Das ökologische Auge: Landschaftsmalerei im Spiegel nachhaltiger Entwicklung [1 ed.] 9783205208136, 9783205206675

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Das ökologische Auge: Landschaftsmalerei im Spiegel nachhaltiger Entwicklung [1 ed.]
 9783205208136, 9783205206675

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Sybille Heidenreich

DAS ÖKOLOGISCHE AUGE

 Landschaftsmalerei im Spiegel nachhaltiger Entwicklung

2018 BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Wir danken der Andrea von Braun Stiftung, München, für die großzügige Förderung der Publikation. Die Publikation wurde ebenfalls unterstützt mit Mitteln der Sparkassen-Finanzgruppe Baden-Württemberg.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Coverabbildung: Caspar Wolf, Der Lauteraar-Gletscher, 1776 Basel, Kunstmuseum © Hans Hinz – Arthothek, Bildagentur der Museen

© 2018 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Rainer Landvogt, Hanau Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Michael Rauscher, Wien

ISBN 978-3-205-20667-5 | eISBN 978-3-205-20813-6

Inhalt Geleitwort  9 Danksagung  11 Einführung: Landschaftsbilder und das ökologische Auge  13

TEIL I DAS GAB ES SCHON

Schlechtes Wetter und die Geburt von Ungeheuern  : Kleine Eiszeit, Klimawande. Das Bild  : Valckenborch, Ansicht von Antwerpen mit zugefrorener Schelde  23 Das ökologische Auge  : Klimawandel  27 Menschen im Wald  : Nutzung und Übernutzung der Wälder. Das Bild  : Waldmüller, Reisigsammler im Wienerwald  45 Das ökologische Auge  : Nutzung und Übernutzung des Waldes  50 Ökonomie im Wald: Romantik und neue Waldliebe. Das Bild: Friedrich, Der Abend  63 Das ökologische Auge  : Ökonomisierung des Waldes  70 Flusslandschaft mit schöner Aussicht  : Die Entstehung der Wasserautobahn. Das Bild  : Lasinsky, Der Rhein bei Koblenz-Ehrenbreitstein  79 Das ökologische Auge: Flussregulierungen  81 Bauernland, privatisiert  : Der Weg zur Agrarindustrie. Das Bild  : van Gogh, Die Ebene bei Auvers  97 Das ökologische Auge  : Von der Kulturlandschaft zur Agrarindustrie  103 5

Inhalt

Trockenlegung der Sümpfe und Moore  : Ödland und Wildnis ­verschwin­den. Das Bild  : Modersohn-Becker, Frau mit Kindern in der Torfkuhle  115 Das ökologische Auge  : Die Trockenlegung der Sümpfe  121 Rauchende Schlote  : Kohle und die Industrialisierung. Das Bild  : Meunier, Das schwarze Land  131 Das ökologische Auge  : Kohlezeitalter  132 Überall hinkommen  : Globalisierung. Das Bild  : Kandinsky, Murnau – ­Ansicht mir Burg, Kirche und Eisenbahn  145 Das ökologische Auge  : Geschwindigkeit und Konstruktion  152

TEIL II DAS GAB ES NOCH

Wildnis. Das Bild  : Savery, Waldlandschaft mit Eremit  163 Das ökologische Auge  : Grenzgebiete und neue Wildnis  172 Drachen und andere wilde Lebewesen. Das Bild  : Altdorfer, Laubwald mit dem Heiligen Georg  183 Das ökologische Auge: Die Rückkehr der wilden Tiere  193 Vielfalt im Rasen. Das Bild  : Dürer, Das große Rasenstück  203 Das ökologische Auge  : Von der Wiese zum Rollrasen  208 Kühe im Freien. Das Bild  : Corot, Marcoussis – Weidende Kühe  221 Das ökologische Auge  : Massentierhaltung  227 Bunte Felder. Das Bild  : Monet, Mohnfeld  233 Das ökologische Auge  : Beikräuter in Feldern, in Hecken, an Wegrändern  239 6

Inhalt

Mäandernde Flüsse. Das Bild  : Birmann, Blick vom Isteiner Klotz  249 Das ökologische Auge  : Auenlandschaften  252 Wilde Meere. Das Bild  : Achenbach, Ein Seesturm  263 Das ökologische Auge  : Gemeinsames Erbe der Menschheit  269 Erhabene Berglandschaften. Das Bild  : Wolf, Der Lauteraar-Gletscher  277 Das ökologische Auge  : Nachhaltige Bewirtschaftung der Alpen  286 Ausblick  289 Anmerkungen  291 Literatur und Quellen  299 Bildnachweise  311 Register  312

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Geleitwort Eine Möglichkeit, Kulturgeschichte zu betreiben, besteht darin, sie auf aktuelle Themen hin zu befragen. Das Thema der nachhaltigen Entwicklung stellt darüber hinaus wesentliche Fragen an die Zukunftsfähigkeit der Weltgesellschaft. Vor diesem Hintergrund verknüpft die vorliegende Arbeit Beispiele der Kulturgeschichte mit Fragestellungen der Ökologie in der Perspektive nachhaltiger Entwicklung. Dabei ist der Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis, zwischen unterschiedlichen Fachrichtungen und wissenschaftlichen Disziplinen von besonderer Bedeutung. Hier nimmt das ZAK | Zentrum für Angewandte Kulturwissenschaft und Studium Generale am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) eine Schlüsselposition ein. Die Arbeit des ZAK verfolgt die Ziele, Studierenden aller Fakultäten des KIT Zugang zu fachübergreifenden Zusatz- und Schlüsselqualifikationen zu ermöglichen, transdisziplinären Kompetenzerwerb zu fördern und interkulturelle Kommunikation zu verbessern. Zudem ist es uns ein Anliegen, die Öffentlichkeit in die wissenschaftliche Lehre und Forschung mit einzubeziehen. Die Veranstaltungen im Rahmen des ZAK-Bereichs „Öffentliche Wissenschaft“ sollen dabei einen Dialog zwischen KIT und Bürgerinnen und Bürgern anregen. In diesem Sinne sieht sich das ZAK auch in der Verantwortung, die Teilhabe der Öffentlichkeit an den Ergebnissen der Wissenschaft auszubauen. Die vorliegende Publikation ist mit diesen Intentionen mehrfach verknüpft  : Verschiedene Aspekte eines gesamtgesellschaftlichen Auftrages für die nachhaltige Entwicklung sowie der Ausprägung eines verantwortlichen und reflektierten Bewusstseins für nachhaltiges Handeln gingen in einen Lehrauftrag am ZAK ein, die Arbeit befasst sich mit fachübergreifenden Fragestellungen und Phänomenen und öffnet das Thema für Information und Diskurs in der interessierten Öffentlichkeit.

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Geleitwort

Der Blick in die Kulturgeschichte zeigt anhand vieler Beispiele, wie Problemlagen der Gegenwart überhaupt erst entstanden sind, erweist aber auch, welch reichhaltigen Fundus an emotional berührenden und zukunftsoffenen Bildern die Kulturgeschichte bereithält. Nicht ohne Grund gelten die utopischen Potenziale der Kunst als Seismografen gesellschaftlicher Entwicklungen. Ein überraschendes Ergebnis der Untersuchung mag sein, dass viele der hier vorgestellten Beispiele auf den Kultur-Naturraum Europa verweisen. Es wird deutlich, dass Europa nicht nur eine, wenn auch fragile, politisch-wirtschaftliche Einheit darstellt, sondern einen gemeinsamen Naturraum, der sich mit einer gemeinsamen Kultur durchdringt. Vor allem bei den großen Flusssystemen Rhein und Donau, aber auch für die uns am nächsten liegenden Berge und Meere sind nur europäische Lösungen denkbar. Das gilt noch mehr für die Landwirtschaft. Das sich wandelnde Verständnis von Natur – ein Kulturthema, das sich auf der kunsthistorischen Ebene ausdrückt – ist ebenfalls gesamteuropäisch geprägt. Allein die zahlreichen länderübergreifenden Schutzprogramme und Richtlinien erweisen Europa als eine Mindestbetriebsgröße für nachhaltige Entwicklung. Ich freue mich über dieses Buch und hoffe, dass die hier dargelegten Analysen zum weiteren wissenschaftlichen Diskurs beitragen. Prof. Dr. Caroline Y. Robertson-von Trotha

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Danksagung Dieses Buch entstand aus fachübergreifenden Seminaren zur nachhaltigen Entwicklung, die ich zusammen mit meinem Mann Uwe Heidenreich, der Biologe ist, im Rahmen von Lehraufträgen konzipiert und umgesetzt habe. Thomas Giesinger vom BUND Baden-Württemberg danke ich für die Ermutigung zur Arbeit an der Publikation, seine fundierten Hinweise und die wertschätzende Kommunikation. Nils Büttner hat aus Richtung der Kunstgeschichte durch seine Anmerkungen die Arbeit fachlich sehr befördert. Bernd Herrmann danke ich für die fachliche Diskussion und zahlreiche Hinweise zur Umweltgeschichte. Thomas Kuppinger danke ich für seine hilfreichen Anmerkungen und Informationen zu ökologischen Aspekten, Hanspeter Rausch für die aktive Lektüre des Manuskripts. Uwe Heidenreich danke ich für unermüdliche Lektüre, fachliche Unterstützung und die Recherchen in seinem Fotoarchiv. Claudia Macho, die das Projekt im Lektorat betreut, hat die Arbeit am Manuskript kontinuierlich begleitet und durch eine Atmosphäre persönlicher Kommunikation und Motivation unterstützt. Die Sparkassen-Finanzgruppe Baden-Württemberg hat das Buch im Rahmen der Förderung nachhaltiger Entwicklung unterstützt. Die Förderung der Andrea-von-Braun-Stiftung, München, galt der fachübergreifenden Ausrichtung. Die Andrea von Braun Stiftung hat sich dem Abbau von Grenzen zwischen Disziplinen verschrieben und fördert insbesondere die Zusammenarbeit von Gebieten, die sonst nur wenig oder gar keinen Kontakt miteinander haben. Grundgedanke ist, dass sich die Disziplinen gegenseitig befruchten und bereichern und dabei auch Unerwartetes und Überraschungen zu Tage treten lassen.

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Links: Landschaft mit heiligem Baum, Wandmalerei aus der Villa des Agrippa Postumus in Pompeji, vor 79 n. Chr., Neapel, Museo archeologico Nazionale. Rechts oben: Meister von Hohenfurth, Christus am Ölberg, um 1350, Prag, Nationalgalerie. Unten: Joachim Patinir, Charon, 1512–1524, Madrid, Museo del Prado.

Einführung: Landschaftsbilder und das ökologische Auge

Landschaften werden durch das Sehen gebildet. Wir betrachten Landschaften in der Natur und sehen Bilder, die wir aus dem Bildervorrat der Geschichte kennen. Bilder haben über Jahrhunderte hinweg gezeigt, was in der Perspektive des künstlerischen Blicks überhaupt eine Landschaft sein kann. Umgekehrt haben wir aus der Malerei gelernt zu sehen, was eine schöne, liebliche, erhabene oder bildwürdige Landschaft ist. Landschaft spielt sich in Projektionsräumen ab, mit vielen Facetten, in denen Natur und Kultur zusammenwirken. Insofern hat das Genre auch das Bewusstsein für den Wert der Natur entscheidend mitgeprägt. Immer wieder zeigt sich eine Bewegungsrichtung zurück zu den Ursprüngen des Natürlichen, in denen man auch die Ursprünge der Kreativität aufsuchte. Dabei drücken sich in Landschaftsbildern – inneren wie äußeren – jeweils unterschiedliche historische Sichtweisen der Natur aus, Bilder der Welt als Weltbilder im wahrsten Sinne des Wortes. Die drei Bildbeispiele zeigen, dass hier entscheidende Blickwechsel stattgefunden haben. Wir sehen im heiligen Hain aus dem antiken Pompeji einen Widerschein der Utopie vom Goldenen Zeitalter, vom Künstler mit hoher Kunstfertigkeit und illusionistischer Wirkung festgehalten. Die Frömmigkeit des Mittelalters hebt die Bedeutung der erzählten Geschichte durch einen Goldgrund hervor, während Landschaftselemente zeichenhaft den Ort der Erzählung angeben. Und schließlich tritt uns im frühen 16. Jahrhundert eine Landschaft entgegen, die Eigenwertigkeit beansprucht  : Sie zeigt sich selbst und ihre Schönheit. In Gelehrtenkreisen der Renaissance hatte sich eine neue Lust auf die Entdeckung der Natur angebahnt, die auch den Blick auf die Landschaft veränderte. In der Frühen Neuzeit konnte Landschaft einfach einen Siedlungsraum mit seinen Bewohnern bezeichnen. Mit dem Bedeutungsgewinn gemalter 13

Einführung: Landschaftsbilder und das ökologische Auge

Landschaften werden auch die emotionalen Bezüge, die Menschen mit diesen Bildern verbinden, und die Sinnebenen, die sich der Betrachtung auftun, deutlicher. Der Blick auf die Natur, gespiegelt in den gemalten Bildern, bietet dem Betrachter Deutungsmöglichkeiten an, die das Sinnrepertoire der Zeit bereitstellt. Dass die Entwicklung der Landschaftsmalerei zeitlich parallel verläuft zur nutzenorientierten Rationalisierung des Naturverständnissen, mag etwas mit einer kompensatorischen Sehnsucht nach einer Schönheit zu tun haben, die der Entzauberung der Natur durch Technik und Industrialisierung entgegenwirkt.1 Die tradierte Bildwürdigkeit der Landschaft wird im Zuge der Eroberung der Natur durch Verkehrswege, Städte und Agrarflächen immer fragwürdiger. Insofern ist die Landschaft heute in die Bedeutungsperspektive einer ökologischen Krise gerückt. Auch die historischen Perspektiven sagen etwas über die Beziehungen und Beziehungsprobleme aus, die sich mit Industrialisierung und Modernisierung zwischen Menschen und der umgebenden Natur entwickelt haben. Heutige Problemlagen deuten sich früh an und lassen sich in Bildern ablesen. Die Beziehungen zwischen Menschen und Natur finden sich in einer Krise wieder, die sich parallel zu den optimistischen Modernisierungsprozessen schon lange abgezeichnet hatte. Heute ist Natur ein bedrohtes Gut, ihre Bildwürdigkeit steht auch deshalb auf dem Spiel, weil jedes Bild als eine unzulässige Verharmlosung der Katastrophe lesbar wäre. Natur ist aufgesplittet in die Roten Listen ihrer gefährdeten Elemente. Mit dem Bewusstsein der Gefährdung wachsen jedoch auch die Rettungsprogramme. Deren größtes entstand mit dem Pariser Klimaschutzabkommen 2015, das eine globale Krise mit globalen Maßnahmen beantwortet. Das Vorhaben, Landschaftsbilder unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit zu betrachten, resultiert aus einer Konstellation, in der Bewusstsein von Verlust und Hoffnung auf Wandel sich überschneiden. Vor dem Hintergrund der Gefährdung zeigt sich in der historischen Landschaftsmalerei ein Bildreservoir, das mehr bietet als rückwärtsgewandte Verklärung. 14

Einführung  : Landschaftsbilder und das ökologische Auge

Diese Publikation ist nicht chronologisch aufgebaut, sondern wirft Schlaglichter auf besonders anschauliche Beispiele. In jedem der Beispiele wird ein prägnantes Thema bis in die Gegenwart hinein verfolgt. Die Auswahl der Bilder kommt von den gegenwärtigen Problemlagen her. Die Themen orientieren sich an den Schritten zur Eroberung der Natur, die – zunächst als Bewältigungsversuche – auf die Schrecken der Kleinen Eiszeit folgten. Einen generellen Rahmen setzen die ökologischen Ziele der sogenannten Agenda 2030 der UNO, die seit 2016 die global gültigen Handlungsfelder für nachhaltige Entwicklung abstecken  : Klimaschutz, Meeresressourcen, Landökosysteme, nachhaltige Waldwirtschaft, biologische Vielfalt. Das Verständnis nachhaltiger Entwicklung folgt einer mittlerweile weitverbreiteten Formulierung aus dem Brundtland-Bericht (1987), wonach Sustainable Development bedeutet  : „Development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs.“ Nachhaltig ist also eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Es wird darum gehen, Lebensstile zu entwickeln, die für künftige Generationen tauglich und zugleich global verallgemeinerbar sind. Damit verbindet sich das sogenannte Drei-Säulen-Modell, gemäß dem Ökonomie, Ökologie und Soziales gleichermaßen nachhaltig zu entwickeln sind, wobei in dieser Publikation der Schwerpunkt auf der Ökologie liegt. Die geschichtliche Herkunft des Begriffs aus der Waldwirtschaft wird im Kapitel „Menschen im Wald  : Nutzung und Übernutzung der Wälder“ ausführlich erläutert. Generell ist für die Begriffsdefinition in Übereinstimmung mit Armin Grunwalds Ausführungen vorausgesetzt, dass Nachhaltigkeit heute ein ethisch-normativer Begriff ist, eine Beurteilungsvorschrift, vergleichbar dem kategorischen Imperativ Immanuel Kants, die nicht abschließend bestimmt werden kann. Grunwald nennt dies einen „großformatigen Begriff“, ähnlich wie Gerechtigkeit, Demokratie, Menschenwürde oder Transzendenz, der immer wieder Reflexion, Konflikte und große Debatten herausfordere.2 Entsprechend diesem reflexiven, dynamischen und offenen 15

Einführung: Landschaftsbilder und das ökologische Auge

Charakter des Begriffs beinhalten die Interpretationen in dieser Publikation auch Stellungnahmen in normativem Sinne, die zur Diskussion auffordern. Im ersten Teil dieser Publikation unter der Überschrift „Das gab es schon“ werden sieben Darstellungen von Landschaft betrachtet, die die wesentlichen Schritte der Eroberung der Natur begleiten  : Klimawandel, Übernutzungen und Ökonomisierung der Wälder, Regulierung der Flüsse zu Wasserschnellstrecken, Industrialisierung der Landwirtschaft, Bebauung von Ödland und Wildnis durch Trockenlegung von Sümpfen und Mooren, Schwund der Artenvielfalt, Verbrennung fossiler Ressourcen. Diese Aspekte werden in jedem Kapitel unter der Überschrift „Das ökologische Auge“ behandelt. Dabei können Bilder auch als Zeitzeugen interpretiert werden, die Entwicklungen sichtbar machen, deren Ausläufer bis in die Gegenwart wirken. Dass wir heute ökologische Aspekte in den Darstellungen ablesen können, ist ein Bedeutungsaspekt, den die Bilder quasi unbewusst durch die Geschichte getragen haben. Auch umgekehrt gibt es Bilder, die zeigen, was „Renaturierung“ meinen könnte. Im zweiten Teil „Das gab es noch“ handelt es sich quasi spiegelbildlich um (ebenfalls sieben) Rückprojektionen in eine vergangene Welt, in der es noch wilde Tiere gab, Waldwildnis, bunte Wiesen und Felder, gewundene Flüsse, erhabene Landschaften mit Gletschern und freie, wilde Meere. Die Themen behandeln die großen Linien mehr oder weniger aussichtsreicher Renaturierungsprojekte  : Entwicklung neuer Wildnisgebiete und Wiederansiedlung wilder Tiere, Renaturierung von Auwäldern, Wiederbelebung der Artenvielfalt und Natur in der Stadt, die Idee des gemeinsamen Erbes der Menschheit für Meere und Berge. Manches müssen wir vielleicht schon verloren geben, aber viele dieser Bilder entwickeln utopische Potenziale und können als Impulsgeber wirken. Landschaftsmalerei hat seit ihrer Entstehung auch kompensatorisch in einer zunehmend zivilisierten und industrialisierten Welt gewirkt. Es lässt sich bis in die Antike und die Wanddekorationen römischer Villen eine Traditionslinie der Landschaftsdarstellungen zurückverfolgen, in denen der locus amoenus als der liebliche Ort des Refugiums auf dem Land in 16

Einführung  : Landschaftsbilder und das ökologische Auge

Verbindung tritt mit den imaginierten ländlichen Idyllen der Hirten Arkadiens und einem Goldenen Zeitalter, das sich in christlichen Zeiten problemlos an die Visionen vom Paradies anschließt.3 Dadurch rührt Malerei an nostalgische Sehnsüchte, die sich auch auf die Zukunft richten können. Man könnte auch von einer Wiederverzauberung der Natur sprechen. Aber es ist eine Wiederverzauberung im Zeichen der Melancholie, denn alle Versuche der Renaturierung tragen das Bewusstsein des unwiederbringlich Verlorenen in sich. Immerhin zeigen sie auch die Grenzen des Machbaren auf. Die Werke der Landschaftsmalerei eindimensional als Dokumente einer Umweltgeschichte aufzufassen wäre jedoch ein Missverständnis, so wie ihre Intentionen auch nicht vorrangig in der „naturgetreuen“ Abbildung zu suchen sind. Daher werden die Arbeiten unter der Überschrift „Das Bild“ jeweils auch in ihrer Eigenart als Kunstwerk, also mit dem kunsthistorischen Auge betrachtet. Auch diese Sichtweise birgt überraschende Erkenntnisse. Gerade die älteren Werke wollen im Rahmen einer an der klassischen Rhetorik und Poetik orientierten Kunsttheorie durchaus emotional bewegen und sinnhaft belehren.4 Dadurch ergeben sich spannende Bezüge zwischen damals und heute. Neben den Bildern werden auch immer wieder erzählerische Texte befragt, die den Horizont der Bildinterpretation weiten. Die Auswahl der Beispiele ist unvollkommen, wie dies bei fachübergreifenden Ansätzen leicht vorstellbar ist. Kunsthistoriker/-innen werden wichtige Bildbeispiele vermissen, Biolog/-innen, Ökolog/-innen und Umwelthistoriker/-innen wichtige Themen oder Begriffe. Die exemplarische Methode, die hier gewählt wurde, hat jedoch gegenüber chronologischen Ansätzen den Vorteil großer Offenheit und kann so mehrere Linien nebeneinander herlaufen lassen. Viele Geschichten sind noch längst nicht zu Ende erzählt, andere beginnen erst. Zahlreiche Lösungsansätze zur „Großen Transformation“5 überkreuzen sich mit dem Beharrungsvermögen tradierter Denk- und Handlungsmuster. Das neue Metasystem für den gesellschaftlichen Paradigmenwechsel ist noch nicht geschaffen. Diese Offenheit ermöglicht auch, Stimmen aus literarischen Texten zu integrieren, 17

Einführung: Landschaftsbilder und das ökologische Auge

deren Sprachkunst ebenso eindrucksvoll wirkt wie die Bilder. So ergibt jedes Bildbeispiel als Case Study einen Tiefenschnitt, der die historischen Schichten bis zur Ebene der Gegenwart sichtbar macht. Mosaikartig setzte sich so ein Bild zusammen, das zukunftsoffene Leerstellen aufweist. Obwohl die Themen bis in die Gegenwart ausgeführt werden, reicht die Bildauswahl bis zur Epochenschwelle der Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Mit der Autonomisierung der Kunst und der Weltsprache der Abstraktion verliert Landschaft an Bildwürdigkeit. Auf der anderen Seite entwickeln sich zahlreiche Positionen, die Natur neu thematisieren. Land Art, die Arbeit mit Naturmaterialien als Stoff, Joseph Beuys als großer Einzelner oder Gerhard Richters Auseinandersetzung mit Bild und Landschaft seien hier genannt. Die Positionen der Gegenwartskunst verdienen eine eigene Publikation wie auch die Komplexität der zeitgenössischen Kunstwelt eines eigenen methodischen Zugangs bedarf. Den Fachgebieten Kunstgeschichte, Biologie, Umweltgeschichte und Ökologie verdankt diese Arbeit viel.6 Das „ökologische Auge“ ist jedoch in diesem Zusammenhang nicht gleichzusetzen mit dem Fachwissen der Ökologie. Es bezeichnet vielmehr eine spezifische Sichtweise, in diesem Fall auf Kunst, wie es z. B. eine feministische oder postkoloniale Sichtweise gibt, und ist vergleichbar mit Ecocriticism in der Literaturwissenschaft.7 Dabei überlagern sich verschiedene Ebenen der Interpretation wie eine Abfolge von Gesteinsschichten und durchdringen sich zum Teil gegenseitig. Auf der ersten Ebene, die an der Oberfläche liegt, steht der Inhalt der Bilder im Vordergrund. Bei dieser ziemlich positivistischen Fragestellung geht es um kultur- und naturhistorische Details  : Was machen die Ährenleserinnen  ? Was sät der Sämann  ? Was sammeln die Menschen im Wald  ? Auf der zweiten Ebene geht es um eine ästhetische Würdigung der Bilder und ihre Einordnung in den Strom der Kunstgeschichte. Auf einer dritten Ebene kommt eine (kunst)philosophische Aussage zur Sprache, eine historische Sichtweise auf Natur, die anschließt an Deutungsmuster der Epoche als Sinnmuster des Denkens über die Welt. Hier schließt das „ökologische

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Einführung  : Landschaftsbilder und das ökologische Auge

Auge“ mit der Frage an, auf welchen Wegen es zu den Problemen gekommen ist, die wir heute haben. Die Metapher des Auges kann dabei auch die eigenwertigen Sichtweisen, die sich in den jeweiligen Werken ausdrücken, begleiten und formulieren. So kommen das „klare Weltauge“ Arthur Schopenhauers, das „unschuldige Auge“ John Ruskins oder das „durchscheinende Auge“ Ralph Waldo Emersons zur Sprache. Allen drei Varianten der Augenmetapher ist gemeinsam, dass sie das Subjektive und Persönliche auflösen möchten. Ein relativierender Perspektivismus, die erfahrungsgefärbten Vorurteile des Alltags oder die Horizonte des Vorwissens sollen überstiegen werden. Diese Spur ist wichtig, um die Werke nicht auf das Dokumentarische zu reduzieren. Jede Interpretation hat einen konstruktiven Anteil, der das „unschuldige Auge“ ergänzt. Diesen schmalen Grat begehbar zu machen ist ein Anliegen dieses Buches. Wir verzichten also stellenweise auf das „unschuldige Auge“ der reinen Kunstbetrachtung, um erzählerische Elemente oder Hintergrundinformationen zur Sprache zu bringen, die ökologische Zusammenhänge beleuchten. Diese Informationen werden natürlich auch im Nachhinein in die Bilder hineingelesen, denn wir wissen erst heute, wie die Geschichten ausgegangen sind. Aber die historischen Bilder und Texte und zeigen auch feine Linien von Sehnsucht und träumerischer Melancholie, die sich parallel zu den fortschreitenden Entwicklungen der Technik und der Industrialisierung durch die Geschichte ziehen. Diesen feinen Linien nachzugehen ist ebenfalls ein Ziel dieses Streifzugs durch die Landschaftsmalerei.

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Teil I Das gab es schon

Lucas van Valckenborch, ca. 1535–1597, Ansicht von Antwerpen mit zugefrorener Schelde, 1593, Öl auf Eichenholz, 42,4 × 63,2 cm, Frankfurt am Main, Städel Museum.

Schlechtes Wetter und die Geburt von Ungeheuern  : Kleine Eiszeit, Klimawandel Das Bild  : Valckenborch, Ansicht von Antwerpen mit zugefrorener Schelde

Alle Gesellschaftsschichten zeigt uns der Maler  : vornehme Paare beim Eislaufen, Arbeiter an den Schiffen, Bauern, Brennholzsammler und einfache Leute, die sich am Feuer wärmen. Ein Bild vom Winter, das Einblick gibt in die Lebensweise der Menschen  : Es war zu kalt, um sich tagsüber in den weitgehend unbeheizten Häusern aufzuhalten, und weil viele Handwerke im Winter bei großer Kälte nicht ausgeübt werden konnten, hielt man sich im Freien auf.8 Mit der Darstellung von Feuer und Eis spielt der Maler auf die Elementarkräfte an und öffnet den Blick über das Alltägliche hinaus. Klein, aber farblich auffallend in Gelb, ist auf der rechten Seite eine Dame auf dem Eis gestürzt  : Das Eis bietet, wie das Leben, offenbar nur eine trügerische Sicherheit. Der Maler gibt seinem Bild so auch eine moralische Botschaft mit. Dass diese Interpretation nicht falsch liegt, zeigt ein Blick in die Kunstgeschichte  : Lucas van Valckenborch (ca. 1535–1597) stellt sich in eine Tradition von Winterbildern, die vor allem durch die Maler der Familie Bruegel geprägt ist. Nun gibt es einen Kupferstich von Hieronymus Cock aus dem Jahre 1553 „Winterszene vor dem Antwerpener Stadttor St. Georg“ nach einer Zeichnung von Pieter Bruegel d. Ä., die folgende Inschrift trägt  : „Lubricitas Vitae Humanae. A Lubricité de la vie humaine. De Slibberachtigheyt van’s Menschen Leven“. Auch auf diesem Bild sehen wir eine auf dem Eis ausgeglittene Frau liegen. So werden wir also Zeugen der Unwägbarkeiten des menschlichen Lebens.9 Das Städel Museum, Frankfurt am Main, verfügt über ein zweites Winterbild Valckenborchs, das ebenfalls die bekannten Elemente versammelt  : die gestürzte Frau auf dem Eis, Feuer, Reisigschneider, verschiedene Stände und Tätigkeiten. Ein Bild der Welt und der vormodernen Gesellschaft in einer Zeit, deren unterschwellige Gefährdungen mitschwingen. 23

Kleine Eiszeit, Klimawandel

Wie die Bildbeschreibung des Städel Museums in Frankfurt vermerkt, war die Schelde bei Antwerpen 400 Meter breit und fror sicherlich nicht oft zu, außer in der sogenannten „Kleinen Eiszeit“, mit der wir es hier zu tun haben. Auf dem Höhepunkt der Kleinen Eiszeit war der Strom von festem Eis bedeckt, wie es von zahlreichen anderen Flüssen in Europa und Nordamerika in dieser Phase ebenfalls berichtet wird. Viele Winterbilder entstehen, ein ganzes Genre entwickelt sich. Valckenborchs Winterlandschaft ist vor diesem Hintergrund Gegenstand einer überaus melancholische Betrachtung im Roman „Austerlitz“ von W. G. Sebald  : Er deutete auf das breite, in der Morgensonne blinkende Wasser hinaus und sprach davon, daß auf einem um die Mitte des 16. Jahrhunderts, während der so genannten kleinen Eiszeit, von Lucas van Valckenborch gemalten Bild die zugefrorene Schelde vom jenseitigen Ufer aus zu sehen sei und hinter ihr, sehr dunkel, die Stadt Antwerpen und ein Streifen des flachen, gegen die Meeresküste hinausgehenden Lands. Aus dem düsteren Himmel über dem Turm der Kathedrale Zu Unserer Lieben Frau geht gerade ein Schneeschauer nieder, und dort draußen auf dem Strom, auf den wir jetzt dreihundert Jahre später hinausblicken, sagte Austerlitz, vergnügen sich die Antwerpener auf dem Eis, gemeines Volk in erdfarbenen Kitteln und vornehmere Personen mit schwarzen Umhängen und weißen Spitzenkrausen um den Hals. Im Vordergrund, gegen den rechten Bildrand zu, ist eine Dame zu Fall gekommen. Sie trägt ein kanariengelbes Kleid  ; der Kavalier, der sich besorgt über sie beugt, eine rote, in dem fahlen Licht sehr auffällige Hose. Wenn ich nun dort hinausschaue und an dieses Gemälde und seine winzigen Figuren denke, dann kommt es mir vor, als sei der von Lucas van Valckenborch dargestellte Augenblick niemals vergangen, als sei die kanariengelbe Dame gerade jetzt erst gestürzt oder in Ohnmacht gesunken, die schwarze Samthaube eben erst seitwärts von ihrem Kopf weggerollt, als geschähe das kleine, von den meisten Betrachtern gewiß übersehene Unglück immer wieder von neuem, als höre es nie mehr auf und als sei es durch nichts und von niemandem mehr gutzumachen. Austerlitz sprach an diesem Tag, nachdem wir unseren Aussichtsposten auf der Wandelterrasse verlassen

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Valckenborch, Ansicht von Antwerpen mit zugefrorener Schelde

hatten, um durch die Innenstadt zu spazieren, lange noch von den Schmerzensspuren, die sich, wie er zu wissen behauptete, in unzähligen feinen Linien durch die Geschichte ziehen …10

Die feinen Linien der Schmerzensspuren, die sich durch die Geschichte ziehen, berühren auch manche Darstellung in dieser Publikation. Nicht ohne Grund beginnen wir den Streifzug durch die Geschichte der Landschaftsmalerei mit einem Bild, das nur auf den ersten Blick harmloses Vergnügen zeigt. Lucas van Valckenborch, Mitglied einer flämischen Malerdynastie, hatte nach einer bewegten Lebensgeschichte 1594 in Frankfurt Bürgerrecht erhalten, wo vier seiner Arbeiten in der Sammlung des Städel Museums zu sehen sind. In der Kunstgeschichte gilt er als bedeutender Vertreter der flämischen Landschaftsmalerei. In der Tradition von Pieter Bruegel d. Ä. schuf er vor allem Jahreszeitenbilder mit kleinen Szenen aus dem Leben der Menschen, die oft auch als moralische Botschaften lesbar sind. Seine Landschaften folgen oft dem Typus der Welt- oder Überschaulandschaft (z. B. sein „Turmbau zu Babel“ im Landesmuseum Mainz), der auch von anderen flämischen Malern bekannt ist. Die Landschaftsmalerei hatte sich im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts in den südlichen Niederlanden als eigenständiges Genre etabliert. Es handelt sich nicht um realistische Landschaftsporträts, sondern im schöpferischen Wettstreit mit der Natur sollte die ideale Schönheit der von Gott geschaffenen Welt zum Vorschein gebracht werden. So waren diese Landschaften denn auch – nach Skizzen – im Atelier komponiert, ganz kreative ideale Gestaltung. Nicht selten transportierten die Landschaftsgemälde dieser Zeit Botschaften über das menschliche Leben, sie sind gleichermaßen lesbar als „Zeugnisse einer künstlerischen Handschrift, als Abbildungen gesehener oder gedachter Orte und als emotional anrührender Ausdruck einstiger Weltsichten und vielfältig argumentierende Sinnbilder.“11 Wenn Valckenborch also das Eis als Symbol des menschlichen Lebens zeigt, so gibt ihm dies Gelegenheit, sein Bild mit Assoziationen an den 25

Kleine Eiszeit, Klimawandel

Sündenfall (die gestürzte Frau) und die Gefährdungen, denen der Mensch in dessen Folge ausgesetzt ist, aufzuladen. Auch die Wechselfälle und Umwälzungen des Weltgeschehens dürften im Bedeutungsraum einer solchen Metapher eine Rolle gespielt haben. Die politische Situation der Zeit war bewegt  : Die sieben protestantischen Nordprovinzen der Niederlande hatten im Achtzigjährigen Krieg 1568 bis 1648 ihren Befreiungskampf gegen die habsburgische Herrschaft geführt. Die südlichen Niederlande dagegen blieben bei Habsburg und waren in der Folgezeit stark durch die katholische Gegenreformation geprägt. Unser Maler aber war ein Protestant. Die Stadt, die er malt, Antwerpen, war im 16. Jahrhundert eine reiche und die wichtigste Handelsmetropole des nördlichen Europa. Gelehrte und Humanisten aus aller Welt prägten ein offenes und geistig lebendiges Klima. Unter der Herrschaft Philipps II. – es ist der strenge spanische Herrscher, der Schiller zu seinem „Don Carlos“ inspirierte – setzten mit dem Abfall der Spanischen Niederlande auch politische Verfolgungen ein. 1566 hatten calvinistische Bilderstürmer Kirchen und Klöster verwüstet, woraufhin der von Philipp als Stadthalter entsandte Herzog von Alba Tausende Bürger als Ketzer verfolgte. 1578 reiste der Erzherzog Matthias – Protagonist des Bruderzwists im Hause Habsburg – in die Niederlande, um im Geiste des Ausgleichs eine Statthalterschaft anzutreten. Er vertrat nicht die Politik Philipps II ., so dass die gemäßigten niederländischen Stände ihn zum Statthalter wählten. Lucas van Valckenborch trat in seinen Dienst. Er malt seinen Gönner im Jahre 1580 in altrömischer Tracht als „Publius Cornelius Scipio Africanus maior“, den Sieger über Hannibal und Retter Roms. Eine Vision des Glanzes, die nicht Realität wurde. Das Unternehmen scheiterte – Matthias hatte sich auf dem glatten politischen Parkett, das er überdies ohne Wissen seines Bruders Rudolf II. betreten hatte, nicht halten können und musste sich schnell unter den Schutz Wilhelms von Oranien und damit des schärfsten Gegners der Habsburger begeben. 1581 gab Matthias endgültig auf und zog mit einem kleinen Hofstaat nach Linz, wohin Valckenborch ihm um 1582 folgte.12 Um 1583 malte er Matthias noch einmal, diesmal 26

Valckenborch, Ansicht von Antwerpen mit zugefrorener Schelde

im konventionellen Stil der Herrscherbilder als Erzherzog in zeitgenössischer Tracht. 1585 wurde die Stadt Antwerpen von katholischer Seite eingenommen und in der Folgezeit entwickelte sie sich zu einem Bollwerk der Gegenreformation. Viele protestantische Einwohner verließen die Stadt. Lucas van Valckenborch befand sich 1593, zu der Zeit, auf die das Bild datiert ist, wahrscheinlich schon in seinem Exil in Frankfurt. Zusammen mit seinem Bruder Marten betrieb er dort eine erfolgreiche Familienwerkstatt, die die Kunstfertigkeit der flämischen Landschaftsmalerei in ganz Deutschland verbreiten half. Mit Antwerpen im Winter hat er möglicherweise eine Erinnerung gemalt an eine Stadt und ihre Herrscher, deren Aufstieg und Untergang in der Metapher vom glatten Eis des menschlichen Lebens noch mit erfasst wird. Mit der Metaphorik des Eises haben die Wintermaler eine universale Botschaft auf den Weg gebracht  : Ein abgründiges Gefühl des Ausgeliefertseins und der Hilflosigkeit musste um sich greifen, wenn das vermeintlich Unwandelbare in den Zyklen der Natur sich als trügerisch erwies. Wir belegen dieses Phänomen heute mit dem Begriff „Klimawandel“, ohne damit wirklich begreifbar zu machen, dass die Welt gerade wieder dabei ist, sich grundlegend zu ändern.

Das ökologische Auge  : Klimawandel Die Kleine Eiszeit Nur wenige Grade wich das Klima vom zuvor Üblichen ab, und schon gab es Katastrophen, Missernten, Hunger und Epidemien. Mit der sogenannten Kleinen Eiszeit brach in Europa ein im wahrsten Sinne des Wortes finsteres Mittelalter an. Unwetter und Missernten wurden bösen Mächten zugeschrieben.

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Kleine Eiszeit, Klimawandel

Sahe man zwen Cometen, und war ein naßer Sommer, große hungersnot, so an etlichen orten die leüt gezwungen, das sie allerleyß, hund, pferd, und dieb von Galgen gefreßen, und galt zumß hoff in Waitlandß ein Schöffel korns 32 fl. Und weilen es sonsten den ganzen Sommer über geregnet, sint weit und breit, den Menschen, Viehe und Getraid, durch die anlauffente Waßer, großer schaden geschenen.13

So berichtet eine Chronik aus dem Jahr 1315. Für England wurde in diesem Jahr nur die Hälfte der üblichen Getreideernte ausgewiesen. Das Jahr 1342 war das Jahr der Jahrtausendflut  : In diesem Sommer war eine so große Überschwemmung der Gewässer durch den ganzen Erdkreis unserer Zone, die nicht durch Regengüsse entstand, sondern es schien, als ob das Wasser von überall her hervorsprudelte, sogar aus den Gipfeln der Berge (…) und die Schleusen des Himmels waren offen, und es fiel Regen auf die Erde wie im 600. Jahre von Noahs Leben (…).14

Es ertranken Menschen und Vieh, Äcker, Wiesen, Gärten und Häuser wurden verwüstet, fruchtbarer Boden wurde abgeschwemmt. Neue Moore entstanden, den extremen Wetterereignissen folgten Krankheitserreger und Schadinsekten. Die große Flut, genannt Große Mandränke, im Jahre 1362 forderte viele Menschenleben und veränderte den Küstenverlauf der Nordsee. Die zweite Große Mandränke folgte im Jahr 1634 und legte den Küstenverlauf auf die heutige Form fest. Der durch Hunger und Seuchen verursachte Bevölkerungsrückgang ließ viel Kulturland brach fallen, menschliche Siedlungen wurden aufgegeben, so dass man in der Forschung von der spätmittelalterlichen Wüstungsperiode spricht. Der Anteil der Waldfläche nahm nach Schätzungen um über die Hälfte auf 40 Prozent zu. Wilde Tiere kehrten zurück.15 Der Dreißigjährige Krieg, der in die Periode der Kleinen Eiszeit fiel, hinterließ ebenfalls tiefgreifende Spuren. Die zeitlichen Grenzen der Kleinen Eiszeit sind fließend, aber Forscher vertreten die Auffassung, dass etwa zwischen 1315 und 1850 n. Chr. auf der 28

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Nordhemisphäre der Erde insgesamt kühlere Temperaturen herrschten als in der Periode zuvor und auch kühlere als heute. Der Begriff wurde von dem amerikanischen Klimaforscher François Matthes und dem schwedischen Wirtschaftshistoriker Gustav Utterström im Zeitraum etwa der 30er bis 50er Jahre des 20. Jahrhunderts etabliert. Generell, so das Gesamtergebnis, nahmen die Temperaturen um etwa 1 bis 2,5 Grad Celsius ab. Dabei handelt es sich um einen allgemeinen Trend, den man in den Temperaturkurven des Weltklimarats (IPCC) ablesen kann und von dem einzelne Jahre und Regionen durchaus abweichen können. Die Kleine Eiszeit fasziniert die Forscher, denn sie liefert das Paradebeispiel für Klimafolgen und die Möglichkeiten der Klimaforschung schlechthin. Den Beginn markiert eine deutliche Abkühlung der Sommer zwischen 1275 und 1300. Es gab viel Regen und das Eis nahm zu. Von 1430 bis 1455 wurde es noch einmal in ganz Europa kälter. Der Tiefpunkt der Kleinen Eiszeit wird etwa um 1550 angesetzt. Die Vegetationsperiode verkürzte sich, denn der Frühling begann später und der Winter kam früher. Man kann sich leicht vorstellen, dass dies gravierende Folgen für die Ernteerträge hatte. Im 16. und 17. Jahrhundert ist es am kältesten. Gletscher und Eiskappen dehnen sich aus, immer mehr Seen und Flüsse frieren ein. In Europa führten die neuen Umweltbedingungen zu schlechteren Ernten und Hungersnöten. Der Hunger trug wahrscheinlich zur Verschlechterung der Gesundheitsbedingungen bei und machte die Menschen anfällig für Krankheiten. Die Pest, die 1347 Einzug gehalten hatte und in Wellen immer wiederkam, tötete im Mittelalter nach Schätzungen etwa 30 bis 50 Prozent der europäischen Bevölkerung. Mit dem 14. Jahrhundert setzte eine lang anhaltende Phase der Teuerung ein. Grönland wurde von seinen Bewohnern verlassen, viele Menschen gingen vom 17. bis zum 19. Jahrhundert nach Amerika, um dort ein besseres Leben zu suchen.16 Zu den Ursachen der Kleinen Eiszeit gibt es unterschiedliche Vermutungen, dazu gehört, dass Auslöser in erster Linie Vulkanausbrüche, aber auch Veränderungen der Aktivität der Sonne waren. Da das Klima ein 29

Kleine Eiszeit, Klimawandel

System ist, können viele kleinere Ursachen und Folgen, nichtlineare Prozesse, Rückkoppelungseffekte mit Verstärkungswirkung eine Rolle spielen.17 Wie oft bei Klimaänderungen, gibt es Gewinner und Verlierer der Situation, Gegenden, die „besser“ mit der Kälte umgehen – siehe unsere Eisläufer auf der Schelde –, und solche, denen es nicht gut ergeht. Insgesamt muss die Kleine Eiszeit bei den Menschen jedoch ein Gefühl der Ausgeliefertheit an die Natur verstärkt haben. Eine Natur, die nicht als mütterliche Spenderin der Fruchtbarkeit und Fülle erscheint, sondern als bedrohlich unzuverlässige Feindin, die entzieht, verweigert und mit immer neuen Schrecken aufwartet. Im Großraum der Geschichte betrachtet, wird es vielleicht plausibel, dass die zahlreichen im Laufe der Entwicklung der Moderne unternommenen Bewältigungsversuche gegenüber der Natur sich aus dieser Hilflosigkeit speisten. Die Eroberung der Natur, die mit immer tieferen technischen Eingriffe verbunden war, bezog sich nicht auf die bedrohte Schönheit der blauen Kugel im All, die wir heute sehen, sondern auf die kalte Königin des Eises und der Finsternis. Dass damit auch Erfindungen auf den Plan traten, deren Folgen ähnlich wie bei Frankensteins Kreatur nicht mehr kontrollierbar sind, ist heute nicht mehr von der Hand zu weisen. Dabei ist natürlich auch die Frage zu stellen, inwieweit kulturelle Entwicklungen überhaupt mit dem Klima in Zusammenhang gebracht werden können. Betrachtet man das Spektrum der Katastrophen, die in der Literatur genannt werden – Missernten, Hunger, Kriege, soziale Unruhen, Krankheiten und Seuchen, Inflation, Verfolgungen, weltweite Migration –, so lassen sich vor allem diejenigen Phänomene mit plausiblen Argumenten als klimabedingt vertreten, deren Zusammenhang mit dem Wetter schon den Zeitgenossen auffiel. Der Klimahistoriker Wolfgang Behringer bildet in seiner „Kulturgeschichte des Klimas“ eine Flugschrift aus dem Jahre 1562 ab, deren Titel lautet  : „Über die grossen und erschrecklichen Zeichen am Himmel und auff Erden/ so in kurzer Zeit geschehen sind“. Eine Chronik von 1561 berichtet  :

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Uff den fhürigen Himmel ist ein unsegliche grosse Kelte gefolget  ; hatt gwäret vom Januario biss in mitten Aprellen. Uff disen fhürigen Himmel sind gevolget im Summer grusam und erschrokhenliche Hägel und Windstürm, die der glichen in mans gedenken nie erhört noch gesähen. Der Herr Gott wölle uns wyter gnedig sin und uns nütt noch unserem Verdienen strafen. Es ist auch darauff gfolget ein grusame Pestilenz und sterbend zuo Wie in Österrych, und des volgenden 62. jars zuo Nürenberg, und an andern Orthen mer.18

Für die Menschen der Frühen Neuzeit war die Welt ein großes Buch der Zeichen und Wunder, dessen Rätsel entziffert und dessen Sinn gelesen werden konnten. Kometen, Polarlichter oder Wetterphänomene wurden als Botschaften verstanden, die auf den Willen Gottes hinwiesen. Nicht nur in Flugschriften, sondern in der Wunder- und Schauerliteratur der Zeit traten Missgeburten, Teufelswesen, bizarre Pflanzen und wilde Tiere, Monster und Drachen auf. In diesem Klima gedieh auch der Hexenglaube. Und die Hexen waren diejenigen, die in erster Linie für das Wetter verantwortlich gemacht wurden. Diese Sündenbockrolle weitete sich aus auf Missernten, Kinderlosigkeit, Krankheiten von Mensch und Tier. Die schlimmsten Jahre der Kleinen Eiszeit waren auch die der schlimmsten Hexenverfolgungen, nämlich die Jahre etwa von 1560 bis 1660. Was den Juden nicht angelastet werden konnte, mussten die Hexen tragen. Mit dem Unheil, das man den Hexen zuschrieb, waren einige der wichtigsten Probleme der Menschen in der Kleinen Eiszeit zusammengefasst  : Kinderlosigkeit, Tierseuchen, die wiederkehrenden Missernten und die oft unbekannten Krankheiten. Kühe, die zu wenig Milch gaben, plötzlicher Kindstod, späte Fröste, lang anhaltende Regenfälle oder plötzlicher Hagelschlag im Sommer – für so teuflisches Unheil suchte man nach Schuldigen.19

Dem Kälteeinbruch Anfang der 1560er Jahre waren 1570 eine Hungerkrise und jahrelange Missernten gefolgt  ; ebenso brachte das Jahr 1626 heftigen 31

Kleine Eiszeit, Klimawandel

Frost, der das Obst und die Weinstöcke verdarb. Das Volk, die Bauern – die leidende Bevölkerung – gerieten in Pogromstimmung gegen die Hexen, mit deren Tod die große Wende zum Guten erwartet wurde. Die Theologen der Zeit wussten die Zeichen zu nutzen, indem sie aus dem Unheil der bösen Mächte den Aufruf zu Umkehr und Buße ableiteten. Der Teufel und das Teufelsbündnis gehörten um 1600 zu den beliebtesten Themen und es gab eine Welle von dämonologischer Literatur. In dieser Zeit kursierte die Historie vom Dr. Faustus, auch als Volksbuch bezeichnet. Dieser Faust steht am Anfang einer langen Reihe von literarischen Verarbeitungen, in der wir zum Schluss in Mary Shelleys Roman auch Frankenstein und seine Kreatur antreffen. Faust schließt ein Bündnis mit dem Teufel, um über die dem Menschen gesetzten Grenzen hinauszugelangen. 1589 erscheint eine dramatisierte Fassung der Sage von Christopher Marlowe, die bereits alle Elemente des Stoffes bereitstellt  : Faust ist der wissens- und machtgierige Mensch, wie er dann auch bei Goethe auftritt. Er ist geleitet vom Drang, die engen Grenzen des Wissenshorizonts seiner Zeit und damit auch des gegebenen Glaubenshorizonts zu sprengen. Überhaupt ist die Befreiung des Drangs nach Wissen, der Curiositas oder Neugierde, in dieser Zeit erst dabei, sich aus der Stigmatisierung als Sünde zu befreien. Die Erzählung legt uns den Gedanken nahe, dass dieses Vorhaben ohne zauberische Kräfte nicht gelingen kann. Daher der Pakt mit dem Teufel. Bei Goethe ist Faust in Teil II des Dramas dann auch noch der Schöpfer einer Reihe von Artefakten und zivilisatorischen Leistungen – er erfindet das Papiergeld, es wird ein künstlicher Mensch geschaffen, der Homunculus, und Faust macht sich schließlich daran, dem Meer durch Eindämmung Land abzugewinnen, ein Unternehmen, dem die beiden arkadischen Alten Philemon und Baucis zum Opfer fallen. Die Literatur ist mit dem Faustmythos natürlich weit über den einfachen Hexen- und Teufelsglauben hinausgewachsen. Aber mit diesem Mythos verbreitet sich ein dunkler Schatten über die technischen Errungenschaften der folgenden Jahrhunderte. Auch bei Mary Shelley wird noch einmal die Zeit des Eises und der Finsternis Ungeheuer gebären. 32

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Zunächst aber entwickeln sich aus dem Kampf, der Natur ein besseres Leben abzuringen, zahlreiche Lern- und Rationalisierungsprozesse. Die Grenzen des Wissens, von Einzelnen angetastet, verschieben sich kollektiv. Mit dem Zeitalter der Aufklärung beginnt man Missernten und Hunger als Missmanagement aufzufassen. Die Öffentlichkeit war nicht mehr bereit, Predigten über göttliche Strafen hinzunehmen, sondern verwies auf die strukturellen Defizite und politischen Versäumnisse, die den Ausgleich der Missernten verhinderten. Warum waren die Straßen so schlecht, dass man nicht schnell Brotgetreide importieren konnte  ? Warum waren die Vorratshäuser nicht gefüllt  ? Warum waren die Ernte zu gering, und warum hatten die königlichen Amtsträger keine ausreichende Vorsorge getroffen  ?20

Die kommenden Entwicklungen sind förmlich mit Händen zu greifen. Man wird Straßen bauen und Wasserwege, die Landwirtschaft reformieren und unabhängiger von natürlichen Gegebenheiten machen, man wird den Sümpfen und Mooren und dem Meer Land abgewinnen zur Ernährung der Menschen, man wird die Hygiene verbessern, man wird Dämme bauen, die Wüsten bewässern und die Wildnis kultivieren. Der Publizist Philipp Blom leitet aus den Bewältigungsversuchen der Kleinen Eiszeit eine Vielzahl von tiefgreifenden politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Innovationen ab, die die Gesellschaft des Mittelalters schockartig in die moderne Welt stürzten.21 Das Jahr ohne Sommer Bevor jedoch die industrielle Revolution einsetzte, war noch eine weitere Kältekrise zu bewältigen, die als das „Jahr ohne Sommer“ in die Geschichte einging. Im Sommer 1816, nach dem Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora, verdunkelte sich die Sonne in Europa und Nordamerika erneut. Im unmittelbaren Umfeld hatte der Vulkanausbruch einen Tsunami ausgelöst, der Zehntausende Tote hinterließ. Das Jahr gehört zu den schlimmsten 33

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und am besten untersuchten Klimakatastrophen der Geschichte, zumal aus dieser Zeit auch zahlreiche historische Dokumente vorliegen. Ähnlich wie bei der Luftverschmutzung heute konnten kleine Schwebepartikel in der Luft, sogenannte Aerosole, ergreifende Sonnenauf- und -untergänge erzeugen, die sich möglicherweise in der Malerei Caspar David Friedrichs oder auch William Turners niederschlugen.22 Der Vulkan hatte große Mengen Asche und Gas in die Luft geschleudert, die sich in der Höhenströmung auf bis über 40 Kilometer um den ganzen Erdball verteilten. Weniger Sonnenlicht gelangte zur Erde und die Aerosole verstärkten die Niederschläge. Klimarekonstruktionen lassen darauf schließen, dass das Jahr zu den kältesten der vergangenen 400 Jahre gehört. Nach Schätzungen sind etwa 0,7 bis 1 Grad C der Abkühlung in Mitteleuropa direkt oder indirekt dem Tambora zuzurechnen, wobei die Temperaturen stellenweise bis zu 3 Grad C und mehr nach unten sanken. Allerdings litten die Menschen offenbar noch viel mehr unter den erhöhten Niederschlägen.23 Seit den späten 80er Jahren des 20. Jahrhunderts tragen Forscher zu diesem Ereignis ihre Ergebnisse zusammen, eine Datenbank („tambora.org“) sammelt historische Quellen aus der ganzen Welt. Man erhofft sich ein besseres Verständnis des Systems „Mensch – Umwelt – Klima“. Zahlreiche Wettertagebücher und andere Berichte geben den Menschen, die unter den Folgen der Klimaänderung litten, eine Stimme. Die tiefen Temperaturen und der Regen führten zu verspäteten Ernten, zum Teil verrottete die Frucht auf den Äckern, in den Scheunen faulte das nasse Getreide. Die erste globale Choleraepidemie breitete sich aus, womöglich, weil die Menschen in Europa geschwächt waren und der Krankheit wenig Widerstandskraft boten. Überdies waren die Menschen am Ende der Napoleonischen Kriege ohnehin individuell und gesellschaftlich in labiler Verfassung. Die schlechten Ernten setzten, wie oft zuvor, eine Teuerungsspirale in Gang. Bettler zogen durch das Land und die Kluft zwischen Reich und Arm wurde immer größer. Viele Menschen setzten sich in Bewegung, um anderswo ein besseres Leben zu finden. Politische Unruhen wegen der Knappheit und der hohen Preise der Lebensmittel setzten die politische Klasse in vielen Ländern unter Druck.24 34

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Letztlich beschleunigte aber die Krise einen weiteren Modernisierungsschub, der zahlreiche technische Innovationen nach sich zog. In diesem „Jahr ohne Sommer“ schrieb Mary Wollstonecraft, spätere Shelley (1797–1851), am Genfer See ihren „Frankenstein“-Roman. Das Monster geht am Ende ins ewige Eis. Von der Autorin einst auch mit Zügen des edlen Wilden versehen, geistert es bis heute zombiehaft durch die B-Movies. Die Geschichte der Entstehung des Romans ist selbst legendär geworden. Man trifft sich in der Villa Diodati bei Lord Byron, der inzwischen mit seinem Leibarzt Polidori ebenfalls am Genfer See eingetroffen ist. Matthew Gregory Lewis, Verfasser des Schauerromans „The Monk“, kommt hinzu. Das Wetter ist schlecht, trübe und regnerisch, man liest sich gegenseitig Gespenstergeschichten vor – German Horror – und genießt den Schrecken. Die Freunde diskutieren in dieser dunklen Runde auch über das Prinzip des Lebens und die geheimnisvollen Möglichkeiten der Elektrizität, denen man zutraut, den Funken des Lebens zu wecken. Byron schlägt vor, jeder der Versammelten solle eine Schauergeschichte schreiben. Nur Mary vollendet ihre Geschichte.25 1818 erscheint der Roman „Frankenstein  ; or, The Modern Prometheus“. Frankenstein erschafft seine Kreatur nun ganz ohne Teufelspakt, nur auf den Spuren der zeitgenössischen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Er tritt uns als hybrider Wissenschaftler entgegen, der ohne Wissen um die Folgen Grenzen überschreitet, das Machbare ohne Skrupel in Angriff nimmt und Techniken einsetzt, deren Nebenwirkungen außerhalb seiner Steuerungsmöglichkeiten liegen. Schnell beginnt das Wesen, das er ins Leben setzt, einen Lebensweg auf eigene Faust und ebenso schnell erweist es sich als unkontrollierbar. Sein Schöpfer trifft es zum ersten Mal wieder im ewigen Eis der Gletscher am Montblanc. Hier, in der Eiswüste, weitab von allen Menschen und fern der Zivilisation, hat sich die Kreatur verkrochen, und im Eis wird sie wieder verschwinden. Wir begegnen in der Erzählung einer wahrhaft erhabenen Berglandschaft  : 35

Kleine Eiszeit, Klimawandel

Ich verweilte in einer Felsnische und konnte mich nicht sattsehen an so wunderbarem wie bestürzendem Schauspiel. Das Meer von Eis, oder besser, der ungeheure, zu Eis erstarrte Strom erstreckte sich in Krümmungen zwischen seinen Bergen, deren luftige Gipfel sich nahezu lotrecht über all den Rissen und Spalten erhoben. Die vom Firne glitzernden Bergspitzen erglänzten hoch über den Wolken im Strahl der Sonne.26

Die Kreatur verkörpert auch die dunkle Seite ihres Schöpfers Frankenstein, der sich bis zu Verzweiflung und Wahnsinn in diese Identifikation hineinsteigert. Die unheilvolle Schuldverflechtung zwischen Schöpfer und Geschöpf löst sich nur im Tod. Der Roman findet dieses Ende wieder im Eis  : Am Nordpol treten die beiden sich erneut gegenüber und die Kreatur erhält Gelegenheit zu einer langen Anklage- und Selbstanklagerede. Frankenstein stirbt und das Geschöpf sucht seinen Tod im ewigen Eis, in Dunkel und Ferne, wie in seinem Element. Die grandiosen Zonen der Kälte, des Eises und der Finsternis, die der Roman schildert, werden als Heimat der unseligen Kreatur auch zu letzten Refugien einer verkannten Güte. Ein melancholischer Gedanke, dass die Landschaften des Erhabenen und der Wildnis vielleicht für immer unwiederbringlich sind. Die Gletscher schmelzen, die Alpen sind als beliebte Wanderziele erschlossen und das Eis kann nicht mehr als ewig gelten. Räume für unbekannte wilde Geschöpfe sind in der vermessenen Welt nicht mehr vorstellbar. Der dunkle Zauber ist der Sorge um den Erhalt der Eislandschaften gewichen. Klimawandel, von Menschen gemacht In jüngster Zeit mehren sich die Nachrichten, nach denen das Eis der Arktis in nie gekanntem Ausmaß schmilzt. Damit setzt sich ein negativer Trend fort, der seit den 1970er Jahren über Satellitenmessungen belegt ist. Forscher betrachten diese Entwicklung als wichtigen Indikator für eine weiterhin fortschreitende globale Klimaerwärmung.27 Das Jahr 2016 ist mit 1,1 Grad C über vorindustrieller Zeit das wärmste seit Beginn der 36

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Das gibt es noch  : Eisschollen in der Nordsee.

Aufzeichnungen im Jahr 1880. Auch die Meere haben Rekordtemperaturen erreicht und der Meeresspiegel ist mehr angestiegen als erwartet. Die Weltwetterorganisation WMO in Genf verweist auf den Treibhausgaseffekt als Ursache, zumal auch die CO2-Werte in der Atmosphäre noch einmal gestiegen sind. Weitere extreme Wetterereignisse sind zu verzeichnen.28 Das Meereis ist nicht nur ein Frühwarnsystem für die Klimaerwärmung, sondern spielt auch eine zentrale Rolle im Klimasystem und Energiehaushalt der Erde. Die Eisdecke in den Polargebieten nimmt je nach Jahreszeit 3 bis 7 Prozent der gesamten Erdoberfläche ein. Die sogenannte Albedo, die Weißheit des Eises, reflektiert einen großen Anteil der einfallenden Sonnenstrahlen wieder zurück. Dieses Reflexionsvermögen ist bei Ozeanen 37

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oder pflanzenbedeckter, also dunkler Erdoberfläche deutlich niedriger, so dass sich die Erde hier mehr erwärmt. Oder umgekehrt, die hohe Albedo des Eises hat einen kühlenden Effekt. Dabei kann es, wie auch bei anderen Klimaphänomenen, zu Rückkoppelungsprozessen kommen, die nichtlinear verlaufen. Weniger Eis heißt weniger Albedo, was wiederum zu höheren Temperaturen und damit zu erneuter Eisschmelze führt. Dieser Effekt destabilisiert das Klimasystem insgesamt und kann Folgen haben, die nicht mehr vorhersagbar sind. So könnten etwa Ozeanströmungen sich so stark ändern, dass die globalen Zirkulationsbewegungen aller Ozeane betroffen wären. Auch die globalen Windströmungen können erfasst sein. Insgesamt hat der Abschmelzungsprozess, der ja auch in der Antarktis zu beobachten ist, das Potenzial, die Klimaerwärmung mit all ihren Folgen nichtlinear zu beschleunigen und zu verstärken.29 Das heißt, die Entwicklung wird nicht nur faktisch unkontrollierbar, sondern entzieht sich auch dem Wissenschaftssystem. Wäre das Thema nicht so ernst, könnte man vom Frankenstein-Effekt sprechen. Ebenso wie dem Schöpfer der Kreatur die Kontrolle über sein Geschöpf entgleitet, entziehen sich auch CO2-Ausstoß und Klimawandel ab einem gewissen Punkt jeglicher Steuerung. Zum Klimawandel hat die Welt sich gegenwärtig auf das Unter-zweiGrad-Ziel geeinigt. Wir haben aber auf jeden Fall mit einer deutlichen Erwärmung zu rechnen. Den hierfür maßgeblichen sogenannten Treibhauseffekt kennt die Forschung immerhin seit fast 200 Jahren  :30 Der französische Wissenschaftler Joseph Fourier (1768–1830) hatte das Phänomen zuerst beschrieben. Er war der Frage nachgegangen, warum überhaupt die Erde die Wärme der Sonne so gut festhalten könne. 1824 beschreibt er in einem Artikel zur Temperatur des Erdballs und des planetaren Raumes die entscheidenden Sachverhalte. Die Erdatmosphäre ist zwar durchlässig für das sichtbare Licht der Sonne, aber die unsichtbaren Wärmestrahlen werden teilweise zurückgeworfen und erwärmen so die Erde. Das durfte mit Fug und Recht als Himmelsgeschenk betrachtet werden. Und so blieb lange die Forschung eher von der Angst vor zu viel Kälte als vor zu viel Wärme getrieben. 38

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Nach und nach wurden immer mehr Bausteine zusammengetragen. Der irische Forscher John Tyndall weist 1859 nach, dass Kohlendioxid, Wasserdampf und Ozon eine gasförmige Hülle um die Erde bilden, die die Wärme zurückstrahlt. Der Schwede Svante Arrhenius, einer der ersten Nobelpreisträger, veröffentlicht 1896 die These, dass das Kohlendioxid in der Luft die Temperatur am Boden beeinflusse. Seine Thesen und Erkenntnisse, die uns heute hellsichtig erscheinen, blieben seinerzeit lange umstritten. Der erste Hinweis auf eine tatsächliche Erwärmung erscheint 1938  : Der Brite Guy Callendar, eigentlich ein Experte für Dampfmaschinen, berichtet der Royal Meteorological Society in London über einen signifikanten Erwärmungstrend, den er in Temperaturaufzeichnungen entdeckt hat. Insgesamt ist die Datenlage allerdings noch schwach. Das ändert sich in den 1950er Jahren, als in den USA im Zeichen des Kalten Krieges viel Geld in die Klima- und Wetterforschung fließt, die man als strategisch wichtig erachtet. Mittlerweile ist auch erkennbar, dass es sich beim Kohlendioxidanstieg um Verbrennungsgase handelt, die im Zuge der zunehmenden Industrialisierung von Menschen in die Atmosphäre geschickt werden. Vor allem der Amerikaner Charles David Keeling hat zu dieser Erkenntnis entscheidend beigetragen  : Er installiert seine CO2-Messstationen fernab jeder Zivilisation und liefert 1957 erste präzise Messungen über das Klimagas in der Atmosphäre. Die nach ihm benannte Keeling-Kurve belegt dessen rasanten Anstieg und eröffnet die wichtigste Umweltdatenreihe des Zeitalters der fossilen Brennstoffe. 1967 simuliert das erste Computermodell die Folgen des Klimawandels. Immer höhere Rechnerkapazitäten und eine verbesserte Datenlage machen diese Modelle immer aussagekräftiger. Die Weltöffentlichkeit wird hellhörig. Mit der ersten Klimakonferenzen 1979 in Genf konstituiert sich eine Scientific Community auf globaler Ebene. 1988 wird dann Wissenschaftsgeschichte geschrieben  : Mit dem Weltklimarat IPCC entsteht eines der größten Wissenschaftsprojekte aller Zeiten. Das Gremium namens „Intergovernmental Panel on Climate 39

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Change“ war von UNEP (United Nations Environment Programme) und WMO (World Meteorological Organization) im Auftrag der UNO mit Sitz in Genf gegründet worden. Der IPCC hat die Aufgabe, alle fünf Jahre einen unparteiischen Klimabericht vorzulegen. Bereits der erste Bericht 1990 erregte Aufsehen und lieferte die Grundlage für den sogenannten Erdgipfel in Rio de Janeiro. Die Klimarahmenkonvention von Rio bildete einen Wendepunkt der Klimapolitik.31 Man versucht seitdem, ein globales Problem über globale Vereinbarungen anzugehen. Mit dem IPCC ist eine einzigartige und in dieser Form neue wissenschaftliche Organisation entstanden  : Im Jahr 2016 gehören 195 Länder dem Gremium als Mitglieder an sowie Beobachter aus mehr als 100 internationalen Organisationen und aus der Zivilgesellschaft. Wissenschaftler aus der ganzen Welt tragen als Autoren und Gutachter zur Arbeit des IPCC bei. Für jeden Bericht werden neue Autorenteams zusammengestellt. Ein ausgefeiltes Verfahren sorgt bei den Berichten dafür, dass alle Beteiligten gehört werden und die Berichte wissenschaftlich valide sind. Die Zusammenfassungen für politische Entscheidungsträger, die jedem Sachstandsbericht beigefügt sind, werden Satz für Satz von den Regierungen in einer Vollversammlung unter dem Vorsitz der Wissenschaftler verabschiedet. Durch dieses Verfahren erkennen die Politiker die Ergebnisse der Wissenschaftler an. 2007 erhielt der IPCC mit dem ehemaligen US -Vizepräsidenten Al Gore den Friedensnobelpreis für seine Bemühungen, den Klimawandel ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit zu rücken.32 Zurzeit liegt der fünfte Sachstandsberichte 2013/2014 vor. Der Synthesebericht für politische Entscheidungsträger lässt keine vernünftigen Zweifel an den Ursachen des globalen Klimawandels und wenig Zweifel bezüglich der Folgen. Die Aussagen, die im Bericht gemacht werden, sind hinsichtlich ihrer Vertrauenswürdigkeit (sehr gering bis sehr hoch) und hinsichtlich ihrer Wahrscheinlichkeit (besonders wahrscheinlich bis praktisch sicher) qualifiziert.

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Gemäß diesem Bericht ist der Einfluss des Menschen auf das Klimasystem erwiesen. Die durch menschliches Verhalten erzeugten Emissionen von Treibhausgasen sind die höchsten in der Geschichte. Die Klimaerwärmung hat weitreichende Folgen für menschliche und natürliche Systeme. Auch die Ozeane haben sich erwärmt, die Eismengen sind zurückgegangen, der Meeresspiegel ist angestiegen. Die Treibhausgasemissionen sind seit der vorindustriellen Phase hauptsächlich angetrieben durch das Wachstum von Wirtschaft und Bevölkerung. Für die gestiegenen Konzentrationen von Kohlendioxid, Methan und Lachgas in der Atmosphäre gilt es als äußerst wahrscheinlich, dass sie die Hauptursache der beobachteten Klimaerwärmung seit Mitte des 20. Jahrhunderts sind, es sich also nicht ausschlaggebend um natürliche Ursachen handelt. In den letzten Jahrzehnten, besonders seit den 1950er Jahren, haben sich die beobachteten Folgen vor allem in extremen Wetterereignissen niedergeschlagen, Starkregen, warmen Temperaturextremen, Anstieg von Meeresspiegeln. Mittels verschiedener Szenarien, die verschiedene Anstiege der Emissionen und der Temperaturen in die Zukunft projizieren, wird versucht, die Folgen abzuschätzen. Dabei gilt es bei allen Szenarien als sehr wahrscheinlich, dass Hitzewellen in vielen Regionen zunehmen und länger andauern werden, ebenso wie extreme Niederschlagsereignisse. Der Ozean wird sich weiterhin erwärmen und versauern und der globale mittlere Meeresspiegel wird weiterhin ansteigen. Dabei sind die Risiken, z. B. für die Nahrungsmittelproduktion oder die Sicherheit vor Überschwemmungen, Stürmen und Dürre, weltweit ungleich verteilt und werden ohnehin benachteiligte Regionen und Bevölkerungsgruppen stärker treffen. Mit dieser Aussage zeigt sich, dass der Klimawandel ein enormes globales Gerechtigkeitsproblem mit sich bringt. Es ist anzunehmen, dass sich dies auch in Migrationsbewegungen niederschlagen wird. Denn vor allem Länder, die ohnehin unter vielfältigen Risiken zu leiden haben, werden auch vom Klimawandel am meisten betroffen sein. Darüber hinaus greift der Klimawandel schädigend in terrestrische und marine Ökosysteme ein, mit Folgen, die für Jahrhunderte irreversibel sind. 41

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Der Bericht empfiehlt infolgedessen einen intelligenten Mix verschiedener Maßnahmen, um den Klimawandel auf die magische Grenze von unter 2 Grad C zu begrenzen.33 Das alles vorgetragen in nüchterner Sachsprache, mit zahlreichen Grafiken und Tabellen hinterlegt. Wer daran zweifeln möchte, muss schon an Rationalität und Wissenschaftlichkeit grundsätzlich vorbeidenken. Dass es auch daran in jüngster Zeit nicht fehlt, ist leider ebenfalls nicht zu übersehen. Erhebliches Unbehagen bereitet darüber hinaus die Vorstellung, das Erdklima mittels der technischen Möglichkeiten, die zuerst die Probleme geschaffen haben, auch wieder zu reparieren. Projekte nach Art der Schöpfungen des Dr. Frankenstein versammeln sich unter dem Begriff Climate Engineering. Dabei geht es um großkalibrige technische Eingriffe, die das Kohlendioxid nachträglich wieder aus der Atmosphäre entfernen oder Einfluss auf das Strahlungsgeschehen nehmen sollen.34 Neue Hoffnung ist jedenfalls aufgekommen mit den Beschlüssen des Jahres 2015 in Paris. Die 21. Weltklimakonferenz hat weitreichende Entscheidungen getroffen, um das Weltklima auf unter 2 Grad C zu begrenzen. Dazu gehört auch die Reduzierung des CO2-Ausstoßes auf null, allerdings in einer Netto-Betrachtung, also im Verhältnis zu sogenannten Kohlendioxid-Senken, die das Gas aus der Atmosphäre ziehen. Aber dennoch  : Der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen kündigt sich damit an. Seit dem 4. November 2016 ist der neue internationale Klimavertrag in Kraft. Ist das die erhoffte Wende in der Klimapolitik, auch wenn die USA den Vertrag bereits im Frühsommer 2017 wieder aufgekündigt haben  ? Die Reaktionen der Menschen auf die Kleine Eiszeit waren chaotisch und ungezielt, aus der Bewältigung der Naturrisiken wurde Zerstörung und Vernichtung von Natur. Es ist zu wünschen, dass die Bewältigung der Klimakrise heute strukturierter, planvoller und ohne spätere Kollateralschäden abläuft. So wie möglicherweise im 19. Jahrhundert die Kohle den Wald gerettet hat, aber um einen hohen Preis, so ruht jetzt die Hoffnung auf den 42

Valckenborch, Ansicht von Antwerpen mit zugefrorener Schelde

regenerativen, nichtfossilen Brennstoffen, die einer nachhaltigen Entwicklung den Weg bahnen. Dabei ist nicht zu vergessen, dass Methodik und Begriff der Nachhaltigkeit aus der Waldwirtschaft stammen.

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Ferdinand Georg Waldmüller, 1793–1865, Reisigsammler im Wienerwald, 1855, Öl auf Holz, 60,6 × 76,5 cm, Wien, Österreichische Galerie Belvedere.

