Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte 3161482514, 9783161482519, 9783161578397

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Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte
 3161482514, 9783161482519, 9783161578397

Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
I. Die Frage des Weltbilds – Einführung
BERND JANOWSKI: Das biblische Weltbild. Eine methodologische Skizze
OTHMAR KEEL: Altägyptische und biblische Weltbilder, die Anfänge der vorsokratischen Philosophie und das ἀρχή-Problem in späten biblischen Schriften
ANNETTE KRÜGER: Himmel – Erde – Unterwelt. Kosmologische Entwürfe in der poetischen Literatur Israels
II. Gott und Gestirne – der Himmel
RÜDIGER BARTELMUS: šāmajim – Himmel. Semantische und traditionsgeschichtliche Aspekte
FRIEDHELM HARTENSTEIN: Wolkendunkel und Himmelsfeste. Zur Genese und Kosmologie der Vorstellung des himmlischen Heiligtums JHWHs
MATTHIAS ALBANI: „Kannst du die Sternbilder hervortreten lassen zur rechten Zeit ...?“ (Hi 38,32). Gott und Gestirne im Alten Testament und im Alten Orient
III. Peripherie und Zentrum – die Erde
BERND JANOWSKI: Der Himmel auf Erden. Zur kosmologischen Bedeutung des Tempels in der Umwelt Israels
BEATE PONGRATZ-LEISTEN: mental map und Weltbild in Mesopotamien
MANFRIED DIETRICH: Das biblische Paradies und der babylonische Tempelgarten. Überlegungen zur Lage des Gartens Eden
HERBERT NIEHR: Die Wohnsitze des Gottes El nach den Mythen aus Ugarit. Ein Beitrag zu ihrer Lokalisierung
BEATE EGO: Die Wasser der Gottesstadt. Zu einem Motiv der Zionstradition und seinen kosmologischen Implikationen
IV. Tod und Leben – die Unterwelt
STEFANIE GULDE: Unterweltsvorstellungen in Ugarit
MICHAELA BAUKS: „Chaos“ als Metapher für die Gefährdung der Weltordnung
ANGELIKA BERLEJUNG: Tod und Leben nach den Vorstellungen der Israeliten. Ein ausgewählter Aspekt zu einer Metapher im Spannungsfeld von Leben und Tod
KLAUS BIEBERSTEIN: Die Pforte der Gehenna. Die Entstehung der eschatologischen Erinnerungslandschaft Jerusalems
V. Bibliographie
BEATE EGO und BERND JANOWSKI: Bibliographie zum biblischen Weltbild und seinen altorientalischen Kontexten
Hinweise zu den Autorinnen und Autoren
I. Stellenregister
II. Sachregister
III. Wortregister

Citation preview

Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von Bernd Janowski und Hermann Spieckermann

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Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte herausgegeben von Bernd Janowski und Beate Ego in Zusammenarbeit mit Annette Krüger

Mohr Siebeck

978-3-16-157839-7 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 ISBN 3-16-148251-4 ISSN 0940-4155 (Forschungen zum Alten Testament)

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. 1. Auflage 2001 Nachdruck 2004 (Studienausgabe) © 2001 J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Held in Rottenburg a.N. gebunden.

Vorwort Der vorliegende Band versammelt Vorträge aus einem Oberseminar, das von den Herausgebern im Wintersemester 1997/1998 an der Universität Tübingen veranstaltet wurde. Es brachte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus den Disziplinen Altes Testament, Altorientalistik und Ägyptologie zusammen, um unter dem Titel „Himmel - Erde - Unterwelt. Neuere Arbeiten zur alttestamentlichen Kosmologie" den Stand der gegenwärtigen Forschung zum biblischen Weltbild zu dokumentieren und neue Perspektiven zu entwickeln. Zur Abrundung wurden die Beiträge von R. Bartelmus, M. Bauks, K. Bieberstein, F. Hartenstein und O. Keel aufgenommen, die eigens für diesen Band geschrieben wurden. Dazu zählt auch eine ausführliche Bibliographie zum Thema, die von den Herausgebern beigesteuert wird. Zu den Desiderata der Weltbildfrage gehört zunächst die Entwicklung einer diachronen Perspektive. Denn das aus drei „Schichten" bestehende biblische Weltbild bildet keine statische, über die Epochen der Religions- und Theologiegeschichte Israels hin gleichbleibende Größe. Seine Elemente sind vielmehr je nach Kontext und Situation variabel und immer in konkrete historische, soziale und religiöse Konstellationen eingebunden, die z.T. untereinander in Beziehung stehen. Überdies muss, das zeigten die Diskussionen in unserem Oberseminar, neben den elementaren Aspekten wie der Erfahrung von Raum und Zeit stärker der symbolische Gehalt biblischer Weltbildaussagen in Rechnung gestellt werden. Hier ergeben sich Anschlußmöglichkeiten an Fragen und Perspektiven, wie sie von der gegenwärtigen Kulturund Religionswissenschaft aufgeworfen werden. Das Stichwort „religiöses Symbolsystem" ist dabei so etwas wie ein neuer Leitbegriff. Er unterstellt, daß Religion die Funktion hat, dem Menschen die Welt und sich selbst dadurch verständlich zu machen, daß sie mittels Symbolisierung die interpretative Grundstruktur thematisiert und ihm so zugleich Handlungsanweisungen im Umgang mit den vorfindlichen Mächten zuspricht. Die Frage nach dem Weltbild ist in diesem Sinn die Frage nach der Orientierungsleistung eines religiösen Symbolsystems, dessen kognitive und affektive Komponenten einer eigenen, vorneuzeitlichen Logik folgen. Diese Logik zu beschreiben und zu plausibilisieren, ist das eigentliche Ziel des vorliegenden Bandes. Daß dieser Band realisiert werden konnte, verdanken wir dem gelungenen Zusammenwirken verschiedener Faktoren: allen voran den Autorinnen und

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Vorwort

Autoren für ihre gehaltvollen Beiträge, Frau A. Krüger, Tübingen, für ihren unermüdlichen Einsatz bei der Erstellung der Druckvorlage, den studentischen Hilfskräften Frau U. Latuski, Herrn M. Lichtenstein (beide Tübingen) und Frau B. Salzer (Osnabrück) für Ihre Mithilfe bei den Korrekturen sowie Herrn R. Pflug vom Verlag Mohr Siebeck für die vorbildliche verlegerische Betreuung des Bandes. Allen Genannten sei herzlich gedankt. Beate Ego / Bernd Janowski

Osnabrück / Tübingen im Juni 2001

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

V

I. Die Frage des Weltbilds - Einführung BERND JANOWSKI Das biblische Weltbild Eine methodologische Skizze

3

OTHMAR KEEL Altägyptische und biblische Weltbilder, die Anfänge der vorsokratischen Philosophie und das dp^ii-Problem in späten biblischen Schriften . . . .

27

ANNETTE KRÜGER Himmel - Erde - Unterwelt Kosmologische Entwürfe in der poetischen Literatur Israels

65

II. Gott und Gestirne - der Himmel RÜDIGER BARTELMUS sämajim - Himmel Semantische und traditionsgeschichtliche Aspekte

87

FRIEDHELM HARTENSTEIN Wolkendunkel und Himmelsfeste Zur Genese und Kosmologie der Vorstellung des himmlischen Heiligtums JHWHs

125

MATTHIAS ALBANI „Kannst du die Sternbilder hervortreten lassen zur rechten Zeit ...?" (Hi 38,32) Gott und Gestirne im Alten Testament und im Alten Orient

181

VIII

Inhaltsverzeichnis

III. Peripherie und Zentrum - die Erde BERND JANOWSKI Der Himmel auf Erden Zur kosmologischen Bedeutung des Tempels in der Umwelt Israels. . .

229

BEATE PONGRATZ-LEISTEN mental map und Weltbild in Mesopotamien

261

M ANFRIED DIETRICH Das biblische Paradies und der babylonische Tempelgarten Überlegungen zur Lage des Gartens Eden

281

HERBERT NIEHR Die Wohnsitze des Gottes El nach den Mythen aus Ugarit Ein Beitrag zu ihrer Lokalisierung

325

BEATE EGO Die Wasser der Gottesstadt Zu einem Motiv der Zionstradition und seinen kosmologischen Implikationen

361

IV. Tod und Leben - die Unterwelt STEFANIE GULDE Unterweltsvorstellungen in Ugarit

393

MICHAELA BAUKS „Chaos" als Metapher für die Gefährdung der Weltordnung

431

ANGELIKA BERLEJUNG Tod und Leben nach den Vorstellungen der Israeliten Ein ausgewählter Aspekt zu einer Metapher im Spannungsfeld von Leben und Tod

465

KLAUS BIEBERSTEIN Die Pforte der Gehenna Die Entstehung der eschatologischen Erinnerungslandschaft Jerusalems .

503

V. Bibliographie BEATE EGO und BERND JANOWSKI Bibliographie zum biblischen Weltbild und seinen altorientalischen Kontexten

543

Inhaltsverzeichnis

IX

Hinweise zu den Autorinnen und Autoren

559

I. Stellenregister

567

II. Sachregister

577

III. Wortregister

584

I. Die Frage des Weltbilds - Einführung

Das biblische Weltbild Eine methodologische Skizze von BERND JANOWSKI

Der Mensch lebt nicht mehr in einem bloß physikalischen, sondern in einem symbolischen Universum. Sprache, Mythos, Kunst und Religion sind Bestandteile dieses Universums. E. Cassirer, Versuch über den Menschen, 50

Im Glauben der Antike wölbte sich der Himmel wie ein Baldachin über die Erde und gliederte sie in die heilige Ordnung des Kosmos ein. Der Aufbau des Kosmos und die Menschennatur, die Stadien der Welt- und Heilsgeschichte lieferten „normativ imprägnierte Tatsachen, die, so schien es, auch über das richtige Leben Aufschluss gaben. ,Richtig' hatte hier den exemplarischen Sinn eines nachahmenswerten Modells für das Leben, sei es des Einzelnen oder der politischen Gemeinschaft" 1 . Der über der Erde gewölbte Himmel garantierte ein umfassendes Sinngefüge, in dem alles seinen Platz hatte: die Elemente2, die Menschen, die Tiere, die Pflanzen und die von den Menschen geschaffenen Kulturgüter. „Es dauerte lange, bis es - im Gefolge der Aufklärung und mit der durch die ,Kritik der Vernunft' an jedwedem Glaubenssystem wachsenden Skepsis gegenüber menschlichen Sinnkonstruktionen - zu dem kaum mehr auszuräumenden Verdacht kam, daß von Überwölbungen ( . . . ) nichts zu erwarten (sei), außer daß sie einstürzen"3. 1

HABERMAS, Begründete Enthaltsamkeit, 93. Zur antiken Elementenlehre und ihrer Beziehung zu anthropologischen Leitvorstellungen s. BÖHME / BÖHME, Feuer. 3 SOEFFNER, Gesellschaft, 12. Das Zitat im Zitat stammt aus PLESSNER, Macht, 147, s. zur Sache auch STOLZ, Weltbilder, 217 ff. 2

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Bernd

Janowski

Trotz dieser Einbrüche bleibt die Frage bestehen, ob es postmetaphysische Lösungen für die Suche nach dem „richtigen Leben" gibt oder ob sich die Idee einer kontexttranszendierenden Wahrheit angesichts der Pluralität von Weltbildern und der Individualisierung der Lebensstile gleichsam von selbst erledigt4. Die folgenden Überlegungen zum biblischen Weltbild verfolgen ein bescheideneres Ziel. Sie unterstellen, daß Religion die Funktion hat, dem Menschen die Welt und sich selbst dadurch verständlich zu machen, daß sie „die interpretative Grundstruktur thematisiert und ihm so zugleich Handlungsanweisungen im Umgang mit den vorfindlichen Mächten zuspricht" 5 . Gefragt wird am Beispiel des alten Israel näherhin nach der Orientierungsleistung eines Weltbilds, dessen kognitive und affektive Komponenten einer eigenen, nämlich vorneuzeitlichen Logik folgen. Wegen des einführenden Charakters der folgenden Bemerkungen beschränken wir uns dabei auf die Skizzierung von Grundfragen.

I. Die Wahrnehmung der natürlichen

Lebenswelt

Unter einem „Weltbild" versteht man in der Regel das Zusammenspiel der für eine bestimmte Kultur leitenden Anschauungen und Deutungsmuster über den Aufbau des Kosmos, die Natur der Dinge und das Zusammenleben der Menschen, durch die sowohl die Struktur des Ganzen als auch die Funktion seiner Teile organisiert wird und in Erscheinung tritt. Im Unterschied zum neuzeitlichen Verständnis von „Welt" als der Totalität aller Dinge, die in der empirischen Wirklichkeit (und darüber hinaus) vorkommen, haben frühe Kulturen wie Mesopotamien, Ägypten oder Israel eigene, auf die spezifischen Erfahrungen von Raum und Zeit abgestimmte Konzepte ihrer natürlichen Lebenswelt entwickelt. So ist im Blick auf Weltbilder früherer oder nicht abendländischer Kulturen zunächst zu bedenken, daß „diese Welt nicht dieselbe ,Ausdehnung' hat wie die unsere" 6 . Sie ist übersichtlich und erfahungsgebunden. Der Mensch der Antike „erfährt seine Umwelt zergliedert in Raum und Zeit, Ursache und Wirkung. Die Anordnung und Zuordnung der Dinge, ihre raumzeitliche Verortung und die für ihre Bewertung verantwortlichen Kräfte machen ein Weltbild aus" 7 .

4 S. dazu DUX, Logik der Weltbilder, 290 ff. und HABERMAS, a.a.O., 93 ff. Philosophische und theologische Diskurse zur Weltbildfrage müssen heute verstärkt den Dialog mit den Naturwissenschaften suchen, s. dazu jetzt EVERS, Raum, 381 ff. 5 DUX, Logik der Weltbilder, 168, s. zur Sache auch DERS., Theorie der Kultur und GEERTZ, Religion, 58 ff. 6 STOLZ, Weltbilder, 4. 7 STRECK, Weltbild, 291.

Das biblische

Weltbild

5

Im Sinn dieser Definition hat H. Weippert in ihrem Aufsatz „Altisraelitische Welterfahrung" 8 die Erfahrung von Raum und Zeit zum Ausgangspunkt ihrer Untersuchung gemacht und die intensive Einbindung des einzelnen in Raum und Zeit anhand eindrücklicher Beispiele beschrieben. Der Mensch des alten Israel konnte, so Weippert, „räumlichen und zeitlichen Einflüssen ... nicht distanziert gegenüberstehen, beides erlebte er hautnah" 9 . Sei es die Erfahrung des Tag/Nacht-Rhythmus mit seinem „Wechsel von der tags größeren, nachts kleineren Menschenwelt" 10 oder sei es der jahreszeitliche Rhythmus mit seinem Wechsel von der Sommer- zur Winterweide und von der Saat zur Emte immer erfuhr man Raum und Zeit als etwas Elementares und vor allem, wie etwa der Epilog der nichtpriesterlichen Fluterzählung (Gen 8,21 f.) zeigt, als etwas Zusammengehöriges 11 : Solange die Erde steht, sollen Saat und Ernte, Kalt und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht nicht aufhören. (Gen 8,22)

Aufgrund der spezifischen Vorprägungen für die Wahrnehmung der natürlichen Lebenswelt mußte der Mensch im alten Israel auch ein anderes Verhältnis zu sich selbst und zu der ihn umgebenden Umwelt, also den Mitmenschen, den Tieren, den Pflanzen und den Dingen entwickeln12. Ein zentraler Aspekt dieser anderen Erfahrung von „Welt" ist der Personbegriff, der nicht auf der Individualisierung, sondern auf der Einbindung des einzelnen in die soziale Gemeinschaft und in die ihn umgebende Natur beruht. Man kann diesen Personbegriff „konstellativ" nennen und darunter den Sachverhalt verstehen, daß der einzelne Mensch als Glied eines Ganzen in Erscheinung tritt, das nur insoweit lebendig ist, als es mit anderen verknüpft ist und sich nicht durch Abgrenzung gegenüber ihnen definiert13. „Der eine lebt, wenn der andere ihn leitet" lautet ein ägyptisches Sprichwort 14 , das die Idee dieser sozialen Konnektivität bündig zusammenfaßt. „Ein Mensch", so kommentiert J. Assmann dieses Denken, „entsteht nach Maßgabe seiner konstellativen Entfaltung in der M i t welt' seiner Familie, Freunde, Vorgesetzten, Abhängigen. Leben, nach alt-

8

WEIPPERT, Altisraelitische Welterfahrung, 9 ff. Zur Zeitauffassung in traditionellen Kulturen s. auch MÜLLER, Zeitkonzepte, 221 ff. 9 DIES., a.a.O., 15. 10 DIES., a.a.O., 14, s. dazu auch JANOWSKI, Rettungsgewißheit, 19 ff. u.ö. 11 Vgl. DIES., a.a.O., 15 und zur Sache auch BEEL / KÜCHLER / UEHLINGER, Orte und Landschaften 1, 38 ff. 12 S. dazu STECK, Welt, 52 ff. 13 Zum konstellativen Personbegriff s. ASSMANN, Tod, 13 ff.34 ff.54 ff. u.ö, vgl. WEIPPERT, a.a.O., 18. 14 Metternichstele M 50, Textnachweis bei ASSMANN, a.a.O., 16 Anm. 28.

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ägyptischer Vorstellung ist ein konnektives Phänomen, und ein im vollen Sinn lebendiger Mensch, ist ein konstellatives Phänomen" 15 . Mit dieser Sicht der Person hängt auch eine andere Vorstellung des menschlichen Körpers, von Gesundheit und Krankheit, von Leben und Tod zusammen. Dieses andere Körperbild läßt sich außer an der Einbindung des einzelnen in die soziale Gemeinschaft auch an seiner Einbindung in die ihn umgebende Natur- und Kulturwelt erkennen. Der Alltag spielte sich „in landschaftlich und sozial kleinen Räumen und in überschaubaren Zeitabschnitten ab, er war eng begrenzt" 16 . Die geographischen Termini des Alten Testaments, seine Tierund Pflanzennamen, aber auch seine Begriffe für die Himmelsrichtungen belegen diese überschaubare Welt des alten Israel. Allenthalben stößt man auf die „menschliche Dimension" der Raum- und Zeiteinteilungen: sei es das Wechselverhältnis von Mensch und Natur, das Maßsystem oder die positive/negative Wertung von Raum und Zeit im Kontext von Opfern und Festen17. Alles, so scheint es, hatte seine Logik - die Logik eines vorneuzeitlichen Weltbilds.

