerhalb des dem Betriebe eigentümlichen Gefahrenkreises gelegen ist (RG J W 1 9 1 1 , 1 9 2 ; 1 9 1 1 , 227). A n m . 10 Die V e r z ö g e r u n g d e r E n t s c h e i d u n g ü b e r e i n A r m e n r e c h t s g e s u c h im Anwaltsprozesse kann (als unabwendbarer Zufall) eine Hemmung der Verjährung begründen (RG 87, 52; 126, 6 1 ; 1 6 8 , 2 2 4 ; J W 1937, 2188; WarnRspr 1932 Nr. 1 3 0 ; s. auch Celle H R R 1935, 654; B G H L M B G B § 254 E Nr. 2). Jedoch muß der Gläubiger alles in seinen Kräften Stehende tun, um das durch die Armut begründete Hindernis zu beseitigen. Über die von ihm zu erfüllenden Pflichten, insbesondere die Pflicht, rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist um das Armenrecht nachzusuchen und gegen die das Armenrecht versagende Entscheidung ein zulässiges Rechtsmittel einzulegen vgl. B G H 17, 199. Im Laufe des Armenrechtsverfahrens muß er alle ihm gemachten Auflagen des Gerichts in angemessener Frist erfüllen. Er muß u . U . auch das Gericht an die Erledigung seines Gesuchs erinnern. Ein Verschulden seines Anwalts ist ihm grundsätzlich wie eigenes Verschulden anzurechnen ( B G H 17, 199, 203; L M B G B § 254 E Nr. 2; Beschl. v. 8. 8. 1957 I V Z A 33/57 für die Frist des § 1594; a M R G 158, 360). A n m . 11 Ein Hemmungsgrund ist auch die Versagung des Armenrechts bei Mangel an Mitteln (RG 139, 270; J W 1937, 2188) oder seine Entziehung (RG J W 1937, 27) oder die

697

§ 203 A n m . 1 2 — 1 4 § 204 A n m . 1 — 3

Allgemeiner Teil

unrichtige geschäftliche Behandlung eines Armenrechtsgesuches (RG 1 5 1 , 129). Vgl. auch RG 163, 9. Uber die Pflichten des Rechtsanwalts der das Armenrecht erbittenden Partei in solchen Fällen s. RG J W 1937, 2188. Anm. 12 Auch sonst kann eine Verhinderung durch höhere Gewalt angenommen werden, wenn sich der Berechtigte auf eine (der Sachlage nicht entsprechende) amtliche Behandlung einer Rechtsangelegenheit verlassen hat (RG J W 1927, 1195). Anm. 13 Dagegen bildet der Umstand, daß ein Angehöriger eines fremden Staates bis zum Inkrafttreten eines Staatsvertrages zwischen diesem und dem Deutschen Reich über Verbürgung der Gegenseitigkeit das Armenrecht für eine Klage vor dem deutschen Gericht nicht erhalten konnte, keinen Hemmungsgrund für die Verjährung seiner Forderung gegen den deutschen Schuldner (RG 126, 58). Ein Hemmungsgrund kann darin bestehen, daß der Gläubiger nach dem MilRegG 52 unter Vermögenskontrolle gestellt ist und daher seinen Anspruch nicht geltend machen kann (BGH 10, 3 1 0 ; zustimmend W o l t e r NJW 1955, 290; ablehnend W ö s t e n d i e k N J W 1954, 824). Ebenso war die Verjährungsfrist von Ansprüchen der Berliner Privatbanken für die Dauer der Ruheanweisung des Berliner Magistrats (5. Juni 1945 — 19. Juni 1949) gehemmt (BGH BB 1955, 880). Anm. 14 4. Besondere Kriegsvorschriften. Uber den aus Anlaß der Kriegs- und Nachkriegszustände besonders geregelten Ablauf der Verjährungsfristen vgl. § 202 Anm. 24—39-

§ 304 Die Verjährung von Ansprüchen zwischen Ehegatten ist gehemmt, solange die Ehe besteht. Das gleiche gilt von Ansprüchen zwischen Eltern und Kindern während der Minderjährigkeit der Kinder und von Ansprüchen zwischen dem Vormund und dem Mündel während der Dauer des Vormundschaftsverhältnisses . EI 168 II 170; M l 324ff; P 1 «iff. Ubersicht Hemmung wegen naher familienrechtlicher Beziehungen 1. 2. 3. 4.

Allgemeines Ansprüche zwischen Ehegatten Ansprüche zwischen Eltern und Kindern Ansprüche zwischen Vormund und Mündel

Anm. I 2—4 5 6

Anm. 1 1. Allgemeines Uber das Wesen der Hemmung der Verjährung § 202 Anm. 1. Die in § 204 aufgeführten Hemmungsgründe sind von Amts wegen zu berücksichtigen (RG J W 1908, 192) und greifen bei Ansprüchen aller Art Platz. 2. Ansprüche zwischen Ehegatten Anm. 2 Bestehende Ehe als Hemmungsgrund. Im Falle der S c h e i d u n g durch Urteil endet die Ehe mit der Rechtskraft des Urteils (EheG § 41). Anm. 3 Im Falle der Aufhebung der Ehe wird die Ehe nach § 29 EheG gleichfalls erst mit der Rechtskraft des Urteils aufgelöst, so daß bis dahin der Hemmungsgrund des § 204

698

Verjährung besteht. Bei dagegen als Verjährung darüber die

§ 204 Anm. 4—6 §205

der nach früherem Recht möglichen Eheanfechtung (§ 1343) war die Ehe von Anfang an nichtig anzusehen. Es ergaben sich daher Zweifel, ob die so lange gehemmt war, bis die Ehe tatsächlich angefochten wurde (vgl. 10. Aufl. Anm. 1). Diese Streitfrage besteht jetzt nicht mehr.

Anm. 4 Für die Fälle der nichtigen Ehe ist zu beachten, daß, solange die Ehe nicht durch Urteil für nichtig erklärt worden ist, sich nach § 23 EheG niemand auf die Nichtigkeit berufen kann. Die Ehegatten leben in einer gültigen, wenn auch vernichtbaren Ehe. Schon aus diesem Grunde kann sich keiner der Ehegatten, solange die Nichtigkeit der Ehe nicht durch das Urteil festgestellt ist, darauf berufen, daß eine gegen ihn gerichtete Forderung des anderen Ehegatten verjährt sei. Fraglich kann es sein, ob die Verjährung während des tatsächlichen Bestandes der Ehe auch dann gehemmt war, nachdem die Ehenichtigkeit rechtskräftig festgestellt ist. Mit der Rechtskraft des Nichtigkeitsurteils wird die Ehe rückwirkend beseitigt. Daraus könnte geschlossen werden, daß auch die Verjährung nicht nach § 204 gehemmt war (so Mot. 1, 325f; S t a u d i n g e r / C o i n g 1 1 . Aufl. § 204 Anm. 3; P l a n k / K n o k e 4. Aufl. § 204 Anm. 2). Nach § 26 EheG finden auf das Verhältnis der Ehegatten in vermögensrechtlicher Beziehung die im Falle der Scheidung geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung, wenn auch nur einer der Ehegatten die Nichtigkeit der Ehe bei der Eheschließung nicht gekannt hat. Daraus ergibt sich, daß dann auch die Verjährung bis zur Rechtskraft des die Ehenichtigkeit aussprechenden Urteils gehemmt war. Es ist aber nicht notwendig, diese Rechtsfolge aus § 26 EheG herzuleiten. Vielmehr ist ganz allgemein davon auszugehen, daß die rückwirkende Kraft, die dem Urteil, durch das die Nichtigkeit festgestellt wird, zukommt, dort ihre Grenze hat, wo das inzwischen Eingetretene nicht beseitigt werden kann, oder wo das Hinwegsehen über die Tatsache, daß die Ehegatten in einer wirklichen Ehe gelebt haben, zu unerträglichen und vom Gesetz nicht gewollten Folgen führen würde. Aus diesem Grunde muß angenommen werden, daß die Verjährung der zwischen den Ehegatten bestehenden Ansprüche in jedem Fall ohne Rücksicht darauf, ob sie von dem Bestehen des Nichtigkeitsgrundes Kenntnis hatten, bis zum Eintritt der Rechtskraft des die Ehenichtigkeit aussprechenden Urteils gehemmt ist. Die Verjährung ist dagegen nicht gehemmt, wenn es sich um eine Nicht-Ehe gehandelt hat. Anm. 5 3. Verhältnis zwischen Eltern und Kinder einschließlich des Verhältnisses, welches durch Annahme an Kindes Statt (§ 1757), durch nachträgliche Eheschließung (§ 1719) und durch Ehelichkeitserklärung (§§ 1723, 1736) geschaffen wird. Auf das Bestehen der elterlichen Gewalt über das minderjährige Kind kommt es nach dem Gesetze nicht an. Auch wenn ein anderer das Kind adoptiert hat, bleibt die Verjährung der Ansprüche zwischen dem Kinde und dessen natürlichen Eltern bis zur Volljährigkeit des Kindes gehemmt. Dagegen ist die Verjährung der Ansprüche zwischen dem unehelichen Kind und seinem Erzeuger nicht gehemmt. Anm. 6 4. Verhältnis zwischen Vormund und Mündel, dem dasjenige zwischen Pfleger und Pflegebefohlenen nach § 1 9 1 5 entsprechend gleichgestellt ist. Der Gegenvormund ist zwar nicht gleichfalls Vertreter des Mündels, aber er wirkt bei der Vermögensverwaltung mit, und daher ist es richtig, den § 204 auch in diesem Verhältnisse Platz greifen zu lassen.

§ 305 Der Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist, wird in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet. E I 161 Abs. 1 ; M 1 3 i i f f ; P L J I I .

Einfluß der Hemmung auf die Fristberechnung Vgl. § 202 Anm. 1, 2 ferner die §§ 203, 204 und RG 128, 2 1 1 .

699

§206

Allgemeiner Teil

Anm. 1—4

§ 306 Ist eine geschäftsunfähige oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Person ohne gesetzlichen Vertreter, so wird die gegen sie laufende Verjährung nicht vor dem Ablaufe von sechs Monaten nach dem Zeitpunkte vollendet, in welchem die Person unbeschränkt geschäftsfähig wird oder der Mangel der Vertretung aufhört. Ist die Verjährungsfrist kürzer als sechs Monate, so tritt der für die Verjährung bestimmte Zeitraum an die Stelle der sechs Monate. Diese Vorschriften finden keine Anwendung, soweit eine in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Person prozeßfähig ist. EI

166; M i

;i8ff; P l

z i j f f ; 6 241.

Ablaufhemmung für nicht vollgeschäftsfähige Personen Anm. 1 1. Hemmung der Vollendung der Verjährung (§ 202 Anm. 1, 2) Die §§ 206, 207 wollen in den vorgesehenen Fällen, da regelmäßig damit zu rechnen ist, daß der Geschäftsunfähige sowie auch der in der Geschäftsfähigkeit Beschränkte einen Vertreter hat, der für ihn handeln kann, nicht schlechthin den Lauf, sondern nur den A b l a u f der Verjährung hemmen. Demnach können diese Vorschriften auch dann nur Platz greifen, wenn der besondere Hemmungsgrund am Ende der Frist, und zwar innerhalb des im Gesetze bezeichneten Zeitraums von sechs Monaten eintritt. Das Gesetz will diejenigen Personen, die nicht selbständig handeln können und zugleich auch eines Vertreters ermangeln, jedenfalls gegen den Ablauf der Verjährung schützen. Während des vorgesehenen letzten Zeitraums soll daher die Verjährung ruhen (§ 202 Anm. 1, 2). Sobald die Person unbeschränkt geschäftsfähig wird oder einen gesetzlichen Vertreter erhält, ist der Hemmungsgrund beseitigt. Denn nunmehr besteht die Möglichkeit, daß der Vertreter oder der Berechtigte selbst den Ablauf der Verjährung durch eine geeignete Maßnahme unterbricht. Auf juristische Personen, die ohne Vertreter sind, bezieht sich § 206 nicht (RG 156, 291, 300). E n t s p r e c h e n d e Anwendung auf die Klage auf Aufhebung der Ehe E h e G § 35 Abs. 4. Einen Sonderfall der Ablaufshemmung bietet § 2 0 3 1 , betreffend Ansprüche eines zu Unrecht für tot Erklärten (Frist ein J a h r ) . Anm. 2 2. Nicht voll geschäftsfähige Person als Anspruchsinhaber Der Anspruch muß der geschäftsunfähigen (§ 104) oder einer in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Person (§§ 106, 1 1 4 ) z u s t e h e n , darf also nicht gegen sie gerichtet sein. Anm. 3 3. Fehlen des gesetzlichen Vertreters Ein gesetzlicher Vertreter fehlt nicht schon dann, wenn der bestellte Vertreter nur tatsächlich behindert ist oder wenn der gegebene Vertreter selbst ganz oder teilweise geschäftsunfähig ist. Der fehlende gesetzliche Vertreter wird anderseits nicht dadurch ersetzt, daß der ehemalige Vertreter einen Bevollmächtigten bestellt hatte. Anm. 4 4. Zeitraum für den Hemmungsgrund Der Zeitraum, innerhalb dessen der Hemmungsgrund gegeben sein muß, besteht regelmäßig aus den letzten 6 Monaten der Verjährungsfrist, falls aber die Verjährungsfrist an sich weniger als 6 Monate ausmacht, aus der entsprechenden kürzeren Frist. 700

Verjährung

§ 206 A n m . 5, 6

§§ 207, 208

Anm. 5 5. Prozeßfähige in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Personen (Abs. 2). Vgl. ZPO § 52 Abs. I u. §§ 112, 113 BGB. Anm. 6 6. Besondere A b l a u f h e m m u n g durch Kriegs- und Nachkriegsvorschriften vgl. § 202 Anm. 24—39.

§ 307 Die Verjährung eines Anspruchs, der zu einem N a c h l a s s e gehört oder sich gegen einen Nachlaß richtet, wird nicht vor d e m Ablaufe von sechs Monaten nach d e m Zeitpunkte vollendet, in welchem die E r b s c h a f t von d e m E r b e n ang e n o m m e n oder der Konkurs über den Nachlaß eröffnet wird oder von welchem an der Anspruch von einem Vertreter oder gegen einen Vertreter geltend g e m a c h t werden kann. Ist die V e r j ä h r u n g s f r i s t kürzer a l s sechs Monate, so tritt der f ü r die Verjährung b e s t i m m t e Zeitraum an die Stelle der sechs Monate.

EI 167 II 172; M z 322; P 1 221. A b l a u f h e m m u n g für Nachlaßansprüche und -Verbindlichkeiten Anm. 1 Hemmung des Verjährungsablaufs (§ 202 Anm. 1, 2, § 206 Anm. 1). ansprüche §§2039, 2212; Nachlaßverbindlichkeiten §§1967, 2213.

Nachlaß-

Anm. 2 Vgl. § 206 Anm. 1, 4, dessen Rechtsgedanke entsprechend hier verwertet ist. Zeitpunkt der ausdrücklichen oder stillschweigenden Erbschaftsannahme oder endlich der unterstellten Annahme infolge von Ablauf der Ausschlagungsfrist (§ 1943); Zeitpunkt der Eröffnung des Nachlaßkonkurses gemäß §§ 1975 ff. Anm. 3 Vertreter im Sinne des § 207 sind diejenigen Persönlichkeiten, denen nach dem Gesetze die aktive und passive Vertretung des Nachlasses im Prozeß zusteht: der Nachlaßpfleger (§§1960, 1961), der Testamentsvollstrecker (§§2212, 2213), der Nachlaßverwalter (§ 1975). Ob Vertretung im eigentlichen Sinne (§ 164) vorliegt, daraufkommt es nicht an. Vgl. Vorbein, vor § 164 Anm. 4—8.

§ 308 Die Verjährung wird unterbrochen, wenn der Verpflichtete d e m Berechtigten gegenüber den Anspruch durch Abschlagzahlung, Zinszahlung, Sicherheitsleistung oder in anderer Weise anerkennt.

E I 169 II I72; M I 326B; P I 222ff. Ubersicht Unterbrechung der Verjährung durch Anerkenntnis 1. 2. 3. 4.

Wesen und Wirkung der Unterbrechung . . Anerkenntnis als Unterbrechungsgrund . . . Zeitpunkt der Unterbrechung und Beweislast Interlokales Recht

1—4 5—11 ia> 13 14 701

§208

Allgemeiner Teil

A n m . 1—5

1. Wesen und Wirkung der Unterbrechung Anm. 1 Die §§ 208—217 regeln die Unterbrechung der Verjährung. Während die Hemmung nur ein einstweiliges Ruhen der Verjährung bewirkt (§ 202 Anm. 1, 2) und sich sowohl beim Beginn der Verjährung als auch während des Fristlaufs zu äußern vermag, kann eine Unterbrechung nur im Laufe der begonnenen Verjährung stattfinden. Ihre Wirkung ist nach § 217 die, daß nach der Unterbrechung der bis dahin abgelaufene Zeitraum überhaupt nicht mehr in Betracht kommt, mithin nach Beseitigung der Unterbrechung nur eine neue Verjährung beginnen kann, und zwar allemal (gegebenenfalls auch trotz der Bestimmung des § 201) sofort, nicht erst mit Ablauf des Jahres (RG 65, 268).

Anm. 2 Die Unterbrechung wirkt bei Vorhandensein von m e h r e r e n M i t b e r e c h t i g t e n o d e r M i t v e r p f l i c h t e t e n nur für und gegen denjenigen, in dessen Person die Unterbrechungsgründe eingetreten sind (§§425, 429 Abs. 3). Die dem Bürgen gegenüber herbeigeführte Unterbrechung wirkt auch nicht gegen den Hauptschuldner, und ebensowenig die gegen den letzteren erfolgende gegenüber dem Bürgen, unbeschadet jedoch seines Rechtes aus § 768, die dem Hauptschuldner zustehende Einrede der Verjährung auch für sich geltend zu machen. Die Unterbrechung wirkt auch für den Rechtsnachfolger des Gläubigers (RG 163, 396).

Anm. 3 Andere als die vom BGB ausdrücklich anerkannten Unterbrechungsgründe haben keine Geltung mehr, insbesondere auch die Mahnung nicht. Die vom BGB anerkannten gelten aber allgemein, insbesondere auch bei der Wechsel Verjährung.

Anm. 4 Einen eigentümlichen Unterbrechungsgrund hat das Gesetz nur noch in der Sondervorschrift des § 477 Abs. 2 gegeben, wonach in den Fällen der §§ 480, 490, 639 Abs. I der Antrag auf Beweisaufnahme z u r S i c h e r u n g d e s B e w e i s e s zur Unterbrechung genügt, falls die Erhebung des Beweises wirklich beabsichtigt und der Antrag nicht nur zum Scheine gestellt war (RG 66, 412).

2. Anerkenntnis als Unterbrechungsgrund Anm. 5 Gefordert wird n i c h t e i n r e c h t s g e s c h ä f t l i c h e s Anerkenntnis und nicht die Schaffung eines neuen Verpflichtungsgrundes; vielmehr genügt nach § 208 j e d e e i n s e i t i g e , nicht einmal im Sinne des § 130 empfangsbedürftige, dem Berechtigten gegenüber vorgenommene H a n d l u n g o d e r Ä u ß e r u n g , d u r c h welche d e r V e r p f l i c h t e t e d e m B e r e c h t i g t e n t a t s ä c h l i c h zu e r k e n n e n g i b t , d a ß er d e n A n s p r u c h a l s b e s t e h e n d a n s e h e (RG WarnRspr 1908 Nr. 357; 1928 Nr. 101; 1937 Nr. 134; J W 1910, 280; H R R 1930, 1091). Es genügt also jedes Verhalten dem Gläubiger gegenüber, aus dem das Bewußtsein des Verpflichteten von dem Bestehen der Forderung unzweideutig erhellt (RG 73, 131; 78, 132; 113, 238; 135, 9 ; J W 1911, 32; 1914, 34; WarnRspr 1913 Nr. 294; 1 9 3 0 ^ . 5 ; 1933 Nr. 146). Denn das Gesetz besagt nicht, daß die Verjährung durch die Anerkennung des Anspruchs unterbrochen werde, sondern fordert nur, daß die Anerkennung durch A b s c h l a g z a h l u n g , Z i n s z a h l u n g , S i c h e r h e i t s l e i s t u n g o d e r in a n d e r e r Weise (beispielsweise durch Stundungsgesuch) zutage trete, und bezeichnet daher nur die rein tatsächlichen Vorgänge als das hier erforderliche Anerkenntnis (Mot. I, 326; Prot. 1, 222flF). Es widerspräche Treu und Glauben, wenn der Verpflichtete sich trotz einer solchen Kundgebung auf Verjährung berufen wollte; die mit jener notwendig verbundene Unterbrechung der Verjährung läßt sich daher auch nicht mit der Begründung beseitigen, daß die Kundgebung aus irriger Voraussetzung erfolgt sei (RG WarnRspr 1930 Nr. 5).

702

Verjährung

§208

Anm. 6—13

Anm. 6 Nötig ist auch nicht, daß ein bestimmter Schuldgrund anerkannt wird (RG 54, 219). Voraussetzung für das Anerkenntnis ist aber jedenfalls, daß der Schuldner den Anspruch des Gläubigers gekannt hat.

Anm. 7 Ist ein vertragsmäßiges Anerkenntnis beabsichtigt worden, dann hat die Erklärung, falls der Vertrag nicht zustande kommt, keine Bedeutung, mithin auch nicht die einer Anerkennung im Sinne des § 208.

Anm. 8 Unwesentlich ist endlich, ob der Verpflichtete die Abschlagszahlung usw. selbst leistet oder durch einen Dritten leisten läßt. Daher muß es auch ausreichen, wenn der Verpflichtete die Leistung eines Dritten nachträglich als für sich geschehen anerkennt (Mot. 1, 327). Eine Unterbrechung tritt ein, wenn der vom Schädiger mit der Schadensregulierung beauftragte Versicherer die Forderung des Geschädigten teilweise befriedigt (Kassel R d K 1950, 156). Unterbrechung der Verjährung durch Erklärung eines Vertreters s. R G WarnRspr 1928 Nr. 101.

Anm. 9 Es genügt, wenn die Forderung allein d e m G r u n d e n a c h anerkannt wird. Hierdurch entsteht die Unterbrechung hinsichtlich des ganzen Betrags (RG WarnRspr 1908 Nr. 192), mag auch der Verpflichtete an so weitgehende Ansprüche, wie später erhoben werden, nicht gedacht haben (RG 135, 9), und sogar dann, wenn der Verpflichtete sich gegen eine Anerkennung der Höhe des Betrags ausdrücklich verwahrt (RG 73, 132; 63, 382; WarnRspr 1910 Nr. 416). Eine solche Anerkennung dem Grunde nach kann bezüglich eines Pflichtteilsanspruchs z. B. darin gefunden werden, daß der Erbe auf Verlangen des Pflichtberechtigten diesem nach §§ 2314, 260 durch Vorlegung eines Nachlaßverzeichnisses Auskunft erteilt oder nach §§ 1994, 1967 Abs. 2 dem Nachlaßgericht ein Inventar einreicht und nach § 260 Abs. 2 oder § 2006 den Offenbarungseid leistet (RG J W 1927, 1198). Die Anerkennung wirkt alsdann wie eine Feststellungsklage.

Anm. 10 Freilich darf der Verpflichtete sein Anerkenntnis bei t e i l b a r e n V e r b i n d l i c h k e i t e n nicht ausdrücklich auf einen b e s t i m m t e n T e i l der Schuld eingeschränkt haben (RG 63, 389). Denn diese Anerkennung wirkt grundsätzlich nur so weit, als sie reicht, während in Fällen bezeichneter Art das Anerkenntnis die Verjährung für den ganzen Anspruch grundsätzlich nur dann unterbricht, wenn es sich auf den Anspruch im ganzen bezieht (RG WarnRspr 1908 Nr. 192), oder wenn das Anerkenntnis eine allgemeine Richtung auf das Bestehen des Anspruchs genommen hat (RG J W 1 9 1 1 , 32).

Anm. 11 Bei w i e d e r k e h r e n d e n Leistungen läuft die Verjährung für jede einzelne Teilforderung selbständig, so daß die Verjährung durch Anerkennung auch immer nur in entsprechendem Umfange unterbrochen wird.

3. Zeitpunkt der Unterbrechung und Beweislast Anm. 12 Die Unterbrechung kann während des Bestehens des Anspruchs jederzeit, insbesondere auch während der Zeit eintreten, in der die Verjährungsfrist gehemmt ist (BGH L M V O B Teil B § 13 Nr. 1).

Anm. 13 Die Beweislast gegenüber dem Einwände der Verjährung trifft den Berechtigten, der die Unterbrechung durch Anerkenntnis behauptet (RG 29. 1 1 . 1907 V I I 142/07).

703

Allgemeiner Teil

§ 208 A n m . 14 § 209 A n m . 1 A n m . 14 4. Interlokales Recht

Zu beurteilen ist die Unterbrechung der Verjährung nach demjenigen ö r t l i c h e n R e c h t e , dem das Schuldverhältnis im übrigen angehört (RG 9. 3. 1908 V I 208/07).

§ 309 Die Verjährung w i r d unterbrochen, w e n n der Berechtigte auf Befriedigung oder auf Feststellung des A n s p r u c h s , auf Erteilung der Vollstreckungsklausel oder auf E r l a s s u n g des Vollstreckungsurteils Klage erhebt. Der Erhebung der Klage stehen g l e i c h : 1. die Zustellung eines Zahlungsbefehls i m Mahnverfahren; l a . die G e l t e n d m a c h u n g eines A n s p r u c h s durch Anbringung eines Güteantrags bei einer Gütestelle der i m § 794 A b s . 1 N r . 1 der Zivilprozeßordnung bezeichneten A r t ; 2. die A n m e l d u n g des A n s p r u c h s i m K o n k u r s e ; 3. die G e l t e n d m a c h u n g der A u f r e c h n u n g des A n s p r u c h s i m P r o z e s s e ; 4. die Streitverkündung i n d e m P r o z e s s e , v o n d e s s e n A u s g a n g e der A n spruch abhängt; 5. die V o r n a h m e einer Vollstreckungshandlung u n d , s o w e i t die Z w a n g s vollstreckung den Gerichten oder anderen B e h ö r d e n z u g e w i e s e n i s t , die Stellung des A n t r a g s auf Zwangsvollstreckung. E I 170 II 175; M 1 327?; P l

2Z)S.

Übersicht Unterbrechung der Verjährung durch gerichtliche G e l t e n d m a c h u n g des A n s p r u c h s Anm.

I. Unterbrechung durch Klageerhebung 1—31 1. In Betracht kommende Arten von Klagen 2—5 2. Klage des Berechtigten 6—13 3. Wirksamkeit der Klage und ihr anhaftende Mängel 14—18 a) Bestimmter Antrag 14 15 b) Verstöße gegen § 253 Abs. 2 ZPO c) Mangelhafte oder fehlende Zustellung 16, 17 d) Fehlen von Terminsbestimmung und Ladung 18 4. Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung 19,20 5. Rechtshängigwerden im Laufe eines Rechtsstreits 21—23 6. Unterbrechung für den ganzen oder einen Teil des Anspruchs . . . 24—30 7. Klage vor unzuständigen oder ausländischen Gerichten 31 II. Der Klageerhebung gleichgestellte Tatbestände 32—41 1. Allgemeines 32 2. Zustellung eines Zahlungsbefehls (Nr. 1) 33 3. Antrag bei Gütestelle (Nr. 1 a) 34 4. Anmeldung im Konkurs (Nr. 2) 35 5. Aufrechnung im Prozeß (Nr. 3) 36 6. Streitverkündung (Nr. 4) 37—40 7. Vollstreckungshandlung (Nr. 5) 41 Anm. 1 I. Unterbrechung durch Klageerhebung. Uber das Wesen der Unterbrechung vgl. § 208 Anm. 1, 2. 704

Verjährung

§209

Anm. 2—8 1. In Betracht kommende Arten von Klagen Anm. 2 Ob die K l a g e auf L e i s t u n g oder auf F e s t s t e l l u n g — und zwar gemäß § 256 Z P O des dem Anspruch zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses—, auf Erteilung der Vollstreckungsklausel (§§ 7 3 1 , 796, 797 Z P O ) , oder auf Erlaß des Vollstreckungsurteils gerichtet wird (§§722, 1042 Z P O ) , ist gleichgültig. Auch die Inzidentfeststellungsklage genügt ( R G 66, 13). Daß die Feststellungsklage auch allen prozessualen Bedingungen des § 256 Z P O genügt hat, ist nicht erforderlich, da die in ihr enthaltene Willenshandlung wirksam bleibt ( R G 100, 150). Ein G e s u c h u m B e w i l l i g u n g d e s A r m e n r e c h t s g e n ü g t n i c h t , um die Verjährung zu unterbrechen; über eine Hemmung der Verjährung s. § 203 Anm. 10, 1 1 .

Anm. 3 Ebensowenig genügen dazu Verhandlungen über das Bestehen der Forderung. J e d o c h würde es gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn der Schuldner sich während der noch vor Ablauf der Verjährungsfrist eingeleiteten Verhandlungen auf die Verjährung berufen würde. Nach Abschluß der Verhandlungen muß der Schuldner innerhalb einer angemessenen Frist klagen, andernfalls kann der Gläubiger die Verjährungseinrede geltend machen ( B G H L M B G B § 222 Nr. 2).

Anm. 4 Ein A n t r a g a u f A b w e i s u n g d e r n e g a t i v e n F e s t s t e l l u n g s k l a g e und auf Abweisung der auf negative Feststellung gerichteten Widerklage unterbricht die Verjährung n i c h t ( R G 60, 3 8 7 ; 7 1 , 7 3 ; 75, 305; 90, 290; 153, 3 7 5 ; J W 1907, 302; 1934, 1494; 1938, 2 0 1 9 ; H R R 1936, 1209). Die Einrede der Verjährung kann aber gegen Treu und Glauben verstoßen (§ 222 Anm. 12), wenn der Schuldner die negative Feststellungsklage erhebt, sie zunächst auf andere Gründe stützt und sich erst nach Ablauf der Verjährungsfrist auf die Verjährung beruft, ohne seine Absicht, dies zu tun, vorher dem Gläubiger kundzugeben ( R G H R R 1936, 1209).