Menschen im Wald  : Nutzung und Übernutzung der Wälder Das Bild  : Waldmüller, Reisigsammler im Wienerwald

Eine Szene im Wienerwald, so detailreich wie die Wirklichkeit selbst  : Ein Mädchen links im Bild rafft tatkräftig trockene Zweige zusammen, im Hintergrund tragen ein Junge und ein Mädchen die gesammelten Reisigbündel in der Kiepe und auf dem Kopf davon. Der lachende Junge, die hellen, kräftigen Farben sorgen für gute Stimmung beim Betrachten des Bildes. Die Öffnung in eine weite Landschaft mit sanften Hügeln auf der rechten Seite zieht den Blick in die Ferne eines hellen Himmels und schneebedeckter Gipfel. Rechts eine interessante Szene, die Aufmerksamkeit weckt  : Eine ältere Frau mit einem großen Reisigbündel ist offenbar erschöpft auf den Boden gesunken. Ein junges Mädchen beugt sich fürsorglich stützend über sie und hilft ihr auf. Ein vorbildliches Verhalten in der Zusammenarbeit von Alt und Jung zeigt sich so. Wir sehen außerdem an den Baumstümpfen im Vordergrund und rechts hinten, dass hier auch Bäume gefällt worden sind. Den Menschen im Bild ist dieses Holz nicht zugekommen, sie halten Nachlese unter dem, was übrig blieb. Die jungen Menschen sind barfuß, die ältere Frau trägt grobes Schuhwerk  ; offenbar handelt es sich um Leute, die auf das Sammeln von Reisig angewiesen sind, um damit zu heizen, zu kochen oder das trockene Material als Einstreu zu nutzen. Auch auf dem Winterbild von Valckenborch haben wir Menschen mit großen Reisigbündeln gesehen. Die Nutzung der Wälder hat eine lange Tradition. Der Maler Ferdinand Georg Waldmüller gilt als wichtiger Vertreter einer realistischen Malerei in der Zeit des Biedermeier sowie als bedeutendster österreichischer Künstler des 19. Jahrhunderts. Oft hat er mit feinem Pinsel und beeindruckender Detailgenauigkeit die Landschaften etwa des Wienerwaldes, des Praters oder des Salzkammerguts gemalt, aber auch Porträts, 45

Nutzung und Übernutzung der Wälder

Blumenstillleben und kleine Szenen aus dem Alltag. Er schulte zwar seine Maltechnik an den alten Meistern wie den Niederländern oder Hans Holbein, trat aber für die Freilichtmalerei ein und stützte seine Werke auf ein intensives Naturstudium. Sein Realismus in der Behandlung der Natur und des Lichts wird zukunftsweisend für die Entwicklung der Malerei.35 Waldmüller ist kein Malerfürst gewesen, sondern stammte aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Die Menschen seiner Porträts blicken uns still und voll freundlicher Würde entgegen, häufig sind auch ihre Titel und Berufsstände mit genannt. Es sind Bürger einer zufriedenen Welt. Seine Landschaften und Genreszenen zeigen Situationen, die wir mit dem Wort von der „guten alten Zeit“ verbinden mögen. Bei seinen Reisigsammlern steht denn auch nicht die soziale Anklage im Vordergrund, sondern helle Freude und hilfsbereites Verhalten prägen die Szene. Waldmüllers Wirklichkeitssinn vermittelt uns eine geborgene Wirklichkeit, die wir gern sehen, die wir wiedererkennen und die wir deuten können. Beunruhigendes, Brüche oder Härten sehen wir nicht. Das hat ihm das Etikett der Biedermeierlichkeit im Sinne vordergründiger Harmlosigkeit eingetragen. Die sogenannte Biedermeierzeit – sie umfasste die Jahre nach der Neu­ordnung Europas beim Wiener Kongress 1815 bis zur bürgerlichen Revolution 1848 – war geprägt durch das Bemühen um Restauration der politischen Verhältnisse. Fixpunkte bot die Zeit vor der Französischen Revolution. Die kritischen Köpfe des Vormärz oder sozialrevolutionärer Bewegungen (Heinrich Heine, Ludwig Börne, Georg Herwegh, Karl Marx) wurden unterdrückt. Die Karlsbader Beschlüsse 1819 hatten eine strenge Zensur für alle Veröffentlichungen eingeführt. Im Schutze dieser politischen Machtsphäre entstand eine bürgerliche Kultur, in der Lektüre und Hausmusik, eine Wertschätzung der Kunst überhaupt sowie die Werte der Familie sich entfalteten. In dieser Zeit entwickelte sich eine neue Sicht auf die Wirklichkeit, die sich in der Genre- und Landschaftsmalerei der Epoche ablesen lässt. Nicht mehr die ideale Landschaft oder der Wettstreit mit der Natur sind jetzt maßgeblich, sondern die Dinge, wie wir sie mit unseren Augen sehen. 46

Waldmüller, Reisigsammler im Wienerwald

Eine pragmatische Nüchternheit ist das, die sich der politischen und auch jeder anderen meinungsbezogenen Stellungnahme enthält. Möglicherweise ein Ausweichen vor dem Druck der Verhältnisse, aber auch eine Entwicklung, die Natur und Landschaft als Raum dieses offenen Blicks würdigt. Der Philosoph Arthur Schopenhauer fasst dies in den Begriff des „klaren Weltauges“  : Demnach ist Genialität die Fähigkeit, sich rein anschauend zu verhalten, sich in die Anschauung zu verlieren und die Erkenntniß, welche ursprünglich nur zum Dienste des Willens da ist, diesem Dienste zu entziehn, d.h. sein Interesse, sein Wollen, seine Zwecke ganz aus den Augen zu lassen, sonach seiner Persönlichkeit sich auf eine Zeit völlig zu entäußern, um als rein erkennendes Subjekt, klares Weltauge, übrig zu bleiben (…).36

Die völlige Enthaltung von allen Voreingenommenheiten, jeder Theorie, Idee oder Ideologie, von den Vorgaben des Glaubens und der Metaphysik, die Freiheit von allen Interessen und Zielen oder was immer das klare Weltauge trüben könnte, wird so zum Programm. In der Kunsttheorie verknüpft sich dieser neue Realismus mit dem Begriff des „unschuldigen Auges“. Schöpfer des Begriffs ist der englische Kunsttheoretiker John Ruskin, der 1856 sein Lehrbuch „The Elements of Drawing“ veröffentlichte. Ruskin empfiehlt in diesem Werk, allerdings in einer Fußnote, dem angehenden Maler oder Zeichner, zu den Ursprüngen zurückzugehen, sich in eine Art von kindlicher Wahrnehmung zu versetzen oder neu zu sehen wie ein Blinder, wenn er plötzlich sein Augenlicht zurückerhielte. Diese Auffassung steht im Kontext einer sensualistischen Philosophie etwa eines John Locke oder George Berkeley, nach der Wahrnehmung einer Tabula rasa gleicht  : Zunächst ist das menschliche Bewusstsein als glatt und leer zu denken, allmählich im Laufe des Wachstums stellen sich über die Erfahrung Sinneseindrücke her, die sich schließlich zu Ideen und Gedanken abstrahieren. Im Umkehrschluss muss es demnach auch eine reine Sehweise geben, in der die „Eindrücke“ noch nicht das Sehen 47

Nutzung und Übernutzung der Wälder

konditionieren. Und diese Sehweise ortet Ruskin nicht in der Wissenschaft, sondern in der Malerei, die Ruskin hier überraschenderweise der Kultur entgegensetzt. Während die Kultur überformt und verformt, unsere Sinnesdaten manipuliert, soll die Malerei die Rückkehr zum Naturzustand vollbringen. Ruskin hofft – sein Lehrbuch möchte jedermann die Malerei vermitteln –, dass durch die Vielfalt und den Reichtum der Natur die durch die technisch-industrielle Zivilisation abgestumpften Sinne der Menschen sich regenerieren mögen. Sein Gewährsmann für diese neue Malerei ist William Turner. Später wird das „unschuldige Auge“ auch bei den Impressionisten relevant werden. Für die Ausbildung des zukünftigen Malers bedeutet die Theorie, dass er sich nicht mehr andere Künstler und die Tradition der Malerei zum Vorbild nehmen sollte. Ruskin propagiert eine Abkehr von der jahrhundertelang in den Akademien geübten Praxis des Kopierens alter Meister und fordert eine Schule des Sehens. Er entwickelt damit den Impetus der Avantgarden der folgenden Epochen, die sich immer wieder auf eine Rückkehr zu den Ursprüngen der Wahrnehmung und des Sehens in Opposition zu konventioneller Erstarrung berufen werden.37 Die große Linie der Kunstentwicklung führt über Ruskins Gewährsmann William Turner mit seiner Licht- und Luftmalerei zu den Impressionisten und Pointillisten, die der Wahrnehmung durch das unschuldige Auge ganz neuartige Sehwelten eröffnen. Aber auch Ferdinand Georg Waldmüller hat in gewisser Weise das klare Weltauge oder das unschuldige Auge in seiner Malerei und vor allem in seinen theoretischen Schriften verwirklicht. Das macht seine Bedeutung in der Kunstgeschichte aus. In den Jahren ab 1845 hatte er der Akademie der bildenden Künste in Wien Streitschriften zur Reform der Künstlerausbildung vorgelegt. Er gibt hierin dem Malen und Zeichnen nach der Natur eindeutig den Vorzug vor dem in der Akademie praktizierten Kopieren der großen Werke der Kunstgeschichte. Später forderte er gar die Abschaffung der akademischen Ausbildung. Die Akademie lehnte diese Vorschläge ab, so dass Waldmüller sein Akademieatelier verlor, 1857 bei halben Bezügen pensioniert wurde und in finanzielle Schwierigkeiten geriet.38 48

Waldmüller, Reisigsammler im Wienerwald

Der unschuldige Blick seines klaren Weltauges jedoch befähigt ihn zu einer Detailtreue, die kaum zu übertreffen ist. Seine berühmten Gemälde vom Prater in Wien zeigen Bäume, die einfach da sind, keine religiöse oder metaphorische Überhöhung erweist ihre Bildwürdigkeit. Die Dinge stehen für sich selbst, wie sie sich dem Auge darbieten. Wir blicken quasi durch die Augen des Künstlers in eine Welt hinein, wie er sie gesehen hat. Nur die Fotografie hat diese Wirklichkeitstreue später eine Zeit lang ebenfalls zu transportieren vermocht. Ohne im Dokumentarischen aufzugehen, sind seine Bilder damit doch Zeitzeugen der Natur. In dieser Epoche waren die Ingenieure, Fabrikanten und Kaufleute schon längst dabei, die Welt nach Maßgabe des Nützlichen und Profitablen umzuformen. Die Dampfmaschine hatte die Industrialisierung vorangetrieben, seit 1830 befuhren Dampfschiffe die Donau. Der mechanische Webstuhl hatte zu ersten Fabrikanlagen geführt, die Kohle als Brennstoff ersetzte allmählich das Holz. Gebahnte Wege, Straßen und begradigte Wasserstraßen sowie die weit ausgreifenden Städte begannen das Bild der Landschaft zu verändern. Kein Wunder, dass nun ein Kunsttheoretiker und Zeitphilosoph wie John Ruskin Kultur und Natur in schroffem Gegensatz sieht, zuungunsten der Ersteren. Und vor dem sich verdüsternden Hintergrund der industriellen Verwandlung der Natur wird das unschuldige Auge des Malers auf einmal zum ökologischen Auge  : Es hält die Zeit an und hält ein Bild fest. Das heißt, das unschuldige Auge blickt frei von den technischen Zeittakten der industrialisierten Welt auf ein Stück Zeitlosigkeit, als das Natur nun erscheint. Soziale, politische und ökologische Fragestellungen sind nicht unmittelbar intendiert, aber leicht anschließbar  : Was hat sich im Wienerwald tatsächlich abgespielt  ? Wie haben die Menschen gelebt  ? Was können wir z. B. aus den Baumstümpfen schließen  ? Was können wir über die historische bäuerliche Waldnutzung ableiten  ?

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Nutzung und Übernutzung der Wälder

Das ökologische Auge  : Nutzung und Übernutzung des Waldes Die Bäume und Pflanzen unseres Beispielbildes sind so genau gemalt, dass sie sich, fragt man einen Forstexperten, mit hoher Wahrscheinlichkeit bestimmen lassen. In unserem Fall hat sich der Wissenschaftler Mattias Rupp von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) in Freiburg im Breisgau der Sache angenommen  : Die Szene spielt sich wohl im beginnenden Hochsommer ab. Darauf weisen die blühenden Pflanzen hin  : rechts am Bildrand vermutlich Leinkraut (Linaria vulgaris), es blüht ab Juli  ; die violetten Blüten am Baumstumpf vorne könnten zur Glockenblume gehören (Campanula spec.), sie blüht von Juni/Juli bis August. Wir sehen am mittleren Baumstamm rankend auch eine Heckenrose (vermutlich Rosa corymbifera), sie blüht meist im Juni/Juli. Bei den fernen Bergen im Hintergrund des Durchblicks sieht man Schnee nur noch ganz oben, die unteren Hänge sind schon schneefrei. Bei den Laubbäumen handelt es sich wahrscheinlich um Rotbuchen, deren Stämme von verschiedenen Moosen und vor allem Flechten bewachsen sind. In mittleren Höhenlagen wie hier im Wienerwald können in einem Buchenwald ausreichend Luftfeuchte und Schatten vorhanden sein, um Flechten und Moosen die Ansiedlung auf den Baumstämmen zu ermöglichen. Der Waldboden ist vegetationsarm, was auf mehrjährige Überschirmung durch dichten Buchenstand hindeutet. In der Bildmitte links ist dichte Buchenverjüngung zu sehen, bei der Äste nach schräg oben wachsen. Der Baum hinter dem Jungen zeigt Stockausschlag bei glatter Borke, was ebenfalls auf Buche hindeutet. Die jungen Nadelbäume sehen wie Tannen aus, ihre Nadeln stehen in einer Ebene vom Zweig ab. Der Habitus der Astformen verweist ebenfalls auf Tanne. Die gefällten Bäume könnten Tannen oder Kiefern sein, die Wurzelform am vegetationsfreien Boden erinnert mehr an einen Nadel- als an einen Laubbaum. Die Borken können als schuppig gemalt interpretiert werden. Zudem tragen die Leute trockenes Nadelreisig. Tannen und Kiefern zeigen einen farbigen Unterschied zw. Splint- (weißlich) und Kernholz (rötlich), was am Sägestumpen unten rechts zu 50

Nutzung und Übernutzung des Waldes

erkennen ist (dies könnte allerdings auch eine Buche mit Rotkern sein). Dass viele Flechten zu sehen sind, lässt auf ziemlich feuchte Standortbedingungen schließen, was eher die Tanne als die Kiefer plausibel macht. Die Menschen sammeln Äste und Zweige mit vertrockneten Nadeln. In Frage kommen dafür Fichte, Tanne, Kiefer, Wacholder. Da die Nadeln vertrocknet sind, müssen Äste schon vor einiger Zeit geschnitten worden sein. Es handelt sich also um Reste vom Entasten des winterlichen Fällens. Daher ist es auch wahrscheinlich, dass die Sägestumpen von Tannen oder Kiefern stammen. Die Zweige sind ‚platt‘ benadelt, die Nadeln stehen nicht radiär um die Zweige, was auf Tanne schließen lässt, eventuell war auch Wacholder dabei. Wahrscheinlich wurde die auszuschüttelnde, dünne Nadel- und Zweigmasse als Einstreu verwendet (der Bildhintergrund zeigt eher offenes, beweidbares Gelände). Wenn sich die Tiere auf trockene Ästchen legen, besteht Verletzungsgefahr, daher waren nur dünnste Holzanteile verwendbar. Die Hauptfunktion lag jedoch vermutlich in der Feuernutzung. Dass im Sommer gesammelt wurde, ergibt Sinn  : Die Biomasse vor Ort ist dann schon getrocknet, was eine Gewichtsreduktion bedeutet. Es kann mit geringerem Aufwand mehr getragen werden. Außerdem musste das Material dann nicht noch einmal vor dem Haus zum Trocknen ausgebreitet und evtl. gegen Ziegen ‚verteidigt‘ werden.39

Wie die Reisigschneider auf dem Winterbild Valckenborchs zeigen, haben Menschen schon lange Bäume auf diese Weise genutzt. Aber im Winterbild machen sie etwas anderes als unsere Reisigsammler (siehe oben S. 22). Links im Mittelgrund sieht man einen Mann auf einem knorrigen Baum die Äste abschneiden, die unten ein anderer aufsammelt. Diese Form der Holznutzung war im Mittelalter vor allem in den ortsnahen Bereichen üblich. Man schnitt die emporgekommenen jungen Stämme immer wieder ab und entfernte auch die ausschlagenden Äste, um so auf einfache Weise Brennholz zu gewinnen. Dabei werden die Bäume kurz gehalten. Ganze Wälder, die so intensiv genutzt wurden, konnten auf diese Weise zu sogenannten Niederwäldern werden. Nicht jede Baumart verträgt das, 51

Nutzung und Übernutzung der Wälder

aber Hainbuche, Hasel, Birke, Ulme, Linde oder Eibe waren einer solchen Nutzung gewachsen.40 Bei Waldmüller scheint uns der Brauch des Reisigsammelns wie ein Blick in eine vormoderne Idylle. Aber eine soziale Problematik deutet sich an. Die ältere Frau trägt eine allzu große Last, von der sie nach hinten gezogen wird. Viele Menschen waren auf Reisig angewiesen, weil sie sich kein besseres Heizmaterial leisten konnten. Dabei war jedoch die Waldnutzung durch die Bevölkerung immer wieder starken Restriktionen unterworfen. Die Waldordnungen setzten hier Grenzen  ; die Grundherren wollten ihre Wälder selbst ausbeuten und durchaus auch schützen bzw. der Jagd vorbehalten. Jahrhundertelang war Holz nicht nur ein wichtiger Baustoff, sondern auch die bedeutendste Energiequelle zum Kochen und Heizen. Aber nicht jeder konnte Holz kaufen. Die Maria-Theresianische Waldordnung von 1766 erlaubte daher armen Leuten das Klaubholzsammeln. Da dies jedoch offenbar missbraucht worden war, wurden in begrenztem Umfang Klaubholzlizenzen ausgegeben. Im Jahr 1872 gab es davon noch rund 1000. Ende des 18. Jahrhunderts drohte dem Wienerwald in der Wahrnehmung der Zeitgenossen, wie bei vielen anderen Wäldern auch, eine Übernutzung durch zu viel Holzeinschlag. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam dann dem Wald die Kohle zu Hilfe. Hatte das Holz um 1800 noch fast 100 Prozent des Energiebedarfs von Wien gedeckt, so waren es um 1870 nur noch etwa 50 Prozent, eine Zahl, die danach stetig weiter sank. Die Kohle war der Energielieferant der Zukunft und mit ihr kamen neue Transportwege.41 Viele andere europäische Wälder durchliefen den gleichen Prozess. Da zur historischen bäuerlichen Waldnutzung neben der Streunutzung sowie dem Gebrauch von Unterholz und Totholz als Brennmaterial auch das Weiden des Viehs gehörte, wirkte der Wald sehr aufgeräumt. Das Erscheinungsbild dieses so gar nicht wilden und düsteren Waldes geht nicht zuletzt darauf zurück, dass junge Triebe und untere Äste durch das Vieh gar nicht aufkommen können, tote Blätter, Moos und Totholz von den Menschen entfernt wurden. Im 17. und 18. Jahrhundert war der Wald stellenweise 52

Nutzung und Übernutzung des Waldes

so übernutzt, dass der Baumbestand sich nicht mehr verjüngen konnte.42 Weite, lichte, parkähnliche Wälder entstanden. Viele historische Landschaftsgemälde zeigen diesen offenen Hallenwald. Die bäuerliche und städtische Waldnutzung war bis ins 19. Jahrhundert hinein verbreitet und wurde zum Teil mangels wirtschaftlicher Alternativen bis ins 20. Jahrhundert hinein praktiziert. Menschen beanspruchten über viele Jahrhunderte hinweg siedlungsnahe Wälder für Bau- und Brennholz, als Weide für das Vieh, sie sammelten Reisig sowie Moos und Laub als Einstreu für die Viehställe. Auch landwirtschaftliche Kulturen wie Kartoffeln und Buchweizen wurden in Notzeiten angebaut. Gegen Ende des Mittelalters und nach dem Ende der spätmittelalterlichen Wüstungsperiode wuchs die Bevölkerung wieder an. Viele siedlungsnahe Wälder verödeten nun. Ab dem 16. Jahrhundert versuchte die Obrigkeit verstärkt, die Waldnutzung durch Forsterlasse zu regeln.43 Große fürstliche Waldgebiete blieben der Jagd vorbehalten, das Volk war ausgeschlossen. Manches Waldgebiet hat sich auf diese Weise bis ins 20. Jahrhundert relativ gut erhalten. Jedoch war die bäuerliche und bürgerliche Nutzung nur ein Rädchen im Räderwerk der Waldausbeutung. Die Reparationszahlungen nach verlorenen Kriegen, der Holzfraß der Flotten, Köhlerei, Glasbläserei und vor allem der Bergbau spielten ebenfalls eine bedeutende Rolle. Dabei waren schon früh etwa die schädlichen Folgen des Bergbaus bekannt und geschildert worden. Der Renaissancegelehrte und Begründer der modernen Bergbauwissenschaft Georgius Agricola (1494–1555) beschreibt dies so  : Durch das Schürfen nach Erz werden die Felder verwüstet  ; deshalb ist einst in Italien durch ein Gesetz dafür gesorgt worden, daß niemand um der Erze willen die Erde aufgrabe und jene überaus fruchtbaren Gefilde und die Wein- und Obstbaumpflanzungen verderbe. Wälder und Haine werden umgehauen  ; denn man bedarf zahllose Hölzer für die Gebäude und das Gezeug sowie, um die Erze zu schmelzen. Durch das Niederlegen der Wälder und Haine aber werden die Vögel und andern Tiere ausgerottet, von denen sehr viele den Menschen als feine und angenehme Speise dienen. Die Erze werden gewaschen  ; durch dieses Waschen aber 53

Nutzung und Übernutzung der Wälder

werden, weil es die Bäche und Flüsse vergiftet, die Fische entweder aus ihnen vertrieben oder getötet. Da also die Einwohner der betreffenden Landschaften infolge der Verwüstung der Felder, Wälder, Haine, Bäche und Flüsse in große Verlegenheit kommen, wie sie die Dinge, die sie zum Leben brauchen, sich verschaffen sollen, und da sie wegen des Mangels an Holz größere Kosten zum Bau ihrer Häuser aufwenden müssen, so ist es vor aller Augen klar, daß bei dem Schürfen mehr Schaden entsteht, als in den Erzen, die durch den Bergbau gewonnen werden, Nutzen liegt.44

Besser könnte man es kaum zusammenfassen. Die Palette der Umweltschädigungen umfasst tatsächlich Bereiche, die auch heute als zentrale Problemfelder gelten  : Vernichtung der Wälder, Reduzierung der Artenvielfalt und Vergiftung des Wassers bzw. der Umwelt im Zuge einer Industrialisierung, die Natur gegen materielle Güter – „Erze“ –, letztlich also Geld, aufwiegt. Im Fall des Agricola gewinnt die materielle Seite. Er hat die Argumente der Gegner des Bergbaus getreulich aufgeführt, um sie alle zu widerlegen, denn er sieht den höheren Nutzen bei dem Gewerbe, das ihm Herzenssache ist. Jedoch lebt und denkt Agricola innerhalb eines Weltbilds, in dem die Natur als unendlich groß vorgestellt wurde und als aller menschlichen Fassungskraft überlegen. Denn immer ist sie auch göttliche Schöpfung, Ausdruck der Allmacht Gottes. In diesem Horizont ist es nicht vorstellbar, dass die Natur endlich sein sollte und verbraucht werden könnte wie ein Laib Brot. Eine größere Beachtung fand die Krise des Waldes erst im 17. und 18. Jahrhundert. Die Bestände in Europa wurden mit Sorge betrachtet, denn die Ökonomie und vor allem der Bau von (Kriegs-)Schiffen hingen vom Holz ab. Man dachte jetzt eher naturwissenschaftlich und wollte die Produktivität der Natur besser kontrollieren. Es war diese historische Phase, als der kurfürstlich-sächsische Schöpfer des forstlichen Nachhaltigkeitsbegriffs Hans Carl von Carlowitz (1645–1714) seine „Sylvicultura oeconomica“ (1713) veröffentlichte. Er setzt gegen den Raubbau am Wald die eiserne Regel, dass „man mit dem Holze pfleglich umgehe“.45 Bereits hier deutet sich das Wortfeld 54

Nutzung und Übernutzung des Waldes

der „Nachhaltigkeit“ an, das Carlowitz in seiner Schrift dann auch tatsächlich betritt  : Er stellt nämlich die Frage, wie es anzustellen sei, dass es eine „continuierliche beständige und nachhaltige Nutzung gebe weil es eine unentbehrliche Sache ist ohne welche das Land in seinem Esse nicht bleiben mag.“46 Eine Entwicklung beginnt hier, die in der nachhaltigen Waldwirtschaft noch nicht ihren Abschluss gefunden hat. Carlowitz war zunächst im sächsischen Freiberg berufen worden, um den Holzmangel zu beheben, der durch den Bergbau entstanden war. Er fasste aber das Ganze ins Auge. Carlowitz fordert, dass nur so viel Holz zu nutzen sei, wie der Waldraum hervorbringe, und dass dies langfristig so zu halten sei. Dass bedeutet einen vernünftigen Umgang mit den Vorräten der Natur. Es gilt zu wissen, wie viele Bäume vorhanden sind, wie schnell sie wachsen, um schlagreif zu sein, und was jeweils neu zu pflanzen ist, um den Ausgleich zum Einschlag zu schaffen. Die Umwandlung von Waldland in Äcker und Wiesen sowie den kurzfristigen Geldgewinn durch Holzverkauf lehnt Carlowitz ab. Das Prinzip, nur so viel zu verbrauchen, wie nachwächst, wird von ihm in immer neuen Wendungen umschrieben. Auf der Basis dieser Prinzipien entsteht eine Forstwissenschaft, die zunächst im Herzogtum Sachsen-Weimar umgesetzt wird. Unter der Regierung der Herzogin Anna Amalia werden die Wälder vermessen und forstmäßig beschrieben, um damit eine nachhaltige Forstwirtschaft zu etablieren. Begriff und Praxis der Nachhaltigkeit werden mit der Forstreform Anna Amalias zum ersten Mal Richtschnur staatlichen Handelns.47 Die langfristige Bewahrung der Wälder ist damit als Aufgabe staatlichen Handelns definiert und generell in den Bereich des Möglichen gerückt. Die Rettung des Wienerwalds Fast der gesamte Raum von Wien war vor der Ansiedlung von Menschen durch Urwälder bedeckt. Die landwirtschaftliche Nutzung drängte den Wald im Laufe der Jahrhunderte immer mehr zurück. An der Donau gab es „wilde“ Auwälder, die aber nach der Donauregulierung durch den 55

Nutzung und Übernutzung der Wälder

abfallenden Grundwasserspiegel und das Ausbleiben von Überschwemmungen zurückgingen, wie dies auch am Rhein der Fall war. Das Gebiet des Wienerwalds kam in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts zur Mark Österreich  ; die Landesfürsten nutzten das Gebiet zur Jagd. Die Habsburger brachten 1276 den Wienerwald in ihren Besitz und erweiterten ihr Herrschaftsgebiet so weit, dass der überwiegende Teil des Wienerwalds landesfürstlicher Besitz war. Bis 1755 blieb der Wald Privateigentum der Habsburger. Nach der ersten Türkenbelagerung (1529) wurde für den Bau der Basteibefestigungen und den Wiederaufbau zerstörter Häuser sehr viel Holz geschlagen  ; außerdem wurden Kalkbrenner angesiedelt, die einen großen Brennholzbedarf hatten  ; die Rodungen sind noch heute an den in die Wälder eingestreuten Wiesen erkennbar. Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts drohten wieder Übernutzung und Holzmangel. Ab 1770 wurden im Wienerwald großflächig die schnell wachsenden Fichten, Lärchen und Kiefern angepflanzt. 1813 gab es eine neue Waldordnung für Niederösterreich  : Sie führte zur Vermessung und Kartierung der Waldbestände als Grundlage für Ertragsberechnungen. Dabei wurde bestimmt, dass die Aufsicht über die Wälder in der Forstlehranstalt ausgebildete Forstbeamte zu übernehmen hatten. Nur mit Genehmigung durfte noch Holz geschlagen werden. Die freie Begehbarkeit des Waldes wurde eingeschränkt.48 Dies sicherte den Wald jedoch nicht gegen kurzfristige ökonomische Interessen. Die nächste große Waldkrise wurde dann aber bereits unter den Augen einer breiten Öffentlichkeit verhandelt und darf als eine der ersten Umwelt-Medien-Affären gelten. Ein Einzelkämpfer hat mittels einer Medienkampagne den Wald gerettet. Es handelt sich um Josef Schöffel (1832–1910), einen Journalisten und Politiker, der nach der Rettungsaktion lange Jahre erfolgreicher Bürgermeister von Mödling war. Der Wienerwald war ab 1862 von den Finanzbehörden verwaltet worden. Zur Sanierung des staatlichen Budgets begann man schon 1863 mit der Privatisierung von Staatsgütern. In den folgenden Jahren wurden umfangreiche Abholzungen geplant. Schöffel brachte gegen diese Maßnahmen im „Neuen Wiener Tagblatt“ 1870 eine Pressekampagne 56

Nutzung und Übernutzung des Waldes

in Gang, in der er auch die verantwortlichen Staatsbeamten der Bestechlichkeit beschuldigte. Der Wiener Gemeinderat und der niederösterreichische Landtag traten auf seine Seite  ; auch im Reichsrat kam es zu Anfragen. Schöffel wurde daraufhin in juristische Auseinandersetzungen verwickelt. Sein Freispruch vor dem Schwurgericht brachte 1872 den Sieg  : Die Reichsregierung annullierte die Privatisierungsverträge und unterstellte die Verwaltung der Staatsforste ab dem 1. Mai 1872 dem Ackerbauministerium  ; die verantwortlichen Finanzbeamten wurden in den Ruhestand versetzt.49 Josef Schöffel darf durch diese Aktion als Natur- und Umweltschützer in die Geschichte eingehen. Seine Aktivitäten gegen die unguten Machenschaften schildert er lebhaft und höchst emotional in seiner Autobiografie. Er wusste, wofür er kämpfte. Die sogenannten Wohlfahrtswälder haben Einfluss auf die Temperatur, Regen und Feuchtigkeitsverhältnisse  ; sie sind ein wichtiger Faktor für das Klima und die Fruchtbarkeit. Ein solcher Wohlfahrtswald ist jedenfalls in hervorragendem Maße der Wienerwald  ! Wer entgegen den Erfahrungen, entgegen den Lehren und Kundgebungen unserer vorzüglichsten Naturforscher, den Einfluss des Wienerwaldes auf das Klima und die Fruchtbarkeit des Landes zu leugnen wagt, der muss mehr als Exzellenz, der muss unfehlbar oder dumm sein  !50

Nachhaltigkeit heute Im Biosphärenpark Wienerwald werden heute zahlreiche Maßnahmen zur Nachhaltigkeit umgesetzt. Auch in deutschen Wäldern ist Nachhaltigkeit integrierter Bestandteil der Waldbewirtschaftung. Nach Angaben des Bundesamtes für Naturschutz sind etwa 67 Prozent deutscher Wälder nach ökologischen Kriterien zertifiziert. Die nationale Strategie zur biologischen Vielfalt definiert für Deutschland das Ziel von 80 Prozent der Waldfläche, die nach hochwertigen ökologischen Kriterien zertifiziert sein sollen. Laubwälder und Laubmischwälder sind als naturnahe Waldformen das naturschutzfachliche Leitbild für eine nachhaltige und naturnahe Waldkultur. 57

Nutzung und Übernutzung der Wälder

Derzeit sind mehr als die Hälfte deutscher Wälder noch aus Nadelgehölzen aufgebaut. Auch der Klimawandel verlangt hier eine Umorientierung. Laut Bundeswaldinventur ist die Holznutzung in Deutschland tatsächlich nachhaltig, da weniger Holz genutzt wurde als nachgewachsen ist.51 Bei den jungen Wäldern sind etwa 51 Prozent bereits als „naturnah“ oder „sehr naturnah“ einzustufen. Allerdings gibt es nach wie vor warnende Stimmen, die darauf hinweisen, dass Spätschäden des sauren Regens aus der Zeit des „Waldsterbens“ und Klimaschäden sich summieren können. Zudem werden vor allem bei der Ernte dem Wald Schäden zugefügt – Bodenverdichtung durch bis zu 40 Tonnen schwere Erntemaschinen, viele und breite Rückegassen, im Akkord erntende Waldarbeiter, Bau von „Waldautobahnen“ für die großen Maschinen etc. – und der Wald benötigt danach Jahrzehnte, um sich zu regenerieren.52 Als Lieferant nachwachsender Rohstoffe wird der Wald in Zukunft an Bedeutung gewinnen  : Im Zeichen des Klimawandels werden fossile Brennstoffe sich in absehbarer Zeit wahrscheinlich verteuern bzw. ganz aufgegeben werden. Naturprodukte wie Möbel oder Fußböden aus heimischen Hölzern sind beliebt, auch als Baustoff ist Holz ein gefragtes Material. Es ist zu hoffen, dass eine nachhaltige Waldbewirtschaftung dem zu erwartenden ökonomischen Druck auf den Wald auch in Zukunft standhalten wird. Was ist nachhaltig  ? Was bedeutet dieser Blick in den Wald für den Begriff der Nachhaltigkeit  ? Der Umwelthistoriker Bernd Herrmann verweist darauf, dass die Begeisterung für die forstwirtschaftliche Herleitung des Begriffs in der Öffentlichkeit befremde, wenn man bedenke, dass es sich bei Carlowitz um Prinzipien ökonomischer Rationalität, verbunden mit einem Vorsorgegedanken handele, die eigentlich dem gesunden Menschenverstand geschuldet seien. Auch gebe es vergleichbare Prinzipien vorsorglichen Handelns bereits vor und auch nach Carlowitz.

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Nutzung und Übernutzung des Waldes

Auch ein Stangenwald kann romantisch aussehen.

Der ethische Begriff der nachhaltigen Entwicklung in der Reihe der großen Fragen der Menschheit greift jedenfalls weit über den forstwirtschaftlichen Nachhaltigkeitsbegriff hinaus. Auf der anderen Seite verschwimmt der Begriff im Beliebigen, wenn schon ein in der Alltagssprache als langfristig und solide zu bezeichnendes Handeln als nachhaltig gelten kann. Dennoch gibt es einen Kipppunkt, an dem der Pfad der Tugend im Sinne eines vernünftigen vorsorglichen Handelns verlassen wurde, einen Punkt, an dem sich das Begriffsverständnis wieder fokussiert  : die Energiegewinnung aus fossilen Lagerstätten. Diese Ressourcen sind nicht nur begrenzt, sondern ihre Nutzung führt auch zur Erwärmung des Klimas. Hier läuft ein Prozess außerhalb der Rationalität von Bewahren und Wiederherstellen geradewegs in die Vernichtung der Ressource und endgültige Schädigungen. Von diesem Punkt ausgehend schärft sich der Blick für weitere Prozesse in der modernen Industriegesellschaft, die Güter unwiederbringlich zu vernichten drohen  : Jeder Naturschützer, der sich 59

Nutzung und Übernutzung der Wälder

um Ausgleichsflächen bemüht, bemerkt, dass der Boden nicht beliebig vermehrbar ist. Der Umgang mit dem Regenwald oder Abholzungen aus kurzfristigen ökonomischen Interessen zeigen, dass die Vernichtung von Wäldern nicht außerhalb jeglichen Vorstellungsvermögens liegt. In den Flüssen lässt sich mit enormem Aufwand das Wasser klären, aber eine fischfreundliche Umgebung entsteht nicht durch Aussetzen von Lachsen aus Zuchtstationen. Eine industrialisierte Agrarwirtschaft wird sich – gelinde gesagt – schwertun mit dem Erhalt der Artenvielfalt. Viele weitere Beispiele lassen sich finden. Vielleicht hat ja Carlowitz tatsächlich nur ein uraltes Prinzip menschlicher Klugheit formuliert und praktiziert, nämlich dass es langfristig gut ist, Verwertungskreisläufe mit Erhalt der Ressourcen einzurichten. Ein Prinzip, das allerdings der Konsum- und Wegwerfkultur fremd ist wie die Rückseite des Mondes. Ähnlich wie die Angst um den Verlust der Wälder im 18. Jahrhundert zu verstärkten Anstrengungen für ihre Erhaltung geführt hat, motiviert ein globales Krisenbewusstsein der Gegenwart ein weiträumiges und ethisch inspiriertes Nachhaltigkeitsverständnis. Die 17 Nachhaltigkeitsziele der UNO spiegeln die Dimensionen des Vorhabens. Auch wenn die Verwirklichung der Utopie einer allumfassenden Nachhaltigkeit nicht möglich wäre, sollte doch, um noch einmal mit Herrmann zu sprechen, das Prinzip Hoffnung das letzte Wort behalten  : „Lasst es uns versuchen“.53

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Caspar David Friedrich, 1774–1840, Der Abend. Viertes Bild der Folge „Vier Tageszeiten“, um 1821, Öl auf Leinwand, 22 × 31 cm, Hannover, Niedersächsisches Landesmuseum.

Ökonomie im Wald: Romantik und neue Waldliebe Das Bild: Friedrich, Der Abend

Ein Waldbild, wie man es kaum schöner träumen könnte. Caspar David Friedrich hat die Landschaft als Resonanzraum der Seele gemalt. Am pastellfarbigen Himmel geht die Sonne unter und schickt ihre letzten Strahlen durch die Bäume hindurch. Im Vordergrund geben sanfte Heidehügel und dunkle Wacholder dem Blick Halt. Fast in der Mitte zwei dunkle kleine Figuren auf einem Weg, der rechts aus dem Bild hinaus ins Weite führt. Eindrucksvoll die geometrische Komposition  : Die horizontale Linie, auf der sich der Wald mit seinem vertikalen Lückenmuster erhebt, und die Diagonale des Weges bilden zwei Dreiecke, die durch die abfallende Linie der Baumwipfel beantwortet werden. Als Gegengewicht wirken links die durch den Bildrand angeschnittenen Bäume im Vordergrund, deren Wipfel die Diagonale des Weges wiederholen. Ein Muster, das sich ins Unendliche fortsetzen ließe. Friedrich hat eine ästhetische Ordnung geschaffen, die die gesehene Landschaft in ein komponiertes Bild verwandelt. Die beiden Figuren im Mittelgrund tun nichts Besonderes, sie spielen keine Szene und illustrieren kein mythologisches Thema, wie dies bei typischen Staffagefiguren früherer Epochen der Fall ist. Es sind Betrachter. Sie geben ein wenig Distanz und erinnern uns an unsere Rolle als Beobachter. Die Hauptrolle in diesem Bild aber spielt das Licht. Die horizontale Zone aus Gegenlicht im Lückenmuster der Stämme ist fast abstrakt zu nennen. Friedrich hat die Orientierung an Jahres- und Tageszeitenzyklen zunächst von Philipp Otto Runge übernommen. Es handelt sich um ein altes Motiv, das schon in mittelalterlichen Stundenbüchern vorkommt. In der Romantik wird es jedoch mit neuer Bedeutung gefüllt. Es geht um die Zyklen und Übergänge der Natur, die mit dem menschlichen 63

Ökonomie im Wald

Leben in Verbindung stehen. In diesem psychophysischen Kontinuum ist der Mensch eingewoben in das große Ganze einer Natur, die sich als das unbekannte Transzendente in einen unendlichen Reflexionsraum weitet. Die Korrespondenz zwischen dem Beobachter – das sind die zahlreichen Rückenfiguren Friedrichs, aber auch wir als Betrachter – und einem Jenseits des Sichtbaren visualisiert ein Grundmuster der romantischen Naturphilosophie. Der Mikrokosmos Mensch spiegelt sich im Makrokosmos und umgekehrt, weil beide zur gleichen Ganzheit gehören. In dieser lebendigen Beziehung erwachen die inneren Kräfte und verästeln sich in das Gefüge der Natur hinein. Der Naturraum öffnet Fenster in eine Ferne des Nicht-mehr-Sichtbaren, die immer unerreichbar bleibt. Das Licht symbolisiert diese Transzendenz, ein Jenseits, das die Sehnsucht ins Unendliche zieht. Dieses Durchscheinen des Lichts kann paradoxerweise kaum ein Wald so schön zeigen wie der hochstämmige Stangenkiefernwald. Dabei ist es eher gleichgültig, wo genau Friedrich seine Landschaft gemalt hat. Häufig hat er Landschaftskomponenten im Atelier zusammengestellt, die ihm eine formale Gestaltung erlauben, wie sie oben beschrieben wurde. Dabei ist er, trotz ungemein detailtreuer Wiedergabe einzelner Elemente, von einer realen Landschaft sehr weit entfernt. Die Poesie des Herzens tritt in deutlichen Widerspruch zur Prosa der Verhältnisse. So schön war es nie in der Wirklichkeit. Dennoch oder gerade deshalb ist Friedrichs Sichtweise der Natur modern. Sie führt mit dem Strom romantischer Naturphilosophie zu einer Hypothese, die seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts unter dem Begriff „Gaia-Hypothese“ kursiert.54 Ulrich Grober, der Friedrichs „Abend“ als Titellabbildung seiner Geschichte der Nachhaltigkeit nutzt, skizziert dieses Beziehungsgeflecht ganzheitlichen Denkens  : Die Wissenschaftler James E. Lovelock und Lynn Margulis hatten die These entwickelt, die Erde sei kein toter Stern, auf dem zufällig Leben stattfindet, sondern ein lebendiges Ganzes, eine Art von Superorganismus, der wie ein Lebewesen über selbstregulative Kräfte verfüge. Alle mikroorganischen, pflanzlichen und tierischen Stoffwechselprozesse wirken mit der unbelebten Natur zusammen. 64

Friedrich, Der Abend

Symbiotische Gemeinschaften weben ein von der Sonne gespeistes Netz des Lebens. Das Ganze bildet ein System, in dem vielfältige Rückkoppelungen zusammenwirken. In dieses System gehört auch der Mensch, der sich konstruktiv verhalten oder mit zerstörerischen Aktivitäten unabsehbare Wirkungen auslösen kann. Inspirierend für diese Sichtweise hatte die Raumfahrt gewirkt. Mit der Mondlandung 1969 war es möglich geworden, die Erde als ganze zu sehen. Die Bilder gingen um die Welt und vermittelten ein Gefühl der Verantwortung für ihre Schönheit und Verletzlichkeit. Dieser Blick auf die Welt als Kugel im All kommt einer kopernikanischen Wende gleich, denn es ist nun nicht mehr möglich, die Natur auf der Erde als unendlich zu empfinden. Die Unendlichkeit umfasst fortan die Weiten des Alls, dessen Lebendigkeit mehr als zweifelhaft ist. Das Leben dagegen erscheint als die große Ausnahme, die Besonderheit einer Erde, die in der großen Kälte des Alls klein und schutzbedürftig wirkt. Die Aussagen Lovelocks wurden von der Wissenschaft nie vollständig anerkannt, gingen aber auch nie ganz unter. Die Ökologiebewegung hat die Gaia-Hypothese dankbar aufgegriffen und wohl auch simplifizierend missverstanden. Die Idee, die Erde sei ein Lebewesen, führte mit der Reaktivierung von Mythen um die Erdgöttin Gaia auch in eine esoterische Richtung. Lovelock publiziert bis heute und hat seine Theorie mittlerweile wissenschaftlich anschlussfähig gemacht.55 Jedoch hat der Grundgedanke des lebendigen Ganzen Bestand, in dem alle Elemente in vielfältigen Netzwerken miteinander verknüpft und in Wirkungszusammenhänge eingespannt sind, die wir nicht vollständig kennen. Der Begriff „Ganzheitlichkeit“ hat hier seine gedanklichen Wurzeln. Rational betrachtet geht es dabei um systemische und chaostheoretische Zusammenhänge, die zu eigenen Wissenschaftsfeldern geführt haben. Die Systemtheorie hat faszinierende Einsichten zur Rolle des Beobachters mit sich gebracht, der immer auch das System, das er beobachtet, beeinflusst. Ein Gedanke, der, weitergedacht, zu dem Befund führt, dass es den unschuldigen oder neutralen Beobachter gar nicht geben kann – und damit auch nicht das unschuldige Auge. Indem wir beobachten, verhalten wir uns. 65

Ökonomie im Wald

Auch die Ökologie ist eine systemische Wissenschaft, die vor allem die Rolle der Biodiversität, der Artenvielfalt, für die Widerstandskraft des Systems immer wieder hervorhebt. Ein Verständnis für Klimawandel ist nur in den Räumen systemischen Denkens möglich. Und einen Fingerzeig in diese Richtung gibt uns die romantische Naturphilosophie. Dass wir sehr viel über Umwelt, Ökologie und das zur Erhaltung der Natur erforderliche Handeln wissen, uns aber doch nicht entsprechend verhalten, zeigt jedoch die Grenzen der Rationalität auf. Die Motive des Handelns stammen woandersher. Warum nicht aus den unendlichen Sehnsuchtsräumen, die Caspar David Friedrich gemalt hat  ? Aber nicht vermittelt über die Oberfläche der Bilder, sondern über die Räume ganzheitlichen Denkens und Fühlens, die sich mit der Romantik geöffnet haben. Die Rationalität braucht Beistand. Eine Natur- und Kunstsensibilität erwacht in der Epoche der Romantik, die sich energisch abgrenzt von dem, was die Romantiker selbst den „Philister“ genannt haben. Das ist ein Bürger, der sich am Nützlichen orientiert, der Vernunft folgt und ansonsten nichts glaubt. Oft hat E. T. A. Hoffmann diesen Konflikt der Poesie des Herzens mit den Kräften aufgeklärten Nützlichkeitsdenkens gestaltet. In seinem Märchen von „Klein Zaches, genannt Zinnober“ etwa passen die ersten Maßnahmen, die Fürst Paphnutius in seinem Reich einführt, sehr gut in unseren Kontext  : Ehe wir mit der Aufklärung vorschreiten, d. h. ehe wir die Wälder umhauen, den Strom schiffbar machen, Kartoffeln anbauen, die Dorfschulen verbessern, Akazien und Pappeln anpflanzen, die Jugend ihr Morgen-und Abendlied zweistimmig absingen, Chausseen anlegen und die Kuhpocken einimpfen lassen, ist es nötig, alle Leute von gefährlicher Gesinnung, die keiner Vernunft Gehör geben und das Volk durch lauter Albernheiten verführen, aus dem Staate zu verbannen.56

Auch das politische Umfeld wird hier angesprochen. In der Zeit der Restauration nach dem Wiener Kongress setzte mit den Karlsbader Beschlüssen die Demagogenverfolgung ein. Das Romantische ist nun das Rebellische. 66

Friedrich, Der Abend

Die Kräfte des Fortschritts sammeln sich dort. Dabei hat die Romantikbewegung Rationalität nicht gänzlich ausgeklammert. Es ist eine Bewegung, die auch in dieser Hinsicht nach Ganzheitlichkeit strebt, und zwar dem Sinne nach, denn der Begriff selbst ist im Grimm’schen Wörterbuch noch nicht vertreten. Die romantische Universalpoesie meint eine Vereinigung aller Künste zum Gesamtkunstwerk, aber sie meint auch eine Integration alle Kräfte des Menschen. Ironie und Reflexion als wesentliche Gestaltungsmittel vor allem der Frühromantik vermitteln ein Bewusstsein, dem das Unendliche sich öffnet und doch fortwährend wieder entzieht. Das Unendliche wird nicht naiv verklärt zum Gottesersatz. Die Romantiker sind keine Geisterseher oder Schwärmer. Sie suchen Wege, die Grenzen des Gewöhnlichen immer wieder zu reflektieren und sie in immer neuer Bewegung zu überschreiten. Die Romantisierung der Welt ist eine Aktivität, die in ständiger dialektischer Spannung zur Prosa der Verhältnisse steht. Diese Spannung gilt es auszuhalten. Wir finden diese Dialektik aus Prosawelt der gewöhnlichen Verhältnisse und romantisierender Gegenbewegung auch in den Werken von E. T. A. Hoffmann, in denen viele Figuren ein Doppelleben in zwei Welten führen. Bei Caspar David Friedrich wirkt diese Spannung ebenfalls, wenn gerade der gewöhnliche Kiefernforst das formale Gerüst seiner Komposition bildet. So führt er eine abstrakte Komponente ein, die aber durchscheinend wird für das Licht. Abstraktion und Transzendenz beginnen hier eine Beziehung, die sich in der weiteren Entwicklung der Kunst vertiefen wird. Die rationale Konzeptionalität Friedrichs zeigt sich am deutlichsten in den geometrischen Schemata seiner Komposition. Diese verborgene Geometrie ist schon oft beobachtet und beschrieben worden.57 Der Goldene Schnitt spielt fast immer eine Rolle, Symmetrie und Paarbildung, Formen wie Dreieck, Ellipse, Kreis, die Spannung aus Horizontale und Vertikale, parallele und schräge Linien hinterlegen die Bilder. Man könnte vom „Aufgehen einer mathematischen Gleichung“ oder einer Mathematisierung der Natur sprechen. Damit lassen sich, „anknüpfend an Friedrichs Kompositionsfiguren, den geheimen geometrischen Grund seiner Bilder, 67

Ökonomie im Wald

Verbindungen zur konstruktiven Seite der abstrakten Kunst ziehen, zum Kandinsky der Bauhausjahre wie zum Stijl oder zu El Lissitzky“.58 Das macht seine Modernität aus und widersetzt sich Versuchen, seine Bilder als historische Vorbilder schöner Landschaft zu fixieren. Was ist eine schöne Landschaft  ? Bei den ersten Natur- und Landschaftsschützern findet sich im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert eine ausgeprägte Abneigung gegen die gerade Linie, gegen die sogenannte Mathematisierung der Landschaft und das Maschinenwesen, gegen Quadrate und das abstrakte Formenrepertoire schlechthin. Als schön galt eine Landschaft, in der kleinteilige, unregelmäßige oder bizarre und rundliche Formen vorherrschen. Von Autoren wie Wilhelm Heinrich Riehl (1823–1897) oder Ernst Rudorff (1840–1916) her ist diese Anschauung ins Repertoire konservativer Naturschützer eingegangen. Auch Caspar David Friedrichs Bilder wurden aufgrund ihrer Stimmung und Gefühlstiefe als Mustervorbilder einer schönen Landschaft herangezogen. Die Naturschutzbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts fasste die Werke der romantischen Malerei des 19. Jahrhunderts quasi dokumentarisch auf und rief sie zu Zeugnissen eines vergangenen Bestandes wilder germanischer Urwälder auf. Die Stangenwälder wurden nun mit Verachtung betrachtet. Man konfrontierte romantische Gemälde mit zeitgenössischen Fotografien, um zu dokumentieren, wie sich die Landschaft in den letzten 100 Jahren zum Schlechteren verändert habe. Dabei wurden systematisch Stadien der Entwicklung der Kulturlandschaft, die künstlerischen Positionen der Romantik und eine angenommene ursprüngliche Natur miteinander vermischt und gegen die Gegenwart ausgespielt. Man wollte das Ursprüngliche wiederherstellen, meinte aber im Grunde die imaginären Landschaften der Romantiker.59 Aus dieser Perspektivenvermischung entstehen Unklarheiten, die noch heute zu der Frage führen, welche Natur wir eigentlich schützen möchten. Genauer gesagt, müsste diese 68

Friedrich, Der Abend

Fragestellung lauten, welchen historischen Zustand der Kulturlandschaft wir gegenüber anderen priorisieren möchten und warum. Die Entwicklung einer Landschaft ist dynamisch und ändert sich mit der Nutzung. Der Grundsatz „Form follows function“ gilt auch hier. Die Konservierung einer Bildoberfläche in der Landschaft bleibt steril, wenn nicht Nutzungszusammenhänge dahinterstehen. Ebenso dynamisch ändert sich die ästhetische Orientierung einer Gesellschaft. Beide Bewegungen können, aber müssen nicht zusammengehen. Eine Bildnostalgie jedenfalls führt nicht weiter, denn die Argumentation mit der Bildoberfläche mündet sehr schnell in Geschmacksfragen. Zukunftsorientierte Lösungen sind nicht zu erwarten, wenn die historischen Bilder gegen die Entwicklungen der Moderne ausgespielt werden. Die Betrachtung eines Kunstwerks sollte vielmehr dazu anregen, die Definition der Schönheit einer Landschaft offenzuhalten. Die Entwicklung der produktiven Ästhetik zeigt uns immer neue Formen von Schönheit, die wir, wie auch frühere Zeiten schon, in die Landschaft zurückprojizieren  : Auch weite, ebene Flächen von einheitlicher Farbwirkung, starke horizontale Linien oder geometrische Formationen können schön sein. Die bildende Kunst – von der Abstraktion über die Farbfeldmalerei bis zur zeitgenössischen Fotografie – hat hier ständig neue Wahrnehmungskategorien geschaffen. Friedrich gehört in die Vorgeschichte dieser Reihe. In dem Maße, wie die Künstler nicht mehr Gottes Schöpfung, sondern die Schöpfung des Menschen in der Natur und ihrer Umwelt vorfinden, wird Kunst zunehmend konzeptionell. Die Wahrnehmung selbst und die Bedingungen ihrer Möglichkeit werden zum Thema. Die Kunst wird zur neuen Gestaltungsmacht des Bewusstseins. Daraus erwächst ihr ein utopisches Potenzial, als Avantgarde Grenzüberschreitungen einzuleiten und neue Wahrnehmungsräume zu öffnen. Die Kraft zu Veränderungen kann hieraus Energie gewinnen. Aber die Frage, wo Hecken zu pflanzen und wie Wälder klimafest zu machen sind, wird uns die Kunst nicht beantworten.

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Ökonomie im Wald

Dennoch haben die romantischen Bildmuster eine zwar sachlich nicht stichhaltige, aber auf emotionalen Wegen umso wirkungsvollere Bindung der Deutschen an den Wald geschaffen. Obwohl der Wald zu den am ehesten im Sinne der Nachhaltigkeit kultivierten Landschaften Deutschlands gehören dürfte, blieb die Beziehung der Deutschen zum Wald als Ausdruck inniger Naturverbundenheit eine besondere. Dieser besonderen Bindung ist es u. a. zu verdanken, dass es ihn überhaupt noch in diesem Umfang gibt und man sich seit den 1970er Jahren sogar an die Entwicklung „echter“ Wildnis in den Wäldern heranwagt.

Das ökologische Auge  : Ökonomisierung des Waldes Neue Wälder Der Stangenwald lenkt den Blick wieder auf die Prosa der Verhältnisse. Im 18. Jahrhundert war der Anteil des Waldes in ganz Mitteleuropa auf ein Minimum zurückgegangen. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts, zum Teil auch schon früher, wurden vermehrt die anspruchslosen und schnell wachsenden Kiefern und Fichten angebaut, im Zuge verstärkter, nun ökonomisch und langfristig angelegter Waldnutzung. Auch das eine Konsequenz aus dem Gedanken der Nachhaltigkeit, die nun allerdings eher ökonomisch verstanden wurde. Damit gelang zwar eine Wiederaufforstung verlorener Wälder, allerdings entstanden Monokulturen, die langfristig neue Probleme schufen. Mitte des 19. Jahrhunderts war in Sachsen von dem Ingenieur Max Robert Preßler die sogenannte Bodenreinertragslehre entwickelt worden. Dabei ging es um die Verzinsung des investierten Kapitals, die sich aus dem Verkaufswert des Baumbestandes und des Bodens abzüglich der Verwaltungskosten ergab. Ziel war, die höchsten Reinerträge zu erwirtschaften, und das regelmäßig und nachhaltig. Hier wird schon deutlich, wie der Begriff der Nachhaltigkeit frühe Verschleißspuren zeigt. Die Bodenreinertragslehre propagiert schnell wachsende Monokulturen, vornehmlich von 70

Friedrich, Der Abend

Fichte und Kiefer, und Kahlschläge zur Aberntung. Obwohl diese Lehre nur in Sachsen und in den österreichischen Ländern konsequent umgesetzt wurde, nahm die Aufforstung mit Kiefern und Fichten im 19. Jahrhundert auch anderswo deutlich zu.60 Ab etwa 1850 wurden die ehemaligen Heiden in Niedersachsen und Teile Schleswig-Holsteins mit Kiefern bepflanzt. Der Pflanzenökologe Hansjörg Küster betont, dass es zu den viel kritisierten schnellwachsenden Nadelhölzern zum damaligen Zeitpunkt angesichts der durch Übernutzung verarmten Böden gar keine Alternative gegeben habe. Auch der Wildverbiss machte den Förstern zu schaffen, da es die großen Raubtiere nicht mehr gab. Fichte und Kiefer werden von den Rehen jedoch aufgrund ihres hohen Harzgehalts nicht so gerne angefressen wie Buche, Ahorn oder Tanne.61 Um die Prinzipien der nachhaltigen und auch der ökonomischen Nutzung der Wälder durchzusetzen, mussten zunächst einmal die Wälder generell überwacht werden. Die zahlreichen Nebennutzungen, wie Waldweide, Holzeinschlag, Sammeln von Streu, Abtragung des Bodens, Harzgewinnung, wurden nun unterbunden. Der Wald war nicht mehr Teil einer Allmende, sondern befand sich im Staatsbesitz oder auch Privatbesitz. Die Forstflächen wurden durch ein rasterförmiges Netz von Wegen durchzogen. Die Gevierte dazwischen konnte so verschiedenen jagdlichen und forstwirtschaftlichen Funktionen gewidmet werden. Da der Wald nun auch nach außen klar abgegrenzt ist, wird sein Erscheinungsbild ordentlicher und geometrischer. Mit dem Fortschreiten der Industrialisierung konnte zwar immer noch genügend Holz abgesetzt werden, um Wälder gewinnbringend zu betreiben, mit dem Aufkommen der Kohle ließ der Druck auf das Holz aber so weit nach, dass die Förster langfristig an die Planung von Wäldern herangehen konnten. Viele Flächen, die durch den Strukturwandel der Landwirtschaft ihre Funktion verloren, wurden nun aufgeforstet. Das Ergebnis zeigt sich in der Landschaft zum Teil erst heute. Dass heute mit etwa einem Drittel der Fläche überhaupt so viel Wald in Deutschland vorhanden ist, verdankt

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Ökonomie im Wald

sich auch den vorausblickenden, eben „nachhaltigen“ Pflanzungen des 19. Jahrhunderts. Dabei nahm bereits damals die Öffentlichkeit in Deutschland großen Anteil an der Diskussion um den Wald. Hier sind die Wurzeln der besonderen Beziehung zum Wald zu suchen, die sich in Deutschland aufgebaut hat und bis heute wirkt. Die Romantiker hatten dabei einen großen Einfluss, aber auch die politische Grundstimmung, die sich in den Napoleonischen Kriegen in Deutschland entwickelt hatte. Aus der Lektüre der „Germania“ des Tacitus konnte man ableiten, dass die Germanen den Römern nur aufgrund der dichten Bewaldung ihres Landes widerstanden hatten. Bereits im 18. Jahrhundert hatte der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock Hermann dem Cherusker, Sieger über die Römer im Teutoburger Wald, eine Dramen-Trilogie gewidmet. Man sah hier einen Ursprungsmythos der Deutschen. Den Sieg Hermanns über die Römer verstand man als Geschenk der Wälder. Hieraus wurden Parallelen zu den Franzosen gezogen, denen man wie den Römern nicht zutraute, sich in den deutschen Wäldern zu orientieren. Der wilde Wald wird so eng mit der Definition deutschen Wesens und deutscher Eigenart verknüpft. Auch die deutsche Eiche galt als Symbolbaum eines einfach lebenden, gemeinschaftlich und heldisch gesinnten Volkes, das die Götter in heiligen Hainen verehrte. Heinrich von Kleists „Hermannsschlacht“ belebt 1808 nach der Niederlage Preußens gegen Frankreich diesen Mythos erneut. Auch Caspar David Friedrichs „Chasseur im Walde“ (1814) gehört in diesen Themenkreis  : Ein französischer Soldat steht einer dunklen Waldmasse gegenüber, im Winter, der Weg ist durch Schnee verdeckt, eine Krähe auf einem Baumstupf verbreitet Unglücksstimmung. Die Brüder Grimm gaben von 1813 bis 1816 eine der Sammlung von mittelalterlichen Texten gewidmete Zeitschrift heraus, die sie „Altdeutsche Wälder“ nannten. Und natürlich kann man sich Grimm’sche Märchen kaum vorstellen ohne Wald.62 Die Aufforstung wurde zum nationalen Projekt. Märchen haben den Wald in aller Munde gebracht, Dichtungen der Romantik erzählen vom Wald  : Ludwig Tieck hat mit seinem Kunstmärchen „Der blonde Eckbert“ 72

Friedrich, Der Abend

das Wort von der „Waldeinsamkeit“ in Umlauf gesetzt. Der romantische Wald ist eine symbolische Landschaft, ein Projektionsraum von Sehnsüchten  ; dies steht außer Frage. Dass diese Echokammer durch den Nationalsozialismus im eigenen politischen Interesse instrumentalisiert werden konnte, hat allerdings den Nationalmythos der Romantiker gründlich beschädigt. Die Projektionen der Romantiker haben sich jedoch an einen Wald geheftet, der nach und nach aller menschlichen Lebendigkeit, die durch die traditionellen Nutzungen in den Wald getragen wurde, entkleidet worden war. Der Wald des Volkes ist belebt  : Menschen, die Kühe und Schweine hüten, Menschen, die Laub- und Nadelstreu sammeln, die sich Totholz holen oder Harz zapfen, schaffen eine Atmosphäre im Wald, die nicht an Waldeinsamkeit denken lässt. Ein lichter Weidewald oder ein immer wieder beschnittener Niederwald sind nicht dunkel und geheimnisvoll. Und so scheinen es ausgerechnet zwei wenig volkstümliche Waldtypen gewesen zu sein, die tatsächlich dunkel und still genug waren, um als Projektionsfläche zu taugen  : der unberührte Herrschaftswald und der aufgeteilte, abgegrenzte und quasi verbeamtete Wald der Aufforstungen. Waldsterben und Klimawandel Nach dem Zweiten Weltkrieg häuften sich in den Wäldern die Probleme, denn die künstlich aufgeforsteten Plantagen wurden alt. Schädlinge breiteten sich aus, Sturmschäden griffen vor allem unter den groß gewordenen Fichten um sich, die flache Tellerwurzeln haben. Auch Schneebruch und Eisregen richteten Schäden an. Waldbrände zum Teil verheerenden Ausmaßes wie 1976 in der Südheide in Niedersachsen verschärften die Lage. Auf diese Situation traf in den 1980er Jahren der große Schock, der durch die Nachrichten vom „Waldsterben“ durch sauren Regen ausgelöst wurde. Große Anstrengungen zur Luftreinhaltung wurden unternommen, Rauchgasentschwefelungsanlagen vorgeschrieben. Der Wald und seine Erhaltung wurden zum Katalysator der Umweltbewegung, die sich nun vereint mit 73

Ökonomie im Wald

Jägern und Förstern unter diesem Leitmotiv mit Naturschützern zusammenfinden konnte. Der Umweltschutz wurde zur „deutschen Volksbewegung“, wie Joachim Radkau formuliert.63 Die Bedrohung der Wälder durch Luftschadstoffe ist heute kein akutes Thema mehr. Dafür lassen sich neue Probleme durch den Klimawandel absehen. Die Wälder reagieren nicht nur sensibel auf den Klimawandel, sondern spielen zugleich eine wichtige Rolle im Klimaschutz. Die deutschen Wälder leisten einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Sie gehören mit 337 Kubikmetern Holz pro Hektar zu den vorratsreichsten in Europa. In lebenden Bäumen und im Totholz sind derzeit 1.169 Millionen Tonnen Kohlenstoff gebunden. Die Bodenzustands­ erhebung im Wald gibt für die Streuauflage und den Mineralboden einen Vorrat von weiteren 850 Millionen Tonnen Kohlenstoff an. Der Wald in Deutschland wirkt derzeit als Senke und entlastet die Atmosphäre jährlich um rund 52 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Durch die Speicherung von Kohlenstoff in langlebigen Holzprodukten wird diese positive Klimawirkung der Wälder weiter verstärkt. Jeder Kubikmeter Holz enthält etwa 0,3 Tonnen Kohlenstoff, der in Produkten wie Gebäuden oder Möbeln jahrzehntelang gebunden ist. Wenn Holz dabei energieintensive Materialien ersetzt, werden Treibhausgasemissionen, die bei der Produktion anderer Materialien entstehen, in erheblichem Ausmaß eingespart. Hinzu kommt die energetische Verwendung von Holz, die einen wichtigen Beitrag zur Verringerung fossiler Brennstoffe leistet.64

Viele Wälder sind immer noch Monokulturen, deren Widerstandsfähigkeit nicht groß ist, obwohl die Umwandlung in Laubmischwälder voranschreitet. Man vermutet, dass der prognostizierte Klimawandel die Zusammensetzung der Baumarten beeinflussen wird. Die Schnelligkeit, mit der die Erwärmung sich vollzieht, steht im Missverhältnis zur Langlebigkeit der Bäume. Man kann nicht einfach abwarten, wie das Mischungsverhältnis sich an die neuen Klimabedingungen anpasst, sondern muss der Entwicklung vorgreifen. Schädigungen durch extreme Wetterereignisse sind auf 74

Friedrich, Der Abend

Es wird eine Weile dauern, bis hier Urwald nachwächst  : saurer Regen, Klimawandel und Borkenkäfer im Nationalpark Harz (2017). 75

Ökonomie im Wald

jeden Fall zu erwarten  : etwa Windbruch und Trockenstress oder vermehrter Schädlingsbefall durch verändertes Klima. Wassermangel würde auch die Waldbrandgefahr erhöhen. Es ist zu erwarten, dass manche Zonen sich mit veränderten Klimabedingungen als ungeeignet für die Baumarten erweisen werden, die dort stehen. Dies könnte auf einige nach dem Zweiten Weltkrieg aufgeforstete Fichtenwälder zutreffen. Bisher unauffällige invasive Pflanzen und Tiere könnten sich unter wärmeren Temperaturen besser entwickeln und auf unerwünschte Weise ausbreiten. Deshalb bemüht sich die Forstwirtschaft grundsätzlich um eine höhere Vitalität in den Wäldern. Man versucht Baumarten auszuwählen, die mit Trockenheit besser zurechtkommen. Diese Strategie ist jedoch je nach Standort regional unterschiedlich auszugestalten und fortlaufend anzupassen.65 Auf jeden Fall wird das Bild der Wälder sich ändern. Neue Waldliebe Im Jahr 2015 wird ein Buch über den Wald zum Bestseller. Der Förster Peter Wohlleben beschreibt „Das geheime Leben der Bäume“ und findet damit einen Weg in die Gemüter der Menschen. Wohlleben ist einer, der sich der Kommerzialisierung des Waldes strikt entgegenstellt. Er tritt für die Plenterwirtschaft ein, die den Wald schont, und begrüßt den Plan der Bundesregierung, 5 Prozent des Waldes sich frei entwickeln zu lassen. Im Plenterwald sind Bäume aller Alters- und Größenklassen vermischt, es wird fortwährend verjüngt, nur einzelne Stämme werden gefällt. Und bei Wohlleben auch schon einmal mit Pferden aus dem Wald gezogen. Der Einsatz großer, schwerer Maschinen, der Holzvollernter oder Harvester, kommt hier nicht infrage. Fünf bis 10 Prozent der Fläche sollen im Plenterwald unter Schutz stehen. Dieser Waldtyp ähnelt damit eher den alten Allmendwäldern als den auf Effizienz getrimmten Forsten, die sich seit dem 19. Jahrhundert entwickelt haben. Wohlleben findet eine Sprache, die sich vom Katastrophenton der Ökobewegung ebenso abhebt wie von der abstrakten Wissenschaftssprache. Er 76

Friedrich, Der Abend

hört etwas, sieht etwas, ist achtsam und das teilt er mit. Sein Untertitel deutet auf Kommunikation  : „Was sie [die Bäume] fühlen, wie sie kommunizieren – die Entdeckung einer verborgenen Welt“. Grundsätzlich macht er offenbar etwas richtig, denn das Buch wird gelesen und Wohlleben schickt weitere Titel nach. Er vermittelt eine Fülle von Wissen über den Wald, das man zum Teil wohl auch anderswo beziehen kann. Aber die Art und Weise, wie er das Wissen mitteilt, ist anders. Sein Tonfall ist grundsätzlich von einem Gefühl der Verbundenheit getragen. Es gelingt ihm dadurch, den Wald als Einheit lebendig werden zu lassen. Das ist etwas anderes, als die Ökosystemdienstleistungen des Waldes zu beschreiben. Damit wird der Wald plötzlich wieder zum Resonanzraum des Vorstellungsvermögens. Die Idee von der Sprache des Waldes führt dazu, dass Menschen sich angesprochen fühlen. Angesprochenwerden ist aber eine Voraussetzung für Verantwortung.66 Kommunikation und Verantwortung dürfen wir vielleicht auch als späte Abkömmlinge der Resonanzräume der Seele betrachten, die Caspar David Friedrichs Bilder eröffnet haben.

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Johann Adolf Lasinsky, 1808–1871, Blick auf das Rheinufer mit Ehrenbreitstein, 1828, Öl auf Leinwand, 90 × 122 cm, Bonn, LVR-LandesMuseum.

Flusslandschaft mit schöner Aussicht  : Die Entstehung der Wasserautobahn Das Bild  : Lasinsky, Der Rhein bei Koblenz-Ehrenbreitstein

Anmutig wie eine Parklandschaft wirkt dieser Blick auf die Festung hoch über dem Fluss. Vorder-, Mittel- und Hintergrund sind nach den Gesetzen der klassischen Landschaftsmalerei gestaffelt. Ein schönes Beispiel der Rheinromantik aus der Düsseldorfer Malerschule. Das Aha-Erlebnis hier  : ein Holzfloß auf dem Fluss, mit mindestens fünf Hütten und zwei dichten Reihen von Ruderern fast ein schwimmendes Dorf. Man nannte diese Flöße auch „Holländerflöße“, denn die Niederlande hatten einen hohen Bedarf an Holz für den Schiffbau. Schon zur Zeit unserer flämischen Bildbeispiele war die Holzsituation in den Niederlanden prekär gewesen. Die Sorge um einen Holzmangel steigerte sich im 17. und 18. Jahrhundert. Das Holz kam damals häufig aus dem Schwarzwald. Unser Bild zeigt rechts, wie ein Floß zum Verkauf auseinandergenommen wird. Ein Pferd zieht einen langen Baumstamm an Land. Das Ganze ist eingebettet in eine Szenerie, die die beliebten Elemente der Rheinlandschaft versammelt  : breit hingelagert der Strom, lebhaftes Treiben der Menschen, eine Festung, liebliche grüne Hügel, klassisch anmutende Gebäude mit Pappeln links, hübsche Ansiedlungen und viel Himmel. Lasinskys Arbeiten wurden überaus populär und in zahlreichen Drucken verbreitet. Heute gehört das obere Mittelrheintal zum UNESCO -Welterbe und man möchte es wieder mehr als „Kunstkulisse“ bekannt machen. Daher hat der Künstler Armin Thommes auf den Spuren des englischen Malers William Turner 26 Standorte herausgefunden, von denen aus der Maler auf seine Motive blickte, und wird sie mit Bodenplatten aus Bronze versehen, in die Fußstapfen eingelassen sind. „Da können sich Touristen reinstellen, dann haben sie Turners Blickwinkel“, lässt sich erfreut die Tourismusförderung vernehmen.67 79

Die Entstehung der Wasserautobahn

Es waren englische Touristen und Schriftsteller, die die liebliche Schönheit und die pittoresken Burgruinen des Rheins im frühen 19. Jahrhundert als Reiseziel entdeckt hatten. Lord Byron war da, Mary Shelley ebenfalls, William Turner reiste an den Rhein und kehrte mit vollen Skizzenbüchern zurück. Seine Arbeiten wurden berühmt. Auch Madame de Staël und Victor Hugo besuchten den berühmten Strom und rühmten seine Schönheit. Als das Gothic Revival aus England Deutschland erreichte, wurden zahlreiche Burgen am Rhein restauriert und samt mittelalterlicher Ausstattung rekonstruiert. Man vollendete den Kölner Dom. Die deutsche Rhein- und Burgenromantik startete also als frühes Projekt der Tourismusförderung. Deutsche Dichter und Maler entdeckten den Rhein für sich und schufen mit ihren Werken eine Ideallandschaft, in der ästhetische und politische Intentionen eine eigene Mythologie des Rheins ausgebildet haben. Im Mittelpunkt des schönen Scheins regiert die Loreley – 1827 publizierte Heinrich Heine sein berühmtes und vielfach vertontes Gedicht. Aber an den Peripherien des Mythos bedrohte die „Wacht am Rhein“ den französischen Nachbarn und mit dem „Rheingold“ dämmerte ein neuer Militarismus.68 Die Festung Ehrenbreitstein, die wir hier sehen, war 1488 unter Kurfürst Johann II. als Landesfestung des Erzbischofs von Trier begründet worden. Im 17. Jahrhundert wurde die Festung ausgebaut, im 18. Jahrhundert von den französischen Revolutionstruppen gesprengt. Friedrich Wilhelm III. von Preußen ließ sie ab 1815 als Schutzwall für die preußischen Rheinprovinzen wieder aufbauen und verstärken.69 Die Festung ist ein Herrschaftssymbol und hat eine dunkle politische Vergangenheit. Mit einem Blick hinter die Kulissen desillusionierte schon früh den schönen Schein der Forscher und Weltreisende Georg Forster (1754–1794). Er berichtet in seinen „Ansichten vom Niederrhein“ aus dem Jahre 1794  : Wir erstiegen den Ehrenbreitstein. Nicht die unwichtige Kostbarkeit dieser Festung  ; nicht der Vogel Greif, jene ungeheure Kanone, die eine Kugel von hundert und sechzig Pfunden bis nach Andernach schießen soll, aber doch wohl nie geschossen hat  ; nicht alle Mörser, Haubitzen, Feldschlangen, Zwölf- und Vierundzwanzigpfünder, 80

Lasinsky, Der Rhein bei Koblenz-Ehrenbreitstein

lange gezogene Röhre, Kartätschenbüchsen, Graupen, und was sonst im Zeughause oder auf den Wällen zu bewundern ist  ; nicht die weite Aussicht von dem höchsten Gipfel des Berges, wo Koblenz mit dem Rhein und der Mosel landkartenähnlich unter den Füßen liegt – nichts von dem allen konnte mich für den abscheulichen Eindruck entschädigen, den die Gefangenen dort auf mich machten, als sie mit ihren Ketten rasselten und zu ihren räucherigen Gitterfenstern hinaus einen Löffel steckten, um dem Mitleiden der Vorübergehenden ein Almosen abzugewinnen. Wäre es nicht billig, fiel mir dabei aufs Herz, daß ein jeder, der Menschen zum Gefängniß verurtheilt, wenigstens Einen Tag im Jahre mit eigenen Ohren ihr Gewinsel, ihre himmelstürmende Klage vernehmen müßte, damit ihn nicht der todte Buchstabe des Gesetzes, sondern eigenes Gefühl und lebendiges Gewissen von der Rechtmäßigkeit seiner Urtheile überzeugte  ?70

Zur Zeit der Entstehung des Gemäldes war die Rheinregulierung bereits im Gange. Der Ausbau zur Wasserstraße bzw. Wasserautobahn zeichnete sich ab.

