Das Auge Gottes: Textstrategie im Hiobbuch 3161471407, 9783161471407, 9783161577987

Mit welchen Mitteln wird der Leser zur Interpretation des Hiobbuches angeregt? In welchem Zusammenhang stehen dabei Dram

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Das Auge Gottes: Textstrategie im Hiobbuch
 3161471407, 9783161471407, 9783161577987

Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Wege und Erträge: Forschung am Buch Hiob
1.1 Hiob als weisheitliche Literatur?
1.2 Hiob und die Formgeschichte
1.2.1 Hiob als „dramatisierte Klage“: Claus Westermann
1.2.2 Hiob aus den Gattungen des Rechtslebens: Heinz Richter und Norman Habel
1.2.3 Hiob und die Gattungsmischung: Zusammenfassung
1.3 Hiob und der Mythos: Leo Perdue und Gisela Fuchs
1.4 Hiob und seine Redaktoren: Victor Maag
1.5 Hiob und die pluralisierte Methodik: Zusammenfassung und Ergebnis
2. „Lector in fabula“: Das Interpretationskonzept Umberto Ecos als Weg zur Hiob-Exegese
2.1 Text, Autor, Publikum: Die Bedingungen der Interpretation
2.2 Enzyklopädie, Ko-Text, Aussage-Umfeld: Bedingungen der textuellen Mitarbeit
2.3 Strukturen des Textes: Die textuelle Mitarbeit
2.4 „Lector in Biblia“: Zusammenfassung und Ergebnis
3. Stationen der Hiob-Tradition: Zur Überlieferung und Textgestalt des Hiobbuches
3.1 Prolog und Epilog (Hi 1–2; 42,7–17)
3.2 Der „dritte Redegang“ und die Reden Elihus (Hi 23–31; 32–37)
3.3 Gottesrede oder Gottesreden? (Hi 38,1–42,6)
3.4 Kontinuität und Diskontinuität: Zusammenfassung
4. Gegenwart Gottes: Aufbau und Dramaturgie der Hiob-Dichtung
4.1 Zwischen Himmel und Erde: Die Rahmenerzählung
4.1.1 Aufbau und Komposition
4.1.2 Exegetische Entfaltung: Die Himmelsszenen
4.1.2.1 Die erste Himmelsszene: Hi 1,6–12
4.1.2.2 Die zweite Himmelsszene: Hi 2,1–7
4.1.3 Vergifteter Segen: Zusammenfassung
4.2 Coram Deo: Grundstrukturen der Dialogdichtung
4.2.1 Der Dialog als Handlung: Makrostrukturen des Textes
4.2.2 Der Dialog als personales Geschehen: Mikrostrukturen des Textes
4.2.3 Raster der Textstrategie: Zusammenfassung
5. „Wo ist Gott?“ Der Dialog zwischen Hiob und den Freunden (Hi 3–31*)
5.1 Erster Akt des Dialogs: Standortsuche (Hi 3–14)
5.1.1 Aufbau und Komposition
5.1.2 Exegetische Entfaltung I: Die erste Rede des Eliphas (Hi 4–5)
5.1.3 Exegetische Entfaltung II: Die dritte Rede des Hiob (Hi 9–10)
5.1.4 Der nahe und der ferne Gott: Zusammenfassung
5.2 Zweiter Akt des Dialogs: Verhärtete Fronten (Hi 15–20)
5.2.1 Aufbau uns Komposition
5.2.2 Exegetische Entfaltung I: Die zweite Rede des Eliphas (Hi 15)
5.2.3 Exegetische Entfaltung II: Die sechste Rede Hiobs (Hi 19)
5.2.4 Freunde und Feinde: Zusammenfassung
5.3 Dritter Akt des Dialogs: Kompromiß und Herausforderung (Hi 21–31*)
5.3.1 Aufbau und Komposition
5.3.2 Erster Teil: Hi 21–23
5.3.3 Zweiter Teil: Hi 27–31*
5.3.4 Unschuld und Gerechtigkeit: Zusammenfassung
6. „Wo ist der Mensch?“ Der Dialog zwischen JHWH und Hiob und der Abschluss des Hiobbuches (Hi 38,1–42,17*)
6.1 Aufbau und Komposition
6.2 Rätsel und Lösung: Der Dialog zwischen JHWH und Hiob (Hi 38–42,6*)
6.2.1 Die Rede JHWHs (Hi 38,1–39,30)
6.2.2 Die Antwort Hiobs (Hi 42,1–6)
6.3 Klare Verhältnisse? Der Abschluß der Hiob-Dichtung (Hi 42,7–17)
6.4 Der Schöpfer und das Geschöpf: Zusammenfassung
7. Wege zu Gott: Ergebnis
7.1 Hiob und die Gegenwart Gottes
7.1.1 Die Frage nach der Gegenwart Gottes als dramaturgische Konstante der Hiob-Dichtung
7.1.2 Die Frage nach der Gegenwart Gottes als Knotenpunkt der Textstrategie
7.1.3 Die Frage nach der Gegenwart Gottes als Brennpunkt des thematischen Gehalts der Hiob-Dichtung
7.2 Hiob und das Alte Testament
7.2.1 Das Hiobbuch als Kritik an der nachexilischen offiziellen Theologie
7.2.2 Das Hiobbuch und sein Publikum
7.2.3 Das Hiobbuch und seine Interpreten
Anhang
Literaturverzeichnis
Stellenregister
Sachregister

Citation preview

Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von Bernd Janowski und Hermann Spieckermann

25

Melanie Köhlmoos

Das Auge Gottes Textstrategie im Hiobbuch

Mohr Siebeck

MELANIE KÖHLMOOS, geboren 1966 in Hamburg; 1985 Abitur; 1985-1993 Studium der Evangelischen Theologie in Hamburg; 1994-1997 Tätigkeiten im Fachbereich Evangelische Theologie in Hamburg; 1998 Promotion; 1997-1998 Vikarin der NEK; seit 1999 persönliche Referentin des Vizepräsidenten der Universität Hamburg.

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Köhlmoos, Melanie: Das Auge Gottes : Textstrategie im Hiobbuch / Melanie Köhlmoos. - Tübingen : Mohr Siebeck, 1999 (Forschungen zum Alten Testament ; 25) ISBN 3-16-147140-7

978-3-16-157798-7 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019

© 1999 J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier der Papierfabrik Niefern gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0940-4145

Vorwort Die vorliegende, für den Druck leicht überarbeitete, Untersuchung ist im Wintersemester 1997/98 vom Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg als Dissertation angenommen worden. Eine Menge Menschen haben Hiob und mich auf unserem gemeinsamen Weg begleitet und jedes auf eigene Weise dafür gesorgt, daß die Dissertation schließlich Gestalt annahm. Ihnen allen gilt mein Dank und meine Anerkennung; den Institutsmitgliedern, den Teilnehmenden der alttestamentlichen Repetitorien, den Kolleginnen und Kollegen aus dem Vikarskurs. Alle haben durch Nachfragen, Interesse, Ideen und Kritik ihren Beitrag zum „Auge Gottes" geleistet. Wie Hiob habe ich meine Aufgabe nicht allein bewältigen müssen, sondern hatte Freunde, Zeugen, Kritikerinnen und Trösterinnen. Mein besonderer Dank gilt denen, die im Rahmen meiner Arbeit eine Rolle hatten, die dem „Auge Gottes" entspricht: Prof. Dr. Hermann Spieckermann, der sowohl die Arbeit als auch ihre Verfasserin betreut und begleitet hat. Über die kritische Begleitung der Arbeit hinaus hat er sich darum sehr verdient gemacht, mir Arbeits-, Lehrund Forschungsmöglichkeiten zu eröffnen. Ein zusätzlicher Dank gilt Prof. Spieckermann im Verein mit Herrn Prof. Bernd Janowski, als Herausgeber der Reihe Forschungen zum Alten Testament, für die Aufnahme der Arbeit in diese Reihe. Frau Prof. Dr. I. Willi-Plein, die freundlicherweise das Korreferat meiner Arbeit übernommen hat und mir auch sonst mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat. Frau Birgit Ohmstede und Frau Dr. Uta Pohl-Patalong, die das Korrekturlesen am Manuskript übernommen haben. Sie haben als meine frühesten Leserinnen wohl als erste begriffen, was Textstrategie ist - und daß man darüber nicht das korrekte Schriftbild vernachlässigen darf. Und schließlich meinem Mann, Pastor Frank Muchlinsky, der „geduldig wie Hiob" sämtliche Hypothesen gehört, gesehen, geprüft und verworfen oder akzeptiert hat und sich darüber hinaus den gestalterischen und technischen Problemen gewidmet hat, die die Produktion eines Buches mit sich bringt. Hamburg im Frühjahr 1999

Melanie Köhlmoos

Inhaltsverzeichnis Einleitung 1. Wege und Erträge: Forschung am Buch Hiob 1.1

Hiob als weisheitliche Literatur?

1 10 11

1.2 Hiob und die Formgeschichte 1.2.1 Hiob als „dramatisierte Klage": Claus Westermann 1.2.2 Hiob aus den Gattungen des Rechtslebens: Heinz Richter und Norman Habel 1.2.3 Hiob und die Gattungsmischung: Zusammenfassung

18 20

1.3

Hiob und der Mythos: Leo Perdue und Gisela Fuchs

22

1.4

Hiob und seine Redaktoren: Victor Maag

26

1.5

Hiob und die pluralisierte Methodik: Zusammenfassung und Ergebnis

28

2. „Lector in fabula": Das Interpretationskonzept Umberto Ecos als Weg zur Hiob-Exegese 2.1 2.2 2.3 2.4

Text, Autor, Publikum: Die Bedingungen der Interpretation Enzyklopädie, Ko-Text, Aussage-Umfeld: Bedingungen der textuellen Mitarbeit Strukturen des Textes: Die textuelle Mitarbeit „Lector in Biblia": Zusammenfassung und Ergebnis

3. Stationen der Hiob-Tradition: Zur Überlieferung und Textgestalt des Hiobbuches 3.1 3.2 3.3 3.4

Prolog und Epilog (Hi 1-2; 42,7-17) Der „dritte Redegang" und die Reden Elihus (Hi 23-31; 32-37) Gottesrede oder Gottesreden? (Hi 3 8,1 -42,6) Kontinuität und Diskontinuität: Zusammenfassung

4. Gegenwart Gottes: Aufbau und Dramaturgie der Hiob-Dichtung 4.1 Zwischen Himmel und Erde: Die Rahmenerzählung 4.1.1 Aufbau und Komposition 4.1.2 Exegetische Entfaltung: Die Himmelsszenen 4.1.2.1 Die erste Himmelsszene: Hi 1,6-12 4.1.2.2 Die zweite Himmelsszene: Hi 2,1 -7

16 17

30 31 35 37 40

46 48 56 66 71

74 75 76 88 92 97

VIII 4.1.3 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3

Inhaltsverzeichnis Vergifteter Segen: Zusammenfassung Coram Deo: Grundstrukturen der Dialogdichtung Der Dialog als Handlung: Makrostrukturen des Textes Der Dialog als personales Geschehen: Mikrostrukturen des Textes Raster der Textstrategie: Zusammenfassung

5. „Wo ist Gott?" Der Dialog zwischen Hiob und den Freunden (Hi 3-31 *)

101 103 105 118 141

144

5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4

Erster Akt des Dialogs: Standortsuche (Hi 3-14) Aufbau und Komposition Exegetische Entfaltung I: Die erste Rede des Eliphas (Hi 4-5) Exegetische Entfaltung II: Die dritte Rede des Hiob (Hi 9-10) Der nahe und der ferne Gott: Zusammenfassung

146 147 182 200 216

5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4

Zweiter Akt des Dialogs: Verhärtete Fronten (Hi 15-20) Aufbau uns Komposition Exegetische Entfaltung I: Die zweite Rede des Eliphas (Hi 15) Exegetische Entfaltung II: Die sechste Rede Hiobs (Hi 19) Freunde und Feinde: Zusammenfassung

219 220 242 257 278

5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4

Dritter Akt des Dialogs: Kompromiß und Herausforderung (Hi 21-31*) Aufbau und Komposition Erster Teil: Hi 21-23 Zweiter Teil: Hi 27-31* Unschuld und Gerechtigkeit: Zusammenfassung

283 284 286 303 317

6. „Wo ist der Mensch?" Der Dialog zwischen JHWH und Hiob und der Abschluss des Hiobbuches (Hi 38,1-42,17*) 6.1

Aufbau und Komposition

Rätsel und Lösung: Der Dialog zwischen JHWH und Hiob (Hi 38-42,6*) 6.2.1 Die Rede JHWHs (Hi 38,1-39,30) 6.2.2 Die Antwort Hiobs (Hi 42,1-6)

321 322

6.2

6.3

6.4

325 326 342

Klare Verhältnisse? Der Abschluß der Hiob-Dichtung (Hi 42,7-17)

345

Der Schöpfer und das Geschöpf: Zusammenfassung

351

7. Wege zu Gott: Ergebnis 7.1 Hiob und die Gegenwart Gottes 7.1.1 Die Frage nach der Gegenwart Gottes als dramaturgische Konstante der Hiob-Dichtung

355 356 356

Inhaltsverzeichnis

IX

7.1.2 Die Frage nach der Gegenwart Gottes als Knotenpunkt der Textstrategie 7.1.3 Die Frage nach der Gegenwart Gottes als Brennpunkt des thematischen Gehalts der Hiob-Dichtung

361

7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3

364 364 365 366

Hiob und das Alte Testament Das Hiobbuch als Kritik an der nachexilischen offiziellen Theologie Das Hiobbuch und sein Publikum Das Hiobbuch und seine Interpreten

359

Anhang Literaturverzeichnis

367

Stellenregister

381

Sachregister

384

1

Einleitung 1. Das Hiobbuch als nachexilisches Dokument In der nachexilischen Zeit geht Israel durch eine lange Phase hoher theologischer und literarischer Produktivität. Die (Neu-)Formierung der Traditionen, die seine religiöse Identität prägen, fällt in die zwei Jahrhunderte der Perserherrschaft. Dabei fallen zwei Grundzüge dieser Bewegung ins Auge: ihre interne Differenzierung und ihre Intertextualität. Die theologisch-literarische Produktion der Perserzeit bringt die normativen Texte Israels hervor: den Pentateuch, die Geschichtswerke deuteronomistischer und chronistischer Provenienz und den Psalter. Auch die Auseinandersetzung um den normativen Anspruch der Prophetie gehört in diese Zeit. Hierbei werden plurale Traditionen zu Dokumenten vereinigt, die Anliegen der einzelnen Tradentenkreise wahren und gleichzeitig ein balanciertes Gleichgewicht der Traditionen herstellen. Trotz des Ringens um die theologisch-literarische Einheit fällt der Kompromißcharakter der Dokumente, die Pluralität und Differenzierung der Einzeltraditionen ins Auge. Vor allem der Pentateuch gibt sich offensichtlich als Kompromißdokument zu erkennen 1 . Diese Pluralität und Differenzierung verdankt sich dem Sachverhalt, daß sich alle genannten theologisch-literarischen Entwürfe als kritische und kreative Auseinandersetzung mit vorangegangenen und gleichzeitigen anderen Traditionen verstehen. Pentateuch, Geschichtswerke, Prophetenbücher, Psalter sind teils Fortschreibung älterer Textcorpora, teils Formierung bisher disparater - und eventuell mündlicher - Traditionen, teils Neuschöpfungen im Dialog mit anderen (normativen) Traditionen. In den endgültigen Werken finden sich alle diese Ansätze des Umgangs mit der Tradition 2 . Diese Auseinandersetzung mit Texten im Rahmen anderer Texte

1 Vgl. dazu E. ZENGER, Die Bücher der Tora/des Pentateuch, in: E. Zenger u.a. (Hg.), Einleitung in das Alte Testament, 1995 (Kohlhammer Studienbücher Theologie 1,1), 3443; R. ALBERTZ, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, 1992 (GAT 8), 495-535. 2 Dies ist besonders deutlich für den Psalter gezeigt bei H. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart. Eine Theologie der Psalmen, 1989 (FRLANT 148).

2

Einleitung

gehört zum Phänomen der Intertextualität 1 . Weite Teile des Alten Testaments sind überhaupt nur intertextuell sachgemäß zu begreifen; für die theologisch-literarische Produktion der Perserzeit gilt dies in besonderem Maße. Das Buch Hiob ist ein typisch nachexilisches Dokument, insofern es mit den großen Werken jener Zeit die eben genannten Grundzüge teilt: textinterne Differenzierung und Intertextualität. Es gehört in seinem Grundentwurf jedoch kaum zu den Versuchen, die Theologie Israels in normativer Weise darzustellen. Das Hiobbuch ist sowohl in seiner Gestalt als auch in seinem Gehalt eine differenzierte Größe. In der Makrostruktur vereinigt es die beiden Grundzüge der Kunstsprache, Poesie und Prosa, verflicht Erzählung und Dichtung zu einem komplexen Textgefüge. In diesem steht das kurze Bildwort neben der langen Lehrrede, die wilde Klage neben der moderaten Disputation, die Elegie neben der Verheißung. Alle Formen sind gezielt und planvoll miteinander verbunden, lassen ihre Unterschiedlichkeit aber deutlich erkennen. Gleiches gilt für die Thematik des Buches. Theodizee und Schöpfung, das rechte Verhalten im Leid und die Frage nach einer Weltordnung werden im Hiobbuch nebeneinander und häufig auch gegeneinander erörtert. Auch dieser inhaltliche Pluralismus des Textes ist Teil einer sinnvollen Gesamtkonzeption. Die formale und inhaltliche Dramaturgie des Hiobbuches vollzieht sich auf dem Hintergrund anderer alttestamentlicher Texte und Traditionen. Das Hiobbuch ist eine Auseinandersetzung mit bereits überlieferten Traditionsblöcken, wie sich schon an der Wahl des Stoffes zeigt. Das Hiobbuch geht auf eine ältere Hiob-Überlieferung zurück, die in Ez 14,14ff. erwähnt wird; es ist als kritische und kreative Auseinandersetzung mit dieser Überlieferung gestaltet. Im großen Hauptteil des Hiobbuches, der Dialogdichtung (Hi 3-42,6), findet ebenfalls eine Auseinandersetzung mit Traditionen und Texten statt, die teils in der Aufnahme von Gattungen und Motiven greifbar wird, teils eine explizite Auseinandersetzung mit bestimmten normativen Texten ist2. Folglich ist das Hiobbuch in hohem Maße ein intertextuelles Werk.

1 Vgl. zur Diskussion um die Intertextualität G. AlCHELE/G.A. PHILIPS, Exegesis, Eisegesis, Intergesis, in: dies. (Hg.), Intertextuality and the Bible (Semeia 69/70, 1995), 718 (Lit.); J.W. VOELZ, Multiple Signs, Aspects of Meaning and Self as Text: Elements of Intertextuality in: G. Aichele/G.A. Philips (Hg.), Intertextuality and the Bible (Semeia 69/70, 1995), 149-164 (Lit.). 2 Vgl. die Zitation von Ps 8 in Hi 7,17.

Das Hiobbuch als Kritik der nachexilischen

Theologie

3

Das Hiobbuch teilt also gewisse Grundzüge mit anderen theologischen Entwürfen seiner Epoche. Sie weisen das Buch Hiob als typisches Dokument seiner Zeit aus. Der Text ist indes noch in weiterer Hinsicht typisch, nämlich in seinem kritischen Impuls, der sich gerade in seiner Differenziertheit und in der Intertextualität niederschlägt. Auch in dieser Hinsicht ist das Hiobbuch ein charakteristisches Dokument der nachexilischen Zeit. Die genannten „großen" Werke dieser Epoche sind nicht nur strukturell vergleichbar, sondern zugleich der Entstehungs- und Interpretationshintergrund des Hiobbuches.

2. Das Hiobbuch als Kritik der nachexilischen Theologie In den großen theologischen Textkomplexen der nachexilischen Zeit - vor allem im Pentateuch und im Psalter - soll die theologische Identität Israels normiert werden. Diese Texte sind Dokumente der offiziellen Religion Israels nach dem Exil. Die Frage nach der Gegenwart Gottes in und für Israel gewinnt in diesen Texten in verpflichtender Weise Gestalt. Mit dieser Formulierung soll eine Art Generalnenner des Hauptanliegens nachexilischer Theologie benannt werden. Im vielfaltig differenzierten theologischen Diskurs der nachexilischen Zeit 1 hat die Theologie der Gegenwart JHWHs in Kult und Tempel eine gewisse Kontinuität 2 ; an sie lagern sich die Konzeptionen der deuteronomisch/deuteronomistischen Bewegung und anderer Gruppen an. Diese offizielle Theologie 3 hat kritische Stimmen auf den Plan gerufen, die ähnlich differenziert sind wie die Strömungen, die sich zur offiziellen Theologie vereinigen. Es liegt in der Natur der Sache, daß sich die kritischen Theologien nicht zu einer Gesamtgruppe vereinigen lassen. Die kritischen Bewegungen verdanken sich zum großen Teil den sozialgeschichtlichen Verwerfungen der nachexilischen Zeit, zu einem weiteren Teil auch der Ausgrenzung aus den Kreisen der offiziellen Reli-

1

Vgl. dazu exemplarisch R. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 56Iff. So in den priesterlichen Schichten des Pentateuch, im Psalter, der chronistischen Theologie, in den Rezeptionen Deuterojesajas und Ezechiels usw. In der Forschung wird diese theologische Strömung mit dem etwas unglücklichen Begriff „Theokratie" bezeichnet, vgl. dazu O.H. STECK, Strömungen theologischer Tradition im Alten Israel: ders., Wahrnehmungen Gottes im Alten Testament, 1982 (TB 70), 310ff.; O. PLÖGER, Theokratie und Eschatologie, 3 1968 (WMANT 2), 129ff. 3 Der Begriff erfolgt im Anschluß an R. ALBERTZ, Persönliche Frömmigkeit und offizielle Religion. Religionsinterner Pluralismus in Israel und Babylon, 1978 (CTM A9), passim; DERS., Religionsgeschichte, passim. 2

4

Einleitung

gion1. Die Kritik greift häufig auf Traditionen aus exilisch-vorexilischer Zeit zurück2, teils aber auch auf Themen und Traditionen, die im Rahmen der offiziellen Theologie marginalisiert werden3. Auch darin zeigt sich also eine gewisse Intertextualität. Die vielen kritischen Stimmen, die den Hauptstrom nachexilischer Theologie begleiten, sind ein wichtiges interprétatives Korrektiv dieses Hauptstroms. Zu den Kritikern offizieller Theologie der nachexilischen Zeit gehört auch das Buch Hiob. Anders als bestimmte Strömungen der kritischen Theologie jener Epoche - etwa Maleachi - verfolgt das Hiobbuch kein sozialethisch akzentuiertes theologisches Ziel4 und hat auch nicht - wie etwa Tritojesaja - eine eschatologische Dimension. Die letztere ist im wesentlichen aus dem Hiobbuch ausgeblendet; die sozialgeschichtlichen Entwicklungen jener Zeit spielen in ihm indes durchaus eine Rolle. Gleichwohl liegt der Schwerpunkt des Hiobbuches auf einer kritischen Evaluation der offiziellen Religion5. Dabei läßt der Text sowohl theologisch als auch literarisch einen hohen Anspruch erkennen. Im Hiobbuch werden die theologischen Aporien der Hauptthemen nachexilischer Theologie deutlich. Die Gegenwart Gottes ist durchaus nicht immer heilvoll, seine Gerechtigkeit eine problematische Kategorie. Die (heils-) geschichtliche Dimension der Theologie Israels ist von vornherein aus dem Text ausgeklammert. Die Kritik des Hiobbuches an der offiziellen Religion erfolgt unter Rückgriff auf deren eigene Formen, Motive und Themen: den Monotheismus, die Theonomie der Gerechtigkeit, die Theologie der Sühne, gattungsbezogene Entwicklungen der Gebets- und Weisheitsliteratur. Durch eine charakteristische Anordnung von Themen und Motiven wird der kritische Impuls der Hiob-Dichtung erkennbar. Die endgültige „Lösung" der im Hiobbuch verhandelten Probleme erfolgt unter Rückgriff auf ein Theologoumenon, das in eher vorexilischer theologischer Prägung Gestalt gewinnt, die Schöpfung, die im Hiobbuch aus ihren theologischen Zuordnungen herausgelöst wird und Eigenwert bekommt.

1 Vgl. dazu F. CRÜSEMANN, Israel in der Perserzeit. Eine Skizze in Auseinandersetzung mit Max Weber, in: W. Schluchter (Hg.), Max Webers Sicht des antiken Christentums 1985, 212ff. 2 Vgl. dazu R. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 483 ff. 549ff. 3 Vgl. DERS., Religionsgeschichte, 569ff. 4 Anders DERS., Der sozialgeschichtliche Hintergrund des Hiobbuches und der „Babylonischen Theodizee", in: J. Jeremias/L. Perlitt, Die Botschaft und die Boten (FS H.W. Wolff) 1981, 349ff. 5 Das Hiobbuch ist auf dem Hintergrund der gesamten nachexilischen Theologie zu lesen, nicht nur im Kontext der späten Weisheit, wie im Rahmen dieser Arbeit zu zeigen sein wird.

Das Hiobbuch als Werk „sui generis "

5

Unter den vielfaltigen Kritikern des Hauptstroms nachexilischer Theologie ist das Hiobbuch eine wichtige Größe, dabei aber eine sehr eigenwillige und eigenständige.

3. Das Hiobbuch als Werk „sui generis" Ist das Hiobbuch auch in vielen Zügen ein typisch nachexilisches Werk mit den dazugehörigen Charakteristika, so ist doch der hauptsächliche Eindruck des Buches der einer überwältigenden Eigenständigkeit. Das Hiobbuch ist zumindest literarisch ein Außenseiter im Alten Testament; für den Großteil des Textes, die Dialogdichtung, gibt es nur außerbiblische Vorbilder. Es gibt vielfältige Versuche, das Hiobbuch formal und/oder inhaltlich im Rahmen theologisch-literarischer Gattungen des Alten Testaments zu erklären. Der Text ist der Weisheit zugeordnet worden, der Klage, dem Recht, dem Mythos. In allen Fällen erschwert die bereits erwähnte Differenziertheit des Hiobbuches einen schwerpunktartigen Zugang, vielmehr erweist sie diese exegetischen Zugänge als einseitig. Das Hiobbuch ist literarisch und theologisch ein Text sui generis, dessen Interpretationsrahmen zunächst einmal nur der Text selbst sein kann. Einer solchen Interpretation stellt sich das Buch prima vista indes entgegen. Das Hiobbuch ist mit hohem sprachlichem und sachlichem Anspruch verfaßt; der Text ist sperrig und fremdartig. Wer das Hiobbuch lesen will, braucht Geduld. Seinen Reichtum und seine Dynamik erschließt es aber einer Leserschaft, die willens ist, mit dem Text zu arbeiten 1 . In diesem Fall wird die dramatische und straff strukturierte Erzählung des Hiobbuches erkennbar. Zwar gibt es einen thematischen Schwerpunkt des Hiobbuches. Die zentralen Fragen des Hiobbuches lauten: Wo ist Gott? Wie sieht eine Welt aus, „in" der Gott ist? Wo begegnet er dem Menschen - und was hat dies für Konsequenzen für den Menschen, für die Begegnung, für das Gottesbild? Doch das Hiobbuch behandelt diese Fragen nicht als Frage, sondern als Erzählung. Genaugenommen „behandelt" das Hiobbuch überhaupt keine Frage, sondern es erzählt eine Geschichte. Im Buch Hiob wird erzählt, wie ein Mensch in eine Geschichte mit Gott gerät oder umgekehrt: wie ' Vgl. D. CLINES, Why is there a Book of Job, and what does it do to you if you read it?, in: Beuken, W.A.M. (Hg.), The Book of Job, 1994 (BEThL 104), 4: „What public does the book of Job imply? (...) It implies a highly literate public, with a rich vocabulary, a taste for imagery and a stomach for elaborate and extended rhetoric. (...) It implies an intellectual public, for the issues it ventilates are conceptual ones, the points of difference among the various characters in the book being sometimes quite fine - and the argument rarely being stated in concrete and direct language. It does not imply a readership that wants clear, quick answers. It implies a leisured public."

6

Einleitung

Gott eine Geschichte mit einem Menschen in Gang setzt. Nachdem die Geschichte einmal angestoßen ist, wird sie im Dialog wiedergegeben. Gott zieht sich als Akteur zurück und überläßt Hiob und seine Freunde - und das Publikum - der Formulierung seiner Erfahrung. Diese Erfahrung wird am Schluß erneut in eine Geschichte mit Gott umgesetzt.

4. Lektüre, Exegese, Interpretation: Zum methodischen Ansatz dieser Arbeit Wie kann man der Eigenart des Hiobbuches methodisch nahekommen? Die Hiobforschung hat wichtige Ergebnisse gebracht, die in eine Interpretation einbezogen werden müssen, um die Komplexität des Buches wahrzunehmen. Diese Ergebnisse sind in eine schlüssige Gesamtinterpretation zu integrieren, und den Weg hierzu kann die Literaturwissenschaft weisen. Neuere Texttheorien versuchen, das Wesen eines Textes darzustellen, zu klären, wie Wirkung und Deutung eines Textes hervorgebracht werden. Dabei spielt das Publikum 1 eine wichtige Rolle, die von vornherein im Text vorgesehen ist. Der texttheoretische Ansatz, der in dieser Arbeit mit den Methoden und Erträgen alttestamentlicher Exegese korreliert wird, ist von Umberto Eco vorgelegt worden. Eco versteht Texte als Einheiten, die strategisch aufgebaut sind und das Publikum in den Text einbeziehen und es lenken. Diese Leserlenkung - im folgenden als Textstrategie bezeichnet - erlaubt eine textnahe und trotzdem vielschichtige Textinterpretation. Das Publikum eines Textes wird nicht nur gelenkt, es wird ihm auch Freiraum zur eigenen Initiative gelassen. Ein Text will nicht nur gelesen werden, er will auch interpretiert werden; ein vielschichtiger Text wie das Hiobbuch lebt von der Vielfalt seiner Interpretationen, die er in kontrollierter Weise zuläßt. Das Konzept der Textstrategie erlaubt - als texttheoretisches Grundraster - eine Wahrnehmung der Komplexität des Hiobbuches und eine exegetische Methodik, die in ihrer Vielfalt der inneren Differenziertheit des Textes gerecht wird. Es ist das Ziel dieser Arbeit, mit Hilfe des textstrategischen Modells eine Gesamtinterpretation des Hiobbuches unter dem Aspekt der Frage nach der Gegenwart Gottes vorzulegen. Von hier aus wird die theologische Dimension des Buches - nicht zuletzt im Kontext des Alten Testaments - deutlich werden. Diese Dimensionen der Interpretation klingen im Titel der Arbeit an.

1 Mit dem Begriff des „Publikums" wird in dieser Arbeit die Leser- und Leserinnenschaft eines Textes bezeichnet. Vgl. dazu unten Kap. 2.1.

Lektüre, Exegese,

Interpretation

1

„Das Auge Gottes" verweist zunächst in eines der inhaltlichen Grundthemen des Hiobbuches. Gott schaut auf die Erde, sieht Hiob und wählt ihn zum Gegenstand des Experiments um Leid und Frömmigkeit aus (Hi 1-2). Hiobs Leiden, das er in der Dialogdichtung vor den Freunden ausbreitet, besteht darin, von Gott nicht aus den Augen gelassen zu werden. Hiob leidet an dem, was für das alttestamentliche Denken ein erstrebenswertes Gut ist: der Nähe Gottes. Diese wird in wechselnden Zuordnungen verschiedener Theologoumena durchbuchstabiert, in denen Gottes „Sehen" eine gewisse konstante Funktion hat. Im Konzept des „Auges Gottes" bündelt sich also der sachliche Gehalt der Hiobdichtung. Darüber hinaus ist mit dem „Auge Gottes" der eher formale Bereich der Textstrategie angesprochen. Die gesamte Hiobdichtung wird aus der Perspektive eines allwissenden Erzählers dargeboten; der Text ist den Handelnden immer voraus. Wie dieses Vorauswissen auf der Textebene eingelöst wird, d.h. wie der Text seine Strategie anzeigt, wird im Verlauf der Arbeit zu zeigen sein. Das Publikum schließlich wird in diese übergeordnete Perspektive einbezogen. Wie der Text selbst, so weiß auch das Publikum mehr als die Akteure. Es aktualisiert - vom Text angeregt - seinen eigenen Mehrwert an Wissen, so daß es gewissermaßen mit dem „Auge Gottes" auf das Geschehen blickt, das sich im Text vollzieht. Bei der interpretierenden kritischen Lektüre des Hiobbuches soll versucht werden, in besonderem Maße die vorausgesetzte Rolle des Hiob-Publikums zu beleuchten. Wie zu zeigen sein wird, ist seine Rolle die des Mitspielers in der Strategie, wobei allerdings eine Distanzierung des Publikums von den Akteuren der Handlung vorausgesetzt ist. Keine der vorgeführten Personen - weder Hiob noch die Freunde noch Gott - sind auf Identifikation des Publikums hin angelegt. Dies zu erkennen ist eine wichtige Voraussetzung für eine adäquate textstrategische Interpretation des Hiobbuches 1 . Erreicht wird dies durch Widersprüchlichkeiten in der Charakterisierung der Personen 2 und den von ihnen vorgetragenen Positionen sowie im Spiel mit Anwesenheit und Abwesenheit. Die Interpretation des Hiobbuches vollzieht sich als - in dieser Arbeit darzustellende - Interaktion zwischen dem Text, seinem Publikum und anderen Texten.

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Vgl. dazu J. EBACH, Gott und die Normativität des Faktischen. Plädoyer für die Freunde Hiobs, in: M. Schibilsky (Hg.), Kursbuch Diakonie, Neukirchen-Vluyn 1991, 363. 2 Vgl. dazu M. CHENEY, Dust, Wind and Agony. Character, Speech and Genre in Job, 1994 (CB 36), 2 passim.

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Einleitung

5. Aufbau und Gliederung der Arbeit Die kritische Interpretation des Hiobbuches, die in dieser Arbeit vorgelegt wird, ist folgendermaßen gegliedert. In einem ersten Schritt ist eine Orientierung über Wahrnehmungen und Ergebnisse der Hiobforschung erforderlich, der in einem zweiten Schritt das Konzept der Textstrategie als texttheoretisches Raster zur Seite gestellt wird, in das die exegetischen Methoden zu integrieren sind (Kap. 1 und 2). Das umfangreiche Buch Hiob ist eine in mehreren Schritten gewachsene Texteinheit. Um der Textstrategie des Hiobbuches auf die Spur zu kommen, ist Klarheit über dessen Grundentwurf zu gewinnen. Fortschreibungen, Ergänzungen und Erweiterungen des ersten Textbestandes verändern seine Strategie in interpretierender Weise. Aus diesem Grund erfolgt nach der methodischen Orientierung ein diachroner Durchgang durch das Hiobbuch (Kap. 3). Tatsächlich müßte eine textstrategisch orientierte Lektüre eher im synchronen Durchgang Anhaltspunkte für die Identifikation von Fortschreibungen des Textes gewinnen können. Die Voranstellung des diachronen vor den synchronen Textdurchgang hat eine orientierende Zielsetzung. Der Umfang des Hiobbuches legt jedoch dieses Vorgehen nahe. Bereits hier werden Einblicke in die Textstrategie des Hiobbuches gewonnen werden können. Die Ergebnisse der redaktionsgeschichtlichen Fragestellungen werden an den entsprechenden Stellen der Textanalyse erneut aufgenommen werden. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt in den Kapiteln 4-6. Hier findet die textstrategische Interpretation des Hiobbuches statt. Dazu wird zunächst die Rahmenerzählung (Hi 1-2; 42,11-17) untersucht. Aus dieser Untersuchung sind die ersten Schlüsse auf die Strategie des Hiobbuches zu ziehen. Diese werden in einem nächsten Schritt auf die grundlegenden Strukturen der Dialogdichtung (Hi 3-42,6) ausgedehnt, so daß die prinzipielle Dramaturgie und Komposition des Hiobbuches transparent werden (Kap. 4). Die umfangreichste Textanalyse der Arbeit vollzieht sich am Dialog Hiobs mit den Freunden (Hi 3-23). Sie nimmt drei Abschnitte ein, die sich an den „Akten" dieses Geschehens orientieren. Die Komposition der HiobDichtung und ihre Strategie sind auf die fortschreitende Straffung des Geschehens hin angelegt. In den ersten beiden Akten des Dialogs zwischen Hiob und den Freunden (Hi 3-14; 15-20) finden die Vorgänge statt, die für den Rest der Dichtung entscheidend sind. Vor allem der erste Akt ist derart differenziert, daß er eine umfangreiche Analyse erfordert. Der zweite Akt ist literarisch homogener, erfordert aber eine sensible Wahrnehmung des theologischen Gehaltes, Gegenüber diesen sehr detaillierten Textuntersu-

Aufbau und Gliederung der Arbeit

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chungen erfolgt die Analyse des dritten Aktes der Dialogdichtung (Hi 2131) im Überblick (Kap. 5). Der Abschluß der Hiob-Dichtung - Gottes Rede, Hiobs Antwort und der sog. Epilog - entwickelt sich linear und dynamisch aus dem Vorangegangenen, bildet aber einen sachlichen und formalen Neuansatz, so daß die Analyse von Hi 38-42 ein eigenes Kapitel rechtfertigt (Kap. 6). Ein abschließendes Kapitel bündelt die Ergebnisse der textstrategisch orientierten Interpretation des Hiobbuches zu einer Gesamtwahrnehmung und ordnet den Text in seinen alttestamentlichen Kontext ein. Der exegetische Teil ist vor allem form- und traditionsgeschichtlich orientiert. Eigenständigkeit und Kontextbezug des Hiobbuches sollen deutlich werden. Dabei nimmt die Exegese von Einzeltexten einen relativ breiten Raum ein. Die Sprachgestalt des Hiobbuches hat die philologische Erforschung des Textes zu einem eigenständigen Forschungsgebiet gemacht, das hier nur soweit betreten werden soll, wie es der Gesamtanalyse dienlich ist. Auf Zuordnungen des Hiobbuches zu seiner altorientalischen Umwelt wird weitestgehend verzichtet; der Text kann vor dem Hintergrund des Alten Testaments plausibel gemacht werden.

Kapitel 1

Wege und Erträge: Forschung am Buch Hiob Die Interpretation des Buches Hiob steht zwei schwierigen Sachverhalten gegenüber: der literarischen Gestalt und dem sachlichen Gehalt des Textes. Im Hiobbuch sind Gestalt und Gehalt oft schwer aufeinander zu beziehen 1 . Das Hiobbuch präsentiert sich als Dialogdichtung, die durch eine ProsaErzählung gerahmt ist. Diese Struktur ist sperrig, an vielen Stellen scheinbar inkonsistent und von eigenartiger Dynamik. Vor allem der Dialog scheint kaum voranzuschreiten und weist erhebliche Ungleichgewichte und Widersprüche auf. In dieser Gesamtanlage läßt sich nur schwer eine einheitliche Thematik finden. Hierbei scheinen Prosa-Erzählung und Dialogdichtung inhaltlich divergente Größen zu sein; im Dialog ist das thematische Verhältnis zwischen dem Dialog Hiobs mit den Freunden (Hi 3-31) und dem Dialog JHWHs mit Hiob (Hi 38-42) schwer zu bestimmen. Tatsächlich verdankt sich ein großer Teil der Probleme des Hiobbuches - abseits von seinen philologischen und textlichen Problemen 2 - seiner Genese. Aus diesem Grund ist die Hiobforschung auf weite Strecken diachron orientiert 3 , wobei die redaktionskritische Synthese zunehmend an Bedeutung gewinnt 4 . Trotz wichtiger Erträge literarkritisch und redaktionsgeschichtlich orientierter Forschung bleibt das Problem der angemessenen Wahr-

' Vgl. G . V . R A D , Weisheit in Israel, Neukirchen-Vluyn 1970, 270f.; J. L . C R E N S H A W , Prolegomenon, in: ders. (Hg.), Studies in Ancient Israelite Wisdom, New York 1976, 5; M. C H E N E Y , Dust, Wind and Agony, 8. 2 Vgl. dazu den Überblick bei J. v. O O R S C H O T , Tendenzen der Hiobforschung: ThR 60 (1995), 353-355. 3 Vgl. D E R S . , Tendenzen 355ff.; O. K A I S E R , Grundriß der Einleitung in die kanonischen und deuterokanonischen Schriften des Alten Testaments. Band 3: Die poetischen und weisheitlichen Werke, Gütersloh 1994, 78. 4 J. V . O O R S C H O T , Tendenzen, 353. An diesem Schwerpunkt orientieren sich die Arbeiten von V. M A A G , Hiob. Wandlung und Verarbeitung des Problems in Novelle, Dialogdichtung und Spätfassungen, 1982 (FRLANT 128); M. W I T T E , Vom Leiden zur Lehre. Der dritte Redegang (Hiob 21-27) und die Redaktionsgeschichte des Hiobbuches, 1994 (BZAW 230); J . v. O O R S C H O T , Gott als Grenze. Eine literar- und redaktionsgeschichtliche Studie zu den Gottesreden des Hiobbuches, 1987 (BZAW 170); H. M. W A H L , Der gerechte Schöpfer. Eine redaktions- und theologiegeschichtliche Untersuchung der Elihureden - Hiob 32-37, 1993 (BZAW 207).

Hiob als weisheitliche

Literatur?

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nehmung der Gestalt und des Gehaltes der Hiob-Dichtung jedoch bestehen: Auch der - noch zu ermittelnde - Grundentwurf des Textes ist formal und sachlich schwierig. Es bedarf daher einer Methode, die es erlaubt, das Hiobbuch in seiner Gesamtanlage aus Erzählung und Dialog wahrzunehmen. Darüber hinaus ist nach Möglichkeiten zu fragen, nicht nur die Gesamtanlage, sondern auch die innere Struktur des Hiobbuches wahrzunehmen und auf ihre Ziele zu befragen. D.h. in diesem Teil wird die methodische Grundlage der exegetischen Arbeit am Hiobbuch gelegt. Dazu werden zunächst bewährte exegetische Zuordnungen des Hiobbuches kurz dargestellt. Sie werden auf ihre Fragestellungen und Ergebnisse befragt. Die Darstellung steht unter der Leitfrage: Ist die Wahrnehmung und sinnvolle Darstellung des Hiobbuches im Sinn der Synthese von Gestalt und Gehalt bisher gelungen?

1.1. Hiob als weisheitliche Literatur? Es ist weitgehender Forschungskonsens, daß das Hiobbuch als Weisheitsliteratur zu gelten habe 1 . Diese Zuordnung erfolgt in aller Regel aufgrund des sachlichen Gehalts der Hiob-Dichtung. Das Hiobbuch gilt als weisheitliche Literatur, weil es ein oder mehrere weisheitliche Probleme behandelt. Beobachtungen zur literarischen Gestalt werden nachträglich in diesen Rahmen eingefügt 2 . Dabei gilt das Hiobbuch als Exponent einer 1

Vgl. zum Beispiel: G. V. RAD, Weisheit, 267-292; H.-P. MOLLER, Die weisheitliche Lehrerzählung im Alten Testament und seiner Umwelt: WO 9 (1977), 77-98; DERS., Das Hiobproblem. Seine Stellung und Entstehung im Alten Orient und im Alten Testament, 1984 (EdF 84), 80; H. H. SCHMID, Wesen und Geschichte der Weisheit. Eine Untersuchung zur altorientalischen und israelitischen Weisheitsliteratur, 1966 (BZAW 101), 161; H.-D. PREUß, Einfuhrung in die alttestamentliche Weisheitsliteratur, Stuttgart 1987, 69ff.; R. MURPHY, Wisdom Literature. Job, Proverbs, Canticles, Ecclesiastes and Esther, 1988 (FOTL 13), 14ff.; R. GORDIS, The Book of God and Man. A Study of Job, Chicago/London 1965, 8If.; O. KAISER, Grundriß III, 70ff.; G. FOHRER, Das Alte Testament. Einfuhrung in Bibelkunde und Literatur des Alten Testaments und in Geschichte und Religion Israels. Zweiter und dritter Teil, Gütersloh 1977, 173ff.; H.-J. HERMISSON, Weisheit, in: Boecker, H.J./Hermisson, H.-J./Schmidt, L., Altes Testament, NeukirchenVluyn 3 1989, 175ff.; J. L. CRENSHAW, Prolegomenon, 5ff.; R. N. WHYBRAY, The Intellectual Tradition in the Old Testament, 1974 (BZAW 135), 75ff. 2 Vgl. exemplarisch H.-P. MÜLLER, Hiobproblem, 80: „Kennzeichnend für den weisheitlichen Charakter des Buches ... sind danach bestimmte religiös-weltanschauliche Haltungen, die von denjenigen anderer Komplexe innerhalb des Alten Testaments abstechen. Erst in zweiter Linie spielen dabei Form- und Gattungsmerkmale eine Rolle." Ähnlich H.H. SCHMID, Wesen, 185: „Weisheitliches Denken äußert sich in den verschiedensten Literaturformen. So kann es nicht nur um die Frage gehen, ob das Hiobbuch zu

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Wege und Erträge

„kritischen Weisheit", die die Prämissen und Ergebnisse der klassischen Weisheit radikal in Frage stellt 1 . Der theologische Ausgangs- und Schwerpunkt der Hiob-Dichtung wird als „Hiobproblem" bezeichnet; hierbei ergibt sich jedoch ein sehr vielfaltiger Interpretationshorizont 2 . Die weisheitliche Zuordnung des Hiobbuches ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Den thematischen Schwerpunkt alttestamentlicher Weisheitsliteratur bildet die anthropologische Reflexion 3 . Menschliches Sein und menschliches Leben werden in vielfachen Zusammenhängen und Zuordnungen bedacht 4 . Umstritten ist jedoch, ob und wie dieser thematische Schwerpunkt mit einem sachlichen Zentrum der Weisheit konvergiert, d.h. der theologische Begründungshorizont der Weisheitsliteratur läßt sich nicht sicher bestimmen 5 . Verbunden mit der Frage nach dem sachlichen Zentrum der Weisheit ist die

einer ... Literaturgattung gehört, sondern es geht um die Frage, ob in ihm weisheitliche Gedanken zum Zuge kommen und wie dies geschieht." ' Vgl. G. FOHRER, Altes Testament II/III, 166; O. KAISER, Grundriß III, 60; H.-D. PREUß, Einführung, 69f.; H. H. SCHMID, Wesen, 196ff. 2 Theodizee: H.-P. MÜLLER, Hiobproblem, passim; J. L. CRENSHAW, Prolegomenon, 33ff.; die Frage nach der Gültigkeit der Weltordnung: H.-D. PREUß, Einführung, 69ff.; H. H. SCHMID, Wesen, 161 ff.; die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen: O. KAISER, Grundriß III, 60. 70; H. GESE, Lehre und Wirklichkeit in der alten Weisheit. Studien zu den Sprüchen Salomos und zu dem Buche Hiob, Tübingen 1958, 33f.; die Frage nach dem Verhalten im Leid: G. FOHRER, Altes Testament II/III, 176; DERS., Das Buch Hiob, 1963 (= 2 1989) (KAT 16), passim. Vgl. den Forschungsüberblick bei K. DELL, The Book of Job as Sceptical Literature, 1991 (BZAW 197), 29ff. 3 Vgl. G. FOHRER, Altes Testament II/III, 164: „Die Weisheit ist Lebensklugheit, d.h. die Kunst, das Leben in jeder Beziehung und in allen Lagen meisterlich zu führen"; O. KAISER, Grundriß III, 49; „Im Alten Testament bezeichnet man speziell die Schriften als weisheitlich oder weisheitlich beeinflußt, die entweder den Anspruch erheben, den Weg zu einem gelingenden Leben zu weisen, ihn paradigmatisch bezeugen oder sich mit dem Anspruch der Weisen, ihn zu wissen, auseinandersetzen." 4 Vgl. dazu K. DELL, Book of Job, 73ff.; J. HAUSMANN, Studien zum Menschenbild in der älteren Weisheit, 1995 (FAT 7). 5 Aus dem anthropologischen Schwerpunkt ergab sich eine Einordnung in eine schöpfungstheologische Perspektive, so bei W. ZLMMERLI, Zur Struktur der alttestamentlichen Weisheit: ZAW 51 (1933), 177-204; DERS., Ort und Grenze der Weisheit im Rahmen der alttestamentlichen Theologie, in: ders., Gottes Offenbarung. Gesammelte Aufsätze zum Alten Testament, 1963 (TB 19), 300-315. Daß Schöpfungstheologie das theologische Profil der Weisheit prägt, wird im Anschluß an Zimmerli vielfach angenommen, dabei verschiebt sich der inhaltliche Schwerpunkt allerdings von der Anthropologie zur Ordnung (H.H. SCHMID, Wesen 144-165. 169ff.; H.-J. HERMISSON, Observations in Creation Theology in Wisdom, in: J.G. Gammie/W.A. Brueggemann/W.L. Humphreys/J.M. Ward (Hg.), Israelite Wisdom. Theological and Literary Essays in Honor of Samuel Terrien, New York 1978, 43-57). Die Ordnungstheologie der Weisheit kann jedoch auch ohne explizit schöpfungstheologischen Bezug begründet werden, so bei H. GESE, Lehre, 2ff. Im Horizont der Gerechtigkeit Gottes wird die Theologie der Weisheit dargestellt bei H.H. SCHMID, Gerechtigkeit als Weltordnung. Hintergrund und Geschichte des alttesta-

Hiob als weisheitliche

Literatur?