II. Die Logik eines vorneuzeitlichen Weltbilds Wer alttestamentliche Texte liest oder Bilder aus der Umwelt Israels betrachtet, stößt immer wieder auf Erscheinungen, die ihm ungewöhnlich, ja widersinnig vorkommen. Die Frage ist: Haben die Menschen des alten Israel anders gedacht als wir oder haben sie ihrem Denken nur einen anderen Ausdruck gegeben, als wir es heute tun?18 Ist also die - verbreitete - Deutung erlaubt, daß das Denken und Wahrnehmen der Menschen des alten Israel eine gleichsam kindliche Entwicklungsstufe der Kultur repräsentiert und diese Menschen in ihrer Vorstellung der sie umgebenden Lebenswelt nicht mehr als ein „Käseglocken-modell" zustande gebracht haben? Die Logik altisraelitischer Welterfahrung ist diejenige eines vorneuzeitlichen Weltbilds. „Vorneuzeitlich" heißt aber nicht „kulturell rückständig" oder „hoffnungslos naiv". Während in unserem kulturellen Umfeld zwei unterschiedliche Weltbild-Typen miteinander konkurrieren - das auf dem „Verfügungswissen" und das auf dem „Orientierungswissen" basierende Weltbild19 - und damit den einzelnen vor eine gewisse Wahlmöglichkeit bis hin zur „bricolage" (Bastelei) seines eigenen Weltbilds stellen, vermitteln traditionelle

15

ASSMANN, a.a.O., 75, vgl. 80 ff. u.ö. WEIPPERT, a.a.O., 19. 17 S. dazu DIES., a.a.O., 23 ff.25 ff.30 ff. 18 S. dazu DUX, Logik der Weltbilder, 13 ff. 19 Zu dieser Unterscheidung s. MITTELSTRASS, Weltbilder, 228 ff., vgl. GESE, Frage des Weltbildes, 202 ff. und STOLZ, Weltbilder, 2 f. 16

Das biblische

Weltbild

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Weltbilder „Konzepte von Welt oder Bereichen der Welt, welche Wissensverwaltung und lebenspraktische Orientierung miteinander besorgen" 20 . Der erste Schritt auf dem Weg zur Neubewertung dieser Integrationsleistung ist die Überwindung eingefleischter Vorurteile, die für das antike Weltbild immer noch mit einem „Käseglockenmodell" 21 rechnen und generell von seiner Naivität, um nicht zu sagen: Dummheit ausgehen. Das ist eine fatale Fehleinschätzung. „Gern wird uns", wie H. Gese dazu anmerkt, „das alte Bild gezeigt, das darstellt, wie jemand mit dem Kopf durch das Firmament stößt und nun die Welt,draußen' betrachtet" 22 (Abb. 1). Mit estaunlichem Einfühlungsvermögen hat der Populärastronom C. Flammarion im Jahr 1888 mit diesem, im Stil von 1520 gehaltenen Holzschnitt den wissenschaftlichen Umbruch der frühen Neuzeit ins Bild gefaßt und dem Stolz auf die kopernikanische Wende gleichsam eine Ikone geschaffen. Dieses Bild repräsentiert aber gerade nicht die antike Anschauung des Firmaments, die, ob naiv oder vergeistigt, von einer solch realistischen Derbheit und Profanität weit entfernt war.

Abb. 1: Gelehrter durchbricht das mittelalterliche Weltbild

20

STOLZ, a.a.O., 4. S. dazu das Bildmaterial bei KEEL, Bildsymbolik, 47 f. und CORNELIUS, Visual Representation, 211 Abb. 1. 22 GESE, a.a.O., 211. 21

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Bernd

Janowski

Es gibt aus den verschiedensten Zeiten der Antike Zeugnisse über Firmamentvorstellungen. Aber keine von ihnen ist von einer solchen Naivität und Profanität wie der Holzschnitt C. Flammarions: „Da sind etwa", so H. Gese, „die hochgeistigen Spekulationen über das Wesen des Firmaments im Midrasch und im Talmud oder jene urtümlichen Vorstellungen über den Himmel, die aus mythischen Wahrnehmungskonzeptionen kommen und viel tiefer als unser Realismus reichen; so wird z.B. nach dem babylonischen Weltschöpfungsepos der Himmel als die obere Hälfte des Leibes der Chaosgöttin Tiamat vorgestellt, die ,wie ein ins Trockene gesetzter Fisch' gehälftet worden ist. Wenn man meint, man könne heute die Vorstellung einer Himmelfahrt Jesu, wie sie in Apg 1,9 ff. dargestellt wird, wegen der hier vorausgesetzten .primitiven' Anschauungen (.Jesus fahre mit einer Wolke wie mit einem Fahrstuhl zum vermeintlich existierenden Himmelsfirmament') nicht mehr nachvollziehen, so liegen die Schwierigkeiten nicht in dem antiken Bericht, sondern in unserer Unfähigkeit zu verstehen, was diese Transzendenzwahrnehmung ,Himmel' ist, den wir erst zu einer .primitiven' Anschauung degradieren, zu verstehen, was die ,Wolke' ist, die, schon der Tradition von der Sinaioffenbarung entstammend, die Umhüllung göttlicher Doxa bildet: die Wolke nahm ihn auf ,von ihren Augen hinweg*. Gewiß können wir in der Bibel eine Fülle urtümlicher Vorstellungen finden, aber erst unsere Blindheit für die gerade im Urtümlichen liegende tiefe Geistigkeit läßt jene vordergründige ,Primitivität' entstehen, die wir dann inakzeptabel finden müssen." 2 3

Als O. Keel vor dreißig Jahren zum ersten Mal sein Werk „Die altorientalische Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen" publizierte, war das ein großer Durchbruch. Denn Keel konnte nachweisen, daß für den Alten Orient und das Alte Testament die empirische Welt nicht einfach das ist, was „vor Augen" liegt, sondern über sich selbst hinausweist und deshalb immer auch symbolische Qualität hat. Was wir als mythisch bezeichnen, galt im Alten Orient als ebenso gewiß und war ebensosehr in seiner Erfahrung begründet wie das, was wir als empirisch gelten lassen24. Nehmen wir als Beispiel den morgendlichen Sonnenaufgang, also ein für das religiöse Weltbild der altorientalischen Kulturen grundlegendes Ereignis25. Die Himmelsgöttin Nut, die am Morgen die Sonnescheibe „gebiert", war für den Ägypter ebenso wirklich wie die östlichen Horizontberge, zwischen denen allmorgendlich der Sonnengott Re über dem Wüstengebirge erschien (Abb. 2) und die zusammen mit der Sonnenhieroglyphe (ßi) das Wort für „Horizont"

23

GESE, a.a.O., 211 f. Durch seine reduktionistische Argumentation meinte R. Bultmann, das Weltbild der Antike und damit des Neuen Testaments erst „entmythologisieren" zu müssen, um es dann „existentiell" zu überholen, s. dazu immer noch den bissigen Kommentar von BERGER, Spuren der Engel, 69 ff. und zur Sache grundsätzlich BERGER, Historische Psychologie, 17 ff. 106 ff. 24 S. dazu bereits FRANKFORT / FRANKFORT, Einführung, 9 ff. und aus jüngster Zeit WIGGERMANN, Mythological Foundations, 279 ff. 25 S. dazu JANOWSKI, Rettungsgewißheit.

Das biblische

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Weltbild

(¡ht) ergeben (vgl. Abb. 3)26. Das Problem, das sich für den Ägypter hier stellte, war die Frage der Vorstellbarkeit: er sah die Sonne/den Sonnengott

3 Abb. 2: Der Sonnengott

Abb. 3: Das Weltgebäude

hinter dem Osthorizont aufsteigen, wußte aber zugleich, daß sich dieser Vorgang nicht 10 oder 20 km von ihm entfernt, sondern ,sehr viel weiter draußen', nämlich am Rand der bewohnten Welt vollzog. Da er von jenen fernen und undurchsichtigen Grenzbezirken der Welt keine eindeutigen Vorstellungen besaß, war er darauf angewiesen, diese mit Hilfe von Analogien aus dem biologischen oder technischen Bereich zu vereindeutigen. So wird der Sonnenaufgang bald als Geburt der Sonnenscheibe aus dem Leib der Himmelsgöttin Nut (Abb. 4) und bald als ihr Eintritt durch das Himmelstor verstanden und bildlich dargestellt (Abb. 5)27. Das eine war für ihn so wirklich wie das andere. Während wir „ständig Gefahr (laufen), diese Bilder zu konkret und, wenn wir davon abgekommen sind, sie wieder abstrakt zu nehmen" 28 , boten dem Ägypter die wenigen und unpräzisen Informationen, die er über die fernen und unanschaulichen Randbezirke seines Universums besaß, zahlreichen Spekulationen symbolischer und technischer Art Raum. Immer stand dabei das Interesse an der Verbindung des Abstraktem mit dem Konkreten und umgekehrt des Konkreten mit dem Abstrakten im Vordergrund.

26 Die Darstellung des Weltgebäudes enthält die Aspekte „Himmel" (pt), „Erde" (Doppellöwe) und „Horizont" (¡ht), s. dazu die grundlegende Arbeit von SCHÄFER, Weltgebäude, 100 f., vgl. JANOWSKI, a.a.O., 150 ff. 27 S. dazu das Bildmaterial bei KEEL, Bildsymbolik, 18 ff.25 ff. 28 KEEL, a.a.O., 8.

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Bernd

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Abb. 4: Erde und (zwei) Himmel als kosmologisches Modell

Abb. 5: Das Weltentor mit Sonnengott, mit Sonnenscheibe und in verschlossenem Zustand

Das biblische

Weltbild

Der beschriebene Sachverhalt hängt mit der Eigenart des altorientalischen und biblischen Weltbilds zusammen. Dessen Grundkoordinaten haben O. Keel und I. Cornelius 29 in eine Skizze übersetzt (Abb. 6), Aussagen alttestamentlicher Texte und ikonographische Elemente aus Palästina/Israel und seiner altorientalischen Umwelt in sich vereinigt: Auf der geöffneten Torarolle (5) steht der Text von Spr 3,19a („JHWH hat die Erde in Weisheit gegründet", vgl. Ps 104,24 u.a.), dessen Aussagegehalt in Anlehnung an eine ägyptische Bildidee durch zwei nach oben geöffnete und angewinkelte Arme (vgl. die Hieroglyphe für Ka „Lebenskraft") veranschaulicht wird.

Abb. 6: Rekonstruktion des biblischen Weltbilds

29 S. dazu DERS., Weltbild, 161; DERS., Sammlungen, 15, vgl. CORNELIUS, World, 217 und mit einer anderen Darstellung KOCH, Weltbild, 546.

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Bernd

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Diese Arme stützen die „Säulen" bzw. die „Grundfesten der Berge/Erde", auf denen JHWH die Erde gegründet hat (lSam 2,8, vgl. Ps 18,8.16; 75,4; Hi 9,6; Jes 24,18 u.a.). Der einer mesopotamischen Weltbilddarstellung (Kudurru aus Susa, 12. Jh.v.Chr.) entnommene gehörnte Schlangendrache mushussu (4) symbolisiert dabei die ständige Bedrohung der Welt durch die Mächte des Chaos, die nach alttestamentlichem Verständnis durch das „Meer" (C;, vgl. ug. yammu) und seine Repräsentanten Leviathan (Ps 74,14 u.a.), Rahab (Jes 51,9) und Tannin (Ps 74,13; 148,7 u.a.) verkörpert werden. Der Tempel auf dem Zion mit dem Kerubenthron (2, vgl. Ps 80,2; 99,1; Jes 37,16 u.a.) und den geflügelten Seraphen (3), die den thronenden Königsgott flankieren (Jes 6,2 f.), ist das unerschütterliche Bollwerk gegen die andrängenden Chaosfluten. Seine Gegenwart verwandelt die drohenden Wassermassen in fruchtbare Kanäle und lebenspendende Bäche (vgl. Ps 46,5; 65,10; 104,10 ff.), während die stilisierten Bäume, die den Tempel flankieren, die Fruchtbarkeit des Heiligtumsbereichs charakterisieren. Das Licht des Himmels (1), symbolisiert durch die Flügelsonne (Mal 3,20, vgl. Ps 139,9), verkündet die Herrlichkeit Gottes, an deren Glanz die ganze Schöpfung teilhat. Für den in dieser Welt lebenden Menschen war es ein unbegreifliches Wunder, daß die von JHWH über dem „Nichts" gehaltene Erde (vgl. Hi 26,7) nicht in den Chaosfluten versank. Die Frage, worauf die „Säulen der Erde" ruhen, haben die Menschen des alten Israel sicher nicht naiv oder kindlich beantwortet. „Sie wußten, daß die .Säulen der Erde' nicht auf dem Wasser schwimmen, und daß ein himmlisches Riesengewölbe ungeheure statische Probleme stellen würde" 3 0 . Ihr Weltbild war ein anderes und sowohl vorstellungsmäßig als auch religiös wesentlich anspruchsvoller als die gängigen Schulbuch-Darstellungen. Der entscheidende Unterschied sind die numinosen Faktoren, die in der Rekonstruktion von Keel und Cornelius durch Symbole und Metaphern (wie den Kerubenthron, die Seraphen, die Flügelsonne, die heiligen Bäume oder den Chaosdrachen) visualisiert werden. Die Frage, worauf die „Säulen der Erde" ruhen, versucht diese Rekonstruktion deshalb durch das Symbol der ausgebreiteten Arme und die Schriftrolle mit dem Zitat aus Spr 3,19a zu beantworten - oder mit den Worten des Alten Testaments: „JHWH gehört die Erde und was sie erfüllt, der Erdkreis und die auf ihm wohnen, denn er über Meeren hat er sie gegründet und über Strömen hat er sie festgemacht" (Ps 24,1 f., vgl. Ps 18,6; 82,5; 104,5).

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KEEL, Sammlungen, 14.

Das biblische

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Weltbild

III. Religion als kulturelles

System

Die Problematik einer Rekonstruktion des biblischen Weltbilds, wie sie von O. Keel und I. Cornelius vorgeschlagen wurde, liegt allerdings auf der Hand. Denn es werden ganz disparate, unterschiedlichsten Kontexten zugehörige Elemente zu einem Bild zusammengefaßt und als „das alttestamentliche Weltbild" ausgegeben. Im Sinn einer Historischen Kosmologie des Alten Testaments aber müßten die diachronen Aspekte Berücksichtigung finden und in die Darstellung einfließen31. So könnte man etwa anhand von Jes 6,1-5 und seiner Vision des thronenden Königsgottes JHWH das vertikale Weltbild der Jerusalemer Tempeltheologie der mittleren Königszeit erheben und dessen Struktur zu beschreiben versuchen32. Ein anderes Beispiel wäre das horizontale Weltbild von Ps 46,2-8 33 , wieder ein anderes dasjenige von Am 9,l-4 3 4 , von Gen 1,1-2,4a und 2,4b-25 35 , von Jes 66,1 f.36, des Esra- und Nehemiabuchs37 oder von Hi 38,l-38 3 8 . In diesem Sinn wären die Transformationen der vorexilischen, exilischen und nachexilischen Weltbilder Text für Text zu beschreiben, um „das biblische Weltbild" in seiner Komplexität und Entwicklung zu rekonstruieren. Das ist eine erst neuerdings gesehene Aufgabe, zu deren Präzisierung und Lösung der vorliegende Band beitragen will.

1. Die Korrelation von Tatsächlichem und Symbolischem Trotz der genannten Einschränkung besitzt die von O. Keel und I. Cornelius vorgelegte Rekonstruktion des biblischen Weltbilds, auch wenn sie nur eine idealtypische Zusammenstellung zentraler Elemente des Jerusalemer Symbolsystems bietet, nach wie vor heuristischen Wert. Denn sie verdeutlicht den grundlegenden Sachverhalt, daß die Welt nach altorientalischer und biblischer Auffassung nicht ein geschlossenes und profanes System, sondern eine nach allen Seiten hin offene Größe darstellte. O. Keel hat diese Eigenart anhand des Begriffs der „Osmose" beschrieben:

31

S. dazu auch BARTELMUS, •"QÖ, 211 ff. und seinen Beitrag in diesem Band. Gemeint ist das Weltbild der Jerusalemer Tempeltheologie der mittleren Königszeit, s. dazu HARTENSTEIN, Unzugänglichkeit Gottes, 30 ff. und JANOWSKI, Wohnung des Höchsten. 33 S. dazu den Beitrag von B. Ego in diesem Band, ferner JANOWSKI, Wohnung des Höchsten. 34 S. dazu JEREMIAS, Arnos, 122 ff. 35 S. dazu STECK, Welt, 54 ff.70 ff. 36 S. dazu ALBANI, Schöpfung, 37 ff. und seinen Beitrag in diesem Band. 37 S. dazu KOCH, Weltordnung, 308 ff. 38 S. dazu KEEL, Jahwes Entgegnung, 51 ff. 32

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„Es findet eine ständige Osmose zwischen Tatsächlichem und Symbolischem statt. Diese Offenheit der alltäglichen, irdischen Welt auf die Sphären göttlich-intensiven Lebens und bodenloser, vernichtender Verlorenheit hin ist wohl der Hauptunterschied zu unserer Vorstellung der Welt als eines praktisch geschlossenen mechanischen Systems. ( ...) Die Welt ist nach biblischer und altorientalischer Vorstellung auf das Über- und Unterirdische hin offen und durchsichtig." 39

Die „Offenheit der Welt auf das Über- und Unterirdische" ist die eine Seite. Die andere Seite besteht in den Anforderungen, die diese Offenheit an das menschliche Erkenntnis- und Handlungsvermögen stellte. Denn da eine auf das Über- und Unterirdische hin offene Welt prinzipiell ambivalent ist, war es die Aufgabe des Menschen, die in sich zweideutige Welt zu vereindeutigen, d.h. die in vielfältiger Weise von antagonistischen Mächten - Kosmos/Chaos, Licht/ Finsternis, Leben/Tod, Reinheit/Unreinheit, Gesundheit/Krankheit, Fruchtbarkeit/Sterilität u.a. - durchwaltete Wirklichkeit auf eine Welt hin zu bestimmen, die Bestand hat und in der ein sinnvolles Leben möglich ist. Sind also, so lautete die Frage, in einer auf die himmlischen wie die unterirdischen Bereiche hin offenen Welt Ordnugs- und Sinnzusammenhänge auf Dauer erlebbar oder ist dem Menschen die Erfahrung einer stabilen und heilvoll geordneten Welt nur punktuell vergönnt? Das für den einzelnen wie für die soziale Gemeinschaft hier aufbrechende Grundproblem bestand also darin, „die Spannung zwischen der notwendigen Ordnung der Welt und den faktischen Gegebenheiten, in denen Ordnungs- und Unordnungselemente immer ineinanderliegen und durcheinandergehen, zu bewältigen" 40 , also mit Hilfe kultisch-ritueller, magischer, divinatorischer, medizinischer, (sakral-)rechtlicher oder auch mathematischastronomischer Operationen den Vorgang der „Setzung bestimmter Abgrenzungen und Unterscheidungen" 41 ständig zu vollziehen und so zu verläßlichen Bestimmungen hinsichtlich der von antagonistischen Kräften geprägten menschlichen Lebenswelt zu gelangen. Die sichtbaren Zeichen des religiösen Symbolsystems wie die in der obigen Rekonstruktion (Abb. 6) eingezeichneten Elemente: Seraphen, Keruben, himmlischer/irdischer Thron, Berg, (Gottes-)Bäume, fruchtbare Bäche/chaotische Fluten, Leviathan u.a., die nicht nur „auf etwas hinter ihnen Liegendes" 42 verweisen, sondern die jeweils auch in fundamentale Konstellationen eingebunden sind43, boten dabei elementare Grundorientierungen. Man mußte mit ihnen

39

KEEL, Bildsymbolik, 47. SCHMID, Altorientalische Welt, 152. 41 CASSIRER, Philosophie der symbolischen Formen II, 118, s. zu den Grenzen des sozialen Raums und der sozialen Zeit auch LEACH, Kultur, 45 ff. Dieses Problem hat sich nicht nur den Kulturen des Alten Orients gestellt, s. etwa BERGER / LUCKMANN, Konstruktion der Wirklichkeit, 11 f. 42 STOLZ, Religionswissenschaft, 101. 43 S. dazu KEEL / UEHLINGER, Göttinnen, 13 f. 40

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allerdings vertraut sein - so vertraut, daß man sie „lesen" und ihre „Sprache" verstehen konnte.

