Consulting im Gesundheitswesen: Professional Services als Gestaltungsimperative der Unternehmensberatung [1. Aufl. 2020] 978-3-658-25478-0, 978-3-658-25479-7

Unternehmensberatungen stellen mit ihrem Leistungsportfolio einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor dar. Die digitale Transf

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Consulting im Gesundheitswesen: Professional Services als Gestaltungsimperative der Unternehmensberatung [1. Aufl. 2020]
 978-3-658-25478-0, 978-3-658-25479-7

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XX
Dashboardconsulting im Gesundheitswesen – Digitalisierungsoptionen und Anwendungsfelder (Thorsten Knape, Peter Hufnagl, Christoph Rasche)....Pages 1-27
Anforderungen an Führungskräfte im Krankenhaus – Wer ist ein guter CEO in Transformationszeiten? (Markus Bazan)....Pages 29-45
Gesundheitshandwerker und Homecareunternehmen im Spannungsfeld zwischen Ausschreibungen und Social Media (Michael Messner, Stipo Vukoja, Maya Petrov)....Pages 47-62
IT-Integrationsberatung für Medizinproduktehersteller (Andreas Zimolong, Sandra Fiehe)....Pages 63-77
Digitale Transformation als strategische Herausforderung (Beate Kasper, Heike Kielhorn, Matthias P. Schönermark)....Pages 79-102
Komplementärberatung in einem dynamischen Markt (Stefan Drauschke, Pia Drauschke, Hartmut Ponßen, Jörg Risse)....Pages 103-115
Digitalisierung ist Kulturumbruch – Medizin im Zentrum des Wandels (Konrad Rippmann)....Pages 117-134
Projektsteuerung, Due Diligence und Kaufpreisfindung – Unternehmensberatung bei Transaktionen im Gesundheitswesen (Matthias Borchers, Karolin Kwickert)....Pages 135-157
IT-Strategieberatung für Krankenhäuser (Uwe Günther, Timo Braun)....Pages 159-178
Maßnahmen zur Umsetzung der europäischen Medical Device Regulation bei klein- und mittelständischen Herstellern von Medizinprodukten (Franz Menean, Nicole Menean, Florian Rometsch, Michael Großmann, Tamara Becker)....Pages 179-200
Medizinische Strategieentwicklung und -implementierung in Krankenhäusern (Annika Emde, Michaela Lemm)....Pages 201-215
Der virtuelle Klinikverbund (Fred Andree, Kristin Blendow, Jan Patrick Glöckner)....Pages 217-239
Instrumente der Evidenzgenerierung als Grundlage für Geschäftslösungen in der Healthcare-Industrie (Tino Schubert, Tobias Vogelmann)....Pages 241-262
Bewirtschaftung im Wandel – Vom Säbelzahntiger ins digitalen Zeitalter (Tanja Heiß)....Pages 263-283
Strategisches Marketing im Krankenhaus – Mitarbeiter motivieren, Einweiserpotenziale heben, Patienten begeistern (Andrea E. Raab, Thomas Doyé, Klaus Legl, Julia Wolf, Bettina Kriegl)....Pages 285-316
Vertrauen schaffen und Lösungen anbieten (Holger Friedrich, Rieke Schulz)....Pages 317-331
Back Matter ....Pages 333-339

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Mario A. Pfannstiel Christoph Rasche Andrea Braun von Reinersdorff Bianka Knoblach Dietmar Fink Hrsg.

Consulting im Gesundheitswesen Professional Services als Gestaltungsimperative der Unternehmensberatung

Consulting im Gesundheitswesen

Mario A. Pfannstiel  •  Christoph Rasche Andrea Braun von Reinersdorff Bianka Knoblach  •  Dietmar Fink Hrsg.

Consulting im Gesundheitswesen Professional Services als Gestaltungsimperative der Unternehmensberatung

Hrsg. Mario A. Pfannstiel Fakultät Gesundheitsmanagement Hochschule Neu-Ulm Neu-Ulm, Deutschland Andrea Braun von Reinersdorff Hochschule Osnabrück Osnabrück, Deutschland

Christoph Rasche Universität Potsdam Potsdam, Deutschland Bianka Knoblach Deutsches Institut für Beratungswissenschaften Berlin, Deutschland

Dietmar Fink Deutsches Institut für Beratungswissenschaften Berlin, Deutschland

ISBN 978-3-658-25478-0    ISBN 978-3-658-25479-7  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-25479-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Gabler © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort

Der vorliegende Herausgeberband widmet sich mit dem Consulting im Gesundheitswesen einem Spezialgebiet der Unternehmensberatung. Erstens handelt es sich bei den Institu­ tionen des Gesundheitswesens zunehmend um Hybridorganisationen, die oftmals so­ zialstaatliche Versorgungsziele und leistungswirtschaftliche Markt- und Finanzziele verfolgen. Zweitens handelt es sich bei vielen Gesundheitsinstitutionen um typische Expertenorganisationen in einem stark regulierten Markt- und Wettbewerbsumfeld, was die unternehmerischen Gestaltungsspielräume beträchtlich einschränkt. Drittens werden zumeist verhaltens- und bewertungsunsichere Vertrauensgüter auf B2B- und B2C-­ Dienstleistungsmärkten angeboten, die einer besonderen ökonomischen Logik folgen – es zahlt oft nicht der Patient, sondern die Krankenkasse für den Leistungsbezug. Viertens steht dem Gesundheitswesen womöglich eine Ära der Privatisierung, Konzentration und Dienstleistungsorientierung im stationären und ambulanten Sektor bevor, wie sich am Beispiel überregionaler Gesundheitskonzerne zeigt. Fünftens handelt es sich bei der Gesundheitswirtschaft um eine Branche, die wie kaum ein anderer Dienstleistungssektor mit den Folgen der digitalen Transformation konfrontiert wird. Sechstens leiten sich hieraus neue Dienstleistungsbedarfe in Gestalt innovativer Geschäftsmodelle ab, die einen hohen Beratungsbedarf entstehen lassen. Beratungsbedarf im Gesundheitswesen Deutlich wird dabei, dass es sich bei der Gesundheitswirtschaft um ein sehr spezifisches Branchenmosaik handelt, das nach differenzierten Beratungsansätzen verlangt. Diese lassen sich aus folgenden Grundsatzüberlegungen zur Mechanik der Gesundheitswirtschaft ableiten. (a) Hybridorganisationen: Bei vielen der Gesundheitsinstitutionen handelt es sich um typische Hybridorganisationen, die sich in den Dienst eines marktwirtschaftlichen Leistungsauftrags und eines sozialstaatlichen Versorgungsauftrags stellen lassen müssen. Gemeinnützige Klinikverbünde lassen zunehmend Konzernstrukturen und einen unternehmerischen Impetus erkennen. Wirtschaftliche Geschäftsbetriebe existieren

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parallel neben ideeller Zweckverfolgung, wodurch substanzielle Beratungsbedarfe an der Nahtstelle von Markt- und Versorgungszielen entstehen. Auch ist zu bedenken, dass Hybridorganisationen allein schon aufgrund ihres Mischcharakters anders zu führen sind als DAX-Konzerne – zumal das Versorgungsgut Gesundheit hohe moralische Erwartungshaltungen evoziert. (b) Expertenorganisationen: Insbesondere Krankenhäuser und Arztpraxen sind nicht nur Expertenorganisationen, sondern auch Hochrisikoorganisationen im Sinne einer bestmöglichen Erreichung der Patientensicherheit. Expertenorganisationen definieren sich in ihrer Wettbewerbsfähigkeit entscheidend über das Kompetenzniveau ihrer Fachkräfte, die sich oft mehr mit ihrer Profession als mit ihrem Arbeitgeber identifizieren. Das sogenannte Cat-Herding-Phänomen beschreibt den Umstand, dass sich viele Professionals als Freigeister verstehen, die sich nur ungern durch Dogmen und Doktrinen drangsalieren lassen. Zu denken ist hierbei nur an universitäre Chefärzte, die ihr Ordinariat über die Gestaltungsempfehlungen externer Berater stellen – zumal es diesen oftmals an der medizinischen Augenhöhe mangelt, um von Experte zu Experte strategische Versorgungsprobleme zu diskutieren. (c) Verhaltens- und bewertungsunsichere Vertrauensgüter: Bei Gesundheitsdienstleistungen handelt es sich oftmals um institutionenökonomisch komplexe Transaktionen, die regelmäßig zu multilateralen Informationsasymmetrien führen. An dieser Stelle kann es nicht verwundern, dass verschärfte Complianceregeln zur Eindämmung und präventiven Abwendung krimineller Handlungen im Gesundheitswesen führen sollen. Insbesondere der Leistungsnehmer verfügt gegenüber dem Professional oft nur über einen relativen Laienstatus, der im Einzelfall situationsopportunistische Ausbeutungssituationen entstehen lässt. Es wird unlauter abgerechnet oder lukrative Leistungen werden erbracht, die medizinisch nicht zwingend indiziert sind, um zum Beispiel zum Jahresende die obligatorische Mindestmenge zu erreichen. Für das Consulting im Gesundheitswesen bedeutet dies, dass Beurteilung von Leistungs- und Kostenpositionen im Sinne einer Wirtschaftlichkeitsanalyse extrem schwerfällt, weil ethisch-­ normative Argumentationsketten die ökonomische Rationalität konterkarieren. Wer schließt schon eine stereotyp angeführte Geburtsstation „auf dem platten Lande“, die höchstens verlustminimierend zu führen ist. ( d) Privatisierungs- und Konzentrationsfokus: Hiermit gemeint ist die Marktbereinigung im ambulanten und stationären Sektor. Während diese mit der Kettenbildung bereits im Kliniksektor weit fortgeschritten ist, entstehen nunmehr an der Nahtstelle von ambulant-stationärer Versorgung integrierte Hybridversorgungsmodelle im poliklinischen Ambiente. Zu erwarten ist die Emergenz professioneller One-Stop-­ Versorgungsmodelle mit direktem Klinikanschluss, die für den Patienten den Vorteil einer zentralen Anlaufstelle mit Clearing-Point-Funktion besitzen. Schon heute werden vakante Kassensitze von Medizinische Versorgungszentren (MVZs) oder Kliniken gekauft, um den ambulanten Versorgungsmarkt zu konsolidieren. Zudem ist zu erwarten, dass spezialisierte Private-­Equity-­Firmen in den expandierenden Gesundheitsmarkt als Buy-and-build-Investoren einsteigen. Die Logik dabei: Wertsteigerun-

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gen in vergleichsweise unprofessionell ­bewirtschafteten Dienstleistungssektoren sind aufgrund der niedrigen Absprungbasis leichter zu realisieren als in Leading Industries. (e) Digitale Transformation: Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT)induzierte Beratungsbedarfe sind symptomatisch für das gesamte Gesundheitswesen, das wie kaum eine andere Branche aus der Transformation von Wissen, Kompetenz und Information ihre Legitimation bezieht. Paper-­and-­Pencil-Versorgungsmodelle sollen zunehmend durch digitale Lösungen ergänzt oder ersetzt werden, um systemische Leistungsreserven zu mobilisieren. Neben der Implementierung technischer Neuerungen steht aber auch der Abbau psychologischer und rechtlicher Digitalisierungsbarrieren im Vordergrund. So nützlich auf der einen Seite patientenzentrierte Matedatenbanken auch sein mögen, so kritisch wird auch die künstlich-intelligente Großdatenauswertung mit Blick auf den Datenschutz und Persönlichkeitsrechte gesehen. In diesem Kontext sind auch alle cybercrimeinduzierten Beratungsfelder zu sehen, weil Gesundheitseinrichtungen immer auch weiche Anschlagsziele repräsentieren. (f) Geschäftsmodellinnovationen: Die Telemedizin steht stellvertretend für Versorgungslandschaften im Umbruch, wenn erstmals eine distanzbasierte Leistungserbringung in Erwägung gezogen wird. Der Clustercharakter der Digitalisierung lässt im konservativen Gesundheitswesen zahlreiche interessante Innovationsfelder im B2B-, B2C-, aber auch C2C-Format entstehen, wodurch die etablierten Anbieter unter Zugzwang geraten. Digitale Geschäftsmodelle sind im Gesundheitswesen in Medizin, Pflege und Service im Sinne einer komfortablen Versorgungs- und Leistungssteuerung bis hin zu app-basierten Terminierungen denkbar. Consulting 4.0 im Gesundheitswesen könnte auch einen Prozess der gemeinschaftlichen Geschäftsmodellentwicklung im engen Schulterschluss mit dem Klienten beinhalten. Die umsetzungsorientierte Beratung geht dabei nahtlos in die Geschäftsmodellmodellierung bis hin zum Start-up-Management über. Aus diesen exemplarischen Vorüberlegungen wird deutlich, dass künftig im Gesundheitswesen erhebliche Beratungsbedarfe entstehen werden, die nach maßgeschneiderten Lösungen verlangen. Es bleibt abzuwarten, ob diese klassischen Strategieberatungen, die weltumspannenden Vollsortimenter wie PWC, EY, Deloitte und KPMG oder spezialisierte Hidden Champions des Consultings generiert werden. Beiträge im Überblick: Digitalisierung als integrative Klammer Die insgesamt sechszehn Fachbeiträge renommierter Autoren lassen holistisches Gesamtportfolio der Unternehmensberatung im Gesundheitswesen entstehen. Dabei wird dieses bewusst weit interpretiert, um eine myopische Reduktion auf den Krankenkassen- und Versorgungssektor zu verhindern. Vielmehr werden mit Blick auf die durch Digitalisierung schleichend oder disruptiv bewirkten Veränderungen auch neuartige Beratungsfelder ins Visier der Autoren genommen. Der erste Beitrag befasst sich mit dem Dashboardconsulting im Gesundheitswesen und den sich daraus ergebenden Digitalisierungsoptionen. Die Autoren verfolgen die Idee

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e­ ines Scorecard-Systems für Gesundheitsinstitutionen, das die integrierende Logik des Business Model Canvas weiterentwickelt. Während in der Vergangenheit das Medizinund Krankenhauscontrolling oftmals eher nachsteuernd stattfand, eröffnen app-basierte Dashboardsysteme die Optionen auf verdichtete Echtzeitinformationen. Digital-Health-­ Anwendungen wird ein hohes Beratungspotenzial attestiert, die in diesem Beitrag mit dem Healthcare Business Transformation Tool (HBTT) pilotiert werden sollen. Hierbei handelt es sich um eine holistische Consultingtoolbox, um digitale Transformationsprozesse im Gesundheitswesen beratungsseitig zu begleiten. Der zweite Beitrag, der mit „Anforderungen an Führungskräfte im Krankenhaus – Wer ist ein guter CEO in Transformationszeiten?“ überschrieben ist, nimmt die Perspektive des Leadershipconsultings ein, indem die Kardinaleigenschaften guter CEOs in Zeiten des Wandels diskutiert werden. Deutlich wird, dass Transformationszeiten und Disruption andere Anforderungen an Führungskräfte stellen als Zeiten der Kontinuität und Planbarkeit. Gegenstand des dritten Beitrags sind Gesundheitshandwerker und Homecareunternehmen im Spannungsfeld zwischen Ausschreibungen und Social Media. Bedingt durch die teilweise rasanten Veränderungen des Markt- und Wettbewerbsumfelds ergeben sich für die arrivierten Player erhebliche Bedrohungspotenziale durch aggressive Neueinsteiger und Substitutionslösungen. Konkret droht ein Kompetenzentwertungswettbewerb für den Fall, dass sich konventionelle Versorgungsmodelle den digitalen Herausforderungen verweigern. Mit dem vierten Beitrag wird die Brücke zum IT-Consulting geschlagen. Die IT-Inte­ grationsberatung für Medizinproduktehersteller avanciert angesichts unterschiedlicher Normen, Standards und Schnittstellen zu einem wichtigen Handlungsfeld. Schlecht synchronisierte Technologie- und Systemwelten stellen für Gesundheitsanbieter nicht nur ein medizinisches Sicherheitsrisiko dar, sondern verursachen auch hohe Vernetzungskosten. Medizinproduktehersteller verkaufen in einer modernen Diktion weniger Hardware als vielmehr integrierte Problemlösungen, weshalb im Extremfall auch Wettbewerbsprodukte zum Gegenstand des Beratungsansatzes werden können. Der fünfte Beitrag hat grundsätzlichen Charakter, indem die digitale Transformation als strategische Herausforderung für das Gesundheitswesen interpretiert wird. Deutlich wird, dass digitale Imperative die Sektoren des Gesundheitswesens in unterschiedlichen Geschwindigkeiten erfassen werden. Fakt ist, dass es sich bei der Digitalisierung um einen Veränderungstreiber handelt, der längerfristig zu tektonischen Verschiebungen bei den etablierten Geschäfts- und Versorgungsmodellen führen wird. Der sechste Beitrag thematisiert den Wertbeitrag externer Berater, denen eine wichtige Komplementärfunktion zugewiesen wird. Die Autoren votieren für eine Integration des Klienten in den Beratungsprozess, um sicherzustellen, dass keine realitätsfernen und aseptischen Konzepte entwickelt werden, die nicht in den Klinikkontext passen. Der siebte Beitrag widmet sich dem durch Digitalisierung bewirkten Kulturumbruch in der Medizin. Schnell wird klar, dass die Digitalisierungsdebatte nicht nur auf Technologie- und Rechtsfragen reduziert werden sollte, sondern vor allem die Kultur als weichen Faktor des Wandels ausdrücklich anerkennen sollte.

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Projektsteuerung, Due Diligence und Kaufpreisfindung bei Transaktionen im Gesundheitswesen sind Analysefelder des achten Beitrags, der in diesem Prozess die Rolle der Unternehmensberatung untersucht. Das Fusions-, Übernahme- und Beteiligungsmanagement gewinnt im Gesundheitswesen zunehmend an Relevanz, wodurch hohe Beratungsbedarfe entstehen werden. Der neunte Beitrag lenkt die Aufmerksamkeit auf IT-Themen im Gesundheitswesen, die stärker strategisch vorgedacht werden sollten. Während bislang im Gesundheitswesen IT-Fragestellungen auf sehr operativer Ebene behandelt wurden, plädieren die Autoren diesbezüglich für eine stärkere Strategieorientierung, um eine Langfristorientierung im Gesundheitswesen sicherzustellen. Gerade mit Blick auf die Digitalisierung des Gesundheitswesens bedarf es zunehmend einer strategischen Grundsatzorientierung, um visionäre Führung und operatives Tagesgeschäft zu synchronisieren. Der zehnte Beitrag hat juristischen Charakter und thematisiert die Maßnahmen zur Umsetzung der europäischen Medical Device Regulation bei klein- und mittelständischen Herstellern von Medizinprodukten. Hier geht es aus KMU-Sicht um Sicherstellung der Richtliniencompliance, die oft zum Flaschenhals des Unternehmenserfolgs wird. Die Rechts-, Regel- und Regulationstreue stehen unter Ägide verschärfter Compliancerichtlinien, deren Verkennung bzw. Falschauslegung zu negativen ökonomischen Konsequenzen führen kann. Der elfte Beitrag greift die medizinische Strategieentwicklung und -implementierung in Krankenhäusern auf, die in der Diktion der Autoren eine eigenständige Planungsdimension repräsentieren. Die Medizin lässt sich als Wertschöpfungsmotor eines jeden Krankenhauses interpretieren, weshalb sie einer dezidierten, aber dennoch integrierten Strategieentwicklung bedarf. Konkret bedeutet dies eine enge Verzahnung von medizinischer und betriebswirtschaftlicher Strategieentwicklung, um keine Janusköpfigkeit in der Ausrichtung eines Krankenhauses zu erzeugen. Der zwölfte Beitrag beschäftigt sich fallstudienartig mit dem virtuellen Klinikverbund KREX als Lösungsansatz und Zukunftskonzept für kleine und mittelgroße Krankenhäuser, die im Sinne der Sharing Economy von den Skalen- und Synergieeffekten der Vernetzung profitieren wollen. Shared-Services-Lösungen  – unterstützt von KREX-Ex­ perten  – ermöglichen die Virtualisierung der eigenen Leistung durch koordinierte Zusammenführung komplementärer Aktivposten. Auf diese Weise lässt sich einerseits die rechtliche Unabhängigkeit aufrechterhalten und andererseits gegenüber den großen Klinikkonzernen Sichtbarkeit und Marktmacht generieren. Mit dem 13. Beitrag wird die Verbindung zur Evidenzberatung aus Sicht der Medizingeräteindustrie hergestellt. Diskutiert werden Instrumente der Evidenzgenerierung als Grundlage für Geschäftslösungen in der Healthcare-Industrie. Die gesundheitsökonomische Fachberatung erweist sich hierbei als Schlüssel zu faktenbasierter Nutzenkommunikation gegenüber erfolgskritischen Anspruchsgruppen und Institutionen. Im 14. Beitrag wird die Warenwirtschaft mit den Digitalisierungsherausforderungen konfrontiert und dabei die These einer gegenwärtig anachronistischen Ressourcenbewirtschaftung aufgestellt. Leistungsstarke Bewirtschaftungskonzepte stehen zwar zur ­Verfügung,

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doch mangelt es oft an der professionellen und kontextspezifischen Implementierung. Nur so kann es gelingen, Qualitäts-, Kosten- und Zeitvorteile zu realisieren. Der Beitrag führt dem Leser vor Augen, wie der Transformationsprozess analoger Warenwirtschaftssysteme gelingen kann, um aus den Chancen der Digitalisierung Kapital zu schlagen. Der 15. Beitrag akzentuiert das strategische Krankenhausmarketing aus einer holistisch-­ integrativen Perspektive. „Mitarbeiter motivieren, Einweiserpotenziale heben, Patienten begeistern“ lautet die Kernaussage der Autoren, wenn es darum geht, erfolgskritische Zielgruppen anzusteuern. Deutlich wird dabei, dass das strategische Krankenhausmarketing vielschichtiger Natur ist, weil Einweiser, Mitarbeiter und Patienten zunehmend Kundenstatus genießen, die den Charakter strategischer Erfolgspotenziale besitzen. Der letzte und 16. Beitrag widmet sich den Public Affairs in der Gesundheitspolitik, indem das Spannungsfeld zwischen Produktlobbying und Patienteninteressen thematisiert wird. In stark regulierten Gesundheitsmärkten entwickelt sich die professionelle „Bespielung“ des Nichtmarktsystems zu einem strategischen Erfolgsfaktor, um auf indirektem Weg ökonomische Interessen durchzusetzen. Die Autoren gehen der Fragestellung nach, wie verspieltes Vertrauen auf Gesundheitsmärkten wiederhergestellt werden kann, die keiner rein marktwirtschaftlichen Logik folgen. Consulting im Gesundheitswesen im Visier der Digitalisierung Je nach Standpunkt wird die Digitalisierung als Segen oder Fluch empfunden. Allen Beiträgen ist jedoch inhärent, dass eine Negierung oder Ausblendung digitaler Imperative längerfristig mit erheblichen Wettbewerbsnachteilen einhergeht. Gerade weil die Gesundheitswirtschaft extrem wissens- und kompetenzintensiv ist, bietet die Digitalisierung die große Chance einer Skalierung, Veredelung und userzentrierten Zuleitung entscheidungsrelevanter Informationen. Unternehmensberatung im Gesundheitswesen impliziert eine sehr differenzierte Betrachtungs- und Herangehensweise allein schon aufgrund des rigiden Marktordnungsrahmens und der auf Gesundheitsmärkten angebotenen Vertrauensgüter. Zum einen müssen digitale Probleme in Gesundheitsbetrieben gelöst werden, zum anderen aber stehen zunehmend digitale Tools zur Verfügung, um die Unternehmensberatung zu ökonomisieren – und dies auch im Gesundheitssektor. Als Vorgriff auf die folgenden Beiträge sollen nun eine Reihe diskutabler Thesen zum Consulting im Gesundheitswesen abgeleitet werden, um die Thematik in einen provokativen Gesamtzusammenhang einzubetten: Künstlich-intelligente Consultingtools werden die Art und Qualität der Entscheidungsfindung im Gesundheitswesen substanziell vereinfachen und verbessern. Es ist eine zunehmende Nachfrage nach Complianceconsulting im weiteren Sinne festzustellen, um aus Sicht der betroffenen Unternehmen Konflikte mit dem Rechts- und Regulierungsrahmen präventiv zu vermeiden. Strategisches Denken und Lenken avanciert im Gesundheitswesen zum kritischen Erfolgsfaktor, um die Herausforderungen der digitalen Disruption in etablierten, aber neuen Geschäfts- und Versorgungsmodellen zu berücksichtigen.

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Das Vertrauensgut Gesundheit bedarf differenzierter Beratungsansätze, um ethisch-­ moralische Konflikte auf normativen Handlungsebenen zu vermeiden. Viele Stakeholder stellen an Gesundheitsgüter besonders hohe ethische Anforderungen, die teilweise eine Modifizierung klassischer Beratungsdoktrinen erzwingen. Hidden Champions und Healthcare-Spezialisten sind in Teilbereichen den großen Consultingflaggschiffen überlegen, weil sie den Stallgeruch der Branche stärker in die Pro­ blemlösungen einbringen. Jede Branche beansprucht für sich ein Unikat zu sein, doch lassen sich trotz aller Unterschiedlichkeit die Consulting-Best-Practices anderer Branchen in adjustierter Form auf das Gesundheitswesen übertragen. Die Beiträge der einzelnen Autoren in diesem Sammelband sind wie folgt zusammengestellt: Zusammenfassung, Gliederung, Anschrift, Einleitung, Hauptteil, Schluss, Literaturverzeichnis und Autorenbiografie. Die Ausführungen und Erkenntnisse der Beiträge werden von jedem Autor in einer Schlussbetrachtung am Beitragsende zusammengefasst. Im Anhang wird ein Stichwortverzeichnis bereitgestellt, das zum besseren Verständnis des Sammelbandes dienen und die gezielte Themensuche beschleunigen soll. Wir möchten uns bei den zahlreichen Autoren des Bandes bedanken, die viele aktuelle und spannende Themen aus Praxis und Wissenschaft eingebracht haben. Weiterhin möchten wir uns ganz herzlich an dieser Stelle bei Frau Schlomski und bei Frau Sekar bedanken, die uns bei der Erstellung des Sammelbandes sehr mit ihren Ideen unterstützt haben. Neu-UlmChristoph Rasche , im September 2018  Mario A. Pfannstiel  Andrea Braun von Reinersdorff  Bianka Knoblach  Dietmar Fink

Inhaltsverzeichnis

1 Dashboardconsulting im Gesundheitswesen – Digitalisierungsoptionen und Anwendungsfelder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   1 Thorsten Knape, Peter Hufnagl und Christoph Rasche 2 Anforderungen an Führungskräfte im Krankenhaus – Wer ist ein guter CEO in Transformationszeiten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  29 Markus Bazan 3 Gesundheitshandwerker und Homecareunternehmen im Spannungsfeld zwischen Ausschreibungen und Social Media . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  47 Michael Messner, Stipo Vukoja und Maya Petrov 4 IT-Integrationsberatung für Medizinproduktehersteller. . . . . . . . . . . . . . . . .  63 Andreas Zimolong und Sandra Fiehe 5 Digitale Transformation als strategische Herausforderung. . . . . . . . . . . . . . .  79 Beate Kasper, Heike Kielhorn und Matthias P. Schönermark 6 Komplementärberatung in einem dynamischen Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Pia Drauschke, Stefan Drauschke, Hartmut Ponßen und Jörg Risse 7 Digitalisierung ist Kulturumbruch – Medizin im Zentrum des Wandels. . . . 117 Konrad Rippmann 8 Projektsteuerung, Due Diligence und Kaufpreisfindung – Unternehmensberatung bei Transaktionen im Gesundheitswesen . . . . . . . . . 135 Matthias Borchers und Karolin Kwickert 9 IT-Strategieberatung für Krankenhäuser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Uwe Günther und Timo Braun 10 Maßnahmen zur Umsetzung der europäischen Medical Device Regulation bei klein- und mittelständischen Herstellern von Medizinprodukten. . . . . . . 179 Franz Menean, Nicole Menean, Florian Rometsch, Michael Großmann und Tamara Becker XIII

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Inhaltsverzeichnis

11 Medizinische Strategieentwicklung und -implementierung in Krankenhäusern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Annika Emde und Michaela Lemm 12 Der virtuelle Klinikverbund. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Fred Andree, Kristin Blendow und Jan Patrick Glöckner 13 Instrumente der Evidenzgenerierung als Grundlage für Geschäftslösungen in der Healthcare-Industrie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Tino Schubert und Tobias Vogelmann 14 Bewirtschaftung im Wandel – Vom Säbelzahntiger zum digitalen Zeitalter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Tanja Heiß 15 Strategisches Marketing im Krankenhaus – Mitarbeiter motivieren, Einweiserpotenziale heben, Patienten begeistern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Andrea E. Raab, Thomas Doyé, Klaus Legl, Julia Wolf und Bettina Kriegl 16 Vertrauen schaffen und Lösungen anbieten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Holger Friedrich und Rieke Schulz Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333

Über die Herausgeber

Prof. Dr. Mario A. Pfannstiel  ist Professor für Betriebswirtschaftslehre im Gesundheitswesen – insbesondere innovative Dienstleistungen und Services an der Hochschule Neu-­ Ulm. Er besitzt ein Diplom der Fachhochschule Nordhausen im Bereich „Sozialmanagement“ mit dem Vertiefungsfach „Finanzmanagement“, einen M.-Sc.-Abschluss der Dresden International University in Patientenmanagement und einen M.-A.-Abschluss der Technischen Universität Kaiserslautern und der Universität Witten/Herdecke im Management von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen. Die Promotion erfolgte an der Sozialund Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät und dem Lehrstuhl für Management, Professional Services und Sportökonomie der Universität Potsdam. Im Herzzentrum Leipzig arbeitete er als Referent des Ärztlichen Direktors. Seine Forschungsarbeit umfasst zahlreiche Beiträge, Zeitschriften und Bücher zum Management in der Gesundheitswirtschaft. Univ.-Prof. Dr. rer. pol. habil. Christoph Rasche  Jahrgang 1965 in Münster, ist Leiter der Sektion „Professional Services“ an der Universität Potsdam. Zugleich war er mehrere Jahre geschäftsführender Direktor des dortigen Instituts für Sportwissenschaft und fungiert als Professor für Sportmanagement und Sportökonomie. Professor Rasche besitzt eine Doppelmitgliedschaft in der Humanwissenschaftlichen und der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam. Von 1995–1998 war Prof. Rasche Topmanagementberater bei der Unternehmerberatung DROEGE & Comp. AG. Er übt(e) u. a. Gastprofessuren an den Universitäten Innsbruck, Acalá de Henares (Madrid), Jena sowie der Hochschule Osnabrück im Rahmen der MBA-Ausbildung aus. Prof. Rasche wirkt als Unternehmensberater und Executive Trainer zur Stimulierung des Diskurses zwischen Wissenschaft und Praxis. Seine Forschungs- und Beratungsschwerpunkte beinhalten folgende Themenfelder: multifokales Management, Corporate Restructuring, Professional Services sowie Sport- und Gesundheitsmanagement. Die Dissertation erfolgte zum Thema „Wettbewerbsvorteile durch Kernkompetenzen“; der Titel Habilitationsschrift lautet „Multifokales Management“.

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Über die Herausgeber

Prof. Dr. rer. pol. Andrea Braun von Reinersdorff  Jahrgang 1966, übt eine Professur Krankenhaus- und Personalmanagement an der Hochschule Osnabrück aus. Sie unterrichtet strategisches Gesundheits- und Krankenhausmanagement im Rahmen zahlreicher MBA-Programme (u. a. WU Wien, Hochschule Osnabrück) und widmet sich in der Forschung dem Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen sowie den Gestaltungsoptio­ nen der strategischen Repositionierung von Expertenorganisationen. Andrea Braun von ­Reinersdorff promovierte an der Universität Bayreuth zum „Balanced Hospital Management“. Ihre Dissertation erscheint demnächst als Standardwerk der Gesundheitswirtschaft in der 3. vollständig überarbeiteten Auflage. Derzeit wirkt Andrea Braun als Dekanin für Forschung und Lehre und Innovationsbeauftragte der Hochschule Osnabrück. Bianka Knoblach  ist geschäftsführende Direktorin der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Management und Beratung (WGMB) in Bonn und leitet das Deutsche Institut für Beratungswissenschaften in Berlin. Nach verschiedenen Stationen in der Management- und Technologieberatung forscht und lehrt sie seit über zehn Jahren an verschiedenen Hochschulen in den Bereichen Organisationspsychologie und Beratung. Ihre Arbeiten zur Kompetenz, zur Reputation und zum Impact von Beratern haben in der Wissenschaft und in der Praxis seit vielen Jahren ihren festen Platz. Sie ist Autorin zahlreicher wissenschaftlicher Fachbeiträge und mehrerer Bücher zu den Themen Macht und Beratung. Professor Dr. Dietmar Fink  ist Inhaber der Professur für Unternehmensberatung an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, geschäftsführender Direktor der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Management und Beratung (WGMB) in Bonn und wissenschaftlicher Beirat des Deutschen Instituts für Beratungswissenschaften in Berlin. Er gilt als anerkannter, aber auch kritischer Begleiter der Beraterszene. Seit 20 Jahren berät er Firmen wie McKinsey, die Boston Consulting Group, KPMG, PwC und andere führende Beratungsunternehmen. Er ist Autor zahlreicher Bücher sowie einer Vielzahl von Artikeln und Kommentaren in renommierten Publikationen der Tages-, Fach- und Wirtschaftspresse.

Herausgeberanschriften

Prof. Dr. Dietmar Fink  Deutsches Institut für Beratungswissenschaften, Berlin, Deutschland, [email protected] Bianka Knoblach  Deutsches Institut für Beratungswissenschaften, Berlin, Deutschland, [email protected] Prof. Dr. Mario  Pfannstiel  Fakultät Gesundheitsmanagement, Hochschule Neu-Ulm, Neu-Ulm, Deutschland, [email protected] Prof. Dr. Christoph Rasche  Humanwissenschaftliche, Fakultät, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche, Fakultät, Management Professional Services Sportökonomie, Universität Potsdam, Potsdam, Deutschland, [email protected] Prof. Dr. Andrea  Braun  von Reinersdorff  Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Hochschule Osnabrück, Osnabrück, Deutschland, [email protected]

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Autorenverzeichnis

Fred Andree  KREX GmbH, Siegburg, Deutschland, [email protected] Markus A. Bazan  BAZAN Managementgesellschaft mbH, Witten, Deutschland, bazan@ bazan.de Tamara Becker  MEDAGENT GmbH, Mühlheim an der Donau, Deutschland, tamara. [email protected] Kristin Blendow  KREX GmbH, Siegburg, Deutschland, [email protected] Matthias Borchers  Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Curacon GmbH, Münster, Deutschland, [email protected] Timo Braun  Sanovis GmbH, München, Deutschland, [email protected] Prof. Dr. Thomas Doyé  Business School, Technische Hochschule Ingolstadt, Ingolstadt, Deutschland, [email protected] Stefan Drauschke  Next Health GmbH, Berlin, Deutschland, [email protected] Annika Emde  hcb GmbH, Essen, Deutschland, [email protected] Sandra Fiehe  Synagon GmbH, Aachen, Deutschland, [email protected] Dr. Holger Friedrich  Pathways Public Health GmbH, Berlin, Deutschland, [email protected] Jan Patrick Glöckner  KREX GmbH, Siegburg, Deutschland, [email protected] Michael  Großmann  MEDAGENT GmbH, Mühlheim an der Donau, Deutschland, ­[email protected] Dr. Uwe Günther  Sanovis GmbH, München, Deutschland, [email protected] Tanja  Heiß  Leitung Marketing und Vertrieb, Lenus GmbH, Frankfurt, Deutschland, [email protected] XIX

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Autorenverzeichnis

Prof. Dr. Peter Hufnagl  Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland, [email protected] Beate  Kasper  SKC Beratungsgesellschaft mbH, Hannover, Deutschland, kasper@ skc-beratung.de Heike  Kielhorn  SKC Beratungsgesellschaft mbH, Hannover, Deutschland, kielhorn@ skc-beratung.de Thorsten Knape  Universität Potsdam, Berlin, Deutschland, [email protected] Bettina  Kriegl  Technische Hochschule Ingolstadt, Ingolstadt, Deutschland, Bettina. [email protected] Karolin Kwickert  Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Curacon GmbH, Ratingen, Deutschland, [email protected] Klaus Legl  Technische Hochschule Ingolstadt, München, Deutschland, [email protected] Dr. Michaela Lemm  hcb GmbH, Essen, Deutschland, [email protected] Franz Menean  MEDAGENT GmbH, Mühlheim an der Donau, Deutschland, [email protected] Nicole Menean  MEDAGENT GmbH, Mühlheim an der Donau, Deutschland, [email protected] Michael Messner  M Assist GmbH, Troisdorf, Deutschland, [email protected] Maya Petrov  M Assist GmbH, Troisdorf, Deutschland, [email protected] Prof. Dr. Andrea E. Raab  Business School, Technische Hochschule Ingolstadt, Ingolstadt, Deutschland, [email protected] Konrad Rippmann  LOHMANN konzept GmbH, Hamburg, Deutschland, k.rippmann@ lohmannkonzept.de Florian Rometsch  MEDAGENT GmbH, Mühlheim an der Donau, Deutschland, florian. [email protected] Prof. Dr. Matthias  P.  Schönermark  SKC Beratungsgesellschaft mbH, Hannover, Deutschland, [email protected] Tino Schubert  LinkCare GmbH, Stuttgart, Deutschland, [email protected] Rieke  Schulz  Pathways Public Health GmbH, Berlin, Deutschland, [email protected] Tobias Vogelmann  LinkCare GmbH, Stuttgart, Deutschland, [email protected] Stipo Vukoja  M Assist GmbH, Troisdorf, Deutschland, [email protected] Dr. Julia K. Wolff  IGES Institut, München, Deutschland, [email protected] Andreas Zimolong  Synagon GmbH, Aachen, Deutschland, [email protected]

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Dashboardconsulting im Gesundheitswesen – Digitalisierungsoptionen und Anwendungsfelder Thorsten Knape, Peter Hufnagl und Christoph Rasche

Inhaltsverzeichnis 1.1  C  onsulting im Gesundheitswesen  1.2  Dashboardconsulting als Gestaltungsimperativ  1.3  Digital-Health-Consulting: Status, Perspektiven und Anwendungen  1.3.1  Erfolgsdimensionen von Digital-Health-Anwendungen  1.3.2  Stresstest für Digital-Health-Applikationen  1.3.3  Reifegradmanagement digitaler Geschäftsmodelle  1.3.4  Strategie – Geschäftsmodell – Erfolgsautomatismus?  1.4  Healthcare-Business-Transformation-Consulting  1.4.1  HBTT-Digital-Health-Dashboard für Gesundheitslösungen  1.4.2  Das HBTT-Digital-Health-Dashboard im Detail mit Leitfragen  1.4.3  Vorgehensweise: Der HBTT-Digital-Health-Business-Sprint  1.4.4  Der HBTT-Business-Modul-Portfolio-Konfigurator  1.4.5  Digitale Perspektiven  1.5  Schlussbetrachtung  Literatur 

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T. Knape (*) Management & Professional Services, Universität Potsdam, Potsdam, Deutschland E-Mail: [email protected] P. Hufnagl Telemedizin Centrum, Digitale Pathologie, Charité Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] C. Rasche Humanwissenschaftliche, Universität Potsdam, Potsdam, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), Consulting im Gesundheitswesen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25479-7_1

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T. Knape et al. Zusammenfassung

An dieser Stelle sollen unter die Rubrik der Dashboardmanagementsysteme stark kondensierte Canvas- und Navigatorenmodelle subsumiert werden, die dem Management künftig unter Echtzeitbedingung die Möglichkeit eines feingranularen Geschäftsmodellcontrollings bieten. Einhergehend mit der digitalen Transformation fast aller Wirtschaftszweige sind hohe Beratungsbedarfe zu konstatieren, die sich zunehmend im datengetriebenen Gesundheitswesen ergeben. Kaum eine Branche ist derart wissens- und kompetenzintensiv wie das Gesundheitsweisen, wenngleich hier mit teilweise anachronistischen Managementpraktiken operiert wird. Die Irrungen und Wirrungen rund um die Einführung der elektronischen Patientenakte verdeutlichen, dass zwar im Gesundheitswesen selektiv Hochtechnologieinseln existieren, die aber im Sinne einer holistischen Internet of Things-Logik kaum miteinander schnittstellenübergreifend kommunizieren. Das Dashboardconsulting verschafft dem Management echtzeitbasierte Zugänge zu den Datenwelten komplexer Geschäftsmodelle, um bessere und effizientere Entscheidungen fällen zu können. Hierüber definiert sich gerade das Gesundheitswesen. Dieser Beitrag fasst erste Ergebnisse der Arbeiten des Forschungsprojekts „AID: Mensch-Technik-Inter-Aktion zur Individualisierten Depressionsbehandlung und -verhinderung“ zusammen, das mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Programm KMU-innovativ gefördert wurde (Förderkennzeichen 16 SV 7879).

1.1

Consulting im Gesundheitswesen

Der Markt für Beratungsleistungen entwickelt sich gegenwärtig sehr günstig und ist von einem hohen Wachstum einschließlich einer Vielzahl neuer Geschäftsmodelle und Anbieter gekennzeichnet. Allgemein üblich ist eine Differenzierung der Akteure nach unterschiedlichen Vektoren, um die Art und Qualität der Beratungsleistung qualifizieren zu können. Abgesehen von den wenigen Ausnahmen einer Vollsortimentsstrategie fokussieren sich die meisten der Akteure auf Beratungsschwerpunkte zum Ziel der Erlangung profilscharfer Alleinstellungsmerkmale im Markt. Beratungsleistungen lassen sich dabei entlang folgender Ordnung schaffender Kriterien differenzieren, wobei diese nicht ausschließlicher Natur und damit kombinierbar sind (Rasche et al. 2017, S. 176 ff.). a. Branchenfokus: Hiermit gemeint ist die Konzentration der Beratungsleistung auf eine Branche, wie zum Beispiel das Gesundheitswesen im Allgemeinen oder einzelne Subsektoren des Gesundheitswesens. Zu denken ist hierbei an Klinikberatung, Krankenkassenberatung oder die Konzentration auf den ambulanten Sektor. Bei weiterer Marktabgrenzung im Sinne einer Synthese von Pathogenese und Salutogenese umfasst das Healthcare-Consulting den ersten, zweiten und dritten Gesundheitsmarkt, sodass der Markt für pharmazeutische Produkte, Medizingeräte oder Fitnessprodukte ebenfalls von hoher Relevanz ist.

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b. Funktionsfokus: In diesem Fall konzentriert sich die Beratungsleistung auf eine oder mehrere Wertschöpfungsaktivitäten, wie z.  B.  Einkauf, Beschaffung und Logistik, Leistungserstellung und Dienstleistungsproduktion oder Marketing und Vertrieb. Oftmals liegt der Schwerpunkt der Beratung auch auf einer Optimierung der indirekten Bereiche einer Organisation, wenn eine Verschlankung der Verwaltungsbereiche auf der Agenda der Unternehmensberatung steht. Häufig sind für den Kliniksektor ­Beratungsbedarfe entlang der gesamten Wertschöpfungskette festzustellen, wobei sich dann die Frage stellt, ob eine einzelne Unternehmensberatung hierfür qualifiziert ist oder ob mehrere Spezialisten zu rekrutieren sind. c. Globalisierungsfokus: Bis auf wenige Ausnahmen wie Big Pharma oder die Medizingeräteindustrie war das Gesundheitswesen bedingt durch den landesspezifischen Markt­ordnungsrahmen stark national oder sogar regional bis lokal geprägt. Aufgrund ­grenzüberschreitender Klinikakquisitionen, einer europaweiten Personalsuche, internationaler Patientenströme, globaler Finanzinvestoren und globaler Patientenströme werden den Unternehmensberatungen im Gesundheitswesen zunehmend globale Fähigkeiten abverlangt. Gesundheits- und Klinikkonzerne müssen gezielt auf die Globalisierungsanforderungen vorbereitet werden – zumal der Trend zur Kettenbildung im stationären, aber ambulanten Sektor anhalten wird. d. Methodenfokus: Gerade im ausdifferenzierten Gesundheitswesen ist eine Consultingprofilierung durch eine Konzentration auf Tools und Techniken möglich, die einen konkreten Klientennutzen bieten. Zu denken ist in diesem Fall an das Dashboardconsulting im Gesundheitswesen, um den Entscheidungsträgern erfolgskritische Informationen über medizinische, pflegerische oder betriebswirtschaftliche Sachverhalte unmittelbar auf mobilen Endgeräten zuzuleiten. Zu nennen wäre auch eine spezifische Methodenkompetenz auf dem Gebiet des Risiko-, Qualitäts- und Sicherheitsmanagements eines Krankenhauses  – handelt es sich hierbei doch um eine Hochrisikoorganisation. Ein weiterer methodischer Schwerpunkt könnte im Bereich des Medizincontrollings liegen, ohne dass eine professionelle Klinikführung unmöglich scheint. e. Problemlösungsfokus: Viele Unternehmensberatungen setzen thematische Akzente, indem sie sich z.  B. auf Strategie- oder Umsetzungsthemen konzentrieren. Einige Consultingfirmen arbeiten stark studien- und wissenschaftsorientiert, wobei der Schwerpunkt auf der Problemfeldanalyse liegt, ohne die von ihnen entwickelten Konzepte notwendigerweise umsetzen zu wollen. Allerdings ist die analytisch differenzierte Ratgeberrolle klientenseitig immer weniger gefragt, weil Unternehmensberatungen moderner Prägung verstärkt als Co-Value Creators agieren. Hiermit gemeint ist die Ergreifung konkret unternehmerischer Initiativen in engem Dialog mit dem Kunden, um messbare Ergebnisse durch eine meilensteinbasierte Projektumsetzung zu erzielen. Mitunter entwickelten Unternehmensberater im Schulterschluss mit ihren Kunden konkrete Geschäftsideen, projektieren diese und stellen zudem Beteiligungskapital zur Verfügung. f. Governance-Fokus: Hiermit gemeint ist eine formale Rechtsstellung einer Organisation im Sinne definierter Eigentums- und Verfügungsrechte, wie sich am Beispiel fremdund selbst organschaftlich geführter Unternehmen zeigt. Krankenhäuser w ­ erden in

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ö­ ffentlicher, kirchlicher oder privater Trägerschaft auf unterschiedlichen Versorgungsstufen betrieben. Letztere reichen vom Grund- und Regelversorger bis hin zur Universitätsklinik. Aus unterschiedlichen Trägerschaften und Betriebsgrößen leiten sich oftmals variierende Beratungsbedarfe ab. Übertragen auf den Consultinggesamtmarkt bedeutet dies, dass es neben vielen KMU-Beratern auch solche gibt, die nur Beratungsmandate ab einer bestimmten Betriebsgröße akzeptieren, also organisationsdemografische Kriterien bei der Entscheidungsfindung heranziehen. Jenseits der formalen Rechtsstellung und der Beteiligungsverhältnisse gilt für viele Institutionen des Gesundheitswesens, dass es sich hierbei um Expertenorganisationen handelt. Dieser Organisationstypus verlangt in der Regel nach spezifischen Beratungsansätzen, weil sich Professionals (Experten, Wissenschaftler, Mediziner) oftmals grundlegend von „konventionellen“ Arbeitnehmern unterscheiden. Unternehmensberatungen haben nun die Möglichkeit, entlang der hier diskutierten Fokussierungsvektoren Prioritäten zu setzen. Typische Hidden Champions der Unternehmensberatung sehen ihr Alleinstellungsmerkmal in der starken Spezialisierung, während global agierende Generalisten mit einer Gesamtmarktabdeckung multivektoriell zu punkten versuchen. One-face-to-the-customer-Geschäftsmodelle sind kennzeichnend für die großen Beratungshäuser, die von der Strategieberatung über die Organisations- und Prozessberatung auch das operative IT-Consulting sowie die Wirtschafts-, Steuer- und Rechtsberatung im Rahmen ihres diversifizierten Leistungsportfolios anbieten. Zwar sind zwischen den einzelnen Geschäftsfeldern aus Compliancegründen juristische Demarkationslinien zu ziehen, doch lassen sich strategische Synergieambitionen nicht negieren. Der stark wachsende, konvergierende und auf Größenvorteile bedachte Gesundheitsmarkt rückt dabei verstärkt in das Blickfeld der Unternehmensberatung, weil infolge der Markt- und Wettbewerbskonsolidierung nicht nur eine steigende Marktdynamik festzustellen ist, sondern auch eine überregionale bis internationale Anbieterstruktur. Die entstehenden Klinikkonzerne werden anders geführt als kommunale Grundversorger – verbunden mit attraktiven und vor allem lukrativen Beratungsfeldern (Rasche et al. 2018).