Anm. 5 Durch die K l a g e des Pflichtteilsberechtigten aus § 2 3 1 4 auf Auskunft wird die in § 2332 vorgesehene Verjährung des Pflichtteilsanspruchs n i c h t u n t e r b r o c h e n ( R G 1 1 5 , 27). U b e r h a u p t u n t e r b r e c h e n d i e den Anspruch auf Zahlung oder Herausgabe n u r v o r b e r e i t e n d e n K l a g e n a u f R e c h n u n g s l e g u n g o d e r A u s k u n f t e r t e i l u n g d i e V e r j ä h r u n g n i c h t ( R G J W 1937, 2 1 0 1 ) . Wahrung der Verjährungsfrist für den Anspruch auf Schadensersatz wegen Unmöglichkeit der Herausgabe durch Erhebung der K l a g e auf Herausgabe s. R G 109, 234.

2. Klage des Berechtigten Anm. 6 Als „Berechtigter" kann nur der wirklich Berechtigte, d. h. also nur derjenige in Betracht kommen, den demnächst das Urteil ( § 2 1 1 ) als den Berechtigten ansieht. Auch der nur bedingt Berechtigte ist Berechtigter im Sinne des Gesetzes ( R G J W 1 9 1 4 , 638). Berechtigter ist nicht nur der Inhaber des Anspruchs, sondern jeder, der prozessual berechtigt ist, den Anspruch gerichtlich geltend zu machen. Berechtigter ist daher auch der, der wirksam zur Einziehung oder Prozeßführung ermächtigt ist ( B G H N J W 1957, 1838; L M B G B § 185 Nr. 8).

Anm. 7 Bei Schadensersatzansprüchen, die kraft Gesetzes sofort mit ihrer Entstehung auf eine Berufsgenossenschaft oder auf den Staat übergehen ( § 4 1 2 ) , ist Klageberechtigter nur der Rechtsnachfolger ( R G 85, 429).

Anm. 8 Der Umstand, daß eine G m b H die einzige persönlich haftende Gesellschafterin einer Kommanditgesellschaft ist und ihre Teilhaber und Geschäftsführer die einzigen

705

§209 Anm. 9—14

Allgemeiner Teil

Kommanditisten sind, begründet noch kein schutzwürdiges Eigeninteresse der G m b H , mit Genehmigung der Kommanditgesellschaft deren Gewährleistungsansprüche gegen Dritte klagend zu verfolgen; eine solche K l a g e unterbricht daher nicht die Verjährung (RG H R R 1930, 773).

Anm. 9 Umgekehrt wird die Verjährung durch eine Feststellungsklage unterbrochen, auch wenn diese nicht von dem anspruchsberechtigten Abtretungsempfänger oder Überweisungsgläubiger, sondern von dem ursprünglichen Gläubiger erhoben wird, da dieser dazu noch berechtigt ist ( R G Recht 1930 Nr. 1982).

Anm. 10 Die K l a g e eines sachlich Nichtberechtigten zuungunsten des Verpflichteten hat auf den Lauf der Verjährung keinen Einfluß. D a die Klageerhebung keine Verfügung darstellt (Vorbem. vor § 104 Anm. 9), so können auch die Grundsätze vom Wirksamwerden der Verfügungen Nichtberechtigter durch Zustimmung des Berechtigten (§§ 1 8 2 — 1 8 5 ) nicht Platz greifen ( B G H L M B G B § 185 Nr. 8).

Anm. 11 Wird der Kläger wegen mangelnder sachlicher Klagebefugnis (Aktivlegitimation) abgewiesen, so kann von einer Unterbrechung der Verjährung überhaupt keine Rede sein. Wenn dem nichtberechtigten Kläger die Forderung während des Prozesses vom Berechtigten abgetreten wird, der Kläger auf Grund dessen den Prozeß fortsetzt, und der Einwand der Klageänderung alsdann nicht erhoben oder aber verworfen wird, muß die Unterbrechung der Verjährung für den Zeitpunkt angenommen werden, in dem der K l ä g e r seine K l a g e nunmehr auf die Abtretung gestützt hat ( K G Recht 1940 Nr. 3605; B G H L M B G B § 185 Nr. 8).

Anm. 12 Geht der Klageanspruch während des Prozesses auf einen andern über, sei es rechtsgeschäftlich, sei es kraft Gesetzes ( § 4 1 2 ) , so hindert das nicht die Unterbrechung der Verjährung ( R G 85, 429).

Anm. 13 Bei einem Treuhandverhältnis ist auch der Treugeber Berechtigter. Seine K l a g e unterbricht die Verjährung auch dann, wenn er berechtigterweise auf Leistung an sich statt an den Treunehmer klagt (Celle Betrieb 1956, 592).

3. Wirksamkeit der Klage und ihr anhaftende Mängel Anm. 14 a) Bestimmter Antrag Die Verjährung wird nur durch eine wirksam erhobene Klage unterbrochen. U m wirksam zu sein, muß die K l a g e zunächst den in § 253 Z P O gestellten Anforderungen genügen ( R G J W 1 9 1 4 , 638; 1934, 1494)- Sie muß einen bestimmten Antrag enthalten, und es muß in ihr der Sachverhalt dargelegt sein, aus dem der Anspruch hergeleitet wird. Eine beim Landgericht eingereichte K l a g e muß von einem bei dem Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Bei einer Leistungsklage wegen Schadensersatzes braucht der Antrag nicht unbedingt auf eine bestimmte Geldsumme zu lauten. Es genügt, wenn es dem Ermessen des Gerichts überlassen ist, die Höhe des Anspruchs zu bemessen, sofern genügend tatsächliche Anhaltspunkte für die Ausübung des Ermessens in der Klageschrift mitgeteilt sind ( B G H 4, 138). Falls mehrere Ansprüche in einer K l a g e geltend gemacht werden, muß, wenn von ihnen auch nur einer nicht in voller Höhe eingeklagt wird, angegeben werden, wie sich der Anspruch auf die teilweise erhobenen Ansprüche verteilt ( R G 157, 3 2 1 , 326; B G H L M R L G § 15 Nr. 4 ; Z P O § 253 Nr. 7 ; B G H 1 1 , 1 8 1 ; 1 1 , 1 9 2 ; vgl. dazu A n m . L M Z P O § 253 Nr. 8; Z P O § 253 Nr. 1 1 ) .

706

Verjährung

§209 A n m . 15—19

Anm. 15 b) Verstöße gegen§ 253 Abs. 2 ZPO Verstöße gegen die in § 253 Abs. 2 Z P O zwingend vorgeschriebenen Anforderungen an den Inhalt der Klageschrift können zwar nachträglich geheilt werden, insbesondere auch nach § 295 Z P O dadurch, daß der Beklagte mündlich verhandelt, ohne das Fehlen einer den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Z P O genügenden Klageschrift zu rügen. Die hierdurch eintretende Heilung wirkt, soweit es sich um die Unterbrechung der Verjährungsfrist handelt, nicht zurück. Diese tritt vielmehr erst in dem Augenblick ein, in dem die mangelhafte Klageschrift durch eine ordnungsmäßige oder durch U m stände ersetzt wird, die die Rechtshängigkeit der Ansprüche zur Folge haben ( B G H 22, 254 — die Wahrung gesetzlicher Ausschlußfristen betreffend; B G H 25, 66; L M Z P O § 253 Nr. 16).

c) Mangelhafte oder fehlende Zustellung Anm. 16 Die Zustellung der K l a g e an einen der Vollmacht mangelnden Vertreter reicht zur Unterbrechung der Verjährung dann aus, wenn die Prozeßführung des Vertreters demnächst genehmigt wird ( R G 86, 245).

Anm. 17 Anders ist es, wenn eine den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Z P O genügende Klageschrift nicht wirksam zugestellt worden ist, sei es, daß die Zustellung fehlerhaft war oder ganz unterblieben ist. Dieser Mangel kann nach § 295 Z P O geheilt werden. Dadurch, daß eine Heilung nach § 295 Z P O eintritt, gilt die fehlerhafte Zustellung als ordnungsgemäß. Es ist so anzusehen, als sei die K l a g e an dem Tage, an dem sie fehlerhaft zugestellt worden ist, ordnungsgemäß zugestellt. War die Zustellung überhaupt unterblieben, dann wird sie dadurch, daß der Mangel heilt, überhaupt entbehrlich. Es ist jetzt so anzusehen, als sie die Zustellung in dem Augenblick erfolgt, in dem dieser Mangel heilt. In beiden Fällen kann aber nach § 261 b Abs. 3 Z P O die Verjährung schon in dem Augenblick unterbrochen sein, in dem die Klage bei Gericht eingereicht worden ist ( B G H 4, 328; 25, 66; L M D B G § 143 Nr. 4; vgl. auch B G H L M Z P O § 253 Nr. 6 und R G 87, 2 7 1 ) .

Anm. 18 d) Fehlen von Terminsbestimmung und Ladung Die Klage kann auch ohne Terminsbestimmung und ohne Ladung wirksam erhoben werden. Die Verjährung wird daher auch dann unterbrochen, wenn die Klageschrift entgegen § § 2 Ö i a Z P O förmlich zugestellt wird, ohne daß zuvor der Termin bestimmt worden ist und ohne daß zugleich zu dem Termin geladen wird ( B G H 1 1 , 175). Die Verjährung wird dagegen nicht unterbrochen, wenn die mit einem Armenrechtsgesuch verbundene K l a g e dem Gegner nur formlos zur Äußerung auf das Armenrechtsgesuch übersandt wird ( B G H 7, 268). Falls sich aber ergibt, daß mit dem Armenrechtsgesuch auch die K l a g e bei Gericht eingereicht werden sollte, wird wie oben Anm. 17 ausgeführt ist, die Verjährung rückwirkend unterbrochen, wenn der Zustellungsmangel durch nicht rechtzeitige R ü g e im weiteren Verfahren geheilt wird ( B G H 4, 328). Falls sich aus dem Inhalt der dem Gericht eingereichten Schriftsätze zweifelsfrei ergibt, daß die K l a g e noch nicht als solche eingereicht sein, sondern nur dazu dienen sollte, das Armenrechtsgesuch zu begründen, ist eine Klage überhaupt nicht erhoben. Wenn die Parteien, ohne den Mangel der fehlenden Klageerhebung zu rügen, über einen auf diese Weise dem Gericht unterbreiteten Anspruch in dem Rechtsstreit verhandeln, wird die Verjährung erst in dem Zeitpunkt dieser Verhandlung unterbrochen.

4. Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung Anm. 19 Nach § 2 6 1 b Abs. 3, 496 Z P O wird die Verjährung bereits in dem Augenblick unterbrochen, in dem die Klage bei dem Gericht eingereicht oder der Antrag angebracht

707

§ 209 Anm. 20—24

Allgemeiner Teil

wird, wenn die Zustellung demnächst erfolgt. Diese Vorschrift ermöglicht es, die Verjährungsfrist noch kurz vor ihrem Ablauf zu wahren. Es genügt, daß am letzten T a g der Frist eine Klage bei einem Gericht eingereicht wird. Ob dieses Gericht örtlich und sachlich zuständig ist, ist wegen der später möglichen Verweisung des Rechtsstreits nach § 276 Z P O unerheblich.

Anm. 20 Die Zustellung kann auch dann noch als demnächst erfolgt angesehen werden, wenn inzwischen ein längerer Zeitraum, der u. U . mehr als ein J a h r betragen kann, vergangen ist. Der Prozeßrichter hat alle Umstände des Falles zu würdigen, Sinn und Zweck der Bestimmung zu beachten und danach zu entscheiden, ob eine Zustellung noch als demnächst erfolgt angesehen werden kann. Das ist nicht der Fall, wenn sie infolge schuldhaften Verhaltens des Klägers verzögert ist. Ein solches Verschulden kann z. B. darin liegen, daß der Kläger den Prozeßkostenvorschuß nicht rechtzeitig eingezahlt hat ( B G H L M D B G § 143 Nr. 4 ; Z P O § 2 6 1 b Nr. 2). Es geht nicht zu Lasten des Klägers, wenn die Zustellung dadurch verzögert wird, daß er gleichzeitig mit der K l a g e ein Armenrechtsgesuch eingereicht hat und daß das Gericht erst nach längerer Zeit über dieses Gesuch entscheidet. Der Kläger braucht in einem solchen Fall auch nicht, um die Zustellung zu beschleunigen, sich nach § 1 1 1 Abs. 4 G K G von der Vorauszahlung der Prozeßgebühren befreien zu lassen ( B G H L M Z P O § 2 6 1 b Nr. 4). Auch dann, wenn der Kläger die K l a g e kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist einreicht, braucht er selbst keine Schritte zu unternehmen, um die Zustellung zu beschleunigen ( B G H L M G K G — 1878 — § 74 Nr. 1). Eine Partei, die nicht arm ist und sich auch nicht für arm halten darf, kann die Erstreckung der Verjährungsfrist nicht dadurch erreichen, daß sie die von ihr eingereichte K l a g e mit einem Armenrechtsgesuch verbindet ( B G H 25, 66).

5. Rechtshängigwerden im Verlaufe eines Rechtsstreits Anm. 21 I m Falle des §281 Z P O , der nach §523 Z P O auch im Berufungsverfahren gilt, genügt die Geltendmachung des Anspruchs in der m ü n d l i c h e n V e r h a n d l u n g (vgl. §267 Z P O ; R G 45, 426). Nach dieser Vorschrift kann ein weiterer Anspruch auch dadurch rechtshängig werden, daß ein den Erfordernissen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 entsprechender S c h r i f t s a t z zugestellt wird. Diese Gleichstellung gilt auch für die Frage der Unterbrechung der Verjährung. Die zweifache Möglichkeit der Unterbrechung der Verjährung durch Geltendmachung in der mündlichen Verhandlung und durch Zustellung eines Schriftsatzes gilt auch für Ansprüche, die in einer Berufungs- oder Anschlußberufungsfrist neu geltend gemacht werden ( R G 156, 291, 299).

Anm. 22 Die Verjährung einer persönlichen Forderung wird nicht schon dadurch unterbrochen, daß sie z u m g e r i n g s t e n G e b o t e a n g e m e l d e t und daß die Anmeldung berücksichtigt wird ( R G Gruchot 50, 1200), ebensowenig durch Erwirkung einer Vormerkung (RGJW 1908, 235).

Anm. 23 L ä u f t die Verjährungsfrist an einem S o n n t a g ab, so genügt in entsprechender Anwendung des § 193 die Zustellung der K l a g e am folgenden Tage, um die Verjährung zu unterbrechen ( R G 1 5 1 , 345, § 193 Anm. 3).

6. Unterbrechung für den ganzen oder einen Teil des Anspruchs Anm. 24 Die Unterbrechung tritt so weit ein, als R e c h t s h ä n g i g k e i t entsteht; daher auch bei Erhebung einer unbezifferten Feststellungsklage (oder auch einer etwa unbezifferten Leistungsklage) hinsichtlich des gesamten Anspruchs ( R G 75, 306, vgl. auch R G 163, 396); dagegen bei Geltendmachung nur eines Teiles des Anspruchs nur in bezug hierauf ( R G 57, 3 7 2 ; 66, 366; 75, 302; 77, 2 1 5 ; J W 1934, 1494: beispielsweise nur in bezug auf

708

Verjährung

§209 A n m . 25—30

die Zinsen; R G J W 1907, 1 7 1 ; 1907, 302; selbst wenn der Kläger bereits in der K l a g e den gesamten Anspruch begründet und sich die Klageerweiterung vorbehalten hat ( R G 6 6 , 366; J W 1 9 1 1 , 805; WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 4), oder wenn die Teilklage nach ihrer Natur und nach ihrem Inhalte die Feststellung des ganzen Anspruchs erforderlich macht (RG 66, 365).

Anm. 25 Die Klage eines Abtretungsempfängers, dem die Hälfte der Forderung abgetreten ist, unterbricht nicht die Verjährung hinsichtlich der andern Hälfte.

Anm. 26 Ist nach der Fassung der Urteilsformel eines aus § 304 Z P O ergangenen Urteils in Verbindung mit den Gründen klar, daß der Richter den Klageanspruch als einen einheitlichen aufgefaßt hat, gerichtet auf Ersatz des ganzen schon entstandenen und noch entstehenden Schadens, so ist über den Grund des ganzen Anspruchs entschieden, und es kann nicht ein Teil davon nach der kurzen Verjährungsfrist des § 852 verjähren ( R G 27. 5. 1907 V I 402/06). Dieser Grundsatz greift aber nicht Platz, wenn die Klage sich darauf beschränkt hat, nur die im Antrage bezeichnete Teilsumme zu fordern ( R G WarnRspr 1908 Nr. 124).

A n m . 27 Bei einer nur teilweisen Unterbrechung der Verjährung verbleibt es auch dann, wenn die Forderung (auf Schadensersatz) sich nachträglich erweitert und damit insoweit eine neue Verjährung beginnt ( R G 2. 6. 1 9 1 0 V I 381/09).

A n m . 28 Davon, daß nur ein Teilbetrag geltend gemacht worden sei, kann nicht gesprochen werden, wenn der in der Klage als Ausgleich des ganzen Schadens geforderte bestimmte Geldbetrag zur Zeit des Urteils wegen der inzwischen gesunkenen K a u f k r a f t des Geldes erheblich höher bemessen werden muß; die durch die Klageerhebung eingetretene Unterbrechung der Verjährung wirkt daher auch für den erhöhten Betrag ( R G 106, 184; 1 0 8 , 3 8 ; 1 1 0 , 3 9 0 ; i n , 1 0 3 ; J W 1 9 2 1 , 1 2 2 9 ; 1924, 1 3 6 2 ; 1925, 1 3 7 1 ; L Z 1925, 208; 1927, 39). Dagegen wird durch die Einklagung eines Teilbetrags als solchen die Verjährung nur für diesen und den ihm entsprechenden, durch die Geldentwertung begründeten höheren Betrag unterbrochen ( R G J W 1926, 1 1 5 1 ) .

A n m . 29 Enthält indessen der nämliche Anspruch nur mehrere verschiedene Befriedigungsformen, so der Schadensersatzanspruch aus § 843 sowohl das Recht auf Kapitalabfindung wie auch das auf Entrichtung einer Rente, dann wird der einheitliche Anspruch in Höhe desjenigen Betrags insgesamt rechtshängig, in Höhe dessen die Befriedigung, wenn auch nur nach der einen Richtung hin, klageweise begehrt worden, so, wenn gegebenenfalls in erster Linie auf Kapitalsabfindung und in zweiter Linie auf Rentenzahlung geklagt ist, in Höhe der gesamten geltend gemachten Abfindungssumme, auch wenn der Anspruch auf Rente dahinter zurückbleibt ( R G 77, 2 1 3 ) . Dies Ergebnis bliebe übrigens hinsichtlich des § 209 das gleiche, auch wenn zunächst allein auf die Kapitalsabfindung Klage erhoben worden wäre; denn auch alsdann wäre der gesamte, beide Befriedigungsformen einschließende Anspruch anhängig geworden.

A n m . 30 Gemäß § 477 Abs. 3 unterbricht die Klagerhebung sowohl die Verjährung des Wandlungs- wie auch des Minderungsanspruchs, wenn die K l a g e auch nur nach der einen Richtung erhoben worden ist. Aber durch Erhebung der Wandlungsklage wegen einzelner bestimmter Mängel wird die Verjährung des Wandlungsanspruchs wegen noch anderer Mängel nicht unterbrochen ( R G 78, 295); ebenso nicht durch die Klage des Versicherungsnehmers auf Durchführung des Sachverständigenverfahrens die Verjährung seines Entschädigungsanspruches ( R G J W 1933, 2128). 46

Komm. 2. BGB. I i . Aufl. I. Bd. (Johannsen)

709

§209

Allgemeiner Teil

Anm. 31—35 Anm. 31 7. Klage vor unzuständigen und ausländischen Gerichten Über Klageerhebung bei einem u n z u s t ä n d i g e n G e r i c h t e und über die K l a g e rücknahme vgl. § 2 1 2 . Über die Frage, ob auch die Erhebung der Klage vor einem a u s l ä n d i s c h e n G e r i c h t e die Verjährung unterbricht, s. R G 129, 3 8 5 ; J W 1926, 3 7 4 ; auch Hamburg H R R 1934, 1 1 8 7 .

II. Der Klageerhebung gleichgestellte Tatbestände (Abs. 2) Anm. 32 1. Allgemeines Die in Abs. 2 angeordnete Gleichstellung bestimmter Tatbestände mit der förmlichen Erhebung einer Klage umfaßt nur solche Fälle, in denen der Berechtigte seinen Anspruch in einem Rechtsstreit oder in der Zwangsvollstreckung geltend macht, nicht dagegen die Fälle, in denen das Verhalten sich nur auf die „ A b wehr des Klagbegehrens" richtet. Die bloße Verteidigung gegen eine verneinende Feststellungsklage begründet daher keine Unterbrechung der Verjährung ( R G 1 5 3 , 375).

Anm. 33 2. Zustellung eines Zahlungsbefehls (Nr. 1) Z u Nr. 1 vgl. § 2 1 3 . Die Unterbrechung der Verjährung mittels Zahlungsbefehls tritt nach § 693 Abs. 2 Z P O bereits mit der Einreichung oder Anbringung des Gesuchs um Erlaß des Zahlungsbefehls ein, wenn die Zustellung demnächst geschieht, und dies auch dann, wenn die Zustellung ordnungswidrig ist, der Gegner dies aber nicht rechtzeitig gemäß § 295 Z P O rügt ( R G 87, 2 7 1 ) . Anders ist es, wenn die Zustellung des Zahlungsbefehls erst nach Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Schuldners stattfindet; sie ist der K o n kursmasse gegenüber ohne Wirkung und kann infolgedessen weder die Verjährung unterbrechen noch eine Rückwirkung im Sinne des § 693 Z P O begründen; auch die Anmeldung der Forderung im Konkurs kann die demnächstige Zustellung des Zahlungsbefehls mit der Wirkung des §693 Z P O nicht ersetzen ( R G 129, 339). Z u §693 Z P O s. auch Dresden H R R 1937, 127.

Anm. 34 3. Antrag bei Gütestelle (Nr. l a ) Nr. 1 a ist im Zusammenhang mit der Einführung des Güteverfahrens durch Art. I V Nr. 1 der V O über das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten v. 13. 2. 1924, R G B l I 1 3 5 , dem § 209 eingefügt worden. Die Vorschrift ist durch Art. 4 des Gesetzes zur Wiederherstellung der Rechtseinheit vom 12. 9. 1950, BGBl 5 0 1 , neu gefaßt worden, da Art. 2 dieses Gesetzes das amtsgerichtliche Güteverfahren, das bis dahin in §§ 495 a ff Z P O geregelt war, beseitigt hat. Die Anbringung des Güteantrags unterbricht entsprechend der Erhebung der K l a g e (Anm. 24—30) die Verjährung nur insoweit, als durch sie der Verjährung unterliegende Anspruch verfolgt wird. Dauer der Unterbrechung s. § 2 1 2 a.

Anm. 35 4. Anmeldung im Konkurs (Nr. 2) Zu Nr. 2 vgl. § 214. Vorausgesetzt ist eine den Vorschriften der K O entsprechende Anmeldung beim Konkursgericht; Anmeldung beim Konkursverwalter genügt nicht ( R G 39, 44). Durch die Anmeldung wird nur die Verjährung von Konkursforderungen unterbrochen. Sie wirkt nicht nur dem Konkursverwalter und der Masse, sondern auch dem Gemeinschuldner gegenüber. Sie dauert, bis das Konkursverfahren beendet ist und gilt, wenn die Anmeldung zurückgenommen wird, als nicht erfolgt.

710

Verjährung

§ 209 A n m . 36—41

§210

A n m . 36 5. A u f r e c h n u n g i m P r o z e ß (Nr. 3) Zu Nr. 3 vgl. § 215. Die Aufrechnung im Prozesse unterbricht die Verjährung des aufgerechneten Anspruchs nur bezüglich des zur Aufrechnung verwendeten Teils (RG 57. 375; WarnRspr 1910 Nr. 372; H R R 1938, 1041). 6. Streitverkündung (Nr. 4) Anm. 37 Vgl. dazu auch § 215. Die Streitverkündung setzt hier die Bedingung des § 72 ZPO voraus (RG 58, 76; 156, 291, 298 SeuffArch 63 Nr. 36). Die Streitverkündung geschieht nach § 73 Z P O durch Zustellung eines Schriftsatzes. Nach §§ 261b Abs. 3, 496 Abs. 3 Z P O genügt zur Unterbrechung der Verjährung die Einreichung der Erklärung, wenn die Zustellung demnächst erfolgt (RG 105, 422). A n m . 38 Eine Streitverkündung zwischen zwei verschiedenen staatlichen Stellen ist nicht möglich, weil der Staat nur ein einziges Rechtssubjekt darstellt und daher eine Stelle gegenüber der anderen nicht als Dritter (§ 72 ZPO) gelten kann (RG J W 1912, 640). A n m . 39 Falls der Prozeß im A u s l a n d e schwebt, kann eine Streitverkündung als Unterbrechungsgrund nur dann in Frage kommen, wenn sie den Anforderungen der ZPO entspricht, da diese für das materielle Recht bestimmend ist (RG6 1,392). Entsprechendes gilt für ein Beweissicherungsverfahren im Ausland als Unterbrechungsgrund für die Verjährung nach § 477 (RG SeuffArch 83 Nr. 104). Vgl. auch RG 58, 79. A n m . 40 Die Unterbrechung der Verjährung durch die Streitverkündung gilt für den Fall eines u n g ü n s t i g e n Prozeßausgangs (RG J W 1913, 32). Einem ungünstigen Ausgang des Rechtsstreits ist nicht gleichzustellen der Fall, daß die Zwangsvollstreckung aus dem erwirkten günstigen Urteil fruchtlos ausgefallen ist (RG LZ 1930, 248). A n m . 41 7. Vollstreckungshandlung (Nr. 5) Vgl. dazu § 216. Auch eine Arrestpfändung ist geeignet, die Verjährung zu unterbrechen; die Unterbrechung der Verjährung durch eine Vollstreckungshandlung währt aber nicht so lange als die Vollstreckung überhaupt dauert, sondern ist immer nur eine augenblicklich wirkende (RG 128, 76). Die Anmeldung einer Forderung im Zwangsversteigerungsverfahren genügt nicht zur Unterbrechung der Verjährung (KG J W 1938, 45).

§310 H ä n g t die Zulässigkeit des R e c h t s w e g s v o n der Vorentscheidung einer Behörde ab oder hat die B e s t i m m u n g des z u s t ä n d i g e n Gerichts durch ein höheres Gericht zu erfolgen, s o w i r d die Verjährung durch die Einreichung des G e s u c h s an die Behörde oder das höhere Gericht i n gleicher Weise w i e durch Klageerhebung oder durch Anbringung des Güteantrags unterbrochen, w e n n binnen drei Monaten nach der Erledigung des G e s u c h s die Klage erhoben oder der Güteantrag angebracht w i r d . Auf diese Frist finden die Vorschriften d e r § § 203, 206, 207 entsprechende A n w e n d u n g . E I 1 7 1 , 180 II 176; M I j j o f f , 340; P I 226ff, 2 3 1 ; 6 383. — V O übef das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeitcn7. 13. 2. 1924. R G B l I 1 3 ; , Art. I V Nr. 2.

46*

711

§ 2 1 0 A t i m . 1—4

Allgemeiner Teil

§211 Unterbrechung durch Antrag auf behördlichen Vorentscheid oder B e s t i m m u n g des zuständigen Gerichts 1. V o r a u s s e t z u n g e n f ü r die U n t e r b r e c h u n g Anm. 1 In den Sonderfällen des §210 (§ 11 E G G V G ; beispielsweise DBG §§ 1 4 2 f r , 1 7 4 , 182; Pr. KommunalbeamtenG § 7 [ R G WarnRspr 1932 Nr. 130]; Abhilfeverfahren nach Art. 2 B a y A G — Z P O — K O vom 23. 2. 1879, BayBS III 143; §§8—12 V O über die Vertretung des Bayrischen Staates in bürgerl. Rechtsstreitigkeiten v. 8. 8. 1950, BayBS III 594 [BayObLGZ 1956, 65]) ist der Zeitpunkt der Unterbrechung auf den angegebenen Zeitpunkt zurückverlegt, aber nur unter der Bedingung, daß binnen drei Monaten nach der Erledigung des Gesuchs die Klage erhoben oder der Güteantrag angebracht wird. Die Berücksichtigung des Güteantrags beruht auf Art. I V Nr. 2 der V O über das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten v. 1 3 . 2 . 1 9 2 4 , RGBl I 135; dazu § 2 0 9 Abs. 2 Nr. i a und Anm. 3 4 . Die Bestimmung des § 2 1 0 bedeutet nicht eine Verkürzung, sondern eine Verlängerung der Frist für die Anspruchsverjährung; diese wird durch eine daneben bestehende Ausschlußfrist für die Klage nicht berührt (RG SeufTArch 8 5 Nr. 2 ) . Anm. 2 E r l e d i g t ist das Gesuch, nachdem die Vorentscheidung ergangen oder das zuständige Gericht bestimmt worden (§ 36 ZPO) und diese Entscheidung dem Antragsteller zugegangen ist. Voraussetzung ist dabei immer, daß die Zulässigkeit des Rechtswegs von der Vorentscheidung auch wirklich abhing. Anm. 3 Der Antrag des Rechtsanwalts auf Festsetzung seiner Gebühren durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nach §86a R A G e b O aF war kein Antrag im Sinne des § 210 (aA K G J R 1955, 426; W e r t h a u e r J R 1955, 186). Dagegen wurde die Verjährung durch einen solchen Antrag nach §220 unterbrochen ( B G H 21, 199, 204); die Unterbrechung ergibt sich jetzt aus § 19 Abs. 6 R A G e b O v. 26. 7. 1957, BGBl I 907. Anm. 4 2. F r i s t z u r E r h e b u n g d e r K l a g e Die Frist ist eine Ausschlußfrist, hinsichtlich deren jedoch der Billigkeit halber die Hemmungsgründe aus den §§ 2 0 3 , 2 0 6 , 2 0 7 zugelassen sind (vgl. Vorbem. vor § 1 8 6 Anm. 6). § 3 1 1 Die Unterbrechung durch Klageerhebung dauert fort, bis der Prozeß rechtskräftig entschieden oder anderweit erledigt ist. Gerät der Prozeß infolge einer Vereinbarung oder dadurch, daß er nicht betrieben wird, in Stillstand, s o endigt die Unterbrechung m i t der letzten Prozeßhandlung der Parteien oder des Gerichts. Die nach der Beendigung der Unterbrechung beginnende neue Verjährung wird dadurch, daß eine der Parteien den Prozeß weiter betreibt, in gleicher Weise wie durch Klageerhebung unterbrochen. E I 174 I I 1 7 7 ; M i

331 ff; P I 228 ff, 7 4 J , 7 4 7 ; 6

264S,

Übersicht Dauer der Unterbrechung. Ende der Unterbrechung durch Stillstand des Prozesses 1. a) Dauer der Unterbrechung bis zur rechtskräftigen Entscheidung . . . b) Dauer der Unterbrechung bis zur sonstigen Erledigung 712

Anm. i—5 6—8

Verjährung

§ 211

Anm. 1—8

2. Ende der Unterbrechung (Abs. 2) a) Grund der Vorschrift. Allgemeines b) Vereinbarter Stillstand des Prozesses c) Teilweises Nichtbetreiben des Prozesses d) Prozeßhandlung e) Folge des Nichtbetreibens 3. Lauf der neuen Verjährungsfrist

Ann).