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Frage, ob die Weisheit überhaupt religiös-theologisch qualifiziert ist1. Die explizite theologische Reflexion tritt im weisheitlichen Schrifttum erst auf einer späten Stufe in Erscheinung: in Prv 1-9, bei Kohelet, in Ps 51; 73, in den deuterokanonischen Weisheitsschriften wie Jesus Sirach. In diesen Schriften läßt sich nicht nur eine deutliche „Theologisierung" der Weisheit beobachten, sondern auch eine durchaus divergente theologische Reflexion. Ob diese theologischen Reflexionen eine Reaktion auf die „Krise der Weisheit" sind, die an ihre Grenzen stößt und externe theologische Deutungshorizonte in ihr System einbezieht 2 , oder ob der Weg der „Theologisierung", d.h. der verstärkten theologischen Reflexion der Weisheit inhärent ist3, bleibt unsicher.

Die Zuordnung des Hiobbuches zum weisheitlichen Literaturbereich ist vor diesem Hintergrund problematisch. Es läßt sich nicht leugnen, daß in der differenzierten thematischen Struktur des Hiobbuches auch weisheitliche Einzelthemen ihren Platz haben. Ob das Hiobbuch damit aber ein charakteristisch weisheitliches Profil zeigt, bleibt fraglich 4 . Außerdem präsentiert das Hiobbuch weisheitliche Fragen in einer untypischen Art, nämlich nicht in der Formulierung des Allgemeinen, sondern in der Zuspitzung auf einen Sonderfall 5 und unter Verzicht auf eine didaktische Ausrichtung 6 . So ergibt sich zusätzlich auch die Frage nach dem weisheitlichen Charakter des Hiobbuches unter seinem literarischen Aspekt. Die Bestimmung der Eigenart der Weisheit ist im Hinblick auf ihre literarischen Formen schwierig. Der Ausgangspunkt der weisheitlichen Literatur ist der weisheitliche Kunstspruch, der unter didaktischer Zielsetzung eine Erfahrung versprachlicht 7 . Die Zuordnung anderer Literaturformen zu dieser Grundform ist schwierig; eine Entwicklung der Formen läßt sich nicht grundsätzlich einsichtig machen 8 . mentlichen Gerechtigkeitsbegriffs, 1968 (BHTh 40), 150ff; J.L. CRENSHAW, Prolegomenon, 27ff. Vgl. zu diesem Thema insgesamt die Forschungsüberblicke bei L. PERDUE, Wisdom and Creation. The Theology of Wisdom Literature, Nashville 1994, 34-48; J . L . CRENSHAW, P r o l e g o m e n o n , 1 - 3 6 ; K . DELL, B o o k o f J o b , 7 3 f f . 1

Der „säkulare" bzw. „profane" Charakter der Weisheit wird unterstrichen bei H. GESE, Lehre, 2f.; H.D. PREUß, Erwägungen zum theologischen Ort alttestamentlicher Weisheitsliteratur: EvTh 30 (1970), 416f. Vgl. dazu kritisch R. MURPHY, Religious Dimensions of Israelite Wisdom, in: P.D. Miller/P.D. Hanson/S.D. McBride (Hg.), Ancient Israelite Religion (FS Cross, 1994), 287f. 2 So H.D. PREUß, Einführung, 69ff.; H.H. SCHMID, Wesen, 16Iff. 3 So G. V. RAD, Weisheit, 75-101, bes. 95-97; H.-J. HERMISSON, Weisheit, 186; O . KAISER, E i n l e i t u n g I I I , 6 0 ; K . DELL, B o o k o f J o b , 7 3 f . ; M . KRIEG, T o d e s b i l d e r

im

Alten Testament oder: „Wie die Alten den Tod gebildet", 1988 (AThANT 73), 192f. 4 Aufgrund des abweichenden thematischen Gehaltes bestreitet K. DELL, Book of Job, 80 passim den weisheitlichen Charakter des Hiobbuches. 5

V g l . H . H . SCHMID, W e s e n , 1 8 5 f . ; V . MAAG, H i o b , 9 .

6

Vgl. dazu K. DELL, Book of Job, 64ff. Vgl. G. V. RAD, Weisheit, 41-53; R. MURPHY, FOTL, 4-6; K. DELL, Book of Job,

7

58. 8

Vgl. dazu K. DELL, Book of Job, 64ff.

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Wege und Erträge

Im Unterschied zu den Proverbien, Kohelet, Sirach und den Weisheitspsalmen wird im Hiobbuch die Reflexion in eine Geschehensstruktur eingebunden. Daneben nimmt das Hiobbuch in hohem Maße Gattungen auf, die nicht aus der Weisheit stammen 1 . Diese „Gattungsmischung" 2 verlangt auch im Rahmen der weisheitlichen Zuordnung eine Erklärung 3 . Doch schon die Dialogform der Hiob-Dichtung ist zumindest im Rahmen alttestamentlicher Weisheitsliteratur auffallig. Unter den alttestamentlichen Schriften ist diese Literaturform singulär, trotz der großen Bedeutung, die der Dialog sowohl in der Erzählung als auch in der Dichtung hat 4 . In der Umwelt des Alten Testaments hingegen sind Schriften, die zum größten Teil oder sogar vollständig aus berichteter Sprache bestehen 5 , keine Seltenheit. Sie zeigen z.T. auffallende formale und/oder sachliche Affinitäten zum biblischen Hiobbuch, so daß häufig mit literarischer oder motivgeschichtlicher Abhängigkeit des Hiobbuches von einem oder auch mehreren dieser Texte gerechnet wird. Die wichtigsten Texte dieser sog. „Hiob-Literatur" sind: Ägypten: Die „Klage des Bauern" (ANET 407-410), das „Gespräch eines Lebensmüden mit seinem Ba" (ANET 405-407), die „Harfnerlieder" (ANET 467) sowie die weisheitlichen Streitgespräche des Papyrus Anastasi I (ANET 475-479). Mesopotamien: Die sumerische Dichtung „Ein Mann und sein Gott", auch „Sumerischer Hiob" (ANET 589-591) und die babylonischen Dichtungen „Ludlul bei nemeqi" (ANET 596-601) und die „Babylonische Theodizee" (ANET 601-604). Der aramäische Ahiqar-Roman (ANET 427-430) 6 .

1

Vgl. dazu den Abschnitt 1.2. G. FOHRER, Form und Funktion in der Hiobdichtung, in: ders., Studien zum Buche Hiob (1956-1979), 2 1983 (BZAW 159), 62. 3 H. GESE, Lehre, 5Iff. versucht den weisheitlichen Impuls des Hiobbuches gerade durch die Verwendung nicht-weisheitlicher Formen nachzuweisen, vgl. zur Kritik H.H. SCHMID, Wesen, 184f. Einen ähnlichen Zugang wie Gese unternimmt L. PERDUE, Wisdom in Revolt. Metaphorical Theology in the Book of Job, 1991 (JSOT.S 112), vgl. dazu Abschnitt 1.3. 4 Vgl. zur Erzählung R. ALTER, The Art of Biblical Narrative, New York 1986, 75. In der Dichtung findet sich das dialogische Moment vor allem in den (fingierten) Anreden an einen „Sohn" in den Proverbien. Eine personale Struktur von Sprecher und Hörer ist dabei vorausgesetzt. 5 Der Terminus „berichtete Sprache" wird als kleinster gemeinsamer Nenner gewählt, da nicht alle der noch zu behandelnden Werke im strengen Sinne Dialoge sind. Unter ihnen finden sich auch Selbstgespräche, Monologe und Dramen. 6 Weitere Texthinweise bei H.-P. MÜLLER, Hiobproblem, 49ff. 69ff. M. CHENEY, Dust, 98ff. verweist noch zusätzlich auf die sumerisch-akkadischen Rangstreit-Fabeln („tensons"), vgl. dazu J. GRAY, The Book of Job in the Context of Near Eastern Literature: ZAW 82 (1970), 251-269. Zum Problem der Hiobliteratur insgesamt: H.-P. MÜLLER, Keilschriftliche Parallelen zum biblischen Hiobbuch. Möglichkeit und Grenze des Vergleichs, in: ders., Mythos - Kerygma - Wahrheit, Neukirchen-Vluyn 1991, 136-151; M. WEINFELD, Job and its Mesopotamian Parallels - A Typological Analysis, in: Ciaassen, W. (Hg.), Text and Context. Old Testament and Semitic Studies for 2

Hiob als weisheitliche

Literatur?

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Dabei ist durchaus umstritten, welcher Traditionsbereich den größten E i n f l u ß auf das biblische H i o b b u c h gehabt hat 1 . Dies liegt daran, d a ß teils nach literarischen, teils nach inhaltlichen A f f i n i t ä t e n gesucht wird. D a s H i o b b u c h weist z.T. erstaunliche inhaltliche V e r w a n d t s c h a f t mit „Ludlul bei n e m e q i " und der „ B a b y l o n i s c h e n T h e o d i z e e " auf 2 . Zeigt „Ludlul bei n e m e q i " nur geringe literarische Ähnlichkeiten mit d e m Hiobbuch 3 , so scheint die „ B a b y l o n i s c h e T h e o d i z e e " als Dialog eines Leidenden mit seinem Freund auch literarisch eine echte Parallele zum Hiobbuch zu sein 4 . Beide Texte enthalten j e d o c h keine a u s g e f o r m t e R a h m e n e r z ä h l u n g 5 , und in k e i n e m der erwähnten T e x t e wird das Eingreifen Gottes in einer Weise geschildert, die d e m H i o b b u c h vergleichbar wäre. Sowohl in literarischer als auch in sachlicher Hinsicht sind also die A f f i n i t ä t e n der altorientalischen Paralleltexte zum biblischen H i o b b u c h nur punktuell. A u c h im Kontext des Alten Orients zeigt sich das Hiobbuch als literarische Sondergröße. Es ist nicht auszuschließen, daß d e m V e r f a s s e r des Hiobbuches das P h ä n o m e n dialogischer Literatur bekannt war. M ö g l i c h e r w e i s e lagen ihm auch Einzelmotive vor, doch ist der Überliefer u n g s w e g unklar. I n s g e s a m t trägt der Vergleich mit den altorientalischen Parallelen nur wenig z u m Verständnis des biblischen Hiobbuches bei 6 . Der hauptsächliche kontextuelle und intertextuelle H i n t e r g r u n d des Hiobbuches ist das Alte Testament.

Tatsächlich ist das Hiobbuch zumindest unter literarischem Aspekt eher ein Fremdkörper in der alttestamentlichen Weisheitsliteratur; dies gilt sowohl für seine literarische Makrostruktur (narrativ gerahmte Dialogdichtung) als auch für seine literarische Binnendifferenzierung. Dieser Sachverhalt wird in den weisheitlichen Interpretationen des Hiobbuches wahrgenommen und häufig als weisheitskritischer oder gar anti-weisheitlicher Aspekt interpretiert 7 . Da die weisheitliche Interpretation des Hiobbuches primär von dessen sachlichem Gehalt bestimmt ist, gelingt die Zuweisung zu einem theologischen Kontext; außerdem kann die Stellung des HiobbuF.C. F e n s h a m , 1988 ( J S O T . S 48), 217-226; Y. HOFFMANN, Ancient N e a r Eastern Literary C o n v e n t i o n s and the Restoration of the B o o k of Job: Z A W 109 (1991), 399-411. 1 So leitet J. GRAY, B o o k of Job, 254ff. - mit der M e h r z a h l der E x e g e t e n - das H i o b buch fast ausschließlich von den m e s o p o t a m i s c h e n Texten her (besonders Ludlul bei nemeqi); V. MAAG, Hiob, 13 u.ö. sieht die hauptsächliche Parallele in den ägyptischen Texten. Kritisch dazu H. SPIECKERMANN, Ludlul bei n e m e q i und die F r a g e nach der G e rechtigkeit Gottes, in: S. M. Maul (Hg.), tikip santakki mala basmu. Festschrift f ü r Rykle Borger z u m 65. Geburtstag, 1998 ( C u n e i f o r m M o n o g r a p h s 10), 329-341. Vgl. weiter R. ALBERTZ, Religionsgeschichte II, 349-372 bes. 368-372. 2 Vgl. J. GRAY, B o o k of Job, 254ff.; M. WEINFELD, Job and its M e s o p o t a m i a n Parallels, 2 1 9 f f . 3 Z u m i n d e s t im Hinblick auf die Makrostruktur: M. WEINFELD, J o b and its M e s o p o tamian Parallels, 218; M. CHENEY, Dust, 93. 4 Vgl. M. WEINFELD, J o b and its Mesopotamian Parallels, 221-224; M. CHENEY, Dust, 96. 5 Diese findet sich in „Ein Mann und sein Gott", in den ägyptischen Texten und in den Rangstreitfabeln: M. CHENEY, Dust, 94-97. 6 Vgl. M. WEINFELD, Job and its M e s o p o t a m i a n Parallels, 221f.; N. HABEL, The B o o k of Job. A C o m m e n t a r y , L o n d o n 1985 (OTL), 26. 7 H. GESE, Lehre, 5 I f f . ; H.-D. PREUß, Einfuhrung, 98ff.; G. FOHRER, Form, 62ff.

16

Wege und Erträge

ches innerhalb dieses Kontextes plausibel gemacht werden 1 . Trotzdem bleiben bei diesem Zugang Fragen offen. Aufgrund der Problematik des weisheitlichen Zugangs zum Buch Hiob sind vielfach Versuche unternommen worden, den Text verstärkt unter dem Aspekt seiner literarischen Eigenart wahrzunehmen und von hier aus seinen thematischen Gehalt neu zu begründen. Dabei wird vor allem das Verhältnis außenweisheitlicher Formen zum vorausgesetzten weisheitlichen Inhalt befragt. Es sind im folgenden die Entwürfe genauer darzustellen, deren Erträge für eine Gesamtinterpretation des Hiobbuches geeignet erscheinen.

1.2 Hiob und die Formgeschichte Die Beobachtung, daß sich im Hiobbuch in hohem Maße Formen und Motive finden, die sich nicht in der Weisheit verankern lassen, führte zu Neuzugängen zum Buch Hiob mit den Methoden einer differenzierten Formgeschichte. Dabei wurde die Beobachtung, daß sich im Hiobbuch neben den weisheitlichen Formen auch Formen der Klage, des Hymnus und des Rechtslebens finden, zum methodischen Ausgangspunkt der Untersuchung gemacht. Bei den ersten systematischen formgeschichtlichen Analysen des Hiobbuches ist der methodische Zugang gleich: Die im Hiobbuch vorkommenden Formen, Gattungen und Motive werden ermittelt 2 , quantitativ ausgewertet und das Hiobbuch dann von der häufigsten Gattung her bestimmt. Die formgeschichtlichen Zugänge zum Hiobbuch haben vor allem den Geschehenscharakter der Dialogdichtung in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Außerdem machen sie die auffallende literarische Binnendifferenzierung des Hiobbuches transparent. Die formgeschichtlichen Zugänge sollen hier am Beispiel ihrer Hauptvertreter kurz erläutert werden. 1 Dabei ist die sog. „Krise der Weisheit" nicht überzubewerten. Daß Hiob - wie auch Kohelet - die Grenzen weisheitlichen Denkens zum Mittelpunkt ihres Denkens machen, muß keine Krise der Weisheit anzeigen, sondern läßt sich als kritischer Sonderweg innerhalb der Geschichte der Weisheit verankern, vgl. dazu G. V. RAD, Weisheit, 307. Dabei muß vor allem der Ausnahmecharakter der beiden Texte berücksichtigt werden; sie sollten nicht als die eigentlichen Vertreter der Weisheit gegen eine „dogmatisierte" Normalweisheit ausgespielt werden (vgl. H.-J. HERMISSON, Weisheit, 186 gegen H.H. SCHMID, Wesen, 199f.). Zur innerweisheitlichen Rezeption des Hiobbuches und Kohelets vor dem Hintergrund dieser Fragestellung vgl. G. v. RAD, Weisheit, 306ff. 2 Vgl. zur Methodik H. RICHTER, Studien zu Hiob. Der Aufbau des Hiobbuches dargestellt an den Gattungen des Rechtslebens, 1959 (ThA 11), 14.

Hiob und die

Formgeschichte

1.2.1 Hiob als „dramatisierte Klage": Claus

17

Westermann

1

Westermann bestimmt das Hiobbuch im wesentlichen von der Gebetsklage her. Dabei ist nicht nur die Quantität von Klageformen entscheidend 2 , sondern ihre Anordnung 3 . Für Gehalt und Gestalt des Hiobbuches ist die Aussagestruktur der Klage bestimmend, es handelt sich um einen existentiellen, personalen Vorgang 4 . Damit erklärt sich für Westermann die Gestaltung des Buches als Dialog, und er weist gleichzeitig ein dem Buch zugrundeliegendes „Hiobproblem" ab 5 . Westermann bemerkt selbst, daß sich die Dialogform des Hiobbuches nicht allein aus der Klage ableiten läßt 6 , daß vielmehr Trostgespräch, Streitgespräch und Rechtsentscheid eine entscheidende Rolle spielen. Der Verlauf der Hiob-Dichtung läßt sich demnach so beschreiben, daß die Freunde kommen, um Hiob zu trösten, der theologische Gehalt von Hiobs Klagen, nämlich die Anklage Gottes durch Hiob, jedoch in ein Streitgespräch führt. Auch in den Reden der Freunde, die in ihrer Dramaturgie hauptsächlich Streitgespräch sind 7 , finden sich Elemente der Klage 8 . Der immer schärfer werdende Dissens erfordert einen Rechtsentscheid durch eine höhere Instanz, der sich im Schlußdialog abspielt 9 . Die Gottesreden Hi 38f. 40f. vertreten in dieser Dramaturgie sowohl den Rechtsentscheid als auch das Heilsorakel, ihre Motivik ist der Hymnendichtung entnommen 10 . Hiobs Antwort in Hi 42 entspricht der Antwort des Beters im berichtenden L o b " . Aus der Anordnung und Abfolge der Einzelmotive ergibt sich also eine Geschehensfolge, die Westermann „Drama" nennt 12 . In diesem Drama bleibt die Klage derart dominant, daß man das Hiobbuch als „dramatisierte Klage" beschreiben kann 13 .

Westermann unterstreicht den Geschehenscharakter des Hiobbuches in aller Deutlichkeit 1 und fordert, daß alle Einzelelemente der Reden in ihrer 1 C. WESTERMANN, Der Aufbau des Buches Hiob, 1956. 3 1978. Mit einer Einführung in die neuere Hiobforschung von J. Kegler (CThM 6). 2 Diese wurde auch schon vor Westermann bemerkt, vgl. die Angaben bei C. WESTERMANN, Aufbau, 52 und seine Auseinandersetzung mit Baumgärtel (54-57). 3 C. WESTERMANN, Aufbau, 29. Ausgehend von der Beobachtung, daß „die Klage das bei weitem stärkste Formelement des Hiobbuches" bildet (51), unternimmt Westermann eine detaillierte Analyse des Hiob-Dialogs in seiner dramaturgischen Staffelung und verzeichnet dabei eine Entwicklung von der Ich-Klage zur Anklage Gottes in Hi 3-30 (68-81). Dieser Entwicklung sind weitere Formelemente des Klagegebets zugeordnet (Wünsche und Bitten: 81-84; Gotteslob: 84-88; Bekenntnis der Unschuld: 104-106; Bekenntnis der Zuversicht: 106-108). 4 C. WESTERMANN, Aufbau, 29. 5 Ebd. 6 C. WESTERMANN, Aufbau, 30. 7 C. WESTERMANN, Aufbau, 40-48. 8 So vor allem die Frevlertopoi in Hi 15; 18; 20; 22, die Ableitungen der Feindklage darstellen: C. WESTERMANN, Aufbau, 92-102. Daneben rezipieren die Freunde Elemente

des H y m n u s (88-92; 102-104). 9

C. WESTERMANN, A u f b a u , 3 0 - 3 2 .

10

C. WESTERMANN, A u f b a u , 1 1 1 - 1 2 4 .

11

C. WESTERMANN, A u f b a u , 1 2 4 - 1 2 8 .

12

C. WESTERMANN, A u f b a u , 3 2 f .

13

C. WESTERMANN, Aufbau, 38.

18

Wege und Erträge

dramaturgischen Stellung und Bedeutung untersucht werden müssen 2 . Dabei betont er, daß im Hiobbuch Formen der Klage in einer charakteristischen individuellen Gestalt vorliegen 3 . Insgesamt kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Zuordnung weiter Teile des Hiobbuches zur Klageliteratur sachgemäß erfolgt 4 . Ist mit Westermanns Analyse auch eine neue Wahrnehmung eines Großteils der Gestalt des Hiobbuches gelungen, so bleiben doch viele Anfragen an diesen Zugang 5 . Er ist methodisch einseitig 6 und inkonsequent 7 ; die Analyse Westermanns beschränkt sich auf die Dialogdichtung 8 . Schließlich fehlt eine genaue Darlegung des theologischen Gehaltes der Hiob-Dichtung. Daß im Hiobbuch das Leid zu Wort kommen soll 9 , bleibt als Beschreibung des theologischen Profils der HiobDichtung vage. 1.2.2 Hiob und das Recht: Heinz Richter und Norman Habel Neben den Formen der Klage finden sich im Hiobbuch Anspielungen auf rechtliche Vorgänge. Aus diesem Grund wird versucht, den Text auf juristischem Hintergrund transparent zu machen. Dies ist in systematischer Weise von Heinz Richter unternommen worden 10 .

1

C. WESTERMANN, Aufbau, 33. C. WESTERMANN, Aufbau, 38. Leider hat Westermann diese Forderung nur teilweise eingelöst; seine Darstellung bleibt in der Analyse stecken und dringt nicht zu einer Synthese vor. 3 C. WESTERMANN, Aufbau, 65: „Die Klage ist im Hiobbuch Dichtung geworden." 4 G. FOHRER, Rezension zu C. Westermann, Der Aufbau des Buches Hiob: VT 7 (1957), 108; V. MAAG, Hiob, 98f.; N. HABEL, OTL, 42f. 5 G. FOHRER, Rezension, 107ff.; H.D. PREUß, Einführung, lOOf.; H.-P. MÜLLER, Hiobproblem, 49ff.; O. KEEL, Jahwes Entgegnung an Ijob. Eine Deutung von Ijob 38-41 vor demHintergrund der zeitgenössischen Bildkunst, 1978 (FRLANT 121), 24f.; in methodischer Hinsicht von K. DELL, Book of Job, 89ff. 6 K. DELL, Book of Job, 89ff; G. FOHRER, Rezension, 109. Zur Einseitigkeit muß bemerkt werden, daß sich die Reden der Freunde in kein Klageraster einfügen lassen; hier sind Westermanns Argumente nicht ausreichend begründet. 7 Vgl. O. KEEL, Jahwes Entgegnung, 24f. Wie sich vor allem Rechtsentscheid und Klage zueinander verhalten (C. WESTERMANN, Aufbau, 31), wird nicht deutlich. 8 Der Prolog ist in Westermanns Darstellung ein Appendix, der in erster Linie die Historizität Hiobs und damit die Authentizität der Klage erweisen soll (vgl. C. WESTERMANN, Aufbau, 33f.). Hier liegt ein wesentliches Problem des Zugangs: wenn die Klage als solche so existentiell (vgl. 28f.) und a priori „personales Geschehen" (vgl. 53) ist, wie Westermann darlegt, bedarf es des Rahmens nicht, um den Geschehenscharakter in Gang zu setzen (vgl. 34). 9 C. WESTERMANN, Aufbau, 28f.53 passim. 10 H. RICHTER, Studien. Die Aufnahme juristischer Gattungen im Hiobbuch hat vor Richter bereits L. KÖHLER, Der hebräische Mensch. Die hebräische Rechtsgemeinde, Darmstadt 1953 (Nachdr. 1980), 152-158 bearbeitet; Richter baut seine Arbeit auf Köh2

Hiob und die

Formgeschichte

19

Richter geht wie Westermann von einer quantifizierenden Beobachtung aus: Der überwiegende Teil der Hiob-Dichtung weist Bezüge zum Recht auf 1 . Diese statistisch ermittelten Gattungen ordnet Richter nach dem Vorbild mesopotamischer und ägyptischer Parallelen 2 in einen Geschehensablauf ein. Der Hiob-Dialog ist demnach ein Prozeß zwischen Hiob und Gott, dessen Voraussetzung im Prolog liegt, nämlich in Hiobs unverschuldetem Leiden 3 . Dabei geben die Freunde Hiob den Anlaß, sein gestörtes Verhältnis zu Gott mit den Mitteln des Rechts in Ordnung zu bringen 4 . Hiobs konsequente Anklage Gottes zieht einen Dissens zwischen ihm und den Freunden nach sich, der ebenfalls in juristischen Formen ausgetragen wird 5 . In dieser doppelten Frontstellung schließt Hiob den Dialog mit den Freunden ab, indem er ein Gottesurteilsverfahren auslösen will 6 . Dieses Gottesurteil findet in Form eines weltlichen Prozesses statt, der von Hiob mit einer Streitverzichtserklärung beendet wird 7 . Diese rechtliche Auseinandersetzung führt zur Erkenntnis des „Deus absconditus". Seine gnädige Seite zeigt Gott im Epilog 8 .

Wie Westermann nimmt auch Richter einen großen Teil der HiobDichtung vollkommen sachgemäß wahr; die juridische Herkunft vieler Passagen des Textes ist nicht zu leugnen9. Über Westermann hinaus nimmt Richter auch kleinere und kleinste Einheiten der Hiob-Dichtung in den Blick und dringt darüber hinaus auf die Ebene von Begriffen und Motiven vor. Daneben gelingt es Richter, die Rahmenerzählung als notwendigen Bestandteil des Hiobbuches in seine Analyse zu integrieren. Trotzdem lassen sich gegen Richters Entwurf dieselben Einwände erheben wie gegen Westermann. Er ist methodisch einseitig, so daß im juristischen Deutungsrahmen des Hiobbuches andere Redeformen nicht zu ihrem Recht kommen10. Dabei ist vor allem die Zuordnung der Klage zum rechtlichen

lers Ergebnissen auf. Zu weiteren Vorläufern Richters vgl. H.-P. MÜLLER, Hiobproblem, 94ff. 112ff. 1 H. RICHTER, Studien, 16. Er ermittelt 444 Verse rechtlicher Herkunft gegenüber 364 weisheitlichen Versen. Für Richter ist auch die Klage primär ein Bestandteil des Rechtsverfahrens, in: ders., Erwägungen zum Hiob-Problem: EvTh 18 (1958), 302ff. 2

H . RICHTER, S t u d i e n , 2 0 - 3 0 .

3

H . RICHTER, S t u d i e n , 5 9 f .

4

H. RICHTER, Studien, 61. Der erste Teil des Dialogs (Kap. 4-14) vollzieht sich demnach in der Form des „vorgerichtlichen Schlichtungsverfahrens" zwischen den Freunden und Hiob (61-79). 5 „Gerichtliches Schlichtungsverfahren" zwischen den Freunden und Hiob (H. RICHTER, S t u d i e n , 8 0 - 1 0 0 ) . 6

H . RICHTER, S t u d i e n ,

104-110.

7

H . RICHTER, S t u d i e n ,

119-124.

8

H. RICHTER, Studien, 127-130. 9 Vgl. H.-D. PREUß, Einführung, 101; G. FOHRER, KAT, 50-53 und passim; DERS., Form, 67f. Anders M. KRIEG, Todesbilder, 208f. 10 Vgl. G. FOHRER, Form, 62ff.; H.-D. PREUß, Einführung, 101; V. MAAG, Hiob, 98f.; K. DELL, Book of Job, 89ff. Dies ist umso problematischer, als die Weisheit in Richters Analyse einen nur unwesentlich geringeren Anteil am Hiobbuch hat als das Recht.

20

Wege und Erträge

Formbereich fraglich 1 . Die sachliche Seite der Dramaturgie ist auch hier wenig berücksichtigt. Der Ansatz von Richter ist - in etwas modifizierter Form - wieder aufgenommen worden von Norman Habel 2 . Der Rechtsstreit zwischen Hiob und Gott ist Habel zufolge das organisierende Prinzip der Reden Hiobs 3 und in die komplizierte Erzählstruktur des Hiobbuches eingebunden 4 . Im Unterschied zu Richter ist bei Habel der Rechtsstreit auf das Verhältnis zwischen Hiob und Gott beschränkt; die Kontroverse mit den Freunden ist punktuell darin einbezogen. Dabei erfaßt Hiob von sich aus das Verhältnis zwischen sich und Gott nach dem Muster eines Rechtsstreits und will demzufolge einen Prozeß mit Gott herbeiführen 5 . Dies entspricht im wesentlichen wieder der Durchfuhrung Richters, allerdings bleibt bei Habel der juristische Kontext streng im Rahmen eines narrativen Prinzips. Auch bei Habel droht die Gefahr, die rechtliche Auseinandersetzung einseitig in den Vordergrund zu stellen 6 . Habel nimmt Impulse neuerer Formgeschichte auf, die fordert, den „Sitz im Buch" der Redeformen zu berücksichtigen 7 .

1.2.3 Hiob und die Gattungsmischung:

Zusammenfassung

Die Suche nach einer formgeschichtlichen Gesamtstruktur des Hiobbuches aus seinen eigenen Gattungsvorgaben heraus zeitigt mehrere Ergebnisse. Das literarische Defizit des weisheitlichen Zugangs wird deutlich festgestellt. Die Frage nach der Gestalt des Hiobbuches verlangt eine Erklärung. Auch der Geschehenscharakter des Hiobbuches wird in allen diesen Ansätzen deutlich unterstrichen. Damit ist ein Umbruch der Hiob-Forschung weg vom allein problemorientierten Zugang markiert. In der Diskussion um die Ansätze von Westermann und Richter stellt sich zweierlei heraus. Das Hiobbuch läßt sich nicht von einer Gattung her erklären; der quantifizierende Zugang ist methodisch fragwürdig 8 . Das Hiobbuch läßt sich also nur in der Vielfalt mehrerer Gattungen erklären. Dann aber - dies ist das zweite Ergebnis der Diskussion - stellt sich erneut die Frage nach der Gesamtanlage. Dabei ist festzuhalten, daß die Hiob-Dichtung Formen und

1 Vgl. J. KEGLER, Hauptlinien der Hiobforschung seit 1956, in: Westermann, C., Der Aufbau des Buches Hiob, 3 1978 (CThM 6), 9f. 2

N . HABEL, O T L .

3

Sog. „legal metaphor": N. HABEL, OTL, 54ff. Durchführung des „narrative plot": N. HABEL, OTL, 25ff.; Skizze unter Einbeziehung des Rechtsmodells: 70ff. 5 Vor allem in Kap. 9f.; 12-14: N. HABEL, OTL, 54f. 6 In der Einbindung des Rechtsstreits in die Entwicklung der Erzählung (N. HABEL, OTL, 70ff.) überlagert das Recht die vorher herausgearbeiteten Erzählstrukturen (54ff.). 4

7

8

V g l . G . FOHRER, F o r m , 6 2 f . ; J. v . OORSCHOT, T e n d e n z e n , 3 7 6 .

K. DELL, Book of Job, 73ff. Das Problem bleiben dabei die anderen Gattungen. Auch ist - wie der Durchgang durch die Ansätze gezeigt hat - die dominante Gattung nicht festzustellen.

Hiob und die

Formgeschichte

21

Gattungen mischt, auf die Bedürfnisse des Textes hin zuspitzt und teilweise verfremdet1. Die Zuweisung einiger Teile der Hiob-Dichtung zur Klage und zum Recht ist in die nachfolgenden Hiob-Interpretationen aufgenommen worden2, so daß die literarische Gestalt des Hiobbuches unter der Aufnahme der Ergebnisse von Westermann und Richter als Mischung von Formen und Traditionen wahrgenommen wird. Der weisheitliche Interpretationsrahmen der Hiob-Dichtung bleibt dabei weitestgehend erhalten. Die Aufnahme anderer theologisch-literarischer Traditionen in die Hiob-Dichtung wird in die kritische Tendenz des Textes integriert, so daß der anti-weisheitliche Impuls des Hiobbuches durch Rückgriff auf außerweisheitliche Formen durchgeführt wird3. 1 D a r a u f h a t G. FOHRER, Form, 62 aufmerksam gemacht: „Ferner zeigt die formkritische Untersuchung, daß die Reden der Hiobdichtung nach dem Grundsatz der Gattungsmischung komponiert sind. Der Dichter hat die Redeformen in einer sehr mannigfaltigen und bunten Weise den Bereichen der Weisheitslehre, des Rechtslebens und der Psalmen entnommen. (...) Der Hiobdichter vergrößert den Anwendungsbereich der Redeformen, indem er sie in einer anderen als ihrer eigentlichen Funktion verwendet. In dieser ... Methode stoßen wir auf eine Erscheinung, die ... auch sonst im Alten Testament oft zu beobachten ist. Sie macht deutlich, daß die herkömmliche Art der formkritischen Untersuchung ... erweitert werden muß. Mit der Bestimmung der jeweiligen Gattung und ihres 'Sitzes im Leben' ist oft erst die Hälfte der Arbeit getan. Hinzutreten muß die Frage nach dem 'Sitz im Buch', die Bestimmung der Funktion, die der verwendeten Form in ihrem jeweiligen Zusammenhang zugeteilt worden ist." 2

Vgl. H.-D. PREUß, Einführung, 101; G. FOHRER, KAT, 50-53. Weitestgehend unberücksichtigt blieben dagegen Untersuchungen, die zum Teil auf der Basis von Westermann und Richter, zum Teil ohne Berücksichtigung ihrer Ergebnisse weitere formgeschichtliche Differenzierungen vorgenommen haben. Zu ihnen gehört das Verständnis des Hiobbuches vom „Bundeskult" (A. WEISER, Das Buch Hiob, 3 1959 (ATD 13), 12f.; Kritik bei H. RICHTER, Studien, 16.119f.; V. MAAG, Hiob, 98) und die ähnlich geartete kultdramatische Zuordnung von S. TERRIEN, Job, 1963 (CAT 13). 3 So H.-D. PREUß, Einführung, 69f. 92f. 98f.; G. FOHRER, KAT, 50ff. Prinzipiell gehört in diesen Interpretationszusammenhang auch die Arbeit von K. DELL, Book of Job. Nach Dell darf das Hiobbuch weder formal noch sachlich als Weisheitsliteratur gelten (58f.), sondern ist gegen eine dogmatisierten Vergeltungsglauben gerichtet, der in der Weisheit beheimatet ist. Der kritische Impuls vollzieht sich durch den parodistischen Mißbrauch traditioneller Formen (137ff.). Nach Dell ist das Hiobbuch nicht weisheitlich, sondern skeptisch und bleibt bei einer offenen Antwort auf die aufgeworfenen Fragen (184ff.). Die formgeschichtliche Untersuchung des Hiobbuches ist nach den Analysen von Westermann und Richter unter Verfeinerung ihrer Methodik durch Impulse der Linguistik und Literaturwissenschaft vorangeschritten. Zur Entwicklung der Forschung auf diesem Gebiet vgl. B. WEBER, Ps 77 und sein Umfeld. Eine poetologische Studie, 1995 (BBB 103), 9-29; M. KRIEG, Todesbilder, 64-90. In der Hiob-Exegese werden diese Neuansätze vor allem durch J. WHEDBEE, The Comedy of Job: Semeia 7 (1977), 38-44 und L. ALONSO-SCHÖKEL, Toward a Dramatic Reading of the book of Job: Semeia 7 (1977), 45-61 repräsentiert. Ihre Analysen werden im Rahmen der exegetischen Untersuchung

22

Wege und Erträge

1.3 Hiob und der Mythos: Leo Perdue und Gisela Fuchs Außer Bezugnahmen auf weisheitliche Theologie finden sich im Hiobbuch Traditionen, die nicht oder nur zum Teil in der Weisheit beheimatet sind. Dieser Sachverhalt kam schon bei den formgeschichtlichen Neuansätzen der Hiob-Interpretation zum Vorschein, war aber dort der Frage nach der Gestalt untergeordnet. Nach der Wahrnehmung des literarischen Mischcharakters des Hiobbuches rückte die Frage nach den außerweisheitlichen Traditionen im Hiobbuch - abseits von ihrer Form - stärker in den Vordergrund 1 . Gleichzeitig, aber unabhängig voneinander, sind zwei Versuche unternommen worden, die literarische Gestalt und den sachlichen Gehalt des Hiobbuches von mythischen Texten und mythischer Theologie her zu deuten. Leo G. Perdue 2 und Gisela Fuchs 3 versuchen dabei, das schwierige Verhältnis zwischen „Form" und „Inhalt" des Hiobbuches mit einer Synthese aus form- und traditionsgeschichtlichen Methoden zu erhellen. P e r d u e unternimmt seinen Z u g a n g z u m H i o b b u c h von einer funktionalen und inhaltlichen B e s t i m m u n g des M y t h o s her. Der M y t h o s ist eine G r u n d f o r m religiöser R e d e und als solche metaphorisch 4 . In religiöser Weltdeutung k o m m t es zu einer W a h r n e h m u n g der Welt, die den m e t a p h o r i s c h e n P r o z e ß widerspiegelt 5 . Der M y t h o s ist eine F o r m religiöser Sprache, in der ausgebaute Metaphern Weltdeutung m o d e l l h a f t organisieren 6 . Ihnen liegen bestimmte religiöse B a s i s m e t a p h e r n zugrunde, die ihren vollständigen Sinn j e d o c h nur durch die Extension z u m mythischen P a r a d i g m a erhalten 7 . A u c h für P e r d u e ist die des H i o b b u c h e s gewürdigt werden; zur Kritik vgl. K. DELL, B o o k of Job, 95ff.; J. V. OORSCHOT, T e n d e n z e n , 377ff. 1 D e n A n f a n g markiert dabei die M o n o g r a p h i e zu Hi 38-42 von O. KEEL, J a h w e s Entg e g n u n g . Bei Keel ist die Präsenztheologie des Psalters der p r i m ä r e Traditionshintergrund des H i o b b u c h e s (165ff.). D a diese M o n o g r a p h i e aber im wesentlichen auf die Gottesreden des H i o b b u c h e s beschränkt ist und die übrige H i o b - D i c h t u n g nur überblicksartig einbezieht, kann sie im Sinne der vorliegenden Fragestellung nicht als neuer Z u g a n g z u m H i o b b u c h gewürdigt werden. 2

L. G. PERDUE, W i s d o m in Revolt. G. FUCHS, M y t h o s und Hiobdichtung. A u f n a h m e und U m d e u t u n g altorientalischer Vorstellungen, Stuttgart/Berlin/Köln 1993. 4 L. PERDUE, W i s d o m , 22: „Religious language is metaphorical. It describes the num i n o u s which in part trancends the limits of space and time, b y using finite expressions derived from the experiences of h u m a n existence." 5 L. PERDUE, W i s d o m , 23-27. Dieser P r o z e ß u m f a ß t die Stadien „ A b s u r d i t y and Destabilization", „ M i m e s i s " , „Transformation and Restabilization". S p a n n u n g („tension") und Mehrdeutigkeit („ambiguity") begleiten den Prozeß. 6 L. PERDUE, W i s d o m , 27. 7 L. PERDUE, W i s d o m , 28-30, bes. 30: „Each myth contained its own distinctive configuration of m e t a p h o r s and patterns. However, the same m a j o r m e t a p h o r s recur in the mythological traditions, and ... there are underlying patterns which structure t h e c o m m o n story of each mythical tradition and its dramatic e n a c t m e n t . " 3

Hiob und der

Mythos

23

Weisheit der p r i m ä r e Deutehorizont des Hiobbuches. Die Einzelthemen der Weisheit A n t h r o p o l o g i e und K o s m o l o g i e - werden im R a h m e n einer Theologie der S c h ö p f u n g angeordnet, die m y t h i s c h e M e t a p h e r n rezipiert 1 . Dabei rekurriert die Weisheit nicht m e h r auf die z u g r u n d e l i e g e n d e n mythischen Paradigmata 2 und blendet wichtige M e t a p h e r n aus ihrem System aus 3 . D i e s e ausgeblendeten M o t i v e strukturieren das H i o b b u c h als Kritik an einer einseitig positiv orientierten Weisheit. Der M y t h o s v o m C h a o s k a m p f stellt im H i o b b u c h die „external reality" 4 zur V e r f ü gung. D e r K a m p f z w i s c h e n Gott und dem Chaos strukturiert die Welt, in der sich das H i o b - D r a m a abspielt 5 ; als Deutesystem tritt er erst in Kap. 38-42 vollständig in Erscheinung. Das G e s c h e h e n der Hiob-Dichtung, der „internal discourse" 6 , vollzieht sich nach dem Vorbild des Atra-hasis-Mythos 7 . Darin verteidigen die Freunde das H a n d e l n Gottes mit den G r u n d m e t a p h e r n positiver weisheitlicher S c h ö p f u n g s t h e o l o g i e 8 , wohingegen Hiob sich gegen sein Sklavendasein wehrt. Er verwendet dabei den K a m p f m y t h o s , präsentiert Gott j e d o c h als den, der die Welt ins Chaos führt 9 und sich selbst als den königlichen U r m e n s c h e n , der Gott herausfordert 1 0 . Gott korrigiert diese H y b r i s durch eine Darstellung der S c h ö p f u n g als Erhaltung der Welt g e g e n die C h a o s m ä c h t e . Diese Rolle Gottes wird von Hiob anerkannt und Hiob von Gott gerechtfertigt.

Perdue präsentiert das Hiobbuch als theologisch und literarisch hochkomplexes Textsystem. Gestalt und Gehalt gelangen in dieser Interpretation zur Synthese; das Hiobbuch wird in seiner Gesamtstruktur vom Prolog bis zum Epilog wahrgenommen. Außerdem gerät die konzentrierte Bildhaftigkeit der Sprache des Hiobbuches in den Mittelpunkt der Wahrnehmung, so daß ihr Sinngehalt transparent wird 11 . Problematisch ist die Grundlegung des Zugangs. Zwar ist mit der Beschreibung des theologischen Profils der Weisheit als Dialektik von Anthropologie und Kosmologie ein breiter und flexibler Rahmen weisheitlichen Denkens gefunden 12 , doch ist „Kosmologie" eine schwierige Katego1 K o s m o l o g i s c h e Metaphern: Fruchtbarkeit (L. PERDUE, W i s d o m , 32-38), K u n s t f e r tigkeit (38-42), W o r t (42-46) und C h a o s k a m p f (47-56). Die Weisheit rezipiert nur die ersten drei. A n t h r o p o l o g i s c h e Metaphern: H e r r s c h a f t (61-66) und Sklaverei (66-72). 2 L. PERDUE, W i s d o m , 31. 3 So vor allem den C h a o s k a m p f (L. PERDUE, W i s d o m , 59f.) und den M y t h o s von der U n t e r w e r f u n g des M e n s c h e n unter die Götter (70ff.). 4 L. PERDUE, W i s d o m , 74f. 5 L. PERDUE, W i s d o m , 260ff. 6 L. PERDUE, W i s d o m , 74. 7 Die D r a m a t u r g i e des H i o b b u c h e s vollzieht sich in den an den M y t h o s angelehnten Stadien „Divine J u d g m e n t and Human D e s t i n y " (Hi 1-3: L. PERDUE, W i s d o m , 86-109); „Divine Justice and H u m a n Slavery" (Hi 4-10: 111-147); „Protest and R e v o l t " (Hi 12-31: 149-193); „Fall and J u d g m e n t " (Hi 38-42: 196-240). 8 L. PERDUE, W i s d o m , 11 I f f . 163ff. 174ff. 9 L . PERDUE, W i s d o m , 121 ff. 13Iff. 10 L. PERDUE, W i s d o m , 182ff. 11 Beispielsweise sind Perdues W a h r n e h m u n g e n der anthropologischen „ S k l a v e n m e t a p h e r " sehr hilfreich (L. PERDUE, Wisdom, 127ff. passim). 12 L. PERDUE, W i s d o m , 20.

