Das Bild der Frau im spanischen Roman des 18: Jahrhunderts Im Spannungsfeld von Lebenswirklichkeit und Fiktion 9783964564931

Eine Untersuchung des spanischen Romans der Aufklärung sowie eine umfassende Gesamtschau der Entwicklung der Weiblichkei

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Das Bild der Frau im spanischen Roman des 18: Jahrhunderts Im Spannungsfeld von Lebenswirklichkeit und Fiktion
 9783964564931

Table of contents :
Vorwort
INHALT
EINLEITUNG
I. THEORETISCHE UND METHODISCHE GRUNDLAGEN
II. DIE GESELLSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG UND DIE DISKUSSION ÜBER DIE FRAU
III. DAS FRAUENBILD IN DEN ROMANEN - ABBILD ODER GEGENBILD DER WIRKLICHKEIT?
ERGEBNISSE DER UNTERSUCHUNG UND AUSBLICK
ABKÜRZUNGEN
BIBLIOGRAPHIE
PERSONENVERZEICHNIS

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Heike Hertel-Mesenhöller Das Bild der Frau im spanischen Roman des 18. Jahrhunderts

Heike Hertel-Mesenhöller

Das Bild der Frau im spanischen Roman des 18. Jahrhunderts Im Spannungsfeld von Lebenswirklichkeit und Fiktion

Vervuert • Frankfurt am Main 2001

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsund Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hertel-Mesenhöller, Heike : Das Bild der Frau im spanischen Roman des 18. Jahrhunderts : Im Spannungsfeld von Lebenswirklichkeit und Fiktion / Heike Hertel-Mesenhöller. Frankfurt am Main : Vervuert, 2001 Zugl.: Duisburg, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-89354-138-1 © Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 2001 Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Michael Ackermann Abbildung: La maja vestida von Francisco de Goya, ca. 1797-1800 Gedruckt auf säure- und chlorfreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Sommersemester 2000 vom Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften der Gerhard-MercatorUniversität Duisburg als Dissertation angenommen. Ich danke meinem Doktorvater Prof. Dr. Helmut C. Jacobs, der diese Forschungsarbeit nicht nur angeregt, sondern intensiv durch zahlreiche Gespräche und Diskussionen begleitet und geprägt hat. Mein Dank gilt ferner Prof. Dr. Wolf-Dieter Lange für die Betreuung und fachliche Unterstützung in der ersten Phase dieser Arbeit an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn sowie Prof. Dr. Siegfried Jüttner für vielfaltige Anregungen, die in diese Untersuchung Eingang gefunden haben. Bei der Verwertungsgesellschaft Wort bedanke ich mich fiir die großzügige Unterstützung der Drucklegung. Herzlich danke ich allen, die mir bei den Korrekturarbeiten gewissenhaft und mit größter Umsicht zur Seite gestanden haben. Meinem Mann Georg sei für seine grenzenlose Geduld, sein Verständnis und seine unermüdliche Unterstützung von Herzen gedankt. An dieser Stelle sei auch an all jene gedacht, die für mich Spanien so liebenswert machen und in mir eine tiefe Verbundenheit zu diesem Land, seiner Sprache und Kultur haben entstehen lassen. Heike Hertel-Mesenhöller

INHALT EINLEITUNG

13

I. THEORETISCHE UND METHODISCHE GRUNDLAGEN

17

1. Frauenbilder und ihr Verhältnis zur Realität

17

2. Der Romanbegriff

19

2.1

Die aktuelle Forschung über den Roman im 18. Jahrhundert. 19

2.2

Begriffsbestimmung des Romans im 18. Jahrhundert

2.3

Poetologische Theorien über den Roman in der spanischen

2.4

22

Literatur des 18. Jahrhunderts

24

Kennzeichen des Romans im 18. Jahrhundert

33

3. Kongruente Funktionen von Frauenbildern und Roman

34

II. DIE GESELLSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG UND DIE DISKUSSION ÜBER DIE FRAU

35

1. Die gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse und die ideologischen Bedingungen

35

1.1

Eine anthropologische Definition

36

1.2

Naturwissenschaftliche Perspektivierung

37

1.3

Juristische Grundlagen

39

1.4

Erziehung, Ausbildung, Arbeitswelt

42

1.5

Gesellschaftliche Aktivitäten der Frau

49

1.5.1

Frauen als Kulturträgerinnen

49

1.5.2

Soziales Engagement

51

2. Der gesellschaftliche Diskurs 2.1

Gleichheit der Geschlechter

2.1.1 Defensa und Contradefensa

52 53 53

2.1.2 Entwicklung der Debatte über die Gleichwertigkeit des weiblichen Intellekts

65

2.2

Erziehung und Ausbildung der Frau

71

2.3

Die Rolle der Frau in der Öffentlichkeit

87

2.4

Frauenspezifische Themen der Zeit

93

2.4.1

Mode und Luxus

93

2.4.2 Das Phänomen des cortejo

96

2.4.3 Die Schönheit der Frau

98

2.4.4 Heiratspolitik

100

3. Zusammenfassung: Die Dialektik von Emanzipation und Tradition 102

III. DAS FRAUENBILD IN DEN ROMANEN - ABBILD ODER GEGENBILD DER WIRKLICHKEIT?

105

1. Weiblichkeitskonzepte in Romanen des 18. Jahrhunderts

105

2. Reaktionär-regressive Weiblichkeitskonzepte

107

2.1

Propagierung eines klassischen Modells: Sabina y Dorotea

2.2

107

Moralisch-didaktische Leitfäden im ausklingenden Jahrhundert

3. Traditionell-konservative Weiblichkeitskonzepte 3.1

Die Frau - ein engelsgleiches Wesen: Fenissa

3.2

Männliches Wunschdenken zur Jahrhundertwende: Serafina

109 111 111

113

3.3

Entwurf des christlichen Frauenideals: Eumenia

3.4

Moralkritik an zeitgenössischen Sitten und das Ideal der tugendhaften Frau

4. Progressiv-moderne Weiblichkeitskonzepte 4.1

137

137

Progressive Bildungskonzepte gefangen in der Tradition: Eudoxia

4.3

125

Ein pädagogisches Konzept zur Erfüllung der felicidad: Sofronia

4.2

122

145

Innovative Ansätze auf thematischer wie metafiktionaler Ebene: Leandra

154

Emanzipatorische Progression

167

5. Revolutionäre Weiblichkeitskonzepte

173

4.4

5.1

Die Frau in der Funktion antiklerikaler Kritik: Cornelia Bororquia

173

6. Zusammenfassung: Tradierte Weiblichkeitskonzepte im Wandel.... 179 ERGEBNISSE DER UNTERSUCHUNG UND AUSBLICK

183

ABKÜRZUNGEN

187

BIBLIOGRAPHIE

189

1. Primärliteratur

189

1.1

Romane

189

1.2

Expositorische Texte und Wörterbücher

192

2. Sekundärliteratur

201

PERSONENVERZEICHNIS

235

EINLEITUNG Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Epoche der spanischen Aufklärung setzt bekanntlich aufgrund von historischen und ideologischen Gegebenheiten sehr spät ein. Mitte der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts veröffentlicht der Hispanist Jean Sarrailh mit seinem Werk L'Espagne moitié du XVIIÎ

éclairée

de la

seconde

siècle eine erste umfassende Studie zu diesem T h e m a , die den

einschlägigen Erkenntnisstand maßgeblich erweitert und somit zu einem besseren Verständnis des Siglo XVIII beiträgt. 1 Eine intensive Auseinandersetzung mit diesem Zeitalter aus historischer, soziologischer und philologischer Sicht setzt zu Beginn der siebziger Jahre ein und hat bis heute nicht an Aktualität eingebüßt. Vielmehr geben jüngste Forschungsergebnisse immer neue Impulse, sich noch eingehender diesem Forschungsgebiet zu widmen bzw. es überhaupt weiter zu erschließen. 2 So ist auch diese Untersuchung darauf ausgerichtet, bisher kaum rezipierte Literatur des 18. Jahrhunderts aus ihrem Schattendasein hervortreten zu lassen. Fokussiert werden die weitgehend unbekannten Texte erstmals unter einem systematisch ausgerichteten Aspekt - dem der Frauenbilder - , der bisher nur vereinzelt thematisiert wurde. Das zu diesem Z w e c k

zusammengestellte

Textkorpus 3 beinhaltet sowohl expositorische Schriften als auch Romane, die zum größten Teil erst in den vergangenen Jahren wiederentdeckt und von denen einige neu ediert wurden. 4 Insgesamt werden zwanzig R o m a n e von neunzehn

1 2

3

4

Vgl. Sarrailh (1954). Vgl. generell zur Forschungssituation des 18. Jahrhunderts: u.a. Tietz (1980: 75-92), Jüttner (1989), Aguilar Piñal (1991), Lope (1991), Jüttner (1992), Tietz (1993), Jüttner (1999). Die Beschaffung der Primärliteratur erwies sich in vielen Fällen als äußerst schwierig und wäre ohne das freundliche Entgegenkommen zahlreicher spanischer Bibliotheken - insbesondere der Biblioteca Nacional in Madrid und der Biblioteca de Menéndez Pelayo in Santander - in diesem Umfang nicht möglich gewesen. In den letzten Jahren sind jedoch einige Texte neu herausgegeben worden, was noch einmal das rege Forschungsinteresse an dieser Epoche belegt. Darüber hinaus bleibt zu hoffen, daß Untersuchungen dieser Art weitere Neuauflagen anregen, um die Texte einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Zu den Gründen der verspäteten Wahrnehmung der Romanproduktion des 18. Jahrhunderts vgl. Álvarez Barrientos (1992).

14

verschiedenen, ausschließlich männlichen 5 Schriftstellern und etwa siebzig expositorische Texte von circa fünfzig überwiegend männlichen, aber auch weiblichen Autoren betrachtet. Das Ziel der Untersuchung ist, nicht lediglich einen kleinen Ausschnitt vom Bild der Frau im 18. Jahrhundert zu beleuchten, sondern auf der Basis eines repräsentativen Korpus, das auch ermöglicht, die Relation zwischen fiktionalen und theoretischen Werken zu betrachten, und unter Berücksichtigung des historischen Hintergrunds ein umfassendes, fundiertes Panorama der Weiblichkeitskonzepte jener Zeit herauszuarbeiten und die Entwicklungen, denen die Frauenbilder unterliegen, in historischem und literarischem Kontext systematisch nachzuzeichnen. 6 Die Konzentration im fiktionalen Bereich auf den Roman hat verschiedene Gründe. Sowohl die Zusammenstellung der Texte als auch die Betrachtung des Romans unter einem systematischen Aspekt haben gezeigt, daß diese unkanonische Gattung immer noch ein großes unerforschtes Potential offeriert, was auch mit der Polemik der vergangenen Jahrzehnte um die Existenz bzw. Nicht-Existenz der novela im 18. Jahrhundert zusammenhängt, 7 und daß sich der Roman durch seine gattungsspezifische Offenheit auf inhaltlicher wie auf struktureller Ebene anbietet, ihn unter dem systematischen Gesichtspunkt der Weiblichkeitskonzepte zu betrachten. 8 Die derart ausgerichtete Untersuchung erlaubt es also, sich verschiedenen Forschungsdesideraten zuzuwenden und somit das in den vergangenen Jahren immer lebendiger werdende Bild vom Siglo XVIII zu erweitern. Außerdem bahnt sie den Weg für weitere Studien, wie z.B. der Vergleich mit dem Bild der Frau und dessen Darstellungsart in den Gattungen der Lyrik und Dramatik oder auch komparatistische Betrachtungen zu diesem Thema innerhalb der Romania oder Lateinamerika. Der erste Teil der Untersuchung ist im wesentlichen der Analyse des Gattungsbegriffs novela im Kontext des 18. Jahrhunderts gewidmet. Außerdem

5

6

7 8

Nach bisherigem Forschungsstand gilt Clara Jara de Soto mit ihrem Werk El instruido en la Corte y aventuras del estremeho von 1789 als einzige Verfasserin eines Romans im 18. Jahrhundert in Spanien. Vgl. auch Kapitel 1.1 und II. 1.1.5.1. Das zusammengestellte Korpus beinhaltet Texte, die im Laufe des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden sind. Einen radikalen Einschnitt für das Zeitalter der Aufklärung, das bereits mit reformerisehen Bestrebungen vor der Etablierung der neuen Dynastie der Bourbonen einsetzt, bildet der 1808 ausbrechende Unabhängigkeitskrieg gegen die Franzosen und die darauf folgende absolutistische, reaktionäre Herrschaft unter Ferdinand VII. Vgl. Kapitel 1.2.2.1. Darüber hinaus gibt es bereits einzelne Studien zur Frau in Theaterstücken der Zeit, vgl. z.B. Kish (1983), Whitaker (1988).

15 wird der aus der feministischen Literaturwissenschaft stammende theoretische Begriff des Frauenbildes spezifiziert. Im zweiten Teil erfolgt die Aufarbeitung des historischen Hintergrunds, indem die bisherigen Forschungsergebnisse, die sich weitgehend in einzelnen Aufsätzen manifestieren, strukturiert und neu fokussiert werden. Die Situation der Frau in der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts soll unter diversen Blickwinkeln betrachtet werden, um einen möglichst umfassenden Eindruck zu gewinnen. So wird beispielsweise den Fragen nachgegangen, wie das weibliche Geschlecht in jener Epoche aus biologischer Perspektive beurteilt wird, wie die rechtliche Situation der Frau in der Gesellschaft ist, welche Erziehungs- und Ausbildungsprinzipien für sie gelten und welche Rolle sie in der Öffentlichkeit einnimmt. Besondere gesellschaftliche Phänomene, die sich im Laufe des Jahrhunderts entwickeln und die sich auf das Leben der Frau auswirken - etwa der Brauch des cortejo9 oder die besondere Kommunikationsform der tertuliaw -, werden im jeweiligen Zusammenhang erläutert. Im Anschluß daran wird die während des gesamten Säkulums andauernde lebendige Diskussion über das weibliche Geschlecht präsentiert und analysiert, in der sich sowohl Männer als auch Frauen zu Wort melden. Beherrschend ist in dieser Debatte, die bereits 1726 einsetzt, das Thema der intellektuellen Gleichwertigkeit von Mann und Frau. Daraus ergeben sich weitere Diskussionspunkte, wie die Erziehung und Ausbildung der Frau und ihre Bedeutung im öffentlichen Leben. Aber auch spezifische für die Epoche aktuelle Themen - wie Mode, Luxus, Schönheit - werden kontrovers diskutiert. Bereits die Existenz derartiger Diskussionen und die Bandbreite der Themen deuten auf einen geistigen Wandel in der Gesellschaft und auf entsprechende emanzipatorische Entwicklungen hin. Vor diesem Hintergrund, der einen Einblick in die Lebenswirklichkeit der Frau ermöglicht, werden die verschiedenen Weiblichkeitskonzepte, deren Spektrum tendenziell von reaktionär-regressiven bis hin zu äußerst progressiven Entwürfen reicht und die in vielen Fällen Aspekte der gesellschaftlichen Diskussion spiegeln, in den einzelnen Romanen herausgearbeitet. Entscheidend ist bei dieser Analyse das Zusammenspiel von inhaltlichen Aussagen und struktureller Anlage des Romans, d.h. seinen spezifisch erzähltechnischen Möglichkeiten. So tritt bei dieser Untersuchung bereits deutlich zutage, daß die Autoren das Potential dieser Gattung für ihre unterschiedlichen Belange zu nutzen wissen und sich der Roman im Laufe des 18. Jahrhunderts entsprechend

10

Es handelt sich um einen Galan bzw. Liebhaber einer verheirateten Dame, vgl. Kapitel II. 1.1.3, S. 41. Mit dem Begriff tertulia wird ein privater Zirkel der Kommunikation bezeichnet, vgl. Kapitel II. 1.1.4, S. 43.

16 weiterentwickelt. Im zweiten wie im dritten Teil ist die Untersuchung systematisch angelegt, ohne jedoch die Chronologie der Texte zu vernachlässigen, um auch grundsätzliche Entwicklungslinien ablesen zu können. Beide Teile schließen außerdem jeweils mit einem Fazit und resümieren die wesentlichen Entwicklungen auf der Diskussions- wie auf der Fiktionsebene. In dem Kapitel "Ergebnisse der Untersuchung und Ausblick" wird abschließend das Beziehungsgeflecht zwischen den expositorischen Texten und den Romanen vor dem Hintergrund der historischen Situation der Frau ausgewertet und die Frage nach emanzipatorischen Fortschritten im Zeitalter der Aufklärung beantwortet.