Das ökologische Auge: Flussregulierungen Holländer Michel Sie handeln mit ihrem Wald  ; sie fällen und behauen die Tannen, flößen sie durch die Nagold in den Neckar und von dem oberen Neckar den Rhein hinab, bis weit nach Holland, und am Meer kennt man die Schwarzwälder und ihre langen Flöße  ; sie halten an jeder Stadt, die am Strom liegt, an und erwarten stolz, ob man ihnen Balken und Bretter abkaufen werde  ; ihre stärksten und längsten Balken aber verhandeln sie um schweres Geld an die Mynheers, welche Schiffe daraus bauen.71

„Das kalte Herz“ von Wilhelm Hauff wird in den letzten Jahren, nach der Finanzkrise 2008 und bei zunehmendem Klimabewusstsein, wieder besser verstanden. Der Publizist Ulrich Grober integriert das Märchen in seine 81

Die Entstehung der Wasserautobahn

Darstellung des Aufstiegs nachhaltiger Werte unter der Überschrift „Das Kalte-Herz-Syndrom – Anatomie der Gier“72, 2014 inszenierte Armin Petras den Stoff am Stuttgarter Staatstheater und im Herbst 2016 startete eine neue Verfilmung des Kunstmärchens, ein ambitionierter deutscher Spielfilm, der formal an das Fantasy-Genre anschließt und sich wie auch die Theaterinszenierung kulturkritisch an Erwachsene wendet. Hauff entwickelt seine Schwarzwald-Geschichte aus den Spannungen in einer hierarchisch geordneten Bevölkerung, die in drei Gruppen zerfällt  : die eher mittelständisch-handwerklich orientierten Glasmacher auf der badischen Seite, für die das „Glasmännlein“ steht, die kapitalistischen Holzhändler und Flößer, repräsentiert durch den „Holländer Michel“, und schließlich die arme und von der Zeitentwicklung an den Rand gedrängte Schicht der Köhler, der die Hauptfigur, der Peter Munk angehört. Peter Munk beneidet die reichen Flößer und verkauft sein Herz an den bösen Geist des Waldes. Der Holländer Michel hatte, so Hauffs Märchen zur die Genese des giergetriebenen Holzraubbaus, die Flößer zuerst auf den Gedanken gebracht, ihr Holz nicht nur bis Köln zu bringen, sondern es teuer nach Holland zu verhandeln. Die Gewinnspanne möge man dann selbst behalten. Hier fällt bereits der Begriff „Profit“  : „Lasset und die kleinen Balken hier verkaufen und mit den großen nach Holland gehen  ; was wir über den gewöhnlichen Preis lösen, ist unser eigener Profit.“73 Das hat böse Folgen für die Moral der Menschen  : „(…) und unvermerkt kam Geld, Flüche, schlechte Sitten, Trunk und Spiel von Holland herauf.“74 Peter Munk durchläuft diese Entwicklung ebenso  : Nach dem gescheiterten Versuch, eine Glashütte zu managen, die er sich vom Glasmännlein hatte herwünschen lassen, gerät er doch noch an den Holländer Michel. Durch den dunklen Handel mit dem bösen Geist wird er zwar reich, verliert aber seine Empfindungsfähigkeit. Der Holländer Michel macht ihm diesen Tausch mit der hellsichtigen Begründung schmackhaft, dass er so auch gegen die Kränkungen und Zurücksetzungen des Berufs- und Wirtschaftslebens gefeit sei. Aber der Kohlenmunkpeter bemerkt bald, dass er auch jede Freude und Anteilnahme verloren hat. 82

Lasinsky, Der Rhein bei Koblenz-Ehrenbreitstein

Das kalte Herz befähigt ihn jedoch zunächst, auf der kapitalistischen Stufenleiter eine noch höhere Sprosse zu erklimmen  : Sein Hauptgeschäft war, mit Korn und Geld zu handeln. Der halbe Schwarzwald wurde ihm nach und nach schuldig, er lieh Geld nur auf zehn Prozent aus oder verkaufte Korn an die Armen, die nicht gleich zahlen konnten, um den dreifachen Wert.75

Das ist Ausbeutung durch kaufmännischen Kapitalismus. Den moralischen Niedergang des Kohlenmunkpeters lässt Hauff im Mord an seiner geliebten Frau seinen Tiefstand erreichen. Er will nun sein Herz zurück und erfährt, dass der Holländer Michel die Herzen aller reichen Leute in der Gegend gegen Steine ausgetauscht hat. Das ist der giergetriebene Deal, bei dem Geld gegen die Herzenswärme der vorkapitalistischen ständischen Gesellschaft verhandelt wird. Das Märchen endet versöhnlich  : Peter bereut und richtet sich mithilfe des Glasmännleins fortan mit seiner wiederauferstandenen Frau im soliden mittelständischen Handwerk ein, das ihn zu selbst erarbeitetem Wohlstand führt. Hauffs Geschichte reflektiert eine Entwicklung, die den Holzhandel mit den Niederlanden zu einem wichtigen europäischen Handelszweig gemacht hatte. Im Umfeld der großen Städte Europas war das Holz nach und nach verschwunden. Stadtwälder und stadtnahe Gehölze wurden abgeholzt oder zu Niederwäldern geschnitten. Man brauchte aber Bauholz, Holz für Handelsflotten und Kriegsschiffe in großer Menge und hoher Qualität. So holte man das Holz über die großen Flüsse, die von den waldreichen Gebirgen in der Mitte Europas zu den Rändern des Kontinents strömen. Handel und Wirtschaft erhielten damit eine neue Dimension.76 Man hat mit Recht darauf hingewiesen, dass die Holländer auch im Sklavenhandel viel Geld verdienten  ; sicherlich wurde das Holz auch in Sklavenschiffe verbaut. Die wirtschaftlichen Fortschritte in die moderne Welt basieren, so zeigt dieser Seitenblick, nicht nur auf Ausbeutung von Natur, sondern auch auf Ausbeutung von Menschen in den Kolonien und letzten Wildnissen der Erde.77 83

Die Entstehung der Wasserautobahn

Flößerei wurde auf dem Rhein über das ganze Mittelalter hinweg betrieben und erreichte im 18. Jahrhundert einen Höhepunkt. Eine umfangreiche Infrastruktur entstand. Die württembergischen und badischen Flöße trafen sich in Mannheim, das Stapelrecht hatte, was bedeutete, dass die Flöße auseinandergebaut wurden, um das Holz zum Verkauf anzubieten. Das Gleiche geschah in anderen Städten mit Stapelrechten, wie z. B. in Mainz. Hier wurde ebenfalls das Holz an die Städter verkauft, die Flöße wurden wieder anders gebunden  : Es kamen über den Main die Fichten aus dem Frankenwald hinzu sowie Eichen aus dem Spessart. Die nächste Station war Koblenz, eine weitere Stadt mit Stapelrecht, Schauplatz des Gemäldes von Lasinsky. Es folgte Köln, das ebenfalls ein großer Holzumschlagsplatz war und auch im Märchen genannt wird. Der romantische Mittelrhein mit seinem gewundenen und engen Verlauf bildete dabei eine mühsame und gefährliche Passage. Hier wohnte die Loreley und wurde für manchen Schiffbruch verantwortlich gemacht. In Koblenz kam Eichenholz aus der Mosel in das Floß. Immer mehr Holz wurde im Laufe der Fahrt aufgenommen, so dass die fahrbaren Inseln enorme Ausmaße annahmen. Ein Rheinfloß konnte über 300 Meter lang und 30 Meter breit werden. Es trug ein ganzes Dorf aus Bretterbuden in dem einige Hundert Menschen – Ruderknechte und Arbeiter – lebten und versorgt wurden. Auch lebende Ochsen wurden als Proviant mitgenommen und unterwegs geschlachtet. In Holland war dann seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts vor allem Dordrecht das Ziel der Reise. Hier gab es zahlreiche Werften, die das Holz zügig in Schiffe umsetzten. Begehrt waren gerade Stämme aus Nadelholz für Schiffsmasten, die sogenannten „Holländertannen“, aber auch krumm gewachsene Eichen, aus denen die bauchigen Rümpfe der vor allem von der Hanse betriebenen Koggen gebaut wurden. Gerade gewachsene Eichen brauchte man für Planken und Schiffsböden. Holländische Schiffe hatten aufgrund der guten Bezugsquellen einen hohen Anteil an Nadelholz  ; dadurch waren sie leichter als die der konkurrierenden Flotte der Engländer, die nach dem Verbrauch ihres eigenen Holzes auf Importe aus Skandinavien und dem Baltikum angewiesen waren. 84

Lasinsky, Der Rhein bei Koblenz-Ehrenbreitstein

Aber die Holländer verbrauchten das Holz auch für die Kais ihrer Häfen und für den Kampf gegen das Wasser  : für die Befestigung von Kanälen und Entwässerungsgräben, für den Deichbau, die Sieltore und die zahlreichen Windmühlen, die das Wasser aus dem Land pumpten, für Gebäude, die auf Pfähle gestellt werden mussten. Das „Goldene Zeitalter“ Hollands im 17. und 18. Jahrhundert basierte auf Holz und der Strom, der es beförderte, war der Rhein  : Der Rhein ist der Fluß aus der Mitte Europas mit dem stärksten Gefälle, der außerdem lange Zeit im Jahr ziemlich gleichmäßig hohen Wasserstand hat  ; im Gegensatz zu anderen Flüssen erreicht er einen höheren Wasserstand oft im Sommer, wenn in den Alpen der Schnee schmilzt. Zu starke Hochwasserspitzen oder zu niedrige Wasserstände werden dadurch verhindert, daß der Rhein in seinem Oberlauf ein riesiges Wasserreservoir passiert  : den Bodensee.78

Er ist damit prädestiniert, zur Wasserschnellstraße Europas zu werden. Wasserschnellstraße Die schwerfälligen Flöße mussten mit zunehmender Industrialisierung anderen Transportmitteln weichen. Der Rhein aber wurde als europäischer Fluss zum Katalysator eines der rasantesten Urbanisierungs- und Industrialisierungsprozesse Europas. Er führt durch das Ruhrgebiet, eine der gewichtigsten europäischen Industrieregionen, und mündet in Rotterdam, dem größten europäischen Seehafen, in die Nordsee. Zahlreiche Industrie­ unternehmen haben sich am Rhein angesiedelt, unter ihnen große chemisch-pharmazeutische Werke. Die Städte, die sich am Rhein entwickelt haben, bilden einen der am dichtesten besiedelten Ballungsräume Europas. Hier liefen und laufen noch Umbauprojekte, die zu den größten und auch zu den heftig diskutierten der jüngeren Umweltgeschichte gehören. In mehreren Schritten wurde der Rhein begradigt  : Zwischen 1817 und 1876 wurde der Flusslauf am Oberrhein zwischen Basel und Mannheim 85

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um über 80 Kilometer auf rund 270 Kilometer verkürzt. Insgesamt wurde der Rhein bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts fünf großen Umbauprojekten unterzogen  : zwei Korrektionsprojekten zur Begradigung ab 1817 und ab 1840, dann folgte ab 1906 eine Niederwasserregulierung zugunsten der Schifffahrt, 1928 begann man mit dem Bau des Grand Canal d’Alsace im Zeichen der Energiegewinnung und schließlich wurde 1988 das Integrierte Rheinprogramm Baden-Württembergs zur Auenrenaturierung beschlossen. Hochwasserschutz, verbesserte Schiffbarkeit, Energiegewinnung durch Wasserkraft, Abwasserentsorgung und Umweltschutz markieren das Spannungsfeld, in dem die Rheinpolitik im deutsch-französischen Zusammenspiel sich bewegt.79 Der Oberrhein bildete im 18. Jahrhundert keine klar gefasste Linie, sondern eine mehrere Kilometer breite Wasser-Land-Sumpfzone. Die Menschen hatten sich jahrhundertelang bevorzugt an den Hochgestaden angesiedelt, die Flussauenzonen wurden nur gelegentlich und dann unter Risiko genutzt. Erst ab dem 17. und 18. Jahrhundert drangen Menschen mit ihren Siedlungen auch in den überschwemmungsgefährdeten Risikobereich ein, zumal der Boden sich als sehr fruchtbar erwies. Der vielfältige und opferreiche Kampf gegen das Wasser, der damit alltäglich wurde, war eine Begründung für die Korrektionen. Grenzziehungen, sei es von Eigentum, Kommunen oder Ländern, glichen eher Erfahrungswerten und waren immer neu auszuhandeln, da das Wasser sich ständig andere Wege suchte. Die Begriffe „rechtsrheinisch“ und „linksrheinisch“ variierten entsprechend. Das Bedürfnis nach klaren Staats- und Eigentumsgrenzen trug ebenfalls nicht unwesentlich zu den Korrektionsprojekten bei. In den Jahren 1816/17 hatte sich die Hochwasserproblematik zugespitzt. Es war das „Jahr ohne Sommer“ von 1816 (siehe S. 33ff.), das mit Regenbrüchen, Unwetterkatastrophen, Überschwemmungen und einer Hungerkrise auch am Rhein zu einer dramatischen Situation führte. Im April 1817 begann dann mit der ersten einer Vielzahl von Durchschnitten durch Rheinschleifen eine Phase der Rheinbegradigung, die sich historisch mit dem Namen des badischen Ingenieurs Johann Gottfried Tulla (1770–1828) 86

Lasinsky, Der Rhein bei Koblenz-Ehrenbreitstein

verbindet. Dieser Anstoß hatte Folgen  : Er führte dazu, dass der Fluss sich im Laufe der Jahrzehnte immer mehr in eine Großbaustelle verwandelte. Als Erstes machten sich rasante Uferabbrüche bemerkbar, denn der Fluss war schneller und tiefer geworden. Man machte sich in der Folge daran, die Ufer dauerhaft mit Steinen abzudecken, was nicht ohne Kostenexplosion abging. Die Seitenerosion wurde so in Tiefenerosion verwandelt. Bald stellte sich heraus, dass es Gewinner- und Verlierergemeinden der Rheinkorrektur gab. Die Problematik verlagerte sich flussabwärts und in den Gemeinden unterhalb des jeweils korrigierten Abschnitts mehrten sich die Schäden. Also wurden weitere Durchschnitte notwendig. Man arbeitete sich Richtung Mannheim vor, wo das Großprojekt von 1828, dem Todesjahr Tullas, bis 1832 ins Stocken geriet. Denn 1826 hatten die Regierungen von Hessen, Preußen und der Niederlande aus Furcht vor den Folgen am unteren Rhein gegen die Maßnahmen protestiert. Ab 1840 begann dann ein weiteres groß angelegtes, diesmal deutsch-französisches Wasserbauprojekt zwischen Basel und der Lautermündung. Neues Ziel war nun die Gewinnung von Land für die Landwirtschaft durch Zurückdrängen des Wassers, Trockenlegung von Sümpfen und Herstellung einer durchgehenden Wasserstraße. Vorausgegangen waren zähe Verhandlungen mit Frankreich um einen eindeutigen Verlauf der Grenze, die 1840 mit einem Vertrag zwischen Baden und Frankreich abgeschlossen wurden. Dabei wurde zunehmend auch der Bau von Schutzdämmen in das Konzept einbezogen, die die Wasserzonen weiter einengten. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ging es dann um den Aufstieg der Großschifffahrt. Als Akteur tritt nun die „Zentralkommission für die Rheinschifffahrt“ auf den Plan, die, bereits 1815 nach dem Wiener Kongress begründet, bis heute mit Sitz in Straßburg die Entwicklung der Rheinschifffahrt befördert. Es wurde nun eine hindernisfreie, möglichst gradlinige Schifffahrtsrinne von ausreichender Wassertiefe benötigt. Der erste Dampfer war 1816 in Köln eingelaufen, zahlreiche neue Häfen wurden in der Folge gegründet, der Handel nahm Aufschwung. Für die Schiffe erwies es sich als problematisch, dass sich nach der Tulla’schen Begradigung 87

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bei Niedrigwasser wandernde Kiesbänke und unzusammenhängende tiefe Rinnen im Flussbett bildeten. Um dem beizukommen, wurden ab 1906/07 Querbuhnen errichtet, die die Strömung so verändern und konzentrieren, dass die Kiesbänke abgeschwemmt werden und auch bei Niedrigwasser schiffbares Fahrwasser entsteht. Das Flussbett wurde beträchtlich eingeengt, die Altarme des Rheins wurden weitgehend geschlossen. Dadurch wurde der Flusslauf allerdings weiter von seinen Überschwemmungsflächen isoliert. Man begann Industriestandorte und Stadtgebiete im Gefühl einer neuen Sicherheit immer näher an den Fluss heranzuschieben. Die Rheinschifffahrt stieg um ein Vielfaches an. Ein erneuter Paradigmenwechsel in der Nutzung des Rheins trat nach dem Versailler Vertrag 1918 ein  : die Wasserkraft. Ein Wasserkraftwerk bei Kembs, unterhalb von Basel gegenüber dem deutschen Istein, rückte ins Visier, verbunden mit dem Plan für einen anschließenden, bis Straßburg führenden großen linksrheinischen Schifffahrts- und Werkkanal, den Grand Canal d’Alsace. Damit fiel im Grunde innerhalb weniger Wochen die Entscheidung über einen gravierenden Eingriff in die Flusslandschaft, der nach überwiegender Forschungsmeinung die historisch bis heute umweltschädlichste Intervention in den Lauf des Oberrheins darstellt.80

Da man zugleich nach Schweizer Plänen den Rhein zwischen Basel und der Isteiner Schwelle für die Schifffahrt regulierte, war zu befürchten, dass der Kanal zukünftig der Schifffahrt und dem Oberrhein überhaupt das Wasser entziehen würde. In Deutschland gab es breite Proteste gegen das französische Vorhaben, auch mit nationalistischer Färbung und politischer Polemik. Das verhinderte jedoch nicht den Bau zahlreicher weiterer Wasserkraftanlagen am Rhein durch Baden und die Schweiz in den Folgejahren. Generell verschärften der Kanal, aber auch jede weitere Staustufe ein Problem, das schon mit den Regulierungen Tullas absehbar geworden war  : Der schneller und enger gewordene Rhein vertiefte fortwährend sein Bett, 88

Lasinsky, Der Rhein bei Koblenz-Ehrenbreitstein

was das Grundwasser absenkte und die Auengebiete und auch landwirtschaftliche Flächen austrocknete. Umweltpolitische Ansätze aus den 1920er Jahren hatten im Nationalsozialismus zu einer Kampagne gegen die „Versteppung“ Südwestdeutschlands und Deutschlands überhaupt geführt, die man als Folgeschäden von Flussbegradigungen, insbesondere der am Rhein, ansah. Obwohl auch die Nationalsozialisten mit Eifer die Trockenlegung der Sümpfe betrieben, zündete die „Versteppungsthese“ im öffentlichen Bewusstsein auf breiter Front. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Thema der Umweltfolgeschäden unter Weglassung nationalsozialistischer Begrifflichkeiten wieder aufgenommen und mit detaillierten Erhebungen der Schäden am südlichen Oberrhein verbunden. Die gedanklichen Kontinuitäten zwischen nationalsozialistischem Heimatkult und konservativen Natur- und Heimatschutzbewegungen sind allerdings nicht unproblematisch und haben das Verständnis von „Heimat“ langfristig getrübt. Erst in der Versöhnungsphase nach dem Zweiten Weltkrieg einigten sich Frankreich und Deutschland auf eine etwas weniger schädliche gemeinsame Linie, die aber nur Schlimmeres verhinderte. Die Probleme der Erosion des Flussbettes und andere Folgeschäden sind geblieben. Das kontinuierliche Verklappen von Kies, die seit 1978 praktizierte „Geschiebezugabe“ bei Iffezheim, ist eine Notlösung. Mit dieser Problematik wurde der Rhein zu einem der ersten umweltpolitischen Kampfgebiete. Die Rettung der Rheinromantik Gerade deshalb soll hervorgehoben werden, dass am Rhein auch eine Initialzündung des Naturschutzes stattfand. Die Notwendigkeit, die Rheinufer zu befestigen, hatte zu immer neuen Steinbrüchen am Rhein geführt, was erste Bürgerproteste gegen die Zerstörung der Flanken der Berge am Rhein nach sich zog. Die Auseinandersetzung zwischen Naturnutzern und Naturschützern eskalierte mit dem Streit um den Drachenfels, der zum „Symbol des Widerstands“81 wurde. Der Berg mit der Burg war ein frühes Medienereignis. 89

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Vielfach gemalt, besungen und bedichtet, war er Objekt jeder Reiseroute und Inbegriff der Rheinromantik. In den Besitz der Gemeinde Königswinter gelangt, wurde der Berg als Steinbruch 1826 an die örtlichen Steinhauer verkauft. Die Steine wurden für den Kölner Dom gebraucht, dessen Weiterbau auch durch die Spätromantik inspiriert worden war. Am Berg wurde nun gesprengt. Dies rief Bürgerproteste hervor, es gab heftige Auseinandersetzungen, bis die Presse eingriff. Die nun folgende Medienkampagne trug den Gedanken des Naturschutzes in breite Bevölkerungskreise. Über die Presse erfuhr der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm von der Sache, woraufhin der Steinabbau von den Behörden untersagt wurde. 1836 wurde der Drachenfels angekauft und so zum ersten amtlich geschützten Naturdenkmal Deutschlands ernannt. Der Drachenfels und das Siebengebirge wurden zu Keimzellen des deutschen Naturschutzes. Zwei Vereine – sozusagen frühe Bürgerinitiativen – gründeten sich  : 1869 der Verschönerungsverein für das Siebengebirge (VVS) und 1886 der Verein zur Rettung des Siebengebirges (VRS). Sie beklagten die Verschandelung der Landschaft und prangerten die weithin sichtbaren „Wunden“ an, die die Steinbrüche in der Natur hinterließen. Da ein Gesetz zum Schutz der Landschaft mit Sanktionsmöglichkeiten fehlte, blieb den Vereinen nur ein anderer Weg offen  : Die Grundstücke, auf denen sich Steinbrüche oder Transportwege befanden, mussten angekauft werden. Um die hierfür nötigen finanziellen Mittel zusammenzubringen, wurden Gelder aus Spendensammlungen, einer Lotterie und öffentlichen Zuschüssen verwandt. Im Laufe der Zeit erwarb der VVS über 800 Hektar im Kernbereich des Siebengebirges.82

Heute knüpft die „Stiftung Naturschutzgeschichte“ auf dem Drachenfels bewusst an diese ersten Bestrebungen an. Die ökologischen Schäden Obwohl das obere Mittelrheintal heute zum UNESCO-Welterbe gehört, haben die zahlreichen Verbauungen im gesamten Rhein deutliche Spuren 90

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hinterlassen. Die folgende Schilderung eines toten Flusses ist vielleicht ein wenig unfair, denn es handelt sich nicht um den Rhein, sondern um den aufgestauten Colorado. Sie entstammt dem ungemein charmanten Roman „Die Monkey Wrench Gang“ von Edward Abbey, in dem anarchische Umweltaktivisten die Welt auf ihre Weise verbessern. Die Schilderung macht aber deutlich, dass reinliches Wasser allein nicht ausreicht, um einen Fluss in einen Naturzustand zu versetzen  : Ein Zapfen, ein Sockel, ein dicker Keil  : durch Stauanlagen und Turbinen lenkt der Damm die Kraft des verkümmerten Flusses. Der einst ein mächtiger Fluss gewesen ist. Und jetzt nur noch ein Schatten. Die Geister von Sandmöwen und Pelikanen schweben über dem ausgedörrten Flussdelta tausend Meilen Richtung Meer. Die Geister von Bibern suchen sich ihren Weg stromaufwärts durch den goldenen Schlicksand. Einst kamen Graureiher zu den Sandbänken herabgeflogen, leicht wie Moskitos, die langen Beine schlenkernd. Ibisse krächzten in den Pappeln. An den Canyonufern tummelte sich das Wild. In den Tamarisken die Schmuckreiher, deren Federn in der vom Fluss aufsteigenden Brise schwebten.

Eine große Stauanlage, der „blaue Tod“ hat dem Fluss den Atem genommen. Er führt nur noch (…) grünliches Wasser – das, was vom ursprünglichen Fluss übriggeblieben war, was durch Einlauf, Stauanlagen, Turbine und Abfluss gelaufen war, was schließlich unterhalb des Dammes beim Kraftwerk herauskam.83

Ebenso traurig ein historisches Beispiel. Wilhelm Raabes Erzählung „Pfisters Mühle“ gilt als bedeutender Umweltroman der deutschen Literaturgeschichte. 2014 von Armin Petras als Schauspiel in Stuttgart mit deutlichen Gegenwartsbezügen auf die Bühne gebracht, setzt der Text wie die Adaption von Hauffs „Das kalte Herz“ die Reaktivierungen literarischer Kritik am Frühkapitalismus fort.

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Die Entstehung der Wasserautobahn

Aus dem lebendigen, klaren Fluß, der wie der Inbegriff alles Frischen und Reinlichen durch meine Kinder- und ersten Jugendjahre rauschte und murmelte, war ein träge schleichendes, schleimiges, weißbläuliches Etwas geworden, das wahrhaftig niemand mehr als Bild des Lebens und des Reinen dienen konnte. Schleimige Fäden hingen um die von der Flut erreichbaren Stämme des Ufergebüsches und an den zu dem Wasserspiegel herabreichenden Zweigen der Weiden.84

Es handelt sich um Abwasser aus einer Rübenzuckerfabrik, das den Fluss vergiftet und damit die Lebensgrundlage der Mühle zerstört. Die Fabrik, vom Erzähler als Inbegriff industrieller Errungenschaft der Neuzeit apostrophiert, ist umgeben von einem stinkenden Sumpf, aus dem sich eine heiße schmutzig gelbe Flüssigkeit in den heimischen Bach ergießt, der Pfisters Mühle speist. Die Erzählung sieht hier durchaus die großen Fragen der Zeit berührt, wenn eine ihrer Figuren Rhein, Neckar, Donau oder Weser auf der Verliererseite gegenüber Germanias Fäkal-Stoffen sieht. Es kommt in der Handlung zum Gerichtsprozess gegen den Verschmutzer, den der Müller zwar gewinnt. Raabes Erzählung aber ist durchtränkt von der Trauer um all das, was im Übergang Deutschlands von einem Bauernland in einen Industriestaat verloren geht.85 Für den Rhein ist die Bilanz jedenfalls auch nicht gut. Durch Ausbaumaßnahmen und Wasserverschmutzung wurde die Tierwelt des Flusses stark belastet. Von etwa 60 Fischarten zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren Ende des 20. Jahrhunderts noch zehn bis 15 Arten übrig. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren alle Wanderfische im Rhein ausgestorben. Darunter die „Brotfische“ Lachs, Maifisch und Stör, mit denen der Beruf des Fischers am Rhein fast vollständig verschwand. Diese Fischarten waren in ganz Europa und auch im Rhein sehr verbreitet und als Nahrungsmittel beliebt. Der Verbau durch Stauwehre und die Wasserverschmutzung waren neben der Überfischung durch Sperrnetzfischerei maßgebliche Ursachen des Artenschwundes. Die Wasserqualität im Rhein hat sich inzwischen so weit verbessert, dass man wieder versucht, Lachse anzusiedeln. Aber die

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Lasinsky, Der Rhein bei Koblenz-Ehrenbreitstein

Struktur des Flusses, der einer Dauerbaustelle gleicht, ist immer noch ein Problem für den gewünschten ökologisch guten Zustand. Von den Pflanzen sind vor allem die untergegangen, die ihren Lebensraum in den Auen finden und auf schlammige, nasse Flächen angewiesen sind. Von diesen Arten gelten ca. 60 Prozent als gefährdet.86 Auensümpfe und Auenüberflutungsmoore sind verschwunden und in den verbliebenen Auenwäldern änderte sich aufgrund der Trockenlegung die typische Artenzusammensetzung. Vermutlich sind etwa 85 Prozent der Oberrheinauen im Zuge der Umbaumaßnahmen verloren gegangen.87 Mit ihnen verschwanden Landschaften, die man die Regenwälder Europas nennen könnte. Denn Auenwälder sind feucht und üppig, sumpfig und lianenüberwuchert. Sie gleichen ganz und gar dem, was romantische Nostalgie sich unter Wildnis vorstellen mag. Die große Richtung für die Zukunft des Rheins ist mittlerweile im Sinne nachhaltiger Entwicklung definiert. Heute gibt es eine „Internationale Kommission zum Schutz des Rheins“, die, 1950 gegründet, den Zustand des Flusses in diesem Sinne überwacht. Ihr gehören Deutschland an, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, die Schweiz und seit 1976 die EU-Kommission. Die Kommission berichtet z. B. auch über den Stand der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie, die im Jahr 2000 von der EU verabschiedet wurde, um einen flächendeckenden Gewässerschutz in Europa herbeizuführen. Die Wasserrahmenrichtlinie sieht vor, dass die europäischen Flüsse bis 2015 einen „guten Zustand“ erreichen sollten. Damit ist ein guter ökologischer und chemischer Zustand gemeint, bezogen auf Oberflächengewässer und Grundwasser. Die Kommission hat für die Umsetzung dieser Vorgaben das Programm „Rhein 2020“ aufgesetzt, zu dessen Zielen etwa der „Biotopverbund am Rhein“ gehört, die Wiederansiedlung von Lachsen im Rhein, die Verbesserung der Hochwasservorsorge, die Verbesserung der Wasserqualität und der Schutz des Grundwassers sowie die kontinuierliche Überwachung des Zustandes des Rheins.88 Die Organisationsstrukturen, die sich mit der Umsetzung befassen, sind allerdings komplex, die Zielkonflikte mit wirtschaftlichen Interessen beträchtlich. So 93

Die Entstehung der Wasserautobahn

lässt denn der Bericht der Kommission 2015 erkennen, dass die Ziele des „guten Zustands“ bis dato nicht erreicht wurden. Allerdings hat man sich sogleich ein neues Arbeitsprogramm verschrieben, dessen nächste Bilanz mit dem „Rheinprogramm“ auf das Jahr 2020 angesetzt ist. Auch die Regierungspräsidien des Landes Baden-Württemberg teilen mit, dass die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie bis 2015 nicht erreicht werden konnten. Daher wurden zwei weitere Bearbeitungszyklen angesetzt, bis 2021 und 2027.89 1996 startete das 1988 beschlossene Integrierte Rheinprogramm zum Hochwasserschutz und zur Auenrenaturierung am Oberrhein. Es geht um die Rückgewinnung von Überschwemmungsgebieten, Dammrückverlegungen, um die Renaturierung von Auenlandschaften mit ihrer Vielfalt von Pflanzen und Tieren und nicht zuletzt um einen dadurch verbesserten Hochwasserschutz.90 Mit Baden-Württemberg sind auch Frankreich und Rheinland-Pfalz beteiligt. Am 1. Februar 2017 hat die Bundesregierung das Programm „Blaues Band Deutschland“ beschlossen, ebenfalls mit dem Ziel der Renaturierung von Wasserstraßen, bei der Fluss, Ufer und Aue als eine Einheit betrachtet werden sollen  : Wegen der linienhaften Struktur eignen sich Fließgewässer mit ihren Auen besonders für biotopverbindende Maßnahmen. Tier- und Pflanzenarten müssen die Möglichkeit haben, zwischen Gebieten zu wechseln und sich in neuen Lebensräumen zu etablieren. Die Gewässer in Deutschland und deren Auen sind wichtige Verbundstrukturen in der Landschaft und wesentlicher Bestandteil der wassergebundenen Lebensräume.91

Die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie sollen durch das Programm ebenfalls unterstützt werden. Auch für den Rhein sind hier Modellprojekte vorgesehen. Die Auftaktstudie beginnt mit einer desillusionierenden Bestandsaufnahme  : Der überwiegende Anteil der in Gewässern und Auen vorkommenden Arten und Lebensräume befindet sich in einem schlechten Erhaltungszustand. Viele Arten 94

Lasinsky, Der Rhein bei Koblenz-Ehrenbreitstein

Der für die Schifffahrt optimierte Fluss, im Frühjahr 2017 bei Speyer.

und Biotope sind in den bundesweiten „Roten Listen“ als gefährdet eingestuft. (…) Die Wasserrahmenrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, bis spätestens zum Jahre 2027 einen „guten ökologischen Zustand“ oder „das gute ökologische Potential“ in den Gewässern zu erreichen. Die Fachstudie zeigt auf, dass fast alle Bundeswasserstraßen den guten ökologischen Zustand oder das gute ökologische Potential derzeit nicht erreichen. Fast 70 Prozent der Bundeswasserstraßen sind aufgrund ihrer intensiven Nutzung und der damit einhergehenden hydromorphologischen Defizite als „erheblich verändert“ ausgewiesen. An den im Rahmen dieses Bundesprogramms untersuchten Fließgewässern unterbrechen rund 250 Stauanlagen die Durchgängigkeit.92

Diese Ehrlichkeit lässt auf genügend Energie zum Handeln schließen. Nach der Wiederherstellung des deutschen Waldes im 19. und 20. Jahrhunderts könnte die Wiederherstellung der Auenlandschaften das große Projekt der Zukunft werden.

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Vincent van Gogh, 1853–1890, Die Ebene bei Auvers, 1890, Öl auf Leinwand, 50 × 101 cm, Wien, Österreichische Galerie Belvedere.

Bauernland, privatisiert  : Der Weg zur Agrarindustrie Das Bild  : van Gogh, Die Ebene bei Auvers

Bauernland Eine Landschaft in weitem Panoramablick erstreckt sich in sanften Wellen bis zum Horizont. Es ist bäuerliches Land. Unterschiedlich gestaltete kleine Felder schwingen sich in verschiedenen Farbtönen in die Ferne, rechts verläuft ein Weg mit Bäumen schräg nach hinten, fächerförmig breiten sich die Grenzlinien über das Bildganze aus. In der Nähe des Betrachtungsstandorts leuchten rote Mohnblumen auf dem Feld, links am Bildrand fügt eine Wiese mit Heuhaufen ein weiteres Landschaftselement hinzu. In diesem Bild spricht die Farbe  : Im Vordergrund frisch und kräftig, vor allem auf dem Mohnfeld in der Wirkung sich gegenseitig steigernd, werden die Farben der Felder nach hinten einheitlicher und begegnen in ihrer Tönung dem blaugrünen Horizont. Die „Ebene von Auvers“ gehört zu einer Gruppe von zwölf Bildern der Landschaft um Auvers, die van Gogh zum Teil farblich aufeinander abgestimmt hat. Er nutzte dabei den Komplementärkontrast der Farben, die Formate der Bilder, die Stimmungen und Ausdruckswerte der Landschaft in unterschiedlichem Licht, um eine Korrespondenz zwischen seinen Bildern zu schaffen.93 Seine Landschaften werden so quasi sprechend, treten in eine gefühlsstarke Kommunikation mit den Betrachtern, die ihrerseits die Werke mit emotionaler Bedeutung aufladen. Heute ist van Gogh wohl einer der beliebtesten Künstler der Welt. Er gilt als verkanntes Genie, das zu Lebzeiten keine Anerkennung fand und praktisch nichts verkaufte. Der Mythos van Gogh formiert sich um seine Position als Außenseiter der Gesellschaft, der als verkannter Prophet eines anderen Lebens die Gesellschaft ins Unrecht setzt. 97

Der Weg zur Agrarindustrie

Bis heute wird in immer neuen Anläufen seine Biografie aufgerollt und auf neue Erkenntnisse hin abgeklopft  : Hat er sich das Ohr selbst abgeschnitten, wenn ja, wie viel davon  ? Was geschah mit Paul Gauguin  ? Waren van Goghs psychische Probleme durch Epilepsie verursacht, durch Schizophrenie, Absinth-Missbrauch, eine bipolare Störung oder alles zusammen  ? Hat er sich umgebracht oder war er etwa doch Opfer eines Unglücksfalles  ? Es ist, als wollte man ihm postum all die Aufmerksamkeit entgegenbringen, die er im Leben nicht erhalten und so schmerzlich vermisst hat. Van Gogh war im Mai 1890 nach Auvers-sur-Oise bei Paris gekommen, weil er sich von dem Arzt und Kunstfreud Dr. Paul Gachet Hilfe erhoffte. Gachet malte selbst und favorisierte die Impressionisten. Van Gogh hat ihn zweimal mit aufgestütztem Kopf in der typischen Haltung des Melancholikers gemalt. In Auvers hat van Gogh bis zu seinem Tod 70 Tage verbracht und über 80 Gemälde geschaffen. Er hatte überhaupt erst zehn Jahre zuvor das Malen zu seinem Lebensinhalt gemacht.94 Vincent van Gogh war 1853 als Kind eines Predigers der niederländisch-reformierten Gemeinde in Nordbrabant zu Welt gekommen. Er hatte bis zu seinem endgültigen Coming-out als Maler über Jahre hinweg versucht, einen aus christlichem Geist gespeisten Sozialismus des Herzens zu leben. So hatte er 1876 als Hilfslehrer und Hilfsprediger in einem Arbeiterviertel bei London mit den Armen gelebt. 1878 ging er als Laienprediger ins Borinage, das belgische Kohlerevier an der Grenze zu Frankreich. Er ist erschüttert über das Leben der Bergarbeiter dort und lebt in äußerster Armut gemeinsam mit den Menschen, für die er sich zu engagieren versucht. In den frühen 80er Jahren, seiner „holländischen Periode“, sucht er seine Modelle in den Armenvierteln Den Haags, malt Prostituierte, Menschen aus dem Volk, die Torffelder im Norden Hollands und, wieder bei seinen Eltern, die Bauern und Weber bei der Arbeit. Ein Hauptwerk dieser holländischen Periode sind die „Kartoffelesser“. Wie alle Bilder dieser Phase ist es in dunklen, erdigen Tönen gehalten. Es zeigt Menschen, die von ihrer Hände Arbeit, von der Erde und der Bearbeitung dieser Erde leben. Fasziniert von den alten Niederländern, aber auch 98

van Gogh, Die Ebene bei Auvers

vom sozialkritischen Realismus eines Jean-François Millet, dessen Bilder er auch kopierte, erarbeitet sich van Gogh hier einen Zugang zur sozialen Wirklichkeit seiner Zeit. Van Gogh wusste, was Großstadtleben und Industrialisierung bedeuten. Er hatte in London und im Borinage gesehen, welche Entwicklung die modernen Zeiten mit sich brachten. Er war belesen und konnte dem, was er sah, einen gedanklichen Hintergrund geben. Neben der Kette gescheiterter Berufsversuche zeigt sich in der ersten Phase seiner Entwicklung der Versuch, den Abgründen der industrialisierten Welt ins Auge zu blicken und deren Opfern beizustehen. Das ist ein Programm, das sich von den Intentionen her auf Augenhöhe mit den kritischen frühsozialistischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts befindet. Aber van Gogh war allein und scheiterte zunächst in der Wahl seiner Mittel. Und so ist die künstlerische Hauptphase, in der die typischen „Van-Gogh-Bilder“ entstehen, auch ein Versuch, mit anderen Mitteln den Herausforderungen seiner Zeit zu begegnen. Eine große Wende seiner künstlerischen Mittel setzte ab 1886 in Paris ein, als er die Impressionisten kennenlernte und über seinen Bruder Theo in die Mitte der avantgardistischen Kunstbewegungen trat. Die Farbpalette wird im Kontakt mit den Impressionisten und Pointillisten deutlich heller und leuchtender. Er setzt sich mit der Farbbehandlung des Romantikers Eugène Delacroix auseinander und entwickelt den Komplementärkontrast zu ungeahnter Wirkung. Dabei hat er sich grundsätzlich, wie alle Künstler seiner Zeit, von der Fotografie abzugrenzen, die nun einem positivistisch faktengläubigen Publikum als Spiegel der Wirklichkeit gilt. Aber ein Maler konnte seit der Erfindung der chemischen Farben in Tuben auch auf den ganzen Apparat einer Werkstatt verzichten, die Farben in komplizierten Verfahren aus Naturstoffen herstellt. Er konnte die Farben mitnehmen, im Freien malen und den Eindruck, den er aufnahm, unmittelbar an Ort und Stelle mit der Farbe umsetzen. Das erhöht die Spontaneität und drängt zur Schnelligkeit. Japanische Holzschnitte, die van Gogh liebte und auch sammelte, machten ihn mit der Flächigkeit dieser Arbeiten und einer ganz anderen Kunstauffassung bekannt. 99

Der Weg zur Agrarindustrie

Das Licht des Südens Japan bedeutete überhaupt sehr viel. Van Gogh hatte den Japanroman „Madame Chrysanthème“ (1887) und andere Werke von Pierre Loti gelesen. Loti war ein zu seiner Zeit bekannter und viel gelesener Schriftsteller, der seine Werke verschiedenen exotischen Regionen der Erde gewidmet hatte  : dem Orient, China, Japan, Persien, der Südsee. Er schrieb aber nicht einfache Reiseberichte, sondern poetische, von Reflexionen über das Leben in seinem Aufstieg und Niedergang durchsetzte Schilderungen fremder Kulturen und ganz anderer Welten. Loti hatte die Südsee und speziell Tahiti zum Inbegriff einer Gegenwelt gemacht und damit auch Gauguin fasziniert. Diese Gegenwelten werden zu utopischen Räumen eines aus seinen Ursprüngen heraus erneuerten Lebens. Mit dem Exotismus verbreitete sich eine Spielart des „Wilden“, bei der in fernen Ländern die Schönheiten und die sinnliche Fülle eines einfachen Lebens in Kontakt mit der Natur „entdeckt“ werden. Die neuen Paradiese versammeln das, was die Industrialisierung gerade aus ihren Gefilden vertrieb  : authentisches Leben, Schönheit, Erotik, eine Verbindung zu den göttlichen Kräften der Natur. Der Exotismus ist auch Teil imperialistischer Machtpolitik und insofern in der kritischen Optik postkolonialistischer Diskurse hinterfragt worden. Aber für van Gogh nimmt die Faszination der fernen Welten eine andere Wendung. Sie konzentriert sich in der Formel vom Licht des Südens. Er geht nach Arles in der Provence, wo er seine Landschaft findet. Ich habe hier die japanische Kunst nicht nötig, denn ich rede mir vor, daß ich in Japan bin und nur meine Augen zu öffnen und zu nehmen brauche, was ich vor mit habe.95

So verbindet sich das Utopische der fernen Ursprünglichkeit mit der heimischen Landschaft des Südens und dann auch dem bäuerlichen Landleben. Van Gogh entdeckt hier die Kraftquellen des Ursprünglichen. Hier bewohnt er das legendäre gelbe Haus und träumt davon, eine Künstlerkolonie zu 100

van Gogh, Die Ebene bei Auvers

gründen. Gauguin folgt als Einziger seinem Werben und die Sache geht schief. Aber im Traum von der Künstlerkolonie steckt eine Bewegungsrichtung, die viele Künstler im späten 19. Jahrhundert vollziehen  : Es gibt nicht mehr so viele Flecken in der europäischen Landschaft, die als ursprüngliche Natur oder einfache Lebenswelt durchgehen können. Man sucht diese Flecken auf, um dort die Utopien eines Lebens zu entwickeln – real oder im Bild –, das nicht den Normen der modernen Industriegesellschaft und ihren Erfolgskriterien gehorcht. Worpswede, Murnau und das Dachauer Moos sind Beispiele in Deutschland, Fontainebleau und Barbizon in Frankreich – und eben Auvers. Van Gogh sieht sich am Ende eines Zeitalters in Erwartung einer großen Umwälzung und er möchte auf der richtigen Seite stehen  : Man fühlt instinktiv, daß enorm viel sich ändert und alles sich ändern wird – wir sind im letzten Viertel eines Jahrhunderts, das wieder mit einer gewaltigen Revolution enden wird. – Es ist schon etwas, nicht betrogen zu werden von dem Falschen seiner Zeit – nämlich insofern nicht betrogen, als man das Ungesunde und Gedrückte der Stunden, die dem Gewitter vorhergehen, empfindet und sagt, wir stecken in Bedrängnis, die künftigen Geschlechter aber werden freier atmen können.96

Die durch Farbe zum Sprechen gebrachten Landschaften und ihre Menschen werden im Lichte dieser Erwartung zu Ausdrucksmedien der Dramatik des Lebens selbst. Der Vorschein eines anderen Lebens spiegelt sich hier ebenso wie der Nachthimmel des drohenden Untergangs, die helle Sonne der Hoffnung tritt an gegen die giftigen Farben der schrecklichen menschlichen Leidenschaften. Es ist nur konsequent, wenn van Gogh spätestens in Auvers beginnt, nicht nur die Elemente im Bild, sondern die Bilder selbst zueinander in Beziehung zu setzen. Das Projekt einer Umschaffung der Wirklichkeit im Geiste der Kunst zeichnet sich ab. Nach dem Zerbrechen der Freundschaft mit Gauguin und der Geschichte mit dem Ohr stürzt van Gogh in eine seiner großen psychischen Krisen. 101

Der Weg zur Agrarindustrie

Er muss sich Behandlungen in der Klinik unterziehen. In den Briefen an seinen Bruder äußert er die Bereitschaft, die Rolle des Wahnsinnigen auf sich zu nehmen. Die Diagnose lautet auf epileptische Störungen.97 Dem Mythos van Gogh fügt sich damit ein weiteres Mosaiksteinchen hinzu. Die Epilepsie umgibt ähnlich wie die Melancholie eine Aura des Besonderen. Die Krankheit wird in der Antike und im Mittelalter mit übernatürlichen Mächten in Verbindung gebracht. Hippokrates soll über die „Heilige Krankheit“ geschrieben haben. Schamanen, Geisterseher und große Männer wie der Apostel Paulus oder Cäsar sollen Epileptiker gewesen sein. Nietzsche macht seine Polarität des Dionysischen und Apollinischen an einem Bild Raffaels fest, das in der unteren „dionysischen“ Zone einen Knaben im Krampfanfall zeigt.98 Damit verbindet sich der Eindruck, dass die Epilepsie die Fenster zu einer höheren Wirklichkeit öffnen könne. Der Epilepsieanfall löst das Bewusstsein auf und führt zu den Quellgründen der Kreativität. Dem Künstler wachsen so prophetische Kräfte zu, die ihn befähigen, kommende gesellschaftliche Entwicklungen vorauszuspüren und zeitgenössische Fehlentwicklungen zu tadeln. In dieser Rolle weckt er die Gegenkräfte der Gesellschaft, die ihn als unerwünschten Mahner und um der eigenen Bequemlichkeit willen aus ihrer Mitte heraustreibt. Der Künstler – und hier van Gogh als ein typischer Fall dieses Mythos – wird zum Märtyrer einer tieferen Wahrheit, die er in seiner Kunst ausdrückt. Auf vielen Wegen haben Künstler seit der Romantik versucht, die Grenzen zum Unbewussten zu überwinden. Systematisch taten dies die Surrealisten, die durch Automatismen, etwa beim automatischen Schreiben, oder durch Zufallsergebnisse das Bewusstsein ausmanövrieren wollten, um an die Quellen des Schöpferischen zu gelangen. Auch Alkohol, und vor allem der im 19. Jahrhundert beliebte Absinth, kann die Rolle des Grenzüberwinders übernehmen. Van Gogh scheint in der Lage gewesen zu sein, diesen Zustand der Offenheit für das Unbewusste in seinem Inneren wie auch das Potenzial in den Räumen der Wirklichkeit, die er sah, zu erspüren und beides miteinander in Verbindung zu setzen.

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van Gogh, Die Ebene bei Auvers

Wenn er schließlich 1890 nach Auvers geht, entfaltet sich diese Fähigkeit auch in einer Landschaft, die nicht exotisch ist und in der Sonne des Südens ihre Pracht zeigt. Es ist normales Bauernland in der Umgebung von Paris, aus dem van Gogh seine Sprache der Farben entwickelt. Ich möchte gern Bildnisse malen, die in hundert Jahren als Offenbarung erscheinen. Ich möchte das nicht durch fotografische Treue erreichen, sondern durch meine leidenschaftliche Betrachtungsweise, durch Verwertung unserer Kenntnisse und unseres heutigen Farbgeschmacks als Mittel des Ausdrucks und der Übersteigerung des Charakters.99

Dabei überschreitet van Gogh nie die Grenze zur Gegenstandslosigkeit, will das auch nicht. Die Abstraktion führt in ein Geisterreich absoluter Kunst, die die Wirklichkeit nicht mehr als bildwürdig anerkennt. Gerade die Bindung an die Menschen, die Landschaft, die Umgebung, in der er lebt, sichert seinen Bildern die utopische Kraft. Er legt einen Anker in der sichtbaren Wirklichkeit, um von dort aus die Vision einer lebendigen Intensität zu entfalten, die ebenso in der Ferne wie in der Zukunft ihr Ziel hat. Der Respekt vor dem, was Menschen mit ihrer Hände Arbeit in der Erde geschaffen haben, ist ihm über alle Phasen seiner Arbeit hinweg geblieben.

Das ökologische Auge  : Von der Kulturlandschaft zur Agrarindustrie Entwicklungsschritte Die Landschaft, die van Gogh eine authentische Naturerfahrung mitteilt, ist schon kulturell gestaltete Landschaft, die aus heutiger Sicht erst im Rückblick gleichsam aufblüht. Die Landwirtschaft hat schon früh, über lange Zeiträume hinweg und sehr tiefgreifend den Wandel der Landschaft geformt.100 Als im Neolithi­ kum die ersten Menschen sich in Europa sesshaft niederließen, Äcker 103

Der Weg zur Agrarindustrie

bebauten und Tiere hielten, mussten sie sich zuerst einmal, etwa durch Rodung und Brandrodung, Raum schaffen für ihre Siedlungen. Es entstanden Äcker und Weiden. Aus dem Zweistromland, der Wiege der Landwirtschaft, gelangten Getreidesorten und mit ihnen verschiedene Wildkräuter nach Europa. Auf den Feldern wurde im Frühjahr gesät, im Sommer geerntet. Danach konnte das Vieh die Flächen beweiden, was für Düngung sorgte. Wahrscheinlich wurde auch schon bald die Waldweide praktiziert. Als Winterfutter diente wohl Laub- und Nadelstreu von verschiedenen Baumarten. Ein einfacher Kreislauf. Die nächste Wandlungsphase der Kulturlandschaft brachten die Römer mit sich. Sie war vor allem der Zweifelderwirtschaft zu verdanken, die schon von antiken Autoren beschrieben wurde. Die ackerbauliche Fläche besteht dann aus einem bebauten und einem brachliegenden Teil, die jährlich wechseln. Der Boden kann sich erholen, auf den Brachflächen weidet das Vieh und düngt dabei. Die Römer brachten auch neue Tiere und vor allem Pflanzen mit  : Karpfen und Kaninchen gehören wahrscheinlich dazu, vermutlich auch die Weinbergschnecke, aber vor allem natürlich die Weinrebe und die Kulturobstbäume. Viele Obstsorten kamen aus Asien, so stammt etwa der Pfirsich aus China. Das war möglich, weil das römische Reich weiträumige globale Wirtschaftsbeziehungen pflegte. Die Perser waren in der Antike berühmt gewesen für ihre Baumgärten. Alexander der Große hatte das persische Weltreich quasi übernommen. Die Römer traten als neue Weltmacht in diese Nachfolge ein und bewirkten einen Globalisierungsschub auf allen Ebenen der Landkultivierung und der Naturprodukte. Etwa vom 8. bis 10. Jahrhundert n. Chr. entwickelt sich die Dreifelderwirtschaft mit einem jährlichen Wechsel zwischen Wintergetreide (Roggen, Weizen, Dinkel), Sommergetreide (Gerste, Hafer) und Brache. Immer noch beweidet das Vieh die Brachflächen. Die Ackerwildkräuter differenzieren sich aufgrund dieses Wechsels ebenfalls weiter aus. Das landschaftsgestaltende Moment war, dass nun gleichartig genutzte Flächen zusammengelegt wurden. Jeder Hof hatte dort seine Anteile, die Felder eines Hofes lagen also nicht beisammen. Zur Versorgung des zahlreicher 104

van Gogh, Die Ebene bei Auvers

gewordenen Viehs dehnten sich die Wiesenflächen aus, die zum Teil regelmäßig gewässert wurden, um ihren Ertrag zu steigern. Um das Vieh von den Äckern fernzuhalten, gab es Zäune und Hecken, aber generell dürfte sich das Verständnis von Privateigentum in dieser Phase noch deutlich von unserem heutigen Begriff unterschieden haben. Viele Gelände wurden gemeinschaftlich genutzt, so etwa die Allmende zur Viehweide oder die Wälder zur Waldweide und anderen Nutzungen, soweit dies nicht von den Grundherren unterbunden wurde. Die Landschaft war also vermutlich weniger kleinteilig als auf unserem Bild. Generell kann man davon ausgehen, dass die Kultivierung der Landschaft eine Ausdifferenzierung zahlreicher Biotope mit einer Anreicherung der Artenvielfalt, auch durch eingeführte Pflanzen und Tiere, mit sich gebracht hat. Die Kipppunkte resultieren aus der Industrialisierung im 19. Jahrhundert und dann noch einmal einem Technisierungsschub der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts, als günstiger Treibstoff die Motorisierung der landwirtschaftlichen Maschinenparks auf breiter Ebene vorantrieb. Vom späten 18. Jahrhundert an beginnt eine Entkoppelung der Flächennutzung von natürlichen Standortbedingungen. Das heißt, die Entwicklungsrichtung geht nun dahin, Mittel zu finden und einzusetzen, durch die man alles jederzeit überall anbauen kann. Biologische und chemische Erkenntnisse werden in dieser Richtung nutzbar gemacht. So erkennt man die Bedeutung des Kleeanbaus für die Futtermittelproduktion, was einerseits zur Ausdehnung der Wiesenflächen führte, andererseits ermöglicht, das Vieh auch im Sommer im Stall zu behalten. Die Freilandweide ist auf dem Rückzug. Waldweide und die Einrichtung der Allmende gelten als nicht mehr zeitgemäß. Es ist die Zeit, in der auch die generalstabsmäßige Eroberung der Wildnisse im Namen der Nützlichkeit fortschreitet. Mit der Abschaffung der Feudalherrschaft und des Lehnswesens beginnt die Privatisierung des Landbesitzes im Sinne der Anerkennung des Eigentums der Bauern, verbunden mit ihrer persönlichen Freiheit. Durch die Stein-Hardenbergischen Reformen im frühen 19. Jahrhundert wurden diese Ideen in Preußen auf den Weg der Umsetzung gebracht. Möglicherweise ist mit dieser 105

Der Weg zur Agrarindustrie

Entwicklung im Laufe der Zeit auch etwas vom Gemeinsinn traditioneller Naturbezogenheit verloren gegangen. Die Versuche einer Wiederbelebung des Gedankens der Allmende, auch unter dem Begriff der „Commons“, in der Gegenwart sprechen dafür, dass hier noch Potenziale liegen. Im Laufe der Zeit hatten sich die Nutzungsarten der Landschaft ausdifferenziert und voneinander geschieden. Waren zur Zeit der Allmendwälder oder des gemeinen Waldes die Übergänge zwischen Wald und Freiland noch fließend, so sind nun die Wälder deutlich von ihrer Umgebung getrennt. Multifunktionelle Flächen gehen überhaupt zurück. Das führt zur Fragmentierung der Landschaft und Isolierung von Lebensräumen. Albrecht Daniel Thaer (1752–1828) begründet in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Agrarwissenschaft. Er propagiert die Fruchtwechselwirtschaft, bei der auf den Brachflächen Hackfrüchte wie Kartoffeln und Zuckerrüben angebaut werden sollen. Brachen, die vom Vieh beweidet werden, gibt es dann nicht mehr. Die Stallhaltung ist aber erleichtert, weil man die Schweine mit Kartoffeln und die Kühe mit Klee füttern kann. Die Erfindung des Mineraldüngers durch Justus Liebig sowie die Mechanisierung treiben den Wandel voran. Der Rückgang der Artenvielfalt setzt ein. Das Zusammenwirken von verbesserter Reinigung des Saatgutes sowie dem Einsatz von Kalk, Mineraldünger, Herbiziden und technischen Bearbeitungsmethoden führt zum Rückgang der Ackerwildkräuter. Man sieht das heute  : Blau und Rot in den Feldern fehlen, nur an Rändern gibt es noch vereinzelte Farbkleckse. Große Maschinen auf den Feldern erfordern große Flächen, damit sie überhaupt wenden können  ; auf großen Flächen ist der Einsatz des teuren Geräts aber auch rationeller. Die Zusammenlegung von Flächen mit Beseitigung von Hecken und Wegen wird im Zuge diverser Flurbereinigungen im 19. und 20. Jahrhundert umgesetzt. Betriebswirtschaftliche Effizienz erfordert den konzertieren Einsatz von Düngung und Pestiziden, je nach gewünschtem Produkt. Das Artensterben setzt sich bis heute fort. Maisund Rapsanbau auf Standorten, die von den natürlichen Bedingungen her dafür nicht geeignet wären, ist kein Problem mehr. 106

van Gogh, Die Ebene bei Auvers

Seit die Europäische Union den Agrarbereich in den 1950er Jahren zu ihrem Kernkonzept gemacht hat, ist all dem schlecht beizukommen. Die Bauern sehen sich einerseits erheblicher Bürokratie ausgesetzt, andererseits führt die Entwicklung zu immer weniger Höfen und immer größeren Wirtschaftseinheiten. Ein Wandel, der auch in der Industrie abläuft. Aus geförderten Strukturen in Richtung von mehr Ökologie auszusteigen ist extrem schwierig. Diverse Naturschutzprogramme und die Agrarpolitik scheinen oft nicht gut aufeinander abgestimmt zu sein. Im Rückblick erscheint vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen die Landschaft van Goghs wie die Idylle schlechthin. Die Musterkarte eines Schneiders Dem heutigen Betrachter mag das kleinteilige Muster mit den vielen unterschiedlichen Feldern, mit Wiesen, Hecken und Mohnblumen als Sehnsuchtsbild einer guten alten Zeit erscheinen, deren Erscheinungsbild er auch heute als Ausdruck einer „schönen Landschaft“ einfordert. Etwas früher als das Bild van Goghs zeigt ein Roman Honoré de Balzacs aus seinem Zyklus der „Comédie humaine“, dass auch ein ganz anderer Blick möglich ist. Der Roman „Die Bauern“ („Les Paysans“, 1835) schließt mit einer melancholischen Betrachtung  : Die Gegend war nicht mehr wiederzuerkennen. Der geheimnisvolle Wald, die Park­ alleen, alles war abgeholzt worden  : das Land glich der Musterkarte eines Schneiders. Der Bauer hatte von der Erde Besitz ergriffen, als Sieger und Eroberer. Schon war sie in mehr als tausend Parzellen zerlegt worden und die Bevölkerung zwischen Conches und Blangy hatte sich verdreifacht. (…) „Das nennt sich nun Fortschritt  !“ rief Emile aus. „Das sieht aus, wie eine Seite aus dem ‚Contrat social‘ von Jean-Jacques  ! Und an diese soziale Maschinerie, die so arbeitet, habe ich mich gekettet  ! … Mein Gott, was wird in kurzer Zeit aus den Königen werden  ? Und was soll bei diesen Zuständen in fünfzig Jahren aus den Völkern selbst werden  ?“ …101

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Der Weg zur Agrarindustrie

Was meint Balzacs Roman  ? Der Erzähler beschreibt, wie aus einem herrschaftlichen Forst nach vergeblichem Kampf gegen die bäuerlichen Nutzungen privat aufgeteiltes Bauernland geworden war. Die Musterkarte des Schneiders (gemeint sind sicherlich Stoffmuster) spielt auf die kleinflächige Aufteilung mit optisch gut erkennbaren Rändern als Abgrenzungen an. Der Hinweis auf Jean-Jacques Rousseau bezieht sich auf dessen Lehre von der Entstehung des freiheitlichen Staatswesens, die er in seinem Hauptwerk vom „Contrat social“ (1762) darlegt. Deutlicher wird Rousseau (1712– 1778) hinsichtlich der Aufteilung des Landes als Privatbesitz allerdings in seinem „Diskurs über die Ungleichheit“  : Der erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und dreist sagte  : „Das ist mein“ und so einfältige Leute fand, die das glaubten, wurde zum wahren Gründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wieviele Verbrechen, Kriege, Morde, Leiden und Schrecken würde einer dem Menschengeschlecht erspart haben, hätte er die Pfähle herausgerissen oder den Graben zugeschüttet und seinesgleichen zugerufen  : „Hört ja nicht auf diesen Betrüger. Ihr seid alle verloren, wenn ihr vergeßt, daß die Früchte allen gehören und die Erde keinem.“102

Möglicherweise handelt sich schon bei Rousseau um eine Rückprojektion aus seiner Gegenwart in die Vergangenheit. Das als Besitztum eingezäunte Land ist erst relativ spät landschaftsprägend geworden. Zur traditionellen bäuerlichen Arbeitsweise gehörten lange die Gemeinheiten bzw. Allmenden, gemeinschaftlich genutzte Flächen zur Viehweide oder gemeinsam betriebene Nutzungen wie etwa die bäuerlichen Nutzungen des Waldes. Und um genau die geht es ja auch im Roman Balzacs. Die Landschaft als Musterkarte entstammt vermutlich einer historischen Phase, in der die alten Gemeingüter und Allmenden aufgegeben, die Felder pro Hof zusammengelegt und als Privatbesitz sorgfältig voneinander abgegrenzt wurden. Diese Phase wurde ausgelöst durch die Bauernbefreiung im 19. Jahrhundert in Europa und die damit einhergehenden neuen Regelwerke. Die Französische Revolution und in deren Folge der „Code 108

van Gogh, Die Ebene bei Auvers

civil“ Napoleons hatten die alten Grundherrenrechte – Feudalsystem und Lehnswesen – beseitigt und einem neuen Verständnis von Eigentum den Weg gebahnt. Im Zuge dieser Reformen wurden in Frankreich wie später auch in Deutschland die Bauern aus der Abhängigkeit von den Grundherren herausgelöst, es wurden aber auch die Gemeingüter aufgelöst und die Ländereien grundsätzlich privatisiert. Sichtbares Kennzeichen sind die Hecken und Abtrennungen, mit denen jeder Bauer nun seinen Acker umgibt. Solche Hecken sind heute selten geworden  ; sie gelten als wichtige biotopvernetzende Strukturen und Refugien der Artenvielfalt. In der Romanperspektive sind das jedoch Markierungen privater Besitzansprüche gegenüber einer größeren Einheit der Vergangenheit, deren ideeller Wert in pragmatische Nutzungsansprüche umgemünzt wurde. Die Romanhandlung Balzacs setzt ein mit einer Schilderung der Schönheiten des Besitzes, dessen Ende wir oben kennengelernt haben. Das Gut „Les Aiges“ umfasst alle Landschaftselemente zwischen Kultur und Natur, von Parkanlagen über sanfte Täler und Hügel bis hin zu dichten, weit ausgedehnten Wäldern. Der ehemalige General Napoleons, Graf von Montcornet aus Paris, hat dieses Gut gekauft. Der Militär schützt sein Eigentum mit militärischen Mitteln. Um die gewohnheitsrechtliche Nutzung der Wälder durch die Bauern zu unterbinden, stellt er Wachen auf, die von Michaud kommandiert werden, einem ehemaligen Untergebenen des Generals. Ein unerklärter Krieg mit den Bauern entwickelt sich um Brennholz, Waldverwüstungen, Nachlese auf den Äckern und Wilderei, die jeweils aus der Perspektive der einen oder anderen Partei ganz anders interpretiert werden. Eine Tragödie eskaliert, in deren Verlauf der Wächter Michaud ermordet wird. Auch der General selbst wird bedroht  ; er gibt schließlich auf und verkauft den gesamten Besitz in einzelnen Parzellen, die in der Folge weiter aufgeteilt werden. Die neuen Eigentümer sind als „Hintermänner“ der Landbevölkerung Geld besitzende Bourgeois und Spekulanten. Das Ergebnis ist die „Musterkarte“ des Schneiders. Balzac zeichnet eine schärfere politische Konfrontation, als sich allein aus der Auflösung der „Gemeinheiten“ und Allmenden ergeben würde. Bei ihm 109

Der Weg zur Agrarindustrie

ist der Graf Montcornet Sachwalter und Nachfolger der adeligen Grundherren. In dieser Eigenschaft verteidigt er die Forste und Anlagen, die das Ancien Régime vor der Französischen Revolution aufgebaut hatte, wenn auch oft nur, um das Vergnügen und die Jagd zu sichern. Jedoch verbindet sich bei Balzac das Erstarken einer Geld besitzenden Bourgeoisie mit den Besitzansprüchen der Bauern in verhängnisvoller Weise  : Der neue Eigentumsbegriff, der aus dieser Konstellation resultiert, zerstört und zerstückelt die jahrhundertealten Landschaftsräume im Namen privatwirtschaftlich verstandener kommerzieller Interessen. Aus einer sehr konservativen Perspektive heraus übt Balzac hellsichtig Kritik an einer Entwicklung, deren Folgen wir heute sehen. Agrarindustrie Paradoxerweise hat gerade die Suche nach alternativen Brennstoffen eine weitere Stufe der Kommerzialisierung und Industrialisierung der Landwirtschaft gezündet. Der politisch gewollte und entsprechend subventionierte Anbau von Pflanzen für die Produktion von Biotreibstoff hat in der ganzen Welt immer neue Monokulturen hervorgebracht. Regenwald wird dafür gerodet und Moore werden trockengelegt. Die Ökobilanz dieser Kraftstoffe ist höchst umstritten. Hinzu kommt, dass durch den Anbau der nachwachsenden Rohstoffe eine Konkurrenz um die Flächen zum Anbau von Nahrungsmitteln naheliegt. Der sogenannte Tank-Teller-Konflikt steht immer wieder in der öffentlichen Diskussion. Die Forschung arbeitet an Alternativen wie der Nutzung von Abfällen oder Algen, Lösungsvorschläge werden in den Naturschutzorganisationen und in der interessierten Öffentlichkeit diskutiert. Aber die Entwicklungen der Agrarchemie stellen vor immer neue Herausforderungen. Hier treten in den letzten Jahren Anbieter hervor, die mit ihren Produkten und Methoden Weltpolitik machen. Bei der Firma Monsanto etwa kann der Landwirt weltweit genverändertes Saatgut erwerben, das gegen Schädlinge resistent ist und zugleich das Herbizid Glyphosat toleriert. Dieses hochumstrittene Mittel ist ebenfalls in einem Breitbandherbizid enthalten, das unter dem Markennamen „Roundup“ bekannt ist. (Monsanto 110

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Viel Sand  : ein weites Feld in Ostdeutschland (Maisanbau).

hatte auch das Entlaubungsmittel „Agent Orange“ produziert, das die USA im Vietnamkrieg eingesetzt hatten.) Das gesamte Paket umfasst dann das in Saatgutproduktionsanlagen erzeugte Produkt sowie die dazugehörigen Pestizide aus einer Hand. Das Unternehmen schreibt sich damit einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Welternährungslage zu. Durch eine Übernahme von Monsanto durch das Chemieunternehmen Bayer AG würde der neue Konzern zum weltweit führenden Anbieter von Saatgut und Pestiziden werden. Unterstützt durch eine zunehmende Digitalisierung soll das Agrarmanagement auf Effizienzkurs gebracht werden. Allerdings haben sich seit einigen Jahren schon gegen Herbizide resistente Wildkräuter entwickelt, so dass mit einer Herbizidspirale zu rechnen ist. Dass das Gesamtkonzept sich verheerend auf die Artenvielfalt auswirkt, Monokulturen fördert und die Bauern in immer stärkere Abhängigkeit von Konzernen bringt, liegt auf der Hand. Wenn dieses Modell sich in der ganzen Welt verbreitet, liegt die Art, wie wir uns ernähren, wie wir unsere Landschaft gestalten und wie sich das Klima entwickelt, ebenfalls in der Hand weniger Konzerne. Denn auch der Beitrag der konventionellen 111

Der Weg zur Agrarindustrie

Landwirtschaft zum Klimawandel ist mitzudenken. Dass Überschüsse aus landwirtschaftlicher Produktion, die exportiert werden, in Entwicklungsländern die heimischen Märkte zerstören können, gehört ebenfalls mit in die Gesamtrechnung. Und wenn wir mit unseren Ernährungsgewohnheiten auch unseren Fleischkonsum in die ganze Welt exportieren, wird dies nicht nur die Gesundheit der Menschen schädigen, sondern auch das gesamte Welternährungssystem kollabieren lassen. Die Alternativen setzen u. a. an bei einer Stärkung der Selbstversorgerstrukturen in den Ländern, bei biologischem Pflanzenschutz, effizienterer Düngung, Förderung von „Nützlingen“ und vielgliedrigeren Fruchtfolgen. Dem Projekt der „Energiewende“, das sich ja bereits in Umsetzung befindet, folgt nun der Begriff der „Agrarwende“. Agrarwende Eine Erhaltung oder Restitution der vielfältigen und artenreichen Kulturlandschaft kann sich nur aus ihren Nutzungszusammenhängen ergeben. Ein deutlicher Ausbau der Biolandwirtschaft ist jedoch eine sehr abstrakte Forderung. Dreh- und Angelpunkt, über den eine Agrarwende gesellschaftlich anschlussfähig wird, könnte aber der Fleischkonsum werden. Menschen entwickeln Mitgefühl mit den Tieren, lehnen die Massentierhaltung ab und essen daher weniger Fleisch. Dies ist zur akzeptierten gesellschaftlichen Position avanciert. Parteien wie Bündnis 90/Die Grünen in Deutschland sowie die Natur- und Umweltschutzverbände vertreten ein Abrücken von der Massentierhaltung. Es gibt immer mehr einschlägige Publikationen, die auf die öffentliche Meinung einwirken. Schriftsteller wie Jonathan Safran Foer mit dem Sachbuch „Tiere essen“ oder der Philosoph Richard David Precht mit „Tiere denken“ nehmen Stellung. In der Tat würde eine Verringerung des Fleischkonsums viel zur Verbesserung der Welternährungslage beitragen, denn es ist effizienter, Pflanzen direkt zu essen, als sie an Tiere zu verfüttern, um dann diese zu verspeisen. 112

van Gogh, Die Ebene bei Auvers

Damit entstünde eine Kette von Folgewirkungen  : Weniger Vieh wird gehalten, das Vieh kommt wieder nach draußen, Weiden und Wiesen werden wieder gebraucht, die man dann doch bitte mit Hecken abgrenzen möge. Weniger Rinder und Schweine bedeuten weniger klimaschädigendes Methan, weniger Gülle und damit eine Reduzierung der Ammonium-, Stickstoff- und Nitratverschmutzung in Böden und Wasser. Von da an ist der nächste Schritt zu mehr nachhaltiger Landwirtschaft nicht mehr weit. Greenpeace veröffentlichte im Januar 2017 eine Studie, die den Weg zu einer klimaverträglichen und ökologisierten konventionellen Landwirtschaft in Deutschland bis zum Jahr 2050 in konkreten Schritten vorstellt. Voraussetzungen sind eine deutliche Senkung des Fleischkonsums, am besten auf die Hälfte, und eine Halbierung der Lebensmittelabfälle. Die Studie beschreibt die Kulturlandschaft der Zukunft so  : In 2050 durchzieht die Agrarlandschaft ein Mosaik aus Landschaftsstrukturen, vielfältigen Biotopen und Lebensräumen. Die Agrobiodiversität hat sich insgesamt deutlich verbessert. In den Roten Listen werden weniger gefährdete Arten geführt, die Bestände von Wildbienen und Hummeln und von vielen bedrohten Feldvogelarten haben zugenommen. Auf Flächen, die eine extensive Nutzung und Pflege benötigen, ist diese langfristig gesichert. Schädliche Stoffeinträge durch chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel oder Eutrophierung werden verhindert. Eine große Vielfalt an Kulturpflanzenarten und -sorten wird angebaut. In Flussauen wird Ackerland in Grünlandnutzung überführt und natürliche Retentionsflächen werden für zukünftige Überschwemmungen bereitgestellt.103

Hier taucht also für ein kleinteilig parzelliertes Erscheinungsbild die Metapher des Mosaiks auf, eine deutlich freundlichere Wortwahl als die „Musterkarte“ des Schneiders. Die Landschaft nach einer Agrarwende würde sicherlich anders aussehen als im 19. Jahrhundert, anders als ein Bild van Goghs, aber auch anders als jetzt. Hoffentlich so, dass wir sie bejahen können …

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Paula Modersohn-Becker, 1876–1907, Frau mit Kindern in der Torfkuhle, 1900, Öl auf Pappe, 40,4 × 28,4 cm, Hannover, Niedersächsisches Landesmuseum.