1.2

Dashboardconsulting als Gestaltungsimperativ

Unter dem Schlagwort des Dashboardconsultings sollen alle beratungsaffinen Ansätze subsumiert werden, die eine stark kondensierte Unternehmenssteuerung über strategische und operative Leistungsindikatoren zum Gegenstand haben. Vorreiter auf diesem Gebiet waren die Balanced Scorecard (BSC) oder auch das Modell der European Foundation for Quality Management (EFQM), denen eine mehrdimensionale und kausale Leistungserfassung inhärent ist. Allgemein differenziert wird zwischen eher unabhängigen Beeinflussungsgrößen und abhängigen Ergebnisvariablen, wie z. B. die finanzielle Performanz. Während die unabhängigen Leistungsindikatoren die Tiefenstruktur eines Geschäftsmodelles abbilden, repräsentieren abhängige Key Performance Indicators (KPIs) bzw. Ergebnisvariablen dessen Oberflächenstruktur im Sinne unmittelbarer und

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direkt quantifizierbarer Erfolgsdimensionen. Gemein ist dem Dashboardconsulting eine ausgeprägte Neigung zur Klientensensibilisierung für multifokale und kausal vernetzte Messmetriken, um die kurz-, mittel- und langfristige Leistungsfähigkeit ihrer Organisation möglichst quantitativ zu erfassen (Rasche und Schmidt-Gothan 2017, S. 1983 ff.). Zwar ist ein Führen und Steuern mit Kennzahlen nicht gänzlich neu in der Betriebswirtschaftslehre, doch besteht im Zuge der digitalen Transformation nunmehr die Option zur verzögerungsfreien Großdatenanalyse mittels künstlicher Intelligenz (KI). Trotz ihrer bislang noch embryonalen Anwendungen wird dieser prospektiv das Triggerpotenzial zur Bewirkung tektonischer Verschiebungen im Consultingsektor zugeschrieben. Im konkreten Fall des Gesundheitswesens erhält der Unternehmensberater nicht nur Zugang zu den Datenwelten eines Krankenhauses, sondern er steuert die Technologien zur massiven Daten- und Entscheidungsveredelung bei. Anwenderzentrierte, quasi Echtzeitdaten (im Sinne von weitgehend verzögerungsfrei) können auf mobilen Endgeräten bis hin zur Smartwatch nicht nur empfangen werden, sondern dem User werden gleichzeitig Problemfelder samt Lösungsräumen kredenzt. Damit der Wunsch Wirklichkeit wird, sind beim Einsatz der hier skizzierten Dashboardmanagementsysteme allerdings noch eine Reihe technischer, rechtlicher, organisatorischer, betriebswirtschaftlicher und soziopsychologischer Barrieren zu beseitigen. Trotzdem ist die Vision verlockend, im Rahmen von Cockpitmodellen Organisationsrealitäten entsprechend der Nutzeranforderung kaskadenförmig-kausal abbilden und szenariobasiert simulieren zu können. Auf einer strategischen Granulationsstufe evolviert ein digitalisiertes Dashboardmanagement 4.0 zu einem Geschäftsmodellmanagement (Rasche 2013, S.  1076  ff.). Dieses wiederum ist eng verkoppelt mit dem Business-Model-­ Development, dem es um die Generierung neuer Expansionsoptionen entlang unterschiedlicher Wachstumspfade geht (Produkt, Markt, Kunde, Vertriebskanal, Technologie, S ­ ervice etc.). Im hier verstandenen Sinne sorgen korrespondierende Dashboardmanagementsysteme für die oft fehlende Erdung visionärer Geschäftsmodelle, denen es oftmals an der metrischen Untersetzung mit Leistungsindikatoren mangelt. Gerade Investoren stellen sich Frage nach der Transformation einer innovativen Geschäftsmodellidee in eine strukturierende Ordnungslogik, die wiederum die Basis für ein Dashboardmanagementsystem bildet. Dieses wiederum lässt im übertragenen Sinne die P2P-Doktrin Realität werden: „from patent to profit“. Nachfolgend sollen einige der prominentesten Dashboardconsultingmethoden kursorisch umrissen werden: a. Führen und Steuern mit Kennzahlen: Hier wird versucht, ein Unternehmen über betriebswirtschaftliche Leistungskennzahlen erfolgreich zu positionieren. Gesundheitsunternehmen bedienen sich dabei auch immer versorgungsrelevanter Kennzahlen, wie z. B. Bettenbelegungen, Verweildauern oder Komplikationsraten. Bisher wurden Kennzahlen oft nur zur Ex-post-Kontrolle genutzt, anstatt sie zum Gegenstand eines vorsteuernden Medizin- und Krankenhauscontrollings werden zu lassen. Auch mangelte es oftmals an einem holistischen Kennzahlengebäude im Sinne eines House of Indicators. b. Key Performance Indicators: KPIs lassen sich als strategische Erfolgsfaktoren interpretieren, die den Erfolg einer Organisation maßgeblich determinieren. Diese können dabei ihre Wirkung sowohl auf strategischer als auch auf operativer Ebene entfalten und sind

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die Grundlage für Positionierungs- und Effizienzvorteile. Non-Profit-­Organisationen mit Versorgungsauftrag verfolgen dabei eine mehrdimensionale KPI-Logik, weil sich deren Gesamtleistung über betriebswirtschaftliche, medizinische und gesamtgesellschaftliche Dimensionen definiert. Angesichts der Volatilität vieler Märkte sollte aber klar sein, dass strategische Erfolgsfaktoren im Zeitablauf an Relevanz bis hin zu Bedeutungslosigkeit verlieren können. Gerade der technisch-medizinische Wandel im Gesundheitswesen begünstigt derartige Kompetenzentwertungsprozesse, wie sich am Beispiel verdrängter oder substituierter Technologien, Therapien oder Medikationen zeigt. c. Cockpitmanagement: In Analogie zum Cockpitinstrumentarium eines Piloten sollen Managern entsprechende Informationsquellen zur Verfügung stehen, um „auf einen Blick“ die neuralgischen Determinanten des Unternehmenserfolgs überwachen zu können. Letztlich handelt sich beim Cockpitmanagement um eine stark kondensierte Zusammenstellung der entscheidungsrelevanten Leistungs- und Risikoindikatoren im Sinne der 80:20-Regel. In einer modernen Diktion werden die analogen Cockpitcharts durch Cockpit-Apps ersetzt, um „auf Knopfdruck“ die entscheidenden Stellhebel des Organisationserfolgs jederzeit beeinflussen zu können. Predictive-Maintenance-­Informationen über den Zustand der Flaschenhälse einer sensiblen Infrastruktur z.  B. erfüllen dabei nicht nur die Red-Alert-­ Funktion, sondern auch die vorsteuernde Intervention zur präventiven Risikoabwehr. d. Balanced Scorecard: Der Unternehmenserfolg sollte hiernach nicht lediglich auf die abhängige Variable der finanziellen Performanz reduziert werden, sondern das kausale Ergebnis vorgelagerter Variablen. Hierbei handelt es sich um die einzigartige Marktund Wettbewerbsstellung, ohne die exorbitanten Gewinne und Wertsteigerungen kaum denkbar sind. Kundenwünsche lassen sich wiederum nur dann effizient und exzellent befriedigen, wenn die korrespondierenden Wertschöpfungsprozesse im magischen Dreieck von Qualität, Kosten und Zeit perfektioniert werden. Diese Form der permanenten Geschäftsprozessoptimierung steht in einer sachlogischen Beziehung zu den Lern-, Wachstums- und Kompetenzentwicklungsambitionen einer Organisation, wodurch die strategische Relevanz des Humankapitals in den Fokus der betrieblichen Steuerung rückt. Heutzutage sind fehlende Professionals im Gesundheitswesen ein Hauptgrund für verfehlte Prozess-, Markt- und Finanzziele. Die BSC präjudiziert eine Messbarkeit und Kaskadierung der Organisationsziele bis hin zur Nominierung von Zielverantwortlichen (Challenge Owner), die für deren Erreichung haftbar gemacht werden können. e. Business Model Canvas: Der BMC (vgl. Osterwalder und Pigneur 2010) dient in seiner Grundlogik der Beschreibung ganzer neuer oder etablierter Geschäftsmodelle über neun Dimensionen. Im Einzelnen handelt es sich hierbei um: Schlüsselpartner, Schlüsselaktivitäten, Schlüsselressourcen, Wertversprechen, Vertriebskanäle, Kundenbeziehungen, Kundensegmente, Kostenstruktur und Einnahmeströme. Zu monieren ist sowohl die fehlende Strategie- und Wettbewerbsorientierung als auch die mangelnde Umsetzungsorientierung. Den meisten Unternehmen ist nicht mit einer Zustandsbeschreibung eines Geschäftsmodells gedient, ohne dabei auf dessen Verortung im Strategiesystem ­einzugehen. Ebenso stellt sich die Frage, wie sich prosaische Geschäftsmodelle in implementierte Geschäftssysteme transformieren lassen. Modelle sind zwar

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­ irklichkeitsgetreue Abbilder der Realität, doch bedürfen diese einer ergebniswirksaw men Validierung. Trotzdem eignet sich der BMC als Beratungsansatz im Gesundheitswesen, um z. B. neue Versorgungsmodelle oder Healthcare-Start-ups zu analysieren. f. Business Model Navigator: Dieses Modell verfolgt eine ähnliche Intention wie der BMC in wesentlich reduzierter Form. Differenziert wird nach dem Nutzenversprechen (Was?), der Ertragsmechanik (Wert?) und der Wertschöpfungsmechanik (Wie?; Gassmann et al. 2017). Geschäftsmodelle sollten einen überlegenen Kundennutzen stiften, ohne den sich Erträge kaum erzielen lassen werden. Wichtig ist aber auch das Innenleben eines Geschäftsmodells, das durch die Wertschöpfungsarchitektur charakterisiert wird. Diese muss wiederum angesichts funktionierender Märkte und einer hohen Arbeitsteiligkeit der Weltwirtschaft nicht notwendigerweise proprietärer Natur sein. Viele Unternehmen scheuen eine Vollintegration aufgrund der hohen Kapitalbindung und der Einsicht, sich auf Kernelemente (Value Slices) der Wertschöpfungsleistung konzentrieren zu müssen. Mit Blick auf eine sektorenübergreifende Versorgung bietet sich eine vernetzte Wertschöpfungsleistung an, um die Vorteile der ambulanten und stationären Versorgung sinnvoll zu koppeln. Der BMN empfiehlt sich insofern als Consultingtool für das Gesundheitswesen, als Aufmerksamkeit von Führungskräften, Medizinern und Pflegepersonal auf drei kardinale Fragen des Betriebserfolgs gelenkt wird, ohne dabei managementunerfahrene Adressaten betriebswirtschaftlich zu überfordern. . Balanced-Hospital-Management: Das BHM erkennt insbesondere im Kliniksektor g die Notwendigkeit eines Ziel-, Interessen- und Anspruchsgruppenausgleichs zur Vermeidung etwaiger Übersteuerungstendenzen. Strategische und operative Ziele sind dabei ebenso in eine Balance zu bringen wie Medizin-, Versorgungs-, Service-, Technologie- und Gewinnimperative (Braun von Reinersdorff 2007). Zudem gilt es, neben dem Marktsystem das Nichtmarktsystem zu beherrschen, weil im Gesundheitswesen das Political-Impact-Management von großer Bedeutung ist (Rasche et al. 2019). Unter den Bedingungen eines stark regulierten Ordnungsrahmens können sich „Markt und Wettbewerb“ nicht voll entfalten, weshalb die einzelnen Akteure oft mit Ansätzen auf politischem und machtinduziertem Weg versuchen, betriebswirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Zudem sensibilisiert das BHM die Akteure für die PESTEL (Political, Economic, Social, Technological, Ecological, Legal)-Compliance im Sinne einer Vermittlung zwischen politischen, ökologischen, sozialen, technologischen, ökonomischen und rechtlichen Herausforderungen (Rasche 2014). . Multifokales Management: Dieser Ansatz postuliert ein Multi-Constraint-­Management h mit Blick auf die multiplen operativen und strategischen Flaschenhälse, denen sich ­Organisationen im Rahmen eines oft grassierenden Hyperwettbewerbs ausgesetzt sehen (Rasche 2002). Wie schon beim BHM angedeutet, müssen auch hier ganz im Sinne ­eines Multitasking mehrere Prioritäten gleichzeitig verfolgt werden, ohne sich dabei in Details zu verlieren. Oft müssen nicht nur Markt- und Technologieprioritäten synchronisiert werden, sondern Finanz- und Wohlfahrtsprioritäten. Zudem gilt es, einen Ausgleich zwischen dirigistischer Zentralsteuerung und dezentralen Bottom-up-­Initiativen zu finden. Viele arrivierte Unternehmen leiden unter virulenten Pfadabhängigkeiten

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und Trägheitsmomenten bis hin zur Systemstarrheit, weil das Kerngeschäft für sakrosankt erklärt wird. Wie aber können unter solchen Bedingungen Neugeschäfte, Innovationen und Start-ups gedeihen, die auf einer Kultur der Offenheit, Kreativität und flachen Hierarchien basieren. Übertragen auf das Gesundheitswesen gilt es, erforderliche Veränderungsprozesse bei voller Fahrt einzuleiten, ohne die Bestandsgeschäfte zu gefährden und die Zukunft zu verspielen. Der gemeinsame Nenner der hier vorgestellten Modelle besteht in ihrer konzeptionellen Tauglichkeit für ein Dashboardconsulting auf digitaler Niveaustufe.

1.3

 igital-Health-Consulting: Status, Perspektiven und D Anwendungen

Nachfolgend soll der Fokus auf Digital-Health-Anwendungen liegen, denen ein hohes Beratungspotenzial attestiert wird, um dann mit dem Healthcare Business Transformation Tool (HBTT) eine holistische Consultingtoolbox vorzustellen, die Transformationsprozesse im Gesundheitswesen unterstützt. Zum einen stehen die Einleitung und Umsetzung erforderlicher Veränderungsprozesse mittels digitaler Supporttools im Vordergrund. Zum anderen aber gilt es, die digitale Transformation im Gesundheitswesen beratungsseitig zu begleiten.

1.3.1 Erfolgsdimensionen von Digital-Health-Anwendungen Die Gesundheitswirtschaft wird stark von digitalen Inventionen und Innovationen infiltriert, die sich aber oft (noch) in einem embryonalen Status der relativen Markt- und Anwendungsferne befinden. Trotzdem ist eine digitale Transformation der Gesundheitswirtschaft zu erwarten, wenngleich dieser Veränderungsprozess allein schon aufgrund der vielschichtigen Barrieren und Opponenten eher schleichend und schleppend verlaufen wird. Abb. 1.1 veranschaulicht in kursorischer Form die Erfolgsdimensionen von Digital-­Health-­Anwendungen, wobei nach der Geschäftsmodellinnovation, der Nutzerorientierung und der Technologieund Datenorientierung differenziert wird. Im Sinne einer Balanced Strategy empfiehlt sich dabei eine möglichst frühzeitige Harmonisierung von Markt- und Technologieprioritäten, um keine Unwucht im Geschäftsmodell entstehen zu lassen. Ein hoher oder gar radikaler Innovationsgrad ist dabei nicht generell als positiv einzustufen. Sogenannte Liabilities of Newness deuten die möglichen Risiken radikaler Innovationen an, wenn diese z. B. technisch unausgereift sind, den konkreten Kundennutzen verfehlen, gültiges Recht bzw. ethische Standards verletzen oder aber wenig lukrativ sind. Auf eine einfache Formel gebracht verbindet das Modell die Nutzer-, Technologie- und Innovationsorientierung zu einem Analyse- und Entscheidungsraum, aus dem sich evidente Beratungsbedarfe ableiten lassen.

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Abb. 1.1  Business Model Cube. (Quelle: eigene Darstellung 2018)

a. Nutzerorientierung: Oft mangelt es digitalen Anwendungen in der Gesundheitswirtschaft an der konkreten Nutzenstiftung aus Sicht der Patienten, Ärzte oder Krankenkassen. Erfolgskritisch sind eine konsistente Marktabgrenzung, -segmentierung, -auswahl und -positionierung der angebotenen Leistungen. So ist einerseits zwischen dem ersten, zweiten und dritten Gesundheitsmarkt zu differenzieren, zumal fließende Übergänge zwischen dem Markt für Krankheit und Gesundheit bestehen. Andererseits macht es einen großen Unterschied, ob digitale Gesundheitsdienstleistungen im B2Boder B2C-Kontext vermarktet werden. Denkbar sind auch C2C-Konstellationen, die sich durch End-User-Vernetzung in Social-Media-Kontexten ergeben. Gesundheitsaffine User, Patienten oder Sportler speisen ihre Vital- und Fitnessparameter in digitale Räume ein, um sich zu vergleichen oder Trainingsfortschritte zu diskutieren. Werbefinanzierte und spielanimierte Gesundheits-Apps haben das Potenzial, im dritten Gesundheitsmarkt die Transformation vom Lifestyle zum Health Style datenuntersetzt zu begleiten. b. Technologieorientierung: Hier gilt es, den Designtrieb der Nerds und Freaks in betriebswirtschaftlich relevante Bahnen zu lenken, um kostspielige Technologievergoldungs- oder Over-Engineering-Ambitionen zu relativieren. Deutlich werden sollte, dass digitale Technologien in der Gesundheitswirtschaft Mittel zum Zweck der Nutzengenerierung und Problemlösungsorientierung sein sollten. Technologische Leistungsvorteile in Gestalt von Patenten müssen langfristig in Produkt- und P ­ rozessvorteile umgemünzt werden, weil oftmals erst die Skalierbarkeit des Geschäftsmodells für die

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Kosteneffizienz und Profit sorgt. Handelt es sich um komplexe ­Technologiesysteme, die im Rahmen von Gesamtarchitekturen beherrscht werden müssen, dann stellt sich die Frage nach dem proprietären Charakter des Technologieregimes. Bisweilen müssen Forschung-, Design- und Technologiekooperationen eingegangen werden, um Zugriff auf die komplementären Aktivposten der Netzwerkpartner zu erhalten. c. Innovationsorientierung: Oft wird fälschlicherweise der Eindruck vermittelt, dass Unternehmen immer nach disruptiv-radikalen Innovationen streben sollten, um Markt und Wettbewerb aus den Angeln zu heben. Gerade aber im regulierten und bisweilen veränderungsresistenten Gesundheitswesen verbietet sich eine Politik der Quantensprünge, wenn Institutionen, Ordnungsrahmen und Politik zwar einen Paradigmenwechsel medienwirksam proklamieren, diesen aber insgeheim eher fürchten. So ist der Grad der Innovationsneigung im Gesundheitswesen segmentspezifisch zu analysieren, weil auch hier Pionier-, Folger- und Schlafmützenphänomene zu beobachten sind. Auch qualifiziert sich nicht jedes Gesundheitsunternehmen für radikale Innovationen, weil dies der Ordnungsrahmen oder das Kompetenzniveau nicht zulassen. Radikales Denken und inkrementelles Lenken sind im Gesundheitswesen oftmals der Regelfall, weil multiple Innovationsbarrieren den strategischen Wandel erschweren. Damit Digital-Health-Anwendungen bis hin zur Marktreife entwickelt werden können, sind diese einem Stresstest zu unterziehen. Dieser erfüllt die Funktion eines Frühwarnsystems, um aussichtslose Projekte frühzeitig zu stoppen.

1.3.2 Stresstest für Digital-Health-Applikationen Zwar erfreuen sich Apps, Bots und digitale Assistenzsysteme auf mobiler Basis insbesondere bei der Zielgruppe der Digital Natives großer Akzeptanz, doch ist dies kein Garant für den Erfolg digitaler Gesundheitsapplikationen. Deshalb wird an dieser Stelle eine Stresstest für Digital-Health-Applikationen vorgeschlagen, um teure Fehlschläge zu vermeiden. Gerade für Inventionen und Innovationen ist eine hohe Floprate zu konstatieren, weshalb diese folgende Complianceanforderungen erfüllen sollten: a. Wirtschaftlich-finanzielle Compliance: Die Digitalisierung von Produkten, Dienstleistungen, Anwendungen und Geschäftsmodellen ist per se kein finanzieller Erfolgsgarant. Vielmehr ist der Nachweis zu erbringen, dass sich digitale Anwendungen im Gesundheitswesen tatsächlich rechnen. Zu denken ist hierbei nur an die Erstattungsfähigkeit therapeutischer Apps oder die Vergütung telemedizinischer Leistungen. Auch ist Skalierbarkeit digitaler Anwendungen kritisch zu hinterfragen mit Blick auf die geringen Grenzkosten ihrer Reproduktion. Sofern hohe Design- und Entwicklungsinvestitionen erforderlich sind, sollte das Ziel in der Bearbeitung ausreichend großer und expandierender Märkte bestehen. Für den Fall einer exklusiven Nischenstrategie muss sich das Investment über hohe Gewinnmargen amortisieren. Zu fordern ist ein aktives

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Business-Development samt korrespondierender Vertriebskanäle, um bei digitalen ­Anwendungen schnell für die erfolgskritische Installed Base und ein dominantes ­Applikationsdesign zu sorgen. b. Technologisch-innovatorische Compliance: Viele Ideen und Konzepte, die dem Design Thinking oder Forschungsabteilungen entspringen, funktionieren in den frühen Entwicklungsphasen und der kleinformatigen Prototypenerstellung. Jedoch stellt die Anforderung der Skalierbarkeit, der Großserienproduktion oder eines flächendeckenden Roll-outs viele junge Unternehmen samt ihrer Geschäftsmodelle vor existenzielle, technische Probleme. Hierfür sind frühzeitig ein entsprechendes Requirements Engineering, User-Experience-Analysen und ein Risikomanagement zu etablieren, sodass ein kostspieliges Update- und Distributionsmanagement verhindert wird. Handelt es sich zudem um digitale Gesundheitsanwendungen, die in risikogeneigten Kontexten angeboten werden, dann verbieten sich zu häufige iterative Leistungsverbesserungsoffensiven mit Blick auf die negativen Rechtsfolgen einer möglichen Patientenschädigung. So könnte z. B. ein chronisch kranker Patient Regressforderungen für den Fall des technischen Zusammenbruchs der telemedizinischen Versorgung oder des Biodaten-­Hacking stellen. Das Risk-, Safety- und Security-Consulting spielt bei digitalen Gesundheitsanwendungen eine entscheidende Rolle, um systemische Sicherheitslücken zu erkennen und Haftungsnotstände zu vermeiden. c. Rechtlich-politische Compliance: Der Ordnungsrahmen des regulierten und adminis­ trierten Gesundheitswesens lässt wirtschaftlich sinnvolle und technisch machbare Anwendungen schnell an ihre Grenzen stoßen. Nicht selten erweist sich der Rechts- und Regulierungsrahmen des Gesundheitswesens als Hauptfeind des digitalen Wandels. Fast schon symptomatisch hierfür ist das Desaster rund um die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte. Erstattungsfähige Therapie-Apps oder telemedizinische Leistungen haben ebenso mit rechtlichen Barrieren zu kämpfen wie die Digitalisierung des Medikamentenvertriebs. Gleiches gilt für die Bring-your-own-device-Devise, die von fast allen Krankenhäusern aus sicherheitstechnischen Gründen abgelehnt wird. Die Liste der Fallbeispiele ließe sich beliebig fortsetzen, bei der rechtliche Complianceprobleme zu lösen sind. Dies gilt umso mehr für digitale Therapieanwendungen, für die zu klären ist, ob und wann es sich hierbei um Medizinprodukte im juristischen Sinne handelt. . Ethisch-normative Compliance: Die Akteure und Institutionen des Gesundheitswed sens müssen ihr Tun nicht nur an legalen Imperativen ausrichten, sondern auch das etablierte Werteinventar einer Gesellschaft zum Gegenstand der Geschäftsmodellentwicklung machen. Ein zwar legaler Verstoß gegen die Moralvorstellungen und guten Sitten der Gesundheitsgemeinschaft wird oft als unanständig oder gar illegitim empfunden. Zu denken wäre hierbei an dringend benötigte Gesundheitsprodukte, die einem strikten Patentschutz unterliegen und bei gleichzeitig geringen Herstellungskosten zu Höchstpreisen angeboten werden. Wenn also Unternehmen aus der Not des Patienten oder Bedürftigen im unternehmerischen Sinne Kapital zu schlagen versuchen, dann droht in der Medienöffentlichkeit der nächste Shitstorm. Das oft zitierte Tandem aus „Wutbürgertum“ und „Empörungsgesellschaft“ verbündet sich gegen Unternehmen,

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die offenkundig die Moralvorstellungen moderner Zivilgesellschaften verletzen. Vor diesem Hintergrund macht es Sinn, in das Complianceconsulting auch ethisch-­ normative Restriktionen einzubeziehen. Der vierstufige Stresstest für digitale Anwendungen korrespondiert mit einer verdichteten PESTEL-Complianceanalyse, um in der Logik der strategischen Früherkennung etwaige Geschäftsrisiken frühzeitig zu erkennen. Der vorgestellte Compliancestresstest für digitale Gesundheitsanwendungen ist Teil des Krisen- und Interventionsmanagements in frühen Marktstadien. Hier sind Leistungsbeeinflussungsmöglichkeiten im Vergleich zu Spätstadien vergleichsweise groß, ohne dass die Designveränderungskosten „explodieren“. Umgekehrt sind ein (zu) spätes Requirements-Management und unzureichende User-Experience-Orientierung gleichermaßen aufwendig und teuer, weil bereits irreversible Investitionen durchgeführt worden sind.

1.3.3 Reifegradmanagement digitaler Geschäftsmodelle Digitale Anwendungen im Gesundheitswesen können sich in zum Teil sehr unterschiedlichen Reifestadien bewegen, die nach unterschiedlichen Kompetenzprofilen verlangen. Zur erfolgreichen Bewältigung der einzelnen Entwicklungsstufen bis zur Markteinführung macht es Sinn, der Fit-Logik orientiert am Customer Development Framework (Blank 2013) und den drei Start-up-Phasen (Maurya 2012, Abb. 1-1, S. 5) des Lean-­Start-­ up-Ansatzes (Ries 2011) zu entsprechen, je nach Stufe eine weitgehende Kongruenz zwischen internen und externen Anforderungen zu erreichen. Abb.  1.2 veranschaulicht

Abb. 1.2  HBTT-Reifegrade eines Digital-Health-Geschäftsmodells (Meilensteinweg). (Quelle: eigene Darstellung 2018)

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r­ elevante Reifegradmeilensteine auf dem Weg zur erfolgreichen Marktpositionierung digitaler Gesundheitsanwendungen. a. Stakeholder, Bedarf und Umfeld: Orientiert am strategischen Organisationsrahmen („Leitbild-, Ziele-Fit“) steht zu Beginn die Stakeholdervalidierung der digitalen Anwendung, um die Akzeptanz der Geschäftsidee bei internen und externen Anspruchsgruppen zu überprüfen („Stakeholder-Fit“). Oft werden Innovationen als Bedrohungen für das eigene Kerngeschäft betrachtet oder nicht akzeptiert, wenn diese nicht in voller Gänze aus den „eigenen Reihen“ stammen. Zudem kann es sein, dass externe Anspruchsgruppen wie Kostenträger, Politik und Interessenvereinigungen einen weiteren Vormarsch der Digitalisierung im Gesundheitswesen, aus welchen Gründen auch immer, ablehnen. Mit Stakeholderempathie ist ein differenziertes Verständnis für die Probleme, Ängste und Sorgen betroffener Anspruchsgruppen gemeint, die es zu informieren und zu integrieren gilt. Ferner sind das Potenzial des Gesundheitsmarktsegmentes sowie dessen Entwicklung unter Einbeziehung von Konkurrenten und technisch-­ gesellschaftlichen Trends zu analysieren („Markt-Umfeld-Fit“). Wesentlicher Aspekt ist die Identifizierung eines realen, nachgefragten „digitalen Gesundheitsbedarfs“ der Stakeholder, dessen Lösungsentwicklung aus Sicht der Organisation als lohnenswert erscheint („digitaler Gesundheitsbedarfs-Fit“). b. Nutzen und Lösung: Ein Wert- und Nutzenversprechen gegenüber dem Kunden lässt sich nur glaubhaft einlösen, wenn dessen Probleme nachhaltig gelöst werden. Digitale Anwendungen sollten damit immer im Dienst des Users stehen, der diese subjektiv aus einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Laienperspektive beurteilt („digitaler Gesundheitsnutzen-­ Fit“). Kundenempathie bedeutet in diesem Zusammenhang die Fähigkeit, einen kundenrelevanten Problemlösungsraum aufzuspannen („digitaler Gesundheitslösungs-­Fit“). Das Produkt selbst ist dabei als Problemlösung im Rahmen einer Means-/End-Konstellation zu sehen, weil es der Erfüllung des Wertversprechens dient. c. Lösungsgestaltung im Hinblick auf ein Medizinprodukt: Zur Motivation für eine kontinuierliche Nutzung einer Gesundheitsanwendung wird über die Vermeidung von Fehlbedienungen hinaus ein individualisierbares Userinterface angestrebt, dass einen sog. Joy of Use bietet („Produkterlebnis-Fit“). Der Umgang mit den Anwenderdaten ist zu konkretisieren („Datenstrategie-Fit“) und die Interoperabilität sowohl aus technischer als auch organisatorischer Sicht zu gewährleisten („Technik-, Interoperabilitäts-­ Fit“). Anpassungswünsche der Nutzer z. B. hinsichtlich des Userinterface sollten mit geringem Aufwand möglich sein. d. Rechts- und Regulierungsrahmen: Die Einhaltung normativer, gesetzlicher Anforderungen sowie der Nachweis der therapeutischen Evidenz einer digitalen Intervention wird zum „regulatorischen, klinischen Fit“ angestrebt. So verdient die Lösung den Status eines Medizinprodukts und entspricht aus Expertensicht dem WANZ-Prinzip (wirtschaftlich, ausreichend, notwendig, zweckmäßig) als Basis für eine Erstattungsfähigkeit. e. Lösungserstellung, Inverkehrbringen und Betrieb: Die Aktivitäten zur Erstellung des Lösungsangebots sind zu planen („Aktivitätenwertschöpfungs-Fit“). Hierbei gilt

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es, neben der Verfügbarkeit eines technischen Umfeldes die personellen Ressourcen im Organisationsteam oder Partnernetzwerk bereitzustellen („Team-/Netzwerk-Fit“). Ferner sind im Distributionskonzept die Informations-, Vertriebs- und Logistikimperative festzulegen, damit z. B. die digitale Gesundheitsanwendung den Nutzer bzw. Käufer bequem erreicht und dessen Preisbereitschaft abgerufen werden kann („Distributions-/ Kanäle-Fit“). In diesem Zusammenhang sind die Rollen der Organisation in der Wertschöpfungskette festzulegen („Organisationsrollen-Fit“), z. B. Entwicklungsdienstleister, Inverkehrbringer. f. Finanzplanung, Reimbursement: Neben der Planung der erforderlichen Ausgaben („Ausgaben-Fit“), u. a. Kosten für Kundenakquise, Personal und externe Dienstleistungen, sind vor allem die Optionen für eine Kostenerstattung im ersten Gesundheitsmarkt sowie Erlösmöglichkeiten per B2B-, B2C- und C2C-Monetarisierungsstrategien gegenüberzustellen („Einnahmen-, Reimbursement-Fit“). . Realisierung und Erfolgsmessung: Zur Vermeidung einer Produktentwicklung ohne g Marktnachfrage wird das Lösungsangebot iterativ als sog. Minimum Viable Product (MVP) geplant und entwickelt. Der Zustand und Funktionsumfang der MVPs („Realisierungs-, MVP-Fit“) sowie Kriterien, Tests zu dessen Erfolgsbeurteilung sind je Reifegradphase zu definieren („Erfolgsmetriken-Fit“). Das Anwender- und Käuferfeedback sowie Resultate von Businessexperimenten mittels der MVPs in qualitativer und quantitativer Hinsicht mit Blick auf Nachfragegröße sowie Absatzchancen fließen als Lerneffekt in nachfolgende Iterationen ein. . Zukunft und Skalierung: Der letzte Meilenstein des Evolutionsmodells stellt die Skah lierbarkeit einer digitalen Anwendung dar, um großvolumige Märkte bedienen zu können („Zukunfts-, Skalierungs-Fit“). Im Fall einer Preis-/Mengenstrategie ist die frühzeitige Erzielung einer hohen Anzahl „aktiver User“ erfolgskritisch. Ausgehend vom Absatz einer digitalen Applikation in einem Nischensegment, sollte ein aktives „Stückmargenmanagement“ über eine Abschöpfungspreisstrategie praktiziert werden. Im zweiten Schritt ist zu erwägen, mit der App preissensitivere Segmente des zweiten und dritten Gesundheitsmarkts im Zuge der Leistungsdifferenzierung anzusprechen. Nach erfolgter Skalierung des Geschäftsmodells ist dieses in den profitablen Regelbetrieb zu überführen, indem einerseits Kosten- und Effizienzoptimierungen und andererseits Preis- und Einnahmeoptimierungen durchgeführt werden. Zu denken ist z. B. an eine segment- und zielgruppenspezifische Produkt-/Preisdifferenzierung bei gleichzeitig marginalen Leistungsänderungskosten.

1.3.4 Strategie – Geschäftsmodell – Erfolgsautomatismus? Die digitale Transformation im Gesundheitswesen avanciert zu einem zentralen Beratungsfeld, um Produktivitäts- und Innovationsreserven zu erschließen. Gegenwärtig wird die Geschäftsmodelllogik zunehmend auf das Gesundheitswesen und seine Institutionen

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übertragen. Nicht selten wird in der Architektur des Geschäftsmodells per se eine Quelle substanzieller Wettbewerbsvorteile gesehen, ohne dabei die Dreieckskonstellation aus Strategie, Geschäftsmodell und Erfolg ausreichend zu würdigen. So stellt sich die Frage, ob Geschäftsmodelle ohne Strategien prosperieren können bzw. die Schlagkraft einer Strategie von einem korrespondierenden Geschäftsmodell abhängt. Ebenso stellt sich die Frage, ob der Unternehmenserfolg zwingend auf zugrunde liegenden Strategien und/oder Geschäftsmodellen basiert. Ebenso wird darüber diskutiert, ob Unternehmen aus der strategischen Stoßrichtung Geschäftsmodelle ableiten sollten oder Letztere auch die Basis der Strategieentwicklung sein können. Abb.  1.3 veranschaulicht dieses Spannungsgeflecht, wobei sich in der Praxis für alle acht möglichen Konstellationen bestätigende Fallbeispiele finden lassen. Im Idealfall entwickeln Unternehmen eine Strategie, die als Basis für die Geschäftsmodellentwicklung dient, die im Fall ihrer Marktüberlegenheit final zum Unternehmenserfolg führt. Sicherlich trifft diese Konstellation auf viele der arrivierten Konzerne zu. Start-­ ups bewegen sich dagegen oftmals in derart volatilen Märkten, dass strategische Commitments sie in ihrem Agilitätsstreben unnötig einschränken würden. Nicht selten versuchen sie zuerst, ihre Idee in ein flexibles Geschäftsmodell zu überführen, das ihnen den Vorteil der Multioptionalität bietet. Kaum realistisch dagegen ist ein dauerhafter Geschäftserfolg ohne konsistente Strategien und/oder Geschäftsmodelle. Während erfolgreiche Unternehmen auch ohne explizite Strategie allein aufgrund vorteilschaffender Geschäftsmodelle erfolgreich sein können, indem sie sich agil-adaptiv im Marktumfeld

Abb.  1.3  Spannungsgeflecht von Strategie, Geschäftsmodell und Unternehmenserfolg. (Quelle: eigene Darstellung 2018)

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bewegen, verpufft die Wirkung einer Strategie ohne umsetzungsorientierte Geschäftsmodelle relativ schnell. Strategien drohen dann die Bodenhaftung zu verlieren. Umgekehrt kann eine hemdsärmelige Konzentration auf Geschäftsmodelle eine situationsopportunistische Strategielosigkeit begünstigen, weil das Lenken das Denken dominiert.

1.4

Healthcare-Business-Transformation-Consulting

Die Einleitung und Umsetzung erforderlicher Veränderungsprozesse im Gesundheitswesen ist zu einem wichtigen Beratungsfeld geworden. Wenn an dieser Stelle von Transformation gesprochen wird, dann ist damit nicht lediglich die kritische Reflexion des Mindset der Akteure und Institutionen gemeint, sondern eine mehrdimensionale Neuordnung entlang mehrerer Veränderungsvektoren. Das Konzept des HealthcareBusiness-Transformation-­Consultings steht dabei für ein Portfolio an Tools und ­Techniken, die sich diesbezüglich flankierend einsetzen lassen, den Healthcare-Business-Transformation-Tools (HBTT).

1.4.1 HBTT-Digital-Health-Dashboard für Gesundheitslösungen Mit dem „HBTT-Digital-Health-Dashboard“ für digitale Gesundheitslösungen soll ein erstes Transformationstool des HBTT-Werkzeugportfolios vorgestellt werden. Es greift die Logik des Business Model Canvas (Osterwalder und Pigneur 2010) bzw. Lean Canvas (Maurya 2012, Abb. 1-1, S. 5) auf und adjustiert diese auf die Besonderheiten des Gesundheitswesens hin. Im Gegensatz zu den genannten Canvastools umfasst das HBTT-Digital-Health-­ Dashboard wesentlich mehr Dimensionen, indem sowohl die Brücke zu regulatorischen Dimensionen der Medizinproduktsicht, zum Datenmanagement als auch zur strategischen Stoßrichtung einerseits und zur konkreten Umsetzung andererseits geschlagen wird. Ebenfalls finden neben PESTEL-Faktoren, wettbewerbsstrategische sowie ethische und klinische Dimensionen Eingang in das Modell. Abb. 1.4 zeigt die Grundstruktur des HBTT-Digital-Health-Dashboards, das prospektiv als digitales Consultingtool pilotiert werden soll. Das HBTT-Digital-Health-Dashboard als Managementsystem beinhaltet in seiner Grundform 19 Dimensionen, die gezielt die Besonderheiten des Gesundheitswesens aufgreifen. Als besonders wichtig wird hierbei die enge Kopplung von der Vision und Umsetzung erachtet, um die sog. Knowing Doing Gap zu überwinden. Hiermit gemeint ist die klaffende Lücke zwischen den Ambitionen eines Geschäftsmodells und den operativen Anforderungen und Meilensteinen, um dieses implementierte Realität werden zu lassen. Investoren interessieren sich final weniger für kreative Gedankenexperimente als für Amortisationszeitpunkte, Kapitalrückflüsse und Renditen. Minimum Viable Product z. B. verkörpern deshalb in einem ersten Schritt gelebte Realitäten, die den Kapitalgebern eine relative Produkt- und Leistungssicherheit vermitteln.

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Abb.  1.4 Struktur des HBTT-Digital-Health-Dashboards für digitale Gesundheitslösungen. (Quelle: eigene Darstellung 2018)

Das HBTT-Digital-Health-Dashboard soll Gesundheitsunternehmen dabei unterstützen, Strategien mit Bodenhaftung zu entwickeln. Gerade im konservativen Gesundheitswesen ist dieser Aspekt insofern extrem wichtig, als Innovationen nur dann akzeptiert werden, wenn diese eine konkrete Gestalt annehmen. Das HBTT-DigitalHealth-­Dashboard rekurriert zudem auf die Idee der Pain Points im Sinne systemrelevanter Flaschenhälse bzw. Constraints, die z. B. in dringend zu lösenden Versorgungsproblemen bestehen. Zu konstatieren ist, dass das HBTT-Digital-Health-Dashboard kein geschlossenes System darstellt und situationsspezifisch adaptierbar ist. Seine Grundlogik ist damit auch auf andere Branchenkontexte potenziell übertragbar.

1.4.2 Das HBTT-Digital-Health-Dashboard im Detail mit Leitfragen Basierend auf dieser Grundstruktur wurde ein konkretisierendes Dashboardmanagementsystem entwickelt, um digitale Lösungsangebote im komplexen Gesundheitswesen einer eingehenden Validierung und Analyse unterziehen zu können. Die detaillierte Form des HBTT-Digital-Health-Dashboards für digitale Gesundheitslösungen ist in Abb.  1.5 ­dargestellt. Hierbei liegt der Fokus auf Lösungsangebote mit dem Schwerpunkt „M-Health“, d. h. Mobile Health bzw. mobile Anwendungen fürs Gesundheitswesen. Eine Übertragung auf andere digitale Gesundheitsangebote ist mit geringem Aufwand möglich. Es eignet sich als Instrument des Innovationscontrollings, indem es die Aufmerksamkeit involvierter Investoren, Manager und Gründer eben nicht nur auf strategische Erfolgsfaktoren,

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Abb.  1.5  HBTT-Digital-Health-Dashboard für digitale Gesundheitslösungen, Fokus M-Health. (Quelle: eigene Darstellung 2018)

sondern auch auf die Ebene operativer Entscheidungstatbestände lenkt. Mittels der 19 Leistungsindikatoren wird eine differenzierte Analyse von Geschäftsmodellen und Innovationen im Gesundheitswesen möglich. Bewusst wird nach Business-­ Development-­ Optionen im ersten und zweiten Gesundheitsmarkt unterschieden, die sich z. B. als Ergebnis unbefriedigter Bedürfnisse oder neuer Nutzenerwartungen ergeben. Zudem wird versucht, ein multifokales Abbild der unternehmerischen Realität zu erzeugen, weil sowohl interne und externe als auch strategische und operative Erfolgsfaktoren synoptisch zusammengeführt werden. Streng genommen handelt es sich bei dem Modell um eine Synthese aus Business Model Canvas und Balanced Scorecard. Erfolgskritische Stakeholder, Promotoren, Opponenten sowie begünstigende bzw. hemmende Rahmenfaktoren werden explizit genannt, damit die Umsetzung einer innovativen Gesundheitsanwendung in einem realitätsnahen Institutionengeflecht erfolgen kann. Beim HBTT-Digital-Health-Dashboard gilt es, folgende Fragen im Sinne eines Selbsttests zu beantworten: 1. Vision, Mission, Werte, Ziele: Welcher philosophisch-normative Überbau leitet das Geschäftsmodell? Was ist der strategische Geschäftszweck?

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2. Stakeholder: Welche internen und externen Anspruchsgruppen sind für das Projekt von hoher Relevanz und wie lässt sich ihre Machtstellung nutzen? 3. Digitaler Gesundheitsbedarf: Wie lässt sich der digitale Gesundheitsbedarf qualitativ beschreiben und quantifizieren? 4. Markt und Wettbewerb: Wie gestaltet sich die Branchendynamik und wie wirken sich die Triebkräfte des Wettbewerbs auf unser Geschäftsmodell aus? 5. Digitaler Gesundheitsnutzen: Welchen genuinen Zusatznutzen bietet unsere Gesundheitsanwendung und wie lässt sich dieser aus Kundensicht monetisieren? 6. Digitale Gesundheitslösung: Welche gegenwärtigen und künftigen Probleme lösen wir mit unserer Gesundheitsanwendung kurz-, mittel- und langfristig aus Sicht der Kunden? 7. Produkterlebnis: Welchen emotionalen Zusatznutzen vermittelt unsere Gesundheitsanwendung und in welchen Erlebnisräumen lässt sich diese positionieren? 8. Datenstrategie: Wie lassen sich Daten veredeln und in entscheidungsrelevante Informationen nutzerzentriert transformieren, um aus Nutzern Experten werden zu lassen? 9. Technische Umgebung: Welchen Anforderungen muss unsere technische Umwelt genügen, damit Hardware, Software, Brainware und Peopleware einen Mehrwert stiften? 10. Regulatorisches Umfeld: Welche Chancen und Risiken gehen vom regulatorischen Umfeld aus und wie lässt sich dieses durch Nichtmarktstrategien beeinflussen? 11. Rollen und Organisation: Wer übernimmt welche Rolle in welcher Situation innerhalb und außerhalb der Organisation im Sinne formaler und informaler Machtausübung 12. Aktivitäten und Wertschöpfung: Welche Aktivitäten der Wertschöpfungskette sind sakrosankt im Sinne proprietärer Kernkompetenzen und was wird fremdbezogen? 13. Distribution und Kanäle: Wie wollen wir unsere Leistungen auf welchem Weg distribuieren und wie überbrücken wir die „letzte Meile“ zum B2B- und B2C-Kunden? 14. Team und Netzwerk: Wie können wir im Sinne der Sharing Economy über unser Netzwerk Kapital schlagen, Synergien nutzen und Skaleneffekte realisieren? 15. Ausgaben: Wie lassen sich unsere Ausgaben nach ihrer Fristigkeit und Liquiditätswirksamkeit charakterisieren und vorsteuernd planen bzw. beeinflussen? 16. Einnahmen: Wie lassen sich unsere Einnahmen nach ihrer Fristigkeit und Liquiditätswirksamkeit charakterisieren und vorsteuernd planen bzw. beeinflussen? 17. Minimum Viable Products: Welchen Mindestanforderungen müssen unsere Prototypen und „Erlkönige“ genügen, um aus Sicht von Lead-User-Kunden Akzeptanz zu erhalten? 18. Erfolgsmetriken: Welche validen, zuverlässigen und ressourcenschonenden Messinstrumente wollen wir im Sinne der Planfortschrittskontrolle einsetzen? 19. Status quo, Risiken, Zukunft, Skalierung: Welche risikoadjustierten Zukunftsszenarien lassen sich auf Basis des Status quo ableiten, welche Implikationen ergeben sich daraus? Zwar bietet der hier vorgestellte Fragenkatalog keine generelle Erfolgsgarantie, doch unterstützt er Management, Investoren und Gründer entscheidend bei der Analyse, Validierung und Beurteilung innovativer Gesundheitsanwendungen.

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1.4.3 Vorgehensweise: Der HBTT-Digital-Health-Business-Sprint Die Entwicklung eines Digital-Health-Geschäftsmodells mithilfe des HBTT-Ansatzes erfolgt zyklisch-iterativ als „HBTT-Digital-Health-Business-Sprint“ (vgl. Abb. 1.6). Diese Vorgehensweise orientiert sich an den Lean-Start-up-Prinzipien des „validierten Lernzy­ klus: Bauen, Messen, Lernen“ (Maurya 2012, Abb. 1-1, S. 5) und der Erstellung von sog. Minimum Viable Product (MVP; vgl. Blank et al. 2017, S. 48 ff.) zur frühzeitigen Nutzenevaluation bzw. Findung von „frühen Anwendern“ (Early Adopter). Während des HBTT-Digital-Health-Business-Sprints werden die einzelnen HBTT-­ Reifegrade eines Digital-Health-Geschäftsmodells (vgl. Abb. 1.2) angestrebt. Ausgehend

Abb. 1.6  HBTT-Digital-Health-Business-Sprint. (Quelle: eigene Darstellung 2018)

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von dem Leitbild und den Zielen der Organisation wird das Geschäftsmodell mittels iterativer Erarbeitung der Inhalte des HBTT-Digital-Health-Dashboards konkretisiert und visualisiert. Als Produkt ist nicht primär die Hard- bzw. Software zu sehen, sondern das Geschäftsmodell selbst. Daher wird das ausgefüllte HBTT-Digital-Health-Dashboard des Geschäftsmodells ebenfalls als ein sog. Minimum Viable Product aufgefasst, hier speziell als „Digital Health Business MVP“. Die Annahmen bzw. Geschäftsmodellhypothesen des HBTT-­Digital-­Health-Dashboards werden zunächst entsprechend ihres Risikogrades bewertet. Eine Validierung der Geschäftsmodellhypothesen geschieht in Bauen-MessenLernen-­Zyklen mittels der Digital Health Business MVP und Durchführung von Businessexperimenten, z. B. Validierung des Nutzerverhaltens von Produktwebseiten. Das Gelernte aus den Ergebnissen der Experimente fließt in die Aktualisierung, Modifizierung des Geschäftsmodells (engl. „pivot“) ein. Hierfür wird das HBTT-Digital-­ Health-­Dashboard angepasst. Erkenntnisse mit erheblichen Auswirkungen können auch zu einer Änderung des Leitbildes führen, z. B. eine neue Ausrichtung vom ausschließlichen App-Softwareanbieter zum umfassenden Serviceanbieter mit persönlichen Gesundheitsdienstleistungen.

1.4.4 Der HBTT-Business-Modul-Portfolio-Konfigurator Als weiteres, unterstützendes Werkzeug zur Konzeption eines Digital-Health-Geschäftsmodells wird an dieser Stelle der „HBTT-Business-Modul-Portfolio-Konfigurator“ vorgestellt. Er soll zum einen die Betrachtung verschiedener Konfigurationen des Digital-­ Health-Wert-/Marktangebots ermöglichen und ferner die Rolle(n) der Organisation innerhalb der Wertschöpfungskette hierbei aufzeigen. In diesem Zusammenhang werden das Kerngeschäft und die Eigenleistungen der Organisation präzisiert sowie optionale und externe Services bzw. Zukaufkomponenten von Partnern identifiziert. So kann beispielsweise die Businessmodulkonfiguration einer M-Health-Lösung bestehen aus einer Stand-alone-Software als Basisgeschäft (App), ergänzt um eine optionale Sensorik zur Messung von Vitaldaten und Trainingsvideos für die Patientenedukation (Content). Für die Konsultation eines Mediziners ist darüber hinaus ein medizinisches Serviceangebot in Form einer Videosprechstunde vorgesehen. Um eine hohe Anwenderakzeptanz zu erreichen, besteht ferner die Möglichkeit, unterstützende Produktmodule, wie z. B. das „Produkterlebnis“, „Analytics“ oder „Nachhaltigkeit“, einzubeziehen. Eine weitere wichtige Businesskomponentengruppe sind die unterstützenden Markteintrittsservices, wie z. B. die Produktzulassung oder die Organisation und Durchführung von klinischen Untersuchungen. Hierfür ist ebenfalls zu entscheiden, welche Leistungen intern oder extern erbracht werden sollen und worin das Kerngeschäft besteht.

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Der HBTT-Business-Modul-Portfolio-Konfigurator unterstützt weiterhin die Visualisierung der Geschäftsmodelltransformation z. B. vom ausschließlichen App-Anbieter hin zum Anbieter einer Blended-Therapieleistung bestehend aus Softwareapplikation und einer Face-to-Face-Gesundheitssprechstunde. Den HBTT-Business-Modul-Portfolio-Konfigurator mit dem Schwerpunkt M-Health zeigt die Abb. 1.7.

1.4.5 Digitale Perspektiven Die Etablierung eines digitalen Healthcare-Geschäftsmodells, ausschließlich auf Basis eines Portfolios von mobilen Gesundheits-Apps, bietet nur für ein kleines Segment von M-Health-App-Distributoren ausreichend wirtschaftliches Potenzial. Zu diesem Ergebnis kommen Analysen einer internationalen Umfrage des Marktforschungsunternehmens Research2Guidance bei ca. 2400 Experten von Anbietern mit mehr 8000 M-Health-Apps, dies entspricht ca. 3  % der weltweit verfügbaren M-Health-Apps (Research2Guidance 2018). Im Jahr 2017 erzielten nach dieser Studie 56 % der M-Health-App-Distributoren als Geringverdiener weniger als 10.000 $ Umsatz pro Jahr. Spitzenverdiener sind 11 % der

Abb.  1.7  HBTT-Business-Modul-Portfolio-Konfigurator, Fokus M-Health. (Quelle: eigene Darstellung 2018)

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Abb. 1.8  Kenngrößen des Marktes von M-Health-Apps. (Quelle: Research2Guidance 2018)

mHealth-App-Distributoren mit mehr als 1 Mio. $ Umsatz pro Jahr. Sie verfügen meistens über ein App-Portfolio mit mindestens zehn Apps und mindestens drei Jahren Markterfahrung. Lediglich 4 % der M-Health-Anbieter erzielten hohe App-Downloadzahlen mit über 1 Mio.. 46 % der Apps haben weniger als 500 MAUs (Monthly Active Users). Die Mehrheit der Produktanbieter stammt aus Nordamerika. 44 % der Marktteilnehmer haben ihre erste App innerhalb der letzten drei Jahre veröffentlicht. Diese Ergebnisse sind in Abb. 1.8 zusammenfassend dargestellt. Als Schlussfolgerungen lassen sich hieraus nach Research2Guidance (2018) ableiten: • M-Health-Apps wurden bisher nicht als tägliche Begleiter (engl. „daily companion“), vergleichbar zu Messenger-Apps, z.  B.  Whatsapp (www.whatsapp.com), von der Mehrheit der interessierten Gesundheits-App-Nutzer akzeptiert. • Der Umsatzerfolg ist nur bedingt von hohen Downloadzahlen abhängig. Sehr viele Downloads führen nicht automatisch zu einem großen Umsatzerfolg. • Der Umsatz wird vorwiegend durch das Geschäftsmodell beeinflusst. • Evidente Barrieren sind geringe Umsatzzahlen und eine geringe Marktpenetration.

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Tab.  1.1  Kennzahlen des Entwicklungsprozesses für M-Health-Apps. (Quelle: Research2Guidance 2018, S. 12) Durchschnittliche Entwicklungskosten einer M-Health-App (erstes Release) Durchschnittliche technische Entwicklungsdauer bis zur Marktreife Anteil der M-Health-Anbieter, die agile Entwicklungsmethoden nutzen

425.000 $ 15 Monate 25 % der Anbieter

• Für M-Health-Unternehmen scheint es gegenwärtig einfacher zu sein, Investorengelder zu akquirieren, als Umsatz und Gewinn mit ihrem aktuellen Angebot an Apps, Services und Geräten zu erzielen. • Es bleibt abzuwarten, ob sich die investorenseitigen Vorschusslorbeeren in Gestalt hoher Kapitalbeträge in gewinn-, umsatz- und renditestarke Geschäftsmodelle transformieren lassen. Ein weiterer Aspekt bei der Betrachtung der Entwicklung von M-Health-Apps sind die Kennzahlen des Entwicklungsprozesses (vgl. Tab. 1.1). Hervorzuheben sind hierbei die vergleichbar hohen App-Entwicklungskosten und Entwicklungsdauern im Kontrast zu anderen App-Branchen (z.  B.  Medien, Spiele). Im IT-Sektor gilt dabei oftmals die Time-beats-quality-Devise, wonach eine zügige und dominante Marktpräsenz mitunter wichtiger ist als eine Folgerposition auf Basis eines zwar perfektionierten Software-Produkts, das sich aber zeitlich außerhalb des erfolgsversprechenden Chancenfensters bewegt.

1.5

Schlussbetrachtung

Abschließend soll ein 10-Punkte-Plan des Digital-Healthcare-Consultings vorgestellt werden, um die zentralen Entscheidungstatbestände zu verdeutlichen. • Schritt 1: In einem ersten Schritt ist der Digitalisierungsbedarf des Klienten zu spezifizieren. Hier geht es im Wesentlichen darum zu klären, wann, wie und wo es Sinn macht, analoge Geschäftsmodellkomponenten schrittweise oder radikal zu digitalisieren. • Schritt 2: In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, welche digitalen Tools in welcher Form und mit welcher Intensität eingesetzt werden sollen. Dabei stellt sich die Frage, ob diese in das Toolinventar des Klienten übergehen sollen, damit dieser zur Selbsthilfe befähigt wird. • Schritt 3: In einem dritten Schritt ist der funktionale Wertschöpfungsbereich des Klienten zu lokalisieren, der zum Gegenstand der Digitalisierung werden soll. Zu denken ist hierbei an indirekte Bereiche, wenn die Digitalisierung der Verwaltung und Dokumentation im Fokus steht. • Schritt 4: In einem vierten Schritt sind die Organisationsdemografie und Rechtsstellung des Klienten kritisch zu reflektieren, weil sowohl Betriebsgrößenunterschiede als auch die Eigentums-, Leitungs- und Kontrollrechte Einfluss auf Digitalisierungsentscheidungen haben können (Healthcare Governance).