24

Wege und

Erträge

rie zur Beschreibung der Weltwahrnehmung zumindest der frühen Weisheit 1 . In gleicher Weise erscheint es fraglich, ob die Kategorie „Herrschaft" ein geeigneter Begriff ist, um die differenzierte weisheitliche Anthropologie zu erfassen. Schließlich sind die von Perdue angeführten Belege einer dezidierten weisheitlichen Schöpfungstheologie spät anzusetzen 2 , wohingegen Schöpfung in der frühen Weisheit nur wenig reflektiert wird 3 . Von hier aus wird Schöpfungstheologie als (weisheitlicher) Horizont des Hiobbuches fragwürdig. Die größte Schwierigkeit wirft Perdues Zuordnung von Metapher und Mythos auf. Zwar sind sowohl Metapher als auch Mythos Symbole im religiösen Sprachsystem 4 , allerdings dürfte die paradigmatische Qualität bereits eher in der Metapher als im Mythos liegen 5 . Das erklärt, warum religiöse Grundmetaphern in unterschiedlichen mythischen Ausformungen begegnen können und warum das Alte Testament religiös-metaphorische Deutesysteme erstellt, ohne narrative mythische Paradigmata zu verwenden 7 . Die mythischen Systeme, die Perdue zufolge das Hiobbuch sachlich 1 Wie z.B. J. HAUSMANN, Studien, 29ff. detailliert zeigt, nimmt die Weisheit die Welt unter dem Aspekt des sozialen Gefüges wahr. Hierfür scheint „Kosmologie" m.E. nicht der angemessene Begriff. 1 Vgl. L. PERDUE, Wisdom, 56-60. Die Zeugen dieser Theologie sind nach Perdue vor allem Prv 3; 8 und Sirach. 3 Zu Prv 14,31; 17,5 vgl. P. DOLL, Menschenschöpfung und Weltschöpfung in der alttestamentlichen Weisheit, 1985 (SBS 117), 26ff. 4 Zum Symbolcharakter des Mythos vgl. W. BURKERT, Literarische Texte und funktionaler Mythos: Zu Iätar und Atrahasis, in: J. Assmann/W. Burkert/F. Stolz, Funktionen und Leistungen des Mythos, 1982 (OBO 48), 65: „...grundlegende, allgemein akzeptierte ... Mitteilungsform für komplexe Wirklichkeitserfahrung." 5 J. ASSMANN, Die Zeugung des Sohnes. Bild, Spiel, Erzählung und das Problem des ägyptischen Mythos, in: J. Assmann/W. Burkert/F. Stolz, Funktionen und Leistungen des Mythos, 14: „Hinter Texten, die augenscheinlich die Sprache des Mythos reden, ohne jedoch narrative Zusammenhänge zu entfalten, (müssen nicht) unbedingt Mythen stehen ..., sondern so etwas wie vormythische Sinnkomplexe, die sich erst im Laufe der Geschichte fallweise zu ganzen Mythen entfalten. Hierfür habe ich den Terminus 'Konstellationen' vorgeschlagen. Mit dem Ausdruck 'Sprache des Mythos' ist dabei nicht gemeint, daß von Göttern die Rede ist, sondern, daß verschiedene Sinn-Dimensionen in eine Beziehung gegenseitiger Verweisung gesetzt werden. (...) Die Komplexion der SinnDimension leistet nicht erst der Mythos, sondern bereits die Konstellation." 6

L. PERDUE, Wisdom, 29f. Vgl. dazu J. ASSMANN, Zeugung, 39: „Die 'Konstellationen' ..., die der Geschichte zugrundeliegen, sind keine Funktionen, deren Bedeutung in dem liegt, was sie zur Handlung beitragen...; sie tragen ihre Bedeutung vielmehr in sich selbst und sind aus dem Handlungsablauf vollkommen ablösbar. Sie bilden, j e d e für sich, Kristallisationspunkte für eigene 'mythische' Aussagen: Texte, Bilder oder sogar ganze Heiligtümer." 7 Vgl. dazu C. PETERSEN, Mythos im Alten Testament. Bestimmungen des Mythosbegriffs und Untersuchung der mythischen Elemente in den Psalmen, 1982 ( B Z A W 157) 46 ff. 261 ff.

Hiob und der Mythos

25

und formal strukturieren, entstammen folglich der altorientalischen Umwelt des Alten Testaments. Damit wird die Sensibilität des intendierten Publikums des Hiobbuches für diese mythischen Texte wahrscheinlich überschätzt. Im Entwurf von Gisela Fuchs ist die Rezeption des Mythischen im Hiobbuch streng auf den Mythos vom Chaoskampf beschränkt. Dieser mythische Vorstellungszusammenhang bestimmt nach Fuchs inhaltlich und auch strukturell weite Teile der Hiob-Dichtung, vor allem die Reden Hiobs 1 , die Reden der Freunde Hi 15; 18; 20 2 und die Gottesreden 3 . Zusätzlich finden andere Mythologeme in der Hiob-Dichtung punktuell Verwendung 4 . Zur Erhellung des mythischen Hintergrundes zieht Fuchs außer den babylonischen und ugaritischen Chaoskampf-Texten weitere altorientalische Mythen heran 5 und weist ihre gemeinsame strukturelle Analogie nach 6 , auf deren Hintergrund auch das Hiobbuch mythisch wahrgenommen werden kann. Auch für Fuchs ist das zentrale Thema des Hiobbuches die weisheitliche Frage nach dem Leiden des Gerechten; die Aufnahme mythischer Motive deckt nicht das gesamte Hiobbuch ab 7 . Die Sprache und Motivik des Mythos dient im Hiobbuch dazu, die Ungeheuerlichkeit der Erfahrung Hiobs zur Sprache zu bringen und damit die Grenzen überlieferter Theologie deutlich zu machen 8 .

Auch der Ansatz von Fuchs verhilft zu einer vertieften Wahrnehmung einzelner Abschnitte des Hiobbuches, vor allem ihre Interpretation der Kap. 15-20 wirft ein neues Licht auf die Dramaturgie der Hiob-Dichtung 9 . Anders als bei Perdue wird das Wesen des Mythos und des mythischen Denkens detailliert dargestellt, so daß die im Hiobbuch verwendeten Mythenmotive auch ohne ihren vollständigen Hintergrund sinnvoll wirken. Es fehlt indes eine Zuordnung des Mythischen zu anderen Bereichen alttestamentlicher Theologie 10 . Damit wird das Hiobbuch zu einer monolithischen Größe im Alten Testament 11 . Die Zuordnung des Hiobbuches zu mythischen Traditionen hat bislang noch wenig Resonanz gefunden; sie ist, wie gezeigt, auch problematisch. Indes bleibt festzuhalten, daß das Hiobbuch

1

G. FUCHS, Mythos, 65ff. 141 ff. G . FUCHS, Mythos, 95ff. 3 G. FUCHS, Mythos, 189ff. 4 Chthonische Motive: G. FUCHS, Mythos, 173ff; Mythos vom Weltenbaum: 265ff. 5 Hethitische, griechische und mandäische Literatur: G. FUCHS, Mythos, 35ff. 6 G. FUCHS, Mythos, 60-62. 7 G. FUCHS, Mythos, 26f. In ihrer Durchführung ist der mythische Hintergrund des Hiobbuches allerdings so dominant, daß diese Wahrnehmung kaum noch ins Gewicht fällt. 8 G. FUCHS, Mythos, 286. 9 Die Ergebnisse werden in dieser Arbeit rezipiert. 10 Nur sehr pauschal benennt G. FUCHS, Mythos, 290f. den Monotheismus als positive und negative Folie des Mythischen im Hiobbuch. " Vgl. zur Kritik auch J. V. OORSCHOT, Tendenzen, 384ff. 2

26

Wege und Erträge

nicht nur auf der formalen, sondern auch auf der inhaltlichen Ebene eine Mischung von Traditionen darstellt. Dabei verhelfen die mythenorientierten Zugänge zu einer vertieften Detailwahrnehmung im Hiobbuch verwendeter Traditionen.

1.4 Hiob und seine Redaktoren: Victor Maag Ein großer Teil der Hiobforschung wird von literarkritischen Fragestellungen eingenommen 1 . Dabei steht vor allem die zweite Hälfte der HiobDichtung im Mittelpunkt des Interesses 2 ; daneben das Verhältnis von Rahmenerzählung (Hi 1-2; 42,7-17) und Dialogdichtung (Hi 3-42,6). Die Ergebnisse auf diesem Forschungsgebiet integriert Victor Maag 3 in eine Analyse des Hiobbuches, die Gestalt und Gehalt des Textes in konsequent diachroner Perspektive wahrnimmt. Für Maag ist das Hiobbuch sowohl literarisch als auch theologisch eine eigenständige Größe, deren Interpretation nicht bei einer Zuweisung zu einer Gattung bzw. theologischen Schule anzusetzen hat, sondern bei der Wahrnehmung des individuellen Charakters des Textes 4 . Der Ansatzpunkt von Maags Analyse ist die formale, sachliche und überlieferungsgeschichtliche Unterschiedenheit der drei Hauptteile des Hiobbuches: Rahmenerzählung, Dialogdichtung und Reden Elihus 5 . Sie lassen sich als die drei grundlegenden Textschichten voneinander abheben und repräsentieren drei weitgehend unabhängige literarische Bearbeitungen des Hiob-Stoffes.Die aramäisch lokalisierte Hiob-Novelle umfaßt Hi 1,1-2,10; 42,11-17 und stellt eine planvoll komponierte und strukturierte Erzählung dar6. Der inhaltliche Schwerpunkt der Erzählung liegt auf der Kontroverse zwischen JHWH und dem Satan. Es geht dabei um das Wesen und die Macht Gottes und um die Frage, ob Leid und Schuld darin zu integrieren sind oder ob sich das Böse und theologisch Unverständliche einer negativen göttlichen Macht neben JHWH verdankt. Hiob beantwortet diese Frage im Sinne eines konsequenten Monotheismus, der vertrauensvoll auch das Böse aus der Hand JHWHs annimmt 7 . Bei der Gestaltung der Novelle griff der Verfasser auf die Überlieferung von Hiob als dem leidenden Gerechten (vgl. Ez 14,14ff.) zurück, die er theologisch radikalisierte. Die im Vordergrund stehende theologische Frage nach dem Verhältnis von Leid, Schuld und Gott ist das beherrschende Thema nache-

1 Zur Notwendigkeit der diachronen Betrachtung des Hiobbuches vgl. J. V. OORSCHOT, Tendenzen, 362f. passim. 2 Der sog. „Dritte Redegang" (Kap. 24-27); Hi 28; die Reden Elihus (Kap. 32-37) und die Gottesreden (Kap. 38-42). 3 V. MAAG, Hiob. 4 V. MAAG, Hiob, 9ff. 5 V. MAAG, Hiob, 13-19. 6 V. MAAG, Hiob, 42-44 weist Hi 1-2; 42,1 ff. formal als Novelle aus. 7 V. MAAG, Hiob, 49ff.

Hiob und seine

Redaktoren

27

xilischer Theologie im Gefolge Ezechiels, die ihre Spuren auch in der Weisheit hinterläßt 1 . Die edomitisch lokalisierte Hiob-Dichtung ist nach dem Vorbild ägyptischer Weisheitsdialoge gestaltet und schildert den Konflikt zwischen Hiob und JHWH (Hi 3; 38-41) sowie den Disput zwischen JHWH und den Freunden, der damit verbunden ist (Hi 431*). Die Dialogdichtung enthält eine Prosarahmung, deren Bruchstücke in den beiden Freundesszenen erhalten sind 2 . Der Hiob-Dialog greift etwa gleichzeitig mit der Novelle, aber unabhängig von ihr die alte Hiob-Überlieferung auf, um das Problem von Leid und Gott darzustellen 3 . Anders als die Hiob-Novelle bleibt die Dialogdichtung bei Hiob als Schwerpunkt. Er versucht, das unverständliche Handeln Gottes klagend zu verstehen: Der Konflikt zwischen Hiob und JHWH dreht sich um das qua ratione des Leidens, das JHWH mit dem Verweis auf seine Schöpfermacht löst 4 . Zwischen Hiobs Klage am Anfang und Gottes Reden am Schluß spielt sich der Konflikt zwischen Hiob und den Freunden ab. Die Freunde versuchen, Hiobs Unglück als Schuld zu erklären und durch den Hinweis auf Buße zu lösen. Damit vertreten sie die nachexilische „Schicksalstheologie" 5 und verschieben das Hiobproblem vom qua ratione zum qua iure6. An diesem Gottesbild wird Hiob fast irre und erhebt dagegen leidenschaftlichen Protest 7 . Gott rechtfertigt Hiobs Position 8 . Die beiden rivalisierenden Fassungen des Hiob-Stoffes, die nebeneinander umliefen, sind in einem komplizierten Prozeß miteinander verbunden worden, dessen Hauptziel es war, die theologische Anstößigkeit der Hiob-Dichtung zu beseitigen 9 . Dazu fanden drei unterschiedliche „Sekundär-Rezensionen" statt, die jeweils eine neue entschärfende Hiob-Interpretation vorlegten 10 . Die einzelnen Rezensionen fanden nacheinander statt, liefen aber nebeneinander um. Dabei ist nicht mehr zu erhellen, wann die Hiob-Novelle zur Dialogdichtung trat, wahrscheinlich bereits zur Rezension B11. Das Problem der konkurrierenden umlaufenden Versionen wurde schließlich durch die Verbindung aller Varianten zu einem Text gelöst 12 .

Maags konsequente Trennung von Novelle und Dialogdichtung verhilft vor allem der Hiob-Novelle zu einem klar erkennbaren theologischen und lite1

V . MAAG, H i o b , 6 8 f f .

2

V. MAAG, Hiob, 90ff.

3 4 5

V . MAAG, H i o b , 1 0 9 f . V . MAAG, H i o b , 9 9 - 1 2 3 . V . MAAG, H i o b , 1 3 3 f .

6

V . MAAG, Hiob, 124ff. 7 V . MAAG, Hiob, 155ff. 8

V . MAAG, H i o b , 1 5 5 .

9

V . MAAG, Hiob, 194f. 10 Sekundär-Rezension A streicht Gottes Schiedsspruch 42,7-9 aus der läßt Hiob durch Erweiterung seiner Schlußrede (Kap. 24; 26; 27) auf Freunde einschwenken (V. MAAG, Hiob, 194-196); Sekundär-Rezension B Protest durch die Einfilgung der zweiten Gottesrede Hi 40,6-14 und Hiobs 42,1-6 (196-204). Sekundär-Rezension C fugte als Korrektiv die Figur des ersetzte die Gottesrede aus Rezension B durch Hiobs anderslautende Hi 4 0 , 3 ff. ( 2 0 4 - 2 1 5 ) . 11

V . MAAG, H i o b , 2 1 5 f .

12

V . MAAG, H i o b , 2 1 7 .

Dichtung und die Linie der mildert Hiobs Unterwerfung Elihu ein und Unterwerfung

28

Wege und Erträge

rarischen Profil. Daneben ist die Verankerung der Hiob-Texte in der gesamten nachexilischen Theologie der thematischen und formalen Differenziertheit des Hiobbuches angemessener als die weisheitliche Engführung 1 . Schließlich legt Maag gegen die literarkritische Fragmentierung des problematischen Textbestandes eine redaktionsgeschichtliche Synthese vor, die weite Teile des Hiobbuches als theologisch verantwortete Interpretationen des älteren Textbestandes plausibel macht. Das Vorgehen Maags legt den Schwerpunkt auf die inhaltliche Analyse des Textes; die literarische Vielfalt des Hiobbuches wird kaum wahrgenommen und fruchtbar gemacht. Dabei könnte gerade von hier aus Aufschluß über den theologiegeschichtlichen Hintergrund des Hiobbuches gewonnen werden, der von Maag sehr pauschal als „synagogale Theologie" bezeichnet wird 2 . Die diachrone Betrachtungsweise wirft neues Licht auf den Gesamtentwurf des Hiobbuches; die redaktionsgeschichtliche Synthese ist indes mit erheblicher Spekulation verbunden 3 . Daß der geordnete und sinnvoll erscheinende Aufbau des Hiobbuches 4 das Resultat einer Verlegenheitslösung ist, läßt sich schwer nach vollziehen 5 .

1.5 Hiob und die pluralisierte Methodik: Zusammenfassung und Ergebnis In den vorigen Abschnitten wurden exemplarisch vier Ansätze zur Interpretation des Hiobbuches dargestellt. Sie repräsentieren annähernd fünfzig Jahre Hiobforschung. Einige der referierten Ansätze sind in weisheitlich orientierte Hiob-Interpretationen aufgenommen worden. Dabei verschärft sich allerdings das anfänglich angedeutete Problem: Je weiter man die literarische Gestalt des Hiobbuches vom Bezugsrahmen weisheitlicher Literatur entfernt, desto schwieriger wird die sachliche Zuordnung zur Weisheit. Demgegenüber wird eine einseitige Zuweisung des Hiobbuches zu anderen Literaturformen oder Traditionsbereichen der formalen und sach1 In der Analyse der Dialogdichtung wird Maag dieser Differenziertheit allerdings nicht gerecht; dort ist die „traditionelle Weisheit" der alleinige Deuterahmen (V. MAAG, Hiob, 124ff.). 2 V. MAAG, Hiob, 99. 3 Vgl. J. v. OORSCHOT, Gott, 116. 4 V. MAAG, Hiob, 13. 5 J. V. OORSCHOT, Gott, 116f. Weitere redaktionsgeschichtliche Analysen des Hiobbuches (J. VERMEYLEN, Job, ses amis et son Dieu. La Légende de Job et ses relectures postexiliques, 1981 (SB 2); M. WITTE, Leiden; T. MENDE, Durch Leiden zur Vollendung. Die Elihureden des Buches Ijob (Ijob 32-37), 1990 (TThSt 49)) werden in Kap. 3 dieser Arbeit verhandelt.

Hiob und die pluralisierte

Methodik

29

liehen Differenziertheit des Hiobbuches nicht gerecht. Es scheint mithin angemessen, das Hiobbuch literarisch und thematisch als ein Werk sui generis zu begreifen 1 . Dabei ist auch methodisch ein Zugang gefordert, der seinen vielfältigen Problemen Rechnung trägt 2 . Die referierten Ansätze zur Interpretation des Hiobbuches haben auf wichtige Sachverhalte aufmerksam gemacht, die bei einer Analyse des Textes zu berücksichtigen sind: - Das Hiobbuch ist in seiner Gesamtstruktur aus Prosa-Erzählung und Dialogdichtung wahrzunehmen 3 . Die rahmende Prosa-Erzählung ist dabei eine literarisch und theologisch ernstzunehmende Größe 4 . - Die Dialogdichtung entfaltet ein Geschehen; die Reden sind zu einem dramaturgisch gestaffelten Handlungsablauf zusammengestellt 5 . - Innerhalb dieses Handlungsablaufs werden Formen und Motive unterschiedlicher Herkunft verwendet und in charakteristischer Weise dem Duktus des Buches angepaßt 6 . - Einzelteile bestimmter Traditionszusammenhänge können auf ihren gesamten Hintergrund verweisen 7 . - Das Hiobbuch in seiner Gesamtheit ist eine in mehreren Stadien gewachsene Texteinheit; Zusätze und Erweiterungen sind das Ergebnis planvoller Redaktion 8 . Diese Wahrnehmungen bieten Ansätze für eine Interpretation des Hiobbuches abseits der weisheitlichen Engführung. Es hat sich gezeigt, daß HiobExegesen mit einem einzigen methodischen Schwerpunkt der Differenziertheit des Hiobbuches nicht gerecht werden. Demzufolge müßte man sich dem Hiobbuch mit einer differenzierten Pluralität der Methoden nähern. Dazu bedarf es jedoch eines methodischen Ansatzes, der fähig ist, diese Zugänge zu integrieren und die Synthese aus Gestalt und Gehalt des Textes plausibel und transparent zu machen. Gesucht ist demnach eine Texttheorie, in der die Komplexität des Hiobbuches aufgehoben ist und die sie gleichzeitig erklärt. Einen solchen methodischen Ansatz hat Umberto Eco mit seinem Interpretationskonzept vorgelegt, das nunmehr darzustellen ist.

' V g l . V . M A A G , H i o b , 1 0 f f . ; A . WEISER, A T D , 7 . 2

3 4

J . v . OORSCHOT, T e n d e n z e n , 3 5 3 .

H. RICHTER, Studien, 5 9 f . l 2 7 f . ; L. PERDUE, Wisdom, 86ff. 238ff. V . MAAG, H i o b , 2 1 ff.

5 C. WESTERMANN, Aufbau, 29f.; H. RICHTER, Studien, 128ff. Dagegen: G. v. RAD, Weisheit, 271; M. KRIEG, Todesbilder, 323. 6 C. WESTERMANN, Aufbau, 58f.; G. FOHRER, Form, 60ff. 7 G. FUCHS, Mythos, 60ff.; L. PERDUE, Wisdom, 28ff. 8 V . MAAG, Hiob, 194ff.

Kapitel 2

„Lector in Fabula": Das Interpretationskonzept Umberto Ecos als Weg zur Hiob-Exegese Im vorigen Kapitel konnte eine Reihe von Detailwahrnehmungen ermittelt werden, die bei der Exegese des Hiobbuches zu berücksichtigen sind. Die literarische und sachliche Differenziertheit des Hiobbuches erfordert einen gewissen Methodenpluralismus in der Exegese. Damit stellt sich das Problem, einen Textzugang zu finden, in dem die Einzelmethoden sinnvoll und transparent miteinander verbunden werden können. Mit „Lector in Fabula" 1 hat Umberto Eco ein Interpretationskonzept vorgelegt, das es erlaubt, umfangreiche Texte in ihrer Komplexität, Geschlossenheit und auch Offenheit wahrzunehmen. Dieses Konzept will den Vorgang der Interpretation modellhaft nachzeichnen, der sich als Interaktion zwischen Text und Publikum beschreiben läßt 2 . Ecos Interpretationskonzept liegt damit in der Mitte zwischen extrem text- und extrem leserorientierten Interpretationstheorien 3 .

1 U. ECO, Lector in Fabula. Die Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten, M ü n c h e n 1990. D a s K o n z e p t wird g e r a f f t und teilweise präzisiert in DERS., D i e Grenzen der Interpretation, 1992. 2 Eine B e m e r k u n g zur Terminologie. Die Leser- und L e s e r i n n e n s c h a f t zu interpretier e n d e r Texte wird bei E c o und anderen Autoren in aller Regel mit dem (männlichen) T e r m i n u s „ L e s e r " b e z e i c h n e t . Im Interesse einer inklusiven Sprache soll in dieser Arbeit der geschlechtsneutrale B e g r i f f „ P u b l i k u m " v e r w e n d e t w e r d e n . D i e s e r B e g r i f f ist nicht g a n z adäquat, da „ P u b l i k u m " zumeist die Rezipierenden visueller K u n s t w e r k e konnotiert und somit eine andere Art der Rezeption nahelegt als die Lektüre. T r o t z d e m soll in dieser Arbeit das „ P u b l i k u m " die „ L e s e n d e n " ersetzen, wie es auch in einigen englischsprachigen Publikationen dar Fall ist (Vgl. z.B. D. CLINES, W h y is there a B o o k of Job, passim). Eine U n t e r s c h e i d u n g und B e z e i c h n u n g von Lesern u n d Leserinnen hätte dann Sinn, wenn die Anliegen geschlechtsspezifischer Hermeneutik betroffen wären. Dies ist in dieser Arbeit nicht der Fall. 3 In „Lector in f a b u l a " steht die Rolle des P u b l i k u m s noch stark im V o r d e r g r u n d . Sie wird unter dem Eindruck extrem leserorientierter Texttheorien in „ D i e G r e n z e n der Interpretation" (U. E c o , Grenzen, 54ff.) z u r ü c k g e n o m m e n . D o c h hat der B e z u g auf das P u b l i k u m seine Berechtigung. Mit der H i n w e n d u n g z u m Publikum b e g e g n e n Text- und S p r a c h w i s s e n s c h a f t der Intersubjektivitätsproblematik. Vgl. zu diesem P r o b l e m und seiner E n t w i c k l u n g in der alttestamentlichen Exegese B. WEBER, Ps 77, 14f. (dort weitere

Text, Autor,

Publikum

31

Ecos Entwurf ist prinzipiell eine Texttheorie und keine exemplarische Auslegungsmethode; Methoden der Textwissenschaft müssen in diese Theorie eingetragen werden. In „Lector in Fabula" werden das Wesen eines Textes und die damit verbundene Aufgabe des Publikums einander in einer Weise zugeordnet, die zeigt, wie ein Text verstanden werden kann, und zugleich darlegt, wodurch Wirkung und Deutung des Textes hervorgebracht werden. Ecos Ansatz ist in mehrfacher Hinsicht hilfreich für die alttestamentliche Exegese im allgemeinen und für das Hiobbuch im besonderen. Der Zugang erlaubt: - Eine Wahrnehmung der Geschehensstruktur von Texten, die prima vista nicht narrativ erscheinen. - Eine Wahrnehmung der individuellen Struktur eines Textes nach Gestalt und Gehalt. - Eine Möglichkeit, „Formen" und „Gattungen" - im Sinne klassischer Formgeschichte - sowie Traditionen in ihrer Stellung und Funktion im vorliegenden Text angemessen wahrzunehmen. Die außerordentlich komplexe Texttheorie kann nicht in aller Breite dargestellt werden. Ich werde daher den Schwerpunkt auf jene Aspekte legen, die im Blick auf die Hiob-Exegese hilfreich erscheinen. Es handelt sich um die Grundbedingungen der Interpretation, die Einzelstrukturen eines Textes und ihre Verbindung im Vorgang der Interpretation.

2.1 Text, Autor, Publikum: Die Bedingungen der Interpretation Zu den Grundvoraussetzungen der Interpretation gehören ein Text, ein Autor und ein Publikum. Es geht Eco darum zu zeigen, daß der Text nicht nur des Publikums bedarf, um verstanden zu werden 1 , sondern es auch in bestimmter Weise lenkt. Die Art und Weise dieser Leserlenkung ist die sogenannte „Textstrategie" 2 . An dieser Stelle sind die Voraussetzungen der Interpretation hinsichtlich des Textes, des Publikums und des Autors kurz zu beleuchten.

Literatur). Zu vergleichbaren Ergebnissen wie Eco kommt W. ISER, Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung, München 1976 . 1 D i e s entwickelt Eco im Anschluß an C.S. Peirce und die Theoretiker der Kommunikation, vgl. U. ECO, Lector, 61. 2 U. ECO, Lector, 65.

32

„Lector in Fabula "

Ein komplexer Text enthält eine große Menge dessen, was nicht gesagt wird; sie macht seine Komplexität aus. Das, was nicht gesagt wird, ist in den Text verwoben, und es ist die - vom Text vorgesehene - Aufgabe des Publikums, diese „Leerstellen" auszufüllen 1 . Diese Leerstellen läßt der Text teils aus ökonomischen Gründen, teils aus ästhetischen Gründen frei, d.h. etwas wird nicht gesagt, weil es unnötig ist (ökonomische Gründe), oder weil es das Textgefüge an dieser Stelle stören würde (ästhetische Gründe). In beiden Fällen wird hierbei die Mitarbeit des Publikums angeregt 2 . Je nach Menge und Art der Leerstellen ist ein Text auf eine Vielzahl von Interpretationen hin offen; j e nach Maß der interpretativen Freiheit, die ein Text läßt, lassen sich „offene" von „geschlossenen" Texten unterscheiden 3 . Der Text benötigt also ein Publikum, und er sieht es auch vor 4 . Dabei ist jeder Text für interpretierende Mitarbeit geeignet, sofern er über die Minimalbedingungen Agent, Verlauf und Handlung verfügt 5 . Das Publikum kommt in dieser Strategie zunächst als „Modell" vor, d.h. der empirische Autor des Textes hatte bei der Abfassung eine Art „Zielpublikum" vor Augen. Es soll über die Kompetenzen (Codes) verfügen, die der Text anwendet 6 . Doch gehen komplexe Texte darüber in aller Regel hinaus, indem sie an entscheidenden Stellen die Kompetenz des Publikums nicht voraussetzen, sondern sie erzeugen 7 . Die Rolle des Publikums ist also vom Text vorgesehen. An dieser Stelle überschneiden sich die Intention des Autors und des Werkes, was durchaus nicht immer der Fall ist8. Ein offener Text wird die Möglichkeiten von Konditionierung des Publikums und interpretativer Freiheit dosieren 9 . Das Publikum wird zur Interpretation ermutigt. Dabei richten sich die Interpretationsmöglichkeiten nach den Kompetenzen des Modell-Publikums; j e nach Kompetenz kön-

1

Zur „Leerstelle" vgl. auch W. ISER, Akt, 284ff. Vgl. U. ECO, Lector, 63f.: „Der Text ist... mit Leerstellen durchsetzt, mit Zwischenräumen, die ausgefüllt werden müssen; und wer den Text sendet, geht davon aus, daß jene auch ausgefüllt werden. Er läßt sie aus zwei Gründen leer. Zunächst und vor allem, weil ein Text ein träger (oder ökonomischer) Mechanismus ist, der von dem - vom Empfänger aufgebrachten - Mehrwert an Sinn lebt. (...) Und zweitens, weil mit dem Übergang von der beschriftenden zur ästhetischen Funktion ein Text nach und nach die Initiative zu seiner Auslegung dem Leser zu überantworten sucht ... Ein Text will, daß ihm jemand dazu verhilft zu funktionieren." 2

3 U. ECO, Lector, 64. 69f. Die Extreme lassen sich beispielhaft kennzeichnen durch eine Gebrauchsanweisung (geschlossener Text) und James Joyces „Ulysses" (offener Text). Wie offen oder geschlossen das Hiobbuch ist, wird sich zeigen müssen. 4 U. ECO, Lector, 65f.: „Einen Text hervorbringen, bedeutet, eine Strategie zu verfolgen, in der die vorhergesehenen Züge eines Anderen mit einbezogen werden." Vgl. dazu auch W. ISER, Akt, 61, der von der „Leserrolle" spricht, die dem Text inhärent ist. 5 U . ECO, Lector, 136f. 6 Das Modell-Publikum des Hiobbuches müßte mindestens über einige sprachliche, geographische und traditionsbezogene Kompetenzen verfügen: es muß Hebräisch verstehen, wissen wo das „Land U z " liegt und mit der Legende von Hiob (vgl. Ez 14,14) in Grundzügen vertraut sein. 7 U. ECO, Lector, 68. Diejenigen, die die Legende von Hiob nicht kennen, werden Hi 1,1 durchaus in den Stand versetzt, der Geschichte zu folgen. 8 Vgl hierzu U. ECO, Grenzen, 35-39. 9 DERS., Lector, 71: „Er (=der Autor) entscheidet ..., bis zu welchem Punkt er die Mitarbeit des Lesers kontrollieren muß, wo diese ausgelöst, wo sie gelenkt wird, und wo sie sich in ein freies Abenteuer der Interpretation verwandeln muß."

Text, Autor,

Publikum

33

nen einfache und komplexere Interpretationen hervorgebracht werden 1 . Die Rolle des Publikums ist bereits Teil der Textstrategie. Genau genommen gibt es zwei Arten des Modell-Publikums. Die erste Art wird den Text verstehen wollen (sog. „semantischer Leser"), die zweite reflektiert den Text auf seine Strategie hin (sog. „kritischer Leser"); komplexe literarische Texte setzen in der Regel beide Publikumstypen voraus 2 . Dabei steht neben der Intention des Werks und der des Autors, die Intention des Publikums (intentio lectoris), das j e nach seinen Kompetenzen im Text etwas sucht 3 . Hier berührt sich Ecos Modell mit stark leserorientierten Ansätzen; in Abgrenzung dazu hält Eco fest, daß der Text sein Publikum auch diszipliniert 4 . Diese Disziplinierung des Publikums hat Eco mit dem Begriff „Ökonomie" umschrieben 5 . Beim Autor ist der empirische Autor vom sog. „Modell-Autor" zu unterscheiden. Der empirische Autor ist der reale Verfasser des vorliegenden Werkes. Der Modell-Autor hingegen ist derjenige, der im Text sichtbar wird 6 . Jede Interpretation, die aus dem Text Rückschlüsse auf seinen Autor zieht, arbeitet mit dem Modell-Autor. Die Absicht des Werkes (intentio operis), d.h. das, was der Text sagt und die Absicht des Autors (intentio auctoris), d.h. das, was der Autor sagen will, sind dabei nicht deckungsgleich 7 ; zumal im Text in der Regel nur der Modell-Autor in Erscheinung tritt. Dieser ist eine Publikumshypothese, wie das Modell-Publikum eine Hypothese des empirischen Autors ist8. Sind die Publikumsvermutungen über den Modell-Autor auch relativ zuverlässig 9 , so ist doch der Autor als Interpretationshypothese nicht immer nötig, denn der Text ist auch ohne ihn aussagekräftig. Vermutungen über den Modell-Autor können zum Verständnis außertextlicher Gegebenheiten herangezogen werden; bei der Interpretation eines Textes ist der Verweis auf den Modell-Autor nur dann sinnvoll, wenn der Autor als Subjekt einer Äußerung im Text erkennbar wird. Dies ist durchaus nicht immer der Fall10.

1

U. ECO, Lector, 61 ff. U. ECO, Grenzen, 43 ff. 3 U. ECO, Grenzen, 3 5 ff. 4 U. Eco, Grenzen, 39; vgl. auch W. ISER, Akt, 63: „Textstruktur und Aktstruktur verhalten sich zueinander wie Intention und Erfüllung. Im Konzept des impliziten Lesers sind sie zusammengeschlossen." 5 U. ECO, Grenzen, 139ff. besonders 144: „Im Verlauf der unbegrenzten Semiose kann man von jedem Knoten des Netzwerkes zu jedem anderen gehen; aber dabei sind Regeln der Zusammenhangssetzung zu beachten, die die Geschichte unserer Kultur in gewisser Weise legitimiert hat". 6 U . ECO, Lector, 74ff. 7 U. ECO, Grenzen, 35f.; DERS., Lector, 79. 8 U. Eco, Lector, 76f.: „Auf der anderen Seite muß auch der empirische Leser - als konkretes Subjekt der verschiedenen Akte der Mitarbeit - einen hypothetischen Autor entwerfen, den er aus eben den Daten der Textstrategie deduziert. (...) Tatsächlich muß der Autor etwas postulieren, was noch gar nicht besteht ..., er muß dies zuerst in einer Reihe von Textoperationen realisieren. Der Leser hingegen kann seine Vorstellungen von etwas herleiten ..., das textuell als Äußerung gegenwärtig ist". 9 U. ECO, Lector, 77. 10 DERS., Lector, 79: „...daß ein Modell-Autor als Interpretationshypothese vorliegt, wenn dabei das Subjekt der Textstrategie, die aus dem zu untersuchenden Text sichtbar wird, eine Konfiguration eingeht, und nicht, wenn man hinter der Textstrategie ein empirisches Subjekt vermutet, das vielleicht die Absicht hatte, ... etwas anderes zu sagen als das, was der Text ... seinem Modell-Leser sagt. (...) Jedenfalls kann man die Bedeu2

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„Lector in Fabula "

Interpretation vollzieht sich also aufgrund der Bedingungen des Textes, der die Interpretation ermutigt und lenkt. Text, Autor und Publikum treten in eine Interaktion, bei der im Falle kritischer Leserschaft die Interaktion von den Gegebenheiten des Textes ausgeht. Dabei agiert das Publikum zum Teil in der Rolle des Modell-Publikums. Wird die Publikumsintention der Intention des Werkes übergeordnet, findet nicht Interpretation, sondern Gebrauch des Textes statt 1 . Dieser kann in vielfacher Form auftreten, unter anderem, indem der Text zum Rückschluß auf außertextliche Gegebenheiten genutzt wird. Die Exegese biblischer Texte befindet sich im Grenzbereich zwischen Interpretation und Gebrauch. Dabei wird die Analyse der Textstrukturen für den außertextlichen Gebrauch fruchtbar gemacht. Dieses Verfahren läßt sich mit Eco als „kritische Interpretation" beschreiben. Dabei geht eine interpretierende Mitarbeit dem Vollzug der Kritik voran und begründet diese 2 . Eco verweist darauf, daß jeder Text über nur eine Ebene verfügt, seine „lineare Manifestation", d.h. seine vorliegende Gestalt. Aus dieser ist die Textstrategie abzuleiten.

tungslast der Umfelder der Aussage nicht dadurch beseitigen, daß man dazu übergeht, Hypothesen über die Intention des empirischen Subjekts der Aussage zu formulieren, indem mag einen Modell-Autor identifiziert und damit festschreibt." 1 U. Eco, Lector, 73f.: „Ein Text ist nichts anderes als die Strategie, die den Bereich seiner ... Interpretationen konstituiert. Jede andere Entscheidung zu einem freieren Gebrauch des Textes entspräche einer Erweiterung des Diskursbereiches. Die Dynamik der unbegrenzten Semiose verhindert dies nicht, sondern ermutigt sogar dazu. Doch sollte man wissen, ob man die Semiose in Bewegung halten oder einen Text interpretieren will." Vgl. auch DERS., Grenzen, 47f. 2 U. Eco, Lector, 232: „Der Kritiker ist in diesem Fall ein mitarbeitender Leser, der nachdem er den Text aktualisiert hat - die eigenen kooperativen Schritte wiedergibt und dabei einsichtig macht, wie der Autor durch seine Textstrategie ihn dazu gebracht hat, auf eben diese Weise zu kooperieren. (...) Der Unterschied verläuft nicht zwischen Kritik und textueller Mitarbeit, sondern zwischen einer Kritik, welche die Modalitäten der textuellen Mitarbeit erzählt und fruchtbar macht und einer Kritik, die den Text zu anderen Zwecken ... verwendet."

Enzyklopädie, Ko-Text,

Aussage-Umfeld

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2.2 Enzyklopädie, Ko-Text, Aussage-Umfeld: Bedingungen der textuellen Mitarbeit Ein Text ist ein vielverzweigtes Netz, das an besonders privilegierten Stellen die Interpretation anregt1. Das Publikum orientiert sich in diesem Netz mit Hilfe der „textuellen Mitarbeit". Sie knüpft sich an zwei außertextliche Bedingungen, die Kompetenzen, nämlich eine Enzyklopädie und die Bestimmung von Aussageumfeldern. In beiden Fällen handelt es sich streng genommen um Kompetenzen des Modell-Publikums. Unter Enzyklopädie faßt Eco ein umfangreiches Wissen zusammen 2 . Die Enzyklopädie geht über bloßes linguistisches Wissen hinaus; sie umfaßt vielmehr die Kenntnis von Formen, Traditionen und „Ideologien", die mit dem Gebrauch der Sprache verbunden sind3. Das ungeheure Repertoire an Wissen, das ein Publikum mitbringen muß, um einen Text zu lesen4, erklärt die Vielfalt der möglichen Interpretationen eines Textes und gleichzeitig deren Begrenzung: Was in der Enzyklopädie nicht vorgesehen ist, kann auch nicht in den Text hineingelesen werden, wenn das Publikum im Rahmen der Intention des Werkes bleiben will. Teilbereiche der Enzyklopädie verweisen auf bestimmte Anwendungsbereiche der Sprache, die sog. Kontexte. Sie geben mögliche Interpretationswege vor, indem sie dem jeweiligen sprachlichen Ausschnitt einen linguistischen, semantischen und traditionsbezogenen Hintergrund geben 5 . Dabei ist zu berücksichtigen, daß jeder Kontextausschnitt in einem neuen Text angewandt wird, dem sog. Ko-Text. Unter Ko-Text versteht man den vorliegenden, zu interpretierenden Text, in dem Kontexte in ausschnittartiger, zum Teil auch völlig neuer Weise angeordnet werden 6 .

1

U. Eco, Lector, 83: Der Text ist ein „System aus Knotenpunkten oder Verknüpfungen (oder 'Gelenkstellen')...; man wird angeben müssen, an welchen dieser Knotenpunkte die Mitarbeit des Modell-Lesers angeregt, wo sie stimuliert wird." 2 U. Eco, Lector, 94: „Um die diskursiven Strukturen zu aktualisieren, stellt der Leser die lineare Manifestation dem Regelsystem gegenüber, wie es von der Sprache, in der der Text geschrieben ist, und von der enzyklopädischen Kompetenz, auf die die Sprache aufgrund der kulturellen Traditionen verweist, vorgesehen ist." 3 U. Eco, Lector, 95ff. Die detaillierte Aufgliederung enzyklopädischen Wissens in Szenographien, Frames und Topoi würde hier zu weit führen. Außerdem sind diese Termini in der Exegese nicht geläufig. Sie umfassen prinzipiell das, was in der Exegese als Formen, Gattungen, Traditionen und Motive bezeichnet wird. Ich werde im folgenden die exegetische Terminologie beibehalten. 4 Und in aller Regel auch - unbewußt - mitbringt, wenn es sich um einen muttersprachlichen Text handelt. 5 Sog. „kontextuelle Selektion": U. Eco, Lector, 17f. 96f. 6 U. Eco, Lector, 18: „Eine kontextuelle Selektion verzeichnet die allgemeinen Fälle, in denen ein Begriff in Begleitung ... mit anderen Termini auftritt, die zu demselben semiotischen System gehören. Wenn dieser Begriff dann konkret mit anderen Begriffen kookurriert ... - genau dann haben wir einen Ko-Text. In den kontextuellen Selektionsverfahren sind mögliche Kontexte vorgesehen; wenn sie realisiert werden, so werden sie in einem Ko-Text realisiert."

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Kontext und Ko-Text stehen in einem interdependenten Verhältnis 1 . Die Umfelder der Aussage sind j e nach Textart unterschiedlich. Sie enthalten Informationen über das Ziel des Textes und seine (historische) Umgebung. Hierbei muß das Publikum außertextliche Entscheidungen zu Hilfe nehmen 2 . Bei der Interpretation „historischer" Texte ist dies sogar unabdingbar3.

Greifen auch Enzyklopädie und die Bestimmung von Aussage-Umfeldern auf ein außertextliches Wissen zurück, so ist ihre Anwendung doch vom Text und aus dem Text angestoßen 4 . Text und außertextliche Kompetenz bedingen und regulieren sich gegenseitig. Im Falle der Interpretation biblischer Texte ist ein großer Teil interpretierender Mitarbeit auf außertextliche Entscheidungen angewiesen, da das exegetische Publikum sich zeitlich, räumlich und damit enzyklopädisch in einem erheblichen Abstand zum Modell-Publikum befindet. Hier liegen Probleme der Anwendbarkeit des Eco'schen Ansatzes auf die Exegese, auf die zurückzukommen sein wird 5 . Eine einmal getroffene Entscheidung über Enzyklopädie oder AussageUmfeld muß gegebenenfalls revidiert werden, wenn der Text dies in seinem Verlauf nahelegt. Weiterhin wird bei einer Entscheidung aufgrund enzyklopädischer oder historischer Kompetenz aus den vielen Interpretationsmöglichkeiten nur ein Ausschnitt abgerufen, während andere Möglichkeiten - vorläufig - „narkotisiert" werden 6 , bis sie vom Ko-Text möglicherweise abgerufen werden. Der Hinweis auf Kontexte und Ko-Texte ist für die Interpretation biblischer Texte besonders hilfreich. Er erlaubt einen Zugang zum Phänomen der Intertextualität 7 : Im biblischen Text wird durch Ausdrücke, Formen, Motive und Traditionen auf andere Texte verwiesen,

1

U. ECO, Lector, 18f.; Beispiel in U. ECO, Grenzen, 141 f. U . ECO, Lector, 9If. 3 U. ECO, Lector, 92: „...wenn man etwa versucht, in einem Text, der in einer länger zurückliegenden Epoche geäußert worden ist, die ursprüngliche raumzeitliche Situation zu rekonstruieren, allein um zu erfahren, auf welche Art von Enzyklopädie man dabei zurückgreifen muß." 4 U. ECO, Lector, 92. 5 Kurz gesagt liegt das Problem darin, daß biblische Texte immer gleichzeitig auch die Quelle ihres kulturellen Interpretationsrahmens sind, vgl. M. STERNBERG, The Poetics of Biblical Literature. Ideological Literature and the Drama of Reading, Bloomington/Ind. 1985, 16ff. 6 U. ECO, Lector, 108. 7 Zum komplizierten Phänomen der Intertextualität, das hier nur auf das innerbiblische Verhältnis von Texten und Traditionen angewandt wird vgl. G. AICHELE/G.A. 2

PHILIPS, E x e g e s i s 7 f f .

Stukturen des Textes

37

die d e n Interpretationsrahmen b i l d e n k ö n n e n 1 . D i e s e r wird v o m K o - T e x t definiert. M i t d i e s e n H i n w e i s e n ist i n d e s bereits der V o r g a n g der t e x t u e l l e n Mitarbeit a n g e s p r o c h e n .

2.3 Strukturen des Textes: Die textuelle Mitarbeit Hat der T e x t auch nur eine E b e n e , s e i n e „lineare Manifestation" 2 , so sind d o c h innerhalb d i e s e r E b e n e u n t e r s c h i e d l i c h e textstrategische Strukturen m i t e i n a n d e r verknüpft 3 . E s w u r d e bereits f e s t g e s t e l l t , daß e s potentiell u n e n d l i c h v i e l e I n t e r p r e t a t i o n s m ö g l i c h k e i t e n e i n e s T e x t e s gibt. D i e A k t u a lisierung einiger d i e s e r M ö g l i c h k e i t e n wird d e m P u b l i k u m durch die Textstrategie n a h e g e l e g t . Hierbei l a s s e n s i c h u n t e r s c h i e d l i c h e Strukturen d e s T e x t e s f e s t s t e l l e n , a u f d i e das P u b l i k u m reagiert; sie l a s s e n s i c h in z w e i K a t e g o r i e n einteilen: diskursive und narrative Strukturen. Diskursive Strukturen lassen Schlüsse darauf zu, worum es im Text „geht", auf den Topic*. Der Topic ist im Text angelegt, aber nicht unbedingt konkret darin enthalten. Er beeinflußt die weitere Lektüre 5 . Die Ableitung des Topic vollzieht sich aufgrund semantischer Phänomene innerhalb des Textes, die Eco mit Hilfe des textsemantischen Begriffs „Isotopie" zusammenfaßt 6 . Überschriften, Schlüsselworte, aber auch Formen, Traditionen und Motive können als diskursive Strukturen erkannt und zur Vermutung über den Topic (des Satzes, des Kapitels, des ganzen Buches) herangezogen werden 7 . Dabei haben die diskursiven Strukturen eine Doppelfunktion hinsichtlich des Publikums. Sie veranlassen es zum einen zu textinternen Schlußfolgerungen: wie es weitergehen könnte, welche Art von Text hier vorliegt usw. D.h. diskursive Strukturen fuhren zur Erkenntnis narrativer Strukturen. Indem sie zum anderen Vermutungen über den Topic anregen, geben sie Hinweise, wie der Text zu lesen ist, sie lassen Entscheidungen über Kontexte und Ko-

1 Der Sprung vom Ko-Text in den Kontext und umgekehrt kann sowohl linguistische als auch literarische Sachverhalte betreffen. Dies zieht eine eklektische Methodik nach sich, die als „Intergese" bezeichnet wird: G. ALCHELE/G.A. PHILIPS, Exegesis, 14. Ähnlich R. BOER, Christological Slippage and Ideological Structures in Schwarzenegger's Terminator, in: G. Aichele/G.A. Philips (Hg.), Intertextuality and the Bible: Semeia 69/70 (1995), 165-193, der mit dem von Jameson übernommenen Begriff „transcoding" operiert (166). 2 U. ECO, Lector, 88. 3 U. ECO, Lector, 89 (Graphik). 4 Zum Begriff des Topic als Präzisierung von „Thema" vgl. U. ECO, Lector, 25f. 109f. Außer in dieser Darstellung wird der - in der Exegese ungebräuchliche - Begriff nicht weiter Verwendung finden. Hier ist er zur Präzisierung des Vorgangs hilfreich. 5 U . ECO, Lector, 114. 6 U . ECO, Lector, 115f. 7 U . ECO, Lector, 117. 127.