Trockenlegung der Sümpfe und Moore  : Ödland und Wildnis verschwinden Das Bild  : Modersohn-Becker, Frau mit Kindern in der Torfkuhle

Worpswede und die Moderne Erdfarben dominieren dieses Bild. Tiefes, sattes Rötlichbraun und dunkles Grün bilden eine farbliche Einheit, vor der das helle Kleid des Kindes und die Bluse der Frau sich abheben, ebenso der Himmel am hohen Horizont. Der grünschwarze Rock der Frau verschmilzt farblich mit der Erde. „Frau mit Kindern in der Torfkuhle“ lautet der Titel des Werks. Die drei stehen am Boden der Kuhle vor einer Wand, die durch den abgestochenen Torf entstanden ist, die Frau und das kleinere Kind verschmelzen mit der Fläche bzw. mit dem Material. Das Bild, obwohl von kleinem Format, gewinnt Präsenz durch einfache, große Formen. Die Figuren wirken monumental, die Torfwand wird künstlerisch genutzt, um die Figuren von diesem ungewöhnlichen hohen Hintergrund abzuheben. Die Darstellung lebt nicht von Details oder Milieuschilderung, die Gesichter, Einzelheiten der Kleidung oder des Geräts sind nicht ausgeführt. Das Bild ist radikal anders. Das Landesmuseum Hannover verfügt noch über eine weitere Arbeit von Modersohn-Becker zu diesem Thema  : „Männer in der Torfkuhle“ – Menschen, die aus der Erde herauszuwachsen scheinen, mit der Erde verschmelzen. Auch hier ist das Torfstechen thematisiert. Paula Modersohn-Becker, die Malerin des Bildes, wird seit einigen Jahren wieder und neu entdeckt. Das „Musée d’Art moderne de la ville de Paris“ widmet ihr 2016 die erste eigene Werkschau in Frankreich. Damit ist sie dort angekommen, wo die Wurzeln ihrer Kunst eigentlich liegen  : im Kreis der großen Impulsgeber der Moderne und in Paris. Ebenfalls im Jahr 2016 läuft in Deutschland der Film „Paula – Mein Leben soll ein Fest sein“, der ihre Biografie und vor allem die Kämpfe um künstlerische 115

Trockenlegung der Sümpfe und Moore

Selbstbestimmung in ihrer Ehe mit Otto Modersohn zum Thema hat. Anfang 2017 präsentiert das Bucerius Kunst Forum in Hamburg sie in einer Einzelausstellung, die speziell ihrer Bedeutung für die Moderne gewidmet ist und eine Neubewertung ihrer Arbeit unter diesem Aspekt anstrebt. Paula Modersohn-Becker gehört wie van Gogh zu den Künstlerinnen und Künstlern, die zu ihren Lebzeiten nicht in ihrer Bedeutung erkannt wurden.104 Als Frau konnte sie keine akademische Ausbildung durchlaufen, sondern bildete ihr Talent durch Privatunterricht aus, vor allem in Berlin, wo sie die zeitgenössischen Kunstströmungen kennenlernte. Sie besuchte Museen und Ausstellungen, las Nietzsche. Auf Wunsch der Eltern absolvierte sie eine Lehrerinnenausbildung, ließ aber schon früh erkennen, dass sie diesen Beruf nicht ausüben würde. Ende 1898 lässt sie sich in der Künstlerkolonie Worpswede in der Nähe von Bremen, wo die Eltern leben, dauerhaft nieder. Sie erhält Unterricht von Fritz Mackensen, der die Künstlerkolonie mit begründet hat. Hier leben und arbeiten Künstler, die überwiegend aus der berühmten Düsseldorfer Malerschule stammen. Düsseldorf hat einen spätromantischen Typ von Landschaftsdarstellung geschaffen, der einem sehr konventionellen Schönheitsbegriff verpflichtet ist. In der Künstlerkolonie Worpswede versucht man nun, sich von den akademischen Konventionen abzuwenden. Ebenso möchte man, wie die Maler in Barbizon bei Paris, fernab der großen Städte und der Industrie ein einfaches, authentisches Leben führen. Man sucht eine ursprüngliche Landschaft, die nicht, wie etwa der Rhein, einem mehrheitsfähigen Verständnis von Lieblichkeit und Anmut entspricht. Das Herbe, Archaische zieht an. Neben Fritz Mackensen trifft Paula Becker hier u. a. Otto Modersohn, den sie später heiraten wird, Fritz Overbeck, Hans am Ende und Heinrich Vogeler, der seinen Barkenhoff zum Zentrum der Bewegung macht. Auch Rainer Maria Rilke und seine Frau Clara Westhoff, mit der Paula Modersohn-Becker sich befreundet, halten sich zeitweise in Worpswede auf. Paula Modersohn-Becker wächst sehr schnell über das Niveau der Worpsweder Künstler hinaus. Diese bewegen sich zwar nicht mehr auf den Spuren der akademischen Konvention, aber doch auf einer Ebene, 116

Modersohn-Becker, Frau mit Kindern in der Torfkuhle

die Paulas Streben nach Modernität nicht gerecht wird  : Heimatverbundenheit und deutsches Wesen werden auch von ihrem Mann hochgehalten. Deutsch-völkische Ideen sind den Worpswedern nicht fremd. Gerade Fritz Mackensen wird später von den Nationalsozialisten geschätzt werden. Die Landschaftsbilder, die in der Künstlerkolonie entstehen, zeigen eine harmonische, etwas melancholische Stimmung, die einen bestimmten Bildtypus von norddeutscher (Moor-)Landschaft prägt und schnell konventionell wird. Menschen sind eher Staffage. Ein lyrischer Ton von Moorromantik breitet sich über die Bilder, der sie als Projektionsflächen der Sehnsucht nach neuen Wunderländern der Entrückung erscheinen lässt. Man ist einst aufgebrochen und nun eben angekommen, durchaus nicht mehr auf dem Weg. Paula Modersohn-Becker dagegen ist erst am Anfang ihres Weges. Im Jahr 1900 erfüllt sich ein großer Wunsch  : Sie reist nach Paris und überschreitet damit auch symbolisch die Schwelle zum 20. Jahrhundert. Sie trifft dort Clara Westhoff, die Schülerin Auguste Rodins ist. Diesem Parisaufenthalt werden bis 1906 weitere folgen. Paris ist um 1900 die Kulturmetropole Europas. Hier haben avantgardistische Künstler bereits den Impressionismus hinter sich gelassen und suchen neue Ausdrucksmöglichkeiten. Fauvismus und Expressionismus bahnen sich an. Paula Modersohn-Becker nimmt wieder privaten Kunstunterricht. Eine Bestätigung ihrer künstlerischen Entwicklungsrichtung findet sie in Paris bei Malern wie Cézanne, van Gogh, Gauguin, Matisse. Auch die japanischen Holzschnitte, die schon van Gogh fasziniert haben, lernt sie kennen. Die Künstlergruppe der „Nabis“ um Maurice Denis, Paul Sérusier, Pierre Bonnard, Édouard Vuillard, Félix Vallotton beeindruckt sie. Rainer Maria Rilke, der es fertiggebracht hatte, einen Text über die Worpsweder Maler zu verfassen, ohne Modersohn-Becker zu berücksichtigen, findet 1906 freundliche Worte für ihren ganz eigenen Weg, der sich doch seltsam mit dem van Goghs berühre.105 In Deutschland war um 1900 ein Weltanschauungskrieg um die Frage entbrannt, ob man sich der französischen Avantgarde anschließen oder 117

Trockenlegung der Sümpfe und Moore

einen „deutschen Stil“ pflegen solle. In weiten Kreisen der Bevölkerung entwickelte sich ein neues Verhältnis zur Natur, zur deutschen Landschaft und zu den Bauern. Völkische Einheit, Reinerhaltung des deutschen Bodens und Schutz vor Überfremdung wurden propagiert. Mit Vehemenz wandte man sich im Namen der Heimat gegen die Städte, denen man alle Verderbnisse der westlichen Zivilisation zuschrieb. Liberalismus und Materialismus der Industrialisierung wurden gegen die Gemütstiefe heimatlicher Verwurzelung ausgespielt. Das einfache Leben auf dem Land mit einem Bauernstand, der für die deutsche Volkskraft sorgte, sollte der allgemeinen Degeneration abhelfen. Man möchte nun altdeutsche Kleinstädte, deutsche Dörfer und germanische Fachwerkhäuser zu Mustern der Baukunst erheben, empfindet Telefonkabel und Eisenbahnschienen in der Landschaft als Bildstörung und verlangt die Wiederherstellung von Bauernlandschaften der guten alten Zeit. Der Schutz der Kulturlandschaft soll wie die Restaurierung eines Gemäldes funktionieren, zumal man sich in der Tat stark an den Bildern der Romantiker orientiert. Modernismus und Internationalismus werden mit hohem Affektgehalt abgelehnt. Kapitalismus- und Modernekritik speisen sich aus dem Geiste deutscher Heimatverbundenheit. Bäuerlich-völkische Sitten und Trachten werden wiederbelebt. Bauern gelten als gesund und kräftig, sie werden zu Leitfiguren eines deutschen Lebensstils erhoben.106 Diese ideologischen Frontlinien übertragen sich auf die Kunstdiskussion. In Worpswede sind es Fritz Mackensen und Carl Vinnen, die Konservativsten der Gruppe, die sich eindeutig gegen die ausländische Malerei und vor allem gegen die französische positionieren.107 Es ist heute kaum zu ermessen, was es bedeutet haben muss, wenn eine Frau sich allein gegen diese Tendenzen stellte bzw. einfach an ihnen vorbeischritt und eigenständig neue Ziele anging. Sie suchte die große Einfachheit der Form, den unkonventionellen Blick und die Macht der Farben. In den wenigen Jahren bis zum Ersten Weltkrieg sind neue Kunstrichtungen in schnellem Wechsel und zum Teil parallel mit enormer Geschwindigkeit durch die europäische Kunstwelt gerauscht  : Fauvismus, Expressionismus, Kubismus, Abstraktion. Deutschland findet mit der Dresdner „Brücke“ 118

Modersohn-Becker, Frau mit Kindern in der Torfkuhle

und dem Münchner „Blauen Reiter“ Anschluss an die Kunstentwicklung der Moderne. All dem voraus geht Paula Modersohn-Becker als große Einzelne. Menschen Kehren wir zu unserem Bild zurück. Zu Modersohn-Beckers bevorzugten Sujets gehören die Menschen ihrer Umgebung in Worpswede. Sie malt Bauern und Bäuerinnen, alte Menschen, Kranke, Armenhäuslerinnen und Sonderlinge, oft auch die Kinder. Diese Menschen wirken weder gesund und stark noch taugen sie zu Leitbildern des Heimatschutzes. Man könnte sagen, es sind von der Arbeit deformierte Menschen in einem zivilisatorischen Notstandgebiet. Aber das trifft die Bedeutung ihrer Arbeiten nicht ganz. Sie ist keine Sozialkritikerin. Sie malt Aktbilder, auch von sich selbst, die unkonventionell unschöne Körper zeigen. Sie malt nackte Mütter mit ihren Kindern, deren schwere Körper blassen Landschaften gleichen. Ihre Selbstporträts als Akt werden großformatiger, vor ihrem Tod versucht sie sich an Lebensgröße. Auch sich selbst reiht sie ein unter die Menschengestalten, denen sie Form und Farbe gibt. Ihr Porträt des Dichters Rainer Maria Rilke wirkt beunruhigend gesichtslos. Dabei strahlen die Bilder durch die Art, wie sie malt, eine geheimnisvolle Großartigkeit aus. Sie schafft es auch in ihren Stillleben, das Bedeutungslose auf rätselhafte Weise eindrucksvoll erscheinen zu lassen. Die einfachsten Gegenstände und Landschaften, die einfachsten Menschen ebenso wie ihre Freunde und sie selbst sind in ihrer Malerei von der gleichen Wirkungsenergie durchleuchtet. Das ist eine humane Position der Kunst. Als sie 1907 nach der Geburt ihres ersten Kindes an einer Embolie stirbt, war sie eine große Menschenmalerin geworden. In den Frauen und Kindern in der Torfkuhle deutet sich all das schon an. Viele Stilmerkmale und die Wahl des Sujets weisen auf ihre eigene Entwicklung wie die der Kunst voraus. Darüber hinaus ist Paula Modersohn-Becker die Einzige der Worpsweder, die die arbeitenden Menschen 119

Trockenlegung der Sümpfe und Moore

nicht als Staffage oder idyllische Landleute verwendet, sofern sie überhaupt auftauchen. Obwohl sie keine sozialkritische Malerin ist, setzt sie ihnen damit ein Denkmal. Eine Dorfchronik aus dem Jahr 1937 schildert diese mühevolle Arbeit in der Torfkuhle im Teufelsmoor bei Worpswede ausführlich. Eine Arbeitswelt tut sich hier auf, die heute kaum vorstellbar ist  : Die Mooranbauer führen ein saures Leben. Von April bis Ende Juli beschäftigen sie sich ausschließlich mit der Torffabrikation. In dieser Zeit trifft man sie mit Ausnahme von zwei Mittagsstunden von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang bei der Torfkuhle. Bis Ende des vorigen Jahrhunderts wurde nur Stechtorf in der einfachen Weise fabriziert, dass man die Soden aus dem Moore herausstach. An die Stelle des Stechtorfs trat allmählich der Backtorf. Derselbe wird auf folgende Weise verfertigt. Nachdem das untere schwarze Moor von der oberen grauen Schicht befreit worden ist, wird derselbe bis auf den Sand herausgegraben, die Stücke auf einem Karren oder einem auf Schienen laufenden Wagen auf die dazu bestimmte Fläche gefahren und mit einer Forke in einer Dicke von etwa 25 cm zusammengesetzt und zerschlagen. Dann wird er zunächst mit bloßen Füßen zerknetet danach mit gewöhnlichen Holzschuhen dicht gestampft, dann mit Brettholzschuhen, die sich durch größere Breite und das Fehlen des Absatzes von den übrigen unterscheiden, „eben“ getreten und endlich mit einem besonderen Spaten, der aus einem bogenförmigen mit einem Griff versehenen Stiel und einem an diesem befestigten dreieckigen Eisen besteht, geschmiert, so dass die Oberfläche ein spiegelglattes Aussehen erhält. Diese Masse wird zunächst durch Längsschnitte in 25 cm breite Streifen und darauf durch Querschnitte in 10 cm breite Soden geteilt. Nach einiger Zeit wird der Torf „aufgenommen“ und kann dann wieder nach einiger Zeit zu größeren Haufen zusammengelegt werden. Das ist eine sehr mühsame und langwierige Arbeit.108

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Modersohn-Becker, Frau mit Kindern in der Torfkuhle

Das ökologische Auge  : Die Trockenlegung der Sümpfe Kolonialisierung der Wildnis Es ist auch hier erstaunlich, dass von den Künstlern eine Landschaft und eine Bevölkerung als ursprünglich empfunden werden konnten, die aus der aufklärerischen Überwindung der Wildnis hervorgegangen waren. Die Landschaft war rau und die Menschen arm, aber ursprünglich waren sie nicht. Sie waren eher späte Opfer einer verfehlten Siedlungspolitik. Die Besiedlung und Kultivierung des Teufelsmoors bei Worpswede gehörte zu den großen Projekten der „Eroberung der Natur“. Bis ins 19. Jahrhundert hinein hatten Moore als wild, wüst und gefährlich gegolten. Niemand ging freiwillig dorthin. Moor war Niemandsland. Aber im 17. Jahrhundert gab es mit den „Fehnkolonien“ in Norddeutschland schon erste Versuche, Moore nutzbar zu machen. Es handelte sich um waghalsige Projekte der „Kolonisation“, die ähnlich mühevoll und gefährlich anmuteten wie die Kolonisation ferner Länder. Das Prinzip der Fehnkolonien war von den Holländern, die als beste Wasserbauer des Kontinents galten, übernommen und zum ersten Mal 1631 in Papenburg im Emsland umgesetzt worden.109 In Worpswede war es der Moorkommissar Jürgen Christian Findorff, der um 1750 die Kolonisation der gesamten Teufelsmoorniederung in geordnete Bahnen lenkte. Der Mann ist in der Gegend immer noch präsent, er war u. a. Namensgeber für eine Kirche, einen Hof, einen Ort „Findorf“ sowie einen Stadtteil Bremens. Im Auftrag der kurfürstlichen Regierung in Hannover gründete er Siedlungen und ließ Kanäle, Entwässerungsgräben und Dämme anlegen. Jeder Kolonist bekam etwa 13 Hektar Moorland zugewiesen, Findorff legte 60 neue Moordörfer an, die sogenannten „Findorffschen Reihendörfer“. Das mühevolle und entbehrungsreiche Unterfangen zog die Siedler häufig nicht aus der Armut heraus, vor der sie geflohen waren. Es bewarben sich oft Knechte und Söhne von Bauern, die aufgrund älterer Brüder kein Erbrecht mehr auf den Höfen hatten.110

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Trockenlegung der Sümpfe und Moore

Die Regierung unterstützte das Vorhaben dadurch, dass sie den Anbauern für 20 Jahre Befreiung von allen Abgaben und vom Militärdienste bewilligte. Große Schwierigkeiten verursachte den ersten Anbauern im sumpfigen Moore der Transport des Baumaterials. Einige, die etwas Geld besaßen, ließen dasselbe im Winter bei Frostwetter anfahren  ; andere, welche die Ausgaben sparen wollten, benutzten den Schubkarren und noch andere, die im Sommer bauen wollten, zu welcher Zeit das Moor auch nicht für einen beladenen Schubkarren passierbar war, scheuten nicht die Mühe, das Material an die Baustelle zu tragen. Wer Geld oder Kredit besaß[,] baute sich ein kleines Haus, die meisten mussten sich mit notdürftig eingerichteten Hütten begnügen. Sämtliche Wohnungen bestanden aus Holz, Lehm, Torf und Stroh. Steine brachte man nicht in Anwendung, weil sie zu teuer und auch für den weichen Boden zu schwer waren.111

Viele Erwartungen der Siedler erfüllten sich nicht. Der Moorboden der Hochmoore erwies sich vor dem Zeitalter der Mineraldüngung als weitgehend ungeeignet für Ackerbau und Viehhaltung, so dass die Bevölkerung überwiegend vom Torf lebte, der nach Bremen verkauft wurde.112 Eine andere Methode, der Moore und Sümpfe Herr zu werden, war die Moorbrandkultivierung  ; auch dies eine holländische Erfindung, die von den Deutschen ab dem 17. Jahrhundert übernommen worden war. Die Moorbrandkolonien verbreiteten sich im Emsland, in Oldenburg und Ostfriesland schneller als die Fehnsiedlungen, weil sie kostengünstiger und einfacher einzurichten waren. Die Oberfläche des Moores wurde mehrfach grob aufgelockert, damit sie trocknen konnte, und dann nach dem letzten Frost abgebrannt. In die Asche säte man Buchweizen. Der Boden gab das drei bis vier Jahre lang her, dann war er am Ende. Im besten Fall dauerte es sieben Jahre, bis dem Boden sämtliche Nährstoffe entzogen waren. Der Moorbauer musste weiterziehen und das nächste Stück Moor abbrennen. Buschfeuer wurden ausgelöst, deren Rauch über ganz Norddeutschland hing. Für die Siedler war das eine hoffnungslose Angelegenheit  ; sie gerieten in äußerste Armut und in Verruf in den umliegenden wohlhabenderen Dörfern. Der Historiker David Blackbourn parallelisiert die Hungerkrise 122

Modersohn-Becker, Frau mit Kindern in der Torfkuhle

der Buchweizenkolonien in Ostfriesland und Oldenburg ab den 1840er Jahren mit der Krise der Weber in Schlesien. Sie führte zu einer Massenauswanderung aus Deutschland, aber auch in den 1870er Jahren zu neuen, effizienten und wissenschaftlich hinterlegten Kultivierungsmethoden  : der deutschen Hochmoorkultur. Mit staatlicher Unterstützung aus Preußen und Bremen wurden über eine Zentral-Moor-Kommission, eine Moorversuchsstation und Versuchskolonien der Einsatz von Kunstdünger und andere rationelle Verfahren entwickelt, die es schließlich erlaubten, Hochmoorsiedlungen mit Ackerbau und Viehzucht zu betreiben. Im ersten Gebiet dieser Art, dem Marcardsmoor in Ostfriesland, wurden Strafgefangene bei den Bauarbeiten eingesetzt, was bald in ganz Deutschland Nachahmung fand. Große Torfunternehmen entstanden und große Güter, die den Torfabbau und die Umwandlung der Moore industrialisierten.113 Der Prototyp der Kolonialisierung wilder Moore und Sümpfe war jedoch die Kultivierung des Oderbruchs durch Friedrich II. im 18. Jahrhundert gewesen. Theodor Fontane berichtet in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, wie es hier einmal ausgesehen haben mag, bevor die segensreichen Bemühungen des großen Eroberungsprojekts die Wüstenei beseitigten  : Alle noch vorhandenen Nachrichten stimmen darin überein, daß das Oderbruch vor seiner Urbarmachung eine wüste und wilde Fläche war, die (vielleicht unsrem Spreewald nicht unähnlich) von einer unzähligen Menge größerer und kleinerer Arme der Oder durchschnitten wurde. Viele dieser Arme breiteten sich aus und gestalteten sich zu Seen (…). Das Ganze hatte, im Einklang damit, mehr einen Bruch-, als einen Wald-Charakter, obwohl ein großer Theil des Sumpfes mit Eichen bestanden war. Alle Jahr stand das Bruch zweimal unter Wasser, nämlich im Frühjahr um die Fastenzeit (nach der Schneeschmelze an Ort und Stelle) und um Johanni, wenn der Schnee in den Sudeten schmolz und Gewitterregen das Wasser verstärkten. Dann glich die ganze Ebene einem gewaltigen Landsee, aus welchem nur die höher gelegenen Theile und die Horsten emporragten  ; ja bei ungewöhnlich hohem Wasser wurden selbst diese überschwemmt. 123

Trockenlegung der Sümpfe und Moore

Wasser und Sumpf in diesen Bruchgegenden beherbergten natürlich eine eigne Thierwelt, und was den Reichthum an Wasser- und Sumpfthieren angeht, so würden die Berichte darüber allen Glauben übersteigen, wenn nicht urkundliche Beläge diese Traditionen unterstützen.114

Friedrich  II. setzte 1747 eine Oderbruch-Kommission ein, die sich von Anfang an durch weitreichende Pläne auszeichnete.115 Der berühmte Schweizer Mathematiker Leonhard Euler wurde hinzugezogen. Die Arbeiten an der Trockenlegung des Oderbruchs und der Umleitung der Oder waren von vielfältigen Schwierigkeiten heimgesucht, Sumpffieber, Krankheiten, die Widrigkeiten des Geländes, Wetterprobleme, Überschwemmung, Arbeiter, die unter entsetzlichen Bedingungen arbeiten mussten und ausfielen, Materialprobleme und Auseinandersetzungen mit der Bevölkerung, um nur einige zu nennen. Das Projekt wurde legendär für den Kampf der Menschen gegen die Urkräfte der Natur. 1751 unterstellte Friedrich das Projekt einer militärischen Leitung. Etwa 1200 Arbeiter, davon 950 Soldaten, wurden bald eingesetzt. 1753 waren die Arbeiten abgeschlossen. Friedrich ließ bis zu seinem Tod zahlreiche weitere Urbarmachungen folgen, die preußischen Sümpfe verschwanden. Er schuf Ordnung, vermaß die Welt und verbreitete Nutzen, wie man das von einem aufgeklärten Fürsten erwarten durfte. Die Eroberung der Natur war eine Verbesserung der Natur. Wildnis, Überschwemmungen und die heimtückischen Krankheiten der Sümpfe waren freundlicher Fruchtbarkeit gewichen. Die Menschen kamen. Während der Regierungszeit Friedrichs zählte Preußen 300.000 Einwanderer  ; zwischen 1740 und 1786 wurden rund 1200 neue Dörfer und Siedlungen in den ehemaligen Wildnissen gegründet. Die Kolonisten kamen aus ganz Deutschland, denn Friedrich betrieb eine systematische Siedlerwerbung und gewährte Anreize. Auch Opfer von wirtschaftlicher Not und religiöser Verfolgung gingen darauf ein. Die ansässige Bevölkerung reagierte nicht immer erfreut. Das hatte nicht nur mit Fremdenfeindlichkeit zu tun. Wie bei der Kolonialisierung ferner Länder hatte es auch im Oderbruch „Eingeborene“ 124

Modersohn-Becker, Frau mit Kindern in der Torfkuhle

gegeben, Fischer und Marschbauern, die sich auf die Bedingungen des Feuchtgebietes eingestellt hatten. Ihnen wurde nun die Lebensgrundlage entzogen. Sie setzten sich zum Teil durch Sabotageakte zur Wehr, versuchten sich durch Petitionen zu retten oder klammerten sich weiterhin an die überlieferte Lebensweise.116 Letztlich mussten auch diese „Wilden“ den neuen Zeiten weichen. Aber hier ist weit mehr verloren gegangen. Die Colonisten waren nun angesetzt und die Urbarmachung begann. Das nächste, was der Trockenlegung folgte, war die Ausrodung. Diese Ausrodung führte in den ersten Jahren zu seltsamen Scenen, wie sie seitdem, wenigstens in unsrer Provinz, wohl nicht wieder beobachtet worden sind. Die ausgerodeten Bäume und Sträucher, – da keine Gelegenheit gegeben war, die ganze Fülle dieses Holzreichthums zu verkaufen oder wirthschaftlich zu verwerthen, – wurden zu mächtigen Haufen aufgeschichtet und endlich, nachdem sie völlig ausgetrocknet waren, angezündet und verbrannt. Aber das Austrocknen dieser ausgerodeten Sumpf-Vegetation dauerte oft monatelang und so kam es, daß diese aufgeschichteten Holz- und Strauchhaufen eine willkommene Zufluchtsstätte für all’ die Thiere wurden, die bei den Ausrodungen rings umher aus ihren Schlupfwinkeln aufgescheucht worden waren. In diesen Holz- und Strauchhaufen steckten nun die Thiere drin, bis der Tag des Anzündens kam. Dann, wenn Qualm und Flamme aufschlugen, begann es, bei hellem Tagesschein, in dem Strauchhaufen lebendig zu werden, und nach allen Seiten hin jagten nun die geängstigten Thiere, wilde Katzen, Iltisse, Marder, Füchse und Wölfe über das Feld. Ebenso wurde ein Vernichtungskrieg gegen Wildpret und Geflügel geführt (…).117

Das Oderbruch wurde schließlich zum Gemüsegebiet für Berlin. Die Industrialisierung der Landwirtschaft auch in der ehemaligen DDR brachte den Einsatz immer größerer und schwerer Maschinen mit sich. Um deren Einsinken zu verhindern, wurde der Grundwasserspiegel erheblich abgesenkt, was wiederum dazu führte, dass die Flächen künstlich beregnet werden mussten. Heute sind, auch im Zuge der EU-Agrarpolitik, große Teile des Gebietes aus der Produktion herausgenommen.118 125

Trockenlegung der Sümpfe und Moore

Die ökologischen Folgen Die Folgen der Kultivierung der Sümpfe und Moore sind von dem Ökologen Peter Poschlod am Beispiel der Entwässerung des Donaumooses bei Ingolstadt durch Karl Theodor von der Pfalz dokumentiert worden.119 Nachdem Karl Theodor das Kurfürstentum Bayern geerbt hatte, ging auch er an das aufklärerische Werk der Kultivierung der Wildnis. Ab 1790 ließ er im Donaumoos 473 Kilometer Kanäle und Gräben anlegen und gründete zahlreiche Siedlungen. Viele Menschen aus Baden und der Pfalz gingen dorthin. Wie im Oderbruch wurde als Kulturpflanze die Kartoffel eingeführt. Das Moor ist heute nicht mehr vorhanden, das Gebiet hat sich in eine ackerbaulich genutzte Agrarlandschaft verwandelt. Der Boden liegt durch Absackung und durch Abbau des Torfs heute etwa vier Meter tiefer. Poschlod listet zahlreiche feuchtigkeitsliebende Pflanzen, die langsam seit dem 18. Jahrhundert bis heute verschwunden oder selten geworden sind. Neben der Kartoffel wird im Donaumoos heute auch Mais angebaut. Er, aber vor allem die Kartoffel zehrt stark am Torf. Dadurch werden im Donaumoos heute jährlich 650.000 Tonnen des Klimagases Kohlendioxid freigesetzt. Das ist eine Menge, die dem Ausstoß einer Stadt mit 60.000 Einwohnern entspricht. Und damit ist ein Kernproblem auch schon umrissen. Der technische Fortschritt schuf immer intensivere Methoden der Moorbearbeitung, die zur Moorvernichtung führten. Dies verstärkt den Klimawandel. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden mit den „Ödlandgesetzen“ die letzten naturnahen Gebiete ins Visier genommen. Neben den Flurbereinigungen wirkten sich diese Maßnahmen besonders drastisch aus. Genauestens wurde definiert, was unter Ödland zu verstehen sei, nämlich u. a. Moore, Sumpfflächen, ungepflegte Weiden, Schilf- und Streuwiesen, urwaldähnliche Bestände, Gestrüpp, unordentlich gepflegter Baumwuchs, Torfstiche, Lehm-, Sand- und Kiesgruben, Steinbrüche, Waldlichtungen, Exerzierplätze, Bauplätze … Nun wurden auch die letzten noch verbliebenen

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Modersohn-Becker, Frau mit Kindern in der Torfkuhle

Moore entweder zur Torfnutzung oder zur Umwandlung in landwirtschaftliche Nutzflächen freigegeben. Dabei wurden nun auch Dampfpflüge eingesetzt. Ein besonders dunkles Kapitel begann, als Moore und Heiden im Nationalsozialismus zunächst durch den deutschen Reichsarbeitsdienst meliorisiert, also „verbessert“ wurden. Bald wurden aber Strafgefangene – und dann die Häftlinge der Konzentrations- und Kriegsgefangenenlager – dafür eingesetzt. Im Emsland richtete man für die Regulierung der Ems und die Moorbearbeitung 15 solcher Lager ein. 50.000 Hektar Moor und Ödland sollten so mit dem Spaten kultiviert werden. Hier entstand das Lied von den Moorsoldaten.120 Auch nach dem Zweiten Weltkrieg ging die Umwandlung von Ödland mit steigender Intensität weiter. Kein Moor in Mitteleuropa ist unberührt geblieben. Viele Moorgebiete mit ihren Pflanzen- und Tiergemeinschaften sind dauerhaft zerstört und auch durch Revitalisierungsmaßnahmen nicht mehr zu retten. Intakte Hochmoore, die Torf aufbauen, sind in Deutschland heute auf 1 Prozent ihrer ursprünglichen Fläche zurückgedrängt worden, das sind 140 Quadratkilometer. Daher sind in der Roten Liste der gefährdeten Biotoptypen Deutschlands alle Moorbiotoptypen als stark gefährdet und teils von vollständiger Vernichtung bedroht definiert. Die meisten überlebenden Moore stehen deshalb unter besonderem Schutz.121 Als das größte Problem erweist sich jedoch mittlerweile, dass der Verlust von Mooren zum Verlust von Kohlenstoffspeichern führt und umgekehrt durch die ackerbauliche Nutzung große Mengen an Klimagasen freigesetzt werden. Das Bundesamt für Naturschutz misst der Renaturierung von Mooren daher eine große Bedeutung für die Begrenzung des Klimawandels bei  : Im Laufe der Jahrtausende haben sich Moore zu gigantischen Kohlenstoffspeichern entwickelt. Sie entziehen der Atmosphäre weltweit jedes Jahr 150 bis 250 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid und wirken damit als Kohlenstoffsenken. Das von den Pflanzen während ihres Wachstums aufgenommene CO2 wird nach ihrem Absterben im Torf festgehalten. Moore sind dabei leistungsfähiger als Wälder. Obwohl sie nur 3 Prozent 127

Trockenlegung der Sümpfe und Moore

der Erdfläche bedecken, binden sie in ihren Torfschichten ein Drittel des Kohlenstoffs und damit etwa doppelt so viel wie alle Wälder weltweit. Für Deutschland geht man davon aus, dass in Mooren genau so viel Kohlenstoff gespeichert ist wie in Wäldern, nämlich jeweils etwa ein Drittel der Kohlenstoffvorräte, obwohl Moore hier nur ca. 4 Prozent der Landfläche bedecken, Wälder dagegen ca. 30 Prozent. Werden Moore jedoch zur Nutzung entwässert, gelangt Luft in den Moorkörper und der Torf wird mineralisiert. In der Folge entweicht, neben riesigen Mengen des ehemals gespeicherten CO2, zusätzlich Lachgas (N2O), dessen klimaschädigende Wirkung etwa 300 Mal höher ist als die des CO2. Entwässerte Moore werden zur Treibhausgasquelle. In Deutschland emittieren die Moorböden ca. 2,5–5 % der CO2-Äquivalente der jährlichen Gesamtemissionen, aufgrund unangepasster Bewirtschaftung. Besonders hoch sind die Ausgasungen ackerbaulich genutzter, gepflügter und gedüngter Moore. Kritisch zu betrachten ist hierbei die starke Zunahme des Anbaus von Mais für die energetische Nutzung.

Naturnahe Moore können außerdem große Wassermengen speichern. Starke Niederschläge nehmen sie zunächst auf und geben das Überschusswasser nur langsam, über mehrere Tage verzögert ab. Auch dies eine Eigenschaft, die angesichts zunehmender Starkregen im Zuge des Klimawandels dringend gebraucht würde. Aufgrund einer Art von Filterfunktion verbessern intakte Moore dabei die Wasserqualität. Sie gleichen das lokale Klima aus und fungieren als Temperaturpuffer. Die Wiederherstellung von Mooren durch Wiedervernässung kann also einen hervorragenden Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten. Das gilt weltweit.122

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Modersohn-Becker, Frau mit Kindern in der Torfkuhle

Regeneration eines Moores im Nationalpark Hunsrück.

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Constantin Émile Meunier, 1831–1905, Das schwarze Land, 1889, Öl auf Leinwand, 180 × 241,5 cm, Brüssel, Musée Meunier.

Rauchende Schlote  : Kohle und die Industrialisierung Das Bild  : Meunier, Das schwarze Land

Constantin Meunier ist ein belgischer Maler, der die Arbeiterklasse zu seinem Sujet erhob. Er porträtiert hier eine typische Industrielandschaft des Borinage in Belgien, seit dem 18. Jahrhundert eines der bedeutendsten Steinkohlereviere in Europa. Das belgische Borinage gilt zusammen mit England als Ursprungsregion der Industrialisierung. Auch van Gogh hatte eine Zeit lang im Borinage gelebt und gemalt. Er hatte sich dort als Prediger versucht, das einfache Leben der Menschen in Bildern und Skizzen eingefangen, aber dann einen anderen künstlerischen Weg eingeschlagen. Für Meunier jedoch wurde der Besuch im Borinage zum Schlüsselerlebnis für die Entwicklung seines gesamten Werks. Seine Arbeiterdarstellungen könnte man mit dem geflügelten Wort von „edler Einfalt und stiller Größe“ beschreiben. In Bildern und Plastiken zeigt er uns Schiffslöscher, Puddler, Hammerschmiede, Hafenarbeiter, Lastenträger, wie sie in stoischer Monumentalität ihr Schicksal tragen. Der junge Meunier, in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, hatte zunächst in Brüssel eine akademische Ausbildung absolviert und sich dann, nach einer Phase religiöser Bilder, an den französischen Realisten JeanFrançois Millet und Gustave Courbet orientiert. In den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts entdeckte er die Welt der Arbeiter für sich. Er wurde zum wichtigsten Vertreter einer belgischen Industriemalerei.123 Ein ihm gewidmetes Museum, das Musée Meunier, zeigt heute in Brüssel seine Werke. Im Brüsseler Stadtteil Laken gibt es ein „Denkmal der Arbeit“ von ihm, das die Arbeit der Kindererziehung, die Landarbeit, Bergbau und Eisenverarbeitung, Industriearbeit und die Arbeit im Hafen in monumentalen Steinreliefs und überlebensgroßen Bronzefiguren würdigt.

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Kohle und die Industrialisierung

Um zu ermessen, was die Bezeichnung „schwarzes Land“ konkret bedeuten konnte, hier ein Blick in eine Schilderung von Charles Dickens. Auch die hier beschriebene Gegend in England wurde „Black Country“ genannt, es handelt sich um eines der ersten Kohle- und Industriegebiete in der Gegend von Birmingham  : Eine lange Vorstadt aus roten Ziegelhäusern – einige hatten kleine Gärtchen, in denen Kohlenstaub und Fabrikrauch die zusammengeschrumpften Blätter und dürftigen Schlingpflanzen schwärzten und in denen die mühsam um ihr Leben kämpfende Vegetation unter dem heißen Atem der Öfen und Schlote dahinsiechte und erstarb, (…) und sie kamen allmählich in eine unfreundliche Gegend, in der auch nicht ein Grashalm wuchs, keine sprossende Knospe auf den Frühling deutete, in der nichts Grünes leben konnte, außer auf der Oberfläche der faulenden Sümpfe, die, langsam austrocknend, hin und wieder neben der schwarzen Landstraße lagen. (…) Auf jeder Seite und so weit das Auge durch die dicke Luft schauen konnte, drängten sich hohe Schornsteine aneinander, zeigten jene endlose Wiederholung der gleichen, langweiligen, häßlichen Formen, die der Schrecken schwerer Träume sind, und strömten ihren giftigen Rauch aus, der das Licht verdunkelte und die trübe Luft verpestete. (…) Männer, Weiber und Kinder mit hohlen Blicken und zerlumpten Kleidern bedienten die Maschinen, nährten deren Feuer, bettelten am Wege oder schielten halbnackt aus den türlosen Häusern.124

Das ökologische Auge  : Kohlezeitalter Die Wälder unter der Erde Schon der Titel des Bildes lässt kaum Spielräume für Nostalgie  : Hier sind die Folgen der Industrialisierung mit Händen zu greifen. Mit der ersten industriellen Revolution ging eine Umweltverschmutzung einher, die wir heute in den westlichen hochentwickelten Ländern in dieser so deutlich sichtbaren Form nicht mehr vorfinden. Aber obwohl wir die Emissionen 132

Meunier, Das schwarze Land

fossiler Brennstoffe nicht mehr auf unseren Gartenbeeten sehen, sind sie nicht weniger klimaschädlich. Mit dem Abkommen der Pariser Klimakonferenz 2015 geht möglicherweise wieder eine Epoche zu Ende  : Der Ausstieg aus der Kohle steht an. Die Kohle steht symbolisch für die Industriegeschichte und ihre sozialen Auswirkungen schlechthin. Mit der Erfindung der Dampfmaschine wurde Kohle der wichtigste Treibstoff der Industrialisierung. Dabei hatte sie im 18. Jahrhundert zunächst nur einen erfreulichen Ersatz für das knapp gewordene Holz geboten. Unter Berufung auf zeitgenössische Einschätzungen verweist Ulrich Grober auf diese Überbrückungsidee  : Eine verblüffende Erkenntnis  : Die Nutzung fossiler Brennstoffe war anfänglich eine Strategie, um die Wälder zu schonen. Man wollte die vorübergehende ‚Lücke‘ überbrücken, bis der Übergang zu einem nachhaltigen Umgang mit der Ressource Holz gelungen wäre. Mit dieser Erwartung begann die Vermessung der unterirdischen Wälder.125

Der Aufstieg der Kohle begann in England, wo bereits die Römer nach Kohle gegraben hatten. Lange Zeit schlummerte der Brennstoff im Boden und wurde nur sporadisch als Holzersatz genutzt. Im 17. Jahrhundert gab es einen Sprung nach vorne  : London ging dazu über, die Heizungen auf Kohle umzustellen. Mächtige Kohlebarone begannen, den Handel zu steuern. Die Folgen waren schnell sichtbar. Bereits 1661 gab es eine Protestschrift gegen die Luftverschmutzung in London, die Häuser verunstalte und Luft, Wasser und Pflanzen vergifte  : „Fumifugium  : or The Inconveniencie of the Aer And Smoak of London Dissipated. Together With some Remedies“ von John Evelyn.126 Der hellsichtige Autor, später von der Royal Society als Leiter einer Kommission mit der Untersuchung des Holzmangels127 beauftragt, verweist auf die enormen gesundheitlichen Schäden der giftigen Dämpfe und verurteilt die Gier der Wenigen auf Kosten der Vielen. Seine Vorschläge zur Verbesserung der Lage werden einstweilen ad acta gelegt. Die Entwicklung geht ungebremst weiter. 133

Kohle und die Industrialisierung

Auf dem Kontinent wurde ein Zeitgenosse des Hans Carl von Carlowitz auf der Suche nach einem Ersatzstoff zur Rettung der Wälder zum Wegbereiter der Steinkohle. Johann Gottfried Borlach unternahm 1738 eine Studienreise nach England und brachte von dort die Erkenntnis mit, dass die Steinkohle der Stoff sei, nach dem er suchte. Dieser Spur folgte Friedrich Anton von Heynitz, der 1776 die englischen Industriereviere besuchte. Unter Friedrich II. wurde er Oberberghauptmann und Staatsminister. In dieser Funktion trieb er die Erschließung der Kohlevorkommen in der neuen preußischen Provinz Schlesien voran und in der Grafschaft Mark. In dieser Gegend an der Ruhr legte er damit den Grundstein für die Entwicklung des Ruhrgebiets zu einem der größten europäischen Kohlebergbaugebiete. Von Heynitz ließ in Preußen auch die ersten kohlegetriebenen Dampfmaschinen laufen. Die ersten Dampfmaschinen waren in den britischen Bergwerken eingesetzt worden, und zwar schon in einer frühen Version ab 1712. Bisher hatte man die tiefen Schächte mit der Kraft von Pferden vom Grundwasser befreien müssen. Die Erfindung einer verbesserten Dampfmaschine durch den Schotten James Watt führte dann seit den 1770er Jahren tatsächlich zu einem Quantensprung  : Von nun an war es möglich, statt natürlicher Kraft eine Maschine einzusetzen, die zudem durch die Speisung mit fossilem Brennstoff aus dem Energiekreislauf der Natur ausgekoppelt war.128 Dies ist der Start der industriellen Entwicklung, die fortan durch diese grundsätzliche Abkoppelung der Produktion von den natürlichen Grundlagen gekennzeichnet ist. Aber die Problematik weitet sich aus – die Verhältnisse werden ausbeuterisch nicht nur gegenüber der der Natur, sondern auch gegenüber den Menschen. Diese soziale Konstellation ist die Wurzel der Arbeiter- und Sozialbewegungen der Moderne im 19. Jahrhundert. Es beginnt der Aufstieg der organisierten Arbeiterschaft. Die äußerlich sichtbaren Zeichen der Umweltverschmutzung werden nach und nach in den Kernzonen der Industrialisierung durch Gesetze und Auflagen sowie technische Innovationen zurückgedrängt. Den klimaschädlichen CO2-Ausstoß durch Kohleverbrennung allerdings sieht man nicht. 134

Meunier, Das schwarze Land

Industriearchitektur heute in Deutschland. Bei schönem Wetter nicht ohne ästhetischen Reiz.

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Kohle und die Industrialisierung

Die naturbezogenen wie die sozialen Folgen der Industrialisierungsschübe werden im 20. und 21. Jahrhundert noch einmal auf den Plan treten. Schwefeldioxid und andere Umweltgifte, Klimagase Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts führte der gestiegene Verbrauch fossiler Brennstoffe zu einem deutlichen Anstieg der Schwefeldioxid-Emissionen. Der daraus folgende saure Regen war mitverantwortlich für die Schädigung der Wälder, genannt „Waldsterben“. In den Städten vernichtete der saure Regen bestimmte Flechtenarten, in den Flüssen kam es auch zu Fischsterben, Moore versauerten. Wir wissen, dass die Wälder überlebt haben, aber das ist, außer auf fortwirtschaftliche Maßnahmen, auf energische Vorgaben zur Reduktion von Schwefeldioxid zurückzuführen.129 Die Verwendung schwefelfreier Brennstoffe und die Rauchgasentschwefelung – auf dem Verordnungswege seit den 70er Jahren in Deutschland Schritt für Schritt eingeführt – haben dazu geführt, dass das Problem nicht mehr virulent ist. Dies gilt aber in erster Linie für die hochentwickelten Industrieländer. In den Schwellen- und Entwicklungsländern werden zum Teil mit der aufkommenden Industrialisierung auch deren Folgeschädigungen wiederholt. Heute ist die Umweltbelastung in unseren Städten – Stichwort „Feinstaub“ – in erster Linie durch Emissionen von Kraftfahrzeugen verursacht, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. Umweltkatastrophen wie die Vergiftung des Rheins durch Chemikalien der Firma Sandoz 1986, die zum einem großen Fischsterben führten, das Grundwasser erreichten und Politiker wie Bevölkerung aufschreckten, sind heute in unseren Breiten selten geworden. Zusammen mit der Produktion vieler Unternehmen sind die Katastrophen in Entwicklungs- und Schwellenländer ausgelagert worden. Es ist damit zu rechnen, dass auch diese Problematik in irgendeiner Form wieder zu den Verursachern zurückkehrt. Aber eine viel größere und für unsere Sinne nicht wahrnehmbare Gefahr hat sich mit den sogenannten Treibhausgasen entwickelt, deren bekanntestes Kohlendioxid ist. Ein weiter Weg vom „schwarzen Land“, in dem 136

Meunier, Das schwarze Land

der Schmutz mit allen Sinnen zu greifen ist, zur unsichtbaren Gefahr des Klimawandels, deren Dringlichkeit sich in erster Linie über Datenreihen und Computermodellierungen erweist. Eine Gefahr, von der wir wissen, dass es zu spät ist, wenn wir sie spüren. Aber auch die möglichen sozialen Folgen einer dekarbonisierten Welt werfen ihre Schatten voraus. Eine Deindustrialisierung, die zeigt, was sich hier zusammenballt, gibt es schon jetzt. Soziale Folgen Nachdem Donald Trump die Wahl zum amerikanischen Präsidenten gewonnen hatte, stellt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ zur Debatte, ob mehr Eingehen auf die Probleme der arbeitslosen Stahlarbeiter im amerikanischen Rust Belt etwa der demokratischen Kandidatin Hillary Clinton zum Sieg verholfen hätte. Als Sprachrohr dieser Menschen macht die F.A.Z. den Sänger Bruce Springsteen mit seinem Lied „Youngstown“ aus  :130 Mein Vater hat an den Hochöfen gearbeitet, hat dafür gesorgt, dass sie heißer als die Hölle blieben. Als ich aus Vietnam nach Hause gekommen bin, hab’ ich mich zum Gussbrenner hochgearbeitet – eine Arbeit, die dem Teufel gefallen würde. Erz, Kohle und Kalk haben meine Kinder ernährt und die Rechnungen bezahlt, während die Schornsteine wie Gottes Arme in den wunderschönen lehm- und rußfarbenen Himmel ragten. Hier in Youngstown.

Hier, im alten und traditionsreichen Industriegebiet Amerikas, hat eine Mehrheit der Menschen den Republikaner Trump gewählt, dessen extrem konservativer Kurs dem europäischen Auge nicht auf den ersten Blick zu erkennen gibt, dass er tatsächlich die Interessen der Arbeiterklasse zu seinem Anliegen machen wird. Seine Haltung zum Pariser Klimaabkommen ist ablehnend. Schon 1995, als Springsteen sein Lied veröffentlichte, war klar, dass es mit der Schwerindustrie zu Ende ging. Springsteen unterstützte immer die 137

Kohle und die Industrialisierung

Demokraten, aber er hat eine Entwicklung aufgegriffen, die Donald Trump sich ebenfalls auf die Agenda schrieb  : den Untergang der arbeitsintensiven Industrien – Stahl, Automobil, Maschinenbau –, in denen Menschen mit Kraft und Geschicklichkeit von ihrer Hände Arbeit lebten. Arbeiter in Fabriken, wie Constantin Meunier sie gemalt hat. Die Meinungen über die Ursachen dieses Untergangs gehen je nach politischer Couleur weit auseinander. Trump wurde nicht müde, im Wahlkampf zu betonen, dass die Globalisierung mit der Auslagerung von Produktionsstätten schuld sei. Sein „America first“ soll die Schwerstarbeit wieder nach Amerika zurückholen, und mit ihr die Förderung der fossilen Brennstoffe. Die USA haben aber auch jahrzehntelang eine Politik der Priorisierung von Dienstleistungen betrieben  : Die Finanzindustrie fand gute Arbeitsbedingungen durch zahlreiche Deregulierungen, die mit zur Finanzkrise ab 2008 führten. Die Softwareindustrie und mit ihr alle Wissensdienstleitungen blühten auf – das Silicon Valley sei hier stellvertretend genannt. Hinzu kam das enorme Wachstum von Billiganbietern wie Walmart oder Amazon, die einen Kampf um niedrige Preise und Löhne befeuerten. Ein ungesteuerter Strukturwandel hatte neue Eliten geschaffen  : Finanzmanager, Softwarekreative, Medienleute, die mit Leichtigkeit die Bedingungen der globalen Welt zu ihrem Vorteil zu nutzen wissen. Auf der Strecke geblieben sind Menschen einer Industriewelt, die früher das Personal einer stolzen Arbeiterklasse gestellt hatten. Und das nicht etwa im Zuge einer Politik, die fossile Brennstoffe durch alternative Energien ersetzt. In vielen traditionellen Industrieregionen der westlichen Welt lässt sich die gleiche Entwicklung beobachten  : Bergleute, Stahlarbeiter, Maschinenbauer verlieren ihre Arbeit, weil die Schächte und Fabriken schließen. Im belgischen Borinage, Schauplatz unseres Bildes von Meunier, ist heute der Himmel wieder blau, von schwarzem Land keine Rede. Auch dies ist keineswegs Klima- oder Umweltschutzbemühungen zu verdanken, sondern einem großen Zechensterben in der gesamten Region. Auch hier lief der Strukturwandel konzeptionslos ab, die Arbeitslosigkeit ist hoch, bis hin zur Armut. Dies wirkt sich heute verschärfend auf den innerbelgischen 138

Meunier, Das schwarze Land

Konflikt zwischen französischsprachigen Wallonen und den Flamen aus, die nach dem Zusammenbruch der ehemals reichen wallonischen Industrieregionen ihren Wohlstand nicht per Transferzahlungen mit den Wallonen teilen wollen. In Flandern nimmt diese Aversion auch nationalistische Züge an. Der Beginn des Zechensterbens in der Region hat Politikgeschichte geschrieben. Der Spiegel berichtete 1959 von Gendarmerie und Panzerwagen in den belgischen Kohlerevieren und streikenden Arbeitern, die Bahngleise ausreißen und Kohleloren auf der Straße auskippen. Ursache war der Beschluss des nationalen Kohlerats gewesen, zehn Zechen im Borinage zu schließen. Dort bildete sich schnell eine „Action Commun“, geführt von den Sozialisten. Die gesamte Region trat quasi in Generalstreik, der dann fast den ganzen belgischen Bergbau erfasste. Der Grund des Niedergangs war, dass die belgische Kohle aufgrund von Qualität und Abbauverhältnissen nicht mehr mit der französischen und der deutschen Kohle konkurrenzfähig war. Ruhrkohle war billiger, die Förderkosten im Borinage wesentlich höher. Ein Gutachten der Montanunion hatte auf diesen Sachverhalt hingewiesen.131 Diese „Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ war ein Vorläufer der Europäischen Union und 1951 von sechs Staaten, darunter auch Belgien, gegründet worden. Die supranationale Organisation hatte bereits die Kompetenz, Regelungen für die Mitgliedsstaaten zu treffen. Die Montanunion hat nicht die Zechen geschlossen, sondern sogar durch Transferzahlungen eine Zeit lang unterstützt. Aber der Prozess, dass Industrien in Räumen verschärfter Konkurrenz, die durch transnationale Zusammenschlüsse entstehen, sich dort konzentrieren, wo die günstigsten Bedingungen herrschen, dürfte durchaus eine Rolle gespielt haben. Die nationalen Regierungen geraten dann in ein eklatantes Missverhältnis zwischen der begrenzten Reichweite ihrer Handlungsmöglichkeiten und den grenzüberschreitenden Wirtschaftsprozessen. Ein Konfliktpotenzial, das bis heute kaum entschärft ist. Was im Borinage bis in die Gegenwart spürbar ist, erreichte bald nach dem Zusammenbruch in Wallonien die einstige Konkurrenz im deutschen 139

Kohle und die Industrialisierung

Ruhrgebiet  : Auch hier schloss eine Zeche nach der anderen. Es muss nicht mehr betont werden, dass dieses Zechensterben keineswegs im Zeichen des Umwelt- und Klimaschutzes stand. Vielmehr verhält es sich so, dass die deutsche Kohle heute auf dem Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig ist. Die Kohle für Deutschlands Kraftwerke kommt aus Ländern, wo sie dichter unter der Erdoberfläche liegt oder billiger abgebaut wird. In den 1950er Jahren waren im Ruhrbergbau noch fast eine halbe Million Menschen beschäftigt. Im Jahr 2018 soll die letzte Zeche schließen. Der Ausstieg geht auf eine Vereinbarung zum Auslauf der Kohlesubventionen zwischen der Landesregierung Nordrhein-Westfalen und der Bundesregierung von 2007 zurück. Die EU hätte die Subventionen gern schon 2014 auslaufen lassen. Der Strukturwandel läuft in einigermaßen geregelten Bahnen, von Aufständen kann keine Rede sein. Dass in Deutschland keine Steinkohle mehr abgebaut wird, heißt jedoch nicht, dass auch keine verbraucht würde. Für Deutschland bedeutet Ausstieg aus der Kohle gemäß Pariser Klimaabkommen durchaus nicht Ausstieg aus der Förderung von Steinkohle mit Hunderttausenden arbeitsloser Kumpel, sondern Ausstieg aus der Kohlenutzung, sprich  : aus der Kohleverbrennung in Kohlekraftwerken. Es muss um das Ende der Kohleverstromung bis 2050 gehen und natürlich um den schon beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie. Wie sonst sollte man den CO2-Ausstoß um die beschlossenen 95 Prozent reduzieren, die nötig sind, um den Temperaturanstieg unter 2 Grad C zu halten  ? Man hat es dabei mit den Energiekonzernen zu tun  ; diese haben allerdings Anfang 2017 mit einer Erklärung der Eurelectric, des Branchenverbands der europäischen Elektrizitätswirtschaft, der ca. 30 europäische Nationen vertritt, den Ausstieg aus der Kohle bis 2050 angekündigt. Ab 2020 soll nicht mehr in den Neubau von Kohlekraftwerken investiert werden.132 Nach Zahlen des Umweltbundesamtes werden 2016 noch über 50 Prozent des deutschen Stroms aus Stein- und Braunkohle sowie Atomkraft produziert. Für den Ausstieg aus der Förderung von Braunkohle, die vor allem in der Lausitz, in Nordrhein-Westfalen und im Mitteldeutschen 140

Meunier, Das schwarze Land

Revier abgebaut wird, gibt es keine konkreten Pläne. Hier drohen soziale Verwerfungen, da nicht klar ist, wohin ein Strukturwandel in diesen Regionen führen könnte. Die Steinkohle, die in Deutschland verbraucht wird, kommt aus Russland (mit 27,7 Prozent 2014 der Hauptimporteur), den USA, Kolumbien, Australien, Polen und Südafrika.133 Damit tut sich eine weitere Problemlage auf  : Weder die Abbaumethoden noch die Arbeitsbedingungen, unter denen in den Importländern die Kohle gefördert wird, unterliegen noch deutscher Kontrolle. Das gilt auch für die Auswirkungen auf die Umwelt. Mit dem Import der Kohle hat sich Deutschland das unsichtbare Klimagas CO2 eingehandelt, aber die schmutzigen und sichtbaren Umweltbelastungen sowie die schlimmen Arbeitsbedingungen ausgelagert. So wird die Steinkohle in den USA zumeist im Tagebau gewonnen, in Kolumbien ist der Steinkohlebergbau immer wieder im Visier von Menschenrechts- und Umweltorganisationen. Jonathan Franzen thematisiert das großflächige Wegsprengen von Landschaft in den USA für die Kohleförderung in seinem Roman „Freedom“ („Freiheit“, 2010). Und was wissen wir schon über die Arbeits- und Umweltbedingungen in russischen Bergwerken  ? In Sibirien gibt es ebenfalls eine große Kohleund Bergbauregion im Kuzbass, südlich vom Ural und unweit der Grenze zu Kasachstan und zur Mongolei. Hier leben die indigenen Völker der Teleuten und Schoren. Der größte Teil der russischen Kohle für Deutschland kommt aus dieser Gegend. Im April 2016 lädt die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ zu einer Veranstaltung ein unter dem Titel  : „Rohstoffimport aus Russland  : Welche Rolle spielen Umwelt- und Bürgerrechtsstandards  ?“ Die Gesellschaft veröffentlichte ein Memorandum zur Situation im Kuzbass, aus dem wir hier zitieren  : Das Wasser in den Flüssen wurde verschmutzt. Nur 6% des Abwassers werden gereinigt, um den Anteil der Giftstoffe unter die zugelassenen Höchstwerte zu drücken. In künstlichen Seen, Abwasserbecken und anderen Auffanggebieten befindet 141

Kohle und die Industrialisierung

sich hoch giftiges Abwasser aus der Steinkohleförderung, in dem hohe Werte von Schwermetallen, giftige Phenole und Petroleum gemessen wurden. Für die Schoren, für die der Fischfang eine Grundlage ihrer Wirtschaftsweise ist, ist diese Verseuchung katastrophal. Die Menschen wurden öfter krank, der Fisch starb aus. (…) Gelber Staub bedeckt die Gärten und Felder der Schoren im Sommer, nach der Schneeschmelze sind sie schwarz vom Kohlenstaub, wie Recherchen aus dem März 2016 bestätigen.134

Der Kreis schließt sich. Auch hier also ein „schwarzes Land“.

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Wassily Kandinsky, 1866–1944, Murnau – Ansicht mit Burg, Kirche und Eisenbahn, 1909, Öl auf Karton, 48 × 69 cm, Christie’s Images Ltd.

Überall hinkommen  : Globalisierung Das Bild  : Kandinsky, Murnau – Ansicht mir Burg, Kirche und Eisenbahn

Der Weg in die Abstraktion Der kleine Ort Murnau bei München gilt als Geburtsstätte der Münchner Künstlergruppe des „Blauen Reiters“ und damit als Meilenstein auf dem Weg zur Abstraktion in der Malerei. Unser Bildbeispiel weist bereits in diese Richtung. Die leuchtenden Farben gewinnen eine eigene ästhetische Wertigkeit, die sich gleichberechtigt neben den Inhalt des Bildes stellt. Das Werk Kandinskys lässt sich auf zwei Ebenen lesen. Noch ist eine empirisch erfahrbare Objektwelt erkennbar  ; hier sind alle Elemente gleichwertig, wie auch der Titel des Bildes nahelegt  : Burg, Kirche und Eisenbahn als Vertreter verschiedener historischer Epochen stehen hierarchielos nebeneinander. Die Eisenbahn wirkt klein und niedlich wie eine Spielzeugbahn. Jedoch hat Kandinsky die Bahn in Murnau in anderen Arbeiten durchaus auch groß ins Bild gerückt, wie überhaupt inhaltliche Interpretationen in dieser Phase des Weges in die Abstraktion mit Vorsicht zu betrachten sind. Und so wird in den kunsthistorischen Würdigungen Kandinskys auch eher die formale Ebene des Bildes in den Vordergrund gestellt  : Die Farben und Formen lösen sich bereits von den Gegenständen und bilden eine gestaltete Fläche von eigener Geltung.135 Wassily Kandinsky und Gabriele Münter hatten sich mit Alexej Jawlensky und Marianne von Werefkin schon im Sommer 1908 zu einem gemeinsamen Arbeitsaufenthalt in Murnau zusammengefunden. Die Künstler/-innen waren international ausgerichtet. Sie kannten die neuen Strömungen der Malerei und Kunstentwicklung, etwa die Farbrevolutionen der Fauvisten in Paris oder die leuchtenden Farbkompositionen von Henri Matisse. Kandinsky war außerdem vielseitig in Kunst und Philosophie bewandert  : Er dichtete, bewunderte den Komponisten Arnold Schönberg, 145

Globalisierung

dessen Zwölftonmusik epochal wurde, und beschäftigte sich mit theosophischen Strömungen und theoretischen Fragen der Malerei. Murnau, wo Gabriele Münter 1909 ein Haus erwarb, wurde für Kandinsky zum Ort des Rückzugs aus der Großstadt, aber auch zum Ort des intensiven künstlerischen Austauschs über die Entwicklung einer neuen Kunstsprache. Auf dem Land faszinierte Kandinsky die Volkskunst, der man eine eigene und unverfälschte Ausdrucksform zusprach. Der Rückgang zu den Wurzeln der auch so genannten „Primitiven“ konnte in der ländlichen Umgebung aus Hinterglasmalerei und Gebrauchskunst neue Kräfte schöpfen. In Murnau malte er in einer Phase des Übergangs naturnahe Landschaften, die sich nach und nach immer weiter ins Ungegenständliche vortasteten. Auch die Eisenbahn, die 1879 in Murnau eröffnet worden war, gehörte zu seinen Sujets. Die Bahn mit Dampflokomotive hat mit ihrer rasanten Verbreitung einen metaphorischen Raum geschaffen, in dem Geschwindigkeit, Fortschritt und die Faszination der formauflösenden Dampfwolken die Hauptrollen spielten. Damit hat sie den Weg zur Moderne in der Malerei stetig begleitet. William Turner hat die Eisenbahn mit Regen, Dampf und Geschwindigkeit in stark abstrahierten Farbformen eingefangen (vor 1844), Monet hat die in mächtige Wolken gehüllten Dampflokomotiven im Bahnhof Saint-Lazare mehrfach gemalt (z. B. 1877), Cézanne hat einen Eisenbahndurchstich in der Landschaft als geometrische Form wiedergegeben (um 1870).136 Dass die neue Maschine auch eine effektive Selbstmordmaschine sein kann, hatte Tolstoi mit einem der berühmtesten Tode der Literatur gezeigt  : Anna Karenina wirft sich unter die stampfenden Räder und stirbt grausam entstellt. Sie wird im Roman bereits eingeführt mit einem Todesfall durch die Bahn, an den sie sich am Ende erinnern wird  : Als sie ihren zukünftigen Liebhaber Wronskij zufällig am Bahnhof trifft, ist gerade ein Bahnarbeiter vom Zug erdrückt worden. Unser Bildbeispiel zeigt in seiner vielschichtigen Ausgewogenheit eine besondere Situation in der Geschichte der Landschaftsmalerei  : Es ist die Phase, in der die empirische Realität als Gegenstand der Malerei und die 146

Kandinsky, Murnau – Ansicht mir Burg, Kirche und Eisenbahn

Entwicklungsrichtung zur Abstraktion sich quasi an einem Scheideweg befinden. Sie werden sich immer weiter voneinander entfernen. Beide Bewegungsrichtungen sollen hier weiterverfolgt werden. Auf der Ebene der empirischen Wirklichkeit geht es um die umfassende Beschleunigung, die mit der Entwicklung der Verkehrswege zur globalisierten Welt führte. Der Weg zur Abstraktion soll als eine von vielen kulturellen Modernisierungsbewegungen des 20. Jahrhunderts beleuchtet werden, die ebenfalls die globale Weltsicht formten. Dreieck und Pyramide Kandinsky hat sich schon sehr früh in seiner künstlerischen Laufbahn mit den Fragestellungen einer abstrakten Malerei auseinandergesetzt. Als er nach München kam, um dort Kunst zu studieren, entwickelte er die Figur des Reiters, eines heiligen Georg, der einen neuen Kampf aufnimmt  : Es geht um die Bezwingung des Materiellen und Ungeistigen im Namen einer neuen Kunstausrichtung. Der titelgebende „Blaue Reiter“ des Almanachs von 1912 tritt als Kämpfer für eine neue Kunst auf den Plan. Dieses Neue liegt um die Jahrhundertwende mit einer Vielzahl von Bestrebungen quasi in der Luft. Der Jugendstil blüht mit floraler Ornamentik, Richard Wagners Idee vom Gesamtkunstwerk hat eine Sehnsucht nach der Vereinigung aller Künste hinterlassen. Wilhelm Worringers Schrift „Abstraktion und Einfühlung“ (1907) verknüpft Abstraktion mit Transzendenz. Eine Fülle von Lebensreformbewegungen sucht nach neuen Welten und versucht sich in der Formung des dazu passenden neuen Menschen. Propheten sind unterwegs. 1911 erscheint die große Programmschrift Kandinskys „Über das Geistige in der Kunst“. Hier wendet er sich entschieden gegen den Alpdruck der bis dato herrschenden materialistischen Anschauungen, die aus dem Leben des Weltalls ein böses und sinnloses Spiel gemacht hätten und deren Herrschaft es nun abzulösen gelte. Sehr schnell wird deutlich, dass es sich hier nicht nur um eine kunsttheoretische, sondern auch um eine 147

Globalisierung

gesellschaftskritische Programmatik handelt. Es gilt, einen Materialismus und Positivismus zu überwinden, der mit Habsucht, Konkurrenzkampf und materiellen Versuchungen die Menschen korrumpiert. Kandinsky argumentiert sehr grundsätzlich und weit ausholend, indem er Schicht für Schicht die relevanten Zeit- und Kunstströmungen durchgeht und seinem Ziel zuführt. Die materialistische Welt verstricke die Künstler mit ihrer materiellen Form der Entlohnung in Habsucht und Ehrgeiz, Konkurrenz und Eifersucht. Die wahre Kunst dagegen, die der Maler anstrebt, sei von prophetischer Kraft für eine neue geistige Bewegung. Zur Erläuterung dieser Bewegung greift Kandinsky auf die Form eines Dreiecks zurück, das man sich aber dynamisch vorzustellen hat, in Bewegung befindlich nach vorwärts und aufwärts. In allen Abteilungen des Dreiecks finden sich Künstler, aber ganz oben bewegen sich die Seher und Propheten des Geistigen, die dann notwendig von ihren Zeitgenossen nicht verstanden oder sogar missachtet werden. Vor allem in Zeiten geistigen Rückschritts, wenn die Menschen in der Pyramide quasi nach unten gleiten, versinken auch die Künstler einsam in Chaos und Dunkelheit. Die Menschen legen zu diesen stummen und blinden Zeiten einen besonderen ausschließlichen Wert auf äußerliche Erfolge, sie kümmern sich nur um materielle Güter und begrüßen einen technischen Fortschritt, welcher nur dem Leibe dient und dienen kann, als eine große Tat.137

Kandinsky versucht sich zur Vorbereitung der geistigen Wende auch an einer soziologischen Bestimmung der Stufen des Dreiecks. Auf einer der unteren Stufen finden wir die Hauptabteilung des materialistischen Credos, Menschen, die an nichts mehr glauben. Politisch Republikaner und Volksvertretungsanhänger, ökonomisch betrachtet Sozialisten, wollen sie allerdings ebenfalls der kapitalistischen Hydra, dem Hauptübel, entgegentreten. Dass die politischen Untertöne, die Kandinsky hier einbringt, demokratiehistorisch betrachtet nicht unproblematisch sind, gehört mit zur Vorgeschichte des Scheiterns der Weimarer Republik. Der Geist wehte 148

Kandinsky, Murnau – Ansicht mir Burg, Kirche und Eisenbahn

in Deutschland nicht republikanisch und Volksvertreter oder Sozialisten waren offenbar nicht tauglich als Propheten einer neuen Zeit. Allerdings sei hier der Hinweis gestattet, dass Kandinsky selbst sich ab 1918 in Moskau am Aufbau einer neuen sozialistischen Gesellschaft beteiligte, solange diese es mit einer offenen und avantgardistischen Kunst aushielt, und dann am Bauhaus eine soziale Utopie unterstützte, die er in den frühen Jahren vielleicht auch nur den unteren Rängen zugewiesen hätte. Auf den nächsthöheren Abteilungen des dynamischen Dreiecks kommen noch verschiedene Elemente zu dieser Grundmischung hinzu, wie Wissenschaft, Kunst, Literatur und Musik, natürlich immer im herkömmlichen Sinne verstanden. Wissenschaftlich sind hier die Menschen Positivisten, in der Kunst Naturalisten. Weiter oben mehren sich Ängste und Zweifel an den Möglichkeiten des Herkömmlichen. Und ganz oben löst die Überwindung des Materiellen alle Zweifel und Ängste auf. Interessanterweise verbindet Kandinsky diese postmaterielle Welt mit der neuesten wissenschaftlichen Entwicklung, nämlich mit der Theorie der Elektronen bzw. der „bewegten Elektrizität, die die Materie vollständig ersetzen soll“.138 Die Wende erwartet Kandinsky jedoch letztlich nicht von der Wissenschaft, sondern in hohem Maße aus den Weisheitslehren der sogenannten Primitiven. Und hier sind es die Inder, deren Wissen durch die Theosophische Gesellschaft der Madame Blavatsky dem Westen vermittelt wird. Aber auch weitere Mitkämpfer sieht er im Dienst seiner geistigen Wende. Etwa den Schriftsteller Maurice Maeterlinck als einen Hellseher des Niedergangs, der durch seine Diagnose das Neue vorbereitet, oder den Maler und Zeichner Alfred Kubin mit seinem Roman „Die andere Seite“. Ebenso gehören die Komponisten Richard Wagner und Claude Debussy in seine Ahnengalerie sowie in prominenter Position der Wiener Komponist Arnold Schönberg. Mit den Musikern und aus der Musik, die als Kunstgattung leitend wird, entwickelt Kandinsky seinen zentralen Begriff der „inneren Notwendigkeit“. Ihr allein hat das geistig würdige Kunstwerk zu folgen. Der Sprung über die letzten Hürden aber steht für die Malerei noch aus  :

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Globalisierung

Ein Künstler, welcher in der wenn auch künstlerischen Nachahmung der Natur­ erscheinungen kein Ziel für sich sieht und ein Schöpfer ist, welcher seine innere Welt zum Ausdruck bringen will und muß, sieht mit Neid, wie solche Ziele in der heute unmateriellsten Kunst – der Musik – natürlich und leicht zu erreichen sind. Es ist verständlich, daß er sich ihr zuwendet und versucht, dieselben Mittel in seiner Kunst zu finden. Daher kommt das heutige Suchen in der Malerei nach Rhythmus, nach mathematischer, abstrakter Konstruktion, das heutige Schätzen der Wiederholung des farbigen Tones, der Art, in welcher die Farbe in Bewegung gebracht wird usw.139

In Zukunft wird es darum gehen, auch in der Malerei mit deren eigenen Mitteln das zu leisten, was in der Musik bereits erreicht wurde. Zweifellos haben wir Kandinsksy eigenes Werk hier anzusetzen. Jedoch gibt die oben zitierte Passage auch zu erkennen, dass es fortan mit der Nachahmung der Natur ein Ende haben werde. Das ist eine wesentliche Weichenstellung für die Landschaftsmalerei, hat aber auch gesellschaftliche Auswirkungen. Das Schöpferische und der Ausdruck der eigenen inneren Welt sind nicht nur bei Kandinsky an die Spitze der Pyramide getreten und werden sich dort lange behaupten. Denn mit der zunehmenden Wertschätzung des Kreativen und seiner Verbreitung in immer weiteren Bevölkerungskreisen diffundiert etwas in die Gesellschaft, das heute unter dem Begriff der Selbstverwirklichung kursiert. Dieser historische Sprung mag groß sein und ist sicher keiner direkten Auswirkung der theoretischen Schrift Kandinskys geschuldet. Aber auch die neue Wertschätzung der Kreativität im Zeichen der Selbstverwirklichung geht auf eine Darstellung in Form einer Pyramide zurück, die Kandinskys dynamischem Dreieck nicht unähnlich ist. Die bekannte Maslow’sche Bedürfnispyramide stellt mit „Selbstverwirklichung/Self-actualization“ eine personbezogene „innere Notwendigkeit“ an die Spitze des Dreiecks. Abraham Maslow (1908–1970), Mitbegründer der Humanistischen Psychologie, fügte seinem Modell in den 70er Jahren eine weitere Stufe hinzu  : Transzendenz. Hier drückt sich ein 150

Kandinsky, Murnau – Ansicht mir Burg, Kirche und Eisenbahn

postmaterialistischer Idealismus aus, der ab den 60er und 70er Jahren mit einer Renaissance fernöstlicher Weisheitslehren, linker Kapitalismuskritik der 68er Generation und der Entwicklung der grünen Bewegung Hand in Hand ging. Die abstrakte Malerei war in der Nachkriegszeit als freiheitliche Kunst des Westens zu Weltgeltung avanciert und weithin, zumindest optisch, in der Wahrnehmung der Menschen präsent. So wie das Kunstwerk nur seiner eigenen inneren Notwendigkeit folgt, ist auch die eigene Person auf die Ausschöpfung der ganz eigenen Potenziale ausgelegt. Maslow entwickelte seine Definition der Selbstverwirklichung aus der Betrachtung großer Persönlichkeiten, bei denen er viele positive Eigenschaften ausmachte, die sich mit einem generellen Weg in die Transzendenz nicht decken. Aber in der Wirkung seiner Thesen machten bestimmte Aspekte Karriere. Maslows Selbstverwirklichung geht einher mit Kreativität, Originalität und Erfindungsreichtum sowie einem großen Maß an Erlebnissen, die Maslow „peak experiences“ nennt  : Gipfelerlebnisse. Das sind Erfahrungen, die Menschen über sich selbst hinausheben, sie ähneln mystischen Erfahrungen, können sich auf die Einheit mit Gott oder der Natur, dem Unendlichen und Ewigen beziehen usw.140 Wir sind hier dem Erhabenen ebenso nahe wie dem Geistigen in der Kunst. Das Begriffsfeld der Selbstverwirklichung im Verein mit kreativer Entfaltung, der Suche nach Gipfelerlebnissen und dem großen Flow verbreitet sich in weite Teile der Gesellschaft. Der amerikanische Politologe Ronald Inglehart proklamiert den Wertwandel zur postmaterialistischen Gesellschaft mit der Maslow’schen Bedürfnispyramide als Beleg.141 Kreative Selbstverwirklichung ist zu einer akzeptierten Facette der Persönlichkeitsbildung geworden und gewinnt geradezu den Charakter einer Norm. Parallel erlebte das Leitbild der Lebenskunst eine Renaissance. Vor allem der Philosoph Wilhelm Schmid hat auf den Spuren Foucaults die Ratgeberwelt um zahlreiche Publikationen zu diesem Thema bereichert  : „Philosophie der Lebenskunst“ (1998), „Auf der Suche nach einer neuen Lebenskunst“ (2000), „Ökologische Lebenskunst“ (2008), „Dem Leben Sinn geben. Von der Lebenskunst im Umgang mit Anderen und der Welt“ (2013) usw. 151

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Das eigene Leben zum Kunstwerk zu machen integriert weitere Facetten in das Gesamtbild  : Wir haben aus der Kunst gelernt, dass auch Brüche und Unschönes dazugehören. Kreativ leben bedeutet autonom leben und nicht fremdbestimmt. Alle Menschen haben kreative Potenziale, die sich nun auf das eigene Leben beziehen, nicht nur auf geistig-kulturelle Leistungen. Kreativität kann ebenso in allen gesellschaftlichen Bereichen stattfinden, auch dort, wo man sie früher nicht erwartete. Damit verbindet sich eine Glücksforschung, der es um den Nachweis geht, dass es nicht (nur) materielle Güter sind, die uns glücklich machen. Alle diese Tendenzen sollten es erleichtern, den Wandel zu einer nachhaltigen und klimaneutralen Gesellschaft zu vollziehen. Dass dies offenkundig bisher nicht der Fall ist, weist auf starke Gegenkräfte hin. Noch immer ist es der ungemein erfolgreichen Marktmaschine gelungen, kontroverse gesellschaftliche Entwicklungen zu integrieren und einer ökonomischen Verwertungslogik zugänglich zu machen.