2. Die Struktur des religiösen

Symbolsystems

Eine Kultur besteht ebenso wie eine Religion aus einer beschränkten Anzahl sichtbarer und hörbarer Zeichen, die ein bestimmtes Muster, ein Gewebe bilden. „Wie sich eine Sprache nicht nur aus ihren Wörtern rekonstruieren läßt, so die religiöse Vorstellungswelt einer Kultur nicht aus isolierten Bildelementen. Wer eine Sprache verstehen will, muß deren Syntax kennen und Sätze analysieren; wer Bilder verstehen will, muß das Hauptaugenmerk auf komplexe Konstellationen richten, wo immer solche zu finden sind." 44 Zu finden sind sie im religiösen Symbolsystem, das sich als das „Zeicheninventar" einer Kultur verstehen läßt. Zur Präzisierung des Ausdrucks „Religiöses Symbolsystem" kann man auf den Ansatz von C. Geertz zurückgreifen, der Religion als „kulturelles System" versteht. „Kultur" meint nach Geertz ein historisch überliefertes System von Bedeutungen, die in symbolischer Gestalt auftreten und den Menschen helfen, ihre Einstellungen zum Leben mitzuteilen, zu erhalten und weiterzuentwickeln. Symbole haben nach Geertz „ ... die Funktion, das Ethos eines Volkes - Stil, Charakter und Beschaffenheit seines Lebens, seine Ethik, ästhetische Ausrichtung und Stimmung - mit seiner Weltauffassung - dem Bild, das es über die Dinge in ihrer reinen Vorfindlichkeit hat, seinen Ordnungsvorstellungen im weitesten Sinne - zu verknüpfen" 45 .

Als kulturelles System stimmt die Religion die menschlichen Handlungen auf eine vorgestellte kosmische Ordnung ab und projiziert umgekehrt Bilder der kosmischen Ordnung auf den menschlichen Erfahrungsbereich. Das religiöse Symbolsystem stellt demnach eine Grundübereinstimmung zwischen einem bestimmten Lebensstil („Ethos") und einer bestimmten Ordnungsvorstellung („Weltauffassung") her, indem es jede der beiden Seiten mit der Autorität der jeweils anderen Seite stützt. Aufgrund dieser gegenseitigen Durchdringung und Bestätigung machen „religiöse Vorstellungen und Praktiken ... das Ethos einer Gruppe zu etwas intellektuell Glaubwürdigem, indem sie es als Ausdruck einer Lebensform darstellen, die vollkommen jenen tatsächlichen Gegebenheiten entspricht, wie sie die Weltauffassung beschreibt. Die Weltauffassung hingegen machen sie zu etwas emotional Überzeugendem, indem sie sie als Bild der tatsächlichen Ge44

DIES., a.a.O., 14. GEERTZ, Religion, 47. Zur gegenwärtigen kulturwissenschaftlichen Diskussion des Kulturbegriffs s. DANIEL, Kompendium Kulturgeschichte, 443 ff. 45

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gebenheiten darstellen, das einer solchen Lebensform ganz besonders nahekommt" 46 . Eine Religion, so definiert Geertz, ist folglich „ ... (1) ein Symbolsystem, das darauf zielt, (2) starke, umfassende und dauerhafte Stimmungen und Motivationen in den Menschen zu schaffen, (3) indem es Vorstellungen einer allgemeinen Seinsordnung formuliert und (4) diese Vorstellungen mit einer solchen Aura von Faktizität umgibt, daß (5) die Stimmungen und Motivationen völlig der Wirklichkeit zu entsprechen scheinen" 47 .

Das religiöse Symbolsystem beruht danach auf einem Wechselverhältnis zwischen der „Vorstellung einer allgemeinen Seinsordnung" („Weltauffassung") und den durch sprachliche und/oder bildliche Zeichen vermittelten „Stimmungen und Motivationen in den Menschen" („Ethos"), die jener letztgültigen Wirklichkeit entsprechen. Schematisch ließe sich dies folgendermaßen darstellen: Vorstellung einer allgemeinen Seinsordnung als letztgültiger Wirklichkeit („Weltauffassung"): stark, umfassend und dauerhaft IT deren sprachlicher und/oder bildlicher im kulturellen Zeichensystem („religiöses Symbolsystem"): Aura von Faktizität

Ausdruck

IT diesem Ausdruck entsprechende Stimmungen und Motivationen in den Menschen („Ethos"): stark, umfassend und dauerhaft

Wir können uns dieses Wechselverhältnis an einem Beispiel verdeutlichen, indem wir dessen Elemente in das Symbolsystem der Jerusalemer Tempeltheologie übersetzen und dabei auf die JHWH-König-Vorstellung rekurrieren, die vor allem in den JHWH-Königs-, den Zions-, den Schöpfungs-, den Wallfahrts-Psalmen und - mit anthropologischer Zuspitzung - in den Klageliedern

46 47

DERS., a.a.O., 47 (Hervorhebung von mir). DERS., a.a.O., 48.

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des einzelnen (Ps 3-14 u.a.)48 oder auch in Texten wie Jes 6,1-5; Ez 1; 10 f.*; Jer 17,12; Jes 66,1 f. u.a.49 belegt ist: Vorstellung von JHWH dem „Königsgott inhalt der Jerusalemer Tempeltheologie

vom Zion" als Zentral-

IT deren sprachlicher oder bildlicher Ausdruck durch Elemente des religiösen Symbolsystems Orte: Zeiten: Riten: Symbole:

Texte:

Tempel als „Urhügel" / „Berg" /,Palast" / „Thron" / „Haus" u.a. Tempel/Thron „von Urzeit her" / „von Anbeginn an"; Tempel-Schöpfung-Relation u.a. Thronbesteigung JHWHs (3B\ rb'J)\ Herbst- und Neujahrsfest, Tempelweihe u.a. Keruben, Seraphen, Löwen, Rinder; Palm(ett)en, Lotusblüten, Granatäpfel (Dekorationsprogramm des Jerusalemer Tempels); (Gottes-)Bäume u.a. Zions-, JHWH-Königs-, Königs-, Schöpfungs-, WallfahrtsPsalmen; Klagelieder des einzelnen u.a.

IT diesem Ausdruck entsprechender Glaube an JHWH den „Königsgott vom Zion" und Leben danach50

Im Sinn der Definition von Religion als kulturellem Zeichensystem boten die Symbole der Jerusalemer Tempeltheologie wie das Kerubenpaar (lKön 6,23-28), die Dekorationen der Tempelinnenwände (lKön 6,29.32.34 f.) oder das Eherne Meer (lKön 7,23-26), die jeweils in fundamentale Konstellationen eingebunden waren, den Menschen im königszeitlichen Juda-Jerusalem elementare Lebensorientierungen, und zwar angesichts der Spannung zwischen der vorgestellten Ordnung der Welt und den faktischen Gegebenheiten, in de-

nen Ordnungs- und Unordnungselemente immer ineinander liegen. Wie die Regeln einer Sprache mußte man die Regeln des religiösen Symbolsystems, d.h. seine „Grammatik" und „Syntax" kennen51, um die entsprechenden Bilder und Texte auch lesen und verstehen zu können. Erst dann erschlossen sich 48

S. dazu JANOWSKI, Richter, 65 ff. S. dazu DERS., Wohnung des Höchsten. 50 Dieser Zusammenhang kommt besonders in den Klageliedern des einzelnen zum Ausdruck, s. dazu den Hinweis oben Anm. 46. 51 Vgl. KEEL / UEHLINGER, Göttinnen, 14. 49

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die Sinndimensionen der Jerusalemer Tempeltheologie und die Funktionen, die einem einzelnen Symbol/Zeichen innerhalb des Ganzen zukamen.

V. Leitkategorien der biblischen

Weltbildanalyse

Soweit unsere methodologische Skizze zum biblischen Weltbild. Immer wieder sind wir dabei auf den Begriff des Symbols als einem Leitbegriff für die Rekonstruktion des Weltbilds gestoßen. E. Cassirer (1874-1945), dessen Werk gegenwärtig eine bemerkenswerte Renaissance erlebt, hat in seinem „Versuch über den Menschen" von 1944 den Menschen als homo symbolicus, also als ein Wesen definiert, das eine eigentümliche Fähigkeit zur symbolischen Gestaltung seiner Lebenswelt besitzt: „Er (sc. der Mensch) lebt nicht mehr in einem bloß physikalischen, sondern in einem symbolischen Universum. Sprache, Mythos, Kunst und Religion sind Bestandteile dieses Universums. Sie sind die vielgestaltigen Fäden, aus denen das Symbolnetz, das Gespinst menschlicher Erfahrung gewebt ist. Aller Fortschritt im Denken und in der Erfahrung verfeinert und festigt dieses Netz. Der Mensch kann der Wirklichkeit nicht mehr unmittelbar gegenübertreten; er kann sie nicht mehr als direktes Gegenüber betrachten. Die physische Realität scheint in dem Maße zurückzutreten, wie die Symboltätigkeit des Menschen an Raum gewinnt." 52

Der Begriff des Symbols ist geeignet, Leitkategorien oder Ordnungsparameter zu entwickeln53, die für die Analyse des biblischen Weltbilds essentiell sind und die auch in den Beiträgen des vorliegenden Bandes eine Rolle spielen. Einige dieser Leitkategorien seien abschließend noch einmal zusammenfassend genannt.

1. Empirische Wirklichkeit und symbolische Deutung Zu den Ordnungsparametern, die nach altorientalischem und biblischem Verständnis die Erfahrungswelt strukturieren, gehört die Korrelation von Faktischem und Symbolischem bzw. von Konkretem und Abstraktem. Während wir gewohnt sind, das Konkrete und das Abstrakte voneinander zu trennen und entweder mit konkreten Gegenständen wie Baum, Thron oder Berg oder mit abstrakten Begriffen wie Leben, Königtum oder Ort der Gottheit zu arbeiten, verwenden die altorientalischen Kulturen mit Vorliebe „Begriffe, die an sich 52 CASSIRER, Versuch über den Menschen, 50. Zu Cassirers Ansatz s. die kritische Aufnahme und Weiterführung bei HABERMAS, Formgebung, 9 ff.; MOHN, Mythostheorien, 84 ff.; DANIEL, Kompendium Kulturgeschichte, 90 ff. u.a. 53 Zur kulturwissenschaftlichen Problematik s. etwa LEACH, Kultur, passim, zur philosophischen Problematik LANGER, Philosophie, passim.

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konkret sind, aber oft etwas weit über ihre konkrete Bedeutung Hinausreichendes meinen" 54 . Die altorientalischen Kulturen trennen nicht zwischen Konkretem und Abstraktem, sondern wahren den Zusammenhang von beidem, indem sie die „Einheit der Wirklichkeit" mit Hilfe von Symbolen darstellen. Der Akt der Symbolisierung leistet die Verbindung des Abstrakten mit dem Konkreten und des Konkreten mit dem Abstrakten, indem es eine Transformation der gegenständlichen in eine nichtgegenständliche Bedeutung („Idee") herbeiführt, also den Überschritt vom sinnlichen Eindruck zum symbolischen Ausdruck leistet55. „Symbolisierung" meint einen zwar vorbegrifflichen, aber nicht vorrationalen Akt. Als eine Funktion des menschlichen Geistes ist sie „der Ausgangspunkt allen Verstehens im spezifisch menschlichen Sinne und umfaßt mehr als Gedanken, Einfälle oder Handlungen. Denn das Gehirn ist nicht bloß eine große Vermittlungsstation, eine Superschalttafel, sondern eher ein großer Transformator. Der ihn durchlaufende Erfahrungsstrom verändert seinen Charakter, nicht durch das Zutun des Sinnes, der die Wahrnehmung empfing, sondern vermöge des primären Gebrauchs, der sofort davon gemacht wird: er wird eingesogen in den Strom von Symbolen, der den menschlichen Geist konstituiert" 56 .

2. Weltbild und mental map Die Beziehungen zwischen der Religion (z.B. des alten Israel) und ihrer geographischen Umwelt ist in den letzten Jahren verstärkt zum Gegenstand religionsgeschichtlicher und religionsgeographischer Forschung geworden. „Wegen der Wechselseitigkeit dieser Beziehungen - die Religionen prägen durch ihre Bekenner das Erscheinungsbild der Kulturlandschaft und der von der Religion vorgeprägte Raum wirkt auf die Religion in Gestalt ihrer darin ansässigen Anhänger zurück - ist die Religionsgeographie an der Erklärung der räumlichen Verhältnisse wie der Religion beteiligt" 57 . Von besonderem Interesse für die Weltbildproblematik ist in diesem Zusammenhang das Zustandekommen einer 54

KEEL, Bildsymbolik, 8. S. dazu CLAESSENS, Das Konkrete, 28 ff. Zum Prozeß der symbolischen Transformation s. LANGER, Philosophie, 34 ff.; KEEL, Recht der Bilder, 267 ff.; DERS. / UEHLINGER, Göttinnen, 13 f. und STOLZ, Religionswissenschaft, 101 ff. 56 LANGER, a.a.O., 50. 57 HOHEISEL, Religionsgeographie, 108, vgl. zum Grundsätzlichen auch LEROIGOURHAN, Hand und Wort, 387 ff. Ältere Beispiele für den Zusammenhang von Kultur/Religion und (Um-)Weltwahrnehmung sind FRANKFORT / FRANKFORT, Einführung, 29 ff.31 ff. (für Mesopotamien); ALT, Rhythmus der Geschichte, 1 ff. (für Syrien-Palästina) und WOLF, Kulturgeschichte, 16 ff. (für Ägypten), s. zur Sache auch WEIPPERT, Geschichte Israels, 71 ff.; STOLZ, Weltbilder, 23 ff. und den Beitrag von K. Bieberstein in diesem Band. 55

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mental map. Die mental map ist eine Art „inneres Modell", das den einzelnen und die Gemeinschaft instand setzt, seine Umwelt wahrzunehmen, zu deuten und zu bewerten. Beispiele für diese Art der Umweltwahrnehmung sind die Mythologisierung und Ritualisierung des Raums5*, die kultische und politische Verknüpfimg von Zentrum und Peripherie59 oder - im Kontext des „horizontalen Weltbilds" besonders brisant - die Grenze zwischen der Welt der Lebenden und der Toten60. Allerdings: Literarische Quellen wie das Alte Testament erlauben es oft nicht, die mental map bzw. den Filter, der die Raumwahrnehmung bedingt, auch nur in groben Zügen zu rekonstruieren. „Deshalb liegt bei Studien dieser Art die bei historischen Arbeiten nie ganz zu vermeidende Gefahr, die Plausibilitätsstrukturen des Forschers mit den Entscheidungskriterien der Erforschten zu identifizieren, besonders nahe"61. Man wird diesem Zirkel nur entgehen, wenn man die Thesen zur (Um-)Weltwahrnehmung immer wieder kritisch an die relevanten Texte rückbindet und dabei - gemäß einer neueren Einsicht - umsichtig das altorientalische Bildmaterial berücksichtigt62. Nur eine Integration von Text und Bild dürfte der Frage nach dem biblischen Weltbild gerecht werden.

3. Implizite

und explizite

Kosmologie

Ein weiterer Aspekt betrifft schließlich den Begriff „Kosmologie", der, wie sich am Beispiel der Zionstradition zeigen läßt, in Zukunft differenzierter zu handhaben sein wird. In der bisherigen Forschung war es üblich, die Zionstradition („Jerusalemer Kulttradition") als ein Ensemble von vier bis fünf Grundmotiven zu beschreiben und dessen konzeptionelle Geschlossenheit als von Anfang an gegeben herauszustellen63. Überdies standen das Alter und die (vorisraelitisch-jebusitische) Herkunft der Gesamttradition im Vordergrund des Interesses. Inzwischen haben sich die Parameter deutlich verschoben. Zum einen ist die Textbasis für die Einzelmotive, sofern man nach ihrer vorexilischen Gestalt fragt, wesentlich schmaler als bislang angenommen. Zum anderen ist die Rede von „der" Zionstradition als eines von Anfang an homogenen und über die Zeiten hin stabilen Gebildes obsolet geworden. Im Anschluß an die kulturwissenschaftliche Diskussion zum religiösen Symbolsystem sowie unter 58

S. dazu PONGRATZ-LEISTEN, Ina sulmi Trub, 12 ff. und ihren Beitrag in diesem Band. S. dazu DIES., a.a.O., 9 ff., ferner BERLEJUNG, Theologie der Bilder, 25 ff. und ihren Beitrag in diesem Band. 60 S. dazu NIEHR, Himmel, 55 ff.; XELLA, „centro", 13 ff. und die Beiträge von A. Berlejung und K. Bieberstein in diesem Band. 61 HOHEISEL, Religionsgeographie, 118. 62 S. dazu Überblickshaft CORNELIUS, Visual Representation, 193 ff. mit der dort angegebenen Lit. 63 Zum Folgenden s. JANOWSKI, Wohnung des Höchsten. 59

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Berücksichtigung neuerer Arbeiten zur Religionsgeschichte Israels läßt sich die Vorstellung vom Königtum JHWHs als Basisaussage der (vorexilischen) Zionstradition verstehen, die in den Grundtexten Jes 6,1-5; Ps 93 u.a. bzw. Ps 46,2-8; 48 u.a. nach ihrer vertikalen und horizontalen Dimension entfaltet wird. Da die Vorstellung vom Wohnort JHWHs Teil der Vorstellung vom Weltganzen („Weltbild") ist, ist weiterhin zwischen einer impliziten und einer expliziten Kosmologie zu unterscheiden64. Während mit expliziter Kosmologie eine raumzeitliche Ordnung gemeint ist, der eine eigenständige Bedeutung zukommt (vgl. die erst nachexilisch nachweisbare Rede vom „Himmel" als Wohnort JHWHs) 65 , weist die implizite, an der räumlichen „Symbolik des Zentrums" (Tempel, Stadt, Palast) orientierte ältere Kosmologie keine eigene Begründungsfunktion auf, da sie in den entsprechenden Texten immer schon vorausgesetzt wird. Entsprechend schwierig ist es, sie zu rekonstruieren. Das sind nur einige, wenn auch zentrale Kategorien der biblischen Weltbildanalyse. Die künftige Forschung wird weitere Parameter entwickeln, um die Eigenbegrifflichkeit und Logik des biblischen Weltbilds besser zu verstehen als bisher. Die Beiträge des vorliegenden Bandes stellen dazu Vorarbeiten und Fallbeispiele bereit.

VI. Ausblick Abschließend mag sich die Frage aufdrängen, welchen Gewinn denn die Beschäftigung mit dem antiken Weltbild für die Gegenwart bringt. Zunächst einmal, so scheint uns, den Gewinn, den jede historische und kulturwissenschaftliche Analyse der Vergangenheit bedeutet: nämlich zu verstehen, woher wir kommen und wohin wir gehen. Historische Forschung leistet deshalb kulturelle Erinnerungsarbeit. Angesichts der problematischen Alternative, entweder vom normativen Vorbild der Vergangenheit abzuweichen oder die Vergangenheit ewig wiederholen zum müssen, verfolgt sie ein kulturtypologisches Interesse. Denn: „In ihrer kulturellen Überlieferung wird eine Gesellschaft sichtbar: für sich und für andere. Welche Vergangenheit sie darin sichtbar werden und in der Wertperspektive ihrer identifikatorischen Aneignung hervortreten läßt, sagt etwas über das, was sie ist und worauf sie hinauswill" 66 . Jenseits von sklavischer Übernahme oder überheblicher Verdrängung der Vergangenheit optiert historische Forschung für die Notwendigkeit, den langen Weg von der Antike bis heute verstehend nachzuvollziehen und dabei verschüttete oder verdrängte 64 65 66

S. dazu HARTENSTEIN, Unzugänglichkeit Gottes und seinen Beitrag in diesem Band. S. dazu den Beitrag von R. Bartelmus in diesem Band. ASSMANN, Kollektives Gedächtnis, 16.