I. THEORETISCHE UND METHODISCHE GRUNDLAGEN 1. Frauenbilder und ihr Verhältnis zur Realität Die Analyse von Frauenbildern und den daraus zu erschließenden Weiblichkeitskonzepten in der Literatur erfordert die Berücksichtigung und Problematisierung ihrer männlichen bzw. weiblichen Entstehungsperspektive. Da die Romane des hier zugrundeliegenden Korpus ausschließlich von männlichen Autoren verfaßt wurden, 1 müssen die Mechanismen des männlichen Blickwinkels bei der Interpretation der Romane bedacht werden. 2 Ausgehend von einem Vergleich der in der Fiktion von Männern entwickelten Frauenbilder und der dahinterstehenden Denkmuster mit der Lebenswirklichkeit des 18. Jahrhunderts, d.h. mit Aussagen beider Geschlechter zur Frau und ihrer gesellschaftlichen Situation sowie mit historisch belegbaren Fakten, wird der literatursoziologischen Frage nachgegangen, inwieweit die Frauenbilder der Autoren auf Erfahrungen in

1

2

Die Suche nach spanischen Romanautorinnen des 18. Jahrhunderts mit Hilfe von Bibliographien, wie von Serrano y Sanz (1975), Aguilar Piñal (1981/1999), Galerstein (1986) und Biblioteca Nacional/Simón Palmer/Fernández (1992), erwies sich als unergiebig. Dies schließt nicht aus, daß bei zukünftigen Archivarbeiten oder durch das Entschlüsseln von Pseudonymen noch zufallige Entdeckungen gemacht werden, so daß der bisherige Forschungsstand revidiert werden müßte. Lediglich Clara Jara de Soto, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lebte, gilt nachweisbar als Verfasserin eines Romans. Darüber hinaus gab es einige (Roman-) Übersetzerinnen. Ein Forschungsdesiderat bleibt außerdem die systematische Erfassung der Autorinnen, die Gedichte, religiöse Schriften (u.a. Autobiographien), Traktate und Theaterstücke verfaßt haben, und die Analyse ihrer Werke. Auch irreführende Aufsatztitel wie von Garcia Garrosa (1998) modifizieren die hier konstatierten Forschungsergebnisse nicht. Vgl. zu dieser Problematik vor allem Stephan (1983: 15-34), Fischer/ Kilian/Schönberg (1992: 22-23), Würzbach (1995: 137-142), Zens (1996: 159-160).

18 der Realität zurückzufuhren sind, ob und wie sie reflektiert werden bzw. inwieweit sie diese determinieren oder zumindest prägen möchten und ob es sich eher um projizierte Wünsche oder Ängste der männlichen Autoren handelt. Erst nach eingehender Untersuchung dieser Wechselbeziehungen zwischen Literatur und Gesellschaft läßt sich der aus der feministischen Literaturwissenschaft stammende Begriff "Frauenbild" und dessen Funktion genauer bestimmen. Mit der vorliegenden Untersuchung ist keine patriarchatskritische Frauenbildforschung beabsichtigt, die eine überhistorische Ordnung des Patriarchats impliziert und die Annahme, daß Literaturentstehung geschlechtsspezifischen Kriterien unterworfen ist. Vielmehr liegt die seit den achtziger Jahren gängige Unterscheidung zwischen sex und gender zugrunde, die differenziert zwischen dem biologischen Geschlecht und einer sozial und kulturell bedingten Konstitution des Geschlechts, was die Vermutung über die Existenz eines naturbedingten Wesens der Geschlechter ausschließt. Die jeweilige Rolle von Mann und Frau in einem bestimmten historischen Kontext konstituiert sich gemäß des sexlgender-Systems aufgrund der soziokulturellen Konditionen und nicht aufgrund der angeborenen biologischen Beschaffenheit. So wird diskursanalytisch verfahren, um das gesellschaftliche Machtgeflecht mit seinen verschiedensten Faktoren, das auf die Frau im 18. Jahrhundert konstitutiv gewirkt hat, zu beleuchten. 3

3

Vgl. Foucault (1976: 113-124), Osinski (1998), die sich kritisch aus historischer und systematischer Sicht mit der feministischen Literaturwissenschaft auseinandersetzt und undogmatische Perspektiven für zukünftige Forschungen formuliert, und Bußmann/Hof (1995). Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf Theorien, die auf eine Auflösung der sexIgender-Yj&egorim verweisen, da diese Differenzierung davon ausgeht, daß es den geschlechtlichen Körper an sich - also zwei als natürlich wahrgenommene, biologische Geschlechtskörper - gibt und dieser nicht auch schon soziokulturell vermittelt ist, vgl. z.B. Butler (1991) und Laqueur (1992). Vgl. darüber hinaus das kritische Resümee zu den Gender Studies als ein Projekt der Postmoderne von Lau (1998).

19

2. Der Romanbegriff 2.1 Die aktuelle Forschung über den Roman im 18. Jahrhundert Die These von der "[...] Epoche ohne Roman [...]"4 kann nicht länger aufrecht erhalten werden. Dies belegen sowohl das hier zusammengestellte Textkorpus5 als auch die jüngsten Veröffentlichungen, wie etwa die Gesamtdarstellungen von Ferreras, Älvarez Barrientos und Barjau Condomines sowie die von Carnero oder Garcia Lara herausgegebenen Kongreßakten zum Roman des 18. Jahrhunderts.6 Gerade in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist nach einer langen Periode der Stagnation ein bemerkenswerter Aufschwung der Gattung zu konstatieren.7 Diese Entwicklung läßt jedoch keinen Vergleich mit der Blüte des Romans im Siglo de Oro zu, da mittels der novela picaresca und des Don Quijote von Cervantes entscheidende Impulse für die Gattung von Spanien in andere europäische Länder ausgehen, vielmehr erfährt die Einflußnahme in der Epoche der Aufklärung einen Richtungswechsel, insofern als nun der spanische Roman ausländischen Einflüssen unterliegt. Vor allem der französische Roman erhält innerhalb der Romania Modellcharakter. Spanien ist zwar dem Einfluß sowohl französischer als auch englischer Vorbilder8 - meist in französischer Übersetzung rezipiert - ausgesetzt, doch die spanischen Autoren besinnen sich auch auf die eigene Tradition der Gattung und so entsteht ideologisch wie thematisch ein genuin spanischer aufklärerischer Roman. Ein entscheidendes Manko der bisher vorgelegten Studien zum spanischen Roman des 18. Jahrhunderts besteht jedoch darin, keine eindeutige Definition

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7

8

Tietz (1986). Vgl. die Bibliographie der vorliegenden Untersuchung unter 1.1.1. Vgl. Ferreras (1987), Älvarez Barrientos (1991a), Barjau Condomines (1992), Carnero (1995c), Garcia Lara (1998a), aber auch die Pionierarbeit von Brown (1943). Vgl. auch den Aufsatz von Rodrigo Mancho (2000), der ein Indiz dafür ist, daß die Erforschung der novela im 18. Jahrhundert noch lange nicht als abgeschlossen gelten kann. Vgl. außerdem zur Entwicklung der Gattung Roman im 18. Jahrhundert in Spanien: Rodriguez (1985). Mit diesen Ausfuhrungen soll jedoch nicht die Behauptung aufgestellt werden, daß die spanische Romanproduktion des Zeitalters der Aufklärung quantitativ mit der französischen konkurrieren könnte. Die für diese Untersuchung unter einem themenspezifischen Gesichtspunkt ausgewählten Romane sind größtenteils sogar erst im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts entstanden. Vgl. u.a. Aguilar Pifial (1992), Garcia Lara (1996).

20 von novela vorauszuschicken, die als Maßstab für die gesamte Abhandlung gelten könnte, bzw. den Terminus nicht erst einmal zu problematisieren. 9 Die meisten Literaturwissenschaftler bleiben bisher der Ebene der Textinventarisierung verpflichtet, was durch die lange Phase der Mißachtung des spanischen 18. Jahrhunderts zu erklären ist.10 So kommt es zu willkürlich erscheinenden bzw. widersprüchlichen Aussagen, die dem Anspruch der Titel, die die jeweiligen Studien zum Roman tragen, zuwiderlaufen und den Leser ratlos zurücklassen." Wenngleich die Untersuchung La novela española 17001850 von Brown fast ein halbes Jahrhundert zählt und zwangsläufig in einigen Punkten überholt ist, darf sie trotz neuester Forschungen nicht vernachlässigt werden. Denn Brown leitet sein Werk durch definitorische Überlegungen zur novela ein, die auch die Besonderheiten der literarischen Epoche berücksichtigen. Es handelt sich demnach um Werke, die in Prosa verfaßt sind, den Charakter einer "'historia ficticia"'12 von gewisser Länge haben und für die Unterhaltung eines großen Lesepublikums bestimmt sind. Unter diese Definition fallen alle Werke, die unter verschiedenen Gattungsbezeichnungen veröffentlicht worden sind, wie "'Historia', 'Aventuras', 'Anécdotas' etc." 13 . Bezüglich des Werkumfangs verfährt Brown deshalb großzügig, da die Unterscheidung zwischen novela, novela corta und cuento im 18. Jahrhundert noch nicht ausreichend fixiert ist.14 Diese Offenheit seiner Begriffsdefinition ist keineswegs

9

10

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Lediglich ein Ansatz zur Begriffsproblematisierung von novela findet sich bei Juan Ignacio Ferreras unter der Überschrift "Consideraciones en torno al concepto de novela en el último tercio del XVIII", Ferreras (1987: 87-99). Eine erste große Studie zur spanischen Aufklärung, die zu einem besseren Verständnis der Epoche beigetragen hat, geht auf die französische Hispanistikforschung zurück, vgl. Sarrailh (1954). Jedoch setzt eine intensive Erforschung erst in den siebziger Jahren ein. Vgl. zu dieser Problematik auch Tietz (1980). Vgl. etwa Álvarez Barrientos (1991a). In seiner Untersuchung ignoriert er - wie auch andere Forscher - beispielsweise die Cartas marruecas von Cadalso. Es ist erstaunlich, daß erst Pérez Magallón (1995) die Cartas marruecas uneingeschränkt der Form des Briefromans zuordnet. Weitere Widersprüche entstehen, wenn Álvarez Barrientos (1991a: 43, 53, 79) von den Werken Historia de Liseno y Fenisa [sie] (1701) und Morir viviendo en aldea [sie] (1737) als novela spricht und kurz darauf erklärt, daß in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts keine novela existiert habe. Ebenso vermißt man als Leser Argumente, wenn Álvarez Barrientes (1991a: 130) einem Forscher in bezug auf das Werk La acción de gracias a doña Paludesia lapidar widerspricht: "[...] pero en realidad no es una novela [...]". Vgl. auch die kritische Rezension von Tietz (1994). - Vgl. ebenfalls die Rezension zu Carnero (1995b) von

Mesenhöller(1998). 12 13 14

Brown (1953: 14). Brown (1953: 12). Vgl. Brown (1953: 12-14).

21 ungerechtfertigt, denn sie trägt der Natur dieses Genres Rechnung: Der Roman unterliegt einer unaufhörlichen Entwicklung und speist sich aus den verschiedensten Quellen. 15 Brown selbst schreibt: "A las dificultades inherentes a la vaguedad natural de límites de la novela como género literario, había que añadir otras propias del período que se estudia." 16 Mit diesen Worten spielt er nicht zuletzt auf die Tatsache an, daß es sich bei der novela im Gegensatz zum Epos oder zum Drama um eine Gattung handelt, die nicht dem traditionellen Gattungssystem angehört. Gerade diese weitgefaßte Definition wird also den literarischen Gegebenheiten im Spanien des 18. Jahrhunderts gerecht. Denn ein Fehler der neuesten Forschung könnte zumindest stellenweise darin bestehen, im Vergleich mit den anderen europäischen Ländern pauschalisierend zu konstatieren, daß das Genre Roman im 18. Jahrhundert in Spanien unterentwickelt bzw. nicht existent ist, ohne die genuin spanische Entwicklung der Gattung und das entsprechende Textmaterial ausreichend und unvoreingenommen zu berücksichtigen. Der Entwicklungsprozeß in Spanien ist zwar in engem Zusammenhang mit der Dominanz der katholischen Kirche und demzufolge mit einem verzögerten Säkularisierungsprozeß zu sehen, 17 gleichwohl läßt sich in den Romanen der Zeit ein bisher meist unterschätztes Potential an Modernität entdecken. 18 Vor dem Hintergrund solcher Divergenzen erscheint es notwendig, systematischer als bisher zu untersuchen, was man im 18. Jahrhundert unter dem Begriff novela versteht. Es wird also zunächst die lexikalische Bestimmung des Begriffs im 18. Jahrhundert ermittelt, und anschließend erfolgt die Analyse poetologischer Überlegungen jener Zeit. 19 Nur dieses Verfahren gewährleistet, daß der novela-Begriff des 18. Jahrhunderts angemessen behandelt und verstanden werden kann. Auf der so erarbeiteten Basis wird eine für diese Untersuchung geltende Romandefinition formuliert.

15 16 17

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Vgl. Bachtin (1979: 209-210), Bachtin (1989: 210-214, 230, 243). Brown (1953: 12). Vgl. zu diesem Diskussionspunkt Tietz (1992). Zur Bedeutung spanischer Romanautoren im historischen Kontext des 18. Jahrhunderts vgl. Carnero (1992b: 248). Vgl. zum allgemeineren Themenkomplex der Aufklärung in Spanien u.a. Abellán (1986), Caso González (1991). Vgl. auch Jacobs (1997), Jacobs (2001). Vgl. auch Checa Beltrán (1996). Vgl. auch die Ansätze poetologischer Annäherungen bei Álvarez Barrientos (1983), Álvarez Barrientos (1990a), Álvarez Barrientos (1991).

22

2.2 Begriffsbestimmung des Romans im 18. Jahrhundert Das diffuse Bild, das im 18. Jahrhundert vom Roman vorherrscht, zeigt sich bereits, wenn man die Wörterbücher der Epoche konsultiert. Im Diccionario de Autoridades der Real Academia Española versteht man unter novela eine aus gewöhnlichen, realen oder wahrscheinlichen Fällen erdichtete und zusammengesetzte Geschichte. 20 Diese Definition ist wertneutral und allgemein gehalten. Aus dem unmittelbar folgenden Lemma geht hervor, daß es sich auch um ein Synonym für Fiktion oder Lüge handeln kann, wobei nicht zwingend ein literarischer Kontext gegeben sein muß. 21 Fiktion ist definiert als Verstellung, Lüge oder dichterische Erfindung bzw. als Werk der Phantasie. 22 Hier ist bereits der Aspekt der Unwahrheit angesprochen, der negative Assoziationen hervorruft. Beide Erklärungen werden ein halbes Jahrhundert später im Diccionario de la lengua castellana der Real Academia Española unverändert wieder aufgenommen. 23 Der Eintrag aus dem Jahre 1787, der sich im Diccionario castellano con las voces de ciencias y artes y sus correspondientes en las tres lenguas francesa, latina é italiana von Terreros y Pando findet, erweitert das Spektrum erheblich und spiegelt poetologische Überlegungen der Epoche wider: [...] V. fábula, cuento, historieta; si la novela propone una idea mui perfecta se llama Epopeya, tales son la Iliada, y Ulisea de Homero; si propone una idea de la vida civil con artificiosos enredos y solucion injeniosa es comedia; si la vida que representa es pastoril se llama Egloga, tal es la Galatea de Cervantes: si en la novela se prehenden acremente las costumbres será sátira; si las costumbres se representan ridiculas la novela será entremes; si representan los vicios amables declinan en milesias; la novela psaltica es un cantar, ó romance [...]. 24

Als Synonyme für novela gelten fábula, cuento und historieta. Fábula wird in einem ersten Eintrag erklärt mit cuento, novela bzw. narrativa falsa, embuste. Gemäß den beiden folgenden Lemmata bezeichnet der Begriff fábula auch die möglicherweise wahre Handlung von Epen, dramatischen Gedichten, Romanzen, Ritterromanen 25 oder von antiken Mythen, denen meist ein didaktischer

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"[...] Historia fingida y texida de los casos que comunmente suceden, ö son verisímiles [...]." Diccionario de la lengua castellana (2. Bd., 1732/1963: 683). "[...] Se toma assimismo por ficción ö mentira en qualquier materia [...]." Diccionario de la lengua castellana (2. Bd., 1732/1963: 683). Vgl. Diccionario de la lengua castellana (2. Bd., 1732/1963: 159). Vgl. Diccionario de la lengua castellana (1780/1991: 652). Terreros y Pando (2. Bd., 1787/1987: 675-676). Mit dieser Untergattung verbindet sich Unwahrscheinliches, Phantastisches, Müßiggang und Unwissenheit. Vgl. Terreros y Pando (3. Bd., 1788/1987: 389).