Das ökologische Auge  : Geschwindigkeit und Konstruktion Die Ökonomisierung der Mobilität Wir wenden uns jetzt wieder der inhaltlichen Ebene unseres Bildes zu und damit der empirischen Wirklichkeit, die ja in Kandinskys Bild immer noch in schöner Ausgewogenheit mit der formalen Ebene lesbar ist. Burg, Kirche und Eisenbahn im ländlichen Murnau, mit Wiese und Bäumen unter blauem Himmel – das Bild bettet das wichtigste Verkehrsmittel des 19. Jahrhunderts unauffällig in seine Umgebung ein. Dieses damals revolutionäre Fortbewegungsmittel kann als Treiber der Industrialisierung und als Vorbote der Globalisierung gelten. Nachdem die ersten Eisenbahnen in England schon seit den 1820er Jahren fuhren, wurden sie auf dem Kontinent zum Instrument einer ab etwa Mitte des Jahrhunderts Fahrt aufnehmenden ökonomischen Aufholjagd. 1835 eröffnete die erste deutsche 152

Kandinsky, Murnau – Ansicht mir Burg, Kirche und Eisenbahn

Bahnlinie zwischen Nürnberg und Fürth. Vor allem die Montanindustrien in Belgien und Preußen profitierten von der Bahn. Das deutsche Eisenbahnnetz war um 1848 mit ca. 5500 Streckenkilometern bereits das drittgrößte der Welt, nach Großbritannien und den Vereinigten Staaten.142 Die frühen Eisenbahnen wurden von den Menschen als sensationell und epochemachend empfunden. Sie weckten aber auch Ängste wegen der Wirkungen der neuen Geschwindigkeiten auf Psyche und körperliche Gesundheit und Widerstände wegen des Lärms der dampfenden Ungeheuer  ; man befürchtete Unfälle und die Gefährdung der traditionellen Gewerbe. Zum ersten Mal hatte sich die Fortbewegung von ihren natürlichen Grundlagen gelöst  : Die Leistungskraft und Erschöpfung der Pferde, die Beschaffenheit des Weges, das Wetter und sonstige Bedingungen des traditionellen Reisens spielten keine Rolle mehr. Die Landschaft diktierte nun auch nicht mehr den Verlauf von Wegen und Straßen, sondern umgekehrt durchschnitten die gerade verlaufenden Schienenstränge nun die Landschaft, kühne Brückenkonstruktionen überwanden die Täler, Tunnel die Berge. Die Maschine, deren technische Funktionsweise kaum durchschaut wurde, löste die sinnliche Erfahrung der Reise ab durch die Erfahrung technischer Geschwindigkeit. Damit veränderte sich auch das Verständnis von Raum und Zeit. Man näherte sich nun nicht mehr langsam durch sich wandelnde Landschaften hindurch seinem Ziel, sondern war plötzlich da. Entfernungen schrumpften. Die Produktion der Eisenbahnen und Schienen wurde zum ertragreichen Geschäft, das neue Typen von Fabrikanten emporbrachte, und die Eisenbahn selbst wurde durch die Möglichkeit, Waren und Arbeitskräfte überallhin zu transportieren, zum zentralen Rad im Getriebe der industriellen Revolution. Heinrich Heine berichtet 1843 aus Frankreich in einer Mischung von Grauen und Faszination von diesem neuen Abschnitt der Weltgeschichte, der die Elementarbegriffe von Raum und Zeit verändert und mit neuen Formen der Finanzierung das Kapitalsystem revolutioniert  :

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Globalisierung Blick aus der Bahn.

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Kandinsky, Murnau – Ansicht mir Burg, Kirche und Eisenbahn

Während die Menge betäubt und erstarrt der Eröffnung der beiden neuen Eisenbahnen nach Rouen und Orléans zusieht, erfaßt den Denker ein unheimliches Grauen, wie wir es immer empfinden, wenn das Ungeheuerste, das Unerhörteste geschieht, dessen Folgen unabsehbar und unberechenbar sind. Wir merken bloß, daß unsere ganze Existenz in neue Gleise fortgerissen, fortgeschleudert wird, daß neue Verhältnisse, Freuden und Drangsale uns erwarten, und das Unbekannte übt seinen schauerlichen Reitz, verlockend und zugleich beängstigend. (…) Die Eisenbahnen sind wieder ein solches providenzielles Ereigniß, das der Menschheit einen neuen Umschwung giebt, das die Farbe und Gestalt des Lebens verändert  ; es beginnt ein neuer Abschnitt in der Weltgeschichte, und unsere Generazion darf sich rühmen, daß sie dabey gewesen. Welche Veränderungen müssen jetzt eintreten in unsrer Anschauungsweise und in unsern Vorstellungen  ! Sogar die Elementarbegriffe von Zeit und Raum sind schwankend geworden. Durch die Eisenbahnen wird der Raum getödtet, und es bleibt uns nur noch die Zeit übrig. Hätten wir nur Geld genug, um auch letztere anständig zu tödten  ! In vierthalb Stunden reist man jetzt nach Orleans, in eben so viel Stunden nach Rouen. Was wird das erst geben, wenn die Linien nach Belgien und Deutschland ausgeführt und mit den dortigen Bahnen verbunden seyn werden  ! Mir ist als kämen die Berge und Wälder aller Länder auf Paris angerückt. Ich rieche schon den Duft der deutschen Linden  ; vor meiner Thüre brandet die Nordsee. Es haben sich nicht bloß für die Ausführung der Nordeisenbahn, sondern auch für die Anlage vieler andern Linien große Gesellschaften gebildet, die das Publikum in gedruckten Cirkularen zur Theilnahme auffordern. Jede versendet einen Prospektus, an dessen Spitze in großen Zahlen das Capital paradirt, das die Kosten der Unternehmung decken wird.143

Die von Heine gefürchtete Tötung des Raumes durch die Eisenbahn war nur der Beginn einer Kette von Revolutionierungen des Raum-Zeit-Systems, die heute unter dem Begriff der Globalisierung zusammengefasst werden. Vielleicht könnte man im Sinne Heinrich Heines diagnostizieren, dass nach der Tötung des Raumes nun auch die Tötung der Zeit stattgefunden 155

Globalisierung

hat, nämlich durch das World Wide Web, dessen neueste Möglichkeiten gerade die Industrie 4.0 einleiten. Hier werden Maschinen und Menschen über elektronische Kommunikations- und Informationssysteme miteinander vernetzt. Welche Veränderungen das im Ökosystem Mensch auslösen wird bzw. wie Menschen damit umgehen lernen, bleibt abzuwarten. Das Ökosystem Natur jedenfalls hat gelitten. Die Zerschneidung der Landschaft durch Verkehrswege – Bahnlinien, Autobahnen, Straßen, Kanäle – ist ein Problemfeld mit vielfältigen negativen Auswirkungen. Wie das Bundesamt für Naturschutz berichtet, hat Deutschland mittlerweile das dichteste Verkehrsnetz Europas. Die dadurch verursachte Reduzierung und Zerschneidung der Lebensraumnetze von Pflanzen und Tieren sowie die Verinselung von Lebensräumen sind damit zu den bedeutsamsten Gefährdungen der Artenvielfalt geworden. Im Jahr 2010 wurden in Deutschland nur noch 471 unzerschnittene, verkehrsarme Räume in einer Größe von über 100 Quadratkilometern gezählt, oft in Gebieten mit geringer Bevölkerungsdichte wie im Nordosten, in den waldreichen Mittelgebirgsregionen und im Alpenvorland. Diese Flächen stellen eine ungemein wichtige Ressource dar. Programme zur Biotopvernetzung und Wiedervernetzung von Lebensräumen sollen die Schnitte überbrücken.144 Generell ist der Ausbau des Verkehrswegenetzes zwischen Verkehrsnutzern und Landschaftsschützern hochumstritten. Die Proteste gegen die Startbahn West in Frankfurt in den 1970er und 1980er Jahren, die trotzdem gebaut wurde, gegen den Ausbau der Rheintalbahn oder den unterirdischen Bahnhof Stuttgart 21 wurden zu Kulminationspunkten der deutschen Umweltbewegung. Obwohl auch Bahnlinien die Landschaft zerschneiden, ist die Klimabilanz der Bahn doch besser als die von Pkw und Lkw. Ein umfassendes Mobilitätskonzept der Zukunft, das funktional ist und dabei klimafreundlich und naturverträglich wäre, ist jedoch noch nicht in Sichtweite. Immerhin melden sich in den Jahren nach dem Pariser Klimaabkommen immer mehr Länder und Firmen zu Wort, die einen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor in konkrete Planungen umsetzen. 156

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Migration von Pflanzen und anderen Lebewesen Und nicht nur die Zerschneidung und Fragmentierung der Lebensräume ist eine Folge der globalen Verkehrsverbindungen. Auch die Auseinandersetzung mit den Neobiota ist eine Herausforderung. Grundsätzlich sind eingewanderte Pflanzen und Tiere nichts Neues. Es gab historisch betrachtet drei große Wellen aus fernen Ländern eingeführter Pflanzen  : Mit dem Ackerbau kamen aus dem Zweistromland, wahrscheinlich mit wandernden Menschen, Getreide und dazugehörige Beikräuter in den Samenmischungen. Die nächste Welle kam über die Römer, deren landwirtschaftliche Produkte schon aus dem Osten über das Reich Alexanders den Großen angereichert worden waren. Mit der Entdeckung der Neuen Welt gelangte dann ein Strom von Pflanzen und Tieren aus Amerika nach Europa, an prominenter Stelle die Kartoffel, deren Geschichte gern und oft erzählt wird. Heute haben wir es im Zuge der Globalisierung mit den sogenannten invasiven Neobiota zu tun  : Waschbär, Nutria, Wollhandkrabbe oder Kamberkrebs, Riesen-Bärenklau, Japanischer Knöterich oder chinesischer Götterbaum, um nur einige zu nennen. Was ist der Unterschied  ? Die klassischen, tradierten Nutzungen der Landschaft haben im Prinzip eher bereichernd auf die Artenvielfalt gewirkt. Es kam immer wieder etwas dazu, die Lebensräume haben sich ausdifferenziert. Der optischen Vielfalt entspricht eine Vielfalt an Lebensräumen. Die Neuen treffen auf bereits artenarme Monokulturen, aufgrund der neuen Verkehrswege in einer globalisierten Welt geht alles viel schneller und die Standortbedingungen ändern sich grundsätzlich durch den Klimawandel, so dass die Bezeichnung „standortgerecht“ zu hinterfragen ist. Was geschieht, wenn die Standorte generell wärmer werden  ? Sind dann etwa mediterrane Pflanzen und Tiere standortgerechter als die bisher heimischen  ? Dass Klimawandel auch Menschen aus Not in Bewegung versetzen kann, ist im Rückblick eine historische Tatsache. Klimakatastrohen, Hungersnöte, Unwetterphasen, Dürren, Überschwemmungen waren schon immer 157

Globalisierung

Ursachen von Wanderungsbewegungen. Ein Zusammenhang zwischen der derzeitigen Klimaerwärmung und aktuellen sowie zukünftigen Migrationsbewegungen aus dem Süden in Richtung Norden wird immer wieder in den Medien diskutiert. Aber die verschiedenen Ursachen der Migration sind schwer auseinanderzuhalten. Die Bewertung der Migration ist in den jeweiligen gesellschaftlichen Kontexten und in der politischen Meinungsbildung ebenfalls schwankend, wobei eine große Zahl neuer rechter Bewegungen in Europa und den USA genau hier ansetzt. Eine Abschließung gegen Migration ist allerdings für liberale und demokratische Gesellschaften nicht akzeptabel.145 Gegenüber den enormen Problemen, die sich hier abzeichnen, erscheint eine Begrenzung des Klimawandels immer noch als die bessere Lösung. Die Ökonomisierung der Kreativität In der globalisierten Welt hat Migration viele Facetten. Es gibt auch Gruppen von Menschen, die sich in den Möglichkeitswelten der Globalisierung bewegen wie die Fische im Wasser. Der spielerische Umgang mit Finanzströmen rund um den Globus, eine grundsätzliche weltweite Mobilität im Arbeitseinsatz oder die Teilnahme an der globalen Kunst- und Medienwelt werden von vielen Menschen als Bereicherung ihrer Persönlichkeit und Erweiterung ihrer Handlungsmöglichkeiten erlebt. Kreativität und Selbstverwirklichung konturieren die Leitbilder eines global orientierten Lebensstils gut ausgebildeter kosmopolitischer Menschen in der ganzen Welt. Das Leben in Möglichkeitsfeldern, die Offenheit gegenüber anderen Kulturen und generell gegenüber Diversität sowie die Ästhetisierung der Lebensgestaltung sind ebenfalls gut vereinbar mit den Werten der Selbstverwirklichung. Ebenso der zwanglose Umgang mit Versatzstücken diverser Religionen, Philosophien, Psychologien und Weisheitslehren zur Kreation eines individuellen Mix von Wertorientierungen. Der Kultursoziologe Andreas Reckwitz hat diese Form der „Kulturalisierung“ definiert und untersucht. Reckwitz hat auch zuerst auf die Fragen hingewiesen, die eine fortschreitende Ökonomisierung der 158

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Kreativität im Zuge gesellschaftlicher Ästhetisierungsprozesse aufwirft.146 Denn Kreativität ist in der globalisierten Welt nicht mehr nur ein Element persönlicher Selbstverwirklichung, sondern eine verbreitete Anforderung der Berufs- und Arbeitswelt geworden. Dies gilt nicht nur für die Berufe in der Kunst-, Medien- und Designwelt, sondern auch für die Produktentwicklung in diversen Branchen, von der Software bis zum Maschinenbau  ; die kreative Produktentwicklung der Finanzwelt etwa nimmt man spätestens seit der letzten Finanzkrise auch in der Öffentlichkeit zur Kenntnis. Die Kunst hat insofern das Modell bereitgestellt für eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung, die weiter expandiert. Diese Demokratisierung der Kreativität hat aber zugleich deren ökonomische Verwertbarkeit mit vorangetrieben. Wenn statt einer kleinen Elite von der Masse unverstandener Propheten, die Kandinsky an die Spitze seines Dreiecks stellt, nun ganze Wirtschaftszweige von den Ergebnissen kreativen Tuns leben, ist klar, dass es nicht nur um die freie Entfaltung geht, sondern um Erfindungen, für die Menschen etwas zu bezahlen bereit sind. Das ist im Prinzip nicht verwerflich, aber doch etwas anderes. Der utopische oder gesellschaftsreformerische Stachel fehlt, denn das kreative Potenzial bleibt in den Grenzen des Systems marktwirtschaftlicher Verwertbarkeit. Eine grundlegende, gesellschaftlich hochwirksame Funktion der Kreativität, nämlich die Befähigung zur Überschreitung systemischer Grenzen, ist damit außer Kraft gesetzt. Das kann dazu führen, dass eine im Detail, nämlich bezogen auf Produkte, hochkreative Gesellschaft doch im Ganzen gesehen auf der Stelle tritt. Wirklichkeitskonstruktionen Jeder kann heute Kunst kaufen, sofern die nötigen finanziellen Mittel vorhanden sind. Der Kunstmarkt ist so global wie der Finanzmarkt. Die möglicherweise noch erhofften systemsprengenden Potenziale einer Avantgardekunst drohen im Marktgeschehen abgefangen und neutralisiert zu werden. Es ist ein weiter Weg von den prophetischen geistigen Welten der Erneuerung bei Kandinsky zum globalen Kunstmarkt mit seinen nivellierenden 159

Globalisierung

Effekten. Auf der anderen Seite ist es auch als Erfolgsgeschichte von historischen Dimensionen zu betrachten, dass Kunst das Modell für die Lebensund Berufsorientierung einer globalen Elite abgeben konnte. Allerdings nur dann, wenn man die Erweiterungsbewegung, die durch eine immer neue Avantgardekunst in Gang gesetzt wird, als grundsätzlich noch nicht angekommen ernst nimmt. Die Utopien der Kunst können sich zweifellos nicht in der Erfindung immer neuer Produkte erschöpfen, zumal dann nicht, wenn diese Produkte das immer Gleiche lediglich variieren. Auch die Konstruktion sich fortwährend überbietender Medienwelten in Film, Werbung, Musikvideos und elektronischen Spielen ist nicht das Ziel, sondern allenfalls ein Weg. Allerdings sind die destruktiven Potenziale einer entkernten Medienwelt auch deutlich in die Kritik geraten. Das Aufkommen zahlreicher fundamentalistischer und autoritärer Bewegungen in der Welt, die sich unter dem Begriff einer alternativen Rechten zusammenfassen lassen, hat in der öffentlichen Diskussion zu Fragen an die sogenannte Elite geführt  : Ist die Abkehr der neuen Rechten von den bis dato anerkannten Wahrheitsfindungsinstanzen Wissenschaft und Medien darauf zurückzuführen, dass diese selbst das Wahrheitsverständnis ausgehöhlt haben  ? Oder anders gefragt  : Ist der Wahrheitskonstruktivismus einer kreativen Medien­ elite mit ursächlich für das Aufkommen einer Gegenbewegung, die nun ihrerseits frei erfindend Anhänger um sich schart  ? Hat die Abkehr vom Gedanken einer substanzhaften, stabilen Realität der auf Gläubigkeit setzenden Politik autoritärer Populisten Tür und Tor geöffnet  ? Vielleicht zu weit hergeholt für die Analyse eines harmlosen Bildes. Aber doch geeignet, um die ethische Dimension der Wahrheitsfrage neu zu beleuchten. Es gibt keinen direkten Weg von den Fakten ins Handeln. Der Weg über Kommunikation ist grundsätzlich immer zu beschreiten. Aber die Diskussion hat sich nicht nur um Fake-News und Faktenchecks zu drehen, sondern um die Frage, welchen Werten eine Gesellschaft folgen will. Sollte es gelingen, der Energie von und Begeisterung an kreativer Weltgestaltung mit einer Orientierung an nachhaltigen Zielen eine neue Richtung zu geben, wäre das immer noch die bessere Lösung. 160

Teil II Das gab es noch

Roelant Jakobsz Savery, 1576–1639, Waldlandschaft mit Eremit, 1608, Kupfer, 21,4 × 16,7 cm, Hannover, Niedersächsisches Landesmuseum.

Wildnis Das Bild  : Savery, Waldlandschaft mit Eremit

Der Maler war von Kaiser Rudolf II. in den Jahren 1606 bis 1608 nach Tirol geschickt worden, um dort die Wunder der Natur zu erkunden. Er entdeckte die Wildnis wie einen neuen Kontinent. Wie kein Künstler vor ihm hat er die bis dahin unberührte Landschaft der alpenländischen Bergwelt porträtiert. Der flämische Künstler Roelant Savery (1576–1639) war wie Valckenborch ein religiöser Migrant. Als Kind protestantischer Eltern gelangte er nach der Einnahme seiner Geburtsstadt Kortrijk durch die katholischen Truppen etwa 1585 nach Haarlem, 1591 nach Amsterdam. 1604 bis 1612 hielt er sich als Hofmaler Kaiser Rudolfs in Prag auf und von 1614 bis 1615 stand er ebenfalls als Hofmaler im Dienst von Kaiser Matthias in Wien.147 Er war wegen seiner fantasievollen Wald- und Gebirgslandschaften sowie seiner schönen Paradiesdarstellungen mit vielen exotischen Tieren und Pflanzen hoch geschätzt. Zurückgekehrt in die Niederlande, starb er in Utrecht in geistiger Umnachtung. Die zahlreichen Skizzen, die er von seinen Expeditionen in die Wildnis mitbrachte, nutzte er sein Leben lang als Repertoire seiner Bilder, stellte diesen Schatz nach seiner Rückkehr in die Niederlande aber auch seinen Malerkollegen zur Verfügung. Dies führte zu fantastischen Landschaftskombinationen, die nahelegten, dass nicht nur in Shakespeares „Wintermärchen“, sondern auch in der flämischen Landschaftsmalerei Böhmen am Meer lag.148 Savery hat bereits zahlreiche Studien „naer het leven” angefertigt.149 Das war in dieser Zeit etwas Besonderes, denn die Maler schufen ihre Bilder als Idealvorstellungen im Atelier. „Nach dem Leben“ bedeutet aber nicht völlig identische Realistik oder Wirklichkeitstreue, sondern eher die täuschend echte Illusion oder Wahrscheinlichkeit der Darstellung. Es ging nicht in erster Linie um eine Wirklichkeit, wie jedermann sie mit eigenen Augen sehen konnte, sondern inmitten der göttlichen Schöpfung sahen 163

Wildnis

die Künstler sich in einem Wettstreit mit der Natur und ihren Gestaltungskräften. Man unterschied in der philosophischen Theologie dieser Zeit zwischen der Natura naturata, die Gott in seiner unendlichen Schöpferkraft geschaffen hatte, und der Natura naturans, dem inneren Wirkprinzip in der Natur und der in ihr allgütig waltenden göttlichen Schöpfungskraft. Mit dieser in erfinderischen Wettstreit zu treten war eine Aufgabe, die die Künstler sich in allerjüngster Zeit erst zugeschrieben hatten, und zwar in Italien. Vor allem die niederländischen Maler hatten diesen Gedanken auf die Landschaftsmalerei übertragen. Dabei ging es auch darum, die Schönheit und Vielfalt der geschaffenen Natur als Schöpfungslob auszudrücken. Aber der Ehrgeiz der Künstler ging noch darüber hinaus  : In der Nachahmung des schöpferischen Prinzips, das als in der Natur waltend gedacht wurde, lag der Freiraum für Fantasie und Erfindungsreichtum der produktiven Einbildungskraft. Hier die Natur noch zu übertreffen bzw. die ihr eigentümlichen Züge noch besser herauszuarbeiten als die Natur selbst war das Ziel der Künstler. Wildnis Die Wildnis, die unkultivierte Natur, bot sich als Schauplatz für den Wettstreit mit der Natur besonders an. In den Bergen und Wäldern, Wasserfällen und knorrigen Bäumen, Felsentoren und Felsklippen, aber auch in Licht- und Wetterphänomenen konnte der Künstler wunderhafte Werke der Natur bestaunen, die ihn zum nachahmenden Übertreffen herausforderten und zu phantastischen Imaginationen anregten, in denen das Wirken der natura naturans nachgeahmt werden sollte. Der Wettstreit mit der Natur verband sich mit der visuellen Neugier an der unkultivierten Natur.150

Gemäß einem rhetorischen Topos der Zeit konnte das sogar zu Eifersucht der Übertroffenen führen  : So berichten einige Zeilen in der Art eines Nachrufs auf dem einzigen erhaltenen Porträt Saverys  : 164

Savery, Waldlandschaft mit Eremit

Es schien, daß Savery die Natur übertraf, wenn er Berge, Wälder, Tiere und Blumen abbildete (…) Die Natur, befürchtend, er möchte sie hierin überwinden, nahm ihm das Leben durch Zerstören der Sinne. (…) Während die Welt weint, so lachen um so mehr die Seelen im Elysium, daß nun der Meister kommt, und schmücken ihr Reich mit allerlei Tieren, mit weiten Wäldern und mit lieblichen Blumen.151

Und in diesem Wettstreit hatte sich Savery in der Tat nicht schlecht behauptet, auch wenn er ihn am Ende verlor. Seine Wildnis ist wilder als die Natur selbst und malerisch im wahrsten Sinne des Wortes. Umgefallene Baumstämme, abgebrochene Stümpfe und Wurzelwerk ragen kreuz und quer ins Bild, ein toter Baum reckt sich im Mittelgrund empor. So sieht es in den „wilden“ Wäldern unserer Nationalparks aus. Nach links hin dürfen wir unheimliches Waldesdunkel vermuten. Im Mittelgrund sehen wir Wasser, vielleicht einen Sumpf. Erst auf den zweiten Blick erkennbar als regelmäßige Struktur links von der Mitte  : die Klause des Eremiten, und darin der fromme Mann selbst, der Vergänglichkeit und Gläubigkeit repräsentiert. Der wilde Wald wird lesbar als Ort außerhalb der Welt, als Ort der Einsamkeit und Gegenbild der Zivilisation, Ort der Einkehr und der Umkehr. Wildnis war damals das Naturprojekt einer hochgebildeten höfischen Elite, das sich auch in den Kunst- und Wunderkammern der Zeit wiederfand, den Vorläufern der heutigen Museen. Deren berühmteste wurde zusammengetragen von Erzherzog Ferdinand II. (1529–1595) und ist zum Teil auf Schloss Ambras bei Innsbruck noch heute zu bewundern. Derartige Wunderkammern versammelten das Weltwissen der Zeit und trugen dabei allen Elementen, die zum Staunen und Forschen Anlass gaben, Rechnung. Das konnten die Schöpfungen menschlicher Kunstfertigkeit ebenso sein wie die Schöpfungen und Wunder der Natur. Auch Rudolf II. in Prag besaß eine solche Sammlung, in den kaiserlichen Menagerien gab es eine Vielzahl exotischer Tiere. Eines seiner wertvollsten Stücke war ein ausgestopfter Dodo.152 Der flugunfähige Vogel stammte von der Insel Mauritius im Indischen Ozean und wurde Ende des 17. Jahrhunderts zum letzten Mal lebendig gesichtet. Bereits etwa 100 Jahre nach ihrer Entdeckung waren 165

Wildnis

die zutraulichen Tiere, die in ihrer Heimat keine Feinde hatten, ausgerottet. Es handelt sich um den ersten dokumentierten Fall der Vernichtung einer Spezies durch den Menschen. Der Vogel wurde von den Seeleuten wegen seines Fleisches bejagt, als weitere Ursachen seines Aussterbens vermutet man von den zivilisierten Eroberern eingeführte Haustiere, die die Eier des Vogels fraßen. Das Natural History Museum in London besitzt einen von Savery gemalten Dodo, der Vorbild wurde für viele andere Darstellungen.153 Das Tier gelangte zu großer Popularität, vor allem im angelsächsischen Raum, was auch daran liegen mag, dass Lewis Carroll den Dodo in seiner „Alice im Wunderland“ auftreten lässt. Auch die englische Redensart „dead as a dodo“ ließe sich hier anführen. Das Internet ist jedenfalls voller Bilder, Portale und Vereinigungen zum Dodo. Für moderne Betrachter wird der Vogel zum Symboltier des Artensterbens wie der Eremit in unserem Bildbeispiel für die Zeitgenossen des Malers als Zeichen der Heilsgewissheit in der Wildnis gelten konnte. Zu Lebzeiten Saverys und seines Gönners gab es den Dodo aber noch. Savery hat das auffällige Tier oft in seinen Bildern untergebracht, z. B. in den paradiesischen Landschaften zusammen mit zahlreichen anderen, zum Teil exotischen Tieren, und hat es auch einzeln abgebildet. Die Fülle exotischer Lebewesen, die diese Bilder zeigen, mag als Ausweis der Weite menschlicher Eroberungen bis in die fernsten exotischen Länder verstanden worden sein. Aber Savery hat noch mehr geschaffen  : Er kombiniert die aus der böhmischen Wildnis mitgebrachten Naturdetails, wie Felsen, Bäume, Waldansichten, mit einer Tierwelt von südlicher Helle und Heiterkeit. Diese vor allem nach seiner Rückkehr in die Niederlande entstandenen Bilder beziehen sich in den Titeln auf Orpheus unter den Tieren, den Garten Eden, Landschaft mit Vögeln oder die Zeit vor der Sintflut und haben alle etwas an sich vom „Paradies auf Erden“.154 Das Begleitheft zur gleichnamigen Dresdner Ausstellung zählt in dem Werk „Vor der Sintflut“ von 1620 mindestens 100 verschiedene Arten von Tieren verschiedenster Herkunft und Lebensräume und verleiht so dem Bild den Stellenwert einer Ikone der Artenvielfalt.155 166

Savery, Waldlandschaft mit Eremit

Dieses Harmonieideal mit der Wildnis zu malerischer Schönheit verknüpft zu haben darf als besondere Leistung Saverys gelten. Das utopische Potenzial des Paradieses verbindet sich so mit dem Urchaos der Wildnis zu einer neuen Einheit. Eine Kombination von magischer Kraft, die noch heute wirkt, wenn Menschen gerade der Wildnis zutrauen, die von der Zivilisation erschöpften Energien von den Ursprüngen her zu regenerieren. Der wilde Wald als symbolische Landschaft vor allem des Nordens hatte bereits zu Saverys Zeiten eine lange Geschichte hinter sich. Am Anfang stehen einige Bemerkungen des Tacitus, der in seiner „Germania“ dieses Land als „aut silvis horrida aut paludis foeda“156 bezeichnet, schrecklich durch seine Wälder und grauenhaft durch sein Sümpfe. Der kultivierte Römer berichtet hier seinen Zeitgenossen – im Großen und Ganzen nicht ohne Respekt – von einer der unzivilisierten Regionen der Welt. Wir dürfen davon ausgehen, dass er sich an ein städtisches Publikum richtete – in Rom gab es eine gebildete Oberschicht, die Muße hatte zu lesen – und dass im Italien seiner Zeit der Waldbestand bereits beträchtlich gelichtet war.157 Die antiken Autoren verbreiteten das kulturgeprägte Gegen-Bild gewaltiger wüster Wälder unter dem Namen des „Hercynischen Waldes“, der sich von den Ardennen und Vogesen bis weit in den Osten erstrecken sollte. Dies ist der wilde Wald schlechthin. Gegenbegriff ist das lateinische „cultura“, Pflege, Bebauung – auch Verehrung ist noch mit diesem Wortfeld erfasst. Dem bebauten, kultivierten Land, das von menschlicher Hand bearbeitet, geordnet und verschönt wurde, steht das rohe, ungeordnete, noch nicht vom Menschen bearbeitete Land gegenüber. Das Gegensatzpaar Wildnis–Kultur hat hier seine Wurzeln. Je nach Bedürfnislage und Blickrichtung kann das eine oder andere Element der Polarität positiver oder negativer gewertet werden. Der wilde Wald als der eine Pol kann aber seinerseits viele Bedeutungsebenen abbilden  : Auch das Chaos und die Urmaterie vor der Genesis sind als Ausgangspunkte schöpferischer Gestaltung verstanden worden, ebenso die Wüste der Bibel. Immer wieder sind biblische Szenen, für die die Wüste als Ort angegeben wird, in Wäldern dargestellt worden, etwa Szenen aus 167

Wildnis

dem Leben Johannes des Täufers. Ein beliebtes Sujet ist dabei die Predigt des Täufers in der Wüste, die ab dem 15. Jahrhundert immer öfter in den Wald verlegt wird. Etwa Pieter Bruegel d. Ä. oder Adam Elsheimer haben Werke geschaffen, die eine lauschende Gemeinschaft um den Prediger in seiner biblisch geschilderten Kleidung in einem jeweils sehr schön ausgearbeiteten Wald zeigen, der mächtige Blätterkronen über die Versammelten wölbt. Viele ähnliche Beispiele lassen sich finden. Hier rückt der Aspekt in den Vordergrund, einen Raum der seelischen Verwandlung und inneren Einkehr zu schildern. Das psychosoziale Projekt der inneren Umkehr spielt in der Mythologie des Waldes immer wieder eine Rolle. Ein weiteres beliebtes Motiv ist die biblische Geschichte, nach der Christus in der Wüste vom Bösen versucht wird. In drei Evangelien des Neuen Testaments wird diese Szene geschildert  : Nach der Taufe wird Jesus vom Geist in die Wüste geführt, um dort den Versuchungen des Teufels ausgesetzt zu werden. Die Versuchungen beziehen sich auf die materiellen Güter dieser Welt  : aus Stein Brot machen, Macht und Herrschaft über die Reiche der Welt als Lohn für den Dienst am Teufel, Auf-die-Probe-Stellen Gottes als greifbarer Beweis der göttlichen Abkunft. Ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wird diese Szene ebenfalls in den Wald verlegt. Auch hier wurde Pieter Bruegel d. Ä. eine wichtige Anregung für spätere Künstler. Es handelte sich um einen bekannten Topos. Dante Alighieri begreift in seinem „Inferno“ der „Göttlichen Komödie“ (ca. 1307–1321) den Wald und die Wüste synonym, wenn er seine Reise in einem Sünde und Versuchung symbolisierenden Wald beginnt. Ein im Mittelalter verbreitetes Verständnis vom Wald als Ort der Verirrung und Versuchung wird hier aufgegriffen.158 Wir sehen, dass auch der Wald selbst eine Polarität oder vielmehr emotional gefärbte Ambivalenzen symbolisieren kann, die sich durch die Kulturgeschichte ziehen. Neben der grundsätzlichen Gegenüberstellung von Kultur und Wildnis entsteht innerhalb der Bilderwelt des Waldes eine andere Geschichte, je nachdem, ob der Wald als Raum der Verinnerlichung fernab der Fährnisse der betriebsamen Welt verstanden wird oder als 168

Savery, Waldlandschaft mit Eremit

gefährliche und fremde Wildnis, in der die äußeren und inneren Dämonen die Herrschaft ergreifen können. Wie alt dieses Schema sein dürfte, zeigt ein Blick auf das Verständnis von Wüste, das sich aus der Bibel selbst ablesen lässt. Zunächst meinen wir ja zu wissen, was eine Wüste ist, nämlich eine Zone trockenen Sandes, und wundern uns über die Gleichsetzung mit dem Wald. Das wissenschaftliche Bibelportal der Deutschen Bibelgesellschaft berichtet, dass das hebräische Wort „midbar“ zunächst in der Tat trockene Gebiete bezeichnet, die daher für den Landbau und die bäuerliche Kultivierung ungeeignet sind. Auch das griechische ἔρημος (erēmos), von dem sich der Eremit ableitet, meint eine wasserlose und daher unbewohnbare Gegend oder eine karge Steppe. Die Wüste gehörte im Weltbild des Alten Testaments wie auch das Meer zu den lebensfeindlichen, chaotischen Bereichen der Welt schlechthin. Die extremen Temperaturen und der Mangel an Wasser trugen dazu bei, dass mit der Wüste Eigenschaften des Grabes und des Todes verbunden wurden  : trostlose Ewigkeit, Einsamkeit und Verlassenheit, Hunger, Durst, Ohnmacht, Zerstörung. Wer sich in die Wüste begibt, wird mit dem Totenreich konfrontiert. Untergangsdrohungen arbeiten regelmäßig mit der Ankündigung, Kulturland oder eine Stadt werde zur Wüste werden. Die Wüste war außerdem Lebensraum von unheimlichen Repräsentanten der gegenmenschlichen Welt  : Wilde Tiere und schreckenerregende, zum Teil tiergestaltige Dämonen wie die bocksbeinigen Satyre, die heulenden Dämonen oder die nächtliche Lilith hausen hier. Auch für Menschen, die sich der Gemeinschaft entziehen mussten oder wollten, war die Wüste ein Ort  : Verfolgte und Flüchtlinge, Ausgestoßene, Rebellen, Räuber und Nomaden, denen man mit Misstrauen, Distanz und Verachtung begegnete. Hierher trieb man den Sündenbock, um sich der Sünden des Volkes zu entledigen. Aber mit der Wüste sind in der Bibel auch Hoffnungsperspektiven verbunden. Sie ist ebenso Unort wie auch Ort der Gottesbegegnung, in ihr konnte Israel in idealer Weise seine Beziehung zu seinem Gott verwirklichen. Daher wird sie auch zum Ort der Läuterung des Volkes, an dem eine neue Hinwendung zu Gott möglich ist. Der Weg der Israeliten mit Moses 169

Wildnis

an der Spitze in die Freiheit ist mit dem Durchzug durch die Wüste verbunden. An die Grunderfahrung des Wüstenzugs wird angeknüpft, wenn über den Weg durch die Wüste die Rückkehr ins Land der Verheißung möglich werden soll. In dieser Heilsperspektive wird auch die Verwandlung der Wüste in fruchtbares, blühendes Land angekündigt. Im Neuen Testament erscheint die Wüste als Rückzugsort Jesu vor den Menschenmengen oder als Rückzugsort seiner Jünger, damit sie zur Ruhe kommen können. Die Einsamkeit des Ortes ermöglicht die Konzentration auf das Gebet und eine intensive Begegnung mit Gott. Die Begegnung Jesu mit den wilden Tieren der Wüste bildet einen Gegenpol zum Schöpfungsbericht. Während Adam den ursprünglichen Schöpfungsfrieden zerstörte, stellt Jesus ihn wieder her und erneuert so die paradiesische Gemeinschaft.159 So spiegelt sich in den Darstellungen der Wüste und des Waldes eine theologische Landschaft, die später in Projektionsräume der Psyche führt. In der Bibel wie auch in unseren Landschaftsbildern entstehen aus dem Gegensatz zum kultivierten Land zwei grundsätzliche Möglichkeiten der Begegnung  : Einerseits herrschen hier alle denkbaren Schrecken eines Unortes, andererseits erwächst gerade aus der Entfernung von der Zivilisation die Erwartung von innerer Einkehr, von Heilung und Umkehr. Diese Polarität findet sich auf weiteren Ebenen. Ein Verständnis der Natur als Bedrohung prägte viele der menschlichen Eroberungsschritte zur Zähmung des Wilden, während im Zuge fortschreitender Naturzerstörung gerade die Heilserwartungen an die Wildnis sich ausbreiteten. Ein modernes Beispiel ist der Erfolg des Buchs „Eisenhans“ von Robert Bly. Hier wird der „wilde Mann“ aus dem Märchen im Kontext der Archetypenlehre von C. G. Jung als Leitfigur einer neuen Männlichkeit apostrophiert. Paradies und Arkadien Kehren wir zurück zur Landschaftsmalerei und ihren Möglichkeiten, so weist auch der positive Pol unserer Waldbilder auf zwei archetypische 170

Savery, Waldlandschaft mit Eremit

Grundmuster zurück  : das Paradies der Bibel und das Arkadien einer griechisch-antiken Tradition. Über diese nostalgisch-utopischen Gegenweltbilder lässt sich eine Traditionslinie bis zu den Wurzeln der Landschaftsmalerei zurückverfolgen.160 Das Paradies und der Garten Eden versprechen eine Sphäre sündenlosen Glücks, vor aller Arbeit und Mühsal, in der Menschen und wilde Tiere einträchtig zusammenleben. Die Natur ist eine Freundin, die alle Lebewesen gleichermaßen mit Nahrung und allen Notwendigkeiten versorgt. Gott ist anwesend und spricht mit den Menschen. Arkadien als symbolische Landschaft wird in der literarischen und malerischen Tradition häufig mit dem Goldenen Zeitalter assoziiert. Auch hier gibt die unerschöpfliche Natur freiwillig ihre Güter, die wilden Tiere liegen friedlich bei den zahmen und ein freundliches Hirtenvolk treibt zärtliche Spiele. Wir finden in den malerischen Zeugnissen der europäischen Kunstgeschichte meist eine paradiesisch geglättete Version dieser archaischen Landschaft als Hirtenidylle. Wie Simon Schama in seinem „Traum von der Wildnis“ beschreibt, hat jedoch sogar Arkadien dunkle Seiten. Sie gehen zurück auf die Ursprungssagen, die Pausanias im 2. Jahrhundert n. Chr. gesammelt hatte. Schama berichtet in selten plastischer Sprache nach antiker Quelle  : … das Kennzeichen der ursprünglichen Bewohner Arkadiens war ihre Tiernatur. Ihre beherrschende Gottheit Pan kopulierte mit Ziegen (und mit allem anderen, was ihm über den Weg lief ) und verriet seine Tiernatur durch seine behaarten Schenkel und seine gespaltenen Füße. Aus Mitgefühl für seine unerwiderte Liebe zu den Nymphen Echo und Syrinx brachte ihm sein Vater Hermes das Masturbieren bei. Und Pan war auch nicht der einzige Tiermensch. Zur Strafe dafür, daß er Zeus ein Kind geopfert hatte, wurde Lykaon, der Sohn des ersten arkadischen Herrschers Pelasgos, in einen Wolf verwandelt und vom Tisch der Götter vertrieben. Wenn er sich neun Jahre lang des Verzehrs von Menschenfleisch enthielte, würde ihm seine ursprüngliche Gestalt wieder zurückgegeben werden. Doch sein ungezügeltes Verhalten verdammte Lykaon zu einer marginalen Existenz zwischen der Welt der Tiere und der der Menschen. Und was die durchschnittlichen Arkadier anging, so 171

Wildnis

suchten sie Zuflucht vor den Unbilden der Elemente in Höhlen oder rohen Hütten, und sie ernährten sich von Eicheln und dem Fleisch und der Milch ihrer Ziegen.

All das erinnert uns eher an die Wüste in der Bibel mit ihren finsteren Bewohnern und an die dunkle Seite der Wildnis als an ihre erlösenden Potenziale. Die Arkadier dachten die Griechen sich auch nicht als Bauern  : Als Jäger und Sammler, als Krieger und Sinnenmenschen bewohnen sie eine Landschaft, die für ihre unmenschliche Härte berüchtigt ist, zwischen unfruchtbarer Dürre und erbarmungslosen Überschwemmungen gefangen.161

Das ökologische Auge  : Grenzgebiete und neue Wildnis Grenzgebiete Wir sind nun über den Weg nach Arkadien wieder bei einer Wildnis angelangt, die eher menschenfeindlich und menschenfern ist. In der Wirklichkeit Roelant Saverys mag es sie noch gegeben haben. Martin Warnkes Idee zur politischen Aussage einer Landschaft bietet eine schöne Überleitung zu den ökologischen Aspekten der Wildnis. Grenzsetzungen und Grenzgebiete, so Warnke, gehören zu denjenigen Merkmalen einer Landschaft, in denen politische Entscheidungen am offenkundigsten sind. Dabei waren Grenzen oft durch unkultivierte Gebiete wie Wälder, Wüsten, Sümpfe und Moore bezeichnet. Solche Grenzgebiete waren also oft urtümlich, von exotisch-wildem Charakter, bizarr, eben ganz so, wie unser Maler sie schildert. Es mag also sein, dass Savery ganz einfach Grenzgebiete gemalt hatte.162 Jedenfalls ist eines der schönsten Beispiele neuer Wildnis ebenfalls ein Grenzgebiet  : Auf der Fläche der innerdeutschen Grenze zur ehemaligen DDR entstand in den Jahren nach 1989 das „Grüne Band Deutschland“. Hier hat sich die Natur jahrzehntelang frei von menschlicher Einwirkung entwickeln können und einzigartige Biotope hervorgebracht. 172

Savery, Waldlandschaft mit Eremit

Auf fast 1400 Kilometer Länge hat die innerdeutsche Grenze das Land durchschnitten. In der menschenfeindlichen Umgebung von Stacheldraht, Minenfeldern und Niemandslandstreifen konnten sich zahlreiche unterschiedliche Biotope entwickeln, die wie Relikte aus einer Zeit vor der Industrialisierung der Landwirtschaft wirken. Es gibt dort naturnahe Wälder, Trockenrasen und Moore, Feuchtwiesen, Brachflächen und Hecken – mit insgesamt fast 150 verschiedenen Biotoptypen sind das Elemente, die in unserer heutigen Landschaft kaum noch zu finden sind und wenn doch, dann sorgsam geschützt werden. Zahlreiche gefährdete Vogelarten konnten sich hier niederlassen, wie Raubwürger, Ziegenmelker oder Braunkehlchen. Insgesamt findet man im Grünen Band mindestens 1200 gefährdete oder vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten. Die ehemalige Grenze funktioniert wie ein großer Biotopverbund, da die Gebiete immer noch weitgehend miteinander in Verbindung stehen. Seit dem Jahr 2000 sind knapp zwei Drittel der Fläche als Natura-2000-System geschützt, entlang des Grünen Bandes sind mehr als 150 Naturschutzgebiete ausgewiesen. Naturschutzverbände wie der BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland), der hier Flächen ankauft, und staatliche Institutionen bemühen sich um den Erhalt dieser besonderen Naturzone. Der Todesstreifen ist zur Lebenslinie geworden. Allerdings ist der Status des Gebietes durchaus nicht vollständig gesichert, immer wieder gibt es Versuche, das Band zu „durchlöchern“ durch Verkehrswegeausbau, intensivierte Nutzflächen oder illegale Eingriffe. Seit 2003 weitet sich das Projekt aus zum Grünen Band Europa – dem „European Green Belt“. Auch zwischen Finnland und Russland, Österreich und Ungarn, im Baltikum und im Balkan hat es durch den Eisernen Vorhang ganze Landstriche gegeben, die in ihrer Abgeschiedenheit einen natürlichen Charakter bewahren konnten. Über 12.500 Kilometer quer durch Europa bergen Naturschätze, 24 Staaten haben sich dem Projekt angeschlossen. Dabei wirkt sich hier aus, dass zur Festlegung von Grenzen schon immer Gebirgsrücken, Flussläufe oder schwer zu bewirtschaftende und dünn besiedelte Gebiete herangezogen worden waren. So gibt 173

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es im Grünen Band Europa über 40 Nationalparks, darunter solche, die tatsächlich noch so etwas wie Wildnis aufweisen, etwa zwei russische Nationalparks in Karelien, wo es riesige Seengebiete, alte Wälder mit Elchen und Braunbären gibt. Auch hier gefährden jedoch immer wieder diverse Kommerzialisierungen die Bestände. Neben dem BUND bemühen sich verschiedenen Institutionen auf internationaler Ebene um Erhalt und Ausbau des Projekts. Das Bundesamt für Naturschutz hat mittels zahlreicher länderübergreifender Kooperationen die „European Green Belt Initiative“ in Gang gesetzt, die als Rückgrat eines europäischen Biotopverbunds fungieren soll. Die grenzüberschreitende Naturschutzzusammenarbeit kann so Anregungen zu einer nachhaltigen Regionalentwicklung vermitteln und zur europäischen Einigung beitragen. Ein ähnliches Projekt gibt es seit 2012 sogar in Korea, wo ebenfalls eine Grenzanlage den nördlichen und südlichen Landesteil trennt. Auch hier konnte sich die Natur in weiten Teilen frei entwickeln und ist Rückzugsraum für viele gefährdete Arten geworden. Die südkoreanische Regierung bemüht sich, unterstützt vom Bundesamt für Naturschutz, die Gebiete für den Naturschutz zu sichern.163 Im Grunde ist es ein tieftrauriger Befund, dass es derart menschenfeindlicher Einrichtungen wie Zäune und Selbstschussanlagen bedurfte, um einen Teil der Natur in freier Entfaltung zu erhalten. Es wäre schade, wenn das nur ganz ohne Menschen ginge. Die Besonderheit des Grünen Bandes verweist auf eine Problematik, die sich vor allem in Deutschland, aber auch in Süd- und Mitteleuropa generell auswirkt  : Unberührte Naturlandschaft gibt es hier eigentlich nicht mehr. Und auch die Kulturlandschaft, früher kleinteilig aufgebaut mit Hecken, Randstreifen und Wegen, verwandelt sich mehr und mehr in großräumige einheitliche Felder mit Monokulturen wie Mais, Raps oder Getreide, die nur noch mittels „chemischer Kampfstoffe“ – Pestiziden und Düngemitteln – am Leben erhalten werden können.

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Niedermoorgebiet in einem verlandeten Rheinseitenarm  : Hier kann sich Wildnis entwickeln.

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Neue Wildnis Natürliche dynamische Prozesse sind in Mitteleuropa kontinuierlich aus der Landschaft verdrängt worden. Flüsse wurden begradigt, die Meeresküsten eingedeicht, Wälder aufgeforstet. In weiten Teilen Mitteleuropas und speziell in Deutschland gibt es heute fast keine Bereiche mehr, die einer ursprünglichen Wildnis entsprechen. Das Bundesamt für Naturschutz schlägt daher für Deutschland folgende Definition vor  : Wildnisgebiete i. S. der NBS [Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt] sind ausreichend große, (weitgehend) unzerschnittene, nutzungsfreie Gebiete, die dazu dienen, einen vom Menschen unbeeinflussten Ablauf natürlicher Prozesse dauerhaft zu gewährleisten.164

Wildnisgebiete in Ansätzen gibt es noch oder wieder in Kernzonen von Nationalparks, auch auf Flächen des „Nationalen Naturerbes“ – Flächen des Bundes, die dem Naturschutz übergeben werden – und in einigen großen Naturschutzgebieten. Diese Bereiche machen nach Einschätzungen des Bundesamtes für Naturschutz aktuell etwa 0,6 Prozent der Landfläche in Deutschland aus. Es geht also nun darum, neue Wildnis zu entwickeln, was möglicherweise einen Widerspruch in sich darstellt. Dazu geeignete Gebiete können sein  : zunächst einmal Wälder der öffentlichen Hand, da hier kommerzielle Interessen zurücktreten können, außerdem Moorgebiete, Flussauen, auch Küstenabschnitte und Hochgebirgsregionen, damit also die Gebiete, die von alters her den Menschen als „wild“ oder als Ödland galten. Ehemals militärisch genutzte Gebiete wie Truppenübungsplätze und sogenannte Bergbaufolgelandschaften sind ebenfalls interessante Flächen für eine Wildnisentwicklung. Zumindest einzelne Gebiete sollten dazu so groß sein, d.h. mehrere Tausend Hektar umfassen, dass sich auch etwa die gewaltigen Elche und Raubtiere wie Wolf und Luchs halten können.

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Savery, Waldlandschaft mit Eremit

Man erhofft sich von den neuen Wildnisgebieten, dass hier alle Prozesse der Natur in all ihren Stadien ungestört von menschlichen Eingriffen ablaufen können. Was von selbst wächst, wird nicht besonders geschützt, was umfällt, bleibt liegen, was gefressen wird, ist dahin. Überschüssiges Wild soll auch nicht mehr bejagt werden, was ein besonders spannendes Thema darstellt, denn dann braucht man Raubtiere. Es sollen sich Landschaften entwickeln, die das gesamte Spektrum von verschiedenen möglichen Entwicklungsstadien eines Naturraumes aufweisen. Aber das Ergebnis ist „natürlich“ nicht vorhersagbar. Es gibt sie eigentlich nicht mehr, aber  : Die „Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt“ der Bundesregierung möchte der Wildnis bis 2020 mindestens 2 Prozent der Landfläche Deutschlands einräumen. Auf 5 Prozent der Waldfläche soll sich die Natur wieder frei entwickeln können. Dabei gibt schon der Sprachgebrauch zu denken  : Der Begriff „Strategie“ stammt aus dem militärischen Bereich und meint die Kunst, einen Feldzug zu planen. Mit generalstabsmäßiger Planung wird nun also nicht mehr gegen, sondern für die Wildnis gekämpft. Das einst gefürchtete „Draußen“ ist zum Schutzgut geworden, das sogar besonderer strategischer Sorgfalt bedarf. Werden hier Museen der Natur geschaffen  ? Auch bei den Museen sind ja die Werke aus ihrer ursprünglichen nutzungsgerechten Einbettung herausgerissen und in anderen, jedenfalls konstruierten thematischen Zusammenhängen auf die Wände gehängt. Allerdings sind sie in den Museen auch den Kreisläufen der kommerziellen Verwertung entzogen. Und in der Tat sind auch die Gefährdungen der Natur durch ebendiese kommerziellen Interessen so ausgreifend, dass eine „Strategie“ insofern ihre Berechtigung haben mag. Sie gilt wohl auch nicht zuletzt der Verteidigung. Der Wildnis heute fehlt aber das Gefährliche und Geheimnisvolle  ; die Natur kann auch nicht mehr als eine unendliche empfunden werden, die in der Wildnis ihren eigentlichen Ausdruck findet. Die Bevölkerung ist jedenfalls positiv gestimmt, wie das Bundesamt für Naturschutz mitteilt  :

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Im Rahmen der Erhebungen zur Naturbewusstseinsstudie 2013 gaben jeweils circa 9 von 10 Befragten an, dass aus ihrer Sicht Wildnisgebiete einen wichtigen Rückzugsraum für Tiere und Pflanzen bieten (96 Prozent der Befragten), diese einen Freiraum in der technisierten Welt darstellen (89 Prozent) und man durch sie etwas über die Ursprünglichkeit der Natur in Deutschland lernen kann (90 Prozent). Der Naturschutzaspekt von Wildnisgebieten als Rückzugsraum für Arten findet unter diesen Argumenten somit die höchste Zustimmung. Den Gegenargumenten – Wildnisgebiete sind unnötig oder schaden einer auf Wirtschaftlichkeit angelegten Nutzung – stimmten 17 beziehungsweise 23 Prozent der Befragten und damit nicht einmal jeder Vierte zu. 42 Prozent der Befragten würden es begrüßen, wenn es mehr Wildnis in Deutschland gäbe. Der gleiche Anteil findet den Bestand an Wildnis in Deutschland gut wie er ist. Nur 3 Prozent der Befragten plädierten für weniger Wildnis in Deutschland. Bei dieser Frage sind insgesamt keine nennenswerten Unterschiede zwischen Stadt­und Landbevölkerung zu verzeichnen. Jüngere und Gutgebildete befürworten häufig mehr Wildnis in Deutschland.165

Zwei Motive stehen im Vordergrund  : einen Rückzugsraum für Tiere zu bieten sowie einen Freiraum innerhalb der technisierten Welt für die Menschen. Vor allem Letzteres ein bekanntes Motiv, wobei die Wildnis einen nahezu heilsamen Charakter annimmt. Man könnte das fast für eine neue Wildnisbewegung halten. Die „European Wilderness Society“ mit Sitz in Österreich kümmert sich um Europas letzte Wildnisse und Urwälder. Es gibt ein eigenes Portal „Wildnis in Deutschland“, das von verschiedenen Naturschutz- und Umweltorganisationen betrieben wird. Das Portal zeigt viele Gebiete, in denen Wildnisprojekte laufen, mittels einer Karte, mit Fotos, kurzen Beschreibungen und Adressen. Hier werden weitere Argumente angeführt, die für mehr Wildnis sprechen. Grundsätzlich haben wir es mit einer Verwissenschaftlichung des Wildnisbegriffs zu tun. Im Einsatz für mehr Wildnis konzentrieren sich die Hauptthesen und -forderungen des Naturschutzes wie in einem Brennglas  : Die Sicherung der biologischen Vielfalt ist hier zu nennen, Wildnisgebiete 178

Savery, Waldlandschaft mit Eremit

Wildnis im Wald.

helfen dem Klima, indem sie Kohlendioxid aufnehmen und die Folgen extremer Wetterereignisse ausgleichen können, wilde Flussauen schützen vor Überschwemmungen, die Ökosysteme der Wildnis vermitteln der Forschung Erkenntnisse und zeigen die Vernetzungen auf, durch die die Natur letztlich das Leben auf diesem Planten sichert. Und schließlich ermöglichen Wildnisgebiete den Menschen eine besondere Naturerfahrung.166 Ohne diesen Argumenten ihre Berechtigung abzusprechen, muss man doch hinterfragen, ob die so beschriebenen großen Wirkungspotenziale, die Wildnis zweifellos hat, tatsächlich auf gerade einmal 2 Prozent der Fläche Deutschlands zum Ausdruck kommen können. Die kulturelle Bedeutung der Wildnis in einer durchrationalisierten und ökonomisierten Welt ist eine ganz andere  : Es ist der Verzicht auf greifbaren Nutzen, der das Besondere ausmacht. Dazu gehört auch der Verzicht auf Unterhaltungswert und Erlebnischarakter. In der Wildnis neuen Typs darf 179

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man nämlich streng genommen nichts tun, nur betrachten. Eine ganze Skala betriebswirtschaftlicher Managementkriterien ist hier weitgehend aufgehoben  : Nützlichkeit, Gewinn, Zielorientierung und Zielerreichung, Kontrolle  ; und auch Erlebnis und Unterhaltung sollten keine Rolle spielen. Dafür sind innere Einkehr, eine Haltung meditativer Achtsamkeit, Besinnung als mentale Zugangswege angemessen und verbinden die neue Wildnis mit Saverys Einsiedler, der vormacht, wie die wilde Natur als Raum der Läuterung gesehen werden kann. Eine Linie, die zurückführt bis in die symbolischen Räume der Wüste und des Paradieses. Die Schaffung von Wildnis ist damit ein Kulturprojekt im allerbesten Sinne. Vielleicht kann es gelingen, von hier aus eine neue Beziehung zur Natur aufzubauen.167

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Albrecht Altdorfer, um 1480–1538, Laubwald mit dem Heiligen Georg, um 1510, Öl auf Pergament (auf Lindenholz aufgezogen), 28 × 22 cm, München, Alte Pinakothek.

Drachen und andere wilde Lebewesen Das Bild  : Altdorfer, Laubwald mit dem Heiligen Georg

Hauptdarsteller dieses Bildes ist wohl eher der Wald als das handelnde Personal. Auf weißem Pferd sehen wir in der Mitte den Ritter Georg und recht klein vor ihm einen roten Drachen. Eine Prinzessin ist nicht im Bild, es wird auch nicht gekämpft. Es handelt sich eher um eine Begegnung, Ritter und Drache blicken sich an. Über allem wölbt sich eine Symphonie von Blätterwerk. Der Werdegang des Künstlers Albrecht Altdorfer (ca. 1480–1538) liegt über weite Strecken im Dunkeln. Offenbar war er jedoch ein gebildeter, ja gelehrter Künstler, der das Bildverständnis seiner Zeit an eine neue Epochenschwelle rückte. Seine Bilderfindungen interpretierten christliche Erzählungen auf neue und originelle Weise, humanistisches Gedankengut war ihm nicht fremd. Seine Bilder von Wäldern und Bäumen beeindrucken durch fantastische Expressivität und individuelle Farbgebung. Vor allem seine Grünskala von buchenlaubhell bis dunkelblaugrün bleibt als typisch im Gedächtnis haften. Er wird häufig in Zusammenhang mit seinen Zeitgenossen Lucas Cranach d. Ä. aus Kronach und dem in Passau tätigen Wolf Huber betrachtet, hat aber als großer Einzelner Bestand. Mit dem Wort von der „Kunst als zweite Natur“ hat man versucht, seiner einzigartigen Kombination von Imagination und Naturmotivik gerecht zu werden.168 Das Buch von Simon Schama, „Der Traum von der Wildnis. Natur als Imagination“, nutzt das Werk aufgrund seiner fantasieanregenden Kraft als Umschlagmotiv. Schama hebt hervor, dass es Altdorfer immer wieder gelang, Bilder vom Wald hervorzubringen, die mit ihren dichten, verschlungenen Formen etwas ganz Eigenes darstellen und sich von der italienischen Malerei deutlich absetzen. Gerade beim „Heiligen Georg“ ist das üppige Wuchern so dominant, dass Schama von einer Revolution in der Landschaftsmalerei 183

Drachen und andere wilde Lebewesen

spricht.169 Altdorfer bricht ebenso mit der Darstellungstradition des Drachenkampfes und stellt als Erster und Einziger seinen Georg in einen Wald, dessen überwältigende Wucht den zeitgenössischen Betrachter in schlimme Ängste gestürzt haben dürfte.170 Obwohl in unserem Bild eigentlich die Natur und der Wald die Hauptrolle spielen, werfen wir zunächst einen Blick auf die Geschichte vom Drachenkampf, die in der „Legenda Aurea“ des Jacobus de Voragine überliefert ist. In dieser Geschichte haust der Drache in einem See in Libyen, der so groß ist wie das Meer. Er widersteht auch der Kampfkraft des bewaffneten Volkes und tyrannisiert nun die Bewohner der nahen Stadt durch seinen Gifthauch. Die Bewohner opfern ihm Schafe, nachdem diese aber knapp werden, geht man dazu über, die Söhne und Töchter der Stadt dem Drachen zu bringen. Dabei fällt das Los eines Tages auch auf die Tochter des Königs. Auf ihrem Weg zum See trifft sie den Ritter Georg, der wie von ungefähr dahergeritten kommt. Der Ritter schlägt ein Kreuz und ruft Gott an  ; er bekämpft und verletzt den Drachen mit Gottes Hilfe so schwer, dass dieser der Dame an deren Gürtel in die Stadt folgt wie ein zahmes Hündlein. Erst dort erschlägt ihn der Ritter Georg. Alle Bewohner lassen sich taufen.171 Bemerkenswert ist, dass der Heilige im Bild von Altdorfer so gar nicht in seinem erzählerischen Zusammenhang auftritt. Wie wir jedoch im Kapitel zur Wildnis gesehen haben, kann der Wald auch als symbolischer Raum für die Heimat des Unheimlichen schlechthin stehen. In den Epen des Sagenkreises um König Artus ist die Wildnis eine sinntragende Landschaft, ein Gegenbild zur höfischen Kultur, in dem die Abenteuerfahrt sich erst entfaltet und der Held sich in extremen Situationen zu bewähren hat. Der „Iwein“ des Hartmann von Aue kämpft dort mit einem wilden Waldmenschen, dem Herren der wilden Tiere  ; im wilden Wald findet er eine Zauberwelt voller Herausforderungen, die auf die richtige Art und Weise zu bestehen sind. Diese Welt kann auch ins Dunkle kippen  : Derselbe Iwein irrt in einer Art von Wahnsinn im wilden Wald umher, wo er den obligatorischen Einsiedler antrifft.172

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Altdorfer, Laubwald mit dem Heiligen Georg

Mit Georg betrat der Archetyp des christlichen Ritters die Bühne. Er besiegt die Schrecken des Fremden und Wilden, die sich in der Gestalt des Drachen figurieren. Wir dürfen in dem Untier auch einen Reflex auf die alten Götzen der Heiden sehen, die Menschenopfer verlangten und die der christliche Ritter im Namen des neuen Glaubens besiegt. Drachen und andere wilde Lebewesen In der griechischen Mythologie ist der Drache durchaus noch ein ambivalentes Wesen. Es umgibt ihn zusammen mit der Schlange ein komplexes universelles Symbolgeflecht, aus dem viele Deutungen ablesbar sind. Der Drache wird als Teil der Erde gedacht und hat insofern alle guten wie bösen Eigenschaften, die sich mit den Kräften des Erdinneren verbinden lassen. Verborgene Schätze und die ungezähmten Kräfte der Natur selbst können sich im Drachen verkörpern. Auch in der antiken Mythologie gibt es zahlreiche Drachenkämpfer, so Kadmos, Jason oder Perseus. Das Erdorakel in Delphi wird von einer Drachenschlange bewacht, die von Apollon besiegt wird. Die Schlange, die sehr nahe mit dem Drachen zusammengesehen wird, kann die chtonischen Kräfte in Beziehung zu den Erdgöttinnen oder die Heilkräfte des Asklepios verkörpern, der in der Antike als Erddämon in Schlangengestalt visualisiert wurde. Diese polytheistische Vieldeutigkeit wird in christlicher Perspektive kanalisiert und eingedämmt. Die großen Ungeheuer der Bibel Leviathan und Behemoth speisen sich noch aus den vorchristlichen Mythologien. Aber in der Offenbarung des Johannes wird der große Drache bereits mit der alten Schlange des Gartens Eden und damit dem Teufel assoziiert. Im Mittelalter setzt sich diese Vorstellung von Schlange und Drache als Verkörperung des Bösen generell durch. Der Drache wird als gewaltiges, prächtiges Ungeheuer ausstaffiert und die siebenköpfige Schlange der Apokalypse wird mit Dürers berühmter Holzschnittfolge zum Symboltier der sieben Todsünden. So wie der Erzengel Michael das Böse niedergerungen

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Drachen und andere wilde Lebewesen

hat, wird der Drachenkampf zum Exempel des Sieges über das Böse im Namen der Religion. Ganz anders verhält es sich mit dem chinesischen Drachen. Dieser Drache wehrt wie eine Schutzgottheit Unheil ab und verleiht Macht und Stärke. Als kaiserliches Emblem schmückt er den Drachenthron. Die Faszination dieses Wesens hat sich in der Gegenwart über Kinderliteratur und Fantasy auch im Westen entfaltet. In Europa wird mit dem Ende des 15. Jahrhunderts die Entdeckung der Natur leitend. In ganz Europa entstehen Kunst- und Wunderkammern, die auch Knochen und Fossilien unbekannter riesiger Tiere enthalten können. Eine Publikation aus dem Jahre 1640 über Schlangen und Drachen behandelt den Drachen ganz als wirklich vorkommendes Wesen. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts erscheint im Britischen Museum der Name der „entsetzlichen Echse“ („terrible lizard“). Bis dahin wurden deren Knochen Drachen zugesprochen. Der naturwissenschaftlich untersuchte Drache taucht als Dinosaurier wieder auf und bildet schließlich eine neue Erzählung der populären Mythologien der Gegenwart in zahlreichen Filmen.173 Auch der alte Zauber des Drachen wirkt noch  : In der Fantasy-Serie „Game of Thrones“ ruht die Hoffnung auf eine Erneuerung aus dem Geiste edler Wildheit auf der Figur Daenerys Targaryen, die mithilfe von drei Drachen nach der Macht strebt. Gehen wir von den Drachen einen Schritt weiter. Die Auseinandersetzung mit wilden Wesen ist auch eine solche mit dem Fremden. Wie schon im Zusammenhang mit dem Thema Wildnis beobachtet, bildete sich auch im Umgang mit dem Fremden im Laufe der Kulturgeschichte eine Polarität heraus, die bis heute wirkt  : Wir finden sie im Komplementärmythos vom guten und vom bösen Wilden. Wichtiger Ausgangspunkt ist die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus im Jahr 1492. Diese Entdeckung leitete nicht nur die Verbreitung einer Unzahl von Pflanzen und Tieren nach Europa ein („Neobiota“), sondern verursachte auch den Tod unzähliger Menschen, die den Eroberern als „Wilde“ gegenübertraten. Ein Rollenmodell wurde geschaffen, das sich 186

Altdorfer, Laubwald mit dem Heiligen Georg

im Laufe der Zeit immer wieder reaktivieren und mit unterschiedlichen Inhalten füllen ließ  : Der Böse Wilde war das minderwertige Andere der eigenen, überlegenen Kultur, handele es sich nun um äußere oder innere Feinde, um fremdartige Völker oder Rassen, um ‚unzivilisierte‘ oder ‚staatsfeindliche‘ Anführer (‚Anarchisten‘) oder einfach um diejenigen, die auffällig wurden und Anstoß erregten, weil sie von der gegebenen Norm erheblich abwichen. (…) Steht die Mär vom Bösen Wilden in der langen Reihe der erfolgreichen Versuche, die Überlegenheit der eigenen, herrschenden Ordnung mit gewalttätig gutem Gewissen zu behaupten, so ist der Mythos vom edlen Wilden eine Ausgeburt des schlechten Gewissens.174

Aus der Perspektive des edlen Wilden wurde die eigene Kultur das Negative, bis dann der edle Wilde im 18. Jahrhundert im Namen Rousseaus für eine sehnsuchtsvolle (Wieder-)Vereinigung mit einer unschuldig gedachten Natur steht. Der edle Wilde wird so auch zum Vehikel der Kritik an den herrschenden Machtverhältnissen, denn die wilde Gesellschaft stellte man sich als eine der Freien und Gleichen vor. Dabei offenbart sich über viele Stufen der kulturhistorischen Entwicklung hinweg ein Ideal, das seine Potenziale bis in die Migrantenproblematik der Gegenwart hinein entfaltet  : die respektvolle Anerkennung des Fremden als Anderen gerade in dieser seiner Eigenschaft. Gute und böse Wilde Deutlich tritt uns das Paar bereits kurz nach seiner Entdeckung entgegen. Kolumbus berichtet 1492 einerseits von ungemein gutherzigen, schlichten und selbstlosen Geschöpfen, die er auf dem neuen Kontinent antraf, aber ebenso weiß er schon die bösen Wilden als Menschenfresser mit Hundeschnauze zu beschreiben.175 Schon hier verbindet sich mit dem Komplementärmythos die Vorstellung, dass die einen bereits gute Objekte der

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Herrschaft des christlichen Abendlandes seien, während bei den anderen die Bemächtigung des Wilden noch als Zivilisationsarbeit anstehe. Als an die Stelle kirchlicher Dogmatik ein humanistisches Menschenbild trat, das sich mit Interesse an der Natur, am Neuen und Fremden verband, machte sich der Philosoph Michel de Montaigne (1533–1592) in seinen „Essais“ neue Gedanken über die „Kannibalen“. Er stellt die Frage, was denn eigentlich die Indianer von der aus ihrer Perspektive fremden, europäischen Kultur halten sollten. Er sucht im Wilden das Wesen der menschlichen Natur und gewinnt aus dieser Perspektive den kritischen Blick auf das Eigene. Es entwickeln sich die ersten Keime der Idee, es könne einen unverfälschten Naturzustand geben, der uns zum Maßstab der eigenen Lebensweise dient. Montaigne erkennt nun diese eigene Lebensweise unter den Vorzeichen der Vernünftigkeit und der Zivilisation als künstlich und verdorben. Dabei geht es auch ihm um das große Menschheitsprojekt des guten Lebens, das nun nicht nur in der Vergangenheit aus den Quellen des Goldenen Zeitalters, Arkadiens oder des verlorenen Paradieses schöpft, sondern in der Gegenwart neue Bilder des eigentlich Guten im edlen Wilden findet. Kein Dichter und kein Philosoph hat eine so reine und einfache Natürlichkeit ausdenken können, wie wir sie hier verwirklicht sehen  ; keiner hat es je für möglich gehalten, daß die menschliche Gesellschaft mit so wenig künstlichen Zwangsmitteln bestehen könne.176

In der wilden Gesellschaft kommt eine Gesellschaft der Freiheit zum Vorschein. In der reinen einfachen Natürlichkeit des Lebens der Indianer treten noch viele andere Eigenschaften des guten Lebens hervor  : Die Freiheit von künstlichen Zwangsmitteln bedeutet auch solidarische Gleichheit, die Fruchtbarkeit der Natur steht allen offen und sorgt auch für allgemeine Gesundheit, die Menschen leben in Übereinstimmung mit sich selbst und ihrer inneren Natur, d.h. ihren Sinnen, ihrer Sinnlichkeit und Sexualität.