9—19 9, 10 11 —14 15, 16 17 18, 19 20—22

1. a) Dauer der Unterbrechung bis zur rechtskräftigen Entscheidung Anm. 1 Zu den rechtskräftigen Entscheidungen gehören das endgültige Urteil und nach § 219 auch das rechtskräftige Vorbehaltsurteil, nicht aber ein über den Grund des Anspruchs ergehendes Zwischenurteil aus §304 ZPO (RG 66, 10; 117, 423). Gegebenenfalls beginnt, wenn der Kläger durchdringt, vom Zeitpunkt der Rechtskraft ab die neue Verjährung des § 218.

Anm. 2 Da das aberkennende Urteil keine materiell-rechtlich vernichtende Wirkung hat, sondern nur den Einwand der rechtskräftig entschiedenen Sache gibt, bleibt für eine neue Verjährung an und für sich noch Raum. Im Ergebnis ist das jedoch kaum von Bedeutung. Wird indes die Klage nicht aus sachlichen Gründen abgewiesen, dann greift § 212 Platz. Dieser Fall scheidet daher aus § 211 überhaupt aus.

Anm. 3 Ergeht ein Teilurteil, so greift § 2 1 1 Abs. 1 nur bezüglich des insoweit erledigten Anspruchs durch.

Anm. 4 Verliert die unselbständige Anschlußberufung, mit der klagerweiternd ein Anspruch rechtshängig gemacht wurde, durch Zurücknahme der Hauptberufung ihre Wirkung, so findet der Rechtsstreit nach § 2 1 1 Abs. 1 seine Erledigung, und die Verjährungsfrist läuft von da an von neuem; § 212 Abs. 1 ist nicht, auch nicht entsprechend anwendbar (RG 2. 5. 1935 V 470/34)-

Anm. 5 Ein Beweissicherungsantrag, der nur zur Unterbrechung der Verjährung mit der Bitte eingereicht wird, darauf bis auf weiteres nichts zu verfügen, unterbricht nicht die Verjährung (RG 66, 413).

b) Dauer der Unterbrechung bei sonstiger Erledigung des Rechtsstreits Anm. 6 Als sonstiger Erledigungsgrund kann nur noch der Vergleich in Betracht kommen. Der Fall der Klagerücknahme ist in §212 besonders behandelt. Anerkenntnis und Verzicht erledigen den Prozeß überhaupt nicht (§§ 306, 307 ZPO). Erst das daraufhin ergehende Urteil tut es.

Anm. 7 Der Ubergang des Klaganspruchs während des Prozesses auf einen anderen, sei es kraft Rechtsgeschäfts oder kraft Gesetzes (§ 412), hindert nicht die Unterbrechung der Verjährung (RG 85, 429).

Anm. 8 Solange die Unterbrechung fortdauert, kann eine neue Verjährung nicht anfangen. Ihr Beginn ist mithin gehemmt.

713

Allgemeiner §211 Anm. 9—14 2. Ende der Unterbrechung (Abs. 2) a) Grund der Vorschrift. Allgemeines Anm. 9

Teil

K o m m t der Prozeß zum Stillstand oder hat der Kläger die K l a g e ohne Einwilligung des Beklagten zurückgenommen oder die Anträge nicht verlesen ( R G 66, 1 5 ; 75, 290; J W 1 9 1 1 , 359), so wäre es unbillig, die durch die Klagerhebung eintretende Unterbrechung gleichwohl fortdauern zu lassen. In diesem Falle endet die Unterbrechung mit der letzten Prozeßhandlung ( R G WarnRspr 1 9 1 2 Nr. 3 7 0 ; 1 9 1 4 Nr. 5). Von der letzten Prozeßhandlung ab beginnt dann eine neue Verjährung.

Anm. 10 Die Fassung des Abs. 2 entspricht dem § 251 Z P O in seiner früheren Fassung. Nach den seit der Verordnung vom 13. 2. 1924, R G B l I 1 3 5 , maßgebenden Vorschriften der § § 2 5 1 , 2 5 1 a Z P O ist die Möglichkeit, das Verfahren zum R u h e n zu bringen, den Parteien entzogen und in die Hand des Gerichts gelegt. Diese Änderung des Verfahrensrechts hat aber, wie in der neueren Rechtsprechung im Gegensatz zu einer abweichenden Ansicht des Reichsgerichts in R G 128, 1 9 1 , 196 anerkannt ist, den Anwendungsbereich der sachlich-rechtlichen Vorschrift des § 2 1 1 Abs. 2 B G B nicht auf den Fall gerichtlicher Anordnung des Ruhens des Verfahrens beschränkt. Auch bei solcher Anordnung ist der übereinstimmende Antrag der Parteien (§ 251 Z P O ) oder ihr tatsächliches Nichtverhandeln ( § 2 5 i a Z P O ) der Grund des Stillstandes des Prozesses, dem das bürgerliche Recht mit der Vorschrift des § 2 1 1 Abs. 2 begegnen will ( R G 136, 1 9 3 ; '45) 239)-

b) Vereinbarter Stillstand des Prozesses Anm. 11 Stillstand des Prozesses im Sinne dieser Vorschrift setzt immer eine Vereinbarung der Parteien oder ein Nichtbetreiben des Prozesses durch eine Partei voraus. Daher fallen nicht hierunter bloße Verzögerungen, die bei der Erledigung einer Beweisanordnung •—• etwa durch Nichtangabe der Anschrift eines Zeugen —• entstehen; denn die Durchführung des Beweisverfahrens ist Sache des Gerichts und nicht der Partei ( R G 97, 126). Entsprechendes gilt auch für das Sühneverfahren. Die durch die Klagerhebung eingetretene Unterbrechung der Verjährung dauert daher fort, bis das Sühneverfahren durch eine Anordnung des Gerichts oder des beauftragten Richters beendigt wird ( R G 128, 1 9 1 ) .

Anm. 12 Ebenso können die Grundsätze des Abs. 2 nicht angewendet werden, wenn das Verfahren kraft Gesetzes nach §§ 239 ff Z P O unterbrochen ist oder wenn das Verfahren durch Gerichtsbeschluß nach § 246 ff Z P O ausgesetzt worden ist ( R G 72, 1 8 7 ; 129, 339; 145, 239). In diesen Fällen dauert die Unterbrechung fort, bis der Grund der Unterbrechung oder der Aussetzung fortgefallen ist. Erst wenn die Partei auch dann noch den Prozeß liegen läßt, beginnt eine neue Verjährung ( R G 72, 187).

Anm. 13 Eine Vereinbarung der in Abs. 2 gedachten Art enthält nicht ohne weiteres eine Stundung. Sie ist vielmehr regelmäßig nur prozessual von Bedeutung. Allein daraus, daß der Beklagte mit der Nichtbetreibung des Prozesses einverstanden war, kann die Arglisteinrede nicht hergeleitet werden ( R G J W 1936, 3 1 5 ) .

Anm. 14 Die Unterbrechung endet daher auch nicht, wenn der Rechtsstreit auf Grund der KriegsmaßnahmenVO vom 12. 5. 1943, R G B l I 290, als nicht kriegsdringlich zurückgestellt worden ist. Sie endet bei einem andauernden Ruhen des Rechtsstreits keinesfalls früher als die Vorschrift, auf Grund deren der Rechtsstreit zurückgestellt worden ist, aufgehoben worden ist ( B G H 1 5 , 80).

714

Verjährung

§211

Anm. 15—21 c) Teilwelses Nichtbetreiben des Prozesses Anm. 15 Gerät der Prozeß nur in Höhe eines Teilbetrages der eingeklagten Forderung in Stillstand, dann hört die Unterbrechung der Verjährung auch nur insoweit auf (RG 75, 286; J W 1916, 736; 1928, 100; WarnRspr 1935 Nr. 53; SeuffArch 81 Nr. 202). Wird nach einem Teilurteil ein Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung anberaumt, aber nicht abgehalten, dann ist es Sache des Gerichts, für die Fortsetzung des Verfahrens zu sorgen. Der Rechtsstreit steht dann nicht deshalb still, weil die Parteien ihn nicht betreiben (RG 11. 5. 1936 I 279/35).

Anm. 16 Ist auf Zahlung von Schadensersatz und daneben zur weiteren Begründung dieses Anspruchs auf Rechnungslegung geklagt, so gerät der Prozeß über den Zahlungsanspruch nicht dadurch im Sinne des Abs. 2 in Stillstand, daß er bis zur Erledigung des Anspruchs auf Rechnungslegung nicht weiter verfolgt wird (RG LZ 1927, 106).

Anm. 17 d) Prozeßhandlung Prozeßhandlung im Sinne der Z P O ist jede Handlung, sei es der Partei, sei es des Gerichts, die dazu dient, den Rechtsstreit anhängig werden zu lassen, ihn zu führen und zu erledigen, und die vom Gesetz in ihren Voraussetzungen und Wirkungen geregelt ist. Auch die Anbringung eines Armenrechtsgesuchs stellt daher eine Prozeßhandlung dar (RG 77, 329). Als weitere Prozeßhandlungen kommen hauptsächlich Zustellungen und Ladungen in Betracht (RG 97, 66).

e) Folge des Nichtbetreibens Anm. 18 Die Folge des Nichtbetreibens einer bei Gericht eingebrachten Sache nur aus § 211 Abs. 2. § 212 Abs. 1 ist nicht nebenher anzuwenden (RG66, wenn der Kläger seinen Antrag nur zum Teil (durch Nichtverlesen ohne erklärten Verzicht) nachträglich nicht weiter betreibt, ist insoweit allein Abs. 2, dagegen nicht § 2 1 2 anzuwenden (RG 66, 14; 75, 291).

ergibt sich 365). Auch gleichzeitig der § 2 1 1

Anm. 19 O h n e Einfluß auf das durch den Stillstand des Prozesses eingetretene Ende der Unterbrechung der Verjährung ist es, wenn das Gericht von sich aus noch weitere Handlungen vornimmt, die auf einen Fortgang des Prozesses zielen, z. B. bei den Parteien anfragt, ob der Prozeß weiter betrieben werden soll. Dadurch wird die Beendigung der Unterbrechung nicht beseitigt (RG 157, 379, 384).

Anm. 20 3. Lauf der neuen Verjährungsfrist In dem Augenblick, in dem die Unterbrechung endigt, beginnt grundsätzlich eine neue Verjährungsfrist zu laufen. Da aber nach Z P O § 251 Abs. 2, der auch für den Fall des § 251a gilt, das Verfahren vor Ablauf von drei Monaten nach der Anordnung des Ruhens nur mit Zustimmung des Gerichts aufgenommen werden kann, kann in solchem Falle die neue Verjährung nicht sofort beginnen. Es tritt vielmehr eine der in § 202 Abs. 1 BGB vorgesehenen entsprechende H e m m u n g der Verjährung ein, die vor Ablauf von drei Monaten nur d a n n wegfallen kann, wenn auf eine Zustimmung des Gerichts zur vorzeitigen Aufnahme mit Sicherheit zu rechnen ist, der Kläger aber gleichwohl die dazu nötigen Schritte unterläßt (RG 136, 193).

Anm. 21 Dadurch, d a ß der zum Stillstand gelangte Rechtsstreit weiter betrieben wird, wird die neue Verjährungsfrist in gleicher Weise wie durch Erhebung der Klage unter-

715

§ 2 1 1 Anm. 22 § 2 1 2 Anm. 1 , 2

Allgemeiner Teil

brochen (vgl. darüber § 209). Auch hier ist die Frage der Unterbrechung für jeden der mehreren im Rechtsstreit verfolgten Ansprüche selbständig zu beurteilen (RG WarnRspr 1937 Nr. 112). Anm. 22 Die Eröffnung des Konkurses hat auf eine bereits eingetretene Verjährung keinen Einfluß. Eine neue Verjährung kann erst beginnen, wenn nach Beendigung des Konkurses und des durch ihn herbeigeführten Prozeßstillstandes der Prozeß weitergeführt worden ist (RG 72, 187; Gruchot 61, 118).

§313 Die Unterbrechung durch Klageerhebung gilt als nicht erfolgt, wenn die Klage zurückgenommen oder durch ein nicht in der Sache selbst entscheidendes Urteil rechtskräftig abgewiesen wird. Erhebt der Berechtigte binnen sechs Monaten von neuem Klage, so gilt die Verjährung als durch die Erhebung der ersten Klage unterbrochen. Auf diese Frist finden die Vorschriften der §§ 203, 206, 207 entsprechende Anwendung. EI 171 II 178; M 1 jjoff; P i 226£f; 6 383 Ubersicht Zurücknahme der Klage und Abweisung durch Prozeßurteil 1. 2. 3. 4. 5.

Anm. Rücknahme der Klage 1— 3 Klagabweisung durch ein nicht in der Sache entscheidendes Urteil . . . 4— 7 Neue Klagerhebung wegen des nämlichen Anspruchs (Abs. 2) 8—11 Die sechsmonatige Frist 12 Neue Klage vor Rücknahme oder Abweisung der ersten 13

1. Rücknahme der Klage Anm. 1 Die Unterbrechung durch Klagerhebung (§209) gilt im Falle der Klagezurücknahme (§ 271 Abs. 2 ZPO) rückwirkend auch dann als nicht erfolgt — indessen stets mit der Einschränkung gemäß Abs. 2 —, wenn eine anderweite Weiterverfolgung des Anspruchs beabsichtigt worden ist (RG 30. 5. 1904 V I 441/03). Voraussetzung für den Eintritt der in dieser Vorschrift angegebenen Rechtsfolge ist eine wirksame Rücknahme der Klage. Sie erfolgt nach § 271 Abs. 2 ZPO entweder dadurch, daß ein Schriftsatz bei Gericht eingereicht wird, oder durch eine Erklärung in der mündlichen Verhandlung. Nach § 271 Abs. 1 ZPO kann die Klage nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache ohne dessen Einwilligung zurückgenommen werden. Soweit daher die Einwilligung des Beklagten erforderlich ist, können die in § 212 bezeichneten Wirkungen nicht eintreten, bevor auch diese vorliegt. Vorher kann auch die Sechsmonatsfrist des Abs. 2 nicht zu laufen beginnen. Die Zurücknahme der Klage und die Einwilligung dazu sind Willenserklärungen, die auch durch schlüssige Handlungen abgegeben werden können. Eine Zurücknahme ohne die erforderliche Einwilligung ist nach § 211 Abs. 2 zu beurteilen (RG 75, 290). Anm. 2 Wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen des § 2 1 1 und des §212 — in jenem Falle endet die Unterbrechung, während sie in diesem als nicht erfolgt gilt — muß, wenn eine Partei einen bisher gestellten Antrag bei einer Neufassung ihrer Anträge nicht mehr berücksichtigt, sorgfältig geprüft werden, ob der fallengelassene Antrag zurückgenommen worden ist oder ob er einstweilen nicht weiter verfolgt wird. Bei der Entscheidung dieser Frage handelt es sich um die Würdigung des prozessualen Ver716

Verjährung

§212 Anm. 3—10

haltens der Partei, die auch vom Revisionsgericht frei und ohne Bindung an die Würdigung des Berufungsgerichts vorgenommen werden kann ( R G 168, 56). I m Zweifelsfall muß angenommen werden, daß die Partei einen Antrag dadurch, daß sie ihn bei der Neufassung ihrer Anträge nicht mehr berücksichtigt, noch nicht hat zurücknehmen wollen. Die Nichtverfolgung des früher gestellten Antrages bedeutet dann nur einen Stillstand ( § 2 1 1 Abs. 2), ein Ruhenlassen des Prozesses, sei es ein gänzliches, sei es ein nur teilweises. Insoweit kann eine neue Verjährung beginnen ( R G 66, 1 2 ; 75, 289; 168, 56; WarnRspr 1933 Nr. 1 4 7 ; 1935 Nr. 53).

Anm. 3 Nicht anzuwenden ist § 2 1 2 Abs. 1 auf den Fall, daß eine unselbständige Anschlußberufung durch Rücknahme der Hauptberufung wirkungslos wird (vgl. § 2 1 1 Anm. 4).

2. Klagabweisung durch ein nicht in der Sache entscheidendes Urteil Anm. 4 Sie liegt vor, wenn sie wegen Mangels einer notwendigen Prozeßvoraussetzung erfolgt, insbesondere also wegen Unzuständigkeit des Gerichts ( R G 66, 368), wegen Unzulässigkeit der gewählten Prozeßart (§§ 256, 597 Abs. 2 Z P O ) , oder wegen fehlender Prozeßfähigkeit, oder auch mangels Einwilligung des Gegners zur Erhebung einer Widerklage (RG 149,321).

Anm. 5 Bis zu einer solchen Abweisung hat z. B. die Klage bei einem unzuständigen Gericht für die Unterbrechung der Verjährung die gleiche Wirkung wie die beim zuständigen Gericht erhobene.

Anm. 6 Die Verweisung an das zuständige Gericht nach § 276 Z P O hebt die Wirkung der Unterbrechung nicht auf; es kann nur, wenn die Parteien den Rechtsstreit bei dem Gerichte, an das er verwiesen worden ist, nicht betreiben, die Unterbrechung der Verjährung durch Stillstand des Verfahrens nach § 2 1 1 Abs. 2 endigen ( R G 1 1 5 , 1 3 5 ) .

Anm. 7 Eine Abweisung der ursprünglichen Klage (nach Antrag des Beklagten) im Falle nachträglicher, aber unzulässiger Klageänderung sowie wegen mangelnder Aktivlegitimation enthält eine Entscheidung in der Sache selbst. Da über die unzulässige geänderte neue Klage sachlich überhaupt nicht entschieden wird, kann diese lediglich aus prozessualem Grunde erfolgende Entscheidung die Unterbrechung der Verjährung nicht herbeiführen.

3. Neue Klagerhebung wegen des nämlichen Anspruchs (Abs. 2) Anm. 8 Der Klagerhebung ist die Klagerweiterung in einem bereits schwebenden Prozesse gemäß § 281 Z P O gleichgestellt ( R G Gruchot 50, 649).

Anm. 9 Es ist auch nicht notwendig, daß gerade die zunächst erhobene und dann zurückgenommene Klage von neuem erhoben wird; es genügt eine der im § 209 Abs. 1 bezeichneten Klagen, ebenso eine der in § 209 Abs. 2 der Klagerhebung gleichgestellten Prozeßhandlungen, wenn es sich nur sachlich um die Durchführung des nämlichen Anspruchs handelt ( R G J W 1926, 374).

Anm. 10 Die neue K l a g e dient als Mittel, die nach Abs. 1 erfolgte Beseitigung der Unterbrechung wieder rückgängig zu machen. Alsdann ist die Sache so anzusehen, als wäre die erste K l a g e nicht zurückgenommen oder als hätte es an der Prozeßvoraussetzung, auf Grund deren die Abweisung erfolgte, nicht gefehlt.

717

§ 212 Anm. 11—13 § 212a Anm. 1—3

Allgemeiner Teil

Anm. 11 Auch die neue Klagerhebung bei einem unzuständigen Gerichte hat die bezeichnete Wirkung (RG 24, 201), nicht aber entsprechend auch zur Wahrung von Ausschlußfristen (RG 88, 296). Auf Ausschlußfristen ist § 212 überhaupt nicht anzuwenden (RG 88, 2 9 6f). Anm. 12 4. Die sechsmonatige Frist Die sechsmonatige Frist ist eine Ausschlußfrist. Sie beginnt regelmäßig mit Zurücknahme der Klage (§271 ZPO) oder entsprechend mit der Rechtskraft des der neuen Klage voraufgegangenen Urteils (§ 705 ZPO). Zugunsten des Berechtigten sind jedoch aus Billigkeitsrücksichten die Hemmungsgründe aus den §§ 203, 206, 207 mit der Folge zugelassen, daß die Frist für die Erhebung der neuen Klage gegebenenfalls erst von der Beseitigung des Hemmungsgrundes ab läuft. Entziehung des Armenrechts als Hindernis für die Erhebung einer neuen Klage s. § 203 Anm. 11 und R G J W 1937, 27. Im übrigen ist die Frist nach §§ 187, 188 zu berechnen. Anm. 13 5. Neue Klage vor Rücknahme oder Abweisung der ersten Die Bestimmung des Abs. 2 geht davon aus, daß die neue Klage nach Zurücknahme oder Abweisung der ersten Klage erhoben wird, muß aber entsprechend auf den Fall angewendet werden, daß die neue Klage schon vorher erhoben ist (RG 149, 321; s. auch RG WarnRspr 1937 Nr. 112).

§ 313 a Die Unterbrechung durch Anbringung des Güteantrags dauert bis zur E r ledigung des Güteverfahrens und, wenn an dieses Verfahren sich ein Streitverfahren unmittelbar anschließt, nach Maßgabe d e r § § 211, 212 fort. Gerät das Güteverfahren dadurch, daß es nicht betrieben wird, in Stillstand, so finden die Vorschriften des § 211 Abs. 2 entsprechende Anwendung. Wird der Güteantrag zurückgenommen, so gilt die Unterbrechung der Verjährung als nicht erfolgt. VO über das Verfahren in bürgerlichen Rcchtsstreitigkeiten T. 1 5 . 2 . 1924, RGBl I I J J , Art IV Nr. 3.

Unterbrechung durch Güteantrag Anm. 1 1. a) Dauer der Unterbrechung durch Anbringung des Güteantrags § 212 a ist im Zusammenhang mit der Einführung des Güteverfahrens durch Art. IV Nr. 3 der VO über das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten v. 13. 2. 1924, RGBl Ii35, eingefügt worden. Dieses Verfahren war früher in §§ 495 aff ZPO geregelt (dazu § 209 Abs. 2 Nr. i a und Anm. 34). Die §§ 495 äff ZPO sind durch Art. 2 des Gesetzes zur Wiederherstellung der Rechtseinheit vom 12. 9. 1950, BGBl 501, aufgehoben worden. Seitdem hat auch § 212 a keine große praktische Bedeutung mehr. Anm. 2 b) Das Güteverfahren ist erledigt, wenn der Güteantrag zurückgenommen wird. In diesem Falle gilt die Unterbrechung der Verjährung als nicht erfolgt (§ 212 a Satz 3). Das Güteverfahren ist ferner erledigt, wenn eine Einigung der Parteien stattfindet oder endlich der Einigungsversuch erfolglos bleibt. Mit der Erledigung des Güteverfahrens endet grundsätzlich die Unterbrechung der Verjährung. Sie dauert nur fort, wenn sich das Streitverfahren unmittelbar anschließt. Anm. 3 2. Unmittelbare Anschließung eines Streitverfahrens Die Frage, ob das gerichtliche Streitverfahren sich unmittelbar an das Güteverfahren angeschlossen hat, ist nach den tatsächlichen Umständen des einzelnen Falles zu 718

Verjährung

§ 212a A n m . 4 § 213 A n m . 1—5

entscheiden. Sie ist zu bejahen, wenn der Anspruch unverzüglich nach Beendigung des Güteverfahrens durch Klagerhebung oder auf eine nach § 209 Abs. 2 der Klagerhebung gleichzuachtende Art geltend gemacht worden ist. Maßgebend für die Dauer der Unterbrechung sind dann die für die Unterbrechung durch Klagerhebung geltenden Vorschriften der §§211, 212. Anm. 4 3. Bei einem Stillstand des Güteverfahrens ist § 211 Abs. 2 entsprechend anzuwenden (vgl. § 211 Anm. 11).

§313 Auf die Unterbrechung durch Zustellung eines Zahlungsbefehls i m Mahnverfahren finden die Vorschriften d e s § 212a entsprechende Anwendung. Die Unterbrechung gilt als nicht erfolgt, wenn der Zahlungsbefehl seine Kraft verliert (§ 701 der Zivilprozeßordnung). E I 172 II 179; M I 381; P 1 228. — VO übet das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten v. IJ. 2. 1924, RGBl I IJJ. Art. IV Nr. 4.

Unterbrechung durch Zahlungsbefehl Anm. 1 § 213 lautete ursprünglich: „Die Unterbrechung durch Zustellung eines Zahlungsbefehls im Mahnverfahren gilt als nicht erfolgt, wenn die Wirkungen der Rechtshängigkeit erlöschen." Die gegenwärtige Fassung beruht auf Art. IV Nr. 4 der VO über das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten v. 13. 2. 1924, RGBl I 135. Nach § 209 Abs. 2 Nr. 1 steht bezüglich der Unterbrechung der Verjährung die Zustellung eines Zahlungsbefehls der Klagerhebung gleich; nach §693 ZPO tritt aber, wenn die Zustellung demnächst erfolgt, die Unterbrechung schon mit dem Gesuch um Erlaß eines Zahlungsbefehls ein. Anm. 2 Für die Dauer der Unterbrechung ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung des § 212a in Verbindung mit den §§211, 212 folgendes: Wird gegen den Zahlungsbefehl rechtzeitig Widerspruch erhoben, so ist die Dauer der Unterbrechung, wenn es zu einem Güteverfahren kommt, nach § 212 a, sonst nach den §§211, 212 zu beurteilen. Anm. 3 Wird Widerspruch nicht erhoben, aber innerhalb der gesetzlichen Frist kein Vollstreckungsbefehl beantragt oder das rechtzeitig gestellte Gesuch zurückgewiesen, so verliert der Zahlungsbefehl seine Kraft (§ 701 ZPO) und die Unterbrechung gilt als nicht erfolgt (§213 Satz 2). Anm. 4 Ergeht Vollstreckungsbefehl, dann gilt der Anspruch als mit der Zustellung des Zahlungsbefehls im Streitverfahren rechtshängig geworden (§§ 699, 700 ZPO), und die Unterbrechung dauert fort, bis der Vollstreckungsbefehl rechtskräftig geworden oder auf Einspruch durch Urteil entschieden ist. Anm. 5 Für den rechtskräftig festgestellten Anspruch beginnt nach § 218 eine neue, dreißigjährige Verjährung. Im Falle eines Stillstandes des Verfahrens nach dem Erlaß des Vollstreckungsbefehls ist § 211 Abs. 2 anzuwenden. Ein Stillstand des Verfahrens tritt ein, wenn der Vollstreckungsbefehl nicht zugestellt wird. Die Zustellung zu veranlassen ist nach § 699 Abs. 1 Satz 4 ZPO Sache des Gläubigers. 719

§ 2 1 4 A n m . 1—3 §215

Allgemeiner Teil § 3 1 4

Die Unterbrechung durch Anmeldung i m Konkurse dauert fort, bis der Konkurs beendigt ist. Die Unterbrechung gilt als nicht erfolgt, wenn die Anmeldung zurückgenommen wird. Wird bei der Beendigung des Konkurses für eine Forderung, die infolge eines bei der Prüfung erhobenen Widerspruchs im Prozeß befangen ist, ein Betrag zurückbehalten, so dauert die Unterbrechung auch nach der Beendigung des Konkurses fort; das Ende der Unterbrechung bestimmt sich nach den Vorschriften des § 211. E I 176 II 180; M I 334ff; P I 230 ff.

Unterbrechung durch Anmeldung im Konkurs Anm. 1 1. Dauer der Unterbrechung Die Anmeldung des Anspruchs im Konkurse gemäß § 139 K O (RG 39, 44; vgl. § 209 Anm. 35) ist Unterbrechungsgrund. In Betracht kommen hier nur Konkursforderungen im Sinne des § 3 K O . Der K o n k u r s w i r d b e e n d i g t durch dessen Aufhebung (§§ 163, 116, 190 KO) oder durch die Einstellung des Verfahrens (§§ 202, 204, 205 KO). Auch die Aufhebung auf Beschwerde beseitigt also die einmal eingetretene Unterbrechung nicht so, als ob sie nicht erfolgt wäre; sie endigt nur mit der Aufhebung (streitig). Ob die Aufhebung schon im Zeitpunkte der Beschlußfassung oder erst nach Bekanntmachung rechtlich wirksam wird, ist streitig. Richtig dürfte das letztere sein, weil die Bekanntmachung gleichzeitig als Bedingung für das Wirksamwerden des Beschlusses anzusehen ist. Demnach währt auch die Unterbrechung fort bis zum Zeitpunkte der Bekanntmachung. Diese setzt den Gläubiger tatsächlich auch erst in die Lage, sich über die Vornahme einer neuen Maßregel zwecks Unterbrechung der Verjährung entschließen zu können. Anm. 2 2. Die Zurücknahme der Anmeldung beseitigt die Unterbrechung rückwirkend wie die Zurücknahme der Klage (§212 Abs. 1); jedoch dann nicht, wenn die Zurücknahme auf Grund eines Abkommens mit dem Konkursverwalter erfolgt; wird durch dieses die angemeldete Forderung beseitigt, dann bleibt für die Verjährung überhaupt kein Raum; erfolgt abredegemäß die Zurücknahme deswegen, weil der Gläubiger seine Befriedigung aus einer ihm vom Konkursverwalter dazu abgetretenen Forderung suchen soll, dann ist die Verjährung nach § 202 gehemmt (RG 70, 35). Vgl. auch RG J W 1908, 740. Anm. 3 3. Wegen der Fortdauer der Unterbrechung über die Beendigung des Konkurses hinaus vgl. die §§ 146, 168 K O .