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• Schritt 5: In einem fünften Schritt sollte der relevante Gesundheitssektor dahin gehend spezifiziert werden, ob es sich um den ersten oder zweiten Gesundheitsmarkt handelt bzw. aus einer institutionellen Perspektive Kliniken, Apotheken, Krankenkassen oder die Geräteindustrie im Mittelpunkt stehen. • Schritt 6: In einem sechsten Schritt muss entschieden werden, welche Beratungsarena betreten werden soll. Zu denken ist z. B. an Kosten-, Qualitäts-, Zeit-, Innovations-, Agilitäts- oder Servicevorteile, die durch Digitalisierungsoffensiven erreicht werden sollen. • Schritt 7: In einem siebten Schritt sollte zusammen mit dem Klienten der Consultinganspruch geklärt werden. Während einige Klienten gelegentlich eine kreativ-­konzeptionelle Beratungsleistung einfordern, besteht der Wunsch heutzutage zumeist in einer umsetzungs- und ergebnisorientierten Dienstleistung. • Schritt 8: Im achten Schritt ist der Partizipationsgrad des Klienten zu bestimmen (Co-­ Value Creation). Gerade im Fall komplexer und lernintensiver Applikationen empfiehlt sich eine frühzeitige Einbindung des Users, um dessen Nutzenerwartungen abzubilden und diesen zu schulen und zu qualifizieren. • Schritt 9: Im neunten Schritt sollte die Lebenszyklusstellung des Projekts bzw. Klienten eruiert werden – je nachdem, ob es sich um ein Start-up-Unternehmen handelt oder ein marktetabliertes Gesundheitsunternehmen, das sich der digitalen Transformation seines Geschäftsmodells widmet. • Schritt 10: Im zehnten Schritt ist in Erfahrung zu bringen, ob sich das Consulting im Dienst der digitalen Transformation auf das gesamte Unternehmen bis zur Intervention in die Mikrosysteme bezieht oder nur selektiv auserkorene Kleinbaustellen in Angriff genommen werden sollen (Consulting Coverage). Es versteht sich von selbst, dass im Einzelfall nicht die zehn Punkte mit größter Akribie aufgerufen und abgearbeitet werden müssen, um eine Paralyse durch Analyse zu ­vermeiden. Jedoch macht es Sinn, sowohl aus Berater- als auch aus Klientenperspektive digitale Consultingprojekte strategisch vorsteuernd zu planen, damit die operative Umsetzung der intendierten Ziele effizient möglich ist. Im Vergleich zu anderen Branchen ist bislang die digitale Transformation im Gesundheitswesen trotz seiner immensen Datenintensität und Informationsdichte bislang nur kryptisch erfolgt, weshalb sich hier künftig hohe Beratungsbedarfe abzeichnen werden. Dies gilt umso mehr für eine Branche, die mit Blick auf den demografischen Wandel, anspruchsinflationäre Patienten und limitierte Ressourcen gefordert sein wird, gezielt latente Produktivitäts- und Innovationsreserven durch einen ganzheitlichen Prozess der digitalen Transformation „zu heben“.

Literatur Blank S (2013) The four steps to the epiphany: successful strategies for products that win, 5. Aufl. K & S Ranch Press, Pescadero Blank S, Dorf R, Högsdal N, Bartel D (2017) Das Handbuch für Startups: Schritt für Schritt zum erfolgreichen Unternehmen, 2. korr Nachdruck. O’Reilly, Heidelberg

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Braun von Reinersdorff A (2007) Strategische Krankenhausführung. Vom Lean Management zum Balanced Hospital Management, 2., unveränd Aufl. Hogrefe, Bern Gassmann O, Frankenberger K, Csik M (2017) Geschäftsmodelle entwickeln: 55 innovative Konzepte mit dem St. Galler Business Model Navigator, 2. Aufl. Hanser, München Maurya A (2012) Running lean: iterate from plan A to a plan that works, 2nd edn O’Reilly Media, Inc., Sebastopol Osterwalder A, Pigneur Y (2010) Business model generation: a handbook for visionaries, game changers, and challangers. Wiley, Hoboken Rasche C (2002) Multifokales Management – Unternehmenskonzepte für den pluralistischen Wettbewerb (Habilitation). Gabler, Wiesbaden Rasche C (2013) Big Data – Herausforderung für das Management. wisu 42(8–9):1076–1083 Rasche C (2014) PESTEL-Compliance. WISU 43(8–9):1008–1014 Rasche C, Schmidt-Gothan H (2017) Reporting und Controllingsysteme in der Restrukturierung: Entscheidungsvorteile durch Business Analytics und Big Data. In: Hommel U, Knecht TC, Wohlenberg H (Hrsg) Handbuch Unternehmensrestrukturierung/-sanierung: Grundlagen – Instrumente – Strategien, 2. Aufl. Springer, Wiesbaden, S 1983–2007 Rasche C, Fink D, Knoblach B (2017) Unternehmensberatung 46(2):176–186 Rasche C, Braun von Reinersdorff A, Knoblach B, Fink D (2018) Digitales Unternehmen im Gesundheitswesen. In: Pfannstiel MA, Da-Cruz P, Rasche C (Hrsg) Entrepreneurship im Gesundheitswesen III, Digitalisierung – Innovationen – Gesundheitsversorgung. Springer, Wiesbaden, S 1–31 Rasche et al. (2019) Political Impact Management. In WISU, 48. Jahrgang, Heft 1, S 78–87 Research2Guidance (Ed) (2018) mHealth developer economics 2017 – how mHealth app publishers are monetizing their apps, Research2 Guidance. https://research2guidance.com/wp-content/uploads/2018/03/R2G-mHealth-Developer-Economics-2017-How-To-Monetize-MobileHealth-Apps.pdf. Zugegriffen am 04.09.2018 Ries E (2011) The lean startup: how today’s entrepreneurs use continuous innovation to create radically successful businesses. Crown Business, New York

Thorsten Knape  ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Potsdam am Lehrstuhl für Management und Professional Services bei Herrn Prof. Dr. Rasche tätig. Seine aktuellen Forschungsinteressen konzentrieren sich auf zukünftige, digitale Beratungsdienstleistungen, Consultingplattformen und Geschäftsmodellinnovationen von digitalen, medizinischen Anwendungen bzw. Services. Ferner ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektteamleiter am Telemedizin Centrum der Charité Universitätsmedizin Berlin (TMCC) bei Herrn Prof. Dr. Hufnagl beschäftigt. Hierbei liegen seine aktuellen Forschungsschwerpunkte in der nutzerzentrierten Entwicklung von digitalen Lösungen für Mental Health. Er studierte Wirtschaftsingenieurwesen und Medieninformatik (M. Sc.) an der Beuth Hochschule Berlin. Relevante Berufserfahrung sammelte Thorsten Knape in den Bereichen Consulting, Produkt- und Geschäftsmodellentwicklung in über 15 Jahren in Unternehmen der Medizintechnik und an Forschungseinrichtungen. Professor Dr. rer. nat. Peter  Hufnagl studierte Mathematik und Statistik an der Bergakademie Freiberg. Er konzentrierte sich zunächst auf die medizinische Bildanalyse und entwickelte Frameworks für die Tumorcharakterisierung und Medikamentenforschung. In den späten 1990er-Jahren begann er mit dem Aufbau telemedizinischer Lösungen für die Kommunikation zwischen Ärzten sowie für die Versorgung von medizinischen Notfällen auf Schiffen und in Flugzeugen. Hierfür gründete er das Telemedizin Centrum an der Berliner Charité. Als Leiter der Abteilung für Digitale

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Pathologie am Pathologischen Institut der Charité Berlin beschäftigt er sich mit der Anwendung von virtuellen Mikroskopiesystemen und maschinellem Lernen in der Histologie. 2016 gründete er das Zentrum für Biomedizinische Bild- und Informationsverarbeitung (CBMI) mit einem Forschungsschwerpunkt „Deep Learning“ an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin (HTW). Univ.-Prof. Dr. rer. pol. habil. Christoph  Rasche (Bayreuth), Jahrgang 1965 in Münster, ist Leiter der Sektion „Professional Services“ an der Universität Potsdam. Zugleich war er mehrere Jahre geschäftsführender Direktor des dortigen Instituts für Sportwissenschaft und fungiert als Professor für Sport- und Gesundheitsmanagement. Professor Rasche besitzt eine Doppelmitgliedschaft in der Humanwissenschaftlichen und der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam. Von 1995–1998 war Prof. Rasche Topmanagementberater bei der Unternehmerberatung DROEGE & Comp. AG. Er übt(e) u. a. Gastprofessuren an die Universitäten Innsbruck, Acalá de Henares (Madrid), Jena sowie der Hochschule Osnabrück im Rahmen der MBA-Ausbildung aus. Prof. Rasche wirkt als Unternehmensberater und Executive Trainer zur Stimulierung des Diskurses zwischen Wissenschaft und Praxis. Seine Forschungs- und Beratungsschwerpunkte beinhalten folgende Themenfelder: multifokales Management, Corporate Restructuring, Professional Services sowie Sport- und Gesundheitsmanagement. Die Dissertation erfolgte zum Thema „Wettbewerbsvorteile durch Kernkompetenzen“; der Titel der Habilitationsschrift lautet „Multifokales Management“. Schwerpunktmäßig beschäftigt sich Professor Rasche in der Forschung und Beratung mit dem Wertsteigerungs- und Produktivitätsmanagement in der Gesundheitswirtschaft. Seit 2017 ist Professor Rasche Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des Deutschen Instituts für Beratungswissenschaften.

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Anforderungen an Führungskräfte im Krankenhaus – Wer ist ein guter CEO in Transformationszeiten? Markus Bazan

Inhaltsverzeichnis 2.1  Einleitung 2.2  Die Krankenhausorganisation als Expertenorganisation 2.3  Regulierte und nichtregulierte Märkte 2.4  Ausbildung und Sprache 2.5  Wer ist Kunde? 2.6  Innere oder äußere Führung? 2.7  Was tun eigentlich Manager im Krankenhaus? 2.8  Transformationsbeispiel 2.9  Schlussbetrachtung Literatur

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Zusammenfassung

Krankenhausmanager (CEOs – Chief Executive Officers) sehen sich seit Längerem umfassenden, externen Veränderungsprozessen ihrer regulierten Branche ausgesetzt. Die Anforderungsprofile an einen Krankenhausmanager und dessen dazu erforderliche formale Ausbildungen unterscheiden sich grundsätzlich, je nachdem, ob er in einem regulierten oder nichtregulierten Markt tätig ist. Die Veränderung der komplexen und in Deutschland regulierten Gesundheitsbranche hin zu einer zunehmend instabilen, aber dennoch regulierten Umwelt für Krankenhäuser erfordert andere (Krankenhaus-)Managementfähigkeiten als bisher angenommen. Weder ärztliche Produktexperten noch Experten für regulierte Märkte sind gefragt, sondern Generalisten mit sozialen Kompetenzen und der Fähigkeit zur Synthesenbildung sowie zum verständigungsorientierten Handeln. M. Bazan (*) BAZAN Managementgesellschaft mbH, Witten, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), Consulting im Gesundheitswesen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25479-7_2

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2.1

Einleitung

Im Folgenden soll ein Einführungsbeispiel zum Thema „Führungskräfte im Krankenhaus – Wer ist ein guter CEO in Transformationszeiten“ vorgestellt werden. Beispiel

Krankenschwester Stationsleitung: „Wir brauchen dringend neue Pflegebetten, die den Anforderungen genügen!“ Geschäftsführer: „Ja, das ist mir auch schon aufgefallen.“ Stationsleitung: „Vielen Dank!“ Zwei Wochen später: Stationsleitung: Geschäftsführer: Stationsleitung:

„Wann kommen denn die neuen Pflegebetten?“ „Wir haben doch gar keine neuen Pflegebetten bestellt!“ „Aber ich habe Ihnen doch vor zwei Wochen gesagt, dass wir ganz dringend neue Pflegebetten brauchen … und Sie haben sofort zugestimmt!“

So oder ähnlich verlaufen viele Dialoge seit vielen Jahren im Krankenhaus. Ob es Pflegebetten sind oder fahrbare CTs auf Stroke-Unit-Stationen, das Missverständnis bleibt. Es gibt wohl kein Thema im sozialwissenschaftlichen Feld, über welches mehr geschrieben wurde und wird, wie das Thema Führung. Viele akademische Fachrichtungen fühlen sich berufen, das Phänomen unabhängig von der jeweiligen Branche zu beschreiben und zu analysieren. Unter dem lang anhaltenden Transformationsprozess im Gesundheitswesen stellt sich die Frage, was denn die Anforderungen an Führungskräfte im Krankenhaus beinhalten. Das können die krankenhausspezifischen Anforderungen sein, welche die Führungskräfte im Alltag bewältigen müssen, aber auch die generellen Anforderungsprofile an eine ­Führungskraft im Krankenhaus oder gar nur spezifische Anforderungen aus der Branchentransformation heraus. Dazu stelle ich die Arbeitshypothese an den Beginn: Krankenhausorganisationen sind hierzulande Expertenorganisationen in einem stark regulierten Markt, der sich im Umbruch befindet, und benötigen dennoch keinen Produktexperten als ergebnisverantwortliche Führungskraft.

2.2

Die Krankenhausorganisation als Expertenorganisation

Es gibt vielfältige Ansätze, eine Krankenhausorganisation sozialwissenschaftlich zu beschreiben (vgl. Burrell und Morgan 1979). Die diversen Ansätze unterliegen stets einem Muster, welches stark von der jeweiligen sozialwissenschaftlichen Schule abhängig ist. Viele Ansätze suchen nach Strukturen, die wiedererkennbar sind.

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Es gibt einen Ansatz, der aus allen sozialwissenschaftlichen Beschreibungen herausfällt, weil er die zu beschreibenden Zusammenhänge nicht abstrahiert und in neue Begrifflichkeiten überleitet, sondern narrativ-situativ vergegenwärtigt. Kappler (1992, S.  312) spricht von Verallgemeinerung durch Vergegenwärtigung. Narrative Ansätze versuchen, anhand der Beschreibung von Ereignissen Erkenntnisse zu gewinnen. Aus Praxissicht hat dies einen hohen Erkenntniswert. Stellvertretend sei zusätzlich hier Shem alias Bergman (1978) genannt. Im angelsächsischen Rechtskreis hat dieser narrative, aus der Analogiebildung bestehende Ansatz durch die Praxis des Fallrechts (Kasuistik) im Gegensatz zum römischen Recht eine lange Tradition und einen hohen Stellenwert. Folgt man einer weiteren Betrachtung einer (Krankenhaus-)Organisation durch Mintzberg mit den wesentlichen erkenntnisleitenden Merkmalen Struktur und Prozesse, so werden Krankenhäuser als Profiorganisation bezeichnet, in denen ein betrieblicher Kern mit vielen Experten, nämlich den Ärzten, sich umfassender Hilfsstäbe, nämlich der Pflege, bedient. Komplexe, aber stabile Umweltbedingungen werden als das ideale Umfeld definiert, komplex, weil schwierige Verfahren angewendet werden, stabil, weil die erforderlichen Qualifikationen der Mitarbeiter gut zu definieren sind und damit auch zu standardisieren sind (vgl. Mintzberg 1979). Wie das Phänomen der vielfältigen informellen Regeln außerhalb des formalen Organisationsrahmens zu bewerten ist, bleibt bei Mintzberg wie in den meisten anderen Abhandlungen über Organisationsstrukturen und -prozesse aufgrund der ungenügend fassbaren Messbarkeit außen vor. Hier setzt der narrative Ansatz ein und erweitert den Erkenntnisgewinn durch Beschreibung der informellen Regeln. Krankenhäuser in den entwickelten Industrieländern bewegen sich in staatlich gelenkten, regulierten Märkten (Planwirtschaften für Sektoren einer Volkswirtschaft) mit einem hohen Anteil an Parafisci, nämlich den Sozialversicherungsträgern (Lauscher 2018). Damit sind die Krankenhäuser in den entwickelten Industrienationen anderen Regeln unterworfen als ihre marktwirtschaftlichen Pendants in Schwellen- und Entwicklungsländern. Dieser Zusammenhang hat Einfluss auf die Anforderungen, wie der (ärztliche) Expertenstatus im Führungszusammenhang eines Krankenhauses hierzulande zu bewerten ist.

2.3

Regulierte und nichtregulierte Märkte

Bevor wir uns den Anforderungen an Führungskräfte im Krankenhaus und unserer Arbeitshypothese nähern, seien die Rahmenbedingungen beschrieben, innerhalb derer ein Krankenhaus in Deutschland agiert. Das Gesundheitswesen ist im Rahmen des Modells der Sozialen Marktwirtschaft ein regulierter Markt. Krankenhäuser stellen einen beträchtlichen Marktanteil an den zu verteilenden Budgets im Gesundheitswesen dar. Kriterien sind Preis- oder Preisgrenzenfestschreibungen, die u.  a. zum Verbraucherschutz dienen (Festlegung von Höchstpreisen), zum Schutz von Anbietern erfolgen (Mindestpreise) oder in Mengenbegrenzungen resultieren (Beispiel der Milchquoten).

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Damit stehen regulierte Märkte dogmengeschichtlich in der Tradition der Zünfte (Mittelalter), des Merkantilismus (zwischen Früher Neuzeit und Moderne) und später des Protektionismus. Die Regulierung ist das verbindende Element. Ähnlich wie in „echten“ Planwirtschaften erfolgt die Marktregulierung im Gesundheitswesen zu großen Teilen immer wieder (vgl. die Ausgliederungspläne eines Pflegebudgets aus den DRG 2018.) nicht über eine Mengensteuerung, sondern über ausgehandelte Kostenpreise, und zwar sowohl für den vertragsärztlichen Bereich als auch für den Krankenhaussektor. Auch der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) legte Verrechnungspreise für die Wirtschaftsgüter fest, die innerhalb des Ostblocks zwischen den sozialistischen Ländern unter Führung der Sowjetunion ausgetauscht wurden. Die Preisermittlung erfolgt(e) hier wie da nicht über Angebot und Nachfrage, sondern über Verteilungskoalitionen. Regulierte Märkte sind Verteilungskoalitionen. Wenn die Verhandlungsgegenstände – wie in unserem Fall Gesundheitsdienstleistungen – komplex sind, ist die Lösung des Interessenkonflikts darüber, wie die Kosten des kollektiven Handelns geteilt werden, sehr schwierig (vgl. Olson 1985, S. 73 ff.). Diese Schwierigkeiten ermutigen Kollusionen für kollektives Handeln, nach neutralen Außenstehenden zu suchen, welche die Kosten des kollektiven Handelns unter den Teilnehmern aufteilen können. Wegen dieser Schwierigkeit ist eine Mehrzahl von Kartellen und Lobbys bestrebt, eher Preise festzusetzen als die Menge, die verkauft werden kann (vgl. Olson 1985, S.  74–75). Im Krankenhauswesen wird der Referenzpreis (Landesbasisfallwert) über Verhandlungen zwischen den Landeskrankenhausgesellschaften und den Sozialversicherungsträgern auf Bundeslandebene festgelegt. Erst auf der sogenannten Ortsebene des einzelnen Krankenhauses erfolgt dann nur noch die Verhandlung über Mengen (der angenommenen Patientenfälle pro Zeitperiode) bzw. die Mengenentscheidung zwischen dem einzelnen Krankenhaus und der Arbeitsgemeinschaft der Sozialleistungsträger. Dieses Verhalten ist typisch für regulierte Märkte oder Märkte, in denen viele Teilnehmer eigentlich Preise festlegen wollen, die nicht dem Mechanismus von Angebot und Nachfrage folgen sollen (vgl. Olson 1985, S. 98). Braucht es hierzu einen Experten im Sinne der Profiorganisation von Mintzberg, also jemanden als Führungskraft, der das Kerngeschäft im Krankenhaus, nämlich heilen und pflegen, versteht, oder jemanden, der gut verhandelt? Krankenhäuser in Schwellen- und Entwicklungsländern unterliegen dagegen den Mechanismen der freien Märkte mit dem Grundmuster von Angebot und Nachfrage. Die Preisbildung ist frei. Inwieweit der Angebotspreis die Nachfrage steuert bleibt empirischen Untersuchungen vorbehalten. Es besteht die Vermutung, dass Preise in nichtregulierten Gesundheitsmärkten verhältnismäßig unelastisch sind (Preislisten). In der Folge werden in jedem Fall an die Führungskräfte in diesen Märkten andere Anforderungen gestellt als in regulierten Märkten. Sie müssen ihre Dienstleistungen nicht an die Parafisci verkaufen, sondern an den Patienten als Kunden unmittelbar. Es handelt sich also um ein Customer-to-Customer-Geschäft und nicht um ein Business-to-Business-Geschäft. Endkundengeschäfte erfordern Produktverkäufer, nämlich Ärzte.

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In diesem Zusammenhang sei die Gegenhypothese zu o. g. Arbeitshypothese aufgestellt: In nichtregulierten Gesundheitsmärkten der Schwellen- und Entwicklungsländer werden eher Produktexperten als Führungspersonen an der Unternehmensspitze des Krankenhauses gebraucht, sprich Ärzte. Die Ableitung des generellen Arbeitsumfeldes einer Krankenhausführungskraft in Deutschland lässt erahnen, dass die zu bewältigenden Herausforderungen nicht mit den Herausforderungen zu vergleichen sind, die in freien Märkten an Führungskräfte gestellt werden. Wir bewegen hier aber nur die Frage, welche Anforderungen an eine Führungskraft im regulierten Markt gestellt werden müssen. Befähigt generell eine akademische Ausbildung gleich welcher Fachrichtung dazu, als ergebnisverantwortliche Führungskraft im Krankenhaus erfolgreich zu sein? Pointierter formuliert: Ist der Arzt als Experte oder ein sozial- und rechtswissenschaftlicher Generalist die bessere Führungskraft im Krankenhaus? Oder mag es sogar so sein, dass eine akademische Ausbildung überhaupt nicht für die Frage von Relevanz ist, ob eine Führungskraft geeignet ist oder nicht?

2.4

Ausbildung und Sprache

Ein weiterer Aspekt, sich der Fragestellung zu nähern, ist der Zusammenhang zwischen Ausbildung und Sprache. Dichter beispielsweise hatten in der Vergangenheit stets viele verschiedene Jobs. Durch ihre vielfältigen Aufgabenfunktionen als Minister, Berater, Philosophen, Dichter etc. war ihnen, wie bspw. Goethe, die Mehrdeutigkeit der Sprache und des Sprachgebrauchs gut bekannt. Derselbe semantische Ausdruck bedeutet in einem jeweils anderen beruflichen Kontext etwas anderes. So war auch die Macht der Sprache den Dichtern bis in die Neuzeit schon immer bekannt. Uns zunehmend nicht. Wir bedienen uns des Coaches, des Moderators oder des Mediators, um der babylonischen Sprachlosigkeit zwischen den Experteninseln zu begegnen. Keine Organisationsentwicklungsprojekte vielfältiger Berater, die nicht ohne Moderatoren stattfänden. Das Risiko des Sprach-GAUs durch die kommunikative Unübersetzbarkeit dringender unternehmerischer Maßnahmen gegenüber den Berufsgruppen im Krankenhaus erscheint vielen Geschäftsführungen zu hoch. In der neueren Zeit stellen wir sozialwissenschaftlich den Zusammenhang zwischen Sprache und Expertentum her. Im Gegensatz zu den Dichtern in ihren ganzheitlichen Lebensentwürfen führt unsere ausdifferenzierte Arbeitsteiligkeit – eben auch in der Medizin und im Gesundheitswesen – zu in sich zusammenhängenden Sprachwelten, die konstitutiven Charakter besitzen. Expertenwissen korreliert mit Sprachbarrieren für die Nichtexperten. Die Frankfurter Schule um Habermas hat das u. a. mit dem verständigungsorientierten Handeln neben dem erfolgsorientierten Handeln herausgearbeitet (Habermas 1981a). Ihr ist die Überwindung der Sprachbarrieren durch die „kontrafaktische Antizipation einer idealen Sprechsituation“ das Kernanliegen (vgl. Habermas 1973). Anders gewendet: Wir nehmen

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trotz aller Hindernisse durch den Gebrauch unterschiedlicher (Experten-)Sprachen an, dass wir gleiche sprachliche Ausgangsbedingungen in unseren Meetings, Präsentationen, Berichten etc. haben. In der Systemtheorie hat das Ulrich in der St. Gallener Schule später weiter als Formen der „industriellen Megamaschine“ ausgearbeitet (vgl. Ulrich 1986, S. 478). Wo beginnt der Aufbau der allerersten Sprachbarriere in der Karriere? Die primären Ausbildungserfahrungen der späteren Experten spielen eine prägende Rolle, wie wir beispielhaft am Pauken der Inhalte zunächst für das Abitur und dann für das Physikum in der Medizinerausbildung erfahren. Ähnlich ergeht es den angehenden Juristen. Die Prägung der Ausbildung durch das Erlernen einer extrem abgeschotteten Sprachwelt führt dazu, dass das spätere Handeln als Experte in sozialen Zusammenhängen in einer Organisation „Krankenhaus“ davon konstitutiv mitbestimmt wird. Erlernte Sprachmuster werden auf (Arbeits-)Zusammenhänge übertragen, die eigentlich nichts mehr mit der eigenen Expertensprachwelt zu tun haben. So versteht die Krankenschwester im Eingangsdialog zu diesem Artikel nicht, dass ihre Bestellung neuer Pflegebetten beim Geschäftsführer so gar nicht angekommen ist. Der denkt sich, dass man ja so vieles gebrauchen könnte, aber dass der nette Wunsch der Krankenschwester ja noch lange nicht eine Bestellung sei. Der Transfer in die kaufmännische Sprachwelt ging also völlig fehl. Das kleine Wort „brauchen“ bedeutet eben im Arbeitsalltag einer Krankenschwester etwas völlig anderes als in der Arbeitssprachwelt des Geschäftsführers. „Brauchen“ heißt bei der Krankenschwester „jetzt“ und „kaufen“, beim Geschäftsführer „irgendwann einmal“. Diese Analyse nennt man auch narrativen Ansatz in den Sozialwissenschaften. Irgendwie scheint man aber begriffen zu haben, dass etwas mit der Ausbildung allgemein nicht stimmt. Die Diskussion um die Reformen der Hochschulgänge durch den Bologna-­ Prozess und die Akademisierung vormals extrem praktischer Berufe im Gesundheitswesen sind deutliche Hinweise (vgl. die Studiengänge der Pflegewissenschaften oder die Errichtung einer Fachhochschule für Gesundheitsberufe im Bochum). Allerdings ist allen diesen Bemühungen eher die Absicht gleich, mehr Inhalt in weniger Zeit in die Absolventen hineinzubekommen. Anders ausgedrückt: Die Akademisierung wird breiter gestreut, weil einerseits der Titel Bachelor schneller als das ehemalige Diplom erreicht wird und andererseits nichtakademische Berufe wie die Krankenpflege erstmals akademische Titel erreichen können. Erzeugt die breitere Akademisierung noch stärker ausgeprägtes Expertentum? In unserer Fragestellung nach dem besseren Anforderungsprofil für ergebnisverantwortliche Führungskräfte im Krankenhaus führt die breitere Akademisierung nicht weiter, weil eben vorhandene Expertenstrukturen noch weiter verstärkt werden. Die breitere Akademisierung ist aber ein Indiz für den Ausbau des hierarchischen Mittelbaus, denn die verkürzten Abschlüsse sind vornehmlich dort zu finden. Das wiederum ist ein Hinweis auf die wachsende Komplexität des Krankenhausgeschäfts. Die verstärkte Einkapselung dieser Mittelbauexperten in ihre Sprachwelten durch die Akademisierung macht das Führen von Krankenhäusern nicht einfacher. Im Gegenteil. Die früher so beklagte Versäulung des Krankenhauses durch drei voneinander strikt getrennte Organisationsstrukturen und -hierarchien des pflegerischen Dienstes, des ärztlichen Dienstes und der Verwaltung wird so

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noch weniger durchlässig. Wir können es auch wieder pointierter formulieren: Die Häuptlinge werden mehr und die Indianer immer weniger. Die breitere Akademisierung führt also nicht zu einer Antwort darauf, ob der (ärztliche) Experte oder der (sozialwissenschaftliche) Generalist die bessere ergebnisverantwortliche Führungskraft im Krankenhaus sei. Sprache egalisiert also nicht, sondern wird zur Expertensprache durch Ausbildung. Der Ansatz von Habermas macht die Sprache dagegen zum Erfolgsschlüssel, aber nicht im Sinne eines Gebrauchs als Abschottungsinstrument für das Expertentum einer funktionalen Systemwelt, sondern als verständigungsorientiertes Handeln. Erst, wer in der Lage ist, Sprache als kommunikatives Handeln durch die Erzeugung eines Einverständnisses einzusetzen, wird seine Ziele erreichen. Im Gegensatz dazu leistet Sprache als Übersetzer sozialer Handlungen beim reinen erfolgsorientierten Handeln der Systemwelten eher das Mittel zur Zweck- und Zielerreichung durch Einwirkung auf andere. Hier bewegen wir uns im Krankenhausgeschehen. Es sind nach Habermas Systeme der marktregulierten Ökonomie und des bürokratischen Verwaltungsstaates im Gegensatz zur Lebenswelt (vgl. Habermas 1981b). Sind diese Verständigungseigenschaften ein Erfolgsmoment für die ergebnisverantwortliche Führungskraft im Krankenhaus? Wenn Ja, dann müssen wir feststellen, dass diese Spracheigenschaften aber nicht in der akademischen Ausbildung gelernt werden. Die Frage, welche akademische Ausbildung denn dann förderlich wäre, entpuppt sich als schwierig, denn die Problemlösung scheint außerhalb der herkömmlichen Ausbildungsstrukturen zu liegen.

2.5

Wer ist Kunde?

Ein anderer Ansatz, der uns hier weiterbringen könnte, ist die Frage danach, wer denn der Kunde für die Führungskraft ist. Denn zumindest zum Kunden hin muss die Verständigung funktionieren. Bislang haben wir zwischen Kunden in regulierten und in nichtregulierten Märkten unterschieden. Wir haben unterstellt, dass in nichtregulierten Märkten eher der Produktexperte im C2C-Dialog, also im Endkundengeschäft, gefragt ist. Patient und Kunde sind eine Person und verhandeln jeweils für sich. Die ergebnisverantwortliche Führungskraft im Krankenhaus muss dem Kunden unabhängig von ihrer Qualifikation das Geschäft erklären können. In den Schwellen- und Entwicklungsländern sind die Kunden zahlungsfähige Patienten, also Einzelkunden (oder Privatversicherungen). Hier erklärt der Produktspezialist, also der Arzt, die Leistung des Krankenhauses am besten. Er kann daher das Unternehmen auch am besten im Marktumfeld positionieren. In den Industrieländern (oder OECD-Ländern) ist der Kunde ein Businesskunde, meistens ein Parafisci, entweder ein Sozialversicherungsträger oder ein Fonds. Wir befinden uns im B2B-Geschäft. Hier erklärt ein anderer Produktspezialist, nämlich ein Spezialist für ganze Krankenhausleistungsprogramme, am besten die unternehmerische Leistung des

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Krankenhauses. Hier will der Kunde wissen, ob die gesundheitliche Versorgung einer Region bzw. einer Versichertengruppe sichergestellt wird. Der Exkurs über die Ausbildung zur Sprache hat uns in eine andere Dimension gebracht, die ganz anders differenziert. Brauchen wir erfolgreiche Verständigung in den System- oder in den Lebenswelten? Oder geht es um Führung gegenüber der Systemwelt der Parafisci sowie gleichzeitig gegenüber den eigenen inneren Strukturen im Krankenhaus, die auch systemweltgeprägt sind, aber lebensweltliche Verständigung erfordern, um überhaupt in einer Expertenorganisation erfolgreich zu sein? Vergegenwärtigen wir uns die Lebenspraxis eines Generalisten im Krankenhaus, so beobachten wir, dass auch die ergebnisverantwortliche Führungskraft ihre Expertenstäbe aufgrund der steigenden Komplexität des Krankenhausgeschäftes benötigt. Der scheinbare Generalist wird selber immer mehr zum Experten. Eine immer differenziertere Regulierung fordert den Aufbau von immer differenzierteren Expertenstrukturen in der Krankenhausverwaltung. Wer kann denn noch die Aufstellung für Entgelte und Budgetermittlung (AEB) für die Entgeltverhandlung mit den Sozialleistungsträgern nach einem Jahr erklären? Diese sind aber der Kunde im System der regulierten Märkte für das Krankenhaus. Und so ist das Kriterium der gemeinsamen Sprache von Kunde und Führungsperson im Krankenhaus von entscheidender Bedeutung. Im regulierten System ist das Wissen über den AEB Gegenstand der Expertensprache. Hier treffen sich Kunde, Parafisci (Sozialleistungsträger) und ergebnisverantwortliche Führungsperson. Die Führungsperson ist quasi der Experte für das Verhalten im regulierten Markt Gesundheitswesen. Hat aber das gemeinsame Verständnis über die Regeln auf der Expertensprachinsel zwischen Sozialleistungsträgern und Krankenhaus-CEOs etwas mit erfolgreicher Führung eines Krankenhauses zu tun? Oder gehört dazu noch mehr, als nur den Kunden zu verstehen? Dazu müssen wir noch einmal in das Funktionieren dieses Marktes eintauchen. Die Nachfrage in diesem Markt wäre eigentlich unbegrenzt, wenn dem nicht durch das System der Budgetierung in der Sozialversicherung ein Riegel vorgeschoben wäre. Es gibt ein Angebotsproblem, weil nicht genügend Personal und investive Mittel zur Verfügung stehen. Die Führungsherausforderung lautet also, knappe Ressourcen in einer Expertenorganisation zu koordinieren. Und das ist eher ein Thema der inneren Führung als ein Thema der Kundenbeziehung zu den Sozialleistungsträgern. Aus diesem Grund wird immer wieder, insbesondere von ärztlichen Berufsvertretern unterstellt, dass der Arzt aus seinem bei ihm vermuteten besseren Verständnis der Prozessabläufe über die Ablauforganisation eines Krankenhauses auch die bessere Führungskraft sei, da in der Kundenbeziehung zu den Sozialversicherungsträgern aufgrund der reinen Mengenverhandlungen in den Entgeltverhandlungen auf der Ortsebene sowieso nichts mehr für das Krankenhaus zu erreichen sei und daher hier auch keine Experten mehr erforderlich seien. Nunmehr sind wir an einen Punkt gekommen, der einen wichtigen und entscheidenden Schluss zulässt: Expertentum an sich qualifiziert zur ergebnisverantwortlichen Führung eines Krankenhauses, aber welcher akademische Expertenhintergrund besser geeignet sei,

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ist abhängig davon, ob das Krankenhaus seine Leistungen in regulierten oder nichtregulierten Märkten anbietet. Unabhängig vom akademischen Expertenhintergrund scheint es aber noch Anforderungen aus der Lebenswelt zu geben, die auf der Folie der akademischen Ausbildung nicht sichtbar werden und zu deren Problemlösung andere Fähigkeiten der Führungsperson möglicherweise entscheidender wirken als jegliche Expertenausbildung.

2.6

Innere oder äußere Führung?

In Bezug auf die Erfordernisse der äußeren Führung des Krankenhauses konnten wir ableiten, dass in regulierten Gesundheitsmärkten Experten, die sich in den Regeln auskennen, vermutlich besser die Herausforderungen bewältigen. Die innere Führung dagegen betrifft die Leitung und Organisation des von hoher Arbeitsteiligkeit gekennzeichneten Dienstleistungsprozesses im Krankenhaus. Befähigungen der äußeren Führung müssen nicht erfolgskritisch für die innere Führung sein. Die hohe Arbeitsteiligkeit und deren rasante Zunahme durch den medizintechnischen Fortschritt machen aus dem Krankenhaus in den entwickelten Industrieländern eine vielfältige Expertenorganisation. Erinnern wir uns an Mintzbergs Organisationsmodell: Mintzberg beschreibt sechs Koordinationsmechanismen, mit denen Organisationen ihre Arbeitsteilung durchführen. Als weitere Stellschrauben werden noch Designparameter und situative Faktoren genannt. Die Designparameter verändern die Arbeitsteilung und die Koordinationsmechanismen. Die situativen Faktoren sind Alter und Größe der Organisation, technische Systeme, Umwelt und Macht. Alle genannten Faktoren beeinflussen die Konfigurationen, die eine Organisation annimmt. Mintzberg beschreibt sechs Formen, eine davon ist die o.  g. Profiorganisation („professional bureaucracy“). In der Profiorganisation sind der betriebliche Kern und der Hilfsstab voll ausgebaut, die Technostruktur (= Hilfskostenstellen) und die Mittellinie (= mittleres Management) dagegen nicht, da es wenig Koordination im betrieblichen Kern bedarf. Kaum jemand aus der Verwaltung koordiniert die Aufgaben eines Krankenhausarztes. Die Arbeitsteilung wird durch die Standardisierung der Qualifikation erreicht, deren Gestaltungsparameter die Ausbildung und die Unternehmensphilosophie sind. Die Arbeit wird hauptsächlich von professionellen Mitarbeitern durchgeführt, diese besitzen eine entsprechende Ausbildung und haben oft ein erhebliches Maß an Kontrolle über ihre eigene Arbeit (vgl. Mintzberg 1979, S. 348–379). Das spiegelt unsere Diskussion über die Werthaltigkeit der Managerausbildung wider. Aber auch die ärztliche und pflegerische Ausbildung finden sich hier wieder. Neben einer Standardisierung der Qualifikation werden auch Aufgaben und Kenntnisse standardisiert. Die Aufgaben werden ebenfalls kategorisiert und den Mitarbeitern zugewiesen, wobei es Standardverfahren gibt, die in standardisierten Situationen angewandt werden. Die Standardsituationen sind standardisierte Bedürfnisse der Kunden, die erkannt

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werden müssen, um das Standardverfahren auszulösen. So sind bestimmten Indikationsstellungen beim Patienten bestimmte Diagnoseverfahren zugeordnet. Die Profiorganisation ist stark dezentral. Im betrieblichen Kern ist die Macht angesiedelt. Die Arbeit der professionellen Mitarbeiter ist komplex und schwer von den Führungskräften zu kontrollieren. Auch sind die Leistungen der professionellen Mitarbeiter oft sehr gefragt. Das führt zu hohen Autonomiegraden der Mitarbeiter. Die Ermessensfreiheiten der Mitarbeiter lassen diese oft die Bedürfnisse der Organisation vergessen („The professional tends to identify more with his profession than the organization he practices in“ Mintzberg 1979, S. 357). Die Verwaltung kann nur indirekt Macht ausüben und vermittelt z. B. bei Störungen zwischen den professionellen Mitarbeitern und der Außenwelt. Koordinationsprobleme treten regelmäßig zwischen den professionellen Mitarbeitern und den Hilfsstäben sowie zwischen den professionellen Mitarbeitern selber auf. Die Profiorganisation ist in komplexen, aber stabilen Umwelten zu Hause. „This means an environment that is both complex and stable – complex enough to require the use of difficult procedures that can be learned only in extensive formal training programs, yet stable enough to enable these skills to become well defined, in effect, standardized.“ Übersetzung des Autors: „Komplex genug, um den Einsatz schwieriger Verfahren erforderlich zu machen, die nur in umfassender formaler Ausbildung zu erlernen sind, zugleich aber stabil, dass die von den Mitarbeitern zu erwartenden Qualifikationen gut zu definieren und folglich auch zu standardisieren sind“ (Mintzberg 1979, S. 366). Was hat das jetzt mit innerer Führung zu tun und den Anforderungen an eine erfolgreiche Führung? Wir hatten festgestellt, dass Befähigungen der äußeren Führung nicht erfolgskritisch für die innere Führung sein müssen. Das korreliert mit der Beobachtung von Mintzberg, dass die Verwaltung in der Profiorganisation nur indirekt Macht ausüben kann und z. B. bei Störungen zwischen den professionellen Mitarbeitern und der Außenwelt vermittelt. Das stimmt auch mit dem Habermas’schen Ansatz überein, dass Sprache und deren Gebrauch der Ausdruck eines verständigungsorientierten Managements sein müssen, um erfolgreich zu sein. Je nachdem, was in der jeweiligen unternehmerischen Situation als Erfolg versprechender angesehen wird, ist mehr der Experte für regulierte Märkte oder der Experte für die Herausforderung der inneren Führung nachgefragt. Die umfassenden Preisreformen mit der Einführung der pauschalierten Entgeltsysteme haben den Kostendruck und damit den Restrukturierungsdruck auf die Ablauf- und Aufbauorganisationen von Krankenhäusern stark ansteigen lassen. Das veränderte auch das Berufsbild des Krankenhausmanagers. Eine Arbeitshypothese aus der Praxis lautet: Bislang werden zwar in deutschen Krankenhäusern die Abläufe verändert, aber an der klassischen Aufbauorganisation verändert sich nicht viel, trotz vielfältiger Organisationsexperimente, wie bspw. der Zentrumsbildung am Universitätsklinikum Eppendorf. Das liegt vermutlich zu großen Teilen an den Ausbildungsgängen in Medizin, Pflege, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und deren Erstberufserfahrungen. Die Aufbauorganisation ist in den Krankenhäusern analog zu den Studiengängen der Medizin organisiert. Fachrichtungen sind Fachabteilungen. Jegliche

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Umorganisation löst deswegen grundlegende Befürchtungen aus. Diese Hypothese stimmt mit dem Erfordernis des verständigungsorientierten Managements (Habermas) überein, welches aus den hohen Autonomiegraden der professionellen Mitarbeiter resultiert. Damit sind wir wieder an den Punkt gelangt, dass das Management andere Eigenschaften benötigt, um in der inneren Führung zu bestehen, aber gleichzeitig auch die äußere Führung zu bewältigen hat. Wir beobachten in großen kommunalen Häusern die Entwicklung, dass neben einem kaufmännischen Geschäftsführer ein sogenannter ärztlicher Geschäftsführer eingesetzt wird. Geteilte Verantwortung zwischen „draußen“ und „drinnen“ kann aber nicht langfristig zum Erfolg führen. Auch das Unternehmen Krankenhaus sollte einheitlich, d.  h. aus einer Hand, geführt werden. Selbst bei geteilter Verantwortung in Vorständen ist mit einem Primus inter Pares gute Erfahrung gemacht worden, ansonsten werden die Entscheidungsabstimmungen zu langsam für die erforderliche Anpassungsgeschwindigkeit des Unternehmens. Dies deckt sich mit einer empirischen Erhebung von 138 aus 300 Entscheidungsträgern im Krankenhaus durch Neubauer et al. (2001). Auf einer Skala von −3 bis +3 wurde schon damals die Einsetzung eines übergeordneten Geschäftsführers (+2,19) in Ablösung des dreigeteilten Krankenhausdirektoriums, der die alleinige wirtschaftliche Verantwortung übernimmt (+2,13), als wichtig erachtet (Neubauer et al. 2001, S. 37). In stabilen Umwelten kann sich ein Krankenhaus Entscheidungsblockaden leisten, da Entscheidungen in stabilen Umwelten eine nicht so signifikante Auswirkung haben. Profiorganisationen sind in stabilen Umwelten zu Hause. Allerdings werden diese stabilen Umwelten im deutschen Gesundheitswesen durch eine immer öfter und stärker regulierende Gesundheitsgesetzgebung zunehmend instabil. Damit wächst die Bedeutung der Eigenschaften für sowohl die äußere Führung als auch die innere Führung, außen, weil sich die Umweltbedingungen ändern, innen, weil die Aufbau- und Ablauforganisation sich den veränderten Bedingungen permanent im Gegensatz zu früher anpassen muss. Es gibt dazu eine kleine Einschränkung: Nur die legalen Umweltbedingungen ändern sich, nicht die Arbeitsinhalte der professionellen (ärztlichen und pflegerischen) Mitarbeiter. Damit tritt eine Mutation in der Konfiguration des Organisationstypus ein. Der betriebliche Kern – bislang primärer Teil der Profiorganisation – wird unwichtiger und die Hilfsstäbe werden zunehmend der primäre Teil der Organisation. Der primäre Koordinierungsmechanismus ist nicht mehr alleinig die Standardisierung der Arbeitsergebnisse, sondern die gegenseitige Abstimmung und Anpassung unter den Fachleuten (vgl. Mintzberg 1979, S. 440–442). Mintzberg bezeichnet diesen Organisationstypus in Anlehnung an Toffler als Adhocracy bzw. Adhokratie. Es kommt zu einer strikten Trennung zwischen dem betrieblichen und dem administrativen Teil der Organisation. Die Adhocracy widmet sich ausschließlich dem administrativen Teil und den Hilfsstäben kommt dadurch eine sehr wichtige Rolle zu. Der Reaktionsablauf auf sich ändernde und komplexe Umweltbedingungen wird deutlich flexibler und schneller als in denjenigen Organisationen, die vornehmlich nur durch Standardisierung geprägt sind. Als typisches Beispiel nennt Mintzberg die Raumfahrt.

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2.7

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Was tun eigentlich Manager im Krankenhaus?

Generalisten oder Spezialisten? Besser wäre die Unterscheidung dahin gehend, inwieweit in der jeweiligen Ausbildung das Abstraktionsvermögen gefördert wurde. Das liegt darin, dass sich mit größerer Ergebnisverantwortung die Problemlösungen abstrakter von der konkreten Handlungsebene abheben. Ein Blick darauf, was denn tatsächlich getan wird, hilft weiter. Mintzberg untersuchte, wie Manager arbeiten, und fand heraus, dass sie nicht das taten, was sie eigentlich zu tun glaubten (Mintzberg 1973). Sie verwenden ihre Zeit nicht damit, langfristige Planungen zu machen, sondern hetzen von einer Aufgabe zur nächsten. Die wesentlichen Punkte der praktischen Managerarbeit waren • immenses Arbeitspensum, ohne in der Geschwindigkeit nachzulassen, • Aufgabenbewältigung, die durch Vielfalt, Kürze und Fragmentierung bestimmt sind, • Konzentration auf Probleme, die aktuell und spezifisch sind sowie außerhalb der Alltagsroutine liegen, • Bevorzugung der mündlichen vor der schriftlichen Kommunikation, • Agitation in einem Geflecht interner und externer Kontakte, • Unterwerfung unter starke Zwänge, wobei er aber eine gewisse Kontrolle über seine Arbeit behält. Aus der Untersuchung, was denn eigentlich die praktische Managerarbeit sei, leitete Mintz­ berg auch die wesentlichen Funktionen eines Managers ab: • Repräsentant des Gesamtunternehmens oder der Abteilung nach außen hin, • Führungspersönlichkeit, welche die Mitarbeiter motiviert und deren Anstrengungen bündelt, • Aufgabe eines Verbindungsgliedes, das Kontakte in verschiedene Richtungen pflegt, • Schnittstelle der Informationsströme, • Übermittler von Informationen an Außenstehende, • Initiator und Gestalter von Veränderungen, • Krisenmanager, der auch die Ereignisse außerhalb der Routine bewältigt, • Ressourcenverteiler, der entscheidet, wer was bekommt und welche Aufgabe erhält, • Verhandlungsführer. Auch diese Funktionen spiegeln wider, dass es sich nicht um in Studiengängen erlernte Inhalte geht, sondern um Fähigkeiten, die nicht in akademischen Studiengängen gelehrt werden. Damit erschließt sich, dass sowohl das Expertenleben in der Organisationswelt eines Mediziners als auch das Expertenleben in der Welt eines „RegulierterMarkt-­Experten“ zwar in den jeweiligen einschlägigen Ausbildungen erlernt wird, aber nicht ausschlaggebend für den Erfolg einer ergebnisverantwortlichen Führungskraft im Krankenhaus ist.

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Es gibt die Vermutung, dass trainierte Regulierter-Markt-Experten im Krankenhausmarkt deutlich erfolgreicher sein sollten, aber alleine der Trend zu einem nichtstabilen, aber dennoch regulierten Markt hebt diese Bedingung unter Hinweis auf die Organisationskonfiguration einer Adhocracy auf. Spätestens hier kommen Fähigkeiten hinzu, die eher der linken Gehirnhälfte zuzuordnen wären und das bildhafte Denken umfassen. Dieser Umstand wird an dem Unterschied zwischen Planung und Strategie nach Mintzberg deutlich: Strategie lässt sich nicht planen und während es bei der Planung um Analyse geht, hat die Strategie es mit der Bildung von Synthesen zu tun. Noch einmal anders gewendet: Der Krankenhausverwaltungsleiter aus der Zeit des Selbstkostendeckungsprinzips wird zum Krankenhausstrategen in einem nichtstabilen, regulierten Markt. Analogien zur Krise der internationalen Finanzmärkte drängen sich auf. Damit sind die Manager eines bislang stabilen und regulierten Marktes dort angekommen, wo ihre Kollegen schon immer standen: in instabilen Organisationsumwelten, aber mit dem Zusatz einer regulierten Branche. Das bestätigt auch das Schlaglicht der oben bereits zitierten Neubauer-Umfrage. Ein Fragenblock thematisierte die konkreten Auswirkungen des Strukturwandels auf die ­Anforderungen an die Führungskräfte. Krankenhausentscheider sollten angeben, wie stark die Kompetenzarten Fachkompetenz, Methodenkompetenz und die soziale Kompetenz bei den Führungskräften in der Zukunft ausgeprägt sein sollten. In den Antworten wurden in der Umfrage im Juli 2001 der sozialen Kompetenz durchschnittlich 38 Punkte von 100 zugedacht, der Fachkompetenz 34 und der Methodenkompetenz 28 Punkte (Neubauer et al. 2001, S. 27). Die Schlüsselqualifikation der sozialen Kompetenz wurde in einer weitergehenden Frage noch einmal bestätigt. Die Krankenhausentscheider sollten angeben, wie wichtig sie zwischen −3 und +3 die Aspekte • • • • • • • •

soziale Kompetenz, interkulturelle Kompetenz und Sprachbefähigung, unternehmerische Orientierung, Fähigkeit zum interdisziplinären Denken, Organisationsfähigkeiten, hohes Methodenwissen, Erfahrungen im Krankenhauswesen, exzellente Fachkompetenz

bewerten würden. Topbewertungen bekamen unternehmerische Orientierung (+2,7), soziale Kompetenz (+2,6) und Fähigkeit zum interdisziplinären Denken (+2,6; vgl. Neubauer et  al. 2001, S. 45). Beim erneuten Bewerten zwischen –3 und +3 der Einzelkomponenten der sozialen Kompetenz wurden vor allem die Fähigkeit zur Menschenführung (+2,8), die Entscheidungsfähigkeit

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(+2,7), die Umsetzungsfähigkeit (+2,6) und die persönliche Integrität (+2,6) hoch eingestuft (vgl. Neubauer et al. 2001, S. 46). Abgefragt wurden u. a.: • • • • • • • • • • • • •

Eigenverantwortung und Selbstkontrolle, persönliche Integrität, Flexibilität, ganzheitliches Denkvermögen, Kreativität, Umsetzungsfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Integrationsfähigkeit und kulturelle Sensibilität, Fähigkeit zum Austragen von Konflikten, Motivations- und Begeisterungsfähigkeit, Fähigkeit zur Teamarbeit, Fähigkeit zur Menschenführung.