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Texte zu 1 . Diskursive Strukturen erlauben eine einheitliche Lektüre und sind in der Regel eindeutig 2 . Narrative Strukturen gliedern den Verlauf eines Textes; aus ihnen ergibt sich die eigentliche Textstrategie. Narrative Strukturen verwandeln die diskursiven Strukturen in ein vielschichtiges Geschehen, in dem - zumindest - Personen, Zeit und Raum eine Rolle spielen. In aller Regel erweitern die narrativen Strukturen die diskursiven 3 bzw. umgekehrt: Die Zusammenfassung der diskursiven Strukturen ist ein Substrat der narrativen 4 . Diskursive Strukturen garantieren einen konstanten und kohärenten Sinnverlauf, doch die narrativen Strukturen entscheiden, was für den ermittelten Topic relevant ist oder nicht, und was ihn möglicherweise in Frage stellt 5 . Narrative Strukturen lassen sich weiter differenzieren. Die grundlegenden narrativen Strukturen sind die sog. „erzählenden Strukturen", mit denen die prinzipiellen Bedingungen eines narrativen Textes festgelegt werden: eine Handlung, ein Agent, Raum und Zeit der Handlung usw. 6 Eine weitere Differenzierung narrativer Strukturen stellen die „aktantiellen Strukturen" dar, bei denen in den Akteuren Darstellerrollen oder erzählerische Funktionen verkörpert sind, die das Publikum als solche wahrzunehmen h a t 7 . Schließlich können die narrativen Strukturen in „ideologische Strukturen" ausdifferenziert werden, bei denen das Wertesystem des Textes transparent wird 8 . Alle Arten narrativer Struktur sind untereinander vernetzt 9 . Die „Summe" aller erzählenden Strukturen ist die sog. Fabel10, d.h. die größtmögliche erzählerische Isotopie".

Das Verhältnis von diskursiven und narrativen Strukturen läßt sich auf die Formel bringen „Worum es geht, verbirgt sich hinter dem, was vorgeht". Eine Erzählung konstituiert sich durch Agenten, Handlung und Verlauf 12 . Es hängt vom vorausgesetzten Modell-Publikum ab, inwiefern es diese

' U . ECO, Lector, 118ff. U. ECO, Lector, 127. Im Hiobbuch sind beispielsweise die jeweiligen Redeeinleitungen eindeutig als diskursive Strukturen erkennbar. Sie zeigen an, daß der folgende Text eine Rede ist, mit der Person A auf die vorangegangene Rede von Person B reagiert. Dies ist ein relativ einfacher Fall diskursiver Struktur. Die Rückführung bestimmter Redenteile auf alttestamentliche Formen und Gattungen ermöglicht eine einheitliche HiobLektüre. Fast alle Hiob-Analysen setzen den Schwerpunkt auf diskursive Strukturen. 3 U . ECO, Lector, 129. 4 U . ECO, Lector, 128f. 5 U. ECO, Lector, 131. 6 U . ECO, Lector, 135ff. 7 U . ECO, Lector, 220ff. 8 U. ECO, Lector, 223: „Eine ideologische Struktur manifestiert sich, wenn ... ein Aktantengerüst mit Werturteilen ausgestattet wird und die Rollen axiologische Gegensätze beinhalten wie Gut und Böse, Wahr und Falsch (oder auch Leben und Tod, Natur und Kultur), wobei der Text seine Ideologie sozusagen in Filigran darbietet." 9 U. ECO, Lector, 220. 10 U. ECO, Lector, 128. 11 U. ECO, Lector, 130. 12 U. ECO, Lector, 136f. Es handelt sich hierbei um die Minimalbedingungen einer Erzählung. 2

Stukturen des Textes

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Struktur als erzählerisch befriedigend empfindet 1 . Die narrativen Strukturen ermöglichen die interpretierende Mitarbeit als Voraussagen über den weiteren Verlauf der Geschichte in vielen Variationen 2 bis hin zur Vermutung über „Welten" 3 . Hierbei spielt das Moment der Spannung eine wesentliche Rolle. Das Publikum kann in seinen Erwartungen bestätigt oder enttäuscht werden, wobei sowohl das Herbeiführen einer bestimmten Erwartung als auch ihre Erfüllung oder Enttäuschung die Strategie des Textes ausmachen. Die Erwartungen und Vermutungen des Publikums richten sich nach seinen Kompetenzen. Dabei wird im Verlauf der Lektüre das strategische System des Textes immer transparenter, je mehr sich das Publikum auf die Textstrategie einläßt und mitspielt, bis am Schluß eine vollständige und kohärente - wenn auch häufig modifizierte - Interpretation des Textes vorliegt 4 . Die interne Kohärenz des Textes wird erkennbar, so daß plausible, von weniger plausiblen Interpretationen unterschieden werden können 5 . An jeder Stelle, an der die Mitarbeit des Publikums angeregt wird, wird eine Leerstelle des Textes gefüllt. Das Publikum sagt das, was der Text nicht sagt. In der kontinuierlichen Füllung der Leerstellen, in der prozessualen Angleichung der Interpretationshypothesen aneinander und in der Verknüpfung der textstrategischen Strukturen zu einem System verleiht das Publikum dem Text seinen „Mehrwert an Sinn". Eco weist nach, daß annähernd jeder Text in eine Erzählung aufgelöst werden kann 6 . Die Erzählung läßt Schlüsse auf weitere Strukturen sowohl im Text als auch dahinter zu.

1

U. ECO, Lector, 138. Sog. Wahrscheinlichkeitsdisjunktionen und inferentielle Spaziergänge: U. ECO, Lector, 140ff. 3 Zum Konzept der „Welt" vgl. U. E c o , Lector, 154ff.; und DERS., Grenzen, 256ff. Die Arbeit mit der „möglichen Welt" gehört wesentlich zur Interpretationsarbeit; im Sinne eines exegetischen Gebrauchs des Textes liegt sie zu weit ab von der vorliegenden Fragestellung. 2

4 Vgl. B. WEBER, Ps 77, 15: „Im Lektüreverlauf kommt es zu einer ständigen Modifikation des Blickpunktes, der immer neu justiert wird, bis er zum Schluß mit dem über die Vorstellungssequenz konstituierten Sinn zusammenfallt, wodurch dann ... der Leser endgültig im Text bzw. in der Welt des Textes ist." 5 Es dürfte deutlich geworden sein, daß ein literarischer Text nicht nur eine einzige plausible (oder „richtige") Interpretation anregen will, sondern eine ganze Reihe. Trotzdem läßt der Text durch sein strategisches System nicht alle Interpretationen zu, vielmehr lassen sich Fehlinterpretationen - die im Textsystem durchaus vorgesehen sein können zuverlässig erkennen, vgl. dazu U. Eco, Grenzen, 51 ff. 77f. 6 U . ECO, Lector, 132-134.

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2.4 „Lector in Biblia": Zusammenfassung und Ergebnis Ecos Ansatz legt eine theoretische Begründung der Interpretation vor, die zwischen extremer Text- und extremer Leserorientierung einen Mittelweg wählt. Im Hinblick auf die altttestamentliche Exegese - und besonders auf die Exegese komplexer Texte wie des Hiobbuches - ist dieser Ansatz m.E. von großem Interesse. Er erlaubt die gleichzeitige Wahrnehmung eines biblischen Textes als Text mit seinen eigenen Gesetzen und eine kritische Lektüre, indem das Publikum das Spiel mitspielt, das der Text vorschlägt und dessen Regeln aus dem Text selbst hervorgehen1. Dabei ist ein Text vielschichtig und bietet nahezu unendlich viele Interpretationsmöglichkeiten, doch er entzieht sich interpretativer Willkür, indem die interne Kohärenz des Textes seine Interpretationsbedingungen festlegt. Nach dem Durchgang durch eine moderne Texttheorie ergibt sich indes das Problem, wie sie auf biblische Texte anwendbar ist. Im Hinblick auf die Hiob-Exegese stellt sich die Frage, wie im Hiobbuch diskursive und narrative Strukturen erkannt und für eine kritische Interpretation fruchtbar gemacht werden können. Anders als in vielen anderen Bereichen alttestamentlicher Literatur sind im Hiobbuch die narrativen Gesetze des Genres nicht bekannt und müssen aus dem Text selbst abgeleitet werden. Damit ist ein Problem angesprochen, das sich schon im Durchgang durch den Eco'schen Zugang andeutete: Enzyklopädische und andere Kompetenzen sind häufig nur durch den Text selbst (und den Vergleich mit anderen alttestamentlichen Texten) zu erwerben. Damit ergibt sich die Schwierigkeit eines doppelten Zugangs zu den Texten. Man muß gleichermaßen „historisch" und als Modell-Publikum arbeiten2. Von hier aus läßt sich für eine 1 Viele der vom Publikum unternommenen Aktualisierungen, besonders der Auswahlprozeß von Interpretationsmöglichkeiten, laufen unbewußt ab und sind im Grunde selbstverständlich. Indem Eco sie detailliert darstellt - was an einigen Stellen fast banal erscheinen mag - wird aber deutlich, daß in jedem Text eine Strategie steckt, selbst in Texten die nicht-erzählend oder nicht-literarisch sind oder auch einer völlig anderen Kultur als der unseren entstammen. 2 Vgl. M. STERNBERG, Poetics, 16: „For better or worse, most of our information is culled from the Bible itself, and culling information entails a process of interpretation, where source abjectly waits on discourse. There is no escaping this necessity ...There is simply nothing here to be positive about - no, or almost no, facts concerning the sources of the Bible apart from those we ourselves make by inference from the Bible as source. The movement from text to reality cannot but pass through interpretation." Tatsächlich ist gerade der erzähltheoretische Entwurf von Sternberg auffallend dicht an Ecos Theorie, jedoch nicht explizit von ihm beeinflußt, vgl. dazu das Programm der Monographie M. STERNBERG, Poetics, 2f.: „What goals does the biblical narrator set himself? What is it he wants to communicate in this or that story, cycle, book? What kind of text is the Bible, and what role does it perform in context? These are all variations on a fundamental

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Hiob-Exegese plädieren, die eine kritische Lektüre mit exegetischen Fragestellungen vereint und die beiden Disziplinen im Lektüreprozeß miteinander vernetzt1. Dabei versorgt ein eher „historischer" Zugang mit dem nötigen kontextuellen Verständnis, wohingegen ein „literarischer" Zugang den Schwerpunkt auf die jeweilige ko-textuelle Aktualisierung setzen wird2. Die Ergebnisse der alttestamentlichen Exegese, insonderheit die Ergebnisse der Hiobforschung, die im vorigen Abschnitt exemplarisch dargestellt worden sind, sollen in diesen Zugang einbezogen werden. Zusätzlich liefert Ecos Interpretationsmodell eine Möglichkeit, die innere Differenziertheit des Hiobbuches wahrzunehmen und interpretierend zu nutzen. Auf folgende Einzelwahrnehmungen des referierten Ansatzes im Hinblick auf die Hiob-Exegese ist besonders hinzuweisen: -

Die kritische Interpretation eines Textes kann unabhängig von Vermutungen über den Autor stattfinden. Der „Modell-Autor" ist als Interpretationshypothese nicht zwangsläufig notwendig3. Mit dieser „Entpersonalisierung" der Hiob-Interpretation wird eine Wahrnehmung des Textes möglich, die sämtlichen Stimmen der Dichtung den Stellenwert ernstzunehmender theologischer Entwürfe gibt, ohne sie von vornherein durch die Identifikation mit Positionen, die der „Autor" vertritt oder ablehnt, zu präjudizieren4.

question that students of the Bible would do well to pose loudly and sharply: the question of the narrative as a functional structure, as a means to a communicative end, a transaction between the narrator and the audience on whom he wishes to produce a certain effect by way of certain strategies. Like all social discourse, biblical narrative is oriented to an adressee and regulated by a purpose or a set of purposes involving the adressee. Hence our primary business as readers is to make purposive sense of it, so as to explain the what's and the how's of communication in terms of the why's of communication (...)". Was Sternberg für die alttestamentliche Erzählung ermittelt, gilt auch für das Hiobbuch. 1

2

Vgl. hierzu M. STERNBERG, Poetics, 14-16.

Sternberg unterscheidet zwei Zugänge zu biblischen Texten: den quellenorientierten („Source-oriented": M. STERNBERG, Poetics, 14f.) d.h. die historisch-kritische Methode, und den diskursorientierten („Discourse-oriented": 15f.). Der Unterschied der beiden resultiert aus ihrer Fragestellung, bzw. ihrem Objekt. Dabei macht er gegen die historisch-kritische Exegese geltend, daß die Kenntnis ihres Objekts - der biblischen Welt zum größten Teil einer kritischen Lektüre der Texte entspringt, daß also quellenorientierte Lektüre auf diskursorientierte angewiesen ist. Dabei hängt es von der jeweiligen Fragestellung ab, welcher Zugang die vordergründige Priorität besitzt (17ff.). 3 Vgl. dazu oben Kap. 2.1. 4 Tatsächlich wirft eine Hiob-Lektüre, die sich am Autor und seiner hypothetischen Intention orientiert, Fragen auf. Der Verweis auf „den Dichter" - der sich angeblich hinter der Person Hiobs verbergen soll - ist ein Stereotyp der Literatur, vgl. V. MAAG, Hiob, 9; C. WESTERMANN, Aufbau, 29; K. DELL, Book of Job, 184ff.; M. KRIEG, Todesbilder,

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-

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Das Hiobbuch verfügt über die Minimalbedingungen eines erzählenden Textes: Akteure, Handlung, Verlauf, Raum und Zeit1. Es läßt sich also als Erzählung wiedergeben. Von hier aus läßt sich die Einheit des Hiobbuches in seiner Anlage aus Erzählung und Dialogdichtung wahrnehmen und interpretieren. Dabei werden - bereits vor dem Rückgriff auf die verwendeten Formen - Handlungs- und Geschehenselemente erkennbar, die auf narrative und diskursive Strukturen schließen lassen. Der Verlauf der Hiob-Dichtung ist nicht von vornherein durch die Verwendung eines alttestamentlichen Traditionsbereichs konstituiert2. Der Verweis auf das Verhältnis von Kontext und Ko-Text3 ermöglicht eine Wahrnehmung des Umgangs des Hiobbuches mit der Tradition. Die verwendeten alttestamentlichen Formen und Traditionen stellen in diesem Fall die Kontexte dar, die das Hiobbuch als Ko-Text in eigenständiger Zuordnung realisiert. Damit wird die theologische Differenziertheit des Hiobbuches erkennbar; eine einseitige form- bzw. traditionsgeschichtliche Zuordnung wird ausgeschlossen. Die dem HiobDialog inhärente Dramaturgie bestimmt die Verwendung von Formen und Motiven4. Jedoch darf die Zuweisung einer im Hiob-Dialog verwendeten Form zu ihrem primären Kontext nicht vorschnell suspendiert werden. Eine Form bzw. ein Motiv ist ein Ausschnitt eines bestimmten literarisch-theologischen Entwurfs. Auch bei der Verwendung außerhalb ihres primären Kontextes ist der primäre bzw. ursprüngliche Kontext als Deute- und Verstehenshorizont anwesend und bestimmt in erheblichem Maße die Interpretation mit5. So läßt sich ein Zugang zu intertextuellen Verweisen des Hiobbuches gewinnen, d.h. es

328. Hierbei wird der Verweis auf den Autor, weil von persönlichen Vorlieben und Prämissen über „das Hiobproblem" abhängig, problematisch. Meist versagt diese Identifikation denn auch bei Stellen, die unbequem erscheinen. Zudem wird häufig nicht berücksichtigt, daß der Dichter des Hiobbuches der Autor des gesamten Textes ist, d. h auch der Freundesreden und der Gottesrede, vgl. dazu H.-J. HERMISSON, Weisheit, 178; J. EBACH, Gott, 163. 1 Vgl. dazu oben Abschnitt 2.3. 2 In den Entwürfen von Westermann, Richter und Perdue (vgl. oben Kap. 1.2; 1.3) wird der Geschehenscharakter der Hiob-Dichtung aus der zugrundegelegten alttestamentlichen Gattung abgeleitet, so daß das ablaufende Geschehen von vornherein durch einen bestimmten Verlauf konditioniert ist. 3 Vgl. dazu oben Abschnitt 2.2. 4 N . HABEL, OTL, 46f.; V. MAAG, Hiob, 99; G. FOHRER, Form, 62f. 5 Vgl. zu Szenographien und Topoi in ihrem Verhältnis zum Kontext U. ECO, Lector, 98ff. Wie Einzelmotive bzw. Formen ihren jeweiligen Kontext repräsentieren, beschreibt M. KRIEG, Todesbilder, 189-194. 205-211. 2 4 2 - 2 5 0 (Weisheit); 333-351. 4 0 1 - 4 1 2 (Kult).

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findet sich ein externer Interpretationshorizont'. Binnentextlich sind die verwendeten Formen und Motive als Isotopien2 zu bezeichnen, an denen die Textstrategie deutlich wird, d.h. ihre neue (ko-textuelle) Anordnung bestimmt diskursive und narrative Strukturen des Textes nach innen. Interpretierende Mitarbeit ist ein komplexer Prozeß, der erst mit dem Ende der Lektüre abgeschlossen ist. Das Hiobbuch ist ein komplexer Text, dessen Dynamik nicht linear ist und dessen Lektüre eine gewisse Geduld verlangt. Nicht jede Textpassage ist von vornherein eindeutig, manche Elemente des Hiobbuches werden erst im Lichte späterer Entwicklungen transparent und plausibel. Mit Hilfe der - noch zu ermittelnden - Textstrategie können Sperrungen, Lücken, Quer- und Rückbezüge des Hiobbuches deutlich werden.

-

In neuester Zeit sind publikumsorientierte Ansätze auch in die Hiob-Exegese aufgenommen worden. Hierbei ragen vor allem zwei Arbeiten hervor. Die Monographie von Michael Cheney3 will der Technik und Struktur der Charakterisierungen im Hiobbuch nachgehen. Diese sind für Cheney Schlüssel zu Gestalt und Gehalt des Textes 4 . Dies geschieht in dezidierter Antithese zu diachronen Fragestellungen der Exegese 5 ; statt dessen geht Cheney von Ansätzen des „higher criticism" und der Informationstheorie aus6. Von hier aus wird die inhärente Differenziertheit des Hiobbuches in den Blick genommen, die sich vor allem in unterschiedlichen Charakterisierungen der Akteure niederschlägt. Alle Handelnden - JHWH, Hiob und die Freunde - erfahren eine je unterschiedliche Charakterisierung in der Rahmenerzählung und in der Dialogdichtung 7 , die jeweils zueinander in Korrelation zu setzen sind. Cheney bestimmt das Hiobbuch von dieser grundsätzlichen Differenz her als „frame tale", zu dessen Strategie die Differenz zwischen „frame" und „core" gehört 8 . Das textstrategische Netz, in dem sich das Publikum des Hiobbuches zu orientieren hat, wird durch strukturelle Regelmäßigkeiten gespannt, die bis in die Satzsyntax hineinreichen; dabei lassen sich typische Charakteristika jedes einzelnen Akteurs ermitteln 9 . Bei der Lektüre ist das Publikum in differenzierter Weise gefordert. Cheneys Entwurf ist vor allem für die Bestimmung des Verhältnisses von Rahmenerzählung und Dialogdichtung des Hiobbuches besonders hilfreich; darüber hinaus werden Strukturen des Dialogs in plausibler Weise erkennbar gemacht. Allerdings bleibt Cheney sehr stark an der Oberfläche des Textes. Die bewußte 1

Dies entspricht im Wesentlichen den formgeschichtlichen Zugängen, vgl. oben Kapitel 1.2. 2 Zur Isotopie s. oben Kap. 2.3. 3 M. CHENEY, Dust. 4 M. CHENEY, Dust, If.: „It should be noted that ...variation in character portrayal is quintessential to the complex structure and meanings of the work as a whole." 5

6

M . CHENEY, D u s t , 1 5 - 2 3 .

M. 7 M. 8 M. 9 M.

CHENEY, Dust, CHENEY, Dust, CHENEY, Dust, CHENEY, Dust,

9-19. 2 passim. 25ff. 175ff.

44

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Ausblendung des diachronen Aspekts führt m.E. zu Fehlgewichtungen in der Struktur des Hiobbuches. Die verschiedenen Arbeiten von David Clines zum Hiobbuch 1 beziehen die Rolle des Publikums in die Exegese mit ein2; dabei versucht Clines einen Ausgleich zwischen klassischer historisch-kritischer Bibelexegese und neueren Texttheorien 3 . Allerdings tritt dabei zum Teil der (Modell-)Autor an die Stelle dessen, was die genuine Textstrategie ist4. Im Großen und Ganzen wird in Clines' Arbeiten die Interaktion zwischen Text und Publikum jedoch in anregender Weise deutlich. Auf Clines' Einzelergebnisse wird im Verlauf dieser Arbeit mehrfach einzugehen sein5. Weitere von neuerer und neuester Literaturwissenschaft bis hin zur deconstruction beeinflußte Hiob-Exegesen sind derzeit noch wenig rezipiert und gehen wegen der extremen Leserorientierung, mit der ein antiker Text m.E. überfrachtet sein dürfte, nicht in diese Arbeit ein6.

Die Texttheorie von Eco leistet wertvolle Hilfe bei der Wahrnehmung biblischer Texte7. Sie erlaubt vor allem die Begründung eines methodisch pluralen exegetischen Ansatzes. Im folgenden soll eine derart textstrategi1 D. CLINES, Why is there a Book of Job and what does it do to you if you read it?, in: W.A.M. Beuken (Hg.), The Book of Job, 1-20; The Arguments of Job's Three Friends, in: D.J.A. Clines/D.M. Gunn/A.J. Hauser (Hg.), Art and Meaning: Rhetoric in Biblical Literature, 1982 (JSOT.S 19), 199-214; Job 5,1-8: A New Exegesis: Bibl 62 (1981), 185194; False Naivety in the Prologue to Job, in: R. Ahroni (Ed.), Biblical and Other Studies in memory of S.D. Goitein, 1985 (HAR 9), 127-136; Job 4,13: A Byronic Suggestion: ZAW 92(1980), 289-291. Die Einzelergebnisse dieser Arbeiten sind zusammengefaßt in Clines' HiobKommentar (D. CLINES, Job 1-20, 1989 (WBC 17)), dessen zweiter Teil bei Abschluß dieser Arbeit noch nicht vorlag. 2 Vgl. besonders D. CLINES, Why is there a Book of Job, 14-20. 3

4

V g l . D . CLINES, W h y is t h e r e a B o o k o f J o b , I f . ; DERS., W B C , lvi f f .

D. CLINES, Why is there a Book of Job, 5ff. 5 Soweit ich sehen kann, fehlt in den Entwürfen von Clines eine grundlegende Klärung der literaturwissenschaftlichen und texttheoretischen Ausgangspositionen. 6 Vgl. exemplarisch zu den Monographien von D.W. Cotter und D. Penchansky: J. v. OORSCHOT, Tendenzen, 381-383. 7 Ecos Entwurf ist von theologischer Seite nicht unwidersprochen geblieben. Es wird ihm u.a. die Ausblendung außertextlicher Wirklichkeit vorgeworfen. Bieritz entdeckt bei Eco eine „atheistische Theologie" (K.-H. BIERITZ, Umberto Eco. Umrisse einer atheistischen Theologie: DtPfrBI 89 (1989), 299-301, 299ff.); an die Textsemiotik wird die Frage nach der Wahrnehmung des Offenbarungscharakters biblischer Texte gerichtet (B. WEBER, PS 77, 15). Eine vollständige Diskussion der hermeneutischen Implikationen des Eco'schen Ansatzes würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Es ist jedoch erneut darauf hinzuweisen, daß die Interpretation eines (biblischen) Textes seitens des Textes durch die Strategie diszipliniert wird, die längst nicht alle Interpretationen zuläßt, seitens des Publikums von dessen Kompetenzen und dessen Intention. Gehört zur Publikumsintention die Wahrnehmung des Offenbarungscharakters eines Textes, so konditioniert dies die Lektüre in durchaus zulässiger Weise, vgl. dazu U. Eco, Grenzen, 119ff.

„Lector in Biblia "

45

sehe Interpretation des Hiobbuches vorgenommen werden, bei der die Textstrategie sowohl bei der Entdeckung des „Hiob-Problems" als auch bei der Wahrnehmung der Gestalt des Hiobbuches zur Anwendung kommen soll.

Kapitel 3

Stationen der Hiobtradition: Zur Überlieferung und Textgestalt des Hiobbuches Wie viele Bücher des Alten Testaments ist auch das Hiobbuch eine in mehreren Schritten gewachsene Texteinheit. Dabei sind die meisten Zuwächse, Erweiterungen und Fortschreibungen des Grundbestandes so planvoll und kongenial in den Grundbestand eingearbeitet, daß eine Trennung des „ursprünglichen" Textes von seinen Erweiterungen kaum sicher möglich ist1. Es läßt sich indes mit guten Gründen annehmen, daß der größte Teil der Hiob-Dichtung 2 das Werk einer Hand ist, dessen Interpretation durch Fortschreibung an strategisch herausgehobenen Punkten des Textes stattfand. Dabei ist jedoch auch der Grundentwurf der Hiob-Dichtung bereits das Ergebnis einer interpretierenden Auseinandersetzung mit einem schriftlich vorliegenden Text. Um die narrative Struktur des Hiobbuches erhellen zu können, ist die Untersuchung der Genese der Textgestalt unumgänglich. Es soll hier also nach dem Grundentwurf der Hiob-Dichtung gefragt werden; nach der Gestalt, die den Ausgangspunkt für größere Erweiterungen bildet. Die spätere Exegese wird auf der Basis dieses ermittelten Grundbestandes stattfinden. Bei der Analyse der in Frage kommenden Textkomplexe wird auf das methodische Instrumentarium der Literarkritik zurückgegriffen 3 . Innerhalb der Hiobexegese nimmt die Analyse des Textbestandes einen breiten Raum 1 Vgl. S. WAGNER, Theologischer Versuch über Ijob 42,7a-9(10a), in: Hausmann, J./Zobel, H.-J. (Hg.) Alttestamentlicher Glaube und Biblische Theologie. Festschrift für Horst-Dietrich Preuß zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1993, 216-224, 216. 2 Eine Anmerkung zur Terminologie soll die weitere Zuordnung der einzelnen Teile des Hiobbuches erleichtern: Als Hiob-Novelle bzw. Hiob-Erzählung wird im folgenden der Grundbestand der alten Hiob-Überlieferung bezeichnet (Hi 1-2*; 42,7-17*, vgl. das vorige Kapitel dieser Arbeit). Für ihre Funktion als Prolog/Epilog der Dialogdichtung also in ihrer überarbeiteten Fassung - gilt die Bezeichnung Rahmen. Hi 3-42* werden im folgenden als Dialogdichtung erfaßt; unter Hiob-Dichtung soll der Grundentwurf des Hiobbuches in seiner Anlage aus Prolog - Dialog - Epilog verstanden werden. 3 Vgl. dazu G. FOHRER u.a., Exegese des Alten Testaments. Einführung in die Methodik, 4 1983 (UTB 267), 43ff. Zur Problematik der Anwendung des literarkritischen Instrumentariums auf das Hiobbuch vgl. v. KUBINA, Die Gottesreden im Buche Hiob. Ein Beitrag zur Diskussion um die Einheit von Hiob 38,1-42,6, 1979 (FThS 115).

Zur Überlieferung und Textgestalt des Hiobbuches

47

ein, so sehr, daß die Forschung an bestimmten Teilen des Textes - vor allem an Hi 38-42 - sich weitgehend als Debatte um ihre „Echtheit" und Einheitlichkeit darstellt. Dabei ist allerdings der aktuelle Forschungsstand in den letzten Jahren in detaillierter Weise monographisch erfaßt worden1, so daß auf diese Ergebnisse zurückgegriffen werden kann. In dieser Arbeit werden in literarkritischer und redaktionsgeschichtlicher Hinsicht keine neuen Ergebnisse vorgelegt, sondern bewährte Modelle rezipiert. Sie lassen sich allerdings durch die Analyse der Textstrategie im Hiobbuch weiter begründen und vertiefen. Dabei sind Ergebnisse aus der Textanalyse in diesem Kapitel bereits teilweise vorweggenommen. Ein zusätzlicher Ausblick auf die Redaktion des Hiobbuches findet sich im abschließenden Kapitel dieser Arbeit. Im Komplex überlieferungsgeschichtlicher und literarkritischer Fragen zum Hiobbuch ergeben sich folgende Probleme2: Das Problem der Überlieferung und ursprünglichen Gestalt der Rahmenerzählung (Hi 1-2; 42,7-17). Daß das vorliegende Hiobbuch auf eine ältere Hiob-Überlieferung zurückgeht, ist aufgrund der Erwähnung einer Hiobfigur in Ez 14,143 unumstritten. 1

Die älteren Ergebnisse sind zusammengefaßt bei C. KÜHL, Neuere Literarkritik des

Buches Hiob: T h R 21 (1953), 163-205. 257-317. 163-205. Die Forschungsgeschichte zu

Hi 21-27 findet sich aufgearbeitet bei M. WITTE, Leiden; zu Hi 38-42 bei J. v. OORSCHOT, Gott als Grenze; zu den Elihu-Reden bei H.-M. WAHL, Der gerechte Schöpfer. 2 Bei den folgenden Textkomplexen handelt es sich sozusagen um die klassischen Problemfelder der Hiob-Forschung. Dabei haben sich die literarkritischen und/oder redaktionsgeschichtlichen Zugänge gegenüber integrativen Modellen bewährt. Eine grundsätzliche Einheitlichkeit des Hiobbuches vertreten noch R. GORDIS, The Book of Job. Commentary, New Translation and Special Studies, 1978 (MorS II), 534f. 567f. 576-581; N. HABEL, OTL. Ihre Position ist deutlich unterschieden von literaturwissenschaftlich orientierten Ansätzen, die die diachrone Frage bewußt ausblenden, um die Gesamtstruktur des Hiobbuches in den Blick zu nehmen, vgl. zu diesen M. WITTE, Leiden, 9ff. 3 Ez 14,14 nennt Hiob gemeinsam mit Daniel und Noah als exemplarischen „Gerechten". Diese Erwähnung ist der Ansatzpunkt für die Annahme einer (volkstümlichen) Hiob-Erzählung (des sog. Volksbuchs), die schon vor Ezechiel umgelaufen sei. Vgl. dazu C. KÜHL, Neuere Literarkritik, 193; G. FOHRER, Zur Vorgeschichte und Komposition des Buches Hiob, in: Studien zum Buche Hiob (1956-1979), 2 1983 (BZAW 159), 19-36, 19f. (bei beiden Literatur) und DERS., Überlieferung und Wandlung der Hioblegende, in: Studien, 37-59, 37ff. Neuerdings wird die „Volksbuch"-Hypothese aufgrund der Gestalt der Hiob-Novelle bestritten, z.B. L. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G. STEINS, Zur Entstehung, Gestalt und Bedeutung der Ijob-Erzählung (Ijob lf; 42): BZ N.F. 33 (1989), 1-24, 17 und die Nähe der Hiob-Erzählung zu Ez 14,13-20 betont (vgl. V. MAAG, Hiob, 45ff.; U. BERGES, Der Ijobrahmen (Ijob 1,1-2,10; 42,7-17). Theologische Versuche angesichts unschuldigen Leidens: BZ N.F. 39 (1995), 225-245, 230), so daß eine Entstehung der Novelle in exilisch-nachexilischer Zeit erwogen wird. Vgl. auch P. WEIMAR, Literarkritisches zur Ijobnovelle: BN 12 (1980), 62-80, 79f.; L. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G. STEINS, E n t s t e h u n g , 2 0 .

48

-

Stationen der

Hiobtradition

Strittig sind indes Umfang und Inhalt der Überlieferung und die Frage, in welcher Form sie in die Dichtung inkorporiert wurde. Das Problem der Gestalt und des Gehaltes des sog. „Dritten Redegangs " (Hi 24-28). Der Text dieser Kapitel ist stark gestört, die Zuweisung zu Personen nicht eindeutig. Wahrscheinlich ist dieser Kapitelblock bereits erheblich erweitert und/oder umgestaltet worden. Es ist die Frage, ob und wie sich ein „Dritter Redegang" rekonstruieren läßt. Das Problem der Reden Elihus (Hi 32-37). Der vierte Freund Elihu wird Hi 32 unvermittelt durch eine erneute Prosa-Einleitung eingeführt (Hi 32,1-5). Seine Reden unterbrechen den Zusammenhang zwischen Hi 31 und 38 und sind sowohl sachlich als auch stilistisch deutlich von ihrem Umfeld unterschieden. Es handelt sich dabei wahrscheinlich um eine Erweiterung des Grundentwurfs 1 . Das Problem des Dialogs zwischen JHWH und Hiob (Hi 38,1-42,6). Im vorliegenden Text umfaßt der abschließende Teil der Dialogdichtung zwei Reden Gottes (38,139,30; 40,6-41,25) und zwei Antworten Hiobs (40,3-5; 42,1-6). Vor allem die beiden Antworten Hiobs stehen in einem unausgeglichenen Verhältnis zueinander, so daß innerhalb des Abschnitts mit einem Textwachstum zu rechnen ist.

3.1 Prolog und Epilog (Hi 1-2; 42,7-17) Die Dialogdichtung des Hiobbuches ist durch eine Prosaerzählung gerahmt, die im vorliegenden Textbestand den Prolog und den Epilog der Dialogdichtung bildet. Die unterschiedliche Gestalt von Rahmen und Dialog sowie inhaltliche Unstimmigkeiten zwischen Prosaerzählung und Dialogdichtung2 lassen darauf schließen, daß die jetzige Rahmenerzählung schon vor der Abfassung der Dialogdichtung als sog. Hiob-Erzählung oder Hiob-Novelle 3 vorgelegen hat. Trotz der erwähnten Unstimmigkeiten zwischen Rahmenerzählung und Dialogdichtung ist davon auszugehen, daß die Dialogdichtung niemals ohne ihren erzählenden Rahmen vorgelegen hat4. 1

Daß sich Hi 32-37 sprachlich, stilistisch und inhaltlich als eigenständige Größe von der übrigen Hiob-Dichtung abheben, ist seit langem bekannt und wird auch in dieser Arbeit vorausgesetzt. Struktur, Entstehung und Inhalt der Reden Elihus sollen hier nicht in extenso diskutiert werden; es wird auf die Arbeiten von H.-M. WAHL, Der gerechte Schöpfer und T. MENDE, Durch Leiden zur Vollendung zurückgegriffen. 2 Z.B. das unterschiedliche Lokalkolorit und soziale 'setting' (Hiob als Landbewohner nach dem Muster der Erzväter im Prolog und als Stadtbewohner im Dialog, vgl. Hi 29; zum Lokalkolorit - edomitischer Rahmen und aramäische Dialogdichtung - vgl. V. MAAG, Hiob, 14ff.). Weiterhin: der Widerspruch zwischen der Rolle der Freunde im Dialog und der Nennung der Verwandten im Epilog (42,11) und der Bruch in der Persönlichkeit Hiobs 3,1 gegenüber 1,20-22; 2,10. 3 Die beiden Begriffe werden unterschiedslos gebraucht. 4 Eine ursprüngliche Selbständigkeit der Dialogdichtung (mit narrativer Exposition in 2,11-13; 42,7-9) wird heute nur noch vertreten von V. MAAG, Hiob, 12ff. 91f. Nach Maag erfolgte die Verbindung von Rahmenerzählung und Dialogdichtung erst auf einer relativ späten Redaktionsstufe (sog. Sekundärrezension C, vgl. 203f.). Als Einleitung für

Prolog und Epilog (Hi 1-2; 42,1-17)

49

Um so dringender stellt sich die Frage nach der Gestalt und dem Gehalt der Hiob-Novelle; es muß deutlich werden, wie die Erzählung beschaffen war, die den Ausgangspunkt der Dialogdichtung bildet. Dabei muß sich eine Analyse des Verhältnisses von Rahmenerzählung und Dialogdichtung auf die schriftlich vorliegende Textgestalt beschränken, denn Rückfragen hinter den Text nach einer mündlichen Überlieferungsstufe bleiben notwendigerweise Spekulation1. Neben der gewissermaßen textstrategischen Frage nach dem Verhältnis von Hiob-Novelle und Dialogdichtung stellt sich die Frage nach der Gestalt der Hiob-Erzählung auch auf der Ebene des Textes selbst. Unterschiedliche sprachliche und sachliche Indizien weisen auf ein Wachstum der Hiob-Erzählung hin. Hierbei läßt sich eine Grundstufe von ihren Bearbeitungen abheben. Es bleibt indes die Frage bestehen, an welcher Stelle der Bearbeitung die Hiob-Erzählung zum Rahmen der Dialogdichtung wurde. Die Einbindung des Dialogs in die Novelle muß literarkritisch plausibel werden. Daß der Dialogdichter in die Erzählung eingegriffen hat, um seine Strategie narrativ ein- und auszuleiten, ist zu berücksichtigen2. Der Rahmen der Hiobdichtung zeigt ein Nebeneinander von planvollem Aufbau und kleineren sprachlichen und sachlichen Unstimmigkeiten. Demzufolge wird das Wachstum der Hiob-Erzählung sehr unterschiedlich bestimmt3. den Dialog reicht 2,11-13 nicht aus, Maags redaktionsgeschichtliche Begründung (92f.) ist unbefriedigend. Das Nebeneinander zweier diametral entgegengesetzter Hiob-Texte erscheint unwahrscheinlich. 1 Die Erwähnung Hiobs in Ez 14 verweist nicht notwendig auf eine ältere mündliche Vorstufe der Hiob-Erzählung, vgl. U. BERGES, Ijobrahmen, 229; M. H. GOSHENGOTTSTEIN, Ezechiel und Ijob. Zur Problemgeschichte von Bundestheologie und GottMensch-Verhältnis, in: Schreiner, J. (Hg.), Wort, Lied und Gottesspruch. Beiträge zu Psalmen und Propheten. Festschrift für J. Ziegler, 1972 (FzB 2), 165-170, 162. Obwohl eine umlaufende Hiob-Erzählung aufgrund von Ez 14 anzunehmen ist, bleibt ihre Rekonstruktion doch unmöglich. 2 Gerade neuere Untersuchungen zur Literarkritik der Hiob-Novelle klammern bei ihrer Rekonstruktion Gestalt und Gehalt der Dialogdichtung aus. Dabei ist die Funktion der „Rahmenerzählung" im Grunde problematisch. Der Rahmen der Hiobdichtung unterscheidet sich erheblich von den Rahmenerzählungen und -handlungen der Literatur. Generell läßt sich sagen, daß bei den bekannten Rahmen der Literatur (wie etwa „1001 Nacht", die „Canterbury Tales", das „Decamerone" oder auch T. Storms „Schimmelreiter" oder E. Brontes „Wuthering Heights") der Rahmen für sich allein genommen noch keine Geschichte ergibt, sondern meist der Grund ist, warum die gerahmte Geschichte (oder auch Geschichten) erzählt wird. Im Hiobbuch liegt der Fall umgekehrt: Hier kann die Geschichte nicht ohne ihren Rahmen erzählt werden. Zur Problematik der Rahmenerzählung vgl. M. CHENEY, Dust, 24ff. 3 Überblick zu den älteren Ansätzen: C. KÜHL, Literarkritik, 185ff.; Überblick bis 1978: H.-P. MÜLLER, Hiobproblem, 36ff. Neuere Ansätze außer den Kommentaren und

50

Stationen der Hiobtradition

Der Aufbau der Rahmenerzählung zeigt eine kunstvolle Struktur aus chiastisch gebauter doppelter Rahmung, die ein zweimal zweiteiliges Corpus umgibt1. Die einzelnen Teile sind durch Leit- und Schlüsselwörter verbunden2. Deutet dies auf eine weitgehende Einheitlichkeit der Rahmenerzählung, so verweisen unterschiedlich starke Inkohärenzen auf ein Textwachstum. Im jetzigen Prolog bietet vor allem die Einbindung der Himmelsszenen 1,6-12; 2,l-7a in den Erzählablauf Probleme. Es ist schon immer aufgefallen, daß der Abschnitt vom Verlust der Habe Hiobs 1,13-19 nahtlos an 1,5 anschließt3. Die erste Himmelsszene läßt sich also aus der Erzählung herausheben. Anders verhält es sich mit der zweiten Himmelsszene 2,1-7a. Hier schließt die Fortsetzung der Himmelsszene - Hiobs Krankheit und der Dialog mit seiner Frau 2,7b-10 - direkt an die Himmelsszene an, und im Unterschied zu 1,13-19 wird der Satan explizit als Verursacher von Hiobs Krankheit bezeichnet. Hi 2,110 bilden also einen fortlaufenden Zusammenhang 4 . Ein inhaltliches Argument tritt hinzu: Im jetzigen Epilog spielt Hiobs Krankheit keine Rolle5. So läßt sich annehmen, daß 1,6-12 und 2,1-10 Erweiterungen der Hiob-Erzählung darstellen6. Hebt man 1,6-12 und einschlägigen Monographien: P. WEIMAR, Literarkritisches, 62-80; M.P. REDDY, The Book of Job - A Reconstruction: ZAW 90 (1978), 59-94; L. SCHMIDT, De Deo. Studien zur Literarkritik und Theologie des Buches Jona, des Gesprächs zwischen Abraham und Jahwe in Gen 18,22ff. und von Hi 1, 1976 (BZAW 143) 165ff.; E. KUTSCH, Hiob und seine Freunde. Zu Problemen der Rahmenerzählung des Hiobbuches, in: Kreuzer, S./Lüthi, K., Zur Aktualität des Alten Testaments. Festschrift für Georg Sauer zum 65. Geburtstag. Frankfurt/M. 1992, 73-84; U. BERGES, Ijobrahmen, 225-245; L. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G. STEINS, Entstehung, 1-24; M. WEIß, The Story of Job's Beginning. Job 1-2: A Literary Analysis, Jerusalem 1983. 1

71

G . FOHRER, Ü b e r l i e f e r u n g , 3 1 f . u n d DERS., K A T , 5 4 2 ; P . WEIMAR, L i t e r a r k r i t i s c h e s ,

7. So die dreimalige gleichlautende Charakterisierung Hiobs 1,1.8; 2,3, der Knechtstitel für Hiob 1,8; 2,3; 42,7-9 (vgl. G. FOHRER, Überlieferung, 32), das Wortspiel mit dem doppelt besetzten "|~Q (vgl. J. HEMPEL, Das theologische Problem des Hiob, in: ders., Apoxysmata. Vorarbeiten zu einer Religionsgeschichte und Theologie des Alten Testaments, 1961 (BZAW 81), 114-173, 131f.)u.a. 3 Die Inkohärenz dieser Szene nach der ersten Himmelsszene 1,6-12 begründet sich vor allem daraus, daß Hiob als neues Subjekt erst wieder 1,14 eingeführt wird, vgl. L. SCHMIDT, De Deo, 166; F. HORST, Hiob. 1. Teilband, 1968 (= 4 1983) (BK 16/1), 5; L. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G. STEINS, Entstehung, 5. Anders P. WEIMAR, Literarkritisches, 42f.; G. FOHRER, Überlieferung, 31f.; V. MAAG, Hiob, 25. Der Wechsel der Gottesnamen Elohim/JHWH im Prolog, der für die ältere Forschung noch ein Ansatzpunkt für literarkritische Operationen war (vgl. L. SCHMIDT, De Deo, 165; F. HORST, BK, 5), trägt für eine literarkritische Analyse nichts aus, wie G. FOHRER, Überlieferung, 28 gezeigt hat. A 2

4

V g l . L . SCHMIDT, D e D e o , 1 6 8 .

5

Vgl. L. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G. STEINS, Entstehung, 5, wo auch die stilistischen Unterschiede zwischen l,13ff. und 2,7ff. aufgeführt sind. 6

L . SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G. STEINS, E n t s t e h u n g , 6 ; U . BERGES, I j o b r a h -

men, 232; ältere Ansätze bei H.-P. MOLLER, Hiobproblem, 41 f. Daß die zweite Him-

51

Prolog und Epilog (Hi 1-2; 42,7-17)

2,1-10 aus der Hiob-Erzählung heraus, bleibt das Corpus einer kleinen Geschichte übrig. Der fromme Hiob (1,1-5) verliert unversehens seinen Besitz und seine Kinder (1,13-19) und bleibt doch unangefochten (1,20-22). In Hiobs kurzer Rede am Schluß stoßen sich zwei Aussagen, eine anthropologische (V. 21a) und eine theologische (V. 21b). Die Zusammenschau dieser beiden Sätze ist schwierig und führt dazu, sie literarkritisch voneinander zu trennen. Dabei läßt sich das Lob JHWHs V. 21b wesentlich leichter mit dem Grundbestand der Erzählung vereinbaren als der anthropologische Satz V. 21a 1 . Damit muß aber auch V. 22 zur Bearbeitung gerechnet werden 2 . Daß die Einführung der drei Freunde Hiobs 2,11-13 von 2,1-10 abhängt 3 und eine Brücke zum Dialog darstellt, wird seit langem vermutet 4 . Im jetzigen Prolog gehören also 1,1-5.13-20.21b zur alten Hiob-Erzählung 5 . Die kleine Geschichte ist bis hierhin planvoll komponiert und sachlich wie theologisch stimmig 6 .

Im jetzigen Epilog gestaltet sich die Rekonstruktion schwieriger. Hier liegen zwei kurze Szenen vor. 42,7-9 erzählt von Hiobs Fürbitte für die Freunde und schließt mit der Notiz von der Wiederherstellung Hiobs durch JHWH aufgrund dieser Fürbitte V. 10. Vv. 11-17 beginnen mit dem Besuch der Verwandten und Freunde Hiobs und ihrem Trost (V. 11), erwähnen erneut Hiobs Wiederherstellung durch JHWH (V. 12) und schließen mit einer breiten Darstellung von Hiobs neuem Besitz und neuen Kindern sowie seinem Tod (Vv. 13-17). Die beiden Szenen ergeben keinen glatten Zusammenhang. Der Trost der Verwandten nach bereits erfolgter Restitution Hiobs klappt nach 7 . Die

melsszene eine redaktionelle Nachbildung der ursprünglichen ersten sei (so P. WEIMAR, Literarkritisches, 73 aufgrund von 2,1-3 und ähnlich L. SCHMIDT, De Deo, 168), ist m.E. wenig wahrscheinlich. Hierbei sind die Unterschiede zu 1,6-12 überbewertet. Vgl. dazu L. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G. STEINS, E n t s t e h u n g , 6 . 1

V. 21b ist durch die Wiederaufnahme von npb und "|"Q an die vorigen Szenen angeschlossen und fügt sich auch sachlich gut an V. 20 an. Vgl. L. SCHWIENHORSTSCHÖNBERGER/G. STEINS, E n t s t e h u n g , 9 . A n d e r s L . SCHMIDT, D e D e o , 1 6 8 . 2 V. 22 führt mit der Sünde Hiobs ein neues Thema ein, das besser zur Erweiterung durch die Himmelsszenen paßt. Vgl. L. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G. STEINS, Entstehung, 9. 3 4

L . SCHMIDT, D e D e o , 1 6 8 . G . FOHRER, Ü b e r l i e f e r u n g ,

19; L . SCHMIDT, D e D e o ,

168; L .