§215 Die Unterbrechung durch Geltendmachung der Aufrechnung i m Prozeß oder durch Streitverkündung dauert fort, bis der Prozeß rechtskräftig entschieden oder anderweit erledigt i s t ; die Vorschriften des§ 211 Abs. 2 finden Anwendung. Die Unterbrechung gilt als nicht erfolgt, wenn nicht binnen sechs Monaten nach der Beendigung des Prozesses Klage auf Befriedigung oder Feststellung des Anspruchs erhoben wird. Auf diese Frist finden die Vorschriften des §§ 203, 206, 207 entsprechende Anwendung. E I 175 II 181; M I 333ff; P i 219ff; 6 383.

720

Verjährung

§215 Anm. 1—6

Unterbrechung durch Aufrechnung im Prozeß oder Streitverkündung Anm. 1 1. Die A u f r e c h n u n g des A n s p r u c h s im Prozesse ist Unterbrechungsgrund (§ 209 Anm. 36). Das Gesetz kann hier übrigens nur Fälle im Auge haben, bei denen die Aufrechnungserklärung nicht zugleich die Tilgung der Forderung bewirkt (§§ 388, 389); denn in letzterem Falle wäre für die Unterbrechung der Verjährung überhaupt kein R a u m mehr. Wohl aber greift die Bestimmung Platz, wenn der Beklagte die Klageforderung bestreitet, die Aufrechnung jedoch für „alle F ä l l e " erklärt (Eventualaufrechnung), ferner dann, wenn sich die Aufrechnung als unzulässig erweist. Zur Unterbrechung der Verjährung kann die Aufrechnung nur in der mündlichen Verhandlung oder im Falle des § 767 Z P O durch K l a g e geltend gemacht werden.

2. Die Streitverkündung Anm. 2 Die Streitverkündung in demjenigen Prozesse, von dessen ungünstigen Ausgange der mit Verjährung bedrohte Anspruch abhängt, ist nur dann zu beachten, wenn sie unter den Voraussetzungen und Formen der Z P O (§§ 72, 73) erfolgt, und zwar auch dann, wenn der Prozeß im Auslande schwebt ( R G 6 1 , 392).

Anm. 3 Z u denken ist hier hauptsächlich an Ansprüche des Käufers, die gegen den Verkäufer etwa daraus entstehen, daß dieser seiner VerschafFungs- oder Rechtsgewährpflicht nicht genügt, während der K ä u f e r in dem mit dem Berechtigten anhängigen Prozesse unterliegen könnte (Entwehrung §§ 434, 440; vgl. ferner § 839 Satz 2). Verkündet der Käufer mit Rücksicht hierauf dem Verkäufer den Streit, so wird dadurch die Verjährung seiner ihm gegen den Verkäufer zustehenden Gewährleistungsansprüche unterbrochen. In Betracht kommen dagegen nicht Fälle eine Abhängigkeit im Sinne des § 148 Z P O ( R G 58, 80). Uber die Bedeutung der Zurücknahme der K l a g e für die Unterbrechungswirkung der Streitverkündung s. Hamburg H R R 1935, 670.

Anm. 4 3. Ende der Unterbrechung Uber die Endigung der Unterbrechung vgl. § 2 1 1 Anm. i-—19. Findet der Rechtsstreit in anderer Weise als durch Klagezurücknahme oder Prozeßabweisung (§ 2 1 2 Abs. 1) oder durch rechtskräftige Sachentscheidung ( § 2 1 1 Abs. 1) seine Erledigung, so läuft von der Erledigung an die Verjährungsfrist von neuem ( R G H R R 1935, 1309).

4. Nachfolgende Klage als Voraussetzung für die Unterbrechung (Abs. 2) Anm. 5 Erklärungen, durch die nach Abs. 1 der Lauf der Verjährungsfrist unterbrochen wird, führen nicht dazu, daß über das Bestehen des Anspruchs selbst rechtskräftig entschieden wird. Die Verjährungsfrist soll nach dem Willen des Gesetzes in diesen Fällen nur unterbrochen werden, wenn der Anspruch anschließend gerichtlich geltend gemacht wird. Deswegen bestimmt Abs. 2, daß die Unterbrechung als nicht erfolgt gelten soll, wenn der Anspruch nicht binnen sechs Monaten nach der Beendigung des Prozesses, in dem die Aufrechnung erklärt oder der Streit verkündet worden ist, gerichtlich geltend gemacht worden ist.

Anm. 6 Die K l a g e auf Befriedigung oder Feststellung braucht nicht der Beendigung des Prozesses nachzufolgen; auch eine vorher erhobene Klage wahrt die unterbrechende Wirkung ( R G WarnRspr 1935 Nr. I i i betreffend Streitverkündung). Der Abs. 2 greift nicht Platz, wenn der Prozeß durch eine mit Einwilligung des Beklagten erfolgte Klagezurücknahme erledigt ist ( R G J W 1908, 740). Soweit er an sich Platz greift, kann der Gläubiger unter Umständen immer noch der Verjährungseinrede des Schuldners den Einwand der allgemeinen Arglist (§ 222 Anm. 1 2 — 1 9 ) entgegenhalten ( R G 142, 280). Durch die neue K l a g e wird die Verjährung nach § 209 erneut unterbrochen. 721

§§ 2 1 6 — 2 1 8

Allgemeiner Teil §

3 1 6

Die Unterbrechung durch Vornahme einer Vollstreckungshandlung gilt als nicht erfolgt, wenn die Vollstreckungsmaßregel auf Antrag des Berechtigten oder wegen Mangels der gesetzlichen Voraussetzungen aufgehoben wird. Die Unterbrechung durch Stellung des Antrags auf Zwangsvollstreckung gilt als nicht erfolgt, wenn dem Antrage nicht stattgegeben oder der Antrag vor der Vornahme der Vollstreckungshandlung zurückgenommen oder die erwirkte Vollstreckungsmaßregel nach Abs. 1 aufgehoben wird. E I 175 1 1 M I 331; P I 228. Unterbrechung durch Akte der Zwangsvollstreckung Anm. 1 1. Die Vornahme einer Vollstreckungshandlung und, soweit die Zwangsvollstreckung den Gerichten oder andern Behörden zugewiesen ist, die Stellung des Antrags auf Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g ist Unterbrechungsgrund aus § 209 Nr. 5. Die Voraussetzungen und Formen der Zwangsvollstreckung regeln sich nach der ZPO und dem ZVG. In Betracht kommen hier nur Vollstreckungen auf Grund rechtskräftiger Urteile. Denn bis zum Eintritt der Rechtskraft währt schon die durch die Klagerhebung bewirkte Unterbrechung fort, so daß für eine neue Unterbrechung erst nach Erledigung des Prozesses (vgl. § 2 1 1 Abs. 2) Platz ist. Die Unterbrechung der Verjährung durch eine Vollstreckungshandlung wirkt nur mit dem Augenblick ihrer Vornahme; sie wirkt nicht so lange fort, bis die Vollstreckung beendigt ist (RG 128, 76). Anm. 2 2. Unwirksamkeit der Unterbrechung von Anfang an infolge Aufhebung der Zwangsvollstreckung (§ 209 Anm. 41), oder Ablehnung des Antrags, oder infolge seiner Zurücknahme. Die Zwangsvollstreckung muß gegebenenfalls deswegen aufgehoben worden sein, weil sie sich aus gesetzlichen Gründen als unstatthaft erwiesen hat; dagegen ist es unwesentlich, wenn sie nur deswegen aufgehoben worden ist, weil dem Schuldner ein besonderer Einwand (§§ 766, 767 ZPO) zustand, oder wenn es sich nur um eine Einstellung nach § 775 handelt, oder wenn ein Dritter die Aufhebung im Wege der Widerspruchsklage (§§771—774 ZPO) erwirkt.

§317 Wird die Verjährung unterbrochen, so kommt die bis zur Unterbrechung verstrichene Zeit nicht in Betracht; eine neue Verjährung kann erst nach der Beendigung der Unterbrechung beginnen. E I 161 II 173 Abs. î; M 1 311ff;P 1 212. Wirkung der Unterbrechung Vgl. § 208 Anm. 1, 2, ferner RG 32, 359. Die nach der Beendigung einer Unterbrechung beginnende neue Verjährung setzt auch in den Fällen der §§ 196, 197 alsbald ein, nicht erst mit dem Schlüsse des Jahres, in dem die Unterbrechung endigte (RG 65, 268; 128, 80). Die Unterbrechung der Verjährung durch Klage gegen den ursprünglichen Schuldner wirkt auch gegen den Schuldübernehmer; eine neue Verjährung beginnt auch gegen ihn erst, wenn der Rechtsstreit rechtskräftig entschieden oder anderweit erledigt ist (RG 143, 154).

§318 Ein rechtskräftig festgestellter Anspruch verjährt in dreißig Jahren, auch wenn er an sich einer kürzeren Verjährung unterliegt. Das gleiche gilt von dem Anspruch aus einem vollstreckbaren Vergleich oder einer vollstreck722

Verjährung

§218 Anm. 1—7

baren Urkunde sowie von einem Ansprüche, welcher durch die im Konkurs erfolgte Feststellung vollstreckbar geworden ist. Soweit sich die Feststellung auf regelmäßig wiederkehrende, erst künftig fällig werdende Leistungen bezieht, bewendet es bei der kürzeren Verjährungsfrist. E I 177 II 183; M i 5378; P 1 230.

Verjährung rechtskräftig festgestellter Ansprüche I. Dreißigjährige Verjährungsfrist Anm. 1 Die Verjährung rechtskräftig festgestellter Ansprüche bezieht sich auf Ansprüche aller Art. So kommt auch die kurze Verjährungsfrist des § 159 H G B dem vor seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft persönlich verurteilten Gesellschafter nicht zugute ( R G J W 1938, 1173). Anm. 2 In Betracht kommen: das Leistungs- und Feststellungsurteil (RG 61, 170; 84, 373; 109, 234), der Vollstreckungsbefehl, gegen den der Einspruch aus § 700 ZPO, der Kostenfestsetzungsbeschluß aus § 105 ZPO, gegen den eine Beschwerde nicht mehr zulässig ist; gleichgestellt sind der V e r g l e i c h gemäß § 794 Nr. 1 u. 2 ZPO, ferner die v o l l s t r e c k b a r e U r k u n d e im Sinne der §§ 794 Nr. 5, 800, 801 ZPO, oder nach Maßgabe der §§ 164 Abs. 2, 194, 206 Abs. 2 K O . Die Abweisung einer negativen Feststellungsklage steht in der Wirkung einem Feststellungsurteil gleich (RAG 21, 102). Anm. 3 § 218 ist entsprechend anzuwenden, wenn der Notar die Kostenberechnung nach § 155 KostO mit einer Vollstreckungsklausel versehen hat (ebenso S t a u d i n g e r / G o i n g I I . Aufl. § 218 Anm. 3 a ; aA K G N J W 1955, 633). Anm. 4 Vorläufige Vollstreckbarkeit reicht nicht aus. Ein nach § 304 ZPO nur über den Grund, nicht auch der Höhe nach ergangenes Urteil genügt zur Anwendung des § 218 nicht (RG 66, 1 1 ; 1 1 7 , 423). W o h l a b e r genügt eine allein über den Grund des Anspruchs ergangene E n t s c h e i d u n g eines S c h i e d s g e r i c h t s , falls dieses nur zu solcher Entscheidung berufen war, weil dann der Spruch das Schiedsgerichtsverfahren abschloß (RG 100, 119). Anm. 5 Ist nur ein Teil der Forderung rechtskräftig zuerkannt, so verjährt nur dieser Teil in dreißig Jahren (RG 66, 271). Ist in dem rechtskräftigen Urteil nur über den Hauptanspruch entschieden und nicht auch über den Schadensersatzanspruch, der dadurch entstanden ist, daß der Schuldner mit der Erfüllung des Hauptanspruchs in Verzug geraten ist, dann verjährt auch nur der Hauptanspruch und nicht auch der Schadensersatzanspruch wegen Verzuges in 30 Jahren (BGH L M BGB § 286 Nr. 3). Anm. 6 Die dreißigjährige Verjährung nimmt ihren Lauf, sobald die rechtskräftige Feststellung — im Sinne des § 218 — erfolgt ist. Anm. 7 Die dreißigjährige Verjährung gilt nicht nur für einen Herausgabeanspruch, dem durch rechtskräftiges Urteil stattgegeben worden ist, sondern auch für den Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung, der nach fruchtloser Vollstreckung oder sonst dargetaner Unmöglichkeit an die Stelle des Herausgabeanspruchs tritt (RG 109, 234)-

723

§ 2 1 8 A n m . 8—10 § § 2 1 9 , 220

Allgemeiner Teil

Anm. 8 Die Verjährungsfrist rechtskräftig festgestellter Ansprüche kann durch eine neue K l a g e unterbrochen werden. D a die Verjährungsfrist rechtskräftig festgestellter Ansprüche durch Anerkenntnis und Vollstreckungshandlungen unterbrochen werden kann, kann die Zulässigkeit einer Unterbrechung als solche nicht zweifelhaft sein. Es ist allein fraglich, ob ein Anspruch, über den bereits ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, nochmals in einem Rechtsstreit geltend gemacht werden kann. Das ist möglich, sofern ein Rechtsschutzinteresse für eine zweite K l a g e gegeben ist ( B G H 4, 3 1 4 , 3 2 1 ) . Die Rechtskraft des ersten Urteils schließt nur aus, daß das Gericht anders als in dem früheren Urteil entscheidet. Das Rechtsschutzinteresse besteht, wenn die Verjährungsfrist für den rechtskräftig festgestellten Anspruch abzulaufen droht und wenn es dem Gläubiger unmöglich ist, sich wegen seines Anspruchs zu befriedigen, und wenn ihm ferner kein anderes, einfacheres Mittel zur Verfügung steht, den L a u f der Verjährungsfrist zu unterbrechen. Diese Voraussetzung kann gegeben sein, wenn bei drohendem Ablauf der Frist der Aufenthalt des Schuldners unbekannt ist und auch Vermögenswerte, in die vollstreckt werden könnte, nicht bekannt sind. (Wie hier L G Berlin J R 1950, 283; L G Zweibrücken M D R 1950, 1 7 0 ; aA L G Bremen D J 1942, 1 7 1 ; vgl. auch L G Münster D

J I943> 325-)

Anm. 9 2. Kürzere Frist für wiederkehrende Leistungen ( A b s . 2) Bei wiederkehrenden Leistungen bewendet es in allen Fällen bei der vierjährigen Verjährung aus § 197 (RG J W 1905, 335), also auch dann, wenn es sich um Nebenleistungen wie Zinsen handelt und zugleich mit dem Hauptanspruche auch über sie rechtskräftig entschieden ist (RG 70, 68). Vgl. auch § 197 Anm. 1—4. Doch ist eine Feststellungsklage zulässig, wenn der Gefahr der Verjährung nicht anders vorgebeugt werden kann ( L G Zweibrücken M D R 1950, 170, streitig, s. auch L G Berlin J R 1950, 283 [unbekannter Aufenthalt des Beklagten] und oben Anm. 8). A n m . 10 Unter § 2 1 8 Abs. 2 fallen auch Rückstände von Renten nach §§843, 844 Abs. 2; sie sind rückständig, wenn sie fällig (§§ 843 Abs. 2, 760 Abs. 2) und nicht getilgt sind ( R G H R R 1938, 1005).

§319 Als rechtskräftige Entscheidung im Sinne d e s § 211 A b s . 1 und d e s § 218 A b s . 1 gilt auch ein unter Vorbehalt ergangenes rechtskräftiges Urteil. E I 178 II 184; M z 338« 339; P z 230. Vorbehaltsurteile Unter Vorbehalt ergehende Urteile ergeben sich aus den §§ 302, 305 Abs. 1, 540, 529 Abs. 3, 599 Z P O , ferner aus § 1489 Abs. 2 B G B in Verbindung mit § 305 Abs. 2 ZPO.

§ 330 Ist der Anspruch vor einem Schiedsgericht oder einem besonderen Gerichte, vor einem Verwaltungsgericht oder einer Verwaltungsbehörde geltend zu machen, so finden die Vorschriften d e r § § 209 bis 213, 215, 216, 218, 219 entsprechende Anwendung. Sind in dem Schiedsverträge die Schiedsrichter nicht ernannt oder ist die Ernennung eines Schiedsrichters aus einem anderen Grunde erforderlich oder kann das Schiedsgericht erst nach der Erfüllung einer sonstigen Voraussetzung angerufen werden, so wird die Verjährung schon dadurch unterbrochen, daß der Berechtigte das zur Erledigung der Sache seinerseits E r f o r derliche vornimmt. E I 179 II I8J; M I 339ff; P I 231. 724

Verjährung

§ 220 Anm. 1, 2 § 221 Anm. 1, 2

Geltendmachung der Ansprüche vor Verwaltungsbehörden oder anderen als ordentlichen Gerichten Anm. 1 Uber Schiedsgerichte vgl. §§ 1025 fr ZPO. Besondere Gerichte sind zunächst die in § 14 GVG aufgeführten und die Arbeitsgerichte. Nach dem in § 220 zum Ausdruck gelangten Willen des Gesetzes sollen alle gesetzlich vorgesehenen Rechtsverfolgungshandlungen, die nicht unter §§ 209—210 fallen, ebenfalls die Verjährung unterbrechen. Als besondere Gerichte sind daher alle außerhalb des ordentlichen Rechtsweges tätig werdenden Gerichte anzusehen. Verfahren vor einem besonderen Gericht ist auch das Kostenfestsetzungsverfahien nach § 103 ZPO, § 86a RAGebO aF. Der nach diesen Vorschriften gestellte Antrag auf Kostenfestsetzung unterbricht daher die Verjährung (BGH 21, 199, 205; jetzt § 19 Abs. 6 RAGebO v. 26. 7. 1957, BGBl I 907). Uber Verwaltungsgerichte oder Behörden § 13 GVG. Die Sozialgerichte sind besondere VerwaJtungsgerichte. Anm. 2 Ein Unterbrechungsgrund ist auch die Streitverkündung im schiedsrichterlichen Verfahren (RG 55, 16). Ferner gilt § 220 im Falle eines ausländischen Schiedsgerichts ohne Rücksicht darauf, ob dieses den Vorschriften der ZPO entspricht (RG SeuffArch 67 Nr. 240).

§331 Gelangt eine Sache, in Ansehung deren ein dinglicher Anspruch besteht, durch Rechtsnachfolge in den Besitz eines Dritten, so kommt die während des Besitzes des Rechtsvorgängers verstrichene Verjährungszeit dem Rechtsnachfolger zustatten. E I 181 I I 186; M I 340ff; P 1 231.

Ubersicht Anrechnung der Besitzzeit des Rechtsvorgängers Anm.

1. Allgemeines 2. Rechtsnachfolge im Besitz 3. Besitzwechsel ohne oder gegen den Willen des Vorgängers

1 2—5 6

Anm. 1 1. Allgemeines Auch der dingliche Anspruch setzt, einmal entstanden, einen bestimmten Verpflichteten voraus, gegen den er sich richtet ( § 1 9 4 Anm. 2). Demgemäß dürfte die Verjährung auch eines derartigen Anspruchs grundsätzlich nur zwischen dem Berechtigten und dem bestimmten Verpflichteten wirksam werden. Das Gesetz sieht hier jedoch aus allgemeinen Gründen eine Abweichung vor. Für den Fall nämlich, daß der Anspruch in Ansehung einer Sache (§ 90) besteht, und der Besitz an ihr von dem ursprünglich Verpflichteten durch Rechtsnachfolge auf eine andere Person (oder der Reihe nach auf mehrere andere) übergeht, soll sich der Besitznachfolger auch auf die während des Besitzes des Rechtsvorgängers verstrichene Verjährungszeit berufen dürfen. Anm. 2 2. Rechtsnachfolge im Besitz Da der Besitz an sich ein tatsächliches Verhältnis ist (vgl. § 854), kann es sich hier, strenggenommen, überhaupt nicht um eine Rechtsnachfolge, sondern lediglich um eine Nachfolge in das tatsächliche Verhältnis handeln. Der einzige Fall, in dem das Gesetz Besitzerlangung „durch" Rechtsnachfolge kennt, ist der des Erbfalls (§857). Der Ausdruck Rechtsnachfolge ist daher in § 221 in einem andern Sinne zu verstehen, als es 47

Komm. z. B G B . n . Aufl. I. Bd. (Johannsen)

725

Allgemeiner Teil

§ 221 Anm. 3—6

§222

seiner eigentlichen Bedeutung entspräche. Er umfaßt hier auch die Fälle, in denen der Besitzwechsel sich nicht auf Grund, sondern nur i n f o l g e einer Rechtsnachfolge vollzieht, beispielsweise wenn der bisherige Besitzer in Gemäßheit eines Kaufvertrags dem Käufer die veräußerte Sache übergibt oder falls beide sich unter den Voraussetzungen des § 854 Abs. 2 über den Besitzerwerb einigen. Anm, 3 Soweit der Erwerb des Rechts nach den Grundsätzen vom guten Glauben von einem Nichtberechtigten hergeleitet wird (§ 93a), ist ebenfalls eine Rechtsnachfolge im Sinne des § 221 anzunehmen, wiewohl der Vorgänger des Rechtes überhaupt ermangelt hatte. Anm. 4 Es kann aber auch unmittelbarer Erwerb ausreichen, so der Erwerb durch die rechtmäßige Veräußerung der Pfandsache gemäß § 1241 (RG 56, 244; 82, 35 zu § 3 2 5 ZPO). Anm. 5 Rechtsnachfolge im angegebenen Sinne ist aber niemals anzunehmen, falls der Besitz w i d e r r e c h t l i c h (§858) erlangt ist, wie etwa durch Diebstahl. M a n wird also annehmen können, daß eine Sache immer dann in den Besitz eines Dritten durch Rechtsnachfolge gelangt ist, wenn der Dritte auf rechtsbeständige Art denjenigen Besitz erlangt hat, den sein Vorgänger gehabt hatte (RG 40, 339; 53, 10; 56, 244), wobei Eigenbesitz nicht gefordert ist. Anm. 6 3. Besitzwechsel ohne oder gegen den Willen des Vorgängers Nach diesem Grundsatz wird der § 221 selbst dann anwendbar sein, wenn der Besitzwechsel ohne oder gar gegen den Willen des Vorgängers erfolgt ist (streitig) falls nur der Nachfolger einen Anspruch auf die Gewährung des Besitzes gehabt hatte (aA P l a n c k Anm. 2 b). Dies kann zutreffen unter Anwendung des § 986 auf Grund der Einrede des Kaufes, wird aber auch in solchen Fällen gegeben sein, in denen jemand seinen Besitz auf Grund eines anfechtbaren oder auflösend bedingten Rechtsgeschäfts auf einen andern übertragen hatte und den Besitz demnächst, nach Anfechtung des Geschäfts oder nach Eintritt der Bedingung, auf irgendwelche an sich zulässige Art wiedererlangt hat. Vgl. Mot. 1, 341 Abs. 2. Denn auch in diesen Fällen hätte der Nachfolger gegen den Vorgänger einen Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes gehabt. Ein bloßer Wechsel in der Person des Anspruchsberechtigten begründet keine Unterbrechung der Verjährung.

§ 222 Nach der Vollendung der Verjährung ist der Verpflichtete berechtigt, die Leistung zu verweigern. Das zur Befriedigung eines verjährten Anspruchs Geleistete kann nicht zurückgefordert werden, auch wenn die Leistung in Unkenntnis der V e r jährung bewirkt worden ist. Das gleiche gilt von einem vertragsmäßigen Anerkenntnisse sowie einer Sicherheitsleistung des Verpflichteten. E I 182 II 187; M I 54iff; P I Z)2ff.

Ubersicht Wirkung der Verjährung I. Das Recht zur Leistungsverweigerung a) Einrederecht b) Verzicht auf die Einrede . . . . c) Besondere Rechtsfolgen

726

Anm. 1—9 1—3 4,5 6-9

Verjährung

§ 222 A n m . 1—6 Anm.

2. Vollendung der Verjährung 3. Kein Recht auf Rückforderung des Geleisteten (Abs. 2) 4. Gegeneinrede der Arglist a) Absichtliches Hinhalten durch den Schuldner b) Unbeabsichtigtes Hinhalten durch den Schuldner c) Verlängerung der Verjährungsfrist als Folge der Arglist

io 11 12—19 12 13—17 18, 19

1. D a s Recht zur L e i s t u n g s v e r w e i g e r u n g a) Einrederecht Anm. 1 Diese Bestimmung entscheidet die frühere Streitfrage über die Wirkung der Verjährung dahin, daß diese nicht den Anspruch selbst erlöschen läßt, sondern dem Verpflichteten nur das Recht zur Verweigerung der Leistung gibt, mithin nur eine verzichtbare Einrede (§ 202 Anm. 11) gewährt, deren Geltendmachung von seinem Belieben abhängt und daher nicht von Amts wegen unterstellt werden kann. Anm. 2 Auch bei den dinglichen Ansprüchen kommt der Verjährung nur die zuvor beschriebene Wirkung zu (Mot. 1, 293). Gäbe beispielsweise der Besitzer die Sache dem Eigentümer nach vollendeter Verjährung seines, des Eigentümers, Anspruchs aus § 985 heraus, so hätte er keineswegs eine Nichtschuld erfüllt, und ein Recht auf Rückgewährung des Besitzes aus § 812 hätte er nicht erlangt. Der Eigentümer anderseits, der wieder in den Besitz seiner Sache gelangte, würde damit, trotz der inzwischen eingetretenen Verjährung seines Anspruches aus § 985, doch in die Lage gesetzt sein, nunmehr alle einem uesitzenden Eigentümer überhaupt zustehenden Rechte auszuüben, ohne daß er noch bötig hätte, seine Sache von neuem zu erwerben. Anm. 3 Die Einrede der Verjährung muß, sofern es nicht schon vorher geschehen ist, im Prozeß, und zwar spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung der letzten Tatsacheninstanz geltend gemacht werden. In der Revisionsinstanz kann sie nicht nachgeholt werden (BGH 1, 234, 239). b) Verzicht auf die Einrede Anm. 4 Der Verzicht auf die Einrede setzt Kenntnis der eingetretenen Verjährung voraus. Es genügt zu ihm jede formlose, ausdrücklich oder auch stillschweigend (so durch Unterlassung der Geltendmachung der Einrede oder durch Bestellung einer Sicherheit nach Ablauf der Verjährung) dem andern Teile gegenüber erfolgte Kundgebung, aus der der Verzichtwille erhellt, ohne daß es der Annahme des Verzichts bedarf (RG 78, 130; WarnRspr 1933 Nr. 146). Anm. 5 Darin, daß eine Partei in einem Rechtsstreit erklärt, sie lasse die von ihr zunächst erhobene Einrede der Verjährung fallen, liegt nicht ohne weiteres ein Verzicht auf diese Einrede. Ein solcher kann nur angenommen werden, wenn der Verzichtwille festgestellt wird. Andernfalls kann die Partei im weiteren Verlauf des Rechtsstreits die Einrede erneut geltend machen (BGH 22, 267, vgl. dazu Anm. L M BGB § 222 Nr. 5). Der gegenüber dem Sozialversicherungsträger erklärte Verzicht auf die Einrede der Verjährung kann nicht ohne weiteres auch auf die Ansprüche, die dem Verletzten verblieben sind, bezogen werden (BGH V R S 13, 81). c) B e s o n d e r e R e c h t s f o l g e n Anm. 6 Aus der Auffassung des Gesetzes, daß die Verjährung eine eigentliche rechtszerstörende Wirkung nicht hat, ergeben sich w i c h t i g e Folgerungen. 47*

727

§222 Anm. 7—12

Allgemeiner Teil

So bleibt im Sinne der §§ 222, 8 1 3 Abs. 1 eine Forderung auch dann noch erfüllbar, wenn ihr die Einrede der Verjährung entgegensteht. Die Leistung kann daher nicht zurückgefordert werden. Gemäß § 390 ist ferner eine verjährte Forderung noch tauglich zur Aufrechnung (vgl. jedoch die Ausnahme des § 479); die verjährte Schuld kann endlich noch Grundlage eines Pfandrechts sein (§ 223).

Anm. 7 I m Gebiete des L i e g e n s c h a f t s r e c h t e s hat in den Fällen der §§901, 1028 die Verjährung des entsprechenden Anspruchs zugleich das Erlöschen des dinglichen Rechtes zur Folge. Anderseits beseitigt in den Fällen der § § 8 2 1 , 853 die Verjährung des Anspruchs auf Befreiung von der grundlos eingegangenen Verbindlichkeit oder auf Aufhebung der Forderung nicht zugleich das Recht zur Leistungsverweigerung, und in den Fällen der §§ 478, 490, 639 schließt die Verjährung des Anspruchs auf Minderung oder Wandlung nicht das Recht aus, die Zahlung in entsprechender Höhe zu verweigern.