Instabile Umwelten erfordern nach den vorangegangenen Argumenten von den Führungskräften Synthesenbildung und soziale Kompetenzen. Diese Eigenschaften haben auf alle Fälle etwas mit bildhaftem Denken zu tun – einem Denken, was m. E. für komplexe instabile Umwelten prädestiniert ist. Ronald D. Davis (2001) hat sich im Zusammenhang mit der Legasthenie mit dem bildhaften Denken beschäftigt. Der Auszug aus seinem Buch Legasthenie als Talentsignal soll als Abschlusszitat zum Thema „Anforderungen an Führungskräfte im Krankenhaus“ dienen: Der verbale Denker denkt etwa zwei bis fünf Wörter in der Sekunde, die Begriffe darstellen, der nonverbale Denker denkt um das Sechs- bis Zehnfache schneller. … das nonverbale Denken erfolgt in Bildern, das mit einer Geschwindigkeit von 32 Bildern pro Sekunde abläuft. … Das bildhafte Denken wird meist als 400- bis 2000-mal schneller eingeschätzt. Die Geschwindigkeit variiert offenbar mit der Komplexität der einzelnen Bilder. Aber der Unterschied im Tempo ist nicht das einzige. Bildhaftes Denken ist tiefer, gründlicher, umfassender. Verbales Denken verläuft geradlinig in der Zeit. Es besteht aus Sätzen, in denen ein Wort dem anderen folgt. Bildhaftes Denken ist evolutionär. Das Bild wächst, indem der Denkvorgang immer mehr Unterbegriffe zum Gesamtbegriff hinzufügt. Man könnte sagen, dass bildhafte Gedanken Substanz haben, während verbale Gedanken bedeutungstragende Laute sind. Der einzige Nachteil des bildhaften Denkens ist der, dass der bildhafte Denker sich der einzelnen Bilder nicht bewusst ist, während sie ablaufen. Es geschieht zu schnell. Die Bewusstseinsspanne ist der Zeitraum, in dem man einen Gegenstand bewusst wahrnimmt. Bei uns Menschen dauert diese Zeitspanne ziemlich regelmäßig eine 25stel Sekunde. Mit anderen Worten: Ein Reiz muss wenigstens den 25sten Teil einer Sekunde anhalten, um vom Bewusstsein wahrgenommen zu werden. Wenn also ein Reiz eine 25stel Sekunde oder etwas länger anhält, nehmen wir ihn bewusst wahr. Wir können das als Erkennung bezeichnen. Wenn ein Reiz kürzer als ein 25stel, aber

2  Anforderungen an Führungskräfte im Krankenhaus – Wer ist ein guter CEO …

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wenigstens ein 36stel einer Sekunde anhält, fällt er in die Kategorie des Unterschwelligen. Unser Gehirn empfängt ihn, aber wir nehmen nicht wahr, was es empfangen hat. Falls der Reiz ein Teil eines zusammenhängenden Ganzen ist, verschmilzt er mit den Bildern, die vo­ rausgehen oder nachfolgen. Wenn ein Reiz weniger als eine 36stel Sekunde anhält, nehmen wir ihn nicht einmal unterschwellig wahr. Er huscht zu schnell vorbei. Bildhaftes Denken scheint ziemlich beständig mit einer Häufigkeit von 32 Bildern pro Sekunde oder der Geschwindigkeit wie die Flimmerverschmelzungsfrequenz oder die Verschluss- oder Belichtungszeit des Auges (zu sein). Dies ist etwas schneller als die Bewusstseinsspanne, die, wie gesagt, eine 25stel Sekunde beträgt, aber langsamer als die unterschwellige Wahrnehmung, deren Grenze bei einer 36stel Sekunde liegt. Das bildhafte Denken fällt also in den Bereich der unterschwelligen Wahrnehmung.

2.8

Transformationsbeispiel

Vorgenannte Fähigkeiten werden an einem Praxisbeispiel der Transformation eines Kurbetriebes in ein Gesundheitshotel mit Privatklinik nach § 30 Gewerbeordnung sichtbar: Kuren, insbesondere Präventionskuren, werden zunehmend nicht mehr von den Kostenträgern übernommen. Der Trend der Kostenträger geht eindeutig in Richtung Akutrehabilitation. Damit haben Anbieter der stationären und ambulanten rehabilitativen Vorsorgeleistungen Schwierigkeiten, ihre Geschäftsmodelle aufrechtzuerhalten. Eine der verfügbaren alternativen Optionen ist der Markteintritt in den unregulierten Markt der Selbstzahlerleistungen. Damit befinden sich dann die entsprechenden früheren Kureinrichtungen im Hotelmarkt mit der besonderen Ausrichtung auf Gesundheitsdienstleitungen. Für Privatpatienten und gesundheitsbewusste, aber gesunde Kunden gab es diesen Markt schon immer. Insofern mutieren diese Einrichtungen zu einem Hybridbetrieb zwischen einerseits Klinikleistungen (Zulassung nach § 30 Gewerbeordnung, um ärztliche Leistungen anbieten zu können) und andererseits Hotelleistungen. Die früheren vertikalen Organisationsstrukturen oft kommunaler Kureinrichtungen mit ihrer Strukturausrichtung der Abteilungen nach Funktionen wie IT, Bau, Finanzen, Personal weichen prozessorientierten Betrieben mit horizontaler Struktur, die sich am betrieblichen Prozess entlang des Kundenaufenthaltes orientieren. Das B2B-Geschäft wird durch ein B2C-Geschäft ersetzt. Das hat Konsequenzen für das Führungspersonal wie oben diskutiert, weil sich fast alle betrieblichen Sachverhalte in ihrer grundsätzlichen Philosophie ändern. Patienten werden zu Kunden, die frühere Dienstgesinnung in der Pflege wird zur Dienstleistungsqualität, betriebliche Routinen werden individuell am Kunden ausgerichtet, der Kunde ist Partner und nicht der Kostenträger, der Experte Arzt ist zwar immer noch wichtig in der Dienstleistung, aber die Bedeutung nichtärztlicher Therapeuten nimmt zu, die medizinische Dienstleitung repariert nicht mehr, sondern fördert die Achtsamkeit und das Gesundheitsbewusstsein selbstverantwortlicher Kunden. Frühere Ansprüche des Patienten nach SGB weichen einem Werteversprechen für den Kunden.

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In entwickelten Gesellschaften wie den Industrieländern werden in Zukunft nur noch Basiskataloge der Gesundheitsleistungen angeboten werden können. Alle anderen Leistungen landen im Selbstzahlermarkt und werden so zum Teil auch zu einem Markt für Zusatzversicherungen. Die Transformation dorthin erfordert andere Managementqualitäten als im heutigen SGB-V-Markt. Unsere Erfahrung zeigt, dass Führungspersonal mit Erfahrung aus instabilen Umwelten (bspw. dem Hotelmarkt) weitaus mehr Changemanagementkompetenz mitbringt als Führungspersonal aus stabilen Umwelten wie dem regulierten Markt. Ihm gelingt der Transfer einer Dienstleistung einfacher als dem Personal aus dem SGB-V-Markt. Insofern wird der Transformationsprozess mit Generalisten einfacher gelingen als mit Experten.

2.9

Schlussbetrachtung

Die Frage danach, was denn einen guten Krankenhaus-CEO in Transformationszeiten ausmacht, lässt sich beantworten: Er ist kein Produktexperte in der Expertenorganisation Krankenhaus, weder im ärztlichen noch im regulatorischen Sinn. Vielmehr erfordert die anhaltende Transformation der Branche besondere Changemanagementfähigkeiten, die auf verständigungsorientiertem Handeln und sozialer Kompetenz beruhen und daher eher einem Generalisten als einem Spezialisten zuzurechnen sind.

Literatur Burrell G, Morgan G (1979) Sociological paradigms and organisational pattern. Gower Publishing, Aldershot Davis R (2001) Legasthenie als Talentsignal. Knaur, München Habermas J (1973) Wahrheitstheorien. In: Fahrenbach H (Hrsg) Wirklichkeit und Reflexion. Walter Schulz zum 60. Geburtstag. Neske, Pfullingen, S 211–265 Habermas J (1981a) Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 1. Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung. Suhrkamp, Frankfurt am Main Habermas J (1981b) Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 2. Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung. Suhrkamp, Frankfurt am Main Kappler E (1992) Management by Sokrates. Z Pers/German J Res Hum Resour Manag 6(3):312–326 Lauscher D (2018) Einfluss gesundheitswirtschaftlicher Regulierung auf das Krankenhauscon­ trolling – eine internationale Vergleichsstudie, unveröffentlichte Dissertation, Bergische Universität Wuppertal, Schumpeter School of Business and Economics, Wuppertal Mintzberg H (1973) The nature of mangerial work. Harper Collins, New York Mintzberg H (1979) The structuring of organisations. Prentice Hall Publishing, Hemel Hempstead/ Englewood Cliffs Neubauer G, Uljaky R, Herrendorf P, Westphal G (2001) Anforderungen an die Führungskräfte im Krankenhaus der Zukunft, Studie im Auftrag von Ray und Berndtsen. Institut für Gesundheitsökonomik, München Olson M (1985) Aufstieg und Niedergang von Nationen. Mohr, Tübingen Shem S (1978) House of god. The Bodley Head Publishing, London Ulrich P (1986) Die Transformation der ökonomischen Vernunft. Haupt, Bern

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Markus Bazan  wurde 1962 in Oldenburg/O. geboren. Schule in Deutschland und Kanada, danach Ausbildung zum Reserveoffizier bei der Bundeswehr, 1984 Student im Gründungsjahrgang der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Privaten Universität Witten/Herdecke. Abschluss als Diplom-Ökonom. 1989 Gründung einer Unternehmensberatung mit dem ausschließlichen Fokus auf das Gesundheitswesen. Seit 1998 überwiegender Schwerpunkt auf Sanierungen und Interimsgeschäftsführungen. Heute geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatungsgruppe mit den Marken BAZAN Managementgesellschaft, BAZAN JuniorLine und BAZAN Berater im Gesundheitswesen. Wissenschaftliches Engagement in der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e. V.

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Gesundheitshandwerker und Homecareunternehmen im Spannungsfeld zwischen Ausschreibungen und Social Media Michael Messner, Stipo Vukoja und Maya Petrov

Inhaltsverzeichnis 3.1  A  ktuelle Tendenzen auf dem Gesundheitsmarkt  3.1.1  Entlassmanagement  3.1.2  Neues Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung  3.1.3  Ausschreibungen  3.1.4  Die gesetzliche Krankenversicherung – aktuelle Tendenzen  3.2  Herausforderungen für die sonstigen Leistungserbringer  3.2.1  Geänderte Kundenerwartung  3.2.2  Kunde oder Patient  3.2.3  Sinkende Margen  3.2.4  Bedrohungen durch innovative Großkonzerne  3.2.5  Branchenvergleich  3.3  Zukunftswege für sonstige Leistungserbringer  3.4  Schlussbetrachtung  Literatur 

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Zusammenfassung

Der Gesundheitsmarkt ist aktuell vielen Veränderungen unterworfen. Aktuelle Impulse werden durch den Gesetzgeber in Form des verbindlich definierten Entlassmanagements gesetzt, bei dem die Leistungserbringer, die Krankenhäuser und die Krankenversicherung, zu einer engen Zusammenarbeit verpflichtet werden, um die reibungslose Überleitungsversorgung des Patienten aus dem Krankenhaus in die häusliche Umgebung oder in eine Pflegeeinrichtung sicherzustellen. Für die Leistungserbringer e­ rgeben

M. Messner (*) · S. Vukoja · M. Petrov M Assist GmbH, Troisdorf, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected]; [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), Consulting im Gesundheitswesen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25479-7_3

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sich Konsequenzen in Form von strengeren Abrechnungskontrollen aus dem Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HHVG), das im April 2017 in Kraft trat. Für Unsicherheit im Marktumfeld der sonstigen Leistungserbringer sorgen zudem Bedrohungen durch neue Anbieter, in erster Linie durch Großkonzerne und Onlineanbieter. Um sich diesem Wettbewerb vorbereitet stellen zu können, ist für Reha- und Careanbieter jetzt wichtig, die Entwicklung der Kundenanforderungen zu kennen und Trends rechtzeitig wahrzunehmen. Es sollten auch im eigenen Unternehmen die Prozesse hinsichtlich ihrer Skalierbarkeit überprüft und ggf. optimiert werden.

3.1

Aktuelle Tendenzen auf dem Gesundheitsmarkt

Der Gesundheitsmarkt ist durch eine hohe Dynamik gekennzeichnet. Die Kräfte, die den Markt verändern, sind rechtlicher Natur, Bedrohungen durch neue Anbieter und eine geänderte Kundenerwartung. Im Folgenden wird einzeln auf diese Faktoren eingegangen und ihre Bedeutung für die Reha- und Careanbieter erläutert.

3.1.1 Entlassmanagement Im Anschluss an einen Krankenhausaufenthalt sind bei vielen Patienten, um einen reibungslosen Übergang in den ambulanten Bereich zu gewährleisten, eine umfassende Überleitung und Koordination erforderlich. Die Versorgung mit Hilfsmitteln für den häuslichen Bereich wie Pflegebetten, Duschhilfen, Beatmungsgeräte, aber auch Heilmittel und Arzneimittel und die Organisation eines Pflegedienstes stellen typische Beispiele dar. Das Entlassmanagement hat zum Ziel, die poststationäre Versorgung des Patienten zu regeln und die verschiedenen Akteure zu koordinieren. Das Entlassmanagement wird vom Gesetzgeber als Krankenhausleistung ausgestaltet (§ 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6 KHEntG) und regelt die Abstimmung mit den ambulanten und stationären Versorgungsbereichen, z. B. die häusliche Pflege oder auch die fachärztliche Anschlussversorgung (§ 11 Abs. 4 SGB V; Ratzel et al. 2018, S. 497). Es handelt sich dabei um einen Anspruch des Versicherten gegenüber seiner Krankenkasse. Die zum Teil langwierigen Verhandlungen zu einem Rahmenvertrag zwischen der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem GKV-Spitzenverband sind abgeschlossen und der Rahmenvertrag ist zum 01.10.2017 in Kraft getreten. Für die Praktiker, die die Anforderungen erfüllen müssen, sind seitdem mehrere offene Fragen entstanden. Für die sonstigen Leistungserbringer bestehen Unklarheiten bzgl. der konkreten Umsetzung in den verschiedenen Versorgungsbereichen, bspw. zu Besonderheiten und spezifischen Anforderungen bei der Versorgung mit Hilfsmitteln u. a. hinsichtlich der Genehmigungspflicht. Denn grundsätzlich gilt es, dass bei genehmigungspflichtigen

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Hilfsmitteln das Krankenhaus Kontakt zu der zuständigen Krankenkasse aufnehmen muss, noch bevor es den entsprechenden Leistungserbringer einbindet. Das Recht des Patienten auf freie Wahl des Leistungserbringers bleibt davon unberührt. Die Schwierigkeiten für die Organisation des Entlassmanagements bestehen darin, dass die Genehmigungspflicht von Hilfsmittel zu Hilfsmittel und von Krankenkasse zu Krankenkasse unterschiedlich ist. Darüber hinaus spielen die Verträge zwischen Leistungserbringer und Krankenkasse eine Rolle, weil darin individuelle Genehmigungsfreigrenzen enthalten sein können. Die Genehmigungsprozesse für Hilfsmittel erfordern in der überwiegenden Mehrheit der Fälle einen elektronischen Kostenvoranschlag, den in der Praxis nur der Leistungserbringer an die zuständige Krankenkasse stellen kann. Es wird de facto nicht möglich sein, dass das Krankenhaus oder der Patient diesen etwa durch Papierformulare stellen. Auf die Einholung der Genehmigung durch den Leistungserbringer darf im Regelfall nicht verzichtet werden. Eine Ausnahme bilden dringende und unaufschiebbare Versorgungen, die im Rahmen des Entlassmanagements in dieser Form nicht vorliegen dürften. Das Bundessozialgericht (BSG), das als höchste Instanz über Streitigkeiten bei Hilfsmittelversorgungen zu entscheiden hat, vertritt die Position, dass der Leistungserbringer sein Recht auf Vergütung durch die Krankenkasse für die Fälle verliert, in welchen er eine Patientenversorgung vor der Einholung der Genehmigung vornimmt (BSG, Urteil vom 10.04.2008 – B 3 KR 8/07 R). Auch die Versorgung mit einem Hilfsmittel, bevor die ärztliche Verordnung der Krankenkasse vorliegt, führt zum Verlust des Vergütungsanspruches gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung (BSG, Urteil vom 28.12.2010 – B 3 KR 28/10 B). Die Sozialgerichte, die über ähnlich gelagerte Sachverhalte urteilen müssen, berufen sich auf das BSG, ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist die Versorgung mit CPAP-Geräten in Schlaflaboren, bevor ein Kostenvoranschlag an die Krankenkasse gestellt wurde. Auch in diesem Fall wurde mit Verweis auf das BSG gegen den Leistungserbringer entschieden (SG Reutlingen, Urteil vom 20.01.2016 – S 1 KR 206/13). Großer Kritikpunkt am beschlossenen Entlassmanagement ist es, dass trotz erheblichen Mehraufwands für Personal und IT-Systeme die Krankenhäuser keine zusätzliche Vergütung erhalten. Für die Leitungserbringer bedeuten die neuen Regelungen im Entlassmanagement, dass sie noch stärker und früher im Prozess eingebunden werden müssen. Hierbei gilt es aber, die Vorgaben hinsichtlich der Zusammenarbeit im Gesundheitswesen zu beachten. War es bisher ein gelebter Prozess, dass Homecareanbieter die notwendigen Hilfsmittel zum Entlasstag bereitstellen, findet sich diese Praxis nun als gesetzlich vorgegebener Rahmen wieder. Die verschiedenen Leistungserbringer spielen eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, dass Patienten rechtzeitig aus dem Krankenhaus entlassen werden können. Eine Verzögerung der Versorgung mit den erforderlichen Arznei- und Hilfsmitteln, wie z. B. einem Pflegebett, geht mit einer unnötig langen Verweildauer im Krankenhaus oder schnellen Wiedereinweisungen und den daraus resultierenden hohen Kosten einher. Auf der anderen Seite sind Angehörige bei einem plötzlich auftretenden Pflegefall auf

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kompetente Beratung und Betreuung angewiesen. Damit wird klar, dass das neue Entlassmanagement Leistungserbringern im Homecare- und Rehabereich neue Chancen eröffnet. Sie agieren an der Schnittstelle zwischen Krankenhaus, Patient und Krankenkasse und haben die Möglichkeit, sich zu einem kompetenten Partner in diesem Netzwerk zu profilieren und zusätzliche wirtschaftliche Potenziale zu erschließen. Die Gesundheitshandwerker sollten sich die Frage stellen, wie sie sich zu Schlüsselpartnern der Krankenhäuser entwickeln können. Wichtige Voraussetzungen sind geeignete Infrastruktur, Software und Know-how, um am digitalen Datenaustausch mit den Krankenhäusern teilnehmen zu können. Es befinden sich verschiedene E-Health-Lösungen auf dem Markt, die den Verwaltungsaufwand reduzieren und die Vernetzung erleichtern. Schwierigkeiten für die Leistungserbringer ergeben sich dann, wenn unterschiedliche Partner unterschiedliche Plattformen vorgeben. Als Lösungsansatz sollten regionale Netzwerke mit den verschiedenen Partnern geprüft werden. Hierbei sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass man als Leistungserbringer wirklich nur seine Kernkompetenzen als Leistung in diese Struktur einbringt. Um Compliance und auch Wahlmöglichkeiten für die Patienten zu ermöglichen, sollten mehrere Anbieter für jeden Fachbereich zur Verfügung stehen, die sich im Netzwerk engagieren. In einem solch engen Kommunikationsverhältnis werden die Leistungen der einzelnen Netzwerkakteure schnell transparent und vergleichbar. Gute Leistung wird sich auszahlen. Hierzu sei auch auf die Wirkung der sozialen Netzwerke (Bewertungen) und die Wichtigkeit der Informationsquelle Internet verwiesen wie im weiteren Verlauf dieses Beitrags ausgeführt.

3.1.2 Neues Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung Der Gesetzgeber hat Veränderungen nicht nur im Entlassmanagement vorgenommen, sondern mit dem Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HHVG) auch seinem Willen klaren Ausdruck gegeben, den Bereich der Hilfsmittelversorgung neu zu regulieren. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) wird durch das neue Gesetz verpflichtet, bis zum 31.12.2018 das Hilfsmittelverzeichnis grundlegend zu aktualisieren. Die Aktualisierung beinhaltet die Fortschreibung mehrerer Produktgruppen. Die Spitzenorganisationen der betroffenen Hersteller und Leistungserbringer sowie bestimmte Interessenvertretungen der Patienten werden in Anhörungsverfahren an der Aktualisierung des Hilfsmittelverzeichnisses beteiligt. Das ist eine Chance für Patienten und Hersteller, die Kriterien im Hilfsmittelverzeichnis an den aktuellen medizinischen Wissensstand und an die neuesten technischen Standards anzupassen. Ein positives Beispiel der Reform ist die Versorgung mit aufsaugenden Inkontinenzhilfsmitteln. Im Bereich der aufsaugenden Inkontinenzversorgung wurden neue Qualitätsanforderungen formuliert. Diese betreffen nicht nur das Produkt selbst, sondern auch die vom Versorger zu erbringende Dienstleistung, z. B. Beratung, Lieferung von ausreichenden Mengen für den Patientenbedarf, neutrale Verpackungen. Im Hilfsmittelverzeichnis verankerte höhere

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Standards schützen Leistungsanbieter, die qualitative Produkte abgeben, vor Wettbewerb durch Billiganbieter. Ein aktuelles Beispiel, wie falsche Standards zu einer Wettbewerbsverzerrung führen können, ist die Versorgung mit Antidekubitushilfsmitteln der Produktgruppe 11. Kritik am Hilfsmittelverzeichnis wird von Herstellerverbänden und Patientenorganisationen geäußert, da bislang die Eingruppierung der Produkte aufgrund der Herstellerangaben über die Eignung seiner Produkte für Dekubitusgrade erfolgt. Da sonst keine anderen Qualitätsmerkmale gefordert sind, öffnet dies Tür und Tor für Konkurrenzprodukte, die als Antidekubitushilfsmittel bis Grad IV deklariert werden, ohne dafür die nötigen Materialeigenschaften zu besitzen. Dadurch werden der Preisverfall auf dem Markt und die Problematik der sinkenden Pauschalvergütungen nur zusätzlich verstärkt. Eine Folge des neuen Gesetzes zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung sind intensivere Rechnungskontrollen im Vergleich zur Vergangenheit. Der Gesetzgeber hat die Krankenkassen nun eindeutig verpflichtet stichprobenartige Überprüfungen der Abrechnung von Leistungserbringern durchzuführen. Die Kriterien wurden in den Rahmenempfehlungen des GKV-Spitzenverbandes zur Sicherung der Qualität in der Hilfsmittelversorgung gemäß § 127 Abs. 5b SGB V festgelegt. Schwerwiegende Verstöße können zum Verlust der Präqualifizierung des Leistungserbringers führen. Die Kontrollen fokussieren sich auf die Korrektheit der Abrechnung, die Erfüllung von Dokumentations- und Beratungsverpflichtungen und Hinweise auf unlauteren Wettbewerb. Die Ermittlung der Daten erfolgt anhand von Abrechnungsdaten, Kostenvoranschlägen, der Anforderung von Dokumentationen bei den Leistungserbringern, aber auch durch Versichertenbefragungen oder Testkäufe. Dabei wird mithilfe von statistischen Methoden auf Auffälligkeiten in den Daten zu einzelnen Leistungserbringern und Produktbereichen geachtet – z. B. Korrelation der Fallzahlen zwischen Leistungserbringer und Verordner, nichtplausible Steigerung der Abrechnungsfälle, hohe Reparaturquoten, große Anzahl von aufzahlungspflichtigen Versorgungen, Reklamationsquote. Um sich vor Rechnungskürzungen und Regressforderungen zu schützen, ist die lückenlose Dokumentation der erbrachten Leistung essenziell. Es müssen Beratungsgespräche, Aufklärungen über Wahlrecht und Aufzahlungen, Einverständniserklärungen zur Datenverarbeitung und -weitergabe etc. in einem geeigneten digitalen Archiv und Warenwirtschaftssystem dokumentiert werden. Patientenreklamationen sollten immer dokumentiert werden, um die Recherche auch mehrere Monate nach dem Vorfall zu ermöglichen. Der „Prüfkatalog“ birgt einige Gefahren, zumal z. B. zu wenige Aufzahlungsfälle als schlechte Beratungsleistung, zu viele als zu starkes Profitdenken interpretiert werden können. Über allen Ergebnissen der Vertragsprüfung schwebt die Gefahr der nachträglichen Streichung der Vergütung (sog. Retaxierung). Infolge Vertragsverletzungen besteht das Risiko erheblicher Nach- und Rückforderungen von Krankenkassen. Deren Umfang ermitteln die Krankenkassen aus Näherungswerten, die in der Stichprobe berechnet und auf die Gesamtzahl der Fälle innerhalb der Retaxierungsfristen übertragen wurden. Die Mehrzahl dieser Retaxierungen wird dann zwischen Leistungserbringer und Krankenkasse verhandelt, da auf beiden Seiten Nachweisprobleme der tatsächlichen Vertragsverstöße b­ estehen.

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3.1.3 Ausschreibungen Ein existierendes Vertragsverhältnis zwischen Leistungserbringer und gesetzlicher Krankenkasse ist die grundlegende Voraussetzung, um als Reha- oder Homecareanbieter Hilfsmittel an Patienten abgeben zu dürfen und zur Abrechnung mit der gesetzlichen Krankenversicherung berechtigt zu sein. Die Rahmenbedingungen der Vertragsgestaltung werden durch SGB V § 127 vorgegeben. Im Zuge des am 11.05.2019 in Kraft getretenen Terminservice- und Versorgungsgesetzt wurde das bisher verwendete Ausschreibungsverfahren nach SGB V §127 Abs. 1 als Mittel zur Auftragsvergabe an Hilfsmittelanbieter weitestgehend aufgehoben. Der Gesetzgeber gewährte eine sehr kurze Übergangsfrist von 6 Monaten für bereits geschlossene Ausschreibungsverträge, nach deren Ablauf diese ihre Gültigkeit verlieren. Für die Gesundheitshandwerker bleibt es abzuwarten, ob das Preisniveau durch die neuen Rahmenbedingungen steigen wird. Die Gesetzesänderung stellt die bisherigen Ausschreibungsgewinner vor Herausforderungen. Alle Unternehmen, die bereits in Aufstockung der Kapazitäten investiert haben, um ein Ausschreibungsgebiet versorgen zu können, stehen vor dem Problem, dass sich die Investition in manchen Fällen nicht auszahlen wird. In den negativen Prognosen bleibt das Preisniveau durch den verstärkten Wettbewerb gering, sie verlieren jedoch den Exklusivitätsanspruch auf das bisherige Versorgungsgebiet.

3.1.4 Die gesetzliche Krankenversicherung – aktuelle Tendenzen Der Markt der Krankenkassen ist in einer Phase der Konsolidierung. So hat sich die Zahl der gesetzlichen Krankenkassen von 420 im Jahr 2000 auf 110 im Jahr 2018 reduziert (GKV-Spitzenverband 2018). Auffällig bei dieser Veränderung ist, dass die Betriebskrankenkassen mit 88 Kassen zwar zahlenmäßig überwiegen, aber dennoch einen geringen Anteil von 16,5 % an den versicherten Personen besitzen (vdek 2018). Die zwei größten Krankenkassen in Deutschland sind aktuell die Techniker Krankenkasse und Barmer Ersatzkasse mit jeweils 9,9 Mio. und 9,4 Mio. Versicherten. Die größte BKK ist die Siemens BKK mit etwas mehr als 1 Mio. Versicherten. Die Fusionen in der gesetzlichen Versicherung, deren Zeuge wir in den letzten Jahren wurden, dienen der Effizienz in der Verwaltung und der Gewinnung einer besseren Position bei der Verhandlung von Rabattverträgen mit der Pharmabranche. Die Verhandlungsmacht der großen Krankenkassen spüren jedoch auch die sonstigen Leistungserbringer. Die Krankenkassen haben es sich zum Ziel gemacht, ihre Wahrnehmung in der Gesellschaft zu verändern. War in der jüngeren Vergangenheit das Bild der gesetzlichen Versicherung mit einer verstaubten Behörde verbunden, die Leistungen und Beträge der Versicherten verwaltet, bemühen sich nun die Kassen dieses Bild an das moderne, digitale Zeitalter anzupassen. Dies geschieht durch mediale Kampagnen, die sich an jüngere Mitglieder richten, und durch massiven Umbau in der eigenen Arbeitsweise. Die Versicherten werden mit Bonusprogrammen, freiwilliger Übernahme von Zusatzleistungen bspw. für

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Zahnprophylaxe oder mit der Erstattung der Gebühren für Gesundheitskurse, wie z. B. Rückenstärkung, Raucherentwöhnung oder Stressprävention. Die Kommunikation mit den Kunden hat sich ebenfalls gewandelt – heutzutage sind die Kassen nicht nur in Geschäftsstellen vor Ort, per Telefon oder Fax erreichbar, sondern ebenso gut über persönliche Bereiche auf ihrer Webseite, wo Versicherte Leistungen online beantragen können und Unterlagen elektronisch einreichen können, oder über Social Media. Ein aktuelles Beispiel für die freiwillige Übernahme von Zusatzleistungen im Bereich Hilfsmittel ist die Kostenerstattung für Geräte und Sensoren zur kontinuierlichen Blutzuckermessung bei Diabetikern. Noch bevor diese innovative Therapieart, die Diabetiker vor dem täglichen Stich in den Finger bewahrt, in das Hilfsmittelverzeichnis übernommen wurde, trugen viele Krankenkassen die Kosten für die Behandlung im Rahmen von Einzelfallentscheidungen. Es ist anhand der beschriebenen Maßnahmen zu erkennen, dass sich der Wettbewerb zwischen den einzelnen gesetzlichen Krankenkassen verstärkt. Die Bemühungen der Krankenkassen um neue Versicherte und um die Bindung der bisherigen Mitglieder sind dadurch zu erklären, dass es auf dem Markt der Krankenkassen wenig organisches Wachstum geben kann. Dadurch ist der Konkurrenzkampf eher ein Verdrängungswettbewerb, bei dem neben der Höhe des Zusatzbeitrages vor allem der Service und die Leistung zählen. Für Anbieter im Reha- und Carebereich ist dieser Wettbewerb deshalb von Bedeutung, da die Krankenkassen bei der Kundenbindung an zuverlässigen und dienstleistungsorientierten Partnern interessiert sind. Das ist auf jedem Fall eine Chance für die Anbieter, ihre Positionen zu stärken. Das Gegenteil gilt auch: Liegen der Krankenkasse Beschwerden zu einem Anbieter vor, kann das dazu führen, dass dieser keine Versorgungen z. B. in Form von Direktaufträgen erhält.

3.2

Herausforderungen für die sonstigen Leistungserbringer

Auf die Anbieter von Hilfsmitteln kommen in dieser dynamischen Umgebung Herausforderungen zu, die sich durch den Wandel des Marktumfeldes und des idealtypischen Kunden ergeben. Im Folgenden sollen die wichtigsten Herausforderungen in mittelfristiger Perspektive und ihre Hintergründe erörtert werden.

3.2.1 Geänderte Kundenerwartung Ein entscheidender Faktor für die Kundenzufriedenheit ist die Erwartung des Kunden, die er an der Dienstleistung oder am Produkt vor dem Kauf hat. Die Erwartungshaltung der Patienten und ihrer Angehörigen wird heutzutage zunehmend durch wenige große Anbieter im Konsumgüterbereich geprägt. Internationale Konzerne wie Amazon und ihre kooperierenden Logistikpartner sind in der Lage, Waren schnell auszuliefern und durch verschiedene Kanäle wie Internet und Telefon eine hohe Erreichbarkeit auch jenseits der Öffnungs-

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zeiten des stationären Handels zu gewährleisten. Diese Erwartungshaltung übertragen die Patienten auf die Anbieter im Care- und Rehabereich. Schnelle Reaktionszeiten und kurze Lieferfristen werden nicht nur durch die Verträge mit den Krankenkassen vorgeschrieben, sondern auch von den Patienten gefordert. Es wird dazu eine große Flexibilität von den Leistungserbringern erwartet, die auf individuelle Terminanforderungen und Produktwünsche eingehen sollen. Die Gesundheitshandwerker sollten durch Marketinginstrumente herausfinden, welche Bedürfnisse der Kunde hat, um maßgeschneiderte Lösungen anbieten zu können. Hier sollte nicht nur die Produktqualität erfragt werden, sondern durchaus auch der angebotene Service. Durch eine Aufteilung in verschiedene Kategorien lässt es sich ermitteln, welche Leistung der Kunde schätzt und wo die Bereitschaft besteht, für diese Leistung zu bezahlen. Auf Zusatzleistungen, die nicht zur Kundenzufriedenheit beitragen, weil z.  B. der Kunde diese nicht als relevant empfindet, sollte verzichtet werden. Auf dieser Basis sollten entsprechende Angebote zusammengestellt werden.

3.2.2 Kunde oder Patient Das Verhältnis zwischen Patienten und Leistungserbringer befindet sich ähnlich wie das Verhältnis des Versicherten zu seiner Krankenkasse im Wandel. Stand in der Vergangenheit vornehmlich die Helferrolle des medizinischen Personals im Vordergrund, möchten die Versicherten zunehmend als Kunden und nicht mehr nur als Patienten wahrgenommen werden. Die Patientenrolle impliziert ein abhängiges und ungleiches Verhältnis, welches nicht mehr dem Zeitgeist entspricht. Am anderen Ende der Skala befindet sich das selbstbewusste Auftreten als zahlender Kunde. Die Patienten von heute nehmen ihre Verbraucherposition gegenüber Ärzten und Krankenkassen immer selbstbewusster an. In dieser Position sind sie lockerer an den jeweiligen Anbieter gebunden und ihre Wechselbereitschaft steigt (Etgeton 2011). Die Tendenz im Selbstverständnis des Kunden sollte von den Leistungserbringern rechtzeitig erkannt werden und der Kundenerwartung sollte entsprochen werden. Der Patient von heute möchte in die Entscheidungsfindung einbezogen werden und sich kompetent beraten fühlen. Die große Begeisterung, mit der Gesundheits-Apps oder Fitnessarmbänder aufgenommen werden, zeigt, dass der Patient von heute gern zum Manager seiner Gesundheit wird und aktiv relevante Gesundheitsindikatoren verfolgt. Maßnahmen, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden, sind eine angepasste Kommunikation auf Augenhöhe mit dem Patienten, das Ermitteln seines individuellen Bedarfes, das Berücksichtigen der persönlichen Situation und die Information über den Versorgungsprozess. Angebote sind leichter zu vergleichen, Produkte austauschbar. Durch die Verbreitung des Internets und die Digitalisierung sind Informationen auch in Nischenbereichen für Patienten einfacher verfügbar. Laut der Studie Trendmonitor der Techniker Krankenkasse nutzen drei Viertel der befragten Patienten das Internet als

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Quelle für Informationen zu Gesundheitsthemen (Techniker Krankenkasse 2015). Es gibt eine große Anzahl an Fachzeitschriften, Patientenverbänden, aber auch viele inoffizielle Quellen wie Communitys und Internetforen, die Informationen zu Versorgungen und Anbietern bereithalten. Die Patienten sind dadurch zum einen in der Lage, sich umfassend über ihre eigene Erkrankung zu informieren. Chronisch Kranke erwerben im Zeitverlauf häufig umfangreiches medizinisches und individuelles Krankheitswissen (Borgetto 2006). Zum anderen ist es dank der Digitalisierung bedeutend einfacher, Angebote auch überregional zu vergleichen. Die Kunden sind dadurch in der Lage, die verordneten Produkte und die dazugehörige Serviceleistung bei verschiedenen Leistungserbringern zu vergleichen und von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Durch die Verfügbarkeit von Informationen über die Versorgungsmöglichkeiten sind sie in geringerem Maß darauf hingewiesen, dass ein Arzt oder Krankenhausmitarbeiter diese Entscheidung für sie trifft. Konkurrieren Leistungserbringer auf einem Massenmarkt, auf dem es eine Vielzahl von Produkten in ähnlicher Qualität gibt, gewinnt der Service an Bedeutung als Alleinstellungsmerkmal unter den Leistungserbringern. Die Wechselbereitschaft des Patienten steigt mit der Menge der verfügbaren Informationen. Der Wechsel wird auch durch immer kürzer werdende Produktlebenszyklen erleichtert, die nicht nur bei Konsumgütern, sondern auch bei Medizinprodukten zu beobachten sind. Die Leistungserbringer im Bereich der Hilfsmittelversorgung können diesem Trend mit Kundenbindungsmaßnahmen entgegenwirken. Wichtig ist dabei, dass diese Maßnahmen nicht unreflektiert aus der Marketingforschung übernommen werden, sondern auf die Besonderheiten der Patientenversorgung angepasst werden. Besondere Vorsicht ist bei US-Studien geboten, da die Struktur des Gesundheitssystems deutlich vom deutschen abweicht.

3.2.3 Sinkende Margen Die Pauschalvergütungen im Bereich der Hilfsmittelversorgung haben in den letzten zehn Jahren zu stetig sinkenden Margen geführt. Die Krankenkassen praktizieren zudem nach wie vor das Modell des Wiedereinsatzes, anstatt ein Neugerät für jeden Patienten zu erwerben. Dies erhöht immens den Verwaltungsaufwand aufseiten der Leistungserbringer, die gegen eine vertraglich vereinbarte Pauschalvergütung die Auslieferung, Abholung, Aufbereitung und Einlagerung der Geräte für die Krankenkassen übernehmen. Der Verwaltungsaufwand für die Leistungserbringer steigt auch im Zuge der neuen Datenschutzgrundverordnung an, wonach einerseits Datensparsamkeit gefordert wird, aber anderseits neue Dokumentationspflichten entstehen, um die Aufklärung des Patienten über seine Wahlfreiheit bei Bedarf nachweisen zu können. Es liegt in den Gesetzen der Betriebswirtschaft, dass versucht wird, sinkende Margen über höhere Fallzahlen auszugleichen. Damit dies den Gesundheitshandwerkern jedoch

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gelingt, müssen skalierbare Prozesse implementiert werden. Führen höhere Fallzahlen zu einem gleichmäßig hohen Personalbedarf für Tätigkeiten, die nicht der primären Leistungsherstellung dienen, wird zwar der Umsatz erhöht, jedoch nicht der Gewinn. Um skalierbare Prozesse im Unternehmen zu etablieren, sollte eine grundlegende Prozessanalyse vorgenommen werden und durch Geschäftsführung und Mitarbeiter operative Exzellenz angestrebt werden. Potenzielle Renditekiller sind Prozesse mit vielen Schnittstellen und Schleifen, manuelle Routinetätigkeiten, Doppelarbeiten aus mangelnder Koordination der Prozesse oder Tätigkeiten, an welchen aus Gewohnheit festgehalten wird, die jedoch der Kunde nicht durch höhere Kundenzufriedenheit honoriert. Um sinkenden Margen entgegenzuwirken, lohnt es sich, auch die Reportingmethoden im Unternehmen zu überprüfen: Nicht selten verbringen Mitarbeiter der mittleren Führungsebene viel Zeit mit dem Ausfüllen von Excel-Tabellen und dem Erstellen von Berichten, die nicht weiter verarbeitet werden. Die empfohlenen skalierbaren Prozesse werden durch geeignete ERP-Systeme unterstützt. Für die Anforderungen der Versorger im Bereich der Hilfsmittel befinden sich verschiedene Branchenlösungen auf dem Markt, die unter anderem die Automatisierung von Auftragserfassung und -abrechnung ermöglichen. Ein zusätzlicher Weg, den sinkenden Margen zu entfliehen, der parallel verfolgt werden kann, ist der Ausbau des Direktverkaufs an Patienten. Denkbar sind Produkte, die hohe Innovationskraft besitzen, wie z. B. mit dem Internet vernetzte Geräte oder Wearables, und sich an chronisch Kranke oder an Freizeitsportler und gesundheitsbewusste Kunden richten. Im Rahmen einer Versorgungspauschale können, soweit der Vertrag mit der Krankenkasse dies nicht ausschließt, auch höherwertige Produkte gegen eine wirtschaftliche Aufzahlung angeboten werden und so für bessere Margen sorgen. Der Verkauf von Produkten und Dienstleistungen als Selbstzahlerleistung, die nicht durch die Krankenkasse übernommen wird, ist eine dritte Möglichkeit. Im Jahr 2017 waren 26,8 % der Gesundheitsausgaben individuell finanziert (BMWi 2018). Die Wahl der konkreten Maßnahmen sollte die Unternehmensstrategie berücksichtigen und erst nach einer Umfeldanalyse getroffen werden.

3.2.4 Bedrohungen durch innovative Großkonzerne Der Gesundheitsmarkt als Ganzes wächst. Die Bruttowertschöpfung ist seit dem Jahr 2006 konstant gestiegen von 231,4 Mrd. Euro im Jahr 2006 auf 337,0 Mrd. Euro im Jahr 2016 (BMWi 2018). Jeder 8. Euro Bruttowertschöpfung wird in der Gesundheitswirtschaft generiert und jeder 6. Arbeitsplatz ist im Gesundheitswesen angesiedelt (BMWi 2018). Die guten Zahlen sollten jedoch nicht über bevorstehende Entwicklungen hinwegtäuschen: Es handelt sich um eine Branche, die sich im Umbruch befindet und mittelfristig von disruptiven Entwicklungen betroffen sein wird. Nach einer aktuellen Studie der Beratungsgesellschaft Roland Berger über die Tendenzen im Gesundheitsmarkt befinden sich ausländische Großkonzerne wie Google oder Apple oder Private-Equity-Unternehmen auf dem Vormarsch in den Gesundheitsmarkt

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und investieren erhebliche Summen in skalierbare Gesundheitsdienstleistungen (Roland Berger 2018). Wegen des demografischen Wandels wächst naturgemäß der Markt mit der Versorgung und Pflege von älteren Menschen. Die deutschen Unternehmen profitieren davon aber nur in geringem Maß, stattdessen haben ihn ausländische Investoren für sich entdeckt und läuten einen Umbruch ein (Roland Berger 2018). Große Anbieter auf dem Markt setzen auf technologische Innovationen in der Pflege und Behandlung von Patienten. Typische Handlungsfelder sind Telemedizin, Diagnostik und Prävention. Telemedizin war in den letzten Jahren Schwerpunkt für medizinisch-technische Innovationen. Unter dem Begriff „Homecare“ wurde sie u. a. zu einem der bedeutendsten Investitionsprojekten von weltweit führenden Medizintechnikunternehmen wie Philipps oder General Electric (Hilbert et al. 2018). Neben dem Trend zur Alterung der Gesellschaft und zu mehr Singlehaushalten wird die Bedeutung solcher Angebote auch durch den Wunsch vieler Senioren, solange wie möglich auch im hohen Alter in der eigenen Wohnung bleiben zu können,. Gerade hier bieten sich Lösungen an, die den Alltag unterstützen und eine Fernalarmierung ermöglichen, wenn sich Messwerte wie Blutzucker, Sauerstoff oder Blutdruck in kritische Grenzbereiche bewegen. Aus diesen Beispielen wird ersichtlich, dass künftig Patientendaten eine große Rolle spielen werden und Wachstumstreiber nicht nur durch Verkauf von Produkten entstehen werden, sondern verstärkt durch das Anbieten einer Plattform oder einer Softwarelösung für die Nutzung der Daten, die die Geräte sammeln. Die Patientendaten bilden die Basis für eine personalisierte Medizin, die im Bereich der Hilfsmittelversorgung durch die Interaktion des Menschen mit den eingesetzten Geräten Potenziale erschließt. Studien zeigen, dass Patienten durchaus positiv gegenüber der Nutzung von Telemedizin stehen. Laut einer aktuellen Umfrage des NORC würden 63 % der befragten Studienteilnehmer der Nutzung von Telemedizin anstatt eines persönlichen Arztbesuchs bei der Behandlung von chronischen Erkrankungen zustimmen (NORC 2018). Dabei gab es keine Unterschiede in den Präferenzen zwischen den Altersgruppen der 18- bis 39-Jährigen und der Gruppe der 40+. Eine Studie der AOK Nordwest zur Akzeptanz von Trainingsunterstützung durch Apps oder digitale Armbänder im Rahmen von Präventionsprogrammen zeigte, dass sich in den Altersgruppen der über 60-Jährigen mehr als 60 % aller befragten Patienten und Mitarbeiter für elektronische Trainingsunterstützung interessieren (Gesundheitswissenschaftliches Institut Nordost (GeWINO) der AOK Nordost – Die Gesundheitskasse 2015). Damit ist auch das häufig eingebrachte Argument, dass die Zielgruppe der sonstigen Leistungserbringer moderne Technologien und die Internetnutzung nicht akzeptiert, widerlegt. Diese Tendenzen, die spezielles Know-how und massive Investitionen erfordern, lassen jedoch eine Konsolidierung auf der Anbieterseite prognostizieren. Es wird für kleine Unternehmen immer schwieriger gegen die großen Konzerne zu bestehen. Auf dem Markt der Sanitätshäuser ist seit Jahren eine Konsolidierung zu beobachten, bei der kleine Anbieter durch Konzerne übernommen werden oder Insolvenz anmelden müssen.

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3.2.5 Branchenvergleich Es gibt zwei Branchen in der Gesundheitswirtschaft, die bereits vom digitalen Wandel und von der Macht der Großkonzerne erfasst wurden. Als erste Referenzbranche können die Gesundheitshandwerker Parallelen zu den Optikern ziehen. Das aktuell bekannteste Unternehmen auf diesem Gebiet ist wohl Mister Spex. Gegründet bereits im Jahr 2007, versteht sich Mister Spex darauf, die Brücke zwischen Vor-Ort-Beratung und Onlineshop zu schlagen. Durch Nutzung von Multi-Channel-Marketing und die Kooperation mit stationären Partneroptikern kann es an einem wachsenden Markt im E-Commerce partizipieren. Schätzungen zufolge werden im Jahr 2021 ca. 9 % des Umsatzes mit Brillen und Kontaktlinsen online abgewickelt (Statista 2018). An dieser Stelle mag das gering erscheinen, jedoch sollte man sich die Frage stellen, wer auf ca. ein Zehntel seines Umsatzes verzichten möchte. Der disruptive Charakter des Geschäftsmodells gibt zu denken. Der Brillenkauf ist traditionell mit einer physischen Anprobe verbunden. Da die Brille das Erscheinungsbild sehr beeinflusst, ist sie auch etwas, was mit Unsicherheit und persönlicher Wahrnehmung verbunden ist. Trotz des beratungsintensiven Charakters des Vertriebes beweisen solche Geschäftsmodelle, dass von Unternehmen im E-Commerce durchaus eine Gefahr für den etablierten Handel ausgehen kann. Parallelen bestehen nicht nur zu Augenoptikern, sondern auch zu Apotheken. Der Vertrieb von verschreibungspflichtigen und apothekenpflichtigen Medikamenten ist nicht minder reguliert als die Versorgung mit Hilfsmitteln. Auch darf zu Recht behauptet werden, dass der Kauf von Arzneimitteln ähnlich beratungsintensiv ist wie die Hilfsmittelanpassung. Es ist jedoch bei den Apotheken in der gleichen Weise wie im Optikerbereich ein Trend zur Verlagerung von Umsätzen ins Internet zu beobachten. Auch ist die Bedrohung durch globale Anbieter spürbar gewachsen. Die gesetzliche Lage in Deutschland verhindert aktuell durch das sog. Fremdbesitzverbot, dass eine Apotheke von einem Nichtapotheker geführt wird und dass ein Apotheker mehr als eine Apotheke führt. Apotheken dürfen also nur von Apothekern geführt werden und ein Apotheker darf höchstens eine Apotheke führen. Das Mehrbesitzverbot schreibt vor, dass ein Apotheker eine Hauptapotheke und bis zu drei Filialapotheken betreiben darf (§  1 Abs.  2 ApoG; Schröder et al. 2018). Es gelten auch Einschränkungen für die Verteilung der Filialen im Bundesgebiet: Diese Apotheken müssen „innerhalb desselben Kreises oder derselben kreisfreien Stadt oder in einander benachbarten Kreisen oder kreisfreien Städten liegen“ (§ 2 Abs. 4 Ziff. 2 ApoG). Damit ist dem Aufbau von großen Filialisten, wie es sie z. B. im Sanitätshausbereich bereits gibt, momentan ein Riegel vorgeschoben. Der EuGH hatte im Jahre 2009 über dieses Verbot zu entscheiden und hat es bestätigt. Dennoch ist es branchenintern bekannt, dass große Lebensmittelanbieter bereits ausgearbeitete Konzepte zum Einstieg in den Arzneimittelverkauf vorhalten, sollte der EuGH anders urteilen. Das Medizinproduktegesetz und die Betreiberverordnung für Medizinprodukte legen für die Händler hohe Einstiegshürden in den Markt. Dennoch ist die Bedrohung durch Anbieter wie den Einzelhandel oder Amazon ernst zu nehmen. Ein Beispiel dafür sind die

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regelmäßigen Angebote an medizinischen Produkten wie Bandagen und TENS/EMS-­ Geräte von Lebensmittelhändlern zu sehr niedrigen Preisen. Auch der Versandriese Amazon zeigt bereits Interesse an dem deutschen Gesundheitssektor. Im Bereich der Arzneimittelversorgung kooperiert Amazon aktuell mit einer Bienenapotheke in München. Sie versorgt während der Apothekenöffnungszeiten (montags bis samstags von 8 bis 22 Uhr) innerhalb von 15 Minuten nach Eingang der Bestellung des Kunden den Amazon-Lieferanten mit rezeptfreien Medikamenten. Die Produkte werden innerhalb von einer Stunde an den Endkunden geliefert. Alternativ ist es möglich, ein Zeitfenster für die Lieferung auszuwählen. Dies ist zwar nur ein erster Schritt von Amazon, dennoch hat der Onlinegigant damit seine Absichten kundgetan. Ein mögliches Szenario, dass bei Hilfsmitteln infrage käme, wäre der Auftritt als Händler. Die Aufnahme, der Versand und die Nachverfolgung von Bestellungen gehören zweifelsohne zu den Kernkompetenzen von Amazon. Eine weitere Möglichkeit, die ebenfalls auf den Kernkompetenzen des Unternehmens aufbaut, ist der Auftritt als Marktplattform, die Angebot und Nachfrage zusammenbringt. Dies bedeutet für Reha- und Careanbieter, dass der Patient dort sein Wahlrecht bzgl. des verordneten Gerätes oder der Produkte zum Verbrauch ausüben könnte.

3.3

Zukunftswege für sonstige Leistungserbringer

Bei den bisher erörterten Chancen und Bedrohungen stellt sich besonders in der Beratungspraxis die Frage, was ein Sanitätshaus, ein Reha- oder Careanbieter tun kann, um von der Marktentwicklung zu profitieren bzw. nicht vom Wettbewerb oder von disruptiven Geschäftsmodellen überholt zu werden. Fakt ist, dass wir jeden Tag in einer sich rasant verändernden Welt aufwachen und der technologische Wandel viel schneller als je zuvor dafür sorgt, dass Wissen und Fähigkeiten von gestern heute nicht mehr erfolgsrelevant sind. Um seine Position zu wahren, ist eine Fokussierung auf die Kernkompetenzen notwendig. Es ist hilfreich zu überlegen, was von dem, was ich heute kann, morgen noch auf dem Markt nachgefragt wird, und sich frühzeitig darum zu kümmern, sich in diesem Bereich gut mit Know-how und personellen Ressourcen aufzustellen. Randgebiete, die ein Dienstleister besser und kostengünstiger abdecken kann, können in Kooperation mit diesem bearbeitet werden. Bei Innovationen haben etablierte Unternehmen im Gesundheitsmarkt einen entscheidenden Vorteil vor Start-ups und Newcomer, den sie sich zunutze machen können: Sie kennen sich in den Strukturen der GKV aus, kennen die Zulassungsprozesse, die zu durchlaufen sind, und haben bestenfalls Zugang zu Entscheidern. Diese Vorteile verschaffen ihnen einen Vorsprung vor neuen Anbietern auf dem Markt. Dennoch sollten sie die Zeitspanne von der Idee zur Marktreife möglichst kurz halten, da sich der Wettbewerb ggf. fehlendes Wissen durch taktische Personaleinstellungen schnell beschaffen kann. Im eigenen Betrieb sollte analysiert werden, welche Prozesse zur Wertschöpfung des Unternehmens gehören. Nichtwertschöpfende Tätigkeiten, die von keiner strategischen

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Bedeutung und kein Alleinstellungsmerkmal sind, stellen potenzielle Kandidaten für die Vergabe an externe Dienstleister dar. Die wertschöpfenden Prozesse sollten so gestaltet werden, dass sie schnell und ohne zusätzliches Personal skalierbar sind. Die Erreichung dieses Zieles wird durch den Einsatz geeigneter ERP-Systeme als Branchenlösung unterstützt, die die Automatisierung von Routinetätigkeiten ermöglichen. So können Auftragsspitzen mit dem vorhandenen Personal abgefangen werden. Auch neue Technologien wie Machine Learning und KI sind in naher Zukunft einsetzbar, so die feste Überzeugung des Autorenteams. Der Kundenstamm sollte mit Blick auf den Kundenwert analysiert werden. Für das Unternehmen sollten Kriterien aufgestellt werden, welche Kunden, und zwar gemessen an der Gesamtdauer der Kundenbeziehung zum Gewinn, beitragen. Wenig profitable Versorgungen können mit Selbstzahlerangeboten wieder zurück in die Gewinnzone gebracht werden. Die Zukunft der Gesundheitshandwerker und sonstigen Leistungserbringer ist sehr gut, wenn sie die Zeit und das Geld nicht mit Logistik und Verwaltung und alter Technik vergeuden – hier müssen sie entweder schnell aufholen oder sich durch Kooperationen oder Outsourcing wappnen.