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Möglichkeiten des Welt- und Selbstverständnisses wieder zur Geltung zu bringen. Darüber hinaus ist es gar nicht ausgemacht, daß wir das ptolemäische Weltbild gänzlich hinter uns gelassen und die Einsichten der kopernikanischen Wende vollständig beherzigt haben67. Im Erleben sind wir, ob wir es wollen oder nicht, nach wie vor Ptolemäer. Noch immer „geht" 500 Jahre nach N. Kopemikus (1473-1543) die Sonne im Osten „auf", obwohl das dem heliozentrischen Weltbild diametral widerspricht. Und noch immer „wölbt sich" der Himmel über uns, obwohl wir auch das besser wissen (müßten). Wer garantiert uns denn, daß unsere heutigen Vorstellungen, selbst wenn sie mit dem allerneuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse übereinstimmen, die richtigen und endgültigen wären? Die Alltagswelten unserer Vorfahren, zu denen auch die Menschen des alten Israel gehören, „mochten räumlich zwar kleiner und zeitlich kürzer als die unsrigen sein, ihr Horizont enger und ihr jederzeit mögliches Lebensende näher gelegen haben. Aber diese physischen Begrenzungen: der nächste Hügelzug und der Rand des großen dichten Waldes genauso wie Sterben und Tod bedeuteten für sie eben letztlich doch nicht die eigentlichen Grenzen und das Ende. Ihre Welten griffen räumlich und zeitlich weit darüber hinaus" 68 . Wir sehen heute per Fernseher in die letzten Winkel der Erde und surfen via Internet durch hunderte von virtuellen Welten - aber ein „Weltbild" will sich dabei nicht einstellen. Nicht nur, weil wir das jeweils Gesehene nicht mehr in einen sinnvollen Zusammenhang einordnen können, sondern auch und vor allem, weil uns die physische Welt immer mehr entschwindet. Um nicht mißverstanden zu werden: es gibt keinen Weg zurück zum Weltbild der Antike, weil es unwiderbringlich dahin ist. Und selbst wenn es uns gelänge, den Weg zurück zu gehen - wir würden uns nicht mehr in ihm zurechtfinden. Es ist aber höchste Zeit uns bewußt zu machen, welchen Verlust das Entschwinden der Dinge und ihrer sinnlichen Anschauung für unser Menschsein bedeutet. Je virtueller die physische Welt wird, um so weniger Grund gibt es auch, nach ihrem symbolischen Gehalt und ihrer religiösen oder

67 Paradoxerweise hat uns eine Spitzenleistung der wissenschaftlich-technischen Moderne, nämlich die erste Landung eines Menschen auf dem Mond im Juli 1969, eine neue Geozentrik zu Bewußtsein gebracht. Denn seit wir den geozentrischen Blick von außerhalb kennen, also den Blick, den uns eine auf dem Mond postierte und auf unsere Erde gerichtete Kamera übermittelt hat, ist evident, daß unser Globus bezüglich seiner unvergleichlichen Schönheit und humanen Wohnqualität keinen Vergleich mit den Sternen scheuen muß. „Die kosmische Oase, auf der der Mensch lebt, dieses Wunder von Ausnahme, der blaue Eigenplanet inmitten der enttäuschenden Himmelswüste, ist nicht mehr ,auch ein Stern', sondern der einzige, der diesen Namen zu verdienen scheint" (BLUMENBERG, Genesis der kopernikanischen Welt, 793 f.). 68

IMHOF, Welten, 228 (Hervorhebung im Original).

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metaphysischen Bedeutung zu fragen 69 . Dann ist auch die Frage nach einem „Sinn des Lebens" müßig. Diese Frage wachzuhalten - auch wenn wir sie anders beantworten als unsere Vorfahren ist vielleicht das Wichtigste, was uns die Beschäftigung mit dem Weltbild der Antike lehren kann.

Abbildungsnachweis Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb.

1 2 3 4 5 6

TEICHMANN, Wandel des Weltbildes, 201 Abb. 101 JANOWSKI, Rettungsgewißheit, 151 Abb. 25 SCHÄFER, Weltgebäude, 103 Abb. 27 KEEL, Bildsymbolik, 28 Abb. 30 SCHÄFER, Weltgebäude, 101 Abb. 22-24 CORNELIUS, Visual Representation, 217 Abb. 9

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69

Zu dem für das Weltbild der Antike konstitutiven Zusammenhang von sinnlicher Anschauung und geistiger Erkenntnis s. die grundsätzlichen Bemerkungen von GESE, Frage des Weltbildes, 212 f.

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Bernd

Janowski

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Altägyptische und biblische Weltbilder, die Anfänge der vorsokratischen Philosophie und das 'Ap%r)-Problem in späten biblischen Schriften* von OTHMAR KEEL

Hätten wir im Alten Orient gelebt, wäre mindestens die Hälfte von uns schon tot und die Hälfte unserer Bekannten und Verwandten ebenfalls. Das Unbegreifliche, das man mit der etwas abgegriffenen Münze „Wunder des Lebens" in Umlauf setzt, ereignete sich damals in einem viel lebhafteren Rhythmus und wurde entsprechend intensiver und fatalistischer erfahren. Diese Intensität und dieser Fatalismus bezogen sich nicht nur auf das individuelle Leben, sondern auch auf das von Himmel und Erde, deren Entstehen und Vergehen man mit Hilfe drastischer Metaphern zu vergegenwärtigen und soweit als möglich und notwendig zu nutzen versuchte. Drastisch wie das Leben stellte man sich auch die Welt vor der Schöpfung vor, nicht als farbloses Nichts, sondern als wäßriges (Gen 1,2) oder seltener trockenes Chaos (Gen 2,5), als etwas real Existierendes, aber als etwas, das zu einem vollen Leben keine Möglichkeiten bot, also als etwas grausig Gespenstisches.

I. Die Welt vor der Entstehung ihrer (gegenwärtig) Gestalt in der Bibel und in Ägypten

erfahrbaren

In Gen 1,2 wird statuiert, daß die Erde, bevor Gott sie und den Himmel schuf, „öd und wüst war, Finsternis auf der Wassertiefe lag und ein Gottessturm sich

4 Ich danke Susanne Bickel, Andrea Jäkle, Erik Homung, Dominic O'Meara, Cathie Spieser und Christoph Uehlinger für eine kritische Durchsicht des Manuskripts, Verbesserungsvorschläge und Literaturhinweise.

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Keel

über der Wasseroberfläche bewegte" 1 . Seit Bekanntwerden des babylonischen Schöpfungsepos „Enuma Elisch" durch George Smiths „The Chaldean Account of Genesis etc." 2 hat man immer wieder einen engen Zusammenhang zwischen Gen 1 und diesem Text des 2. Jt. v.Chr. gesehen. A.H. Sayce hat zwar schon 1887 in seinen Hibbert Lectures beklagt, daß der ägyptische Einfluß aufgrund der Faszination durch das babylonische Epos völlig übersehen werde 3 . Er hat damit jedoch nicht viel Eindruck gemacht4. Hermann Gunkel hat die Sicht, die einseitig Mesopotamien bevorzugt, im deutschen Sprachraum eingeführt und gleichzeitig vertieft5. Alfred Jeremias hat in seinem weit verbreiteten Buch „Das Alte Testament im Lichte des Alten Orients" 6 zwar einen Abschnitt über ägyptische Kosmogonie, erwähnt aber keine Parallelen zu Gen 1,2. Die ägyptischen Texte zur Kosmogonie, die weit verstreut vor allem in den Pyramidentexten (um 2500 v.Chr.), in den Sargtexten (um 2000 v.Chr.), in den Unterweltsbüchern (ab dem Neuen Reich; ca. 1500-1200 v.Chr.) und in erheblich geringerem Ausmaß im Totenbuch zu finden sind, waren damals offensichtlich noch zu schwer zugänglich7. Erst Kurt Sethes „Amun und die acht Urgötter von Hermopolis. Eine Untersuchung über Ursprung und Wesen des ägyptischen Götterkönigs" hat 1929 das einschlägige Material ägyptologisch aufbereitet. Bei der Deutung der Achtheit als Verkörperung des Chaos verweist er sogar kurz auf den biblischen Schöpfungsbericht (ebd. § 120). Aber erst 1966 hat Rudolf Kilian das von Sethe aufgearbeitete Material benützt, um die Abhängigkeit der Chaosvorstellung in Gen 1,2 von ägyptischen Vorstellungen darzulegen8. Die vier bzw. dort, wo sie 1 Eine ausführliche Auslegungsgeschichte und Interpretation von Gen 1,1-3 findet sich jetzt bei BAUKS, Welt. Bauks geht ausführlich auf ägyptische (153-206) und mesopotamische (207-268) Parallelen ein und vergleicht diese mit den biblischen Vorweltaussagen (269-310). Ein einziges Bild illustriert ihre Ausführungen (167). 2 London 1876; deutsche Übersetzung mit Erläuterungen und Ergänzungen von F. Delitzsch, Leipzig 1876. 3 The Hibbert Lectures 1887, London 1887, 267 ff.; DERS., The Egyptian Background of Genesis I, 419. 4 HOFFMEIER, Thoughts,41 f. 5 GUNKEL, Schöpfung und Chaos. Auch in seinem Genesis-Kommentar lässt Gunkel Ägypten weitestgehend ausser acht. Vgl. DERS., Genesis, 102-104. 6 JEREMIAS, Testament, 23-25; zu einer neueren immer noch einseitig nach Vorderasien orientierten Diskussion der in Gen 1 und 2 verarbeiteten Überliegferung s. TSUMURA, Earth. 7 Vgl. jetzt ALLEN, Genesis; DERS., Cosmology, 1-28; BICKEL, Cosmogonie; MARTINELLI, Geb et Nout, 61-80; BAUKS, Präfigurationen, 5-8; DIES., Welt, 153-206. 8 KILIAN, Urgötter, 420^-38. Zu weiteren Zusammenhängen zwischen Gen 1 und ägyptischen Vorstellungen, so z.B. zur Einheit des Schöpfergottes und zu seinem Wirken durch das befehlende Wort, vgl. CURRID, Examination, 18-40. Zu beiden Aspekten vgl. schon den von Currid, der die deutschsprachige Literatur gernerell ignoriert, übergangenen Aufsatz von KOCH, Wort.

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und biblische

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später geschlechtlich verdoppelt werden, die acht Chaos- oder /z/zw-Gottheiten9 tauchen zuerst in den Sargtext-Sprüchen 75-80 der Herakleopolitenzeit am Ende des 3. Jt.s auf. So werden z.B. in Spruch 76,11,13 f., dreimal nw, hhw, tnmw, kkw „Urflut, Unendlichkeit, Dunkel (oder Verirrtsein), Finsternis" genannt. Die vier bzw. acht Glieder sind nicht immer die gleichen. So wird tnmw später durch nlw oder njiw „Luft, Wind" 10 bzw. durch grh „Mangel" ersetzt11. Wichtig ist, daß es vier sind und so die Totalität dieser Welt zum Ausdruck kommt, wie die Totalität der gegenwärtig existierenden Welt durch die vier Himmelsrichtungen beschrieben werden kann. Unter Amasis, einem Pharao der 26. Dynastie, der 570-526 v.Chr. regierte, werden Nun und Naunet zum erstenmal durch Amun und Amaunet ersetzt12. Amun kann gegen Sethe aber nicht als ursprüngliches Mitglied der Urgötter Vier- bzw. Achtheit gesehen werden 13 . Kilian hat dafür plädiert, daß der eigentliche Urgott Nu bzw. Nun, das Urwasser, sei und die andern drei als seine Eigenschaften verstanden werden müßten14. Aber die Differenzierung zwischen einer Größe und ihren Eigenschaften denkt wohl zu sehr von der aristotelischen Unterscheidung zwischen Substanz und Akzidenz her und wird der „naiven Ontologie von Dingen" 15 nicht gerecht, die dem Konzept der ägyptischen Urgottheiten zugrunde liegt. Noch in ptolemäischer Zeit werden die Chaosgottheiten als vier bzw. acht eigenständige Wesen dargestellt, wobei die männlichen mit Frosch- oder Kröten-, die weiblichen mit Schlangenköpfen ausgestattet sind. Auf einem Relief aus der Zeit Ptolemaios IX. aus Edfu thronen sie hinter dem jugendlichen Sonnengott in der Lotosblüte, die aus dem Bereich der Urgottheiten hervorgegangen ist (Abb. la). Die Assoziation mit Wesen, die wie Frosch und Kröte oder bestimmte Schlangenarten ebenso gut auf der Erde wie im Wasser leben können, soll wohl das Ununterschiedene der Zeit des Nun, als alle Länder Meer waren, zur Anschauung bringen. Gleichzeitig glaubte man von diesen Tieren, daß sie von selbst aus dem Schlamm entstehen würden. Sie waren also geeignet, Urgottheiten darzustellen, die weder Vater noch Mutter hatten. Auf einzelnen Bildern tragen die Urgottheiten Schakals-„Pantoffeln" (Abb. lb). Schlange und Schakal charakterisieren auf Abb. 7 den Urgott „Tod". Schakal und „Wasser" flankieren auf Abb. 10 den Eingang in die Totenwelt. Vielleicht sollen sie evozieren, daß die Welt vor der Schöpfung ebensogut als Trok9

Vgl. z.B. Sargtext-Spruch 76,11,1. SETHE, Amun, § 133. 11 SETHE, a.a.O., § 134. 12 SETHE, a.a.O., Taf. I. 13 HORNUNG, Der Eine, 75 mit Anm. 60. 14 KILIAN, Urgötter, 420-425. 15 GRAESER, Vorsokratiker, 20. 10

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kenwüste (Schakal) wie als wäßriges Chaos (Frosch, Kröte, Schlange) konzipiert werden konnte. Nicht nur in Gen 1 und 2 wird die Welt vor der Schöpfung einmal als wäßriges, einmal als Dürrechaos beschrieben. Auch die Welt nach der Schöpfung kann auf diese zwei Arten vorgestellt werden. So heißt es in Jer 51,42 f. vom verfluchten Babel: „Das Meer überflutet Babel, durch das Getümmel seiner Wogen wird es bedeckt. Seine Städte werden zur Öde, ein ausgetrocknetes Land, eine Wüste, ein Bereich, in dem kein Mensch wohnt und durch den kein Mensch hindurchzieht."

Ob diese biblischen Vorstellungen aber auch in Ägypten geläufig waren, ist unklar. Jan Quaegebeur möchte das Schakalselement der „Pantoffeln" mit Upuaut, dem „Öffner der Wege", in Zusammenhang bringen16. Bei den „Pantoffeln" des Thot, wo sie allerdings erst sehr spät belegt sind, macht das durchaus Sinn, da Thot als ägyptischer Hermes Botendienste verrichtet und auf offene Wege angewiesen ist. An den acht Urgottheiten sind sie spätestens ab der 26. Dynastie (Naos des Amasis im Louvre) zu sehen17. Was Upuaut bei den Urgottheiten und am Schwanz der Schlange auf dem Bild von Abb. 7 aus der 21. Dynastie soll, ist nicht recht einzusehen. Die Deutung als Symbol des Upuaut und als Symbol der tödlichen Trockenwüste brauchen sich bei der ägyptischen Vorliebe für kumulierte Bedeutungen nicht auszuschließen. Die Vorstellung vom Nun hat ihre Anschaulichkeit aus der jährlichen Nilüberschwemmung bezogen, die das ganze Land im Wasser versinken ließ18. Die Unendlichkeit oder Unbegrenztheit19 war das Gegenbild zur Welt, in der man lebte und in der alles räumlich und zeitlich begrenzt war. Hhw gewann Anschaulichkeit im drastischen Bild von den müde im Nun dahintreibenden Himmelsrichtungen (Abb. 2) oder im Uroboros, der Zeitschlange, die sich in den Schwanz beißt und sich so selber in die unbegrenzte Zeit hinein aufhebt (Abb. 3)20. Ebenso real wie die Unbegrenztheit war die Dunkelheit, die immer wieder aus der geordneten Welt „vertrieben" (hsr, dr) werden muß. Die Dunkelheit verkörpert sich vor allem in der Apophisschlange, die jede Nacht die Fahrt des Sonnengottes bedroht und überwunden werden muß, wenn mit dem morgendlichen Sonnenaufgang die geordnete Welt wieder neu beginnen soll. In den 16

QUAEGEBEUR, Pantoufles, 521-527. QUAEGEBEUR, a.a.O., 523. 18 Vgl. zu Nun als Urelement weiter BAUKS, Welt, 169 f. 19 Der Name der zweiten Urgottheit hhw ist am wahrscheinlichsten von hh „Million" abzuleiten. Vgl. weiter BAUKS, a.a.O., 170 f. 20 Vgl. zum Uroboros KÄKOSY, Uroboros, 886-893. 17

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älteren Zyklen ist die Überwindung der Apophisschlange eher eine Operation als ein Kampf (Abb. 4). Erst unter asiatischem Einfluß wird der Vorgang als heroischer Kampf dargestellt (Abb. 5). Allerdings kommt in beiden Bildern einseitig der negative Aspekt des Dunkels zur Darstellung, kkw zmlw „das vereinigte, gesteigerte Dunkel", „die Urfinsternis" besitzt wie der Nun als Bereich aller Entstehung und Regeneration auch positive Züge21, Kk kann geradezu als Urheber des Lichts und des Sonnenaufgangs gefeiert werden22. Weniger beständig als bei den drei genannten ist die Tradition beim vierten Glied, das zuerst als tnmw „Finsternis" oder „Verirrung", später durch nlw „Luft, Wind" oder jmn „Verborgensein" u. ä. bezeichnet wird. Wichtig ist, wie gesagt, die Vierzahl23. Wie man die vier Chaosgottheiten den vier Gegebenheiten der Welt vor der Schöpfung in Gen 1,2 zuordnen soll, ist umstritten24. Am wahrscheinlichsten scheint mir die oft vertretene Gleichung von Nun mit Urflut (f'hom), ein Begriff, der im 3. Jh. v.Chr. in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments mit äßDGCToq wiedergegeben wird, von Dunkel (kkw) mit Dunkel (hsk), von Lufthauch (niw) mit „Gotteswind" (rwh 'Ihjm) und - am unsichersten von „Unendlichkeit" (hhw) mit Tohuwabohu (thw wbhw)25.

II. Geheimnisvolle

Verwandlungen und

Befruchtungen

Wie aus dieser Welt vor der Schöpfung die bekannte, geordnete Welt geworden ist, dazu gibt es in Ägypten eine ganze Reihe von Vorstellungen. Sie stehen in der für den Mythos typischen „multiplicity of approaches" 26 unverbunden nebeneinander. Die spekulativste Figur in diesem Zusammenhang ist der Gott Atum (jtmw). Er ist bis zum Neuen Reich (1540-1075 v.Chr.) die einzige Schöpfergottheit27. Sein Name und Wesen lassen so gegensätzliche Deutungen wie „das Ganze" und „das Nichts" zu28. Diese für uns überraschenden Möglichkeiten hängen damit zusammen, daß für den Ägypter das All sich aus dem zusammensetzt, was ist und was nicht ist, aber noch werden kann. Atum ist der

21 22 23 24 25 26 27 28

Vgl. HORNUNG, Dunkelheit, 1153 f. SETHE, Amun, § 149; BAUKS, a.a.O., 171. BAUKS, a.a.O., 171-173. Vgl. KILIAN, Urgötter, 429-438; NOTTER, Schöpfungsbericht, 15-20. So z.B. HOFFMEIER, Thoughts, 43. FRANKFORT, Philosophy, 25. BICKEL, Cosmogonie, 33-70. MYSLIWIEC, Studien, 78-83; vgl. BAUKS, Welt, 173-178.