Anm. 8 Die Einrede der Verjährung steht bei Vorhandensein von m e h r e r e n V e r p f l i c h t e t e n gemäß §§425, 429 grundsätzlich allein demjenigen zu, zu dessen Gunsten sich die Verjährung vollendet hat (vgl. §§ 202 Anm. 6 u. 208 Anm. 2). Nur der Bürge kann die Einrede des Hauptschuldners auch für sich geltend machen, und selbst der Verzicht des Hauptschuldners auf die Einrede ist ihm gegenüber unschädlich (§768). Anders liegt die Sache im Falle der Sachhaftung (vgl. § 223).

Anm. 9 Bei auf ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e r G r u n d l a g e beruhenden Ansprüchen hat die Verjährung nicht nur die Wirkung des § 222 Abs. 1 ; ihre Vollendung ist hier vielmehr von Amts wegen zu berücksichtigen ( R G 84, 281).

Anm. 10 2. Vollendung d e r V e r j ä h r u n g setzt voraus: positiv den Ablauf der Frist und negativ, daß während des Fristablaufs kein die Vollendung der Verjährung hinderndes Ereignis eingetreten ist, nämlich weder eine Hemmung noch eine Unterbrechung (§§202—205 u. 208—217).

Anm. 11 3. Kein Recht auf Rückforderung des Geleisteten Diese Bestimmung stellt sich als ein Ergebnis des in Abs. 1 ausgesprochenen Grundsatzes dar. Gemäß § 8 1 2 Abs. 2 gilt auch das vertragsmäßige Anerkenntnis als eine Leistung, und demnach soll auch diese gegebenenfalls nicht zurückgefordert werden können. Unter dem v e r t r a g s m ä ß i g e n A n e r k e n n t n i s s e im Sinne des Abs. 2 ist, anders als im Falle des §208, das r e c h t s g e s c h ä f t l i c h e , mit dem Verpflichtungswillen abgegebene zu verstehen ( R G Gruchot 50, 1200). Es bedarf nach § 781 der Schriftform (RG 78, 1 3 2 ; 78, 168; J W 1 9 1 2 , 286 Nr. 5 u. 6; 1 9 1 5 , 393) — streitig — , sofern es nicht vergleichsweise abgegeben wird ( R G J W 1 9 1 0 , 280), und setzt (im Gegensatz zum Verzicht, Anm. 4) die Kenntnis vom Ablaufe der Verjährung nicht voraus ( R G 78, 1 3 2 ; J W 1 9 1 2 , 286 Nr. 5 u. 6; WarnRspr 1 9 1 9 Nr. 25). Auch die Umwandlung einer verjährten Schuld in eine Darlehnsschuld bedarf der Schriftform ( R G 78, 163). Vgl. auch L e h m a n n J W 1937, 2169. Das vom Hauptschuldner abgegebene Anerkenntnis nimmt dem Bürgen nicht das Einrederecht aus § 768 Abs. 1 ; vgl. §§ 768 Abs. 2 u. 767 Abs. 1 Satz 3. S i c h e r h e i t s l e i s t u n g nach §§ 232fr.

4. Gegeneinrede der Arglist Anm. 12 a) Absichtliches Hinhalten durch den Schuldner SDer Einrede der Verjährung kann die Einrede der Arglist z u n ä c h s t dann entgegengesetzt werden, wenn der Verpflichtete absichtlich und der Schädigung des Berechtigten sich bewußt diesen von der rechtzeitigen gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs 728

Verjährung

§222

Anm. 13—15 abgehalten hat, etwa durch Vergleichsverhandlungen ( R G 57, 3 7 2 ) ; oder durch die Bitte um Stundung und das Versprechen der Erfüllung ( R G SeuffArch Nr. 1 2 8 ) ; oder durch arglistige Verheimlichung der Schuld; oder durch Vorenthaltung der Schuldurkunden ( R G 3 2 , 1 4 3 ) ; oder unter Umständen durch die Vereinbarung des Prozeßstillstandes ( R G J W 1 9 1 6 , 1 1 8 8 ) ; oder wenn der Schuldner den Gläubiger veranlaßt hat, von einer Unterbrechungshandlung Abstand zu nehmen ( R G J W 1 9 1 9 , 1 0 2 ; 1 9 1 9 , 3 0 4 ) , vorausgesetzt, daß dem Gläubiger nicht noch nach Ablauf der etwa gewährten Nachsicht genügende Zeit geblieben war, seine Rechte durch nunmehrige Unterbrechung der Verjährung zu wahren ( R G SeuffArch 75 Nr. 122). Mittels eines begründeten Einwandes der Arglist wird in solchen Fällen die vollendete Verjährung auf Grund der §§ 249, 826 wieder beseitigt ( R G 64, 2 2 3 ; 73, 396).

b) Unbeabsichtigtes Hinhalten durch den Schuldner Anm. 13 Der Einwand der Arglist ist aber n i c h t n u r d a n n begründet, wenn der Schuldner den Gläubiger absichtlich über den Ablauf der Frist hinaus hingehalten und ihm durch sein Verhalten die fristgemäße Erhebung der K l a g e oder sonstige Unterbrechung der Verjährung unmöglich gemacht hat (dolus praeteritus); d i e V e r j ä h r u n g s e i n r e d e k a n n v i e l m e h r , wie in der neueren Rechtsprechung anerkannt ist, m i t d e m G e g e n e i n w a n d e der Arglist schon dann zurückgewiesen werden, wenn der Schuldner d e n G l ä u b i g e r d u r c h s e i n V e r h a l t e n , s e i es a u c h u n a b s i c h t l i c h , v o n d e r r e c h t z e i t i g e n E r h e b u n g d e r K l a g e a b g e h a l t e n h a t , weil nämlich mit einem solchen (früheren) Verhalten des Schuldners nach dem Grundsatze von Treu und Glauben die (jetzige) Erhebung der Verjährungseinrede unvereinbar ist (dolus praesens); vgl. R G 57) 3 7 6 ; 78, 134 (gegen 64, 223); 87, 2 8 1 ; 109, 309; 1 1 5 , 1 3 5 ; 124, 1 1 1 ; 138, 299; 142, 284; 1 4 3 , 2 3 6 ; 1 4 3 , 2 5 0 ; 1 4 4 , 3 7 8 ; 1 4 5 , 2 3 9 ; 1 5 3 , 1 0 1 ; WarnRspr 1 9 1 9 Nr. 2 ; 1928 Nr. 1 0 2 ; 1930 Nr. 2 1 0 ; 1931 Nr. 56; 1933 Nr. 46; 1934 Nr. 1 5 0 ; J W 1919, 1 0 2 ; 1919, 304; 1924, 1967; 1927, 2569; 1932, 1648; 1933, 508; 1936, 1 9 5 3 ; 1936, 2 5 3 3 ; 1937, 27; 1937, 1 0 5 7 ; SeuffArch 83^Nr. 203; 86 Nr. 1 1 4 ; 87 Nr. 79; R A G J W 1936, 1 2 4 5 ; auch Düsseldorf J W 1938, 46; B G H 9, 1, 5 ; L M B G B § 242 C b Nr. 2). Dabei ist insbesondere nicht erforderlich, daß der Schuldner dem Gläubiger die Wahrung der Verjährungsfrist unmöglich gemacht hat; es genügt, daß das Verhalten des Schuldners, z. B. ein Schriftwechsel mit dem Ziele einer gütlichen Einigung, dem Gläubiger nach verständigem Ermessen ausreichenden Anlaß bot, die Erhebung der Klage aufzuschieben ( R G J W 1936, 1953). So auch, wenn der Gläubiger, der aus dem gesamten Verhalten des Schuldners, für diesen erkennbar, das Vertrauen geschöpft hat und schöpfen durfte, der Schuldner werde die Verjährungseinrede nicht geltend machen (RG 153, 1 0 1 ) .

Anm. 14 Auch in solchen Fällen darf der Gläubiger selbst keineswegs immer untätig bleiben. Er muß unter Umständen den Schuldner auf die unzureichende Zahlungsweise eines Geschäftsnachfolgers, der die Schuld übernommen hat, hinweisen und ihm zu erkennen geben, daß er Zahlung nötigenfalls von ihm selbst erwarte; sonst versagt der Einwand der Arglist ( R G J W 1937, 1305).

Anm. 15 Veranlaßt eine Versicherungsgesellschaft den gegen Haftpflicht Versicherten, auf ihre Kosten mit dem Geschädigten wegen der Haftung zunächst einen Prozeß durchzuführen, so braucht der Versicherte zur Abwendung der Verjährung des Versicherungsanspruchs weder K l a g e gegen die Versicherungsgesellschaft zu erheben noch ihr den Streit zu verkünden; dem Einwände der Verjährung würde die Einrede der Arglist entgegenstehen ( R G 8. 12. 1925 V I 3 1 1 / 2 5 ) . Z u m Einwand der Arglist bei der Verjährung von Schadensersatzansprüchen einer Genossenschaft gegen Mitglieder des Vorstandes oder Aufsichtsrats, wenn deren Maßnahmen, wie auch Vergleichsverhandlungen ein Vorgehen gegen sie erschweren, s. R G 156,291, 301.

729

§ 222 A n m . 1 6 — 1 9 §223

Allgemeiner Teil

A n m . 16 Auch bei altrechtlichen Verhältnissen bestimmten sich die Voraussetzungen des Einwandes gegenwärtiger Arglist seit dem Inkrafttreten des BGB nach dessen Vorschriften, insbesondere dem § 242 (RG 144, 378). A n m . 17 Das bloße Einverständnis des Beklagten mit der Nichtbetreibung des Prozesses reicht zur Begründung der Arglisteinrede nicht aus ( R G 73, 394; J W 1936, 315; 1938, 1592). c) Verlängerung der Verjährungsfrist als Folge der Arglist A n m . 18 Nach dem Wegfall der den Einwand der Arglist begründenden Umstände beginnt nicht etwa die Verjährung, wie bei einer Unterbrechung, von neuem zu laufen, es findet auch nicht eine Hemmung mit der im § 205 bezeichneten Wirkung statt, vielmehr ist eine den U m s t ä n d e n angemessene Frist a n z u n e h m e n , i n n e r h a l b der nunm e h r d e r A n s p r u c h durch Klage oder in einer andern zur Unterbrechung der Verjährung geeigneten Weise g e l t e n d z u m a c h e n ist ( R G 115, 135; 128, 2 1 1 ; 143, 250; i44> 378, 384; J W 1933, 508; 1936, 2533; 1937, 27; 1937, 2299; 1938, 9 7 0 ; B G H 9, 1, 6). Anm. 19 Durch die vor Ablauf der Verjährungsfrist aufgenommene Verhandlung wird der Ablauf der Verjährung um eine angemessene, nach Treu und Glauben zu bestimmende Frist hinausgeschoben, die in der Regel nur kurz bemessen werden kann. Nutzt der Berechtigte die Frist nicht aus, so kann der Verpflichtete sich nach ihrem Ablauf auf die Verjährung berufen ( B G H NJW 1959, 96; L M BGB § 222 Nr. 2; BGB § 242 C b Nr. 2; V R S 10, 26; VersR 1955, 454). Uber die Dauer der Frist vgl. R G 115, 135, 139: Klagerhebung nach einem Monat nicht zu spät; R G 128, 211, 214: Frist von zwei Monaten und 19 Tagen zu lang; R G J W 1937, 2299: Frist von etwa sechs Monaten nicht mehr angemessen : R G 143, 250, 258: Frist von sieben Monaten wegen der außergewöhnlichen Umstände für ausreichend angesehen. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, daß die Frist immer nur kurz sein kann. Auch wenn wegen des Umfanges der Sache und der Schwierigkeit der Rechtslage die Anfertigung der Klage einen längeren Zeitraum erfordert, kann die Frist nur auf Wochen oder höchstens wenige Monate bemessen werden ( B G H L M BGB § 222 Nr. 2, ebenso R G H R R 1940, 980). In B G H NJW 1959, 96 ist ein Zeitraum von drei Monaten für einen durch einen Rechtsanwalt beratenen Kaufmann als Gläubiger als zu lang angesehen worden. Der Einwand der Arglist steht also der Wirksamkeit der Verjährung nicht im Wege, wenn dem Gläubiger nach dem Wegfall der bezeichneten Umstände noch innerhalb der Verjährungsfrist ein angemessene Zeitraum blieb, die Klage zu erheben (RG 109, 310; 157, 22; SeuffArch 75 Nr. 122; J W 1927, 974; WarnRspr 1930 Nr.90). Vgl. auch R G 158, 135; B G H L M BGB §242 C b Nr. 3. Verhandlungen als Hemmungsgrund der Verjährung s. S t V G § 14 Abs. 2, dazu R G H R R 1932, 1876 und § 6 SHpflG.

§ 333 Die Verjährung eines Anspruchs, für den eine Hypothek, eine Schiffshypothek oder ein Pfandrecht besteht, hindert den Berechtigten nicht, seine Befriedigung aus dem verhafteten Gegenstande zu suchen. Ist zur Sicherung eines Anspruchs ein Recht übertragen worden, so kann die Rückübertragung nicht auf Grund der Verjährung des Anspruchs gefordert werden. Diese Vorschriften finden keine Anwendung bei der Verjährung von A n sprüchen auf Rückstände von Zinsen oder anderen wiederkehrenden Leistungen. E I 183 II 188; M 1 344ff;P 1 236; 3 751. — D V T. 21. 12. 1940 R G B II 1609.

730

Verjährung

§223 Anm. 1—7

Sachhaftung nach Verjährung Anm. 1 1. Fortbestand der Sachhaftung trotz Verjährung Da die Forderung trotz eingetretener Verjährung weiter besteht, erlöschen die zu ihrer Sicherung bestellten Rechte nicht mit der Verjährung. Es kann sich nur darum handeln, ob der Verpfänder oder Sicherungsgeber sich gegenüber dem Gläubiger, der seine Befriedigung aus dem haftenden Gegenstand sucht, auf die Verjährung berufen kann, und ob er nach §§ 1169, 1254 von dem Gläubiger verlangen kann, daß er auf seine Hypothek verzichte oder das Pfand an den Eigentümer zurückgebe. Während dem Bürgen die Einrede der Verjährung der Hauptschuld zusteht, gibt § 233 dem Pfandschuldner und Sicherungsgeber nicht das Recht, sich auf die Verjährung zu berufen. Er läßt die Sachhaftung trotz der Verjährung der persönlichen Forderung fortbestehen. Uber Fortdauer des Pfandrechts bei späterem, d. h. nach Vollendung der Verjährung erfolgendem Umtausch verpfändeter Wertpapiere s. R G 116, 198.

Anm. 2 Auf Grund- und Rentenschulden kann § 223 selbstverständlich überhaupt keine Anwendung finden. Da diese von keiner Forderung abhängig sind, bestehen sie, auch wenn sie zur Sicherung einer Forderung bestellt sind, selbstverständlich unverändert fort, wenn die Forderung verjährt ist. Auf Vormerkungen ist § 223 gleichfalls nicht anzuwenden. Hier greift der § 886 Platz, wonach gegebenenfalls die Beseitigung der Vormerkung verlangt werden darf (RG WarnRspr 1908 Nr. 286). Die Einbeziehung der Schiffshypothek in Abs. 1 beruht auf der DV z. Ges. über Rechte an eingetragenen Schiffen und Schiffsbauwerken v. 21. 12. 1940, R G B l I 1609, Art. 2.

Anm. 3 §223 Abs. 1 gilt auch für durch P f ä n d u n g begründete Pfandrechte; für Arrestpfandrechte s. Hamburg H R R 1934 Nr. 1097.

Anm. 4 Streitig ist, ob Abs. 1 auch die Fälle eines k r a f t G e s e t z e s erworbenen Pfandrechts umfaßt. Nach dem Wortlaute des Gesetzes, wo nur ein „bestehendes" Pfandrecht ohne Einschränkung auf einen bestimmten Entstehungsgrund vorausgesetzt ist, und nach dem Grundgedanken des Gesetzes ist die Frage grundsätzlich zu bejahen. Wegen der besonderen Rechtsstellung der in § 754 H G B aufgeführten Schiffsgläubiger muß dagegen angenommen werden, daß die Verjährung dieser Rechte auch die Zwangsvollstreckung in diejenigen Vermögensgegenstände hindert, an denen sie nach §§ 755, 756 H G B ein gesetzliches Pfandrecht haben (Schleswig SchlHA 1958, 81).

Anm. 5 Ein Zurückbehaltungsrecht kann wegen eines verjährten Anspruchs, wenn der Schuldner sich auf die Verjährung beruft, nicht geltend gemacht werden. S t a u d i n g e r / C o i n g 11. Aufl. § 223 Anm. 2 will das Gegenteil aus dem Grundgedanken des § 223 schließen. Hierbei wird übersehen, daß die Stellung desjenigen, dem nur ein Zurückbehaltungsrecht zusteht, eine wesentlich andere und viel schwächere ist als die des Pfand- und Hypothekengläubigers. Wie hier R G SeuffArch 89 Nr. 80.

Anm. 6 Der Eigentumsvorbehalt bleibt unverändert bestehen, auch wenn die Kaufpreisforderung verjährt ist, da die Bedingung für den Eigentumsübergang, Zahlung des Kaufpreises, nicht eingetreten ist (vgl. dazu B l o m e y e r , Anspruchsverjährung und dingliche Sicherheiten J Z 1959, 15).

Anm. 7 2. Keine Rückübertragung von Sicherungsrechten (Abs. 2) Gemäß Abs. 2 kann, da die Sachhaftung nach der Verjährung fortbesteht, auch nicht die Rückübertragung eines nur sicherungshalber übertragenen Rechtes wegen Verjährung der gesicherten Forderung verlangt werden (vgl. Vorbem. vor § 104 Anm. 8).

731

§ 223 A n m . 8 §§ 224, 225 A n m . 1

Allgemeiner Teil

Anm. 8 3. Ausnahme für rückständige Zinsen usw. (Abs. 3) Über wiederkehrende Leistungen vgl. § 2 1 8 Anm. 9, 10. Hierzu rechnen alle auf Grund des Rechtsverhältnisses in Zeitabständen zu entrichtenden gleichartigen Leistungen. Es ist nicht erforderlich, daß die Leistungen in gleichmäßigen Zeitabständen zu entrichten sind. Die Vorschrift dient dem Schutze der Pfandschuldner. Auf die Tilgungszuschläge bei Amortisationshypotheken dürfte die Bestimmung nicht anzuwenden sein (bestritten); s. aber auch L i n k J W 1938, 1298.

§ 224: Mit dem Hauptanspruche verjährt der Anspruch auf die von ihm abhängenden Nebenleistungen, auch wenn die für diesen Anspruch geltende besondere Verjährung noch nicht vollendet ist. E I 184 II 189; M x 34J; P 1 236.

Verjährung des Anspruchs auf Nebenleistungen Unter den von dem Hauptanspruche abhängigen Nebenleistungen, auf die sich die Bestimmung beschränkt, sind Zinsen aller Art, Früchte, Nutzungen, Kosten ( R G 6 1 , 392) zu verstehen. Ebenso gehört dazu eine vom Hauptanspruche abhängige Forderung auf Schadensersatz wegen Verzuges (RG 156, 1 1 3 , 1 2 1 ; a A R G 1 1 1 , 102; SeufFArch 82 Nr. 1 8 3 ; nicht entschieden vom B G H in L M B G B § 558 Nr. 1). Die Abhängigkeit muß die Entstehung der Nebenleistung betreffen, und es muß die Hauptforderung überhaupt entstanden sein ( R G 85, 243). Alle bis zum Zeitpunkte der Vollendung der Verjährung zu entrichten gewesenen Nebenleistungen sind also mit der Hauptforderung mitverjährt, selbst wenn sie an sich noch nicht verjährt wären. Bei Vertragsrechten auf kurzzeitig wiederkehrende wirtschaftlich einheitliche Leistungen unterliegt auch der „ G e amtanspruch" der Verjährung ( R G 136, 427).

§ 3 3 5 Die Verjährung kann durch Rechtsgeschäft weder ausgeschlossen noch erschwert werden. Erleichterung der Verjährung, insbesondere Abkürzung der Verjährungsfrist, ist zulässig. E I 185 II 190; M 1 34sff; P 1 138.

Ubersicht Rechtsgeschäftliche Regelung der Verjährimg Anm.

1 . Unzulässigkeit des Ausschlusses oder der Verlängerung der Verjährungsfrist 2. Die Verjährung erleichternde Abkommen 1. Unzulässigkeit rungsfrist Anm. 1

des Ausschlusses

oder

der Verlängerung

1—6 7, 8

der Verjäh-

Die Vorschrift dient nicht nur dem Interesse des Schuldners, sondern sie ist auch im öffentlichen Interesse zum Schutze des Rechtsverkehrs erlassen ( R G 86, 424; 87, 284; 145, 244). Sie beschränkt die Vertragsfreiheit insofern, als die Verjährung vor ihrer Vollendung weder rechtsgeschäftlich ausgeschlossen noch erschwert werden kann. Dagegen verstoßende Abmachungen, insbesondere also auch der zum voraus erklärte Verzicht auf die Einrede der Verjährung, sind daher nichtig. Das schließt aber nicht aus, daß der als Rechtsgeschäft unwirksame Verzicht zur Begründung der Ein-

732

Verjährung

§225 A n m . 2—8

rede der Arglist (§ 222 Anm. 12 ff) gegenüber der Berufung auf die Verjährung dienen kann (RG J W 1937, 27). Ferner setzt die Annahme der Nichtigkeit voraus, daß die Vereinbarung den Ausschluß oder die Erschwerung unmittelbar zum Gegenstande hat. Anm. 2 Da die zwingendes Recht enthaltende Bestimmung des § 225 im allgemeinen Interesse gegeben ist, griff sie auch dann Platz, wenn die Parteien schon vor dem 1. J a n u a r 1900 die Verjährung vertraglich ausgeschlossen hatten (RG J W 1912, 682). Demgemäß hatte auch ein unter der Herrschaft des alten Rechtes (im voraus) erklärter Verzicht auf die Verjährung mit dem 1. J a n u a r 1900 seine Wirkung verloren (RG 79, 268). Anm. 3 Dagegen ist § 225 nicht anzuwenden, wenn sich der Ausschluß oder die Erschwerung der Verjährung nur mittelbar als Folge der Abrede ergibt, beispielsweise wenn eine Schadensersatzforderung nur bedingungsweise erlassen wird, alsdann die auflösende Bedingung eintritt und jetzt infolge dieser Vorgänge mit dem Eintritte der Bedingung nur eine neue Verjährung beginnen kann (RG WarnRspr 1911 Nr. 259). Anm. 4 Ein Abkommen, erst dann klagen zu wollen, wenn ein anderer Rechtsstreit erledigt sei, verstößt nicht gegen § 225; solange es besteht, ist die Einrede der Verjährung in der Regel arglistig (RG 8. 3. 1935 V 288/34; vgl. RG 144, 378; 145, 239). Ausnahmen von der Vorschrift enthalten die Sonderbestimmungen in den §§ 477 Abs. 1 Satz 2, 486 Satz 1, 490 Abs. 1 Satz 2, 638 Abs. 2; ferner die § § 4 1 4 Abs. 1, 423, 439 HGB. Anm. 5 Unterwirft sich der Verkäufer stillschweigend einer länger andauernden Garantiepflicht hinsichtlich der Beschaffenheit der Kaufsache, so liegt darin nicht zugleich die Vereinbarung über die Hinausschiebung des Beginns oder der Dauer der gesetzlichen Verjährungsfrist aus § 4 7 7 (RG 91, 307). Anm. 6 Nach Vollendung der Verjährung kann auf die Geltendmachung der Einrede formlos verzichtet werden (vgl. § 222 Anm. 4, 5). 2. Die Verjährung erleichternde A b k o m m e n Anm. 7 Die Erleichterung d e r V e r j ä h r u n g , i n s b e s o n d e r e d i e A b k ü r z u n g der Verjährungsfrist, ist der Parteiwillkür überlassen. Demgemäß kann auch der Beginn der Verjährungsfrist auf einen früheren Zeitpunkt verlegt werden (RG 66, 413) Es ist Sache der Auslegung, ob die vereinbarte Kürzung der Verjährungsfrist zugleich auf den Fall miterstreckt sein soll, daß an Stelle des Vertragsanspruchs ein Anspruch aus dem Eigentum oder aus unerlaubter Handlung geltend gemacht wird (RG 66, 363; WarnRspr 1912 Nr. 154). Anm. 8 Der Grundsatz des § 225 Satz 2, daß eine vertragliche Erleichterung der Verjährung, insbesondere eine Abkürzung der Verjährungsfrist zulässig ist, gilt auch für Ansprüche aus vertraglichem und außervertraglichem Verschulden und erstreckt sich selbst auf vorsätzliches Verschulden; § 276 Abs. 2 ist hier nicht anwendbar (RG 135, 174). Abkürzung der Verjährungsfrist durch Tarifvertrag s. RAG 17, 229. Abkürzung der Verjährungsfrist für tarifliche Lohnansprüche durch eine Betriebsordnung s. RAG 17, 241 733

V o r § 226 A n m . 1 — 5 §226

Allgemeiner Teil Sechster

Abschnitt

Ausübung der Rechte. Selbstverteidigung.

Selbsthilfe

Anm. 1 I . a) Der 6. Abschnitt, der Vorschriften über die Ausübung der Rechte, die Selbstverteidigung und Selbsthilfe enthält, bestimmt in seinem § 226 ganz allgemein, daß es unzulässig ist, ein Recht auszuüben, wenn dies nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen. Diese Bestimmung wurde vom Reichstag auf Grund eines Vorschlages der Reichstagskommission in das Gesetz eingefügt. Anm. 2 b ) Die folgenden Vorschriften gehen von dem allgemeinen Grundsatz aus, daß es keiner Privatperson gestattet ist, ihr Recht gegenüber dritten Personen zwangsweise durchzusetzen. Z u m Schutze und zur Verwirklichung der eigenen subjektiven Rechte muß der Rechtsinhaber grundsätzlich staatliche Hilfe in Anspruch nehmen. Das ergibt das Gesamtsystem unserer Rechtsordnung, insbesondere die Verfahrensordnungen und die gesetzlichen Bestimmungen über den strafrechtlichen Schutz des einzelnen, vor allem gegen Eingriffe in sein Eigentum, seine Willensfreiheit und seine körperliche Unversehrtheit. Nur in besonderen Ausnahmefällen wird es dem einzelnen gestattet, selbst Zwang gegen Dritte anzuwenden, um sein Recht zu schützen oder zu verwirklichen. Die Voraussetzungen, unter denen der einzelne in dieser Weise vorgehen kann, sind in den §§ 227fr geregelt. Anm. 3 II. a) Die §§ 227, 228 behandeln den Schutz und die Verteidigung eigener Rechte gegen von außen drohende Beeinträchtigungen. § 227 behandelt die Notwehrhandlung. Der übergesetzliche Notstand als Rechtfertigungsgrund ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. § 228 regelt den Verteidigungsnotstand. Der hiermit nahe verwandte Angriffsnotstand ist als eine Schranke des Eigentums in § 904 geregelt. Anm. 4 b ) Die §§ 229fr behandeln das Recht der Selbsthilfe zur Verwirklichung eigener Rechte. Sie bestimmen, unter welchen Voraussetzungen der einzelne fremde Rechtsgüter angreifen darf, um die Befriedigung und Verwirklichung seiner eigenen Rechte zu ermöglichen. Anm. 5 III. Nicht alle Fälle der erlaubten Selbsthilfe sind im 6. Abschnitt geregelt. Das Gesetz enthält vielmehr noch an anderen Stellen zahlreiche Vorschriften über die Selbsthilfe in besonderen Fällen. Dazu gehören die §§ 561, 581 Abs. 2, 704 über das Selbsthilferecht des Vermieters, Verpächters und Gastwirts, §§ 859, 860, 865, 1029 über das Selbsthilferecht des Besitzers, § 910 über das Uberhangsrecht, § 962 über das Verfolgungsrecht des Eigentümers und die §§ 867 und 1005 über das Abholungsrecht.

§ 336 Die Ausübung eines Rechtes ist unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen. M i 274.

Ubersicht Schikaneverbot I. Schikaneverbot des § 2 2 6 1. Inhalt und Zweck der Vorschrift 2. Voraussetzungen für die unzulässige Rechtsausübung

734

Anm.

1—8 1 2

Ausübung der Rechte. Selbstverteidigung. Selbsthilfe

§ 226 Anm. 1—3 Anm.