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Von hier aus betrachtet, erscheint die eigene Kultur in wenig günstigem Licht. Montaigne verleiht dem Erschrecken der Indianer eine Stimme und lässt sie selbst sprechen. Damit entsteht das Muster für zahlreiche spätere Reiseromane, die erstaunte und indignierte Fremde durch ein vorrevolutionäres Europa schicken, bewaffnet mit dem Maßstab der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, den sie einer Welt der despotischen Herrscher, überlebter Dogmatik und verkünstelter Lebensweisen anlegen. Einer der Letzten in dieser Reihe wird die von Frankenstein geschaffenen Kreatur sein, die in Mary Shelleys Roman Anklage erhebt gegen eine Welt ohne Mitgefühl, die Wesen nur aufgrund ihres Äußeren verstößt (siehe oben S. 35f.). Im Namen der Aufklärung wird der edle Wilde zum Boten einer Perfektibilität der Gesellschaft, die sich auf den Weg macht, die Ideale, die sie in das Wilde projiziert hat, mit den Methoden des Fortschritts in realisierbare Ziele zu verwandeln. Und doch bleibt eine gewichtige Gegenstimme im Spiel. Nicht der anthropologische Optimismus der Aufklärung, sondern eine ganz andere Auffassung des Naturzustands bewegt die Staatsphilosophie des Thomas Hobbes, der mit seinem „Leviathan“ berühmt wurde. Hobbes (1588–1679) sieht die Dinge im Zeichen der Macht und des Egoismus. Der Naturzustand ist bei ihm einer des Kampfes eines jeden gegen jeden. Nur die an die starke Hand des Machthabers delegierte absolute Herrschaft kann die fortwährende Kampfeslust der Untertanen zähmen und in geordnete Bahnen lenken. Der Naturzustand ist offenbar ein Tummelplatz nicht des edlen, sondern des bösen Wilden. Hobbes findet hierfür beim römischen Komödiendichter Plautus die zum geflügelten Wort gewordene Formulierung „homo homini lupus“ – der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Auch bei Hobbes sind die Menschen im Naturzustand gleich. Aber daraus resultieren nicht die schönen Früchte der Güte und der Harmonie. Da alle das Gleiche wollen – meist geht es um Selbsterhaltung oder manchmal auch um das Vergnügen –, ist der Kampf um die Macht das Mittel der ersten Wahl. Konkurrenz, die allgemeine Unsicherheit des menschlichen Lebens und die Eitelkeit befeuern fortwährend den gesellschaftlichen 189

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Kriegszustand. Es gibt hier keinen Platz für Ackerbau, Schifffahrt und Warenverkehr, keine Kultur, keine Künste, keine Bildung. Und auch Hobbes findet in den Wilden Amerikas einen Bezugspunkt für seinen Naturzustand  : Man mag vielleicht denken, daß es nie solch eine Zeit oder solchen Kriegszustand gab  ; und ich glaube, es war nie allgemein auf der ganzen Welt so, aber es gibt viele Gegenden, wo die Menschen heute noch so leben. Denn die wilden Völker in vielen Teilen Amerikas haben außer der Herrschaft kleiner Familien, deren Eintracht von der natürlichen Lust abhängt, überhaupt keine Regierung und leben bis auf den heutigen Tag in jener vertierten Weise, wie ich zuvor sagte.177

Dabei ist immer im Auge zu behalten, dass es Hobbes, wie auch den anderen hier zitierten Denkern, nicht in erster Linie um eine belastbare Beschreibung der Fakten ging, sondern um die Stützung ihrer Thesen. Hobbes dürfte auch die eigene, vom Bürgerkrieg zerrissene Zeit für seine Diagnose des Naturzustands herangezogen haben. Ganz natürlich ist für Hobbes, dass die Menschen diesem elenden Kriegszustand entkommen wollen, um ein zufriedenes und vor allem sicheres Leben zu führen. Freiwillig werden sie in einem Gesellschaftsvertrag alle Macht abgeben an den einen, den großen Leviathan, der mit souveräner Hand alle anderen zu Untertanen werden lässt, allerdings zu zufriedenen und sicheren. Auch hier zeigt sich ein Muster  : Die wilde Bestie, welche der Mensch vor dem Hintergrund einer pessimistischen Anthropologie von Natur aus ist, beugt sich freiwillig vor der Macht um der Sicherheit und der Zufriedenheit willen und gewinnt so alle Güter der Zivilisation. Aber noch einmal kippt das Bild und gewinnt einen neuen Mosaikstein der Argumentation hinzu. Jean-Jacques Rousseau gilt zwar als der Philosoph des edlen Wilden und des „Zurück zur Natur“, aber sein neuer Denkbaustein ist eigentlich ein anderer  : Die negativen Entwicklungen, die die Menschen von sich selbst entfremden, resultieren alle aus einem 190

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einzigen Dreh- und Angelpunkt, den Rousseau mit der Entstehung des Privateigentums in eins setzt. Hier ist die Quelle aller Ungleichheit, Unfreiheit und Ungerechtigkeit, die Rousseau in seiner Zeit vorfindet. Dabei geht das Aufkommen des Privateigentums einher mit der Entstehung der Landwirtschaft (siehe oben S. 108). Denn die Bebauung des Landes hat dessen Aufteilung zur Folge, woraus wiederum Ungleichheit entsteht. Egoismus, Eitelkeit, künstliche Leidenschaften und andere Übel der Zivilisation nehmen hier ihren Ausgang. Individueller Vorteil und Gemeinwohl treten immer weiter auseinander. Wie Rousseau dieses Dilemma mit einem Gesellschaftsvertrag lösen möchte, soll hier nicht betrachtet werden. Jedoch hat seine Theorie des Privateigentums einerseits als Beschreibung des Sündenfalls der kapitalistischen Gesellschaft nachgewirkt und andererseits das Bild des edlen Wilden in der Folge um eine politische Nuance bereichert  : Der Mensch im Naturzustand ist einer ohne Privateigentum – die sozialistische Utopie einer klassenlosen Gesellschaft verbindet sich an dieser Schnittstelle mit der Idee des Wilden. Das Symbolfeld des Wilden, der Wildnis öffnet sich durch diese politische Prägung einer weiteren Menschengruppe  : den Unterprivilegierten und Ausgestoßenen innerhalb der Gesellschaft, die als Trägerschicht einer Revolution oder auch schon als Vertreter kritischer Sichtweisen infrage kommen. Eine wunderbare Übergangsfigur an der Schnittstelle, wo der exotische Wilde und der gesellschaftliche Außenseiter sich berühren, bietet Melvilles großer Roman „Moby-Dick“, der uns noch im Zusammenhang mit den Meeren beschäftigen wird. Der Erzähler, der mit der berühmten Aufforderung „Nennt mich Ishmael“ beginnt, ist dieser Außenseiter  : Ishmael, der biblische Prototyp des Ausgestoßenen, ein junger Mann aus gutem Hause, von melancholischem Stoizismus und heiterer Resignation, an Land offenbar gescheitert, geht um fast keinen Lohn auf seine erste Walfangreise. Er befreundet sich mit einem wunderbaren „Wilden“, dem polynesischen Harpunier Queequeg. Hinter Tätowierungen, fremdem Gotteskult, seltsamer Sprache und fremden Gebräuchen nimmt er herzliche Aufrichtigkeit und Seelengröße wahr. Eine treue und warme Freundschaft beginnt. 191

Drachen und andere wilde Lebewesen

Der Wilde erlöst ihn von der wölfischen Welt und versöhnt ihn mit sich selbst. Die Identifizierung des Außenseitertums mit dem Wilden umfasst das Leben auf dem Meer insgesamt und die eigene Person des Ishmael in ihrer Ambivalenz  : „Ich selbst bin ein Wilder, bin niemandem untertan außer dem König der Kannibalen  ; und jeden Moment bereit, mich gegen ihn aufzulehnen.“178 Auch Frankensteins ambivalentes Geschöpf gehört zu Beginn seiner Laufbahn in die Reihe der edlen Wilden. Shelleys Kreatur hat einen veritablen Bildungsgang durchlaufen. Wir werden Zeuge, wie das Geschöpf als Tabula rasa startet, zu Bewusstsein kommt und ganz sensualistisch allmählich das Erwachen seiner Sinne erspürt. Versteckt im Schuppen einer gebildeten Familie, wird es mit Werken der zeitgenössischen Literatur bekannt. Dazu gehören „Die Leiden des jungen Werthers“, Miltons „Paradise Lost“ und „Die Ruinen oder Betrachtungen über die Revolutionen der Reiche“ des Reiseschriftstellers Volney. Bei Letzterem lernt er das Schicksal der Ureinwohner der neuen Kontinente beklagen und zweifelt zum ersten Mal an der Güte des Menschen. Denn bis zu diesem Punkt ist er ja noch selber wie einer der edlen Wilden, die die aufgeklärte Menschheit in der Neuen Welt entdeckt hatte. Erst im Laufe seiner weiteren Lebensgeschichte verwandelt er sich aus unerwiderter Menschenliebe in jenen bösen Wilden, der dann als Monster seine diabolischen Taten gegen seinen Schöpfer wendet. Eine Welt ohne Mitgefühl, voll bitterer Kränkungen durch Menschen, die ihn nur wegen seines Äußeren zurückweisen und verletzen, lässt die Wildheit hervorbrechen  : Ich war dem wilden Tiere vergleichbar, das seine Fesseln zerrissen hat, und war bereit, alles niederzutrampeln, was sich mir in den Weg stellte, wie ich da mit der Flüchtigkeit eines Hirsches durch die Wälder eilte  ! (…) Ich bin ja nur böse, weil ich so elend bin  ! Bin ich nicht von allen Menschen gemieden und gehaßt  ?179

In einer kritischen Perspektive auf die Gesellschaft wird der Außenseiter zur positiv besetzten Identifikationsfigur. Michel Foucaults Buch „Wahnsinn 192

Altdorfer, Laubwald mit dem Heiligen Georg

und Gesellschaft“ (1961) geht noch einen Schritt weiter. Foucault führt aus, wie im Laufe der Ausweitung bürgerlichen Rationalität der Wahnsinn als das Andere der Vernunft Menschen zugeschrieben wird, um sie auszugrenzen. Foucault arbeitet an einer Genealogie der Macht, die durch diverse Arten der Kontrolle die äußerlichen Formen der Herrschaft in das Innere der Menschen verlagert. Der Wahnsinn als das Wilde in unserer Kultur entfaltet aber auch hier eine Ambivalenz  : Etwas Ursprüngliches und Unentfremdetes blitzt auf in den Werken der künstlerischen Avantgarde, bei Hölderlin, Gérard de Nerval, Nietzsche oder Artaud.180 Ebenso im Surrealismus, den deutliche Verbindungslinien mit der Kunst der Geisteskranken verbinden, die Hans Prinzhorn 1922 der Öffentlichkeit vorgestellt hatte. Das kreative Potenzial der Wildheit wird auf diesen Wegen zum gesellschaftlichen Wunschbild. Auch Foucault wagt in seinen späteren Arbeiten einen Blick auf das gute Leben  : Aus der Selbstsorge der antiken Ethik leitet er die Formung eines Lebens ab, das sich in kreativer Autonomie zum schönen Werk zu gestalten weiß.

Das ökologische Auge: Die Rückkehr der wilden Tiere Der Biologe Reichholf erklärt uns, worum es sich bei den Drachen eigentlich handelte, nämlich um verkleidete Menschen, die sich auf die Kunst des Feuerzaubers verstanden.181 Den Rest erledigte die Legendenbildung  : Die unheimlichen Bewohner tiefer Wildnisse und schroffer Felsen standen für den unbekannten Schrecken im Gegensatz zur kultivierten Vertrautheit der von Menschen gestalteten Landschaft, wie wir sie im Hintergrund des Bildes von Albrecht Altdorfer in der Ferne sehen. Heute sind die Wälder bekannt und vermessen. Die Natur ist entzaubert. Es gibt keine unbekannten wilden Tiere mehr und kaum noch bekannte. Bär, Wolf und Luchs werden unter genauer Beobachtung wieder angesiedelt, manchmal wie Staffagefiguren als Bewohner künstlich 193

Drachen und andere wilde Lebewesen

Vielleicht sind sie uns so am liebsten  ? Das Diorama des Staatlichen Museums für Naturkunde Karlsruhe zeigt Wölfe bei der Jagd – hinter Glas, gefahrlos und lebensnah.

geschaffener Wildnisse. Das Projekt der Wiederverzauberung der Natur wird mit viel Enthusiasmus in Angriff genommen. Allzu wild sollte es jedoch auch nicht sein. Aus ökologischer Sicht ist es sehr plausibel, in bestimmten Gebieten wilde Tiere wieder anzusiedeln, denn in einem ursprünglichen Stück Natur soll der ganze Prozess des Naturkreislaufs stattfinden können. Und dazu gehören auch Prädatoren, beutemachende Tiere, die die Bestände ihrer Beutetiere in Grenzen halten. Ansonsten sind Eingriffe unumgänglich. Jedoch 194

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gibt es die unendlichen Weiten nicht mehr, die wir mit dem Begriff „Wildnis“ verbinden. Die Wölfe leben praktisch in unserer Kulturlandschaft, in der Nähe von Dörfern und Schafherden. Sie unterscheiden nicht, ob ihre Beutetiere frei sind oder sich in Privatbesitz befinden. Es ist durchaus möglich, einem Wolf persönlich zu begegnen. Der Wolf, ursprünglich eines der am weitesten verbreiteten Säugetiere der Welt, ist heute ein auf allen Rechtsebenen streng geschütztes Tier. In Europa leben derzeit nach Schätzungen wieder etwa 12.000 Wölfe in zehn Populationen. In Deutschland war der Wolf bis 1850 praktisch ausgerottet worden. Im Monitoring 2015/16 wurden 47 Wolfsrudel, 21 Wolfspaare und vier Einzeltiere nachgewiesen, die meisten davon in östlichen Bundesländern, vor allem in Sachsen. Sie gehören zu den Populationen in Westpolen, wo insgesamt 53 Wolfsrudel bzw. -paare leben. Historisch betrachtet wiederholt die Beziehungsgeschichte zwischen Mensch und Wolf die Ambivalenzen, die generell das menschliche Verhältnis zum Wilden bestimmen. Die Zähmung der Wölfe führte bekanntermaßen zum Hund, einem der ersten vom Menschen domestizierten Tiere. Mit Beginn der Viehhaltung begann ein tiefgreifender Konflikt mit dem wilden Tier. Im frühen Mittelalter hielten sich in Mitteleuropa noch stabile Wolfsbestände, wobei die zunehmenden Waldrodungen und die Weideviehhaltung leicht zugängliche Beute boten. Mit dem Beginn der offenen Viehhaltung und der Waldweide im ausgehenden Mittelalter, bei der das Vieh ungeschützt in den Wald zur Buchecker- und Eichelmast getrieben wurde, nahmen die Verluste an Vieh deutlich zu. In der Bevölkerung griff Angst um sich. Ab dem 15. Jahrhundert wurde der Wolf dann systematisch und mit immer wirksameren Methoden gejagt. Es gab Treibjagden, Prämien für getötete Tiere, Fallen, Fanggruben, Giftköder – man arbeitete gezielt an der Ausrottung des wilden Tieres. Nach den großen Hunger- und Pestwellen sowie nach dem Dreißigjährigen Krieg kehrten jeweils die Wölfe zurück. Ein Zusammenhang, der sicher Ängste und Dämonisierungen noch verstärkt hat. Jedoch war der Wolf ab 195

Drachen und andere wilde Lebewesen

Mitte des 18. Jahrhunderts weitgehend und Mitte des 19. Jahrhunderts ganz verschwunden. Letzte Exemplare, die aus dem Osten eingewandert waren, wurden mit Namen belegt, die für sich sprechen, wie „Tiger von Sabrodt“ (1904) oder „Würger vom Lichtermoor“ (1948). Derart Eingedrungene wurden ausnahmslos zur Strecke gebracht.182 Alle offiziellen Stellen verbreiten Verhaltensregeln, die darauf hinweisen, dass das scheue und misstrauische Tier normalerweise Menschen nicht gefährlich werde. Aber der Wolf ist ein mythisches Tier. Die Märchen der Gebrüder Grimm vermitteln uns mit „Rotkäppchen“ und „Der Wolf und die sieben jungen Geißlein“ das Bild des bösen Wolfs, der sich heimtückisch verstellt, kleine Kinder und natürlich das Vieh bedroht. In beiden Märchen muss der Wolf am Ende tot sein, um das Ende gut zu machen. Das Wörterbuch der Brüder Grimm verrät, warum das so ist  : Schon die sprachgeschichtliche Herleitung markiert das gefürchtete Tier als „Zerreißer“, die Adjektive „wild, grimm, reiszend“ sind am häufigsten mit ihm verbunden. Bereits in der Bibel ist der Wolf der böse Feind und der falsche Prophet, so berichtet das Wörterbuch, der den Hirten und die Herde der Kirche bedroht. Ein Kronzeuge für diese metaphorische Anwendung ist Luther  : Die Herde der guten Christen wird bedroht von den Irrlehren, falschen Propheten und treulosen Hirten. Die Wölfe, das sind die Anhänger des Papstes. Schon bei den Kirchenvätern war der Teufel ein seelenraubender Wolf.183 Der Wolf wird so eingespannt in ein Bedeutungsnetz, das Christus als den guten Hirten und den Teufel als den bösen Bedroher in unterschiedlichen Abwandlungen variiert. Die Schafe, das sind die Menschen, als Christenheit verstanden, die gehalten ist, dem Schützer zu glauben und dem Verführer nicht zu trauen. Die Variante des betrügerischen Verführers, der kleinen Mädchen nachstellt, lässt noch etwas von der erotischen Anziehungskraft des Wilden durchblitzen. In der Gestalt des Werwolfs kommen sich Wolf und Mensch am nächsten. Dieses sagenhafte Mischwesen wird in den zeitgenössische 196

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Unterhaltungsmedien zum Träger neuer metaphorischer Gestaltwandlungen. Bücher, Filme und Rollenspiele erbauen den Werwölfen ganze Universen. Soweit die Volkskultur der Vergangenheit mit ihren Sagen und Märchen abgelöst wurde durch die Imperien aus Comics, Filmen, (Rollen-)Spielen und Science-Fiction, ist das eine bemerkenswerte Adaption ökologieromantisch geläuterten Naturverständnisses. Am besten macht es Joanne K. Rowling. Sie erfindet mit Professor Remus John Lupin, Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste, einen Werwolf als Sympathieträger, dessen Werwolfsein nach dem Muster einer sozial geächteten Krankheit konstruiert ist. Lupin verheimlicht seine „Krankheit“ und fühlt sich schuldig. Er hat es schwer, eine Anstellung zu finden, und schämt sich, eine Liebesbeziehung einzugehen. Seine Werwolf-Phasen sind so eingefriedet, dass sie niemandem schaden können. Rowlings entfaltet eine ganze Palette von Verhaltensweisen und Problemen sozial stigmatisierter Menschen. Dabei ist Lupin einer der treuesten und zuverlässigsten Gegner der Dunklen Mächte, die sich unter dem Namen „Voldemort“ verdichten. Er stirbt im Kampf gegen das Böse, nicht ohne vorher zur Bejahung seiner Eigenart gelangt zu sein. Wie viele der Figuren im Harry-Potter-Universum hat auch er einen Entwicklungsweg in seiner Persönlichkeitsbildung zurückgelegt. Aber auch andere haben gelernt, ihre Vorurteile ihm gegenüber abzulegen. Eine schöne Rehabilitation, allerdings auch um den Preis hoher Anpassung. Ein Preis, der sich dadurch rechtfertigt, dass Harry Potters Mitstreiter für eine humane, aufgeklärte und sozial gerechte Welt kämpfen. Eine Anerkennung durch diese Welt und eine Teilhabe an ihr sind erstrebenswert. Die Kräfte des Bösen sind rassistisch und insgesamt aus dem gedanklichen Arsenal der Rechtsextremen des 20. und 21. Jahrhunderts bestückt. Das Projekt der Humanisierung des Wilden hat damit eine schöne literarische Würdigung erfahren. Der Wolf ist aber auch der spektakulärste Vertreter der wilden Rückkehrer in Europa. Die Wiederansiedlung des Bären ist bisher nicht vorangekommen oder wieder zurückgefallen, Luchs und Wildkatze haben nicht die gleiche Ausstrahlung. 197

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In den USA ist es ein weiteres mächtiges Symboltier, in dem die Faszination von Freiheit und Wildnis sich mit der Geschichte einer Ausrottung im kommerziellen Interesse verbindet. Der amerikanische Büffel verschränkt sich mit der Romantik des Wilden Westens und dem Kult der Wildnis auf tragische Weise. Die fast totale Ausrottung des Büffels konnte nur durch die Gründung des ersten Nationalparks der USA abgefangen werden. Der Yellowstone-Nationalpark wurde 1872 eröffnet und bot den letzten Tieren Unterschlupf. Damit wurde jedoch auch eine Entwicklung eingeleitet, in deren Verlauf die Räume der Wildnis als Reservate in sauberer Abgrenzung von den Räumen der Menschen eingerichtet wurden. So gesehen beruht der Kult der Wildnis auf Nostalgie und entstammt einer Zeit, in der die echte Wildnis schon längst von Menschen zunichtegemacht worden war. Die Verbannung der Wildnis in die Nationalparks ist insofern nur ein anderer Versuch der Zivilisierung. Der amerikanische Bison war innerhalb von etwas mehr als zehn Jahren nahezu ausgerottet worden. 1870 gab es in der Prärie noch große Herden mit Millionen wilder Bisons, im späten 19. Jahrhundert waren es nur noch rund 100 wilde Tiere in den Great Plains. Eine große Rolle spielten bei dieser Dezimierung der Export des Leders nach Europa, der hohe Gewinne abwarf, sowie die Möglichkeit, die Tiere von der Eisenbahn aus mit Gewehren abzuschießen. Die Mischung aus technischer Effizienz und Kommerzialisierung wirkte radikal.184 Der erst in den letzten Jahren wiederentdeckte amerikanische Schriftsteller John Williams hat dieses große Schlachten in beklemmender Konsequenz in seinem Roman „Butcher’s Crossing“ thematisiert. Williams schickt seinen Helden Will Andrews auf den Spuren der Naturphilosophie Ralph Waldo Emersons in die Wildnis. Andrews sucht hier Freiheit und Erneuerung, das Gute des Lebens, die Quellen einer Lebenskraft, die ihn zu sich selbst führen, weit weg von der Zivilisation und den Städten. Er glaubt, dass Wildnis und Freiheit einer unberührten Natur sich mit seinem Instinkt verbinden werden, um ihn aus den Gewohnheiten hinaus und auf den richtigen Weg zu führen. Emerson gehörte mit 198

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Henry David Thoreau zu den geistigen Vätern der amerikanischen Wilderness-Bewegung. Der Naturforscher und frühe Umweltschützer John Muir (1838–1914) hatte auf ihren Spuren mit der Gründung der einflussreichen Naturschutzorganisation Sierra Club (1892) und des Yosemite-Nationalparks der Nationalpark-Idee in den USA zum Durchbruch verholfen. In einem Vortrag Emersons hatte Andrews gehört, wie die Natur alles Ichhafte auflösen kann, eine große Einheit alles Lebendigen bildet, in der die Gemeinheiten und die Enge des Alltags sich auflösen im Strom einer großen Kraft. Der Blick wird zum Medium dieser alldurchdringenden Kraft  : „Ich werde zum durchsichtigen Auge.“185 Soweit die Hoffnung. Andrews schließt sich einer Gruppe von Büffeljägern an. Sie gelangen nach unglaublichen Strapazen in einen wahren Garten Eden, ein bislang von Menschen völlig unberührtes Tal von paradiesischer Schönheit, nahezu unzugänglich hoch oben in den Bergen gelegen. Williams destruiert nun den Traum von der Wildnis, indem er die Gruppe in einem Sündenfall ohne Erlösung Schritt für Schritt in einen Abgrund der Vergeblichkeit führt. Die Männer töten und enthäuten Tausende von Tieren, die Ebene ist bald ein Knochenfeld, von Kadavern übersät. Andrews spürt einen Schrecken in sich aufsteigen, der sich zum Entsetzen vor dem Nichts einer erbarmungslosen Leere weiten wird. Andrews nimmt als durchscheinendes Auge wahr, und wir als Leser mit ihm, wie der Jäger zum Tötungsautomaten wird, angetrieben von der Gier nach den Fellen und dem, was die Felle einbringen werden. Mehrmals vergleicht der Roman dieses Verhalten mit dem des Wolfs, und das zuungunsten des Menschen. Andrews erkennt, dass er genau das zerstört, was er sucht  : Reglos auf dem Boden liegend, fehlte dem Büffel jene Art wilder Würde und Macht, die er ihm noch vor wenigen Augenblicken zugeschrieben hatte. Und auch wenn der Kadaver auf der Erde einen großen dunklen Haufen bildete, kam er ihm doch irgendwie unbedeutender vor. (…) Ihm kam der Gedanke, dass er nicht wegen eines weibischen Widerwillens gegen Blut, Gestank und herausquellendes Gedärm des Büffels rebelliert hatte  ; 199

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ihm kam der Gedanke, dass ihm übel geworden war und er sich abgewandt hatte, weil er es nicht verwinden konnte, den Büffel, der noch wenige Augenblicke zuvor stolz, edel und voller Lebenswürde gewesen war, nun derart nackt und hilflos vor sich hängen zu sehen, ein Haufen lebloses Fleisch, seines Selbst beraubt oder doch zumindest dessen, was Andrews in ihm gesehen hatte, nunmehr nur ein bloßes Etwas, das auf groteske, spöttische Weise vor ihm baumelte. Es war nicht länger es selbst, oder es war nicht das Selbst, das er ihm zugeschrieben hatte. Dieses Selbst war ermordet worden  ; und während der Ermordung hatte er, Andrews, gespürt, wie etwas in ihm zerbrach, und dem hatte er sich nicht stellen können. Also hatte er sich abgewandt.186

Die Wende kommt, als sie zu lange jagen und vom Schnee in den Bergen eingeschlossen werden. Williams orchestriert diese Passagen als Symphonie des Schreckens über die Farbe Weiß. Ein weißes Nichts schließt die Männer ein. Das Ungeheuerliche dieser Vision von Weiß bereitet eine Erkenntnis vor, die über die Figur des Will Andrews hinauswächst und für die dieser keine Worte findet. Im Frühjahr verlieren sie alle Felle in einem von Schmelzwasser reißend gewordenen Fluss. Einer der Männer stirbt. Wieder in Butcher’s Crossing angekommen, finden sie eine Geisterstadt vor. Der Markt für Büffelfelle ist zusammengebrochen. Die Felle, die sie im Tal zurückgelassen hatten, sind nichts mehr wert. Andrews hat die Beziehung zu seiner Leidenschaft verloren, in der Wildnis sein unveränderliches Selbst zu finden  : Nahezu ohne Bedauern vermochte er sich nun die Eitelkeit einzugestehen, der diese Leidenschaften entsprungen waren. Es war jenes Nichts (…), dem der Autor seine Figur schon mehrmals angenähert hatte.187

Es ist schwer, dieser Radikalkur der Desillusionierung noch etwas wie Hoffnung auf eine Reaktivierung der Wildnis entgegenzusetzen. Dass zur Wildnis und ihren Bewohnern eine neue Beziehung gefunden werden muss, ist unbezweifelbar. Aber die große Erzählung von der Wildnis ist zu Ende. 200

Altdorfer, Laubwald mit dem Heiligen Georg

Vielleicht ist es hilfreich, wenn wir dem Autor noch einen Schritt weiter folgen. Er lässt seinen Helden hinausreiten in eine ungefähre Richtung, ohne zu wissen wohin, aber mit der Sicherheit, dass er es bald wissen werde. Alles bleibt offen. Neue Nachrichten aus den USA lassen verlauten, dass die Büffel zurückkehren.

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Albrecht Dürer, 1471–1528, Das große Rasenstück, 1503, Aquarell und Deckfarben, mit Deckweiß gehöht, auf Karton aufgezogen, 40,8 × 31,5 cm, Wien, Albertina.

Vielfalt im Rasen Das Bild  : Dürer, Das große Rasenstück

Eine Landschaft im Kleinen, von zarter Vielfalt und anmutiger Schönheit. Die einzelnen Pflanzen hat Dürer so genau porträtiert, dass Botaniker sie bestimmen können  : Etwas rechts von der Mitte sehen wir einen Breitwegerich, dahinter erhebt sich Löwenzahn mit drei welken Blüten und links daneben die Kleine Bibernelle mit runden Blättchen, nach oben hin ragt das Rispengras empor. Bei genauerer Betrachtung erkennt man direkt unter dem Wegerich die Blätter eines Gänseblümchens, die schräg von einer Schafgarbe überdeckt werden. Die Schafgarbe verweist auf ein weiteres Gänseblümchen. Links neben dem Wegerich der Spross einer Kuckucks-­ Lichtnelke, davor Wiesen-Knäuelgras. Nach unten hin hat Dürer feine Wurzelausläufer gemalt, die sich in den feuchten Untergrund versenken. Nach rechts unten verschwimmt ein weiteres Blatt der Schafgarbe mit dem feuchten Untergrund, es löst sich verrottend wieder in der Erde auf und erinnert so an den Kreislauf von Werden und Vergehen. Der Entwicklungsstand der Pflanzen ermöglicht eine Datierung auf den Monat Juni. Das Grimm’sche Wörterbuch berichtet, dass es sich bei einem Rasenstück auch um ein ausgestochenes Stück Erde handeln könne, mit Grasbewuchs darauf. Solche Rasenstücke wurden zum Bau von Rasenbänken benutzt, die es schon im Mittelalter gab.188 Das Bild ist sorgfältig komponiert  : Alles strebt zu der Spitze hin, die durch die höchste Rispe gebildet wird  ; diese wiederum teilt das Gesamtbild nach dem Goldenen Schnitt ein. Die drei Löwenzahnköpfe umgeben diese Rispe in eleganten Biegungen wie ein imaginärer Kelch. Dürer hat die Pflanzengemeinschaft so vor einen niedrigen Horizont gestellt, dass wir ihr direkt gegenübertreten, sozusagen auf Augenhöhe begegnen. Das ist außergewöhnlich, denn normalerweise würden wir auf einen Rasen von oben herabschauen. Auch dies spricht dafür, dass wir es mit einem ernst zu nehmenden Landschaftsbild zu 203

Vielfalt im Rasen

tun haben, nicht mit einer Skizze oder Studie, die in einem anderen Zusammenhang Verwendung und erst dann einen Sinn finden sollte.189 Einige der Pflanzen in Dürers Rasenstück waren in der Volksmedizin in Gebrauch. Ihre Heilwirkungen sind ganz unterschiedlich  : So sollten Breitwegerich, Gänseblümchen und Schafgarbe als Wundkraut wirken, der Wegerich aber auch bei Blasen- oder Hautleiden. Der Löwenzahn galt als Mittel gegen Gelbsucht, die Kleine Bibernelle sollte gegen Seuchen helfen. Das Gansblümchen ist darüber hinaus eine typische Marienpflanze, auf vielen Marienbildern zu sehen, der Löwenzahn aufgrund seiner Farbe, als kleine Sonne, eine Pflanze, die für Christus und Maria stehen konnte.190 So steht alles mit allem in Verbindung, Aussehen, Bedeutungen und Verwendungen bewegen sich auf mehreren Ebenen. Der Mikrokosmos der kleinen Rasenlandschaft verweist auf den Makrokosmos des Schöpfungsganzen. Dürer war ein gebildeter Mann, mit Humanisten befreundet und auf der Höhe der Philosophie seiner Zeit. Er gehörte zu denen, die maßgeblich daran arbeiteten, die bildende Kunst von einem Handwerk zu einer gebildeten Kunst zu erheben. Er studierte klassische Schriften, beschäftigte sich mit Mathematik und Proportionenlehre und bemühte sich um eine rationale Erfassung dessen, was Schönheit ausmacht. Er war befreundet mit dem Gelehrten Conrad Celtis, dessen poetisches Werk mit Liebesgedichten in der Art eines Ovid und Horaz er illustrierte. All das befähigte ihn, die aus der Spätantike stammende und über den Florentiner Philosophen Marsilio Ficino in die Renaissance transportierte Lehre von den Beziehungen zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos malerisch umzusetzen. Die ganze Natur ist wie ein großes Buch, in das Gott seine Zeichen eingeschrieben hat. Alle Elemente der Schöpfung können den Geist des Ganzen spiegeln und sich gleichermaßen als Wunder offenbaren. Die Schöpfung ist als eine beseelte Einheit zu denken, in die der Mensch ebenso eingebunden ist wie Pflanzen, Tiere, Steine oder Planeten. Der Zusammenhang der vielfältigen Einzelheiten mit dem Einen drückt sich aus in Maß- und Zahlenverhältnissen, aus denen auch die Schönheit erwächst. Da Gott die Welt nach Zahl, Maß und Gewicht geschaffen hat, 204

Dürer, Das große Rasenstück

kommen diese Proportionsverhältnisse nicht zusätzlich in die Welt oder wurden von Menschen erfunden. Vielmehr hat Gott die Welt so erschaffen, dass der Mensch sie lesen und messen kann. Eine Schönheit, die sich in messbaren Proportionen ausdrückt, gibt dem Betrachter also Auskunft über die Prinzipien der Schöpfung, wie Gott sie der Welt zugrunde gelegt hat. Der Künstler bringt seinerseits Schöpfungen hervor, die in Analogie zu den Werken Gottes stehen und die sichtbare Welt durchsichtig machen für das Wesen der Schöpfung. Damit können seine Bilder auch die Funktion haben, die Werke der Wissenschaft zu erklären. Das Projekt der Vermessung der Welt, das in dieser Epoche alle Energien entfaltet, nimmt Dürer auf in seiner Suche nach dem Maß der Schönheit. Sein Biograf Klaus-Rüdiger Mai spricht vom „Rausch der Rationalität“, der ihn und seine intellektuelle Umgebung erfasst hatte.191 Vor diesem Hintergrund erschließen sich Dürers Landschaftsaquarelle, seine Sternenkarten, seine Illustrationen von wissenschaftlichen Werken auch als Reflexionen der wissenschaftlichen Entdeckungen seiner Zeit. Dazu gehört die Wiederentdeckung der antiken Geografie, die dazu führte, dass man Landkarten und Darstellungen der Erdkugel von bisher nicht gekannter Genauigkeit schuf.192 Auch für das Aquarell vom Rasenstück dürfte das wissenschaftliche Interesse an der Pflanzengemeinschaft eine Rolle gespielt haben. Dürer selbst hat in späteren Jahren sein Verhältnis zur Natur so formuliert  : Die lebende Natur gibt die Wahrheit dieser Dinge zu erkennen. Darum sieh sie fleißig an, richte dich nach ihr und weiche nicht von ihr in der Meinung, du könntest es von dir selbst besser erfinden  ; du würdest dann in die Irre geführt. Denn wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur, wer sie herausreißen kann, der hat sie. (…) Je genauer dein Werk in seiner Gestalt nach dem Leben kommt, desto besser wird es erscheinen. Dieses ist die Wahrheit. Darum nimm es dir niemals vor, etwas besser machen zu können oder machen zu wollen, als es Gott der von ihm geschaffenen Natur zu bewirken gegeben hat. Denn dein Vermögen ist kraftlos gegenüber Gottes Schöpfung.193 205

Vielfalt im Rasen

Besonders interessant ist hierbei, dass Dürer unter seinem Rasenstück den dunklen, feuchten Boden (lat. humus) mitgemalt hat. Aus diesem Boden wachsen die Pflanzen empor, in ihn versenken sie ihre Wurzeln und in den Boden gehen sie nach dem Absterben der Blätter wieder zurück. Natürlich eine Allegorie auf das menschliche Leben. Von Humus leitet sich auch die Humilitas ab, die Demut. In der Kunstgeschichte kennt man die in der Natur am Boden sitzende Madonna als Humilitas-Madonna. Dürer hatte mit seiner „Madonna mit den vielen Tieren“ ca. 1503 ein Bild paradiesischer Harmonie allen Lebens in der Natur geschaffen, das im „Rasenstück“ noch nachschwingt. Neben den neuen Möglichkeiten, die das Aufblühen der Wissenschaften in der Renaissance bot, waren Demut vor der göttlichen Schöpfung, aber auch Zweifel und Melancholie Themen, die Dürer und sein Umfeld immer wieder beschäftigen. Auch die Kehrseite des hochgemuten Überschwangs hat Dürer gestaltet. Sein berühmter Kupferstich „Melencolia I“ aus dem Jahr 1514 hat die Kunsthistoriker zu immer neuen Interpretationsansätzen herausgefordert. Das Bild ist so aufgeladen mit bedeutungsreichen Details, dass das komplexe Ganze kaum in Sprache zu übersetzen ist. Das Bild ist geeignet, den gesamten Bildungshorizont der Dürerzeit zu erschließen. Aber es geht jedenfalls um die Melancholie, dies teilt der Stich uns durch ein Spruchband mit, das von einem fledermausartigen Wesen gehalten wird. Das Konzept der Melancholie entstammt der antiken Vier-Säfte-Lehre, nach der ein Ungleichgewicht im Mischungsverhältnis von Körpersäften zu Krankheiten und Missbefindlichkeiten führe. Bei der Melancholie ist es die schwarze Galle, die im Überfluss vorhanden ist und der Melancholie auch ihren Namen gegeben hat. Über verschiedene Mittler gelangt die ursprünglich medizinische Theorie in die Mitte der Renaissancephilosophie  : Entsprechend einer Aussage eines lange für Aristoteles gehaltenen Philosophen der Antike glaubt man nun, dass gerade große Männer – Philosophen, Staatsmänner, Dichter oder Künstler – besonders zur Melancholie neigen. Der mit der Melancholie korrespondierende Planet war der Saturn, der ebenfalls ein reiches Beziehungsgeflecht von Bedeutungen mitbringt. Die 206

Dürer, Das große Rasenstück

Geometrie wurde ihm zugeordnet und die mit ihr verbundenen Berufe und Tätigkeiten. In den Gedankengebäuden italienischer Humanisten entwickelt sich dieser Planet zum Zeichen für die höchsten und edelsten Kräfte der Seele, er steht nun für Vernunft und Denkvermögen. Bei Marsilio Ficino (1433–1499) schließlich verdichtet sich die Lehre von der saturnischen Melancholie zu Ansätzen einer Genietheorie. Der genialisch begabte Mensch wird als eingespannt in eine Polarität vorgestellt  : aus himmelstürmender Begeisterung einerseits und tiefster Vergrübelung in den dunklen Grund der Dinge andererseits. Zugleich liefert Ficino auch die Hilfs- und Heilmittel, die den Melancholiker vor dem Absturz bewahren. Dazu gehört die schöpferische Kontemplation ebenso wie die positiven Kräfte des Planeten Jupiter.194 Hier setzt Dürer an. Bildbeherrschend ist eine geflügelte Frauengestalt als Personifikation der Melancholie. Sie hat den Kopf schwer auf die Hand gestützt, ein seit Langem in der Kunst verwendeter Gestus der Trauer und Versenkung. Die Gestalt ist umgeben von Dingen, die man zu den Instrumenten rationaler Weltbearbeitung zählen kann  : Handwerkszeug des Steinmetzen und Holzhandwerkers etwa, Schreibzeug, ein Schmelztiegel. Viele haben mit Zählen, Messen und Wiegen zu tun  : Waage, Sanduhr und Stundenglocke, ein Zirkel in der Hand der Melancholie. Ein magisches Zahlenquadrat (alle Summen – quer, längs und diagonal – ergeben die Zahl 34) als Ausdruck mathematischen Könnens. Das magische Quadrat ist in der Planetenlehre der Zeit dem Jupiter zugeordnet und zieht dessen hilfreiche Kräfte herab. Eine Kugel und ein Polyeder demonstrieren die hohe Kunst der Geometrie. Links weitet sich der Blick in die Ferne, am dunklen Himmel wird ein leuchtender Komet von einem hellen Regenbogen überwölbt. Hier schwebt auch das Fledermauswesen mit dem titelgebenden Spruchband. Eine Zone göttlicher Wunder offenbart sich, in der die Gemeinsamkeit gegensätzlicher Himmelszeichen menschlichem Erkenntnisvermögen eine Grenze setzt. Das Innehalten vor den Instrumenten der Ratio, ein explizites Nichtstun, lässt die Figur der Melencolia als Identifikationsfigur zu kontemplativer 207

Vielfalt im Rasen

Versenkung einladen. Ein Nachdenken über die Grenzen der Möglichkeiten, der Welt mit den Instrumenten der Mess- und Baukunst Herr zu werden, ist eine der Fährten, die das Bild legt. Verfolgen wir diese Fährte weiter, so richtet sich der nachdenkliche Zweifel generell auf die Sphäre des Machbaren, der Techniken, die Menschen anwenden, um die Dinge der Welt im eigenen Sinne umzuformen. Auch dies ist eine Form der Humilitas, der Demut vor der Grenze. Damit reiht sich Dürer ein unter die großen Zweifler, die die Entwicklung der technischen Beherrschung der Natur begleiten. Blicken wir zurück zu unserem Rasenstück  : Man müsste sich bücken, um so etwas in der Natur zu betrachten. Dürer hat es in gewisser Weise getan und ein bedeutungsloses kleines Stück Wiese zur Bildwürdigkeit erhoben. Dabei hat er dem Bild den Respekt vor den kleinen Wundern der Welt mitgegeben.

Das ökologische Auge  : Von der Wiese zum Rollrasen Der grüne Teppich Ein Rollrasen, heute gern für große Flächen, aber auch in Gärten genutzt, ist dagegen eine hochtechnologische Erfindung, wie uns ein Informationstext für Kommunen mitteilt  : Mit insgesamt drei Erntemaschinen können bis zu 3.000 m² in der Stunde geschält und verladen werden. Die Maschinen schälen den Rasen samt einer etwa 1,5 bis 2 cm Wurzelschicht an. Über ein Laufband werden die Rasenrollen automatisch zum Heck der Erntemaschine transportiert, aufgerollt und auf Paletten gestapelt.195

Rollrasen ist ein Produkt, das enorme Flächen zur Anzucht verbraucht, er benötigt eine speziell gezüchtete Samenmischung und ist mit reichlich Dünge- und Vernichtungsmitteln gedopt. Dass er irgendwo anwächst, 208

Dürer, Das große Rasenstück

Auch ein Traum vom Paradies  ? Naturgarten heute.

ist als praktisches Beiwerk zu betrachten, ansonsten könnte man auch Kunstrasen nehmen. Bereits während des Anbaus werden die Chemikalien – Dünger, Herbizide, Fungizide, Insektizide – zugeführt, zu denen auch das umstrittene Glyphosat gehören kann. Das Erscheinungsbild der makellos grünen Fläche, das zum Rollrasen führte, ist natürlich inspiriert durch den Traum vom englischen Rasen. Schon sehr früh haben Menschen sich mit Grün umgeben  ; bereits aus den Hochkulturen der Antike sind Gärten bekannt. Auch das Paradies war ja ein Garten, die Bezeichnung stammt von dem altpersischen Wort „pairidaeza“. Dieser persische Garten, der sich gemeinsam mit dem Islam verbreitete, hatte einen deutlichen Einfluss auf die europäische Gartenkultur. Sein formaler Stil verrät Kenntnisse der Geometrie und Mathematik. Er ist oft viergeteilt und repräsentiert so die Elemente Wasser, Erde, Feuer und Luft. Die Segmente sind spiegelbildlich um eine zentrale Achse geordnet. Prägend für diesen Garten ist das Wasser mit einem zentralen Wasserbecken 209

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und vier daraus entspringenden Kanälen, die den Garten gliedern. Zierpflanzen wie auch Nahrungs- und Heilpflanzen wurden hier angebaut. Im Zuge der Verbreitung dieses Gartentyps in der islamischen Welt verband sich die logische Struktur mit einer religiösen Symbolik. Die Bedeutung des Paradiesgartens als Ort der Seligkeit wird im Koran wie auch in der Bibel hervorgehoben.196 Seit dem frühen Mittelalter waren es vor allem die Klöster, die die Gartenbaukultur pflegten. Bilder dieser Gärten haben Buchillustrationen überliefert. Im Zusammenhang der klösterlichen Gärten entstand auch der Typus des Hortus conclusus, des geschlossenen Gartens, den wir aus zahlreichen Buchillustrationen kennen. Dieser Hortus conclusus spielt eine große Rolle in der Mariensymbolik und ist als solcher ein Motiv der Malerei geworden. Ein berühmtes Beispiel ist das „Paradiesgärtlein“ eines oberrheinischen Meisters im Frankfurter Städel Museum, das um 1410/20 entstanden ist. Hier sehen wir auch eine Wiese, auf der Maria mit Jesuskind und Heiligen sich aufhält, die außer durch viel Immergrün durch eine Unzahl blühender Pflanzen geschmückt ist, darunter Gänseblümchen und Wegerich. Das Museum nennt 19 Pflanzen und zwölf Vogelarten, Fische, Schmetterlinge und Libellen, die botanisch bzw. zoologisch präzise wiedergegeben sind.197 Auch der Genter Altar (Jan und evtl. Hubert van Eick, 1432/35) zeigt im Teil mit der Anbetung des Lammes eine sehr schöne weitläufige Wiese mit kleinen Blumen. In der Renaissance entstanden dann vor allem in Italien prächtige Gärten von repräsentativem Charakter, unter denen die Anlagen der Villa d’Este bei Tivoli mit ihren großartigen Wasserspielen zu den bekanntesten gehören. Viele Maler haben diesen Park in ihren Bildern verewigt und damit unsere Vorstellungen von landschaftlicher Schönheit mit geprägt. Wie eng die Verknüpfungen zwischen der Malerei und der Gestaltung der Kulturlandschaft sind, zeigt ein Zitat aus den Briefen von Plinius d. J. Er schildert im fünften Buch seiner Briefe die Gegend um sein Landgut. Für die Gärten der Renaissance war diese Schilderung des Plinius sehr einflussreich.

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Dürer, Das große Rasenstück

Stelle dir ein ungeheueres Amphitheater vor, wie nur die Natur es schaffen kann. Eine weite und ausgedehnte Gegend wird von Bergen eingeschlossen  : die Berge tragen auf ihren höchsten Rücken alte und hohe Wälder, wo die Jagd reich und mannigfaltig ist. An dem Gebirge herunter ziehen sich Schlaghölzer, zwischen ihnen erheben sich Hügel (…). Unter ihnen dehnen sich auf dieser ganzen Seite Weinberge aus, die weit und breit eine harmonische Aussicht gewähren und unten mit einer Einfassung von Gebüsch versehen sind. Dann kommen Wiesen und Felder. (…) Die Wiesen sind voll Blumen und wie mit Edelsteinen besetzt und bringen den Klee und andere Graspflanzen stets zart und saftig, gleichsam in neuem Wuchs hervor, denn alles wird von lebendigem Wasser befruchtet  : wo aber auch noch so viel Wasser ist, ist doch nirgends Sumpf, weil der abhängige Boden, was er nicht an Feuchtigkeit einsaugt, dem Tiber zugeführt. (…) Diese Landschaft vom Gebirge herab zu sehen würde dir großen Genuss gewähren  ; du würdest keine wirkliche, sondern eine idealisch schön gemalte Gegend zu sehen glauben, so sehr wird das Auge, wohin es sich wendet, durch Abwechslung und Gruppierungen erquickt.198

Die „idealisch schön gemalte Gegend“ mit ihrem Abwechslungsreichtum und der Vielfalt ihrer Landschaftselemente in der Schilderung des Plinius, die Gestaltung von Parkanlagen und dann wieder die Landschaftsgemälde vor allem ab dem Zeitalter des Barock beeinflussen sich gegenseitig. Insgesamt hat dieser Kreislauf gegenseitiger Inspirationen auch unsere inneren Bilder bzw. unseren Erwartungshorizont gegenüber einer schönen Landschaft geschaffen. Dass im Barockgarten die geometrische Durchstilisierung das vorherrschende Element ist, kann noch heute in zahlreichen Anlagen bewundert werden. Die Wende zum Natürlichen kommt dann wieder im 18. Jahrhundert mit dem englischen Landschaftsgarten ins Spiel. Eine deutliche Abkehr von der formalen Gartengestaltung zeichnet sich ab, eine neue Sichtweise der Landschaft, die auch durch die großen Barockmaler Claude Lorrain, Nicolas Poussin und Salvator Rosa beeinflusst ist. Der Umwelthistoriker Bernd Herrmann verweist darauf, dass keine Landschaftsfantasie einen ähnlich prägenden Einfluss auf die Sehgewohnheiten der Moderne hatte 211

Vielfalt im Rasen

wie die Bilder der Maler, die von der Leinwand ihren Weg in die Gestaltung der Parklandschaften nahmen.199 Das malerische Auge wird auch dem Begründer der englischen Gartenbaukunst William Kent zugeschrieben. Der englische Schriftsteller Horace Walpole, ein großer Freund der neuen Gartenkunst, stattet den Erfinder des englischen Landschaftsgartens in seiner Schrift „On Modern Gardening“ (1780) mit allen Merkmalen des romantischen Künstlers aus  : … als die Natur in den Plan übernommen wurde, zeigte jeder Schritt, der getan wurde, neue Schönheiten und regte neue Ideen an. In diesem Augenblick trat Kent in Erscheinung, Maler genug, um die Reize der Landschaft zu erleben, kühn und eigenwillig genug, um etwas zu wagen und vorzuschreiben, und mit einer genialen Schöpferkraft geboren, um ein großes System aus dem Zwielicht unvollkommener Versuche herauszuarbeiten.200

Einen Höhepunkt fand diese Gartenkunst mit den Werken des Lancelot „Capability“ Brown, dessen begehbare Landschaftsgemälde bis heute die Vorstellungskraft bezaubern. Auch die sanft gewellten Rasenflächen englischer Landschaftsgärten sind bis dahin immer noch durch zahlreiche Angestellte mit der Sense von Hand bearbeitet worden. Der Rasenmäher wurde erst um 1830, ebenfalls in England, erfunden, führte aber zu umwälzenden Ergebnissen  : Der Rasen konnte zum grünen Teppich werden, und zwar auf lange Sicht unabhängig vom Personaleinsatz. Und mit diesem perfekten grünen Teppich, dem Ergebnis einer Maschine, sind wir wieder bei unserem Rasen angelangt. Es versteht sich, dass Dürers Rasenstück in eine andere Richtung weist. Im Grunde genommen hat er eher eine Wiese als einen Rasen porträtiert. Beiden gemeinsam sind die Gräser, die Wiese jedoch hat „Beikräuter“ – ein politisch korrekter Begriff der Ökologenfachsprache, denn um „Unkraut“ handelt es sich dabei keinesfalls. Zum „Unkraut“ werden Pflanzen erst durch menschliche Beurteilung.

212

Dürer, Das große Rasenstück

Die Gräser haben eine weitaus interessantere Geschichte, als ihr bescheidenes Äußeres vermuten lässt  ; sie gehören zu den ökologisch erfolgreichsten Pflanzen überhaupt. Sie kommen in den Alpen vor, am Polarkreis, in den Tropen, in Wüsten, Steppen und im Wasser. Rund ein Fünftel der gesamten Vegetation der Erde besteht aus Gräsern. Weltweit existieren immerhin 14.000 Arten von Gräsern. Gräser tragen wesentlich zur Welternährung bei und ermöglichen uns praktisch unsere tägliche Brotversorgung  : Aus Gräsern selektierte der Mensch alle heutigen Getreidesorten wie Weizen, Mais, Gerste, Hirse oder Reis.201

Von Menschen angelegte Grasflächen gibt es, seit in der Jungsteinzeit, vor etwa 10.000 Jahren, Menschen begannen, Wälder zu roden und Natur zur Kulturlandschaft umzugestalten. Ziegen, Schafe und Rinder sorgten dafür, dass die Flächen nicht wieder zuwucherten. Man kennt ab der Zeit um 500 v. Chr. einfache Werkzeuge, um Wiesen zu bearbeiten. Die Wiesenflächen vergrößerten sich als Weiden oder Mähwiesen von da ab stetig, bis die Ökonomisierung der Landwirtschaft auch viele Wiesen lukrativeren Verwendungen zuführte. Plädoyer für den Dürer-Rasen Bei Dürers Rasenstück handelt es sich aufgrund der Pflanzenmischung offenbar um eine nährstoffreiche Wiese, eine traditionelle Futterwiese. Anzeiger hierfür ist der Löwenzahn. Der Breitwegerich wächst praktisch überall, ist aber typisch für Bereiche, die häufig betreten werden. Es könnte sich also um den Rand einer Wiese mit Trampelpfad handeln. Diese Art von Wiese weist eine deutlich höhere Artenvielfalt aus als der einheitlich grüne Rasenteppich und ist daher als ökologisch wertvoller zu betrachten. Sie bietet zahlreichen Insekten und Kleintieren Nahrung und Lebensraum. Je magerer eine Wiese ist, also je weniger Dünger ihr zugeführt wird, umso mehr Blühpflanzen fühlen sich hier wohl. Auf der (nährstoffarmen) 213

Vielfalt im Rasen

Blumenwiese können sich zwischen den Gräsern 30 bis 150 Blumen- und Kräuterarten ansiedeln. Eine Blumenwiese wird, je nach Standort, meist zwei- bis dreimal pro Jahr gemäht, sie braucht weder Dünger noch Pestizide. Das Schnittgut wird abtransportiert, damit die Wiese ausmagert. Es ist ziemlich einfach, mit dieser Methode einen klassischen Rasen in eine Wiese oder zumindest in einen „Dürer-Rasen“ zu verwandeln. Allerdings kann es mehrere Jahre dauern, bis der Samenvorrat im Boden sich entfaltet. Natürlich gibt es auch Wiesen-Mischungen als Saatgut, dabei sollte es sich jedoch um regionales oder zumindest naturraumtypisches Saatgut handeln, das standortgerechte Pflanzen enthält. Die Biodiversität, die eine Wiese gegenüber jeglicher Monokultur bietet, sei es im privaten Garten oder in der Landwirtschaft, erweist sich auch an der Fülle von Tieren, die hier anzutreffen sind  : Regenwürmer, Heuschrecken, Zikaden, Hummeln und Bienen, Schmetterlinge, eine Vielzahl von Vögeln, und sogar Mäuse sind wichtig. Die pflanzenfressenden Kleinsäugetiere schaffen sogenannte Regenerationsnischen für die Pflanzenwelt  ; sie fördern kurzlebige Pflanzenarten und besonders die Wühlarbeiten aktivieren die Samenvorräte im Boden.202 Die Erhaltung der Biodiversität gehört zu den großen Themen des Naturschutzes und der Ökologiebewegung. Die Biodiversitätskonvention (Convention on Biological Diversity, CBD) wurde schon 1992 auf der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio de Janeiro beschlossen. Die CBD ist ein völkerrechtlicher Vertrag, dem sich mittlerweile die meisten Staaten der Erde angeschlossen haben. Dabei ist nicht nur die Vielzahl von Arten, Lebewesen und Genen entscheidend, sondern ebenso deren Qualität. Ein Ökosystem kann sich dann besonders gut gegen Störungen behaupten, wenn es die für Standort und Klimaverhältnisse genau richtige Artenzusammensetzung besitzt. Es ist dann auf jeden Fall einer Monokultur überlegen. Störungen können etwa Krankheiten sein, bestimmte Fressfeinde, aber auch Klimaveränderungen. Daher gewinnt gerade jetzt die Biodiversität besondere Relevanz. Jede Gartenwiese kann hierzu etwas beitragen. 214

Dürer, Das große Rasenstück

Der britische Biologe Dave Goulson hat mit seinen erfolgreichen Büchern die Hummel zum Symboltier der artenreichen Blütenbiotope gemacht. Eines der Ergebnisse seiner Forschungsarbeit zeigte, dass in Gärten wesentlich mehr Hummelnester aufzufinden waren als im heutigen, intensiv bewirtschafteten landwirtschaftlichen Umfeld. Ackerland wird durch die modernen Methoden immer mehr von „Unkraut“ befreit, so dass die Blühpflanzen verschwinden. Hecken und Grenzsäume, die für Hummeln wie für viele andere Lebewesen Raum bieten, werden ebenfalls zurückgedrängt. Und so rücken die Gärten nach vorne  : Alte Komposthaufen, Gartenschuppen, Terrassen, Steingärten mit Hohlräumen bieten Hummeln Nistmöglichkeiten und natürlich geben die zahlreichen Blumen ihnen Nahrung. Und wie viel mehr bietet hier eine Wiese als ein grüner Teppich  ! Goulson hat keine Mühe gescheut und eigens ein Grundstück im Westen Frankreichs erworben, wo er über Jahre hinweg eine Monokulturwiese wieder in ein blütenreiches Hummelparadies zurückverzaubert. Schon ein einziger Sack Dünger kann, so berichtet er, das sensible Beziehungsgeflecht der Pflanzen so beeinflussen, dass Gräser die Wildblumen verdrängen. Keine Hummeln, keine Bienen suchen diese Stätten dann noch auf.203 Natur in der Stadt Je mehr die agrarökonomische Nutzung die Landschaft durch weiträumige Monokulturen bestimmt, desto mehr rückt die Stadtökologie in den Vordergrund. Der Mentor dieser Richtung, Josef H. Reichholf, betont immer wieder, dass Natur in der Stadt keine Natur zweiter Klasse sei. Er führt zahlreiche Befunde an, die seine unkonventionellen Thesen stützen  : Artenreichtum und Häufigkeit steigen bei den Vögeln mit zunehmender Größe der Stadt stark an, in großen Städten gibt es fast alle Arten frei lebender Säugetiere, auch wild wachsende Pflanzen kommen in großer Vielfalt in den Städten vor. Die Gründe  : In der Stadt sind viele Tiere vor Verfolgungen durch Menschen und natürliche Feinde sicher, in Städten wird nicht 215

Vielfalt im Rasen

so viel gedüngt und vernichtet wie auf dem Land, zahlreiche kleinteilige Strukturelemente bieten Unterschlupf. Manches in der Stadt funktioniert für Tiere und Pflanzen quasi naturanalog  ; so entsprechen ältere Gebäude, Burgen, Stadtmauern u.Ä. den Felsen, hinzu kommen Gärten, Wiesenflächen, Parks, Waldteile und Teiche. Und – besonders wichtig – die Ruderalflächen, unbebaute, nicht gedüngte Gelände, in denen alles so wachsen darf, wie es will. Und auch die eher naturfreundliche Haltung der Bevölkerung zählt Reichholf zu den Pluspunkten.204 Auf jeden Fall sollten Entwicklungen wie Urban Gardening, Guerilla Gardening, Community Gardening, Stadtimkerei und Essbare Stadt, Projekte der Dach- und Fassadenbegrünung, das neue Interesse für Haus- und Kleingärten unbedingt ernst genommen werden. Hier liegen Chancen für einen integrativen Umgang mit der Natur. Nachdem wir jahrelang mit Konzepten wie der autofreundlichen Stadt oder der funktionalen Stadt gelebt haben, wird es Zeit für eine naturnahe Stadtentwicklung. Denn die Urbanisierung schreitet voran. Immer mehr Menschen leben in den städtischen Ballungsgebieten, weil es dort Arbeit und eine gute Infrastruktur gibt oder dieses zumindest erhofft wird. Das ist ein weltweiter Trend. Vor allem in der Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts hat die Funktionstrennung in den Städten ein immer gleiches Stadtbild geschaffen  : Arbeiten und Wohnen sind in getrennten Bezirken angesiedelt  ; man wohnt im Grüngürtel im Umland und legt zum Arbeiten weite Strecken zurück. Rauchende Schlote sind aus dem Stadtbild verbannt. Einkaufen findet in den Einkaufszentren auf der sprichwörtlichen grünen Wiese statt. Zur Bewältigung der Strecken zwischen den Lebensräumen braucht man ein gut ausgebautes Verkehrsnetz, das letztlich trotz öffentlichem Nahverkehr doch auf das Auto zugeschnitten ist. Die Innenstädte werden mittlerweile – Stichwort Gentrifizierung – von gut situierten, mehr oder weniger kreativ ausgerichteten Leuten entdeckt, die hohe Mieten zahlen können. Dieses Konzept, niedergelegt etwa in der maßgeblich von Le Corbusier beeinflussten Charta von Athen aus dem Jahr 1933, hat einen Sinn als Entwicklungsschritt vor der negativen Folie historischer Lebensverhältnisse in Städten, 216

Dürer, Das große Rasenstück

Ritzenvegetation  : Breitwegerich mit Gras in der Stadt.

die bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts hinein von krassen sozialen Unterschieden, Enge, Elend und Verschmutzung geprägt sein konnten. Demgegenüber ist die funktionale Stadt ein Fortschritt, weil sie Ordnung und Freiräume schafft. Allerdings ist dieses Konzept im Horizont des Industriezeitalters und der fossilen Brennstoffe entstanden. Gearbeitet wird in großen Fabriken, die, außerhalb des Stadtbilds angesiedelt, die Luft nicht innerhalb der Stadt verschmutzen, Treibstoff für Autos ist kein Problem, das Haus im Grünen ein Ziel für jedermann, denn die Zersiedelung der Natur ist (noch) kein Thema. Es versteht sich, dass in diesem Rahmen auch die Natur in gesonderte Bereiche verwiesen ist. Mittlerweile leben wir in einer Zeit zunehmender Deindustrialisierung, die großen Fabriken weichen kleinen flexiblen Einheiten, Dienstleistern, oft im Software- oder Medienbereich, die gut auch in der Stadt angesiedelt sein können. Der Flächenfraß der Städte ist als Problem für die Natur 217

Vielfalt im Rasen

erkannt, Benzin und Diesel sind überhaupt das Problem und neue soziale Verwerfungen in den Städten schaffen neue Unruhezonen. Dem eine integrative, naturnahe Stadtentwicklung entgegenzusetzen ist eine lohnende Aufgabe, Konzepte und Pilotprojekte gibt es einige, etwa den Stadtteil Vauban in Freiburg im Breisgau oder die Stadt Ravensburg, die in Baden-Württemberg als Modellstadt für die ökologische Stadt- und Gemeindeentwicklung fungiert. Auch Großstädte wie Berlin oder Zürich haben Ansätze zu bieten. Im Ruhrgebiet wurden im Zuge des generellen Strukturwandels von der Industrie- und Kohlekultur zur Dienstleistungskultur viele ökologische und soziale Projekte realisiert, auch wenn dieser Wandel nicht ohne Schmerzen vor sich geht. Das Stichwort „ökologische Stadtentwicklung“ hat in immer mehr Institutionen Einlass gefunden. Auch das Leitkonzept der „Stadt der kurzen Wege“, das dem Flächenverbrauch entgegentreten will, ist mit zahlreichen Planungsvorhaben nach wie vor in den Nachhaltigkeitsstrategien der Kommunen präsent. – Aber die Natur wird es schwer haben. Der Breitwegerich aus unserem „Dürer-Rasen“ soll hier als Leitbildpflanze noch einmal in den Blick genommen werden. Sie lehrt Bescheidenheit und Beharrungsvermögen, unverzichtbare Eigenschaften für Natur in der Stadt. Die Pflanze mit dem botanischen Namen Plantago major wächst praktisch überall, an Straßen und Wegen, in Ritzen im Pflaster und an Hausmauern, auf Wiesen, Rasen und Feldern. Der botanische Name stammt von lat. planta für Fußsohle. Die klebrigen Samen heften sich nämlich an diese an, oder auch an Schuhe, Reifen und Tierpfoten. Daher wird er mit den Tritten verbreitet und folgt dem Menschen auf seinen Wegen. So hat die ursprünglich europäische Pflanze es in die ganze Welt geschafft. Auch der deutsche Name hat etwas mit den Wegen zu tun. Umgekehrt ist der Wegerich auch eine trittfeste Pflanze, die an viel begangenen Stellen gut überdauert. Sie ist so robust, dass sie auch auf gesalzten und verdichteten Böden gedeihen kann. Der junge Wegerich ist als Salat und später im Eintopf essbar und recht gesund, auch als Tee. In der Volksmedizin hat der Wegerich eine Bedeutung als entzündungshemmendes und 218

Dürer, Das große Rasenstück

wundheilendes Mittel. Auch bei Beschwerden im Magen-Darm-Bereich wurde er eingesetzt. Entsprechende Internetseiten nennen noch andere Einsatzmöglichkeiten. Der Wegerich ist überhaupt nicht menschenscheu, sondern verbreitet sich gerade in der Umgebung von Menschen besonders gut. Jeder kann ihn anpflanzen bzw. einfach wachsen lassen, das gilt auch für eher naturferne Menschen. Er wird nicht besonders groß und blüht sogar. Eine altenglische Dichtung, der sogenannte „Neunkräutersegen“, hat der Leidens- und Überlebensfähigkeit dieser Pflanze ein Denkmal gesetzt  : Und du, Wegerich, der Kräuter Mutter, nach Osten geöffnet, im Innern mächtig  ; über dir knarrten Wagen, über dir weinten Frauen, über dir schrieen Bräute, über dir schnaubten Stiere. Allen hast du widerstanden, und dich widersetzt  ; ebenso widerstehe dem Gift und der Ansteckung und dem Übel, das über Land fährt.205

219

Jean-Baptiste Camille Corot, 1796–1875, Marcoussis – Weidende Kühe (Mar­ coussis – Les vaches au pâturage), 1845–1850, Öl auf Leinwand, 41,3 × 75,2 cm, Christie’s Images Ltd.

Kühe im Freien Das Bild  : Corot, Marcoussis – Weidende Kühe

Im Freien Der Maler Corot markiert eine wichtige Schnittstelle in der Geschichte der Landschaftsmalerei. Als Hauptvertreter der sogenannten „Schule von Barbizon“ gehörte er zu den Ersten, die im Freien vor der Landschaft malten, um deren realistisches Bild einzufangen. Die Künstler fanden sich in lockerem Verbund zusammen im Dorf Barbizon am Wald von Fontaine­ bleau in der Nähe von Paris. Hier entwickelte sich ein Ort der Kunst wie in den späteren deutschen Künstlerkolonien Murnau oder Worpswede. Die Maler emanzipierten sich von vorgegebenen Schemata der akademischen Tradition  ; sie malten die Landschaft als empirisch erfahrene Wirklichkeit und konkrete Augenerfahrung. Eine erläuternde Hintergrundgeschichte aus klassischem Repertoire war nun zur Rechtfertigung nicht mehr notwendig. Landschaft konnte für sich selbst stehen. Dazu fertigten die Maler Skizzen unter freiem Himmel an, die sie dann im Atelier zu einem realistischen Landschaftseindruck komponierten. Sie empfingen Anregungen aus der niederländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts und wirkten ihrerseits auf die nachfolgenden impressionistischen Maler ein. Der Maler Théodore Rousseau hatte diesen Ort gefunden. Er war ein Vorreiter und hatte noch schwer zu kämpfen mit den akademischen Idealen, die damals in Paris galten. Dies führte dazu, dass jedes seiner zum Pariser Salon, der maßgeblichen Kunstausstellung, eingereichten Bilder abgelehnt wurde. Die Haltung der zeitgenössischen Kunsttheorie und -kritik brachte ihm den Titel des „großen Zurückgewiesenen“ ein, was nicht unwesentlich zu seinem Rückzug nach Barbizon beitrug. Andere Maler scharten sich um ihn, ohne dass man von einer eigentlichen Schule sprechen könnte. So etwa Jean-François Millet, Charles-François Daubigny, Henri Harpignies, 221

Kühe im Freien

Narcisse Díaz de la Peña und Constant Troyon oder eben Corot. Auch Gustave Courbet gab als Wegbereiter der realistischen Malerei der Gruppe entscheidende Anregungen. Sie alle verband der Bezug zur Natur. Mit der bürgerlichen Revolution von 1848 änderte sich die Situation schlagartig  : Rousseau wurde nun ausgestellt und ausgezeichnet, erhielt Aufträge und wurde anerkannt. Und mit ihm die Gruppe der Maler von Barbizon und die Landschaftsmalerei. Der Wald von Fontainebleau war zu dieser Zeit bereits touristisch erschlossen und gehörte zu den Naherholungsgebieten um Paris. Seit 1849 gab es eine Bahnverbindung, die Erholung suchende Städter wie auch die Künstler nutzen konnten. Man empfand den Wald als einen Raum der Natur im Gegensatz zur Stadt. Die Wertschätzung der Natur ging mit der Wertschätzung der Landschaftsmalerei Hand in Hand. Möglicherweise war das eine Reaktion auf die Zeitentwicklung.206 Napoleon III. hatte 1852 als Kaiser der Franzosen die Macht ergriffen, Frankreich nahm einen rasanten wirtschaftlichen Aufschwung, der dem Bürgertum zu Reichtum verhalf und ganz neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnete. Die alte Klassengesellschaft geriet in Bewegung und mit ihr auch das überkommene Wertesystem. Georges Eugène Haussmann veränderte mit den großen Boulevards das mittelalterliche Gesicht des alten Paris deutlich und schuf eine moderne Stadt. Das Leben der Menschen änderte sich spürbar, viele Lebensbereiche wurden von Industrialisierung und wirtschaftlichen Umwälzungen berührt. Die Spekulationsgeschäfte, Aufstiege und Zusammenbrüche dieser Zeit hat Émile Zola später u. a. in seinem Roman „L’Argent“ („Das Geld“) festgehalten. Die Natur wird Erholungsraum des Entspannung suchenden hart arbeitenden Großstädters. Diese Entwicklung markiert ein verändertes Verhältnis von Arbeit und Erholung, die sich nun in verschiedene räumliche Bereiche aufteilen und zeitlich klar voneinander getrennt sind. Der Verzicht auf eine spezielle historische oder mythische Hintergrundgeschichte entspricht dieser gewandelten Funktion. Mit der Bedeutungsänderung von Natur nimmt auch das Landschaftsbild etwas von dieser neuen Bedeutung 222

Corot, Marcoussis – Weidende Kühe

mit. Der Gedanke, dieses Gut unter einen besonderen Schutz zu stellen, liegt nicht mehr fern. Die Maler, die nach Barbizon gingen oder wie Jean-François Millet dort lebten, um die Natur einzufangen, arbeiteten also an Gegenwelten zum großstädtischen Leben und verhalfen dem Bürgertum dazu, die schöne Landschaft als schätzenswertes Gut im Bild zu erwerben. Schon der Philosoph Denis Diderot (1713–1784) hatte diesen Gegenweltcharakter der Landschaftsmalerei formuliert  : Angesichts der Unmöglichkeit, uns den Arbeiten und Freuden des Landlebens hinzugeben, auf den Fluren umherzustreifen, hinter einer Viehherde herzulaufen und in einer Strohhütte zu schlafen, fordern wir mit Geld und guten Worten den Pinsel eines Berghem, eines Vernet dazu auf, uns die Sitten und die Geschichte unserer Vorfahren wieder vor Augen zu führen. So bedecken sich die Wände unserer ebenso prächtigen wie langweiligen Wohnungen mit den Bildern eines Glückes, dem wir nachtrauern …207

Jean-Baptiste Camille Corot (1796–1875) war einer der Erfolgreichsten der Gruppierung und brachte es im Laufe seines künstlerischen Werdegangs zu beträchtlichem Wohlstand. Er nahm regelmäßig am Pariser Salon teil, wurde vielfach geehrt und setzte sich wohltätig für seine Künstlerkollegen ein. 1848 wurde er Jurymitglied des Salons und konnte so eine liberalere Kunstpolitik unterstützen. Er suchte seine Motive nicht nur in Barbizon, sondern auf zahlreichen Reisen, u. a. war er dreimal in Italien. Corot wurde auch international bekannt und verkaufte seine Bilder sogar in den USA. Dabei hat er durchaus auch mythologische Stoffe mit Staffagefiguren gemalt, aber die Landschaft wurde zu seinem großen Thema. Vor allem seine späteren Arbeiten zeichnen sich durch eine besondere Stimmung aus, in der eine träumerische Sehnsucht nach Schönheit und eine elegische Melancholie in vielen zarten Gefühlsnuancen mitschwingen. Eine reduzierte Farbpalette und eine Atmosphäre, in der die Landschaften wie in grünlich-silbrige Schleier gehüllt wirken, geben den Bildern diesen 223

Kühe im Freien

lyrisch-träumerischen Charakter. Viele Bildtitel beginnen bei Corot mit „Souvenir de …“ (Erinnerung an …), auch eine Erinnerung an Marcoussis hat er gemalt („La charrette, souvenir de Marcoussis“).208 Der Gegenweltcharakter seiner Werke, die in ihrer elegischen Stimmung ebenso schon fast versunkene wie erträumte oder erinnerte innere Bilder wiedergeben, drückt sich auch in diesen Titeln aus. Das Souvenir ist aber nicht nur die Erinnerung, sondern speziell auch das mit Erinnerungen behaftete Mitbringsel, das man von einer Reise nach Hause mitnimmt. Das trifft bei Corot, der ja zahlreiche Studienreisen unternahm, faktisch zu. Er komponiert seine Erinnerungen im Atelier zu Werken, in denen sich innere und äußere Bilder träumerisch überlagern. Später wird Marcel Proust auf der „Suche nach der verlorenen Zeit“ diesem Aufsteigen der Erinnerungsbilder und den Überblendungen von Traum und Wirklichkeit nachspüren. Aber auch für den Käufer macht das Sinn  : Der Naherholungscharakter der touristisch erschlossenen Landschaft mag dazu führen, dass man sich eine Erinnerung an schöne Erlebnisse gern im Bild präsent hält. Die große Beliebtheit der Werke Corots findet vielleicht hierin eine Erklärung. Corot hielt sich in dem kleinen Ort Marcoussis, südlich von Paris, mehrfach bei seinem Malerfreund Ernest-Joachim Dumax auf. Hier malte er einige Bilder, darunter auch die Kühe auf der Weide in unserem Beispiel. Weidende Tiere sind in der Kunstgeschichte nicht selten. Die Pastorale mit Tieren und Hirten in ländlicher Idylle ist seit der Antike bekannt und blühte vor allem in Barock und Rokoko. Aber während diese tradierten Bilder wie kleine Theaterszenen wirken, mit Kulissen und Kostümen, galant und reizend, sehen wir bei Corot einen Ausschnitt der Wirklichkeit. Auch wenn Corot seine Arbeit später im Atelier komponiert haben mag, ist die Erinnerung an Marcoussis doch vom ruhigen Blick auf eine alltägliche Situation getragen. Das Bild zeigt einen Anblick, wie er damals noch anzutreffen war, heute aber seltener wird  : Die Kühe weiden im Freien, auf einer grünen Fläche, in die spitzwinklig ein Feld hineinragt, das offenbar mit Getreide bebaut ist. Sie bilden eine lockere Gruppe, zwei Tiere stehen vereinzelt im 224

Corot, Marcoussis – Weidende Kühe

Vordergrund, hinten sieht man ein liegendes Tier. Der umgebende Raum ist weit, man kann sich vorstellen, wie die Kühe langsam grasend umhergehen und sich ab und zu zum Wiederkäuen niederlassen. Nach hinten schließt den freien Raum eine bewaldete Zone ab, die ihre Schatten auf die Wiese wirft. Das Bild besticht durch eine Fülle von zart irisierenden Grüntönen, die beim Wald ins Silbrige spielen. Eine stimmungsvolle Tönung, wie für Corots spätere Werke typisch. Wald, Acker und Grünland sind noch nicht durch Zäune oder Hecken voneinander abgetrennt. Der Wald lässt an den alten Brauch der Waldweide denken oder an die traditionellen Mischformen der Laub- und Forstwiesen, die vielfach genutzt wurden. Das Vieh wurde im Zuge der traditionellen Dreifelderwirtschaft zur Weide auch auf die Brachflächen getrieben, die so gedüngt und im folgenden Jahr wieder bebaut werden konnten. Später begann man auf den Brachflächen Futterpflanzen wie Klee oder Luzerne anzubauen. Dieser Futterpflanzenanbau machte umwälzende Veränderungen in der Landwirtschaft möglich  : Man konnte das Vieh nun im Sommer im Stall behalten, da es genug Futter für den Winter gab. Im 19. Jahrhundert erreichte der Wiesenbau mit bestimmten Pflanzen, Gräsern und Kräutern eine hohe Perfektion. Mit der Weiterentwicklung der Landwirtschaft wurde es möglich, grundsätzlich zur Stallhaltung der Tiere überzugehen.209 Die Allmende Bei Corot ist eine Landschaft zu sehen, in der es möglicherweise auch die Allmende-Weide noch gab. Das Fehlen von Einzäunungen spricht dafür, dass wir hier ein Stück Land sehen, dass vielleicht gemeinschaftlich genutzt wurde. Die häufig beklagte Übernutzung der Allmende-Flächen, für die sich im Laufe der Zeit niemand mehr so recht verantwortlich fühlte, hat nicht nur zur Weiterentwicklung der Landwirtschaft beigetragen, sondern auch Wirtschaftsgeschichte geschrieben. Unter dem Schlagwort von der „Tragik der Allmende“ oder der „Tragedy of the Commons“ verbreitete sich die Auffassung, die gemeinschaftliche Verwaltung von Gütern 225

Kühe im Freien

sei grundsätzlich nicht effizient zu leisten. Damit schien klar zu sein, dass nur eine privatwirtschaftliche Nutzung das bewirtschaftete Gut effizient nutzen und zugleich erhalten könne. Diese Voraussetzung ist für alle Themen, die sich auf den Schutz der Umwelt oder die Begrenzung des Klimawandels beziehen, von hoher Relevanz. Denn immer wieder tauchen hier Güter auf, die eigentlich als Erbe der Menschheit gemeinschaftlich genutzt und geschützt werden müssten  : Dies gilt nicht nur für Weideflächen, sondern in weitaus höheren Maße für Klima, Meere oder Bergwelt. Ausgangspunkt der Diskussion war ein Aufsatz des Biologen Garrett Hardin, der 1968 die Situation der Allmende systematisch zu fassen schien  : Jeder Herdenbesitzer hat Interesse daran, möglichst viele Tiere auf die Weide zu führen. Der kurzfristige Nutzen liegt auf der Hand, so dass er seiner Herde ein Tier hinzufügen wird, dann noch eines und so fort. Die Kosten bzw. Nachteile werden aber erst in der Zukunft spürbar, außerdem von allen geteilt, so dass der unmittelbare Vorteil, möglichst viele Tiere auf die Weide zu schicken, um sie anschließend zu verkaufen, überwiegt. Hardin hielt diesen Mechanismus für unüberwindbar.210 Von hier ausgehend fand das Theorem der Tragik der Allmende Eingang in zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen und prägte das Denken ganzer Wissenschaftlergenerationen. Nachdem schon Umwelthistoriker darauf hingewiesen hatten, dass dieses Modell wenig mit der realen Bewirtschaftung der historischen Allmenden zu tun hatte, setzte hier ein Umdenken ein. Im Jahre 2009 erhielt die amerikanische Wissenschaftlerin Elinor Ostrom (1933–2012) den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften für ihre Arbeiten zur Problematik von Kollektivgütern. Ostrom orientierte sich aus institutionenökonomischer Sicht nicht in erster Linie an Modellen, sondern zeigte am Beispiel von Schweizer Almbauern oder des Wassersystems von Nepal, wie Nutzer von Kollektivgütern oder Allmenden sich selbst Regeln setzen. Nach und nach konnte sie sich auf über 1000 Fallstudien stützen. Ostrom konnte damit zeigen, dass und unter welchen Bedingungen eine Übernutzung nicht zwingend ist. Darüber hinaus gelang es ihr, konkrete Regeln und Bedingungen 226

Corot, Marcoussis – Weidende Kühe

der Kooperation zu identifizieren, die einen effizienten und nachhaltigen Umgang mit kollektiven Gütern ermöglichen. Damit konnte das Bespiel der Allmende wieder als Erweiterung des Denk- und Handlungsreper­toires in die öffentliche Diskussion zurückkehren. Die Commons sind Hoffnungsträger geworden für Formen der Bewirtschaftung, die sich sowohl vom Privateigentum wie von der staatlichen Regulierung absetzen. Das Feld ist damit wieder offen. Die Frage, die damit in Zusammenhang steht, nämlich wie Menschen mit Ökosystemen nachhaltig umgehen können, gehört zu den entscheidenden Themen der Zukunft. Ostrom spricht den Menschen die Fähigkeit zu, „(…) Reziprozität und soziale Regeln so zu nutzen, dass sie damit ein breites Spektrum sozialer Dilemmata überwinden können.“ Es gilt, die Früchte solcher Erkenntnisse zu pflücken. Ostroms „polyzentrischer Ansatz“ könnte womöglich sogar bei der Bewältigung einer der Menschheitsfragen im 21. Jahrhundert helfen, dem globalen Klimawandel. Anstatt auf internationale Abkommen zu warten oder über marktwirtschaftliche Patentlösungen zu diskutieren, kann man die Atmosphäre auch als Gemeinressource begreifen, die vom Energiehunger aller bedroht wird. Um kollektives Verhalten optimal zu zivilisieren, sei es sinnvoll, sich gemeinsam mit anderen Menschen in großen, mittleren und kleineren Organisationen zu engagieren, um originelle Lösungen vor Ort zu finden. Auch internationale Politik brauche am Ende lokale und regionale Handlungen sowie eine Vollstreckung der Maßnahmen.211

Das ökologische Auge  : Massentierhaltung Der Gedanke gemeinschaftlicher und nachhaltiger Nutzung von Gütern sollte auch davon abhalten können, Tiere in der Weise auszunutzen, wie die moderne Massentierhaltung es tut. Wenn wir beim Beispiel der Kühe aus unserem Bild bleiben, so ist nicht nur der Aufenthalt im Freien deutlich reduziert und der Stallhaltung gewichen. Auch die Tiere haben sich 227

Kühe im Freien

verändert  : Die Massentierhaltung setzt auf spezielle Züchtungen, die darauf ausgerichtet sind, immer mehr zu liefern. So hat eine Kuh etwa im Jahre 1950 ca. 3500 Liter Milch im Jahr gegeben. Heute müssen die Kühe bis über 8000 Liter hergeben. Manche Kuh erreicht eine Leistung von bis zu 15.000 Litern im Jahr. Das können mehr als 20 Liter pro Tag sein, Hochleistungskühe geben sogar bis zu 40 Liter Milch pro Tag. Das ist für die Tiere in kaum vorstellbarer Weise belastend. Oft schon nach etwa zwei bis drei Melkperioden, spätestens nach fünf Jahren gehen die Kühe dann zum Schlachter, deutlich vor dem Ende ihrer natürlichen Lebenserwartung. Dabei können auch Kälberembryonen umkommen, denn die Trächtigkeit stellt man erst nach dem Schlachten fest.212 Auch als Fleischlieferant ist die Kuh bzw. das Rind zu einer Ware in industriellem Maßstab geworden. Im Jahr 2015 wurden in Deutschland 59,3 Millionen Schweine, 3,5 Millionen Rinder und 716 Millionen Hühner geschlachtet. Jährlich werden in Deutschland fast 830 Millionen Tiere gemästet und geschlachtet, überwiegend in industriellen Tierhaltungsbetrieben und Schlachtfabriken. Dabei wird mittlerweile, der industriellen Logik folgend, auch für den Export produziert  : 2015 gab es eine Überproduktion von 20 Prozent, die ausgeführt wurde.213 Dabei ist der ökologische Fußabdruck von Fleisch, und speziell von Rindfleisch, sehr groß. Nicht nur verursacht die weltweite Fleischproduktion etwa 15 Prozent der Treibhausgase. Auch die Produktion von Futtermitteln, für die Regenwald gerodet und Moore trockengelegt werden, trägt zu Klimaerwärmung und Naturzerstörung bei. Dabei stehen die Futtermittel für unsere Tiere in direkter Konkurrenz zu den Grundnahrungsmitteln der Armen dieser Welt. Man stelle sich vor, Deutschland würde über seine Exportkraft auch in Schwellenländer wie etwa China oder Indien den Appetit auf Fleisch exportieren. Im März 2015 publizierte der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ein Gutachten über „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“.214 Hier werden Defizite vor allem im Bereich des Tier- und Umweltschutzes 228

Corot, Marcoussis – Weidende Kühe

konstatiert, die zu einer verringerten gesellschaftlichen Akzeptanz der aktuellen Praxis der Nutztierhaltung führen. Der Beirat hält die Haltungsbedingungen eines Großteils der Tiere für nicht zukunftsfähig und schlägt neue Leitlinien und Empfehlungen vor. Die Wissenschaftler sprechen sich dabei auch für eine Strategie der tiergerechteren und umweltfreundlicheren Produktion von Fleisch bei gleichzeitiger Reduktion der konsumierten Menge aus. Zu den Empfehlungen gehört auch, um bei unserem Bildbeispiel zu bleiben, der Ausgang der Tiere ins Freie. Im Gutachten wird darüber hinaus eingehend dargelegt, dass der Umgang mit Tieren nicht nur ein ökonomisches Thema, sondern ebenso ein Gegenstand der Ethik ist. Hier spielt auch eine Übertragung aus dem Zusammenleben mit Haustieren eine Rolle. Viele Menschen haben zu ihren Haustieren ein partnerschaftliches Verhältnis entwickelt und kennen die Hintergründe der Fleisch- und Milchproduktion nicht aus eigener Anschauung. Auch entwickeln sich Strömungen, die das Töten und Essen von Tieren aus religiösen oder generell weltanschaulichen Gründen ablehnen. Die Tendenzen zum veganen oder vegetarischen Essen sind gesellschaftsfähig geworden. In Medien und Publizistik zeichnet sich bereits seit einigen Jahren ein Umdenken ab. Umrisse einer erweiterten Tierethik werden deutlich. Die Fragen, ob und wie Tiere denken, wie sie leben sollten und ob man sie überhaupt essen darf, beschäftigen die Menschen. Der Grundsatz verbreitet sich, dass Tiere als empfindungsfähige Wesen um ihrer selbst willen zählen und nicht als Gegenstände oder Maschinen zu betrachten sind. Der Philosoph Richard David Precht konstatiert das Aufkommen einer neuen Mensch-Tier-Beziehung als nächsten Schritt in einer Abfolge von Humanisierungsbewegungen  : Nachdem wir entdeckt haben, dass Sklavenhaltung nicht so gut ist, Frauen auch Menschen sind und dass man Kinder nicht in Bergwerke schicken soll, jedenfalls bei uns nicht, ist es ein logischer nächster Schritt, dass man die Sensibilisierung

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Kühe im Freien

ausweitet und sagt, wir wollen keine Affen quälen, keine Massentierhaltung, keine Küken schreddern, keine Pelztierfarmen.215

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Corot, Marcoussis – Weidende Kühe

Wie sind sie da nur durchgekommen  ?