SCHWIENHORST-

SCHÖNBERGER/G. STEINS, Entstehung, 6; U. BERGES, Ijobrahmen, 240. Ähnlich V. MAAG, Hiob, 91 f. (die Einführung der Freunde ist die Originaleinleitung der Dialogdichtung). Anders P. WEIMAR, Literarkritisches, 72. 5 Weitergehende literarkritische Operationen sind unnötig und entspringen einer Überbewertung stilistischer und inhaltlicher Kriterien. So hält P. WEIMAR, Literarkritisches, 75 l,3a.4-5 aufgrund grammatischer und sachlicher Beobachtungen für Zusätze; L. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G. STEINS, Entstehung 7f. weisen zwar V. 3 der Grundschicht zu, halten aber V. lb und ebenso Vv. 4-5 für Bearbeitung. Die ausführliche Darstellung von Hiobs Handeln (Vv. 4f.) bringt durchaus keinen Bruch in die Erzählung, und auch V. lb muß nicht zwangsläufig von 1,8; 2,3 her gelesen werden. 6

7

L . SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G. STEINS, E n t s t e h u n g , 1 4 f f .

So A. ALT, Zur Vorgeschichte des Buches Hiob: ZAW 55 (1937), 265-268, 267; E. KUTSCH, Hiob und seine Freunde, 41. Anders V. MAAG, Hiob, 34f. (zur Kritik an Maag: L. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G. STEINS, Entstehung, 10 A 23).

52

Stationen der

Hiobtradition

beiden Notizen von der Wiederherstellung Hiobs Vv. 10.12 entsprechen sich nur in ihrem Ziel - der Verdopplung von Hiobs Besitz - nicht aber in ihrer Formulierung und Begründung 1 . 42,7-9 schließen weder an 1,21 noch an 2,13 an. Diese Verse zur Novelle zu zählen, hieße, mit einem Textausfall zu rechnen 2 . Insgesamt paßt diese Szene besser als Anschluß zu 42,6 3 . So scheint sie vom Dialog abhängig zu sein und ist daher nicht der HiobNovelle zuzuweisen. 42,7-9 bilden eine in sich geschlossene Einheit, die durch V. 10 summarisch abgeschlossen wird. Dabei scheint V. 10 nach dem Vorbild von V. 12 gebildet zu sein 4 . Mit V. 11 beginnt ein neuer Textabschnitt. V. 11 ist im vorliegenden Zusammenhang schon immer als Fremdkörper empfunden worden 5 . Allerdings schließt die Szene mit dem Verwandtenbesuch relativ glatt an 2,10 an und könnte daher der Bearbeitungsschicht zugerechnet werden, die auch die Himmelsszenen eingefügt hat 6 . Die direkte Fortsetzung der Hiob-Novelle ist in V. 12 zu finden, der glatt an 1,21 anschließt: JHWH 'segnet' Hiob und gibt ihm mehr als er zuvor gehabt hatte 7 . Der gesamte Abschluß der Erzählung - einschließlich der Schilderung der neuen Töchter Hiobs - weist auf eine Überbietung der früheren Verhältnisse Hiobs durch JHWH 8 . Die Notiz vom langen Leben Hiobs und seinem Tod (Vv. 16f.) schließt die Erzählung ab. Im jetzigen Epilog gehören also 42,12-17 zur alten Hiob-Erzählung, wohingegen 42,7-11 zur Bearbeitung zu zählen sind9.

1

Hinzu kommt, daß Vv. 10.12 parallel aufgebaut sind (Inversion): P. WEIMAR, Li-

terarkritisches,

1 7 3 ; L . SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G.

STEINS, E n t s t e h u n g ,

10.

Im

Hinblick auf die vielen Wiederholungen in Hi 1-2; 42 ist diese Beobachtung nur von untergeordneter Bedeutung. Es folgt daraus nicht zwangsläufig die literarische Abhängigkeit des einen Verses vom anderen (in unterschiedlicher Zuordnung: L. SCHMIDT, De D e o , 1 7 3 ; P . WEIMAR, L i t e r a r k r i t i s c h e s , 6 6 ) . 2 Mit dem Ausfall einer dritten Himmelsszene - aus sachlichen wie aus stilistischen Gründen - rechnet V. MAAG, Hiob, 39f., bindet sie aber nicht an Vv. 7-10. Ähnlich G. FOHRER, Überlieferung, 28ff., der keine ausgefallene Himmelsszene annimmt, sondern das Gotteswort als eine ursprüngliche Antwort auf eine Versuchung durch die Verwandten betrachtet. 3 Wobei in 42,7 Hiobs Rede 42,1-6 allerdings nicht berücksichtigt scheint. 4 So auch U. BERGES, Ijobrahmen, 240. Anders G. FOHRER, Überlieferung, 27ff.;

P . WEIMAR, L i t e r a r k r i t i s c h e s , 6 5 ; L . SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G. STEINS, E n t s t e -

hung, 9f. rechnen dabei V. lOaa.b zu einem älteren Stadium des Textes. 5 Vgl. A. ALT, Vorgeschichte, 268; G. FOHRER, Überlieferung, 23f. 29-31. 6

L . SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G. STEINS, E n t s t e h u n g , 11; L . SCHMIDT, D e D e o ,

169. Ähnlich P. WEIMAR, Literarkritisches, 67f., allerdings mit Anschluß an 2,13. Gewöhnlich wird mit einer Verschiebung des Verses gerechnet: V. 11 hätte ursprünglich in den Prolog gehört und eine Versuchung durch die Verwandten berichtet. Dieser Bericht sei ausgefallen und 42,10-17 überarbeitet worden: G. FOHRER, Überlieferung, 23ff. 7

L . SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G. STEINS, E n t s t e h u n g , 11.

8

L . SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G. STEINS, E n t s t e h u n g , 10.

9

Den Grundbestand des Epilogs weiter zu verkleinern und die Vv. 14-16a auszu-

scheiden

(so

P.

WEIMAR,

Literarkritisches,

69f.;

L.

SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/

G. STEINS, Entstehung, 11; U. BERGES, Ijobrahmen, 231) ist ähnlich unnötig wie eine weitere Verkleinerung des Prologs (s. oben). Der Abschnitt über Hiobs Töchter entspricht der Tendenz des Epilogs, einen neuen Akzent zu setzen.

Prolog und Epilog (Hi 1-2; 42,7-17)

53

Die alte Hiob-Erzählung ist eine kleine, aber schön gestaltete und theologisch aussagekräftige Geschichte. Es handelt sich dabei weniger um eine „weisheitliche Lehrerzählung"1, als um eine theologische Beispielerzählung2: Der vom Unglück heimgesuchte Hiob bekennt JHWH, und dieser erweist sich als der, den Hiob bekennt3. Diese kleine Geschichte läßt sich historisch, literarisch und theologisch kaum sicher verorten. Das Verhältnis von Leiderfahrung und Gottesverhältnis wird im Alten Testament zu jeder Zeit, in jeder theologischen Schule und in jeder Literaturform reflektiert. Daß die Hiob-Erzählung so „positiv" ist4, sagt wenig über ihre theologiegeschichtliche Einordnung aus. In der alten Hiob-Erzählung wird ein ungebrochener Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen weder vorausgesetzt noch geschildert5. Das Unglück bricht über Hiob herein, obwohl er fromm und aufrecht ist. Hiob läßt auch keinen Zweifel darüber aufkommen, wer letztlich der Urheber seines Unglücks ist. Das theologische Problem, das darin liegen könnte und das die Bearbeitung dann ja auch in aller Breite schildert, - das Problem unschuldigen Leidens, das von Gott verursacht ist - ist in der Theologie der alten Erzählung nicht reflektiert, aber durchaus darin untergebracht. Die Geschichte schildert, daß sich bei JHWH Frömmigkeit und Güter nicht einfach verrechnen lassen. Es ist weder von Prüfung die Rede noch von Lohn, und JHWH macht das Unglück nicht einfach rückgängig, sondern hebt es auf6. Ein weiterer Aspekt der 1

So im Anschluß an H. P. Müller P. WEIMAR, Literarkritisches, 77f.: „Bei der älteren Version der Novelle handelt es sich ... offenkundig um ein theologisches Kunstprodukt, das im Dienst der Propaganda einer theologischen Lehre steht." Ähnlich L. SCHMIDT, De D e o , 1 8 0 ; U . BERGES, I j o b r a h m e n , 2 3 5 . 2

Mit dieser „Gattungsbeschreibung" soll der Tatsache Rechnung getragen werden, daß sich die Hiob-Novelle in keinem theologischen Kontext sicher verorten läßt. 3 L. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G. STEINS, Entstehung, 19f.: „Am Beispiel des Lebens Ijobs wird also erzählerisch entfaltet, wer und wie JHWH ist. Das Thema der Grundschicht ... ist der Segen, der über dem Bekenntnis liegt: 'JHWH hat gegeben, JHWH hat genommen. Der Name JHWHs sei gepriesen.' (...) Geben und Nehmen heben sich nicht gegenseitig auf. Durch das Bekenntnis zu JHWH als dem, der gibt und nimmt und diese Reihenfolge ist wichtig! - bekommt diese Erfahrung ein Gesicht. (...) In der Summe seines Lebens erweist sich JHWH voll heilschaffender Kraft (brk)." 4 Vgl. U. BERGES, Ijobrahmen, 234: „Die Grundschicht ist eine in sich geschlossene Erzählung, in der nicht eine Verneinung vorkommt." Anders L. SCHMIDT, De Deo, 178. V o r dem theologiegeschichtlichen Hintergrund eines ungebrochenen Tun-ErgehenZusammenhangs (der meist für die vorexilische Zeit vorausgesetzt wird) hat die kleine Erzählung allerdings wenig Sinn. Sie bekäme ihre ganze Schärfe erst dann, wenn man Zweifel an diesem Zusammenhang annimmt. Die Geschichte wäre dann ein deutlicher Gegenentwurf zu theologischen Werken, die mit den Kategorien von Gerechtigkeit und Schuld operieren, gewissermaßen eine „Hoffnungsgeschichte". In letzter Zeit wird die Hiob-Novelle meist in die exilisch-frühnachexilische Zeit datiert (WEIMAR, BERGES, SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER). 6

H.-J. HERMISSON, Weisheit, 179.

54

Stationen der Hiobtradition

Erzählung in diesem Zusammenhang ist die Wahrnehmung der dauernden Gefahrdung frommen und aufrechten Lebens. Auch wenn sie nicht den Fokus der Geschichte darstellt, begleitet doch die Frage, wie Hiob sich verhalten wird, die Lektüre, bis sie V. 21b beantwortet wird. Frommes Leben, gesegnetes Leben ist vom Unglück ebenso bedroht wie alles andere 1 . Die Grundschicht der Hiob-Novelle ist durchaus vielschichtig und hat ihre eigene Textstrategie. Die Bearbeitung setzt an Stellen an, die als Möglichkeit der Interpretation und der Nachfrage bereits in der Grundschicht vorgegeben sind. Damit werden Gesicht und Aussage der Grundschicht durch Erweiterung verändert 2 . Es ist festzuhalten, daß 1,6-12. 21a. 22; 2,1-10; 42,11 sachlich und stilistisch eine Einheit bilden, also derselben Hand zuzuweisen sind 3 . Üblicherweise sieht man hierin eine Bearbeitung der Novellen-Grundschicht, die dem Verfasser der Dialogdichtung vorgelegen hätte 4 . Die erweiterte Fassung der Novelle wäre dann durch Zufügung von 2,11-13; 42, (7-9)10 zum Rahmen der Dialogdichtung geworden. Eine solche Trennung ist aber nur dann sinnvoll, wenn sich nachweisen ließe, daß die Dialogdichtung noch einmal wesentlich andere Akzente setzt als die Bearbeitung der Novelle. Dieser Nachweis ist kaum zu führen; die Unterschiede zwischen Rahmenerzählung und Dialogdichtung nach Gestalt und Quantität sind einfach zu groß. Umgekehrt läßt sich aber zeigen, daß die Bearbeitung der Novelle und die Dialogdichtung sprachlich und sachlich einige Verwandtschaften aufweisen. Die Bearbeitung der Novelle verschiebt den Erzählungsfokus auf der theologischen Ebene. Erst jetzt wird die Frage, wer das Leid verursacht, explizit behandelt. Hiobs Antwort auf die Äußerung seiner Frau (2,9f.) hat eine andere Qualität als sein Lob Gottes 1,21b5. Doch die Bearbeitung geht 1

Man nimmt der Hiob-Erzählung einen Teil ihres Tiefgangs, wenn man 1,1b, die Schilderung von Hiobs Frömmigkeit, allein auf die Ethik verengt und aus der Erzählung herauslöst, so L. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/ G. STEINS, Entstehung, 8. In der Tendenz der dauernden Gefährdung läßt sich auch Hiobs Opfer für seine Söhne lesen. Anders U. BERGES, Ijobrahmen, 234ff. 2 Dabei ist festzuhalten, daß die Bearbeitung die alte Grundschicht weder in der Komposition noch im Gehalt zerstört, sondern vielmehr auch kompositorische Impulse der Grundschicht aufgreift. Vgl. L. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G. STEINS, Entstehung, 19ff. 3

L . SCHMIDT, D e D e o , 1 7 6 f . ; L . SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G. STEINS, E n t s t e -

hung, 12. 4 Dem Verfasser des Dialogs wird meist nur die Einführung der Freunde zugeschrieb e n , v g l . P . WEIMAR, L i t e r a r k r i t i s c h e s , 7 6 ; L . SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G. STEINS,

Entstehung, 13f.; U. BERGES, Ijobrahmen, 240f.; L. SCHMIDT, De Deo, 176f.; V. MAAG, H i o b , 9 1 f . ; G . FOHRER, K A T , 1 0 4 f . ; F. HORST, B K , 3 1 . 5

L . SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G. STEINS, E n t s t e h u n g , 2 3 .

Prolog und Epilog (Hi 1-2;

42,7-17)

55

noch über die Verstärkung eines Aspekts hinaus, der auch schon in der älteren Novelle vorhanden war. Tatsächlich wird auf der Bearbeitungsstufe die Frage nach dem Nutzen von Frömmigkeit zum Problem, doch wird sie weniger zum Problem Hiobs als zu einem „Problem Gottes", der sich deswegen auf das Experiment mit dem Satan einläßt 1 . Die Himmelsszenen liefern nicht die Erklärung nach, wer der Urheber von Hiobs Unglück ist. Das steht auch für die alte Novelle außer Frage . Sie verlagern vielmehr das Problem auf die Ebene personaler Konstellationen. In den Himmelsszenen zeigt sich, daß Frömmigkeit nicht ein Wert an sich ist, sondern mit einem Gottesverhältnis zusammenhängt. Die Bearbeitung setzt dabei genau an demselben Begriff an, der auch das Zentrum der Theologie der alten Novelle ist: "["•. Hiobs Besitz ist „Segen Gottes" - so der Satan 2 . Hiobs Frömmigkeit qualifiziert ihn aus JHWHs Perspektive als dessen "DI?3. Von Hiob aus gesehen ist JHWH nicht nur der, der gibt und nimmt, sondern der, der Gutes und Böses gibt 4 und dem der nackte Mensch schlechthin alles verdankt 5 . Im jetzigen Prolog wird JHWH als „Person" in die Handlung eingeführt, und die Person JHWHs wird im Zentrum des Dialogs stehen 6 . Neben Hiob wird Gott in den Mittelpunkt der Geschichte gerückt. Es lassen sich also gute Gründe dafür geltend machen, daß der Verfasser der Dialogdichtung auch derjenige ist, der die Novelle bearbeitet hat. Dies wird am Epilog ebenso augenfällig wie am Prolog. Der Besuch der Verwandten 42,11 muß sich dann vom Dialog her lesen lassen: Hiob gewinnt am Ende auch seine Familie zurück 7 . Hi 42,7-9 lassen sich keiner späteren Bearbeitung zuweisen 8 . Die kleine Hiob-Novelle 1,1-5. 13-20. 21b; 42,12-17 ist also vom Verfasser des Dialogs durch die Erweiterungen 1,6-12. 21a. 22; 2,1-13; 42,7-11 zum narrativen Präludium des Dialogs umgestaltet worden.

1

Ähnlich P. WEIMAR, Literarkritisches, 79, dort allerdings als „Korrektur" der Grundschicht, die bereits die erste Himmelsszene enthielt. 2 1,11. Ähnlich - wenn auch ohne Satan - die Wiederaufnahme im Epilog 42,12. 3 1,8; 2,3. 4 2,10. 5 1,21a. 6 Den personalen Aspekt der Bearbeitungsschicht unterstreicht auch L. SCHMIDT, De Deo, 182. 7 Der von A. ALT, Vorgeschichte, S 267f. herausgearbeitete Kondolenzaspekt des Verwandtenbesuchs ist dann allerdings nicht mehr gültig. Vgl. dazu V. MAAG, Hiob, 33f. 8 Anders L. SCHMIDT, De Deo, 171 ff. Vgl. dazu die Kritik von E. KUTSCH, Hiob und seine Freunde, 80ff. Ebensowenig läßt sich eine Einfügung von 42,7-9 von den ElihuReden her begründen, so P. WEIMAR, Literarkritisches, 63ff.

56

Stationen der

3.2

Hiobtradition

Der „dritte Redegang" und die Reden Elihus (Hi 23-31; 32-37)

Das Verhältnis zwischen Hiob-Novelle, Dialogdichtung und vollständiger Hiob-Dichtung läßt sich mit Hilfe eines redaktionsgeschichtlichen Modells beschreiben: Die Hiob-Dichtung ist das Resultat einer Bearbeitung der Hiob-Novelle durch den Verfasser der Dialogdichtung. Im vorliegenden Textbestand gliedert sich die Dialogdichtung in drei Hauptteile: - den Dialog zwischen Hiob und den Freunden (Hi 3-31) - die Reden Elihus (Hi 32-37) - den Dialog zwischen JHWH und Hiob (Hi 3 8-42,6) Innerhalb dieses Aufrisses sind Anordnung und Gestalt der Texte an einigen Stellen stark gestört und zeigen deutlich Spuren von Bearbeitung. Auffallenderweise konzentrieren sich diese Störungen im wesentlichen auf einen großen Textabschnitt, nämlich Hi 23-37. Offensichtlich ist die Reihenfolge der Redner nicht eindeutig, denn eine Rede Hiobs wird zweimal durch eine Erzählernotiz unterbrochen (27,1; 29,1). Damit korrespondieren inhaltliche Widersprüche (vgl. 27,13-23 mit 24,1-12). Außerdem ist der Text im Vergleich zum restlichen Buch in äußerst schlechtem Zustand. In diesem Textabschnitt lassen sich die Reden Elihus als eigenständiger Block vom Umfeld unterscheiden. Das Erscheinungsbild von Hi 23ff. läßt sich kaum anders als durch bewußte Bearbeitung erklären, sei es als Konstruktion eines neuen Dialoggangs, sei es als Rekonstruktion eines ursprünglich vorhandenen Entwurfs. Ganz offensichtlich waren in Hi 23ff. mehrere Hände am Werk. Es wurde versucht, einen dritten Akt des Dialogs zwischen Hiob und den Freunden zu (re-)konstruieren. Daß dieser Versuch zumindest intendiert war, zeigt der Abschnitt Hi 25,1-6, welcher eine (fragmentarische) dritte Rede Bildads darstellt. Wahrscheinlich wurde die Geschichte dieser Bearbeitung durch die Einfügung von Hi 32-37 angestoßen oder beendet. Schlüsse über das Verhältnis zwischen Hi 3-22; 23ff. und 32-37 lassen sich am ehesten über den Vergleich der einzelnen Blöcke ziehen. Von Kap. 3 bis Kap. 22 zeigt die Hiobdichtung einen geschlossenen und kohärenten Aufbau, in dem sich weder Lücken noch größere Zusätze finden lassen 1 . Die Reden gruppieren sich im ersten Teil (Hi 3-14) um Hiobs 1 Mit Textlücken rechnet der Entwurf von C. WESTERMANN, Aufbau, 64f. 128-130. Westermann hält Hi 8; 9; 11 aus Gründen motivischer Symmetrie für unvollständig: Hi 25; 26,5-14 seien ursprünglich Teil von Hi 8, 26,1-4, der ursprüngliche Beginn von Hi 9 und 27,7-13 gehörten zu Hi 11. In Hi 8-11 läßt sich indes kein Textausfall plausibel machen; außerdem stammen Hi 25; 26; 27,7ff. wahrscheinlich nicht vom Verfasser des

Der „dritte Redegang"

und die Reden Elihus (Hi 23-32;

32-37)

57

Klage und seinen Todeswunsch, was von den Freunden in thematisch differenzierter Weise mit dem Ratschlag „Wende dich an Gott" beantwortet wird1. Im zweiten Teil (Hi 15-21) finden sich die Schilderungen des UBh und die Anklagen Gottes durch Hiob. Die beiden ersten Teile des Dialogs zwischen Hiob und den Freunden sind durch ein wiederkehrendes Motiv gekennzeichnet, das in den beiden Reden des Eliphas (Hi 4-5; 15) verwendet wird. In beiden Reden ist Eliphas' Argumentation von der Frage „Ist denn ein Mensch vor Gott gerecht" aus gestaltet (Hi 4,17; 15,14). Die beiden Passagen unterscheiden sich zwar in den Formulierungen, im Umfeld und in der Einbettung in die jeweilige Rede, doch ist ihre textgliedernde Bedeutung deutlich erkennbar. In Hi 4,12-21 erscheint die Frage 4,17 als Teil der Vision des Eliphas in der Formulierung "QU "inta1 inßfDQ DK p"i:T m^XÖ tflJKn. Die Fortsetzung 4,18-21 stellt dem Menschen die Engelwesen gegenüber und fokussiert Sterblichkeit und Erkenntnisvermögen. In Hi 15,14 ist die Frage grundsätzlicher formuliert und erscheint ohne visionären Kontext: 0 ' w n o nC0R "II1?1 p"ll£1_'01 n3P"0. Auch hier ist die Fortsetzung angelologisch, aber der Fokus liegt auf der Reinheit. Offensichtlich dient die Passage der inhaltlichen Strukturierung des Dialogs zwischen Hiob und den Freunden; mit 4,17 wird pns als Leitwort des Dialogs eingeführt2. In 9,2 nimmt Hiob die Passage kurz auf. Das Motiv „Ist denn ein Mensch vor Gott gerecht" spielt eine wichtige Rolle im Dialog zwischen Hiob und den Freunden. In Eliphas' dritter Rede (Hi 22) findet das Motiv allerdings keine Verwendung mehr, erscheint jedoch im Fragment der dritten Rede Bildads (Hi 25,2-6)3. Das Fehlen des Motivs in Hi 22 hängt mit der Dramaturgie des G r u n d e n t w u r f s . G . FOHRER, K A T , 2 0 5 f . 2 4 4 - 2 4 6 ; J. VERMEYLEN, J o b , 2 8 ; H . - M . W A H L ,

Schöpfer, 176ff.; V. MAAG, Hiob, 202; M. WITTE, Leiden, 94f. 150ff. bewerten Hi 9,510; 12,9-15 als Zusätze, hauptsächlich aufgrund ihrer Vorwegnahme von Hi 38. ' So auch M. WITTE, Leiden, 79. 2 Ab Hi 4,17 erscheint die Wurzel pIS kontinuierlich im Dialog zwischen Hiob und den Freunden sowie in den Abschlußreden Hiobs (Hi 29-31), nämlich an 19 Stellen. Im „dritten Redegang" (Kap. 24-28) ist sie auffallend wenig vertreten (nur 27,5.6.17; 25,4.), in den Gottesreden nur einmal (40,8). Erst in den Reden Elihus ist p"l2 wieder in vergleichbarer Verteilung zu finden (12 Belege, davon 7 in nominalen Formen; Hi 3-31* dominiert das Verb). Das gesamte semantische Feld „Gerechtigkeit" ist in ähnlicher Weise verteilt. 3 Von einer Analyse von Hi 25 ausgehend, versucht M. WITTE, Leiden, 59ff. Hi 4,1221; 15,11-16; 25,2-6 als redaktionelle Zusätze zum Grundentwurf der Hiob-Dichtung auszuweisen (sog. „Niedrigkeitsredaktion", 174ff.). Die Passagen formulieren, „daß der Mensch aufgrund seiner Geschöpflichkeit von dem allein gerechten und heiligen Gott in kreatürlicher Sündhaftigkeit geschieden" (194) sei. Ihre Funktion sei „reflektierendparänetisch" zu bestimmen, mit dem Ziel „der Erkenntnis und Annahme der Sündhaftigkeit" (ebd.). Indes lassen sich Hi 4,12ff.; 15,14ff. nicht so problemlos aus der Dichtung herauslösen, wie Witte nachzuweisen versucht (69ff.), und Kap. 25 nicht ohne Schwie-

58

Stationen der

Hiobtradition

Dialogs zusammen. Hi 21 und 22 bilden deutlich den Abschluß des Dialogs zwischen Hiob und den Freunden. Hiobs auffallend argumentative Rede Kap. 211 behandelt das Thema Utih in abschließender Weise2. Eliphas' Antwort darauf bezichtigt Hiob erstmalig konkreter Vergehen und rät ihm erneut, sich an Gott zu wenden (Hi 22). Hi 21-22 verhandeln also das Verhältnis zwischen persönlicher Unschuld Hiobs und dem generellen Frevel. Mit der Antwort Hiobs auf Eliphas' dritte Rede beginnt der sehr problematische Textabschnitt Hi 23-31. Mit einiger Sicherheit läßt sich der Grundentwurf der Dialogdichtung wieder in Kap. 29-31 erkennen, die Hiobs abschließende Rede an Gott enthalten. Der kurze Durchgang durch den Dialog zwischen Hiob und den Freunden hat gezeigt, daß von Seiten des Grundentwurfs wahrscheinlich niemals ein „dritter Redegang" intendiert war3. Die Anhaltspunkte, die sich aus einer Übersicht über Hi 3-22 gewinnen lassen, sind allerdings für eine Analyse der Kap. 23-28 hilfreich, vor allem für die Frage nach dem Verhältnis von Gott und Welt bzw. Gott und Mensch in der spezifischen Gerechtigkeitsterminologie, sowie für die Frage nach Hiobs persönlicher Unschuld und die Identifikation der ffW'T Darüber hinaus hat die Frage nach dem „dritten Redegang" den Schlußteil der Hiob-Dichtung zu berücksichtigen, den Dialog zwischen JHWH und Hiob (Hi 38-42,6*). Unabhängig davon, wie man hier den Grundbestand des Textes beurteilt, ist in Hi 38ff. der Abschluß der Dialogdichtung zu suchen. JHWHs Rede behandelt die Themen „Mensch" und „Gerechtigkeit" in wenig akzentuierter Form4. Trotzdem - oder deswegen - unterwirft sich Hiob. In Hi 23 ff. fällt zunächst der unsymmetrische Aufbau ins Auge. Auf eine Rede Hiobs von durchschnittlicher Länge (Hi 23-24: 42 Verse) folgt eine außergewöhnlich kurze Rede Bildads (Hi 25,1-6). Daran schließt sich eine Rede Hiobs an (Hi 26-31), die mit 158 Ver-

rigkeiten derselben Hand zuweisen. Hi 25 stellt sprachlich viel eher eine Kombination von Hi 4; 15 dar, sein kosmologischer Schwerpunkt läßt sich nicht in die angelologische Linie von Hi 4; 15 integrieren. Sehr wahrscheinlich ist Hi 25 eine Nachahmung von Hi 4; 15. ' Zum argumentativen Charakter von Hi 21 vgl. C. WESTERMANN, Aufbau, 98ff.; M. WITTE, Leiden, 130ff. 2 M . WITTE, Leiden, 17. 3 So auch C. WESTERMANN, Aufbau, 128; H. GESE, Die Frage nach dem Lebenssinn: Hiob und die Folgen, in: ders.: Alttestamentliche Studien, Tübingen 1991, 170-188, 164. 169; H.-J. HERMISSON, Notizen zu Hiob: ZThK 86 (1989), 125-139, 125f.; M. WITTE, Leiden, 169f. 4 Wie noch zu zeigen sein wird, dürfte es sich bei 4 0 , 8 f f , wo das Thema der göttlichen und menschlichen Gerechtigkeit verhandelt wird, um eine Fortschreibung des Grundentwurfs handeln. S. dazu das nächste Kapitel.

Der „dritte Redegang" und die Reden Elihus (Hi 23-32; 32-37)

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sen die größte Texteinheit der Dialogdichtung darstellt. Eine dritte Rede Zophars fehlt. Statt dessen findet sich der Block mit den vier Reden Elihus (Hi 32-37). Die lange Abschlußrede Hiobs wird zweimal durch eine neue Redeeinleitung unterbrochen, die sich von den Redeeinleitungen der übrigen Dialogdichtung unterscheidet 1 . Zur kompositorischen Asymmetrie tritt eine sprachliche. Es finden sich Teile, die sprachlich mit der übrigen Dichtung übereinstimmen 2 , neben solchen, die eine völlig andere Sprachgestalt aufweisen 3 . Hinzu kommen kompositorische und sachliche Unstimmigkeiten sowohl im Aufriß des Textabschnitts Hi 23-28 als auch im Vergleich zur übrigen Dichtung. Die gesamten Inkohärenzen von Hi 23-28 treten bei einer fortlaufenden Lektüre zutage. Der Abschnitt beginnt Hi 23 mit einer Klage Hiobs, die erneut 4 den Wunsch nach einer Begegnung mit Gott ausspricht (23,1-17). Damit schließt diese Rede direkt an die dritte Rede des Eliphas an (Hi 22); es fehlt jedoch die gewohnte Anrede. Hiobs Rede wird - soweit erkennbar - mit einer weiteren fragenden Klage fortgesetzt, die die Frage nach „Zeiten" thematisiert (24,1) und geht dann in eine Schilderung verschiedener Frevler und ihrer Taten über (24,2-25). Der Text dieses Kapitels ist in äußerst schlechtem Zustand, die Struktur zeigt mehrfach Brüche und Inkohärenzen. Auch in diesem Abschnitt fehlt jede Anrede 5 . Innerhalb des Frevlerabschnitts ist das starke Interesse an den Opfern der Frevler erkennbar, das an verschiedene deuteronomisch/deuteronomistische Formulierungen anklingt 6 , jedoch wenig Vergleichspunkte zur Frevlerthematik in der übrigen Hiob-Dichtung aufweist 7 . Die einzelnen Frevlertypen und ihre Opfer stehen in sachlicher Spannung zueinander; mehrfache grammatische Brüche machen genaue Zuordnungen schwer 8 . Der Sinn dieses Exkurses über Arme und Frevler im Zusammenhang

' 27,1; 2 9 , I n a s 1 ! ftüfla nKö av« ^o 1 !statt nöK'i n w iih. Z. B. 23*; 27,2-6, zur philologischen Einzelanalyse vgl. M. WITTE, Leiden, 116ff. 155ff. 3 Dazu gehören in der Hauptsache 27,13-23 und 28. Daß Hi 28, das sog. „Lied von der Weisheit", ein Zuwachs zur Hiobdichtung ist, ist nahezu unbestritten (vgl. dazu C. KÜHL, Literarkritik, 281; M. WITTE, Leiden, 18f. 37ff.). Umstritten sind jedoch die Einheitlichkeit des Kapitels (vgl. dazu C. WESTERMANN, Aufbau, 133; P. DOLL, Menschenschöpfung, 219ff. gegen G. FOHRER, KAT, 293 und M. WITTE, Leiden, 161 ff.) und seine Zuordnung zur Geschichte des „dritten Redegangs". Mit C. SEITZ, Job: FullStructure, Movement and Interpretation: Int. 43 (1989), 5-17, 13 und M. WITTE, Leiden, 161 ff. ist Hi 28 genau wie die Reden Elihus in die Geschichte dieses Textabschnitts einzubeziehen. 4 Vgl. Hi 13,21 ff; 19,25ff. 5 23,2; 24,1.25 lassen implizit eine Anrede der Freunde erkennen; vgl. dazu 2

M . WITTE, L e i d e n , 1 1 9 . 6

Vgl. Dtn 20,2-8; 24,12ff.; 27,17. Die Frevlerreden in Hi 8; 15; 18; 20 schildern - teilweise mit vergleichbarer Metaphorik - das Handeln der D1!?»"! an sich und ihr Schicksal, verzichten aber auf eine soziale Identifizierung und blenden die Opferperspektive völlig aus. Anklänge an Hi 24 finden sich allenfalls Hi 22,5-9; 3l,8ff. 8 Vgl. zur Analyse M. WITTE, Leiden, 116ff. Eine kohärente Rede kann trotz aller Versuche aus Hi 24 nicht mehr gewonnen werden; der textliche Zustand ist zu schlecht, außerdem scheint die Rede noch gewachsen (M. WITTE, Leiden, 123ff.; C. WESTERMANN, Aufbau, 129; G. FOHRER, KAT, 368ff.). Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, 7

60

Stationen der

Hiobtradition

mit Hiobs Gottsuche bleibt unklar. Hingegen läßt sich Hi 23 als Anschluß an Hi 22 sprachlich und sachlich wahrscheinlich machen'. Auf Hiobs Rede folgt 25,1-6 die dritte „Rede" Bildads. Sie stellt einen kurzen, aber auffallend schön stilisierten Hymnus auf die Macht Gottes und die menschliche Niedrigkeit dar 2 . Die Mitte dieses kleinen Textes bildet die Wiederaufnahme des Motivs „Ist denn ein Mensch vor Gott gerecht". Im Unterschied zu Hi 4; 15 ist das Fragment Hi 25 strikt theologisch ausgerichtet 3 . Wie in der vorangegangenen Rede Hiobs ist auch in Hi 25 kein Adressat zu erkennen, und es ergibt sich keine klare Anbindung an die Rede Hiobs, allenfalls eine Widerlegung der Behauptung von Hiobs Gerechtigkeit 23,7. Da der hymnischen Kurzrede Bildads eine Fortsetzung fehlt, ist die Tendenz dieses Textes nicht ganz deutlich. In Kap. 26 beginnt die große Rede Hiobs, die sich - mit den Unterbrechungen 27,1 und 29,1 - bis Kap. 31 erstreckt. Sie beginnt mit einer Anrede in der 2. Person (26,2-4), die Ton und Duktus der Redenanfänge Hi 16; 19 aufnimmt, im Unterschied zu diesen aber nur an eine Person gerichtet ist. Nach dem Aufbau der Kapitel muß Bildad der Adressat sein. An seine „Rede" scheint sich auch der Rest des Kapitels anzuschließen, in dem hymnisch Schöpfimgs- und Theophaniemotive miteinander verwoben sind. In dieser Rede klingen wie in Kap. 25 Motive aus früheren Reden an 4 , allerdings in anderer Ordnung als in den aufgenommenen Hiobreden 5 . Wie Kap. 25 scheint auch Kap. 26 eine Nachahmung vorhandenen Materials zu sein 6 . Auffallend ist, daß in diesem Hymnenfragment Gott unvermittelt als „er" eingeführt wird (26,6), aber im gesamten Text nicht einmal beim Namen genannt wird; auch ein direkter Anschluß von V. 5 an V.4 ist nicht zu erkennen 7 . Trotzdem bilden 26,5-14 eine sprachlich und sachlich konsistente Einheit 8 . Inhaltlich scheint Kap. 26 weniger eine Entgegnung auf Kap. 25 als eine Bestätigung zu sein- eine Tendenz, die sich auch im Verhältnis zwischen Hi 8 und Hi 9 findet9.

daß dieses Kapitel Teil des Grundentwurfs gewesen sein sollte (so M. WITTE, Leiden, 126). Das Thema DTB'l ist mit Kap. 21 beendet. 1 Hi 23 gilt überwiegend als Teil des Grundentwurfs der Hiob-Dichtung, so bei C . WESTERMANN, A u f b a u , 7 9 f i ; H . RICHTER, S t u d i e n , 9 8 f f . ; G . FOHRER, K A T ,

368;

M. POPE, Job. Introduction, Translation, and Notes, Garden City/NY 1974 (AncB 15) 152ff.; V. MAAG, Hiob, 146f.; H.-J. HERMISSON, Notizen, 125; M. WITTE, Leiden, 116ff. Forschungssynopse bei M. WITTE, Leiden, 231 ff. 2 Vgl. die Analyse bei M. WITTE, Leiden, 60ff. 3 Die Formulierung von Hi 25,4 ist eine Nachahmung von Hi 4,17 und 15,14. 4 Vgl. Hi 9,5-10; 12,9-15; 38,4-8.17-19. 5 Eine genaue Zusammenstellung der einzelnen Überschneidungen bei M. WITTE, Leiden, 150ff. 6 Die sprachliche Eigenständigkeit des Kapitels zeigt M. WITTE, Leiden, 149f. 7

A n d e r s M . WITTE, L e i d e n , 1 4 8 ; K . DELL, B o o k o f J o b , 1 3 2 ; D . WOLFERS, T h e S p e -

ech-Cycles in the Book of Job: VT 43 (1993), 385-402, 396. 8 Hi 26,5ff. gilt häufig als übernommenes Traditionsstück, so bei E. WORTHWEIN, Gott und Mensch in Dialog und Gottesreden des Buches Hiob, in: ders., Wort und Existenz. Studien zum Alten Testament, Göttingen 1970, 217-295, 226; vgl. sonst exemplarisch G. FOHRER, KAT, 381 ff. Zur Einheitlichkeit des Textes ebd.; M. WITTE, Leiden, 1 4 9 ; C . WESTERMANN, A u f b a u , 1 2 9 . A n d e r s V . M A A G , H i o b , 1 4 8 ; J . VERMEYLEN, J o b , 28. 9

Die meisten Exegeten sehen in 26,5ff. denn auch die Fortsetzung der Rede Bildads:

S. TERRIEN, C A T ,

1 8 2 - 1 8 5 ; M . POPE, A n c B ,

1 8 0 - 1 8 6 ; R . GORDIS, J o b , 2 7 4 - 2 8 1 ;

N.

Der „dritte Redegang" und die Reden Elihus (Hi 23-32; 32-37)

61

Hi 26,14 und 27,2 werden durch die Notiz „Und Hiob setzte seinen Spruch fort und sprach" (27,1) eingeleitet. Danach beginnt sein Unschuldsbekenntnis, das als Eid formuliert ist (27,2-6). Mit der Verfluchung des „Feindes" V. 7 beginnt eine erneute Rede Hiobs über die OTEh (27,7-23). Im Anschluß an die Verfluchung von Hiobs Feinden, denen es ergehen möge wie den CPU2H (V 7.), stehen als Fragen formulierte Überlegungen über das Schicksal der Sünder ( ^ n : Vv. 8-10), danach folgt eine Ankündigung der „Lehre" Hiobs über Gottes Vorhaben (Vv. 11-12). Vv. 13-23 stellen diese „Lehre" dar, die wieder die DTtff'l zum Gegenstand hat. Die Verse sind größtenteils eine Paraphrase der Reden der Freunde zu diesem Thema 1 , d.h. 27,13ff. bringt inhaltlich nichts Neues und steht als Rede Hiobs in offenem Widerspruch zu Kap. 212. Die Zusammenstellung von Hi 27,2-6 und 13-23 dient offenbar der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Hiobs persönlicher Unschuld und dem Handeln der • ' W ' T Hi 27 macht sprachlich und sachlich einen sehr zusammengesetzten Eindruck. Vv. 2-7 lassen sich als Unschuldsbekenntnis Hiobs als Fortsetzung nach Kap. 23 oder Beginn von Kap. 29-31 wahrscheinlich machen 3 , VV. 1323 scheinen wieder - wie schon Hi 25 und 26 - eine Zusammenstellung von Motiven aus vorangegangenen Reden durch einen Bearbeiter zu sein. Unvermittelt beginnt 28,1 die Meditation über die verborgene Weisheit, die sprachlich und sachlich eine Sondergröße in der Hiob-Dichtung darstellt 4 . An diese schließt sich nach der erneuten Unterbrechung 29,1 Hiobs abschließende Klage und Herausforderung Gottes an (Hi 29-31). Diese Rede, die - wie bereits gezeigt - dem Grundentwurf der Hiob-Dichtung zuzuweisen ist5, bildet den Übergang vom Dialog zwischen Hiob und den Freunden zum Dialog zwischen JHWH und Hiob.

Aus diesem Überblick ergibt sich, daß Hi 23-28 eine Kombination aus „echten" Texten des Grundentwurfs der Hiob-Dichtung 6 , Nachahmungen von Motiven des Grundentwurfs 7 und Texten von fremder Hand 8 ist. Dabei

HABEL, OTL, 364ff. Dagegen ist geltend zu machen, daß mit der Fortsetzung von 25,2-6 durch 26,5ff. die kompositorische und inhaltliche Struktur von Kap. 25 aus dem Gleichgewicht gerät. Hi 25 ist bei aller Kürze vollständig. 1 27,13 zitiert 20,29; es finden sich weiter Anklänge an Hi 8 und 20. 2 Aufgrund dieser Übereinstimmung wird in Hi 27,13ff. häufig die verlorene dritte Rede Zophars gesucht, so bei S. TERRIEN, CAT, 188f.; M. POPE, AncB, 187-196; R. GORDIS, Job , 292-296; V. MAAG, Hiob, 148f.; N. HABEL, OTL, 383ff. 3 Der genaue Ort ist nicht mehr festzustellen. Mit V. MAAG, Hiob, 148; M. WITTE, Leiden, 156f. ist das Unschuldsbekenntnis Hiobs auf 27,2-6 zu beschränken. Der Fluch über die Feinde steht damit in keinem erkennbaren Zusammenhang, denn Hiobs einziger Feind ist Gott selbst. Vv. 11-12 sind kaum als Vorspann zu Hi 29-31 zu verstehen (so N . HABEL, O T L , 3 8 2 ) . 4

Die Einheitlichkeit von Hi 28 ist überdies umstritten, häufig wird mit einem Wachstum des Textes noch nach seiner Einfügung in das Hiobbuch gerechnet, vgl. dazu M. WITTE, Leiden, 17f. 162ff. Besonders umstritten ist dabei V. 28 (vgl. M. WITTE, Leiden, 164; V. MAAG, Hiob, 149; P. DOLL, Menschenschöpfung, 221 ff. gegen G. FOHRER, KAT, 389ff.). 5 Zu Erweiterungen dieses Grundbestandes s. unten Kap. 5.3.3. 6 Hi 23; 27,1-6. 7 25,2-6; 26,2-14; 27,13-23. 8 Hi 24; 28.

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Stationen der

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ist mit einem sukzessiven Wachstum des Textabschnitts zu rechnen, dessen Einzelstadien kaum noch rekonstruiert werden können. Hi 23-28 ergeben also keinen kohärenten Textzusammenhang. Allerdings sind sie ganz offensichtlich auch nicht als solcher konzipiert, sondern als Erweiterung des Abschlusses des Dialogs zwischen Hiob und den Freunden. Dabei sind die Kapitel in die lange Abschlußrede Hiobs (2331*) eingeschaltet worden und zwar derart, daß eine Verlängerung des Gesprächs mit den Freunden entstanden ist1. Es ergeben sich in diesem Textkonglomerat punktuelle Widersprüche zum Grundentwurf, vor allem in der Position Hiobs zum Schicksal der •''JJBh. Doch auch diese Widersprüche sind im Zusammenhang mit der übrigen Dichtung zu lesen. Hiob behauptet nach wie vor seine persönliche Unschuld und setzt sich von den cryah deutlich ab2. Was jedoch fehlt, ist die Anklage Gottes. Durch Hi 26,5ff. im Zusammenhang mit der Frage nach der persönlichen Unschuld Hiobs und dem Schicksal der • W T ist diese sogar deutlich relativiert. Die Entstehung der Kap. 24-28 läßt sich vom Grundentwurf der HiobDichtung aus nicht erklären. Sie sind weder ein Teil des Grundentwurfs (mit Ausnahme von 27,2-6) noch Restbestände, noch eine notwendige Ergänzung. Aus diesem Grund muß der Anhaltspunkt für die Entstehung des „dritten Redegangs" an anderer Stelle gesucht werden als im Grundentwurf der Hiob-Dichtung, nämlich bei den Reden Elihus. Es ist davon auszugehen, daß die Reden Elihus einen interpretierenden Zusatz zur HiobDichtung darstellen; sprachlich, stilistisch und theologisch erweisen sie sich als eigenständige Größe im Hiobbuch 3 . Sie bilden dabei eine weitgehend einheitliche literarische

1 Wie gezeigt, war im Grundentwurf der Hiob-Dichtung kein „dritter Redegang" intendiert. Hi 23-28 lassen sich daher nicht als Rekonstruktion eines solchen plausibel machen. Die Annahme einer redaktionellen Kürzung des ursprünglichen „dritten Redegangs" (G. FOHRER, KAT, 16. 35) bleibt notwendigerweise Spekulation. Rekonstruktionsversuche, die mit Editionsfehlern oder bewußter Redaktion rechnen, können weder die Fragmentierung der Bildadrede noch den Ausfall der Rede Zophars befriedigend erklären (zu den einzelnen Erklärungsversuchen vgl. M. WITTE, Leiden, 28ff.). Darüber hinaus bietet die Textgeschichte keinerlei Anhalt für solche Annahmen. 2 Die häufig vertretene Position, im „dritten Redegang" würde Hiob auf die argumentative Linie der Freunde einschwenken (vgl. exemplarisch V. MAAG, Hiob, 195ff.), ist vor diesem Hintergrund nicht ganz zutreffend. 3 Vgl. die ausfuhrliche Zusammenfassung bei H.-M. WAHL, Schöpfer, 173ff. Stilistische Auffälligkeiten sind weiterhin zusammengestellt bei G. FOHRER, KAT, 41; zu lexematischen Eigentümlichkeiten vgl. die Liste bei H. TUR-SINAI, The Book of Job. A New Commentary, Jerusalem 1957, 519ff. Die ursprüngliche Zugehörigkeit von Hi 32-37 zum Grundentwurf der Hiob-Dichtung wird neuerdings wieder behauptet von N. HABEL, OTL, 36ff. Zu weiteren Ansätzen dieser Art vgl. H.-M. WAHL, Schöpfer, 14ff.