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„Undifferenzierte", Urmaterie und Weltschöpfer in einem29. Im SargtextSpruch 1130 spricht der anonyme „Allherr", mit dem Atum gemeint ist, zur Mannschaft der Sonnenbarke: „Ich habe Millionen von Jahren gemacht zu etwas zwischen mir und jenem .Müdherzigen', dem Sohne des Geb (d.h.: Osiris!). Dann aber werde ich mit ihm zusammen wohnen an einer einzigen Stelle. Die Hügel werden zu Städten, die Städte werden zu Hügeln werden, und ein Haus wird das andere zerstören" 30 . Noch deutlicher wird Atum in Spruch 175 des Totenbuches als Schöpfergott par excellence und als Verkörperung der Welt vor bzw. nach der Schöpfung dargestellt, wenn Atum spricht: „Ich aber werde alles, was ich geschaffen habe, zerstören. Diese Welt wird wieder in das Urgewässer zurückkehren, in die Urflut, wie bei ihrem Anbeginn. (Nur) ich bin es, der übrigbleibt, zusammen mit Osiris, nachdem ich mich wieder in eine andere Schlange verwandelt habe, welche die Menschen nicht kennen und die Götter nicht sehen."31

Was Menschen und Götter nicht kennen, ist das Nichtseiende, das durch die gestaltlose Schlange verköipert wird. Dieses Nichtseiende ist aber nicht einfach Nichts, sondern das, was noch nicht oder nicht mehr ist, aristotelisch gesprochen Potenz, nicht Akt. Die beiden Texte sind, soviel ich weiß, die einzigen, die die Rückkehr der geordneten und differenzierten Welt in den früheren Zustand schildern. Die altägyptische Kultur gibt dem Unerwünschten nicht gerne Gestalt, weder im Wort noch im Bild. Die beiden Texte sind so betrachtet atypisch. Sie sind aber höchst bedeutsam, weil in ihnen die Möglichkeiten und das Wesen Atums mit seltener Konsequenz zu Ende gedacht werden. Die merkwürdige Wandlungsfähigkeit Atums, von dem man wie vom vergöttlichten Toten sagen könnte, daß er reich an Gesichtern (hrw), Gestalten (hprw) und Namen (rnw) sei, kommt nicht nur in Texten, sondern auch in Bildern zum Ausdruck. Im Amduat, einem Unterweltsbuch aus der 18. Dynastie, tritt Atum in der 11. Stunde als Sonnengott aus einer geflügelten Schlange heraus (Abb. 6 = Hornung, Amduat I Nr. 755). Größere Gegensätze als die in ihrer Gestalt so wandelbare Schlange und die alles gestaltende Sonne sind für das alte Ägypten kaum denkbar.

29

Vgl. HORNUNG, Der Eine, 272.

30

Zitiert nach HORNUNG, a.a.O., 157. HORNUNG, Totenbuch, 367.

31

Altägyptische

und biblische

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Eine äußerst interessante Bilderfolge findet sich auf dem Papyrus der Chentawi aus der ersten Hälfte des 10. Jh. v.Chr. (Abb. 7)32. Links erscheint Atum zuerst als Osirissymbol vom Uroboros umgeben, dann als Sonnenscheibe mit dem Skarabäus, der Metapher für den werdenden Sonnengott, zwischen den Flügeln der Schlange, die hier als „Tod, der große Gott, der Götter und Menschen geschaffen hat" bezeichnet wird. Aus dem Todessymbol der Schlange, deren Schwanz ein Schakalkopf und deren Kopf ein wilder haariger Menschenkopf mit zerrissenem Strick ist, ersteht Atum als das Lebenssymbol, als junge Sonne33. Endlich erscheint Atum in der Sonnenscheibe als anthropomorphe widderköpfige Gestalt, die sich auf das Uas-Szepter stützt, im Kontext zweier ithyphallischer Gestalten in den Positionen von Nut und Geb, wobei diejenige, die die Position von Geb einnimmt und von einer Beischrift auch als „Geb, Vater der Götter" bezeichnet wird, ihren Phallus zum Mund führt. An und für sich wird seit den Pyramidentexten (Spruch 527) immer wieder von Atum gesagt, daß er masturbiert und so die Urgottheiten Schu und Tefnut ins Dasein kommen 34 . Die Beischriften in dieser Szenenfolge sind nie übersetzt worden, sehr schwierig zu verstehen und beziehen sich häufig nicht direkt auf die Bilder neben denen sie stehen. So ist etwa in der Beischrift zur vierten Vignette, die aus Himmel (Nut) und Erde (Geb) zusammengesetzte Welt zeigt, wie wir sie kennen, von Osiris die Rede, der im Bild nicht erscheint. Mit der Schlange ist Atum seit dem Alten Reich assoziiert35. Seit der 21. Dynastie richtet sich die Atum-Schlange aus der Horizontalen in die Vertikale auf und wird mit je zwei Beinen und Händen versehen (Abb. 8) und so Nehebkau, dem „Verleiher der Lebenskräfte" zum Verwechseln ähnlich. Neben Atum wird der Übergang von der Welt vor der Schöpfung zu der uns erfahrbaren Welt durch die Metapher des Urhügels, des Lotus36, des Eis und der Geburt dargestellt. Der geheimnisvolle, unzugängliche Vorgang der Entstehung der Welt, wie wir sie kennen, wird so durch Metaphern aus dem Bereich der Geologie (Urhügel), vor allem aber der Pflanzen-, Tier- und Menschenbiologie veranschaulicht37. Nach einzelnen Vorboten in der Zeit vor Amarna ist dann hauptsächlich in der 19. Dynastie eine Schöpfungstheologie entwickelt worden, in der es um die 32 Der 19,7 cm hohe und 123 cm lange Papyrus wird unter der Inventamr. 10018 im British Museum in London aufbewahrt. Vgl. dazu NIWINSKI, Studies, 200 Fig. 74 und 330 Papyrus London Nr. 36 (Bibliographie). 33 DERCHAIN-URTEL, Schlange, 83-104, bes. 90 f. 34 Vgl. weiter BICKE1, Cosmogonie, 72-78; BAUKS, Welt, 173 f. 35 MYÖLIWIEC, Studien, 95-124. 36 GOODYEAR, Grammar; MORENZ / SCHUBERT, Gott auf der Blume; SCHLÖGL, Sonnengott auf der Blüte; WEIDNER, Lotos im alten Ägypten; RYHINER, L'offrande du Lotus. 37 Vgl. SAUNERON / YOYOTTE, Schöpfungsmythen, 37-99; KEEL, Welt, Abb. 25-40; BAUKS, Welt, 185-195; WATSON, Death, bes. 156-158.

34

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Transzendenz des Schöpfergottes Amun-Re ging38. Auch andere Gottheiten konnten diesem neuen Konzept entsprechend verstanden werden, so z.B. Ptah im „Denkmal memphitischer Theologie" 39 . In Zusammenhang mit Amun-Re trat statt der Schöpfung in der Urzeit die Erhaltung der Schöpfung in der Jetztzeit stärker in den Vordergrund. Während w'(j) in den Sargtexten das Alleinund Einsamsein des Schöpfergottes in der Urzeit beschrieb, beschreibt der gleiche Begriff jetzt die Einzigkeit des Sonnengottes, der alle Wesen bis zum Wurm im Holz und zum Küken im Ei am Leben erhält40.

III. Deus F aber Der berühmte Kinderpsychologe Jean Piaget hat in seinem 1926 erstmals erschienenen Buch „La représentation du monde chez l'enfant" zwischen artifizialistischen d.h. handwerklichen und biologischen Metaphern für Weltentstehung unterschieden. Dabei fasse das Kind die biologischen Metaphern wie das Gebären auch als eine Art Fabrikation auf, denn die einzige Art der Entstehung, mit der die kleinen Denker und Denkerinnen wirklich vertraut seien, sei die Fabrikation von Dingen, seien es Kuchen oder Möbel. Unklar bleibt, ob man das Modell des Kampfes (z.B. das Vertreiben des Dunkels, der Kampf gegen den Chaosdrachen in Vorderasien), das dann bei Heraklit so wichtig wird, dem Biologischen (Kampf um die Stellung des Alpha-Tiers) oder dem Artifizialistischen (Kriegskunst) zurechnen oder als eigenes Modell einstufen soll. Der Zauber (Trick, Wunder) läßt sich hingegen als etwas mysteriöse Art des Artifizialistischen verstehen. Als eigener Modus davon abzuheben ist vielleicht das Hervorbringen durch Denken und Befehlen. In den alten ägyptischen Modellen dominierten die biologischen Vorbilder, da das Zeugen, Gebären und Sterben der Menschen und Tiere noch viel näher und in einem intensiveren Rhythmus erlebt wurde als bei uns, wo die hohe Lebenserwartung und die Kleinfamilie diese Vorgänge zu etwas nahezu Exotischem haben werden lassen. Artifizialistische fehlen aber auch unter den Modellen des alten Ägypten nicht ganz. Atum als Sonnen- und Schöpfergott kann, wie andere große ägyptische Götter, z.B. der Handwerkergott Ptah von Memphis, als arifizialistisch tätiger Gott vorgestellt werden41. Eine interessante Kombination des biologischen und des artifizialistischen Modells bietet das

38 39 40 41

ASSMANN, Re und Amun; DERS., Religion; BAUKS, a.a.O., 179-184. KEEL, Reflections. BICKEL, Changes, 165-172; VERNUS, Mutation, 69-95. MYSLIWIEC, Studien, 177-181.

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Bild vom Schöpfergott, der als Töpfer auf der Töpferscheibe das Weltenei herstellt, aus dem sich dann alles entwickelt (Abb. 9a-b). Eine Kombination artifizialistischer und biologischer Vorstellungen haben wir auch in Gen 1, wo Gott aus der Welt vor der Schöpfung planend tätig die geordnete Welt schafft, wobei dann aber die Erde ihrerseits z.B. Pflanzen hervorbringt. Aber im Gegensatz zu Ägypten sind in der hebräischen Bibel die biologischen Metaphern marginal, die artifizialistischen dominieren. Ein gutes Beispiel ist Ps 104, wo davon die Rede ist, daß Gott den Himmel ausspannt wie eine Zeltdecke, Balken ins Wasser hinein baut, die Erde auf ein Gestell oder Fundament gründet, die Wasser von der Erde zurückscheucht (ein kämpferisches Element), Grenzen festlegt, Quellen auf ihren Lauf schickt, Berge bewässert, Zedern pflanzt, Dunkelheit ausbreitet, den Mond macht42. Die Ergebnisse der ganzen artifizialistischen Tätigkeit werden zusammenfassend als „Werke" bezeichnet. „Von der Frucht deiner Werke wird die Erde satt" (V. 13). „Wie zahlreich sind deine Werke, Jahwe; mit Weisheit hast du sie alle gefertigt" (V. 24). Mit dem gleichen Wort (m'sh), mit dem diese Werke Gottes bezeichnet werden, werden auch die Werke verschiedenster Handwerker benannt, so die des Bäckers (Gen 40,17) oder des Bronzegießers (2Chr 3,10). Noch stärker wird das Artifizialistische betont, wenn statt wie üblich vom „Werk seiner Hände" wie in Ps 8,4 vom „Werk seiner Finger" die Rede ist. Die artifizialistischen Metaphern sind für die hebräische Bibel typisch. Für fundamentalistische Kreise in den USA und in Israel sind sie ein unverzichtbarer Bestandteil des biblischen Glaubens, so daß sie mit politischem Druck und Gerichtsentscheiden durchzusetzen versuchen, daß an den Schulen gleichberechtigt neben der stark evolutionistisch orientierten naturwissenschaftlichen Schau der Weltentstehung die kreationistische gelehrt werde43. Die moderne naturwissenschaftliche Schau der Dinge scheint der biologisch geprägten Ägyptens, bei der eins mehr oder weniger organisch aus dem andern hervorgeht, näher zu stehen, als der interventionistisch-kreationistischen der Bibel. Das Anliegen der biblischen Tradition waren allerdings nicht diese direkten göttlichen Interventionen, die den Kreationisten so wichtig sind, sondern die Herauslösung Gottes aus der Welt, das Distanznehmen Gottes zur Welt, eigentlich eine Entgötterung der Welt, wie sie etwa durch die Definition von Sonne und Mond als Leuchter in Gen 1,14-18 demonstriert wird (vgl. damit Ijob 31,26 f.). Die Entgöttlichung der Welt schuf Raum für den Menschen als Platzhalter Gottes, seine Herrschaft über und seine Verantwortung für die Erde (vgl. Gen 1,26 f.). Unter diesem Aspekt steht die hebräische Bibel den moder42 43

Israel.

Zu Psalm 104 vgl. UEHLINGER, Leviathan; ZENGER, Morgenröte, 31-45; KEEL, Leben. Vgl. etwa BENDKOWER, Adam oder Affe?; DINUR, Darwin und die Erziehung in

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Keel

nen Naturwissenschaften näher als die biologischen Metaphern Ägyptens, bei denen sich verschiedene Gottheiten in verschiedenen Elementen dieser Welt manifestieren (Kosmotheismus)44. Die biblische Sicht, besonders die anthropozentrische von Gen 1, steht den Naturwissenschaften in gewissen Punkten so nahe, daß die biblische Sicht auch schon für die großen Schattenseiten des objektivierenden, naturwissenschaftlich-technischen, herrischen Umgangs mit der Erde, für ihre Ausplünderung und Zerstörung verantwortlich oder mindestens mitverantwortlich gemacht worden ist45. Damit ist übersehen worden, daß die biblische Sicht der Welt als Kunstwerk Gottes dieser noch ein gehöriges Maß an Numinosität bewahrt und eine Menge ganz konkreter Vorschriften kennt, die das hemmungslose Zupacken des Menschen einschränkten46. Der Einfluß der Bibel in der Neuzeit, im Zeitalter der Naturwissenschaften ist in der Sichtweise von Leuten wie C. Amery wahrscheinlich doch etwas überbewertet47 und der der griechischen Philosophie, der Vorsokratiker, des Aristoteles und neuzeitlicher, von ihm abhängiger Philosophien, der Aufklärung, der Technik und der Industrie unterbewertet worden.

IV. Thaies und das Wasser Man hat die Vorsokratiker oft als eine Art absoluten Anfang dargestellt. Man setzte mit ihnen ein, als ob vorher das Nichts gewesen wäre. Zwar ist nicht daran zu zweifeln, daß ihr Werk eine wichtige Zäsur, einen Neuanfang darstellt, aber einen relativen, d.h. einen, der in Relation zu Früherem steht. Tief ist der Brunnen der Vergangenheit (Th. Mann). Das Frühere ist kaum in erster Linie Hesiod. Die vorsokratische Philosophie begann nicht im griechischen Mutterland, sondern in Asien, an der Südwestküste der heutigen Türkei. Die Heimat der beiden Männer, die als Begründer der griechischen Philosphie gelten, war Milet. Dort ist Thaies um 625 und Anaximander etwa 15 Jahre später, um 610, geboren. Herodot, der um 450 schrieb und ebenfalls aus Kleinasien, aus Halikarnass stammte, sagt, Thaies sei phönizischer Abstammung gewesen48. Ob das stimmt oder nicht, das Südwestkleinasien des 7. und 6. Jh.s war ein 44

ASSMANN, Monotheismus. Vgl. z.B. AMERY, Das Ende der Vorsehung. 46 Vgl. dazu KEEL, Böcklein; KEEL / SCHROER, Schöpfung, bes. Kap. III. 47 Vgl. dazu KROLZIK, Umweltkrise; MOLTMANN, Gott in der Schöpfung, bes. 40-43; COHEN, Be fertile. 48 xö dvEKaÖev yevoq eövxopio5ia), wobei er allerdings auch darauf hinweist, daß andere das fragliche Himmelsobjekt für Sirius halten14. Auch in der modernen Exegese seit Ende des 19. Jh. gibt es keine Einigkeit hinsichtlich der Bedeutung des Begriffes. Hier seien zunächst einige wichtige Forschungspositionen skizziert und diskutiert: (1904) setzt die Identität der mit den Begriffen nriTO und (2Kön 23,5) bezeichneten Himmelsobjekte voraus, und zwar aufgrund der gleichen Transkription beider Begriffe durch die LXX (ua^oupcoÖ) und gelangt von dieser Annahme ausgehend nach ausführlicher Diskussion der bis dahin vorgeschlagenen Lösungen zu dem Ergebnis, daß es sich bei miTD entsprechend der Vulgata (Luciferum) um die Venus, das hellste Gestirn nach Sonne und Mond, in ihrem zweifachen Aspekt als Abend- und Morgenstern handeln müsse. Er weist besonders auf das grammatische Problem hin, daß die Form m~iTD ein Plural ist, während das sich darauf beziehende Suffix in Ti^n in der 3. Person Singular steht. Er hält seine Hypothese „für die einzige, bei der man die Pluralform des Namens mit dem Gebrauche vereinigen kann, welcher in Hiob 38,32 von ihm als einem einzelnen Dinge in der Einzahl gemacht wird. Da der Planet Venus sich scheinbar in den Morgen- und Abendstern verdoppelt, kann er von Anfang an einen Namen in der Mehrzahl, nämlich Mazzaröth, erhalten haben. Als man seine Identität in den beiden Erscheinungen, der morgendlichen und abendlichen, entdeckte, wurde er natürlich als ein einziges Gestirn angesehen und daher vom Verfasser des Buches Hiob als Singular in Pluralform gebraucht."15 * SCHIAPARELLI

M*7TQ

Dagegen kann man jedoch u.a. einwenden, daß bei den Babyloniern (und auch bei anderen antiken Völkern) die Venus in ihrer wechselnden Erschei-

Orion, 1075 ff.; bei den Ägyptern galt Orion (Sah) als astrale Erscheinung des Osiris und war von b e s o n d e r e r B e d e u t u n g f ü r die K ö n i g s i d e o l o g i e , vgl. HART, Dictionary, 150 f.; BAUVAL / GILBERT, O r i o n . 13 Offenbar leitet Symmachus das Wort von der hebr. Wurzel m t I („streuen, ausstreuen, zerstreuen") ab. 14 Siehe dazu SCHIAPARELLI, Astronomie, 68 f. 15

A.a.O., 75 f.

186

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Albani

nung als Morgen- und Abendstern nicht mit einem pluralischen Nomen bezeichnet wird (z.B. akk. muldil-bat)16. Im Hebräischen wäre angesichts der zweifachen Erscheinungsweise der Venus auch eher mit einem Dual mit der Endung -äjim als mit einem Plural zu rechnen. Wie aus den babylonischen Venusbeobachtungen unter Ammizaduga hervorgeht, war spätestens ab dem Ende des 18. Jh. v.Chr. die Identität von Abend- und Morgenstern in Mesopotamien bekannt 17 . Die Venus galt in Israel wahrscheinlich - wie die babylonische Ischtar (Abb. 2) - als astrale Erscheinung der „Himmelskönigin" (•'Otön HD^D - akk. sarrat same), deren Kult (Räuchern, Trankopfer, Spenden von Kuchen) im Jeremiabuch zweimal erwähnt wird18.

Abb. 2: Stempelsiegel aus Aschdod (EZ II C) mit Ischtar im Sternennimbus 16 Siehe dazu KOCH-WESTENHOLZ, Mesopotamian Astrology, 125 ff.; ein anderer Name der Venus ist DNIN.DAR.AN.NA „bunte Herrin des Himmels", vgl. GÖSSMANN, Planetarium, 120; mit der Erscheinung der Venus als Abend- und Morgenstern war jedoch eine andere Vorstellung verknüpft: „Venus was bisexual, changing her sex according to her position in relation to the sun, but here again we find conflicting traditions." A.a.O., 125; vgl. REINER, Astral Magic, 6 f.; dies entspricht dem androgynen Charakter der in Syrien und Arabien verehrten Gottheit 'Attar/'Attart, die wahrscheinlich ebenfalls mit der Venus identifiziert wurde, siehe dazu GESE, Religionen, 137 ff.161 ff.; in einer ugaritischen Pantheonsliste wird die Gottheit jedenfalls mit der babylonischen Venusgottheit ¡star gleichgesetzt, a.a.O., 161; zu den Pantheonslisten, siehe auch DEL OLMO LETE, Canaanite Religion, 72; man nimmt an, daß die in KTU 1.23 genannten Götter shr (Morgendämmerung) und sim (Abenddämmerung) zugleich als Hypostasen des Venussterns ('Attar/'Attart) angesehen wurden, vgl. dazu z.B. GESE, a.a.O., 80; WYATT, Religious Texts, 332; somit hätte man auch in Kanaan keine pluralische Bezeichnung der Venus in ihren beiden Aspekten gekannt. 17 18

Vgl. VAN DER WAERDEN, Anfänge der Astronomie, 34 ff. Vgl. Jer 7,16-20; 44,15-19.25 - siehe dazu die Diskussion bei KOCH, Aschera als

Himmelskönigin,

1 0 7 f f . ; KEEL / UEHLINGER, G G G , 3 3 4 f f . , 3 8 6 f f . ; HOUTMAN, Q u e e n

Heaven, 1278-1283.

of

„Kannst du die Sternbilder hervortreten lassen zur rechten Zeit...?"