23 Charakter zugesprochen wird. Je nach Länge könne ein Mythos auch ohne Bedeutungsveränderung cuento oder novela genannt werden.26 Cuento steht in einigen Fällen für narrativa inútil und discurso despreciable. Ein weiterer Eintrag erklärt cuento neutral mit Geschichte.27 Historieta bezeichnet eine kleine Geschichte, die sich charakterisiere durch "mucho de amoroso, y finjido".28 Hieraus lassen sich zunächst folgende charakteristische Kennzeichen der novela ableiten: Sie hat erzählenden Charakter, ist unwahr, betrügerisch, erdichtet, nutzlos, verwerflich, unterschiedlichen Ausmaßes und von Liebesdingen handelnd. Diese Charakteristika rufen überwiegend pejorative Konnotationen hervor. Die auf Fiktion basierende novela steht in Opposition zu historia, d.h. der auf Authentizität beruhenden Geschichtsschreibung bzw. der historischen Realität. Die den aufgeführten Synonymen folgende Erklärung des Begriffs zeigt, daß novela mit allen drei großen Gattungen in Verbindung gebracht wird: Epik, Lyrik und Dramatik. Es wird deutlich, daß die novela gerade durch ihre begriffliche Offenheit gekennzeichnet ist. So ist sie zwar einerseits aufgrund ihrer Ambiguität definitorisch schwer faßbar, andererseits verbinden sich mit ihr ungewöhnlich viele Ausdrucksmöglichkeiten und Funktionen. Der Begriff novela bezeichnet bei Terreros y Pando noch nicht eindeutig eine bestimmte Gattung. Mit den in der Definition von Terreros y Pando genannten Gattungen gehen jeweils unterschiedliche Inhalte und Zwecke einher. So kann die novela Epos,29 Schäferroman,30 milesia,31 novela psaltica32 Satire, comedia und entremés sein. Auffallend an dieser ausfuhrlichen Definition ist, daß sich mit fast allen 26 27

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Vgl. Terreros y Pando (2. Bd., 1787/1987: 140). Vgl. Terreros y Pando (1. Bd., 1786/1987: 572). Der Begriff Geschichte kann sowohl im historiographischen als auch im literarischen Sinne verwendet werden. Vgl. Terreros y Pando (2. Bd., 1787/1987: 297). Terreros y Pando (2. Bd., 1787/1987: 297). Das Epos gilt auch im 18. Jahrhundert als höchstrangige Dichtungsgattung. Vgl. Nerlich (1964: 1-5). Zwar ist in der Definition von der lyrischen Form der Ekloge die Rede, das angeführte Beispiel der Galatea zeigt jedoch, daß der Schäferroman gemeint ist. Es handelt sich um eine Geschichte, die nicht belehrt, sondern ausschließlich dem Zweck der Unterhaltung und Belustigung dient. Der Name geht auf die altgriechische Stadt Milet zurück, deren Bewohner in dem Ruf standen, den Freuden und Genüssen des Lebens zugeneigt zu sein. Vgl. Terreros y Pando (2. Bd., 1787/1987: 586). Die Erwähnung des cantar - im Unterschied zum Epos - im Zusammenhang mit der Romanze läßt darauf schließen, daß mit dieser Erklärung volkstümliche Dichtung gemeint ist. Die Übersetzung von romance als Ritterroman liegt in diesem Zusammenhang fern, da das Adjektiv psaltica an Psalmendichtung erinnert.

24

genannten literarischen Ausdrucksformen eine erzieherische und belehrende Funktion verbindet und damit der Aspekt der Nützlichkeit in den Vordergrund rückt. Untergattungen hingegen, wie entremés33 oder milesia, die belustigen sollen und denen der moralisch-didaktische Aspekt fehlt, werden abschätzig beschrieben. Der Begriff novela schwankt zwischen den Polen der Moral bzw. Unmoral, des Nützlichen bzw. des Unnützen, des Wahren oder Wahrscheinlichen bzw. der Lüge oder des Unwahrscheinlichen. Vor diesem Hintergrund, der durch die Definition der Real Academia Española, aber vor allem durch die von Terreros y Pando verdeutlicht werden konnte, wird die Entscheidung vieler Autoren verständlich, ihr Werk nicht als novela zu bezeichnen, sondern ihm möglichst einen Namen bzw. Titel zu geben, der bereits moralische Intentionen des Autors zu erkennen gibt. Aufgrund der Kontrolle, die durch die staatliche Zensur und die Inquisition gewährleistet wurde,34 war es für einen Autor des 18. Jahrhunderts offensichtlich problematisch, sich schon durch die Bezeichnung seines Werkes zu Aspekten zu bekennen, die die novela auch implizieren kann, wie Phantastisches oder die Liebesthematik um des Vergnügens willen.

2.3 Poetologische Theorien über den Roman in der spanischen Literatur des 18. Jahrhunderts Da der Roman, der literaturtheoretisch seit den klassischen Poetiken der Antike unberücksichtigt bleibt, sich noch nicht endgültig als eigenständige Gattung etabliert hat, existieren nur verstreut Aussagen zur novela?5 Feijoo vertritt die Auffassung, daß dieser Gattung nur dann ein Wert zukomme, falls mit ihr ein moralisch-didaktischer Zweck verfolgt werde.

33 34

35

Vgl. Terreros y Pando (2. Bd., 1787/1987: 59). Vgl. u.a. Defourneaux (1973: 38-104), Zavala (1983), Domergue (1. Bd., 1985), Zavala (3. Bd., 1985), Aguilar Pinal (1988b). Zavala stellt in ihren Aufsätzen die These auf, daß Zensur und Inquisition die Entwicklung der Gattung Roman entscheidend beeinträchtigt haben. - Weitere Erkenntnisse über die Gattung Roman im 18. Jahrhundert könnten eventuell auch durch eine systematische Auswertung der Schriftstücke der staatlichen und kirchlichen Zensur gewonnen werden. Da mit dieser Untersuchung nicht das Ziel verfolgt wird, eine umfassende Poetik des Romans im 18. Jahrhundert zu verfassen, werden im folgenden nur die Autoren im Original behandelt, die bisher noch keine eingehende Beachtung fanden. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Barjau Condomines (1983), Älvarez Barrientos (1991a) und Checa Beiträn (1998: 260-265).

25 Grundsätzlich beurteilt er die novela, die nur bei ungebildeten und frivolen Zeitgenossen Anklang finde, eher abschätzig und stuft sie vor allem für die Jugend als schädlich ein.36 Auch sein Zeitgenosse Mayáns y Sisear betont besonders den Aspekt der Belehrung, den die novela verfolgen müsse.37 Immer wieder versuchen Theoretiker, zwischen der novela und den traditionell akzeptierten Gattungen, z.B. der comedia, Tragödie und dem Epos, Parallelen zu ziehen bzw. Unterschiede zu entdecken.38 Antonio Burriel etwa behandelt Mitte der fünfziger Jahre die verbreitete Problematik, ob eine Verbindung zwischen novela und Epos besteht, wobei Burriel diese ablehnt und die novela ausdrücklich aufgrund ihrer mangelhaften Imitationskraft gegenüber dem hochrangigen Epos abwertet.39 Gegen Ende des Jahrhunderts versucht beispielsweise Juan Andrés, den Unterschied zwischen romance und novela hinsichtlich des Umfangs zu definieren.40 Vor diesem Hintergrund bestätigt sich, daß die von Terreros y Pando formulierte Definition den Geist der Zeit widerspiegelt. Diese terminologische Unsicherheit steht in Zusammenhang mit den Veränderungen und Entwicklungen innerhalb der verschiedenen Gattungen. Romanprologe ergänzen die bisher gewonnenen Erkenntnisse über den Begriff novela,41 So äußert sich die Mehrzahl der hier berücksichtigten Autoren explizit im Vorwort sowie implizit im Titel - wenngleich hier oft nur mit wenigen Worten - hinsichtlich der Funktion und Intention ihres Werkes, das sie, wie es die zeitgenössischen Wörterbuchdefinitionen, aber auch die verbreitete skeptische Einstellung gegenüber dem Roman vermuten lassen, unterschiedlich benennen. So werden Werke vielfach während des gesamten 18. Jahrhunderts mit historia tituliert, teilweise auch noch adjektivisch ergänzt.42 Die Ambiguität dieses Begriffes, mit dem zunächst die kunstvolle Darstellung historischer Tatsachen assoziiert wird, dann erst die Erzählung erdichteter, aber wahrscheinlicher Begebenheiten, erlaubt es, den Fiktionscharakter zu verschleiern und den Anschein historischer Faktizität zu erwecken. Die

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37

38

39 40 41

42

Vgl. die Ausführungen von Almanza (1981: 200-203) und Checa Beltrán (1992: 15) zu Fray Benito Jerónimo Feijoo y Montenegro. Vgl. die Ausfuhrungen von Pérez Magallón (1986/87: 361) zu Gregorio Mayáns y Sisear. Vgl. Checa Beltrán (1992: 17) und die Ausführungen von Pérez Magallón (1986/87: 357-362) zu Gregorio Mayáns y Sisear. Vgl. die Ausfuhrungen von Checa Beltrán (1992: 16) zu Antonio Burriel. Vgl. die Ausfuhrungen von Checa Beltrán (1992: 15) zu Juan Andrés. Zur Bedeutung des Romanvorwortes für die Charakterisierung des Genres vgl. Bachtin (1989: 216-217). Gutiérrez de Vegas (1778/1779/1781/ [2] 1800), Parraga Martel de la Fuente (1701), Rejón de Silva y Lucas (1781), Ribero y Larrea (1792/1793/1800).

26 eindeutigere Bezeichnung novela ejemplar, novela moral bzw. novela findet sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts bei Madramany y Calatayud, Sabiu, Martínez Colomer, Mor de Fuentes und Valladares de Sotomayor. 43 Im Vorwort zu Cornelia Bororquia wird die Bezeichnung novelita verwendet, was als Hinweis auf den relativ geringen Umfang dieses Briefromans verstanden werden kann. 44 Auffällig ist auch die an das Epos erinnernde Benennung poema, wie sie von Merino de Jesucristo im Titel gebraucht wird und von Ribero y Larrea sowie von Montengón im Vorwort. 45 Letzterer hat sein Werk El Rodrigo in diesem Sinne im Originaltitel durch den Zusatz Romance épico ergänzt. 46 Hier zeichnet sich deutlich ein poetologischer Wandel ab, denn hinter diesen Titulierungen, die auf die traditionelle Gattung des Epos verweisen, verbirgt sich die unkanonische Gattung novela, die sowohl formal als auch inhaltlich vom Epos abzugrenzen ist. Des weiteren entdeckt man folgende Titulierungen: memorias bzw. anécdotas bei García Malo, was eventuell bereits auf den belehrenden, exempelhaften Charakter der einzelnen novelas anspielen soll, und in Anlehnung an die dramatische Gattung teatro moral bei Zavala y Zamora, wodurch der Leser ebenfalls auf eine moralisch-didaktische Präsentation vorbereitet wird. 47 In einigen Fällen gibt ein ausfuhrlicher Titel auch Aufschluß über die Binnenstruktur eines Werkes, die mit Begriffen wie libros bzw. sátiras bei Gutiérrez de Vegas oder discursos bei Parraga Martel de la Fuente definiert wird - als Oberbegriff wird in beiden Fällen die bewährte, historische Realität suggerierende Bezeichnung historia eingesetzt. 48 Nicht nur die Wörterbuchdefinitionen der Zeit, sondern auch die Romanbezeichnungen lassen eine Annäherung der novela an diverse andere Gattungen erkennen. Den Romanciers gelingt es durch die im Titel verwendeten Termini, moralisch-didaktische Anliegen oder auch die Wahrhaftigkeit des Textes zu betonen. Die Romanautoren stellen sich tendenziell in die klassizistische Tradition, denn sie rekurrieren direkt oder indirekt fast ausnahmslos auf den in seiner Poetik formulierten Gedanken von Horaz, daß die Dichtung entweder nützen oder

43

44 45

46 47 48

Madramany y Calatayud (1795/ 2 1827), Sabiu (1797), Martínez Colomer (1790/ 2 1804), Mor de Fuentes (1798/1959), Valladares de Sotomayor (1797/1807). Gutiérrez (1801a/1987: 61). Merino de Jesucristo (1786/ 2 l 786), Ribero y Larrea (1800: [6]), Montengón (1. Bd., 1793/1990: 217). Vgl. hierzu auch die theoretischen Ausführungen von Cruz Casado (1988: 313-314). Montengón (1. Bd., 1793/1990: 215). García Malo (1787) bzw. Zavala y Zamora (1805/1992: 62). Gutiérrez de Vegas (1778/1779/1781 / [2] 1800) bzw. Parraga Martel de la Fuente (1701).

27 erfreuen soll

oder aber sowohl

das Nützliche

als auch

das

Angenehme

miteinander verbindet. 49 Gerade die Verknüpfung beider Aspekte wird von den meisten Romanciers betont. Valladares de Sotomayor und Martinez Colomer befassen sich ausfuhrlicher mit theoretischen Aspekten der

novela?0

Valladares de Sotomayor, der mit Blick auf sein gesamtes literarisches Schaffen vor allem ein Bühnenautor ist, behandelt die novela in seinem Prolog zu La

Leandra

als

selbständige

Gattung. 51

Überlegungen, die sich auch an der Poetik

So

geben

seine

poetologischen

des Aristoteles und damit an der

Theorie des Epos und des Dramas orientieren, differenzierter Auskunft über Charakteristika

und

Funktionen

des

Romans

als

die

Definitionen

der

Wörterbücher. Entscheidend ist zudem, daß der Autor diese literarische Form positiv beurteilt, wenngleich auch er sie noch moralisch rechtfertigt. Die einleitenden Worte von Valladares de Sotomayor verdeutlichen, daß es eine zeitgenössische Diskussion um die novela gegeben hat und sich begeisterte Befürworter und entschiedene Gegner gegenüberstanden. novela

Er vergleicht

die

hinsichtlich ihres Aufbaus, Umfangs und ihres Gegenstands bzw. ihrer

Intention mit dem Epos und weist damit den Vorwurf der Frivolität dieser Gattung zurück. Doch Valladares de Sotomayor beläßt es nicht bei diesem Vergleich, sondern er erhebt - im Gegensatz zu Antonio Burriel dreißig Jahre zuvor -

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50

51

die novela

über das Epos, da diese seiner Auffassung nach noch

Martínez Colomer (1792/1985: 51) beruft sich direkt auf Horaz. Ebenso schicken Parraga Martel de la Fuente (1701: unpag.), Rejón de Silva y Lucas (1781: II), Merino de Jesucristo (1. Bd., 1786/ 2 1786: XXXVI), Madramany y Calatayud (1795/ 2 l 827: V), Valladares de Sotomayor (1. Bd., 1797: 14-15), García Malo (1787: unpag. bzw. 1787/1792/1995: 135-136) - in dieser modernen Edition von 1995, die auf der Fassung von 2 1803 basiert: namentliche Erwähnung von Horaz - und Martínez Colomer (1790/ 2 1804) ihrem Werk den Wunsch voraus, daß es den Leser angenehm unterhalten möge und ihm zugleich von Nutzen sei, ohne jedoch Horaz namentlich zu erwähnen. Mufloz (1737), Montengón (1786/1788/1984) - und auch Montengón (1. Bd., 1793/1990: 215, 217) implizit aufgrund der Gattungsbezeichnung romance épico bzw. poema - sowie Ribero Larrea (1. Bd., 1792/1979) betonen hingegen den Aspekt des moralischen Nutzens. Die novela wird nicht nur in den Romanprologen verteidigt, sondern auch in den Texten selbst. Eine Reflexion der Gattung Roman innerhalb eines Romans ist beispielsweise in La Serafina enthalten, vgl. Mor de Fuentes (1798/1959: 69-70). Der Protagonist Alfonso ist bestrebt, dem Genre Ansehen zu verschaffen, denn er stellt fest: "Las novelas serán siempre las obras más interesantes, porque halagan la pasión más connatural e inherente al corazón humano.", Mor de Fuentes (1798/1959: 69). Auch in dem Roman Los viages de Enrique Wanton ist diese Autoreferenz auf die Gattung Roman festzustellen, vgl. Vaca de Guzman (3. Bd., 1778/1785: 51). Valladares de Sotomayor (1. Bd., 1797: 3-16).