Der „dritte Redegang " und die Reden Elihus (Hi 23-32;

32-37)

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Größe 1 , die dem Grundentwurf an poetischer Dichte kaum nachsteht. Inhaltlich präsentieren sich Hi 32-37 als Auseinandersetzung mit der Theologie des Grundentwurfs der Hiob-Dichtung: Durch umfangreich kommentierte Zitation der Reden Hiobs, der Freunde und Gottes 2 werden diese in den Elihureden einer kritischen Prüfung unterzogen. Elihu macht dabei deutlich, daß Leid zwar eine Folge der Sünde, primär jedoch Erziehungsmaßnahme Gottes ist (Hi 33,13-28). Gott ist als Schöpfer der gerechte Gott (Hi 34). Diese beiden Argumentationsstränge werden in Elihus Abschlußrede zusammengeführt (Hi 36-37). Elihu legitimiert sich durch Geistbegabung (Hi 32,8.19) und verweist auf die Offenbarung Gottes in Visionen und Träumen (33,14ff.). Auch Engel können als Mittlerwesen Gottes Wege deutlich machen (Hi 32,23ff.). Die Reden Elihus sind theologiegeschichtlich später einzuordnen als der Grundentwurf der Hiob-Dichtung 3 . Sie verschieben die Thematik des Buches vom „Warum" des Leidens - das im Grundentwurf zum Ausgangspunkt für die Anklage Gottes wird - zum „Wozu" 4 . Gott wird entlastet. Von hier aus wird die Position der Reden Elihus im Aufriß des Hiobbuches nach Hiobs Abschlußreden und vor der Rede Gottes verständlich. Elihus Reden verbinden das Gerechtigkeitsproblem mit der Schöpfungsthematik, so daß Gottes Reden über die Schöpfung Kap. 38ff. - in denen das Thema Gerechtigkeit fehlt - zum uneingeschränkten Lob seiner selbst und damit zur „Lösung" des Problems werden können 5 . Erweisen sich Hi 32-37 so als eine sprachlich und theologisch kongeniale intertextuelle Interpretation des Grundentwurfs 6 , so lassen sie doch keinerlei Bezug auf Hi 24-28 erkennen 7 . Auch ein Bezug auf die zweite Gottesrede läßt sich nicht nachweisen. Vor allem die Prosa-Einleitung der Elihu-Reden Hi 32,2b-3 erscheint sinnvoller, wenn Hiob seine Ansicht noch nicht durch Kap. 24; 27 modifiziert hat. Schließen Hi 32-37 gewissermaßen eine inhaltliche „Lücke" des Grundentwurfs - in der Verbindung von Schöpfung und Gerechtigkeit bei Gott - so stoßen sie ihrerseits die weitere Modifikation Hiobs in Hi 24-28 an.

1 Mit H.-M. WAHL, Schöpfer, 36-129. 145 ist gegen T. MENDE, Durch Leiden zur Vollendung, 15ff. an der Einheitlichkeit festzuhalten; möglicherweise haben kleinere Nachbearbeitungen stattgefunden (vgl. M. WITTE, Leiden, 191 A 62). 2 H.-M. WAHL, Schöpfer, 157ff. 3 Dies wird besonders deutlich an den Verschiebungen in der Schöpfungstheologie; vgl. Hi 36,27-31; 37,15-18 mit Hi 38ff. Üblicherweise wird die Elihu-Redaktion in das 473. Jh. datiert, vgl. H.-M. WAHL, Schöpfer, 181ff.; M. WITTE, Leiden, 193. Anders T. MENDE, Durch Leiden zur Vollendung, 442ff. 4

H . - M . WAHL, S c h ö p f e r , 174.

5

So verschieben die Reden Elihus erneut den Fokus der Dichtung; ohne sie liegt die Lösung erst im großen Textkomplex von Gottesreden und Epilog (s. dazu unten Kap. 6). 6 Es wäre nachzutragen, daß sich Hi 32ff. auch in textstrategischer Hinsicht als ernstzunehmender Entwurf zeigen. Ohne ihre Fremdheit zu verleugnen, sind die Reden vorsichtig und sinnvoll in den Gesamtaufriß integriert (H.-M. WAHL, Schöpfer, 172ff.), wobei besonders der programmatische Name Elihus auffällt (DERS., 40ff.). In seinem Namen Elihu ben Barakel erscheint an strategischer Stelle im Hiobbuch wieder die Wurzel - p a . 7 M. WITTE, Leiden, 173f.; vgl. auch T. MENDE, Durch Leiden zur Vollendung, 143; H.-M. WAHL, Schöpfer, 175ff. Im Unterschied zur umfangreichen Zitierung von Texten des Grundentwurfs in Hi 32-37 wird nur in geringem Maße auf Hi 24-28 angespielt: M . WITTE, L e i d e n , 174 A 4 .

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Stationen der

Hiobtradition

Hi 32-37 stellen also inhaltlich ein Korrektiv zum Grundentwurf dar und bilden kompositorisch ein retardierendes Moment 1 . Indem sie das thematische und kompositorische Gleichgewicht der Dichtung verschieben, geben sie den Anlaß zur Erweiterung des Dialogs mit den Freunden. Mit Hi 32-37 ist die Entscheidung über Gott gefallen: Gott ist gerecht, er kann also nicht in der Weise angeklagt werden, wie Hiob dies tut. Demzufolge wird im neuentstandenen „dritten Redegang" die Person Hiobs in ein neues Licht gerückt. Hiob bestätigt die Position der Freunde zum Schicksal des 17EM2, ohne daß jedoch seine persönliche Unschuld davon in Frage gestellt würde 3 . Hierin ist der erzählerische und thematische Schwerpunkt von Hi 24-28 zu suchen. Die Einfügung der dritten „Rede" Bildads mit dem Gerechtigkeitsmotiv übernimmt die textstrukturierende Funktion dieses Motivs, verdichtet es aber zur dezidiert theologischen These. So wird Hiob die Möglichkeit gegeben, sich noch einmal dialogisch zu den aufgeworfenen Problemen zu äußern, bevor er zur Anrede Gottes übergeht 4 . Angestoßen durch Bildads „Rede" bestätigt Hiob die Schöpfermacht und Unbegreiflichkeit Gottes (Hi 26) 5 sowie seine persönliche Unschuld und Gottes Gerechtigkeit (Hi 27). Damit ist der Weg für Hiobs endgültige Abschlußrede frei. Mit dieser Fortschreibung wird der generelle Aufriß der Hiob-Dichtung erheblich modifiziert. Hiob bleibt der unschuldig Leidende, relativiert aber - vom Schluß des Dialogs her - seine Anklage Gottes. Die grundlegende Konstellation bleibt bestehen, und den größten Teil des „dritten Redegangs" nimmt nach wie vor Hiobs Bekenntnis der Unschuld ein, nachdem durch die Klärung der theologischen Frage der Weg dazu freigemacht worden ist. Spätestens mit der Einfügung von Hi 24-28 ist der Schwerpunkt der Dichtung verschoben: von der Konfrontation zwischen Hiob und JHWH zum duldenden Hiob. Damit bekommt der Dialog auch sein kompositorisches Übergewicht gegenüber dem Rahmen,

1

Daß JHWH sich Hi 42,7-10 nicht zu den Reden Elihus äußert, läßt sich als implizite Bestätigung von dessen Position auffassen, zeigt aber auch, daß der Verfasser der ElihuReden nicht in den Grundentwurf der Hiob-Dichtung eingegriffen hat, vgl. dazu H.-M. WAHL, Schöpfer, 172f. Anders T. MENDE, Durch Leiden zur Vollendung, 139f. 275. Eine Entstehung von 42,7-10 von den Reden Elihus her (C. KÜHL, Literarkritik, 201; L. SCHMIDT, De Deo, 177; P. WEIMAR, Literarkritisches, 63 f.) läßt sich nicht wahrscheinlich machen. 2 27,13ff.; möglicherweise auch 24,18ff. 3 Auf diesen Punkt macht C. SEITZ, Job: Füll Structure, 12f. aufmerksam. 4 Schon im Grundentwurf war Hiobs Abschlußrede (Hi 23*; 27*; 29-31) zweiteilig. 5 In Korrespondenz damit ist möglicherweise die Meditation über die verborgene Weisheit zu sehen. M. WITTE, Leiden, 191 stellt Hi 26 und 28 ebenfalls in einen Zusammenhang. Daß Hi 28 Hiob als exemplarischen Weisen zeigt, so wie 24; 27 ihn zum exemplarischen Gerechten machen, vermutet C. SEITZ, Job: Füll Structure, 13.

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so daß die Konstellation des Rahmens zum erzählerischen Nebenmotiv dessen wird, was im Dialog verhandelt wird. Es darf allerdings nicht übersehen werden, daß diese Verschiebung des ursprünglichen Fokus der Hiob-Dichtung textstrategisch betrachtet legitim ist: Die Frage, ob und wie Hiob seine Prüfung besteht, ist bereits in der Novelle angelegt, Hiob als exemplarischer Gerechter ist der Überlieferung bekannt. Das Wachstum von Hi 23-37 läßt sich also in drei Stadien gliedern: - Der Grundentwurf des Abschlusses des Dialogs zwischen Hiob und den Freunden umfaßt Hi 23; 27,2-6; 2 9 - 3 1 O b diese Reden ursprünglich getrennt voneinander vorlagen, ist nicht mehr zu ermitteln. - Der erste erweiterte Bestand des Textes umfaßt den Grundentwurf mit den daran angefügten Reden Elihus (Hi 32-37). - Die zweite Bearbeitung besteht in der Erweiterung durch Hi (24); 2526; 27,7-23 (28).Versuchsweise könnte erwogen werden, Hi 24 und 28 aufgrund ihrer völligen Andersartigkeit einer weiteren Bearbeitung zuzuweisen, doch muß diese Entscheidung hier offenbleiben. Eine genaue Zuordnung der Einzeltexte in Hi 24-28 zu einer oder auch zu mehreren Redaktionsschichten ist nicht möglich. Der „dritte Redegang" ist zwar kein „verstümmelter Torso" 2 , doch sind die Texte trotz sprachlicher und sachlicher Differenziertheit derart ineinander verwoben, daß schon ihre Trennung voneinander schwierig ist3. Für eine Zuordnung zu klar erkennbaren Bearbeitungsschichten sind die Texte überdies zu disparat, zu fragmentarisch und auch nicht umfangreich genug 4 . Noch vorsichtiger muß der Versuch beurteilt werden, von Hi 24-28* aus eine redaktionsgeschichtliche Analyse des gesamten Hiobbuches vornehmen zu wollen, bzw. den Zustand dieser Kapitel aus redaktionsgeschichtlichen Hypothesen zum Hiobbuch abzuleiten. Die Zuordnung des „dritten Redegangs" zu Teilen der weiteren Dichtung ist aus den oben genannten Gründen schwierig. Hi 3-23 ergeben einen im wesentlichen kohärenten Textzusammenhang mit deutlich erkennbaren sprachlichen, kompositorischen und 1 Vor allem Kap. 29-31 sind noch weitgehend redaktionell bearbeitet worden. Da aber eine Entscheidung über den Textbestand dieser Kapitel von der Analyse des Textes abhängt, wird die literarkritische Betrachtung der Schlußrede Hiobs in der Exegese von Hi 29-31 stattfinden; vgl. unten Kap. 5.3.3. 2 C. KÜHL, Literarkritik, 280. 3 Der fast grenzenlose Dissens darüber, welche Texte wie abzugrenzen sind, scheint dies zu bestätigen, vgl. die Forschungssynopse bei M. WITTE, Leiden, 239ff. 4 Dies muß vor allem gegen den Ansatz von M. WITTE, Leiden geltend gemacht werden. Trotz großer philologischer Genauigkeit in der Textanalyse sind die Kriterien zur Einordnung der Redaktionsschichten nicht konsequent durchgeführt; so sind die sprachlich-sachliche Identifikation der „Majestätsredaktion" (179) und der „Gerechtigkeitsredaktion" (183) kaum nachzuvollziehen, zumal sie sich in Hi 24-28 auf jeweils zu wenige Verse beschränken, um den Nachweis einer Kompositionstechnik und einer Theologie zu rechtfertigen.

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theologischen Schwerpunkten, aus dem sich abweichende Einzelpassagen nur schwer herauslösen lassen 1 . Dabei macht die Diskrepanz zwischen dem geordneten Text Hi 323* und dem Konglomerat Hi 24-31* einen solchen Zugang von vornherein fragwürdig. Es ist daher die pragmatische - wenn auch nicht voll befriedigende - Lösung, für Hi 2428 mit Nachahmungen und Variationen vorgegebener Texte zu rechnen. Zwar haben die Reden Elihus diesen Vorgang angestoßen, doch läßt sich auch von ihnen her keine redaktionsgeschichtliche Schichtung des Hiobbuches begründen 2 .

3.3 Gottesrede oder Gottesreden? (Hi 38,1-42,6) An den Dialog zwischen Hiob und den Freunden schließt sich der Dialog zwischen JHWH und Hiob an, der den Schlußteil der Dialogdichtung bildet. Im vorliegenden Text umfaßt dieser abschließende Teil des Dialogs vier Abschnitte: - eine Rede JHWHs (38,1-39,30) - einen Kurzdialog zwischen JHWH und Hiob(40,1 -5) - eine zweite Rede JHWHs (40,6-41,26) - eine abschließende Antwort Hiobs (42,1-6) Offensichtlich orientiert sich dieser Aufbau an den zwei Teilen des Dialogs zwischen Hiob und den Freunden. Trotzdem verweist eine Reihe von Inkohärenzen auch für diese Kapitel auf literarische Nacharbeit. Die Zugehörigkeit der ersten Rede JHWHs (Hi 38,1-39,30) zum Grundentwurf der Hiob-Dichtung wird kaum jemals bestritten3. Auffallend ist an ihr das Fehlen jeglicher Gerechtigkeitsthematik. Diese findet sich erst in 40,1-5 und dann in voller Ausführlichkeit in der zweiten Rede JHWHs. Es stellt sich die Frage, ob mit Kap. 40f. ein sachliches „Defizit" redaktionell ausgefüllt wurde oder ob bereits der Grundentwurf von Hi 38ff. sowohl Schöpfung als auch Gerechtigkeit thematisiert hat. Es ist dabei sehr wahr-

1

Einzelne kleinere Texte, deren Zugehörigkeit zum Grundbestand umstritten ist (so vor allem Hi 9,5-10; 12,7-13), werden in der Exegese verhandelt. Dem Grundentwurf ist bei aller erkennbaren Strukturierung keine zu starke Symmetrie zugrundezulegen. Vor allem die Kompositionsaxiome von M. REDDY, Reconstruction, 60f. und das lexematisch-kolometrisch-formgeschichtliche Modell von M. WITTE, Leiden, 57f. lassen die inhärente Dramaturgie des Hiobbuches außer acht. Rein inhaltlichtheologiegeschichtliche Zugänge wie der von V. MAAG, Hiob, 149f. und J. VERMEYLEN, Job, 63 ff. vernachlässigen die Sprachgestalt des Textes. 2 Dies versucht T. MENDE, Durch Leiden zur Vollendung, 15ff. Zur Kritik vgl. M . WITTE, L e i d e n , 5 0 f . 3 Daß der gesamte Schlußteil des Dialogs auf redaktionelle Interpretation zurückgeht (vgl. z.B. C. KÜHL, Literarkritik, 270f.; J. HEMPEL, Problem, 168-170), ist höchst unwahrscheinlich, wie E. WÜRTHWEIN, Gott und Mensch, 278ff.; J. v. OORSCHOT, Gott als Grenze, 20-26 nachgewiesen haben.

Gottesrede

oder Gottesreden

(Hi

38,1-42,6)

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scheinlich, daß der Schlußdialog zwischen JHWH und Hiob nur eine Rede JHWHs und eine Antwort Hiobs enthielt. Die erste Rede JHWHs präsentiert in großer formaler und sachlicher Geschlossenheit Fragen über die Schöpfung und die Geschöpfe 1 . Diese Rede bricht relativ unvermittelt ab; die erneute Überschrift von 40,1 "IBWI ITtCnK mrP "|IH ist sachlich unnötig. Die Überschrift der zweiten Gottesrede 40,6 wiederholt wörtlich die Überschrift von 38,1, so daß sich zwischen den drei Überschriften 38,1; 40,1.6 ein Spannungsverhältnis ergibt. Es läßt sich daher annehmen, daß die Komposition aus zwei Reden JHWHs und zwei Antworten Hiobs durch redaktionelle Nachinterpretation entstanden ist. Darauf verweist auch der inhaltliche Widerspruch zwischen den beiden Antworten Hiobs 2 . Die zweite Rede JHWHs (40,6-41,25) umfaßt zwei Teile: In 40,6-14 setzt sich JHWH mit Hiobs Anspruch, gerecht zu sein, auseinander. Gegen Hiobs Rechtsanspruch (40,8) setzt JHWH eine Darstellung seiner Macht, vor allem Uber Stolze, Hochmütige und die CSJBh (40,914). Darauf folgt der zweite Teil, in dem die beiden Ungeheuer Behemoth (40,15-24) und Leviathan (40,25-41,25) beschrieben werden. Vor allem dieser Teil der zweiten Gottesrede wirft Fragen auf. 40,15-24 ist von den Tierbeschreibungen in der ersten Gottesrede deutlich unterschieden 3 . Der sachliche Anschluß von 40,15ff. an 40,6-14 ist nicht klar zu erkennen 4 , die Anrede an Hiob tritt zurück. Sie tritt im folgenden Abschnitt (40,26-32) wieder deutlicher in Erscheinung, wo die Beherrschbarkeit des Leviathan thematisiert wird. Ab 41,1 findet sich wieder ein abweichender Stil, die Anrede an Hiob fehlt, und die auffallend breite Beschreibung des Leviathan läuft auf seine Bezeichnung als „König der Tiere" hinaus 5 . Die stilistische und sachliche Unterschiedlichkeit von Hi 40,15-41,26 gegenüber Hi 38f. sowie der fehlende Bezug auf den vorangegangenen Dialog 6 lassen vermuten, daß die beiden Tierbeschreibungen an die Auseinandersetzung um JHWHs und Hiobs Gerechtigkeit angefügt worden sind 7 . 1

Darin ist der Abschnitt über das Straußenweibchen 39,13-18 mit einiger Wahrscheinlichkeit ein größerer Zusatz. Er weist stilistisch große Unterschiede zur Umgebung auf, fuhrt Gott in der 3. Person ein und fehlt in der LXX, vgl. dazu J. v. OORSCHOT, Gott als Grenze, 177f.; M. WITTE, Leiden, 180f. Anders O. KEEL, Entgegnung, 37f.; H.-P. MÜLLER, Die sogenannte Straußenperikope der Gottesreden des Hiobbuches: ZAW 100(1988), 90-105, 113ff. 2 Vgl. G. FOHRER, KAT, 38f.; J. v. OORSCHOT, Gott als Grenze, lOf. 148. Anders V. KUBINA, Gottesreden, 27-30; N. HABEL, OTL, 526f.; R. GORDIS, Job, 565-567; S. TERRIEN, CAT, 257ff.; O. KEEL, Entgegnung, 35ff.; C. WESTERMANN, Aufbau, 114. 3 Anders als Kap. 39 ist der Abschnitt überwiegend im Nominativ gehalten, die Beschreibung ist deutlicher als die Tierbeschreibungen in Kap. 39 naturweisheitlich geprägt: H. RICHTER, Die Naturweisheit des Alten Testaments im Buche Hiob: ZAW 70 (1958), 1-20, 155ff.; J. V. OORSCHOT, Gott als Grenze, 158ff. Anders V. KUBINA, Gottesreden, 32ff. 4 C. WESTERMANN, Aufbau, 119; J. V. OORSCHOT, Gott als Grenze, 161. 5 Vgl. C. WESTERMANN, Aufbau, 1 1 9 f f ; J. v. OORSCHOT, Gott als Grenze, 162ff. 6

7

V g l . d a z u J. V. OORSCHOT, Gott als G r e n z e , 2 6 f f .

Die stilistische Unterschiedlichkeit von Hi 40,15ff. gegenüber 38f.; 40,6-14 rechtfertigt eine literarkritische Separierung des größten Teils der zweiten Gottesrede. Die Verteidigung der Ursprünglichkeit von Hi 40,15-41,26 aufgrund stilistischer und begriff-

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Stationen der

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Erkennt man in 40,15ff. eine redaktionelle Nachinterpretation des Grundentwurfs von Hi 38-42*, ergibt sich die Frage, wo das ursprüngliche Ende der Rede JHWHs zu finden ist und welche der beiden Antworten Hiobs zum Grundentwurf gehört1. Die sachlichen Übereinstimmungen von 40,2.7-14 mit 38,1-3 und ihr enger Bezug zum vorangegangenen Dialog 2 lassen vermuten, daß in diesen Versen das Ende der Rede Gottes liegt, so daß 38,1-3; 40,2.7-14 die Rede JHWHs über seine Schöpfung rahmen. Die sachliche Dramaturgie des Abschlusses der Gottesrede trägt dann der Bedeutung von Recht und Gerechtigkeit in Kap. 3-31* Rechnung und schließt mit einer conclusio über die Macht Gottes3. Gegen diese Rekonstruktion sind indes Einwände zu erheben. Es ergibt sich ein Ungleichgewicht zwischen der Darstellung der Schöpfung (68 Verse), dem Recht (3 Verse) und der Macht Gottes (6 Verse), das sich nicht erklären läßt4. Außerdem läßt sich der Zusammenhang zwischen 40,2 und 40,7ff. nicht erweisen. 40,2 bildet einen deutlichen Abschluß; danach bilden 40,7ff. einen sachlich und stilistisch schwer zu erklärenden Neuansatz5. Dagegen lassen sich sowohl licher Beobachtungen (V. KUBINA, Gottesreden, 115ff.; R. GORDIS, God and Man, 122f.; S. TERRIEN, CAT, 259ff.) läßt sich nicht halten, vgl. J. v. OORSCHOT, Gott als Grenze, 50ff.; M. WITTE, Leiden, 186ff. N. HABEL, OTL, 527f. verteidigt die Zugehörigkeit von 40,15ff. zum Grundentwurf der Hiob-Dichtung im Anschluß an Kubina aus strukturellen Gründen. Auch C. WESTERMANN, Aufbau, 119ff.; O. KEEL, Entgegnung, 38ff.; E. RUPRECHT, Das Nilpferd im Hiobbuch: VT 21 (1971), 209-231, 209ff. rechnen mit einer ursprünglichen Zugehörigkeit von 40,15ff. zum Grundentwurf, machen indes inhaltliche Gründe dafür geltend. Vgl. zur Kritik J. V. OORSCHOT, Gott als Grenze, 73ff. Innerhalb des Abschnitts 40,15ff. ist noch mit weiterem Textwachstum zu rechnen, vgl. C. WESTERMANN, Aufbau, 119f.; J. v. OORSCHOT, Gott als Grenze, 163ff. 1 Wie J. V. OORSCHOT, Gott als Grenze, 171f. zeigt, reicht der Bestand von 40,6-14 nicht für eine zweite Gottesrede aus. Wenn die Verse zum Grundentwurf gehören, bildeten sie wahrscheinlich den Abschluß von 38f. Daß der Hiob-Dialog ursprünglich mit einer Rede Gottes, aber ohne eine Antwort Hiobs schloß (so V. MAAG, Hiob, 94. 200; im Anschluß daran M. WITTE, Leiden, 175-182.186-188), läßt sich weder inhaltlich noch strukturell wahrscheinlich machen, vgl. J. V. OORSCHOT, Gott als Grenze, 103ff. 2 Vgl. J. V. OORSCHOT, Gott als Grenze, 150: „Außerhalb dieser Abschnitte gibt es keine nennenswerten Beziehungen zum Dialogteil. (...) Mithin liegen uns in 38,1-3; 40,2 und 40,(6)8-14 die für die literarische Analyse wesentlichen Abschnitte vor, in dem Sinne, daß sie als Bindeglied zwischen Dialog, Herausforderungsrede und Gottesrede dienen und zugleich innerhalb der Rede Gottes das sonst Gesagte bündeln und richtungsweisend zusammenfassen." Vgl. auch E. WURTHWEIN, Gott und Mensch, 283; G. FOHRER, KAT, 496. 3

S o E. WÜRTHWEIN, G o t t u n d M e n s c h , 2 8 3 ; G . FOHRER, K A T , 5 1 9 ; J. V. OORSCHOT,

Gott als Grenze, 152ff. 4 Dieses Ungleichgewicht ist besonders problematisch, wenn man in 40,2-14 den eigentlichen Schwerpunkt der Auseinandersetzung sieht (so E. WÜRTHWEIN, Gott und M e n s c h , 2 8 3 ; G . FOHRER, K A T , 5 2 1 ) . 5

Dies haben S. R. DRIVER/G. B. GRAY, The Book of Job, Edinburgh 1921 (ICC 28), 347f. betont. Die Zusammenschau von 40,2.8-14 und ihre Anbindung an 38f., die

Gottesrede oder Gottesreden (Hi 38,1-42,6)

69

40,2 als auch 40,7-14 als zwei redaktionelle Nacharbeiten wahrscheinlich machen1. Es läßt sich mithin annehmen, daß 39,30 im Grundentwurf der Dialogdichtung das Ende der Rede JHWHs bildete; eine zweite Rede JHWHs war nicht intendiert, sondern wurde nach der Vorgabe der Dialogdramaturgie redaktionell gestaltet2. Die zweite Gottesrede schließt sich an das Frevlerthema an, das in Hi 15-20 zwischen Hiob und den Freunden verhandelt wird und aus dem sich Hiobs Verteidigung seiner Gerechtigkeit entwickelt. Behemoth und Leviathan werden im Zusammenhang der Herrschaft Gottes über die Frevler als Beispiele aufgeführt3. Vermutlich sind bei der Komposition der zweiten Gottesrede umfangreiche Traditionsstücke verarbeitet und zusammengestellt worden4; die Einleitung der zweiten Gottesrede ist eine redaktionelle Nachahmung vorangegangener Reden. Die Ergänzung des Schlußdialogs durch die zweite Gottesrede zog die Komposition zweier Antworten Hiobs nach sich. Die beiden Antworten stehen in einem inhaltlichen Widerspruch zueinander: In 40,5 kündigt Hiob sein Schweigen an; in 42,2-6 dagegen spricht er erneut. Dabei verdanken sich die beiden Zitate 42,3a.4 wahrscheinlich redaktioneller Arbeit 5 . Häufig wird angenommen, der Grundentwurf der einen Antwort Hiobs sei im Verlauf des Wachstums von 38-42 auf zwei Antworten aufgeteilt worden 6 .

J. v. OORSCHOT, Gott als Grenze, 144f. 153f. dagegen geltend macht, ist bemüht. Richtig ist jedoch der Einwand, daß sich die Ursprünglichkeit von 40,2 nicht aus 40,4f. ableiten läßt (J. v. OORSCHOT, Gott als Grenze, 143 gegen S. R. DRIVER/G. B. GRAY, ICC, 348). 1 Außer den oben genannten Gründen fällt 40,2 die Selbstbezeichnung JHWHs als "Hi»' und m1?« auf (vgl. V. MAAG, Hiob, 197; M. WITTE, Leiden, 186); die umfangreiche Zitation vorausgegangener Reden, wie sie in 40,7-14 vorliegt (vgl. M. WITTE, Leiden, 187), findet sich außer in 22,13f. nur in Ergänzungen und Erweiterungen des Grundentwurfs. Zitationen bilden den Grundstock der Reden Elihus. Auch der Zusatz 22,17-18 wird aus einem Zitat gebildet. 2 Vgl. dazu V. MAAG, Hiob, 199f. Ähnlich M. WITTE, Leiden, 187. Daß dabei das ursprüngliche Ende der Gottesrede ausgefallen ist und durch den neuen Schlußdialog ersetzt wurde, ist Spekulation. 3 Bei den beiden Darstellungen sind die Anteile naturweisheitlicher und mythischer Tradition umstritten. Ein Überblick über die Debatte würde zu weit führen; vgl. daher G. FUCHS, Mythos, 225-280. Im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte dieses Abschnitts dürfte ihre Beobachtung zutreffen, daß die beiden Ungeheuer von vornherein Tiere und numinose Wesen sind (228; vgl. E. RUPRECHT, Nilpferd, 228). 4 Vgl. J. v. OORSCHOT, Gott als Grenze, 158-170. 5

V g l . G . FOHRER, K A T , 5 9 2 ; C . WESTERMANN, A u f b a u , 1 2 5 ; J . v . OORSCHOT, G o t t

als Grenze, 190; M. WITTE, Leiden, 175. 6

V g l . S. R . D R I V E R / G . B . GRAY, I C C , 3 4 8 f . ; E . WÜRTHWEIN, G o t t u n d M e n s c h , 2 8 4 ;

G . HÖLSCHER, H A T , 9 8 ; G . FOHRER, K A T , 5 3 l f . ; C . WESTERMANN, A u f b a u ,

V. MAAG, Hiob, 190; M. WITTE, Leiden, 175.

124f.;

70

Stationen der

Hiobtradition

40,4f.; 42,2-3 entsprechen sich sowohl inhaltlich als auch strukturell1. Problematisch bleibt allerdings das Verhältnis von 40,5 und 42,3ff. Außerdem ist 40,4f. direkt an 40,2 gebunden.

Hiobs erste Antwort 40,4f. läßt sich sachlich nicht von 40,2 trennen. Mit dem Kurzdialog zwischen JHWH und Hiob 40,1-5 wird der Schwerpunkt der Gottesrede 38f. von Hiobs Antwort auf Hiobs Unterwerfung hin verschoben. Demgegenüber formuliert 42,2-6* eine echte Antwort Hiobs. Es ist daher anzunehmen, daß 40,4f. gemeinsam mit der Erweiterung durch 40,2.6ff. gestaltet wurde. Der Grundentwurf des Dialogschlusses umfaßt also 38,1-39,30 als Rede JHWHs und 42,2.3b.5-6 als Antwort Hiobs. Dieser abschließende Teil legt den thematischen Schwerpunkt auf die Schöpfung; in ihr formuliert Hiob seine Antwort an Gott, mit der der Konflikt zwischen Hiob und JHWH beendet wird. Das Fehlen des Schwerpunktthemas aus Kap. 3-31* im Schlußdialog - die Frage nach Ordnung und Gerechtigkeit - ist bei der Revision des Hiobbuches offensichtlich als Defizit empfunden worden. Mithin wurde der Schlußdialog um dieses Thema ergänzt. Im Horizont einer Schöpfungstheologie dienen Schöpfung und Beherrschung der beiden Ungeheuer Behemoth und Leviathan zum Beleg der Macht Gottes über die D'WT ES ist anzunehmen, daß der gesamte Abschnitt Kap. 40f. einer Redaktion angehört, wobei die Abschnitte über Behemoth und Leviathan wahrscheinlich aus Traditionsgut komponiert worden sind. Dabei weist sich 40,1-5 als deutliche Klammer aus, die die Verschiebung des thematischen Schwerpunkts anzeigt. Die Betonung der Schöpfermacht Gottes und ihre Verbindung mit der Gerechtigkeit Gottes weist enge Bezüge zu Teilen des redaktionellen „Dritten Redegangs" auf 2 , so daß angenommen werden kann, daß die Ergänzung des „Dritten Redegangs" und des Schlußteils der Dialogdichtung einem Redaktionsgang angehören.

J. v. OORSCHOT, Gott als Grenze, 172; M. WITTE, Leiden, 175. Vgl. M. WITTE, Leiden, 186ff., obwohl seine redaktionsgeschichtlichen Hypothesen hier nicht geteilt werden. 1

2

Kontinuität

und

Diskontinuität

71

3.4 Kontinuität und Diskontinuität: Zusammenfassung Das Hiobbuch ist das Ergebnis eines komplexen InterpretationsVorgangs: Es beginnt mit der interpretierenden Fortschreibung einer schriftlich vorliegenden Überlieferung, die dann weitere Fortschreibungen und Ergänzungen nach sich zog. Die einzelnen Stadien redaktioneller Nacharbeit am Hiobbuch lassen sich einander nicht mit Sicherheit zuordnen; aus diesem Grund sollen hier lediglich Hauptlinien und -aspekte aufgezeigt werden. Die Geschichte des Hiobbuches beginnt mit der Hiob-Novelle (Hi 1,15.13-20.21b; 42,12-17). In ihr bekam die Überlieferung des unschuldig leidenden Hiob, der doch von JHWH gesegnet wird, exemplarisch Gestalt. Ob Ez 14,14ff. bereits diese Erzählung vor Augen hat oder ob der Prophet noch auf Vorstadien der Hiob-Novelle anspielt, kann nicht mehr entschieden werden. Ebensowenig läßt sich die Entstehung der Hiob-Novelle sicher datieren. Der Zeitraum läßt sich nur ungefähr auf die spätvorexilische bis frühnachexilische Zeit legen 1 . Die theologische und erzählerische Konfiguration der Novelle - der unschuldig leidende Hiob und Gott als Verursacher des Leidens - gab den Anstoß zum Grundentwurf der Hiob-Dichtung. Bei dieser wird die HiobNovelle zunächst um Hi l,6-12.21a.22; 2,1-13; 42,7-11 erweitert. Damit wird der narrative Schwerpunkt verlagert. JHWH kommt als Akteur in die Handlung, und Hiobs unschuldiges Leiden wird zu einem „Testfall" für die Frage nach Frömmigkeit, Leid und Schuld. Die Verlagerung des narrativen Schwerpunkts führt zu einer Verschiebung des theologischen Akzents, indem der unstrittige Sachverhalt, daß JHWH auch der Urheber des Leidens ist, ausführlich dargestellt und theologisch radikalisiert wird. D.h. die Hiob-Novelle wird auf einer neuen Ebene weitererzählt. Damit ergibt sich eine gewisse Diskontinuität des Überlieferungsvorgangs, aber kein radikaler Bruch. Die Konfiguration der Novelle wird dann in der Dialogdichtung weiter interpretiert. Die Frage nach JHWH und dem Leid und dem Verhalten Hiobs werden zum Gegenstand der Diskussion zwischen Hiob und den Freunden. Diese Diskussion umfaßt Hi 3-23; 27,1-6; 29-31*. Im Verlauf dieser Debatte rückt die Frage nach dem Verhältnis von persönlicher Unschuld und absoluter Gerechtigkeit Hiobs immer mehr in den Vordergrund; sie wird zum Forum für die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes. Diese Frage erhält keine Antwort. Vielmehr wird Hiob am Schluß der Dialogdichtung durch eine Begegnung mit JHWH zu einer neuen Gottesge-

1

Zu Datierungsfragen s. oben 3.1.

72

Stationen der

Hiobtradition

meinschaft geführt (Hi 38,1-39,30; 42,1-6). Im „Epilog", d.h. im erweiterten Ende der alten Hiob-Novelle wird dies noch weiter präzisiert. Der Grundentwurf der Hiob-Dichtung ist in nachexilischer Zeit entstanden, vermutlich um das 5. Jahrhundert 1 . Der Grundentwurf der HiobDichtung ist mehrfach erweitert und ergänzt worden. Bei allen Fortschreibungen läßt sich erkennen, daß das Verhältnis von göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit im Brennpunkt des Interesses steht. Dabei knüpfen die fortschreibenden Interpretationen an zwei zentrale Problemfelder der Hiob-Dichtung an: an Hiobs Behauptung, gerecht zu sein und an die eigentümliche „Lösung" der aufgeworfenen Fragen Hi 38f.; 42, in der die Frage nach der Gerechtigkeit keine Rolle spielt. Die erweiternden Eingriffe in die Hiob-Dichtung konzentrieren sich auf die zweite Hälfte des Textes ab Kap. 23. Hierbei lassen sich zwei redaktionelle Techniken unterscheiden. Die redaktionelle Fortschreibung des Textes vollzieht sich einerseits durch Einfügung eines separaten Textblocks und greift so in die Struktur der Dichtung ein. Zum anderen findet interpretierende Fortschreibung durch den direkten Eingriff in die Reden der Dialogdichtung statt. Dabei ist die erste Form der Redaktion vermutlich früher anzusetzen als die zweite. Die erste ergänzende Fortschreibung des Grundentwurfs in größerem Stil vollzog sich durch die Einfügung der Reden Elihus (Hi 32-37). Dieser neue „Akt" des Geschehens ist zwischen den Dialog Hiobs mit den Freunden (Hi 3-31*) und den Dialog JHWHs mit Hiob (Hi 38f.; 42) gefügt. Die Frage nach Hiobs Gerechtigkeit einerseits und Gottes Gerechtigkeit andererseits ist im „Prolog" der Reden Elihus (Hi 32,1-6) als Thema dieses redaktionellen Blocks ausgewiesen. Unter umfangreicher Zitation des Grundentwurfs wird Hiobs Behauptung, gerecht zu sein, bestritten. Hiob kann nicht gerecht sein, weil Gott - als Schöpfer - allein gerecht ist. Offensichtlich ist der Ansatzpunkt für diese Redaktion im Fehlen der Gerechtigkeitsthematik in Hi 38f.; 42 zu suchen. Noch bevor JHWH selbst über seine Schöpfung spricht, wird in der Theologie der Schöpfung die Lösung des Problems der Gerechtigkeit präsentiert. Damit verschieben die Reden Elihus den narrativen und theologischen Akzent des Schlußteils der HiobDichtung, die gewissermaßen einen neuen Schluß erhält. Hierbei ist die Diskontinuität zur Vorlage bereits relativ stark. Die Erweiterung der HiobDichtung durch die Elihu-Reden läßt sich um das 4. Jahrhundert ansetzen 2 .

1 2

Zu diesem Datierungsvorschlag s. unten Kap. 5.3.2. Vgl. H. M. WAHL, Schöpfer, 181ff.

Kontinuität

und

Diskontinuität

73

Die Reden Elihus erklären Hiobs Behauptung, gerecht zu sein, auf dem Hintergrund der gerechten Schöpfermacht Gottes für unangemessen. Das Problem, daß Hiob an seinem Leiden persönlich unschuldig ist, bleibt jedoch erhalten. Im Grundentwurf der Hiob-Dichtung werden Hiobs persönliche Unschuld und seine Gerechtigkeit miteinander gleichgesetzt. Die Tendenz der nächsten Redaktion nach der Elihu-Redaktion geht offensichtlich dahin, diese Gleichung aufzubrechen. Wie bei Elihu ist die Schöpfermacht Gottes der Deutehorizont dieser Theologie. Anders als bei Elihu wird diese Theologie vor allem unter ihrem anthropologischen Aspekt aufgegriffen. Aufgrund kreatürlicher Niedrigkeit kann der Mensch nicht gerecht sein, sondern ist auch im unschuldigen Leiden auf Gottes Gnade angewiesen. Durch die Erweiterung der Schlußrede Hiobs zu einem (fragmentarischen) „Dritten Redegang" (Hi 24-28) und die Ergänzung des Dialogschlusses um eine zweite Rede JHWHs und eine zweite Antwort Hiobs (Hi 40-41) ist diese Tendenz in die Hiob-Dichtung eingetragen worden. Wie schon in den Reden Elihus wird die Mehrdeutigkeit der Theologie der Hiob-Dichtung wieder eingeengt; von der Konfiguration des Grundentwurfs ist die letzte Redaktion relativ weit entfernt. Die Abfolge der einzelnen Interpretationen des Hiob-Stoffes zeigt insofern eine erkennbare Kontinuität, als die narrative Konfiguration der HiobÜberlieferung vom Anfang bis zum Schluß beibehalten wird. Innerhalb dieser Geschichte vollzieht sich an zwei Stellen ein relativ starker Neuansatz. Der erste besteht in der theologischen Radikalisierung der HiobNovelle durch die Dialogdichtung. Der zweite vollzieht sich in einer (Rück-)Verlagerung des genuin theologischen Problems zum Problem theologischer Anthropologie im „Dritten Redegang" und im erweiterten Schlußdialog. Die Reden Elihus bilden hierbei einen Übergang. Die nachfolgende Analyse der Hiob-Dichtung bezieht sich auf den ermittelten Grundentwurf. Sein Profil soll durch eine Nachzeichnung seiner Textstrategie deutlich werden, so daß auch die Ansatzpunkte für die Redaktionen transparent werden.

Kapitel 4

Gegenwart Gottes: Aufbau und Dramaturgie der Hiob-Dichtung Wie der diachrone Durchgang durch das Hiobbuch im vorigen Kapitel gezeigt hat, ist der Grundentwurf der Hiob-Dichtung das Ergebnis der Fortschreibung der alten Hiob-Novelle. Die Hiob-Dichtung hatte demnach von Anfang an die Form einer durch eine Prosaerzählung gerahmten Dialogdichtung. Die narrative und thematische Konfiguration der HiobNovelle gab den Anstoß für eine Fortschreibung in Form der HiobDichtung. Es läßt sich daher annehmen, daß die grundsätzlichen Anhaltspunkte für die Textstrategie der Hiob-Dichtung bereits in der Rahmenerzählung gefunden werden können. Es ließ sich weiterhin nachweisen, daß die Fortschreibung der alten Hiob-Novelle nicht nur in der Inkorporation der Dialogdichtung bestand, sondern daß die Novelle zusätzlich erweitert wurde. Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist die Novelle vom Verfasser der Dialogdichtung überarbeitet worden, der damit ein narratives Präludium der Dialogdichtung gestaltet hat. Ist die Hiob-Novelle in ihrer umgestalteten Form auf die Dialogdichtung ausgerichtet, so muß ihre Verbindung mit dem Dialog befragt werden'. Da die Novelle dem Dialog textlich und zeitlich vorausgeht, muß sie 1 Die „innere Konkordanz" (H. SPIECKERMANN, Die Satanisierung Gottes. Zur inneren Konkordanz von Novelle, Dialog und Gottesreden im Hiobbuch, in: Kottsieper, I./ v. Oorschot, J./Römheld, D./Wahl, H.M. (Hg.), „Wer ist wie du, HERR, unter den Göttern?". Studien zur Theologie und Religionsgeschichte Israels für Otto Kaiser zum 70. Geburtstag, Göttingen 1994, 431-444, 431) zwischen Rahmen und Dialog wird erst seit kürzerer Zeit verstärkt untersucht. Die Rahmenerzählung gilt meist als ausgeformtes Szenario für den Dialog, vgl. exemplarisch G. FOHRER, KAT, 32; DERS., Vorgeschichte, 42f.; E. WÜRTHWEIN, Gott und Mensch, 218f. A 1; ähnlich C. WESTERMANN, Aufbau, 33f.; R. GORDIS, God and Man, 73 und noch V. MAAG, Hiob, 20f. Dem Hiob-Rahmen sind eigenständige Untersuchungen gewidmet, die dessen narrative und theologische Qualität in den Blick nehmen. Bei diesen fehlt aber häufig eine genaue Untersuchung der Verknüpfung des Rahmens mit dem Dialog, so M. WEIß, Story; A. BRENNER, Job the Pious? The Characterization of Job in the Narrative Framework of the Book: JSOT 43 (1989), 37-52 ; R. FORREST, The Two Faces of Job. Imagery and Integrity in the Prologue, in: Eslinger, L./Taylor, G. (Hg.), Ascribe to the Lord. Biblical and other Studies in Memory of Peter C. Craigie, 1988 (JSOT.S 67), 385-398. Versuche einer Zusammen-

Zwischen Himmel und Erde: die

Rahmenerzählung

75

- in ihrer Gestalt als Prolog und Epilog der Dialogdichtung - zunächst gesondert vom Dialog untersucht werden. Erst danach ist die narrative und thematische Verklammerung des Dialogs mit dem Rahmen zu eruieren 1 , wobei angenommen wird, daß die Dialogdichtung theologische und dramaturgische Konfigurationen verlängert, die im Rahmen verdichtet vorliegen 2 . Das Verhältnis von impliziter Anlage des Problems in der Novelle und dessen expliziter Ausführung im Dialog entspricht einer Textstrategie, deren Grundlagen in Kapitel 2 dieser Arbeit ausgeführt wurden. Worum es geht, verbirgt sich hinter dem, was vorgeht. Die erwähnten Fragen werden in diesem Kapitel behandelt. Dabei wird zunächst die Textstrategie der Rahmenerzählung untersucht. Die daraus gewonnenen Ergebnisse werden anschließend auf Struktur und Komposition der Dialogdichtung angewandt, so daß sich ein Gesamtbild der grundlegenden Textstrategie der Hiob-Dichtung ergibt.

4.1 Zwischen Himmel und Erde: Die Rahmenerzählung Im Hinblick auf die textstrategische Konvergenz zwischen Hiob-Novelle und Dialogdichtung ist die Bezeichnung „Rahmen" für Hi 1-2; 42,11-17 im Grunde irreführend. Der aus der bildenden Kunst entlehnte Terminus „Rahmen" suggeriert eine Trennung zwischen Rahmenerzählung und „Kern", die dem Hiobbuch eigentlich nicht angemessen ist. Darüber hinaus beschränkt die Bezeichnung „Rahmen" die Hiob-Erzählung zu stark auf ihre Expositionsfunktion 3 . Als ursprünglich selbständige Erzählung mit formal eigenständiger Gestalt sind Hi 1-2; 42,7-17 nur insofern „Rahmen" der Dialogdichtung, als sie diese umgeben, also nur im technischen Sinne. Der Dialog ist in die Novelle inkorporiert worden; im Aufriß des gesamten

schau von Rahmen und Dialog sind vorgelegt von N. HABEL, OTL; DERS., The Narrative Art of Job: Applying the Principles of Robert Alter: JSOT 27 (1983), 101-111; L. PERDUE, Wisdom, 8 6 f f ; K. DELL, Book of Job, 199ff.; H. SPIECKERMANN, Satanisierung; D. CLINES, False Naivety, 127-136; C. SEITZ, Full Structure, 5-17; A. STEINMAN, The Structure and Message of the Book of Job: VT 46 (1996), 85-100. 1 Zu diesem Vorgehen vgl. H. SPIECKERMANN, Satanisierung, 434. Untersuchung des Dialogs s. u. Kap. 4.2. 2 Vgl. H. SPIECKERMANN, Satanisierung, 434: „Der Dialog fuhrt ... in neuer Form und inhaltlichen Variationen explizit aus, was als theologische Problemkonstellation bereits implizit in der Novelle angelegt ist". 3 Tatsächlich gehören formale und sachliche Divergenzen gegenüber dem Kern sowie die einleitende Funktion zur Gestalt von Rahmenhandlungen: M. CHENEY, Dust, 26. Doch gleichzeitig ist innerhalb solcher Texte die Rahmenerzählung Teil des gesamten Textes.