187

* M O W I N C K E L (1928) geht nicht wie Schiaparelli davon aus, daß es sich bei M~LTQ und M'PTO um phonetische Varianten ein und desselben Wortes handelt, sondern sieht in der LXX-Transkription jia^oupcoG von 2Kön 23,5 eine Verwechslung vorliegen 19 . Im Anschluß an Erbt argumentiert er, daß dem hebräischen Wort m~lTQ das akkadische mazüru = „Keule" entspreche, was sich auf den Stab des Tiertreibers Bootes beziehe, wobei er annimmt, daß „der Name des Gerätes des Gestirnmannes auf das ganze Gestirn übertragen worden sei." 20 Mowinckel äußert diese These freilich mit Vorsicht, da ihm offenbar bewußt ist, wie unsicher eine solche Herleitung ist. In akkadischen Texten ist mazüru bislang jedenfalls nicht als Name eines Gestirns belegt, wie Mowinckel selbst feststellt. In der babylonischen Astronomie hat Arkturus, der hellste Stern des Sternbildes Bootes, den Namen mul SU-PA 21 . Interessant ist jedoch sein Hinweis auf die kalendarische Bedeutung des Sternbildes Bootes: „Dass sein Frühaufgang um die Jahreswende im Herbst für die Israeliten sehr bedeutungsvoll sein müsste, hat Erbt mit recht unterstrichen. Dass Gott immer den Bootes zu seiner rechten Zeit (heliakisch) aufgehen lässt, bedeutet somit, dass er den regelmäßigen Wechsel der Jahre und damit die Aufrechterhaltung sowohl des richtigen kultischen Lebens als überhaupt des geordneten Kosmos überwacht. In Babylonien vertritt der SU-PA-Stern = Arcturus den ,Ellil, der das Geschick des Landes bestimmt'. Eine ähnliche Bedeutung können auch die Israeliten dem , Aufgehen der mazuröt' beigelegt haben." 22 Es wurde bereits eingangs darauf hingewiesen, wie wichtig die Beobachtung von heliakischen Sternaufgängen im Altertum für den Kalender war. Deshalb dürfte die von Mowinckel vorgeschlagene Lösung grundsätzlich in die richtige Richtung gehen, wenn auch seine konkrete Identifizierung mit Bootes fraglich ist. * M A U N D E R (1935) findet in der fünften Tafel des babylonischen „Weltschöpfungsepos" Enuma elisch die astronomische Identität der r m t n . Dort wird am Anfang die Schaffung der Gestirnordnungen durch den babylonischen Götterkönig Marduk beschrieben, nachdem er Tiamat und ihre Helfer besiegt hat. „In the third line mizräta, cognate with the Hebrew Mazzäröth, means the sections or divisions of the year, corresponding to the signs of the zodiac mentioned in the second line. There can therefore be little doubt that the translators who gave us our English versions are practically correct in the rendering of Job xxxviii. 32 which they give in the margin, , Canst thou bring forth Mazzaroth {or the twelve signs) in his season?' " 23 Maunders Vorschlag ist nicht nur interessant, weil die Form misräta (Akk. PI., eigentlich misräti)

19

MOWINCKEL, S t e r n n a m e n , 2 6 f.

20

A.a.O., 34 f. Vgl. J. KOCH, Topographie, 111; so auch MOWINCKEL, a.a.O., 36. A.a.O., 35 f.

21 22 23

MAUNDER, A s t r o n o m y , 2 4 3 .

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Matthias

Albani

oder misrata (Akk. Sing.) von misratu (Grenzlinie, Plan) 24 , eine gewisse Ähnlichkeit zu nntD in Hi 38,32 aufweist 25 , sondern vor allem deshalb, weil es in Ee V,3 f. um Gestirne geht, welche die Funktion der Zeitbestimmung haben. Allerdings bezeichnet der akk. Begriff an dieser Stelle eben nicht die Gestirne selbst, sondern Abschnitte des Jahres, die freilich durch bestimmte Sternbilder charakterisiert sind 26 . Maunder denkt hier an die zwölf Tierkreiszeichen. Nach heutiger Erkenntnis ist im Kontext von Ee V,3 jedoch nicht von den Tierkreiszeichen die Rede, sondern von Monatssternbildern, die durch ihre heliakischen Aufgänge die Monate kennzeichnen 27 . Auf dieses astronomisch-kalendarische Konzept wird noch einmal ausführlicher zurückzukommen sein. Unabhängig von der Frage, ob miTQ von misräta abzuleiten ist, haben wir auf jeden Fall in der von Maunder herangezogenen Stelle aus Enuma elisch einen aussichtsreichen Kandidaten für die Erklärung der in Hi 38,32 angesprochenen astronomischen Vorstellung. * D R I V E R (1956) geht nicht von einer Identität zwischen miTD und M^TQ aus, obwohl er einräumt, daß eine Vertauschung 1 und häufig vorkommt 28 . Auch eine Herleitung des Wortes von akk. massartu lehnt er ab 29 . Driver

24 Siehe C A D I/J, 206, isratu (misratu): „plan, design, border line"; mi-is-ra-ta in Ee V,3 könnte sowohl ein Singular wie ein Plural sein, vgl. die Übersetzung der Stelle in ebd., a): „Marduk ... drew the border line(s)"; meist wird das Wort vom Kontext her pluralisch verstanden und übersetzt, vgl. z.B. HOROWITZ, Geography, 115: „He ... drew the boundarylines." 25 Die Frage ist allerdings, ob das hebr. z einfach mit dem akk. s ausgetauscht werden darf. Das akkadische Wort misratu begegnet in Ee V,3 in der Silbenfolge mi-is-ra-ta. Die zweite Silbe könnte zwar auch iz gelesen werden, da dem Zeichen GIS (296 bzw. 156) die Lautwerte iz, is, is, ez, es, es zugeordnet werden, vgl. BORGER, Zeichenliste, 122; doch ist im akk. Text von Ee V,3 eindeutig is zu lesen, da hier nur das Lexem misratu in Frage kommt. Es wäre daher lediglich denkbar, daß m i m ein akk. Lehnwort ist, wobei im Laufe der Übernahme und Assimilation ins Hebräische s zu z mutiert wäre. 26

Zu den misratu, siehe HOROWITZ, a.a.O., 165 f.; siehe dazu auch unten unter II.

27

Siehe dazu z.B. HOROWITZ, a.a.O., 114 f.; VAN DER WAERDEN, Anfänge, 56 f.; die Einteilung der Ekliptik in zwölf gleiche Abschnitte und ihre Zuordnung zu zwölf Tierkreissternbildern fällt erst in die persische Zeit, frühestens in die neubabylonische Zeit, vgl. a.a.O., 124 ff.; die Entstehung von Enuma elisch wird jedoch bereits in die zweite Hälfte des 2. Jt. v.Chr. datiert, vgl. dazu SOMMERFELD, Marduk, 368 f.; DERS., Aufstieg Marduks, 174 ff. 28

DRIVER, Astronomical Passages, 5 f. Dafür führt er zwei Gründe an: einerseits sei es unmöglich, Akk. s und Hebr. z auszutauschen, es sei denn, „ r n t n is a loan-word which has been corrupted in the course of transmission and in consequence miswritten; but, since näsar ,guarded, watched' is a well-known Hebrew and indeed common Semitic verb, there is no reason for incorrectly reproducing a Babylonian noun from the same root." A.a.O., 6 f.; auch in semantischer Hinsicht hält Driver die akk. Ableitung f ü r unpassend, da massartu die Bedeutung „Wache" hat, was in astronomischen Kontexten entweder die Beobachtung von Gestirnen meint oder die Einteilung des 29

„Kannst du die Sternbilder hervortreten lassen zur rechten Zeit...?"

189

identifiziert die m i m wie Maunder - freilich aus anderen Gründen - mit den Tierkreiszeichen, während die m^TQ die sich im Tierkreisgürtel bewegenden Planeten bezeichnen sollen. Driver leitet jedoch im Unterschied zu Maunder das Wort von einer hebräischen Wurzel ab: „That this word is derived from the V 'ZR is an old Jewish assumption which is grammatically fully justified ... The Heb. "ITK ,girded', which comes from a common Semitic root, can ... be a source of a derived mtKO* > m m * .engirdling; girdle'; and this is a highly suitable name for the Zodiacal system." 30 Tatsächlich wird der Tierkreis bei den Griechen als „Gürtel" (£COVT|) bezeichnet, ein Sprachgebrauch, der sich seither durchgesetzt hat. Driver übersetzt daher: „Canst thou bring forth the constellations of the Zodiacal circle in their season?", womit gemeint ist: „Canst thou make the Zodiacal stars rise and set at their proper times (as the year progresses)?" 31 Allerdings besteht hier das Problem, daß nach Drivers Herleitung der Singular niTQ nicht das einzelne Tierkreissternbild, sondern den Tierkreisgürtel insgesamt bezeichnet, so daß mit dem Plural nnra mehrere Tierkreisgürtel angesprochen sein müßten. Driver schlägt daher vor, daß sich der Plural auf zwei verschiedene Tierkreisgürtel, nämlich auf den solaren und auf den lunaren Zodiakos beziehe 32 . Dieser Vorschlag vermag kaum zu überzeugen, da ja Sonne und Mond beide die gleichen Tierkreissternbilder durchlaufen, auch wenn die Mondbahn um etwa 5° gegen die Sonnenbahn geneigt ist. Man müßte dann schon eine Herleitung finden, die m m als einzelnes Tierkreissternbild erweist. Wenn es jedoch zutrifft, daß TOD in Hi 38,32 auf die kalendarische Funktion der m~)Tö anspielt, nämlich auf ihre heliakischen Aufgänge (vgl.fcVünri),dann sind die Tierkreisbilder ungeeignet dazu. Denn bei ganzen Sternbildern kann man nicht heliakische Aufgänge beobachten, sondern nur bei Einzelsternen, wobei die im Altertum für kalendarische Zwecke beobachteten Sterne keineswegs alle zum Tierkreis gehörten (s.u.). Denkbar wäre jedoch, daß das Aufgehenlassen ,zur rechten Zeit' in Hi 38,32 nicht bestimmte heliakische Sternaufgänge im Jahreskreis meint, sondern die täglichen Aufgänge der Zodiakalsternbilder, die dazu dienen, um während der Nacht die Stunden bestimmen zu können. Dies erfordert jedoch schon ein gehobenes mathematisches Wissen, wie die entsprechenden Abhandlungen zu den zodiakalen Aufgangszeiten bei Euklid oder Hypsikles zeigen33. Meines Wissens fand die Bestimmung der täglichen Aufgangszeiten der Tierkreiszeichen erst in hellenistischer Zeit im Rahmen der Horoskop-

Tages und der Nacht in Wachen bedeutet. Daher könne der fragliche Terminus nur „of native origin" sein. 30 A.a.O., 6. 31 Ebd. 32 Ebd. 33 Siehe dazu z.B. VAN DER WAERDEN, Astronomie der Griechen, 125 ff.

190

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astrologie stärkeres Interesse, nämlich für die Feststellung des sog. Aszendenten bei der Geburt eines Kindes 34 . Wenn man in Hi 38,32 die sukzessiven nächtlichen Aufgänge bestimmter Sterne sehen will, dann kommen am ehesten die ägyptischen Dekane in Frage, die man tatsächlich zur Bestimmung der zwölf Nachtstunden verwendet hat35. Außerdem galt jeder Dekan als Regent einer Dekade des Jahres, in der er bei Sonnenuntergang aufgeht. „So wurden die Dekane bald zu Schutzgöttern dieser Zeitabschnitte und der darin Geborenen, deren Schicksal sie bestimmen." 36 Den ägyptischen Dekankalendern (Diagonalkalendern) als astraler Jahresuhr liegt also auch das astronomische Phänomen der Sternphasen zugrunde, was sie als Kandidaten für die M~LTQ ebenfalls sehr geeignet macht 37 . Allerdings bleibt bei dieser Identifizierung wieder die Frage offen, wie der Begriff rrnra auf die relevanten ägyptischen Begriffe zurückgeführt werden kann 38 . In der neueren Literatur wird wieder verstärkt davon ausgegangen, daß es sich bei den M~ITQ in Hi 38,32 und den M'PTQ in 2Kön 23,5 um phonetische Varianten ein- und desselben Wortes handelt 39 ; so etwa Stadelmann (1970), der darauf hinweist, daß sich der Begriff m^TD in der rabbinischen Literatur (Berakhot 32b; Schabbat 75a) auf die Tierkreissternbilder bezieht 40 . Andererseits

34

Ebd. Zum Verfahren der Stundenbestimmung mit Hilfe der Dekane schreibt VAN DER WAERDEN, Anfänge der Astronomie, 22: „Hat man die Liste der Dekane und hat man beobachtet, welcher Dekan am Anfang der Nacht aufgeht, so kann man mit Hilfe der aufgehenden Dekane die Zeit während der Nacht bis zur Morgendämmerung erkennen. Die Diagonalkalender sagen einem, wie man das macht. Sie sind, wie Neugebauer richtig bemerkt, keine eigentlichen Kalender, sondern Sternuhren." Siehe dazu auch WELLS, Astronomy in Egypt, 37 f. 36 BECKERATH, Dekane, 1037. 35

37

Siehe dazu ausführlich VAN DER WAERDEN, Anfänge, 17 ff.; nach ägyptischer Theorie vergehen vom heliakischen Aufgang (Morgenerst) eines Dekans zu dem des nächsten Dekans 10 Tage: „Ein Dekan stirbt, ein Dekan lebt jeden zehnten Tag", so heisst es im Papyrus Carlsberg 1 ... Mit ,sterben' ist der Abenduntergang, das Verschwinden der Sterne in der Duat (Unterwelt) gemeint, mit ,leben' der Morgenaufgang, das Sichtbarwerden der Sterne am Morgenhimmel." A.a.O., 18 38 Zu den ägyptischen Bezeichnungen der Dekane, siehe BECKERATH, a.a.O., 1036: „Die Bezeichnung D. ist hellenist.-griech.; äg. nennt man sie b,'kw (,Arbeitende'), auch als .Götter des Himmels' (ntrw jmjw pt) oder als deren .lebende Seelen' (b!hw 'nhw) werden sie bezeichnet. Sie werden einzelnen Göttern, Götterpaaren u. -gruppen (Horuskinder) zugeordnet, aber auch selbst als menschengestaltige Gottheiten, manchmal in Barken stehend, dargestellt." Siehe zur Terminologie auch GUNDEL, Dekane, 3; LOPRIENO-BEHLMER, Stern, 11 ff. 39 Siehe in diesem Sinne STADELMAN, Conception of the World, 86 f.; ZATELLI, Astrology. 94 f.; MCKAY, Judah, 19. 40 STADELMANN, a.a.O., 87; vgl. KOEHLER / BAUMGARTNER, Lexicon, 509; auch die Vulgata übersetzt RRFRTD in 2Kön 23,5 mit duodecim signa\ DRIVER, Astronomical Passages, 7,

„Kannst du die Sternbilder hervortreten lassen zur rechten Zeit ...?"

191

192

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gibt er zu bedenken, daß der Zodiak erst spät im vierten Jahrhundert erfunden wurde 41 . Deshalb hält er es für unwahrscheinlich, daß sich die beiden Begriffe an den atl. Stellen schon auf den Zodiakos beziehen. Aufgrund der Aufzählung kultisch verehrter Gestirne in 2Kön 23,5 plädiert er dafür, daß beide Begriffe allgemein die Planeten bezeichnen, denen ja tatsächlich im Alten Orient überall religiöse Verehrung zuteil wurde42. Unterstützung könnte dieser Interpretation noch aufgrund der Tatsache zukommen, daß auch im Talmud der Begriff m^TQ im Sinne von „Planeten" verwendet wird43. Soweit einige wichtige Forschungspositionen. Welche von den vorgeschlagenen astralen Identifizierungen - Venus, Sternbild Bootes, Tierkreiszeichen, Dekane, Planeten - kann am meisten Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen? Gibt es noch weitere Identifizierungsmöglichkeiten? Um darauf eine Antwort finden zu können, müssen zuvor noch einige der in der Forschungsdiskussion aufgeworfenen Fragen geklärt werden:

1. Identität

von miTD und m^TC ?

Die von den zuletzt genannten Autoren favorisierte Identifizierung beider Begriffe erscheint plausibel, wobei sowohl eine „dialectical pronunciation" als auch „a scribal error" zur Erklärung in Betracht kommen können 44 . Für die Identität spricht auch der Befund, daß die LXX beide hebr. Begriffe mit dem gleichen Wort (xa^o-upcoO wiedergibt. Damit ist zugleich auch Stadelmanns Argument zuzustimmen, daß die Zodiakalsternbilder oder gar die Zodiakalzeichen nicht in Frage kommen können45, da ja zumindest 2Kön 23,5 zeitlich vor dem 5.Jh. v.Chr. zu verorten ist46. Auch ist nichts über eine kultische Verweist auf das Aramäische hin, wo der Begriff mazzälä planet" bedeutet.

ebenfalls „Zodiacal constellation;

41 Diese zeitliche Ansetzung ist etwas zu spät; vgl. dazu jetzt vor allem BRACKBERNSEN / HUNGER, The Babylonian Zodiac, 280; danach wurden im Laufe des 5. Jh. v.Chr. die 17 Sternbilder auf dem „Wege des Mondes" aus MUL.APIN auf 12 Sternbilder reduziert. Schließlich hat man kurz vor 400 v.Chr. diese 12 Sternbilder durch eine schematische Einteilung der Ekliptik in 12 gleiche Abschnitte zu je 30° ersetzt; siehe dazu auch VAN DER WAERDEN, Anfänge der Astronomie, 124 ff.; KOCH-WESTENHOLZ, Astrology, 162 ff. 42 STADELMANN, a.a.O., 87; diese Möglichkeit erwägt auch MCKAY, Religion, 38. 43

Siehe dazu ZATELLI, a.a.O., 95.

44

V g l . STADELMANN, a.a.O., 85.

45

So auch MCKAY, a.a.O., 38; KOCH, Aschera, 112, Anm. 55.

46

Zwar wird auch bestritten, daß 2Kön 23,5 in den religionsgeschichtlichen Kontext der Josia-Zeit gehört, doch hat UEHLINGER, Kultreform, 77 ff., in Auseinandersetzung mit Niehrs und Levins Position überzeugend dargelegt, daß die Stelle nur auf dem Hintergrund der religiösen Situation im 7. Jh. v.Chr. zu verstehen ist. Darauf weist vor allem die Berufsbezeichnung kemärtm hin, die „in Juda offenbar ebenso selten wie typisch für das 7. Jh." ist.

„Kannst du die Sternbilder hervortreten lassen zur rechten Zeit...?"