28 geistreicher, vielseitiger und moralischer ist. Für Valladares de Sotomayor unterscheiden sich novela und Epos 52 lediglich durch die Prosa- bzw. Versform, womit er jede qualitative Unterscheidung ausschließen will. Jedoch scheinen sich seine Ideen noch nicht durchgesetzt zu haben, denn er fragt: "Luego siendo tan difícil, como celebrado un buen Poema, ¿qué razón hay para que no logre el mismo aplauso una Novela perfectamente concluida?" 53 Er nennt folgende Charakteristika, die eine novela in sich vereinen muß, um diesen Namen überhaupt zu verdienen. Ihr Entwurf soll geistreich, mannigfaltig und voller Feuer sein und die Kunst beherrschen, den Leser zu überzeugen und zu bewegen. Gerade den Verfasser von Romanen, so zitiert Valladares de Sotomayor einen klassischen englischen Autor, zeichnen Einbildungskraft, Verstand, Kenntnis der Welt und der Leidenschaften sowie ein besonderes Talent aus. Er beruft sich hier vermutlich auf Samuel Richardson (1689-1761), den er bereits eingangs lobend erwähnt. Die moralische Unterweisung der novela muß so feinsinnig konzipiert sein, daß sie auf angenehme Weise belehrt, verschiedene Lesertypen anspricht und bei diesen Wirkung erzielt. So soll sie den Gleichgültigen begeistern, den Hartherzigen überzeugen und mit ihrer Kraft den Unvernünftigen der Vernunft unterwerfen. Große Bedeutung wird dem Aspekt der Wahrscheinlichkeit hinsichtlich des Romanaufbaus und seines Inhalts beigemessen. 54 Die Spannung muß bis zum Schluß aufrecht erhalten werden, damit der Leser das Interesse nicht verliert. 55

52

Auffällig ist, daß die Epos-Definition von Terreros y Pando - im Gegensatz zu Ignacio de Luzáns streng klassizistischen poetologischen Auffassung - Vers- und Prosaform für diese Gattung zuläßt, was ein Indiz dafür sein könnte, daß die Bezeichnung poema nicht nur für ein Epos gilt, sondern auch ftir längere fiktionale Prosatexte, die Valladares de Sotomayor eindeutig als novelas bezeichnet. Romantitel, wie der von Merino de Jesucristo (1786/ 2 1786) formulierte Poema. La muger feliz, dependiente del mundo y de la fortuna. [...] unterstützen diese These. Vgl. Terreros y Pando (3. Bd., 1788/1987: 167), Merino de Jesucristo (1786/ 2 1786) und die bestätigenden theoretischen Ausführungen hierzu von Cruz Casado (1988: 313-314).

53

Valladares de Sotomayor (1. Bd., 1797: 7). Vgl. in diesem Zusammenhang auch Álvarez Barrientos (1990b). Andere Autoren erachten den Aspekt der Wahrscheinlichkeit einer Geschichte ebenfalls als besonders wichtig, vgl. Merino de Jesucristo (1. Bd., 1786/ 2 1786: XL1I). Im Prolog zu diesem Roman wird außerdem die damit in Zusammenhang stehende Unterscheidung zwischen historia und poema problematisiert, und die Grenzen der dichterischen Freiheit eines Autors, der auf historische Figuren oder Ereignisse zurückgreift, werden diskutiert.

54

55

Vgl. zur poetologischen Bedeutung des interés im 18. Jahrhundert auch die Untersuchung von Urzainqui (1990) über die dramatische Gattung. Vgl. ergänzend

29 Doch gleichzeitig soll der Romanschriftsteller darauf bedacht sein, lasterhaftes Verhalten in so abschreckender Weise darzustellen, daß nur das tugendhafte Benehmen der Figuren eine bleibende Wirkung beim Rezipienten erzielt. Valladares de Sotomayor spielt hier auf die moralisch-didaktische Verantwortung des Autors an. Ein weiterer wichtiger, von ihm betonter Aspekt im Zusammenhang mit der poetologischen Forderung nach Wahrscheinlichkeit ist die konsequente Darstellung der verschiedenen Charaktere, die die novela repräsentiert, da sonst die in der Phantasie des Lesers entstandene Welt der Illusion zerstört wird und er das Interesse verliert. Die individuelle Charakterzeichnung also ist dem Autor insofern besonders wichtig, als sie die Aufmerksamkeit des Rezipienten aufrechtzuerhalten vermag. In Abgrenzung zum Epos bleibt für die novela festzuhalten, daß ihr Personeninventar nicht ausdrücklich auf eine bestimmte Gesellschaftsschicht beschränkt ist, was mit der aus niederen Verhältnissen stammenden Romanprotagonistin Leandra anschaulich demonstriert wird. So setzt sich Valladares de Sotomayor auch mit den verschiedenen Stilarten auseinander und spricht sich hinsichtlich der novela für die mittlere Stilebene aus. Nicht eine erhabene, schwere Ausdrucksweise wie bei der Tragödie sei anzustreben, sondern ein gefälliger und zugleich verständlicher Stil, der dem Leser Genuß bereite und auch der Belehrung diene. Moralische Reflexionen dürfen nach Valladares de Sotomayor deshalb nicht langatmig sein und den gesamten Text überlagern, da sonst die Lektüre mühsam wird. Hier ist Kürze gefordert, die die Einprägsamkeit moralischer Gedanken fördert. Die Anlage der novela darf also weder trivial noch weitschweifig sein, sondern dergestalt, daß der Leser angeregt in ihren Bann gezogen wird. Der Autor verweist, wohl in der Absicht, die unkanonische Gattung zu legitimieren, auf die eigene nationale Romantradition des Siglo de Oro, also auf den Schäfer-, Schelmen- und Abenteuerroman, sowie auf französische und englische Vorbilder. Offensichtlich strebt er eine Synthese von traditionellen und modernen Romanelementen an, was nicht zuletzt sein Roman selbst, La Leandra, formal und inhaltlich bestätigt. Auffällig ist die Tatsache, daß er im Gegensatz zu der Romantheorie Huets von 1670, die die nachfolgenden Generationen prägte, die Liebesthematik als entscheidendes Charakteristikum des Romans nicht ausdrücklich erwähnt,56 wenngleich diese in seinem Werk fast kontinuierlich eine Rolle spielt. Vermutlich ist ihm daran gelegen, nicht die Aversion der Zensoren zu provozieren, die Themen wie Liebe und Leidenschaft argwöhnisch gegenüberstehen. Insgesamt aber lassen seine theoretischen Darlegungen eine

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auch Knabe (1972: 330-338). Valladares de Sotomayor wendet hier einen neuen ästhetischen Begriff auf die nicht kanonische Gattung Roman an. Vgl. Huet( 1670/1966: 4-5).

30 geistige Verwandtschaft zu Huets früher Verteidigungsschrift des Romans erkennen, der sich im übrigen ebenfalls an den poetologischen Überlegungen der antiken Dichter orientiert. 57 So formuliert Valladares de Sotomayor abschließend die Funktion der novela noch einmal, indem er seiner Hoffnung Ausdruck gibt, daß sein Roman zumindest folgenden Effekt habe: Er soll dem Leser von Nutzen sein, ihn belehren und ihn angenehm unterhalten. Obgleich Valladares de Sotomayor mit dem klassischen Horazischen Topos endet, 58 ist sein Vorwort als Apologie der unkanonischen Gattung novela zu lesen, die sich vor allem an poetologischen Prinzipien des Dramas orientiert. 59 Der Franziskanermönch Martínez Colomer 60 greift im Prolog zur zweiten Auflage seiner Novelas morales ebenfalls die literarischen Veränderungen seiner Zeit auf, von denen er sich jedoch im Gegensatz zu Valladares de Sotomayor klar distanziert. Er stellt fest, daß das Epos früher uneingeschränkt als höchste Form der Dichtkunst galt, mittlerweile aber die novela gleiche oder größere Wertschätzung erfährt und äußert seine Bedenken: "¿Este modo de pensar no amenaza un trastorno universal en la literatura?" Diese Neubewertung der novela relativiert der Autor für sich selber, indem er schreibt: "[...] sabia en fin que una Novela no es mas que una Novela en la que todo tiene disculpa, con tal que la ficción entretenga honestamente á los lectores." Als Charakteristikum wird festgehalten, daß die novela den Leser auf sittsame Weise unterhalten soll, wodurch die angedeutete Freiheit "en la que todo tiene disculpa" unverzüglich in ihre Schranken gewiesen wird. Dies beansprucht er für sein Werk und betont abschließend den möglichen Nutzen, den seine Leserschaft vielleicht aus der Lektüre ziehen kann. Der gesamte Prolog ist - dem Bescheidenheitstopos entsprechend - als Entschuldigung des Autors für seine mangelnde Kunstfertigkeit in früheren Jahren zu lesen. Nur die begeisterte Aufnahme beim Publikum habe ihn zu dieser zweiten Edition im Jahre 1804 veranlaßt. In

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59

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Vgl. Huet (1670/1966: 3-99) und auch Zmegac (1990: 32-37). Vgl. u.a. auch Álvarez de Miranda (1992: 304-306) zur Bedeutung der utilidad für das literarische Schaffen im 18. Jahrhundert. Ähnlich moderne poetologische Ansichten zur Gattung Roman formuliert bereits 1781 Fernando Gutiérrez de Vegas im Prolog zum dritten Teil des Romans Los enredos de un lugar, vgl. Álvarez Barrientos (1993: 42-43). Dieser Prolog ist dem Band der hier benutzten zweiten Auflage von 1800 nicht mehr vorangestellt worden und kann deshalb nicht ausfuhrlicher behandelt werden. Martínez Colomer (1790/ 2 1804: unpag. [neunseitiger Prolog]). Die erste Edition erschien unter weiblichem Pseudonym mit dem Titel Nueva colección de novelas ejemplares publicadas por doña Francisca Boronat y Borja, [1790], vgl. Aguilar Piñal (5. Bd., 1981/1999: 491-493).

31 ähnlicher Weise äußert Martínez Colomer Jahre später im Vorwort zur vierten Auflage im Jahr 1816 sein Erstaunen ob des Publikumerfolges seines Romans El Valdemaro.6i Da er dieses Werk eindeutig als novela bezeichnet, lassen sich seine bereits im Prolog zur ersten Auflage von 1792 dargelegten poetologischen Äußerungen - die gewagter sind als zu Beginn des 19. Jahrhunderts - auf diese Gattung beziehen.62 Unter Berufung auf Horaz stellt er fest, daß ein empfehlenswertes Werk Vergnügen und Nutzen in sich zu vereinen hat. Charakteristika einer gelungenen und von Wahrscheinlichkeit geprägten fábula dieser Ausdruck steht bei Terreros y Pando als Synonym für novela - sind seiner Auffassung nach geistreiche Episoden, gute Charakterisierungen der Personen, lebendige Erzählweise, vorzüglich ausgefeilte Ausdrucksweise etc. Dies beansprucht er jedoch nicht für sich, da ihm, so schreibt er - wohl mit einem Augenzwinkern - , aufgrund seiner weltlichen Abgeschiedenheit als Mönch wichtige Voraussetzungen gefehlt haben, wie "[...] la amable libertad del genio [.,.]"63 und die Welt als Inspirationsquelle. Hier spielt Martínez Colomer auf die große Bedeutung der uneingeschränkten Phantasie für die Kreation einer novela an. Der Autor legt aufgrund der Umstände zwangsläufig den Schwerpunkt auf den Nutzen64 seines Werkes, dem er jedoch nicht jegliches Lesevergnügen abspricht. Das Publikum aber teilt seine Bedenken offensichtlich nicht, wie er selbst im Vorwort zur vierten Auflage feststellt. Obgleich der Begriff novela im gesamten 18. Jahrhundert eher pejorative Konnotationen auslöst, wandelt sich doch die Bewertung dieser literarischen Form im Laufe der Zeit. Diese Entwicklung läßt sich sowohl in den Romanprologen als auch in weiteren theoretischen Äußerungen, die sich nicht auf einen bestimmten Roman beziehen - wie von Juan Andrés und Santiváñez ablesen.65 Agustín García de Arrieta präsentiert 1797 eine umfassendere, positiv gefaßte novela-Definition, die folgende Aspekte enthält: Es handelt sich demnach um eine fiktive Geschichte bzw. Erzählung, kunstvoll in Prosa verfaßt - hinter diesem Charakteristikum verbirgt sich die Polemik, ob der in ungebundener

61 62 63 64

65

Martínez Colomer (1792/1985: 53). Martínez Colomer (1792/1985: 51 -52). Martínez Colomer (1792/1985: 51). Deshalb habe er besonderen Wert darauf gelegt, die göttliche Vorsehung zu thematisieren, vgl. Martínez Colomer (1792/1985: 52). Vgl. zur Gattungsdiskussion auch Tietz( 1994b). Vgl. die Ausführungen von Sánchez García (1987) zu Vicente Maria Santiváñez und von Checa Beltrán (1992: 15-16) zu Vicente María Santiváñez und Juan Andrés. Vgl. auch die Verteidigung der novela als literarische Gattung, die sich besonders gut eigne, Laster, Tugenden, Leidenschaften, Sitten etc. einer bestimmten Nation und Epoche darzustellen, Testamento político del filósofo Marcelo (1774/1991: 62-63).

32 Sprache verfaßten novela überhaupt ein literarischer Wert zukommen könne von vielfältiger Themenauswahl, die für den Leser unterhaltsam und lehrreich ist.66 So wird noch einmal deutlich, welche Rolle das klassische Konzept des Horaz für den Roman spielt. Gerade im ausgehenden 18. Jahrhundert ist die Bewußtwerdung eines Wandels der Gattungen in der zeitgenössischen, theoretischen Diskussion festzustellen - ein Wandel, den die Literatur der Zeit bereits früher belegt.67 Der Roman beginnt innerhalb der Gattungstheorie, mit dem Epos zu konkurrieren und ihm seine traditionelle Vorrangstellung streitig zu machen.68 Auffällig ist, daß die expandierende Gattung novela zwar mit denselben grundlegenden - auf Horaz zurückgehenden - Argumenten gerechtfertigt wird wie das Epos,69 daß ihr jedoch formal und inhaltlich viel größere Freiheiten zukommen als dieser seit Jahrhunderten tradierten Gattung. Gleichwohl liegt so zumindest vordergründig die Betonung auf dem traditionellen moralisch-didaktischen Nützlichkeitsanspruch, der einhergeht mit der angenehmen Unterhaltung des Lesers. Dies bestätigt die bereits in Kapitel 1.2.2.2 gezogene Schlußfolgerung.70 Die Autoren versuchen, die Form der novela mit bewährten, prestigeträchtigeren Titelbezeichnungen bzw. mit jahrhundertealten Rechtfertigungsmaßnahmen zu schützen, um sie nicht der Gefahr eines Verbotes auszusetzen.71 Denn letztlich eignet ihr - unabhängig von der tatsächlichen Ausschöpfung durch die Autoren ein größeres Potential als das des reinen prodesse et delectare,72 worauf auch die vor allem in den Prologen enthaltenen ästhetischen Konzeptionen hinweisen. Man besinnt sich zum einen auf die Bedeutung des Begriffs der Wahrscheinlichkeit, der auf Aristoteles zurückgeht und in Frankreich in der doctrine classique eine entscheidende Rolle spielt, zum anderen werden auch neue ästhetische Begriffe bei dieser nicht kanonischen Gattung relevant, wie das

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Vgl. die Ausfuhrungen von Checa Beltrán (1992: 16) zu Agustín García de Arrieta. Vgl. auch zur poetologischen Entwicklung des europäischen Romans von den Anfangen bis ins 18. Jahrhundert Zmegac (1990: 1-78). Zu den Parallelen in der poetologischen Diskussion des 18. Jahrhunderts über den Begriff novela in Spanien bzw. den des romanzo in Italien vgl. Jacobs (2000). Das Verhältnis von historia und novela wird nur in Ansätzen diskutiert. Zum Epos vgl. Neriich (1964: 81 -117). Vgl. zum Verhältnis von Moralität und Roman auch Sánchez García (1998). Vgl. hierzu auch Checa Beltrán (1992: 15). Im Jahr 1799 wird die Publikation von novelas durch den Consejo de Castilla verboten.Wenngleich dieser Erlaß nicht mit aller Konsequenz umgesetzt wird, ist hierdurch doch eine Beeinflussung des künstlerischen Schaffens spanischer Autoren anzunehmen. Vgl. Montesinos ( 4 1982: 38), Álvarez Barrientos (1991a: 213-221), Tietz (1992: 228).