76

Gegenwart

Gottes

Hiobbuches ist das Verhältnis von Novelle und Dialogdichtung als eine Art Interaktion zu beschreiben 1 , bei der sich die beiden Textteile gegenseitig interpretieren. Diese Interaktion ist ein wichtiger Bestandteil der Textstrategie, so daß die scheinbaren formalen und sachlichen Gegensätze zwischen Prosa-Erzählung und Dialogdichtung auf ihre textstrategische Konvergenz zu befragen sind. Eine Interpretation des Hiobbuches hat demnach bei Hi 1-2; 42,7-17 anzusetzen, wobei der Brennpunkt der Textstrategie in den Himmelsszenen des Prologs zu suchen ist. Sie sind schon durch ihre Doppelung aus dem Text herausgehoben. Darüber hinaus ließen sich die beiden Passagen als Fortschreibung der Novelle durch den Dialogverfasser wahrscheinlich machen. Auch aus diesem Grund dürfte hier einer der Schwerpunkte der Rahmenerzählung zu suchen sein. 4.1.1 Aitfbau und Komposition Die Hiob-Novelle gliedert sich in neun Szenen. Der Prolog wird von sechs Szenen gebildet: - 1,1-5: Hiobs Wohlstand und Sorge für seine Kinder - 1,6-12: Erste Himmelsszene - 1,13-22: Verlust der Habe und der Kinder; Reaktion Hiobs - 2,1-7a: Zweite Himmelsszene - 2,7b-10: Hiobs Krankheit und Dialog mit seiner Frau - 2,11-13: Ankunft der Freunde Drei Szenen bilden den Epilog: - 42,7-10: Hiobs Fürbitte für die Freunde - 42,11: Ankunft der Verwandten - 42,12-17: Hiobs neues Glück Als Rahmen um die Dialogdichtung ist die Novelle konzentrisch gestaltet. Den äußersten Kreis bilden die ein- und ausleitenden Szenen 1,1-5 und 42,12-17, die zusätzlich chiastisch angeordnet sind. Die Reihenfolge der Kinder und der Habe Hiobs ist in 42,12-17 gegenüber 1,1-5 umgekehrt. Es folgt als nächster Kreis das Corpus des Prologs aus Himmelsszenen und Katastrophen (1,6-2,10), das sein Pendant im Epilog in der kurzen Szene mit den Verwandten hat (42,11) 2 : Was Hiob im Prolog verliert, erhält er im

1 Zum Konzept der Interaktion bzw. Intertextualität bei Rahmenhandlungen vgl. DERS., Dust, 32 und auch ähnlich N. HABEL, Narrative Art, 105, dort mit dem Begriff „Dialektik". 2 Zur Analyse dieser Szene vgl. V. MAAG, Hiob, 33ff.

Zwischen Himmel und Erde: die

Rahmenerzählung

77

Epilog zurück. Die beiden Szenen mit den Freunden (2,11-13; 42,7-10) bilden den inneren Rahmen des Dialogs1. Die Einzelszenen sind ähnlich geschlossen wie die Gesamtkomposition. Jede einzelne Szene ist durch einen Schauplatz- und/oder Personenwechsel gekennzeichnet. Im Prolog wechseln sich die Schauplätze regelmäßig ab2, der Epilog spielt auf der Erde. Gleichzeitig mit dem Schauplatzwechsel markiert ein Personenwechsel jeweils den Neuansatz einer Szene. Dabei gruppiert sich jede Szene um zwei Personenschwerpunkte3. Abwechselnd ist Hiob aktiv Handelnder und Objekt des Geschehens. Das personale Bindeglied zwischen den Einzelszenen ist also die Person Hiobs. Er verbindet als Hauptfigur die Einzelszenen zu einer Geschehensfolge. Das thematische Bindeglied zwischen den einzelnen Szenen ist das Verb 1~Q, das in fast allen Szenen erscheint4. Damit ist die theologische Perspektive der Geschichte Hiobs eröffnet. Im Gesamtaufbau wie auch in den Einzelszenen ist die Rahmenerzählung des Hiobbuches von auffallender Geschlossenheit und Dichte. Sie konzentriert sich auf wenige Schauplätze und Personen5. Eine zeitliche Dimension der Geschichte ist kaum zu erkennen, vielmehr erweckt die Anordnung der Szenen den Eindruck der Gleichzeitigkeit6. Diese Dichte 1 Zu diesem Aufbau vgl. auch P. WEIMAR, Literarkritisches, 71 A 7; E.C. WEBSTER, Strophic Patterns in Job 29-42: JSOT 30 (1984), 95-109, 107. Zum Verhältnis der Struktur der alten Novelle gegenüber der umgestalteten vgl. P. WEIMAR, LITERARKRITISCHES, 78; L. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G. STEINS, Entstehung, 14ff. Durch das große Corpus der Dialogdichtung (die noch dazu durch Kap. 28; 32-37; 40ff. erweitert ist) gerät der Aufbau leicht außer Blick. Der Epilog scheint nur noch ein Anhängsel zu sein. 2 In der Reihenfolge Erde-Himmel-Erde. Vgl. dazu auch D. CLINES, False Naivety, 129; M. CHENEY, Dust, 53; V. MAAG, Hiob, 41 ff. Aus Gründen kompositorischer Symmetrie eine dritte Himmelsszene zu postulieren (DERS., HIOB, 39), ist jedoch unnötig. 3 1,1-5: Hiob und seine Kinder; 1,6-12: JHWH und der Satan; 1,13-22: Hiob und die Boten; 2,l-7a: JHWH und der Satan; 2,7b-10: Hiob und seine Frau; 2,11-13: Die Freunde und Hiob; 42,11: Die Verwandten und Hiob; 42,12-17: JHWH und Hiob. Von diesem Prinzip weicht nur 42,7-10 ab. Die Szene gruppiert sich um drei Personenschwerpunkte: JHWH, die Freunde und Hiob. Insgesamt ist diese Szene stärker an den Dialogteil angebunden als sie Teil des Epilogs ist. 4 1,5.10.11.21; 2,5.10; 42,12. 5 Trotz der großen Anzahl auftretender Personen (Hiob, JHWH, der Satan, die Göttersöhne, Hiobs Kinder, die vier Boten, Hiobs Frau, die Freunde, die Verwandten und die drei neuen Töchter Hiobs), von denen elf zu Wort kommen (Hiob, JHWH, der Satan, die Boten, Hiobs Frau und die Freunde), bleibt das Interesse von Handlung und Dialog auf Hiob und JHWH konzentriert. Die Erzählung ist nur scheinbar „mehrstimmig" (M. CHENEY, Dust, 48); die anderen Personen sind eher der Generalbaß als eigene Stimmen, und nicht umsonst schweigen die Freunde in der Rahmenhandlung. 6 M. CHENEY, Dust, 53. Die Verkettung der ersten vier Szenen durch DlM VP1 ist kein reales, sondern ein „narratives" Datum, das die Gleichzeitigkeit noch verstärkt. Eine

78

Gegenwart

Gottes

hält sich auf der erzähltechnischen und der sprachlich-stilistischen Ebene des Textes durch. Die Sprache des Hiob-Rahmens ist betont einfach, fast streng, mit kurzen Sätzen, einfacher Parataxe und wenig Adjektiven 1 . Das einzige verwendete Stilmittel ist die Wiederholung 2 . Der Erzähler agiert zurückhaltend und erlaubt dem Publikum nur selten einen Zugang zu anderen Ebenen als der des unmittelbar Erzählten 3 . Die Erzählung ist präzise und kontrolliert strukturiert. Zwar behält der Autor alle Fäden in der Hand 4 , aber er entläßt das Publikum durch die Gestaltung der Erzählung durch die wörtliche Rede mehrfach aus der narrativen Kontrolle. In dieser Hinsicht sind zwei Kompositionselemente entscheidend: - die Anordnung des Geschehens nach räumlichen Gesichtspunkten - Mehrdeutigkeit und Mehrschichtigkeit der Situation und Charaktere Das Geschehen der Rahmenhandlung ist konsequent nach räumlichen Gesichtspunkten angeordnet. Außer für den Verlauf des Geschehens ist diese Anordnung jedoch auch für die Charakterisierung der Personen und ihre Beziehung untereinander von Belang.

zeitliche Abfolge des Geburtstages der Söhne und des Versammlungstages der Engel ist nicht intendiert. 1 D. CLINES, False Naivety, 127; V. MAAG, Hiob, 44. Zur Sprache noch R. GORDIS, Job, 25; F. HORST, BK, 4. Hinter dieser betonten Einfachheit hat man immer wieder die „Volkserzählung" vermutet, doch handelt es sich durchaus um Kunstprosa: L . SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G.

STEINS,

Entstehung,

17;

R.

GORDIS,

Job,

25.

D. CLINES, False Naivety, 127 vermutet in dieser Sprachgestalt sogar einen Kunstgriff des Autors, eine absichtliche Kunstlosigkeit. Hingegen verweist A. BRENNER, Job the Pious, 40.43 auf einen überbordenden, absichtlich übertriebenen Stil. 2 Sowohl kompositorisch als Szenendoppelung, vgl. G. FOHRER, Vorgeschichte, 31; P . WEIMAR, L i t e r a r k r i t i s c h e s , 7 8 ; L . SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/G. STEINS, E n t s t e -

hung, 21; D. CLINES, False Naivety, 127, als auch im Gebrauch von wiederholten Satzsequenzen, Motiven und szenischen Leitworten. So z.B. die Charakterisierung Hiobs 1,1.8; 2,3, die Szenenverbindung durch DTTI \T1, die symbolhaften Zahlen von Hiobs Besitz und Kindern (vgl. dazu V. MAAG, Hiob, 21f.; A. BRENNER, Job the Pious, 41 f.), - p a als Gesamtleitwort und als Leitwort der Botenszene (M. CHENEY, Dust, 57). 3 Es fehlen Motive, Wertungen und Charakterisierungen. Eine Zurückhaltung des Autors ist im Großen und Ganzen recht kennzeichnend für die alttestamentliche Erzählung, vgl. N. HABEL, Narrative Art, 107; R. ALTER, Art of Narrative, 65, doch agiert der Autor der Hiob-Erzählung sogar für alttestamentliche Prinzipien extrem zurückhaltend und ersetzt seine eigene Perspektive größtenteils durch wörtliche Rede: N. HABEL, Narrative Art, 107; M. CHENEY, Dust, 78ff. Diese Zurückhaltung wird nur 1,1.22; 2,10.11; 42,11 durchbrochen. 4 M. CHENEY, Dust, 41f. prägt hierfür den Terminus „narrative control", der in dieser Arbeit als „narrative Kontrolle" übernommen wird.

Zwischen Himmel und Erde: die

Rahmenerzählung

79

Die Handlung spielt an zwei Schauplätzen: auf der Erde und im Himmel 1 . Damit sind Blickwinkel und Eckpunkte der Handlung markiert, nämlich „Unten" und „Oben". Der Blick des Publikums geht in rascher Folge von oben nach unten und umgekehrt. Das Geschehen verläuft hingegen nur in eine Richtung: von oben nach unten. Weder erfahrt Hiob jemals von den Ereignissen im Himmel noch kann er sie beeinflussen. Insofern ist der Himmel gegenüber der Erde „hermetisch abgeschlossen" 2 . Für die umgekehrte Richtung gilt dies nicht. JHWH kann Hiob sehen und „seine Hand nach ihm ausstrecken" 3 . Wichtiger ist allerdings, daß sich auf der Erde vollzieht, was im Himmel beschlossen wird; im Himmel-Erde-Gegensatz liegt sowohl eine diskursive als auch eine narrative Struktur 4 . Die Hauptachse des Geschehens verläuft also vertikal von oben nach unten. Dieser Achse ist die wichtigste Personenkonstellation zugeordnet: JHWH und Hiob. Die beiden Protagonisten agieren in Räumen, die nur begrenzt durchlässig sind; aus diesem Sachverhalt wird sich im Dialog ein Teil des verhandelten Problems ergeben. Die Szenen auf der Erde haben nur einen einzigen echten Schauplatz, doch herrscht hier durchaus Bewegung. In den Erden-Szenen wird das Geschehen und die Beziehung der Personen entlang einer horizontalen Achse angeordnet. Die Kinder Hiobs bewegen sich von einem Haus zum anderen (1,4.13). Hiobs Vieh wird ihm genommen durch Fremdvölker, die in sein Gebiet einfallen 5 bzw. es überfallen 6 , nur die Boten können ihnen „entkommen" 7 und bringen die Nachricht zu Hiob. Wie die Sabäer und Chaldäer kommt auch der Wind „aus der Wüste", um Hiobs Kinder zu vernichten 8 . Die horizontale Geschehensachse verläuft zwischen den Eckpunkten „Außen" und „Innen".

1

Der Himmel ist als Schauplatz nicht explizit genannt. So M. CHENEY, Dust, 54 für alle Schauplätze. 3 So die Forderung des Satans 1,11; 2,5. 4 M. CHENEY, Dust, 56; V. MAAG, Hiob, 37. 41. 5 1,15, vgl. dazu M. CHENEY, Dust, 57. In der Botenszene wiederholt sich der Oben-Unten-Wechsel in verkleinertem Maßstab. Hierbei ist ^33 das Leitwort. 6 tats'3 1,17. In der ganzen Botenszene deutet sich das Thema „Grenzüberschreitung" an, das später eine erhebliche Rolle spielen wird. 'tD^üPi: 1,15.16.17.19. 8 1,19 mit dem Verb NU. Dies ist in der Rahmenerzählung überhaupt das Leitwort für die Bewegung in der Horizontalen. KQ erscheint an 14 Stellen im Prolog: 1,6 (2x).7.14.16.17.18.19; 2,1 (2x).2.11 (3x). Im Epilog wird es noch zweimal verwendet: 42,11, dabei V. I I b im Hif. Nur zweimal kennzeichnet N13 die Vertikale, nämlich in bezug auf das Böse (2,11; 42,11), sonst die Horizontale: man kommt „von" einem Ort (2,7.19; 2,2.11) oder „zu" einer Person (zu Hiob: 1,14.16.17.18; 2,11; 42,11; zu Gott: 1,6; 2,1). 2

80

Gegenwart

Gottes

Bewegung in der Horizontalen beschränkt sich nicht auf das Unglück. Die Boten kommen, um Hiob zu berichten (l,14ff.), die um sich vor JHWH hinzustellen (1,6; 2,1), die Freunde und Verwandten, um Hiob zu trösten (2,11; 42,11), d.h. auch in der Horizontalen werden Personenkonstellationen errichtet. Diese sind zusätzlich durch den Gegensatz von Einem (JHWH bzw. Hiob) und Vielen gekennzeichnet. JHWH und Hiob stehen als Einzelne einer Gruppe gegenüber. Im Hinblick auf Hiob wird diese Konstellation den Dialog prägen. Am Schnittpunkt der vertikalen und der horizontalen Geschehensachse steht Hiob. An wichtigen Stellen der Rahmenerzählung wird er mit Hilfe räumlicher Kategorien charakterisiert. In 1,1 wird Hiob zunächst mit einer umfassenden Charakterisierung vorgestellt, die ihn in vierfacher Weise beschreibt: als Mann, durch seine Herkunft, durch seinen Namen und durch seine religiöse und moralische Integrität. Auffallenderweise wird Hiob zuerst durch seine Herkunft, d.h. durch seinen Wohnort charakterisiert1. Die Lokalisierung Hiobs und seiner Geschichte f l i r f - l K l wird in der Exegese vor allem in überlieferungsgeschichtlicher Perspektive interpretiert. Das Land fll! gilt als Heimat der Hioblegende. Die Lage und genaue Identifikation dieses Gebietes sind indes umstritten 2 , fest steht lediglich, daß J>1I7 nicht zum Gebiet Israels gehört. Es stellt sich die Frage, ob piSTfHXn nicht noch anders gefüllt werden kann als geographisch. Dies gilt umso mehr, als auch die Freunde 2,11 durch eine (scheinbar) geographische Herkunft bezeichnet werden, die ähnliche Probleme bereitet wie pw 3 . Möglicherweise handelt es sich bei piu, ebenso bei Teman, Schuah und Naama um „theologische" statt um „historische" Geographie 4 , d.h. um die Konstruktion eines Vorstellungsbereichs, „in dem ausgesuchte, bekannte oder unbekannte Toponyme bzw. geographische Angaben zusammengenommen eine 'theologisch' qualifizierbare Rolle spielen oder in

1

M . CHENEY, D u s t , 5 5 .

2

Hi 1,3b verlegt das Land nach „Osten" (mp). Weitere alttestamentliche Angaben verweisen etwas genauer in den ostjordanischen Raum: Gen 10,23; 22,21 setzen yiSJ in Beziehung zu den Aramäern (mit unterschiedlichen Verwandtschaftsbeziehungen), Gen 36,20-28; Thr 4,21 nennen f l u im Zusammenhang mit Edom. Mit letzter Sicherheit läßt sich f l u nicht mehr lokalisieren, zumal ungewiß bleibt, ob der Name eine geographische (so HORST und MAAG) oder eine Stammesbezeichnung ist (so FOHRER). ZU den verschiedenen Lokalisierungen und zur Entstehung der Hiob-Erzählung in diesem Gebiet vgl. F. HORST, B K , 8 f . ; G . FOHRER, K A T , 7 3 ; R. GORDIS, J o b , 10; V . MAAG, H i o b , 1 4 f f . 3

Zu Teman, Schuah und Naama vgl. die Kommentare. Nur Teman scheint einigerma-

ß e n s i c h e r l o k a l i s i e r b a r : G . FOHRER, K A T , 105; F. HORST, B K , 3 2 . V . MAAG, H i o b , 1 6 f f .

rechnet die Freunde mit dem Dialog zur „aramäischen" Hiob-Überlieferung, wohingegen die restliche Rahmenerzählung edomitisch beheimatet sei. 4 So M. GöRG, Ijob aus dem Lande c Üs. Ein Beitrag zur „theologischen Geographie": BN 12 (1980), 7-12 im Anschluß an das Konzept von Weimar. Vgl. auch E. A. KNAUF, Hiobs Heimat: WdO 19 (1988), 65-83.

Zwischen Himmel und Erde: die Rahmenerzählung

81

diese Dimension transformiert werden sollen"1. Die theologisch qualifizierbare Rolle von f l U ' y i K l scheint die eines „Landes Irgendwo" zu sein: identifizierbar als irdischer Ort, an dem Menschen wohnen und der Grenzen hat, der aber sonst kaum weitere Konnotationen ermöglicht. Das Incipit des Hiobbuches wäre insofern dem bekannten Märchenanfang „Es war einmal in einem fernen Land..." vergleichbar, ist aber im Sinne der Textstrategie eine Spur konkreter 2 . Die Verlegung der Hiob-Erzählung außerhalb Israels hat noch einen weiteren textstrategischen Aspekt. Mit dieser Lokalisierung ist ein Rekurs auf heilsgeschichtliche theologische Konzeptionen von vornherein ausgeschlossen.

Hiob wird also erst „lokalisiert" und dann charakterisiert. Auch seine vierfache religiöse und moralische Charakterisierung enthält ein räumliches Element. Hiob ist IHÜ 10, „fern vom Bösen" 3 . Das Geschehen wird später dadurch zusammengefaßt, daß das, wovon Hiob sich fernhält, ihn befällt: das Böse 4 . Hierbei wird besonders augenfällig, daß Hiob am Schnittpunkt der beiden Geschehensachsen steht. Hiob hält sich vom Bösen fern (Horizontale), und trotzdem kommt es über ihn (Vertikale). Im Epilog wird dies noch einmal ins Gedächtnis gerufen und theologisch verschärft, wenn es heißt, JHWH hätte das Böse über Hiob kommen lassen. Im übrigen agiert Hiob auffallend unbeweglich. Das verbindet ihn mit JHWH, wie noch zu zeigen sein wird. Innerhalb des bewegten Geschehens ist Hiob gewissermaßen der Ruhepunkt, recht eigentlich aber das Ziel sämtlichen Geschehens. Das Böse kommt „über" ihn, der Himmel betrachtet ihn, alle handelnden Personen - mit Ausnahme seiner Frau - kommen zu ihm. Hiob gerät nur einmal in Bewegung, nämlich in der Reaktion auf die erste Katastrophe: 1,20: Da erhob sich Hiob und zerriß sein Gewand und schor sein Haupt. Dann fiel er nieder zur Erde und führte die Proskynese aus.

Hiob erhebt sich und fällt dann in den Staub. Hier erscheint das Leitwort des Abschnitts 1,13ff., ^DJ, das die horizontale und die vertikale Achse verbindet 5 . Hiob wird damit in die vertikale Achse eingeordnet, die bisher 1

M. GÖRG, Ijob aus dem Lande 'Üs, 7. A. BRENNER, Job the Pious, 40 liest die Lokalisierung des Hiobbuches ähnlich textstrategisch, doch mit dem Fokus auf der Ferne: „The implication for the story is, that it deals with a separate and distant sphere, one that inspires curiosity and awe, but whose foreignness makes its credibility questionable". 2

3

Z u m r ä u m l i c h e n A s p e k t v o n "110 : L . A . SNIDERS, T h W A T V , 1 4 8 f . u n d F . HORST,

BK, 9: „die entschlossene Abkehr und prononcierte Distanz von allem bösen Werk und Wesen". Ein Echo dieser Charakterisierung (und möglicherweise der gesamten HiobDichtung) findet sich Prv 3,7. 4 2,11: r1?» n«a« nsin ninrr'jD und 42,11 sogar iil7i; n r p K ' n m t f K nmrr'PD, vgl. M. CHENEY, Dust, 50f. 5 DERS., Dust, 57. erscheint als Leitwort in allen Berichten außer 1,17 und in der Reaktion Hiobs. Cheney spricht hier - sehr bildhaft - von einem „Domino-Effekt".

82

Gegenwart

Gottes

nur in eine Richtung verlief: von oben nach unten 1 . Hiob steht auf, nur um dann gleich wieder niederzufallen und die Proskynese auszuführen (lnn^'il). In 1,20 ordnet sich Hiob in das Geschehen ein, indem er sich JHWH unterordnet. In dieselbe Richtung weist der theologische Teil seines Gebets 1,21b. Der anthropologische Teil 1,21a nimmt mit KS1 und 31tö' den horizontalen Aspekt auf, gibt ihm aber erstmalig auch den Stellenwert einer Problemkonstellation. 1,20-21 bündeln den horizontalen und den vertikalen Geschehensaspekt in Hiobs Person und geben den Blick frei auf die Probleme des Dialogs 2 . Aus der narrativen Anordnung der Handlung nach räumlicher Polarität und Diskontinuität lassen sich Schlüsse auf diskursive Strukturen ziehen. Die Frage nach „Räumen" wird für das Geschehen als bedeutsam ausgewiesen, ebenso Grenzüberschreitung und Bewegung. In dieses narrative Raster räumlicher Dimensionen sind auch die Aktantenstrukturen eingetragen. Die Beziehung unter Menschen verläuft horizontal, die Räume sind durchlässig. Die Beziehung zwischen Gott und Mensch hingegen verläuft vertikal, und die Räume sind nur begrenzt durchlässig. Die Handlung ist - im Wortsinne - mehrschichtig, weil sie sich auf verschiedenen Ebenen abspielt 3 . Damit gewinnt sie ein Element der Uneindeutigkeit und Ambivalenz, das die Situation ebenso prägt wie die Charaktere. Im Falle der räumlichen Anordnung ist diese Uneindeutigkeit Teil der narrativen Situation. Die Handlung bekommt ihren Impetus gerade dadurch, daß Hiob eben nicht weiß, was vorgeht. Das Publikum, das mehr weiß als Hiob, wird in die Lage versetzt, das Problem hinter der Situation zu erkennen 4 . Narrative Kontrolle schlägt sich in der Erzählperspektive nieder 5 . 1

Hiobs Reaktion 1,20 hat ein indirektes Vorspiel in 1,5. Die Brandopfer, die Hiob vollzieht (m^S? n^um), um seine Söhne zu entsühnen, deuten proleptisch die Bedeutung der Vertikalen an. Nur hier - und später 42,8ff. - ist ein Geschehen von unten nach oben möglich, wenn auch nur indirekt. 2 N. HABEL, „Naked I Came...". Humanness in the Book of Job, in: J. Jeremias/ L. Perlitt (Hg.), Die Botschaft und die Boten (FS H.W. Wolff), Neukirchen-Vluyn 1981, 373-392, 375: „Thus the narrative prologue establishes a basic opposition between the inherited human condition as earth-bound and human destiny as determined by divine design or intervention". 3 M. CHENEY, Dust, 53. 4 Ob sich hierin eine „dramatische Ironie" niederschlägt (N. HABEL, OTL, 5Iff.; J. WHEDBEE, Comedy, 6f.), muß offen bleiben. Y. HOFFMANN, The Relation between the Prologue and the Speech-Cycles in Job: A Reconsideration: VT 31 (1981), 160-170, 170 zeigt, daß auf diese Weise eine kritische Distanz des Publikums sowohl zu Hiob als auch zu JHWH erreicht wird. 5 Vgl. auch Y. HOFFMANN, Relation, 169f.

Zwischen Himmel und Erde: die

Rahmenerzählung

83

Stärker noch als durch diese Kontrolle entsteht Mehrschichtigkeit durch eine extreme Zurückhaltung des Erzählers. Er charakterisiert Personen nicht, gibt kaum Motive der Handlungen an oder nimmt Wertungen vor. All dies wird in Handlung umgesetzt oder in die Rede verlegt. Durch solche Zurückhaltung entstehen komplexe und mehrdeutige Charaktere1. Im Falle Hiobs wird dieses Prinzip allerdings durchbrochen; Hiob wird dreimal aus der Erzählerperspektive geschildert2. Damit kommt auch ein Element der Spannung auf, denn Hiobs ganzer Charakter zeigt sich erst im Dialog, im Prolog setzt der Erzähler jedoch bereits Signale. Hi 1,1 beginnt mit einer umfassenden vierfachen Charakterisierung Hiobs. Die Zusammenstellung dieser vier Kennzeichen (integer und aufrichtig und gottesfürchtig und fern vom Bösen) zu einem Charakterbild ist einzigartig im Alten Testament3. In Hi 1,1 sind alle Facetten rechten Verhaltens zusammengefaßt: die moralische und physische Integrität4, die Aufrichtigkeit in Tat, Rede und Gedanken5, Gottesfurcht als Inbegriff der Frömmigkeit und schließlich die betonte Distanz zu allem Bösen. Diese Kennzeichnung ist zwar idealisiert, aber kaum schematisch oder rhetorisch6, sondern schafft einen Charakter, der auch in seiner Frömmigkeit komplex ist7. 1 Vgl. N. HABEL, Narrative Art, 107f.; M. CHENEY, Dust, 49f. 77f. Hier präludiert der Erzähler jedoch nur, was später im Dialog vollständig ausgeführt wird; dort sind die Charaktere nur noch aus der Rede zu ermitteln. 2

1,1.22; 2,10.

3

Darauf weist A. BRENNER, Job the Pious, 37. 40 hin. Sie sieht in dieser Charakterisierung einen ironischen „narrativen Superlativ", eine bewußte Überzeichnung konventioneller Frömmigkeit, die durch die Dialogdichtung korrigiert werden soll (45). Eine ähnliche Charakterisierung findet sich nur bei Noah (Gen 6,9). Er bekommt die Qualifizierung als p'HlS. 4

o n : V g l . F . HORST, B K , 9 ; G . FOHRER, K A T , 7 3 ; R . GORDIS, J o b , 10; N . HABEL,

OTL, 86; R. EGGER-WENZEL, Der Gebrauch von oan bei Ijob und Ben Sira. Ein Vergleich zweier Weisheitsbücher, in: Reiterer, F.V. (Hg.), Freundschaft bei Ben Sira. Beiträge des Symposions zu Ben Sira Salzburg 1995, 1995 (BZAW 244), 203-238, 228. Den Aspekt der körperlichen Integrität, der in Beziehung zur moralischen steht, unterstreicht R. FORREST, TWO Faces, 389ff.; ähnlich auch K. KOCH, THAT II, 1049. 5 1t»'1 Vgl. G. LIEDKE, THAT I, 792f. 6

7

V g l . R . EGGER-WENZEL, D e r G e b r a u c h v o n o o n , 2 2 8 A 6 8 .

Es fällt auf, daß in dieser Beschreibung Hiobs der Begriff pHS nicht fallt, der zum selben semantischen Feld gehört wie on und ItU'1 (B. JOHNSON, ThWAT V, 908). Dieser Sachverhalt ist insofern bedeutsam, als die Wurzel p"l3 im Dialog eine erhebliche Rolle spielt. Ihr Fehlen in Hi 1,1 dürfte beabsichtigt sein. Möglicherweise wird Hiob der Titel p n s bewußt vorenthalten. Dann liegt die Mehrdeutigkeit erneut in dem, was der Erzähler nicht sagt. Das Fehlen von p"!S im Prolog hängt aber auch mit der thematischen Verschiebung vom Prolog (Verhältnis von Frömmigkeit und Wohlergehen; Leitwort "pa) zum Dialog (Verhältnis von Sünde und Leid) zusammen. Vgl. dazu D. CLINES, False Naivety, 183.

84

Gegenwart

Gottes

Hiobs Charakterisierung in 1,1 trägt die Züge des „proleptischen Portraits" 1 : Sämtliche Charakterzüge und Indizien für einen Handlungsverlauf werden gebündelt vorweggenommen. Alles, was Hiob sagen oder tun wird, muß im Licht dieser Charakterisierung gelesen werden. Umgekehrt ist zu erwarten, daß Hiobs einzigartige Frömmigkeit im Verlauf der Erzählung in Frage gestellt, zumindest aber gefährdet werden wird. So wird Hiobs Charakterisierung vieldeutig. Diese Vieldeutigkeit setzt sich in 1,22; 2,10 fort, wo die Kommentierungen n^sn i n r i ^ i u m KtarrK1? n x r ^ a (1,22) bzw. m r ^ r a TTiaßD 3PK Ktarrtt1? (2,10) deutlich als spannungstragende Elemente eingesetzt werden und den Charakter des „Noch nicht" tragen 2 . Die Mehrschichtigkeit der Charaktere und der Situation kulminiert in dem Begriff, der auch schon das Schlüsselwort der alten Hiob-Novelle war: "[HD. Mit ihm werden die Darstellung göttlichen Handelns am Menschen und menschlichen Redens von Gott - auch unter Wahrung räumlicher Kategorien - zusammengeführt. Im Hiob-Rahmen erscheint "pn an sieben Stellen: 1,5.10.11.21; 2,5.10; 42,12, davon einmal als Partizip (1,21), sonst in finiten Verbformen. "[13 taucht in fast jeder Szene und im Zusammenhang fast aller Akteure auf; es fehlt lediglich in der Freundes- (2,11-13) und in der Verwandtenszene (42,11). Vom „Segen" ist im Prolog nur in berichteter Sprache die Rede, erzählt wird davon erst 42,12 3 . Die Verwendung von "]"Q im Hiob-Rahmen deckt seine zwei semantischen Schwerpunkte ab. Es wird sowohl mit göttlichem als auch mit menschlichem Subjekt und Objekt verwendet. Hinzu kommt die mehrfache euphemistische bzw. antiphrastische Verwendung 4 . Verteilung und Bedeutungsbreite weisen "["13 als Schlüsselwort des HiobRahmens aus 5 . Es ist bei der Wurzel "pa problematisch, daß sie einerseits ein Handeln Gottes am Menschen kennzeichnet, andererseits einen (ritualisierten) religiösen Sprechakt, der gleichermaßen Mensch und Gott zum Objekt haben kann. Offensichtlich besteht zwischen diesen beiden Dimensionen eine Interdependenz6. Diese Interdependenz ist bei den neue-

1

M. STERNBERG, Poetics, 326ff. Vgl. R. FORREST, TWO Faces, 386. 388. Eine Darstellung des graduellen „Abfalls" Hiobs von seiner Frömmigkeit (M. WEIß, Story, 163) ist wohl nicht beabsichtigt, vgl. dazu Y. HOFFMANN, Relation, 163f. 3 Darauf macht M. CHENEY, Dust, 59 aufmerksam. Ob es dabei allerdings nur um Charakterisierung geht, scheint zweifelhaft. 4 1,5.11; 2,5. Unsicher bei 2,9. 5 So schon J. HEMPEL, Das theologische Problem, 131. Vgl. auch H. SPIECKERMANN, Satanisierung, 434f. Sehr ausfuhrlich M. CHENEY, Dust, 58ff. 2

6

V g l . C. KELLER/G. WEHMEIER, T H A T I , 3 5 8 ; J. SCHARBERT, T h W A T I, 8 3 7 .

Zwischen Himmel und Erde: die

Rahmenerzählung

85

ren Untersuchungen zum „Segen" stärker in den Vordergrund gerückt 1 , im Unterschied zu den religionsgeschichtlichen Ansätzen, die ihren Ausgangspunkt bei einem magischen Verständnis des „Segens" nehmen 2 . Ohne einen Einfluß „magischen" Denkens und Handelns auf den Segen leugnen zu wollen 3 , scheint doch die göttliche Seite des Segens - der Erweis von Wohltaten, deren Summe Gl^B ist4 - davon nicht adäquat erfaßt. Im Vordergrund steht vielmehr die personale Beziehung zwischen Gott und Mensch, die auch räumlich greifbar wird 5 .

Von den sieben Belegen für "["12 im Hiob-Rahmen bezeichnen nur zwei das Handeln Gottes am Menschen: 1,10 und 42,12. Beide Male wird Hiobs Wohlstand in Beziehung zu Gottes „Segen" gebracht. In diesem Zusammenhang fällt auf, daß im Hiob-Prolog niemals die direkte Gleichung „Wohlstand = Segen" aufgemacht wird, im Unterschied zu 42,12, wo JHWHs Segen direkt mit Hiobs neuem Wohlstand korreliert. In 1,2-3 hingegen fehlt der Begriff "|"Q , obwohl nahezu der gleiche Sachverhalt geschildert wird. In Hi l,2f. ist die Vorstellung vom Segen nur implizit vorhanden: im Umfang von Hiobs Besitz6. Auch der Satan setzt 1,10 nicht Hiobs Besitz direkt mit Gottes Segen gleich, sondern bemerkt, JHWH hätte das Tun der Hände Hiobs gesegnet.

1

C.W. MITCHELL, The meaning of BRK, „To Bless" in the Old Testament, 1995 (SBL.DS 95), 165f. und im Anschluß daran K. H RICHARDS, ABD I, 754; M. CHENEY, Dust, 5 8ff. 2 J. HEMPEL, Die israelitischen Anschauungen von Segen und Fluch im Lichte altorientalischer Parallelen, in: ders., Apoxysmata. Vorarbeiten zu einer Religionsgeschichte und Theologie des Alten Testaments, 1961 (BZAW 81), 30-113; C. WESTERMANN, Der Segen in der Bibel und im Handeln der Kirche, München 1968; J. SCHARBERT, ThWAT I, 836; C. KELLER/G. WEHMEIER, THAT I, 351. 367f.; H.-P. MÜLLER, Der Segen im Alten Testament: ZThK 87 (1990), 1-32, 3. 3 Dieser wird besonders deutlich, wenn der Segen unter rituellen Gesten (vgl. H.-P. MÜLLER, Segen im Alten Testament, 3) und/oder in herausragenden Lebenssituationen vollzogen wird (vgl. W. URBROCK, ABD I, 756). Es fragt sich jedoch, ob nicht das Umfeld eher „magisch" ist als der Segen selbst: DERS., 755. 4 G. WEHMEIER, Der Segen im Alten Testament: Eine semasiologische Untersuchung der W u r z e l brk, 1970 ( T h D 6), 229; W. URBROCK, A B D I, 756. A n d e r s H.-P. MÜLLER,

Der Segen im Alten Testament, 2, der darin die Wirkung, des Segens sieht. 5 DERS. Der Segen, 6; J. SCHARBERT, ThWAT I, 836 faßt hier vor allem die menschliche Dimension von "|13 („Solidarität"). H.-P. MÜLLER, Der Segen, 3: „ Mit ihm (i.e. dem Segen) ist Gottes immanentes Handeln und, auch wenn es sich um das Segnen durch Menschen handelt, eine Art Gotthaltigkeit der Welt angezeigt." Zur Diskussion um das Verhältnis von „Rettung" und Segen bzw. Segen und Heilsgeschichte vgl. J. SCHARBERT, ThWAT I, 839f.; K. RICHARDS, ABD I, 754. 6 Auf die Symbolik der Zahlen Drei, Sieben und Zehn als Idealzahlen für „Fülle" verweisen F. HORST, B K , 10 und V. MAAG, Hiob, 21 f. A n d e r s A. BRENNER, Job the

Pious, 41-43.

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Gegenwart

Gottes

Indem im Prolog diese direkte Gleichung vermieden wird - und zwar von 1,1 f. an1 -, wird damit von vornherein angedeutet, daß das Verhältnis von Frömmigkeit und Wohlstand ebenso wie der „Segen" und damit das Verhältnis zwischen Gott und Mensch auf dem Prüfstand steht2. Diese Ambivalenz wird erst 42,12 aufgelöst. Erst am Ende „segnet" JHWH Hiob mit Kindern, Besitz und langem Leben, so daß die Situation endgültig eindeutig wird3. Die übrigen fünf Belege für "|"Q im Hiob-Prolog bezeichnen den Sprechakt, das „Segnen", d.h. Preisen Gottes. Von diesen fünf ist nur einer im lexikalischen Sinne verwendet, nämlich 1,21b:

JHWH hat gegeben, JHWH hat genommen. Es sei gelobt der Name JHWHs!

Hiob „segnet" JHWH, der gibt und nimmt. Die Formel hat bekenntnisartigen Charakter4. Hiobs Gotteslob fügt sich in das Spannungsfeld des nicht mehr ganz eindeutigen Segens Gottes ein, wie es oben beschrieben wurde. So wie JHWHs Segen sich nur implizit erschließen läßt, wird JHWH auch nur noch indirekt gelobt5. Mit seinem Gotteslob löst Hiob in paradoxer Weise die Erwartung des Satans aus 1,11 ein: Er „segnet" Gott. Gleichzeitig ist die Erwartung des Satans enttäuscht, denn "pTT "pEr^i; (1,11) ist nicht im Wortsinne gemeint. 1

Anders D. CLINES, False Naivety, 133 und DERS., WBC, 13f. Vgl. J. EBACH, „Ist es 'umsonst', daß Hiob gottesfurchtig ist?" Lexikographische und methodologische Marginalien zu hinnam, in Hi 1,9, in: Blum, E./Macholz, C./Stegemann, E.W. (Hg.), Die Hebräische Bibel und ihre zweifache Nachgeschichte. Festschrift für Rolf Rendtorff zum 65. Geburtstag, Neukirchen-Vluyn 1990, 319-338, 321: „Das Hiobbuch beginnt mit der Charakterisierung Hiobs und der Schilderung seines Wohlstandes. Mit diesem 'und' ... ist bereits das Problem bezeichnet, das der Satan benennt. Hängen Hiobs Frömmigkeit und Hiobs Wohlergehen zusammen? (...) Diese Frage steht im Hiobbuch in jeder möglichen Korrelation auf dem Prüfstand. In der Exposition der Geschichte Hiobs wird die Korrelation zwischen dem Tun und dem Ergehen nicht näher bestimmt, wohl aber wird die Stimmigkeit zwischen Frömmigkeit und Wohlergehen konstatiert." 3 Es ist noch einmal daraufhinzuweisen, daß in 42,12 Hiob nicht seinen alten Besitz zurückerhält. Er wird auch nicht belohnt. Vgl. L. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER/ G. STEINS, Entstehung, 19 und oben Kap. 3.1. Anders A. BRENNER, Job the Pious, 45f. 4 J. SCHARBERT, ThWAT I, 816. In Hi 1,21 liegt dies in der Form des Wunschsatzes mit Part. Pu. vor (DERS., 828). Der Satz war einmal das Zentrum der alten Hiob-Novelle; ihm folgte direkt 42,12. vgl. oben Kap. 3.1. 5 Das Loben des Namens (Gt9) JHWHs ist zumindest im Kontext der Tempeltheologie alles andere als ein indirektes Lob Gottes, vgl. dazu H. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 231. In Hi 1,21b könnte trotzdem vermutet werden, daß bereits eine Distanzierung Hiobs zu JHWH einsetzt. Am Schluß des Prologs (2,10) lobt Hiob Gott nicht mehr. 2

Zwischen Himmel und Erde: die

87

Rahmenerzählung

Viermal im Hiob-Prolog erscheint "["13 in seiner entgegengesetzten Bedeutung als „Lästern" oder „Fluchen": 1,5.11; 2,5.9'. Die Belege werden entweder als Textänderung eines ursprünglichen "IHK oder U p gedeutet 2 oder gelten als Beleg für den euphemistischen Gebrauch von "["13 3. Problematisch dabei ist, daß dieser euphemistische Gebrauch nicht breit belegt ist; er erscheint außer im Hiobbuch nur noch lKön 21,10.13. Es ist nicht ganz einzusehen, warum ausgerechnet hier ein ursprüngliches i'yp" durch "|"I3 ersetzt worden sein soll, denn Gott zu „lästern" (V?p) ist nach Lev 24,15; Ex 22,27; Jes 8,21 eine - zwar strafwürdige, aber dennoch real gegebene - Möglichkeit des Redens von Gott. Der antiphrastische Gebrauch von "["13 kann eine Schöpfung des Autors des Hiobbuches sein5, was jedoch von lKön 21 her unwahrscheinlich ist. Denkbar hingegen ist, daß "["13 von sich aus polysem ist6. Wie beim Euphemismus ist auch hier die Belegfrequenz nur gering, wieder kommt nur lKön 21 als zusätzlicher Beleg in Betracht. Immerhin zeigen Gen 9,25f.; Num 22,12; Ri 17,2-3; Mal 2,2, wie dicht die Sphären von Segen und Fluch beieinander liegen.

Im antiphrastischen Gebrauch von "[13 im Hiob-Rahmen wird noch deutlicher als im lexikalischen darauf hingewiesen, wie unsicher, gefährdet und zweideutig die Beziehung zwischen Gott und Mensch ist. In der Frage nach dem Segen wird dies offenkundig 7 . Indem der Erzähler ~p3 in allen seinen Facetten den handelnden Personen in den Mund legt, überläßt er es

1 Im Falle von 2,9, dem Ratschlag von Hiobs Frau ¡10' DTl'PR "|"I3, ist die Bedeutung von "[13 nicht ganz eindeutig. Im allgemeinen gilt die Aufforderung als Versuchung der Frau in der Rolle der adiutrix diaboli (z.B. HORST, BK), wobei die Verbindung von Gotteslästerung und Tod auf dem Hintergrund von Lev 24,16 gelesen werden muß. V. MAAG, Hiob, 31 betont hingegen, daß die Aufforderung auch ihre mitfühlende Seite haben kann: Hiobs Tod käme als Erlösung (leider relativiert Maag diesen Ansatz durch seine Einordnung von Hiobs Frau in den von ihm postulierten „Satanskonflikt", vgl. DERS., 82). Ähnlich wie Maag argumentiert auch M. CHENEY, Dust, 76 und weist auf die verschiedenen syntaktischen Möglichkeiten des Satzes hin; in diesem Zusammenhang könnte DM'?!* "["13 auch wörtlich gelesen werden, was allerdings wenig wahrscheinlich ist. 2 So BHS. Diese Änderung müßte sehr früh stattgefunden haben, denn schon LXX liest hier ein "[13 . 3

S o G . FOHRER, K A T , 7 7 ; F . HORST, B K , 11; R . GORDIS, J o b , 13; J. SCHARBERT,

ThWAT I, 827f.; C. KELLER/G. WEHMEIER., THAT I, 358. 4 M. CHENEY, Dust, 62f. weist daraufhin, daß "["13 nur bbp ersetzt haben kann, da "PK und n^K nicht mit Gott als Objekt vorkommen. 5

S o N . HABEL, O T L , 8 8 ; ä h n l i c h R . GORDIS, J o b , 13.

6

M. WEIß, Story, 30. Eine Bedeutung „fluchen, lästern" aus der Grundbedeutung von

-p3

abzuleiten

(so

L.

ALONSO-SCHÖKEL/J.

L.

SICRE DIAZ, J o b ,

96f.

zitiert

n.

M.

CHENEY, Dust, 66), ist jedoch kaum wahrscheinlich. Cheney spricht vom antiphrastischen Gebrauch, läßt die Zuordnung jedoch offen. 7 M. CHENEY, Dust, 68: „In a deft move, the narrator exploits this polysemy of the term brk to open up the question of whether or not blessing (i.e., praising God) is conditioned upon blessing (i.e., literal, material blessing upon humans)."

88

Gegenwart

Gottes

dem Publikum, die Frage nach dem Segen in das übrige Erzählraster einzuordnen. 4.1.2 Exegetische Entfaltung: Die

Himmelsszenen

In den beiden Himmelsszenen des Hiob-Prologs (Hi 1,6-12; 2,1-7a) liegen der narrative und sachliche Schwerpunkt der Rahmenhandlung und ebenso das gesamte „Hiobproblem" in nuce. Die herausgehobene Position der Szenen - und damit ihre Bedeutung - wird schon daran deutlich, daß es sich um zwei gleichartig strukturierte und größtenteils wortgleich formulierte Szenen handelt. Sie entfalten narrativ die zentrale Frage des Hiobbuches: „Wo ist Gott?". Dabei führen sie den räumlichen und den personalen Aspekt dieser Frage zusammen. Im Blick auf das gesamte Hiobbuch haben die Himmelsszenen einführende Funktion. Allerdings ist die reine Erklärung, wie es zu Hiobs Leiden kommt, nur von untergeordneter Bedeutung. Die Himmelsszenen schließen keine dramaturgische Lücke in der Erzählung, sondern eröffnen eine neue Perspektive. In der Frage, wer Hiobs Leid verursacht, warum und wie dies geschieht, liegt der eigentliche Impetus der Hiobdichtung 1 . Die beiden Szenen gliedern sich jeweils in zwei Hauptteile: einen Einleitungssatz (1,6; 2,1) und einen kurzen Dialog zwischen JHWH und dem Satan (l,7-12a; 2,2-6). Ein gleich formulierter Schlußsatz (1,12b; 2,7a) beendet die Szenen. Die Szene mit Hiobs Krankheit entwickelt sich direkt aus der zweiten Himmelsszene 2 . Beide Szenen haben auf weite Strecken denselben Wortlaut 3 . Der Dialogteil ist in stark rhythmisierter Prosa verfaßt 4 und durch Wort- und Satzwiederholungen geprägt. Die verbindenden Leitworte in beiden Szenen sind mn, T und • 1 ]3. Darüber hinaus bilden die Szenen eigene Schwerpunkte, auf die durch Schlüsselworte hingewiesen wird 5 . 1 Die alte Hiob-Novelle enthielt keine Erklärung der Ursache von Hiobs Situation, weil sie für die Erzählung bedeutungslos war. Hiob sah hinter Fremdvölkern und Naturkatastrophen das Wirken JHWHs, „der gibt und nimmt" (vgl. L. SCHWIENHORSTSCHÖNBERGER/G. STEINS, Entstehung, 19f.; D. CLINES, False Naivety, 128 und oben Kap. 3.1). Mit der Einfügung der Himmelsszenen durch den Dialogdichter wird das theologische Problem hinter Hi 1,21b narrativ ausgeformt und zum Fokus der Erzählung gemacht. 2 2,7b-10. 3 Die wenigen Abweichungen in sonst übereinstimmenden Passagen (Vgl. 1,6 mit 2,1; 1,7 mit 2,2) bieten keinen Anlaß zu literarkritischen Operationen, wie P. WEIMAR, Literarkritisches, 73f. annimmt. Vgl. dazu auch F. HORST, BK, 21; G. FOHRER, KAT, 95. 4 Jedoch kaum metrisch geformt, wie G. FOHRER, KAT, 80; R. GORDIS, Job, 15. 516ff. darstellen. 5 In der ersten Szene bildet die Frage nach dem Segen den Mittelpunkt des Gesprächs, in der zweiten geht es um Hiobs nan .