3.4

Schlussbetrachtung

Der Gesundheitsmarkt wird auch in Zukunft schnellen Veränderungen unterworfen sein. Diese Änderungen werden einerseits vom Gesetzgeber durchgesetzt und andererseits durch große Spieler im Markt diktiert. Für die Gesundheitshandwerker bleibt wichtig, Innovationen als Chance wahrzunehmen und wirtschaftlich zu nutzen. Um dies zu erreichen, sollten die internen Strukturen auf den Prüfstand gestellt werden und Prozesse verschlankt werden. Ein Fehler, den es zu vermeiden gilt, ist, veraltete und aus der Gewohnheit entstandene Arbeitsweisen in neue Medien ohne Reflexion zu übertragen, ohne den Kundenfokus und die Wertschöpfungskette zu betrachten.

Literatur BMWI (2018) Gesundheitswirtschaft. Fakten und Zahlen Ausgabe 2017. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), Berlin Borgetto B (2006) Zum Wandel der generellen gesellschaftlichen Erwartungen an Arzt und Patient. Change in the general social expectations of physicians and patients. In: Rehberg K-SD (Hrsg) Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilband 1 und 2. Campus, Frankfurt am Main, S 1965–1975 Etgeton S (2011) Patienten als souveräne Verbraucher – neue Optionen für Patienten. In: Fischer A, Sibbel R (Hrsg) Der Patient als Kunde und Konsument. Gabler, Wiesbaden, S 31–48

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GeWINO der AOK Nordost – die Gesundheitskasse (2015) Die Digital Health Studie 2015 des Gesundheitswissenschaftlichen Instituts Nordost (GeWINO) der AOKNordost zur Akzeptanz elektronischer Trainingsunterstützung. Gesundheitswissenschaftliches Institut Nordost (GeWINO), Berlin GKV-Spitzenverband (2018) Entwicklung der Anzahl gesetzlicher Krankenkassen in Deutschland von 1970 bis 2018. Statista (Hrsg). https://de.statista.com/statistik/daten/studie/74834/umfrage/ anzahl-gesetzliche-krankenkassen-seit-1970/. Zugegriffen am 24.07.2018 Hilbert J, Becka D, Cirkel M, Dahlberg E (2018) Alter und Technik: Perspektiven der Gesundheitswirtschaft. In: Künemund H, Fachinger U (Hrsg) Alter und Technik: sozialwissenschaftliche Befunde und Perspektiven. Springer, Wiesbaden, S 33–50 NORC Center for Public Affairs Research/The Associated Press (2018) Long-term care in America: increasing access to care (NORC at the University of Chicago (Hrsg)). https://www.longtermcarepoll.org/wp-content/uploads/2018/05/APNORC_LTC_Trend_2018_report.pdf. Zugegriffen am 06.07.2018 Ratzel R, Lippert H-D, Prütting J (2018) Kommentar zur (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte – MBO-Ä 1997. Springer, Berlin Roland Berger (2018) Sturmtief voraus! Wo Unternehmen trotz guter Konjunktur mit sektoralen Krisen rechnen müssen. Roland Berger, Frankfurt am Main Schröder H, Knobloch C, Ersöz S (2018) Quick Service für Vor-Ort-Apotheken – Status quo und Entwicklungen innovativer Dienstleistungskonzepte. In: Bruhn M, Hadwich K (Hrsg) Service Business Development: Strategien – Innovationen – Geschäftsmodelle, Bd 1. Springer Gabler, Wiesbaden, S 305–332 Statista (Hrsg) (2018) Augenoptik und Hörgeräteakustik in Deutschland. https://de.statista.com/statistik/studie/id/16949/dokument/augenoptik-und-hoergeraeteakustik-in-deutschland%2D%2Dstatista-dossier/. Zugegriffen am 24.07.2018 Techniker Krankenkasse (Hrsg) (2015) Trendmonitor. https://www.tk.de/presse/themen/digitale-gesundheit/digitaler-fortschritt/digitale-gesundheit-2048044. Zugegriffen am 01.06.2019 vdek (2018) Anzahl der gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland nach Kassenart in den Jahren 2002 bis 2017. Statista (Hrsg). https://de.statista.com/statistik/daten/studie/181740/umfrage/anzahl-der-gesetzlichen-krankenkassen-seit-2002/. Zugegriffen am 06.07.2018

Michael Messner  ist Dipl. Betriebswirt und hat sich nach einem nichtbeendeten Medizinstudium auf die Prozesse in der Medizintechnik und den Gesundheitsberufen als Berater spezialisiert. Er ist Gründer und Gesellschafter der M Assist GmbH einer hoch spezialisierten Unternehmensberatung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Lösungen nicht nur zu erarbeiten, sondern auch deren Implementierung aktiv zu begleiten. So hat er in mehr als 50 Firmen der Branche umfangreiche Changeprozesse oft auch mit der Einführung neuer IT-Techniken begleitet. Die M Assist GmbH zählte 2016 und 2017 zu den Topconsultantunternehmen und unterstreicht damit ihre Expertise in dieser Marktnische. Stipo Vukoja  ist Diplom-Wirtschaftsinformatiker, hat Wirtschaftsinformatik mit Schwerpunkt ERP-Systeme und Controlling an der FH Dortmund studiert. Er sammelte Erfahrung in der Healthcare-Branche in der KUMAVISION AG durch das Projektmanagement und die Prozessberatung in verschiedenen Projekten. Er spezialisierte dieses Wissen weiter bei der M Assist GmbH.  Die M Assist GmbH und ihre Mitarbeiter sind langjährige Berater mit umfassenden Kenntnissen der Medizintechnik und des Gesundheitswesens. Außerdem unterstützt die M Assist GmbH Unternehmen bei der Einführung und Optimierung unter anderem mit der Softwarelösung KUMAVISION.Med.

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Maya Petrov  besitzt einen Magisterabschluss in Nordgermanischer Philologie von der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg und einen Masterabschluss in Businessmanagement im Bereich Dienstleistungen/Consulting, den sie berufsbegleitend an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg erlangt hat. Sie ist seit über zehn Jahren in der Gesundheitswirtschaft tätig und hat verschiedene ERP- und CRM-Implementierungen begleitet. Als Beraterin bei der M Assist GmbH unterstützt sie Kunden aus den Bereichen Medizintechnik, Homecare und Sanitätshaus bei der Einführung und dem Releasewechsel von ERP-Systemen und bei der Etablierung von effizienten Prozessen.

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IT-Integrationsberatung für Medizinproduktehersteller Andreas Zimolong und Sandra Fiehe

Inhaltsverzeichnis 4.1  Einleitung  4.2  Anforderungen an die Integrationsfähigkeit  4.3  Technische Integrationsfähigkeit  4.4  Anforderungen aus dem Betrieb vernetzter Medizintechnik  4.5  Ansätze zum sicheren Betrieb vernetzter Medizinprodukte  4.6  Neue Service- und Geschäftsmodelle  4.7  Schlussbetrachtung  Literatur 

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Zusammenfassung

Mit zunehmender Digitalisierung muss im Gesundheitswesen eine vollständige Inte­ gration der Medizinprodukte in den Datenaustausch realisiert werden. Die Geräte sind in eine bidirektionale Datenkommunikation einzubinden und insbesondere müssen ihre Daten in einem standardisierten Format anderen Systemen zur Verfügung stehen. Nur so können eine ubiquitäre Informationsverarbeitung und eine Mobilisierung der Endgeräte und damit des Fachpersonals erreicht werden. Dabei sind stets die Sicherheit, Eignung und Leistung der Medizinprodukte sowie die Gesundheit und der erforderliche Schutz der Patienten, Anwender und Dritter sicherzustellen. Hinsichtlich der IT-Sicherheit im Betrieb stellt dies eine Herausforderung für die Betreiber und die Medizinproduktehersteller dar. Hier müssen Wege gefunden werden, vernetzte Medizinprodukte gewinnbringend in Betriebs- und Geschäftsprozesse zu integrieren und mit angemessenem Aufwand sicher zu betreiben. A. Zimolong (*) · S. Fiehe Synagon GmbH, Aachen, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), Consulting im Gesundheitswesen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25479-7_4

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4.1

A. Zimolong und S. Fiehe

Einleitung

Digitalisierung ist in allen Branchen ein zentrales Thema, da macht die Gesundheitsbranche keine Ausnahme. Mit dem von der Healthcare Information and Management Systems Society (HIMSS) definierten Electronic Medical Report Adoption Model (EMRAM) lässt sich der Digitalisierungsgrad eines Krankenhauses quantifizieren. Dabei liegt der Fokus nicht nur auf der Unterstützung der Geschäftsprozesse durch IT mittels Bereitstellung wirksamer IT-Werkzeuge und einer elektronischen Patientenakte, sondern auch die Betrachtung der Durchgängigkeit anhand der Kommunikation der Systeme untereinander nimmt einen hohen Stellenwert ein. Was auch direkt nachvollziehbar ist: Nur eine auf ubiquitäre Informationsverarbeitung ausgelegte Systemgestaltung ermöglicht den Nutzern einen schnellen Zugriff auf alle benötigten Daten von beliebigen Orten – das richtige Datenelement zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Monolithisch aufgebaute Systeme, welche ausschließlich innerhalb ihrer eigenen Systemgrenzen kommunizieren, stehen dagegen einer ubiquitären Informationsverarbeitung diametral entgegen. Voraussetzung für eine hohe EMRAM-Einstufung (HIMSS 2018; es gibt sieben Stufen, wobei der Digitalisierungsgrad mit höheren Stufen ansteigt, Stufe 7 haben nur vier Kliniken erreicht, zwei deutsche Kliniken erreichten Stufe 6) ist daher, dass nicht nur die Daten in einer digitalen Form erfasst werden, sondern dass eine Kommunikation zwischen unterschiedlichen Systemen realisiert worden ist. Konsequenterweise muss mit zunehmender Digitalisierung auch die Integration der Medizinprodukte in den Datenaustausch realisiert werden, sodass diese ihre Daten in einem standardisierten Format anderen Systemen zur Verfügung stellen und diese über verschiedene Endgeräte abrufen lassen. Anders als IT-Informationssysteme unterliegen Medizinprodukte jedoch einer gesetzlich vorgegebenen Regulierung, welche den Verkehr mit Medizinprodukten regelt und für die Sicherheit, Eignung und Leistung der Medizinprodukte sowie die Gesundheit und den erforderlichen Schutz der Patienten, Anwender und Dritter sorgt. Dabei sind Medizinprodukte stets funktions- bzw. tätigkeitsbezogen: Der Hersteller definiert das in Verkehr zu bringende Medizinprodukt, dessen Zweckbestimmung (Verwendung) und auch zulässiges Zubehör bzw. zulässige Kombinationen von Medizinprodukten. Daraus wiederum lässt sich die Klassifizierung des Medizinproduktes bestimmen, aus welcher sich der Umfang der Produktzulassung, welche Hersteller zum Inverkehrbringen von Medizinprodukten durchlaufen, ableiten lässt. Der Umfang der Produktzulassung und des ggf. zu durchlaufenden Konformitätsbewertungsverfahrens richten sich nach der Klassifizierung des jeweiligen Medizinproduktes. Dabei ordnen Klassifizierungsregeln das Medizinprodukt je nach Zweckbestimmung einer Risikoklasse zu. Voraussetzung für das Inverkehrbringen ist unter anderem der Nachweis der Konformität des Medizinproduktes mit den grundlegenden Anforderungen nach Medizinprodukterichtlinie (MDD 2007), engl. Medical Device Directive (MDD) bzw. zukünftig den grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen nach Medizinprodukteverordnung (MDR 2017).

4  IT-Integrationsberatung für Medizinproduktehersteller

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Die Komplexität der Anforderungen bringt häufig mit sich, dass die Systeme in sich geschlossen gestaltet sind. Für den Hersteller selbst besteht kaum ein direkter Grund, über die Systemgrenzen hinaus einen Datenaustausch zu ermöglichen. Im Gegenteil gibt es für den einzelnen Hersteller Argumente, den Datenaustausch über Systemgrenzen zu verwehren – je weniger zu betrachtende Schnittstellen enthalten sind, umso überschaubarer und weniger dynamisch gestalten sich die technische Dokumentation, die Produktvalidierung und die Überwachung nach dem Inverkehrbringen. Die Betreiber haben ihrerseits die Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV 2002) zu beachten, welche fordert, die Geräte innerhalb der vom Hersteller definierten Zweckbestimmung zu betreiben (Abschn. 4.2). Der gesamte Produktlebenszyklus muss vom Hersteller in ein Produktrisikomanagement einbezogen werden, was hinsichtlich der Dynamik der Bedrohungslage im Hinblick auf IT-Schnittstellen eine Herausforderung darstellt. Für alle dem Inverkehrbringen nachgelagerten Phasen ist ein Beobachtungs- und Meldesystem zur Reduzierung von Gefährdungen der Gesundheit oder der Sicherheit vorzusehen. Das Risikomanagement sowie auch das Beobachtungs- und Meldesystem nach Medizinproduktegesetz fokussieren allerdings auf die Sicherheit im Sinne der Freiheit von nichtakzeptablen Risiken bezüglich der physischen Verletzung oder Schädigung der Gesundheit von Menschen bzw. der Sicherheit von Patienten, Anwendern und Dritten (im angloamerikanischen Raum als Safety bezeichnet). Diese gesetzlich vorgegebene Fokussierung macht es schwer, weitere im Betrieb (Abschn. 4.4) zu berücksichtigenden Schutzziele aus dem Bereich IT-Sicherheit und Datenschutz hinzuzunehmen. Ein reiner Datenschutz- oder IT-Sicherheitsvorfall zählt nicht zwangsläufig zu einem Risiko. Im Betrieb vernetzter Medizinprodukte stellt dagegen die IT-Sicherheit eine deutliche Herausforderung für Medizinprodukte dar: Kern aller IT-Sicherheitskonzepte ist eine agile Anpassung an die geänderte Sicherheitslage in Form von Sicherheitspatches und wirksamen (Software-)Werkzeugen für die Abwehr der unterschiedlichen Angriffsszenarien. Lange Lebenszyklen, welche bei Medizinprodukten eher in Dekaden als in Jahren gerechnet werden, stellen dabei eine kaum überwindbare Herausforderung dar. Hier müssen von Herstellern und Betreibern Wege gefunden werden, wie Kern-, Wirk- und Funktionsprinzipien der Medizinprodukte konstant gehalten werden können und gleichzeitig die für die IT-Sicherheit zuständigen Komponenten dynamisch an die sich ständig ändernde Sicherheitslage angepasst werden können. Ein Ansatz stellt hier die Umsetzung eines Risikomanagements vernetzter Medizinprodukte nach DIN EN 80001-1 (2011) dar, welches entsprechende Schutzziele verfolgt. Dies ist allerdings bisher weder für Hersteller noch für Betreiber verpflichtend. Die mit der Digitalisierung der Medizinprodukte notwendigerweise einhergehenden Änderungen der Betriebs- und Geschäftsprozesse werden im Folgenden beleuchtet, Handlungsoptionen im Umgang mit der Disruption bisheriger Geschäftsmodelle dargestellt und Potenziale und Fallstricke auf dem Weg zu einem sicheren Betrieb integrierter Systeme aufgezeigt.

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4.2

A. Zimolong und S. Fiehe

Anforderungen an die Integrationsfähigkeit

Zwecks Einhaltung der Medizinprodukte-Betreiberverordnung besteht bei den Betreibern klares Interesse, die Produkte ausschließlich im Rahmen der vom Hersteller definierten Zweckbestimmung zu betreiben. Bei einem außerhalb der Zweckbestimmung eingesetzten Medizinprodukt handelt es sich nach Medizinproduktegesetz (MPG 2017) um Eigenherstellung und die Haftung bzw. die Pflicht einer Konformitätsbewertung geht damit auf den Betreiber über. Medizinprodukte ausschließlich in den Grenzen ihrer Zweckbestimmung zu nutzen und auf eine Integration in die gesamte Kommunikationslandschaft zu verzichten, bedeutet die Schaffung Insellösungen. Insellösungen, bei denen die Grenzen nur durch Papier überwunden werden können. Diese Medienbrüche zwingen den Nutzer zu manuellen Tätigkeiten an den Prozessschnittstellen: Patientendaten müssen eingegeben werden, obwohl sie bereits im patientenführenden klinischen Informationssystem (KIS) vorhanden sind. Befunddaten müssen vom Befundausdruck abgetippt werden, obwohl sie im Medizinprodukt elektronisch als Werte vorhanden sind. Ehemals am Gerät vorhandene digitale Befunddaten sind bei Folgebehandlungen nur schwer nutzbar, da sie nicht manuell ins KIS übertragen und dort dem Patienten verschlagwortet zugeordnet worden sind. All dies stellt sich dem ggf. mehrfach nach Informationen befragten Patienten gegenüber als ein Bild des mangelnden Informationsflusses und der schlechten Organisation dar. Und ist eine Fernwartung der Medizinprodukte aufgrund fehlender Schnittstellen nicht möglich, so kann ein Service nur durch einen Techniker vor Ort durchgeführt werden. Dies bindet nicht nur deutlich mehr Ressourcen als eine Fernwartung, sondern bedeutet auch, dass Korrektur-, Vorbeugungs- und Verbesserungsmaßnahmen nur mit einem deutlichen Zeitversatz implementierbar sind. Diese auf Betreiberseite vermeidbaren Mehraufwände zur Überwindung der Medienbrüche binden nicht nur Zeit der Nutzer und insbesondere des medizinischen Fachpersonals, sondern zwingen diese auch noch zu intellektuell wenig anspruchsvollen Tätigkeiten. Gleichzeitig begünstigen sie ein Festhalten an den bisherigen, papierbasierten Prozessen – die konventionellen Prozesse wurden soweit optimiert, sodass neue Prozesse aufgrund der notwendigen Einarbeitung zunächst aufwendiger erscheinen. Außerdem führt eine Digitalisierung der Prozesse oft zu einer neuen Aufteilung von Verantwortlichkeiten, bei der es zu einer Verschiebung der Tätigkeiten weg von weniger qualifiziertem Personal hin zu höher qualifiziertem Personal kommt. Die Prozesse werden verschlankt, indem Tätigkeiten nach Einführung digitalisierter Systeme direkt durch höher qualifiziertes Personal selbst ausgeführt werden. Solche Formen der Digitalisierung können sich nur dann durchsetzen, wenn in Summe der Nutzen für die Organisation oder den Einzelnen überwiegt oder wenn es ein gesetzliches Erfordernis gibt. Auf jeden Fall wird die mit der Digitalisierung einhergehende Mobilisierung der Endgeräte ein wesentlicher Motivator für Digitalisierung. Die Ortsabhängigkeit entfällt, es entstehen durch mobile Endgeräte neue Formen der Nutzung auch im Kontext der für

4  IT-Integrationsberatung für Medizinproduktehersteller

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Therapie und Diagnostik genutzten Medizinprodukte. Realisiert worden sind beispielsweise bereits mobile Arbeitsplätze im Bereich der Anästhesie im OP, aber auch bei Ultraschallgeräten bietet der mobile Zugriff über Tablets neue Anwendungsszenarien. Eine durchgängige IT-Unterstützung der Geschäftsprozesse an allen Krankenhausarbeitsplätzen bis hin zum Patientenbett erfordert Zugriff auf digitalisierte Daten, deren Verarbeitung und ggf. Verknüpfung mit anderen Daten sowie die dauerhafte Datensicherung. IT-Arbeitsplätze werden damit stärker fokussiert auf spezielle Funktionen bzw. Tätigkeiten, die Personalisierung wird bestimmt durch das Tätigkeits- und Kompetenzprofil des Nutzers. Der für viele Tätigkeiten einsetzbare PC wird ersetzt oder ergänzt durch spezialisierte Arbeitsstationen mit der speziell für den Arbeitsplatz notwendigen Software und an die Umgebungsbedingungen angepassten Ein-/Ausgabemedien. Diese Form der Spezialisierung ist Medizinprodukten dagegen inhärent: Aufgrund ihrer zwingend definierten Zweckbestimmung sind sie bereits vom Design her funktionsbzw. tätigkeitsbezogen. Allerdings bringt der Fokus auf die Zweckbestimmung auch mit sich, dass die Integrationsfähigkeit zu einer wenn überhaupt optionalen Funktionalität reduziert wird, wenn der Datenaustausch über die Systemgrenzen hinweg nicht Bestandteil der Zweckbestimmung ist. Im Gegenteil gibt es wie oben erwähnt Argumente, die gegen einen Datenaustausch sprechen und die gezielt adressiert werden müssen: • Eine Integrationsfähigkeit der Systeme bedingt offene, standardisierte Kommunikationsschnittstellen. Damit muss das Gerät aber in einer Umgebung arbeiten, deren Sicherheitsstatus unbekannt ist. Dies erfordert Sicherheitskonzepte zum Schutz der Schnittstelle, zu deren Konzeption und Umsetzung die Medizinproduktehersteller neue Kompetenzen aufbauen müssten. Und es muss dauerhaft mit dem Betreiber der zu erfüllende Sicherheitsstandard vereinbart werden, was über eine Integration des Medizinprodukteherstellers in ein Risikomanagement vernetzter Medizinprodukte nach DIN EN 80001-1 aufseiten des Betreibers gelingt. • Erfolgt die gesamte, für die Erfüllung der Zweckbestimmung notwendige Datenverarbeitung innerhalb der Systemgrenzen, reduziert sich der Bedarf auf Datenaustausch ausschließlich auf Daten zur Dokumentation der Ergebnisse (z. B. EKG-Befund) oder auf die Kommunikation des Status des Systems zu unterschiedlichen Zeitpunkten (Systemzustandsdokumentation). Diese Art des Datenaustauschs ist jedoch nicht über die Zweckbestimmung obligatorisch – die Möglichkeit hierzu ist daher lediglich optional und daher zwingend zusätzlich zu beauftragen. Treiber für eine Kaufentscheidung sind aber die direkten Nutzer, die bei ohnehin knappen Finanzmitteln eher dazu tendieren, in direkt nutzenbringende Funktionalitäten als in eine elektronische Schnittstelle mit noch unbekanntem Nutzen oder Nutzen außerhalb der eigenen Fachabteilung zu investieren. Lieber kauft sich der Arzt noch einen weiteren Ultraschallkopf, als dass er Geld in eine DICOM-Schnittstelle steckt, deren Nutzen fraglich ist. Bisher konnten die Bilder vom Ultraschallgerät ja auch immer ausgedruckt werden. Je mehr sich jedoch die Vernetzung von Medizinprodukten als Standard etabliert und je mehr Erfahrungen die Nutzer mit vernetzten Medizinprodukten sammeln können, desto selbstverständlicher

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A. Zimolong und S. Fiehe

wird die Beauftragung der Schnittstellen. Hierzu müssen zwingend die Abteilungen Medizintechnik und IT von Beginn an direkt in den Beschaffungsprozess integriert werden. • Die Arbeitsumgebung für die Nutzer wird durch die Systemgrenzen definiert. Entsteht ein Nutzen aus der Datenübermittlung über Systemgrenzen hinweg, so profitieren nachgelagerte Prozessschritte und Prozessverantwortliche. Bei stark arbeitsteiligen Geschäftsprozessen, wie sie im Krankenhaus die Regel sind, entsteht daher möglicherweise nicht der Nutzen bei der Person, die den Aufwand für die Initiierung der Datenübertragung trägt. Entsprechend ist es notwendig, bereits bei der Beschaffung die Gesamtkonzeption inklusive des Datenaustausches zu betrachten und alle Prozessbeteiligten in die Beschaffung einzubinden und notwendige Änderungen der Betriebsprozesse zu initiieren. • Die Verantwortung für den Betrieb der Medizinprodukte liegt zunächst bei der Abteilung Medizintechnik. Bei einer Integration in das allgemeine Datennetzwerk werden aber auch Leistungen der Abteilung IT benötigt, damit die Gerätekommunikation funktioniert. Während die Definition des physikalischen Übergabepunkts der Leistungen noch relativ einfach ist (in der Regel das Trennglied zur galvanischen Entkopplung des Medizinprodukts vom allgemeinen IT-Netzwerk), sind zusätzlich die Kompetenzen und Zuständigkeiten zur Sicherstellung der semantischen Interoperabilität sowie der IT-Sicherheit zuzuordnen. Auch hier hilft ein Risikomanagement nach DIN EN 80001-1 Maßnahmen zur Reduktion der mit dem Einsatz des vernetzten Medizinprodukts verbundenen Risiken zu identifizieren und die Zuständigkeiten zur Umsetzung dieser Maßnahmen zuzuordnen. Eine Übermittlung der Daten an andere Geräte, um dort die sich aus der Zweckbestimmung ergebende Datenverarbeitung fort- bzw. durchzuführen, erfordert einen Verbund aus vernetzten Medizinprodukten. Solch ein Datenaustausch zwischen Medizinprodukten setzt nicht nur den Einsatz von standardisierten Schnittstellen voraus, um einen verlässlichen Datentransfer zu garantieren, sondern macht angesichts der sich ständig ändernden IT-Bedrohungslage auch eine kontinuierliche Validierung der Funktionsfähigkeit und Sicherheit der Kommunikation notwendig.

4.3

Technische Integrationsfähigkeit

Im Rahmen von Diagnostik und Therapie kommen Medizinprodukte in verschiedenen Phasen des Behandlungsprozesses zum Einsatz und werden für den Behandlungsprozess relevante Daten generiert. In der monolithischen Welt mit einem zentralen klinischen Informationssystem (KIS) und einem PACS (Picture Archiving and Communication System) erfolgt die Anbindung entweder über HL7-Kommunikation an das KIS oder über Nachrichten im DICOM-Format an das PACS. Dabei entscheidet die Art der

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zu ­übertragenden Daten über die Form der Anbindung: Bilddaten kommen in das PACS, da der Medizinproduktehersteller in der Regel bereits Erfahrungen mit der Datenkommunikation über DICOM gesammelt hat. Alle anderen Medizinprodukte überführen ihre Daten in ein PDF und übermitteln dieses an das KIS per HL7. Ergänzend oder alternativ hierzu kann der Inhalt auch als Text an das KIS übermittelt werden. Dann muss das KIS aber auch Datenfelder für die Speicherung dieser Daten aufweisen können, was nur bei individuell eingerichteten Schnittstellen realisiert werden kann. Der Datenaustausch über DICOM hat den Vorteil, dass strukturierte Daten auf Basis eines Standards ausgetauscht werden. Entsprechend können die Daten in den nachfolgenden Systemen weiterverarbeitet und automatisiert ausgewertet/analysiert werden. Die in einem PDF oder einer Textbox übermittelten Daten sind dagegen unstrukturiert – die Auswertung bzw. Weiterverarbeitung und strukturierte Ablage inklusive Verschlagwortung können nur durch einen Menschen mit der notwendigen Fachkunde durchgeführt werden. Außerdem besteht das Problem, dass die Daten im KIS in der KIS-spezifischen Datenbankstruktur abgelegt werden. Eine Weiterübermittlung an andere Systeme erfordert die Implementierung weiterer, proprietärer Schnittstellen. Ja nach Interesse des KIS-­Lieferanten und dem mit diesem geschlossenen Rahmenvertrag können die Kosten für die Implementierung deren Nutzwert weit übersteigen. Kliniken sind in den vergangenen Jahren daher zunehmend dazu übergegangen, die Datenhaltung auf Basis einer IHE-Infrastruktur zu zentralisieren. In diese werden strukturierte Dokumente eingestellt, deren Struktur zwischen den Krankenhäusern abgestimmt wird. Damit ist der Datenaustausch nicht nur innerhalb des Gesundheitsdienstleisters möglich, sondern auch über Einrichtungsgrenzen hinweg. Es ist daher wenig verwunderlich, dass Vorreiter beim Aufbau dieser Strukturen Gesundheitsdienstleister mit mehreren Einrichtungen sind. Die Digitalisierung von medizinischen Geschäftsprozessen erfordert Geräte, welche die Anforderungen an einen standardisierten und sicheren Datenaustausch realisieren können. Darüber erlaubt das Übermitteln von Gerätesteuerdaten über das Netzwerk Systemarchitekturen mit verteilten Systemkomponenten, womit sich nicht nur räumlich verteilte, sondern auch mobil nutzbare Systeme realisieren lassen. Werden Systeme über das Netzwerk gesteuert oder erlauben sie einen Fernzugriff für die Fernwartung, müssen besonders hohe Anforderungen an die Sicherheit der Kommunikation erfüllt werden. Dies gilt allgemein bei der Vernetzung von Medizinprodukten, welche nicht nur Informationen, sondern auch Steuersignale austauschen. Hierzu sind weitere Schnittstellen entwickelt worden, wobei hier insbesondere das deutsche OR.NET-Forschungsprojekt (OR.NET 2018) zu nennen ist. In diesem Projekt wurde der Ansatz einer serviceorientierten Architektur (SOA, englisch „service-oriented architecture“) auf Basis IEEE 11073 (IEEE 2017) für die Vernetzung von Medizinprodukten im OP entwickelt und in den Normungsprozess eingebracht. Hierfür verfügen alle integrierten medizinischen Geräte über Schnittstellen im Sinne einer serviceorientierten Architektur und können mittels Services Dienste für andere Teilnehmer des Netzwerks zur Verfügung stellen.

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4.4

Anforderungen aus dem Betrieb vernetzter Medizintechnik

Bei der Digitalisierung der Medizingeräte und deren Vernetzung mit anderen Medizinprodukten und Informationssystemen müssen zwangsläufig die Grenzen der Betriebsverantwortung geklärt werden. Ist es sinnvoll, die Zuständigkeit für den Betrieb an physikalischen Merkmalen wie einem galvanischen Trennglied zu definieren? Wie und wann wird die notwendige Bandbreite auf der Netzwerkleitung zum medizinischen Gerät festgelegt und wie wird die Einhaltung dieser Spezifikationen überwacht? Wie ist die Zuständigkeit verteilt, wenn Bilder zwar vom Endoskopieturm versendet werden, aber nicht im PACS ankommen? Neben der Sicherheit von Patienten, Anwendern und Dritten müssen in einem medizinischen Netzwerk mit Medizinprodukten auch die informationelle Integrität und Sicherheit der Geräte sichergestellt werden. Gleichzeitig dürfen von vernetzten Medizingeräten auch keine Gefahren für das Datennetzwerk im Allgemeinen und die daran angebundenen IT-Systeme im Speziellen ausgehen. Darüber hinaus müssen die Anforderungen des Datenschutzes erfüllt werden. So definiert die Orientierungshilfe Krankenhausinformationssysteme (OH-KIS 2014, Glossar, S. 2) ein Krankenhausinformationssystem wie folgt: Unter dem Begriff „Krankenhausinformationssystem (KIS)“ wird die Gesamtheit aller in einem Krankenhaus eingesetzten informationstechnischen Systeme zur Verwaltung und Dokumentation elektronischer Patientendaten verstanden. Dabei handelt es sich in aller Regel um einen Verbund selbstständiger Systeme meist unterschiedlicher Hersteller.

Dies schließt auch vernetzte Medizinprodukte ein, die so Teil des KIS werden. Warum Medizinprodukte in der Regel von Datenschutzaudits ausgenommen werden, liegt in den Bestimmungen des Medizinprodukterechts begründet: Für die Anwendung im oder am menschlichen Körper bestimmt ist die Sicherheit der Patienten, Anwender und Dritter höchstes, zu schützendes Gut. Maßnahmen zum Datenschutz müssen folglich zurückstehen, wenn diese zu einer Gefährdung von Patienten, Anwendern oder Dritten führen könnten. Gesundheitseinrichtungen müssen als Betreiber von Medizinprodukten generell ein nach §  3  Abs.  1 MPBetreibV sicheres und ordnungsgemäßes Anwenden der medizinischen Geräte gewährleisten. Dazu zählt auch die Durchführung von Instandhaltungsmaßnahmen, insbesondere Inspektionen und Wartungen, die erforderlich sind, um den sicheren und ordnungsgemäßen Betrieb der Medizinprodukte fortwährend zu gewährleisten. Auch auf Herstellerseite besteht nach der Inbetriebnahme die Verpflichtung zur Überwachung – mit einem klaren Fokus auf Safety, der Sicherheit im Sinne der Freiheit von nichtakzeptablen Risiken bezüglich der physischen Verletzung oder Schädigung der Gesundheit von Menschen. Diese gesetzlich vorgegebene Fokussierung auf Sicherheit (im Sinne von Safety) macht es auch so schwer, weitere Schutzziele aus dem Bereich IT-Sicherheit und Datenschutz hinzuzunehmen. Nach Betreiberverordnung sind die Betreiber der Medizinprodukte in der Pflicht, auch vernetzte Medizinprodukte entsprechend den Vorschriften der Hersteller zu betreiben. Die Hersteller wiederum sind in der Pflicht, im Rahmen des

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Konformitätsbewertungsverfahrens die Sicherheit im Sinne von Safety ihrer Medizinprodukte nachzuweisen – Schutzziele aus den Bereichen IT-Sicherheit und Datenschutz jedoch nur, insoweit sie die Sicherheit von Patienten, Anwendern oder Dritten gefährden könnten. So kommt es zu Konflikten, wenn zum Schutz des Gesamtsystems – bestehend aus allen im Krankenhaus bestehenden Systemen – Maßnahmen getroffen werden müssen, welche die Medizinproduktehersteller für die von ihnen in das Gesamtsystem eingebrachten Produkte nicht vorgesehen bzw. erprobt haben oder für notwendig erachten oder im Gegenteil aus dem Medizinproduktblickwinkel heraus als kritisch ablehnen. Ein Beispiel hierfür ist der Schutz vor Schadsoftware: Während es zum Schutz des Gesamtsystems zwingend notwendig ist, dass aktiver Schutz vor Schadsoftware betrieben wird und daher auch regelmäßig neue Updates eingespielt werden, kann Schadsoftware für das einzelne Medizinprodukt unkritisch sein. Dagegen könnte ein auf dem Medizinprodukt sich zu einem ungünstigen Zeitpunkt aktivierender Virenschutz hohe Mengen an Ressourcen binden und so die Stabilität des Systems in für den Patienten kritischen Situationen bedrohen. Oder die Virenschutzsoftware könnte über das fälschliche Klassifizieren von für das Medizinprodukt notwendigen Softwaremodulen als Schadsoftware zu Systemfehlern führen. Das Bewusstsein für IT-Sicherheit und Datenschutz steigt jedoch bei den Medizinprodukteherstellern, -behörden und Gesetzgebern. Stark ausgeprägt ist dies bei der FDA, welche in spezifischen Guidance-Dokumenten zum Cyber-Security-Management vor Inbetriebnahme (FDA 2014) ihre Anforderungen an IT-Sicherheit festgeschrieben hat. Dabei referenziert die FDA auch den AAMI TIR57 (2016), welcher als Technical Information Report der amerikanischen AAMI die Medizinproduktehersteller bei der Implementierung eines Cyber-Security Risikomanagementsystems unter Beachtung der DIN EN ISO 14971 (2013) unterstützen soll. Für Deutschland geltende Bestimmungen greifen den Aspekt der IT-Sicherheit implizit auf: Gemäß § 6 der im Januar 2017 in Kraft getretenen MPBetreibV ist ein „Beauftragter für MP-Sicherheit“ zu bestimmen, der ein Bindeglied der Gesundheitseinrichtung zu Behörden, Herstellern und Vertreibern ist. Die im Mai 2017 in Kraft getretene EU-Verordnung 2017/745, bekannt als Medizinprodukteverordnung (englisch Medical Device Regulation, MDR), wird nach einer Übergangsfrist von drei Jahren im Mai 2020 verpflichtend und legt explizit u. a. fest (MDR 2017, Anhang I, I 14.3a): Die Hersteller legen Mindestanforderungen bezüglich Hardware, Eigenschaften von IT-­ Netzen und IT-Sicherheitsmaßnahmen einschließlich des Schutzes vor unbefugtem Zugriff fest, die für den bestimmungsgemäßen Einsatz der Software erforderlich sind.

Dieses Zitat zeigt allerdings auch ein grundsätzliches Problem bei der Berücksichtigung von IT-Sicherheit aus Medizinprodukte- und IT-Sicht auf: Während das Festlegen von Mindestanforderungen bezüglich IT-Sicherheitsmaßnahmen einer vergleichsweise langsamen Änderungsrate unterworfen ist, liegen die Änderungsraten der IT bei mindestens

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monatlichen (bei Software) bis hin zu 12-stündlichen (bei Virenschutzpattern) Aktualisierungen. Die FDA adressiert dieses Problem konkret mit einem Guidance Document zum Postmarket Management of Cybersecurity in Medical Devices (FDA 2016, S. 15): As part of their risk management process consistent with 21 CFR part 820, a manufacturer should establish, document, and maintain throughout the medical device lifecycle an ongoing process for identifying hazards associated with the cybersecurity of a medical device …

Dieser Aspekt des Risikomanagements für IT-Netzwerke, die Medizinprodukte beinhalten, als Werkzeug zur kontinuierlichen Überwachung und Kontrolle der mit dem Einsatz vernetzter Medizinprodukte verbundenen Risiken wird durch die DIN  EN  80001-1 adressiert. Wesentlich bei dieser Norm ist die Ergänzung des Schutzziels Sicherheit (im Sinne von Safety) um die Schutzziele Effektivität sowie Daten- und Systemsicherheit (im Sinne von Security).

4.5

Ansätze zum sicheren Betrieb vernetzter Medizinprodukte

Nebeneinander gestellt erfordert die Betrachtung aller drei Schutzziele – Sicherheit, Effektivität und Daten- und Systemsicherheit – ein Ausbalancieren: Ist ein Risiko, welches als mögliche Schadensfolge die Zerstörung des Medizingeräts beinhaltet, in seiner Gewichtigkeit gleichzusetzen mit einem Risiko, welches als Schadensfolge den Tod des Patienten identifiziert? Da diese Risiken in ihrer Gewichtung unterschiedlich sein müssen, müssen auch die Skalen zur Bewertung des Schadensausmaßes sich je nach Schutzziel in ihrer numerischen Gewichtung unterscheiden. Umso wichtiger ist die Festlegung der Skalen vor der Durchführung der Risikobewertung, um so eine konsistente Bewertung zu gewährleisten. Die Norm strukturiert in Form von Prozessen, was ein Risikomanagement mit einer kontinuierlichen Aktualisierung der Risikobewertung im Rahmen der Betriebsprozesse umfasst. Neben einer stetigen Beobachtung der aktuellen Bedrohungslage müssen Geräte bzw. Systeme regelmäßig (zeitlich gesteuert) sowie nach Bedarf (ereignisgesteuert) einer Risikoanalyse und -bewertung unterzogen werden. Parallel sind risikomindernde Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen und neu identifizierte Risiken durch geeignete Maßnahmen zu reduzieren. Im Rahmen des bereits oben genannten Forschungsprojektes OR.NET wurde ein standardbasiertes Kommunikationsmodell für den Datenaustausch (Steuerungsbefehle und Informationsobjekte) von Medizinprodukten untereinander und mit IT-Systemen geschaffen. Das BMBF-geförderte Anschlussprojekt MoVE (Modular Validation Environment for Medical Device Networks; Besting 2018) trägt diese Idee weiter: Ausgehend von der Anforderung, während der Medizinprodukteentwicklung und dem Betrieb der vernetzten Medizinprodukte die Konformität mit dem Kommunikationsstandard zu verifizieren und das System auf bekannte Risiken zu testen, werden Methoden und Verfahren entwickelt,

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die das Zulassungs- und Zertifizierungsverfahren sowie das betriebsbegleitende Risikomanagement offen vernetzter Medizinprodukte in integrierten OP-Umgebungen unterstützen. Hierfür wird eine Simulations- und Testumgebung geschaffen, mit der die Vernetzung von Medizingeräten untereinander und mit IT-Informationssystemen getestet und anhand verschiedener Testszenarien validiert werden kann. Konkret kann mit dieser Testplattform der Nachweis geführt werden, dass die im Rahmen einer allgemeingültigen Risikobewertung identifizierten und implementierten Risikokontrollmaßnahmen wirksam sind und die Anforderungen an IT-Sicherheit und Datenschutz erfüllt werden. Damit kann eine validierte Methode zum Nachweis der Konformität mit Standards (insbes. IEEE 11073) zur Verfügung gestellt werden, den Schnittstellen der Medizingeräte im IT-Netzwerk kann so eine sichere Kommunikation testiert werden. Im Rahmen des Forschungsprojektes OR.NET wurde auch untersucht, wie in der Betriebs- und Nutzungsphase des Medizinprodukts die unterschiedlichen Interessen von Medizinprodukteherstellern und Betreibern im Hinblick auf die Gewährleistung von Patienten- und Anwendersicherheit, IT-Sicherheit und Datenschutz realisiert und ausgeglichen werden können. Hierzu müssen entsprechend den Strukturen für ein Risikomanagement nach DIN EN 80001-1 nach Inbetriebnahme des Medizinprodukts die Hersteller in das Risikomanagement der Betreiber eingebunden werden. Im Rahmen von OR.NET wurden Betreibermodelle für vernetzte Medizinprodukte entwickelt und die Aufgabenteilung bzw. Verantwortlichkeiten anhand von Leistungsscheinen zwischen den verschiedenen Prozessbeteiligten definiert und verteilt. Aus Leistungsscheinen für die verschiedenen, im Projekt definierten Anwendungsfälle wurde die Rahmenstruktur allgemeingültiger Leistungsscheine entwickelt. Dabei galt es, den gesamten Produktzyklus zu betrachten. Entsprechend wurden Tätigkeiten und Betriebsprozesse berücksichtigt, welche während der Installation, der initialen Konfiguration, der Erstinbetriebnahme, der regelhaften Anwendung, der Durchführung von Update- und Konfigurationsänderungen, der Umsetzung von Änderungen an den Hardwarekomponenten oder der Außerbetriebnahme durchzuführen sind. Auf Basis dieser Systematik wurden alle Tätigkeiten und Betriebsprozesse während des gesamten Produktlebenszyklus erfasst, wobei nach regelmäßig anfallenden und damit prinzipiell abgeschlossen beschreibbaren Tätigkeiten (Betriebstätigkeiten) und Projekttätigkeiten unterschieden wurde. Als besonderes relevant für die Medizinproduktebetreiber erwies sich dabei die Stellen- und Aufgabenbeschreibung eines Risikomanagers (vgl. DIN EN 80001-1).

4.6

Neue Service- und Geschäftsmodelle

Die Einbindung der Medizinproduktehersteller in ein vom Medizinproduktebetreiber verantwortetes Riskmanagement nach DIN  EN  80001-1 während der Betriebs- und Nutzungsphase des Produkts macht es erforderlich, dass die Hersteller auch die zu ihren Produkten zugehörigen Dienstleistungen anbieten. Es ist nicht ausreichend, das Produkt

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zusammen mit den Projektleistungen Installation und Inbetriebnahme zu verkaufen. Neben Projektleistungen werden auch Betriebs- bzw. Serviceleistungen für vernetzte Medizinprodukte benötigt, neben einem Werkvertrag muss auch ein Servicevertrag abgeschlossen werden. Dabei bieten heutige Serviceverträge häufig nur den Basisbetrieb an: Hotline und Support im Fehlerfall, ggf. auch Durchführung regelmäßiger Wartungstätigkeiten. Eine Verantwortung für die Verfügbarkeit des Medizinprodukts, hinterlegt mit garantierten Wiederherstellungszeiten im Fehlerfall, wird nur in Ausnahmefällen angeboten. Und die regelmäßige Weitergabe von für das Risikomanagement relevanten Informationen der Hersteller an die Betreiber? Direkte Vereinbarung zwischen Hersteller und Betreiber/Anwender sind sehr selten, aber aufgrund der in der Medizinprodukte-­Sicherheitsplanverordnung (MPSV 2002) genannten Meldekriterien und -pflichten sind gem. § 2 Abs. 1 MPSV auch Risiken bzw. Ereignisse an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu melden, die im Zusammenhang mit der Vernetzung von Medizinprodukten stehen. Diese Meldepflicht betrifft die Hersteller/Inverkehrbringer und Betreiber/Anwender gleichermaßen. Neue Geschäftsmodelle, welche sich aus der Digitalisierung der Medizinprodukte ergeben und welche nicht auf die Stofflichkeit der Geräte fokussieren, sondern auf deren Nutzung und Anwendbarkeit (Medizinprodukte „as a service“), sind nur für den ohnehin nichtstofflichen Bereich – Software und Apps – identifizierbar. Im Bereich der Gerätehersteller gibt es Finanzierungsmodelle, welche die gerätefokussierte Finanzierung durch eine nutzungsbasierte Finanzierung ersetzen, womit ein erster Schritt hin zu einer dauerhaften Leistungsbeziehung mit verteilten Verantwortlichkeiten getan ist. Im Rahmen der Verifikation der Leistungsscheine bzw. der Prüfung ihrer Allgemeingültigkeit wurden im OR.NET-Projekt die Medizinproduktehersteller gefragt, inwieweit sich aus der Vernetzung und Digitalisierung ihrer Systeme für sie neue Geschäftsmodelle ergeben. Die Aussagen deuten darauf hin, dass die Hersteller auch für vernetzte Medizinprodukte konventionelle Vertriebsmodelle verfolgen, sich durch die Kombination mit anderen Medizinprodukten und IT-Informationssystemen aber ggf. neue Märkte erschließen lassen. Die Integration in ein Risikomanagement nach DIN  EN  80001-1 und die daraus folgenden notwendigen Dienstleistungen könnten angeboten werden, wenn sie der Markt fordert. Der Markt hingegen – die Medizinproduktebetreiber und -anwender – fordert zwar die Leistungen, sieht aber diese als inhärenten Teil des Medizinprodukts und damit als zusammen mit den Beschaffungs-, Inbetriebnahme- und Servicekosten finanziell abgegolten. Medizinprodukte „as a service“ ist dagegen für die aus der IT-Branche stammenden Hersteller und Dienstleister einfacher zu realisieren. Diese bringen bereits die in der IT etablierten Updatemechanismen zur Behebung von Fehlern und Sicherheitslücken zum Einsatz, hier gehören Servicemodelle neben dem Lizenz- und Projektgeschäft zum Leistungskatalog. Entsprechend ist hier die Bereitschaft – wenn auch erst in Teilen – vorhanden, über As-aservice-Modelle mit den Betreibern zu verhandeln. Allerdings gibt es auch hier deutliche Unterschiede zwischen den Anbietern: Während die einen mit einer Softwarearchitektur,

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welche auf den On-Premise-Betrieb beim Nutzer/Anwender ausgelegt ist, deutliche Schwierigkeiten haben, Skalierungseffekte eines As-a-service-­Betriebsmodells zu realisieren und die damit verbundenen Kosteneinsparungen an die Kunden (in Teilen) weiterzugeben, können andere mit einer Scale-out-Softwarearchitektur diese Skalierungseffekte ungleich einfacher monetarisieren und ihre Leistungen zu einem Bruchteil der Kosten eines On-Premise-Betriebs anbieten.

4.7

Schlussbetrachtung

Digitalisierung ist auch im Bereich der Medizintechnik ein wichtiges Thema, bei dem sich drei wesentliche Herausforderungen identifizieren lassen: • Vernetzung von Medizinprodukten: Austausch von Steuerungsdaten und Informationsobjekten zwischen Medizinprodukten und mit IT-Informationssystemen; • Betreibermodelle: betriebsbegleitende Integration der Medizinproduktehersteller in ein Risikomanagement des Betreibers/der Anwender; • Geschäftsmodelle: Etablierung einer dauerhaften Leistungsbeziehung zwischen Hersteller und Betreiber, bei der der Hersteller Verantwortung für die Funktionsfähigkeit des Medizinprodukts übernimmt und gleichzeitig die Betriebskosten reduziert. Über die Notwendigkeit der Vernetzung besteht Einvernehmen bei allen Stakeholdern, allerdings ist die Priorisierung von Vernetzung und Lösung der damit verbundenen Anforderungen je nach Perspektive unterschiedlich stark ausgeprägt. Hierbei spielen die normativen Vorgaben und der sich aus der Vernetzung ergebende Nutzen eine entscheidende Rolle. Zunehmend ist aber eine stärkere Berücksichtigung der Anforderungen aus den Bereichen IT-Sicherheit und Datenschutz erkennbar, und zwar ohne den Lösungsansatz von isolierender Inselbildung durch in sich geschlossene Systeme. Die DIN EN 80001-1 bietet hier einen integrativen Lösungsansatz. Da aber aus der Perspektive der Betreiber die Verantwortung für Zuarbeit bei den Herstellern und aus der Perspektive der Hersteller die Verantwortung für die Umsetzung eines solchen Risikomanagements bei den Betreibern liegt und gleichzeitig ein gesetzliches Erfordernis nicht direkt ableitbar ist, nehmen nur vereinzelt Betreiber der Medizinprodukte diese Prozessnorm als Ausgangspunkt für die Implementierung eines eigenen Risikomanagements vernetzter Medizinprodukte. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass mit zunehmenden regulativen Erfordernissen im Hinblick auf ein Risikomanagement, wie sie bspw. durch das 2015 in Kraft getretene IT-Sicherheitsgesetz gefordert werden, der Druck für die Einführung eines Risikomanagements nach DIN EN 80001-1 für alle Betreiber steigen wird. Aktuell (Juli 2018) ist der für die Gesundheitsbranche auszuarbeitende branchenspezifische Sicherheitsstandard gem. §  8a  BSIG (2009) noch in der Entwicklung, aber hier werden sicherlich für ein Risikomanagement wesentliche Akzente gesetzt.