193

ehrung der Tierkreisbilder bekannt47, die ja in 2Kön 23,5 mit den Räucheropfern impliziert ist. Dort heißt es: „Und er machte den Komär-Priestern ein Ende (üHQSrrriR n"22)~), die die Könige von Juda eingesetzt hatten und die auf den Höhen, in den Städten von Juda und in der Umgebung von Jerusalem Rauchopfer darbrachten ("7-p'') und den ,Räucherern' (cnmpDirnK) für Baal, die Sonne, den Mond und die ,Sternbilder' (nfrlD1?)48 und das ganze Heer des Himmels." 4 9

Gegen eine Gleichsetzung von M I T Q und M ^ T Q kann eingewendet werden, daß im ersten Falle von ,rein' astronomischen Himmelsobjekten die Rede ist, während es im zweiten Falle um Gestirne geht, die kultisch verehrt wurden, so daß beide unterschieden werden müssen. Gerade diese Beobachtung spricht jedoch m.E. eher für die Identität von nnra und m^rc: Hi 38,31 f. führt einige einst verehrte Gestirngottheiten auf, die von JHWH depotenziert und im Rahmen des monotheistischen Schöpfungsglaubens auf ihre astronomische Funktion beschränkt wurden. Im Falle der Plejaden und des Orion ist die ursprüngliche Bedeutung als Astralgottheiten evident50. Wir haben hier die glei-

(A.a.O., 77) „Levin kann den ganzen V. 5 nur deshalb für sekundär und tertiär nachgetragen halten, weil er die kemärim ganz pauschal für ,nichtjerusalemische Priester' hält, sie mit den köhanim von V. 8 f. identifiziert und sich die religionsgeschichtliche Konkretion erspart. Demgegenüber ist festzuhalten, daß die kfmärim (immer im Plural genannt, also vielleicht eine Korporation?) eine spezifische Priesterklasse darstellen, deren kultische Tätigkeit sich offenbar ausschließlich an Astralgottheiten richtete und deren Existenz im Juda des 7. Jhs. auf aramäischen Einfluß zurückgehen dürfte." A.a.O., 78 f.; Uehlinger macht darauf aufmerksam, daß die zeitlich nächstliegenden aramäischen Belege aus Nerab stammen (KAI 225 und 226, vgl. TUAT II, 573 f.) und ins 7. Jh. datieren. Dort handelt es sich um Grabstelen von Priestern des Mondgottes (kmr shr), ebd.; siehe in diesem Sinne auch KOCH, Aschera, 107; zur Datierung, vgl. auch KOCH, Gefüge, 80-92, der in seiner struktural-formgeschichtlichen Untersuchung des Reformberichtes als Grundbestand des Textes 2Kön 23,4-20 herausarbeitet und das Dokument aus verschiedenen Gründen (z.B. König werden uneingeschränkte kultische Befugnisse eingeräumt; Mangel an expliziter dtr Sprache) der vorexilischen Zeit - nicht allzu weit von den berichteten Ereignissen entfernt - zuordnet. (A.a.O., 90 f.) 47

Vgl. dazu DRIVER, a.a.O., 7 f.; MCKAY, a.a.O., 38 f. KOCH, a.a.O., 84, und UEHLINGER, a.a.O., 78, geben MBRN allgemein mit .Sternbilder', Konstellationen', .Fixsterne' wieder, was der hier im folgenden vorgeschlagenen Deutung schon sehr nahe kommt. Freilich muß das Wort noch eine speziellere Bedeutung haben, denn die Gesamtheit der Fixsterne ist ja wahrscheinlich mit DTDCn t o s angesprochen. 48

49 UEHLINGER, ebd., Anm. 104, argumentiert einleuchtend, daß der Satz ursprünglich wie folgt gelautet hat: „Er (Joschija) beseitigte (auf Dauer) die kemärim, die der Sonne (eigentlich: dem Sonnengott), dem Mond (eigentlich: dem Mondgott), den Fixsternen/Konstellationen und dem ganzen Himmelsheer räucherten." Zu C H i p o n merkt er an, daß eine Funktionsbezeichnung „Räucherer" sonst nicht bezeugt ist, so daß das Partizip ursprünglich die kultische Aktivität der kemärim spezifiziert haben dürfte. Für unsere Fragestellung ist lediglich wichtig, daß den m'PTQ überhaupt Räucheropfer dargebracht wurden. 50 Siehe dazu ausführlich ALBANI, Siebengestirn; im Hinblick auf Orion wäre noch zu ergänzen, daß in Ägypten das Sternbild den Gott Osiris verkörperte und für die ägyptische

194

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che astralkritische Tendenz wie im Schöpfungsbericht Gen 1,14 ff., wo die einstigen Gestirngottheiten schöpfungstheologisch auf ihre kalendarische Funktion sowie auf ihre Leuchtfunktion reduziert werden.

2. Das

Inkongruenzargument

Als nächstes sei auf die Frage eingegangen, welches Gewicht dem Inkongruenzargument im Hinblick auf das pluralische Nomen miTQ und dem singularischen Suffix in m i n zugemessen werden kann. So hat beispielsweise Mowinckel mit dem Hinweis auf dieses syntaktische Problem seine These begründet, daß es sich nicht um mehrere Sterne oder Sternbilder - etwa um die Zodiakalsternbilder - handeln könne, sondern nur um ein einzelnes Gestirn, „und zwar eines, dessen regelmässiges Wiedererscheinen ... von Bedeutung für das Erhaltenwerden der kosmischen Ordnung ist. Der Sinn der Frage ist: kannst du immer wieder zur rechten Zeit den m~lTQ (täglich oder heliakisch) aufgehen oder zum Vorschein kommen lassen, so wie ich Jahwä, es tut?" 51 Mowinckels Argument ist wenig beweiskräftig, denn i n i o bezieht sich öfter auf eine eindeutig pluralische Größe (vgl. Ps 104,27; 145,15; Jer 5,24; vgl. ferner Koh 3,11). Die Übersetzung „zur rechten Zeit" (Luther) trifft den Sachverhalt vielleicht am besten. Das singularische Suffix in inJH soll wahrscheinlich zum Ausdruck bringen, daß es sich um astrale Objekte handelt, von denen jedes einzelne „zu seiner Zeit" von Gott herausgeführt wird 52 . Hinter der Inkongruenz würde also eine Aussageabsicht stehen: Jedes einzelne der MITQ-Gestirne hat eine ganz bestimmte (vorgeschriebene) Aufgangszeit 53 ! Stadelmann sieht in m~lT0 „a plural of majesty" bzw. „a collective plural" und weist darauf hin, daß „not infrequently feminine plural forms with a masculine meaning are construed as masculine singular nouns." 54 Somit muß die Form i n m keineswegs ausschließen, daß es sich bei m i m um eine pluralische Größe handelt. Stadelmann hat hier die Planeten im Blick. Diese Annahme ist freilich auch nicht unproblematisch, wie im folgenden Punkt zu zeigen ist.

Königsideologie eine wichtige Rolle spielte: „In the Afterlife the king reaches the Firmament as Orion who bestows on him the authority of a ,great force'." HART, Dictionary, 150. 51

MOWINCKEL, a . a . O . , 2 8 f.

52

Siehe in diesem Sinne die Erklärung von LEVI, Inkongruenz, 34: „Eine der Funktionen des Suffixes ist distributiv, d.h. das rückbezügliche Pronomen bezieht sich auf jede Komponente des im Plur. stehenden Ausdrucks. Die Bedeutung ist j e d e r von'." Vgl. auch die Beispiele a.a.O., 35 ff., etwa lKön 5,28 (irrrn) oder lKön 6,23 (inmp). 53 Vgl. in diesem Sinne auch Ps 145,15: „Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zu seiner Zeit." insn betont hier ebenfalls, daß jedes einzelne Lebewesen zu einer bestimmten Zeit, die für dieses besondere Lebewesen charakteristisch ist, seine Nahrung von Gott bekommt. 54

STADELMANN, a . a . O . , 8 7 .

,J(annst du die Sternbilder hervortreten lassen zur rechten

3. mitn

=

Zeit...?"

195

Planeten?

Es geht in Hi 38,31 offenbar um astrale Größen, deren Charakteristikum es ist, daß sie regelmäßig zu einer bestimmten Zeit aufgehen. Aus diesem Grunde sind planetare Erscheinungen - sei es nun ein einzelner Planet in seinen verschiedenen Phasen (Venus - Schiaparelli) oder die Planeten insgesamt (Stadelmann) - weniger wahrscheinlich. Das Kennzeichen der Planetenbewegungen ist im Unterschied zu den Fixsternen gerade ihre scheinbare Unregelmäßigkeit. In dem astronomischen Keilschriftkompendium MUL.APIN werden die einzelnen Planeten aufgezählt, versehen mit dem Kommentar, daß sie ständig ihren Standort verändern, z.B., „Venus verändert ständig ihren Standort und überquert den Himmel" (Dilibat manzässu ittanakkirma same ibbir)55. Im Zweistromland nannte man die Planeten „wilde Schafe" (sum. UDU.BAD, akk. bibbu), die sich unter den feststehenden Sternenschafen hin- und herbewegen 56 . Das aus dem Griechischen stammende Wort „Planet" kommt von dem Verb 7iÄ.aväa0ai „umherirren, umherschweifen" und gibt diesen von den Babyloniern anschaulich auf den Begriff gebrachten unregelmäßigen Bewegungsaspekt wieder. Zwar haben babylonische Astronomen als erste die Gesetzmäßigkeit der Planetenbewegungen erkannt, wie schon die Venustafeln des Ammizaduga und später die babylonischen Planetenrechnungen seit dem Ende des 6. Jh.s v.Chr. zeigen 57 , doch waren dies Erkenntnisse astronomischer Spezialisten, die auf jahrhundertelanger intensiver Himmelsbeobachtung beruhten und die nicht dem entsprechen, was jedermann am Himmel wahrnehmen kann. Die Bezeichnungen „wilde Schafe" oder „die Umherirrenden" geben den Augenschein treffend wieder. Bei Hiob wird jedoch offenbar auf astrale Objekte verwiesen, deren regelmäßiger Aufgang zu einer bestimmten Zeit unmittelbare Evidenz besitzt. Falls man jedoch an der Planetenthese festhalten möchte, dann müßte man Hi 38,32 in dem Sinne interpretieren, daß nur JHWH die für Menschen so schwer berechenbaren Aufgänge der Planeten kennt bzw. bewirkt 58 . Damit wäre gerade die Antithese zu den für astronomische Bemühungen leichter feststellbaren heliakischen Aufgängen der Fixsterne intendiert. Dagegen spricht jedoch, daß U1JJ3 meist in Zusammenhängen auftaucht, wo es um regelmäßig zur gleichen Jahreszeit stattfindende Naturvorgänge geht59. Die das 55

MUL.APIN I ii 13, vgl. Mars, Saturn und Merkur in ii 14-17, Jupiter in i 38, sowie die summarische Charakterisierung der Planeten in II i 40 f.; HUNGER / PINGREE, MUL.APIN, 29.33 f.80 f. 56 Vgl. dazu KOCH-WESTENHOLZ, Astrology, 119; REINER, Astral Magic, 7. 57 Siehe dazu VAN DER WAERDEN, a.a.O., 48 ff.173-203. 58

59

V g l . in d i e s e m S i n n e SCHIAPARELLI, a . a . O . , 7 6 .

In Dtn 11,14 wird mit i n i n das rechtzeitige Eintreffen des für die Landwirtschaft so wichtigen Frühregens und Spätregens bezeichnet. Es geht also um ein jahreszeitlich regelmäßig wiederkehrendes Naturphänomen (vgl. Dtn 28,12; Jer 5,24; Ez 34,26). In Hi 5,26 bezieht

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Sonnenjahr widerspiegelnden heliakischen Sternaufgänge stellen genau das himmlische Pendant zu den landwirtschaftlichen Terminen auf Erden dar. Die Planeteninterpretation von miTQ bzw. nV?TQ ist daher eher unwahrscheinlich.

II. Die babylonischen Monatssternbilder von Hi 38,31 ff.?

als Hintergrund

Angesichts der bisherigen Diskussion soll nun eine Gruppe von astralen Objekten in den Blick genommen werden, die einerseits wie die Tierkreisbilder oder die Planeten als charakteristische kollektive Größe angesehen wurden, deren Aufgänge andererseits jeweils einen bestimmten Zeitpunkt im Jahreslauf kennzeichneten. Zu ihnen führt zunächst eine etymologische Spur.

1. Die m^TD und die „je drei Sterne " in Enuma elisch V Im Unterschied zu den miTD herrscht über die Etymologie des Begriffes m^TD allgemein Einigkeit in der Forschung. Er wird abgeleitet von dem akk. Begriff manzaltu bzw. mazzaztu/manzaztu (von i/uzuzzu = stehen)60. Die Bedeutung des Wortes ist „Stellung, Posten, Standort" und ist u.a. terminus technicus für den Standort von Gestirnen 61 . Für die Standorte von Sternbildern wird der dem fem. manzaltu entsprechende mask. Begriff manzäzu in der bereits angesprochenen Stelle von Enuma elisch V,1 verwendet. Der babylonische Götterkönig Marduk habe die Sterne (kakkabäni m e s ) als Standorte für die großen Götter (man-za-za an iläni rabüti) in Gestalt bestimmter Sternbilder (.lu-mä-si) an das Firmament gestellt62. Die Frage ist, ob die mit dem Begriff lumäsu bezeichneten Gestirne eine spezifische Gruppe von Sternbildern meint, oder ob hier die Sternbilder insgesamt im Blick sind. Meist wird in den Übersetzungen das Wort allgemein mit „Sternbilder" wiedergegeben 63 , was einleuchtet, da es ja um die Schaffung der Gestirnordnung insgesamt geht. Andererseits werden in der „Großen Sternliste" aus der Sargonidenzeit nur

sich m i Q ebenfalls auf einen jeweils zur gleichen Jahreszeit wiederkehrenden Vorgang in der Landwirtschaft, nämlich das Einbringen der Garben, vgl. Hos 2,11. In Ps 1,3 ist ebenso das Fruchtbringen eines Baumes „zu seiner Zeit" angesprochen. Auch die Speisung der Lebewesen zu ihrer Zeit (Ps 104,27; 145,15) meint einen regelmäßig stattfindenden Vorgang. 60 61 62 63

Vgl. H A L A T 536; AHw II, 638a. Vgl. dazu z.B. STADELMANN, a.a.O., 86; ZATELLI,

a.a.O., 95.

Transliteration und Übersetzung, siehe z.B. HOROWITZ, a.a.O., 114 f. Vgl. T U A T III, 587; KOCH-WESTENHOLZ, Astrology, 116 ff.; HOROWITZ, a.a.O., 111.

114f.146f.257.

,JCannst du die Sternbilder

hervortreten

lassen zur rechten

Zeit...?"

197

Abb. 4: Schematische Darstellung eines kreisförmigen Astrolabs. Erläuterung: In jedem Monatskreissegment befinden sich „je drei Sterne" (Ee V,4) auf den astralen Wegen des Ea, Anu und Enlil; der äußere Ring enthält somit die 12 Sterne Eas, der mittlere die 12 Sterne Anus und der innere Ring die 12 Sterne Enlils; die Zahlenangaben beziehen sich auf die Tag-Nacht-Längen der einzelnen Monate.

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sieben spezifische Sternbilder unter diesem Namen subsumiert 64 . In der Spätzeit (persische und seleukidische Epoche) hat sich die Bedeutung des Begriffes vollkommen gewandelt und bezeichnete die zwölf Tierkreisbilder 65 . Letztere sind in Ee V,2 jedoch mit Sicherheit noch nicht gemeint, da der zwölfteilige Tierkreis wie gesagt erst im 5. Jh. v.Chr. erfunden wurde. In Z. 3 f. wird dann jedoch eine fest umrissene Gruppe von Sternen und Sternbildern genannt, welche Marduk auf ihre astralen Positionen gestellt habe, nämlich die „je drei Sterne" für die zwölf Monate des Jahres (12 arhümei kakkabänu meä 3 m ära us-zi-iz). Worum handelt es sich bei diesen Sternbildern? In Mesopotamien hat man im zweiten Jahrtausend Listen erstellt, in denen die Aufgänge von 36 markanten Sternen bzw. Sternbildern den 12 Monaten des Jahres zugeordnet werden. Man nennt diese Texte gewöhnlich „Astrolabe", was allerdings keine glückliche Begriffswahl ist, da das Wort auch für zwei Arten von astronomischen Instrumenten benutzt wird, die in hellenistischer Zeit und im Mittelalter entwickelt wurden 66 . Auf jeden Fall hat sich ein festes Schema von 36 Monatssternen herausgebildet, welches zur Zeitbestimmung diente. Nach van der Waerden waren diese Sternlisten ursprünglich in kreisrunder Form dargestellt 67 (Abb. 4). Zum astronomischen Verständnis dieser Konzeption haben vor allem die Untersuchungen von J. Koch wichtige neue Erkenntnisse erbracht 68 . Er beschreibt die Funktion der kreisrunden Astrolabe wie folgt: „Heliakische Aufgänge vollziehen sich bekanntlich am Osthorizont, heliakische Untergänge am Westhorizont eines Beobachtungsortes. Die Astrolabe beschrieben demnach astronomische Phänomene in Horizontnähe. Ist dies richtig, verstanden sich somit die zwölf Halbmesser eines kreisrunden Astrolabs jeweils als Horizont, darüber die heliakischen Aufgänge der zugeordneten je drei Sterne stattfanden. Tatsächlich sollten j a wohl die kreisrunden Astrolabe gedreht werden, wenn ihre Kreisform einen Sinn hatte: Man konnte so Monat um Monat die heliakischen Aufgänge der jeweils zugehörigen Ea-, Anu- und EnlilGestirne abrufen und ihre Position über dem Osthorizont gewissermaßen simulieren ... Dabei war der für den abzurufenden Monat zuständige Sektor des Astrolabs zur rechten Hand des Betrachters zu stellen, denn um die richtige Reihenfolge der Monate zu wahren, müssen ja diese Sektoren gegen den Uhrzeigersinn gedreht werden." 69

64

Text, siehe in KOCH-WESTENHOLZ, 198 f.; vgl. WEIDNER, Fixsterne, 80. Vgl. die Auflistung der 12 lumäsu in KOCH-WESTENHOLZ, a.a.O., 163 f.; WEIDNER, ebd. 66 EVANS, Ancient Astronomy, 9.141-161.445^48. 67 VAN DER WAERDEN, Anfänge, 56 ff., bes. 58; zur Frage nach der Datierung der ersten Astrolabe, siehe auch ausführlich HOROWITZ, a.a.O., 157 ff., der für die mittelbabylonische Zeit argumentiert; vgl. auch EVANS, a.a.O., 8 ff. 65

68 J.KOCH, Topographie, 14 ff., hat vor allem gezeigt, daß die drei Wege Eas, Anus und Enlils nicht - wie bis dahin allgemein angenommen - sich auf drei parallel zum Himmelsäquator verlaufende Streifen beziehen, sondern am Horizont zu lokalisieren sind. 69 J.KOCH, a.a.O., 19 f.; der Autor hat mich dankenswerterweise brieflich darauf hingewiesen, daß die Astrolabe auch der Kalenderregulierung (Interkalation) dienten: „Schon der

„Kannst du die Sternbilder hervortreten lassen zur rechten

Zeit...?"