33 interés des Rezipienten oder die dem no sé que-Konzept zuzuordnende fantasía bzw. imaginación, also die die Vernunft ergänzende Einbildungskraft.73

2.4 Kennzeichen des Romans im 18. Jahrhundert Den Wörterbuchdefinitionen, den poetologischen Überlegungen, aber auch den Texten selbst folgend, besteht das unter dem Titel "Romane" zusammengestellte Textkorpus dieser Untersuchung aus fiktionalen Prosatexten, die in der Regel einen größeren Umfang haben. Belehrung, aber auch Unterhaltung der Leserschaft gelten als intendierte Funktionen des Romans. Das nicht kanonische Genus Roman wird zum pädagogischen Mittel stilisiert, um auf den Menschen einwirken zu können. Die Themenwahl bleibt der Phantasie des Autors überlassen, geht im Gegensatz zum Epos jedoch eher auf die alltägliche Lebenswelt zurück. So kommt dem Roman sowohl in formaler als auch in inhaltlicher Hinsicht eine viel größere Freiheit zu als allen bisher bekannten Gattungen, was das Mißtrauen und die Skepsis vieler Zeitgenossen erklärt.74 Denn eine normativ nicht völlig fixierte Gattung, die nicht die von Verfasser und Rezipienten fraglos akzeptierte Welteinheit des Epos garantiert, birgt die Gefahr in sich, heterodoxes Gedankengut relativ ungehindert in der Bevölkerung zu verbreiten und in dieser Hinsicht auch das theoretische Potential wie beispielsweise die Tektonik des Romans, erzähltechnische Mittel, nuancierte Charakterdarstellung, umfassende Darstellungsmöglichkeiten individueller Schicksale etc. entsprechend auszuschöpfen.75 Das für diese Untersuchung zugrunde gelegte Textkorpus und die theoretischen Gattungskommentare bestätigen die von Ferreras vorgenommene zeitliche Unterteilung. Er setzt den Beginn der novela moderna, die auf die novela clásica folgt, um 1780 an und bezeichnet die Autoren dieser Zeit als

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75

Vgl. Urzainqui (1990), Jacobs (1996b: 171-212), Jacobs (2001) und vgl. zu den genannten Schlüsselbegriffen ergänzend auch Knabe (1972). Valladares de Sotomayor (2. Bd., 1797/1807: 320-321) rundet seinen Prolog ab durch poetologische Äußerungen zur besonderen Bedeutung der imaginación als "productora de todas las artes", die er seiner Protagonistin Leandra im Romanverlauf in den Mund legt. Ferreras (1987: 98-99) verweist beispielsweise auf die Angst der "[...] antinovelistas censores del XVIII [...]" vor der Ausgestaltung des Themas amor pasión, denn: "Amor pasión y exacerbación del individualismo es una sola cosa [...]." Vgl. auch die Darlegungen von Zmegac (1990: 41-76) zur poetologischen Entwicklung des europäischen Romans im 18. Jahrhundert.

34

novelistas renovadores. Für den Roman bedeutet dies: "[...] la novela empieza a tener entidad, valor, personalidad propia."76

3. Kongruente Funktionen von Frauenbildern und Roman Geht man von der Annahme aus, daß die von Autoren entworfenen Frauenbilder auch auf die zeitgenössischen Leserinnen zurückwirken sollten,77 ist gerade die Wahl der Gattung des Romans naheliegend. Denn die im 18. Jahrhundert betont didaktische Funktion des Romans scheint kongruent mit der Funktion des Frauenbildes im allgemeinen zu sein. Das weibliche Geschlecht wird mittels bestimmter Frauenbilder beeinflußt, ihm werden verschiedenartige Identifikationspotentiale offeriert, die grundsätzlich einen stabilisierenden oder einen destabilisierenden gesellschaftlichen Zweck erfüllen können. Die potentielle Gestaltungsfreiheit der Gattung Roman gestattet ebenso, den intendierten Begriff der Belehrung und des damit verbundenen Nutzens in mehrfacher Hinsicht auszulegen, wenngleich auch die durch die Rahmenbedingungen der staatlichen Zensur und der Inquisition immer wieder gezogenen Grenzen berücksichtigt werden müssen. So soll die folgende Untersuchung auch prüfen, inwieweit trotz der beherrschenden patriarchalischen, traditionellen Strukturen alternative, neue Wege für die Frau des 18. Jahrhunderts - explizit oder implizit - von den Romanautoren auf inhaltlicher bzw. struktureller Ebene ihrer Werke präsentiert werden.

76

77

Ferreras (1987: 97). Zur weiteren Entwicklung der Gattung novela zu Beginn des 19. Jahrhunderts vgl. auch Ferreras (1973). Vgl. u.a. Stephan (1983: 19-20), Fischer/Kilian/Schönberg (1992: 22-23), Würzbach (1995: 143). Diese Annahme wird auch durch die Romanprologe bestätigt, die sich direkt an die Leserinnen wenden, z.B. Merino de Jesucristo (1. Bd., 1786/21786: XXI), Mufioz (1737: unpag.). Vgl. außerdem Schön (1990: 23), der die These von einem unmittelbaren Bedingungsgeflige zwischen einer weiblichen Leserschaft und der Gattung Roman im 18. Jahrhundert vertritt: "[...] Die Gattung und konkret ihre Neuentstehung als bürgerlicher Roman im 18. Jahrhundert konstituiert sich in der Rezeption fast ausschließlich durch weibliches Lesen. [...]".

II. DIE GESELLSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG UND DIE DISKUSSION ÜBER DIE FRAU 1. Die gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse und die ideologischen Bedingungen Im folgenden werden aktuelle Forschungsergebnisse der Geschichtswissenschaft aus verschiedenen Bereichen wie der Biologie, Medizin, Rechtswissenschaft, Ökonomie, Kultur und des Bildungswesens resümiert, um eine möglichst präzise Vorstellung von den wirklichen Lebensbedingungen der Frau in Spanien im 18. Jahrhundert und dem Zustand der Gesellschaft zu gewinnen. Erst dieser Hintergrund erlaubt es, sowohl die Diskussionen über das weibliche Geschlecht als auch die in den Romanen ablesbaren Frauenbilder einordnen sowie beurteilen zu können und damit Diskrepanzen zwischen diesen drei Bereichen - tatsächliche Rolle der Frau in der Gesellschaft, Diskussion über die Frau, Darstellung der Frau in einer fiktionalen Gattung - , offenzulegen und somit auch das Verhältnis von theoretischen Überzeugungen und praktischem Vollzug zu beleuchten. 1 In der sich anschließenden Darlegung wird bereits deutlich, daß sämtliche Lebensbereiche und die Mentalität der Menschen zu jener Zeit von einer orthodoxen theologischen Sichtweise, einem katholischen Weltbild, nachhaltig geprägt sind und so die Inferiorität und Sündhaftigkeit der Frau aufgrund jahrhundertelanger, traditionsreicher Bibelexegese und des entsprechenden religiösen Schrifttums legitimiert zu sein scheinen. Außerdem wird bereits in Ansätzen die Koexistenz des seit der Antike gültigen "Ein-Geschlecht-Modells"

Vgl. ergänzend zu Kapitel II Bolufer Peruga (1998) und speziell zu Kapitel II. 1 die im essayistischen Stil gehaltene Darstellung von Ortega Lopez (1997).

36 und des sich allmählich durchsetzenden "Zwei-Geschlechter-Modells" deutlich.2 Man wendet sich im Laufe des Jahrhunderts ab vom Rationalismus der cartesianischen Philosophie, die von einer radikalen Trennung von Körper und Geist ausgeht und somit den Intellekt keinen geschlechtsspezifischen Einschränkungen unterwirft, sondern in der Erziehung den entscheidenden Faktor sieht. Im 18. Jahrhundert nimmt vielmehr die Vermutung Gestalt an, daß die beiden Geschlechtscharaktere grundsätzlich verschieden sind und nicht der weibliche Körper ein Derivat des männlichen ist. Dies fuhrt zu einer Bestimmung der Geschlechterrollen aufgrund der anatomisch-biologischen Differenz und bestätigt die bestehende Gesellschaftsordnung.3 Die Dialektik dieser beiden Geschlechtermodelle und ihre spezifische Entwicklung in Spanien zeigen sich bei der Analyse der expositorischen Texte und der Romane.

1.1 Eine anthropologische Definition Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, was der Mensch ist, bietet die begriffsgeschichtliche Fokussierung folgende Definition der Frau im Vergleich zum Mann: Sie ist eine "[...] Criatura racional del sexo femenino [,..]"4 bzw. "[...] la hembra del hombre, ó de la naturaleza humana [,..]"5. Unter dem Lemma hombre finden sich die Bedeutungsvarianten Mensch und Mann wie folgt erklärt: [...] Animal racional, cuya estructura es recta, con dos pies y dos brazos, mirando siempre al Cielo. Es sociable, próvido, sagaz, memorioso, lleno de razón y de consejo. Es obra que Dios hizo por sus manos á su imagen y semejanza [...] y aunque el verdadero significado desta voz comprehende hombre y muger, en Castellano se toma regularmente por el varón [,..]6

bzw. [...] Animal racional [...] y como contrapuesto á la mujer [,..]7

Bemerkenswert ist, daß die Definitionen im Wörterbuch der Real Academia Española die menschlichen Eigenschaften, in erster Linie die Vernunftbegabtheit,

2 3

4 5 6 7

Laqueur (1992). Vgl. Laqueur (1992), der die Entwicklung der beiden Geschlechtermodelle eingehend untersucht, und auch die informative Übersicht 'Die Geschichtlichkeit von Genus' von Schabert (1995: 167-180). Vgl. in diesem Zusammenhang auch Hausen (1976). Diccionario de la lengua castellana (2. Bd., 1732/1963: 626). Terreros y Pando (2. Bd., 1787/1987: 635). Diccionario de la lengua castellana (2. Bd., 1732/1963: 168). Terreros y Pando (2. Bd., 1787/1987: 301).

37 nicht allein dem Mann zuweisen, sondern auch der Frau explizit zusprechen. Diese wird nur durch ihr Geschlecht vom Mann unterschieden. Gleichwohl wird die grundsätzliche Egalität beider Geschlechter durch den Nachsatz eingeschränkt, der Gebrauch von hombre beziehe sich gewöhnlich auf den Mann. Diese Erläuterung sollte jedoch nicht überbewertet werden, da sie vielmehr den allgemeinen Sprachgebrauch betrifft. Im alltäglichen Sprachgebrauch der spanischen Gesellschaft scheint mit dem Ausdruck hombre eher der Mann als der Mensch an sich assoziiert zu werden. Hingegen rückt die knappere Definition von Frau und Mann bei Terreros y Pando die Geschlechtsspezifität beider in den Vordergrund, obgleich auch unter dem Eintrag mujer ein Hinweis auf ihre menschliche Natur enthalten ist. Beide Wörterbücher differenzieren zwischen Mensch und Mann und schließen die Frau aus der Kategorie Mensch nicht aus, was zeigt, daß sie als rationales Wesen anerkannt ist. Von der erwähnten Einschränkung abgesehen - die Assoziierung von hombre als Mann - herrscht gemäß den Wörterbüchern der Epoche Gleichwertigkeit zwischen Mann und Frau.8 Die folgenden Kapitel werden Aufschluß darüber geben, inwieweit diese Erkenntnis modifiziert werden muß bzw. sie nur eine Facette in der Spiegelung des Zeitgeistes darstellt.

1.2 Naturwissenschaftliche Perspektivierung Die biologische Betrachtungsweise der Frau verdeutlicht die sich im 18. Jahrhundert durchsetzende Annahme von der Dichotomie der beiden Geschlechter, denn die der Frau von Natur aus gegebene Bestimmung, Kinder zu gebären und damit die Gattung Mensch zu erhalten, rückt zunehmend in den Vordergrund. Damit wendet man sich allmählich vom "Ein-Geschlecht-Modell" ab, welches den männlichen und weiblichen Körper als zwei verschiedene Ausfuhrungen eines einzigen Geschlechts interpretiert, wobei die männliche Version als das anzustrebende Ideal gilt.9 Die Frau aufgrund ihres Geschlechts, also ihrer sexuellen Differenz, auf die lebensspendende Funktion zu beschränken,

9

Dies erstaunt um so mehr, wenn man das Resultat dieser Untersuchung mit dem von Hassauer-Roos (1983: 429-431) zur Encyclopédie (1751-80) vergleicht. Die Definition von femme zeigt deutlich deren Inferiorität im Vergleich zum Mann. Mit dem "Ein-Geschlecht-Modell" verbindet sich die Vorstellung, daß die nach innen gerichteten Geschlechtsorgane der Frau den äußerlich sichtbaren männlichen Genitalien entsprechen. Vgl. zu diesem Themenkomplex u.a. Sissa (1997).

38 erscheint um so fataler, als die Kenntnis des menschlichen Körpers auch im 18. Jahrhundert noch nicht sehr weit fortgeschritten ist und Spekulationen noch nicht durch gesicherte naturwissenschaftliche und medizinische Erkenntnisse ersetzt werden. So hält sich in Spanien bis zum Ende des 18. Jahrhunderts im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern die bedrohliche Vorstellung aufrecht, daß der Uterus einer unberechenbaren und krankhaften Beweglichkeit ausgesetzt ist, was sich auf den gesamten Organismus der Frau negativ auswirke. Die These von einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Phänomen der Hysterie und der Gebärmutter, die auch von Gelehrten wie dem Padre Feijoo und Andrés Piquer vertreten wird, behält sogar bis weit ins 19. Jahrhundert ihre Gültigkeit. Hier wird eine seit der Antike vermutete Verbindung zwischen einer vermeintlich rein weiblichen Neigung und der Beschaffenheit der Geschlechtsorgane bei der Frau aufrechterhalten und instrumentalisiert. 10 Auch die Symptome der Menstruation und des Klimakteriums, denen die Frau naturgemäß unterworfen sein kann, haben über die Jahrhunderte hinweg ein minderwertiges, negatives Bild der Frau geprägt. Im 18. Jahrhundert kursieren noch legendenhafte Vorstellungen über mögliche Ursachen einer Schwangerschaft sowie von Mißgeburten. Die Schuld ist in solchen Fällen immer bei der Frau zu suchen etwa in der ihr zugeschriebenen ungezügelten Wollust. Im Zweifelsfalle steht das Prinzip der Scham und Sittsamkeit vor dem Wert des weiblichen Lebens. So ist die Meinung weiterhin verbreitet, die Entbindung ausschließlich Hebammen zu überantworten und auch in schwierigen Fällen aus Gründen der Schamhaftigkeit keinen Arzt hinzuzuziehen. Allmähliche Fortschritte sind erst gegen Ende des Jahrhunderts zu erkennen, als 1789 eine Hebammenschule in Madrid eingerichtet

10

Der griechische Begriff hysterikös bedeutet ursprünglich "an der Gebärmutter leidend". Vgl. Moreno Mengibar (1994), aber auch Cerra (1975: 99-100). Markante Beispiele der Instrumentalisierung und somit der Kontrolle finden sich vor allem im 19. Jahrhundert. So sollte sich die Frau zur Vermeidung der Hysterie ihren natürlichen Mutterpflichten widmen, statt sich im Müßiggang zu ergehen. Ebenso lieferte diese spezifisch weibliche Neigung einen Grund, die Frau von jeglichen außerhäuslichen, also öffentlichen, Tätigkeiten auszuschließen.

39 wird, um durch Professionalisierung der Geburtshilfe die Sterblichkeit der Mütter und Kinder zu reduzieren." Die Unkenntnis des weiblichen Körpers und seine Andersartigkeit bieten auch im Zeitalter der Aufklärung Anlaß, ein Negativbild der Frau zu entwerfen und sie so dem Mann unterzuordnen, dem in jeder Hinsicht eine aktive Rolle zukommt im Gegensatz zur passiven, bloß empfangenden Funktion der Frau.

1.3 Juristische Grundlagen Die Frau des 18. Jahrhunderts ist als Person, unabhängig von ihrer Ständezugehörigkeit, rechtlichen Einschränkungen aufgrund ihres Geschlechts unterworfen - ein Zustand, der auch im Laufe des 19. Jahrhunderts keine grundlegende Revision erfährt. Zwar ist es gesetzlich vorgesehen, daß eine Frau das Amt der Königin ausüben kann - falls kein einziger männlicher Erbe existiert 12 - , eine Tätigkeit auf munizipaler Ebene bleibt ihr jedoch versagt. Die Restriktionen bei der Ausübung öffentlicher Ämter sind um so rigoroser, je niedriger die Bedeutung des Amtes ist. Auch innerhalb der Familie verzichtet die Erstgeborene zugunsten ihrer jüngeren Brüder auf ihre entsprechenden Rechte. Die Frau unterliegt einer steten männlichen Vormundschaft, die beim Vater beginnt und beim Ehemann endet. 13 Das im 18. Jahrhundert gültige Familienrecht, in dessen Zusammenhang das weibliche Geschlecht am häufigsten erwähnt wird, hat seine Wurzeln in den mittelalterlichen Gesetzen der Leyes de Partida und der Leyes de Toro,14 Die Ehe, nach damaliger Auffassung das Lebensziel schlechthin für das weibliche Geschlecht, basiert auf unbedingtem Gehorsam und Unterwerfung der Frau unter ihren Ehemann. Die väterliche Erlaubnis zur Heirat ist jedoch Voraussetzung für beide Geschlechter - Tochter und Sohn. König Karl III. greift diese Bestimmung

"

12 13 14

Vgl. Simón Palmer (1983), Fernández Vargas/López-Cordón (1986: 14-26) und darüber hinaus Ortega López (1994a: 306-307), die an die Initiative einiger Madriderinnen gemeinsam mit Laienschwestern im Jahr 1797 erinnert, eine eigene Krankenversicherung für die Frau zu organisieren, um im Falle der Krankheit angemessene Hilfe in Anspruch nehmen zu können und so den gesellschaftlichen Widrigkeiten zu trotzen. Vgl. Gómez Mampaso (1982: 133). Vgl. López-Cordón Cortezo (1982: 78-81). Vgl. Cepeda Gómez (1986: 185).