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A. Zimolong und S. Fiehe

Literatur AAMI TIR57 (Hrsg) (2016) Principles for medical device security – risk management, association for the advancement of medical instrumentation – technical information report, Arlington Besting A (2018) BMBF-Projekt MoVE, Secure Dynamic Networking in Surgery and Clinic (OR. NET, Hrsg). http://ornet.org/bmbf-projekt-move/. Zugegriffen am 19.07.2018 BSI-Gesetz vom 14.08.2009 (BGBl. I  S.  2821), das zuletzt durch Artikel  1 des Gesetzes vom 23.06.2017 (BGBl. I S. 1885) geändert worden ist. Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) DIN EN ISO 14971:2013-04, Medizinprodukte  – Anwendung des Risikomanagements auf Medizinprodukte (ISO 14971:2007, korrigierte Fassung 2007-10-01); Deutsche Fassung EN ISO 14971:2012 DIN EN 80001-1:2011-11; VDE 0756-1:2011-11, Anwendung des Risikomanagements für IT-­ Netzwerke, die Medizinprodukte beinhalten – Teil 1: Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Aktivitäten (IEC 80001-1:2010); Deutsche Fassung EN 80001-1:2011 FDA (Hrsg) (2014) Content of premarket submissions for management of cybersecurity in medical devices  – guidance for industry and food and drug administration staff. Food and Drug Administration. https://www.fda.gov/downloads/MedicalDevices/DeviceRegulationandGuidance/ GuidanceDocuments/UCM356190.pdf. Zugegriffen am 19.07.2018 FDA (Hrsg) (2016) Postmarket management of cybersecurity in medical devices  – guidance for industry and food and drug administration staff. Food and Drug Administration. https://www.fda. gov/downloads/medicaldevices/deviceregulationandguidance/guidancedocuments/ucm482022. pdf. Zugegriffen am 19.07.2018 HIMSS (Hrsg) (2018) Electronic medical record adoption model EMRAM stage 6 & 7. Healthcare Information and Management System Society. https://www.himss.eu/communities/himss-emram-stage-6-7-community#emram-stage-7. Zugegriffen am 19.07.2018 IEEE (Hrsg) (2017) IEEE Std 11073-10207-2017 – IEEE health informatics – point-of-care medical device communication part 10207: domain information and service model for service-oriented point-of-care medical device communication. Institute of Electrical and Electronics Engineers, IEEE. https://doi.org/10.1109/IEEESTD.2018.8299598 MDD (2007) Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14.06.1993 über Medizinprodukte in der konsolidierten Fassung in der konsolidierten Fassung vom 11.10.2007, Medical Device Directive (MDD) MDR (2017) Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.04.2017 über Medizinprodukte, Medical Device Regulation (MDR) MPBetreibV (2002) Medizinprodukte-Betreiberverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. August 2002 (BGBl. I S. 3396), die zuletzt durch Artikel 9 der Verordnung vom 29. November 2018 (BGBl. I S. 2034) geändert worden ist MPG (2017) Medizinproduktegesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 07.08.2002 (BGBl. I S. 3146), das zuletzt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 18.07.2017 (BGBl. I S. 2757) geändert worden ist MPSV (2002) Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung vom 24.06.2002 (BGBl. I S. 2131), die zuletzt durch Artikel 7 der Verordnung vom 29.11.2018 (BGBl. I S. 2034) geändert worden ist OH-KIS (Hrsg) (2014) Unabhängiges Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein. Orientierungshilfe Krankenhausinformationssysteme. https://www.datenschutzzentrum.de/artikel/1107OH-KIS-Orientierungshilfe-Krankenhausinformationssysteme.html. Zugegriffen am 19.07.2018 OR.NET (Hrsg) (2018) Sichere dynamische Vernetzung in Operationssaal und Klinik.. Secure Dynamic Networking in Surgery and Clinic. http://www.ornet.org. Zugegriffen am 19.07.2018

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Herr Dr. Zimolong  hat 2002 an der RWTH Aachen zum Thema „Bewertung der Zuverlässigkeit computergestützter Chirurgiesysteme“ promoviert. Seit seinem Wechsel zur Synagon GmbH, deren Geschäftsführer er seit 2009 ist, konzentriert er sich auf alle Themen rund um den Einsatz von Informationstechnologie und Medizinprodukten im Krankenhaus. Ausarbeitung und Einführung von IT-Strategien sowie die Projektierung von IT-Lösungen für die Unterstützung der Prozesse im Krankenhaus gehören dabei zu seinen Tätigkeiten bis hin zur temporären Stellung des CIO. Des Weiteren begleitet er Um- und Neubauten im Sinne eines IT-Fachplaners und stimmt dabei IT-Anforderungen mit den Fachplanern ab sowie begleitet und überwacht die Umsetzung und Inbetriebnahme der geplanten IT-Maßnahmen. Auch die Planung hoch verfügbarer Serverräume und Datennetzwerke gehört dabei zu seinem Leistungsspektrum. Außerdem ist er auch immer wieder in Forschungsprojekten aktiv, bei denen es um die Vernetzung von Medizinprodukten geht. Hierbei bringt er die Perspektive der Medizinproduktebetreiber ein: aktuell im Projekt MoVE bei der Konzeption und Realisierung einer Plattform für die Validierung der sicheren Vernetzung von Medizinprodukten, davor im Projekt OR.NET bei der Ausarbeitung von Betreibermodellen für vernetzte Medizinprodukte. Darüber hi­ naus ist Dr. Zimolong Autor und Referent von zahlreichen Artikeln und Vorträgen rund um die Themen Digitalisierung im Krankenhaus und Risikomanagement nach DIN EN 80001-1. Frau Fiehe  hat an der RWTH Aachen Elektrotechnik studiert und war nach dem Diplomabschluss 2009 zunächst in der Entwicklung von aktiven Medizinprodukten am Lehr- und Forschungsgebiet Kardiovaskuläre Technik des Helmholtz-Instituts für biomedizinische Technik in Aachen tätig. Auch nach dem Wechsel zur Synagon GmbH begleitet Frau Fiehe immer wieder aktiv Forschungsprojekte wie OR.NET und MoVE bei aktuellen Themen der Vernetzung von Medizinprodukten und Fragen der Zulassungsfähigkeit. Aktuell arbeitet sie einerseits mit Herstellern von Medizinprodukten an der Produktzulassung und der entwicklungsbegleitenden technischen Dokumentation inklusive Themen des Risikomanagements und bringt die Perspektive der Produktbetreiber mit ein. Andererseits entwickelt sie für Gesundheitsdienstleister zugeschnittene IT-­ Betriebskonzepte mit besonderem Fokus auf die IT-Infrastruktur, den Betrieb von vernetzten Medizinprodukten und Optimierung der Geschäftsprozesse.

5

Digitale Transformation als strategische Herausforderung Beate Kasper, Heike Kielhorn und Matthias P. Schönermark

Inhaltsverzeichnis 5.1  E  inleitung  5.2  „It’s crazy out there“ – der digitale Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen  5.3  Digitalisierung als strategische Herausforderung – gerade im Gesundheitswesen  5.3.1  Verschiebung der Zeitrelationen  5.3.2  Führung – ohne digitales Mindset ist alles nichts  5.3.3  Kollaboration – oder: „culture eats strategy for breakfast“  5.4  Fallbeispiel: Digitale Transformation einer gesetzlichen Krankenversicherung – strategische Implikationen  5.4.1  Herausforderung  5.4.2  Lösung/Herangehensweise  5.4.3  Strategische Key Learnings der digitalen Transformation einer gesetzliche Krankenversicherung  5.5  Schlussbetrachtung  Literatur 

                 

80 82 88 88 91 93

   94    94    95    97    99  100

Zusammenfassung

Medizin ist im Wesentlichen ein Informationsgeschäft. In der Diagnostik werden zahlreiche Daten generiert, gebündelt und ausgewertet, Krankengeschichten dokumentieren Beginn und Verlauf einer Erkrankung, in den meisten Disziplinen ist das ärztliche Gespräch und damit der Austausch von Informationen die zentrale Intervention und schließlich fließen bei den verbundenen Zahlungs- und Erstattungsprozessen Daten und keine physischen Gegenstände. Insofern leuchtet ein, dass digitale

B. Kasper (*) · H. Kielhorn · M. P. Schönermark SKC Beratungsgesellschaft mbH, Hannover, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected]; [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), Consulting im Gesundheitswesen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25479-7_5

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B. Kasper et al.

Technologien das gesamte System und die Beziehungsebenen der Systembeteiligten durchdringen und einen erheblichen Veränderungsdruck ausüben. Im folgenden Beitrag wird dargelegt, welche Anpassungen im Strategieprozess von Unternehmen und Organisationen im Gesundheitswesen unter dem Einfluss potenziell disruptiver digitaler Technologien erfolgen sollten, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten bzw. zu stärken. Darüber hinaus werden kulturelle Veränderungsnotwendigkeiten hin zu einem Digital Mindset diskutiert, die in einer traditionell konservativen Branche die Führung herausfordern können. Schließlich wird am Beispiel der digitalen Transformation einer gesetzlichen Krankenversicherung verdeutlicht, mit welchen Methoden Chancen und Risiken beim Setzen und Operationalisieren einer digitalen Agenda balanciert werden können.

5.1

Einleitung

Die fortschreitende und weitreichende Digitalisierung von Informationen ist allgegenwärtig und durchdringt immer mehr Bereiche des privaten wie öffentlichen Lebens. Wir nutzen ganz selbstverständlich Facebook, Xing oder Instagram, um Kontakte zu knüpfen oder zu vertiefen, bestellen Lebens- und Arzneimittel per Knopfdruck im Internet und arbeiten mit internationalen Geschäftspartnern via E-Mails, Voicemails, Telefon- und Videokonferenzen zusammen. Die Digitalisierung ist ein Phänomen, dem sich niemand (in der westlichen Welt) mehr entziehen kann. Während noch vor einigen Jahren das Erwerben, Aneignen und Weiterentwickeln digitaler Features und Prozesse als Add-on-Option betrachtet wurden, ist die Digitalisierung heute integraler Bestandteil erfolgreicher Geschäftsmodelle und -praktiken. „The last time there was this much technological innovation hitting the business world … was the Industrial Revolution, when new machines bent the curve of commerce, capitalism, and, indeed, human history“, wie Westerman et al. (2014, S. 2) treffend festhalten. Referenzierend auf die erste industrielle Revolution Ende des 18. Jahrhunderts (Industrie 1.0) haben sich in Wissenschaft und Presse mittlerweile geflügelte Begriffe von Industrie 4.0, Internet of Things (IoT) oder Smart Production durchgesetzt (Collin et al. 2015, S. 19). Die Nähe dieser prominenten Konzepte zum produzierenden Gewerbe und zur Informationswissenschaft soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Digitalisierung im Gesundheitswesen vollumfänglich angekommen ist, etwa im Rahmen der Diagnosestellung, zur Auswahl der passenden therapeutischen, rehabilitierenden und pflegerischen Interventionen oder zur Veranlassung des „richtigen“ bzw. gebotenen Gesundheitsverhaltens. Da im Gesundheitswesen die wesentlichen Wertschöpfungsprozesse vor allem informations- und datenbasiert ablaufen, nimmt die Verarbeitung von Daten eine zentrale Rolle ein. Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer der Bitkom, spricht der

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Digitalisierung sogar das „vielleicht größte Potenzial für die Medizin seit der Erfindung des Penicillins“ (Deutsches Ärzteblatt 2016) zu. Mittlerweile wurden einige Studien ­publiziert, in denen für das Gesundheitswesen hohe Effizienzpotenziale durch die Digitalisierung abgeschätzt werden (z. B. Bernnat et al. 2017, 39 Mrd. €). Viele dieser plakativ argumentierenden Berechnungen unterscheiden allerdings nicht zwischen den zugrunde liegenden Werthebeln bzw. bleibt es oft unklar, inwiefern evidenzgesicherte direkte Wirtschaftlichkeitspotenziale oder indirekt wirkende Qualitätssteigerungspotenziale als Kalkulation dienen. Darüber hinaus ist die Übertragbarkeit der oft aus dem angelsächsischen oder amerikanischen Versorgungskontext stammenden Studiendaten auf die deutsche Situation häufig limitiert. Die Wahrnehmung digitaler Potenziale im Gesundheitswesen – was gleichzeitig den proaktiven Umgang mit Disruptionspotenzialen des eigenen Geschäftsmodells bedeutet – resultiert aus Managementsicht in neuen, komplexen, intra- sowie interorganisationellen Herausforderungen. Was jahrzehntelang als Goldstandard des Führungsverständnisses an sich, der Mitarbeiterführung und der strategischen Geschäftsmodellgestaltung galt, muss vor dem Hintergrund des sich immer schneller drehenden Innovationsrades Digitalisierung, das auch im Gesundheitssektor kürzere Produktlebenszyklen und hohe technologische Erwartungshaltungen erzeugt, infrage gestellt werden: So konnten etwa 2015 weltweit rund 380.000 Health-Apps der Kategorien „Gesundheit, Fitness, Sport, Livestyle und Ernährung“ gezählt werden (Lucht et  al. 2015; Albrecht 2016)  – Tendenz steigend. In Großbritannien nahm die Downloadrate von pharmaziebezogenen Apps innerhalb eines Jahres um 197 % zu: Während 2013 noch 2230 Downloads gezählt wurden, waren es 2014 bereits 6620 (Taylor 2015). Aber auch abgesehen von Health-Apps nutzen immer mehr Personen digitale Gesundheitsservices, so verwendet laut einer Studie von Deloitte und Bitkom (2017) rund jeder zweite EU-Bürger (48 %) Onlineangebote, um sich Gesundheitsinformationen zu beschaffen. Vor diesem Hintergrund leuchtet ein, dass Fokus als wesentliche strategische Grundtugend vielen Unternehmen immer schwerer fällt. Geschäftsführungen, Vorstände wie auch das mittlere Management sind überwältigt von den sich ständig ausweitenden technischen Möglichkeiten und irritiert von den Potenzialversprechen der entsprechenden Anbieter. Insofern besitzt das an Peter Drucker angelehnte Diktum, dass man eine gute Strategie an den Dingen erkennt, die nicht verfolgt werden, für die digitale Welt aktuelle und erhebliche Relevanz. Dieser Beitrag widmet sich aus der Beratungsperspektive den strategischen Herausforderungen, die für Unternehmen und Organisationen des Gesundheitswesens mit der digitalen Transformation einhergehen: Zunächst soll auf den Paradigmenwechsel, der durch die neue digitale Logik in der Strategiearbeit ausgelöst wird, eingegangen werden. Dann werden die Dimensionen Zeit, Führung und Kollaboration als zentrale strategische Felder der digitalen Transformation näher erläutert. Und schließlich wird anhand des Fallbeispiels einer gesetzlichen Krankenversicherung demonstriert, wie die digitale Transformation konkret beraterseitig unterstützt und flankiert wurde.

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5.2

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„ It’s crazy out there“ – der digitale Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen

Die Digitalisierung ist omnipräsent. Was jedoch bei genauerer Betrachtung deutlich wird, ist einerseits die semantische Verkürzung des Digitalisierungsbegriffes und andererseits die impliziten, teils expliziten Ambiguitäten, die die Geschichten über digitale Transformationen umspinnen: Von Digitalisierung zu sprechen, bedeutet gleichzeitig, sich einem teils undurchsichtigen, multidefinitorischen Urwald an Begriffen und Konzepten auszusetzen (Mertens et al. 2017). Je nach Fachgebiet und Anwendungskontext wird der Digitalisierungsbegriff mit unterschiedlichen Bedeutungen und Konnotationen belegt. Weitgehender Konsens besteht zwar darüber, dass Digitalisierung nicht ausschließlich in einem informatischen, naturwissenschaftlichen oder technischen Sinne verstanden werden darf, das heißt in einer schlichten „Überführung analoger in digitale Werte zu dem Zweck, sie elektronisch zu übertragen, zu speichern und zu verarbeiten“ (Mertens et al. 2017, S. 35), sondern dass das Phänomen der Digitalisierung mit tief greifenden Veränderungen des Verständnisses über Raum, Zeit und Wert einhergeht. Raum, weil durch die binäre Codierung Informationen universell und ortsunabhängig verarbeit- und transportierbar sind. Zeit, weil durch Algorithmen und selbstlernende Systeme neue Möglichkeiten der Informationsverarbeitung und -verwertung entstehen, was zu einer globalen Beschleunigung der Produktentwicklungs- bzw. Innovationszyklen führt. Und Wert, weil sich die heutige, zunehmend digitale Wissensgesellschaft (Phillips et al. 2017) durch eine – zumindest bislang  – kontinuierliche Bedeutungszunahme von Informationen auszeichnet. So werden junge Unternehmen mit einer kleinen Mitarbeiterschaft und geringem Sachvermögen, aber innovativen, wissensbasierten Geschäftsideen zum Teil höher dotiert als etablierte Unternehmen mit einer großen Belegschaft und hohem Bilanzvermögen (Picot und Fiedler 2000, S.  1). (Die Entwicklungsgeschichten von Airbnb, der digitalen Plattform zur Buchung und Vermietung von privaten Unterkünften, oder dem amerikanischen Automobilunternehmen Tesla können dies exemplarisch verdeutlichen.) Während dies in privatem Kontext bedeutet, dass sich etwa Quantität und Qualität von Freundschaften verändern oder neue Formen des ortsübergreifenden – man könnte auch sagen „entgrenzten“ – Zusammenlebens etablieren (Spies Shapiro und Margolin 2014), gehen mit der Digitalisierung auf beruflicher Ebene umfassende organisationale Veränderungen einher. Es ist nicht damit getan, durch bloße Automatisierung die unternehmensinternen Prozessabläufe zu optimieren und sich anschließend im Sessel zurückzulehnen. Digitalisierung fordert das Know-how der Mitarbeiter, neue Fähigkeiten und Kompetenzen sind beansprucht und müssen erlernt oder eingekauft werden (Hoberg et al. 2015); Projektabläufe und Arbeitsmethoden müssen so angepasst werden, dass Produktinnovationen schneller als bislang markt- und damit wettbewerbsfähig werden (Westerman et al. 2014; Rogers 2016); dies kann wiederum nur mit der richtigen unternehmenskulturellen Basis sowie einer konsistenten, weitsichtigen Unternehmensführung gelingen, die sich angemessener „digitalkompatibler“ Steuerungsinstrumente bedient (Rogers 2016).

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Rogers (2016) beschreibt den digitalstrategischen Shift entlang von fünf Dimensionen. Die durch den Digitalisierungsprozess initiierten Veränderungen und damit einhergehende notwendige Strategieanpassungen betreffen sowohl die Dimensionen des Kunden, des Wettbewerbers als auch eine Neudefinition des Innovationsprozesses und des damit geschaffenen Wertes sowie des Verständnisses von Daten: Kunden sind nicht mehr nur hörige Teilnehmer eines Massenmarktes, mit denen Unternehmen – weitgehende Informationshoheit genießend – unilateral kommunizieren, sondern beeinflussen als Teil von höchst kommunikativen und volatilen Kundennetzwerken zunehmend und maßgeblich die öffentliche Meinung. Zudem ändern sich ihre Präferenzen und Erwartungen mit hoher Dynamik. Aus strategischer Perspektive bedeutet dies, dass das sich kontinuierlich verändernde Kundenverhalten berücksichtigt und die Machtressource Kundennetzwerk verstanden und (verstärkt) erschlossen werden müssen. Die vormals klar definierbare Grenze zwischen Partnern und Wettbewerbern verschwimmt im Zeitalter digitaler Transformation. Die Ungewissheit, wer Freund und wer Feind ist, beschränkt sich dabei nicht mehr auf den eigenen Industriezweig, weil zunehmend auch branchenfremde Unternehmen die Märkte durchdringen. Für die strategische Ausrichtung von Unternehmen hat dies zur Folge, dass wohldosierte transdisziplinäre und transindustrielle Kooperationen über traditionelle Grenzen hinweg etabliert werden sollten. Es müssen Strukturen und Plattformen geschaffen werden, die einerseits eine Intensivierung und Vernetzung von Kollaborationen ermöglichen, andererseits aber allen Parteien genügend Spielraum und Flexibilität gewährleisten. Zudem verändern sich das Verständnis und der Wert von Daten im Zeitalter der Digitalisierung grundlegend. Während in der „alten Welt“ Daten lediglich als Hilfsmittel zur Optimierung von Prozessen betrachtet wurden, deren Umgang (Datengeneration, -aggregation und -analyse) teuer und aufgrund von Know-how-Defiziten schwierig war, werden Daten in der „neuen Welt“ als ultimative Wertressource betrachtet. Steigende Möglichkeiten der Nutzbarmachung unstrukturiert vorliegender Daten unter Einsatz von Algorithmen, u. a. der künstlichen Intelligenz, bei gleichzeitig sinkenden Ressourcenaufwendungen für Datenhaltung und -analyse, führen zu einem rapide ansteigenden Aufkommen an primären und sekundären Daten. Für Unternehmen bedeutet dies zukünftig, dass sie mithilfe einer adäquaten IT-Architektur – unter Auslotung des technisch und rechtlich Möglichen – aus Daten Wert für ihre Kunden generieren müssen, um im Wettbewerb bestehen zu können. Daten, die Prädiktion, Prävention, Personalisierung und Partizipation ermöglichen, sind die zentrale Ressource zur digitalen Wertschöpfung (Hood 2013). Der digitale Paradigmenwechsel verändert außerdem die Art und Weise, wie Innovationsprozesse gestaltet werden. Waren diese ehemals top-down, in kleinen Expertenteams organisiert und beruhten auf Intuition und Erfahrung einzelner Personen, sind diese nun offener, agiler und hierarchieübergreifender angelegt. Anstelle von hoch strukturierten, komplexen und teuren Testungen treten Lösungsentwicklungen, die sich durch komplexitätsarme und dadurch kostensparende, iterativ validierte Prozesse kennzeichnen und den Kunden in die Entwicklung miteinbeziehen. Misserfolge gelten nicht mehr als ein unter

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allen Umständen zu vermeidender Makel, sondern werden konstruktiv als ­Erfahrungsquelle genutzt. Dies impliziert strategisch, dass – nicht zuletzt aus Wettbewerbsgründen – eine Adjustierung der Prozesse hin zu schnellen, dynamischen, flexiblen, hierarchieübergreifenden und iterativen Innovationsschritten nötig ist. Dies hat weitreichende Konsequenzen für die Unternehmenskultur, die Organisation, die Mitarbeiter und die Führung. Die grundlegenden Veränderungen im Kundenverhalten, in den Wettbewerbskonstellationen und -mechanismen, in den Innovationsprozessen und in der Aufwertung von Daten führen unweigerlich auch zur Neudefinition von Wert bzw. des Wertversprechens. Die konsequente Verfolgung des bestehenden Wertversprechens durch eine maximale Ausschöpfung und Optimierung aktueller Werthebel wird strategisch zukünftig nicht mehr ausreichen. Wertversprechen müssen entsprechend der sich kontinuierlich verändernden Kundenbedarfe frühzeitig adjustiert und weiterentwickelt werden. Zu ergründen, was die Kunden bewegt („customer experience“), von welchen (disruptiven) Innovationen sie beeinflusst werden und welche Werthebel frühzeitig zu entwickeln, anzusetzen und zu adjustieren sind, stellen zentrale Fragestellungen der digitalen Welt dar. Kurzum, Digitalisierung bedeutet für Unternehmen und Organisationen zwar die Entwicklung und Implementierung technischer Infrastrukturen und Prozessabläufe, es bedeutet aber gleichzeitig die Abkehr altgedienter – hierarchischer, methodischer und kultureller – Arbeitspraktiken und das Einnehmen eines digitalen Mindset, was Unternehmensstrategen (und damit auch ihre Berater) vor neue Herausforderungen stellt. In einem systematischen Literaturreview haben Saleh und Watson (2017) Erfolgsfaktoren identifiziert, wie in einer solchen „VUCA-Umwelt“ weiterhin Geschäftserfolge erzielt werden können. VUCA, ein Akronym der Begriffe Volatilität, Unsicherheit, Komplexität, Ambiguität (englisch: „volatility“, „uncertainty“, „complexity“, „ambiguity“), charakterisiert die aktuelle Form des Zeit- bzw. Geschäftsgeistes, die sich insbesondere dadurch auszeichnet, dass tradierte Erfolgsfaktoren aufgrund volatiler, höchst fluider Umwelten nicht länger wirken: Zunehmend unvorhersehbare Veränderungen und die damit einhergehende Unberechenbarkeit von Ereignissen machen das Verstehen von Ursache-Wirkungs-­Zusammenhängen mitunter unmöglich, Probleme und deren Auswirkungen werden vielschichtiger und Best-Practice-Lösungen funktionieren nicht länger (Sauter et al. 2018, S. 5–6). Aus dem Literaturreview von Saleh und Watson geht hervor, dass Konzepte wie „Leadership Agility, Ethical Leadership, Vision Platform, Organization Agility, Stakeholders’ Management, Innovation and Creativity, Dynamic Planning, Agile KPIs (i. e. Agile Key Performance Indicators), Change Management, Dynamic Capabilities, Information, Re­ structuring, Experimentation, Flexible HR, Training and Development and Team Resilience“ (Saleh und Watson 2017) zusammengefasst unter den Rubriken „leadership, strategy and people“ (Saleh und Watson 2017) Schlüsselfaktoren im Umgang mit diesen Unsicherheiten sind. Es sind jedoch nicht allein die eben beschriebenen vorrangig organisationalen Implikationen (die Frage des Wie), die aus strategischer Sicht relevant werden. ebenso bedeutend ist die Beantwortung der Fragen des Wohin und Wie viel der Digitalisierung, also zu klären, welche Innovationsgebiete vielversprechend klingen, worin ­überhaupt investiert und in

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welchem Umfang – auch vor dem Hintergrund einer angemessenen Kosten-Nutzen- bzw. Risiken-Nutzen-Abwägung – dies geschehen soll. Denn was bei aller Digitalisierungsneugier und -euphorie stehts mitschwingt, ist die Angst vor der Disruption des eigenen Geschäftsmodells: falsch zu investieren, den Kunden zu verschrecken, die Mitarbeiter zu verlieren oder „den richtigen Zug zu verpassen“ (Doz und De Roover 2017). Wie Christensen und Raynor in ihrem wegweisenden und viel zitierten The innovator’s solution (Christensen und Raynor 2003) festhalten, sind es die disruptiven, nicht die inkrementellen, weitgehend vorhersagbaren Innovationen, die das Marktgefüge ins Wanken bringen. Während Letztere die evolutionäre Weiterentwicklung und Verbesserung bestehender Produkte meist großer, etablierter Unternehmen beschreiben, „the year-by-year improvements that all good companies grind out“ (Christensen und Raynor 2003, S. 34), verändern disruptive Innovationen die Spielregeln des Marktes bzw. Nutzerverhaltens, indem sie zu Beginn unterhalb der üblichen Kundenanforderungen in den Markt eintreten und mit alternativen Nutzenargumenten (z. B. einfachere Aufmachung, Handhabung oder geringerer Preis) weniger fordernde Kundengruppen ansprechen (siehe Abb. 5.1). Fassen diese Produkte erst einmal Fuß im Markt, beginnt der Verbesserungszyklus: „And because the pace of technological progress outstrips customers’ abilities to use it, the previously not-good-enough technology improves enough to intersect with the needs of more demanding customers. When that happens, the disruptors are on a path that will ultimately crush the incumbents“ (Christensen und Raynor 2003, S. 34). Da disruptive Innovationen qua Definition unterhalb der Kundenanforderungen (oder zumindest am unteren Kontinuum) in den Markt eintreten und gerade am Anfang nicht abzuschätzen ist, ob ein randständiges Kundensegment darauf „anspringt“, was die Weiterentwicklung des Produktes einleitet, führen disruptive Innovationen in der Anfangsphase

Abb. 5.1  Das disruptive Innovationsmodell. (Quelle: in Anlehnung an Christensen und Raynor 2003)

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ein Schattendasein und werden deshalb von Wettbewerbern oftmals nicht als potenzielle Bedrohung ihres Geschäftsmodells wahrgenommen. Zudem zeigen jüngste Erhebungen, dass die meisten Disruptoren aus anderen Branchen stammen und aufgrund der fehlenden Sozialisation, die mit der stillschweigenden Akzeptanz von inhärenten Restriktionen und gefühlten Unmöglichkeiten ihre disruptive Kraft unbekümmert entfalten können. Die Geschichte des Gesundheitswesens ist wie andere Branchen auch durchzogen von disruptiven Innovationen, die in ihren Anfängen wenige Befürworter fanden und nach ihrer Marktdurchdringung die Geschäftsmodelle ganzer Professionszweige beeinflussten: Sei es das portable Blutzuckermessgerät, das in den 1980er-Jahren die ungenaue Glukosetestung über den Urin sowie die kosten- und laborintensive Messung beim Endokrinologen ablöste und damit sowohl den Markt der Laborzuckermessgeräte als auch die Behandlungs- und Abrechnungspraxis der Ärzte nachhaltig modulierte; sei es das erste leicht transportierbare und kostengünstige Ultraschallgerät des amerikanischen Unternehmens Sonosite, das zwar aufgrund reduzierter Analysefunktionen für Fachärzte wie Kardiologen und Gynäkologen nicht attraktiv erschien, jedoch wegen seiner geringen Kosten und zugleich guten Handhabbarkeit die Behandlungspraxis der Allgemeinmediziner tief greifend veränderte, die sich bis dahin lediglich des Stethoskopierens und Abtastens bedienten, um Irregularitäten im Körperinneren zu identifizieren (Christensen et al. 2000). Was disruptiven Innovationen im digitalen Zeitalter nun eine besondere Qualität verleiht, sind die verkürzten Entwicklungszyklen, die auch die Identifizierungs- und (Re)Aktionszeiten potenzieller Disruptionen dramatisch verkürzen: „Incumbents find it difficult to respond successfully to the digital disruption, they may not recognize or take proper measure of the threat early enough and find it hard to develop and implement a timely and effective response“ (Doz und De Roover 2017).

Im spezifischen Fall des (deutschen) Gesundheitssystems kommt hinzu, dass die Systembeteiligten grosso modo eine eher konservative und innovationsaversive Haltung gegenüber der Digitalisierung des Gesundheitswesens einnehmen. So sehen laut einer Umfrage unter 477 Ärzten beispielsweise 43 % der Mediziner keinen Nutzen von Gesundheits-Apps hinsichtlich Diagnose und Therapie (Bitkom und Hartmannbund 2017). Und auch die deutsche Privatwirtschaft zögert mitunter: Laut einer Studie mit rund 200 Ambient-Assisted-Living-(AAL-)Experten aus Deutschland, Dänemark und den Niederlanden stehen deutsche Unternehmer digitalen Assistenzsystemen eher kritisch gegenüber. Während unsere dänischen und niederländischen Nachbarn insbesondere den anwendungsorientierten Nutzen von AAL-Systemen sehen und Digitalisierung als große Chance begreifen, um bürokratische Hürden zu minimieren und den Ausbau sektorübergreifender Versorgungsformen voranzutreiben, reagieren deutsche Unternehmen eher zurückhaltend (Ärzte Zeitung online 2018; Baierlein 2017, S. 6). Diese Haltung wird durch mehrere Faktoren befördert: Zum einen sehen sich Innovationen – insofern sie nationale sowie internationale Arzneimittel- oder Medizinproduktegesetze

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tangieren  – den teils schwerfälligen Regularien des Gesetzgebers bzw. den Gremien der Selbstverwaltung ausgesetzt, die im Sinne der Qualitätssicherung neuer Produkte und Methoden sowie der angemessenen Kostensteuerung von kollektiv verantworteten Versichertengeldern eher konservativ agieren; zum anderen ist die kritische Haltung gegenüber digitalen Innovationen auf den sogenannten Digital Divide (Hasselmann et al. 2018) zurückzuführen. Generationsbedingt sind unterschiedliche Kompetenzen im Umgang mit Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) vorhanden. Jüngere Menschen weisen dabei, im Gegensatz zu älteren, durchschnittlich eine vorbehaltlosere Handhabung mit neuen Technologien auf (Hasselmann et al. 2018), was vor dem Hintergrund, dass 2016 jeder dritte Hausarzt über 60 Jahre alt war (KBV Statistik 2016), besondere Brisanz erhält. Ein weiterer Faktor ist der bis dato noch recht zurückhaltende, zeitverzögerte Ausbau einer technischen Infrastruktur für das Gesundheitswesen. Zwar sind mit der Gründung der Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH (kurz: gematik) im Jahr 2005 die institutionellen Voraussetzungen für einen solchen Ausbau geschaffen worden; die zahlreichen Verzögerungen bei der Entwicklung und Einführung der Telematikinfrastruktur (TI; Pressestimmen hierzu sind z. B.: zum Online am 13.06.2018: „TI: FDP fordert Fristverlängerung und Verzicht auf Honorarkürzungen“; Bayerischer Facharztverband 10.05.2018: „Roll-out der Telematik-Infrastruktur – Die ‚sichere Datenautobahn‘ – der BER des Gesundheitswesens?“; zum Online am 01.05.2017: „TI Rollout – Was lange währte, ist endlich gut?“) zeigen jedoch, dass das Aufsetzen und Durchführen eines solchen Vorhabens im deutschen Kontext – politisch wie organisatorisch – alles andere als einfach ist und dass Deutschland von einer umfassenden Vernetzung im Gesundheitswesen noch weit entfernt ist (Kümper 2017). In Summe hat dies zur Folge, dass es zwar innovative Digitalinitiativen im deutschen Versorgungskontext gibt, gleichzeitig aber – zumindest unter den etablierten Systembeteiligten – eine Art Disruptionsblindheit zu beobachten ist, was die (digital-)strategische Neuausrichtung zusätzlich erschwert. Was bedeutet es nun also, von einem digitalen Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen zu sprechen? Technologie- bzw. datengetriebene Innovationen beeinflussen das Verständnis von Raum, Zeit und Wert im (unternehmerischen) Denken und Handeln sowie in den Erwartungen von Kunden und Mitarbeitern grundlegend. Das Gesundheitswesen als ein datengetriebener Wirtschaftssektor ist davon in vollem Umfang betroffen. Daraus ergeben sich für die strategische Planung und Steuerung von Unternehmen neue Perspektiven, aber auch Herausforderungen, wie z. B. das frühzeitige Erkennen potenzieller Disruptionen bzw. die proaktive Innovationsgestaltung. Denn wie empirisch nachgewiesen werden konnte, sind sogenannte Follower-Strategien (das Imitieren der Innovationen von Wettbewerbern) insgesamt weniger erfolgreich als First-Strategien, bei der technologische Innovationen frühzeitig (d. h. vor den Wettbewerbern) zur Marktreife und zum Markteintritt gebracht werden. Wie Christensen et al. anmerken: „[D]ifferent types of innovation require different strategic approaches“ (Christensen et  al. 2015). Welche konkreten ­Herausforderungen im Rahmen der Digitalisierung auf Strategen und deren Berater zukommen, sind Gegenstand des folgenden Abschnitts.

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5.3

 igitalisierung als strategische Herausforderung – gerade D im Gesundheitswesen

Wie vorhergehend deutlich wurde, erfordern die Unsicherheiten und Ambiguitäten einer VUCA-Umgebung, drohende Disruptionen des eigenen Geschäftsmodells sowie die mit der Digitalisierung einhergehende allgemeine Beschleunigung und (örtliche) Entgrenzung von unternehmerischen Denk- und Handlungsweisen Anpassungen in der strategischen Arbeit von Unternehmen. Bevor auf die jeweils spezifischen Herausforderungen im Rahmen des Gesundheitssektors eingegangen werden soll, stehen zunächst drei allgemeine strategische Themenfelder im Mittelpunkt (Zeitrelation strategischer Planungs- und Umsetzungsprozesse, Führung und Kollaboration/Zusammenarbeit), deren etablierte Praktiken und Routinen im Zeitalter der Digitalisierung an ihre Grenzen stoßen.

5.3.1 Verschiebung der Zeitrelationen Strategisches Denken, dessen Ursprünge auf militärische Planung und Prinzipien der Kriegsführung zurückgehen, wurde (erst) gegen Mitte des 20. Jahrhunderts im Rahmen der Spieltheorie in die betriebswirtschaftliche Forschung eingeführt. Dort entspricht die Strategie eines Spielers einem vollständigen Plan, der für alle denkbaren Situationen eine richtige Wahlmöglichkeit beinhaltet (Welge et al. 2017, S. 17).

Diese Denkweise, die sich durch die vollständige, rationale Durchdringung der Situation sowie die umfassende, formale Planung von Maßnahmenbündeln zur Erreichung langfristiger Ziele auszeichnet, hat sich – obgleich es einer einheitlichen Strategiedefinition innerhalb der Wissenschaftsgemeinde mangelt – als klassisches Strategieverständnis manifestiert (Welge et al. 2017, S. 18). Der Fokus strategischer Bemühungen lag bis vor wenigen Jahren dabei noch auf dem Aspekt der Langfristigkeit; das heißt, Strategie wurde als „nicht unmittelbar erkennbare Führung eines Systems über längere Zeiträume“ (von Oetinger 2000; Herv. durch die Autoren) gesehen. Dass nicht mehr ohne Weiteres von „längeren Zeiträumen“ gesprochen werden kann, wird allein an den tatsächlichen wie prognostizierten Lebensspannen von Unternehmen deutlich. Während laut einer Berechnung von Standard & Poor’s die durchschnittliche Lebensdauer von Unternehmen im Jahr 1958 noch bei 61 Jahren lag, schrumpfte diese bis zum Jahr 2012 auf 18 „Lebensjahre“. Für das Jahr 2020 wird gar eine durchschnittliche Lebensdauer von nur noch rund zehn Jahren prognostiziert (Glauner 2016, S. 1). Es ist deshalb eine wichtige und herausfordernde Aufgabe des strategischen Managements, zu erkennen, dass sich die Zeiträume von klassischen Strategiekonzepten, die sich bisher auf Zeithorizonte von fünf bis sieben Jahren erstreckten (Glauner 2016, S. 8) unter den Vorzeichen einer digitalisierten Welt immer mehr verkürzen (Baltes und Freyth 2017, S. 11– 12; Welge et al. 2017, S. 332) und zu einer „kontinuierlich beschleunigenden Konzentrationsdynamik“ (Glauner 2016, S. 42) führen. Dieser Beschleunigung muss sich die gesamte

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strategische Analyse, Maßnahmenplanung und -implementierung in allen Belangen anpassen. (Die beschriebene Beschleunigung ist zwar unter anderem auf die durch die Digitalisierung veränderten Innovationsprozesse zurückzuführen; gleichzeitig führen aber weitere Faktoren zur Verlangsamung des Innovationsgeschehens. Krechel-Mohr macht etwa den Anstieg regulatorischer Vorschriften im Kontext der Europäischen Union für finanzielle wie personelle Engpässe im Innovationsbetrieb verantwortlich (Krechel-Mohr 2016, S. 201).) Ganz gleich welcher strategischen Instrumente man sich dabei bedient – seien es Portfolioanalysen, Szenariotechniken, Benchmarking, Conjoint Measurement, Business-Wargaming, Trend- oder SWOT-Analysen (Welge et al. 2017, S. 782; Büchler 2016) –, müssen sowohl der Blick ins Unternehmensinnere als auch der Blick auf die Unternehmensumwelt sowie die sich daran anschließende Strategieentwicklung in immer kürzeren Abständen erfolgen. Dies impliziert, dass eine klassische, wasserfallartige Vorgehensweise – idealtypisch dargestellt in Abb. 5.2 – durch einen Modus ersetzt werden muss, der einerseits eine zeitliche Straffung der einzelnen Phasen ermöglicht und andererseits eine zeitnahe Anpassung an neue oder besser verstandene Rahmenbedingungen in einer grundsätzlich volatilen Umwelt voller Unsicherheiten ermöglicht. Ein Ansatz, der seit Beginn des 21. Jahrhunderts stetig an Popularität gewinnt und in immer mehr (Strategie-)Projekten Anwendung findet, ist das Generieren von Lösungen auf Grundlage agiler Prinzipien. Grundlegendes Motiv dieser ursprünglich im Softwarekontext entwickelten Methode ist das sogenannte „rapid prototyping“. (Die Ursprünge der agilen Philosophie gehen zwar auf die 1970er- und 1980er-Jahre zurück, als die Harvard-Professorin Rosabeth Kanter und der ehemalige McKinsey-Vorstand Tom Peters die aktive, flexible Anpassung von Unternehmen an sich schnell verändernde Märkte als entscheidenden Wettbewerbsvorteil proklamierten, Popularität und breitere

Abb. 5.2  Strategieentwicklung nach dem Wasserfallprinzip. (Quelle: eigene Darstellung 2018)

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Anwendung gewann das Konzept aber erst ab 2001, als eine Gruppe Softwareentwickler während einer Entwicklerkonferenz in Utah das „agile Manifest“ formulierten und damit die Basis der agilen Scrum-Methodik legten (Baltes und Freyth 2017, S. 69; Vieweg 2015, S.  39)). Dabei sollen in kurzen, iterativen, inkrementellen Entwicklungszyklen Lösungen mit einem möglichst hohen Kundennutzen entwickelt werden (Pötters und Leyendecker 2017, S. 428). Indem in regelmäßigen Abständen (sog. Sprints) einzelne (Teil-)Produkte an den Kunden ausgeliefert werden, wodurch gleichzeitig ein Abgleich mit den Kundenbedürfnissen und gegebenenfalls die Adjustierung der Lösung erfolgt, werden passgenaue, das heißt auf die Kundenbedürfnisse zugeschnittene Produktlösungen entwickelt (siehe Abb. 5.3). Schnelles („rapid“) Generieren teils noch rudimentärer Lösungen („prototyping“) übertrumpft hier umfassendes, lineares Durchplanen und Entwickeln von Produkten, wie das etwa im klassischen Projektmanagement nach dem „Wasserfallprinzip“ der Fall ist. Der Nutzen agilen Arbeitens beschränkt sich dabei nicht auf die operativen Projektebenen. Ganz im Gegenteil: Wie John Kotter, Professor an der Harvard Business School mit Spezialisierung auf Führung und Changemanagement, betont, liegt die Lösung aktueller Komplexitätsprobleme in der agilen Strategieentwicklung: [T]he solution is a second operating system, devoted to the design and implementation of strategy, that uses an agile, networklike structure and a very different set of processes (Kotter 2012).

Das heißt, auch die Strategieentwicklung schöpft konzeptuell wie temporell einen erheblichen Nutzen aus agilen Methoden, da diese strategische Weitsichtigkeit und zugleich strategische Flexibilität ermöglichen. Auch bei der agilen Strategieentwicklung geht es darum, sich durch kürzere Recherche-, Entwicklungs- und Überprüfungsphasen der (digital-)strategischen Neuausrichtung sukzessiv anzunähern. Strategie(-entwicklung) ist damit kein 5-Jahres-Manifest, sondern unterzieht sich kontinuierlicher, in

Abb. 5.3  Agile, iterativ-zyklische Strategieentwicklung. (Quelle: eigene Darstellung 2018)

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Projekten entwickelter Prototypisierungen und Überprüfungen. Die Verschiebung der Zeitrelationen als Teil des digitalen Paradigmenwechsels trifft Strategen des Gesundheitswesens in doppelter Weise. Zur allgemeinen Unsicherheit im (Change-)Management kommt hinzu, dass die Uhren aufgrund des starken regulatorischen Rahmens im Gesundheitssektor langsamer ticken als in weniger regulierten Wirtschaftszweigen.

5.3.2 Führung – ohne digitales Mindset ist alles nichts Digitale Führungspersönlichkeiten werden im Zeitalter digitaler Transformationen zur strategischen Ressource und damit auch zur strategischen Herausforderung jener Unternehmen, deren Managementteam sich aus Führungskräften „der alten Schule“ zusammensetzt. Wie in Abschn.  5.2 angeführt, sind erfolgreiche digitale Transformationen nicht allein auf mechanistische Technologie- und Organisationsentwicklungen zurückzuführen. Das Einnehmen oder vielmehr Herausbilden eines digitalen Mindset stellt einen erfolgskritischen Punkt im Transformationsprozess dar. Zwar betrifft dies grundsätzlich alle Mitarbeiter eines Unternehmens; innerhalb des strategischen Führungsteams ist dies aber von besonderer Bedeutung (Prange 2018; Westerman et al. 2014), weil das Mindset des Managements einerseits im Sinne einer (impliziten) Vorbildfunktion in das Unternehmen hineinwirkt und andererseits durch die Formulierung strategischer Ziele explizit gemacht wird, „Strategie als Denkhaltung“, wie es Welge et al. ausdrücken, also „ein gemeinsam geteiltes Einstellungsmuster des Managements dar[stellt], welches das strategische Verhalten der Unternehmung jedoch maßgeblich beeinflusst“ (Welge et al. 2017, S. 22). Gleichzeitig verändern sich die Rahmenbedingungen von Führung. Entscheidungszusammenhänge werden komplexer und globaler, der Einfluss von Strukturen und Hierarchien nimmt ab, die Belegschaft wird diverser, die Wissensarbeit nimmt zu und wird unübersichtlicher (Creusen et al. 2017, S. 131–132). Glauner beschreibt die Anforderung, zugleich hoch flexibel und unverwechselbar zu sein, als „Paradoxon der Unternehmensführung“ (Glauner 2016, S. 10). Erfolgreich führt, wer klassische Führungskonzepte zu abstrahieren und auf neue Werte der digitalen Welt zu übertragen weiß (Buhse 2012). Insbesondere das lange Zeit praktizierte und nach wie vor in einem Großteil der Unternehmen fest verankert Kontrollieren und Incentivieren über individuelle Zielvorgaben – Management by Objectives, kurz: MBO – steht einer strategischen Neuausrichtung von Unternehmen in einer digitalisierten Welt in mehreren Punkten entgegen: Die Flexibilisierung von strategischen Zielen (um sich einer immer schneller verändernden Welt anzupassen) ist in einem MBO-dominierten System schwer möglich, weil durch MBO das strategische Gesamtziel kaskadierend vom Topmanagement über die oberen und mittleren Führungsebenen nach „unten“ getragen wird (Roth 2009). Die strategische Ausrichtung ist dadurch fester Bestandteil individueller Zielvereinbarungen. Aufgrund langer Mitarbeiter-Führungs-Zyklen (Mitarbeitergespräche durchschnittlich alle 6–12 Monate)

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sind damit auch die strategischen Zielvorstellungen zeitlich gekoppelt. Gleichzeitig wird es in Zeiten fluider Team- und Arbeitskonstellationen immer schwieriger, den individuellen Beitrag von Arbeitskräften zu bemessen. Dazu Roth: „[M]easuring individual productivity is becoming increasingly difficult as organizations grow more complex and responsibilities grow more interdependent“ (Roth 2009, S. 37). Und: „The team approach is now coming into its own with a call for open access to information, participative decision making, employee empowerment, and a reward system based on team and organization productivity as well as that of individuals“ (Roth 2009, S. 37).

Hinzu kommt, dass ein auf individuellen Zielvorgaben beruhendes Bewertungs- und Incentivierungssystem eher themen- und fachbereichsbezogenes Denken und Handeln fördert. Zielkonflikte zwischen einzelnen Mitarbeitern oder Teams führen nicht selten zur Verschleppung von Informationen sowie zur Verweigerung von Unterstützung (Fintz 2014, S. 59) und verhindern damit eine siloübergreifende, multidisziplinäre und kooperative Zusammenarbeit, die bei der digitalen Transformation des Unternehmens bedeutender wird. Für das Gesundheitswesen ergeben sich hinsichtlich strategischer Führung weitere Besonderheiten. Wie Mintzberg (1991) am Beispiel des Krankenhauses deutlich macht, weisen Gesundheitsorganisationen typische Merkmale von Expertenorganisationen auf: hoch qualifizierte und spezialisierte Mitarbeiter nehmen durch ihre fachliche Expertise (Wissen als entscheidende Ressource) eine relativ starke Stellung im Unternehmen ein und verfügen im Vergleich zu anderen Einflussgruppen der Organisation, wie z. B. die Verwaltung, über mehr Macht zur Durchsetzung ihrer Interessen. Experten orientieren sich sehr stark an ihrer fachlichen Weiterentwicklung und betrachten die Organisation als Mittel zum Zweck, um an bestimmte Ressourcen (Personal, Medizintechnik etc.) zu gelangen. Das verbreitete Selbstverständnis von Ärzten, das durch einen hohen Autonomiegrad geprägt ist, führt mitunter zu Konflikten, wenn es um ihre Weisungsgebundenheit geht. Die Führung wird dabei häufig als einschränkende Kraft ihrer fachlichen Autonomie wahrgenommen, die zu konterkarierenden unternehmerischen und professionellen Ziele und Werten führt und dadurch einen inhärenten Konflikt mit konkurrierenden Loyalitäten entstehen lässt (Harsch 2018, S. 21).

Zwar ist das Krankenhaus als Teil des stationären Settings nur eine von zahlreichen Organisationsformen des Gesundheitswesens; abstrahierend kann jedoch gesagt werden, dass sich Organisationen des Gesundheitswesens durch einen hohen Grad an Spezifizierung und damit Arbeitsteilung auszeichnen. Zudem sind Arbeits- und Führungsverhalten eher konservativ und hierarchisch geprägt, da die Risikowahrnehmung und das damit e­ inhergehende Konzept der Letztverantwortung eine steile Hierarchie implizieren und zudem in einem eher abgeschotteten System starke Sozialisationskräfte walten. Die Weiterentwicklung von Führungskräften- und Führungsverhalten solcher Organisationen im Rahmen digitaler Transformationen – genauer: das Herausbilden eines digitalen Mindset sowie die Förderung abteilungs- und fachbereichsübergreifenden Denkens – muss dementsprechend unter diesen Vorzeichen betrachtet werden.

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5.3.3 Kollaboration – oder: „culture eats strategy for breakfast“ Arbeiten im digitalen Zeitalter erfordert gesteigerte Kollaborations- und Teamworkfähigkeiten, denn die Bearbeitung von Problemen in komplexen Umwelten – ergo komplexe Probleme – gelingt dann am besten, wenn Lösungen in multidisziplinären, crossfunktionalen, agilen Teamkonstellationen entwickelt werden. Zentrales Element agilen Arbeitens und zugleich einer der größten Irritationsfaktoren ist das der Selbstorganisation. Agile Teams entscheiden selbst darüber, wie sie sich und die zu bewältigenden Aufgaben organisieren. Entscheidungen werden dezentralisiert, das heißt, anstelle der oft „leeren Rituale des Planens, Befehlens und Kontrollierens“ (Deeken und Fuchs 2018, S. 26) mithilfe erdrückender Bürokratieabläufe sowie Kontrollsysteme, die Verbesserungsinitiativen im Keim ersticken, entscheiden agile Teams autonom über (die ihnen angemessen erscheinenden) Zuständigkeiten und Kontrollfunktionen. Dies ist einerseits notwendig, um unabhängig von formalen Rollen- und Funktionszuschreibungen, die in der Regel projektübergreifend bestehen, situativ auf den jeweiligen Projektproblemkontext eingehen zu können, andererseits entsteht erst im strukturierten Chaos der Raum für Innovation und Veränderung: Change happens in the borderlands between order and chaos. … One solution is the complex, uncontrollable but nevertheless adjustable process called self-organization, which arises where structures are not so inflexible as to impede change (Steiber und Alänge 2016, S. 25).

Es finden sich zwar auch in agilen Teams erfolgskritische Rollen wieder – hier seien insbesondere der Product Owner und der Scrum bzw. Agile Master genannt (Pötters und Leyendecker 2017, S. 428) –, insgesamt hängen die Projektorganisation und auch der Projekterfolg jedoch weniger von formalisierten (Entscheidungs-)Strukturen ab. (Der Scrum Master nimmt innerhalb des Teams eine Art Moderatorenrolle ein und ist dafür verantwortlich, dass die Regeln und Werte agilen Arbeitens (Mut, Fokus, Commitment, Respekt, Offenheit; Sauter et al. 2018, S. 25 f.) eingehalten werden. Er unterstützt das Team in allen organisatorischen Belangen, beseitigt Hindernisse und versucht externe Einflüsse vom Team fernzuhalten. Je nach angewandter Methodik (z.  B.  Scrum, Kanban) wird diese Rolle mit entsprechenden Begriffen, wie bspw. Scrum Master, Agile Master, Iteration Manager besetzt. Der Product Owner steht in engem Austausch mit dem Kunden, hat die Produktvision verinnerlicht und vertritt diese gegenüber dem Entwicklungsteam. Er stellt die zu bearbeitenden Aufgaben in einem sogenannten Product Backlog zusammen und priorisiert diese (Pötters und Leyendecker 2017, S. 428 f.)). Neben der pluralistischen Zusammensetzung agiler Teams unterscheidet sich auch deren temporelle Zugehörigkeit von klassischen Teams. Während einzelne Personen über mehrere Projekte ständige Teammitglieder sind, stoßen andere nur temporär – für einzelne Projekte oder sogar nur einzelne Projektphasen – dazu (Baltes und Freyth 2017, S. 115–116). Als Folge fluider Teamkonstellationen „entsteht dynamische Instabilität, die jederzeit eine schnelle und flexible Änderung von Konstellationen zulässt. Die Koordination erfolgt daher häufig über informelle,

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soziale Regeln und Verhaltensnormen, die nicht teamspezifisch sind, sondern von allen geteilt werden, die ‚Mitglieder‘ im Ressourcen-Pool sind“ (Baltes und Freyth 2017, S. 115–116). Durch den temporären Zusammenschluss unterschiedlichster Kompetenzen und Fähigkeiten (sowohl kodifizierte als auch nicht-kodifizierte) verändern sich die Bedeutung, Akkumulation und das Management von Wissen und Fähigkeiten. Die Nutzung bzw. Organisation von „shared resources“ gewinnt an Bedeutung und stellt das Management gleichzeitig vor strategische Fragestellungen: Welche (neuen) Kompetenzen und Fähigkeiten werden zukünftig relevant und müssen entwickelt oder eingekauft werden? Wie „erkenne“ ich diese Fähigkeiten bei Mitarbeitern oder Bewerbern? Wie kann eine kulturelle Basis innerhalb der Mitarbeiterschaft geschaffen bzw. gefördert werden, die kollaboratives Arbeiten zur Regel werden lässt? Gerade die (Weiter-)Entwicklung kultureller Werte gilt als Königsdisziplin des Veränderungsmanagements. Zusammengefasst erfordern die immensen Chancen, die durch innovative digitale Technologien und Anwendungen eröffnet werden, eine hoch flexibilisierte, strategisch denkende Organisation, die weiß, was sie tut, und sich unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden spezifischen Wertschöpfungslogik auf prioritäre Potenziale fokussiert. Wesentliche Voraussetzung für ein erfolgreiches Agieren ist die Allokation ausreichender Ressourcen, sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Dieser Faktor entscheidet im People’s Business Healthcare über Erfolg oder Scheitern der digitalen Transformation.

5.4

 allbeispiel: Digitale Transformation einer gesetzlichen F Krankenversicherung – strategische Implikationen

Das folgende Fallbeispiel der digitalen Transformation einer deutschen Krankenversicherung soll illustrieren, wie sich der Digitale Kompass in Unternehmen, die sich für die Digitalisierung entschieden haben, als Orientierungshilfe und Navigationsinstrument im digitalen Transformationsprozess nutzen lässt.