199

V

Die je drei Sterne haben also ihre spezifischen Standorte über dem Osthorizont (Abb. 5), wenn sie mit ihrem heliakischen Aufgang einen bestimmten Zeitpunkt im Jahreslauf kennzeichnen. Daher ist es m.E. am wahrscheinlichsten, daß mit n n r a = m^to, also den ,Standortgestirnen', eine bestimmte Gruppe von Sternen gemeint ist, die mit ihren heliakischen Aufgängen eine Art Jahresuhr für die Landwirtschaft und das irdische Leben darstellten und die zwölf Monate des Jahres astral kennzeichneten. Dies würde auch erklären, warum man diese Sternbilder später mit den zwölf Tierkreiszeichen gleichsetzen konnte, da letztere ja auch die zwölf Monate astral kennzeichnen, wenn auch nicht durch ihre Aufgänge, sondern durch den monatlichen ekliptikalen Aufenthalt der Sonne in ihnen. In allen Kulturen der Erde gab es solche astronomischen Kalender, in denen die Phasen (z.B. heliakische Aufgänge) bestimmter auffälliger Sterne wichtigen landwirtschaftlichen Terminen zugeordnet wurden70. Am bekanntesten ist die dichterische Beschreibung der Sternphasen, wie wir sie bei Hesiod in „Werke und Tage" finden, z.B.: älteste, heute bekannte Astrolab, , Astrolab B' (entstanden zur Kassitenzeit), bezieht im sogen. ,Fixsternkommentar' die heliakischen Aufgänge der ,je drei Sterne' ausdrücklich auf den babylonischen Kalender. Und noch in neuassyrischer Zeit empfiehlt ARAK 98 rev. 8-10 dem Herrscher: ... (8) Laß sie einen Monat schalten, (denn) alle Sterne des Himmels (9) sind zurückgeblieben. Monat Adar (10) braucht nicht ungünstig zu verstreichen. Laß sie schalten! Mit .zurückgebliebene Sterne des Himmels' waren die zufolge des Auseinanderklaffens von Sonnen- und Mondjahr um einen Kalendermonat verspätet eingetretenen jährlichen Gestirnserstaufgänge umschrieben." 70 Siehe dazu die einzelnen Beiträge in dem instruktiven Sammelband von WALKER, Astronomy before the telescope, über die Himmelskunde bei verschiedenen alten Völkern; so ist in vielen Kulturen die eminente Bedeutung der Plejaden für Kalender und Landwirtschaft belegt - auch in Gegenden fernab vom altorientalischen oder griechischen Einflußgebiet, vgl. a.a.O., 296 (Inkas), a.a.O., 307 f. (afrikanische Stämme - hier ist allerdings altorientalischer Einfluß denkbar, vgl. ebd.), a.a.O., 320 f. (Australien), a.a.O., 324 f. (Polynesien); passim.

200

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Wenn das Gestirn der Plejaden, der Atlastöchter, emporsteigt, Dann beginne die Ernte, doch pflüge, wenn sie hinabgehen. Vierzig Nächte und Tage hindurch sind diese verborgen, Doch wenn im kreisenden Laufe des Jahres sie wieder erscheinen, Dann beginne, die Sichel zur neuen Ernte zu wetzen! (Verse 383-387) W e n n Orion und Sirius dann zur Mitte des Himmels Steigen, und den Arkturos die rosige Eos betrachtet, Dann, o Perses, schneide die Trauben und bring sie nach Hause. (Verse 609-611) 7 1

Orion und Plejaden werden auch in Hi 38,31 genannt! Wir haben es bei Hesiod mit einem Bauernjahr zu tun, welches durch Himmelserscheinungen gegliedert ist, „die jedermann mit der dazu erforderlichen geringen Genauigkeit selbst beobachten" konnte 72 . Aratos hat in seinem berühmten Sternengedicht „Phainomena und Diosemaia" (ca. 270 v.Chr.) diese „landwirtschaftliche Astronomie" auf den Schöpfergott Zeus zurückgeführt: Allgegenwärtig nährt uns alle seine Gnade. Denn Sein Geschlecht sind wir! Er läßt uns freundlich merken, W a n n recht ein jedes Volk erwacht zu seinen Werken Und sich um Nahrung müht. Zeus spricht: „Nun ist bereit Dem Pflugstier und dem Karst die Scholle! - Jetzt ist die Zeit: Behackt, was ihr gepflanzt! - Nun rüstet euch zur Saat!" A m Himmel hat Er selbst verewigt solchen Rat: Den Jahrlauf vorzuschaun, ließ er Gestirne werden; W a s jede Jahreszeit in stetem Gang auf Erden Uns bringt, es muß zuvor sich in den Sternen zeigen

73

.

Der hier angesprochene himmlische-irdische Zusammenhang zwischen Gestirnumläufen sowie Wetter- und Vegetationszyklen ist wahrscheinlich auch in Hi 38,33 gemeint: „Weißt du des Himmels Ordnungen, oder bestimmst du seine Herrschaft über die Erde?" (JHK3 TiEiöD). Sowohl bei Aratos als auch bei Hiob verweisen die astralen Himmelsordnungen auf den Schöpfergott, der diese Ordnungen festgesetzt hat.

71

Zit. aus VAN DER WAERDEN, Astronomie, 5 f. Ebd. 6; zu den astronomisch genaueren Parapegmata hierzu ein Beispiel: 72

der Griechen, siehe a.a.O., 76 ff.;

Tag

1. Der Krebs fängt an aufzugehen nach Kallipos. Wetterzeichen.

Tag

9. Südwind nach Eudoxus.

Tag 11. Orion geht am Morgen ganz auf nach Eudoxus. Tag 13. Orion geht ganz auf nach Euktemon ... usw. - Zit. aus a.a.O., 76. 73 Zit. aus BÖKER / SCHOTT, Aratos, 25. - Sternbilder und Wetterzeichen, übersetzt und eingeleitet von A. Schott, mit Anmerkungen von R. Böker, München 1958, 25.

„Kannst du die Sternbilder hervortreten lassen zur rechten Zeit...?"

201

2. Kultische Verehrung der m^TQ und Göttlichkeit der Gestirne T r o t z der k a l e n d a r i s c h e n H e r r s c h a f t d e r Gestirne (vgl. G e n 1,14 ff.) über das i r d i s c h e G e s c h e h e n ist es k e i n e F r a g e , d a ß bei H i o b d i e s e n

himmlischen

M ä c h t e n als G e s c h ö p f e n Gottes k e i n e göttliche Dignität m e h r z u k o m m t . U r sprünglich w a r dies jedoch offenbar anders: W e n n die Gleichsetzung M'PTQ

von

und n n m zutrifft, dann wurde diesen Sternbildern nach 2Kön 23,5 auch

kultische V e r e h r u n g zuteil, w a s w i e d e r u m voraussetzt, d a ß m a n die Sterne a u c h in I s r a e l a l s g ö t t l i c h e W e s e n a n g e s e h e n h a t , d i e e r s t s p ä t e r i m R a h m e n des monotheistischen J H W H - G l a u b e n s depotenziert wurden.

Exkurs: Gestirne als himmlische Krieger und Gottessöhne im AT So wurden die Sterne o f f e n b a r als mächtige himmlische Krieger angesehen, die d e m israelitischen H e e r im K a m p f gegen seine Feinde von ihren Bahnen aus zu H i l f e k o m m e n (Ri 5,20) 7 4 . Auch das berühmte .Sonnenwunder' in Jos 10,12 ff. ist in diesem Sinne interpretiert worden 7 5 . Nach Jes 40,26 erscheint J H W H als machtvoller Befehlshaber des astralen himmlischen Heeres (s.u.) 7 6 . Noch in Dan 8,10 ist die Vorstellung belegt, d a ß die Sterne des H i m m e l s h e e r e s in einen K a m p f mit irdischen Mächten (wahrscheinlich Antiochus IV. Epiphanes) verwickelt sind. 74

Möglicherweise sind mit den kämpfenden Sternen die Plejaden gemeint, die in Mesopotamien mit den kriegerischen Sebettu-Göttern identifiziert wurden und auch als Sintflutgestirn galten. In Ri 5,21 wird von einer Überschwemmung des Baches Kischon erzählt, welche die Feinde Israels hinwegschwemmt. Siehe zur näheren Begründung ALBANI, Siebengestirn, 174 f. 75 Vgl. die Interpretation von Jos 10,12 ff. durch MILLER, Divine Warrior, 126 ff.; nach Ps 68,18 befehligt JHWH ein riesiges Streitwagenheer; in 2Kön 6,17 und 2Kön 7,6 f. wird der Einsatz des himmlischen Streitwagenheeres beschrieben, wobei an den genannten Stellen im Unterschied zu Ri 5,20 nicht der astrale Charakter dieser Streitmacht ausgesagt wird. Freilich könnten die feurigen Rosse und Wagen in 2Kön 6,17 auf einen astralen oder solaren Charakter hinweisen. Für ein astrales Verständnis des Himmelsheeres spricht sich auch LELLI, Stars, 1536, aus: „At the head of the heavenly hosts stands a ,Prince of the army' (Josh 5:14—15; Dan 8:11), probably the highest star and the farthest from the earth, even if the actual leader is God, to whom the starry army belongs. From this conception derives the syntagm, LORD/God of hosts'." 76

Der Aussage über JHWHs astrale Herrschaft in Jes 40,26 geht die Vergleichbarkeitsfrage voraus. Ähnlich wird in Ps 89,7 ff. die Frage gestellt, wer unter den Göttersöhnen mit JHWH vergleichbar sei. Dabei geht es auch hier um die Machtfrage (Ps 89,9): Keiner der mächtigen Gottessöhne in der himmlischen Versammlung ist dem König JHWH Zebaoth zu vergleichen. In Ps 103,20 werden die JHWH Zebaoth umgebenden Himmlischen als starke Helden (!"D bezeichnet. Hier liegt offenbar der Vorstellungskomplex von JHWH Zebaoth als König und Krieger (vgl. Ps 24,8) vor, der die himmlischen Heerscharen befehligt, die auch astral konnotiert sind; siehe dazu ausführlich ALBANI, Der eine Gott, 143 ff.186 ff. und 222 ff.

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Albani

Neben der militärischen Konnotation der Sterne als Kriegshelden eines Himmelsheeres findet man auch die Anschauung, daß die Gestirne als göttliche Wesen angesehen wurden, die zur unmittelbaren Umgebung des himmlischen Thrones des höchsten Gottes gehören (vgl. Ps 89,37 f.) 77 . In der Thronratsvision des Propheten Micha (lKön 22,19) ist zwar das den himmlischen Thron umgebende Himmelsheer (maon K^K'^D) nicht explizit als aus Gestirnen bestehend charakterisiert, doch ist eine astrale Deutung auch nicht ausgeschlossen (vgl. Dtn 4,19; 17,3; 2Kön 23,5; Jer 8,2; Zeph 1,5; u.ö.). Dagegen geht aus J e s 14,13 deutlich hervor, daß man sich den Thron des höchsten Gottes (Eljon) auf dem Berg des Nordens als von Sternen umgeben vorstellte. Des weiteren ist der Schöpfergott JHWH nach Hi 38,7 von astralen Göttern umgeben: bei der Grundsteinlegung der Welt loben die Morgensterne O p 3 ^DID) bzw. die Gottessöhne (DTlVs ".l'^O) den Schöpfer. Die Stellung JHWHs unter den auch astral verstandenen Gottessöhnen wird in einer interessanten Passage von Ps 89 thematisiert: Ps 89,7 preist JHWH, den Gott der Heerscharen (niKZli; T7/K mir), als unvergleichlich mächtigen Herrscher unter den Gottessöhnen (D'^S - vgl. Ps 29, l) 78 . Er wird gewissermaßen als primus inter pares unter den subordinierten Göttern seines himmlischen Hofstaates angesehen 79 . Wie aus KTU 1.10 I 3 f. mit hinreichender Deutlichkeit hervorgeht, hat man auch in Ugarit die Söhne Eis (bn il) bzw. den „Kreis der Himmlischen" (dr dt smm) mit den Gestirnen als „Versammlung der Sterne" (phr k(b)kbm) entweder mit den Sternen assoziiert oder gar identifiziert 80 . Durch die Gleichsetzung JHWHs mit dem kanaanäischen Götterkönig El wurde wahrscheinlich auch die Vorstellung der astralisierten Gottessöhne - ähnlich wie auch Eis Parhedra Aschera (vgl. „Jahwes Aschera" in den Inschriften von Kuntilet 'Agrud und Chirbet el-Qom) 81 - übernommen und in das Konzept von JHWH Zebaoth als himmlischem König und göttlichem Krieger integriert. Die an verschiedenen atl. Stellen anzutreffende scharfe Verurteilung der Verehrung des Himmelsheeres (vgl. Dtn 4,19; 17,3; 2Kön 23,5; Jer 8,2; Zeph 1,5; u.ö.) richtet sich damit offenbar gegen einen tief in Israel verwurzelten Astralkult 82 , der 77

In Ps 89,37 f. findet man die Zusage JHWHs an den König, daß der Thron der Davidsdynastie „wie die Sonne vor mir" ( ,_ m ¡OTÓ) und wie der ewige Mond bestehen solle. Diese Angabe kann man so verstehen, daß diese beiden Gestirne als zur engsten Umgebung des himmlischen Königs gehörend vorgestellt wurden. 78 Die Endung ist wahrscheinlich kein Pluralmorphem, sondern eine enklitische Partikel, siehe dazu CROSS, 259-279, hier 272. 79 Vgl. in diesem Sinne LELLI, Stars, 1535; ZATELLI, Astrology, 91. 80 So PARKER, Sons, 1501; siehe dazu auch HERRMANN, Göttergruppen, 95; ALBANI, Der eine Gott, 143-152. 81 Siehe dazu z.B. die Diskussion bei KEEL / UEHLINGER, GGG, 259 ff.; UEHLINGER, Anthropomorphic Cult Statuary, 140 ff., hat seine in GGG geäußerte Position revidiert und schlägt nun vor, daß eine Terrakotte aus der späten Eisenzeit, die zwei anthropomorphe Figuren auf einem Thron (?) zeigt, „represents precisely what scholars have tried, in vain, to find for so long: an 8 t h -century Judahite figural representation of ,Yahwe and his Asherah'." A.a.O., 151. 82 So z.B. die These von MCKAY, Religion, 50 f.

„Kannst du die Sternbilder hervortreten lassen z.ur rechten Zeit ...?"

203

l e g i t i m e r B e s t a n d t e i l d e r vorexilischen J H W H - V e r e h r u n g war 8 3 . Erst d u r c h d i e int e n s i v e f e i n d l i c h e K o n f r o n t a t i o n Israels u n d der J H W H - R e l i g i o n in n e u a s s y r i s c h e r u n d v o r allem n e u b a b y l o n i s c h e r Zeit mit d e r m e s o p o t a m i s c h e n Religion, in d e r das astrale V e r s t ä n d n i s d e r G ö t t e r w e l t v o n e m i n e n t e r B e d e u t u n g war, k a m es d a n n i m R a h m e n des m o n o t h e i s t i s c h e n S c h ö p f e r g o t t g l a u b e n s zu einer g r u n d s ä t z l i c h e n N e u b e s t i m m u n g der religiösen Bedeutung der Gestirne. W i e E e V , 1 u n d v i e l e a n d e r e b a b y l o n i s c h e T e x t e ( z . B . M U L . A P I N I i - ii 3 5 ) zeigen, haben die Babylonier natürlich auch die Monatsgestirne Göttern zugeo r d n e t . H i e r sei e i n B e i s p i e l a u s d e r M e n o l o g i e d e s A s t r o l a b s B ( K A V 2 1 8 A ) z i t i e r t , w e l c h e s i m H i n b l i c k a u f H i 3 8 , 3 1 f. b e s o n d e r s a u f s c h l u ß r e i c h ist: (12) Monat Gu(sisa) (= Ajjaru): Sternbild Plejaden, die Siebengottheit, (13) die großen Götter. (14) Urbar machen der Erde, die Rinder spannt man an, (15) der Feuchtboden wird geöffnet, (16) die Säpflüge werden abgewaschen. (17) Monat des Ningirsu, (18) des Helden, des großen Stadtfürsten Enlils. (26) Monat Sig(ga) (= Simanu). Sternbild Hyaden ( rau 'gu 4 -an-na), Tiara des An. (27) Das besagte Sternbild stellt sich gleich hoch wie Gibil. (28) Monat der Ziegelform des Königs, (29) der König verkleidet die Ziegelform mit Ziegeln. (30) (Die Bewohner) alle(r) Länder bauen ihre Häuser. (31) Monat des Ziegelgottes des Landes Sumer. (38) Monat Schu(numunna) (= Du 'üzu). Sternbild Orion. (39) Ninschubur, der/die erhabene Wesir(in) (40) Ans und Inannas. (41) Monat des Hinschüttens der x Saat, (42) des Aufgehenlassens (41^-2) der Frühsaat. (43) Klagegeschrei über Ninrurugu. (44) Monat, worin der Hirte Dumuzi gefesselt wurde 8 4 . D i e in Hi 3 8 , 3 1 g e n a n n t e n S t e r n b i l d e r P l e j a d e n u n d O r i o n g e h ö r e n hier a u c h zu d e n M o n a t s s t e r n b i l d e r n . D i e s läßt d e n G e d a n k e n a u f k o m m e n , d a ß in H i 3 8 , 3 1 f. m i t d e n S t e r n b i l d e r n HD'D, ¡TET1?!? WJ

u n d *T0D d i e M o n a t s s t e r n b i l -

der des Ijjar, S i w a n u n d T a m m u s als kalendarisch besonders wichtige u n d e i n d r ü c k l i c h e A s t r a l o b j e k t e v o n d e m D i c h t e r pars

pro

toto

herausgegriffen

w u r d e n , w ä h r e n d e r m i t miTD d i e M o n a t s s t e r n b i l d e r i n s g e s a m t b e z e i c h n e t .

83

Eine deutliche Anspielung auf Gestirnverehrung findet man auch in Hi 31,26 f. Des weiteren ist in Am 5,26 vom kultischen Tragen astraler Götterbilder die Rede. M.E. geht die These von DE MOOR, Rise of Yahwism, 350 ff., in die richtige Richtung, wonach es sich hier nicht um einen mesopotamischen Saturnkult (kajjamänu) handelt - wie meist angenommen - , sondern um einen einheimischen königlichen Ahnenkult mit astralem bzw. solarem Charakter. Zwar wird in Am 5,26 der babylonische Name für Saturn verwendet (]TD = kajjamänu), doch kann dies so erklärt werden, daß der von Arnos kritisierte königliche Ahnenkult später von exilischen Bearbeitern der Stelle im Zuge der Auseinandersetzung mit den astralen Implikationen der mesopotamischen Religion als ,Fremdkult' diffamiert werden sollte, was er jedoch ursprünglich nicht war. Siehe dazu ausführlich ALBANI, a.a.O., 164—175. 84 Zit. aus TUAT II, 49 f.; Hervorhebung M.A.; vgl. dazu die erste Bearbeitung von WEIDNER, Fixsternhimmel, 87; eine Transliteration der Assurversion findet sich bei REINER, E., in: DIES. /PINGREE, Planetary Omens, 81 f.; siehe zu KAV 218 auch die Diskussion bei HOROWITZ, a.a.O., 154 ff.

204

Matthias

Albani

Exkurs: Die astronomische Identität von

wy in Hi 38,32

Wenn dies zutreffen soll, dann müßte es sich bei Ivn'^iJ ETI), die bisher in unserer Untersuchung noch nicht identifiziert wurden, um das Sternbild des Monats Siwan/Simanu handeln. Nach J. Kochs neuen Untersuchungen des babylonischen Fixsternhimmels besteht das Sternbild m u l gu 4 -an-na (= m u l w+/e), welches diesen Monat durch seinen heliakischen Aufgang kennzeichnet, aus den Sternen a 9 1 ' 2 y S e Tauri 85 , also aus Aldebaran, dem hellsten Stern im Stier, sowie aus den Hyaden einer auffälligen Gruppe von kleineren Sternen, die in unmittelbarer Nachbarschaft des rötlich leuchtenden Hauptsterns im Stier zu sehen sind (Abb. 6). Die Bezeichnung „ihre Söhne/Kinder" (¡TO) würde so ziemlich gut zu den Sternen des Hyadensternhaufens um Aldebaran passen.

Abb. 6: Sternhaufen Hyaden im Stier Gibt es für diese These weitere Anhaltspunkte? Die LXX gibt ¡TO"1?!} S-U mit „Hesperos mit seinen Haaren" ("Eaicepov ÉTCÍ KÓ|JT|