40 aus der Zeit des Trienter Konzils wieder auf und legt eine Altersgrenze von bis zu fünfundzwanzig Jahren für die Abhängigkeit von dieser Erlaubnis fest. Eine minimale Änderung erfahrt diese Regelung 1803, unter Karl IV., der das Alter der mündigen Frau auf dreiundzwanzig Jahre reduziert und auch der Mutter bei Abwesenheit oder Tod des Vaters das Recht zugesteht, ihre Zustimmung zur Hochzeit der Tochter zu erteilen. Innerhalb der Ehegemeinschaft kommt dem Mann die alleinige Autorität und Verantwortung zu. Er verwaltet sein Eigentum, das des Paares, die Mitgift etc. und wird so zum gesetzlich Bevollmächtigten seiner

Frau.

Unterschiede

zwischen

Kastilien

und

den

Reichen

Aragon,

Katalonien und Valencia bezüglich der Rechte der Frau werden durch den Bourbonen

Philipp V .

aufgehoben

und die Unterlegenheit

des

weiblichen

Geschlechts gesetzlich verankert. Ökonomische Zugeständnisse werden

der

verheirateten Frau insofern gewährt, als sie alleinige Eigentümerin ihrer Mitgift und des Brautgeldes bleibt, was ihr eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber ihrem Ehemann garantiert. Im Fall ihres Todes werden sowohl die Mitgift als auch das Brautgeld entweder an die gemeinsamen Kinder oder aber an die Eltern der Frau vererbt, niemals jedoch an den Ehemann. Auch die in der Ehe erworbenen Güter gehören jeweils zur Hälfte den Ehepartnern - eine Regelung, die für das gesamte Königreich Spanien ausschließlich Cördoba gilt. Hingegen kann die Frau für Schulden des Ehepaares nicht zur Verantwortung gezogen werden. Die so gewährleistete Immunität beschert der Frau jedoch keine größere Freiheit.

Vielmehr offenbart

sich

die allgemeine

Haltung gegenüber

dem

weiblichen Geschlecht, das in die Kategorie der Minderjährigen eingeordnet wird und somit als unfähig gilt, Geschäfte jeglicher Art zu machen. Dies spiegelt sich auch im Vertragsrecht wider. Einerseits ist das Eigentum der Frau gesetzlich geschützt, andererseits bleibt es ihr versagt, eigenständig darüber zu verfugen, denn sie kann einen Vertrag nur mit Genehmigung des Ehemannes abschließen. Dieses

Recht

kann

sie

sich

allerdings

auch

gerichtlich

erkämpfen.

Ein

großzügiger Gatte hat auch die Möglichkeit, seiner Frau eine generelle Vollmacht zu erteilen, um Verträge zu unterzeichnen oder andere Geschäfte abzuwickeln. Stirbt der Ehegatte verfrüht, übernimmt nicht etwa die Mutter die Verantwortung für die gemeinsamen Kinder, sondern ein Vormund betreut den Nachwuchs bis zur Volljährigkeit. Nur im Falle eines formalen Verzichts auf eine zweite Ehe hat die Frau eine Chance, selbst Vormund ihrer Kinder zu werden. Dies ändert sich erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter Karl IV. Die Stabilität der Institution Ehe und Familie erscheint eher durch die Frau gefährdet als durch den Mann. So wird das Delikt des Ehebruchs als weiblicher Angriff gegen die Ehre des Mannes und der Familie eingestuft und kann sogar noch mit der Todesstrafe für die Frau

41 enden. Selbst der bloße Verdacht des Ehemannes kann für die Frau eine Strafe zur Folge haben. Der Ehebruch durch den Mann wird paradoxerweise nicht als Straftat geahndet, denn nur die Frau ist der Gefahr einer Schwangerschaft ausgesetzt. 15 Kommt die Frau ihrer Bestimmung, Ehefrau und Mutter zu werden, nicht nach, wählt sie gewöhnlich als Alternative den Eintritt in ein Kloster, was ebenso eine entsprechende Mitgift erfordert. Ledige Frauen, die sich weder für Ehe noch Kloster entscheiden, führen jedoch auch kein selbständiges Leben, sondern wohnen mit Familienangehörigen oder Laienschwestem zusammen. Nur einer Witwe kommt eine relativ große Freiheit und Unabhängigkeit zu. Aber weder die ledige noch die verwitwete Frau hat den gleichen juristischen Status wie ein Mann, beide bleiben ihm juristisch nachgeordnet. Die Möglichkeit zu einem eigenständigen Leben - innerhalb der beschriebenen Grenzen - sind also von folgenden Faktoren abhängig: dem Alter der Frau, ihrem Familienstand, ihrer Standeszugehörigkeit und nicht zuletzt ihrer wirtschaftlichen Situation. 16 Diese strengen juristischen Nonnen werden jedoch im Laufe der Zeit durch ausländische Einflüsse und Lebenspraxis relativiert. So setzt sich etwa eine neue Lebensgewohnheit der höheren Gesellschaftsschicht durch, die weitgehend geduldet wird: der sogenannte cortejo. Es handelt sich um einen jungen Begleiter bzw. Freund einer verheirateten Dame, mit dem sie an gesellschaftlichen Veranstaltungen teilnimmt, der sie besucht und ihr Geschenke macht. Gleichwohl wahren nicht alle Beziehungen dieser Art die platonische Ebene. Diese Sitte untergräbt die traditionellen Werte und somit auch den Ehestand. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sinkt die Zahl der Eheschließungen. Junge Männer scheinen den Bund der Ehe zu fürchten und die damit zusammenhängende Verantwortung und finanzielle Belastung, die unter anderem mit der angeblich

15

16

Vgl. Cepeda Gómez (1986: 186), Friedman (1986), Franco (1992: 718-720). Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf einen ersten Vorstoß gegen Ende des Jahrhunderts in Spanien zur Verteidigung der Ehescheidung seitens des Conde de Cabarrús, der sich durch die Einräumung dieser Option die erneute Festigung der traditionellen Werte verspricht, vgl. Abellán (1981: 675), Martín Gaite ( 4 1991: 151153). Vgl. Cepeda Gómez (1986: 181-193), Fernández Vargas/López-Cordón (1986: 37). Einen demographischen Überblick und die entsprechenden Bevölkerungszahlen von unverheirateten, verheirateten und verwitweten Frauen im 18. Jahrhundert bietet López-Cordón Cortezo (1982: 52-55).

42 zügellosen Sucht der Frau Luxusartikeln erklärt wird.

18

auch petimetra

genannt 17 -

nach modischen

Der Staat, für den die Ehe als Garant für das

Wachstum der Nation und für die Wahrung der Sitten gilt, versucht im ausgehenden 18. Jahrhundert vergeblich, dem Mißstand durch das Projekt einer einheitlichen Kleidung für die Frau abzuhelfen. 19 Weitere Moden, wie der tägliche Spaziergang oder der Empfang von Besuch zu Hause, setzen sich im Laufe des Säkulums durch und gewähren zumindest der verheirateten Frau eine größere Freiheit. 20

1.4 Erziehung, Ausbildung, Arbeitswelt Die Mehrheit der Mädchen erfahrt ihre Erziehung und Ausbildung im Elternhaus oder auch im Kloster. 21 Den Eltern, insbesondere den Müttern obliegt es, die Töchter in den ihrem Geschlecht eigenen Aufgaben zu unterweisen, was von den Frauen von Generation zu Generation unreflektiert übernommen wird. Das Funktionieren des Lebensbereiches

"Haus" liegt fast ausschließlich

in der

Verantwortung der Frau. Hier lernt die Tochter unter Anleitung ihrer Mutter die für sie geltenden Regeln, erwirbt das praktische Wissen für die Haushaltsführung

17

18

19

20

21

Vgl. Martín Gaite ( 4 1991: 87-88). Die Begriffe petimetra bzw. petimetre sind vom französischen petit maitre abgeleitet. Die beschriebenen Entwicklungen beziehen sich nur auf die Frauen der oberen Gesellschaftsschichten. Die Bevölkerungsstruktur Spaniens in dieser Epoche und damit das Stadt-Land-Gefälle müssen bei diesen Betrachtungen berücksichtigt werden, vgl. hierzu sozialgeschichtliche Untersuchungen wie von Fernández de Pinedo/Gil Novales/Dérozier ( s 1988: 208-213, 219-220), Anes (1994: 11-41). Die Langeweile, der die verheiratete Frau ausgesetzt ist, und die oftmals erzwungenen, unglücklichen Ehen können als Hauptgründe für die Verbreitung des cortejo-Phänomens in Spanien angenommen werden, vgl. Martin Gaite ( 4 1991: 19, 187). Bezeichnend ist, daß die Regierung nicht die Ursachen bei der Bekämpfung der cortejo-Mode berücksichtigt, sondern stattdessen etwa mit dem Projekt des traje nacional durch weitere Bevormundung und Entmündigung der Frau versucht, die Sitten zu verbessern und den Ehestand wieder attraktiver zu machen - eine Strategie, die in diesem Fall aufgrund entschiedenen weiblichen Protestes scheitert, vgl. Kapitel II.2.2.4.1. Vgl. Fernández-Quintanilla (1981: 19-21), Martín Gaite ( 4 1991: 1-23, 36-37, 139156), Arce (1995). Auch diese Entwicklung bezieht sich in erster Linie auf die Hauptstadt Madrid. Vgl. generell zu diesem Thema in der Epoche der Aufklärung iglesias (1989), Lope (1991: 120-122), Alvarez de Miranda (1992: 423-433).

43 und internalisiert eine konservative Gesinnung. Häufig zählen zu dieser häuslichen Frauengemeinschaft eine Großmutter, eine ledige Tante oder im Falle von wohlhabenden Familien die Dienstmädchen. Der Tochter werden in diesem Umfeld nicht nur die moralischen Werte und Tugenden vermittelt, sondern auch die Überzeugung - die biologisch gerechtfertigt wird - , daß die Mutterschaft das eigentliche Lebensziel der Frau ist, damit die Tochter sich dereinst selbst zu einer dem Vorbild entsprechenden Ehefrau und Mutter entwickelt. 22 Aus dieser Sicht wird die besondere Relevanz der Bewahrung der Jungfräulichkeit, abgesehen von ihrer religiösen Bedeutsamkeit, verständlich, denn sie bildet die Voraussetzung für eine attraktive Eheschließung bzw. für den Eintritt in ein Kloster. 23 Diese jahrhundertealten Erziehungsprinzipien werden jedoch - wenn auch nur in Ansätzen - , durch die neu eingeführten Sitten des paseo24 oder cortejo unterminiert. Die Etablierung sogenannter tertulias - auch als academias bezeichnet - , d.h. private Zirkel der Kommunikation und des Gedankenaustausches, trägt ebenso zu dieser Entwicklung bei. Die heranwachsenden Töchter erleben entweder ein konservatives oder ein modernes, liberales Verhalten ihrer Mütter in der Gesellschaft, was sie in einen Zwiespalt führen kann. Sie müssen sich entscheiden zwischen dem traditionellen Konzept des recato, das mit Zurückhaltung und Sittsamkeit verbunden ist, oder dem des despejo und der marcialidad. Mit letzterem verbindet sich Ungezwungenheit, natürliche Lebendigkeit sowie Rede- und Handlungsfreiheit und damit auch größere Aufrichtigkeit. Hingegen erfährt das Verhaltensmuster des recato auch Kritik, indem es als heuchlerisch und scheinheilig dekuvriert wird und die Mädchen entsprechend abschätzig als mojigata oder beata bezeichnet werden. 25 Im Laufe des 18. Jahrhunderts kann eine Verbesserung der Ausbildung von Mädchen und jungen Frauen konstatiert werden. Gewöhnlich werden die Töchter der Aristokratie und der wohlhabenden Familien durch einen privat engagierten

22

23 24

25

Der Tugendkanon besteht vornehmlich aus Liebe, Hingabe, Passivität, Gehorsam, Bescheidenheit, Sittsamkeit, Demut, Erhalt der Ehre durch Bewahrung der Jungfräulichkeit - Keuschheit - , Reinheit. Der entscheidende Einfluß auf die Mädchenerziehung geht von orthodoxen Schriften wie La perfecta casada von Fray Luis de León (1583) aus der Zeit der Gegenreformation aus, so daß sich aristotelische Minderwertigkeitstheorien über die Frau im physischen und geistigen Bereich sowie entsprechende Lehren der Kirchenväter im 18. Jahrhundert hartnäckig erhalten. Vgl. in diesem Zusammenhang auch López-Cordón (1983). Vgl. Ortega López (1988b: 5-6) und ergänzend Correcher (1994). Mit paseo wird das Ritual der täglichen Spazierfahrt bzw. des Spaziergangs bezeichnet. Vgl. Martin Gaite ( 4 1991: 113-128).

44 Erzieher bzw. eine Erzieherin oder auch von Privatlehrern unterrichtet. So lernen sie Lesen und Schreiben, erhalten eine religiöse Unterweisung und eignen sich aus damaliger

Sicht typisch

weibliche

Fertigkeiten

an,

wie

verschiedene

Handarbeitsformen. Die Ergebnisse dieser Ausbildungsform entsprechen jedoch nicht den allgemeinen Erwartungen, denn sowohl Staat als auch Kirche zeigen sich im 18. Jahrhundert besorgt ob der Unwissenheit der Frau. Unter Karl III. setzen die entsprechenden Reformen ein. Im Jahre 1768 ordnet er die Einrichtung von Mädchenschulen an und empfiehlt das Vorgehen einiger Bischöfe, die die Bezahlung von Lehrerinnen übernehmen. Eine königliche Anordnung von 1783 kündigt die Eröffnung von zweiunddreißig kostenlosen Schulen für Mädchen in den

verschiedenen

Madrider

Vierteln

an

und

die

Einrichtung

derartiger

Bildungsstätten in anderen großen Städten des Königreiches. Der Lehrplan sieht folgendes vor: christlicher Glaubensunterricht, Körperpflege und Nähen; Lesen und Schreiben nur auf Wunsch und für die besonders Begabten Handarbeitsunterricht. Geschlechts

Eine

elementare

ist auch hier nicht

geistige

unbedingt

Bildung

gewährleistet,

des

weiteren

weiblichen

vielmehr

stehen

utilitaristische Zwecke im Vordergrund. Die Frau und die ihr zugesprochenen Fähigkeiten sollen der Allgemeinheit nützen. 26 In diesem Zusammenhang

ist auch

Zentren ab 1776 durch die Sociedades

die

Einrichtung

Económicas

berufsschulartiger

von Bedeutung, w o die

Mädchen in mehrjähriger Ausbildung in einer bestimmten Handarbeit, wie Spinnen,

Weben,

Spitzenklöppeln

oder Sticken,

unterwiesen werden.

Alle

Madrider Schulen dieser Art werden der 1786 gegründeten Junta de Damas de la Real Sociedad

Económica

anvertraut, welche den weiblichen Mitgliedern der

oberen Gesellschaftsschicht eine Wirkungsstätte bietet. Die Damen selbst richten in Madrid eine nicht berufsspezifische Schule ein, die jedoch

auch

den

Schwerpunkt auf handwerkliche und moralische Unterrichtung legt. Alle weiteren handwerklichen Lehrstätten der Junta

de Damas

leiden unter Finanznot und

erzielen deshalb keine besonderen Erfolge mit ihren Projekten. Das bisher Dargelegte läßt erkennen, daß die geforderte Ausbildung der Mädchen nicht äquivalent zu der der männlichen Altersgenossen ist. Nicht die Vermittlung

26

von

Grundkenntnissen

im

Lesen

und

Schreiben

steht

im

Vgl. Älvarez de Miranda (1992: 301-317) über die Entwicklung des Begriffs der utilidad im 18. Jahrhundert.

45 V o r d e r g r u n d , 2 7 sondern die religiös-moralische Unterweisung, die zum Erhalt des gesellschaftlichen Status q u o beiträgt - w a s selbst v o n gebildeten F r a u e n so gefordert

wird 2 8

-,

und

eine

Gesellschaft von N u t z e n sein soll. So

überrascht

es

nicht,

sogenannte

berufliche

Ausbildung,

die

der

29

daß

nur

ein

geringer

Teil

der

Spanierinnen

alphabetisiert ist. A u s den vorliegenden U n t e r s u c h u n g e n kann unter V o r b e h a l t geschlossen

werden,

daß

im

Verlauf

des

Jahrhunderts

eine

Alpha-

betisierungsquote f ü r das w e i b l i c h e G e s c h l e c h t von m a x i m a l etwa f ü n f z e h n Prozent erreicht wird. Die M e h r h e i t d e r Frauen d ü r f t e a u f g r u n d b e s s e r e r privater -

Ausbildungsbedingungen

aus aristokratischen

Familien

-

stammen.