5.4.1 Herausforderung Der Klient, einer der großen deutschen Krankenversicherer, hatte sich bereits vor Beauftragung von SKC dazu entschieden, das Unternehmen umfassend zu digitalisieren, und befand sich bei Projektbeginn mitten im digitalen Transformationsprozess. Der Entwicklungsstand der Digitalisierung stellte sich folgendermaßen dar: Der Vorstandsbereich hatte sich für den Digitalisierungsprozess entschieden, es existierten jedoch heterogene Vorstellungen darüber, mit welcher konkreten Ausrichtung und in welchem Ausmaß die Digitalisierungsmaßnahmen greifen sollten. Kurz: Es gab noch kein klares Zielbild bzw. keine klare Vision der Digitalisierung.

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Entsprechend der für gesetzliche Krankenversicherungen typischen Linienorganisation kennzeichnet sich auch diese Organisation durch klassische, hierarchisch geprägte Arbeitsund Führungspraktiken (z.  B.  Führung über Zielvereinbarungen) sowie damit einhergehende einflussreiche Abteilungs- und Gremienstrukturen aus. Die Limitationen, die diese historisch effektiven Strukturen und Wirkmechanismen in einem digitalen Transformationsprozess besitzen, waren bereits deutlich geworden. So wurden abteilungsübergreifend (auf Topmanagementebene) wenig Diskussionen über die strategische Ausrichtung der Digitalisierungsbemühungen geführt und transdisziplinäre Kooperationen fanden – insbesondere, wenn einzelne Abteilungsbudgets belastet wurden – nur eingeschränkt statt. Im Ergebnis führte dies zu einem Konglomerat an diversen Digitalinitiativen mit starkem Abteilungsfokus. Das heißt, dass Digitalprojekte lediglich abteilungsbezogen, aber ohne gesamthaft digitalstrategische Ausrichtung initiiert und durchgeführt wurden. Projekte, bei denen eine interdisziplinäre Zusammenarbeit erforderlich war, wurden, auch wenn sie konzeptuell gut ausgearbeitet waren und vor dem Hintergrund durchgeführter Trendanalysen vielversprechend klangen, mitunter nicht aufgesetzt bzw. weitergeführt, weil ohne digitales Gesamtzielbild und weisende Direktive des Vorstandes abteilungsübergreifende Kooperationen nur vereinzelt zustande kamen. Der an SKC gestellte Auftrag bestand darin, eine logisch strukturierende Unterstützung bei der Entwicklung eines Digitalisierungsplans zu leisten, der sowohl die digitalen Entwicklungen im Gesundheitswesen einordnet und strukturiert (Welche Digitalisierungstrends gibt es und welche Implikationen haben diese für das Gesundheitswesen?) als auch die grundlegenden Eckpunkte einer Digitalisierungsstrategie konzeptualisiert.

5.4.2 Lösung/Herangehensweise SKC entwickelte in enger Zusammenarbeit mit dem Klienten und unter Nutzung agiler, d. h. iterativ-zyklischer Methoden den Digitalen Kompass (siehe Abb. 5.4), ein handlungsleitendes sowie orientierungsstiftendes Framework, das für die digitalstrategische Diskussion, Ausarbeitung und Differenzierung innerhalb des Managements sowie zur Kommunikation ins Unternehmen herangezogen werden kann. Im Kern geht es bei der Anwendung des Digitalen Kompasses um die Weiterentwicklung sogenannter digitaler Fähigkeiten und Führungsfähigkeiten, die im Einklang mit dem allgemeinen Unternehmensleitbild und der digitalen Unternehmensvision sowie in Auseinandersetzung mit aktuellen Marktentwicklungen dem Überprüfen und Weiterentwickeln des Geschäftsmodells sowie dem Erkennen digitaler Potenziale dienen und zu einem Wettbewerbsvorteil führen können. Der Digitale Kompass kartiert dabei jene Elemente, die im Allgemeinen, aber auch spezifisch auf das Unternehmen bezogen für eine erfolgreiche digitale Transformation zu berücksichtigen sind. Im Detail zielt die Entwicklung der digitalen Fähigkeiten darauf ab, vier strategische Optionenfelder zu eruieren und konsekutiv auszubauen: Mit dem Schaffen überzeugender Kundenerfahrungen ist die grundsätzliche Ausrichtung der Geschäftstätigkeiten auf

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Abb. 5.4  Der Digitale Kompass – mit SKC die digitalen Fähigkeiten und Führungsfähigkeiten entwickeln. (Quelle: eigene Darstellung 2018)

Kundenbedürfnisse und -wünsche gemeint. Das Erschließen der Kräfte des operativen Betriebs richtet den Blick auf die Optionen, die mit der Digitalisierung operativer Prozesse einhergehen (zumeist die Automatisierung von Standardprozeduren). Das lösungsorientierte Vertiefen der Partnerschaften beschreibt die Redefinition von Geschäftsbeziehungen  – weg von einer dualistischen Freund-Feind-Denkweise, hin zur Erweiterung sachbezogener Kooperationen und Partnerschaften. Mit dem Überarbeiten des Geschäftsmodells werden die aktuellen Geschäftsstrategien und -praktiken schließlich dahin gehend überprüft, ob diese durch die Logik(en) der Digitalisierung optimiert, ausgebaut oder gar grundlegend verändert werden sollten. Ergänzt werden diese digitalen Fähigkeiten durch Führungsfähigkeiten, die im Sinne einer Art Werkzeugkasten jene Instrumentarien beschreiben, durch die die einzelnen Personen und Organisationseinheiten auch operativ bzw. systemisch befähigt werden, digitale Potenziale zu realisieren. Führungsfähigkeiten – das sind die Dimensionen Führung, Governance, Mitarbeiter, Organisation, Kultur und Technologie – stellen die Hebel dar, um technologische Möglichkeiten in unternehmerische Veränderungsprozesse und letztlich kompetitive Vorteile zu überführen. Die Entwicklung der internen Führungsfähigkeiten bedeutet nicht nur Technology Change, sondern insbesondere auch People Change. Erst wenn digitalkompetente Mitarbeiter, motiviert und angeleitet durch visionäre Führungskräfte, im Rahmen von innovationsbegünstigenden Steuerungsstrukturen kollaborativ und unter Nutzung unterstützender Technologien zusammenarbeiten, kann sich das Potenzial der Digitalisierung überhaupt entfalten.

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Zu erkennen und zu analysieren, dass jede Form von digitalstrategischer Neuausrichtung und Maßnahme nicht auf jungfräulichen Boden fällt, sondern sich einerseits in eine tradierte, durch diverse kulturelle Praktiken geprägte Organisationshistorie einbettet und sich andererseits in Auseinandersetzung mit ihrer spezifischen Umwelt (z. B. Branchenspezifika, Wettbewerbskonstellationen, Partnerschaftsgefüge) konstituiert, wird im Digitalen Kompass durch die äußeren beiden Ringe (externes Umfeld, Unternehmensleitbild als Rahmen der Digitalisierung) berücksichtigt. Die Wirkung des Digitalen Kompasses kann sich jedoch nur dann voll entfalten, wenn es einen definierten Punkt gibt, an dem sich der Kompass ausrichten kann. Mit dem Nordstern, in der Digitalterminologie auch von digitaler Unternehmensvision gesprochen, wird ein Zielbild beschrieben, dem sich die Organisation mithilfe der digitalen Transformation annähern will. Hat sich ein Unternehmen dazu entschieden, den digitalen Transformationsprozess anzustoßen, steht es vor der Herausforderung, die notwendigen Aufgaben zu orchestrieren. So können beispielsweise nicht alle digitalen Fähigkeiten gleichzeitig und mit derselben Intensität entwickelt werden. Beginnend mit der Formulierung und Kommunikation des digitalen Zielbildes, der Erstellung einer digitalstrategischen Roadmap, die die Festlegung des Prioritäten- sowie Kommunikationsplans und des Projektmanagements regelt, sollten Führungsfähigkeiten (weiter-)entwickelt und digitale Fähigkeiten sukzessiv exploriert werden. Es ist damit zu rechnen, dass sich in diesem Transformationsprozess eine sich selbst verstärkende Dynamik entwickelt. So werden über den Ausbau der Führungskompetenzen und das Aufsetzen digitaler Governance-Strukturen auch die fachliche sowie kulturelle Weiterentwicklung der Mitarbeiterschaft getriggert. Wenn (anschließend) dann noch die organisationalen Bedingungen für eine kollaborative Zusammenarbeit und die Unterstützung durch modernste Technologien bereitgestellt werden, wird sich der Transformationsprozess selbst verstärken. Auch bei der schrittweisen Entwicklung der digitalen Fähigkeiten ist mit einer Dynamisierung zu rechnen. Durch das konsequente Einnehmen der Kundenperspektive werden jene Prozesse priorisiert digitalisiert, die für den Kunden den größten Mehrwert schaffen. Diese Kundenperspektive bestimmt auch das Eingehen neuer Partnerschaften und die Überarbeitung des ­Geschäftsmodells. Abschließend geht es bei dem Digitalen Kompass jedoch nicht darum, die Digitalisierung des Unternehmens um jeden Preis voranzutreiben, sondern um die Befähigung sowie Sensibilisierung aller Organisationsmitglieder, Potenziale der Digitalisierung erkennen, Optionen abwägen und etwaige Veränderungsprozesse einordnen und aktiv mitgestalten zu können.

5.4.3 S  trategische Key Learnings der digitalen Transformation einer gesetzliche Krankenversicherung Ein wesentlicher Lerneffekt wurde am Beispiel der digitalen Transformation der gesetzliche Krankenversicherung deutlich: Auch wenn mit dem Begriff der Digitalisierung oftmals rein technologische Dimensionen wie die Etablierung digitaler Netzwerklösungen, die Automatisierung von Standardprozessen oder die Erhöhung der Konnektivität

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assoziiert werden, ist diese Definition nicht erschöpfend und wird dem Konzept der Digitalisierung nicht gerecht. Ganz im Gegenteil: Es sind oftmals die kulturellen und personellen Herausforderungen, die Unternehmen im Transformationsprozess behindern oder ausbremsen, und weniger die technischen Herausforderungen, wie etwa Interoperabilitätsprobleme oder die technische Konstruktion einer sicheren Dateninfrastruktur. Veränderungen rufen Sorgen und Ängste hervor und gehen mitunter mit impliziten und expliziten Widerständen seitens der Belegschaft einher. Spezifischer können die Key Learnings folgendermaßen zusammengefasst werden: Keine Strategie ohne Vision – auch und gerade im digitalen Zeitalter: Sich über die Vision klar zu sein, um strategische Ziele danach auszurichten, ist nicht nur im Digitalisierungszeitalter wichtig. „Die Definition ist einfach: Vision ist für den Architekten die erste Grobskizze des neuen Hauses, auf Organisationen übertragen: der Rohentwurf eines neuen Zusammenhangs oder kurz: das Fernbild einer neuen Logik. Jedoch kommt dem Entwickeln dieser Zielbilder im digitalen Transformationsprozess erhöhte Brisanz zu, weil altbekannte Mechanismen der Zielbildentwicklung und etablierte Visionsthemen infrage gestellt werden. Ohne Vision ist es schwer über Richtung, Ausmaß und Intensität von Digitalisierung zu entscheiden. Geht man den aktuellen Entwicklungen nach oder betritt man gar als Erster digitales Neuland? Das Bearbeiten digitalstrategischer Dimensionen vom Vertiefen der Kundenerfahrungen über Digitalisierung der operativen Geschäftsprozesse, partnerschaftliche Lösungsentwicklungen bis hin zur digitalen Überarbeitung des Geschäftsmodells geht mit unterschiedlichen starken Struktureingriffen einher und erfordert unterschiedlich starke digitale Mindsets bei Führungskräften und Mitarbeitern. Strategischer Weitblick und zugleich strategische Flexibilität: Was auf Arbeits- und Projektebene propagiert und umgesetzt werden soll, gilt auch für die Strategieentwicklung. Volatile, von Unsicherheiten, Komplexität und Ambiguität geprägte Umwelten beeinflussen zwangsläufig auch die strategische Arbeit. Gerade in einem Umfeld wie dem der gesetzlichen Krankenversicherungen, wo Strategien etwa zum Ausschöpfen von ­Qualitäts-, Wirtschaftlichkeits- oder Differenzierungspotenzialen bisher eher langfristig angelegt waren, kommt dem Aneignen schneller Reaktionsfähigkeiten eine besondere Bedeutung zu. Denn auch die Kundenerwartungen ändern sich in Zeiten digitaler Versicherer, medizinischer Versorgungs-Apps und höherer Interaktionsraten, weshalb sich die strategischen Ziele von GKVn mit strategischem Weitblick, aber eben auch der nötigen Flexibilität an diese Umstände anpassen müssen. Technology Change und People Change: Digitalisierung braucht neben Technology Change auch People Change. Die Projekte digitaler Transformationen in Unternehmen sind damit – insbesondere auch aus einer strategischen Perspektive – umfassender, als es zunächst vielleicht den Anschein hat, da es nicht nur darum geht, Prozesse mithilfe neuer Technologien zu automatisieren bzw. zu digitalisieren, sondern einen Kulturwandel bzw. die Ausbildung eines Digital Spirit bei der Mitarbeiterschaft herbeizuführen. Erst wenn notwendige Kompetenzen und Fähigkeiten – wie z. B. offenes, transparentes und kollaboratives Arbeiten – verinnerlicht sind, können Teaminteraktionen flüssig ineinandergreifen,

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wodurch ein schnelles, iterativ-zyklisches Austesten von Produktideen erst möglich wird. Der People Change ist damit eine große strategische Herausforderung, weil im Gegensatz zur reinen Technologie Änderungen im Mindset der Mitarbeiter und Führungskräfte, in den Arbeits- und Organisationsabläufen, der Art und Weise, wie zusammengearbeitet und gesteuert wird, nicht einfach eingekauft oder ausgelagert werden können. Etablierung einer starken digitalen Governance als wichtige Grundlage zur Etablierung neuer Organisations- bzw. Arbeitsweisen und damit letztlich als Treiber des (digitalen) Kulturwandels. Im Gegensatz zu Start-ups, deren organisationale Strukturen und Arbeitsroutinen sich noch nicht gefestigt haben, blicken tradierte Unternehmen wie gesetzliche Krankenversicherungen auf langjährige, oftmals hochgradig politische und stark bürokratisch geprägte Arbeitsprozesse zurück. Ein Umdenken – weg von lange geplanten „klassisch“ organisierten Projekten mit relativ starren Planungs-, Entwicklungs- und Roll-outPhasen, durch die nur schwer Themen einer hochgradig dynamischen Umwelt bearbeitet werden können hin zu Projektorganisationen, in denen Arbeitsorganisation, -methodik und -ziel an eine sich schnell verändernde Umgebung angepasst werden können – fällt demnach schwerer. Einrichtung eines Strategieteams für Digitalthemen, das zweierlei Funktionen erfüllt: Zum einen sollen in diesem Strategieteam digitalstrategische Themen auf Topmanagementebene  – gerade auch vor dem Hintergrund fachspezifischer Fragestellungen  – diskutiert werden; zum anderen dient das Team als eine Art Bindeglied und Vermittler zwischen der strategischen und der operativen Ebene. Wenn Projekte schnell initiiert, prototypisiert und nach positiver Evaluation weiterentwickelt werden sollen, muss auch der Abgleich mit der allgemeinen strategischen Ausrichtung und damit verbundene Entscheidungen zügig vonstattengehen. Innovationswege finden trotz regulatorischem Korsett: Das (deutsche) Gesundheitswesen ist dafür bekannt, seine Akteure innerhalb enger regulatorischer Grenzen zu führen. Sich im digitalen Transformationsprozess visionär und strategisch nicht mit diesen trägen Strukturen „abzufinden“, sondern proaktiv und in Kooperation sowie Diskussion mit den zuständigen Stellen (z. B. Datenschutz) Innovationsprozesse voranzutreiben, stellt eine wichtige Aufgabe im Transformationsprozess dar.

5.5

Schlussbetrachtung

Der Evolutionsdruck, der durch die sog. Digitalisierung im Gesundheitswesen entsteht, lastet speziell auf den (gesetzlichen) Krankenversicherungen. Die Folgen des radikalen und in mancherlei Hinsicht durchaus auch disruptiven Paradigmenwechsels sind noch nicht abzusehen. Gleichwohl sind die Unternehmen und Organisationen für die nächsten Spielrunden gut gerüstet, die einen substanziellen Kulturwandel initiieren, die in Agilität und Flexibilität und damit in Personal investieren, die ihre strategischen Tugenden und Fähigkeiten pflegen und die sich nicht zu einem plakativen und kurzlebigen Marketingaktionismus verleiten lassen.

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Beate Kasper  ist Senior Consultant bei der SKC Beratungsgesellschaft mbH. Seit ihrem Masterabschluss in Soziologie mit dem Schwerpunkt qualitative Methoden der empirischen Sozialforschung an der Eberhard Karls Universität Tübingen hat sie als Beraterin an zahlreichen Strategieprojekten insbesondere im Kontext der Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherungen sowie der Evaluierung des strategischen Raumes von (internationalen) Marktzugangsoptionen und Preismodellen von Medizinprodukten mitgewirkt. In weiteren Projekten beschäftigte sie sich mit personalstrategischen Fragestellungen sowie der Organisation von Fachkonferenzen im Bereich Digital Health. Heike Kielhorn  studierte Betriebswirtschaftslehre in Bayreuth. Bereits vor und auch während ihres Betriebswirtschaftsstudiums arbeitete sie als Stammhauslehrling und Industriekauffrau bei der Siemens AG und bei der KPMG u. a. in München, Berlin und New York. Nach dem Studium stieg sie in die Wirtschaftsprüfung und Corporate-Finance-­Beratung der KPMG in München ein und arbeitete später in Hamburg. Nach einer kurzen Visite bei der Transaktions-M&A-Beratung der HypoConsult wechselte sie 1999 in die internationale Strategieberatung The Boston Consulting Group mit Engagements in Hamburg, Amsterdam, Paris und London. In der anschließenden Tätigkeit als Director Corporate Development einer mittelständischen Aktiengesellschaft in der Biotechnologiebranche lernte sie das Geschäft für Medizin-Start-ups kennen und gestalten. Gemeinsam mit Prof. Schönermark gründete Heike Kielhorn 2005 die Strategieberatung SKC, der sie als geschäftsführende Gesellschafterin seitdem vorsteht. Univ.-Prof. Dr. med. Matthias P.  Schönermark  studierte Humanmedizin an den Universitäten Göttingen, München, Heidelberg, London und Kapstadt. Nach Promotion, Postdoczeit und verschiedenen Auslandsaufenthalten u. a. an der Columbia University in New York und der Dartmouth Medical School, Hanover, NH, Facharztprüfung für HNO-­Heilkunde und Tätigkeit als geschäftsführender Oberarzt an der Hals-Nasen-Ohren-Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover. Weiterbildung in systemischer Therapie sowie Postgraduate Certificate in NeuroLeadership. Nach seiner klinischen Karriere wechselte er 1998 in die Strategieberatung The Boston Consulting Group und anschließend zu A.T.Kearney. 2005 gründete er die SKC Beratungsgesellschaft, die heute zu den führenden Strategieberatungen in der Gesundheitswirtschaft zählt. Seit 2001 ist Schönermark Professor für Management an der Medizinischen Hochschule Hannover mit Lehraufträgen in Deutschland, den Niederlanden und den USA.

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Komplementärberatung in einem dynamischen Markt Stefan Drauschke, Pia Drauschke, Hartmut Ponßen und Jörg Risse

Inhaltsverzeichnis 6.1  E  inleitung  6.2  Veränderte Rahmenbedingungen erfordern ganzheitlichen Beratungsansatz  6.2.1  Strategieentwicklung als Erfolgsfaktor  6.2.2  Veränderungsmanagement bei Unternehmen der Gesundheitswirtschaft  6.3  Rolle des externen Beraters und Prozessbegleiters  6.4  Schlussbetrachtung  Literatur 

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Zusammenfassung

Die Entwicklungen im Gesundheitswesen schreiten schnell voran und bringen gravierende Veränderungen mit sich. Beteiligte Organisationen bewegen sich in einem dynamischen Markt und stehen vor vielfältigen Herausforderungen. Besonders Kliniken als komplexe Organisationen müssen sich unter neuen Rahmenbedingungen in ihren individuellen Rollen finden und brauchen Konzepte, die ihnen stabile Strukturen ermöglichen und sie fit für die Zukunft machen. Meist sind dafür strategische Neuausrichtungen und Organisationsentwicklungen notwendig. Für ein langfristiges erfolgreiches Bestehen im Markt müssen Führungskräfte in Gesundheitsunternehmen somit ihre Chancen wahrnehmen, durch die Entwicklung von attraktiven Unternehmensstrategien

S. Drauschke (*) · P. Drauschke NextHealth GmbH, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected] H. Ponßen · J. Risse gök Consulting AG, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), Consulting im Gesundheitswesen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25479-7_6

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den Veränderungsprozess aktiv und zielgerichtet voranzubringen. Nachhaltige Erfolge können zudem nur dadurch entstehen, wenn das Personal von Anfang an in den Prozess einbezogen und an den Veränderungen beteiligt wird. Externe Beratungsunternehmen und Prozessbegleiter unterstützen das Management als Lotsen in diesem Zielfindungsprozess, denn ohne klare Ziele kann keine Strategie entwickelt werden. Und sie begleiten den Prozess der Veränderung als solchen, damit die Strategie nicht nur auf dem Papier steht, sondern auch tatsächlich in die Umsetzung gelangt.

6.1

Einleitung

Die Entwicklungen im Gesundheitswesen schreiten schnell voran und bringen gravierende Veränderungen mit sich. Der demografische Wandel der Gesellschaft sowie der medizinisch-­technische Fortschritt auf der einen Seite und die sich durch Politik und Wirtschaft ändernden Rahmenbedingungen auf der anderen Seite erlauben keinen Stillstand. Veränderte Vergütungsformen, steigende Kosten, sinkende Etats, Personalbelastung und Qualität sind weitere aktuelle Themen, die die Branche beschäftigen. Beteiligte Organisationen bewegen sich in einem dynamischen Markt und stehen vor vielfältigen Herausforderungen. Besonders Kliniken als komplexe Organisationen müssen sich unter neuen Rahmenbedingungen in ihren individuellen Rollen finden und brauchen Konzepte, die ihnen stabile Strukturen ermöglichen und sie fit für die Zukunft machen. Nur jene Krankenhäuser werden langfristig am Markt überleben, die der zunehmenden Komplexität und Dynamik des Krankenhausmarktes gewachsen sind. Professionalität in der Führung und richtiges und gutes Management sind entscheidend für die Zukunftsfähigkeit eines Krankenhauses (Debatin et al. 2013, S. 89). Jedes Krankenhaus als Unternehmen muss die Versorgung der Patienten sicherstellen können und ist daher in der Verpflichtung, nachhaltige Strategien zu entwickeln. Meist sind dafür strategische Neuausrichtungen und Organisationsentwicklungen notwendig. Zudem gibt es auch heute noch gerade in Krankenhausunternehmen sehr unterschiedliche Standes- und Entwicklungshistorien der Berufsgruppen, insbesondere der Ärzteschaft und der Pflege. Gleichzeitig erfordern berufsgruppenübergreifende und patientenorientierte Prozesse sowie ein verschärfter Wettbewerb ein Umdenken, das den Einsatz moderner Changemanagementmethoden in Verbindung mit stringenter Strategieentwicklung im Sinne von aktiver Zukunftsgestaltung bedingt. Für ein langfristiges erfolgreiches Bestehen im Markt müssen Führungskräfte in Gesundheitsunternehmen somit ihre Chancen wahrnehmen, durch die Entwicklung von attraktiven Unternehmensstrategien den Veränderungsprozess aktiv und zielgerichtet voranzubringen. Mit Blick auf die Zukunft gilt es, die klassische starre Strukturorganisation mit der Dreiteilung zwischen Medizin, Pflege und Verwaltung einerseits und die enge Disziplinentrennung im medizinischen Bereich andererseits zu überwinden (Albrecht und Töpfer 2006, S.  21). Dies ist ihre primäre

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­ ührungsaufgabe. Wenn sie dabei auch noch die Mitarbeiter, allen voran die FührungsF kräfte und Leistungsträger „mitnehmen“, ist der Weg zum Erfolg schon bestritten.

6.2

 eränderte Rahmenbedingungen erfordern ganzheitlichen V Beratungsansatz

Für Krankenhäuser wird es immer schwieriger qualitative Entscheidungs- und Entwicklungsprozesse zu gestalten. Oft konzentrieren sich Verantwortliche dabei auf fachlich-­ strukturelle Aspekte. Mit den klassischen Methoden und Strategiewerkzeugen – Benchmarks, Analysen, Portfolios, Szenario- und SWOT-Workshops etc. – werden Grundlagen für Unternehmensziele und Maßnahmen für einen spezifischen Zeithorizont erarbeitet und ein strategisches Projektmanagement in Gang gesetzt. Zeitgleich findet eine umfassende, konsequente und systematische sowie systemische Einbeziehung zahlreicher Mitarbeiter und Führungskräfte statt, um einen grundlegenden Wandel von innen zu initiieren. Ein Prozessziel besteht darin, dass so gut wie alle Mitarbeiter die Strategie mit ihren Zielen und Maßnahmen sowie ihren möglichen eigenen Beitrag zur Umsetzung kennen, zumindest teilweise miterarbeitet haben und den Sinn dahinter verstehen. Nachhaltige Erfolge können nur dadurch entstehen, wenn das Personal von Anfang an in den Prozess einbezogen und an den Veränderungen beteiligt wird. Unternehmensberatungen benötigen somit neben dem fachlichen Wissen auch die Kompetenz, einen Prozess persönlicher und gruppendynamischer Entwicklung nachhaltig positiv zu beeinflussen und das Ergebnis zwischenmenschlichen Wirkens bestmöglich zu gestalten. Hieraus entsteht der Ansatz der ganzheitlichen Komplementärberatung. Die klassische Managementberatung mit Schwerpunkten auf Effizienz, Qualität und Wirtschaftlichkeit sowie die „systemische“ Prozessberatung mit Fokus auf die weichen Faktoren (Erleben, Mitwirkung, Motivation etc.) stellen dabei die beiden Beratungsansätze dar und vereinigen die jeweiligen Vorteile. Es gilt, Beratungsprozesse von der systematischen fachlichen Analyse der Anforderungen und Aufgaben bis zur Entwicklung von Handlungsoptionen und zu deren aktiver Umsetzung zu moderieren. Mit einem bewährten Methodenmix werden im Veränderungsmanagement zusammen mit den Führungskräften in interaktiven Prozessen tragfähige Strategien im Sinne von umsetzbaren Zukunftskonstrukten entwickelt. Hierbei spielen das Befähigen von Führungsteams, die Verbesserung der Unternehmenskommunikation und die Entwicklung einer wandlungs- und widerstandsfähigen Unternehmenskultur eine große Rolle. Die Umsetzung der Themen wird bereits bei Projektbeginn berücksichtigt. Die Beteiligten werden somit in allen Phasen aktiv eingebunden und in die Veränderungen integriert. Externe Beratungsunternehmen unterstützen das Management als Lotsen in diesem Zielfindungsprozess, denn ohne klare Ziele kann keine Strategie entwickelt werden. Und sie begleiten den Prozess der Veränderung als solchen, damit die Strategie nicht nur auf dem Papier steht, sondern auch tatsächlich in die Umsetzung gelangt.

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6.2.1 Strategieentwicklung als Erfolgsfaktor Das Zielsystem eines Krankenhauses sollte sich einerseits aus einer vorteilschaffenden, d. h. nutzenstiftenden Strategie ableiten und andererseits Resonanz im Geschäftssystem einer Klinik finden. Solch ein System besteht aus Potenzialen (Hardware, Software, Brainware, Peopleware), Prozessen, Strukturen, Führungsarchitekturen, Leistungsversprechen und finalen Gewinnpositionen. Aus diesem System lässt sich das Grundmuster der Klinikwertschöpfung ableiten. Die Wettbewerbsfähigkeit einer Klinikorganisation wird durch konsistente Zielsysteme bestimmt. Es besteht zwar kein Ziel-Wettbewerbsvorteils-­Mechanismus, dennoch resultieren strategisch vorsteuernde Planungsprozesse nicht selten im Erreichen strategischer Erfolgspositionen (Debatin et al. 2013, S. 79). Eine gute und klare Strategie stellt ein durch die Führungskräfte und Mitarbeiter mitentwickeltes attraktives Zukunftskonstrukt dar. Auf Basis des Zukunftskonstruktes beginnt die Phase der Entwicklung und Ausarbeitung der Unternehmensstrategie gemeinsam mit Führungskräften und einer Vielzahl von Mitarbeitern. Es geht im Kern um die Optimierung der medizinstrategischen Ausrichtung, um Strukturmaßnahmen, Erlösoptimierungen, Prozessverbesserungen und um gezielte Investitionen neben der kurzfristigen Realisierung dauerhafter Einsparungen in wesentlichen Kostenblöcken. Um eine Vision mit konkreten Zielen umzusetzen, ist es notwendig, Kenntnis über den aktuellen Stand des eigenen Unternehmens und des Wettbewerbsumfeldes zu besitzen. Ziele sind „smart“ (situationsspezifisch, messbar, attraktiv, realistisch, terminiert) zu formulieren und mit Maßnahmen zu hinterlegen, sodass jeder weiß, wer was, warum und bis wann zu tun hat. Die Strategie definiert die besten Prozesse, diese wiederum die optimale Struktur. Zur Operationalisierung der Gesamtstrategie ist intern ein Kernteam zu beauftragen, das für das „Metaprojekt“ der Transformation verantwortlich ist – im Auftrag des Managements. Unternehmensstrategie ist hierbei kein einmaliges Projekt. Vielmehr sind der Erfolg und die Ausrichtung der Transformation auf Basis einer klaren Strategie neben der operativen Führung durch einen im Unternehmen verankerten kontinuierlichen Prozess regelmäßig zu überprüfen und immer wieder anzupassen, insbesondere, wenn Umweltfaktoren maßgebliche Veränderungen mit sich bringen. Strategien werden vom Management gemacht Über lange Zeit war es üblich, dass externe Strategieberater beauftragt wurden, um Strategien für ihre Klienten zu entwickeln. Heutzutage werden Strategien wieder intern vom Management gemacht, denn das ist dessen originäre Führungsaufgabe. Es bietet zahlreiche Vorteile, eine externe Begleitung für den Strategieentwicklungsprozess und die Initialisierung des Wandels im Unternehmen gezielt heranzuziehen. Es gilt, genau beurteilen zu können, welche die vorhandenen oder zu erreichenden Wettbewerbsvorteile sind, um im Gesundheitsmarkt zukünftig noch besser bestehen zu können. Aus dem aktuellen Unternehmensstatus, der Markt- und Wettbewerbsanalyse sowie der eigenen Prozesslandschaft sind strategische Geschäftsfelder abzuleiten. Es sind Entscheidungen über den Anlass und Umfang von monetären und zeitlichen

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Aufwendungen zu treffen und mit welchen Maßnahmen und Taktiken welche Ziele in welcher Zeit zu erreichen sind. Dabei ist die Reihenfolge ein entscheidender Erfolgsfaktor. Hierbei kann unterschieden werden zwischen vom Topmanagement verantworteten Gesamtstrategien für ganze Gesundheitsunternehmen und darauf abgestimmten Teilstrategien für Unternehmenssegmente, Abteilungen oder Kliniken, deren Leitungen wiederum auch eigene Ziel- und Strategieaspekte verfolgen. Nicht immer stehen diese Teilstrategien im Einklang mit der Gesamtstrategie. Je klarer die formulierte Unternehmensstrategie ist, umso deutlicher fällt ein solcher Dissens auf und bietet die Möglichkeit, im Sinne der Unternehmensinteressen einzuwirken und einen strategischen Konsens herzustellen. Der Strategieprozess wird vom Management angestoßen und in Gang gehalten (Top-­ down-­Ansatz). Gleichzeitig sind möglichst viele Führungskräfte und Leistungsträger in die Zielfindung, Strategieentwicklung und in die Projektarbeit zu involvieren (Bottom-­up-­ Ansatz). Betroffene werden zu Beteiligten und tragen die Veränderung in das Unternehmen. Projektfortschritte, Ergebnisse und Leistungsunterschiede werden konsequent offengelegt und die Führung reagiert darauf regelmäßig mit negativer oder positiver Verstärkung. Einer kontinuierlichen, konsequenten Projektarbeit gemäß den veränderten Spielregeln kommt besondere Bedeutung zu. Einerseits repräsentiert sie die in Projekten geordnete gezielte Weiterentwicklung des Unternehmens gemäß dem strategischen Plan, andererseits kann ein zentrales Projektbüro wertvolle Beiträge zu einem strategischen Controlling leisten (Drauschke 2007, S. 332–333). Vorgehensweisen des strategischen Planungsprozesses Ziel des strategischen Planungsprozesses ist die fokussierte (Weiter-)Entwicklung eines Zukunftskonzeptes unter Einbindung von Führungskräften und Mitarbeitern. Eine gute Strategie baut grundsätzlich auf dem Vorhandenen auf. Es gilt, zunächst die Mission zu erarbeiten, also den Kernauftrag des eignen Krankenhauses. Darauf aufbauend folgt die Erarbeitung einer Vision. Vision (Leitbild) steht hier für ein optimales Bild in der Zukunft, wohin sich das Krankenhaus entwickeln soll. Für die Erarbeitung werden einerseits die eigene Istsituation und andererseits die Umfeldanalyse dargestellt. Die Strategie ist letztendlich das Instrument, damit aus der Vision Realität wird. Eine Strategie beinhaltet umsetzbare Vorhaben in einem konkreten Umfang – unter Berücksichtigung der eigenen Voraussetzungen. Wichtig ist zu beachten, dass die Menschen/das Personal im eigenen System (Krankenhaus) mit der Strategie wachsen und diese unterstützen. Somit gilt es bei der Strategieentwicklung, auch die Befürworter und die Widersacher herauszuarbeiten. Denn nur gemeinsam mit den Menschen kann eine Strategie erfolgreich umgesetzt werden (Debatin et al. 2013, S. 98 ff.). Eine Strategie ist ein langfristiger Plan, aus dem sich unzählige kleine und große Projekte und operative Entscheidungen ableiten (siehe Abb. 6.1). Als hilfreich hat es sich in der Strategieentwicklung erwiesen, eine pragmatisch angelegte Analysephase durchzuführen. In dieser Zeit ist es möglich, über alle relevanten Themenfelder von der Finanzlage über die medizinstrategische Ausrichtung bis zu den internen Kommunikationswegen, den Prozessen und der IT in kleinen, interdisziplinären Projektgruppen und durch Expertengespräche ein angemessenes klares Bild zum aktuellen Unternehmensstatus

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S. Drauschke et al.

Vision/Leitbild

TOP-Ziele

Bereichsziele Med. DL

MTD

FAB1

FAB x

FD

Pflege

Verwaltung

Strategische (Bereichs-)Projekte Projekt 1 Projekt 2

Kliniken

Administration/Support

Projekt x

Strategische Roadmap

Abb. 6.1  Ganzheitliche Konzeptentwicklung. (Eigene Entwicklung/Darstellung; gök Consulting AG und NextHealth GmbH)

zu erstellen. Es wird also Transparenz über die wirtschaftliche und medizinstrategische Situation der einzelnen Fachabteilungen sowie der Klinik im Ganzen hergestellt. Zur Einordnung der eigenen Leistungsfähigkeit in das Wettbewerbsumfeld ist ein umfassendes Wissen um die Marktentwicklung und den Wettbewerb notwendig. Die Erhebung der notwendigen Informationen kann parallel zur Ermittlung des Unternehmensstatus und der aktuellen Medizinstrategie erfolgen. Als geeignete Dokumentation der Ergebnisse bietet sich die SWOT-Darstellung (Strenghts, Weaknesses, Opportunities, Threats) in den relevanten Themenfeldern an, welche die Stärken und Schwächen sowie die Chancen und Risiken aufweist. Aufbauend hierauf können dann Workshops durchgeführt werden, um die strategische Ausrichtung, die Ziele und Maßnahmen für die kommenden Jahre festzulegen sowie ein Wertebild für eine gesunde und funktionierende Unternehmenskultur zu erarbeiten. Aus dem aktuellen Unternehmensstatus, der Markt- und Wettbewerbsanalyse sowie der eigenen Prozesslandschaft können die Rahmenbedingungen für die Entwicklung medizinstrategischer Geschäftsfelder für einzelne Fachabteilungen bzw. Standorte abgeleitet werden. Dabei spielen die zukünftige Leistungsplanung, der zukünftige Bettenbedarf, die notwendige Personalausstattung (qualitativ und quantitativ) sowie der geschätzte Investitionsbedarf eine wesentliche Rolle. Auch die Dimensionen Personal, Prozesse, Struktur, Markt und Finanzen gilt es zu betrachten. Zudem werden geeignete Kennzahlen für eine strategische Steuerung definiert. Bedeutung von Zielen und Strategien Die Ziele und Strategien bestimmen die dazu passenden Prozesse und diese sind entscheidend für die optimale Struktur – sei es baulich, technisch, organisatorisch etc. Das bedeutet, dass ohne klare strategische Ziele keine Strategie entwickelt werden kann. Ziele er-

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füllen drei wesentliche Funktionen. Durch Ziele können Probleme erkannt, rationale Entscheidungen getroffen sowie sinnhafte Kontrollprozesse entwickelt werden (Watzka 2016, S. 1). Erst wenn klar ist, wohin die Reise gehen soll, werden Ressourcen taktisch klug aufgestellt und in der richtigen Reihenfolge und dem notwendigen Ausmaß mobilisiert. Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren der Zukunft besteht zuallererst aus verbindlichen, abgestimmten, strategischen Zielen, auf deren Grundlage das Management eine Strategie entwickelt, diese transparent kommuniziert und für die konsequente Umsetzung sorgt. Ziele sind von Wünschen, Leitbildern oder Visionen zu unterscheiden: Sie sind Punkte, die messbar und erkennbar erreicht werden können. Sie stellen zusammengenommen Bildpunkte eines immer klarer werdenden Gesamtzielbildes für eine Organisation dar. Mindestens Inhalt, Ausmaß und Zeit sind konkret zu beschreiben. Die „smarten“ Unternehmensziele gliedern sich in verschiedene Bereiche – beispielsweise Markt und Leistung, Mitarbeiter und Motivation, Wirtschaftlichkeit und Qualität, Organisationsstruktur, Prozesse oder Management. Alle anschließend definierten Umsetzungsprojekte sind den ­Zielen und den Handlungsfeldern zugeordnet und der Ergebnisbeitrag wird regelmäßig gemessen. Operationalisierung in der Organisation Im Rahmen von weiterführenden Workshops werden die zuvor erarbeiteten Ziele und Maßnahmen in Form von Projekten konkretisiert und deren zeitliche Umsetzung (kurz-, mittel-, langfristig) geplant. Die Operationalisierung der Gesamtstrategie in der Organisation erfolgt über eine Phase der Projektarbeit, die in Teilen unabhängig von bestehenden Linienfunktionen agiert und eigene Regeln besitzt. Erfolgsentscheidend sind hierbei ein straffes Projektmanagement sowie eine saubere Überleitung von der Projektphase in die Linientätigkeiten. Hierbei ist es wichtig, dass die in der Linienfunktion später Betroffenen bereits als Projektleiter und Projektmitarbeiter im Projektteam mitgewirkt haben und ihr zu bestellendes Terrain bereits kennen. Mit konsequentem Projektmanagement wird Transparenz geschaffen und Projekte werden steuerbar. Weiterhin erleichtern eine gute Dokumentation und die enge Zusammenarbeit der Linienverantwortlichen mit dem jeweiligen Projektleiter die Übergabe in die tägliche betriebliche Praxis (siehe Abb. 6.2). Der strategische Umsetzungsprozess ist auf Dauer im Unternehmen zu verankern. Nach Strategieentwicklung und Operationalisierung werden Änderungen bewusst generiert und auch das Umfeld wird beständig Veränderungen hervorbringen. In einem kontinuierlichen Prozess, der außerhalb des Tagesgeschäftes der täglichen Führungsroutine liegt, sind nun regelmäßig die Ziele mit der dazugehörigen Strategie, die erreichten ­Ergebnisse und die Umfeldbedingungen zu betrachten, um in entsprechenden Intervallen Ziele und Strategie den aktuellen Erkenntnissen anzupassen (Drauschke 2007, S.  335). Ein eingerichtetes Projektsteuerungsbüro kontrolliert und steuert nach standardisierten Methoden die Fortschritte der Teilprojekte mittels Projektpläne, Berichte, Meilensteine und Terminpläne.

S. Drauschke et al.

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Kernaufgaben

Projekte planen, abbilden und steuern Ziele

Organisation

Zeitplan

Kostenplan

Risikomanagement

Kommunikation

Risiken

Projektplan

Maßnahmen

Fortschritt

Aktionen

Statusreport

Action list

Protokoll

Formulare

Risikomatrix

Ergebnisse

Abb. 6.2  Projektmanagement – Projekte planen, abbilden und steuern. (Quelle: eigene Entwicklung/Darstellung; gök Consulting AG und NextHealth GmbH)

6.2.2 V  eränderungsmanagement bei Unternehmen der Gesundheitswirtschaft Veränderungen in Systemen sind etwas ganz Natürliches, weil es sich auch um eine kontinuierliche Anpassung des Systems an die veränderten äußeren Umstände handelt. Unter „Systemen“ können soziale Systeme bestehend aus Mitarbeitern, beispielsweise in einem Klinikum oder auch in jedem anderen Unternehmen, verstanden werden. Es ist essenziell, sich mit den veränderten äußeren Umständen kontinuierlich mitzuverändern. Systeme haben von selbst den Drang, immer wieder in stabile Zustände zu kommen. Das ist im Kontext von Changemanagement zu nutzen, indem angestrebt wird, dass sich der neue stabile Zustand im Ergebnis eines Changeprozesses auf einem Niveau einstellt, auf dem nützliche Ergebnisse generiert werden. Beteiligte in die Veränderung einbeziehen Es ist außerordentlich nützlich, Mitarbeiter in Veränderungsprozesse einzubinden. Sinnfindung und die sogenannte Selbstwirksamkeitserwartung spielen bei Menschen eine große Rolle, wenn es darum geht, sich in einem Kontext zu engagieren und so etwas wie Commitment für eine Sache zu verspüren. Es geht seitens der Führung bei der Einbindung von Mitarbeitern darum, den Menschen im Unternehmen eine Gelegenheit zu bieten, sich tatsächlich einzubringen und mit dem Neuen zu befassen, eigene Beiträge zu ermöglichen und Einwände – manchmal auch Vorwände – vorzutragen. Gleichzeitig wissen wir, dass Menschen

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sich nur für etwas Neues entscheiden, wenn es sich in ihrem Denkrahmen befindet. Das Neue mit seinen Folgen muss also vorstellbar werden und das erfordert mehr als das Versenden oder Vortragen eines gut formulierten Strategiekonzeptes. Es geht bei „Einbindung“ vielmehr um dialogische Kommunikation, das Ankoppeln an die „kollektive Intelligenz“ und um einen wertschätzenden Umgang mit Widerstand. Gute Führung heißt dabei also auch, mit wenig Friktionen und hohem Einverständnis miteinander erwünschte Ergebnisse zu erzielen. Dafür müssen Verbindungen geschaffen werden: Ziele mit Maßnahmen, Menschen mit Zielen und den damit verbundenen Aufgaben, Menschen im Rahmen der Arbeitsteilung und Delegation zwischen und in Abteilungen mit anderen Menschen etc. (Drauschke et al. 2016, S. 18). Strategiekonferenzen und Strategieworkshops bieten die Gelegenheit für aktive Mitwirkung der Beteiligten im Strategieprozess. Die Einbindung der Menschen kann im direkten, persönlichen Dialog erfolgen mit verschiedenen Großgruppenmethoden wie Open Space, World-Café, Zukunftskonferenz, Fishbowl, Dynamic Facilitation und ähnlichen Formaten. Doch auch andere Formen aktiven Dialogs sind denkbar, beispielsweise durch miteinander verzahnte Kleingruppen, Kommunikationsforen, webbasierte Konzepte wie Unternehmenswikis, Corporate Communities, Weblogs oder einfachen, persönlichen Sprechstunden. Wesentlich sind eine maßgeschneiderte Projektkommunikation sowie die Rückkopplung zu den Teilnehmern, was mit ihren Ideen geschehen ist. Feedbackschleifen gehören zu den wesentlichen Instrumenten in einem Veränderungsprozess, der durch die Mitarbeiter mitgetragen wird. Transparenz, Konsequenz und Mitwirkung sind im gesamten Changemanagementprozess die begleitenden, übergeordneten Prinzipien für nachhaltig wirksame Veränderungen. Transparenz heißt, Zahlen, Daten und Fakten sowie Leistungsunterschiede offenzulegen. Auf Mitarbeiterversammlungen können der Belegschaft die Notwendigkeit und Dringlichkeit von Veränderungen sowie die Stellschrauben vermittelt werden (Drauschke et al. 2014, S. 42). Veränderungsprozesse erzeugen immer Ängste und Widerstand und müssen durch die Phasen der Veränderung mit entsprechenden Maßnahmen und Methoden begleitet werden, damit das Veränderungsprojekt erfolgreich ist. Doch Widerstand ist auch Energie, die für den Changeprozess nutzbar sein kann und Einwände enthalten wichtige Informationen, die es lohnt zu berücksichtigen. Zeitraum der Veränderung Eigentlich ist der Kern der Veränderung gar nicht so sehr ein Prozess, sondern vielmehr eine Entscheidung. Wenn sich genügend Menschen im Unternehmen für das Neue entschieden haben, dann gibt es auch ein ausreichendes Momentum, um sich gemeinsam auf den Weg zu machen. Der Veränderungsprozess an sich beschreibt den Weg bis zu dieser Entscheidung, weshalb Moderations- und Mediationskompetenz für Führungskräfte wichtig sind oder auch externe Unterstützung je nach Sachlage. Wie lange es dauert, bis die wichtigsten Entscheidungen in den Köpfen der Mitarbeiter gefallen sind, ist sehr unterschiedlich und hängt auch an der Gewichtung und individuellen Bedeutung des geplanten Vorhabens. Manches ist an einem Tag schon klar. Strategieprozesse dauern oft fünf bis sieben Monate und ein Cultural-Change-Prozess, der auf die Veränderung von Überzeugungen und Glaubenssätzen, Werten und

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S. Drauschke et al.

Verhaltensmustern zielt, kann Jahre im System beanspruchen und braucht eine Führung, die mit gutem Beispiel vorangeht und vor allem dabeibleibt. Gerade diese Prozesse sind sehr systematisch zu planen und bedürfen „unterwegs“ häufig der einen oder anderen Korrektur oder Intervention. Führung in Veränderungsprozessen Führungskräfte nehmen gerade in Veränderungsprozessen ganz verschiedene Rollen ein, die unterschiedlicher kaum sein können: Planer, Komponist, Dirigent, Richtungsgeber, Unterstützer, Bewahrer, Eroberer, Motivator, Mediator, Moderator und viele mehr. Das erfordert, auf Menschen unterschiedlich einzugehen und über eine hohe persönliche authentische Flexibilität zu verfügen. In den vier Phasen der Veränderung zeigt sich diese Flexibilität recht plakativ. In der Phase der Irritation heißt es vor allem, zu dirigieren und das Neue mit aller Klarheit zu vertreten. Während der Frustrationsphase, in der der Widerstand sich formiert, ist neben dem Dirigieren zunehmend auch das Sekundieren notwendig. Es geht um Verstehen, Nachfragen, Zeit lassen und Raum geben, während man gleichzeitig unbeirrt das Neue weiterhin verfolgt. Während der Phase des Zögerns geht es vor allem um das Sekundieren. In dieser Phase entscheiden sich die Menschen für oder gegen das Neue und diese Entscheidung zu ermöglichen, ist wichtigste Führungsaufgabe. Anschließend, wenn es in die Phase des Durchstartens geht, kann man loslassen und dabei kontrollieren und Erfolge sind zu feiern. Zu all dem gehört natürlich auch wahrzunehmen, in welcher Phase sich die Menschen im System oder in seinen Subsystemen gerade befinden, um adäquates Führungsverhalten zeigen zu können. Veränderungsmanagement nach dem Top-down-bottom-up-Ansatz Für die Arbeit mit Menschen in Systemen können unterschiedliche Modelle und Ansätze verwendet werden. Eine Möglichkeit stellt das entwickelte „Vierschichtenmodell der Integration®“ dar, welches die vier Kreise K1–K4 umfasst (siehe Abb. 6.3). Das Modell ermöglicht die systematische, berufsgruppenübergreifende Involvierung einer Vielzahl von Führungskräften und weiteren Leistungsträgern nach dem Top-down-bottom-up-Ansatz. Die Anzahl der Teilnehmer in den vier K-Kreisen hängt ab von der Größe des Systems, auf das das Konzept Anwendung findet. Das Kernteam des sogenannten K1 ist Lenkungskreis und oberstes Entscheidungsgremium. K1 repräsentiert die sogenannte Veränderungskoalition. Der K2 fungiert als Arbeitsgruppe, die Inhalte erzeugt. Der K3 besteht aus den Mitgliedern von K1 und K2 sowie ausgewählten Führungskräften und Leistungsträgern, und zwar berufs- und hierarchieübergreifend der ersten drei Führungsebenen. Der K4 besteht aus dem „ganzen System“, und zwar aus den Mitgliedern von K1 bis K3 und einem Querschnitt der Mitarbeiter aller Berufsgruppen und Hierarchieebenen des Unternehmens. Bei einer K4-Konferenz kommen durchaus 100 bis 1000 Teilnehmer zusammen. Hier können Informationen direkt persönlich vom Vorstand vermittelt und mit interaktiven Methoden wie Open Space Technology Ideen für die Umsetzung oder Feedbacks zu Inhalten in Form einer echten dialogischen Kommunikation eingeholt werden. Wichtig ist, bei

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K1: Innerer Führungskreis (ca. 5 Teilnehmer) K2: Teilnehmer K1 + ausgewählte Führungskräfte/ Strategieteam (ca. 15 Teilnehmer) K3: Teilnehmer K2 + alle weiteren Führungskräfte/ Leistungsträger (ca. 50 Teilnehmer) K4: ganzes System (alle Mitarbeiter bzw. repräsentativer Ausschnitt)

Abb. 6.3  Vierschichtenmodell der Integration®. (Quelle: eigene Entwicklung/Darstellung; gök Consulting AG und NextHealth GmbH)

einem auf diese Weise organisierten Top-down-bottom-up-Prozess von vornherein zu klären, dass es sich nicht um gelebte Basisdemokratie handelt. Vielmehr werden „von oben“ strategische Stoßrichtungen und Leitplanken vorgegeben, durch die ein Raum entsteht, in den man die Mitarbeiter einlädt, mitzugestalten. Die Ideen und Ergebnisse werden anschließend „oben“ sortiert und über die Verwendung wird entschieden – und die Entscheidung transparent kommuniziert. So kann man in mehreren Schleifen sehr gute Ergebnisse erzielen, die von den Beteiligten auch mitgetragen werden.

6.3

Rolle des externen Beraters und Prozessbegleiters

Veränderungsprojekte haben in der heutigen Zeit sowohl an Komplexität als auch an Geschwindigkeit zugenommen, sodass viele Unternehmen nicht mehr in der Lage sind, benötigte fachliche und kommunikative Kapazitäten in den eigenen Reihen vorzuhalten. Es kann sich zudem als Vorteil erweisen, einen externen Blick auf bestimmte Fragestellungen zu erhalten, der nicht betriebsblind, durch interne Interessen belastet oder auch in die vorhandene Unternehmenshierarchie eingebunden ist. Der externe Berater ist ein zeitlicher und/oder thematischer Begleiter. Dem strategischen Berater kommt somit die Rolle des Lotsen zu, der mit verschiedenen Aufgaben dabei hilft, das Ziel einer klaren Strategie auf der Grundlage von „smarten“ Zielen zu erreichen und gleichzeitig den Prozess des Veränderungsmanagements mit geeigneten Methoden und Techniken in Gang zu bringen und zu begleiten. Der Berater begleitet die Umsetzung einer Regelkommunikation innerhalb des Entwicklungsprozesses. Der Berater ist Coach und Sparringspartner des Managements, verfügt über Benchmarks und Erfahrungen, hilft einmal gemachte Fehler nicht zur Wiederholung zu bringen und moderiert den Prozess der Strategiefindung. Auch das Expertenwissen über strategische Planung, Methoden wie Portfolio- oder Lückenanalyse, engpasskonzentrierte Strategie, Zielsysteme wie Balanced Scorecard etc. hilft, den richtigen und zur Organisation passenden Zielfindungs- und Strategieprozess zu erarbeiten und zu implementieren (Drauschke 2007, S. 335).