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Claude Monet, 1840–1926, Mohnfeld bei Argenteuil, 1873, Öl auf Leinwand, 50 × 65 cm, Paris, Musée d’Orsay.

Bunte Felder Das Bild  : Monet, Mohnfeld

Licht und Farbe Monet präsentierte sein „Mohnfeld“ 1874 bei der ersten Ausstellung der Impressionisten in den Räumen des Fotografen Nadar. Es ist eines seiner berühmtesten Werke geworden. Heute sind die Impressionisten bekannt und beliebt  ; es ist kaum nachvollziehbar, dass ihre Bezeichnung in satirischer Absicht in die Welt gesetzt worden war. Der Kritiker Louis Leroy – ein begabter Mensch, der auch malte und Stücke schrieb – hatte anlässlich der Ausstellung 1874 in der Satirezeitschrift „Charivari“ den Titel von Monets Seestück „Impression, soleil levant“ (Impression, Sonnenaufgang) aufs Korn genommen und damit den Begriff für die ganze Kunstrichtung geprägt. Die Ausstellung war von den Künstlern mit Unterstützung Nadars selbst organisiert worden, da die etablierte Kunstwelt, repräsentiert im sogenannten Salon, ihnen keinen Zugang gewährte. Der „Salon de Paris“ fand regelmäßig im Louvre statt und war ein großes gesellschaftliches Ereignis. Die Auswahl der Bilder, die hier gezeigt wurde, und die Hängung (ganz oben oder in Sichthöhe) entschieden über Künstlerschicksale. Gegen diese Institution regte sich nun eine Bewegung von Künstlern – u. a. Auguste Renoir, Camille Pissarro, Alfred Sisley und Berthe Morisot –, die nicht mehr den akademischen Lehren folgen wollten. Dass Regeln und Traditionen überhaupt nicht ihre Sache waren, hat der Kritiker durchaus treffend eingefangen. Was den Zeitgenossen als unfertig, nicht zu Ende gemalt erschien, wird zum Wesentlichen der neuen Stilrichtung. Die Impression ist also entscheidend, der Eindruck über das Auge. Das Augenblickliche festzuhalten entwickelt sich zum zentralen Anliegen der Arbeiten Monets. Er malt Licht und Farbe. Seine Bilder geben keine Erzählungen für die Ewigkeit 233

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wieder, keine Helden der Geschichte oder aus der Mythologie, sondern Ausschnitte aus dem Alltagsleben. Flüchtige Szenen aus allen Bereichen des Sichtbaren  : in der Stadt, auf dem Land, im Garten, im Haus – wo auch immer das Leben der Zeitgenossen sich abspielt. Er malt viele seiner Bilder im Freien, direkt vor dem Motiv und geradezu mittendrin. Man könnte auch sagen, als Motiv bietet sich ihm das visuell Interessante an, gleich welchen Inhalts. Bei dem Mohnfeld sind die roten Blüten ein Ereignis der Farbe im Kontrast zum umgebenden Grün. Man hat dies als entscheidenden Schritt in Richtung Abstraktion bezeichnet.216 Monet war mit Frau und Kind 1871, nach dem Ende des Deutsch-Französischen Krieges, nach Argenteuil gezogen, wo er nicht nur das Mohnfeld, sondern zahlreiche Motive aus der Umgebung malte. Argenteuil war ein Vorort von Paris und ein beliebtes Ausflugsziel. Mit dem Aufkommen der Eisenbahn war es den Parisern möglich geworden, Ausflüge zu machen und die Sommerfrische zu genießen. Der Weg aufs Land, einst ein Privileg des Adels, der Landhaus und Pferdefahrzeug besaß, wird nun breiteren Bevölkerungsschichten zugänglich. Die noch eher ländlichen Orte um Paris werden zu kleinen Paradiesen einer frühen Freizeitindustrie ausgebaut. In der Umgebung von Paris entstehen Lokale und Gartenrestaurants für die Erholung suchenden Großstadtmenschen. Die Zersiedelung des Umfelds der großen Städte und die Verwandlung der Natur in Zivilisationsgebiet beginnen hier. Darüber hinaus ist Argenteuil auch ein Industriestandort. Wenn Monet hier malt, ist er also immer noch mitten in der modernen Zeit, quasi im erweiterten Raum der Großstadt, auf jeden Fall mitten in der Bewegung der Welt. Dieses Zeitgenössische drückt sich etwa auch in seinen Eisenbahnbildern aus. Er malte den Bahnhof Saint-Lazare in Paris mehrfach und mit so viel Einsatz, dass man für ihn Bahnsteige sperrte, Züge anhielt und die Lokomotiven mit Kohle fütterte, um reichlich Dampf zu erzeugen. Er malte Eisenbahnbrücken und das Getriebe der Menschen auf den Boulevards. Auch seine frühen Bilder vom Land, aus der Umgebung von Argenteuil in diesem Fall, sind keiner Abwehr moderner Entwicklungen 234

Monet, Mohnfeld

oder einem Rückzug aufs Land entsprungen, sondern dokumentieren den erweiterten Lebensraum der Pariser Bevölkerung. Er zeigt den Spaziergang der Städterin mit Sonnenschirm – wahrscheinlich handelt es sich im Vordergrund um seine Frau Camille mit Sohn Jean –, nicht die Arbeit auf den Feldern oder Szenen bäuerlichen Lebens. Das Bild wirkt heiter, harmonisch und leicht. Die Spaziergängerinnen mit den Kindern markieren eine Diagonale, die das Bild in Farbzonen teilt. Auf der linken Seite dominiert die Farbe Rot auf Grün, mit ein wenig Gelb, wobei die roten Blumenlinien sich fächerförmig von dem hinteren Paar aus nach vorne ausbreiten. Diese Struktur ist wahrscheinlich durch die Ackerfurchen verursacht, in denen die Mohnblumen sich mit dem Getreide ausgebreitet haben. Sie gibt aber dem Maler Gelegenheit, das Bild über seine Grenzen hinaus in den imaginären Raum auszudehnen. Die Impressionisten, wie auch Monet, sind gestartet als Außenseiter einer an der akademischen Malweise geschulten bürgerlichen Gesellschaft. Mit deren Aufstieg im Laufe des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts wurden ihre Werke zu erfolgreichen internationalen Handelsobjekten. Monets Kunsthändler Durand-Ruel eröffnete 1887 in New York eine Galerie und verhalf den Impressionisten über den Umweg USA zum Durchbruch. Erste Ansätze eines globalen Kunstmarkts zeigten sich. Frankreich wurde zum energetischen Zentrum einer internationalen Kunst, die immer neue Avantgarden um den Erdball schickte. Farbe, Licht und der zeitliche Moment werden zu den Buchstaben einer Universalsprache. Dass sich diese Universalsprache im Licht einer postkolonialen und postsozialistischen Sichtweise auch als eine Kunst westlicher politischer Systeme verstehen lässt, ist allerdings eine andere Geschichte. Das Prinzip der Serie Monet hatte schon in seinen früheren Arbeiten das gleiche Sujet in unterschiedlichen Stimmungen und Ansichten präsentiert. Aber ab den 90er Jahren erhebt er die Serie zum Prinzip. Motive sind die berühmt gewordenen 235

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Heuhaufen, die für sich schon eine ökologische Betrachtung wert sind, eine Pappelallee oder eben die gleichfalls zu den Meisterwerken der Kunstgeschichte gehörende Serie der Kathedrale von Rouen. Monet mietet sich gegenüber der Westfassade des mittelalterlichen Bauwerks ein und malt über zwei Jahre hinweg 30 Bilder. Die Momente des Anblicks, die er einfängt, überdauern oft nur wenige Minuten. Unterschiedliche Tönungen, Stimmungen, Farbgebungen, die durch den Wechsel des Lichts entstehen, machen die Unterschiede der Bilder aus. Man kann sie ins Unendliche fortsetzen. Er malt an mehreren Bildern gleichzeitig und arbeitet im Atelier weiter. Die Arbeit im Atelier führt die Bilder über das momentan Gesehene hinaus und gibt ihnen eine eigene malerische Qualität, die aus Monets Einsatz der Farbe erwächst. Die Farbe selbst gewinnt Bedeutung als Gestaltungselement der Bilder. Das Prinzip der Serie begeistert Zeitgenossen und spätere Interpreten, denn man kann es als Prinzip der Moderne betrachten. Künstler des 20. Jahrhunderts haben die Serie aufgegriffen, etwa Piet Mondrian, Andy Warhol oder Sol LeWitt. Die Industriegesellschaft arbeitet in Serienproduktionen. Das befriedigt die Nachfrage und ermöglicht Kosteneffizienz. Die Bilder einer Ausstellung der Heuhaufen im Jahre 1891 werden innerhalb weniger Tage verkauft. Man hat dem Maler vorgeworfen, wegen des kommerziellen Erfolgs in Serie produziert zu haben, aber das trifft es nicht ganz. Die Serie befriedigt die Interessen der Käufer sicherlich in hohem Maße, aber auf der Seite der Produktion dürfen Monet andere Motive zugestanden werden. Sie entfalten sich erst ganz in seinen späteren Seerosenbildern. Die Serie, wie Monet sie entwickelt, ist eine Reihung von Momenten in der Zeit. Der impressionistische Blick erscheint im Einzelbild immer noch als Spiegel einer wirklichen Szene. Erst die Reihung der Momente in der Zeit, die sich unendlich fortsetzen lässt, demonstriert die Lösung vom konkreten Hier und Jetzt und damit die Abkehr von Inhalt und Erzählung, die die große Abstraktion vorbereitet. Monets Serie macht sichtbar, dass es um den Wandel der Wirkungen des Lichts geht, nicht um die Kathedrale, und dass dieser Wandel der Wirkungen des Lichts etwas 236

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mit der Wirkung der Farbe zu tun hat. Die Farbe wird im Atelier zum eigentlichen Gegenstand. Sie entfaltet sich in der Zeit und erobert, wie wir sehen werden, auch den Raum. Abstraktion und das Erhabene 1890, bereits finanziell unabhängig geworden, kauft Monet in Giverny in der Normandie das Haus, das er schon 1883 entdeckt hatte und dessen Garten zum Schauplatz seiner zweiten Lebenshälfte wird. Der Garten selbst wächst im Laufe der Jahre zu einem Kunstwerk heran. Monet ordert exotische Pflanzen und lässt neue Beete und Rabatten anlegen. Er gestaltet den Garten, wie er seine Bilder gestaltet. Es geht um die Wirkung der Farben, um Licht und Schatten, um Kontrast und Harmonie. Der Garten ist kein ökologisches Vorzeigeprojekt mit standortgerechten und einheimischen Pflanzen, sondern eher ein Beispiel menschlicher Dominanz im Namen optischer Wirkung. Die Natur folgt dem Bild, das Monet sich von ihr macht. 1893 kauft er eine Wiese hinzu und lässt dort einen Wassergarten anlegen, in dem der berühmte Seerosenteich mit japanischer Brücke liegt. Monet besaß, wie andere Künstler seiner Generation, eine Sammlung japanischer Holzschnitte. Die Seerosenbilder werden zum bestimmenden Motiv seiner letzten Werkphase. Das Element des Wassers kommt der Auflösung des Gegenständlichen entgegen. Die Arbeiten Monets werden immer abstrakter. Ausschnitte der Seeoberfläche ohne Begrenzungen und ohne Himmel füllen die ganze Bildfläche aus, Spiegelungen und Pflanzenelemente verschwimmen. Die Bilder werden immer größer, so dass der Betrachter einem überwältigenden Eindruck gegenübertritt. Monet trägt sich mit dem Gedanken, mehrere dieser Bilder in einem Raum zusammenzuführen. Georges Clemenceau, einer der wichtigsten Politiker der Zeit und mit Monet befreundet, schlägt ihm vor, eine Serie von Seerosenbildern für den französischen Staat zu schaffen. Während des Ersten Weltkrieges wird für dieses Unterfangen sogar ein neues großes 237

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Atelier gebaut. Diese Verbindung zur Politik ist erstaunlich. Offenbar ist das Gesamtkunstwerk des Seerosenraumes von so großer Strahlkraft, dass Clemenceau diesen für den Staat sichern möchte. 1918 schenkte Monet dem französischen Staat anlässlich des Waffenstillstands acht seiner Seerosenbilder. Auch wenn das Projekt des Bildraumes in der Realität erst nach Monets Tod in der Pariser Orangerie zustande kommt, zeigt bereits die Konzeption einer solchen Idee, welche Kräfte hier entstehen. Sie entfalten erst im Rückblick ihre volle Wirkung. André Masson hat die Ausstellung der Seerosenbilder in der Pariser Orangerie eine „Sixtinische Kapelle des Impressionismus“ genannt.217 Die Sakralisierung der Kunst findet Resonanz bei den Malern des abstrakten Expressionismus der Nachkriegszeit Mitte des 20. Jahrhunderts. In den 1950er Jahren wurden die Bilder von Malern wie Sam Francis oder Mark Rothko wiederentdeckt. Auch die All-over-Paintings Jackson Pollocks lassen sich hier anschließen. Aus der Perspektive dieser Malerei wird aus Dekoration eine Epiphanie des Erhabenen. Im abstrakten Expressionismus taucht eine Kategorie der Ästhetik wieder auf, die eigentlich ihre Wurzeln in der Naturbetrachtung hatte. 1948 veröffentlichte der Künstler Barnett Newman seinen Aufsatz „The Sublime is Now“. Er appelliert hier an eine voraussetzungslose Wahrnehmung, befreit von allem Ballast der Traditionen und Inhalte, die eine ästhetische Erfahrung im Sinne des Erhabenen möglich machen soll. Die reine Malerei vermittelt eine existenzielle Grenzerfahrung. Dazu gehört das Überwältigende, das Eintauchen ins umgebende Element, das schon Monets Seerosenbilder anboten. Vor diesen Bildern muss man erschrecken, sich klein fühlen und zugleich aufgehoben in einem Unendlichen, das die eigenen Grenzen bzw. die Grenzen der eigenen Wahrnehmung erfahrbar macht. Damit nimmt die Kunst strukturell eine Position an, die lange die Natur und, über sie vermittelt, das Göttliche eingenommen hatte. Das Erhabene hatte man lange in den wilden Bergwelten der Alpen und auf den gefährlichen Weiten der freien Meere gesucht. Auch das Eis und die Nichtfarbe Weiß boten Szenarien des Erhabenen am Rande des Nichts. 238

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Über Monets Seerosenbilder, die noch in der Natur entstanden, wandert das Erhabene in der Farbmalerei endgültig aus der Natur in die Kunst ab. Die Kunst übernimmt quasi die Bestände an energetischem Material, die eine entkernte und zivilisierte Natur nicht mehr bereitstellen kann. Damit wird ein Prozess deutlich, der nicht nur durch die Autonomisierung der Kunst bezeichnet ist, sondern auch durch eine Depotenzialisierung der Natur. Monet steht am Beginn dieser Entwicklung. Seine Bilder bieten reichlich Material, Verbindungslinien in die Zukunft der Kunstentwicklung zu ziehen. Wenn wir zurückkehren zu unserem Ausgangsbeispiel, dem Mohnfeld bei Argenteuil, so sind es vor allem die roten Farbtupfer, die eine Ambivalenz der Betrachtungslinien ermöglichen. Die eine Linie erwächst aus der Farbe Rot  ; wir haben sie oben bis hin zur Weltsprache der Abstraktion verfolgt. Die andere Linie fragt nach den roten Mohnblumen und dem Feld, deren Anblick das Bild immer noch transportiert.

Das ökologische Auge  : Beikräuter in Feldern, in Hecken, an Wegrändern Monets Spaziergang führt in eine Umgebung, in der vor allem die zivilisatorische Eroberung des städtischen Umlands spürbar wird. Aber das Bild zeigt noch etwas anderes  : Die Farbe Rot ist heute aus den Feldern weitgehend verschwunden. Die Ästhetik der Agrarindustrie zeichnet sich durch Monochromie aus. Die rote Farbe im Grün oder Gelb ist ein Randphänomen geworden. Das gilt auch für andere Farben in Äckern und Wiesen. Die farbliche Vielfalt schwindet wie auch die biologische Vielfalt. Der Klatschmohn gehörte zu den ersten Ackerwildkräutern, die mit der Erfindung der Landwirtschaft nach Europa kamen. Die Samen befanden sich im Saatgut, das nicht, wie heute üblich, gereinigt wurde. In der Region des Fruchtbaren Halbmonds (am Nordrand der Syrischen Wüste), in der die Ackerbaukultur entstanden war, fanden sich in den ältesten Siedlungen bereits vor 10.000 Jahren und früher Samen von Wildkräutern im Saatgut, zu denen auch der Klatschmohn gehörte. Im Neolithikum wanderte er 239

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Gemüseanbau, mit hohem Pestizideinsatz verbunden.

mit anderen Arten zusammen nach Mitteleuropa ein. Man nennt diese Pflanzen, die mit der Sesshaftwerdung der Menschen in der Jungsteinzeit nach Mitteleuropa gekommen sind, auch „Archäophyten“.218 Zu den bekanntesten Ackerwildkräutern, die manche Zeitgenossen noch in voller Pracht gesehen haben, gehören neben dem Klatschmohn Kornblume, Kamille, Acker-Senf oder Feldrittersporn. Insgesamt sind es rund 350 Arten, mit regionalen Unterschieden, die sich auf das Zusammenleben mit dem Saatgut und die Bewirtschaftungszyklen auf dem Acker spezialisiert haben. Und mit ihnen Insekten und Vögel, die das Angebot nutzen. Ackerwildkräuter stellen einen wesentlichen Beitrag zur Artenvielfalt. Der Begriff „Unkraut“ ist hier wahrlich nicht angebracht. Lange galt es als legitimes Ziel, diese Ackerwildkräuter eben als Unkraut im Zuge von Effizienzsteigerungen der Landwirtschaft nach und nach aus den Äckern zu vertreiben. Die Reinigung des Saatguts soll die Samen von vornherein aussondern, Herbizide und Düngung tun ein Übriges. Mittlerweile ist aber die Bedeutung der vielen schönen Blütenpflanzen für Vögel und Insekten, aber auch generell für die Erhaltung der Artenvielfalt ein Thema. Seit den 1950er Jahren gibt es Bestrebungen, die Ackerwildkräuter zu schützen und zu fördern. Heute steht jede zweite Ackerwildkraut-Art in mindestens einem Bundesland Deutschlands auf der Roten Liste. 240

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Mohnfeld heute – Getreideanbau ohne chemischen Pflanzenschutz.

Allerdings sieht es nicht so aus, als ob die bunten Tupfen wieder in die Felder zurückkehren dürften. Die wilden Blüher sind an den Rand verbannt worden. Ackerrandstreifenprogramme und Straßenbegleitgrün, Grenzlinienlebensräume und Biotopvernetzungsplanung sind die bürokratisch anmutenden Stichworte für die Programme, die hier Abhilfe schaffen sollen. Der Deutsche Verband für Landschaftspflege beteiligt sich am Aufbau eines bundesweiten Netzwerks zum Schutz von Ackerwildkräutern. Unter dem Motto „100 Äcker für die Vielfalt“ sollen Flächen ackerkrautfreundlich bewirtschaftet werden, um einen Grundbestand der Arten zu erhalten. Eine Ackerwildkraut-Meisterschaft gab es 2017 in Baden-Württemberg für die Naturräume Kraichgau, Strom- und Heuchelberg. Der Agrarreport 2017 des Bundesamtes für Naturschutz verweist anhand der Ackerwildkräuter eindringlich auf den Verlust an Biodiversität in der Agrarlandschaft und mahnt Maßnahmen auch auf EU-Ebene an.219 241

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Es ist aber auch wichtig, den Ackerwildkräutern wie überhaupt den Wildkräutern in bestehenden Strukturen unserer Zivilisationslandschaft Räume zu verschaffen. So rücken die sogenannten Grenzlinienlebensräume in den Blick  : Ackerraine und Weideränder, Hecken, Weg- und Straßenränder, Bahndämme, Grabenränder und Waldsäume. Die Aufzählung zeigt schon, dass es sich hier um so etwas wie letzte Ödland-Refugien handelt, um Zonen, deren ökonomischer Wert zu gering ist, als dass er der Naturnähe im Wege stünde. Aber die Artenvielfalt gerade in diesen Bereichen kann sehr hoch sein. Das liegt daran, dass in diesen Räumen unterschiedliche Standortbedingungen aufeinandertreffen  ; diese sogenannten Ökotone, Übergangsbereiche zwischen verschiedenen Biotopen oder Ökosystemen, bestimmen den ökologischen Wert einer Landschaft dadurch wesentlich mit. Die Vegetation der Waldsäume wird wegen ihres Artenreichtums sogar als eigene pflanzensoziologische Klasse geführt.220 Obwohl diese ökologischen Nischen häufig nicht direkt genutzt werden, beziehen sie ihre Fülle doch oft aus der Nähe zu angrenzenden Nutzflächen. Sie sind daher menschlichen Ursprungs und wichtige tradierte und typische Bestandteile der Kulturlandschaft. Die verschiedenen Formen der Grenzlinienlebensräume sind in unterschiedlichen historischen Phasen der Landschaftsgeschichte entstanden  : Die Waldränder sind wohl schon mit den ersten Rodungen in der Jungsteinzeit aufgekommen, während die Ackerraine aus der Phase der Zwei- und Dreifelderwirtschaft stammen. Die Hecken stammen wahrscheinlich überwiegend aus dem frühen Mittelalter, allerdings dürfte der größte Teil der Hecken erst durch die Auflösung der Allmenden entstanden sein, als man die Flächen aufteilte und das Land privatisierte. Hecken hatten die Aufgabe, Acker und Wiese vom Weideland abzugrenzen, Weideland vom Wald abzutrennen, Besitztum einzugrenzen und vor Wind und Erosion zu schützen. Nüsse, Schlehen oder Obstbäume können in Hecken vorkommen. Hecken lieferten Laub- und Streumaterial und vor allem Brennholz. Zu dessen Gewinnung wurden die Hecken zumindest abschnittsweise immer wieder „auf den Stock gesetzt“, d.h. bis fast auf den Boden heruntergehauen. 242

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Auf diese Weise konnten sich die Hecken stets von innen heraus verjüngen, Luft und Licht gelangten hinein, in den genutzten Abschnitten bis auf den Boden. Daher simuliert der Naturschutz heute bei der Pflege von Hecken ebenjene Brennholznutzung  : Die Hecken werden abschnittsweise „auf den Stock gesetzt“, um die natürliche Verjüngung und die ökologisch-strukturelle Vielfalt zu fördern. Dabei werden alternierend immer andere Abschnitte gepflegt, so dass stets unterschiedliche Entwicklungsstadien der Hecke in einem einzigen Bestand vorhanden sind. Bei der Verwertung des Schnittguts treten dann allerdings die modernen Probleme der Landschaftspflege auf  : Brennholz aus Hecken wird nicht mehr gebraucht, das Schnittgut wird im günstigen Fall zu Hackschnitzeln verarbeitet, oft aber entsorgt, hin und wieder auch an Ort und Stelle verbrannt.221 Graben-, Weg- und Straßenränder oder Bahndämme sind erst in jüngerer Zeit mit den Verkehrswegen entstanden, bergen aber ebenfalls Potenziale. Die Grenzlinienlebensräume geben nicht nur Pflanzen Lebensraum, sondern auch Tieren wie Tagfaltern, Bienen und Wildbienen, Hummeln, Schmetterlingen und Laufkäfern. Hecken bieten Nahrung und Brutplätze für Singvögel, sie sind außerdem Rückzugsräume für Rebhuhn, Spitzmaus und Igel. Darüber hinaus haben diese Zonen eine wichtige Funktion in der Biotopvernetzung. Die Landschaften sind heute zerschnitten durch Verkehrswege – Straßen, Schienen befestigte Flüsse –, unterschiedliche Nutzflächen und Bauwerke. Die Verinselung der Lebensräume ist ein Problem. Seit den 60er Jahren ist sich die Fachwelt bewusst, was es bedeutet, dass kleine, abgelegene Inseln weniger Arten aufweisen als das Festland. Offenbar handelt es sich, so zeigen Forschungsergebnisse, um ein Zusammenspiel aus Einwanderung und Auslöschung. Tiere und Pflanzen werden vom Festland weggeweht oder weggespült und erreichen kleine abgelegene Inseln weit weniger wahrscheinlich als große direkt vor dem Festland. Das Aussterben kleiner Populationen ist außerdem wahrscheinlicher als das großer Populationen und wird durch Inzucht noch verschärft. Im Ergebnis ist die Artenvielfalt auf kleinen Inseln demzufolge eher gering. Die Forscher Edward O. Wilson 243

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und Robert H. MacArthur hatten die Theorie entwickelt, die dann Daniel Simberloff empirisch bestätigen konnte. Sie gilt nicht nur für Inseln in Meeren oder Gewässern, sondern – mit Einschränkungen je nach Standortbedingungen – auch für die Habitatinseln in der Zivilisationslandschaft. Die Lebensräume sind instabil. Man kann sich leicht vorstellen, dass das Leben der Tiere und Pflanzen etwa auf einer Verkehrsinsel zwischen Autobahnauffahrten nicht unmöglich, aber doch erschwert und gefährdet ist. Umso wichtiger ist es, die einzelnen Lebensinseln miteinander zu vernetzen.222 Das ist der Sinn der Biotopvernetzung, zu der Grenzlinienlebensräume wie Hecken und Randstreifen besonders gut geeignet sind. Sie bilden quasi die Wanderwege der Natur. Die diversen Flurbereinigungen des 20. Jahrhunderts haben viele dieser Lebensräume leider vernichtet. Die Gegenrichtung einzuschlagen wird nicht einfach sein. Die Biotopvernetzung ist – neben vielen anderen – ein wichtiges Anliegen der Naturschutzorganisationen. Der NABU (Naturschutzbund Deutschland) entwickelt seit 2007 die Strategie eines Bundeswildwegeplans, um die Zerschneidung der Habitate durch die Autobahnen und Schnellstraßen abzumildern. Der Verband fordert für ganz Deutschland zunächst drei durchgängige Wildwege. Dafür sind Wildbrücken bzw. Grünbrücken und Unterführungen wichtige Elemente. Der BUND hat sich die Wildkatze als Symboltier ausgesucht und einen Wildkatzenwegeplan aufgestellt, der ebenfalls der Biotopvernetzung dient. Auch das Bundesamt für Naturschutz stellt Leitlinien, Informationen und Unterlagen für die deutschlandweite Biotopvernetzung bereit. Da Deutschland sich das derzeit dichteste Verkehrsnetz Europas leistet, ein großer Plan.223 Bestens zu beobachten für die Auto fahrende Nation ist die Entwicklung des sogenannten „Straßenbegleitgrüns“, ein Sammelbegriff für nützliche und äußerst robuste Pflanzen an Straßenrändern, Verkehrsinseln, Böschungen, Mittelstreifen der Autobahnen, Rastplätzen usw. Auch Bäume an Alleen oder Gehölze an Rastplätzen können gemeint sein. Das Straßenbegleitgrün hat überwiegend verkehrstechnische und bautechnische Funktionen. Es muss Sichtschutz bieten, aber nicht die Sicht nehmen, 244

Monet, Mohnfeld

Bodenerosion verhindern, Lärm mindern, Schwermetalle, Salz und Abgase aushalten. Kaum zu glauben, dass Pflanzen unter den Bedingungen im Verkehr überhaupt gedeihen. Aber auch dieses oft vernachlässigte und übersehene Gelände lässt sich ökologischer gestalten. Es trägt dann ebenfalls zur Biotopvernetzung bei. Ein Leitfaden des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg gibt Hinweise, wie die jeweiligen Standortqualitäten an den Straßen genutzt werden können, um durch standortgerechte Pflanzen die Artenvielfalt zu steigern. Auch die Art der – schonenden – Pflegemaßnahmen spielt dabei eine Rolle, ebenso wie eine sinnvolle Mindestbreite der grünen Streifen.224 Auch entlang der Bahnlinien, zwischen Gleisen, an Bahnhöfen haben sich an versteckten Orten wundersame Biotope ausgebildet. Hier wachsen Essigbaum, chinesischer Götterbaum, Greiskraut, Brennnessel und Eselsdistel, Pflanzen, die Hitze und Wassermangel gut wegstecken können. Eine typische Ruderalvegetation – das Wort stammt von lat. rudus  : Schutt – hat sich hier oft angesiedelt. Natürlich nur an Stellen, wo sie nicht durch Herbizide beseitigt wurde. Zauneidechse und immer mehr die Mauereidechse siedeln sich gern an den Bahngleisen an. Sie lieben die Wärme auf den heißen Schotterbetten. Auch hier gibt es also noch viele Möglichkeiten für ökologische Maßnahmen, die der Realisierung harren. Auch bei der Bahn zeigen sich Bemühungen um etwas mehr Naturschutz an den Gleisen, um etwas weniger Herbizide und um eine „biotopverbindende Vegetationspflege“.225 Der Klatschmohn, unsere Symbolpflanze aus dem Feld Monets, ist von der Loki Schmidt Stiftung stellvertretend für alle Ackerwildkräuter zur Blume des Jahres 2017 ernannt worden. Die Stiftung weist eindringlich auf die deutliche Gefährdung der Ackerwildkräuter hin, deren Bestand seit den 1950er Jahren regelrecht zusammengebrochen ist. Im Feldinneren sind, so die Stiftung, Diversitätsverluste von ca. 70 Prozent zu verzeichnen. Obwohl der Klatschmohn als anspruchsloser Überlebenskünstler nicht direkt gefährdet ist – er hat sich Räume in Brachen, auf Schuttplätzen an Böschungen und in Gärten erobert –, stellt der Rückgang der 245

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Biodiversität im Ackerland einen Verlust dar, der schwer einzuholen ist. Immerhin nimmt diese Nutzungsart ca. 30 Prozent der Fläche ein. Der Appell erreicht hoffentlich seine Adressaten. Wie poetischer Abgesang und Hoffnung zugleich wirkt eine kulturhistorische Facette des Klatschmohns, von der die Stiftung berichtet  : Die wichtigste kulturelle Bedeutung hat der Klatschmohn wahrscheinlich bereits im Mai 1915 erhalten – zur Zeit des ersten Weltkrieges. Der kanadische Arzt Jon McCrae schrieb damals ein mittlerweile in der englischen Literatur berühmtes Gedicht „Flanders Fields“. Es handelt vom tausendfachen Aufwachsen des Klatschmohns inmitten von zerbombten Schützengräben und Schlachtfeldern in Flandern, der [f ]lämischen Region Belgiens. Die zarten Blüten füllten das Chaos und die Zerstörung schnell mit neuem Leben. Deshalb gelten sie bis heute am „Remembrance Day“ (11. November) in England, Kanada und Australien als Symbol für das Gedenken an die gefallenen und verletzten Soldaten des Krieges. Jedes Jahr werden am Gedenktag Anstecknadeln des Klatschmohns verteilt und getragen sowie Plastikblumen an Gedenksteinen und -tafeln ausgelegt.226

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Peter Birmann, 1758–1844, Blick vom Isteiner Klotz rheinaufwärts gegen Basel, um 1819, Öl auf Leinwand, 88,5 × 124,5 cm, Basel, Kunstmuseum.

Mäandernde Flüsse Das Bild  : Birmann, Blick vom Isteiner Klotz

Dieses Gemälde des Baseler Künstlers Peter Birmann (1758–1844) hat eine kleine Karriere abseits der Kunstgeschichte gemacht. Es wird häufig abgebildet, und zwar immer dann, wenn es um die Auenlandschaften geht, die durch die Begradigung des Rheins verloren gingen. Das Bild hat dadurch eine beispielhafte Bedeutung als Zeichen menschlicher Eingriffe in die Natur bekommen. Das Buch von David Blackbourn zur „Eroberung der Natur“ nutzt das Werk auf dem Umschlag als Titelbild. Der Themenpark Umwelt Baden-Württemberg zeigt das Bild, um die ehemaligen Rheinschlingen darzustellen, ebenso die gemeinnützige Gesellschaft Wanderfische Baden-Württemberg und die NaturFreunde Rastatt  ; das Naturschutzgebiet Isteiner Klotz greift auf ein ähnliches Bild Birmanns zurück usw. Dass Peter Birmanns Arbeit dokumentarischen Status erreicht hat, kommt nicht von ungefähr. Er gehört zu einer Reihe von Schweizer Vedutenmalern, die quasi in Serie Reiseandenken für wildnisliebende Touristen anfertigten, preiswerte Bilder, die gut zu transportieren waren. Die Vedutenmalerei (ital. veduta  : Ansicht) hatte sich in Italien etwa mit Canaletto und Francesco Guardi zu hoher Blüte entwickelt. Die Vedute soll eine wirklichkeitsgetreue Ansicht liefern und stellt insofern ein besonderes Genre der Landschaftsmalerei dar. In der Schweiz hatte sich dieses Genre zusammen mit dem beginnenden Bergtourismus im 18. Jahrhundert zu einem eigenen Wirtschaftszweig entwickelt, der „Andenken-Vedute“.227 Deren Meister war Johann Ludwig Aberli (1723–1786), der in Bern ein Vedutenatelier gründete und für seine „Aberlimanier“ berühmt wurde. Die Landschaften folgten einem klaren Schema im Aufbau und wurden effizient koloriert. Aber sie entstanden aus Skizzen vor dem Objekt und die Maler wagten sich

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bei ihren Streifzügen durch die Schweizer Bergwildnis durchaus auch über die Grenzen der idealisierenden akademischen Malerei hinaus. Peter Birmann war ein Schüler Aberlis. Er verbrachte einige Jahre in Rom, wo er einer der beliebtesten Vedutenmaler wurde. Auch Architektur und Ruinen, Gärten und Stadtansichten in Rom und Umgebung, mächtige Baumgruppen und die großen Wasserfälle von Tivoli gehörten zu seinem Repertoire. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts gründete er in Basel eine „Werkstatt für Kunst- und Flachmalerei“, handelte mit Bildern und betrieb einen bedeutenden Kunstverlag. Er arbeitete mit seinen Söhnen zusammen, die ebenfalls Veduten anfertigten. Zahlreiche Maler publizierten ihre Stiche über Birmanns Verlag, in dem er auch seine eigenen Werke veröffentlichte. Auch die Umgebung Basels und die Rheinlandschaft gehörten zu seinen Motiven. Die Birmanns unternahmen Ausflüge in die bisher von Malern kaum berührte Schweizer Bergwelt und waren dort somit unter den Ersten, die Effekte von Gletschern, Nadelfelsen und Gebirgsketten malerisch nutzten. Birmann avancierte darüber hinaus auch als ein Maler von Rang, der im Stil von Claude Lorrain und den Holländern des 17. Jahrhunderts die Zeitgenossen beeindruckte. Er wurde Mitglied der Berliner Akademie, stellte im Pariser Salon aus und gehörte in Basel zu den Gründungsmitgliedern der Künstlergesellschaft. Politisch engagiert, feierte er die Baseler Revolution 1798 mit einer allegorischen Komposition und saß später im Stadtrat. Seine bedeutende Kunstsammlung und sein Nachlass gingen nach seinem Tode an die öffentliche Kunstsammlung Basel über. Der Blick von Isteiner Klotz in Richtung Basel, den Birmann gemalt hat, zeigt die sogenannte Furkationszone des Oberrheins. In der Furkationszone (lat. furca  : Gabel) verteilte sich der Fluss auf mehreren Kilometern Breite netzartig in viele flache Arme, die sich bei Hochwasser verlagerten, neu teilten und wieder zusammenfanden. Dazwischen lagen kleine Inseln und Kiesgeröllflächen, die ebenfalls temporär und mobil sein konnten. In der Gegend um Rastatt ging der Rhein in die sogenannte Mäanderzone über. Hier nahm das Gefälle ab und der Rhein bildete die typischen 250

Birmann, Blick vom Isteiner Klotz

schlingenartigen Windungen aus. Die Vegetation war durch Auwälder geprägt, die in unregelmäßigen Abständen überflutet wurden und sich daran angepasst hatten. Der Oberrhein zwischen Weil am Rhein und Breisach läuft heute neben dem Grand Canal d’Alsace her  ; er wird als Alter Rhein oder Restrhein bezeichnet, weil das Wasser in großen Mengen in den Kanal geleitet wird, wo der Schifffahrtsweg verläuft und Frankreich vier Kraftwerke betreibt. Obwohl dieser Rheinabschnitt heute nicht mehr so aussieht wie vor der Begradigung, haben sich hier doch naturnahe Zonen erhalten, gerade weil der Ausbau für die Großschifffahrt nicht mehr stattfand. Er gehört heute zu den ökologisch interessantesten Strecken im Stromverlauf. Am Isteiner Klotz hatte die Rheinkorrektion 1876 einen Abschnitt erreicht, an dem sich Probleme und Erfolge des Großprojekts deutlich zeigten.228 Der Fluss war hier wegen seiner Schwellen und Stromschnellen gefürchtet, die Arbeiten erwiesen sich als schwierig. Die Gemeinde galt bis zur Korrektion als eher ärmlich, erhielt aber im Zuge der Maßnahmen einen beträchtlichen Landgewinn, der Ackerbau nahm deutlich zu. Allerdings ging der zuvor reiche Fischbestand spürbar zurück, die Fischer verloren weitgehend ihre Basis. Langfristig führte die durch die Rheinkorrektion verursachte Tiefenerosion zum Absinken des Grundwasserspiegels um sechs bis acht Meter. Die Austrocknung der Böden war die Folge, so dass Bewässerungen notwendig wurden. Die ursprünglichen Auwälder verschwanden. Dies ist eine typische Entwicklung, die viele Standorte von Auwäldern durchlaufen haben, und nicht nur am Rhein. Die folgende Beschreibung macht deutlich, wie stark sich das Landschaftsbild verändert hat. Man könnte auch sagen, dass man den Rhein vom Blickpunkt am Isteiner Klotz aus heute überhaupt nicht mehr sieht. Aus der ehemaligen Flussinsel ist durch den Bau mehrerer Brücken sowie fortschreitende[ ] Verlandung eine Landzunge entstanden, die der Isteiner Gemarkung (Banngebiet) zugeschlagen wird. (…) Der ehemals landschaftsprägende Auenbereich am Isteiner Klotz wurde durch die wasserbaulichen Eingriffe besonders 251

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geschädigt. Die Aue verlor dabei nicht nur ihre ursprüngliche Gestalt[,] sondern auch ihre Funktion als Hochwasserregulator. Am Ende der Entwicklung finden sich heute lichte Bestände von Trockengehölzen, durchsetzt von Trockenrasen und buschwaldartigen Sukzessionsstadien.229

Das ökologische Auge  : Auenlandschaften Kein anderes Ökosystem in Mitteleuropa beherbergt so viele Arten und Lebensräume wie eine Auenlandschaft. Auen tragen zum Hochwasserschutz bei, da das Wasser hier „in die Breite“ gehen kann, sie filtern das Wasser und verbessern so die Wasserqualität. Als biotopverbindendes länderübergreifendes Element sind sie für das gesamteuropäische Projekt „Natura 2000“ von enormer Bedeutung. Auwälder können dem, was man sich unter Dschungel und Wildnis mitten in Europa vorstellen kann, sehr nahe kommen. Vor allem am Oberrhein und an der Donau sind sie aufgrund der klimatischen Verhältnisse quasi die Regenwälder Mitteleuropas (gewesen) – ähnlich unter Nutzungsdruck, ähnlich vielfältig und optisch attraktiv. Hier ist es gerade im Sommer auch bei großer Hitze etwas feucht, die Pflanzen wuchern üppig, es hängen lianenartig die Waldrebe und wilder Wein in den Zweigen, Wassertümpel und Wurzelwerk sind zu sehen – all das lässt an Mangrovensümpfe und Urwälder denken. Auenlandschaften entstehen durch die Dynamik des Wassers, das manche Abschnitte überschwemmt, die dann wieder trocknen, durch Verlagerungen von Schlamm und Geröll, die sich ablagern, bewachsen und wieder überschwemmt werden. Diese amphibischen Lebensräume werden von Pflanzen und Tieren belebt, die sich an genau diese Bedingungen angepasst haben. Dabei entstehen je nach Wasserstand und Entfernung zum Fluss verschiedene Zonen, die jeweils wieder ganz typische Biotope ausbilden. Die bekanntesten sind die Weichholzaue mit ihren Weiden und die Hartholzaue, in der ein Eichen-Ulmen-Mischwald wächst. Eingebettet in die Auen gibt es oft Altwasser, abgetrennte Flussarme, in denen das Wasser steht und die ihrerseits wieder 252

Birmann, Blick vom Isteiner Klotz Auwald am Rhein.

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eine vielfältige Pflanzen- und Tierwelt zeigen. Aber diese stillen dunklen Gewässer geben der Landschaft auch eine ganz besondere Prägung. Das Bundesamt für Naturschutz legte 2009 erstmals einen Bericht zum Zustand der Flussauen in Deutschland vor. Demnach sind zwei Drittel der Auengebiete durch Deichbau und andere Hochwasserschutzmaßnahmen verloren gegangen. An Rhein, Elbe, Donau und Oder sind zum Teil nur noch 10 bis 20 Prozent der ehemaligen Auen vorhanden. Die Gebiete werden überwiegend als Grünland genutzt, aber auch Ackerflächen, Wald und Siedlungsland sind an die Stelle der Auwälder getreten. Auen gehören damit zu den am stärksten gefährdeten Lebensräumen in Deutschland. Bei der Revitalisierung von Auenlandschaften lassen sich Hochwasserschutz und Naturschutz auf erfreuliche Weise verbinden.230 Ein großes Leuchtturmprojekt des Bundes für eine Auenreaktivierung mit Hochwasserschutz läuft an der Elbe, im UNESCO-Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe mit den Bundesländern Niedersachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Es geht langfristig um einen länderübergreifenden Auwaldverbund, dessen natürliche Überflutungen wiederhergestellt werden. Mit der Burg Lenzen als Kommunikationszentrum sind der BUND sowie mehrere Hochschulinstitute Projektpartner. Speziell in der „Hohen Garbe“ in der nördlichen Altmark gibt es noch über 200 Hektar Auwald, mit Fischotter, Biber und Seeadler. Dieses Gebiet soll wieder in den natürlichen Überschwemmungsrhythmus des Flusses einbezogen werden.231 Mit dem Programm „Blaues Band Deutschland“ wurde im Februar 2017 ein übergreifendes Konzept beschlossen, das den Auenlandschaften in Deutschland wieder mehr Raum geben soll. Der Grundgedanke dieses Projekts besteht darin, dem vielfältigen Nutzungsdruck dadurch auszuweichen, dass man sich auf die Nebenwasserstraßen konzentriert. Das heißt nicht, dass die Hauptwasserstraßen allen Verwertungsprozessen preisgegeben würden, aber man konzentriert sich eben. Für das Nebennetz gibt es ein umfassendes Pilotprojekt an der Lahn, einem Nebenfluss des Rheins und typischen Mittelgebirgsfluss mit hübschen Städten wie Marburg und Gießen in malerischer Landschaft, der keine besondere Bedeutung im Güterverkehr mehr hat.232 254

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Die folgenden Modellprojekte sollen im zentralen Netz der Bundeswasserstraßen zeigen, was an den großen Flüssen möglich ist  : In Nordrhein-Westfalen gibt es ein Projekt mit vier Teilprojekten an der Weser, durch die man Flussprofil, Uferzonen, noch vorhandene Stillgewässern und die angrenzenden Auenbereiche naturnah gestalten will. In Rheinland-Pfalz sollen in Laubenheim bei Mainz die Uferstrukturen ökologisch verbessert und auenähnliche Zonen hergestellt werden. In Niedersachsen soll nördlich von Bremen ein Nebenarm der Weser wiederbelebt werden. Und am Rhein in Baden-Württemberg ist die Renaturierung am „Monsterloch“ in der Nähe von Mannheim geplant. Es sollen naturnahe Uferstrukturen entwickelt und die Anbindung von Auengewässern an den Rheinstrom optimiert werden. In Hessen geht es um die „Kühkopf-Knoblochsaue“, wo ebenfalls, im Anschluss an bereits umgesetzte Renaturierungen, eine auenähnliche Landschaft geschaffen werden soll. Zu den faszinierendsten noch existierenden Auwäldern am Rhein gehört die Rheinaue bei Rastatt. Sie ist flussabwärts nach der Staustufe Iffezheim das erste natürlich überflutbare Auengebiet am Oberrhein und gehört mit ihrer einzigartigen Tier- und Pflanzenwelt wohl zu den schönsten Naturschutzgebieten in Deutschland. Das Gebiet wird auch als „Badischer Dschungel“ bezeichnet. Schon 1984 als Naturschutzgebiet ausgewiesen, gehört es heute zum europäischen Schutzsystem Natura 2000 und ist ein Schutzgebiet von internationaler Bedeutung. Im Jahr 2011 startete hier unter Federführung des Regierungspräsidiums Karlsruhe ein LIFE-Projekt mit verschiedenen Renaturierungsmaßnahmen an Rhein und Murg, das bis 2015 lief. Im Rahmen des Bundesprojekts „Biologische Vielfalt“ läuft als einer der Hotspots der Artenvielfalt das Projekt „Lebensader Oberrhein“, in dem sich die Landesverbände Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz des NABU engagieren. Da es sich um ganz unterschiedliche Lebensräume handelt, geht es etwa um das Anlegen von Tümpeln, das Wiedervernässen von Gräben, Wiesen und Feuchtwäldern. Aber auch die Entbuschung von trockenen Sanddünen bei Speyer und in Baden-Württemberg steht auf dem Programm. Im Rahmen dieses Großprojekts wird z. B. eine Forstfläche 255

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bei Dienheim zu einem Auwald entwickelt oder es werden bei Ingelheim in der Harter Aue Flächen allmählich wieder zu Auwäldern naturiert. 233 Die Rückkehr der Fische Wichtige Zeigertiere für die ökologische Wertigkeit eines Gewässers, was Struktur und Wasserqualität angeht, sind die Wanderfische  : Lachs, Stör, Meerforelle und Maifisch etwa waren im Rhein und seinen Seitengewässern noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts sehr häufig und richtige Brotfische. Der Rhein war der wichtigste und größte Lachsfluss Europas, als bester Fanggrund galt der tiefe Stromabschnitt bei der Loreley, was auch den Sagenkreis um diese gefährliche Gegend erklärt.234 Im 20. Jahrhundert nahmen die Bestände rapide ab, da sich die Wasserqualität im Zuge der Industrialisierung stetig verschlechterte und der Rhein verbaut wurde. Hinzu kam eine kontinuierliche Überfischung durch immer effizientere Fangmethoden. 1950 waren im Rhein keine Lachse mehr nachweisbar. Absolute Tiefpunkte waren das Fischsterben von ca. 40 Millionen Tieren im Jahr 1969, das durch das Schädlingsbekämpfungsmittel Thiodan verursacht wurde, und die Chemiekatastrophe der Firma Sandoz 1986, bei der mit Chemikalien verseuchtes Löschwasser in den Rhein geleitet wurde. Mitte der 1970er Jahre setzte durch optimierte Filtertechniken und leistungsfähige Klärwerke der Umschwung ein  : Die Wasserqualität verbesserte sich deutlich. Parallel wurden Programme zur Hebung der Wasserqualität aufgesetzt, wie das „Aktionsprogramm Rhein“, später „Rhein 2000“ genannt und fortgesetzt durch „Lachs 2020“. In Baden-Württemberg kooperiert man mit Frankreich, Holland und der Schweiz. Ähnliche Vorhaben gibt es auch für andere Flüsse. In Deutschland bestehen etwa 30 Lachswiederansiedlungsprogramme, u. a. an Oder, Elbe, Weser, Ems und Oker, Wupper, Eifelruhr und im Mainsystem. Auch die Niederlande, Belgien und das Elsass siedeln Lachse an. Häufig werden dazu Tiere aus Zuchtstationen ausgesetzt, in der Hoffnung, dass sie sich dann frei und selbsttragend, ohne menschliche Hilfe, weiter vermehren. 256

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Seit Ende des 20. Jahrhunderts gibt es wieder Lachse, Wanderfische und andere Fischarten, auch im Rhein, sie haben aber mit zahlreichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Damit Lachse sich wohlfühlen, muss nicht nur das Wasser sauber sein, sondern die Flüsse müssen für die Fische auch hinderungsfrei passierbar sein. Hindernisse sind vor allem Wasserkraftwerke und Stauanlagen bzw. Wehre. Die Fische können nicht passieren oder tragen schlimme bis tödliche Verletzungen durch die Turbinen davon. Auch muss die Sohle eines Flusses bzw. Baches zur Laichablagerung geeignet sein. Dazu ist ein Kieslückensystem notwendig, also ein grobes Kiesbett, ein zu schlammiger oder ein harter und verklebter Boden ist ungeeignet. Vor allem die Flussregulierungen haben zu einer stetigen Vernichtung der flachen, kiesigen und ruhigen Laichgebiete geführt. Eine zu intensive Befischung, vor allem im Rheindelta und im Meer, ist immer noch ein Problem. An der Staustufe des Kraftwerks Iffezheim z. B., wo eine wichtige Fischwanderhilfe gebaut wurde, wird regelmäßig gezählt  : Es waren 2015 ca. 230 Lachse, 84 Maifische, 69 Meerforellen, die den Aufstieg geschafft haben. 2016 waren es 145 Lachse, 19 Maifische und 154 Meerforellen. Die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR) nennt für das Jahr 2015 im gesamten Rheinsystem, also mit Nebenflüssen, die Zahl von 708 erwachsenen Lachsen.235 Von stabilen, selbsttragenden Beständen kann man da nicht sprechen, aber sicherlich entwickelt sich noch etwas. Die Rettung der Donau-Auen Auch an dem neben dem Rhein zweiten großen europäischen Strom, der Donau, gab es einst weite Auenzonen. Und auch hier existierten die üblichen Regulierungen und Verbauungen, etwa durch Begradigung und Ausbau der Donau, durch Kraftwerke und Staustufen. Aber es gibt auch eine Geschichte, die in Österreich, ähnlich wie die Rettung des Wienerwalds, in die Geschichte der Ökologie- und Demokratiebewegung einging. Denn diesmal war es nicht ein couragierter Einzelner, sondern eine vielfältige Protestbewegung von Bürgern, die die Rettung eines der schönsten 257

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Auengebiete Mitteleuropas bewerkstelligte. Im Dezember 1984 hatten Tausende von Menschen die Donau-Auen bei Hainburg besetzt. Der Grund war ein dort geplantes Donaukraftwerk. Zahlreiche Umweltorganisationen und Bürger protestierten. Es gab eine umfassende Medienberichterstattung, die dafür sorgte, dass das Ereignis ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit vordrang. Aus der Idee einer Prominenten-Plattform, die sich gegen das geplante Kraftwerk einsetzen sollte, entstand das „Konrad-Lorenz-Volksbegehren“. Im Dezember 1984 waren prominente Mitstreiter auch in der Au präsent, um Rodungen zu verhindern. Man erstattete gegen den Landesrat, der für den positiven Naturschutzbescheid die Verantwortung trug, Anzeige wegen Amtsmissbrauchs. Das anschließende Volksbegehren konnte letztlich den Kraftwerksbau verhindern. Nach einem jahrelangen Diskussionsprozess wurde schließlich die Hainburger Au als Teil des Nationalparks Donau-Auen unter Schutz gestellt. Auch hier gibt es Zweifel an der Nachhaltigkeit des Auenschutzes. Die Autoren der großen Umweltgeschichte von „Österreichs Donau“ weisen mit Recht darauf hin, dass trotz eines großen Erfolges im Einzelfall das Gesamtbild bedroht bleibt, zumal die Welt nicht am ehemaligen Eisernen Vorhang endet.236 Die überlebenden Auengebiete sind häufig isoliert, da sie nicht mehr regelmäßig überschwemmt werden. Die Schutzmaßnahmen sind nicht überall auf dem gleichen Stand. Bei den Donau-­Auen zwischen Wien und Bratislava handelt es sich um die letzten großflächig naturnahen Auen am Oberlauf der Donau. Auch am Mittel­und Unterlauf des Stromes liegen große, wertvolle Schutzgebiete, sowohl in der Slowakei wie in Ungarn, wo 1988/89 sogar der Bau eines Kraftwerks verhindert wurde. Das reiche zusammenhängende Auengebiet an der mittleren Donau erstreckt sich über drei Staaten  : Ungarn, Kroatien und Serbien, die ebenfalls Schutzgebiete eingerichtet haben. Auch in Rumänien gibt es am Donaudelta ein großes Biosphärenreservat. Dabei ist in den ärmeren Ländern der EU der Druck auf die Naturschutzgebiete groß, die Umsetzung der Maßnahmen ist zum Teil unübersichtlich bzw. lückenhaft. Solange insgesamt der Stromverbrauch nicht sinkt, werden weiterhin Kraftwerke gebaut werden. In der 258

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Donau sind die Fischbestände kontinuierlich zurückgegangen. Auch wenn es bautechnische Lösungen für Fischwanderhilfen, von Fischtreppen bis hin zu bypassartigen Umgehungsgerinnen, gibt, ist die Wasserkraft eine der regenerativen Energien, denen Naturschützer mit Skepsis gegenüberstehen. Die große Transformation der Energiepolitik zu mehr Nachhaltigkeit muss zweifellos europäische Dimensionen aufweisen, um die Flüsse merklich zu entlasten und durchgängig zu gestalten. Dennoch bleibt festzuhalten, dass die naturnahen Abschnitte der Donau heute Bestandteile des europaweiten Programms Natura 2000 sind und damit überwiegend einheitlichen Schutzbestimmungen unterliegen, wie der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie oder der Wasserrahmenrichtlinie. Die verschiedenen Schutzgebiete – Nationalparks, Naturparks, Naturschutzgebiete und Biosphärenreservate – von der bayerischen Donau bis ins rumänische Delta arbeiten heute in dem vom Nationalpark Donau­Auen initiierten Netzwerk danubeparks zusammen. Die Internationale Kommission zum Schutz der Donau (IKSD) entwickelt für alle Anrainerstaaten verbindliche Konzepte. EU­Förderprogramme unterstützen gemeinsame Projekte und eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit. In diesem Kontext wurden 2017 erneut von der EU geförderte Projekte auf den Weg gebracht, die den ökologischen Verbund entlang der Donau stärken sollen. Für Revitalisierungen von Auenzonen, Altarmen und Uferzonen sowie für die Herstellung von Durchgängigkeit durch Fischwanderhilfen weist die Donau große Potenziale auf, mit positiven Auswirkungen auf die Fischbestände. Zahlreiche entsprechende Projekte wurden bereits umgesetzt oder initiiert, wie die Autoren der Umweltgeschichte von „Österreichs Donau“ berichten. Der Leitfisch der Donau ist der Hausen, ein Donaustör. Der bis zu sechs Meter lange Fisch wanderte einst vom Schwarzen Meer bis in den Inn hinauf und brachte, neben reichen Fischereierträgen, auch Kaviar ein. Er wurde auf dem Markt in Wien verkauft, wie historische Abbildungen und Aufzeichnungen zeigen. An der Geschichte dieser vom Aussterben bedrohten Fische lässt sich ablesen, wie ernst es mit dem Naturschutz gemeint ist. Der Hausen war für die Donau so bedeutsam wie die Wanderfische 259

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Lachs, Stör und Maifisch für den Rhein. Ganze Orte lebten von diesen Fischen, die in fantastischen Mengen vorkamen. Durch Überfischung im 19. Jahrhundert bereits stark dezimiert, kommt der Hausen seit dem Bau des Kraftwerks „Eisernes Tor 1“ an der Grenze zwischen Serbien und Rumänien, das die Wanderroute unterbricht, in Österreich nicht mehr vor. Für den Stör gibt es Förderprojekte und vor allem Fangverbote. Aber wie beim Lachs müssen auch viele andere Voraussetzungen gegeben sein. Die europäische Vision für die Donau ist, dass die Donaustöre vom Delta wieder bis nach Wien ziehen.

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Andreas Achenbach, 1815–1910, Ein Seesturm an der norwegischen Küste, 1837, Öl auf Leinwand, 179 × 272 cm, Frankfurt am Main, Städel Museum.

Wilde Meere Das Bild  : Achenbach, Ein Seesturm

Einen „Seesturm“ von Andreas Achenbach zu besitzen war in adelig-großbürgerlichen Kreisen des 19. Jahrhunderts eine Sache von Geschmack und Bildung. Fontane zeigt uns das Arbeitszimmer des Barons Botho von Rienäcker in seinem Roman „Irrungen, Wirrungen“ im Schmuck einer Auswahl guter Bilder, zu denen auch Arbeiten Andreas Achenbachs gehören  : … während in dem Arbeitszimmer ein Andreas Achenbachscher Seesturm, umgeben von einigen kleineren Bildern desselben Meisters, paradierte. Der Seesturm war ihm bei Gelegenheit einer Verlosung zugefallen, und an diesem schönen und wertvollen Besitze hatte er sich zum Kunstkenner und speziell zum Achenbach-Enthusiasten herangebildet. Er scherzte gern darüber und pflegte zu versichern, daß ihm sein Lotterieglück, weil es ihn zu beständig neuen Ankäufen verführt habe, teuer zu stehn gekommen sei, hinzusetzend, daß es vielleicht mit jedem Glücke dasselbe sei.237

Der Maler (1815–1910) war einer der berühmtesten Vertreter der Düsseldorfer Malerschule, ein wahrer Malerfürst, hochgeachtet, als Genie verehrt und äußerst wohlhabend. Sein jüngerer Bruder Oswald Achenbach malte ebenfalls. Er konzentriere sich auf Landschaften des Südens, während Andreas sich auf die raue Atmosphäre des Nordens spezialisiert hatte. Er profitierte davon, dass sich Anfang des 19. Jahrhunderts ein reges öffentliches Ausstellungswesen entwickelte, an dem er intensiv teilnahm. Durch prominente Sammler und öffentliche Ankäufe bereits in Deutschland bekannt geworden, führte ihn seine Ausstellungstätigkeit bis in die USA, wo er sich einen Markt eroberte. Prinz Friedrich von Preußen hatte 1836 einen „Leuchtthurm an stürmischer See“ für seine jüngst restaurierte Burg Rheinstein erworben, was möglicherweise Achenbachs thematische 263

Wilde Meere

Ausrichtung mitbestimmt hat. Auf jeden Fall zeigt das Interesse des adeligen Käufers, dass Achenbach sich bis in höchste Gesellschaftsschichten Anerkennung erworben hatte.238 Eigentlich war das Handelsware, wie wir ebenfalls aus Fontanes Roman erfahren. Der Baron erblickt eine sizilianische Straßenszene Oswalds in einem Schaufenster, die ihm gut gefällt, und beginnt am Marktwert seines Andreas zu zweifeln. Aber Fontane hat subtil mit der Anspielung auf das Glück in der trivialen Floskel seines Protagonisten ein Motiv aufgebaut, das im Roman wie im Bild eine Rolle spielt  : Das Glück kippt im Verlauf des Romans in Ohnmacht und Ausgeliefertsein an die Konventionen der Gesellschaft, an denen, wie oft bei Fontane, eine nicht standesgemäße Liebe scheitert. Die Naturmetapher des Seesturms, in dem das Boot in den Naturgewalten kentert, transportiert diese gesellschaftliche Problematik ins Zeitlos-Schicksalhafte. Andreas Achenbachs Bilder haben oft etwas mit großartigen Szenerien des Wassers zu tun, er malte Naturkatastrophen auf hoher See, Stürme, sinkende Schiffe und Wracks  ; Bilder voller Dramatik und tragischem Scheitern, Zeichen der Ohnmacht vor dem Erhabenen der Naturgewalten. So auch in unserem Beispiel  : In aufgepeitschter Gischt, zwischen scharfe Klippen geworfen, kämpft ein Schiff mit der See. Der Mast ist gebrochen, keine Menschen mehr an Bord, in den Wogen und am Ufer sind noch Trümmer und ein Fass erkennbar. Ein Paar kleine Vögel im Flug sorgen für spannende Größenverhältnisse, denn das Schiff wirkt im Vergleich viel größer, was wiederum die Naturkulisse hervorhebt. Am wild bewegten Wolkenhimmel ruht eine kleine blaue Himmelsöffnung über der Szene. Das Bild steht noch in der Tradition niederländischer Seestücke des 17. Jahrhunderts. Der Maler hatte Beispiele auf seinen Reisen kennengelernt und sich von ihnen inspirieren lassen. Achenbach war tatsächlich in Norwegen, wo er die Szene ansiedelt, jedoch erst zwei Jahre nachdem er das Bild gemalt hatte.239 Aber das ist nicht entscheidend. Achenbach hat eine Metapher des Meeres gemalt, die von der Imagination lebt.

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Achenbach, Ein Seesturm

Die Metaphorik des Meeres und der schicksalhaften Naturszenerien mag für das bürgerliche Publikum, das darin eigene lebensweltliche und politische Ohnmachtserfahrungen spiegeln konnte, entlastend und erhebend gewirkt haben. Sie transportiert aber einen Stoff, der Menschen über Jahrhunderte hin bewegt hat. Und sie nutzt eine Naturerfahrung, die existenziell ist. Sie hängt zusammen mit der Weite des Meeres, seiner mythische Dimension als Ursprung des Lebens und mit der Dynamik einer großen Freiheit, die Menschen jenseits der Zivilisation auf den Meeren gesucht haben. So ein Seestück, wie Achenbach es gemalt hat, kann nur funktionieren vor dem Hintergrund einer Unzahl von Erfahrungen, die Menschen mit der Weite und Gefährlichkeit des Meeres gemacht haben, von Erzählungen, die daraus entstanden sind, und von Bildern, die sich in das kollektive Unbewusste eingeformt haben. Der Philosoph Hans Blumenberg widmet dem „Schiffbruch mit Zuschauer“ 1979 einen Essay, der die Bildlichkeit des Meeres mit der Geschichte des Wissens und der Sprachlichkeit verknüpft. Nicht auszudenken, dass das Meer uns als Reservoir der Lebensmetaphorik abhandenkommen sollte, weil es nicht mehr groß, wild und gefährlich ist, sondern begrenzt und verschmutzt. Der Schiffbruch auf dem Meer ist ein geradezu archetypisches Motiv, das sich schon in Antike und frühem Christentum findet. Das Meer galt als das Maßlose und Ungeheure. Eine vielfältige Bilderwelt durchzieht die Geschichte, die sich in zahllosen Marinebildern wie auch in der Sprache niedergeschlagen hat. „Schiffbruch erleiden“, das „Staatsschiff“, das in den sicheren Hafen einläuft, das „Lebensschiff“, die Lebensfahrt auf dem Meer der Welt oder das „Narrenschiff“ seien hier genannt. Die große Sintflut bringt die Vernichtung durch das Ungeheuerliche und die Arche Noah die rettende Zuflucht. Seefahrergeschichten wie die Sage von den Argonauten, die Fahrten des Odysseus und des Äneas, die Geschichten von Sindbad dem Seefahrer bis hin zu Melvilles großem Roman „MobyDick“ gehören zum Kanon der Weltliteratur. Zuletzt hat Bob Dylan in seiner Nobelpreisvorlesung von 2017 Melvilles Werk und die Odyssee wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit geholt. Immer geht es um das 265

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kleine, gefährdete Gefäß im Element des Unendlichen. Verknüpft damit ist menschliches Leben und Handeln, dessen Verstrickung in Schuld oder Erhebung zur Erlösung sich auch am Verhältnis zu den Elementarkräften des Meeres ermisst. Aber immer noch spielt sich die Meerfahrt im großen Gehäuse der göttlichen Schöpfung ab, Gottes Hand ist denn auch das Leben auf hoher See anheimgegeben. Ein berühmtes Beispiel aus der Weltliteratur gibt die Ballade von Samuel Taylor Coleridge aus dem Jahr 1798, in der ein alter Matrose mutwillig einen Albatros abschießt, der das sturmgefährdete Schiff zuvor aus dem Eismeer herausgeführt und gerettet hatte. „The Rime of the Ancient Mariner“ erzählt von der Gefährdung durch Sturm und die Schrecken des Eises, vom Frevel an der Natur durch Tötung des rettenden Tieres und von der Frage nach Verdammnis und Erlösung. Themen von existenzieller Bedeutung werden im Medium des Meeres verhandelt. Der alte Seemann erzählt seine Geschichte dem Besucher einer Hochzeit, den er damit zu innerer Umkehr bewegen kann. Das Meer rührt an psychische Tiefenschichten. In den imaginativen Welten des Meeres bildet sich das grundsätzliche Verhältnis des Menschen zum Unendlichen ab. Das Meer ist Schauplatz des Erhabenen und einer Metaphysik der Natur. Caspar David Friedrichs berühmtes Bild vom „Mönch am Meer“ etwa veranschaulicht diese Dimension. Der kleine Mensch gegenüber der Unendlichkeit verschwimmt mit dem Element, das Auge findet keinen Halt. Das Bild hat einen Effekt, der in die Moderne überleitet  : Das gemalte, in den Himmel übergehende Meer in seiner monochromen Farbgebung ist auch als Fläche lesbar, die den kundigen Betrachter in Kenntnis der weiteren Kunstgeschichte zur Abstraktion und Farbmalerei des 20. Jahrhunderts führt. Mit der Autonomiebewegung besetzt die Kunst strukturell eine Leerstelle. Nicht von ungefähr war es das Meer, das hier das Übergangsmedium darstellte. Auch Thomas Mann evoziert in seiner Erzählung vom „Tod in Venedig“ den Tiefensog des Meeres  :

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Achenbach, Ein Seesturm

Und die Hände im Schoß gefaltet, ließ er seine Augen sich in den Weiten des Meeres verlieren, seinen Blick entgleiten, verschwimmen, sich brechen im eintönigen Dunst der Raumeswüste. Er liebte das Meer aus tiefen Gründen  : aus dem Ruheverlangen des schwer arbeitenden Künstlers, der vor der anspruchsvollen Vielgestalt der Erscheinungen an der Brust des Einfachen, Ungeheuren sich zu bergen begehrt  ; aus einem verbotenen, seiner Aufgabe gerade entgegengesetzten und ebendarum verführerischen Hange zum Ungegliederten, Maßlosen, Ewigen, zum Nichts. Am Vollkommenen zu ruhen, ist die Sehnsucht dessen, der sich um das Vortreffliche müht  ; und ist nicht das Nichts eine Form des Vollkommenen  ?240

Das in der Raumeswüste lauernde Nichts, das Thomas Manns Gustav von Aschenbach in den Tod zieht, hatte schon die Zeitgenossen Caspar David Friedrichs erschreckt. Denn es bildet sich im Verhältnis Mensch und Meer auch der Verlust einer metaphysischen Dimension ab. Die Erfahrung eines solchen metaphysischen Verlusts bis hin zur Auflösung der Erscheinungen selbst zeigt Herman Melvilles so gar nicht kindgerechter Meeresroman „Moby-Dick“ (1851). Der Roman markiert einen tiefen Einschnitt in der Metaphorik des Meeres. Der Erzähler Ishmael philosophiert über die Schrecken der Farbe Weiß, denn der Wal, das große Unwesen, das man jagt, ist weiß. Es ist bezeichnend für den Roman, dass dieses Unwesen am Ende auf der ganzen Linie siegt. Die Passage ist beunruhigend, denn es bahnt sich eine Erkenntnis an, die das Bild des Meeres wie überhaupt alles Sichtbare zu dekonstruieren in der Lage ist. Ishmael also geht fragend den Erschütterungen nach, welche die Farbe Weiß auslöst  : Ist’s, daß sie vermöge ihrer Unbestimmtheit die Schatten der herzlosen Leeren und Unermeßlichkeiten des Universums vorauswirft und uns so hinterrücks mit dem Gedanken der Vernichtung erdolcht, wenn wir die weißen Tiefen der Milchstraße betrachten  ? Oder ist’s, daß, da die Weiße in ihrem Wesenskern nicht so sehr eine Farbe ist als vielmehr die sichtbare Abwesenheit von Farbe, und gleichzeitig die Verdichtung aller Farben  ; ist’s aus diesen Gründen, daß da eine solche stumme Abwesenheit von allem ist, hochbedeutungsvoll, in einer weiten Schneelandschaft – eine 267

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farblose, allfarbige Welt ohne Gott, vor der wir zurückschrecken  ? Und wenn wir jene andere Theorie der Naturphilosophen bedenken, daß alle anderen irdischen Farbtöne (…), die holden Schattierungen von dämmrigen Himmeln und Wäldern (…) all diese nur abgefeimte Täuschungen sind, nicht tatsächlich den Stofflichkeiten innewohnend, sondern nur von außerhalb ihnen auferlegt  ; so daß alle vergötterte Natur sich vollends anmalt wie die Hure, deren Lockungen nichts anderes bedecken als das inwendige Beinhaus  ; und wenn wir noch weiter gehen und bedenken, daß die rätselhafte Schminke, welche einen jeden von ihren Farbtönen erzeugt, das große Prinzip des Lichtes, selbst auf immer farblos bleibt, und, im Falle es ohne Hilfsmittel die Materie bearbeitete, alle Gegenstände, sogar Tulpen und Rosen, mit seiner eigenen Schattierung des leeren Nichts berühren würde – dies alle erwägend, liegt das gelähmte Universum als Aussätziger vor uns gebreitet  ; und gleich halsstarrigen Reisenden in Lappland, welche sich weigern, getönte und tönende Brillen auf ihren Augen zu tragen, so starrt der erbärmliche Ungläubige sich blind an dem monumentalen weißen Bahrtuch, welches die ganze Aussicht ringsumher einhüllt. Und für all diese Dinge war der Albinowal das Symbol.241

In einem Dreischritt vollzieht sich die Auflösung der bekannten Welt ins weiße Nichts  : Zuerst ist es der Gedanke der unendlichen Weiten des Alls, der das Gefühl der Vernichtung auslöst. Von hier weiterschreitend assoziiert der Gedankengang mit der Abwesenheit von Farbe eine Welt ohne Gott. Die Schrecken einer Welt ohne Gott lassen sich noch steigern  : Es folgt eine Welt ohne Bild. Da die Farben nicht in den Dingen selbst lokalisiert sind, sondern durch das Licht erzeugt, das selbst aber farblos ist, wird das Sichtbare zur fundamentalen Täuschung, ohne die das weiße leere Nichts alles Sichtbare einhüllen würde. Das nicht mehr Sichtbare grenzt an das nicht mehr Sagbare. Der Roman führt an diese Grenze. Der Schlusskampf gilt diesem Mythos des Nichts und wird verloren, das Schiff mit Besatzung geht unter, nur einer bleibt, der eine Geschichte erzählen kann. Dass diese und die folgenden Geschichten durch die Bilder von Seestürmen und kenternden Schiffen nicht mehr erfasst werden können, ist fast eine Selbstverständlichkeit. 268

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Meer und Convenience. Der Gast erwartet die Serviceleistungen der Zivilisation überall.