A u ß e r d e m läßt d e r deutliche A n s t i e g der R o m a n p r o d u k t i o n a b den achtziger Jahren des J a h r h u n d e r t s aus literatursoziologischer Sicht vermuten, d a ß sich eine

27

28

29

Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß Frauen der Zutritt in die erste, zunächst einzige öffentliche Bibliothek Spaniens, die 1712 in Madrid eröffnete Biblioteca Real, später Biblioteca Nacional, grundsätzlich - von einer Ausnahmeregelung abgesehen - verboten ist, vgl. Aguilar Piflal (1988b: 29). Immer wieder wird in der Forschungsliteratur auf die Äußerung der Königin Maria Louise, Gattin Karls IV., in einem Brief an Godoy im Jahre 1804 hingewiesen: "Soy mujer y aborrezco a todas las que pretenden ser inteligentes, igualándose a los hombres, pues lo creo impropio de nuestro sexo, sin embargo, de que las hay que han leído mucho, y habiéndose aprendido algunos términos del día, ya se creen superiores en talento a todos", in: Marqués de Villa Urrutia: Las mujeres de Fernando Vil. Madrid: Francisco Beltrán 2 1925, S. 35, zitiert nach: Simón Palmer (1983: 73) bzw. Domergue (1989: 11). Vgl. Ley sobre establecimiento de escuelas gratuitas en Madrid para la educación de niñas y su extensión a los demás pueblos (1783/1979), Fernández-Quintanilla (1981: 43-52), López-Cordón Cortezo (1982: 90-96), López Torrijo (1984a), López Torrijo (1984c), Negrín Fajardo (1984: 17-31), Poirier (1984), Reglamento de las Escuelas Patrióticas (1791/1984), Saugnieux (1986: 155-158), Ortega López (1988b: 9-10), Ortega López (1988c: 305-309, 312-315), Ruiz Berrio (1988), Pemil Alarcón (1989: 445-459), López-Cordón (1992: 724-725), Sarasúa García ( 2 1992).

46 weibliche Leserschaft konstituiert, an die die Romanprologe häufig ausdrücklich gerichtet sind. 30 Die Berufstätigkeit von Frauen außerhalb der häuslichen Sphäre ist in den unteren

Gesellschaftsschichten

aus ökonomischen

Gründen

verbreitet.

Der

Landwirtschaftssektor stellt einen weiten Tätigkeitsbereich dar: Jäten, Weinlese, Olivenernte gelten als spezifisch weibliche Tätigkeiten; in manchen Regionen tragen die Frauen die gesamte Last der Landarbeit alleine. Im industriellen Sektor arbeiten viele Frauen in Betrieben, Manufakturen oder auch zu Hause in der Textilherstellung und -Verarbeitung oder als Zigarrendreherin. Aufgrund des Nutzens, den das Land durch den Einsatz weiblicher Arbeitskraft erfährt, erläßt Karl III. 1784 ein Gesetz, das Frauen freien Zugang zur Arbeitswelt ermöglicht. Diese Liberalisierung wird jedoch eingeschränkt durch den Zusatz, die Arbeit müsse vereinbar sein mit der Sittsamkeit und den Kräften ihres Geschlechts. Hinzu kommt eine Diskriminierung der Frau hinsichtlich Entlohnung

im

Vergleich

zum

Mann.

Im

tertiären

ihrer geringeren

Sektor,

dem

Dienst-

leistungsbereich, gibt es einerseits Tätigkeiten, die keiner speziellen Ausbildung bedürfen, wie die des Dienstmädchens, und andererseits Berufe, die eine gewisse Qualifizierung verlangen, wie den der Lehrerin für Mädchen oder den der Hebamme. Eine Kandidatin für den Lehrberuf muß vor allem eine unbescholtene Lebensführung nachweisen sowie solides Wissen in der christlichen Doktrin, zumindest formal muß sie seit

1783 auch über Kenntnisse im Lesen und

Schreiben verfugen, was bei vielen Bewerberinnen jedoch nicht zutrifft. Der B e r u f der Hebamme ist zwar seit 1750 offiziell mit einer Prüfung verbunden, was aber keine Veränderung in der Praxis mit sich bringt. Die Tätigkeit als Amme ist

30

Vgl. Ferreras ( 1 9 7 3 : 5 1 - 5 7 ) , Saugnieux ( 1 9 8 6 ) , Soubeyroux ( 1 9 8 7 ) , ( 1 9 8 8 ) , Löpez-Cordön

(1992:

725-726),

Carnero (6. Bd.,

1995b:

Viftao-Frago XXV-XXV1),

Garcia Garrosa ( 1 9 9 8 : 165, 1 7 3 - 1 7 5 ) . Die Subskriptionsverzeichnisse verschiedener Werke

belegen

ebenfalls,

daß die Zahl

der Leserinnnen

wächst,

vgl.

Alvarez

Barrientos ( 1 9 9 5 : 3). Abgesehen von den Romanprologen werden die Frauen auch im Vorwort anderer Textsorten direkt angesprochen, z.B. Valladares de Sotomayor ( 1 7 6 6 : A4). Außerdem lassen sich fiktionsimmanente Hinweise für diese Annahme finden, denn die Frau wird in den Romanen selbst als Romanleserin dargestellt, z . B . Mor de Fuentes (1798/1959: 147) oder z.B. die Figur der Leandrita bzw. der Leandra und Aniceta in Valladares de Sotomayor (1797/1807). Larriba ( 1 9 9 8 ) weist mit ihrer Untersuchung

zur

spanischen

Presse

generell

die

Entstehung

einer

kritischen

Öffentlichkeit im ausgehenden 18. Jahrhundert nach. Die systematische Erforschung der weiblichen Leserschaft, ihrer Lektüre und ihrer Lesepraktiken im 18. Jahrhundert - wie sie etwa für den deutschsprachigen Raum bereits unternommen wurde, vgl. z . B . Schön ( 1 9 9 0 ) , Becher ( 1 9 9 1 ) - steht für Spanien jedoch noch aus.

47 für viele Frauen, insbesondere für Witwen und alleinstehende Mütter, die einzige Überlebensmöglichkeit. Weitere relativ häufig ausgeübte Berufe sind die der Einzelhändlerin, der Bäckerin oder der Gastwirtin. Verwitwete Ehefrauen fuhren zum Teil auch die Geschäftstätigkeit ihres verstorbenen Mannes fort, um das Überleben der Familie zu sichern.31 Auch sind einige Frauen namentlich bekannt, die als Schauspielerinnen bzw. Sängerinnen gearbeitet haben.32 Aus den untersten Gesellschaftsschichten stammen gewöhnlich die Prostituierten, die aufgrund der aus dem 17. Jahrhundert herrührenden Gesetzgebung einem verbotenen Beruf nachgehen.33 In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entsteht in Santiago de Compostela, zusätzlich zu den in Madrid bereits vorhandenen casas de recogidas,34 ein neues Frauengefangnis bzw. eine Frauenverwahranstalt, um der Situation in den Städten wieder Herr zu werden. In diesen galeras sollen Frauen, die einen schlechten Lebenswandel führen, durch christliche Unterweisung und eine Berufsausbildung wieder als nützliche Individuen in die Gesellschaft eingebunden werden - ein Projekt, dem aufgrund mangelnder Organisation und Finanzkraft kein großer Erfolg beschieden ist.35 Auch ein Teil der adligen Frauen ist in ein aktives Berufsleben integriert, indem sie als eigenständige Verwalterinnen ihrer Besitzungen in Spanien, im

32

33

34

35

Ein anschauliches Beispiel für diese Tatsache liefert bereits das Verzeichnis der Primärliteratur dieser Untersuchung. Anhand verschiedener Titel ist zu sehen, daß Frauen das Verlagsgeschäft ihres Mannes fortfuhren, vgl. z.B. unter Basco Flaneas (1727), Gutiérrez de Vegas (1781/ [2] 1800), Ribero y Larrea (1793). Weitere zahlreiche Beispiele hierfür finden sich in der Bibliographie von Aguilar Piñal (1981/1999). Vgl. Martin Gaite ("1991: 100-103). Sie betont die Beliebtheit und das Ansehen dieser Künstlerinnen, während beispielsweise die Lektüre des Romans La Leandra von Valladares de Sotomayor (1797-1807) eher den Eindruck erweckt, der Autor wolle den Beruf der Schauspielerin vom Stigma des Unmoralischen und Lasterhaften befreien. Harrison (1986: 56) fiihrt in diesem Zusammenhang - ohne Quellenangaben - weiter aus, daß dieses Prostitutionsverbot keineswegs die Aktivität der Prostituierten eingeschränkt, sondern die Infektionsgefahr erhöht habe, da es keine obligatorische Gesundheitsüberprüfung mehr gab. - Es erscheint fraglich, ob eine solche Gesundheitsüberprüfung im 17. bzw. 18. Jahrhundert j e existiert hat. Vgl. zu den casas de recogidas in Madrid vom 16.-19. Jahrhundert Pérez Baltasar (1984). Vgl. vor allem López-Cordón Cortezo (1982: 63-78) und auch Domínguez Ortiz (1973), Cepeda Adán (1982: 14), Harrison (1986: 56), López Iglesias (1987: 52), Ortega López (1987), Carbonell Esteller (1989), Franco (1992: 720-722), Rial García (1994). - Zu den Tätigkeiten, die Frauen im Bereich des Klosterlebens verrichten, vgl. Gómez García (1987).

48 übrigen Europa und Amerika tätig sind. Das Bild der adligen Müßiggängerin ist damit zumindest teilweise dahingehend zu korrigieren, da diese Frauen an der Spitze der Gesellschaft über dasselbe Macht- und Autoritätspotential verfügen und dieselbe Verantwortung übernehmen wie Männer. 36 Eine Persönlichkeit jedoch wie Victoria de Félix, eine zur Zeit Karls IV. berühmte Augenärztin französischer Abstammung, ist eher eine Ausnahme in dieser Epoche, zumal die Entwicklung zu einer solchen Kapazität nicht auf einer systematischen,

offiziellen

Ausbildung

beruht,

sondern

auf

Zufallen

der

Lebensumstände. Aufgrund ihrer außerordentlichen Heilkünste scheint sie keinen geschlechtsspezifischen Vorurteilen unterworfen zu sein. Sie ist als Augenärztin in ihren verschiedenen Lebensstadien - auch als sie heiratet und Mutter wird - im Land gefragt. 37 Die Verleihung des Doktorgrades an die siebzehnjährige Maria Isidra Quintana de Guzmán de la Cerda - die erste promovierte Frau Spaniens im Jahre 1785 durch die Universität von Alcalá de Henares bleibt eher eine anekdotenhafte Begebenheit, die durch das Betreiben Karls III. überhaupt erst ermöglicht wird. 38

36

Vgl. A t i e n z a ( 1992).

37

V g l . Demerson ( 1 9 7 3 : 4 1 5 - 4 2 6 ) .

38

Vgl. Nelken ( 1 9 3 0 :

1 7 0 - 1 7 2 ) , Fernändez-Quintanilla ( 1 9 8 1 : 6 6 - 6 9 ) , Martin Gaite

( " 1 9 9 1 : 2 6 7 - 2 7 0 ) , Flecha Garcia ( 1 9 9 5 ) . Ebenso handelt es sich wohl bei dem außergewöhnlich gebildeten, zwölfjährigen Mädchen Maria del Rosario Cepeda y Mayo um eine Ausnahmeerscheinung, vgl. den Bericht von Anonymus ( 1 7 6 8 ) .

1.5

Gesellschaftliche Aktivitäten der Frau

1.5.1 Frauen als Kulturträgerinnen Einigen Frauen gelingt es, weder als bachillera39 noch als petimetra verschmäht zu werden und sich im kulturellen Leben erfolgreich durchzusetzen. Es sind Salondamen, Schriftstellerinnen und Übersetzerinnen, wobei die genannten Aktivitäten in vielen Fällen fließend ineinander übergehen. 40 Die vornehmlich in Madrid ansässigen, an französischen Vorbildern orientierten Salons in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts weisen unterschiedliche Qualität bezüglich ihrer aufklärerischen und kulturellen Funktion auf. Als herausragend gilt der Salon der äußerst gebildeten CondesaDuquesa de Benavente, zu deren Kreis berühmte Schriftsteller und Intellektuelle zählen. Man trifft sich auf dem luxuriös eingerichteten Landgut "El Capricho" zu exquisiten literarischen oder musikalischen Abendveranstaltungen. Auch Theaterauffiihrungen gehören zum Programm, an denen sich die Gastgeberin manchmal selbst beteiligt. Außerdem engagiert sie sich wie viele andere ihrer Zeitgenossinnen als Mäzenin für Künstler bzw. Künstlerinnen und Schriftsteller. Einen völlig anderen Charakter hat der Salon der Condesa de Montijo, wo man sich kritisch mit religiösen Themen auseinandersetzt und eine jansenistische Linie vertritt, was schließlich zur Verbannung der Condesa führt. 41 Ein Großteil der Frauen, die sich schriftstellerisch betätigen, widmet sich der Lyrik, quantitativ folgen religiöse Schriften, worunter viele Autobiographien fallen, einige Traktate, wenige Theaterstücke und nur ein Roman. Es gibt im 18. Jahrhundert jedoch nachweislich ungefähr fünfundzwanzig Übersetzerinnen, die Werke aus dem Portugiesischen, Italienischen, Französischen und Englischen

39

40

41

Bachillera ist nicht nur die abschätzige Bezeichnung für eine scheinbar gebildete Frau, sondern auch für diejenige, die sich ernsthaft bilden möchte. Vgl. Martin Gaite (41991:242-243). Die Entwicklungen in diesem Bereich nehmen in Spanien nicht dasselbe Ausmaß an wie in Italien oder gar in Frankreich. Zu nennen wäre noch der Salon der Condesa de Lemos-Marquesa de Sarriä, bekannt als Academia del Buen Gusto von 1749-1751, der Salon der Duquesa de Alba und der der Marquesa de Fuerte Hijar. Vgl. u.a. Demerson (1975), Demerson (1976), Fernändez-Quintani 1 la (1981: 34-42), Caso (1989), Martin Gaite ( 4 1991), Acereda (1997/1998). Private Bibliotheksbestände lassen ebenfalls Rückschlüsse auf den Bildungsstand von adeligen Frauen zu, vgl. z.B. die Forschungsergebnisse von Barrio Moya (1991).

50 übertragen. 42 Bisher haben die Lyrikerinnen Margarita Hickey

und

Maria

Gertrudis Höre, die Dramatikerin Maria Rosa de Gälvez und die vielseitig tätige, sehr gebildete

Josefa Amar y

Borbön

die größte

Beachtung

seitens

der

literaturwissenschaftlichen Forschung gefunden, wodurch auch aufklärerisches Gedankengut und selbst feministische Ansätze aufgedeckt werden konnten. 43 Ein nicht geringzuschätzendes Potential an Autorinnen und an Werken harrt jedoch noch der Erschließung. Journalistische Aktivitäten von Frauen lassen sich kaum nachweisen. Namentlich bekannt ist die radikal antifeministisch Maria Egipciaca Demaner y Gongoreda, die für den Diario

de

eingestellte Barcelona

schreibt. 44 Immer noch diskutiert wird die Frage, wer bzw. welches Geschlecht sich hinter dem N a m e n Beatriz Cienfuegos, angebliche Herausgeberin Zeitung La Pensadora

Gaditana,

der

verbirgt. Jüngste Forschungen vermuten einen

männlichen Autor mit transvestitenhafter Neigung. 4 5

42

43

44 45

Diese - eventuell noch zu korrigierenden - Angaben beruhen auf der Auswertung der Bibliographie von Serrano y Sanz (1975, 4 Bde.). Er nennt beispielsweise circa siebzig Lyrikerinnen, die Liebesgedichte, religiöse Verse und Lobgedichte verfaßt haben. Zur Aufnahme in diese Bibliographie genügte der Nachweis eines einzigen Gedichtes, wodurch sich die Zahl relativiert. Viele Schriften liegen nur in Manuskriptform vor. Eine Erforschung der Autorinnen und ihrer Werke steht in den meisten Fällen noch aus. Als nützliche bibliographische Hilfsmittel und Quellen seien zu diesem Zweck noch Aguilar Piñal (1981/1999) und Triviño (1992: 282-355) erwähnt. Vgl. u.a. López Torrijo (1984b), Whitaker (1987), Saigado (1988), Ruiz Guerrero (2. Bd., 1997), Sullivan (1997b), Truxa (1998). Vgl. speziell zu Hickey: Deacon (1988), Saigado (1992), Saigado (1994), Sullivan (1997a); vgl. speziell zu Höre: Sebold (1984), Sullivan (1992a), Franklin Lewis (1993); vgl. speziell zu Gálvez: Rudat (1986), Whitaker (1988), Whitaker (1990a), Whitaker (1990b), Whitaker (1992), Whitaker (1993a), Whitaker (1993b); vgl. speziell zu Amar y Borbón: Rudat (1976), McClendon (1978), Asún Escartín (1980), McClendon (1980a), McClendon (1980b), McClendon (1981), McClendon (1983), Sullivan (1992b), Sullivan (1993a), LópezCordón (1994). Man moniert zwar bis heute das Forschungsdefizit bezüglich der schreibenden Frauen, konzentriert sich dann aber doch immer wieder auf dieselben Namen bzw. wiederholt sich in Überblickdarstellungen oder übergeht das 18. Jahrhundert völlig, vgl. z.B. Fox-Lockert (1979) und Valis/Maier (1990). Vgl. Fernández-Quintanilla ( 1981: 118). Vgl. Sullivan (1995). Zur Diskussion um die Identität des Herausgebers dieser Zeitung vgl. außerdem Perinat/Marrades (1980: 11-53), Roig (1989: 62-63), Jiménez Morell (1992: 15), Romero (1994), Cantería (1996: 22-24).