Zwischen Himmel und Erde: die

Rahmenerzählung

89

In beiden Himmelsszenen entfaltet sich die Handlung als Dialog zwischen JHWH und dem Satan. Der Gegenstand ihres Gesprächs ist Hiob. An ihm entzündet sich die theologische Kontroverse. Mit der Gestaltung der Handlung als Dialog wird das Publikum aus der narrativen Kontrolle entlassen; damit wird der Text offener für Mitarbeit. Die Handlung entfaltet sich als doppelte Personenstruktur. Diese ist wieder entlang räumlicher Geschehensachsen angelegt: JHWH und Hiob in der Vertikalen, JHWH und der Satan weitgehend in der Horizontalen. Die Szenen beginnen jeweils damit, daß der Tag kommt, an dem sich die • T ^ N I T 1 ^ vor JHWH versammeln (1,6; 2,1). Damit werden die Szenen in das große Textcorpus des Prologs eingebunden und mit 1,5.13ff. vernetzt. Dem Geburtstag der Söhne Hiobs entspricht der Versammlungstag der Söhne Gottes 1 . Dadurch wird die räumliche Distanz der beiden Schauplätze jedoch nur unterstrichen. Interessant ist dabei, daß die Verlegung des Schauplatzes von Hi 1,5 zu 1,6 nicht durch das Stichwort •"'Ottf markiert wird, sondern durch die Nennung von Personen und ihrer Bewegung. Wie Hiob unbeweglich in der Mitte alles Geschehens auf der Erde steht, so steht auch JHWH den GM^Krr^D gegenüber. Wie Hiob ist JHWH ein Einzelner im Gegenüber zu vielen. So bündeln sich die Fragen „Wo ist Gott?" und „Wie ist Gott?" zu einem Komplex. Die Nennung der QM^Kn-^D verweist in den Umkreis einer JHWH Königstheologie, in der die Göttersöhne 2 als Hofstaat JHWHs auftreten 3 . In Hi 1,6; 2,1 wird nicht a priori auf eine Rats- oder Gerichtsversammlung JHWHs angespielt 4 , sondern es wird zunächst die Perspektive von JHWHs Gegenwart im Himmel eröffnet, die Anlaß zum Lob der Göttersöhne ist. Im Hintergrund von Hi 1,6; 2,1 steht also eine Theologie der Herrlichkeit JHWHs 5 , die an einem bestimmten Ort manifest wird. Dabei weiß diese Theologie - für die exemplarisch Ps 29 stehen darf - durchaus um JHWHs raumübergreifendes Handeln 6 . Bei dieser Tradition hat sich Israel in einem

1

Zu „Tag" als Leitwort im Hiob-Prolog vgl. N. HABEL, OTL, 88f. Vgl. noch Ps 29,1; Hi 38,7 sowie die Prosaerzählung Gen 6,1-4. Mit anderen Termini noch lKön 22,19 ( D W n JOS); Ps 82,1 f^K m i l mit verschiedenen DV^N; vgl. Ps 50,1; 8,5); Ps 89,6-8 außer den •ln'?t: Ps 38,1; 71,13; 109,4.20.29; Sach 3,1; DB»: Gen 27,41; 49,23; 50,15; Ps 55,4; Hi 16,9; 30,21. 5 Vgl. z.B. lSam 29,4; 2Sam 19,23; lKön 5,18. 6 So K. NIELSEN, ThWAT VII, 747; anders G. WANKE, THAT I, 821, der von vornherein die Bedeutung „anfeinden" annimmt. 7 So bei den nominalen Belegen lSam 29,4; 2Sam 19,23; lKön, 5,18; 11,14.23.25. Hierhin gehört wohl auch die Nominalbildung ¡"IJB& Esr 4,6, vgl. K. NIELSEN, ThWAT VII, 747f. V. MAAG, Hiob, 85 hält diesen Bedeutungsbereich überhaupt für die Grundbedeutung von ]BD,

vgl.

G.

FOHRER,

KAT,

222;

G . HÖLSCHER, H A T , 3 2 ; F. HORST, B K , 1 6 5 . A n d e r s D . CLINES, W B C , 2 5 6 : „It i s h a r d t o

see, why 'you' should be emphatic here, and the emendation to ... 'now' is attractive. But it is purely conjectural." 9 Zum Relativsatz ohne Relativpronomen s. GK §155 g. 10 Vgl. G. FOHRER, KAT, 222: „Der Eigenschaftsbegriff, von dem P logisch abhängt, muß aus dem Zusammenhang ergänzt werden." Vgl. auch GK §133 e.

Erster Akt des Dialogs: Standortsuche

165

(Hi 3-14)

Und du bist voll Vertrauen2, denn es gibt Hoffnung ...3 liegst du ungestört da Du lagerst dich, und da ist kein Schrecken4, es 'umschmeicheln' 5 viele dein Gesicht. Aber die Augen der Frevler verschmachten, und ihre Zuflucht geht ihnen verloren, und ihre Hoffnung ist Aushauchen der Seele.

18: 19: 20:

Mit den Bildern des Lichtes und der Ruhe nach der Rettung knüpft Zophar an Hiobs Todessehnsucht aus Kap. 3 an und zeichnet ihr Gegenbild6. Damit ist die Verheißung auch in dieser Rede organisch mit dem Ratschlag verbunden. Licht und Frieden finden ihre Summe im Begriff npn, „Hoffnung", dem Schlüsselwort der Verheißungen. Nur in dieser Rede wird „Hoffnung" absolut gebraucht7; in Eliphas' und Bildads Rede ist Hoffnung an das Bestehen der Frommen bzw. das Vergehen der Frevler gebunden8. Auf diesen Strang der Argumentation, kommt Zophar in V. 20 zurück. Stärker als in Eliphas' Rede wird hier deutlich, daß der Frevler keine Hoffnung hat - in der Aussicht des Frevlers auf den schnellen Tod wird der Begriff Hoffnung ironisch verwendet. Als Antithese zur Hoffnung Hiobs wird deutlich, daß die Verheißung Hiob die Freiheit von allen Bedrängnissen von außen zusagt, zu denen auch die Frevler gehören9. Hier hat das Thema „Untergang des Frevlers", das im zweiten Akt des Dialogs so do-

1

Mit BHS na»n statt des Verbs ^ll! III, vgl. dazu auch F. HORST, BK, 165. Anders

G . FOHRER, K A T , 2 2 2 ; D . CLINES, W B C , 2 5 6 . 2

Zum Vorschlag der Übersetzung von ntaa von R. GORDIS, Job, 125; vgl. D. CLINES, 256. nznn vermutlich von "I3n III „beschützen", vgl. HAL, 327; so auch G. HÖLSCHER,

WBC, 3

H A T , 3 2 ; S . TERRIEN, C A T , 1 0 7 f . ; D . CLINES, W B C , 2 6 5 ; a n d e r s G . FOHRER, K A T , 2 2 2

(-OL II, „beschämt werden", vgl. dazu D. CLINES, WBC, 256); F. HORST, BK, 165; N . HABEL,

OTL,

203;

R.

GORDIS,

Job,

125

(„suchen").

Vgl.

auch

S.

R.

DRIVER/

G.B.GRAY, ICC, 110 mit einer etwas bemühten Erklärung. Das Problem muß offen bleiben. 4 G. FOHRER, KAT, 222 streicht den Stichos als sachlich und stilistisch überschüssige Glosse. 5

Z u r 6 n Pi. v g l . H A L , 3 0 4 s o a u c h G . FOHRER, K A T , 2 2 2 ; F. HORST, B K ,

165;

D . CLINES, W B C , 2 5 7 . A n d e r s R . GORDIS, J o b , 1 2 6 . 6 Dabei verdankt sich die Erwähnung des Morgens der Anklage Gottes durch Hiob in 7,18. D. CLINES, WBC, 268 bindet l l , 1 6 f f . vor allem an 10,18ff. an, übersieht aber die Wiederaufnahmen der Ruhemotive, l ^ n dürfte das Äquivalent zu "|"n 3,23 sein. 7 Daran knüpfen Hiobs Hoffnungsaussagen des zweiten Dialogaktes an. 8 Darauf weisen auch D. CLINES, WBC, 270; W. ZLMMERLI, Der Mensch und seine Hoffnung im Alten Testament, 1968 (Kleine Vandenhoeck-Reihe 275), 24f. hin. Mit diesem Aspekt ist das Phänomen „Hoffnung" im Hiob-Dialog aber nicht vollständig erfaßt. 9 Noch deutlicher wird dies in Bildads Rede 8,22.

166

„ Wo ist Gott? "

minant wird, seinen ursprünglichen Sitz in der Hiob-Dichtung 1 . Die Konsequenz der göttlichen Zuwendung ist Hiobs Freiheit von aller Bedrängnis. In Ratschlag und Verheißung treten die Freunde in die Auseinandersetzung mit Hiobs Todeswunsch ein. Dabei reagieren die Freunde auf die dramaturgische Staffelung des Todeswunsches. Die Dramaturgie vollzieht sich in drei Schritten. In Kap. 3 ist Hiobs Todessehnsucht in kein klar erkennbares Verhältnis zu Gott gebracht. Dieser Orientierungslosigkeit hält Eliphas sein explizit theonomes Rettungsmodell entgegen. In seiner Antwort ergänzt Hiob den Todeswunsch um die Anklage Gottes. Bildad muß dementsprechend Hiobs Situation und Gottes Handeln zur Deckung bringen. Nachdem Hiob konstatiert hat, daß „Gerechtigkeit" kein Weg ist, ihn aus seiner Lage zu befreien 2 , kommt Zophar zu einer gewandelten theonomen Lösung zurück 3 . In allen drei Reden setzen die Freunde Hiobs Erfahrung der Nähe Gottes die Verheißung der Nähe Gottes entgegen. Wie bereits erwähnt, orientiert, sich diese narrative Grundstruktur an räumlichen Kategorien und knüpft so direkt an die Konstellation des Pro1 Vgl. J. VERMEYLEN, Le méchant, 112: „II y a ... opposition et concurrence entre Job et les méchants. L'espérance de l'un, c'est la désespérance des autres." Insofern ist Westermanns Beobachtung angemessen, das Frevlerthema im Hiob-Dialog der Gebetstradition zuzuordnen (C. WESTERMANN, Aufbau, 92-95). Zumindest im ersten Dialogakt hat die Freiheit Hiobs von den Frevlern und ihrem Tun einen eher kultlyrischen Hintergrund. 2 Für die Gerechtigkeitsthematik ist Hi 9-10 programmatisch. In dieser Rede werden alle vorgängigen Sprech- und Denkmuster gebündelt und neu bewertet. S. dazu unten Kap. 5.1.3. 3 Der immer wiederkehrende Ratschlag in den drei Freundesreden ist häufig aufgefallen, vgl. z. B. G. FOHRER, Aufbau, 5f.; G. V. RAD, Weisheit, 272f.; C. WESTERMANN, Aufbau, 43ff., wobei dieser ihm sogar den Stellenwert einer dramaturgischen Konstante der Freundesreden einräumt. Am stärksten wird dieses Element bei V. MAAG, Hiob, 125ff. für die Analyse der Dialog-Dramaturgie genutzt. Ratschlag und Verheißung sind nach Maag Teil eines „Tröstungsschemas", dessen erster Teil die Belehrung über das Unglück ist (126). Die Stationen dieses Tröstungsschemas umfassen demnach die Belehrung über den Strafcharakter des Leidens, den Rat zur Buße und die Verheißung des kommenden Glücks (ebd.). Die Wurzeln dieses Schemas - das primär nicht weisheitlich ist (131) - liegen Maag zufolge in der Sühnetheologie von Ez 18,21 ff., die - in ihrer Adaption durch Deuterojesaja - zur „geradezu kanonischen" Deutung von Schuld und Schicksal geworden sei und auch die Formierung der nachexilischen Weisheit nachhaltig beeinflußt habe (131-133). Auch die Geschichtsdeutung des Richterbuches verdanke sich dieser Theologie (134). Eine Einordnung des Hiobbuches in die Grundzüge nachexilischer Theologie muß zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. An dieser Stelle ist gegen Maag festzuhalten, daß zumindest im ersten Akt des Dialogs niemals vom Leid als Strafe die Rede ist und ebensowenig das „üble Schicksal der Gottlosen" und der „Glückslohn der Frömmigkeit" (129) einander gegenübergestellt werden. Überhaupt scheinen „Schicksal" und „Vergeltung" einander ausschließende Kategorien zu sein. Die Herleitung des Ratschlags der Freunde vom Wächteramt Ezechiels Ez 3,16-21 (137f.) fuhrt zwar zu einer vertieften Wahrnehmung der Vision des Eliphas, dürfte aber überzogen sein.

Erster Akt des Dialogs:

Standortsuche

(Hi

3-14)

167

logs an. Dabei wird vor allem die Vertikale betont und zwar sowohl im Aspekt der Räume selbst als auch im Aspekt der Beziehung zwischen Gott und Mensch. Hiob und die Freunde setzen hierbei je unterschiedliche Akzente. Im Vordergrund der Reden Hiobs steht der genuin räumliche Aspekt: Hiob sieht das Totenreich als Spiegel und Wunschziel seines Lebens. Hierbei hat 3,1 l f f . programmatische Qualität. Zwar macht Hiob Gott für seine Lage verantwortlich, doch begegnet er nur einem Teil Gottes, seiner „Hand". Es stellt sich die Frage, wer dieser Gott ist, mit dem Hiob sich auseinandersetzt. Mit dieser vertikalen Orientierung und dem Stichwort „Hand" ist die ganze Dramaturgie des ersten Dialogteils an die Problematik des Gottesbildes in l,6ff.; 2,lff. rückgebunden. JHWH und der Satan arbeiten Hand in Hand, doch JHWH ist der, welcher im Himmel verbleibt, und der Satan kehrt dorthin nicht zurück. Der Himmel ist geschlossen. Hiob muß sich räumlich neu orientieren. Der personale Aspekt der Raumstruktur wird stärker von den Freunden betont. Gott agiert „von oben" aus, doch bleibt dieses „Oben" unspezifisch: W o ist dieser Gott, an den Hiob sich wenden soll? Diese Frage verbirgt sich hinter Eliphas' und Bildads Ratschlag, Hiob solle Gott „suchen". Präsent ist dieser Gott nur, wenn er handelt. Hiermit wird an den thronenden JHWH des Prologs angeknüpft, der inmitten seines Hofstaats bewegungslos die Erde beobachtet. So wird hinter der narrativen Struktur eine diskursive Struktur erkennbar: die Frage nach der Gegenwart Gottes als Thema der Hiobdichtung und zwar in ihren beiden Aspekten als Frage nach der Gegenwart Gottes und Frage nach der Gegenwart Gottes. Dies ist im Prolog bereits angelegt; das Publikum ist in der Lage, im Dialog die Verlängerung und Verlagerung der Konstellation der Himmelsszenen zu erkennen. Dabei deutet sich die Verlagerung vor allem im Wechsel der Perspektive an. Mit dem Übergang zur menschlichen Perspektive - d.h. mit Ausblendung der himmlischen Dimension - wird endgültig die Frage nach dem Leid akut, die sich im Prolog ankündigt1. Im Verlauf des ersten Dialogaktes wird immer deutlicher, daß Klage und Gebet nicht Hiobs Weg sein können, seine Lage auch nur adäquat auszudrücken, geschweige denn, sie zu bewältigen. Der Vorgriff auf die letzte Freundesrede Kap. 11 zeigte dies an: Die Freunde können Hiob mit dem Rat zur Wendung an den grenzüberschreitenden Gott nicht helfen. In der Auseinandersetzung mit den beiden ersten Freundesreden kommt Hiob zu

1

D. CLINES, False Naivety, 133 sieht den Übergang zur Frage nach Schuld und Leid

schon deutlich im Prolog verankert. Sie bleibt aber durch das Übergewicht der Frage nach dem Segen bis Kap. 3 noch in der Schwebe. Erst 3,1 zwingt das Publikum zur Neuorientierung.

168

., Wo ist Gott? "

einer weiteren Wahrnehmung, die sein Gespräch mit Gott bestimmt: der Wahrnehmung seiner eigenen und der menschlichen Hinfälligkeit. Dem narrativen Hauptfaden des Geschehens, der aus Todeswunsch und Ratschlag besteht, ist in Hiobs Reden ein zweites Element zugeordnet, das die Rolle einer Nebenkonstante spielt. Es handelt sich um das Vergänglichkeitsmotiv, das zwar zu einer eigenständigen Form der Gottklage hinführt, bis Kap. 10 jedoch von der Dramaturgie des Todeswunsches dominiert wird. Erst in Kap. 14 gewinnt es die Oberhand über den Todeswunsch. Die Freunde gehen auf dieses Element in diesem Akt des Dialogs nicht ein 1 . Mit dem Vergänglichkeitsmotiv reagiert Hiob auf den Ratschlag, der Freunde, die Nähe Gottes zu suchen, indem er einen weiteren Aspekt der Nähe Gottes benennt. Wie bereits gezeigt, präludiert Kap. 3 das Vergänglichkeitsmotiv in der Nennung der Bewohner des Totenreichs. Steht auch bei dieser Schilderung im Vordergrund, daß der Tod für alle das Ende und die Befreiung für einige bedeutet, so mündet der Abschnitt doch auch in die Aussage, daß alle Toten gleich sind. Die Gleichheit der Menschen in bezug auf den Tod wird in den folgenden Reden in charakteristischer Weise mit Todeswunsch und Gottklage verbunden. Dabei bekommt in den Reflexionen über die Vergänglichkeit das Todesproblem einen neuen Stellenwert in der Auseinandersetzung Hiobs mit Gott. Für die Verbindung von Todeswunsch, Gottklage und Vergänglichkeitsmotiv ist Hi 7 von zentraler Bedeutung. In 7,1-3 werden die Sklaven bzw. Knechte 2 , die 3,19b zu denen gehörten, für die der Tod Befreiung und Erlösung bedeutet, zur Metapher für die conditio humana: Ist nicht 'Dienst' 3 Menschenlos auf der Erde, und sind nicht wie die Tage eines Tagelöhners seine Tage? Wie ein(em) Knecht 4 , der nach Schatten lechzt, und wie ein(em) Tagelöhner, der auf Lohn hofft,

1: 2:

1

Ein Anklang an das Problem menschlicher Begrenztheit findet sich nur in der Vision des Eliphas 4,17-21. Die Aussage Bildads in 8, 9 hat einen erkenntnisbezogenen Aspekt. 2 Sowohl die Nennung der o n a » 3,19 als auch "DI? 7,2 sind auf dem Hintergrund der Bezeichnung Hiobs als Knecht Gottes 1,8; 2,3 zu lesen. 3 tQS hat in Hi 7,1 (vgl. auch 14, 14) nicht die primäre Konnotation von Heeres- oder Kriegsdienst (vgl. Num 31,4f.), sondern bedeutet in der Parallele zu T36> 1ü'1 wohl eher eine Form von Zwangsarbeit, vgl. H. RLNGGREN, ThWAT VI, 874f.; G. FOHRER, KAT, 175; F. HORST, BK, 113; L. PERDUE, Wisdom, 127 unter Berufung auf die ebenfalls metaphorische Aussage Jes 40,2. Anders V. MAAG, Hiob, 176 („Sonderdienst"; zu Hi 14,14). Die vorsichtige Anspielung auf JHWH Zebaoth könnte als Oberton mitschwingen. 4 Zur Konstruktion vgl. GK § 155g.

Erster Akt des Dialogs: Standortsuche

(Hi 3-14)

169

so wurden mein Teil 1 für mich Monde des Leids, und Nächte der Mühsal hat man 2 mir zugezählt.

3:

Dem Bild vom "DJ? werden 7,1 der Dienst und das Tagelöhnerdasein vorangestellt, wobei es weniger um die mühevolle Arbeit als um die Fremdbestimmung geht3. Daß hier die menschliche Verfaßtheit angesprochen ist, wird durch den Begriff tö'lJX gekennzeichnet, der den schwachen Menschen bezeichnet4. In der Sklavenmetapher wird dies auf Hiob hin zugespitzt und an die Todessehnsucht von Kap. 3 rückgebunden5. So wird bildhaft und indirekt aus der Gleichheit im Tod die Gleichheit im Leben, das nur auf den Tod hinauslaufen kann. Wie schon in Kap. 3 begegnet der Rückschluß von der Wahrnehmung des Allgemeinen zur besonderen Situation Hiobs. Im Gefalle der langen Klage wird die generalisierende Aussage über die menschliche Verfaßtheit explizit in 7,7-10: 7:

Gedenke doch, daß mein Leben nur Wind ist! Niemals mehr 6 sieht mein Auge das Gute. Nicht wird mich sehen das Auge, das nach mir blickt 7 , deine Augen (sind) auf mir, aber ich bin nicht (mehr) da 8 . Die Wolke entschwindet und geht dahin, so kommt nicht herauf, wer in die Scheol hinabsteigt. Er kehrt nicht zurück zu seinem Haus, und seine Stätte erkennt ihn nicht mehr.

8: 9: 10:

Hiobs direkte Anrede an Gott beginnt mit einem Hinweis auf seine Hinfälligkeit9. An kaum einer Stelle im Hiob-Dialog kommt Hiob einer flehentli-

1 2 3

^ n : Hof. nur hier, vgl. G. FOHRER, KAT, 163. Die Pluralform des Verbs zeigt das unbestimmte Subjekt an. S o F . HORST, B K , 113F.; a n d e r s L . PERDUE, W i s d o m , 1 2 7 Í

4

L. PERDUE, Wisdom, 130 vermutet hier eine Umkehrung königlicher bzw. herrscherlicher Menschenbilder. Im Hinblick auf die Rezeption von Ps 8 im Lauf des Kapitels ist dies möglich. Zum Problem der „königlichen Anthropologie" in Ps 8 und verwandten Texten vgl. H. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 238f. und im Anschluß daran E.-J. WASCHKE, „Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst?" (Ps 8,5). Theologische und anthropologische Koordinaten für die Frage nach dem Menschen im Kontext alttestamentlicher Aussagen: ThLZ 116 (1991), 801-812, 803f. 5 bü , „Schatten" gehört in den Bildbereich des Todes. 6 Zu dieser Übersetzung von 31®' vgl. G. FOHRER, KAT, 163. 7 Vgl. zur Konstruktion ^ " l pu (wörtlich „das Auge eines mich Sehenden") G . FOHRER, K A T , 1 6 4 . 8

9

V g l . d a z u D . CLINES, W B C , 164.

"Dt erscheint im Hiob-Dialog fast nur im Kontext der Vergänglichkeitsaussagen, vgl. dazu E.-J. WASCHKE, Koordinaten, 807; F. HORST, BK, 116. n n („Wind") ist selten in der Vergänglichkeitsmetaphorik, vgl. noch Ps 78,39. In Hi 7 liegt möglicherweise eine Anspielung auf Gen 2 vor.

170

., Wo ist Gott? "

chen, „echten" Bitte so nahe wie hier 1 . In diesem Abschnitt wird die Metaphorik des „Auges" eingeführt 2 , zunächst als Klage über den Zustand Hiobs, dann als Konkretion des Schwindens (V. 8a). In V. 8b wird dies noch gesteigert und wieder mit der Anrede an Gott verbunden. Hier impliziert der Tod erneut die Trennung von Gott, und zwar in radikaler Weise. Gottes Auge wird Hiob nicht mehr sehen 3 . V. 8b unterscheidet sich erheblich von 3,11 ff. und 6,9?. Hiob wünscht sich den Tod nicht, sondern sieht sich dem unausweichlichen Hinschwinden gegenüber. Ein neuer Gedanke tritt hinzu: Der Tod beendet nicht nur Hiobs Beziehung zu Gott, sondern auch Gottes Beziehung zu Hiob. Dieser Gedanke wird erst Kap. 14 wieder aufgenommen. In V. 9f. kehrt Hiob von seiner eigenen Flüchtigkeit zur Sterblichkeit aller Menschen zurück. Auch hier wird der Tod als Ende thematisiert und teils mit räumlichen, teils mit naturhaften Vorstellungen verbunden. Von hier aus verläuft der Weg in die Anklage Gottes, wobei die Vergänglichkeitsreflexion die argumentative Basis der Anklage Gottes abgibt 5 . In Kap. 7 wird der Tod in paradoxer Weise zum Thema: Der unausweichliche Tod - unter Gottes Auge - führt in letzter Konsequenz zum Todeswunsch als Flucht vor Gottes Hand. Damit stehen zwei Todesbilder in Spannung nebeneinander; die Ausgangsposition ist jedoch gleich. Hiob leidet unter Gottes übermäßiger Nähe. Vom Todeswunsch aus (7,12-16a) kehrt Hiob zur Wahrnehmung seiner Sterblichkeit zurück, die seine einzige Bitte begründet: 130t3 ^"in. In 7,1721 werden die beiden Argumentationsfaden kurzfristig zusammengeführt: 17: 18:

Was ist der Mensch, daß du ihn groß achtest6, und daß du ihn beachtest? ihn heimsuchst jeden Morgen, ihn jeden Augenblick prüfst?

1 Anders D. CLINES, WBC, 186: „God must have temporarily overlooked, Job says not without a hint of the sarcasm that will become the dominant mood in vv 12-20 - that his life is no more substantial than air." 2 Sie hat ihr Präludium in der Bildsprache von Licht und Finsternis Kap. 3, vgl. dazu L. PERDUE, Wisdom, 95 und bleibt auch in den folgenden Kapiteln damit verbunden. 3 Der Satz ist sowohl durch seine grammatische Struktur (Nominalsatz) als auch durch seinen Klang deutlich betont. 4 Anders F. HORST, BK, 117. 5 Vgl. H. STRAUß, Tod, 244: „Zusammen mit der wolkenhaften Flüchtigkeit allen menschlichen Lebens dient nun solche 'PlXtf 'Hiob' gleichsam verdichtet und aktualisiert um die besondere Anfechtung des individuellen Ergehens (V. 11 in 1. Person) als Grund, in der Absehbarkeit seines Schicksals ... Klage und Einspruch zu erheben." 6

Zu

Pi. v g l . s o G. FOHRER, K A T , 164. A n d e r s F. HORST, B K , 1 2 0 ; M . POPE,

AncB, 58 im Sinne von „groß machen, aufziehen". Vgl. dazu D. CLINES, WBC, 166: „The translation is possible, but it spoils the parallel with Ps 8, and the link with v 12".

Erster Akt des Dialogs: Standortsuche 19:

(Hi 3-14)

171

Wirst du von mir'wegblicken, mich lassen, bis ich meinen Speichel 2 schlucke? Habe ich gesündigt 3 , was tut es dir, Menschenhüter? 4 Warum hast du mich dir zur Zielscheibe 5 gemacht, und (warum) bin ich dir 6 zur Last geworden? Warum vergibst du mir nicht meinen Aufstand und läßt hingehen mein Vergehen? Denn jetzt: In den Staub werde ich mich legen 7 , und wenn du mich suchst, bin ich nicht mehr.

20:

21:

In diesem Abschnitt wird die menschliche Vergänglichkeit zum Element der Anklage Gottes. Die Sequenz beginnt mit der giftigen Paraphrase von Ps 8,5:

Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst 8 , und das Menschenkind, daß du dich seiner annimmst 9 ?

In Hi 7,17f. wird die hymnische Aussage von Ps 8 gleich mehrfach modifiziert. Statt vom Gedenken (~Di) Gottes an sein Geschöpf spricht Hiob vom „groß achten". Daß Gott an den Menschen „denkt", wird Hi 7 im wörtlichen Echo der Himmelsszenen wiedergegeben: 31? D1®. 1p3 hat in Hi 7 einen anderen Klang als in Ps 8. Gott prüft und überwacht den schwachen Menschen (tf'l3i'a) fort und sprach.

Einerseits wird durch den Terminus die Rede Kap. 27-31* von der Dialogsituation Kap. 3-23 abgesetzt, die jeweils durch ¡"1317 gekennzeichnet ist. ^ d ü hat den Charakter eines Diskurses 3 . Andererseits besteht eine Kontinuität von 27-31* zum vorausgegangenen Text. Sie wird durch das Verb ^D1 („fortsetzen") angegeben 4 . D.h. noch immer bezieht Hiob die Freunde - als Zeugen - in seine Rede ein. Dies schließt die Leerstelle von 23,2. Der Konflikt zwischen Hiob und den Freunden ist soweit begelegt, daß Hiob vor ihnen agieren kann. Allerdings spricht er den Trost nicht mehr an, sondern weist den Freunden eine neue Rolle zu 5 . Die Formulierung btöü ^O1 markiert als Redewendung diesen Wechsel; sie zeigt eine öffentliche Rede nach Art einer Verlautbarung an6.

1

In der vorangegangenen Analyse wurde diese Rolle unter dem Stichwort „Wo ist Gott?" wiedergegeben. 2 Zu den „Rastern" der Textstrategie s. oben Kap. 4.2.1/4.2.2. 3

4

V g l . N . HABEL, O T L , 3 7 9 .

Insofern ist die starke Zäsur, die M. CHENEY, Dust, 127 zwischen Dialog und Monolog setzt, nicht ganz sachgemäß. 5 Das Problem des „Trostes" wird erst 42,6 zu Ende gebracht. 6 N. HABEL, OTL, 379: „The expression 'take up a mäsaV ... is a distinctive idiom which refers to more than continuing a discourse or theme. The idiom is used to introduce the formal public statements of Balaam ... (Num 23:7,13) and the oracles which announce the fate of Israel and its foes (Num 24:3,15). Elsewhere the formula introduces pronouncements of woe (Isa 14:4, Micah 2:4), including a formal woe oracle (Hab 2:6). (...) Job is no longer merely responding to his friends, ... but making a weighty formal public 'pronouncement'. Vgl. auch M. WITTE, Leiden, 156.

Dritter Akt des Dialogs: Kompromiß

und Herausforderung

(Hi 21-31*)

305

Hiobs ^ttfö umfaßt Kap. 27,2-6; 29-31*. Diese Schlußrede Hiobs weist einen schwierig abzugrenzenden Textbestand auf. Diese Texteinheit ist durch mehrfache Zusätze erweitert worden; dabei ist ihre Einheitlichkeit als zusammenhängende forensische Rede aufgelöst worden. Nach den redaktionellen Erweiterungen des Grundentwurfs ist vor allem der Zusammenhang zwischen Kap. 27 und 29 aufgebrochen. Kap. 27-28 und 29-31 werden im jetzigen Textbestand durch die verdoppelte Redeüberschrift "IDN1! 1*?B'Ö nKÖ UTK ^O1!1 als zwei dramaturgische Neuansätze ausgewiesen 2 . Zum Grundentwurf von Kap. 27 sind die Vv-4.5*.6 zu rechnen3. Der Textbestand von Kap. 29 ist umstritten. V. 11 formuliert einen Neuansatz im Text, der bis V. 20 reicht; Vv. 21-25 hingegen scheinen den Zusammenhang von Vv. 210 fortzusetzen, denn nach V. 20 wäre ein Subjektwechsel erforderlich, der nicht erfolgt. Häufig werden Vv. 21-25 zwischen Vv. 10 und 11 verlegt4. Der Grund der Versverschiebung läßt sich allerdings nicht plausibel machen5; hingegen kann eine sinnvolle Strukturierung des Kapitels im vorliegenden Textbestand nachgewiesen werden 6 . Neuerdings wird auch eine redaktionelle Erweiterung durch Vv. 17-20 angenommen 7 . Tatsächlich passen die Verse, die Hiobs Demütigung der Frevler und die Hoffnung auf einen gesegneten Tod thematisieren, nicht recht in den Zusammenhang der Argumentation 8 ; Vv. 18-

1 Die „Überschrift" 27,1 dürfte zum Grundentwurf der Hiob-Dichtung gehören. Der Vers markiert den Übergang von der Abschlußrede an die Freunde zur Herausforderung Gottes. Die gleichlautende Überschrift in 29,1 dürfte dann durch die nachträgliche Einfügung von Kap. 28 veranlaßt worden sein, vgl. auch M. WITTE, Leiden, 166. Dabei ist die Funktion von 29,1 unklar. Entweder soll der Zusammenhang von Kap. 27 und 29 angezeigt werden oder 29,1 markiert den Neuansatz der Herausforderung Gottes nach der „Lehre" Hiobs Kap. 27f. Da die genaue Entstehungsgeschichte von Hi 23,10-28,28 nicht mehr aufzuhellen ist, läßt sich hierüber keine Sicherheit gewinnen. 2 Zur Entstehung des „dritten Redegangs" s. oben Kap. 3.2. 3 M. WITTE, Leiden, 156f. weist nach, daß 27,5 durch die Anrede MNN PNRRS'D« erweitert worden ist. Damit ist auch der Grundentwurf von Kap. 27 nachträglich in die fiktive Dialogsituation des „dritten Redegangs" eingefügt worden. Ob allerdings auch 27,6aß (H3"1K X^l) einen Zusatz darstellen (157), kann nicht ganz sicher entschieden werden; die Phrase ist zwar metrisch überschüssig, fugt sich aber in den sachlichen Zusammenhang gut ein. 4

So

im A n s c h l u ß

an B u d d e G. FOHRER, K A T ,

402;

G. HÖLSCHER, H A T ,

72;

S. TERRIEN, CAT, 200f.; vorsichtig C. WESTERMANN, Aufbau, 72. Überblick bei P. V.D. LUGT, Rhetorical Criticism, 330. Eine andere Art der Textumstellung nimmt G. FUCHS, Mythos, 142. 145f. vor. Sie verlegt Vv. 18-20 zwischen Vv. 6 und 7. Die Gründe überzeugen nicht. 5

V g l . G. FUCHS, M y t h o s , 146.

6

V g l . d i e v e r s c h i e d e n e n A n s ä t z e bei R. GORDIS, Job, 5 4 0 ; N . HABEL, O T L , 4 0 6 - 4 0 8 ;

P. v. D. LUGT, Rhetorical Criticism, 332-334. 7

8

M . WITTE, L e i d e n , 1 6 6 A 4 2 7 .

Daß vor allem Vv. 18-20 am jetzigen Ort einen Fremdkörper in der Rede darstellen, zeigt G. FUCHS, Mythos, 146. B e i N . HABEL, OTL, 407, läßt sich V. 17 nur mit Mühe in der Gesamtstruktur von Vv. 11-17 verankern; ähnliche Probleme ergeben sich in der Strukturierung von P. V. D. LUGT, Rhetorical Criticism, 333.

306

Wo ist Gott?

20 sind darüber hinaus schwer verständlich 1 . Allerdings läßt sich auch die Einfügung dieser Verse ähnlich schwierig begründen wie eine Versumstellung 2 , zumal hier ein sinnvolles Textgefüge zerstört wird. V. 17 entspringt wahrscheinlich einer Tendenz zur Vervollständigung der Aussagen Hiobs 3 ; Vv. 18-20 könnten mit ähnlicher Absicht - aber möglicherweise durch einen weiteren Interpreten - einen für Hiob typischen Ausblick auf den Tod hinzugefügt haben 4 . Der Grundbestand von Kap. 29 umfaßt damit die Vv. 2-16.21-25. Kap. 30 ist mit einiger Sicherheit um die Vv. 2-8 erweitert worden, in denen Hiobs Spötter nach der Art der D'SJBfn von Kap. 24 dargestellt werden 5 . Kap. 31 ist textlich erneut umstritten 6 . Tatsächlich ist vor allem der Einsatz des Kapitels unvermittelt, der V. 1 einen rechtlichen Vorsatz Hiobs benennt und danach (Vv. 23) eine Begründung nachschiebt. 31,1-3 lassen sich daher als Erweiterung nach dem Vorbild von Kap. 24 plausibel machen 7 . Ähnlich unvermittelt nehmen Vv. 38-40 nach dem bereits erfolgten Abschluß des Kapitels eine erweiterte Selbstverwünschung Hiobs auf. Die Verse könnten verschoben sein 8 oder einen tendenziösen Zusatz darstellen 9 . Der Sinngehalt von Hi 31,38-40 ist schwer zu ermitteln 10 . Ähnlich wie bei 29,19-20 soll auch für 3 l,38ff. ein Zusatz erwogen werden. Der Grundbestand von Kap. 31 enthält die Vv. 4-37.

Hiobs Schlußrede umfaßt vier Teile: - 27,2-6: Eid und Unschuldsbeteuerung - 29,2-16.21-25: Rückblick auf das frühere Leben - 30,1.9-31: Beschreibung des gegenwärtigen Lebens - 31,4-37: Eid und Appellation Der makrotextliche Rahmen der Rede (27; 31) wird vom Rechtskontext gebildet; die eingelagerten Passagen 29; 30 rezipieren jedoch vor allem motivisch den kultischen Kontext. Mit der Rahmung der Texteinheit durch Eid und Appellation ist der Rechtskontext zum Handlungsschema für Hiob geworden, zu seiner Art, sich an den fernen Gott zu wenden. Mit Hi 27 ist 1

Überblick zur Exegese bei G. FUCHS, Mythos, 143f. G. FUCHS, Mythos, 146 A 14 gibt mehrere denkbare Begründungen an, rechnet Vv. 17-20 aber zum Grundentwurf. 3 Auch M. WITTE, Leiden, 166; G. FUCHS, Mythos, 143ff. trennen Vv. 17.18-20 voneinander. Eine vervollständigende Tendenz bei redaktioneller Nacharbeit findet sich z. B. bei der Straußenperikope der Gottesrede. 4 Dies gilt nur unter der Voraussetzung, daß es bei diesen Versen wirklich um Hiobs Tod geht. 2

5

S o G. FOHRER, K A T , 4 1 6 - 4 1 8 ; V . MAAG, H i o b , 150f.; M . WITTE, L e i d e n , 183f.

6

V g l . M . WITTE, L e i d e n , 185 A 42.

7

8 9

M . WITTE, L e i d e n , 185f.

G. FOHRER, KAT, 440-442 verlegt sie vor den formellen Abschluß der Rede. M . WITTE, L e i d e n ,

10

186.

Vgl. G. FOHRER, KAT, 441. Die Anbindung von 31,38-40 an das Tötungsverbot des Dekalogs (M. OEMING, Hiob 31 und der Dekalog, in: Beuken, W.A.M. (Hg.), The Book of Job, 362-368, 367) ist gezwungen; auch ruft Hiob die Erde nicht zum Zeugen an (363 A 5, auch N. HABEL, OTL, 428). G. FUCHS, Mythos, 186 sieht eine Anspielung auf die Mutter-Erde-Tradition.

Dritter Akt des Dialogs: Kompromiß

und Herausforderung

(Hi 21-31 *)

307

der Schlußabschnitt der Prozeßdramaturgie erreicht. Bisher wollte Hiob mit prozessualen Mitteln vor allem das Erscheinen Gottes von Angesicht zu Angesicht erzwingen. Seit Kap. 23 tritt Hiobs Begehren, seine Redlichkeit anerkannt zu wissen, in den Vordergrund. Dies wird ab Kap. 27 zum primären Ziel des Prozesses. In Kap. 27 formuliert Hiob in feierlicher Form einen Eid, mit dem er seine Unschuld beteuert. Damit gibt er das Ziel seiner gesamten Schlußrede an: 27,2-6: 2: So wahr Gott lebt 1 , der (mir) mein Recht 2 entfernt hat, und Schaddai, der verbittert hat meine Seele: 3: Die ganze Dauer meines Atems in mir und des Hauches Gottes in meiner Nase 4: sollen meine Lippen keine Verkehrtheit reden und meine Zunge keinen Trug murmeln 3 . 5: Ferne sei es von mir, bis ich sterbe! Meine Integrität lasse ich nicht weichen von mir. 6: An meiner Gerechtigkeit halte ich fest und gebe sie nicht auf. Mein Herz schilt keinen meiner Tage 4 .

Mit der eidlichen Beschwörung des „lebendigen" Gottes V. 2 ist erstmals seit dem Prolog wieder die Sphäre des Fluchs berührt; der falsche Schwur zieht den Fluch nach sich 5 . Offen bleibt allerdings, wen der Fluch treffen soll, denn in Hiobs Eid findet sich keine Selbstverfluchung 6 . In jedem Fall ist dieser Eid eine Aufforderung an Gott zu handeln; die Möglichkeit des

1 Zur Schwurformel TT + Gottesname vgl. M. GREENBERG, The Hebrew Oath Particle Hay/He\ JBL 76 (1957), 32-39. 2 N. HABEL, OTL, 376 weist auf die vielfache Bedeutungsbreite von HSB'a im HiobDialog hin. Hier scheint BStS'ö zwischen der abstrakten Gerechtigkeit und dem persönlichen Recht zu schillern. Die von G. FOHRER, KAT, 379 angegebenen Belege bewegen sich in gleicher Weise zwischen dem persönlichen Rechtsanspruch (Dtn 24,17; 27,19) und dem allgemeinen Recht (1 Sam 8,3). In allen drei Fällen steht nt03 statt "110. 3 n : n I, vgl. HAL, 228. 4 'O'ö m 1 ? tpi-p-ti1?. G. FOHRER, KAT, 377 gibt den Stichos „Mein Gewissen schmäht mich keinen meiner Tage" wieder. R. GORDIS, Job, 288 rechnet mit der Sonderbedeutung „fluchen, schmähen" („blaspheme") für «pn. Im Anschluß daran N. HABEL, OTL, 376. 5 Zu diesem Zusammenhang vgl. G. FOHRER, KAT, 379; N. HABEL, OTL, 379. 6 Vgl. dazu J. HEMPEL, Anschauungen, 42ff. N. HABEL, OTL, 379 rechnet mit einer Verfluchung Hiobs durch Gott („The deity named in the oath formula is called on to curse the Speaker if the oath is not true."), wohingegen G. FOHRER, KAT, 379 eine Verfluchung Gottes annimmt.

308

Wo ist Gott?

Fluchs besteht wieder, doch Hiob wählt eine andere Möglichkeit als die Lästerung 1 . In seiner Schwurformel bündelt Hiob seine Erfahrungen mit Gott, den Retter wie den Feind. Die Formel t W"'n läßt Hi 19,25 anklingen 2 . Hiob schwört bei dem Gott, der ihm sein Recht genommen hat: dem fernen Retter und dem nahen Feind. Schon der Eid wird zur Anklage und Herausforderung Gottes 3 . Der Inhalt des Eides ist eine Beteuerung der Unschuld Hiobs für die Dauer seines Lebens (Vv. 3-6). Auch dieses ist von Gott bestimmt, wie Hiob V. 3 in Anspielung auf Gen 2,7 feststellt. Zum rettenden und feindlichen Gott tritt - fast im Nebensatz - Gott der Schöpfer 4 . Wie schon in Kap. 4f.;9f. werden Schöpfung und Gerechtigkeit nebeneinander erwähnt. Wie dort erhält die Gerechtigkeit das Übergewicht. Hiob entfaltet seine Gerechtigkeit in ähnlicher Vollständigkeit wie sein Gottesbild. Die Beteuerung, niemals „Verkehrtheit" (nbvj) und „Trug" ( n a n ) reden zu wollen (V. 4), ist eine Paraphrase der Kennzeichnung "ItS1 (vgl. 1,1.8; 2,3: 23,7). In V. 5 bekräftigt Hiob seine Integrität (HÖH), in V. 6 seine Gerechtigkeit (np"!2i). Diese Reihe ist eindeutig auf Steigerung angelegt, der Höhepunkt ist die Nennung der HplS, die Hiob erstmalig mit einem Substantiv bezeichnet 5 . Sie wird in direkten Bezug zu Hiobs Herz gebracht - Hiobs Innerstem, das von Gott bisher nicht angetastet wurde 6 . Mit Hi 27,4-6 ist Hiobs Gerechtigkeit erstmals konkret benannt und zwar als Summe seiner religiös-moralischen Qualifikation als aufrecht und integer 7 . In der Zuordnung zu Hiobs Körper ersetzt n p l S fast HÖH. Hiob legt

1 N. HABEL, OTL, 380: „By swearing by the life of EL, Job takes the most powerful means at his disposal to force God to act. Job's oath balances the curse on God which Job's wife proposed, a curse, which would have forced God to kill Job. Job has sworn an oath and its power has been set in motion. The onus is now on God to respond." 2 Vgl. TT ^ f » TOT '3X119,25. 3 Diesen Aspekt von 27,2 betont G. FOHRER, KAT, 379. 4 Bei G. FOHRER, KAT, 379 ist V. 2 auf die anthropologische Aussage beschränkt; N. HABEL, OTL, 380 bringt na&3 und n n in einen Bezug zur Weisheit. 5 In 6,29; 13,18 erscheint das Verb; nur Bildad spricht 8,6 von Hiobs p l S . 6 Zur Verknüpfung anthropologischer und juristischer Termini in Hi 27,2-6 vgl. M. WITTE, Leiden, 157. Seine Strukturierung nach „Vertikale" (Recht) und „Horizontale" (Anthropologie) läßt sich allerdings nicht konsequent durchhalten. Bei G. FOHRER, KAT, 380 ist die Zuordnung von zum „Gewissen" zu stark auf Vorstellungen von Sünde hin zugespitzt. 7 In dieser Charakterisierung Hiobs fehlt der Bezug zur „Gottesfurcht". Allerdings wird Hiob diese Qualifizierung nur von anderen zugesprochen; er selbst spricht nie davon. G. FOHRER, KAT, 380 beschränkt Hiobs Gerechtigkeit auf seine juristische Unschuld, andersN. HABEL, OTL, 381.

Dritter Akt des Dialogs: Kompromiß

und Herausforderung

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sich also zu, was alle anderen ihm verweigern 1 . Gleichzeitig gibt Hiob das Ziel seines Rechtsstreits mit Gott an: die formelle Anerkennung seiner Gerechtigkeit durch einen anderen 2 . Zwar ist damit das Prozeßmodell zum Handlungsschema geworden, doch in der Art seiner Unschuldsbeteuerung gibt Hiob zu erkennen, daß es in diesem Prozeß um mehr geht als um die formale Beendigung des Konfliktes mit Gott. Die Beschreibung der Unschuld Hiobs umfaßt erheblich mehr als die juristische Unschuld in einem Konfliktfall. Die Konkretion der n p l S durch Aufrichtigkeit, rechtes Reden und Integrität verweist in eine weisheitliche Vorstellung, in der menschliche Gerechtigkeit der Inbegriff gelungenen Lebens ist3. Dieser Heilszustand ist juristisch nicht einklagbar 4 . Vielmehr handelt es sich um eine wie immer geartete Gabe Gottes 5 . Wenn Hiob diese Gabe einklagen will, steht damit gleichzeitig die Gerechtigkeit Gottes zur Disposition. Insofern bleibt auch das zum Handlungsschema gewandelte Prozeßmodell im Rahmen einer narrativen Metapher: Auf dem Prüfstand steht das Wesen der Gerechtigkeit, kein behebbarer Konflikt. Die Formulierung 1 0 1 ü "OZl1? cl"Yri~!