3. Beispiele a) Rechtsmißbrauch b) Kein Rechtsmißbrauch 4. Geltung auf allen Rechtsgebieten 5. Rechtsfolgen mißbräuchlicher Rechtsausübung II. Unzulässige Rechtsausübung außerhalb des § 226 1. Allgemeines 2. Verstoß gegen die guten Sitten 3. Verstoß gegen Treu und Glauben 4. Rechtsfolgen 5. Neueres Schrifttum III. Berücksichtigung von Amts wegen

3—5 3,4 5 6 7, 8 9—12 9 10 11 12 13

I. Schikaneverbot des § 226 Anm. 1 1. Inhalt und Zweck der Vorschrift Das zur Abwehr eines Unrechts (RG 72, 254) dienende Schikaneverbot geht dahin, daß ein Gebrauch des Rechtes unzulässig ist, der einzig und allein den Zweck haben kann, einem andern Schaden z u z u f ü g e n (RG 68, 424; 98, 73; 125, 108). Unter solchen Voraussetzungen beabsichtigt der Rechtsinhaber in Wirklichkeit auch nicht eine R e c h t s a u s ü b u n g , vielmehr bezweckt er nur die Schädigung eines andern, und das stellt einen vom höheren Standpunkte des Rechtes aus zu verwerfenden M i ß b r a u c h der Befugnis dar. Uber unzulässige Rechtsausübung a u ß e r h a l b des § 226 s. unten Anm. 9—12. Anm. 2 2. Voraussetzungen für die unzulässige Rechtsausübung Das Gesetz stellt es nicht auf die Absichten und Beweggründe ab, die zur Rechtsausübung Anlaß gegeben haben, sondern darauf, ob der Zweck der Rechtsausübung nur der sein kann, einem anderen Schaden zuzufügen (RG WarnRspr igi2 Nr. 10). Wesentlich ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles die Rechtsausübung im konkreten Fall nur den Zweck gehabt haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen (RG 68, 424; 125, 108; J R 1926 Nr. 449; 1926 Nr. 1482; SeuffArch 82 Nr. 206; H R R 1936, 1484). § 286 ist daher nicht anwendbar, wenn der Handelnde irgendein erkennbares Interesse hat, das als berechtigt angesehen werden kann (RG J W 1905, 388). Der Fall des §226 kann nur dann gegeben sein, wenn sich erweist, daß f ü r den Handelnden j e d e r andere Zweck als der der Benachteiligung eines andern ausgeschlossen w a r (RG 69, 380; 138, 373; J W 1905, 388; 1936, 3308; WarnRspr 1909 Nr. 188; 1912 Nr. 10; 1918 Nr. 12; 1920 Nr. 47; 1928 Nr. 132; RAG 6, 12). Das trifft zu, wenn nach der objektiven Rechtslage kein anderer Beweggrund als der der Schadenszufügung gegeben sein kann (RG J W 1907, 507; 1907, 527). Der Anwendungsbereich des § 226 ist danach nur verhältnismäßig begrenzt. Die aufgezeigten Grenzen spielen aber praktisch keine große Rolle; denn die Rechtsprechung hat, an den Gedanken der unzulässigen Rechtsausübung anknüpfend, anderen gesetzlichen Vorschriften einen wesentlich weiteren Bereich eingeräumt. Darüber vgl. unten Anm. 9—12. 3. Beispiele a) Rechtsmißbrauch Anm. 3 Ein Rechtsmißbrauch liegt vor, wenn die Abnahme eines bestellten Werkes wegen so geringfügiger Mängel verweigert wird, daß das gegen Treu und Glauben verstößt (RG 24. 1. 1911 V I I 284/10) oder wenn der Grundeigentümer den Nutzungsberechtigten auf Grund veralteter Bestimmungen bei einer überlebten Wirtschaftsweise festhalten will, die ihm selbst keinen Vorteil bringt und nur die Einnahmen des Nutzungs735

§226

Allgemeiner Teil

A n m . 4—6 berechtigten Anwendung Architekten bedeutsame

und die Volksernährung beeinträchtigt ( R G 15. 1. 1926 V I 300/25). Z u r des § 226 auf die Weigerung des Bauherrn (einer Ortskrankenkasse), dem zu gestatten, Interessenten durch das von ihm hergestellte künstlerisch Gebäude zu führen, s. Frankfurt a . M . SeuffArch 87 Nr. 135.

Anm. 4 Unter Umständen kann § 226 auch dann in Frage kommen, wenn ein Verkäufer zur Beseitigung des Wandlungsbegehrens des Käufers sich zur Beseitigung der vorhandenen Mängel anheischig macht ( R G 61, 94 unter Mitberücksichtigung der §§ 157, 242) und der K ä u f e r das zur Schädigung des Verkäufers ablehnt. Vgl. dazu R G 65, 10 und SeuffArch 57 Nr. 185. In R G 96, 184 ist der § 226 in einem Falle für anwendbar erachtet worden, wo der Beklagte, der zur Sicherung eines Darlehns Aktien mit bestimmten Nummern verpfändet hatte, demnächst, als er auf Bezahlung des Darlehns in Anspruch genommen wurde, Rückgabe der Aktien mit den nämlichen Nummern verlangte, wiewohl die Aktien inzwischen völlig wertlos geworden waren. Einwand der Schikane gegen den Widerruf der Übertragung der Ausübung der Erziehungsgewalt im Falle des früheren § 1635 s. R G J W 1938, 1262.

Anm. 5 b) Kein Rechtsmißbrauch Die Geltendmachung der im E i g e n t u m s r e c h t e liegenden Befugnisse und Ansprüche (§§ 903, 906) ist regelmäßig statthaft, selbst wenn sie nicht erfolgt, um nachteilige Einwirkungen Dritter zu verbieten ( R G 54, 4 3 3 ; WarnRspr 1909 Nr. 69; SeuffArch 82 Nr. 206). Verbot des Straßenhandels durch eine Stadt als Eigentümerin der Straße s. R G 125, 108. Auch die Zulässigkeit des Gebrauchs eines W e t t b e w e r b s v e r b o t s ist grundsätzlich nicht davon abhängig, daß der Berechtigte selbst ein Konkurrenzgeschäft betreibt ( R G 47, 238). Ein genügendes Interesse ist auch dann anzuerkennen, wenn jemand z u m a l l g e m e i n e n B e s t e n handelt; beispielsweise einem Patente gegenüber die Nichtigkeitsklage anstellt, um so im Interesse der Allgemeinheit die Nutzungsfreiheit für den durch das Patent geschützten Gegenstand zu gewinnen ( R G 74, 209); oder gemäß § 9 W Z G auf Löschung eines unzulässigen Warenzeichens klagt ( R G 109, 73). Von einer Verfallklausel kann der Gläubiger unter dem Gesichtspunkt des § 226 auch bei geringer Fristüberschreitung durch den Schuldner Gebrauch machen; es bedarf nicht erst der Darlegung, warum er sich veranlaßt sieht, sein vertragliches Recht auszuüben ( R G J W 1929, 1384). Endlich ist es kein Rechtsmißbrauch im Sinne dieser Vorschrift, wenn ein Ehegatte gegen die Pfändung von Sachen eine ihm unter den besonderen Umständen zustehende Widerspruchsklage erhebt, selbst wenn er nach § 1480 mit den Sachen haftet ( R G 68, 424). Unstatthaft ist es insoweit auch nicht, wenn jemand eine Sache trotz Kenntnis des einem Dritten zustehenden ä l t e r e n R e c h t e s z u r S a c h e erwirbt ( R G 62, 137). Ersatzpflichtig macht er sich aber gegebenenfalls, wenn er bei seiner Handlungsweise die Voraussetzungen des §826 erfüllt sind ( R G 62, 139), dessen Tatbestand nicht mit der Verneinung der Voraussetzungen des § 226 entfällt ( R G 58, 214). Bei der Wiederbebauung eines Grundstücks in einem Bereich der geschlossenen Bauweise ist das Bebauen des Grundstücks in voller Straßenfront bis an die Grundstücksgrenze keine mißbräuchliche Rechtsausübung gegenüber dem dadurch beeinträchtigten Nachbarn ( B G H BB 1953, 373). Keine mißbräuchliche Rechtsausübung liegt vor, wenn eine Kirchenstiftung gewerblichen Bestattungsunternehmern verbietet, auf dem ihr gehörenden Friedhof Bestattungshandlungen vorzunehmen, um diese dort selbst ausschließlich durchführen zu können (BGH 14, 294).

Anm. 6 4. Geltung auf allen Rechtsgebieten Das Verbot der Schikane hat im ganzen Rechtsgebiete Geltung ( R G Gruchot 5 1 , 820), auch im öffentlichen Recht. Es dient keineswegs nur zur Abwendung eines Vermögensschadens, sondern ist auch bei Verletzung idealer Werte

736

Ausübung der Rechte. Selbstverteidigung. Selbsthilfe

§ 226

Anm. 5—10

und Interessen gegeben (RG 72, 254) Insbesondere gilt es auch im Familienrechte. Pflegeeltern können dem Verlangen der Eltern auf Herausgabe des Kindes grundsätzlich auch den Einwand des § 226 entgegensetzen. Dabei kommt es für die Frage, ob das Herausgabeverlangen rechtsmißbräuchlich ist, hier nur darauf an, ob der Zweck des Verlangens allein der sein kann, den Pflegeeltern Schaden zuzufügen. Soweit das Wohl des Kindes beeinträchtigt wird, hat das Vormundschaftsgericht nach § 1666 die erforderlichen Maßregeln zu treffen. Der Vater, der mit seinem Sohne in Feindschaft lebt, darf diesem das Betreten seines Gartens, in dem die Mutter des Sohnes beerdigt ist, nicht schlechthin verbieten (RG 72, 253). Einwand der Schikane gegen Ehescheidungsverlangen nach langer •—- vereinbarter •— vieljähriger Trennung s. Celle NJW 1951, 317.

5. Rechtsfolgen mißbräuchlicher Rechtsausübung Anm. 7 Die Rechtsfolge des schikanösen Handelns gemäß § 226 ist, daß die Handlung unzulässig, rechtswidrig ist. Es ist daher die Abwehr nach § 227 statthaft. Sie erfüllt zudem auch eine Voraussetzung für die V e r p f l i c h t u n g zum Schadensersatze gemäß §823 Abs. 1 u. 2, da der § 226 ein Schutzgesetz darstellt, und ferner auch eine Voraussetzung des § 826, insofern als eine schikanöse Handlungsweise zugleich als eine unsittliche anzusehen ist (vgl. RG 62, 139).

Anm. 8 Bei dauerndem Eingreifen in ein Recht kann endlich der A n s p r u c h auf U n t e r lassung gegeben sein (RG 72, 253). Uber die E i n r e d e der allgemeinen A r g l i s t s. § 242. Wird die zu einem Vertrag erforderliche Genehmigung eines Dritten von diesem aus Schikane nicht erteilt, so kann hieraus dem Vertragsgegner gegenüber ein Einwand nicht abgeleitet werden (RG WarnRspr 1930 Nr. 4).

II. Unzulässige Rechtsausübung außerhalb des § 226 Anm. 9 1. Allgemeines Das BGB, ausgehend von der Freiheit des einzelnen und seinen Rechten, kennt als unzulässige Rechtsausübung ausdrücklich nur den Fall des § 226. Die Rechtsprechung, den Bedürfnissen des Lebens folgend, hat darüber hinaus mit Hilfe des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242) und des Verbotes sittenwidrigen Handelns (§ 826), meist über die Einrede der allgemeinen Arglist, dem Gedanken der unzulässigen Rechtsausübung weitgehende Anerkennung verschafft und damit nicht nur den Interessen derer, die dem Rechte des einzelnen gegenüber stehen, sondern auch dem Interesse der A l l g e m e i n h e i t an einem geordneten, der Gemeinschaft notwendigen und nützlichen Rechtsverkehr Rechnung getragen.

Anm. 10 2. Verstoß gegen die guten Sitten Nach der Rechtsprechung ist eine Rechtsausübung unzulässig, die nach den Umständen gegenständlich wie namentlich auch nach der Gesinnung des sich auf ein Recht Berufenden gegen die guten Sitten im Sinne des §826 verstößt, mag auch die dort für einen Schadensersatzanspruch aufgestellte weitere Voraussetzung vorsätzlicher Schädigung nicht gegeben sein. Da eine Handlungsweise, die nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen, immer gegen die guten Sitten verstößt, umfaßt die Ableitung der Unzulässigkeit aus der Sittenwidrigkeit von selbst auch den Fall des (damit überflüssigen) § 226, während umgekehrt die Annahme eines Sittenverstoßes bei der Ausübung von Rechten nicht schon dann ausgeschlossen ist, wenn es an dem Tatbestand des § 226 fehlt. Vgl. dazu oben Anm. 2 und § 826.

737

§ 226 A n m . 1 1 — 1 3 §227

Allgemeiner Teil

A n m . 11 3. V e r s t o ß g e g e n T r e u u n d G l a u b e n Abgesehen von einer Sittenwidrigkeit im Handeln des Berechtigten kann aber und muß Unzulässigkeit der Rechtsausübung auch überall da angenommen werden, wo sich diese als e i n e V e r l e t z u n g des für das gesamte Rechtsleben maßgebenden G r u n d s a t z e s v o n T r e u u n d G l a u b e n (§ 242) darstellt. Vgl. dazu § 242 für das Aktienrecht und das Recht der GmbH R G 134, 262; 138, 98; 146, 7 1 ; 146, 385; J W 1932, 1647. Auch diese Grundsätze müssen im gesamten Gebiete des bürgerlichen Rechts und darüber hinaus (vgl. § 242) Anwendung finden. A n m . 12 4. R e c h t s f o l g e n Welche Rechtsfolgen a u s der V e r l e t z u n g v o n T r e u u n d G l a u b e n oder aus einem V e r s t o ß e w i d e r die g u t e n Sitten, insbesondere für eine Schadenshaftung nach Vertrag oder wegen unerlaubter Handlung (§§ 823, 826), abzuleiten sind, hängt von der Rechtsgestaltung des einzelnen Falles ab (vgl. auch Anm. 7). Dabei ist davon auszugehen, daß Sittenwidrigkeit immer auch Rechtswidrigkeit bedeutet, während es für die Beantwortung der Frage, ob ein Treu und Glauben verletzendes Vorgehen zugleich rechts- und insbesondere vertragswidrig ist, auf die Umstände ankommen wird. 5. N e u e r e s S c h r i f t t u m z u r F r a g e d e r u n z u l ä s s i g e n R e c h t s a u s ü b u n g S i e b e r t , Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, 1934; ders., Vom Wesen des Rechtsmißbrauchs, 1935; ders., J W 1937, 2495 und D R 1941, 1930; K . W e r n e r , Der Rechtsmißbrauch in den Entscheidungen des Reichsgerichts, Gött. Diss. 1936; L i n d e m a n n , Unzulässige Rechtsausübung D R 1943, 4 7 1 ; J a g u s c h , Rechtsnorm und Normsituation S J Z 1947, 295. A n m . 13 III. B e r ü c k s i c h t i g u n g v o n A m t s w e g e n Wenn auch früher oft von der Einrede der unzulässigen Rechtsausübung gesprochen wurde (RG 152, 325, 328), handelt es sich dabei doch nicht um eine Einrede im eigentlichen Sinne, die nur dann zu berücksichtigen wäre, wenn die Partei sie geltend macht. Das Gericht muß vielmehr an Hand des ihm von den Parteien unterbreiteten Sachverhalts von Amts wegen prüfen, ob die Ausübung des Rechts mißbräuchlich ist. Das gilt allgemein, soweit es sich um die Frage handelt, ob die Geltendmachung eines Anspruchs gegen Treu und Glauben oder gegen die guten Sitten verstößt (BGH 3, 94, 104). Zutreffend hat daher auch das Reichsgericht in späteren Entscheidungen von dem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung gesprochen (RG 152, 403; 153, 358; 156, 292; 157, 1 5 ; 160, 349, 357). §

3 3 7

Eine d u r c h N o t w e h r g e b o t e n e H a n d l u n g i s t n i c h t w i d e r r e c h t l i c h . N o t w e h r i s t diejenige V e r t e i d i g u n g , w e l c h e e r f o r d e r l i c h i s t , u m e i n e n g e g e n w ä r t i g e n r e c h t s w i d r i g e n Angriff v o n s i c h o d e r e i n e m a n d e r e n a b z u wenden. E I 186 n 191; M 1 348ff; P 1 24°ff, 2]i.

Ubersicht Notwehr 1. 2. 3. 4.

Allgemeines Nicht widerrechtlich Erforderliches Verteidigungsmittel Notwehrüberschreitung . . . .

738

Ausübung der Rechte. Selbstverteidigung. Selbsthilfe

§ 227 A n m . 1—5 Anm.

5. 6. 7. 8. 9.

Gegenwärtiger Angriff Rechtswidriger Angriff Angegriffenes Rechtsgut Putativnotwehr Beweislast

—12 13—17 18 ig 20, 21

1. Allgemeines Anm. 1 Wie die Ausübung eines eigenen Rechtes im allgemeinen zulässig ist, so ist der Eingriff in einen fremden Rechtskreis grundsätzlich unzulässig. Ein solcher Eingriff ist nur unter den vom Gesetze besonders anerkannten Voraussetzungen berechtigt (vgl. die in der Vorbem. vor §226 aufgeführten Einzelbestimmungen und § 904), während sonst stets eine Rechtswidrigkeit vorliegt, die den Handelnden verantwortlich macht, sei es zivilrechtlich, sei es strafrechtlich. Anm. 2 Einen A u s n a h m e f a l l a l l g e m e i n e r A r t s t e l l t das R e c h t der N o t w e h r im Sinne des § 227 dar. Das Gesetz geht davon aus, daß die Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs selbst dann nicht widerrechtlich, mithin erlaubt ist, wenn die Abwehrhandlung ein fremdes Recht verletzt. Sonach nimmt das Gesetz rechtsgrundsätzlich auch die Zulässigkeit des selbständigen Rechtsschutzes an. V o r a u s s e t z u n g h i e r b e i ist g r u n d s ä t z l i c h , daß ein Fall wirklicher, also n i c h t nur v e r m e i n t l i c h e r , nur irrtümlich (putativ) angenommener Notwehr vorliegt (RG WamRspr 1911 Nr. 261; JW 1914, 587; Anm. 18), und daß also in Wirklichkeit, in Ubereinstimmung mit § 53 StGB, a) ein rechtswidriger Angriff erfolgt ist (Anm. 13—17); b) daß dieser Angriff ein „gegenwärtiger" war (Anm. 10—12); c) daß die Verteidigungshandlung zur Abwendung des Angriffs „erforderlich" gewesen ist (Anm. 5—8). 2. Nicht widerrechtlich Anm. 3 Die durch Notwehr gebotene Handlung ist rechtmäßig. Da im allgemeinen die Rechtswidrigkeit eine Voraussetzung sowohl für die strafrechtliche Haftbarkeit des Täters wie für seine Verpflichtung zum Schadensersatze (§ 823) ist, hat regelmäßig schon das Nichtvorhandensein der Widerrechtlichkeit die Befreiu n g des T ä t e r s v o n j e d e r A r t H a f t b a r k e i t zur Folge. (Darüber, daß die privatrechtlichen Rechtsgrundsätze der §§ 227 fr auch für das Strafrecht von Einfluß sind, vgl. RGSt 34, 295O Anm. 4 Das Nichtvorhandensein einer Widerrechtlichkeit bewirkt insbesondere auch, daß ein Handeln im Notwehrzustande nicht als verbotene Eigenmacht im Sinne des § 857 gelten kann. Demgemäß würde einem Besitzer, der die berechtigte Notwehrhandlung eines andern abwehren wollte, der § 859 Abs. I nicht zur Seite stehen, vielmehr würde gerade er widerrechtlich handeln. Notwehr als Rechtfertigungsgrund für eine an sich gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßende Amtshandlung s. R G 117, 138. 3. Erforderliches Verteidigungsmittel Anm. 5 Welche Verteidigungsmaßregel zur Abwendung des Angriffs erforderlich, oder ob die tatsächlich ergriffene hierzu notwendig war, ist von Fall zu Fall nach der o b j e k t i v e n Sachlage zu beurteilen. So könnte sich grundsätzlich auch die vorsätzliche Tötung eines Menschen sogar einem Angriffe auf ein bloßes Vermögensobjekt gegenüber als eine notwendige Verteidigungsmaßregel darstellen. Denn das Gesetz macht in § 227 nicht zur Bedingung (wie in § 228), daß der durch die Notwehr bewirkte Erfolg dem drohenden Übel gegenüber kein unverhältnismäßig schlimmer sein darf. Ist aber das Mißverhältnis zwischen dem von dem Angriff 739

§227

Allgemeiner Teil

A n m . 6—10 erkennbar drohenden Übel und dem aus der Verteidigung entstehenden Schaden so groß, daß die Anwendung des zur Abwehr erforderlichen Verteidigungsmittels der allgemeinen Volksanschauung widerspricht, dann ist auch diese Art der Verteidigung als rechtswidrig anzusehen ( B G H L M S t G B § 53 Nr. 3 ; B a y O b L G N J W 1954, 1 3 7 7 ; vgl. § 826).

Anm. 6 Auf die nur s u b j e k t i v e n Vorstellungen des Handelnden über das M a ß der erforderlichen Verteidigung nimmt das B G B in keiner Weise Rücksicht ( R G 84, 306; WarnRspr 1928 Nr. 75). Es sieht vielmehr ausschließlich die zur Abwehr nach den Umständen des Falles an sich e r f o r d e r l i c h e Handlung als statthaft an, und daher stellt auch der sog. E x z e ß d e r N o t w e h r , die Notwehrüberschreitung, falls der Täter aus Bestürzung, Furcht, Schrecken (§ 53 Abs. 3 StGB) oder Irrtum (§ 59 StGB) über die Grenzen der an sich erforderlichen Verteidigung hinausgeht, nach dem bürgerlichen Recht stets e i n e W i d e r r e c h t l i c h k e i t ( R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 261) und einen rechtswidrigen Angriff dar ( R G J W 1 9 1 1 , 578 Nr. 12), während andererseits die Berechtigung der Notwehrhandlung nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß der Angegriffene sich zu ihr entschloß, wiewohl er die wirkliche Gefährlichkeit des Angriffs nicht eingesehen, sondern unterschätzt hatte ( R G 84, 306). Es ist also nur entscheidend, ob an sich die Voraussetzungen der Notwehr gegeben waren.

Anm. 7 Es kommt nicht darauf an, ob der Wille des Handelnden ausschließlich auf die Verteidigung gerichtet w a r ; berechtigte Notwehr kann vielmehr auch dann vorliegen, wenn der Handelnde zugleich Rache hat nehmen wollen ( R G J W 1 9 1 1 , 578 Nr. 1 2 ) ; jedoch muß der Angegriffene mindestens auch den Willen gehabt haben, einen Angriff abzuwehren. Unwesentlich ist nur, ob er daneben auch noch andere Absichten verfolgt hat ( B G H S t 5, 245). Z u r Frage der Notwehr, wenn zwei zum Raufen Entschlossene aneinander geraten, s. R G S t 72, 183.

Anm. 8 Die Möglichkeit der Flucht schließt die Annahme der Notwehr regelmäßig nur dann aus, wenn der Angegriffene sich dem Angriff entziehen kann, ohne daß er sich etwas vergibt oder (eigene oder fremde) berechtigte Interessen aufgibt oder gefährdet ( R G

84, 308; J W 1925, 939; vgl. R G S t 71, 133; B G H S t 5, 245, 248). Dasselbe gilt für die Möglichkeit einer Anrufung Dritter (vgl. R G S t 72, 57). Gebrauch einer Schußwaffe zur Abwehr von Angriffen s. R G WarnRspr 1932 Nr. 6 ; vgl. R G S t 7 1 , 1 3 3 .

Anm. 9 4. Notwehrüberschreitung Ob Überschreitung der Notwehr auch die V e r p f l i c h t u n g z u m S c h a d e n s e r s a t z e begründet, ist lediglich nach den Grundsätzen von unerlaubten Handlungen zu beurteilen (§§ 8 2 3 f f ) ; es würde daher regelmäßig noch ein Verschulden hinzukommen müssen ( R G J W 1902 Beil. 192; 1 9 1 1 , 578 Nr. 1 2 ; WarnRspr 1928 Nr. 75). Der Täter bleibt also auch straffrei, wenn er die Grenzen der Notwehr infolge entschuldbaren tatsächlichen Irrtums überschritten hat ( R G 88, 1 2 0 ; J W 1 9 1 4 , 587). Grenzen der Notwehr zur Wahrung des Hausrechts s. R G S t 72, 57. Notwehr des Jagdaufsehers gegenüber einem Wilderer s. Karlsruhe H R R 1 9 3 1 , 1 1 3 0 . Schuldhafte Überschreitung der Notwehr bei amtlichem Gebrauch einer Schußwaffe s. R G WarnRspr 1937 Nr. 98.

5. Gegenwärtiger Angriff Anm. 10 Gegenwärtig ist ein Angriff, sobald er begonnen hat (ohne zur wirklichen Verletzung gekommen sein muß; R G WarnRspr und solange der Angriff noch nicht aufgegeben, fehlgeschlagen führt, mithin noch nicht beendigt ist ( R G S t 29, 240 und R G WarnRspr 1 9 1 1 Nr. 2 6 1 ; SeuffArch 78 Nr. 1 1 2 ) .

740

daß es bereits 1 9 1 1 Nr. 3 1 6 ) , oder durchgeJ W 1912, 136;

Ausübung der Rechte. Selbstverteidigung. Selbsthilfe

§ 227 A n m . 11—16

A n m . 11 Begonnen haben kann der tätliche Angriff schon damit, daß der Angreifer auf den Gegner losgeht, um ihn zu mißhandeln (RG WarnRspr 1911 Nr. 316). A n m . 12 Beendigt ist der Angriff bei einer Mehrheit von Angreifern erst dann, wenn sich sämtliche bereits zur Flucht gewandt haben (RG J W 1906, 297); dagegen ist der Angriff noch nicht beendigt, falls jemand (ein Wilderer) auf einen andern (den Förster) geschossen hat, solange noch die Abgabe eines weiteren Schusses zu besorgen ist (RG 10. 12. 1906 V I 142/06). Nach § 1 Abs. 2 des Gesetzes über den Waffengebrauch der Forst- und Jagdschutzberechtigten vom 26. 2. 1935, RGBl I 313, ist es als Bedrohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben anzusehen, wenn der flüchtige Wilderer der Aufforderung, die Waffen niederzulegen, nicht sofort nachkommt. Es ist dies ein auf der Lebenserfahrung beruhender Satz, der auch zugunsten von Jagdberechtigten gilt, die nicht zu den nach § 1 des Gesetzes zum Gebrauch der Waffen berechtigten Personen gehören. Er gilt dann aber nur insoweit, als er durch die ihm zugrunde liegende Erfahrung gestützt wird. Hinsichtlich eines Wilderers, der zum Führen einer Waffe berechtigt ist und der auf Verlangen seine Waffe nicht niederlegt, besteht nicht ohne weiteres die Vermutung, dieser werde mit der Waffe alsbald wieder zum Angriff übergehen (BGH VersR 1953, 146). Ein bereits vollzogener oder abgeschlossener Angriff genügt für den Tatbestand erlaubter Notwehr nicht (RG J W 1905 14; ferner J W 1906, 297). Der gegenwärtige Angriff des Diebes gegen das Eigentum des Bestohlenen dauert so lange fort, als er bestrebt ist, sich die Diebesbeute zu sichern; das Schießen auf einen davonlaufenden Dieb kann daher nach § 227 gerechtfertigt sein, wenn er die gestohlenen Sachen mit sich führt (RG 1 1 1 , 370; RGSt 55, 82). 6. Rechtswidriger Angriff A n m . 13 Rechtswidrig muß der Angriff gewesen sein (RG J W 1906, 297; 1912, 136). Das trifft, wie schon in Anm. 1 bemerkt, bei Angriffen auf fremde Rechtsgüter regelmäßig zu und ist nur aasgeschlossen, wenn ein besonderer Rechtfertigungsgrund für den Angriff gegeben war, wie beim Handeln kraft amtlicher Befugnis (Vollstreckungsmaßregeln des Gerichtsvollziehers), kraft elterlicher Gewalt, auf Grund eines Züchtigungsrechts, auf Grund eines Privatpfändungsrechts (EG Art. 89) oder auf Grund eines Notstandes im Sinne der §§ 228 u. 904. A n m . 14 A n g r e i f e r kann nur eine Person, natürliche oder juristische, sein, OGHSt 1, 274. Eine Sache, ein Tier insbesondere vermag wohl einer Person als Mittel zu einem Angriffe zu dienen, kann aber niemals selbst als das Subjekt des Angriffs in Betracht kommen (hinsichtlich des Tieres streitig). Es ist ausgeschlossen, hinsichtlich eines Tieres von einer Rechtswidrigkeit des Angriffs zu reden. Einer Sache gegenüber kann es sich nur um Notstand (§ 228) handeln (RG 71, 242). A n m . 15 Daß der r e c h t s w i d r i g e A n g r i f f auch ein s c h u l d h a f t e r sei, v e r l a n g t das Gesetz nicht (BGHSt 3, 217). Daher kann die Notwehrhandlung auch einem Kinde oder einem Geisteskranken, ferner demjenigen gegenüber statthaft sein, der sich zufolge Irrtums, beispielsweise ein Polizeiorgan (aber vgl. RGSt 22, 300; 25, 152), zum Angriffe für berechtigt hielt. Offenbar geht das Gesetz von der Schutzbedürftigkeit des bedrohten Interesses, nicht aber auch von der Verantwortlichkeit des Angreifenden aus (RGSt 27, 44). A n m . 16 Da im Falle echter Notwehr zur Verteidigung auch ein angriffsweises Vorgehen erforderlich sein kann und ein derartiger Angriff alsdann keine Widerrechtlichkeit bedeuten würde, so folgt, daß die Abwehr einer derartigen Verteidigungsmaßregel ihrer48

Komm. z. BGB. JI. Aufl. I. Bd. (Johannsen)

741

§227 Anm. 17—21

Allgemeiner Teil

seits als eine widerrechtliche gelten müßte. „Notwehr gegen (echte) Notwehr" ist somit ausgeschlossen.

Anm. 17 Immer aber muß, damit Notwehr eintreten kann, ein A n g r i f f vorliegen; Unterlassungen, insbesondere durch bloße Nichterfüllung von Vertragspflichten, genügen nicht (RG WarnRspr 1933 Nr. 116).

Anm. 18 7. Angegriffenes Rechtsgut Gegenstand des Angriffs kann jedes rechtlich geschützte Interesse sein, wie Eigentum, Besitz, Freiheit, Ehre, Leben und Gesundheit ( R G S t 21, 170; 29, 240), unter Umständen auch ein bloßes Vertragsrecht, so das auf Unterlassung einer Handlung (beispielsweise der Schuldner, der dem Gläubiger eine bestimmte Sache zu gewähren verpflichtet ist, will die Erfüllbarkeit des Anspruchs durch Zerstörung der Sache vereiteln und der Gläubiger wehrt das ab). Notwehr einer Zeitung durch Erklärungen in ihr gegenüber ehrverletzenden Angriffen in einer andern Zeitschrift ist denkbar und zulässig (RG J W 1915, 913). Nötig ist auch nicht, daß ein Gut des Handelnden selbst angegriffen ist; die Notwehr wird vielmehr ausdrücklich a u c h z u m S c h u t z e f r e m d e r I n t e r e s s e n („von e i n e m a n d e r n " ) für statthaft erklärt (RG WarnRspr 1 9 1 3 Nr. 102: Fall der Nothilfe). Sofern es sich bei den durch den Nothelfer geschützten fremden Rechtsgütern um solche handelt, über die der Angegriffene verfügen und in deren Verletzung er einwilligen kann, liegt keine rechtmäßige Nothilfe vor, wenn der Verletzte den Angriff nicht abwehren und die Verletzung dulden will ( B G H S t 5, 245, 248).