51

1.5.2 Soziales Engagement Während des gesamten Jahrhunderts ist es für die Frau generell schwierig, sich politisch zu äußern oder an gesellschaftlichen Veränderungen mitzuwirken. Sociedades und Akademien verweigern in der Regel die Integration von Frauen.46 Erst im Jahr 1786 mit der heftig diskutierten Gründung der Junta de Damas de Honor y Merito innerhalb der Real Sociedad Econömica Matritense de Amigos del Pais bietet sich den Frauen der höheren Madrider Gesellschaftsschicht - wenngleich in Subordination und Abhängigkeit von der Sociedad Econömica - eine öffentliche Wirkungsstätte, die in dieser eingeschränkten Form von Karl III. unterstützt wird, der den Empfehlungen seines Ministers Floridabianca folgt.47 Die Damen widmen sich in erster Linie der praktischen - nicht der intellektuellen - Ausbildung der Frau, engagieren sich mit großem Erfolg für ein Waisenhaus und ein Frauengefängnis in Madrid und somit auch für die Reintegration von gesellschaftlichen Randgruppen. Im Jahr 1797 erlangt die Junta de Damas sogar die Erlaubnis zur Einrichtung eines Asyls für schwangere, alleinstehende Frauen.48 Die Bereiche Bildung und Wohltätigkeit sind die wesentlichen Tätigkeitsfelder dieser Kommission, die in erster Linie das Ziel verfolgt, Industrie und Gewerbe des Landes zu unterstützen. Die Frau soll neben ihrer biologischen Funktion der Gesellschaft von Nutzen sein, ohne daß aber ihre intellektuelle Gleichwertigkeit anerkannt wird. Die Veränderungen innerhalb der patriarchalisch geprägten Gesellschaft sind in ihrer Gesamtheit noch als zaghaft zu charakterisieren. Gleichwohl wird im kulturellen und sozialen Bereich offenbar, daß die Bedeutung der Frau aufgrund ihrer Aktivitäten in der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts zunimmt.49

46

47

48 49

Die gleichberechtigte Mitgliedschaft von Josefa Amar y Borbön in der Real Sociedad Econömica Aragonesa de Amigos del Pais stellt eine einzigartige Ausnahme dar und läßt keine generalisierenden Rückschlüsse auf einen öffentlichen Entfaltungsraum von intellektuellen Frauen zu. Vgl. auch Sullivan (1992b: 97-98). Vgl. Demerson (1971), Fernändez-Quintanilla (1981: 65-77), Negrin Fajardo (1984: 14-16), Estatutos de la Junta de Socias de Honor y Merito [...] (1794/1984), Rueda/Rios/Zabalo (1990: 683-698), Sullivan (1992b: 114), Ortega Lopez (1994b: 134), Kitts (1995: 168-172), Cruz (1996: 137-138), Jacobs (1996: 60). Vgl. Fernändez-Quintanilla (1981: 79-99). Vgl. auch Gonzälez/Löpez/Mendoza/Uruefia (1980: 9-10), Whitaker (1987: 32), Ruiz de la Pefia (1995).

52

2. Der gesellschaftliche Diskurs Auf der Basis wesentlicher expositorischer Texte von Autorinnen wie Autoren des 18. Jahrhunderts werden im folgenden grundlegende Aspekte der Diskussion über die Frau herausgearbeitet, Argumentationsstrukturen aufgedeckt und Weiblichkeitskonzepte offengelegt. 50 Es handelt sich größtenteils um eigenständig veröffentlichte Traktate sowie um Essays und Artikel, die in umfangreicheren Sammlungen oder Zeitungen publiziert worden sind. Besonders häufig tritt in diesem Themenbereich während des gesamten Jahrhunderts die literarische Form der Apologie auf, d.h. die Schriften sowohl männlicher als auch weiblicher Autoren werden als apologla oder defensa tituliert.51 Diese Tatsache belegt die gesellschaftliche Brisanz und Relevanz der Frauenfrage in Spanien. Die Situation der Frau wird von vielen Zeitgenossen offenbar so negativ eingeschätzt, daß eine bloße Erörterung des Themas scheinbar nicht ausreicht. Vielmehr muß zunächst die Rechtfertigung der Frau als eines vollwertigen Menschen argumentativ nachvollziehbar sein, bevor überhaupt spezielle Fragen behandelt werden können. So stehen im wesentlichen die grundsätzliche Gleichheit der Geschlechter, die jeweilige intellektuelle Fähigkeit, die Erziehung und Ausbildung der Frau sowie die ihr zugedachte gesellschaftliche Rolle zur Debatte. Aber auch Themen wie Mode, Luxus und Schönheit, die speziell mit dem weiblichen Geschlecht in Verbindung gebracht werden, kommt in der Diskussion ein nicht gering zu schätzender Stellenwert zu. Außerdem wird der Aspekt der tradierten Heiratspolitik und die damit vor allem verbundene Unterdrückung der Frau von

50

51

Die erste und bisher einzige Monographie zu diesem Thema ist 1995 in Amerika erschienen, was angesichts des umfangreichen Textpotentials erstaunt. Die Autorin Kitts (1995) untersucht unter Einhaltung der Chronologie vornehmlich Periodika des 18. Jahrhunderts und bleibt in großen Teilen ihrer Studie der inhaltlichen Ebene verhaftet. Ein weiteres Manko besteht darin, daß sie einige, problemlos zu beschaffende, Primärtexte nur mittels Aussagen der Sekundärliteratur bespricht. Vgl. zu diesem Thema auch Kreis (1985). Dieses Phänomen geht auf eine literarische Tradition des Mittelalters zurück. Seit dem 11. Jahrhundert sind derartige Verteidigungs- bzw. Verdammungsschriften, die die Frau zum Gegenstand haben, in Spanien belegt, vgl. Gonzalez/Löpez/Mendoza/ Uruefia (1980: 64-65).

53 zahlreichen Aufklärern aufgegriffen und kritisiert. Innerhalb der verschiedenen Themenbereiche wird der chronologischen Ordnung der Schriften Rechnung getragen, um die Entwicklung dieser gesellschaftlichen Prozesse ablesen zu können.

2.1

Gleichheit der Geschlechter

2.1.1 Defensa und Contradefensa Fray Benito Jerónimo Feijoo y Montenegro (1676-1764) ideologiekritischen Abhandlung Defensa de las mugeres52, des Teatro crítico universal

löst mit seiner

die im ersten Band

1726 erscheint, eine lebhafte Debatte aus über die

grundsätzliche Frage der Gleichheit der Geschlechter, die vor allem bis ins Folgejahr anhält, die Gemüter jedoch im Verlauf des gesamten Jahrhunderts immer wieder beschäftigen wird. 53 Der Benediktinermönch ist sich der Brisanz seines Vorhabens bewußt: Defender á todas las mugeres, viene á ser lo mismo, que ofender á casi todos los hombres: pues raro hay, que no se interesse en la precedencia de su sexo con desestimación de el otro.54 Sein Ziel ist es, die generelle Verachtung der Frau zu bekämpfen und die dafür angeführte

Begründung,

sie

sei

moralisch,

physisch

und

in

ihrer

Ver-

standesleistung unvollkommen, als Aberglaube bzw. Vorurteile zu entlarven und die Gleichheit der Geschlechter zu beweisen. Vor allem ist ihm, der in Analogie

52

53

54

Feijoo y Montenegro (1. Bd., 1726/'°l 758). In Suplemento de el Theatro critico [...] finden sich noch ergänzende Bemerkungen zu dieser Abhandlung, vgl. Feijoo y Montenegro (9. Bd., 1740/41761: 17-22). Vgl. außerdem Feijoo y Montenegro (1726/1997). Diese erste vollständige moderne Edition des Textes von Victoria Sau erleichtert zumindest den Zugang zur Schrift "Defensa de las mugeres [...]", verzichtet jedoch auf eine Bibliographie der entsprechenden Forschungsliteratur und auf einen kritischen Apparat. Vgl. zu Feijoos apologetischer Schrift und der darauf folgenden Polemik: Oflate (1938: 158-181), Sarrailh (1954: 513-514), Álvarez Villar (1965), Cersósimo (1965), Cerra (1975: 91-107), González/López/Mendoza/Urueña (1980: 75-86), Coughlin (1986), Ortega López (1988b: 22-24), Ortega López (1988c: 315-316), Franklin (1989: 188-190), Villar García (1989: 197-201), Villota (1989: 185-189), Capel Martínez (1990: 512-513), Capel (1992: 715), Ortega López (1993), Kitts (1995: 1350), Kilian (1999). Feijoo y Montenegro (1. Bd., 1726/ ,0 1758: 331).

54 zur cartesianischen Tradition von der Trennung zwischen Geist und Körper ausgeht und der Erziehung entscheidende Bedeutung beimißt, in seiner Apologie daran gelegen,

die

intellektuellen

Fähigkeiten

des weiblichen

Geschlechts

nachzuweisen. Systematisch

behandelt

Feijoo

die genannten

Bereiche,

indem er

die

verschiedenen Pro- und Contra-Positionen und deren jeweilige Beweisgrundlage, teils säkularer teils religiöser Natur, kommentiert und abwägt. Den Grad der Sittlichkeit stuft er für beide Geschlechter gleich ein, gesteht eher noch der Frau ein

größeres

moralisches

Bewußtsein

zu.

Feijoo

leugnet

keineswegs

die

Lasterhaftigkeit einiger Frauen, sieht aber in vielen Fällen den Ursprung dafür im Verhalten des Mannes und dessen Wollust, denn - so argumentiert er - die Frau verfuge

im

Gegensatz

zum

Mann

über

den

naturgegebenen

Schutz

der

Schamhaftigkeit, der sie vor unsittlichem Verhalten bewahre. So lasse sich ihre potentielle

Sittenlosigkeit

allein

auf den

schlechten

Einfluß

des

Mannes

reduzieren. Der krönende Beweis ist die Behauptung kirchlicherseits, daß den Frauen eine größere Frömmigkeit zukomme. Die größere Schuldbelastung der Frau im Erbsündenfall relativiert Feijoo nicht nur, sondern weist sie zurück und gewichtet sie sogar um - unter Berufung auf die Argumente des Kardinals Cajetan

(1469-1534)

-,

da

Eva

im

Gegensatz

zu

Adam

von

einem

übermenschlichen Wesen verführt worden sei. Mit einem Verweis Geschlechts

macht

aufmerksam

und

Offensichtlichkeit

auf die

Feijoo gibt seine

Überlebensbedingungen

auf die

durch

Bedeutsamkeit

den

radikalsten

Hinweis Gegner

der

auf

des

menschlichen

der weiblichen diese

Physis

naturgegebene

Lächerlichkeit

preis,

die

behaupten, die Frau sei nur eine Mißbildung der Natur, an sich strebe diese immer die Entstehung eines perfekten - männlichen - Wesens an. Dies ist eine deutliche Absage an das aristotelische "Ein-Geschlecht-Modell".

Eindringlich

warnt der Benediktinermönch davor, sich Thesen auch noch so anerkannter Intellektueller ohne eingehende Prüfung zueigen zu machen und verweist auf den bei Männern

häufig zu entdeckenden

Widerspruch

von

einerseits

extrem

misogyner Haltung und andererseits zügelloser Neigung zu Frauen, die eine solche Argumentation

fragwürdig erscheinen

läßt, wie z.B.

im Falle

von

Aristoteles. 55 Feijoo spricht implizit das psychologische Problem einiger Männer an, ein Abhängigkeitsverhältnis zum anderen Geschlecht und dessen Macht zu

55

Vgl. auch Feijoo y Montenegro ( 1 7 3 6 : 4 2 1 ) . Im Zusammenhang mit der Suche nach Heilmitteln für einen verliebten Mann stellt er ebenfalls diese Art der Argumentation in Frage.

55 spüren. Die Angst vor dem Verlust ihrer Autonomie versuchten die Männer dann einzudämmen, indem sie das weibliche Geschlecht verunglimpfen. So wird eine Autorität wie Aristoteles als widersprüchlich entlarvt und zumindest für diesen Themenbereich fiir unglaubwürdig erklärt. Bevor Feijoo sich der Frage der Verstandesleistung zuwendet, versucht er seine These der Gleichheit der Geschlechter mit einem systematischen Vergleich scheinbar typisch männlicher und weiblicher Eigenschaften zu stützen. Robustez, constancia und prudencia werden gegen hermosura, docilidad und sencillez abgewogen. Bei der Gegenüberstellung der physischen Charakteristika männliche Kraft bzw. Stärke versus weibliche Schönheit - mißt er mit Blick auf das Gemeinwohl der ersteren größere Bedeutung bei. Denn körperliche Stärke sei wesentlich für die drei tragenden Säulen des Staates: Krieg, Landwirtschaft und Handwerk. Obgleich Feijoo in diesem Sinne keinen Nutzen in der Schönheit der Frau entdecken kann, verteidigt er sie gegen diejenigen, die die Schönheit nur als verderbnisbringend ansehen. Im Falle der Gemeinplätze von Standhaftigkeit bzw. Beharrlichkeit versus Gelehrigkeit bzw. Folgsamkeit neigt Feijoo grundsätzlich zur Gleichwertigkeit beider Eigenschaften, gibt aber zu bedenken, daß hier auch von Inflexibilität bzw. Flexibilität des Geistes gesprochen werden könnte. Daraus folge wiederum eine mögliche Tendenz zur Leichtfertigkeit (ligereza) beim weiblichen und zur Besessenheit (terquedad) beim männlichen Geschlecht. Ebenso verhalte es sich in der Gewichtung von Klugheit {prudencia) und Schlichtheit bzw. Geradlinigkeit (sencillez), denn letztere entspreche der candidez, d.h. Aufrichtigkeit, Redlichkeit, die von größerer Bedeutung für die gesamte Menschheit sei als die Klugheit. Den damit verbundenen Vorwurf des indiskreten Verhaltens der Frau wertet Feijoo positiv um, nämlich als Zeichen von Ehrlichkeit. Diese ist laut Feijoo in jedem Fall höher zu bewerten als die Klugheit des Mannes, die oft in Falschheit und Verrat umschlage. Nach diesem für das weibliche Geschlecht günstig verlaufenen Vergleich schließt Feijoo mit der schönsten und überaus wichtigen Eigenschaft, die nur den Frauen zukomme: der Schamhaftigkeit (vergüenza). Diese wird als größter Vorteil der Frauen gegenüber den Männern hervorgehoben, da sie das entscheidende Hindernis zwischen Tugend und Laster sei, wenngleich dieses den Versuchungen nicht immer standhalte. Eine erste Bilanz ergibt, daß beide Geschlechter gleichwertig sind bzw. die Frau dem Mann vielleicht sogar etwas überlegen ist. Feijoo versucht, diese Tendenz folgendermaßen zu erläutern: Die positiven Eigenschaften der Frau verbessern sie als Person an sich, die des Mannes machen ihn nützlicher für das gesellschaftliche Leben. In dieser Aussage ist tendenziell die traditionelle

56 Auffassung enthalten, die die Bestimmung der Frau in der Privatsphäre sieht und die des Mannes im öffentlichen, außerhäuslichen Bereich, obgleich Feijoo zu bedenken gibt, daß die jeweiligen, angeblich spezifischen, Eigenschaften auch immer - wenn auch nicht in derselben Häufigkeit - dem anderen Geschlecht zukommen. Mit Beispielen aus verschiedenen Epochen erbringt er Beweise für die politische und wirtschaftliche Klugheit der Frauen (prudencia política und económica) sowie für ihre Stärke, Standhaftigkeit und ihren Mut {fortaleza). Entschieden bekämpft er das Vorurteil der mangelnden Verschwiegenheit der Frau. Diese Tugend komme sowohl nur wenigen Männern als auch nur wenigen Frauen zu und sei nicht geschlechtsspezifisch bedingt. Feijoo folgert nach einer Auflistung von Beispielen und unter Berufung auf Seneca die absolute Gleichheit der natürlichen Veranlagung und Fähigkeiten beider Geschlechter. Der dritte und wichtigste Aspekt seiner Abhandlung ist der Verstand (