Das ökologische Auge  : Gemeinsames Erbe der Menschheit Elisabeth Mann Borgese (1918–2002), jüngste Tochter Thomas Manns, verweist mit klarem Blick auf die unheilvolle Wendung, die es mit der „Freiheit der Meere“ genommen hat. Diese Freiheit ist keine Erfindung der Seeräuber oder Matrosen, sondern entstammt der Rechtsgeschichte. Die Geschichte reicht fast 400 Jahre zurück – in die Zeit, als Hugo Grotius seine berühmte Dissertation Mare Liberum (1609) verfasste. Der Ozean, schrieb er, wäre so riesig, dass er, gleich der Luft, durch niemanden zu eigen gemacht werden könnte. Daher herrsche Freiheit. Dies war ungefähr die Zeit, als der moderne Nationalstaat geboren wurde, und zusammen mit ihm der Begriff „Souveränität“. Die Ozeane waren ein Platz, wo es keine „Souveränität“ gab – ausgenommen ein kleiner Streifen Meeresküste, die „Territorialsee“, normalerweise nicht breiter als drei Meilen, so weit, wie das Auge sehen oder eine Kanone schießen konnte, über die der Küstenstaat „Souveränitätsrechte“ besaß. Grotius, von einem Wunderkind zu einem Mann von immenser Kultur und ebensolchem Talent herangewachsen, war, wie die meisten großen Männer, seiner 269

Wilde Meere

Zeit ein wenig voraus, und seine Theorie der Freiheit der Meere zeigte in Wirklichkeit etwas später, was in ihr steckte, als nämlich Großbritannien in der Phase des Aufbaus seines Empires mit Macht für sie eintrat. Im 19. Jahrhundert dann wurde die Freiheit der Meere ideologisch mit anderen Freiheiten in Verbindung gebracht, insbesondere mit der Laissez-faire-Wirtschaftstheorie.242

Die große Freiheit der Meere wurde nun zur Freiheit zu fischen, Müll abzuladen, die Ozeane zu Schiffsautobahnen zu machen, die Meere zu überfliegen, Kabel zu verlegen usw. Die unerschöpflichen und unendlichen Weiten schienen all das herzugeben. Die Freiheit der Meere ist jedoch, so Mann Borgese, ein eurozentrisches Projekt. Sie begünstigte die hochgerüsteten und bestens ausgestatteten Europäer bei ihren Eroberungszügen in die Neue Welt und leistete dem Kolonialismus und der Ökonomisierung der Meere Vorschub. Die Entdeckten dürften nicht erfreut gewesen sein über die Freiheit ihrer Entdecker. Im Zuge der Globalisierung treten neue Akteure auf den Plan, aufstrebende Schwellenländer relativieren den Eurozentrismus, aber vor allem die großen, global agierenden Konzerne sind es, die jetzt nationale Grenzen überschreiten und die Nationalstaaten damit in ihrer Handlungsfähigkeit beschneiden. Die Freiheit der Meere muss, so die Schlussfolgerung, völlig neu betrachtet werden. Elisabeth Mann Borgese setzt sich fortan für ein bahnbrechend neues Seerecht ein. Eigentlich möchte sie die gesamten Meere zum gemeinsamen Erbe der Menschheit machen, aber zumindest für den Tiefseeboden und seine Ressourcen, also ein Gebiet außerhalb der Wirtschaftszonen der Staaten, gelingt das mit der Seerechtskonvention von 1982. Der Paradigmenwechsel hat über die Jahre auch in andere Bereiche hinein gewirkt. Es bleibt eine Idee, die zuerst Elisabeth Mann Borgese zusammen mit Arvid Pardo für die Meere ausformuliert und verbreitet hat  : die Idee vom gemeinsamen Erbe der Menschheit. Diese Idee ist übertragbar. Damit werden die Umrisse eines ethischen Großkonzepts erkennbar, das über nationale und partikulare wirtschaftliche Interessen hinweg eine gemeinschaftliche Verantwortung für die Erde in Rechtssystemen, Politik, Ökonomie 270

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Plastik im Meer erweist sich als eines der gravierendsten Probleme. Das Material verottet nicht, sondern wird in Teilchen zermahlen, die auch in die Mägen von Tieren gelangen. 271

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und Philosophie anmahnt. Die UNESCO hat sich dieser Begrifflichkeit angenommen und sie in zahlreiche Resolutionen eingebracht. Die im Herbst 2015 erschienenen Ziele der UNO zur nachhaltigen Entwicklung – auch Agenda 2030 genannt – enthalten erstmals auch auf weltweiter Ebene Nachhaltigkeitsziele für das Meer. Das Ausmaß der Schäden ist an den Zielen zu ermessen. Unter dem Ziel 14 „Life Below Water“ sind Ozeane, Meere und Meeresressourcen genannt, die zu erhalten und nachhaltig zu nutzen seien. Damit ist u. a. gemeint  : eine deutliche Reduzierung von Müll und Nährstoffbelastung bis 2025, bis 2020 eine nachhaltige Bewirtschaftung der Meeres- und Küstenökosysteme, eine deutliche Reduzierung der Versauerung der Ozeane, bis 2020 Regulierung von Überfischung und zerstörerischen Fangpraktiken sowie Abbau der entsprechenden Subventionen, Förderung des handwerklichen Fischfangs, bis 2020 Ausweis von mindestens 10 Prozent der Küsten- und Meeresgebiete als Schutzzonen …243 Im Juni 2017 fand die erste UNO -Meeresschutz-Konferenz statt. Meere und Ozeane wurden in Deutschland zum „Wissenschaftsjahr“ 2016/17 erklärt, eine Initiative von Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zusammen mit der Initiative Wissenschaft im Dialog. Hinter diesen Aktivitäten tun sich unabsehbare Problemlagen auf, die die Meere als durchaus begrenzt und ebenso begrenzt belastbar erkennen lassen  : Verschmutzungen durch Gifte und Schwermetalle aus der Industrie, durch Phosphate und Stickstoff aus der Landwirtschaft, durch Plastikmüll, der sich sogar in der Arktis sammelt, Lärmverschmutzung durch Schifffahrt und Offshore-Industrie. Abbau von Ressourcen wie Erdöl, Erdgas, wobei immer kleinere Mengen von Öl freiwerden, von Kies, Sand und Steinen für die Bauindustrie, von Erzen in der Tiefsee. Überfischung, illegale Fischerei, schädigende Fangmethoden. Zerstörung von Lebensräumen durch Baumaßnahmen, Zerstörung von Korallenriffen. Einwanderung und Verteilung fremder Arten durch den Schiffsverkehr und, ein weiterer Tiefpunkt  : die Auswirkungen des Klimawandels auf die Weltmeere – Erwärmung, Anstieg des Meeresspiegels und Ozeanversauerung durch gelöstes CO2 im 272

Achenbach, Ein Seesturm

Meer. Vor allem in den küstennahen Regionen häufen sich die Probleme für die Menschen wie auch für die Meeresbiotope. Ein Anstieg des Meeresspiegels könnte verheerende Auswirkungen auf die in Küstennähe liegenden Siedlungen haben, sofern nicht finanzielle Mittel vorhanden sind, um die Dämme zu erhöhen. Nur die Ölverschmutzung ist etwas zurückgegangen. Ganz neue Herausforderungen aus ozeanischen Rohstoffressourcen sind im öffentlichen Diskurs noch bei Weitem nicht ausdiskutiert  : Methanhydrat und Manganknollen seien hier genannt. Methanhydtrat ist im Meer eingeschlossenes gefrorenes Erdgas, dessen Abbau international erforscht und zum Teil schon projektiert wird. Die Vorkommen liegen häufig in den „ausschließlichen Wirtschaftszonen“, in denen die Küstenstaaten exklusive Rechte an den Bodenschätzen haben. Reiche Vorkommen z. B. in Asien lassen dort Hoffnungen auf eine Gewichtsverschiebung im globalen Energiemarkt aufkommen. Zu den Risiken zählt hier, dass es beim Abbau zu Rutschungen an den Kontinentalhängen kommen kann oder bei Lecks zum Entweichen von Methan in die Umwelt. Die metallhaltigen Manganknollen liegen am Meeresboden, ihr Abbau ähnelt dem Bergbau über Tage – mit ähnlichen ökologischen Folgen  : Die weiträumige Abtragung des Meeresbodens würde für Jahrzehnte irreparable Schäden hinterlassen. Da die Vorkommen, anders als die Gashydrate, überwiegend im Bereich des gemeinsamen Erbes der Menschheit liegen, bemüht sich die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) um eine Regulierung der Vergabe von Claims und die Einrichtung von Schutzgebieten. Ob der Tiefseebergbau in großem Stil starten wird, ist noch unklar. Wo jedoch die ausschließlichen Wirtschaftszonen der Länder betroffen sind, ist mit einem Abbau doch zumindest zu rechnen.244 Das neue Katastrophenszenario der Meere ist vielteilig und unübersichtlich. Zu lange hat man die Meere im Irrglauben an ihre unendlichen Weiten zum Verschwindenlassen von Unbrauchbarem und Herausholen von Brauchbarem missbraucht. Nun wird langsam klar, dass die großen Wasserbecken zu voll werden, zu warm und zu schmutzig. Die Politik der Wiederherstellung der Meere ist ohne Romantik und ohne Tragik. Alles ist 273

Wilde Meere

menschengemacht. Wie beim Klima kann eine nachhaltige Entwicklung der Meeresnutzungen nur durch Kooperation vieler Länder gelingen, was enormen Abstimmungsbedarf und viele beteiligte Institutionen bedeutet. Das Ideal einer guten Meerespolitik erfordert ausgefeilte Managementmethoden und eine hervorragende Datenbasis. Partikulare und wirtschaftliche Interessen fahren immer wieder dazwischen. Dennoch gibt es einige positive Ansätze, dazu gehören  : Verschärfung der Schadstoffgrenzwerte der Schiffe, das Walfangmoratorium von 1986, die gemeinsame Fischereipolitik der EU und generell der Aufbau von Kompetenzen bei den Menschen, die in den Lebensräumen der Meere agieren.245 Aber der große Durchbruch ist noch nicht erkennbar, fast täglich alarmieren die Medien mit neuen Berichten zur Schädigung der Meere. Mit Emotionalität wird nicht gespart. Wir leben offenbar in einer Phase der Rache der Natur. Dabei lieben die Menschen das Meer, machen Urlaub an den Stränden und genießen große Kreuzfahrten. Sie lieben genau das, was die Bilder und Mythen zeigen  : das Tiefe und Abgründige, die Weite und Großartigkeit des Raumes und die Freiheit des Blicks. Aber sie meiden das Gefährliche und erwarten alle Bequemlichkeiten ihrer Heimat auf dem Festland. Die Liebe zum Meer hat ihren Weg zur Rettung der Meere noch nicht gefunden.

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Caspar Wolf, 1735–1798, Der Lauteraar-Gletscher, 1776, Öl auf Leinwand, 55 × 82,5 cm, Basel, Kunstmuseum.

Erhabene Berglandschaften Das Bild  : Wolf, Der Lauteraar-Gletscher

Gletscher und Berge Ganz klein betrachten Menschen das erhabene Bild der Berglandschaft, das sich vor ihnen ausbreitet. Die Kategorie des Erhabenen bzw. Sublimen hatte sich in der Ästhetik des 18. Jahrhunderts rasant verbreitet und war gleichberechtigt dem Begriff des Schönen an die Seite getreten. Wilde Wälder und die bis dahin nicht erschlossenen Höhen der Alpen waren ausdrucksstarke Sujets dieser Darstellungsintention. Das geschäftige Personal unseres Bildes deutet schon an, worauf das alles hinausläuft  : Die Staffagefiguren zeigen eine Typologie der Beschäftigungen mit der Bergwelt, die alle eine Zukunft haben  : als Maler, als touristischer Bewunderer sowie als beobachtender Naturforscher, wie vor allem bei den Figürchen an der Eispyramide rechts im Vordergrund zu sehen ist. Tourismus in den Alpen gibt es seit dem 18. Jahrhundert. Aber schon im 16. Jahrhundert waren die Alpen von humanistisch gebildeten Naturwissenschaftlern bewundert worden. Davor überwog der Schrecken, später wurde die Verehrung der Wildnis sentimental. Die Theorie des Erhabenen beruft sich auf den antiken Pseudo-Longinos sowie in der Philosophie der Neuzeit auf Edmund Burke und Immanuel Kant. Schrecken und Faszination mischen sich in diesem Begriffsfeld, das die ambivalente Beziehung zwischen Mensch und Natur bis in die Gegenwart umfasst. Die Katastrophe ist hier immer mitzudenken. Der Schweizer Maler Caspar Wolf (1735–1798), Sohn eines verarmten Tischlers aus Muri im Kanton Aargau, hatte sich nach einer Ausbildung als Kirchen- und Dekorationsmaler auf Gebirgslandschaften spezialisiert. Er konnte sich auf Studienreisen nach Deutschland und durch Aufenthalte in Paris zu einem bedeutenden Landschaftsmaler entwickeln, dessen 277

Erhabene Berglandschaften

innovative Leistung darin bestand, die Gefühlswerte und Stimmungen der Landschaft in teils dramatischen Zuspitzungen einzufangen. Ein Zeitgenosse charakterisiert dies so  : Wolf ist der Maler der erhabenen, mildern und schreckenvollen Schönheiten der Schweiz. Er ist tiefer in das Eis und den Schnee der Alpen und Eisberge eingedrungen, als je ein Liebhaber oder Künstler vor ihm  ; (…) Er ist äusserst treu und genau in seinen Umrissen, sein Pinsel ist männlich und kühn (…).246

Im Auftrag des Berner Verlegers Abraham Wagner, mit dem Wolf die Schweiz durchwanderte, hatte er einen bedeutenden und umfangreichen Zyklus von Alpenlandschaften geschaffen. Nach diesen Landschaften wurden Stiche für Alben angefertigt, die in den breiten Verkauf gingen.247 Aus dieser Zeit datiert auch unser Gemälde. Er schuf damit die ersten genauen Darstellungen des Unteraargletschers. Im Gebiet des sogenannten Abschwungs, beim Zusammenfluss des Finsteraar- und des Lauteraargletschers, entstanden vermutlich in den Jahren 1774 bis 1777 drei Ölskizzen und drei Ölgemälde. Insgesamt unternahm Wolf wahrscheinlich acht Reisen in die Schweizer Bergwelt, bei denen etwa 200 Gemälde entstanden. Er gilt heute als wichtigster Schweizer Landschaftsmaler des 18. Jahrhunderts. Die Reise mit Wagner, der zu einem Kreis gebildeter Naturfreunde um Albrecht von Haller gehörte, brachte Wolf auch mit dem Pfarrer und Naturforscher Jakob Samuel Wyttenbach zusammen, der an mindestens zwei der Reisen teilnahm. Aufzeichnungen Wyttenbachs geben eine Vorstellung davon, welche Forschungsprogramme die gelehrten Reisenden im 18. Jahrhundert verfolgten. Wyttenbach berichtete später von der Stelle, die Wolf gemalt hat, wo sich der Gletscher in verschiedene Arme zertheilet und bey seinem Vereinigungspunkte grosse Haufen von Schutt und ungeheuer grosse Geschiebe zusammengetrieben hat. Diese Stelle hat Wolf abgemahlt, sie diente uns als Ruh- und Standpunkte – ich brachte daselbst meine Barometer und Thermometer in Ordnung. 278

Wolf, Der Lauteraar-Gletscher

Er sammelte Gesteinsproben und topografische Bestimmungen, darüber hinaus beschäftigte sich Wyttenbach mit dem Beobachten morphologischer Phänomene der Gletscheroberfläche. Besonders fasziniert war er von den Eispyramiden und den Gletschertischen  : Etwas weiterhin fiel mir ein Phänomen auf, das ich bisher noch auf keinem Gletscher gesehen hatte, und dies war ein 18–20 Schuh (ca. 5–6 m) langes und im Verhältnisse breites und dickes Felsstück, welches mitten in einem Bassin von Eise auf einem dicken schönen ungefähr mannhohen Eispfeiler in völligem Gleichgewichte lag, und einen der sonderbarsten Anblicke darstellte. Dieser grosse Stein lag, so wie tausend andere, auf der Ebene des Gletschers (…).248

Bei der Stelle, die Caspar Wolf gemalt hat, handelt es sich um einen berühmten und geschichtsträchtigen Ort in mehrerer Hinsicht  : Einmal war der Lauteraargletscher eine der Sehenswürdigkeiten des 18. Jahrhunderts, die jeder Alpenreisende besuchen musste. Der Felsblock ist wahrscheinlich der gleiche, der später auch die Wiege der Glaziologie, der modernen Gletscherkunde, beherbergte. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte es eine wissenschaftliche Debatte gegeben, ob eine prähistorische Phase der Eiszeit existiert habe, in der die Gletscher der Hochgebirge bis ins Flachland reichten. Eine These, die offenkundig den Aussagen der Bibel widersprach. Diese Auseinandersetzung gab den Anstoß zu einer systematischen Erforschung und Vermessung der Gletscher. Der Solothurner Naturhistoriker Franz Josef Hugi führte zwischen 1827 und 1831 Messungen auf dem Unteraargletscher durch, gefolgt vom schweizerisch-amerikanischen Gletscherforscher Louis Agassiz zwischen 1840 und 1854. Es war vermutlich der große Felsblock, den Caspar Wolf gemalt hat, der den Forschern als Unterschlupf diente und mit dem Namen „Hôtel des Neuchâtelois“ belegt wurde. Die Gletscherforschung ist heute eine Wissenschaft, die wesentliche Erkenntnisse zur Erforschung der Klimaentwicklung beiträgt. Das Gletschermessnetz umfasst mittlerweile rund 120 Gletscher, wovon 15 im UNESCO-Welterbe liegen. Alle im Welterbe vermessenen 279

Erhabene Berglandschaften

Gletscher

Eisformation im Gebirge. 280

Wolf, Der Lauteraar-Gletscher

haben sich aufgrund des Klimawandels zurückgezogen. Heute ist genau dieser Felsblock, der Wolf als Motiv diente, nicht mehr vorhanden  ; er ist möglicherweise hinabgewandert und in einem großen Stausee verschwunden, dem Grimselsee. Gletscher zählen zu den aussagekräftigsten Klimaindikatoren. Der seit dem letzten Gletscherhochstand am Ende der Kleinen Eiszeit um 1850 / 1860 beobachtete Schwund der Alpengletscher hängt zweifellos mit der globalen Erwärmung zusammen und entspricht ungefähr der gemessenen Temperaturerhöhung von etwa 1 bis 2° C im Alpenraum. Der anhaltende und heute beschleunigte Gletscherschwund hat das Erscheinungsbild der Alpen sichtbar verändert. Es entstanden neue unvergletscherte Flächen, die Gletschervorfelder, die je nach Höhenlage kahl sind oder allmählich wieder von der Vegetation eingenommen werden. Der Klimawandel ist erlebbar geworden. (…) Von 1850 bis 2000 haben die Alpengletscher rund 50 Prozent, die Schweizer Gletscher 40 Prozent ihrer Fläche verloren. Im selben Zeitraum haben die Alpengletscher fast zwei Drittel ihres Eisvolumens eingebüsst. In einem Extremsommer wie 2003 gehen von der schweizerischen Eismasse 3,5 Prozent verloren. Im UNESCO Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch sind rund 125 Gletscher kleiner als ein Quadratkilometer. Mit grösster Wahrscheinlichkeit wird davon die Mehrheit im Jahr 2050 verschwunden sein.249

Dies ist nicht das einzige Problemfeld. Tourismus und Wintersport haben in den Alpen ebenfalls Dimensionen erreicht, die Handlungsdruck erzeugen  : Die Alpen und ihre Eismeere sind nicht mehr Refugien der Ungeheuer und die Farbe Weiß des „ewigen“ Eises steht nicht mehr für die Schrecken der Unendlichkeit. Aber die Alpen drohen auch als Tourismusziel ihre Attraktivität zu verlieren, wenn die Menschen dort nicht mehr finden, was sie eigentlich suchten  : freie Aussicht, erhabene Landschaften, die Herausforderungen der Natur und Schnee.

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Erhabene Berglandschaften

Landschaft der Dichter und Philosophen Viele Beschreibungen der Entdeckung der Bergwelt beginnen mit dem berühmten Aufstieg des italienischen Dichters Francesco Petrarca auf den Mont Ventoux im Jahr 1336. Oben angekommen, schlägt Petrarca ein Buch auf, die Bekenntnisse des heiligen Augustinus, und denkt über die Bestimmung des Menschen nach zwischen Entdeckungen in der Außenwelt und der innerseelischen Welt frommer Betrachtungen. Obwohl die berühmte Episode wenig Auskunft gibt über das eigentliche Bergerlebnis Petrarcas, ist sie doch typisch für die weitere Geschichte der Bergwelt. Speziell die Alpen sind vor dem großen Aufbruch der Touristen eine symbolische Landschaft der Künstler und Philosophen gewesen. Ab der Mitte des 17. Jahrhundert hatte sich in England die Übersetzung des Textes eines antiken Autors verbreitet, der als Dionysios Longinos „Über das Erhabene“ geschrieben hatte. Dieser heute „Pseudo-Longinos“ genannte Autor lieferte die Vorlage der späteren Denkbewegungen für die Bewunderung des Außerordentlichen. Vor allem Edmund Burkes Traktat „A Philosophical Enquiry into the Origin of Our Ideas of the Sublime and Beautiful“ (1757/59) verbreitete sich rasch in der gebildeten Welt Europas. Burke prägt die Formel, nach der erhaben ist, was Schauder hervorruft, aber es ist ein angenehmer Schauder des Betrachters, der ohne eigene Gefährdung schreckenerregenden Objekten gegenübersteht. Im Unterscheid zum Schönen ist das Erhabene mysteriös, dunkel, unbegrenzt und unendlich, riesenhaft in den Dimensionen. Auch rauh und wild, normabweichend und ungebärdig. Im 18. Jahrhundert verlagert Immanuel Kant den Akzent des Erhabenen mehr ins subjektive Erleben und fügt die Nuance hinzu, dass auch das Bewusstsein, der scheinbaren Allmacht der Natur einen vernünftigen Widerstand entgegenzusetzen, den Genuss des Erhabenen steigere.250 Eine Haltung, wie gemacht für Künstler und deren touristisch interessierte Nachfolger. Der Dichter der Alpen wurde Albrecht von Haller (1708–1777), einer der großen Universalgelehrten und zentrale Figur der Aufklärung, mit 282

Wolf, Der Lauteraar-Gletscher

dem „Versuch Schweizerischer Gedichten“. Er stellt sein Werk „Die Alpen“ (1729) selbst zu Beginn als Ergebnis einer großen Alpenreise vor. Aber es ist keine Reisebeschreibung. Das Gedicht enthält zum Teil Reflexionen und Besinnliches, zum Teil wird das tugendhafte Leben der Schweizer besungen. Albrecht von Haller macht deutlich, dass die Tugenden der Aufklärung eigentlich in der Schweiz beheimatet sind. Ein einfaches Volk naturnaher und freiheitsliebender Menschen lebt hier in einer ländlichen Welt, die Haller in scharfen Kontrast setzt zur Zivilisation des Reichtums, der Verweichlichung und der Ausschweifungen in den Städten. Auch die Landschaft der Alpen beschreibt Haller gelegentlich, wobei ein Repertoire aus Gipfeln, Wolken, reißenden Wasserfällen und finsteren Wäldern die Umrisse der Landschaften des Erhabenen markiert. Seine Schilderung der Landschaft am Schreckhorn wurde berühmt, der Berg ist mehrfach von Caspar Wolf gemalt worden und auch im Hintergrund unseres Gemäldes präsent. Der Dichter ergänzt seine Verse durch sachdienliche Anmerkungen, wonach mit den beiden „Seen“ Nordsee und Mittelmeer gemeint sind. Außerdem merkt er an, dass das Gold in der Aare nicht von den Gebirgsbewohnern gewaschen wurde  ; sie waren zu reich dazu. Und folgerichtig wendet sich der Hirte auch von diesem Schatz ab, um der Welt so ein Beispiel frugaler Genügsamkeit zu geben. Aus Schreckhorns kaltem Haupt, wo sich in beide Seen Europens Wasser-Schatz mit starken Strömen teilt, Stürzt Nüchtlands Aare sich, die durch beschäumte Höhen Mit schreckendem Geräusch und schnellen Fällen eilt  ; Der Berge reicher Schacht vergüldet ihre Hörner Und färbt die weiße Flut mit königlichem Erzt, Der Strom fließt schwer von Gold und wirft gediegne Körner, Wie sonst nur grauer Sand gemeines Ufer schwärzt. Der Hirt sieht diesen Schatz, er rollt zu seinen Füßen, O Beispiel für die Welt  ! er siehts und läßt ihn fließen.

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Erhabene Berglandschaften

In den „Alpen“ hat Haller einen Hort der Tugend, Gleichheit und Freiheit geschaffen, der die Schweiz zu einem besonderen Ort Europas machte  : Hier herrscht kein Unterschied, den schlauer Stolz erfunden, Der Tugend untertan und Laster edel macht  ; Kein müßiger Verdruß verlängert hier die Stunden, Die Arbeit füllt den Tag und Ruh besetzt die Nacht  ; Hier läßt kein hoher Geist sich von der Ehrsucht blenden, Des Morgens Sorge frißt des Heutes Freude nie. Die Freiheit teilt dem Volk, aus milden Mutter-Händen, Mit immer gleichem Maß Vergnügen, Ruh und Müh. Kein unzufriedner Sinn zankt sich mit seinem Glücke, Man ißt, man schläft, man liebt und danket dem Geschicke.251

Vermittelt über die wachsende Bekanntheit der Alpen im Lichte von Hallers Dichtungen wurde die Schweiz zum leuchtenden Beispiel freiheitlicher Verfassung und Lebensweise. Nachdem die Schweizer Ende des 15. Jahrhunderts Maximilian I. geschlagen und ihre Unabhängigkeit errungen hatten, war die Freiheit der Schweiz in ganz Europa sprichwörtlich und Wilhelm Tell ihr Protagonist geworden.252 Schillers gleichnamiges Drama setzte ihm ein Denkmal. Für Schiller ist bereits das Erhabene ein Signal der Freiheit, allerdings erhebt es den Menschen auch über die Natur und ihre sinnlichen Bindungen. Schillers Freiheitsprogramm wendet sich gegen eine Natur, die den Menschen zum Sklaven physischer Notwendigkeit macht. Das Erhabene trägt darüber hinweg. In politischer Hinsicht ist bei Schiller immer noch die Schweiz das Haus der Freiheit, aber sein „Wilhelm Tell“ zeigt nun mit der Entwicklung der Hauptfigur zu einer gesteigerten Reflexivität, dass eine naturnahe Naivität zum Kampf gegen die Tyrannei nicht ausreicht. Der Freiheitsmythos reichte bis ins 19. Jahrhundert, als Lord Byron auch die Schweiz bereiste, wo wir ihn im ersten Kapitel dieses Buches am Genfer See antrafen. Byron und Shelley wandelten auf den Spuren des 284

Wolf, Der Lauteraar-Gletscher

berühmten Romans „Julie ou la Nouvelle Héloïse“ (1761) von Jean-Jacques Rousseau, der in der Manier Hallers das Schweizerische und speziell die Alpen zum Hort tugendhafter Freiheitlichkeit erhebt. Dieses und andere Werke Rousseaus machten die Gegend um den Genfer See zur Pilgerstätte aller demokratielebenden Bildungsreisenden, wie eben auch Byrons und Shelleys, die einzelnen Stationen der Romanhandlung andachtsvolle Besuche abstatteten.253 Und ebenfalls ein Engländer ist es, nämlich John Ruskin, der 1865 die ersten Zivilisationsschäden am Haus der Freiheit beklagt, die eine Koalition aus Revolutionären, Technikern, Bergsteigern und Touristen angerichtet hat  : Sie haben die Natur verachtet, d. h. alle tiefen und heiligen Gefühle für landschaftliche Schönheit. Die französischen Revolutionäre machten Ställe aus den Kathedralen Frankreichs  ; sie haben Rennbahnen aus den Kathedralen der Erde gemacht. Ihr einziger Begriff von Vergnügen besteht darin, in Eisenbahnwagen um die Schiffe der Kirchen herum zu fahren und von ihren Altären zu essen. Sie haben eine Eisenbahnbrücke über den Rheinfall von Schaffhausen errichtet  ; Sie haben Tunnels durch die Felsen von Luzern, bei der Tellkapelle angelegt  ; Sie haben das Ufer bei Clarens am Genfer See zerstört (…)  ; die Alpen selbst, die Ihre eigenen Dichter so verehrungsvoll liebten, werden von Ihnen nur wie die eingeseiften Kletterstangen in einem Bärenzwinger betrachtet, um daran „mit lautem Freudengeschrei“ herauf und herunter zu klettern. Wenn Sie nicht mehr schreien können und die menschliche Stimme nicht mehr genügt, Ihre Freude auszudrücken, dann erfüllen Sie die stillen Täler mit Sprengpulverexplosionen und stürzen nach Hause, rot von dem Hautausschlag der Überhebung und redselig mit dem krampfhaften Schluckauf der Selbstbefriedigung.254

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Erhabene Berglandschaften

Das ökologische Auge  : Nachhaltige Bewirtschaftung der Alpen Erneuerbare Alpen Nachdem die Alpen so viele Jahrzehnte lang Europas Vorreiter- und Musterregion waren, bevor zu viele Nutzer die Ziele ihrer Sehnsucht erreichten, können sie es vielleicht in Zukunft wieder sein. Mit der „Alpenkonferenz“ hat auch diese Region ein internationales Gremium, das sich um den Schutz der Region und ihre nachhaltige Entwicklung kümmert. Beteiligte dieses Abkommens sind die Alpenstaaten Deutschland, Frankreich, Italien, Liechtenstein, Monaco, Österreich, Schweiz und Slowenien sowie die EU. Eine Vorreiterrolle für die Bewahrung der Alpen spielt dabei der Bayerische Alpenplan, der eine Aufteilung in drei Zonen vorsieht  : Zone A (ca. 35 Prozent der bayerischen Alpen) ist die Erschließungszone, in der die touristischen und wirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten ausgebaut werden. Die Zone B (ca. 22 Prozent) firmiert als Pufferzone, in der Projekte erst nach ökologischer Prüfung zugelassen werden, und Zone C (ca. 42 Prozent) ist als Ruhezone streng geschützt. Eigentlich eine Erfolgsgeschichte mit Modellcharakter, wenn die Zonierung immer konsequent eingehalten wird.255 Die Alpenkonferenz des Jahres 2012 fand unter dem vielversprechenden Motto „Erneuerbare Alpen“ statt. Auch diese Institution verschreibt sich mehrjährige Arbeitsprogramme. Die Fassung für 2017 bis 2022 widmet sich einer Vision für den Alpenraum als Pionierregion für nachhaltiges Leben. Das Programm basiert auf den Ergebnissen von fünf Alpenzustandsberichten und den hier ersichtlichen Problemfeldern. Generell tut sich in der Region ebenfalls modellhaft ein Spannungsfeld zwischen Ökologie und wirtschaftlicher Entwicklung auf. Neben der Gefahr der Übernutzung der Landschaft durch alle Arten des Tourismus gibt es noch weitere Stressfaktoren  : Der Klimawandel macht der Region zu schaffen in Form von Gletscherschmelze, Verlust von Schnee in Skigebieten und verstärkter 286

Wolf, Der Lauteraar-Gletscher

Der Königsee im Berchtesgadener Land, fotografiert vom sogenannten „Malerwinkel“ aus. Er gehört zur Pflegezone im Nationalpark Berchtesgaden und ist entsprechend geschützt.

Katastrophenneigung. Die in den Alpen traditionsreiche Nutzung der Wasserkraft wirft ökologische Fragen auf  : eine Thematik, die nur im Rahmen einer europäischen Energiewende zu bearbeiten ist. Die zahlreichen Verbauungen in den Alpen – von der Hochstraße über die Eisenbahnbrücke bis zum karabinerhakengesicherten Kletterpfad, im Verein mit Hütten und sonstigen Stationen, Seilbahnen und Liften, ganz zu schweigen von Skipisten – kann jeder Besucher selbst in Augenschein nehmen, im Bewusstsein, gerade durch pure Anwesenheit zur Misere beizutragen. Viele der jährlich 100 Millionen Touristen suchen die Region mit dem Flugzeug auf, die meisten reisen mit dem Privatauto. Die Alpenregion ist außerdem einem starken demografischen Wandel ausgesetzt, bei dem manche Regionen in den traditionsreichen ländlichen Bereichen bzw. im eigentlichen Gebirge sich entleeren, während andere zu städtischen Ballungszentren heranwachsen. 287

Erhabene Berglandschaften

Für erstere Gebiete könnte man daher statt von Übernutzung auch von Unternutzung sprechen. Unter dem Begriff „New Highlanders“ verzeichnet man einen gegenläufigen Trend von Menschen, die gerade in die ländlichen Alpenregionen ziehen, wobei nicht klar ist, ob das nur vorübergehend oder tatsächlich eine Trendwende ist. Das Arbeitsprogramm der Alpenkonferenz konzentriert sich auf fünf Schwerpunkte  : Menschen und Kultur, Maßnahmen gegen den Klimawandel, Biodiversität und Landschaft, grünes Wirtschaften und nachhaltigen Verkehr. Man verfolgt einen in jeder Hinsicht integrierten und bereichsübergreifenden Ansatz.256 Die Modellregion für Nachhaltigkeit wäre, wenn sie denn tatsächlich Realität würde, wie einst die Freiheitsrepublik ein wichtiges Vorbild für die ganze Welt, denn mit der Globalisierung und zunehmender Mobilität geraten auch andere Bergregionen der Welt in den Fokus wildnissuchender Menschen und wirtschaftlicher Nutzungsansprüche. Eine Vielzahl von Initiativen setzt sich für eine nachhaltige Entwicklung der Alpen ein. Natur soll hier weder Gegnerin noch Opfer sein, sondern Partnerin und Heimat. Man ist sich einig, die ursprünglichen Natur- und Kulturlandschaften der Alpen erhalten und respektvoll nutzen zu wollen. Überhaupt tauchen die Begriffe Respekt und Partnerschaft in diesen Initiativen häufiger auf. Sie zeigen die Ansätze eines neuen Verhältnisses zur Natur.

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Ausblick Betrachten wir die unterschiedlichen Interpretationsebenen im Rückblick, so zeigt sich, dass die Landschaftsmalerei in einer Phase blühte, in der die Natur als unerschöpfliches und unendliches Reservoir gesehen werden konnte, als Kraftzentrum des Alls, aus dem alles Lebendige, auch die Menschen, Wachstum und Entwicklung beziehen konnte. Im 19. Jahrhundert werden die metaphysischen Dimensionen der Naturanschauung abstrakter, philosophischer, die kreativen Potenziale gehen ins Psychische über. Mit der Wende zu Moderne und zur Abstraktion wird deutlich, dass strukturell nun die Kunst als Medium der Kreativität viele Leerstellen einnimmt, die eine benutzte und übernutzte Natur freigibt. Das schöpferische Kraftzentrum ist jetzt der Mensch. Gegenläufig zur optimistischen Naturmetapher erscheint im Lichte eines Kampfes gegen Hungersnöte und Katastrophen die Natur als große Gegnerin, die bezähmt und eingedämmt werden muss. Vor allem im Laufe der Kleinen Eiszeit ist dies die vorherrschende Perspektive für technische Entwicklungen und Modernisierungsschübe geworden. Mit dem Prozess der Modernisierung wächst auch die Motivation für die Produktion innerer wie äußerer Bilder von Landschaften, die kompensatorisch diesem Prozess gegenübertreten. Die Utopien der schönen Landschaften spiegeln ein Wissen um das Besondere. Im Verlaufe der Industrialisierung erweist sich, dass die Natur endlich und erschöpfbar ist. Wir verlieren heute nicht nur Arten und Biotope, wir verlieren die Landschaft und ihre Bilder. Ansätze eines Wandels zeigen sich im Diskurs der nachhaltigen Entwicklung, der es immer noch schwer hat, in der Breite so weit wirksam zu werden, dass zumindest der Klimawandel aufgehalten werden kann. Aber letztlich wird es um viel mehr gehen, nämlich darum, Lebensstile zu entwickeln, die zukunftsfähig und global verallgemeinerbar sind. Offenkundig ist es aber schwierig, diese Bewusstseinslage in Handlungen zu überführen. 289

Ausblick

Die symbolbildende und bilderschaffende Kraft der Menschen sollte hierbei nicht unterschätzt werden. Bilder können Beweggründe sein, Menschen in Bewegung versetzen, zum Handeln motivieren. Die Imaginationskraft als mythenschaffendes Vermögen schlechthin kann vielleicht gerade die Brücke zwischen Natur und Menschen schaffen, die für ein verändertes Verhältnis erforderlich ist. Hier setzt die genuine Bedeutung der Kunst ein. Die Bilderwelt der Geschichte gibt Wegweiser aus einer vergangenen Welt in die Zukunft.

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Anmerkungen 1  Vgl. Schneider (2011), S. 13. Ein historisch prominenter Vertreter der Kompensationsthese ist der Aufklärungsphilosoph Denis Diderot (1767). Vgl. dazu Böhme (2017), S. 7 f. 2  Definition zitiert nach Radkau (2011), S. 551. Zum Begriffsfeld insgesamt und der Definition des Brundtland-Berichts vgl. Grunwald (2016), S. 22 ff. Zur Kritik am Nachhaltigkeitsbegriff vgl. Herrmann (2013), S. 33. 3  Vgl. Büttner (2006), der diese eigene Traditionslinie besonders hervorhebt. Landschaftsmalerei ist insofern nicht primär als spätes Derivat der Historienmalerei zu betrachten. Die utopische Dimension Arkadiens und des Goldenen Zeitalters in Verbindung mit dem Paradiesmythos betont Schneider (2011), S. 9 ff. 4  Vgl. Büttner (2006). 5 Vgl. WBGU (2011). 6  Genannt seine hier die Geschichte der Landschaftsmalerei von Nils Büttner (2006), die Arbeiten von Peter Poschlod (2015) und Hansjörg Küster (2013 a, b) zur Geschichte der Landschaft, Stefan Bartilla (2005) und Simon Schama (1996) zur Wildnis sowie David Blackbourn (2007) zur Eroberung der Natur. Eine ältere Publikation befasst sich explizit mit der öko-

logischen Fragestellung im Spiegel der Kunst  : Bernhard Buderath und Henry Makowski (1986) geben chronologisch Einblicke in die Geschichte aller Bereiche der Landschaft, in die zahlreiche Beispiele der Landschaftsmalerei eingebettet sind. Die Publikation bietet, bei unklarer Quellenlage, eine Fülle kulturund naturhistorischer Details. Der normative Rahmen der ökologischen Betrachtungen von Henry Makowski ist der Naturschutz, nachhaltige Entwicklung und Klimawandel waren damals noch nicht im Fokus. Der methodische Ansatz wird aktuell wieder aufgegriffen im Begleitheft zum Katalog der Dresdner Ausstellung „Das Paradies auf Erden“ (2016), das in Kooperation mit der Sächsischen Landesstiftung Natur und Umwelt (LaNU) entstand. Hier werden für ein jugendliches Publikum ökologische Zusammenhänge den Bildern abgelesen. Bernd Herrmann (2011) fordert in einem methodisch fundierten Essay „100 Meisterwerke umwelthistorischer Bilder“ zur Entwicklung einer umwelthistorischen Ikonologie auf und verweist darauf, dass Nachhaltigkeit keine naturwissenschaftliche, sondern eine ethische Kategorie sei.

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Anmerkungen 7  Vgl. etwa die Arbeiten von Sabine Wilke (2015) und Christa GreweVolpp (2015). 8  Vgl. Büttner (2006), S. 174. 9  Kulturstiftung Ruhr (1997, Hrsg.), S. 380, 383. Vgl. auch Büttner (2006), S. 175. 10  Sebald (2001), S. 19 ff. 11  Büttner (2016), S. 35. 12  Mutschlechner (2016). 13  Chronik von Bad Windsheim, zitiert nach Poschlod (2015), S. 81. 14  Aufzeichnungen aus Erfurt, zitiert nach Poschlod (2015), S. 82. 15  Zu den Veränderungen der Kulturlandschaft in der Kleinen Eiszeit vgl. Poschlod (2015), S. 81 ff. und 97 ff. 16  Vgl. dazu Gerste (2015), S. 92 ff. 17  Vgl. zum aktuellen Forschungsstand  : Artikel „Kleine Eiszeit“ des Hamburger Bildungsservers und des Climate Service Center Germany zum Klimawandel. 18  Behringer (2016), S. 165 f. 19  Ebd., S. 175. 20  Ebd., S. 207. 21  Blom (2017). 22  Vgl. Gerste (2015), S. 190 ff. 23  Vgl. Oeschger Zentrum für Klimaforschung (2016, Hrsg.), S. 21. 24  Vgl. ebd. 25  Vgl. Ebeling (1970). 26  Shelley (1970), S. 133. 27  Vgl. Alfred-Wegener-Institut, Pressemeldungen vom 13.9.2016, 11.5.2017 und andere. 28  World Meteorological Organisation, Pressemeldung vom 21.3.2017. 29  Vgl. Alfred-Wegener-Institut, Meer­ eisportal. 292

30  Zur Wissenschaftsgeschichte des Klimawandels vgl. Kriener (2017), S. 6–9. 31  Vgl. Behringer (2016), S. 254 ff. 32  Vgl. Homepage der deutschen IPCC-Koordinierungsstelle, wo auch die Berichte heruntergeladen werden können, unter  : http://www.de-ipcc.de/ index.php (letzter Zugriff  : 31.7.2017). 33 Vgl. IPCC (2015). 34  Umweltorganisationen hatten bei der 10. Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitäts-Konvention in Japan 2010 ein Moratorium für Geoengineering gefordert  : Die Vertreter/-innen der fast 200 Vertragsstaaten fassten den Beschluss, entsprechende Projekte so lange ruhen zu lassen, bis eine umfassende wissenschaftliche Basis bezüglich der Schäden vorliegt. Vgl. Fujioka (2010). 35  Vgl. Husslein-Arco/Johannsen (2015). 36  Schopenhauer (1977), S. 240. 37  Die Darstellung der Theorie Ruskins und des unschuldigen Auges folgt Ullrich (2005). 38  Vgl. Husslein-Arco/Johannsen (2015). 39  Dr. Mattias Rupp, Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA), Mitteilung per E-Mail vom 2.1.2017. 40  Vgl. Küster (2013 a), S. 113 f. 41  Artikel „Holz“, in  : Wien Geschichte Wiki. 42  Vgl. Küster (2013 b), S. 241 ff. 43  Vgl. Poschlod (2015), S. 194 ff. 44  Agricola (1928), Erstes Buch, S. 6. 45  Zitiert nach Grober (2013), S. 115.

Anmerkungen 46  Zitiert nach ebd., S. 117. 47  Ebd., S. 112 ff. und 122 ff. 48  Artikel „Wienerwald“, in  : Wien Geschichte Wiki. 49 Artikel „Josef Schöffel“, in  : Wien Geschichte Wiki. 50  Zitat nach  : Purkersdorf online, Josef (Joseph) Schöffel. 51  Vgl. Bundesamt für Naturschutz, Daten zur Natur 2016, S. 56 f., Wilpert/Meining (2016) sowie Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2013). 52  Hinweis von Thomas Giesinger, BUND Baden-Württemberg. 53  Herrmann (2013), S. 33. 54  Vgl. Grober (2013), S. 246 ff. 55  Der französische Wissenschaftssoziologe Bruno Latour etwa nutzt das Gaia-Konzept in seiner Auseinandersetzung mit traditionellem Naturbegriff und Klimawandel. Vgl. Latour (2017). 56  Hoffmann (1967), S. 126. 57  Vgl. Busch (2006), Gaßner (2006). 58  Schmied (1992), S. 28, 36. 59  Vgl. Küster (2013 a), S. 211. 60  Vgl. Poschlod (2015), S. 117. 61  Küster (2013 b), S. 324 f. Die Darstellung orientiert sich im Folgenden an Küster. 62  Vgl. Schama (1996), S. 118 ff. 63  Radkau (2011), S. 238. 64  Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2016). 65  Vgl. Brasseur/Jacob/Schuck-Zöller (2017, Hrsg.), S. 193 ff. 66  Wohlleben (2015). 67  Albes (2017).

68  Vgl. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland/Plessen (2016, Hrsg.), S. 256 ff. 69  Vgl. ebd., S. 147. 70  Forster (2013). 71  Hauff (1967), S. 292 f. 72  Grober (2016), S. 21 ff. 73  Hauff (1967), S. 301. 74  Ebd., S. 302. 75  Ebd., S. 417. 76  Zur Geschichte der Flößerei vgl. Küster (2013 a), S. 143 ff. 77  Vgl. Grober (2016) und Blom (2017). 78  Küster (2013 a), S. 151 f. 79  Vgl. zur Rheinkorrektur Bernhardt (2016). Die Darstellung orientiert sich im Folgenden an Bernhardt. 80  Ebd., S. 376. 81  Buderath/Makowski (1986), S. 177 ff. Die Darstellung orientiert sich im Folgenden an Buderath/ Makowski. 82  Stiftung Naturschutzgeschichte, Historischer Ort. 83  Abbey (2010), S. 12, 45. 84  Raabe (1996), Neuntes Blatt, S. 54. 85  Herrmann verweist darauf, dass Raabe zwar einen realen Fall in der Umgebung Braunschweigs seiner Erzählung zugrunde gelegt hatte, aber dennoch historisch gesehen und langfristig die Partei der Kläger keineswegs den Sieg davongetragen habe. Vgl. Herrmann/Sieglerschmidt (2017), S. 39 ff. 86  Vgl. Poschlod (2015), S. 132 ff. 87  Vgl. Blackbourn (2007), S. 139. 88 Vgl. IKSR (2001).

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Anmerkungen 89  Vgl. Regierungspräsidien Baden-Württemberg, Europäische Wasserrahmenrichtlinie. 90  Vgl. Regierungspräsidien Baden-Württemberg, Das Integrierte Rheinprogramm. 91  Bundesprogramm Blaues Band Deutschland (2017), S. 9. 92  Ebd., S. 8. 93  Vgl. Belvedere, Österreichische Galerie, Vincent van Gogh, Die Ebene von Auvers. 94  Zur Biografie und künstlerischen Entwicklung van Goghs vgl. Walther (2004). 95  Zitiert nach Walter (2004), S. 31. 96  Zitiert nach Hess (1993, Hrsg.), S. 39. 97  Vgl. Walther (2004), S. 63 ff. 98  Das Epilepsiemuseum in Kehl-Kork versammelt zahlreiche Beispiele aus Literatur und bildender Kunst. 99  Zitiert nach Walther (2004), S. 82. 100  Die Darstellung der Landschaftsgeschichte folgt Poschlod (2015). 101  Balzac (1998), S. 495. 102  Rousseau (1990), S. 173. 103  Greenpeace (2017, Hrsg.), S. 33. Vgl. auch Bundesamt für Naturschutz (2017), das in seinem Agrar-Report für eine naturverträgliche Agrarpolitik plädiert. 104  Zur folgenden Darstellung vgl. Murken (2007). 105  Vgl. ebd., S. 45. 106  Vgl. Hamann/Hermand (1977), S. 326 ff. 107  Vgl. Murken (2007), S. 71. 108  Chronik der Schule Wörpedahl, Teil 1, 1852–1937. 294

109  Vgl. Blackbourn (2007), S. 175 ff. 110  Vgl. Landschaftsverband Stade, Faltblatt 28. 111  Vgl. Chronik der Schule Wörpedahl, Teil 1. 112  Vgl. Landschaftsverband Stade, Faltblatt 18. 113  Vgl. Blackbourn (2007), S. 190 ff. 114  Fontane (1863), S. 193. 115  Vgl. zur Kultivierung des Oderbruchs Blackbourn (2007), S. 46 ff., und Herrmann (2016), S. 287 ff. 116  Vgl. Blackbourn (2007), S. 65 ff., 81 ff. 117  Fontane (1863), S. 219. 118  Vgl. Herrmann/Sieglerschmidt (2017), S. 18. 119  Die folgende Darstellung orientiert sich an Poschlod (2015), S. 137 ff. 120  Vgl. Poschlod (2015), S. 222, 228. 121  Vgl. Bundesamt für Naturschutz, Moore – Entstehung, Zustand, Biodiversität. 122  Bundesamt für Naturschutz, Ökosystemleistungen der Moore. 123  Kohle (2002), S. 80–85. 124  Dickens (2011), S. 502 f. 125  Grober (2013), S. 183. Zur Geschichte der Kohle vgl. ebd., S. 184 ff. 126  Evelyn (1661). 127  Vgl. Grober (2013), S. 88 ff. 128  Vgl. Bremm (2014), S. 31 ff. 129  Vgl. Poschlod (2015), S. 178. 130  Vgl. Flatten (2016), hier auch das Zitat aus dem Songtext „Youngstown“. 131  Zur Situation heute im Borinage und der Geschichte der Kohlekrise vgl. Moulin (o.J.) sowie Der Spiegel (1959).

Anmerkungen 132  Eurelectric (2017). Polen und Griechenland haben sich dieser Selbstverpflichtung nicht angeschlossen. 133  Vgl. Umweltbundesamt (2017) sowie dass. (2015). 134  Gesellschaft für bedrohte Völker (2016, Hrsg.), S. 6. 135  Vgl. Becks-Malorny (1993). Die Darstellung orientiert sich im Folgenden an Becks-Malorny. 136  Vgl. zahlreiche Beispiele bei Büttner (2006)  : Turner S. 258 f., Monet S. 161, Cezanne S. 320 f. 137  Kandinsky (1912), S. 14. 138  Ebd., S. 23. 139  Ebd., S. 37. 140  Vgl. Boeree (1998/2006), S. 8. 141  Inglehart (1998). 142  Vgl. Bremm (2014), S. 46 ff. und 78 ff. 143  Heine (1990), S. 57 f. 144  Vgl. Bundesamt für Naturschutz, Zerschneidung  – Wiedervernetzung  ; dass., Siedlung und Verkehr. 145  Vgl. Müller (2017), S. 45 f. 146  Vgl. Reckwitz (2016) und ders. (2012). 147  Zur Biographie vgl. Müllenmeister (1985), S. 31 ff. 148  Vgl. Neidhardt/Krüger u. a. (2016, Hrsg.), S. 281. 149  Bartilla (2005), S. 37. 150  Ebd., S. 61. 151  Müllenmeister (1985), S. 30, 32. 152  Vgl. ebd., S. 53 und 148 f. 153  Das Museum bietet zahlreiche Informationen zum Dodo. Zu Savery und dem Dodo vgl. auch Herrmann (2016), S. 170.

154  Vgl. die Darstellungen bei Neidhardt/Krüger u. a. (2016, Hrsg.), S. 270 ff. 155  Staatliche Kunstsammlungen Dresden/Sächsische Landesstiftung Natur und Umwelt (2016, Hrsg.). 156  Tacitus (1972), Absatz 5. 157  Küster (2013 b), S. 105 ff. 158  Vgl. Bartilla (2005), S. 123 ff. 159  Riede (2012). 160  Vgl. Büttner (2006), Schneider (2011). 161  Schama (1996), S. 562, 563. 162  Vgl. Warnke (1992), S. 15, sowie Büttner (2006), S. 151 f. 163  Vgl. Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V./BUND Projektbüro Grünes Band (2015, Hrsg.) sowie Bundesamt für Naturschutz, Das Grüne Band. 164  Bundesamt für Naturschutz, Wildnisgebiete. 165  Bundesamt für Naturschutz, Daten zur Natur 2016, S. 125. 166  Wildnis in Deutschland, Warum Wildnis. 167  Der französische Anthropologe und Schüler von Claude Lévi-Strauss Philippe Descola arbeitet an einer Neubestimmung der menschlichen Beziehungen zur Natur jenseits des begrifflichen Dualismus von Kultur und Natur. Descolas Ansatz wird nachdrücklich unterstützt von Herrmann (2016). Hartmut Böhme dagegen legt Wert auf die Feststellung, dass die europäische Kunst diesen Gegensatz ohnehin nicht kannte, sondern eine Vielzahl von Übergängen und Mischungsverhältnis-

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Anmerkungen sen modulierte. Vgl. Böhme (2017), S. 28 ff. 168  Vgl. Wagner/Jehle (2012, Hrsg.). Zu Altdorfer vgl. auch Schneider (2011), S. 75. 169  Vgl. Schama (1996), S. 116 f. 170  Vgl. Büttner (2006), S. 96. 171  Vgl. Jacobus de Voragine, Legenda Aurea. 172  Vgl. Düwel (1994), S. 137 ff. 173  Vgl. Joger/Luckhardt (2007, Hrsg.). 174  Fink-Eitel (1994), S. 9. 175  Ebd., S. 98 f. 176  Zitiert nach ebd., S. 125. 177  Hobbes (1996), S. 102 ff., Zitat S. 106. 178  Melville (2009), S. 409. 179  Shelley (1970), S. 188, 201. 180  Vgl. Fink-Eitel (1994), S. 218 ff. 181  Reichholf (2015), S. 243 ff. 182  Informationen zum Wolf vgl. Kontaktbüro Wölfe in Sachsen. 183  Deutsches Wörterbuch, Stichwort „Wolf“. 184  Taylor (2011). 185  Williams (2015), S. 60. 186  Ebd., S. 175 und 202. 187  Ebd., S. 363. 188  Deutsches Wörterbuch, Stichwörter „Rasen“ und „Rasenbank“. 189  Vgl. Geer (1999) sowie Schneider (2011), S. 66 f. 190  Vgl. Scherf (2006). 191  Mai (2015), S. 289 ff. 192  Vgl. Büttner (2006), S. 86 ff. 193  Albrecht Dürer, Vier Bücher von menschlicher Proportion, zitiert nach Mai (2015), S. 200.

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194  Zum kulturhistorischen Hintergrund der Melancholie vgl. die berühmte Studie von Klibansky, Panofsky und Saxl (1990). Zur Interpretation vgl. Böhme (1989). 195  Wie entsteht eigentlich Rollrasen  ? Unter  : http://kommunaltechnik.net/ news/fuhrpark/wie-entsteht-eigentlich-rollrasen/ (letzter Zugriff  : 31.7.2017). 196  Vgl. Ausstellung der Bundeskunsthalle Bonn 2017  : Der Persische Garten. Die Erfindung des Paradieses. 197  Vgl. Städel Museum, Oberrheinischer Meister, Das Paradiesgärtlein, um 1410–20. 198  Plinius, Epistularum libri decem, Buch 5, Brief an Domitius Apollinaris. 199  Vgl. Herrmann/Sieglerschmidt (2017), S. 23. 200  Zitiert nach Borgmeier (2009), S. 46. 201  Natur im Garten (2014, Hrsg.), Zitat S. 2 und vgl. S. 3. 202  Vgl. Dierschke/Briemle (2008), S. 189. 203  Vgl. Goulson (2014), S. 136, 258 ff. 204  Vgl. Reichholf (2007) sowie Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB 2017, Hrsg.). 205  Nine Herbs Charm, auch Nine Worts Galdor, altenglische Dichtung aus dem 9. oder 10. Jahrhundert n. Chr., Vers 7–13. 206  Vgl. Büttner (2006), S. 306. 207  Zitiert nach Böhme (2017), S. 8.

Anmerkungen 208  Vgl. Staatliche Kunsthalle Karlsruhe/Stuffmann (Hrsg,. 2012) und Büttner (2006), S. 298 ff. 209  Vgl. Poschlod (2015), S. 120 ff. 210  Vgl. Stollorz (2011) sowie Heinrich-Böll-Stiftung (2009, Hrsg.), S. 16 ff. 211  Stollorz (2011), S. 8. 212  Vgl. Hofreiter (2016), S. 38 f. 213  Ebd., S. 22 f. Die Darstellung orientiert sich im Folgenden an Hofreiter. 214  Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2015). 215  Unfried (2017), S. 13. 216  Vgl. Musee d’Orsay, Claude Monet, Monfeld. Die Darstellung zu Monet orientiert sich an Heinrich (2015). 217  Vgl. Heinrich (2015), S. 89. 218  Vgl. Poschlod (2015), S. 41 ff. 219  Vgl. Meyer/Leuschner (2015, Hrsg.), Institut für Agrarökologie und Biodiversität (2017), Bundesamt für Naturschutz (2017). 220  Vgl. zu den Grenzlinienlebensräumen Poschlod (2015), S. 213 ff. 221  Hinweis von Thomas Kuppinger. Eine gelungene und dauerhafte Verbindung zwischen Heckenpflege und Hackschnitzelnutzung des Schnittguts hat der Landschaftserhaltungsverband Ostalbkreis in seinem Landkreis etabliert. Vgl. Worm (2014). 222  Vgl. Goulson (2016), S. 269 ff. 223 Vgl. NABU (2007)  ; Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V., Die Weitervernetzung  : der Wildkatzensprung  ; Bundesamt für Natur-

schutz, Zerschneidung – Wiedervernetzung. 224  Verkehrsministerium Baden-Württemberg (2016, Hrsg.), S. 3, 5. 225  Vgl. Deutsche Bahn, Naturschutzgerechte Pflege am Gleis. 226  Loki Schmidt Stiftung (2017), S. 4. 227  Woźniakowski (1987), S. 282. Die Darstellung orientiert sich im Folgenden an Woźniakowski, S. 282 ff., sowie Lexikon zur Kunst in der Schweiz, Peter Birmann. 228  Vgl. Bernhardt (2016), S. 260 ff. Die folgende Darstellung orientiert sich an Bernhardt. 229  Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg, Themenpark Umwelt Baden-Württemberg, Isteiner Klotz  ; dass., NSG Isteiner Klotz  : Landschaftsgeschichte 230  Vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit/Bundesamt für Naturschutz (2009, Hrsg.). 231  Vgl. Bundesamt für Naturschutz, Auenentwicklung und Auenverbund an der Unteren Mittelelbe, sowie Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V., Die Hohe Garbe – Auenwildnis an der Elbe. 232  Vgl. Bundesprogramm Blaues Band Deutschland (2017), S. 30. 233  Vgl. Natur-Freunde Rastatt, Die Rheinauen bei Rastatt  ; Staatliche Naturschutzverwaltung Baden-Württemberg, Rheinauen bei Rastatt  ; NABU, Lebensader Oberrhein – Naturvielfalt von nass bis trocken. 297

Anmerkungen 234  Vgl. für die folgende Darstellung  : Der Atlantische Lachs e.V. (2005– 2017). 235 Vgl. WFBW (Wanderfische Baden-Württemberg), Kontrollstationen  ; Der Atlantische Lachs e.V. (2005– 2017), S. 85. 236  Vgl., auch für die folgende Darstellung, Jungwirth/Haidvogl/Hohensinner/Waidbacher/Zauner (2014, Hrsg.) S. 236, 92. Außerdem danubeparks. 237  Fontane (1974), S. 33. 238  Vgl. Baumgärtel/Pfeiffer/Winzen (2016, Hrsg.). 239  Vgl. ebd., S. 210 f. 240  Mann (1981), S. 30 f. 241  Melville (2009), S. 301 f. 242  Mann Borgese (1997). 243 Vgl. UNO-Ziele der Agenda 2030, Leben unter dem Wasser.

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244  Vgl. Heinrich-Böll-Stiftung u. a. (2017, Hrsg.), S. 34 f., 36 f. 245  Vgl. Maribus (2015, Hrsg.). 246  Zitiert nach Zumbühl (2009), S. 111. 247  Vgl. Woźniakowski (1987), S. 288 f. 248  Zitate nach Zumbühl (2009), S. 120. 249 Vgl. UNESCO-Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch, Managementzentrum (o.J., Hrsg.), S. 36, 38. 250  Vgl. Woźniakowski (1987), S. 57 ff. 251  Haller (1994). 252  Vgl. Woźniakowski (1987), S. 252 ff. 253  Vgl. Schama (1996), S. 516 ff. 254  Ruskin (1900), S. 93–95. 255  Vgl. Job/Fröhlich/Geiger/Kraus/ Mayer (2013), S. 213–242. 256  Alpenkonferenz (2017), S. 5.

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310

Bildnachweise Das Copyright für die Fotografien liegt bei den folgenden Institutionen und Personen  : Artothek. Bildagentur der Museen, Weilheim  : S. 12 (Meister von Hohenfurt), (Patinir), Joseph S. Martin – Artothek. S. 22 (Valckenborch), Städel Museum – U. Edelmann – Artothek. S. 44 (Waldmüller), Photobusiness – Artothek. S. 62 (Friedrich), Landesmuseum Hannover – Artothek. S. 78 (Lasinsky). S. 96 (van Gogh), Photobusiness – Artothek. S. 114 (Modersohn-Becker), Landesmuseum Hannover – Artothek. S. 144 (Kandinsky), Christie‘s Images Ltd. – Artothek. S. 162 (Savery), Landesmuseum Hannover – Artothek. S. 182 (Altdorfer), Blauel Gnamm – Artothek. S. 202 (Dürer), Imagno – Artothek. S. 220 (Corot) Christie‘s Images Ltd. – Artothek. S. 232 (Monet), Peter Willi – Artothek. S. 248 (Birmann), Hans Hinz – Artothek. S. 262 (Achterbach), Städel Museum – Artothek. S. 276 (Wolf ), Hans Hinz – Artothek. Musée Meunier, Brüssel  : Abb. S. 130. Naturkundemuseum Karlsruhe (SNMK)/Volker Griener  : Abb. S. 194. Alle anderen Abbildungen Archiv Sybille und Uwe Heidenreich.

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Register

Abbey, Edward  90 Aberli, Ludwig  249 Abstraktion  145, 147, 233, 236, 238, 266, 289 Achenbach, Andreas  263 Ackerwildkräuter  238, 239 Agricola, Georgius  51 Allmende  105, 108, 225, 226 Altdorfer, Albrecht  183 Arrhenius, Svante  38 Auenlandschaft  93, 95, 248, 252 Balzac, Honoré de  107 Barbizon  116, 220 Biodiversität  64, 214, 245, 288 Birmann, Peter  248 Bison 198 Blauer Reiter  145, 147 Borlach, Johann Gottfried  133 Brown, Lancelot „Capability“  212 Bruegel d. Ä., Pieter  22, 24, 168 BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland)  173, 174, 243, 254 Bundesamt für Naturschutz  127, 156, 174, 176, 177, 243, 252 Burke, Edmund  282 Byron, George  34 Callendar, Guy  38 Carlowitz, Hans Carl von  53, 57 Coleridge, Samuel Taylor  266 Corot, Jean-Baptiste Camille  220 Dickens, Charles  131 312

Diderot, Denis  222 Dodo 165 Donau  47, 54, 126, 257, 259 Drache 185 Dürer, Albrecht  185, 203, 207, 213 Emerson, Ralph Waldo  20, 198 Epilepsie 101 Erhabene, das  151, 237, 277, 282 Evelyn, John  133 Ficino, Marsilio  204, 207 Findorff, Jürgen Christian  121 Fontane, Theodor  123, 263 Forster, Georg  80 Foucault, Michel  192 Fourier, Joseph  37 Franzen, Jonathan  141 Friedrich, Caspar David  33, 61, 67, 71, 76, 266 Friedrich II 123 Gaia-Hypothese 63 Georg Ludwig (Braunschweig-Lüneburg).  Siehe Georg I. (Großbritannien) Goethe, Johann Wolfgang von  31 Gore, Albert  39 Haller, Albrecht von  282 Hauff, Wilhelm  81 Heine, Heinrich  153 Heynitz, Friedrich Anton von  133 Hobbes, Thomas  189 Hoffmann, E. T. A.  65

Register Impressionismus 231 Industrialisierung  15, 105, 130 – 132, 134, 152, 222, 289 IPCC 39 Kandinsky, Wassily  145 Karl Theodor von der Pfalz  126 Keeling, Charles David  38 Kent, William  212 Klimawandel  22, 26, 36, 37, 40, 56, 64, 72, 111, 126, 127, 136, 157, 272, 281, 286, 288, 289 Kohle  42, 50, 130, 132, 139, 140 Kreativität 158 Lakedaimon.  Siehe Sparta Landschaft  13, 15, 19, 61, 67, 96, 113 Landschaftsmalerei, flämische  24, 163 Landwirtschaft  103, 110 – 112, 125, 225, 228, 238, 239 Lasinsky, Johann Adolf  78 Liebig, Justus  106 Loti, Pierre  99 Lovelock, James E.  63 Mann Borgese, Elisabeth  269 Mann, Thomas  266 Margulis, Lynn  63 Marlowe, Christopher  31 Maslow, Abraham  150 Matthes, François  28 Meer  263, 265 – 267, 269, 272 Melancholie 206 Melville, Herman  191, 265, 267 Meunier, Constantin Emile  130 Michajlow, Petr, siehe Peter I. (Russland) Mobilität 156 Modersohn-Becker, Paula  115 Monet, Claude  146, 231

Montaigne, Michel de  188 Moor  115, 121, 123, 126, 176 Musik 149 NABU (Naturschutzbund Deutschland)  243, 255 Nachhaltigkeit  17, 53, 55, 56, 58, 69, 258, 288 Naturschutz  67, 89, 90, 178, 214, 242, 259 Neobiota  157, 186

Ökologie  16, 19, 64, 214 Ostrom, Elinor  226 Petrarca, Francesco  282 Plinius der Jüngere  210 Preßler, Max Robert  69 Pusillus, Pius Lisci.  Siehe Vincenzo, Viviani Raabe, Wilhelm  91 Realismus  44, 45, 98 Rhein  78, 83, 85, 89, 92, 94, 248, 250, 255, 256 Riehl, Wilhelm Heinrich  67 Rilke, Rainer Maria  117 Romantik  61, 65, 67, 70, 71, 78 Rousseau, Jean-Jacques  107, 187, 190, 285 Rousseau, Théodore  221 Rudorff, Ernst  67 Ruskin, John  20, 45, 47, 285 Savery, Roelant Jakobsz  163 Schiller, Friedrich  284 Schöffel, Josef  55 Schopenhauer, Arthur  20, 45 Sebald, W. G.  23 Shelley, Mary  31, 32, 34, 79, 189, 192 313

Register Springsteen, Bruce  137 Stadtökologie 215 Tacitus, Publius Cornelius  71, 167 Tambora 33 Thaer, Albrecht Daniel  106 Theosophie 149 Trump, Donald  137 Tulla, Johann Gottfried  86 Turner, William  33, 46, 79 Tyndall, John  38 Utterström, Gustav  28 Valckenborch, Lucas van  22, 43, 49, 163 van Gogh, Vincent  96, 131

314

Wald  42, 43, 48, 54, 56, 61, 69, 70, 72, 74, 165, 167 – 169, 183, 184 Waldmüller, Ferdinand Georg  43 Waldsterben  72, 136 Wasserrahmenrichtlinie 93 Watt, James  134 Wiese  208, 210, 212 – 215 Wildnis  115, 121, 126, 163 – 168, 170, 172 – 174, 177, 179, 184, 191, 193, 198 – 200, 252, 277 Williams, John  198 Wolf 193 Wolf, Caspar  277 Worpswede  115, 121 Wyttenbach, Jakob Samuel  278

MARTIN SCHARFE

BILDER AUS DEN ALPEN EINE ANDERE GESCHICHTE DES BERGSTEIGENS

Tausende von Bildern und Gemälden zeugen von dem seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stark ansteigenden Interesse des europäischen Bürgertums an den Bergen. Die meisten dieser Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Grafi ken sind Landschaftsveduten. Viele Künstler haben sich in ihren Werken aber auch mit den Gründen auseinandergesetzt, die Menschen motivieren, auf Berge zu steigen, sich Gefahren auszusetzen und Entbehrungen auf sich zu nehmen. Aspekte wie der Umgang mit der extremen Natur, das Anwenden von Techniken und der Nutzen von Hilfsmitteln, die Bewältigung von Angst und das Umgehen mit Versagen und Erfolg spielen dabei eine wichtige Rolle. Martin Scharfe hat aus den umfangreichen Sammlungen des Österreichischen und des Deutschen Alpenvereins solche Bilder ausgewählt, in denen Künstler die Faszination an der Bergwelt visualisiert haben. Er stellt diese Bilder vor und bringt sie zum Sprechen. Damit entsteht eine unterhaltsamfarbige und abwechslungsreiche, oft in überraschende Tiefen der Bergsteigerseele führende „andere“ Geschichte des Alpinismus. 2013. 216 S. 66 FARB. ABB. GB. 155 X 235 MM | ISBN 978-3-205-78918-5

böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

ALEXANDER DEMANDT

DER BAUM EINE KULTURGESCHICHTE

Die Bedeutung des Baumes ist so vielschichtig wie die Anzahl der Jahresringe. Als Naturdenkmal prägt er Landschaften, ist wichtiger Rohstoff und gilt als Symbol für das Leben. In Mythen, heiligen Schriften, Märchen, in der Musik, der Literatur, der Bildenden Kunst, der Philosophie, in allen Kulturen und Zeiten kommt dem Baum eine überragende Bedeutung zu. Darüber hinaus ist er mit zahlreichen Bräuchen verbunden: der Baum, der zur Geburt eines Kindes gepflanzt wird, der Maibaum, der Weihnachtsbaum. Der Historiker Alexander Demandt behandelt Baum, Wald und Holz in den Religionen, im Brauchtum und Schriftgut, im Denken und Reden und auf allen Gebieten der Literatur und der Kunst von der Antike bis zur Gegenwart. Das materialreiche Buch ist die lange erwartete, erweiterte und vertiefte Neubearbeitung seines Standardwerks „Über allen Wipfeln. Der Baum in der Kulturgeschichte“ (2002). 2., ÜBERARB. U. ERW. AUFL. 2014. 470 S. 50 S/W- UND 45 FARB. ABB. GB. MIT SU. 155 x 230 MM. | ISBN 978-3-412-22217-8

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