Anm. 19 8. Putativnotwehr Notwehr als Rechtfertigungsgrund liegt nur vor, wenn die Voraussetzungen der Notwehrlage wirklich gegeben sind. Kein Rechtfertigungsgrund ist gegeben und die Handlung ist widerechtlich, wenn der Handelnde irrtümlich annimmt, er befinde sich in einer Notwehrlage. Auch im Falle b l o ß v e r m e i n t l i c h e r N o t w e h r kann jedoch der Täter haftfrei bleiben, nämlich dann, aber auch nur dann, wenn er infolge entschuldbaren tatsächlichen Irrtums angenommen hat, er befinde sich im Zustande der Notwehr (RG 88, 120; WarnRspr 1926 Nr. 1 1 2 ; OGH 4, 99), was zugunsten des Jagdberechtigten je nach den Umständen auch einem fliehenden Wilderer gegenüber anzunehmen sein kann ( R G J W 1924, 1968).

9. Beweislast Anm. 20 Die Behauptung der Notwehr enthält nicht ein Leugnen des Klagegrundes, sondern einen selbständigen Einwand, durch den die Rechtswidrigkeit des Tims ausgeschlossen werden soll. Der Beweis liegt daher dem ob, der die Notwehr geltend macht (RG 88, 120; J W 1903 Beil. S. 54 Nr. 125; 1907, 138; 1930, 2400; WarnRspr 1930 Nr. 102; 1930 Nr. 174; Gruchot 51, 907), auch einem öffentlichen Beamten, der sich auf Notwehr bei Ausübung öffentlicher Gewalt beruft (RG 159, 240), während die Überschreitung der Notwehr derjenige zu beweisen hat, der sich auf sie beruft (RG L Z 1921, 218).

Anm. 21 Bei nur vermeintlicher Notwehr (Putativnotwehr, Anm. 19) sowie bei Überschreitung der Notwehr hat der Täter, um seine Schadensersatzpflicht zu widerlegen, auch die Entschuldbarkeit seines Irrtums nachzuweisen ( R G 88, 120; WarnRspr 1930 Nr. 102; SeuffArch 84 Nr. 87). Auch im Falle vorsätzlicher Tötung oder Körperverletzung braucht nicht der Geschädigte zur Begründung seines Schadensersatzanspruchs die Widerrechtlichkeit nachzuweisen, vielmehr hat der Täter den Nachweis für die Nichtwiderrechtlichkeit seines Tuns zu erbringen ( R G J W 1907, 138).

742

Ausübung der Rechte. Selbstverteidigung. Selbsthilfe

§ 228 Anm. 1—3

§338 Wer eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, um eine durch sie drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht widerrechtlich, wenn die Beschädigung oder die Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht. Hat der Handelnde die Gefahr verschuldet, so ist er zum Schadensersatze verpflichtet. EI 187 II 129; M I J4off; P i 151ff;6 212ff. Ü b ersieht Notstand 1. Voraussetzungen des Notstandes a) Allgemeine Voraussetzungen b) Abgrenzung gegenüber § 904 c) Jagdnotstand 2. Die Abwehrhandlung 3. Durch die Sache drohende Gefahr a) Durch die Sache b) Drohende Gefahr c) Art des gefährdeten Rechtsgutes 4. Erforderlichsein der Abwehrhandlung 5. Verhältnismäßigkeit von Abwehrschaden und Gefahr 6. Subjektive Voraussetzungen 7. Rechtfertigungsgrund 8. Putativnotstand 9. Selbst verschuldeter Notstand (Satz 2) 10. Ubergesetzlicher Notstand 1 1 . Beweislast

Anm. i —4 2 3 4 5 6—12 6—9 10, 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Anm. 1 1. Voraussetzungen des Notstandes Das BGB kennt den privatrechtlichen Notstand, verneint die Widerrechtlichkeit einer Notstandshandlung und erklärt damit den mittels einer Notstandshandlung bewirkten Eingriff in ein fremdes Rechtsgebiet ebenfalls als statthaft (§ 227 Anm. 2, 3). Anm. 2 a) Allgemeine Voraussetzungen Die Voraussetzungen des zivilrechtlichen Notstands sind: a) daß „durch" eine Sache eine Gefahr droht, sei es dem Handelnden selbst, sei es einem andern (Anm. 6—12); b) daß die Beschädigung oder Zerstörung der Sache zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist (Anm. 13); c) daß der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht (Anm. 14). Anm. 3 b) Abgrenzung gegenüber § 904 Von Erheblichkeit ist die Abgrenzung des § 228 gegenüber dem § 904. Auch dieser erklärt es für statthaft, auf eine fremde Sache, selbst wider das Verbot des Eigentümers, einzuwirken, wenn das zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr erforderlich ist. Aber er setzt nicht wie § 228 voraus, daß die Gefahr „durch" die fremde Sache droht, fordert jedoch andererseits, daß der abzuwendende Schaden unverhältnismäßig größer ist als der durch die Einwirkung entstehende, und gibt schließlich dem Eigentümer einen unbedingten Anspruch auf Schadensersatz. Die innerliche Ver48'

743

§228

Allgemeiner Teil

A n m . 4—9 schiedenheit dieses Falles von dem des § 228 liegt wesentlich darin, daß der Täter hier im Verteidigungszustande handelt, gemäß § 904 aber das fremde Gut angriffsweise verletzt ( R G 88, 214; 71, 242; vgl. über die Unterschiede auch B G H 6, 102, 110).

Anm. 4 c) Jagdnotstand Für den sog. Jagdnotstand gehen die besonderen Vorschriften der §§ 23, 25 des Bundesjagdgesetzes vom 29. 11. 1952, BGBl I 780, dem §228 vor. ( R G 155, 338 zu § 40 RJagdG, Tötung eines wildernden Hundes.) § 26 BJagdG schränkt dagegen § 228 nicht ein (München Recht 1938 Nr. 4650 zu § 41 RJagdG).

Anm. 5 2. Die Abwehrhandlung Die Notstandshandlung stellt gewissermaßen eine Notwehrhandlung gegenüber Tieren und leblosen Sachen dar (§ 227 Anm. 14) und besteht in B e -

schädigung

oder

Zerstörung

der

die

Gefahr verursachenden

fremden

S a c h e ; möglicherweise auch einer vorerst noch herrenlosen (Wild), falls nämlich an ihr einem andern das Aneignungsrecht zusteht (Jagdrecht). Eine Notstandsüberschreitung würde vorliegen, wenn der Täter außer der gefährlichen Sache auch noch eine andere beschädigen wollte. Eine Notstandshandlung gegenüber einer Person ist hier, abweichend von § 54 StGB, ausgeschlossen.

3. Durch die Sache drohende Gefahr Anm. 6 a ) D u r c h d i e S a c h e muß die Gefahr drohen. Die Sache selbst muß also u n m i t t e l b a r die Gefahr schaffen. Das trifft beispielsweise nicht zu, wenn der Sturm das Schiff gegen eine fremde Sache treibt, weil hier die Gefahr nicht von der fremden Sache, sondern vom Sturme herbeigeführt ist ( R G 88, 214).

Anm. 7 Diese Voraussetzung ist auch nicht gegeben, wenn der Eigentümer einen unterhalb seines Grundstücks befindlichen fremden Damm durchsticht, um die sich oberhalb des Dammes anstauenden Wasser ablaufen zu lassen; die Gefahr war hier unmittelbar durch die Wassermassen verursacht, dagegen nicht durch den Damm, der zuvor selbst nur ein Schutzmittel darstellt, aber keine Gefahr begründet hatte ( R G 71, 240). Wird ein Bahnbetrieb dadurch gefährdet, daß sich auf den Gleisen eines stark kriegszerstörten Bahnhofs Waggons mit Frachtgut befinden, das den unbekannten Empfängern nicht zugestellt werden kann, so droht dem Bahnbetrieb nicht unmittelbar eine Gefahr von dem Frachtgut. Die Bahn ist daher nach § 228 BGB nicht berechtigt, das Frachtgut zu verkaufen und zu veräußern ( B G H 2, 38, 44).

Anm. 8 Die Voraussetzung der Unmittelbarkeit fehlt ferner dann, wenn die Sache selbst nur deshalb gefährlich ist, weil sie in dem gegebenen Zeitpunkte von einer Person in gefahrdrohender Weise verwendet wird. Falls A auf B schießen will, entsteht die Gefahr nicht durch die von A benutzte Flinte, sondern durch die Handlungsweise des A ; falls aber A etwa seinen brennenden Benzinmotor im Gebäude des B stehenläßt, geht fortan die Gefahr von dem Motor aus. Wenn endlich A seinen Hund auf B hetzt, dürfte sowohl der Tatbestand der Notwehr wie der des Notstandes vorliegen. Das Tier dient in solchem Falle einmal einer Person als Werkzeug für ihren Angriff, daneben aber ist es auch selbsttätig (durch sich) gefahrdrohend.

Anm. 9 Bei der Frage, ob die Gefahr durch die Sache selbst drohte, ist im allgemeinen eine enge Auslegung geboten ( R G J W 1909, 387). Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat jedoch in besonders liegenden Ausnahmefällen den Rahmen weiter gezogen. In

744

Ausübung der Rechte. Selbstverteidigung. Selbsthilfe

§ 228 A n m . 10—14

R G 143, 382, 387 hat das Reichsgericht angenommen, daß bei einem SchifFsbrand wegen der Möglichkeit einer weiteren Ausdehnung des Brandes eine Gefahr auch von dem in den Tanks befindlichen Schmieröl drohe. Diese Entscheidung ist nicht unbedenklich. Falls die Ausdehnung eines Brandes zu befürchten ist, ist der Eigentümer der brennenden Sache in aller Regel nicht nach § 228, sondern nur nach § 904 berechtigt, die in der Nähe befindlichen feuergefährlichen Sachen zu zerstören. Er ist dann nach § 904 Satz 2 schadensersatzpflichtig. Der Oberste Gerichtshof für die britische Zone hat in O G H 4, 99 angenommen, daß in Zeiten drohender Auflösung der öffentlichen Ordnung, wie sie im März 1945 gegeben war, der bloße Besitz von zwangsbewirtschafteten, besonders verknappten und daher besonders begehrten Waren (Tabak) für den Besitzer derart mit der Gefahr von Plünderungen und Gewalt verbunden sein kann, daß diese Gefahr als eine ihm unmittelbar durch die Sache drohende im Sinne des § 228 zu werten ist. Er hat daher angenommen, daß der Besitzer nicht zum Schadensersatz verpflichtet ist, wenn er den Besitz an den verknappten Waren aufgegeben hat (OGH 4, 99). A n m . 10 b) Drohende Gefahr Es genügt, daß die Gefahr droht, also schon unmittelbar bevorsteht, ohne sich schon gegenwärtig zu äußern (anders bei der Notwehr). Man braucht nicht erst die Verwirklichung der Gefahr abzuwarten. Andererseits muß diese schon wirklich bestehen, und es reicht nicht schon die bloße Möglichkeit des künftigen Eintritts einer Gefahr aus. A n m . 11 Keine Bedingung für die Zulässigkeit einer Notstandshandlung ist, daß der Notstand ein u n v e r s c h u l d e t e r war (vgl. indessen unten Anm. 18). Darin ist der privatrechtliche Notstand von dem strafrechtlichen nach § 54 StGB wesentlich verschieden. A n m . 12 c) A r t d e s g e f ä h r d e t e n R e c h t s g u t s Auf die Art des gefährdeten Rechtsguts kommt es hier (anders gemäß § 54 StGB) ebensowenig an wie im Falle des § 227 (vgl. dort Anm. 18). Auch das dem dinglichen Rechte selbst vergleichbare ausschließliche Aneignungsrecht ist ein geschütztes Rechtsgut. Daher das Recht des Jagdberechtigten zur Tötung wildernder Hunde ( R G S t 34, 295). Ferner sind auch ideelle Werte und Interessen (die Ehre) schutzwürdig ( R G 72, 254). Erforderlich ist auch nicht, daß das eigene Interesse bedroht ist. Auch ein Dritter darf daher die Notstandshandlung vornehmen. A n m . 13 4. E r f o r d e r l i c h s e i n der A b w e h r h a n d l u n g Erforderlich ist, daß die betreffende Maßregel zur Abwendung der Gefahr nötig war. In dieser Hinsicht gilt entsprechend das zu § 227 unter Anm. 5—8 Gesagte. Erlaubt ist danach nur, was von dem bei gründlichster Prüfung zu gewinnenden Standpunkt aus nach unbefangenem Urteil als durch die Belange des Handelnden wirklich erfordert erscheint, nicht was dieser bei der ihm möglichen und zuzumutenden Sorgfalt für erforderlich halten darf ( R G 149, 205). A n m . 14 5. V e r h ä l t n i s m ä ß i g k e i t von A b w e h r s c h a d e n und G e f a h r Ob der durch die Notstandshandlung bewirkte Schaden außer Verhältnis zu der Gefahr steht, mithin ganz beträchtlich den Wert des geschützten Interesses (Anm. 12) übersteigt (anders der Maßstab des §904), läßt sich nur von Fall zu Fall beurteilen. Entscheidend ist schließlich das freie richterliche Ermessen, das, wofern Rechtsgüter von verschiedenartiger Natur in Betracht kommen, vor allem auch ein der allgemeinen Volksanschauung entsprechendes Wertverhältnis der Güter zueinander zu berücksichtigen, dabei aber 745

§ 228

Allgemeiner Teil

Anm. 15—19 auch das besondere Interesse der Beteiligten in Anschlag zu bringen haben wird. \ n erster Stelle wird regelmäßig das Leben einer Person stehen. Ist der durch die vermeintliche Notstandshandlung bewirkte Schaden beträchtlich höher, dann liegt höchstens eine bloße Putativ-Notstandshandlung, mithin eine grundsätzlich widerrechtliche Handlung vor (§ 227 A n m . 19 u. unten Anm. 17). U n d nur hinsichtlich der Frage nach der Schadensersatzverpflichtung kann es in derartigen Fällen darauf ankommen, ob der tatsächliche Irrtum des Handelnden geeignet war, sein gemäß § 823 erforderliches Verschulden auszuschließen ( R G J W 1926, 1 1 4 5 : Verletzung eines wertvollen fremden Hundes, um den eignen Hund zu verteidigen).

Anm. 15 6. Subjektive Voraussetzungen Wie der Gesetzeswortlaut erkennen läßt, muß derjenige, der für sich das Notstandsrecht in Anspruch nimmt, gehandelt haben, um eine Gefahr abzuwenden. Die Gefahrenabwehr muß ein Beweggrund seines Handelns gewesen sein. Es braucht dies nicht das einzige und auch nicht das treibende Motiv gewesen zu sein (vgl. § 227 Anm. 7). Die in den früheren Auflagen vertretene gegenteilige Ansicht kann nicht aufrechterhalten werden. Sie kann sich nicht auf R G 84, 306 berufen.. Aus dieser Entscheidung folgt allein, daß es unerheblich ist, ob der Handelnde die Verteidigungs- oder Abwehrhandlung zur Verteidigung oder Abwehr der Gefahr für erforderlich gehalten hat. Insoweit kommt es allein auf die objektiven Gegebenheiten des Falles an.

Anm. 16 7. Rechtfertigungsgrund Während der strafrechtliche Notstand des § 54 S t G B nur ein Schuldausschließungsgrund ist, enthält § 228 einen Rechtfertigungsgrund. Die im zivil rechtlichen Notstand vorgenommenen Handlungen sind nicht rechtswidrig. Das hat auch Bedeutung für das Strafrecht. Eine Handlung, die nach § 228 nicht rechtswidrig ist, ist schon deswegen nicht strafbar. Sie fällt nicht unter § 54 StGB, da hierunter nur rechtswidrige Handlungen fallen.

Anm. 17 8. Putativnotstand Der gute Glaube an das Vorhandensein eines Notstandes und ein diesbezüglicher Irrtum kommen dem Handelnden nicht zugute. Seine Handlung ist, wenn die Voraussetzungen des § 228 nicht gegeben sind, ohne Rücksicht auf seine subjektiven Vorstellungen widerrechtlich. Die nur vermeintliche Notstandshandlung ist ebenso rechtswidrig wie die nur vermeintliche Notwehrhandlung, so daß die Schadensersatzpflicht auch hier nur noch von dem Verschulden abhängt ( O G H 4, 99, 105, vgl. auch § 227 Anm. 19).

Anm. 18 9. Selbst verschuldeter Notstand (Satz 2) Eine wesentliche Abweichung von den Grundsätzen der Notwehr (§ 227 Anm. 3) besteht beim Notstande insofern, als bei der Notstandshandlung die V e r p f l i c h t u n g z u m S c h a d e n s e r s a t z e durch den Mangel der Rechtswidrigkeit nicht unbedingt ausgeschlossen ist. Nach Satz 2 tritt diese Verpflichtung vielmehr grundsätzlich schon dann ein, wenn der Handelnde d e n N o t s t a n d v e r s c h u l d e t h a t , wiewohl die Notstandshandlung dadurch noch nicht zu einer rechtswidrigen wird. Fälle, in denen eine Schadensersatzpflicht trotz fehlender Rechtswidrigkeit anerkannt ist, enthalten sonst noch die §§ 904, 962, 867, 1005. Verschuldeter Notstand s. auch R G S t 72, 246.

Anm. 19 10. Übergesetzlicher Notstand Der übergesetzliche Notstand ist im Strafrecht allgemein anerkannt ( R G S t 6 1 , 242; 62, 137; B G H S t 3, 7). E r ist ein Rechtfertigungsgrund. Das gilt auch für das Zivilrecht. Das O L G Freiburg hat einen übergesetzlichen Notstand bei der Befolgung eines rechts-

746

Ausübung der Rechte. Selbstverteidigung. Selbsthilfe § 228 A n m . 20 § 229 A n m . 1, 2 widrigen staatlichen Befehls angenommen (JZ 1951, 223). Fraglich kann es sein, ob der im übergesetzlichen Notstand Handelnde in entsprechender Anwendung des § 904 Satz 2 schadensersatzpflichtig ist. Das eben erwähnte Urteil des O L G Freiburg nimmt zutreffend an, daß die Ersatzpflicht nicht grundsätzlich bejaht werden kann, sondern daß sie nur besteht, wenn dies nach Lage des Einzelfalles billig ist. A n m . 20 11. B e w e i s l a s t . Über die Beweislast vgl. § 227 Anm. 20,21.

§

3 3 9

Wer z u m Zwecke der Selbsthilfe eine Sache w e g n i m m t , zerstört oder bes c h ä d i g t oder w e r z u m Zwecke der Selbsthilfe einen Verpflichteten, w e l c h e r der Flucht verdächtigt ist, f e s t n i m m t oder den Widerstand des Verpflichteten g e g e n eine Handlung, die dieser zu dulden verpflichtet ist, beseitigt, handelt nicht widerrechtlich, w e n n obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne s o f o r t i g e s Eingreifen die Gefahr besteht, d a ß die Verwirklichung d e s A n s p r u c h s vereitelt oder w e s e n t l i c h e r s c h w e r t w e r d e . E I l«9 II 193 Abs. 1; M I 3J4ff; P I »4lff. Ü b ersieht Selbsthilfe Anm.

1. Allgemeines 2. Die Selbsthilfehandlung a) Gegen Sachen b) Gegen die Person des Verpflichteten 3. Nicht widerrechtlich 4. Obrigkeitliche Hilfe 5. Anspruch 6. Der Selbsthilfeberechtigte 7. Gefährdung des Anspruchs 8. Beweislast

1,2 3—5 3,4 5 6 7—9 10 11 12,13 14

1. A l l g e m e i n e s Anm. 1 Während die §§ 227, 228 nur die Befugnis zur Verteidigung eines gefährdeten Rechtsguts gewähren, indessen ohne Rücksicht darauf, ob der Handelnde selbst oder ein anderer der Inhaber des Rechtsguts ist, hat § 229 ein Handeln auf Grund eines subjektiven Rechtes (§ 241) im Auge, das aber nicht auf Abwehr eines Angriffs zielt, sondern selbst ein angriffsweises Vorgehen ist, um eine Rechtsbefugnis zu verwirklichen. Dem § 229 ist mit den §§ 227 u. 228 der Gedanke gemeinsam, daß der einzelne im Interesse der Rechtssicherheit bei drohender Rechtsgefährdung unter Umständen, ohne auf die Staatshilfe angewiesen zu sein, zum Selbsthandeln befugt ist. Anm. 2 Daß der Berechtigte ohne sein Verschulden in die sein Interesse gefährdende Lage gekommen ist, setzt das Gesetz nicht voraus, und die Handlung wird auch nicht dadurch zu einer widerrechtlichen, daß dem Berechtigten bei seinem Tun das Bewußtsein fehlte, daß er zu seiner Handlungsweise gemäß § 229 befugt war. Uber eine vertragliche Erweiterung des Selbsthilferechts aus § 229 s. RG 131, 213, 2 2 i f ; 146, 182. Zum weiteren Verhalten des Berechtigten nach Ausübung der Selbsthilfe s. § 230. Schadensersatzpflicht s. § 231. 747

§ 229

Allgemeiner Teil

Anm. 3—5 2. Die Selbsthilfehandlung a) Gegen Sachen Anm. 3 Gestattet ist die Wegnahme, Zerstörung oder Beschädigung einer Sache (§ 90), ohne daß es auf die Natur der Sachen anzukommen scheint. Unzweifelhaft sind indessen solche Sachen, die auch vom Vollstreckungsbeamten für den Gläubiger nicht in Anspruch genommen werden könnten (§811 ZPO), dem Zugriff durch Selbsthilfe ebenfalls entzogen (vgl. R G S t 33, 248).

Anm. 4 Umstritten ist, ob die Selbsthilfehandlung sich auch gegen Sachen richten darf, die dem Schuldner nicht gehören. Die Frage wird von S t a u d i n g e r / C o i n g 1 1 . Aufl. § 229 Anm. 8 und P l a n c k / K n o k e 4. Aufl. § 229 Anm. 3a verneint. Dem kann nicht uneingeschränkt zugestimmt werden. In den früheren Auflagen ist das Recht zum Zugriff auf fremde Sachen im Wege der Selbsthilfe mit dem Hinweis bejaht worden, daß nach § 808 ZPO auch die Pfändung der dem Schuldner nicht gehörenden Sachen zulässig und rechtswirksam sei. Aus § 808 ZPO kann allerdings das Recht zum Zugriff auf fremde Sachen im Wege der Selbsthilfe nicht hergeleitet werden. Die Verhältnisse bei der staatlichen Zwangsvollstreckung und bei der Ausübung der Selbsthilfe sind soverschieden, daß die für das Vollstreckungsverfahren bestehenden Befugnisse dem Gläubiger für die Ausübung der Selbsthilfe nicht ohne weiteres eingeräumt werden können. Auszugehen ist davon, daß der Gläubiger zur Befriedigung der ihm gegen den Schuldner zustehenden Ansprüche nur Sachen und Rechte des Schuldners in Anspruch nehmen darf. Daraus folgt, daß der Gläubiger berechtigt ist, dem Schuldner den Besitz der diesem nicht gehörenden Sachen im Wege der Selbsthilfe zu entziehen. Er handelt nicht widerrechtlich, wenn er in Ausübung seines Selbsthilferechts dem Schuldner diese Sachen wegnimmt. Dabei kommt es entgegen der in den vorigen Auflagen vertretenen Ansicht insoweit auch nicht darauf an, ob der Gläubiger weiß, daß die Sache dem Schuldner nicht gehört. Das Selbsthilferecht besteht aber nur im Verhältnis vom Berechtigten zum Verpflichteten. Nur dem Schuldner gegenüber ist die Wegnahme rechtmäßig. Sie verschafft dem Gläubiger kein Besitzrecht gegenüber dem Eigentümer der Sache. Dieser kann gegen den Gläubiger den Anspruch aus § 985 oder den Bereicherungsanspruch aus den §§ 812 ff geltend machen. Der Gläubiger ist auch nicht berechtigt, die fremde Sache zu zerstören oder zu beschädigen, denn darin würde ein Eingriff in das Recht eines Dritten liegen. Für die Zerstörung oder Beschädigung einer fremden Sache ist der Gläubiger schadensersatzpflichtig. Er haftete nach § 823, wenn er wußte oder infolge von Fahrlässigkeit nicht wußte, daß die Sache nicht dem Schuldner gehört. Falls er unverschuldet annahm, die Sache gehöre dem Schuldner, haftet er in entsprechender Anwendung des § 231. Rechtmäßig ist die Zerstörung oder Beschädigung einer dem Schuldner nicht gehörenden Sache nur unter den Voraussetzungen des § 904.

Anm. 5 b) Gegen die Person des Verpflichteten Die Befugnis zur Festnahme der Person entspricht dem persönlichen Sicherungsrechte der §§ 918, 933 ZPO; die Befugnis zur Beseitigung des Widerstandes derjenigen aus § 892 aaO. Das Recht der Festnahme umfaßt die Befugnis zur F r e i h e i t s b e r a u b u n g , auch zu M i ß h a n d l u n g e n , die damit notwendig verbunden sind, nicht zu vorsätzlicher oder fahrlässiger Tötung, dies namentlich dann nicht, wenn der Anspruch des die Selbsthilfe Ausübenden einen nur geringen Wert hat (RGSt 6g, 308). Wenn schon gegenüber Sachen (§228) eine Abwägung zwischen Gefahr und Schaden verlangt wird, muß das um so mehr gelten, wenn sich die Schadensfügung gegen eine Person richtet (RGSt aaO).

748

Ausübung der Rechte. Selbstverteidigung. Selbsthilfe

§ 229 Anm. 6—11

Anm. 6 3. Nicht widerrechtlich Über die Folgen des Ausschlusses der Widerrechtlichkeit vgl. § 237 Anm. 3, 4. Uber die u n b e d i n g t e Schadensersatzpflicht im Falle eines nur putativen Notstandes im Sinne des §229 vgl. §231. 4. Obrigkeitliche Hilfe Anm. 7 Im allgemeinen ist der einzelne, falls sich sein Anspruch nur im Wege des Zwanges durchsetzen läßt, auf die Hilfe der staatlichen Organe angewiesen, die in den von der Rechtsordnung vorgeschriebenen Formen einzuschreiten verpflichtet sind (weitgehend § 859 Abs. 2, s. dort und RG H R R 1934, 1282). Als staatliche Maßregeln kommen hier insbesondere in Betracht die Anordnung des Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung (§§916, 935fr ZPO). Falls jedoch ihr Einschreiten nicht r e c h t z e i t i g zu erlangen ist, oder falls die staatliche Mitwirkung zu Unrecht abgelehnt wird, ist der Fall erlaubter Selbsthilfe gegeben. Anm. 8 Wer ohne die obrigkeitliche Hilfe in Anspruch zu nehmen (ohne eine einstweilige Verfügung herbeizuführen), von der Selbsthilfe Gebrauch macht, handelt auf eigene Gefahr und macht sich möglicherweise schadensersatzpflichtig (RG J W 1921, 1362). So handelt der Verkäufer (Vermieter) einer dem Käufer (Mieter) auf Grund Abzahlungsgeschäfts übergebenen Sache trotz vertraglichen Wegnahme- oder Rücktrittsrechts bei unpünktlicher Zahlung widerrechtlich, wenn er die Sache gegen den Willen des Käufers (Mieters) ohne obrigkeitliche Hilfe wieder an sich nimmt (RG 146, 182; vgl. RG J W 1921, 1362). Anm. 9 Wurde die S t a a t s h i l f e mit Recht v e r s a g t , so wird zu unterscheiden sein, aus welchem Grunde es erfolgte. Geschah es wegen Mangels eines rechtsbeständigen Anspruchs oder auch nur, weil dieser durch Einrede (§§ 273, 320) beeinträchtigt war, so kann auch von einem Selbsthilferecht selbstverständlich keine Rede sein. Geschah es aus Gründen, die bloß in einem Mangel in der Antragstellung lagen, und war zu ihrer Verbesserung keine hinreichende Zeit mehr vorhanden, so scheint es billig, das Recht zur Selbsthilfe zuzugestehen. Streitig. Anm. 10 5. Anspruch Über den Begriff Anspruch vgl. § 194 Anm. i, 2. In Betracht kommen kann nur ein durch Klage geschützter Anspruch, nicht auch ein unvollkommener, der höchstens einwandweise geltend zu machen ist (vgl. § 134 Anm. 40); denn in solchen Fällen wäre auch für die staatliche Hilfe kein Raum. Auch bedingte wie betagte Ansprüche sind vollkommene im angegebenen Sinne (vgl. Vorbem. vor § 158 Anm. 19). Anm. 11 6. Der Selbsthilfeberechtigte Das Recht zur Selbsthilfe steht grundsätzlich nur dem Rechtsinhaber selbst zu, zum Schutze eines eigenen Anspruchs. Doch kann die Befugnis seines Vertreters, anstatt seiner zu handeln, auch hier nicht ausgeschlossen sein. Auch die Unterstützung durch andere ist zulässig (Mot. 1, 356). Eine auftraglose Geschäftsführung dürfte gleichfalls eine ausreichende Grundlage bieten (streitig). Das 749

§ 229 A n m . 12—14 § 230 A n m . 1

Allgemeiner Teil

Gesetz gestattet doch auch in den Fällen der §§ 227, 228 den Schutz fremder Interessen. Freilich handelt der auftraglose Geschäftsführer wie sonst (§ 179) so auch hier zunächst auf seine Gefahr. A n m . 12 7. Gefährdung des Anspruchs Ausreichend ist schon eine wesentliche Erschwerung der Verwirklichung des Anspruchs. Daher ist nicht Voraussetzung, daß die Durchsetzung des Anspruchs durch das Verhalten des Verpflichteten ein für allemal ausgeschlossen werden würde. Die Voraussetzungen für die Selbsthilfe können vielmehr schon dann gegeben sein, wenn der Gläubiger seinen Anspruch ohne die Selbsthilfe erst nach längerer Zeit verwirklichen könnte. Eine erhebliche Verzögerung kann eine wesentliche Erschwerung im Sinne des § 229 sein. Demnach kann auch das Vorhaben des Verpflichteten, sich dem Zugriff nur einstweilen durch die Flucht zu entziehen, einen genügenden Grund zum sofortigen Einschreiten bieten. Erforderlich ist auch nicht, daß ohne die Selbsthilfe die Erfüllung des Anspruchs bestimmt vereitelt oder erschwert sein würde. Es genügt vielmehr schon die entsprechende Gefahr. Unbedingtes Erfordernis ist endlich auch nicht, daß die Selbsthilfe zutreffendenfalls zur Sicherung der gerade geschuldeten Leistung dient. Es reicht in dieser Hinsicht vielmehr aus, wenn etwa an Stelle der eigentlich geschuldeten Leistung eine E r s a t z l e i s t u n g g e s i c h e r t werden könnte, wie die Gewährung von Schadensersatz oder die Befriedigung im Wege der Aufrechnung. A n m . 13 Die Wegnahme von Sachen ist zulässig auch lediglich zum Zwecke der Sicherung der Beweisführung ( R G 64, 385). A n m . 14 8. Beweislast. Uber die Beweislast vgl. § 227 Anm. 20,21.

§ 330 Die Selbsthilfe darf nicht weiter gehen, als zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist. I m Falle der Wegnahme von Sachen ist, sofern nicht Zwangsvollstreckung erwirkt wird, der dingliche Arrest zu beantragen. I m Falle der Festnahme des Verpflichteten ist, sofern er nicht wieder in Freiheit gesetzt wird, der persönliche Sicherheitsarrest bei dem Amtsgerichte zu beantragen, in dessen Bezirke die Festnahme erfolgt ist; der Verpflichtete Ist unverzüglich dem Gerichte vorzuführen. W i r d der Arrestantrag verzögert oder abgelehnt, so hat die Rückgabe der weggenommenen Sachen und die Freilassung des Festgenommenen unverzüglich zu erfolgen. E I 189 n 194; M I

)S4ff;

P I 243ff. Übersicht U m f a n g des Selbsthilferechts

1. Grenzen der Selbsthilfe 2. Verhalten des Berechtigten nach der Selbsthilfe (Abs. 2 und 3) 3. Verzögerung oder Ablehnung des Arrestantrages (Abs. 3) . . .

Anm.

. I . 2 • 3

Anm. 1 1. Grenzen der Selbsthilfe Die Grenzen d e r S e l b s t h i l f e sind entsprechend §§803, 918 Z P O geregelt. V g l . R G J W 1903 Beil. S. 134 Nr. 297.

750

Ausübung der Rechte. Selbstverteidigung. Selbsthilfe § 2 3 0 A n m . 2—4 § 231 Anm. 1—3 2. V e r h a l t e n des B e r e c h t i g t e n n a c h d e r S e l b s t h i l f e Anm. 2 Abs. 2 u. 3 geben Verhaltungsmaßregeln für das weitere Verhalten des Täters nach Ausübung der Selbsthilfe. Das Verfahren richtet sich in allen diesen Fällen nach der ZPO. Anm. 3 Es ist indessen nicht immer notwendig, Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g oder A r r e s t zu beantragen, nämlich dann nicht, wenn es sich bei der Wegnahme einer Sache überhaupt nicht um eine bloße Sicherungsmaßregel, sondern um die Wiederherstellung des bereits verletzten Rechtes selbst gehandelt hat. Das träfe beispielsweise zu, wenn der Eigentümer einer Sache diese dem Diebe, oder wenn der Pfandbesitzer die ihm verpfändete Sache dem Verpfänder, der sie widerrechtlich fortnahm, im Wege der Selbsthilfe wieder abgenommen hätte. Bei Personen ist der Sicherheitsarrest nach §918 Z P O zu beantragen, und zwar unverzüglich (§ 121). Anm. 4 3. V e r z ö g e r u n g o d e r A b l e h n u n g des A r r e s t a n t r a g s Die Verzögerung sowohl der Antragstellung wie der H e r a u s g a b e oder der Freilassung würde eine Rechtswidrigkeit bedeuten und im Falle Verschuldens die Verpflichtung zum Schadensersatze nach sich ziehen (§ 286).

§231 W e r eine d e r i m § 2 2 9 bezeichneten H a n d l u n g e n in d e r i r r i g e n A n n a h m e v o r n i m m t , d a ß die f ü r den A u s s c h l u ß d e r W i d e r r e c h t l i c h k e i t e r f o r d e r l i c h e n V o r a u s s e t z u n g e n v o r h a n d e n seien, i s t d e m a n d e r e n Teile z u m S c h a d e n s e r s a t z e v e r p f l i c h t e t , auch w e n n d e r I r r t u m n i c h t auf F a h r l ä s s i g k e i t b e r u h t . En 195; p> 244. Irrtümliche Selbsthilfe Anm. 1 Das Eigenartige dieser Bestimmung, die voraussetzt, daß die objektiven Voraussetzungen der Selbsthilfe nicht gegeben waren, liegt darin, daß diese eine V e r p f l i c h t u n g z u m S c h a d e n s e r s a t z e ohne R ü c k s i c h t a u f V e r s c h u l d e n begründet, da nach dem Gesetze der Täter, der das Vorhandensein der Voraussetzungen der Selbsthilfe gemäß § 229 nur irrtümlich angenommen hat, selbst dann haftbar ist, wenn sein Irrtum nicht auf Fahrlässigkeit (§ 276 Abs. 1) beruhte, während die Haftung aus § 823 grundsätzlich Verschulden voraussetzt (RG 60, 345). Anm. 2 Daß im Falle bewußt widerrechtlichen Handelns gehaftet wird, ist dem Gesetze selbstverständlich. Allerdings ist für die Haftung andererseits stets Bedingung, daß die Handlungsweise des Täters eine objektiv widerrechtliche war und daß sie sich also auch nicht aus einem andern Grunde als dem des Selbsthilferechts als statthaft erweist. Anm. 3 Die Vorschrift des § 231 muß Anwendung finden, gleichgültig, ob es sich um einen tatsächlichen Irrtum oder um einen Rechtsirrtum handelt, ob ferner der Irrtum die Befugnis zum Handeln überhaupt oder nur die Zulässigkeit zur Vornahme der getroffenen besonderen Maßregel betroffen hat. Auch die infolge eines Irrtums begangene Überschreitung der Selbsthilfe würde mithin unter § 231 fallen. Maßgebend ist nur die Rechtswidrigkeit des Handelns. Vgl. auch Düsseldorf H R R 1939, 1294. Eine Befreiung von der Schadensersatzpflicht könnte sich nur aus § 827 ergeben. 751

V o r § 232 Anm. 1—5

Allgemeiner Teil Siebenter Abschnitt

Sicherheitsleistung Anm. 1 1. Sicherheitsleistung zum Schutz von Gläubiger und Schuldner Die Rechtsordnung bietet nicht nur diejenigen Mittel, die zur Wiederherstellung eines verletzten Rechtes oder zur Verwirklichung eines bereits durchführbaren Anspruchs dienen; im Interesse der Rechtssicherheit sieht sie vielmehr auch solche Maßregeln vor, die der Gefahr einer künftigen Rechtsverletzung oder Benachteiligung vorzubeugen geeignet sind. Für den Gläubiger kann eine Gefahr der bezeichneten Art daraus erwachsen, daß sein Anspruch zur Zeit, weil betagt oder bedingt, noch nicht durchführbar ist, während zugleich die Besorgnis besteht, daß er zur Zeit der Fälligkeit sich nicht mehr werde durchführen oder verwirklichen lassen. Für den Schuldner können Nachteile gerade daraus drohen,daß es dem Gläubiger unter Umständen gestattet wird, einen noch nicht fälligen oder noch ungewissen Anspruch geltend zu machen.

Anm. 2 2. a) Sicherungsmittel des Prozeßrechts Demgemäß geben v o r b e u g e n d e S i c h e r u n g s m i t t e l sowohl das Prozeßrecht (in der Feststellungsklage § 256, in der Klage auf künftige Leistung § 259, im Arreste und der einstweiligenVerfügung nach den §§ 916 bis 945 ZPO) wie auch das materielle Recht.

Anm. 3 b) Sicherungsmittel des B G B Nach dem Recht des BGB kommen als Sicherungsmittel insbesondere in Betracht: Die Sicherheitsleistung im Sinne des vorliegenden Abschnitts, die grundbuchlichen Eintragungen, wie Eintragung einer Vormerkung nach §§ 883 fr und eines Widerspruchs nach §899, die Rechnungslegung (§§ 666, 681, 740); ferner die §§ i960 und ig93 (Inventarpflicht). Als weiteres Sicherungsmittel kommt auch die Vertragsstrafe nach §§ 339 fr in Betracht.

Anm. 4 3. Sicherungsmittel und Verpflichtung zur Sicherheitsleistung Der 7. Abschnitt bestimmt nur, mit welchen Mitteln und auf welche Weise Sicherheit mit Gegenständen und durch Abgabe einer Bürgschaftserklärung geleistet werden kann. Er enthält keine Bestimmung darüber, unter welchen Voraussetzungen überhaupt ein Anspruch auf Sicherheitsleistung besteht. Diese Verpflichtung ergibt sich vielmehr aus zahlreichen im Gesetz enthaltenen Sonderbestimmungen. Sicherheitsleistung zum Schutze des Gläubigers ist vorgesehen in den §§ 52, 257, 775 Abs. 2, 843 Abs. 2, 867, 1039, 1391, 1580, 1688, 1844, 1986, 2128 und 2217 Abs. 2. Sicherheitsleistung, um den Schuldner vor Schaden zu bewahren, ordnen die §§ 273, 509 und 262 an. Schließlich können die Parteien auch vertraglich vereinbaren, daß Sicherheit geleistet werden soll. Sie können dabei Art und Umfang der Sicherheit frei und auch abweichend von den §§ 232 fF bestimmen.

Anm. 5 4. Die Höhe der Sicherheit Über die Höhe der zu leistenden Sicherheit enthält der 7. Abschnitt ebenfalls keine Bestimmungen. Falls sich aus dem Gesetz oder aus den Vereinbarungen nichts ergibt, ist Sicherheit zu leisten in einem Betrage, der dem Wert des zu sichernden Rechts entspricht. Zu beachten ist dabei, daß nach §§ 234, 236 und 237 mit Wertpapieren, Buchforderungen gegen Bund und Länder und beweglichen Sachen Sicherheit nicht in voller Höhe ihres Wertes geleistet werden kann.

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Sicherheitsleistung

V o r § 232 A n m . 6

§ 232 Anm. 1—3

Anm. 6 5. Übersicht § 232 zählt die verschiedenen Arten von Sicherungsmitteln auf. Die §§ 233—239 treffen nähere Bestimmungen über die Art und Weise, wie mit diesen einzelnen Sicherungsmitteln Sicherheit geleistet werden kann. § 240 behandelt die Pflicht, die Sicherheit zu ergänzen oder auf andere Weise Sicherheit zu leisten, wenn die gegebene Sicherheit ohne Verschulden des Berechtigten unzureichend geworden ist. § 3 3 3 Wer Sicherheit zu leisten hat, kann dies bewirken durch Hinterlegung von Geld oder Wertpapieren, durch Verpfändung von Forderungen, die in das Reichsschuldbuch oder in das Staatsschuldbuch eines Bundesstaats eingetragen sind, durch Verpfändung beweglicher Sachen, durch Bestellung von Schiffshypotheken an Schiffen oder Schiffsbauwerken, die in einem deutschen Schiffsregister oder Schiffsbauregister eingetragen sind, durch Bestellung von Hypotheken an inländischen Grundstücken, durch Verpfändung von Forderungen, für die eine Hypothek an einem inländischen Grundstücke besteht, oder durch Verpfändung von Grundschulden oder Rentenschulden an inländischen Grundstücken. Kann die Sicherheit nicht in dieser Weise geleistet werden, so ist die Stellung eines tauglichen Bürgen zulässig. E 1 1 9 9 n 196; M x 387ff; P 1164S; 6 584. — D V v. 21. 12.1940, RGBl 11609, zum Ges. über Rechte an eingetragenen Schiffen und Schiffsbauwerken v. i j . 11. 1940, RGBl I 1499.

Ubersicht Arten der Sicherheit 1. Wahlrecht des Schuldners 2. Gesetzliche Sicherungsmittel

Anm. 1—3 4-6

1. Wahlrecht des Schuldners Anm. 1 Das Recht auf Sicherungsleistung enthält einen klagbaren Anspruch. Nachrichtiger Ansicht muß der Gläubiger dabei dem Schuldner überlassen, in welcher nach dem Gesetze überhaupt statthaften Weise er seiner Verpflichtung genügen will. Das Gesetz stellt dem Verpflichteten ausdrücklich eine Mehrheit von Sicherungsmitteln zur Auswahl. In erster Linie läßt es freilich nur die Sachsicherung zu, wie sie im Abs. 1 vorgesehen ist, während die Befugniss aus Abs. 2, einen Bürgen zu stellen, nur dann zustehen soll, wenn der Verpflichtete in der in Abs. 1 beschriebenen Art Sicherheit nicht leisten kann. Andere Sicherheiten als die hier zugelassenen braucht der Gläubiger nicht anzunehmen. Falls der Gläubiger sein Recht auf Sicherheit im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzt, ist § 264 entsprechend anzuwenden. Anm. 2 Der Schuldner ist abgesehen von den in §§ 235, 240 geregelten Ausnahmen weder berechtigt noch verpflichtet, die einmal geleistete Sicherheit durch eine andere auszutauschen. Anm. 3 Die Bestimmungen dieses Abschnittes greifen nur Platz, wo es sich um eine Sicherheitsleistung aus materiell-rechtlichen Gründen handelt, dagegen nicht, falls eine

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§ 2 3 2 A n m . 4—6 §233

Allgemeiner Teil

Sicherheitsleistung nach den Bestimmungen der Z P O in Frage steht. Hier ist sie nach § 108 Z P O zu bestimmen (RG J W 1901, 537 Nr. 5). 2. Gesetzliche Sicherungsmittel Anm. 4 Uber G e l d vgl. § 244. Mit Geld, das nach den deutschen Währungsgesetzen gesetzliches Zahlungsmittel ist, kann bis zum vollen Betrag des Nennwertes Sicherheit geleistet werden. Ausländische Zahlungsmittel sind gleichfalls als Sicherungsmittel geeignet, wenn sie im Inland einen Kurswert haben. Der Umfang, in dem mit ausländischen Zahlungsmitteln Sicherheit geleistet werden kann, bestimmt sich entsprechend § 234 Abs. 3 (3/4 des Kurswertes). Uber Wertpapiere als Sicherungsmittel vgl. die §§ 234, 793—808; s. auch die §§ 233—235-_ Die Einrichtung des Reichsschuldbuches beruht auf dem Reichsgesetz vom 3 1 . 5. 1910, R G B l 840. Durch die Verordnung vom 17. 1 1 . 1939, R G B l I 2298, wurde es mit öffentlichem Glauben ausgestattet. Die Reichsschuldbuchvorschriften sind auf die Verwaltung der Bundesschulden anzuwenden. Das bestimmt § 2 des Gesetzes über die Errichtung einer Schuldenverwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes vom 13. 7. 1948, WiGBl 73, i. V . m. Art. 127 GG, § 1 der Verordnung über die Bundesschuldenverwaltung vom 13. 12. 1949, BGBl 1950, 1. Uber die Schuldbücher der Länder, die gleichfalls öffentlichen Glauben genießen, vgl. für Bayern Gesetz vom 8. 1 1 . 1954, BayBS I I I 540, für Baden-Württemberg Gesetz vom 1 1 . 5. 1953, GBl 65, für Berlin Gesetz vom 8. 1. 1951, VOB1 83, für Bremen Gesetz vom 2. 7. 1954, GBl 73, für Hamburg Gesetz vom 29. 3. 1957, GVBI 212, für Hessen Gesetz vom 4. 7. 1949, GVBI 93, für Niedersachsen Gesetz vom 30. 1 1 . 1954, GVBI 149, für Nordrhein-Westfalen Gesetz vom 5. 1 1 . 1948, GS 639, für Rheinland-Pfalz Gesetz vom 14. 12. 1950, GVBI 329, und für Schleswig-Holstein Gesetz vom 4. 7. 1949, GVBI 165. Anm. 5 Vgl. über die Verpfändung b e w e g l i c h e r S a c h e n die §§ 1204fr, 237; über Bes t e l l u n g v o n H y p o t h e k e n die §§ 1 1 i 2 f f , 238; über die V e r p f ä n d u n g v o n R e c h ten die §§ 1237fr. Die Einbeziehung der Schiffshypotheken in Abs. 1 beruht auf der D V zum Ges. über Rechte an eingetragenen Schiffen und Schiffsbauwerken v. 2 1 . 12. 1940, R G B l I 1609, Art. 2. Welche Anforderungen an die Sicherheit der zu begründenden Hypothek zu stellen sind, sagt das Gesetz nicht; es wird daher diejenige Sicherheit zu verlangen sein, die § 238 für den Fall der Verpfändung einer hypothekarisch gesicherten Forderung vorschreibt. Anm. 6 F o r d e r u n g e n anderer Art als eingetragene Buchforderungen können überhaupt nicht Mittel der Sicherungsleistung sein. Uber die T a u g l i c h k e i t des B ü r g e n als Sicherungsmittel vgl. § 239 und RG J W 1924, 898 (zu H G B § 301). Unbedingt unzulässig ist dieses Mittel im Falle der §§ 273 Abs. 3, 1218 Abs. 1.

§ 333 Mit der Hinterlegung erwirbt der Berechtigte ein Pfandrecht an dem hinterlegten Gelde oder an den hinterlegten Wertpapieren und, wenn das Geld oder die Wertpapiere in das Eigentum des Fiskus oder der als Hinterlegungsstelle bestimmten Anstalt übergehen, ein Pfandrecht an der Forderung auf Rückerstattung. E I 200 II 197; M 1 390; P 1 266; 6 143.

754

Sicherheitsleistung

Anm. 1

§ 233 A n m . 1—4 §234

Wirkung der Hinterlegung

1. Gesetzliches Pfandrecht Das an dem hinterlegten Gelde oder an den hinterlegten Wertpapieren bestehende gesetzliche Pfandrecht gewährt die Rechte aus den §§ 1204 fr und 1292 fr; es ist dem rechtsgeschäftlich begründeten gemäß § 1257 gleichzustellen. Das Pfandrecht entsteht auch an unbefugt hinterlegten!, fremdem, dem Hinterleger nicht gehörigem Gelde ohne Rücksicht auf den guten Glauben des Kautionsgläubigers. Der vom gesetzlichen Pfandrechte des Vermieters handelnde § 55g beschränkt zwar das Recht ausdrücklich in bezug auf Sachen „des Mieters". Der § 233 macht aber keine derartige Einschränkung. (Ebenso P l a n c k / K n o k e § 233 Anm. 2; aA S t a u d i n g e r / C o i n g § 233 Anm. 1 : nur bei gutem Glauben des Kautionsgläubigers.) Anm. 2 Für die Einrichtung von Hinterlegungsstellen, ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit, das Verfahren und die Wirkungen der Hinterlegung in bezug auf das Eigentum an den hinterlegten Sachen ist jetzt die einheitliche r e i c h s r e c h t l i c h e Regelung in der am 1. April 1937 in Kraft getretenen H i n t e r l e g u n g s o r d n u n g v. 10. 3. 1937, R G B l I 285, dazu D V v. 12. 3. 1937, R G B l I 296, maßgebend. 2. Eigentumsübergang an hinterlegten Sachen Anm. 3 Nach der Hinterlegungsordnung v. 10. 3. 1937 (s. Anm. 2) gehen gesetzlich zugelassene Zahlungsmittel in das Eigentum des Reichs, jetzt in das Eigentum der Bundesrepublik über, andere Zahlungsmittel werden unverändert aufbewahrt, können aber mit Zustimmung der Beteiligten in Zahlungsmittel der ersten Art umgewechselt werden (§7). Wertpapiere werden unverändert aufbewahrt (§ 9); über ihre Verwaltung s. § 10. Vgl. auch § 372 Anm. 1. Anm. 4 Die Vorschrift des § 233 greift auch bei prozessualen Sicherheitsleistungen Platz (RG 145, 328; J W 1914, 466).

§ 334 Wertpapiere sind zur Sicherheitsleistung nur geeignet, wenn sie auf den Inhaber lauten, einen Kurswert haben und einer Gattung angehören, in der Mündelgeld angelegt werden darf. Den Inhaberpapieren stehen Orderpapiere gleich, die mit Blankoindossament versehen sind. Mit den Wertpapieren sind die Zins-, Renten-, Gewinnanteil- und Erneuerungsscheine zu hinterlegen. Mit Wertpapieren kann Sicherheit nur in Höhe von drei Vierteilen des Kurswerts geleistet werden. E I 201 II 198; M I 590; P I 256ff; 4 570. 607; 6 145.

Wertpapiere als Sicherungsmittel Uber Wertpapiere und Orderpapiere vgl. Vorbem. vor § 793; über Marktoder Börsenpreis §385; über Mündelsicherheit § 1807. Ein Wechsel kann hiernach als Sicherungsmittel im Sinne des Gesetzes niemals in Betracht kommen. Der Kurswert der hinterlegten Wertpapiere muß den Betrag, für den Sicherheit geleistet werden soll, um ein Drittel übersteigen.

755

Allgemeiner Teil

§§ 235—237

§

3 3 5

Wer durch Hinterlegung von Geld oder von Wertpapieren Sicherheit geleistet hat, ist berechtigt, das hinterlegte Geld gegen geeignete Wertpapiere, die hinterlegten Wertpapiere gegen andere geeignete Wertpapiere oder gegen Geld umzutauschen. E

n 199; p 1268 ff.

Austausch von Sicherheiten Im allgemeinen besteht ein derartiges Recht des Pfandschuldners nicht.

§

3 3 6

Mit einer Buchforderung gegen das Reich oder gegen einen Bundesstaat kann Sicherheit nur in Höhe von drei Vierteilen des Kurswertes der Wertpapiere geleistet werden, deren Aushändigung der Gläubiger gegen Löschung seiner Forderung verlangen kann. E N 200;

p1

267.

Buchforderungen gegen Reich oder Bundesstaat als Sicherungsmittel Anm, 1 Nach den reichsgesetzlichen Vorschriften über die Einrichtung des R e i c h s s c h u l d b u c h s , die auch auf die Verwaltung der Bundesschulden anzuwenden sind (vgl. § 232 Anm. 4), können auf den Inhaber lautende Bundesanleihen in Buchschulden des Bundes umgewandelt werden. Bei Löschung der Buchschuld erhält der Berechtigte Anleihescheine in dem seiner Forderung entsprechenden Nennwerte zurück.

Anm. 2 Der Kurswert der Forderung muß den Betrag, für den Sicherheit geleistet werden soll, um ein Drittel übersteigen. § 3 3 7

Mit einer beweglichen Sache kann Sicherheit nur in Höhe von zwei Drittteilen des Schätzungswertes geleistet werden. Sachen, deren Verderb zu besorgen oder deren Aufbewahrung mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, können zurückgewiesen werden. E I 202 II 201; M X 390; P I 268.

Bewegliche Sachen als Sicherungsmittel Anm. 1 Unbedingt geeignet z u r S i c h e r h e i t s l e i s t u n g sind hiernach nur solche beweglichen Sachen, bei denen die Voraussetzungen des Satz 2 nicht zutreffen. Andernfalls kommt es auf die Zustimmung des Berechtigten an, die aber gemäß § 1 1 9 Abs. 2 anfechtbar sein kann. Den Beweis des Wertes hat der Verpflichtete zu erbringen. Unberechtigte Zurückweisung zieht die Folgen des Annahmeverzugs (§§ 294, 300) nach sich.

Anm. 2 Der Schätzwert der Sachen muß den Betrag, für den Sicherheit geleistet werden soll, um die Hälfte übersteigen.

756

Sicherheitsleistung

§ § 238—240

§ 338 Eine Hypothekenforderung, eine Grundschuld oder eine Rentenschuld ist zur Sicherheitsleistung nur geeignet, wenn sie den Voraussetzungen entspricht, unter denen am Orte der Sicherheitsleistung Mündelgeld in Hypothekenforderungen, Grundschulden oder Rentenschulden angelegt werden darf. Eine Forderung, für die eine Sicherungshypothek besteht, ist zur Sicherheitsleistung nicht geeignet. E I 203 II 202; M x 390; P x 268; 6 243.

Hypothekenforderungen, Grund- und Rentenschulden als Sicherungsmittel Anm. 1 1 . Unter welchen Voraussetzungen eine H y p o t h e k e n f o r d e r u n g usw. m ü n d e l s i c h e r ist, bestimmt sich nach den von der Landesgesetzgebung aufgestellten Grundsätzen (§ 1807 Abs. 2). Maßgebend ist das Recht des Ortes der Sicherheitsleistung, und dieser fällt zusammen mit dem Leistungsorte nach § 269. Dazu für Preußen R G Warn-

Rspr 1937 Nr. 159.

Anm. 2 2. A b s a t z 2. Vgl. §§ 1184fr.

§ 339 Ein Bürge ist tauglich, wenn er ein der Höhe der zu leistenden Sicherheit angemessenes Vermögen besitzt und seinen allgemeinen Gerichtsstand im Inlande hat. Die Bürgschaftserklärung muß den Verzicht auf die Einrede der Vorausklage enthalten. E I 204 n 203; M x 391; P x 2691t

Bürgschaft als Sicherungsmittel Das Recht, einen Bürgen zu stellen, ist an und für sich nur aushilfsweise zugestanden (§ 2 3 2 A n m . 1). Ein angemessenes Vermögen besitzt der Bürge nach Prot. 1, 270 auch dann, wenn er regelmäßig wiederkehrende Einkünfte in genügender Höhe bezieht. Uber den allgemeinen G e r i c h t s s t a n d vgl. §§ 1 3 — 1 8 Z P O . Die Bürgschaftserklärung selbst muß nach § 766 schriftlich sein. Einrede der Vorausklage §§ 7 7 1 , 773.

§ 340 Wird die geleistete Sicherheit ohne Verschulden des Berechtigten unzureichend, so ist sie zu ergänzen oder anderweitige Sicherheit zu leisten. E I 20} II 204; M x 459; P x 270; 6 243.

Ubersicht

Nachträgliche Ergänzung der Sicherheit Anm.

1. Voraussetzung für den Anspruch auf Ergänzung der Sicherheit 2. Vertraglich vereinbarte Sicherheit 3. Beweislast 49

Komm. z. BGB. n . Aufl. I. Bd. (Johannsen)

1—3 4 5 757

§240 Anm. 1—5

Allgemeiner Teil

1. Voraussetzung für den Anspruch auf Ergänzung der Sicherheit Anm. 1 Der Berechtigte hat einen Anspruch auf Ergänzung der bestellten oder auf Leistung einer anderweitigen Sicherheit für den Fall, daß die bestellte unzureichend „wird". Bei schon von Anfang bestehender Unzulänglichkeit kann § 240 nicht entsprechend angewandt werden ( B G H L M BGB §240 Nr. 1). Zwischen den beiden bezeichneten Maßregeln steht die Wahl dem Verpflichteten zu.

Anm. 2 Der vorausgesetzte Fall kann eintreten einmal durch Umstände, die eine Entwertung des Sicherheitsgegenstandes herbeiführen (Verschlechterung der Sache, Sinken des Kurswerts, Vermögensverfall beim Bürgen), sodann infolge einer Erhöhung des zu sichernden Anspruchs. Eine Wertminderung der mit einer Grundschuld geleisteten Sicherheit tritt nicht schon dadurch ein, daß das für die Grundschuld haftende Grundstück zur Zwangsversteigerung gebracht wird ( B G H L M BGB § 240 Nr. 1).

Anm. 3 Der Anspruch auf Verbesserung der Sicherheit ist ausgeschlossen, wenn der Berechtigte selbst verschuldet hat, daß die ihm bestellte Sicherheit unzureichend wird (beispielsweise infolge Annahmeverzugs, § 237 Anm. 1), und selbstverständlich dann, wenn ihm eine vertragliche Abrede, ein Verzicht, entgegensteht. Anspruch des Gläubigers auf Nachbesserung einer durch Währungsverfall und Aufwertungsgesetze unzureichend gewordenen Sicherheit s. R G H R R 1936, 184.

Anm. 4 2. Vertraglich vereinbarte Sicherheiten § 240 ist nicht anwendbar, wenn nach dem Inhalt der von den Parteien getroffenen Vereinbarungen nicht allgemein Sicherheit zu leisten ist, sondern mit bestimmten Gegenständen in der vertraglich bezeichneten Weise Sicherheit zu gewähren ist, z. B. mit einer Sicherungshypothek in bestimmter Höhe an einem bestimmten Grundstück ( B G H L M BGB § 240 Nr. 1).

Anm. 5 3. Beweislast Fraglich ist, ob der Berechtigte gegebenenfalls seine Schuldlosigkeit an der veränderten Sachlage oder der Besteller der Sicherheit ein Verschulden des Genannten zu beweisen hat. Das richtige dürfte sein, daß der Berechtigte seiner Behauptungs- und Beweispflicht zunächst schon dann genügt hat, wenn er diejenigen Umstände nachweist, welche das derzeitige Unzureichende der Sicherung bewirkt haben, wobei sich möglicherweise sein eigenes ursächliches Verschulden schon aus der Sache selbst ergeben kann. Soweit das nicht der Fall ist, muß der Verpflichtete beweisen, daß die geleistete Sicherheit infolge Verschuldens des Berechtigten unzureichend geworden ist. Wenn beispielsweise mit einer Hypothek Sicherheit bestellt ist und die letztere wegen Eingehens von Vieh auf dem belasteten Grundstücke minderwertig geworden ist, kann von dem Berechtigten, der von dem Rechtsbehelfe aus § 240 Gebrauch macht, nicht der Nachweis verlangt werden, daß er die Minderung der Sicherheit nicht verschuldet habe.

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