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Unternehmen im Gesundheitswesen profitieren von Beratungsexperten durch individuelle maßgeschneiderte Lösungen. Durch eine hohe Spezialisierung und tief greifende Branchenkenntnisse können wirksame Maßnahmen entwickelt werden. Die Vielzahl der Teilprojekte eines umfassenden Strategieprozesses braucht ein ausgereiftes Projektmanagement und Erfahrung, die verschiedenen Projektgruppen in ihren Aufgaben zu unterstützen. In Einzelfällen ist aufgrund fehlender Ressourcen oder fehlenden Know-hows auch die Abarbeitung einzelner Arbeitspakete durch den Berater möglich.

6.4

Schlussbetrachtung

Kaum eine andere Branche bewegt sich in einem so dynamischen und emotionalen Umfeld wie die Gesundheitswirtschaft und ist so stark geprägt von einem wachsenden ökonomischen Druck. Diesem Marktdruck müssen Krankenhäuser mit Professionalisierung in sämtlichen klinischen und nichtklinischen Bereichen begegnen. Damit einhergehend sind häufig strategische Neupositionierungen und Organisationsentwicklungen notwendig. Daher stehen Führungskräfte in Gesundheitsunternehmen vor der Aufgabe, attraktive zukunftsfähige Unternehmensstrategien zu entwickeln und Veränderungsprozesse im eigenen Unternehmen aktiv und zielgerichtet voranzubringen. Nachhaltige Erfolge können zudem nur dadurch entstehen, wenn das Personal von Anfang an in den Prozess einbezogen und an den Veränderungen beteiligt wird. Dazu wird häufig externes vorhandenes Best-Practice-Wissen hinzugezogen. Externe Beratungsunternehmen unterstützen Führungskräfte in diesem Entwicklungs- und Veränderungsprozess. Unternehmensberatungen benötigen somit neben dem fachlichen Wissen auch die Kompetenz, einen Prozess persönlicher und gruppendynamischer Entwicklung nachhaltig positiv zu beeinflussen und das Ergebnis zwischenmenschlichen Wirkens bestmöglich zu gestalten. Neue Unternehmensstrategien werden durch Expertenwissen entwickelt und deren Kommunikation und Implementierung durch die Prozessberater begleitet und unterstützt. Hieraus entsteht der Ansatz der ganzheitlichen Komplementärberatung. Die klassische Managementberatung mit Schwerpunkten auf Effizienz, Qualität und Wirtschaftlichkeit sowie die „systemische“ Prozessberatung mit Fokus auf die weichen Faktoren (Erleben, Mitwirkung, Motivation etc.) stellen dabei die beiden Beratungsansätze dar. Die jeweiligen Vorteile werden erschlossen und die Nachteile im jeweiligen (isolierten) Vorgehen kompensiert, sodass Synergieeffekte gehoben werden. In diesem Beratungsansatz geht es um die Entwicklung einer ganzheitlichen und nachhaltigen Zukunftsfähigkeit.

Literatur Albrecht M, Töpfer A (2006) Erfolgreiches Changemanagement im Krankenhaus. Springer Medizin, Heidelberg Debatin J, Ekkernkamp A, Schulte B, Tecklenburg A (2013) Krankenhausmanagement. Strategien, Konzepte, Methoden. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin

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Drauschke S (2007) Strategieentwicklung als Erfolgsfaktor in Gesundheitsunternehmen. In: Gesundheitsstadt Berlin e.V (Hrsg) Handbuch Gesundheitswirtschaft, Kompetenzen und Perspektiven der Hauptstadtregion. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin, S 329–336 Drauschke P, Drauschke S, Nawratil H, Ponßen H (2014) Strategieentwicklung und Changemanagement, Gelungener Turn-Around am Beispiel der Bezirkskliniken Mittelfranken. KU Gesundheitsmanagement 12:41–43 Drauschke P, Drauschke S, Albrecht M (2016) Changemanagement und Führung im Gesundheitswesen. Führung von Menschen und Management von Prozessen in der Veränderung. medhochzwei, Heidelberg Watzka K (2016) Ziele formulieren. Erfolgsvoraussetzungen wirksamer Zielvereinbarungen. Springer Fachmedien, Wiesbaden

Dipl. Vw. Pia Drauschke  und Dr. med. Stefan Drauschke haben mehr als 20 Jahre als Führungskräfte bzw. Unternehmer im Gesundheitswesen gewirkt, bevor sie die NextHealth ins Leben gerufen haben, um ihre Erfahrungen an andere weitergeben zu können. Mut und Freude an Veränderung ist ihnen eigen sowie das notwendige Wissen und Können um die achtsame Begleitung von Veränderungsprozessen. Ein ausgeprägtes Talent für Formen und Farben prädestinieren Pia Drauschke zu unserer „Art-Direktorin“, die ihr besonderes Können mit einfühlsamen bildnerischen Gestaltungen, visueller Dokumentation oder speziellen Mindmaps einsetzt. Stefan Drauschke kommt am liebsten seiner Leidenschaft nach, in Workshops und Trainings andere von seinen Erfahrungen profitieren zu lassen. Hartmut Ponßen  ist Vorstand der gök Consulting AG. Seit Beginn seiner Tätigkeit 2003 hat er die Entwicklung von gök Consulting zur einer der führenden Managementberatungen im deutschsprachigen Gesundheitswesen wesentlich mitgeprägt. Vor dieser Zeit war er Partner und Prokurist für das Zentrum für Logistik und Unternehmensplanung GmbH. Sein Studium des Wirtschaftsingenieurwesens an der TU Berlin schloss er mit den Fachschwerpunkten Logistik und Controlling als Diplom-Ingenieur ab. Zu den Spezialgebieten von Hartmut Ponßen gehören die Entwicklung von Einkaufs- und Beschaffungsstrategien, Prozessanalysen und -optimierungen, Restrukturierungen, Logistikplanungen sowie Projekt- und Interimmanagement. Seine Expertise beruht auf vielen erfolgreichen Projekten in Krankenhäusern, Krankenhausverbünden und Universitätsklinika im Inund Ausland. Dr.-Ing. Jörg Risse  ist Vorstand der gök Consulting AG. Er absolvierte sein Studium zum Di­plomWirtschaftsingenieur an der Technischen Universität Berlin. Die Promotion erfolgte mit Auszeichnung 2002. Nach Stationen als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Berlin und als Projektleiter bei der KMPG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gründete er eine Logistikberatungsgesellschaft und wurde zudem Aktionär bei der gök Consulting AG in Berlin. 2009 erfolgte die Berufung in den Vorstand. Die Schwerpunkte seiner Projekterfahrung liegen in der Strategieentwicklung und in der Restrukturierungsberatung. Diese Expertise hat er bereits in zahlreichen Projekten in Kliniken aller Versorgungsstufen und Trägerformen sowie in Universitätsklinika in Deutschland, Österreich und in der Schweiz erfolgreich eingebracht. Zudem war er als kaufmännischer Vorstand am Universitätsklinikum Halle (Saale) tätig. Jörg Risse hat Lehraufträge an der Dresden International University sowie an der Beuth Hochschule in Berlin. Er ist Verfasser von zahlreichen Veröffentlichungen in Fachbüchern und Fachzeitschriften. Er ist anerkannter systemischer Coach und begleitet Veränderungsprozesse.

7

Digitalisierung ist Kulturumbruch – Medizin im Zentrum des Wandels Konrad Rippmann

Inhaltsverzeichnis 7.1  Einleitung  7.2  Technologie als Treiber der Veränderung  7.3  Verantwortung und Führung in Medizin und Management  7.4  Zukunftsplan Medizin  7.5  Schlussbetrachtung  Literatur 

 118  119  127  129  133  133

Zusammenfassung

Die sprunghafte Entwicklung der Medizintechnik und der Digitalisierung stellt die Krankenhausbranche vor große Herausforderungen: Was wird gebraucht, um die Kliniken auch in Zukunft attraktiv zu halten, und zwar nicht nur für die immer selbstbewusster werdenden Patienten, sondern auch für die Mitarbeiter, ohne die eine hohe Qualität der Versorgung nicht gewährleistet werden kann? Da ist es nicht damit getan, die begrenzten Mittel irgendwie für eine Klinik-App oder ein anders digitales „Tool“ auszugeben. Zunächst gilt es, die bestehenden Hindernisse auf dem Weg zur Modernisierung zu identifizieren und strukturiert anzugehen. Ein Kulturwandel im Krankenhaus ist nötig – und er ist möglich. Es wird gezeigt, dass Digitalisierung „Mannschaftssport“ ist und dass wir nur mit transparenten, nachvollziehbaren und motivierenden Maßnahmen die Veränderung meistern können. Dazu gehört es auch, die bisherigen Führungsmodelle zu hinterfragen. Der Zukunftsplan Medizin gibt eine wichtige Hilfestellung dabei, die Weichen in Richtung konsequenter Modernisierung zu stellen, indem er t­ raditionelle betriebswirtschaftliche Instrumente mit einem zwischen Medizin und Management neu justierten Aufgaben- und Rollenverständnis kombiniert. K. Rippmann (*) LOHMANN konzept GmbH, Hamburg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), Consulting im Gesundheitswesen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25479-7_7

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7.1

K. Rippmann

Einleitung

Das Geschäftsmodell Krankenhaus war 150 Jahre lang erfolgreich – und seine Führungsverantwortlichen mit ihm: Chefärzte und Direktoren genossen die beschützten Bedingungen eines regulierten Gesundheitssystems, waren gesellschaftlich anerkannt und wurden von den wirtschaftlichen und sozialen Umbrüchen, denen die übrige Gesellschaft ausgesetzt war, kaum berührt. Erst die Einführung der DRGs, welche die Finanzierung der Krankenhausleistungen neu ordnete, führte zu Veränderungen, die aber mehr Anpassungen waren. Der eigentliche Wandel steht dem Geschäftsmodell Krankenhaus noch bevor. Drei Treiber beschleunigen diesen Prozess: der technologische Fortschritt, der wachsende Einfluss der Patienten und der Mangel an qualifiziertem Personal. Die Verbindung zwischen diesen durchaus unterschiedlichen Treibern ist ein wertvolles Gut, welches der technologische Fortschritt der letzten Jahre erst zugänglich gemacht hat: Gesundheitsdaten. Daten, Daten, Daten: ein stetig wachsender Strom von Informationen, generiert aus unterschiedlichen Quellen. Von der Wearables an den Handgelenken über EKG- und Laborwerte in den Arztpraxen bis zu den Leistungsdaten in den Data Warehouses der Kliniken. Ein großer Teil dieser Informationen hat einen eindeutigen Eigentümer: Sie gehören den Patienten. Und bei denen wächst das Bedürfnis, damit ihre Rolle als Mitentscheider und Mitgestalter im Medizinprozess aktiver als bisher wahrzunehmen. Ob dies am Ende zu einer wirklichen Souveränität führt, bleibt abzuwarten, zu ungleich sind bisher die Ausgangspositionen und Zugänge zu Wissen und Informationen. Die Digitalisierung hat jedoch zu einer neuen Fokussierung und Priorisierung geführt: Mehr denn je ist klar, dass das Kerngeschäft in den Kliniken die Medizin ist – und nicht die Verwaltung, der Einkauf, die Speisenversorgung oder alle anderen Leistungen, um die sich die Ökonomen in den Kliniken gerne gekümmert haben. Denn eines ist klar: Die Digitalisierung wird die Transparenz und Vergleichbarkeit der medizinischen Leistungen und ihrer Qualität ganz wesentlich fördern und damit den Wettbewerb unter den Kliniken weiter intensivieren. Diese Entwicklung macht eine neue Art der Zusammenarbeit zwischen Medizin und Management im Krankenhaus erforderlich: Medizin, Pflege und Ökonomen müssen in enger Abstimmung Strategien entwickeln, wie sie sich und ihre Klinik in Zukunft aufstellen wollen, wo sie Akzente setzen können, um sich damit mit ihren Leistungen im Wettbewerb zu behaupten. Der Masterplan Medizin ist dafür ein Instrument, welches allen an der Klinik beteiligten Berufsgruppen ermöglicht, an ihrer Zukunft zu arbeiten (Rippmann 2016c). Er nutzt die Vorteile der Digitalisierung und treibt den Wandel. Denn auch dies ist klar: Wir brauchen eine veränderte Kultur der Zusammenarbeit im Krankenhaus, jenseits des überkommenen Rollenverständnisses der Berufsgruppen. Den Kulturwandel zu strukturieren und kontrolliert zu gestalten, liegt in der besonderen Verantwortung des Krankenhausmanagements. Der medizinische Masterplan kann dafür die notwendige methodische Unterstützung liefern.

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Technologie als Treiber der Veränderung

Veränderung als Chance? Diese Einschätzung wird in vielen Lebens- und Arbeitsbereichen nicht unbedingt geteilt – und die Krankenhauswelt macht da keine Ausnahme. Das erscheint paradox, denn gerade in den Kliniken, wo die Arbeitszufriedenheit in den letzten Jahren dramatisch zurückgegangen ist, wird doch ein positiver Wandel gefordert und erwartet. Wenn dann allerdings konkrete Maßnahmen zur Veränderung der Arbeitsbedingungen anstehen, fördert das spontanen und anhaltenden Widerstand. Das gilt besonders für die Digitalisierung der Arbeitswelt. Und auch hier ein Paradox: Zum Beispiel sind Mitarbeiter der Pflege in ihrem persönlichen Umfeld durchaus technologieaffin, sie nutzen wie die Mehrheit der Bevölkerung die Vorzüge der sozialen Medien und haben kein Pro­ blem damit, sich beinahe täglich eine neue App auf ihr Smartphone zu ziehen, mit dem Ziel, ihr Leben angenehmer und bequemer zu machen. Es wird gemailt, getwittert und gewhats­ appt  – sobald aber die gleichen Menschen in ihrer Arbeitsumgebung im Krankenhaus angekommen sind, wird eine Patientenliste wieder auf einem kleinen Stück Papier notiert, werden Post-its an Fensterscheiben geklebt. Versuchen, die klinischen Prozesse zu digitalisieren, wird kritisch begegnet, und das nicht nur vonseiten der Pflege, sondern meist auch von den Medizinern. Die Gründe für Skepsis oder unverhohlene Abwehr sind vielfältig, müssen aber verstanden werden, um den Wert des Wandels neu und positiv zu besetzen. • Gemischte Erfahrungen mit (Informations-)Technologie IT im Krankenhaus ist keine Erfolgsgeschichte. Meist wird sie mit dem Thema KIS gleichgesetzt. Krankenhausinformationssysteme werden eher als notwendiges Übel, denn als Unterstützung wahrgenommen. Nicht zuletzt haben die KIS-Anbieter selbst dazu beigetragen: Sie versprachen den Nutzern, die Leistungen ihrer Systeme genau auf die bestehenden Prozesse in den jeweiligen Kliniken anzupassen. Das gut gemeinte und teure Customizing nutzte die Technologie nicht, um positive Veränderung zu erzeugen. Vielmehr „digitalisierte“ sie die bestehenden, teils chaotischen Abläufe und erzeugte damit das Garbage-in-garbage-out-Phänomen: Was dabei an Prozessgewinn herauskam, war dürftig, oft geradezu frustrierend, mit dem Ergebnis, dass die Oberschwester und der Oberarzt wieder zu ihren Zetteln griffen und wie zuvor mit der ­rettenden Mischung aus Erfahrung, Autorität und Detailkompetenz den Apparat am Leben erhielten. Ein unstrukturierter Prozess wird nicht besser, wenn er in IT abgebildet wird, im Gegenteil, er verkompliziert und verlangsamt sich. Da ist das klassische Prozesswissen der Fachkräfte meist schneller mobilisiert und rettet die Situation. • Mangelhafte Kommunikation Wenn Veränderung per se schon keine Erfolgsgarantie ist, dann verliert sie durch schlechte Kommunikation noch weiter an Fahrt. Die Mitarbeiter erwarten, gerade weil sie mit sogenannten Innovationen nicht immer gute Erfahrungen gemacht haben, im Vorfeld der Einführung neuer Technologie eine umfassende und gut aufgearbeitete Information: nicht nur zum Funktionieren der neuen Tools und zum Einfluss auf ihre jeweilige Tätigkeit und Rolle, sondern vor allem auch zum Ziel der Maßnahme.

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Oft wird mit Neuerungen der Verdacht der Einsparung oder allgemein der „Ökonomisierung“ in Verbindung gebracht und die Akzeptanz fehlt von vornherein. Eine nachvollziehbare und überzeugende Darstellung der Ziele vermeidet nicht nur die frühzeitige Bildung von „Antikörpern“ gegen Innovation, sondern erleichtert auch die spätere Einführung und konkrete Umsetzung am Arbeitsplatz. • Fehlende Partizipation Kommunikation ist gut, dabei sein ist besser: Klinikmitarbeiter sind die Träger des Detailwissens um hochkomplexe Abläufe und Entscheidungsprozesse. Werden diese nicht systematisch einbezogen, besteht das Risiko, dass dem Klinikbetrieb im Lauf des Veränderungsprozesses das wesentliche „Herrschaftswissen“ verloren geht. Und Fachkräfte sind deutlich besser motiviert, sich geplante Innovationen einmal genauer anzusehen, wenn sie von Anfang an in den Strategie- und Auswahlprozess einbezogen werden. Beteiligt zu sein, fördert im Lauf der Einführung die Bereitschaft, sich selbst und sein Team nachhaltig für einen Erfolg einzusetzen, da das Projekt „zur eigenen Sache“ geworden ist. Auch die Bereitschaft, den mit der Einführung von Neuerungen immer verbundenen erhöhten Aufwand an Zeit und Energie zu „opfern“, steigt. • Transparenz Cui bono? Wem nützt das? Diese Frage ist Fluch und Segen für Innovation zugleich. Aber sie ist der Kern des Wandels. Wenn es nicht gelingt, den Beteiligten sowohl den direkten Nutzen als auch indirektere und weitergehende Auswirkungen der Maßnahmen klarzumachen, ist das Scheitern vorprogrammiert. In der Vergangenheit wurden viele Nutzenversprechen als unbegründet, falsch oder, schlimmer noch, unehrlich erlebt. In der Transparenz liegt häufig noch ein tieferer, meist verdeckter Kern des Widerstands: Wird befürchtet, dass durch den Einsatz der Digitalisierung die Einordnung der eigenen Leistung erfolgen kann, gar eine Vergleichbarkeit entsteht, führt das bei vielen nicht zu Begeisterung. Sie verteidigen bewusst oder unbewusst ihre „Nische“ und diffamieren dann z. B. auch einmal das Controlling, in Verbindung mit der breiten Kommunikation von Benchmarkdaten als Johnny Controlletti. Positiv besetzt ist das Thema ­Transparenz allerdings bei den Mitarbeitern, die sich dadurch eine bessere Chance ausrechnen, ihre Leistungsbereitschaft zu beweisen und sich für die Weiterentwicklung ihres Bereichs und der Klinik einzusetzen. • Angst vor Machtverlust Viele Innovationen und technologische Veränderungen bieten das Potenzial, die bisherigen Rollen und Aufgaben zu überdenken. Auch dies wird von manchen eher als Gefahr denn als Chance gesehen. Hat das bereits angesprochene „Herrschaftswissen“ für einzelne Führungskräfte zu einer soliden Machtbasis beigetragen, kann sich das durch die Einführung optimierter und transparenter Abläufe dramatisch ändern. Auch fachlich birgt die Digitalisierung Bedrohungspotenzial. Aktuell wird der mittelund langfristige Einfluss von Big Data auf die medizinische Diagnostik und Entscheidungsfindung heftig diskutiert. Viele Ärzte sehen dem Einsatz entsprechender Instrumente

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mit Skepsis entgegen, indem sie weniger die Assistenzfunktion als vielmehr das Streben nach dem Ersatz von Ärzten wahrnehmen. Das kurzfristige Scheitern von IBM Watson in Deutschland bei den Rhön-Kliniken und in spezialisierten Krebszentren in den USA ist nicht zuletzt auch hierin begründet. Diesen Risiken systematisch zu begegnen, ist sicher die Voraussetzung dafür, den Wandel, unterstützt durch die Digitalisierung, auf den Weg zu bringen, um am Ende spürbare Verbesserungen für Patienten, Mitarbeiter und die Kliniken zu erreichen und vor allem dauerhaft zu etablieren. Die entsprechenden Maßnahmen hierfür sind erprobt und vertraut: Informationsveranstaltungen, Schulungen, Motivationstrainings, Einzel- und Teamcoachings … Aber reicht das aus? In der Praxisreflexion der Krankenhausberatung muss das oft mit Nein beantwortet werden. Auf die Nachfrage nach den eigentlichen Gründen des Scheiterns, werden diese weniger mit Mängeln in Strategie, Ressourcen oder Projektorganisation in Verbindung gebracht, sondern mit der herrschenden Kultur. Was zeichnet die Klinikkultur aus und warum ist sie so hinderlich für einen nachhaltigen Wandel? • Tolle Medizin und mieses Geld Das Rollenverständnis besonders der Mediziner hat sich im Lauf der immer stärkeren Ökonomisierung neu akzentuiert. Waren nach Einführung der DRGs Medizin und Management zunächst zusammengerückt und suchten nach gemeinsamen Lösungen, werden die Gräben zwischen den Berufsgruppen jetzt wieder tiefer (Rippmann 2016b). Die Mediziner fordern immer deutlicher, dass ihnen die geforderten Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, damit sie gute Behandlungsqualität liefern können. Das ist im Prinzip richtig, stößt aber dann an Grenzen, wenn, wie zumindest längerfristig absehbar, die Mittel aus dem Sozialtransfer in das Gesundheitswesen knapper werden. Dann bekommt der Ressourceneinsatz durchaus eine ethische Komponente. Dass Verschwendung unethisch ist, wirkt in der Diskussion mit den Medizinern aber zurzeit eher als Reizwort. • Mythos der individualisierten Medizin Oft wird das Thema Digitalisierung und Technologie mit dem in der Medizin negativ besetzten Begriff der Industrialisierung in Verbindung gebracht, entsprechende Maßnahmen als „Kochbuchmedizin“ diffamiert. Vielmehr gilt das Postulat, jeden Patienten individuell zu diagnostizieren und zu behandeln. Dagegen ist selbstverständlich nichts einzuwenden, wenn die dahinter liegende Realität nicht eine andere wäre: In Wahrheit bezieht sich die Individualität weniger auf die Patienten und ihre unterschiedliche Befindlichkeit, sondern vielmehr auf die Heiler (Lohmann und Rippmann 2017). Jeder hat schon einmal erfahren, dass er für ein und dasselbe gesundheitliche Problem ganz unterschiedliche Lösungsvorschläge angeboten bekommt, je nachdem, welche und wie viele Spezialisten er hierzu konsultiert hat.

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• Veränderung Ja, aber bitte nicht in meiner Umgebung So technologieaffin viele Klinikmitarbeiter in ihrem privaten Umfeld sind, so zögernd begegnen sie entsprechenden Instrumenten in ihrer Arbeitsumgebung. Meist sehr kritisch beziehen sie Position und stellen durchaus die richtigen Fragen: Wozu soll das sein? Wo liegen die Vorteile im Vergleich zum Bestehenden? Und vor allem: Was kommt für mich dabei heraus? Werden diese Fragen nicht rasch und schlüssig beantwortet, ist der Widerstand vorprogrammiert. Dazu kommt ein weiterer Killerfaktor gegenüber Neuerungen: die „Projektitis“. In fast allen Krankenhäusern wurde in den letzten Jahren eine Vielzahl von Reorganisationsprojekten begonnen, oft in Verbindung mit IT. Die Ergebnisse waren nicht immer überzeugend, aber immer sind die Projekte einhergegangen mit hohem Einsatz und Engagement der Mitarbeiter, oft auch über die Regelarbeitszeit hinaus. Das hinterlässt ein Gefühl von Ernüchterung und belastet die Unternehmenskultur  – eine besondere Gefahr für das Geschäftsmodell Krankenhaus, basiert dieses doch seit jeher auf dem außerordentlichen Engagement der klinischen Mitarbeiter und ihrer trotz aller Belastung immer noch vorhandenen altruistisch hohen Motivation. Was also ist zu tun? Eines ist klar: Die Entwicklung muss viel tiefer ansetzen als nur auf der Ebene der Organisation und Technik, nichts weniger als ein Kulturwandel im Krankenhaus ist erforderlich. Er ist, neben dem organisatorischen und technologischen Kern der Strategien und Maßnahmen, der eigentliche Erfolgsfaktor für Modernität. Elemente, die dazu beitragen, sind: • Strukturierte Medizin statt Improvisationstheater Im Behandlungsalltag an deutschen Krankenhäusern treffen die Patienten auf eine hohe Variabilität: Für ein und dasselbe medizinische Problem erhalten sie – je nach vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen – am Montag eine andere Medizin als am Donnerstag und von Facharzt A eine andere Behandlung als von Facharzt B. In der Folge kann das nicht nur unangenehm für den Patienten werden. Diese Variabilität ist auch ein Hauptrisikofaktor für die Optimierung der Behandlungsabläufe. Kommt es nämlich zu einer Digitalisierung dieser Variabilität, ist das Ergebnis das gleiche Chaos wie zuvor. Daher ist es so wichtig, sich, bevor teure Maßnahmen zur Digitalisierung getroffen werden, darüber klar zu werden, was eigentlich getan werden soll – die Strukturierung der Medizin ist das Gebot der Stunde. Mit allen beteiligten Disziplinen und Berufsgruppen abgestimmte klinische Abläufe sind die Grundlage für einen nachvollziehbaren klinischen Workflow. Dann, erst dann, wird er seine positive Wirkung entfalten und das tägliche Improvisationstheater, das Mitarbeiter und Kliniken so viel Kraft und Ressourcen kostet, beenden. • Bekenntnis zur Topleistung statt Herrschaft des Mittelmaßes Die Krankenhauskultur der Zukunft muss Raum für die Förderung von Leistung gewähren. Immer mehr junge, aufstrebende Chefärzte, die den Patienten exzellente Leistungen anbieten und gleichzeitig ihre Teams entwickeln und fördern, beschweren sich darüber,

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dass anderen, weniger zukunftsorientierten Kollegen die gleichen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. In einer Kultur der Leistungsbereitschaft setzen sich Führungskräfte aus Medizin und Management zusammen und entwickeln neue Kriterien der Leistungsbemessung, die über die üblichen Zielvereinbarungen hinausgehen, welche sich meist auf Fallzahlen und CMI fokussieren. Eine solche neue Kennzahl könnte z. B. messen, wie viele Bewerbungen für Fach- und Oberarztstellen ein Chefarzt erhält. • Digitalisierung ist Mannschaftssport Technologiegetriebene Projekte scheitern oft an unzureichender Kommunikation und Partizipation. Damit verschenken viele Kliniken nicht nur den Projekterfolg und verlieren viel Geld, sondern sie verzichten auch auf wertvollen internen Input und hauseigene Best Practice. Ein gutes Digitalisierungsprojekt bezieht alle am Prozess beteiligten Berufsgruppen und Hierarchieebenen mit ein  – und das am besten noch im Vorfeld der Entscheidung für oder gegen die Anschaffung eines Tools. Wird die Entscheidung nur vom kleinen Kreis der Geschäftsführung und ggf. IT-­ Leitung getroffen, kann sich die „Basis“ später darauf zurückziehen, nicht gefragt worden zu sein, der Widerstand ist praktisch programmiert. Sitzen aber Stationsleitung, Assistenz- und Fachärzte sowie Mitarbeiter aus dem Controlling und der Technik mit am Tisch, entsteht nicht nur eine andere Betroffenheit, sondern auch ein Respekt und Gefühl für den fachlichen Input, den Nutzen, den jeder in der „Projektmannschaft“ einbringt. Der Erfolg wird dann viele Väter und Mütter haben und als „Mannschaftsleistung“ viel nachhaltiger sein. • Modernisierung erfordert angemessene Investition Was ist eigentlich die Digitalisierung? Oft wird sie verwechselt mit IT.  In Wahrheit greift sie aber viel tiefer ein in die klinischen Abläufe und wird den wirtschaftlichen und qualitativen Output der Kliniken entscheidend beeinflussen. Das findet derzeit kaum Ausdruck in der strategischen Positionierung des Themas Digitalisierung in den Kliniken – und in der entsprechenden Einstellung finanzieller Mittel für die Realisierung. In den USA ist es üblich, auch in den Kliniken, dass bis zu 10 % des Jahresumsatzes in die Digitalisierung gesteckt werden. In Deutschland sind dagegen 2 % schon viel – und dieses Geld muss auch noch herhalten, die bestehende KIS-IT-Landschaft zu unterhalten (Heitmann 2018). Dieses Missverhältnis ist den meisten Geschäftsführern bewusst. Und zumindest einige von ihnen wären durchaus bereit, mehr zu investieren – würden sie nur den Wald vor lauter Bäumen sehen. Das Angebot an „digitalen Lösungen“, das den Führungsverantwortlichen täglich auf den Schreibtisch flattert, ist schlicht unübersehbar und oft fehlt es den Entscheidern an Orientierung. Hier sind die Fachberater gefragt, gemeinsam mit den Nutzern digitale Roadmaps zu entwickeln, um Licht in das Angebotsdickicht zu bringen, Bedarfe und Prioritäten abzuleiten und das Notwendige gegen das „nice to have“ abzugrenzen. Und sie müssen den Verantwortlichen klarmachen, dass echte Modernisierung nicht aus dem bisherigen IT-Budget zu finanzieren ist.

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• Vorbereiten auf den „neuen“ Patienten In einer kürzlich geführten Diskussion mit Klinikmanagern zum Thema Digitalisierung wurde der Vorschlag gemacht, doch analog zu Booking.com den Patienten eine Möglichkeit zu bieten, sich von zu Hause aus digital in die Klinik einzubuchen. Die ärztliche Seite argumentierte dagegen und beschrieb ihre Patienten als wenig affin zu entsprechenden Technologien. Das mag zurzeit noch so sein. Die aktuelle Altersgruppe, die die meisten Patienten in den Krankenhäusern stellt, ist 70+. Menschen in diesem Alter entstammen der Kriegsgeneration oder wurden kurz danach geboren. Sie sind aufgewachsen in einer Zeit des Mangels und der Bescheidung. Entsprechend ist ihre Erwartungshaltung gegenüber „sozialen Einrichtungen“, zu denen sie auch die Krankenhäuser zählen. Sie erdulden den dort herrschenden Betrieb klaglos und sind meist zufrieden mit dem, was sie dort bekommen. Das ändert sich gerade grundlegend: Die nächste Generation ist die Nachkriegsgeneration und auf sie folgen mit 60+ die Babyboomer. Sie sind unter gänzlich anderen Bedingungen aufgewachsen, haben schon in ihrer Kindheit Wirtschaftswunder, Konsum und Wahlmöglichkeiten erfahren. Das wird sich auch auf ihre Ansprüche in der Krankenversorgung auswirken, und das nicht nur hinsichtlich Qualität und Komfort. Auch der bisher vonseiten der Medizin eher fachautoritäre Umgang mit ihnen – was in den Begriffen „Einweisen“, „Überweisen“ und „Zuweisen“ deutlich zum Ausdruck kommt – wird sich ändern müssen in der gleichen Weise, wie sich Patienten an der Entscheidung, wem sie die Lösung ihrer gesundheitlichen Probleme überlassen, beteiligen wollen. Und letztlich wird dazu auch gehören, den Menschen z. B. einen digitalen Zugang zu Aufnahme- und Entlassungsprozessen zu gewähren, so wie sie es längst aus allen anderen Lebensbereichen gewohnt sind, nur eben nicht im Krankenhaus. • Vorbereiten auf den „neuen“ Mitarbeiter Ohne gute Mitarbeiter keine gute Medizin und ohne Qualität keine Zukunft am Markt. Diese Logik ist banal, beschäftigt aber zunehmend die Führungsverantwortlichen im Krankenhaus. Das hat auch die Politik als Thema für sich entdeckt. Aber Personalmindestgrenzen festzulegen, erzeugt zwar öffentlichen Eindruck, schafft aber keine einzige besetzte Stelle. Wer Erwartungen und Forderungen an die Politik stellt, wird Paragrafen ernten. Die Kliniken selbst sind gefragt und in der absoluten Pflicht, Arbeitsbedingungen und Arbeitsräume so zu gestalten, dass sie auch in fünf oder zehn Jahren noch attraktiv für die immer rarer werdenden Spezialisten sind. Bisher halfen Umzugshilfen, Kinderbetreuung und Unterstützung bei der Wohnungssuche so leidlich. Jetzt ist der Veränderungsbedarf am Arbeitsplatz selbst akut. Strukturierte, workflowbasierte Arbeitsabläufe sind erforderlich, um die knappen Personalressourcen nicht fehlzusteuern und mit Blutröhrchen oder Befundzetteln über das Gelände zu schicken.

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Die Mitarbeiter erwarten, wieder Raum und Zeit zu finden, um sich auf die Zuwendung zum Patienten zu konzentrieren. Nur das wird schlussendlich auch die Arbeitszufriedenheit erhöhen – die absolute Voraussetzung dafür, die vorhandenen Mitarbeiter zu halten und neue für eine hoffentlich bald wieder attraktive Tätigkeit im Krankenhaus zu gewinnen. Eine neue Welle der Regularisierung durch die Politik wird dazu wenig beitragen, gelingen kann es dagegen durch die Einführung moderner, gemeinsam mit den Mitarbeitern entwickelter, technologisch unterstützter Arbeitsabläufe. Die größte Chance für den Wandel liegt in der Technologie selber, im enormen Zukunftspotenzial der Digitalisierung. Wie beschrieben, war in der Vergangenheit das Nutzenversprechen der Technologie das größte Problem: Es wurde in den meisten Fällen nicht gehalten, Enttäuschung und Abwendung von der Technik waren und sind die Folge. Das hat sich geändert. Big Data und digitale Pattformtechnologien bieten endlich die Möglichkeiten, die bisher nur angekündigt wurden. Einige Beispiele: Das Start-up-Unternehmen NursIT verspricht, den Dokumentationsaufwand für die Pflege deutlich zu reduzieren – und hält dieses Versprechen sogar. Ganz konkret ist der digitale Workflow dieser Firma in der Lage, den Dokumentationsaufwand in der Pflege von 80 min auf 8 min pro Tag und Patient zu reduzieren. Das ist Reorganisation, die sich nicht irgendwann in der Zukunft manifestieren könnte, sondern sofort. Die Auswirkungen hinsichtlich Akzeptanz und Motivation lassen sich leicht ausmalen. Die Firma SPI aus Leipzig, ebenfalls ein Start-up, geht noch weiter: Sie digitalisiert schlicht alle klinischen und medizinischen Prozesse im Krankenhaus, sofern es sich um planbare Eingriffe in der Chirurgie handelt. Ausgehend von der AQUA-Klinik in Leipzig, einem Spezialanbieter für HNO-Eingriffe, wurden digitale Workflows für eine Vielzahl operativer Indikationen entwickelt. Im Ergebnis führt das dazu, dass am Montag in der Klinik die gleiche Medizin angeboten wird, wie am Donnerstag, dass Facharzt A den entsprechenden Eingriff genauso ausführt wie Facharzt B. Voraussetzung dafür war allerdings ein aufwendiger Prozess der Abstimmung unter den beteiligten Chirurgen mit dem Ergebnis einer strukturierten (nicht: standardisierten, denn Abweichungen sind immer möglich) Medizin. Der bisherige Erfolg und das Zukunftsversprechen der Software von SPI lockte mittlerweile einen der größten Anbieter von Produkten und Lösungen rund um die operative Medizin an: Johnson & Johnson medical kaufte Ende 2017 das kleine Start-up und ebnet ihm nun den Weg in den Weltmarkt. Bereits 2016 wagte Vinod Khosla, ein Investor in innovative Medizinlösungen, die Prognose, dass „in einigen Jahren“ Algorithmen aus dem Bereich künstliche Intelligenz bis zu 80 % der ärztlichen Tätigkeit ersetzen könnte (Khosla 2018). Jedoch nicht mit dem Effekt, Ärzte zu ersetzen, sondern ihnen vielmehr den durch die tägliche Routinearbeit in den Kliniken verstellten Blick auf die Patienten wieder freizumachen. Mit solchen und ähnlichen Pauschalstatements wird allerdings mehr Schaden als Nutzen gestiftet, werden eher

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Schlagzeilen in der Presse und in den sozialen Medien generiert als echte Perspektiven eröffnet. Ein konkretes, besonders aussichtsreiches Feld, in dem die Digitalisierung bereits jetzt ihre Wirkung entfaltet, ist das Wissensmanagement. Medizinisches Wissen auf Topniveau nicht nur in wenigen Zentren oder Unikliniken vorzuhalten, ist die Voraussetzung dafür, gute Medizin für alle in Zukunft auch in der Fläche anbieten zu können. Kleinere Krankenhäuser mit entsprechend reduzierten Teams tun sich oft schwer damit, ihren Mitarbeitern eine kontinuierliche Fortbildung zu garantieren. Und es gibt immer noch den Oberarzt, der das Thema Fortbildung als seinen Hoheitsbereich betrachtet und diesen eher zur Absicherung seiner Stellung denn als Qualitäts- und Qualifizierungsinstrument nutzt. Im „war for talents“ können sich Mitarbeiter ihren Arbeitgeber inzwischen aussuchen und sie treffen diese Auswahl nach Kriterien, an die sich viele Chefs und Geschäftsführer erst noch gewöhnen müssen. So kommt es z. B. vor, dass ein frisch approbierter Arzt, der seine erste Assistentenstelle antritt, seinen zukünftigen Arbeitgeber danach fragt, ob er denn AMBOSS vorhalte. AMBOSS ist ein digitales Wissensmanagementsystem, welches der junge Arzt bereits während seines Studiums kennengelernt hat, als er sich auf seine Prüfungen vorbereitete und bestimmte Inhalte und medizinische Themenkomplexe auch jenseits der universitären Vorlesungen und Kurse vertiefen konnte. Dieses Tool steht auch in einer Version zur Verfügung, die Klinikärzten am jeweiligen „point of care“, sei es in der Notaufnahme oder bei der Visitenvorbereitung, Informationen zu Krankheitsbildern, Laborparametern oder Behandlungspfaden gibt. Es ist gut, einen erfahrenen Oberarzt im Hintergrund zu haben, als noch besser wird aber empfunden, selbst aktiv nach Lösungen suchen zu können und damit nebenbei seinen Wissensstand zu überprüfen und zu aktualisieren. Oder ein Facharzt wechselt seine Stelle, um eine Position als Oberarzt anzunehmen. Er könnte seinen Geschäftsführer danach fragen, ob er ihm UpToDate zur Verfügung stellen kann, das digitale Wissensmanagementtool der Firma Wolters Kluwer. Dies hilft erfahrenen Medizinern dabei, ihre diagnostischen und therapeutischen Entscheidungen zu überprüfen und ggf. zu optimieren, indem sie auf die aktuellsten Publikationen zugreifen können und auf ihre Frage eine exakte, digital-redaktionell aufbereitete Antwort bekommen. Diese unterscheidet sich hinsichtlich Qualität und Verlässlichkeit deutlich von dem, was eine Google- oder Wikipedia-Recherche liefern kann. Und nebenbei hilft es dem Facharzt, Akzente für seinen nächsten wissenschaftlichen Vortrag zu setzen oder eine klinikinterne Fortbildungsveranstaltung vorzubereiten. Vor allem aber hilft das dem Patienten. In Studien wurde nachgewiesen, dass der Einsatz klinischer Wissensmanagementin­ strumente dazu beiträgt, die in vielen Kliniken vorhandene Behandlungsvariabilität zu reduzieren und es damit zu ermöglichen, dass der Patient am Montag die gleich gute Therapie bekommt wie am Donnerstag und von Facharzt A die gleiche Empfehlung erhält wie von Facharzt B.

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Glücklich der Geschäftsführer, der seinen vielversprechenden Bewerbern eines oder besser noch beide dieser Instrumente zur Unterstützung ihrer Arbeit und zum Wohle der Patienten zur Verfügung stellen kann. Den Ausdruck der Wertschätzung gegenüber dem Mitarbeiter zu verbinden mit positiven Effekten auf die Klinikprozesse und die Wirtschaftlichkeit – genau das sind Beispiel dafür, wie digitale Instrumente ihr Nutzenversprechen halten können und damit positiv auf die Arbeitskultur im Krankenhaus einwirken. Dass damit auch die Behandlungsqualität steigt, ist ein weiterer Wettbewerbsfaktor. In der Zukunft werden Kliniken damit werben, wie sie das Wissen ihrer Ärzte auf dem letzten Stand halten, und eine Klinikgruppe mit mehreren kleineren Einheiten in einer Region kann glaubhaft vermitteln, dass sich ihre Patienten überall auf die gleiche Qualität verlassen können.

7.3

Verantwortung und Führung in Medizin und Management

Die Mehrheit der Klinikärzte erkennt durchaus die Vorteile einer engen Verbindung zwischen Medizin und Ökonomie und nutzt sie für sich und ihre Patienten (Rippmann 2017). Aber obwohl das Kerngeschäft in der Gesundheitswirtschaft natürlich die Medizin ist, verantwortet von den Heilberufen, obliegt es vor allem in den Krankenhäusern nach wie vor fast vollständig den Ökonomen, die wirtschaftlichen Zusammenhänge herzustellen und deren Konsequenzen einzufordern, vor allem in Zeiten knapper werdender Mittel. Und so ist zu beobachten, dass nach anfänglichem Schulterschluss erneut eine Spaltung zwischen Medizin und Management auftritt. Warum tun sich Ärzte so schwer, hier eine sachliche und am Ergebnis orientierte Position einzunehmen? Wie gesagt, die Kultur: Nach wie vor werden Ärzte, besonders in den deutschsprachigen Ländern, als alleinentscheidende, souverän handelnde, nur ihren ethischen Grundsätzen verpflichtete, gesellschaftlich hoch angesehene „Individualwissenschaftler“ sozialisiert. Seine Entscheidungen trifft der Mediziner in einem einzigartigen Gewebe aus Wissen, trainierten Fähigkeiten und vor allem Intuition – „Heilkunst“ eben. Um gleich einem Missverständnis vorzubeugen: Dies wird nicht kritisiert, es bietet die Grundlage für die Fähigkeit, eigenständig und schnell die richtigen Entscheidungen für die Patienten zu treffen. Ohne Folgen bleibt diese kulturelle Textur aber nicht. Zweifel oder Modifikationen an dieser basalen Sozialstruktur werden schnell als Souveränitätsverlust, als Unsicherheit, mithin als Schwäche ausgelegt. Eine solche Abweichung stellt für viele Ärzte die Beschäftigung mit ökonomischen Zusammenhängen dar. Und im Dialog mit dem Krankenhausmanagement oder auch in der öffentlichen Positionierung wird der Umgang mit Zahlen und Finanzen sogar oft als unethisch abqualifiziert. Diese Neigung wird noch zusätzlich befördert durch die spezifisch deutsche Kultur korporierter Berufs-, Fachgesellschafts- und Interessensverbände. Es wäre eine Illusion anzunehmen, eine Veränderung der Ausbildung, der interprofessionellen Zusammenarbeit oder gar des ganzen Mindset der Ärzte könnte dazu führen, hier

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etwas zu verändern. Natürlich wird es immer Ausnahmen geben und viele Ärzte mit „Doppelbegabungen“, welche eine Karriere als Mediziner und Wissenschaftler mit einem erfolgreichen „Businessmaster“ verbunden haben, sind der Beweis dafür. In der Realität wird es aber Aufgabe der Ökonomen bleiben, ihren gesundheitswirtschaftlichen Verstand und ihre Erfahrung im Management von Krankenhäusern zusammenzubringen mit dem „Genie“ ihrer Ärzte. Ist das polemisch? Nein, vielmehr soll dies befreien und dazu führen, dass jede Berufsgruppe im Krankenhaus das tut, was sie am besten kann. Wobei den Managern hierbei eine größere Verantwortung als bisher zukommt: Um ihre Ärzte z. B. bei größeren Optimierungen und Anpassungen mitzunehmen, ist es erforderlich, dass sich die Ökonomen mehr als bisher mit der spezifischen Medizinkultur auseinandersetzen, dass sie sich zutrauen, tiefer in das eigentliche Kerngeschäft Medizin mit einzusteigen. Warum sollen sie dazu nicht einmal in der Woche eine Visite begleiten, in den OP gehen oder einen Schichtdienst in der Notaufnahme mitmachen? Das ist deshalb so wichtig, weil gerade in diesen ressourcenintensiven Bereichen besondere Chancen liegen, durch die Digitalisierung Arbeitserleichterungen zu schaffen. Mediziner und Ökonomen gestalten den Wandel gemeinsam Den Wettbewerb um die Patienten und die Mitarbeiter zu gewinnen und die erlangte Marktposition langfristig zu sichern, ist die Herausforderung. Das kostet Geld: Mittel für zukunftssichernde Investitionen in moderne Medizintechnik, digitalen Support und vor allem in die richtigen Spezialisten. Umso wichtiger wird es daher, einen belastbaren Zukunftsplan zu haben, der medizinische mit ökonomischen Aspekten verbindet, wie die zwei Seiten ein und derselben ­Medaille. Dazu müssen Mediziner sich darauf einlassen, mit den Managern an einem Tisch zu sitzen. Doch nicht widerwillig und von oben herab, sondern auf gleicher Augenhöhe, konstruktiv, aber auch selbstbewusst und durchaus fordernd, wenn es um die Belange einer guten Medizin geht. Damit dieser Prozess kein bloßes Machtspiel und Kräftemessen ist, wie es an vielen deutschen Kliniken praktiziert wird, braucht es eine Methodik, die transparent und für alle nachvollziehbar ist. Gegenseitiger Respekt zwischen Medizin und Management allein reicht nicht. Es lohnt sich, darüber nachzudenken, ob die bisherigen Karriere- und Führungsmodelle im Krankenhaus noch zukunftsfähig sind. Auch hier hat der Fortschritt in der Medizin bereits zu Änderungen geführt. Gab es vor zehn Jahren noch Großkliniken, in denen jeweils ein Chirurg oder ein Internist in spitzer Hierarchie sein gesamtes Fachgebiet als Chefarzt repräsentiert hat, so ist das heute nur noch in kleineren Krankenhäusern zu finden, und auch dort gibt es mindestens einen Unfall- und einen Viszeralchirurgen bzw. einen Kardiologen und einen Gastroenterologen. Die Hierarchien werden flacher und spiegeln sehr viel mehr die Spezialisierung und die fachlich-inhaltliche Kompetenz wider.

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Manche Kliniken gehen noch weiter: Die Martini-Klinik in Hamburg, weltweit führend in der operativen Behandlung des Prostatakarzinoms, verdankt ihren Erfolg nicht nur ihren exzellenten chirurgischen Ergebnissen (Huland 2018). Das Management hat sich dort vor Jahren schon für ein ganz besonderes Führungsmodell entschieden: die Faculty. Dahinter steckt die Entscheidung, nicht mehr nur einen Chefarzt als Direktor der Klinik einzusetzen, sondern eine ganze Reihe von erfahrenen Fachärzten in diesen Status zu bringen. In der Faculty begegnen sich die Spezialisten hierarchiefrei und auf Augenhöhe. Motivation und Verantwortung liegen nun in den Händen aller und für das Management bedeutet dies einen ständigen Input von wertvollen Impulsen und Ideen. Ein solches Gremium verschafft der gemeinsamen Anstrengung von Medizin und Management, wichtige Entscheidungen für einen Zukunftsplan der Klinik zu treffen, ein ganz anderes Momentum als in einer klassischen Führungsstruktur.

7.4

Zukunftsplan Medizin

Der medizinische Zukunftsplan sollte von einer klaren Schrittfolge und Arbeitsteilung zwischen Ökonomie und Medizin charakterisiert sein: 1. Schritt: Fachlicher Input der Abteilungen/der Ärzte über einen moderierten Prozess und auf Basis eines definierten Fragebogentemplates: Wie soll die Abteilung in fünf Jahren aussehen? Wie ist die Sicht auf Stärken und Schwächen sowie Chancen und Risiken für die Abteilung und das gesamte Krankenhaus (SWOT-Analyse)? Welche Ressourcen werden benötigt? Technologie, Digitalisierung, Personal, Raumbedarf  – alles muss auf den Tisch. 2. Schritt: Herstellen und Plausibilisieren einer konsentierten Datenbasis (Istleistungsanalyse) gemeinsam mit dem medizinischen Controlling. 3. Schritt: Gewichtung und Positionierung sowohl der Behandlungslösungen als auch der hierfür benötigten Ressourcen prospektiv in einem 5-Jahres-Portfolio nach klinisch-­ strategischer Relevanz sowie nach ökonomischer Auswirkung (Rippmann 2016a). Einstieg in den Prozess ist die Entwicklung von Fragestellungen, die sowohl aus Sicht der Ökonomen als auch aus der Sicht der medizinischen Manager sinnvoll und zukunftsweisend sind. Entsprechende Fragen können sein: • Was sind die medizinischen Schlüsselleistungen, wo bestehen Alleinstellungsmerkmale? • Welche Leistungen sind finanziell die „Bringer“? • Welche Leistungen haben einen negativen Deckungsbeitrag? • Wie hoch sind die Verluste bei diesen Leistungen? • Wo lassen sich Kosten reduzieren, ohne die Qualität zu vermindern? • Wie lässt sich das Leistungsportfolio optimieren, ohne „Rosinen zu picken“?

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• • • • • •

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Wie lassen sich Abläufe zu strukturierten Behandlungslösungen weiterentwickeln? Welche (baulichen) Strukturen werden für die zukünftigen Leistungen benötigt? Welche innovativen Techniken können die Strukturierung unterstützen? Was muss Bestandteil des eigenen Kerngeschäfts Medizin bleiben? Was kann mit/durch Systempartner/n besser und effizienter geleistet werden? Wie sieht das medizinische Leistungsspektrum in fünf Jahren aus?

Für die Ökonomie sind die Fragen offensichtlich – aber wie kann die Diskussion um eine nachhaltige Leistungs- und Prozessorientierung von den Ärzten angeschoben werden, ohne dass es zur gegenseitigen „Antikörperbildung“ und damit zur Ablehnung kommt? Strategie- und Planungsprojekte müssen heute so schlank wie möglich durchgeführt werden. Dies erfordert ein Höchstmaß an Disziplin und Strukturiertheit bei den Beteiligten und beim Prozess selbst. Das Ziel ist klar: Keine endlose „Strategiefindung“, kein „Analyse/Paralyse“, sondern Reduzierung der Komplexität und Beschleunigung der Entscheidungsprozesse: Einfach, zügig und transparent – dies bestimmt die Schrittfolge (Rippmann 2009, 2011a, b). Der erste Schritt zum medizinischen Zukunftsplan stellt Transparenz und Augenhöhe her. Dazu werden in abteilungsspezifischen Workshops und mittels Fragebögen folgende Perspektiven erfasst und abgebildet, jeweils für einen Planungszeitraum von max. fünf Jahren: • medizinische Leistungsentwicklung (ambulant, tagesklinisch, stationär; Anzahl gesamt, Top 10), • medizinische Qualitätsentwicklung (Infektionsstatistik, Klinikmortalität, CIRS­ Auswertung, spezielle Ergebnisse, z.  B.  Anastomoseinsuffizienzen nach Viszeralchirurgie, Restenose nach interventioneller Kardiologie), • Fort- und Weiterbildung, ggf. Forschung (spezielle Lehrveranstaltungen, Fortbildungen, ggf. Forschungsschwerpunkte), • erforderliche personelle Entwicklung (Art/medizinisch, nichtmedizinisch, Zahl, Qualifikation), • erforderliche strukturelle Entwicklung (räumliche und apparative Ressourcen), • SWOT-Analyse (Stärken, Schwächen, Chancen, Risiken), Wettbewerbsanalyse, Alleinstellungsmerkmale. Klinisches Leistungsportfolio Neben der Dokumentation der ärztlichen Expertenposition und der Analyse der Istleistungsdaten gemeinsam mit dem medizinischen Controlling im zweiten Schritt wird als dritte Säule des Zukunftsplans das 5-Jahres-Portfolio erstellt. Durch eine Portfolioanalyse wird Kenntnis sowohl über das vorhandene als auch über das geplante Leistungsspektrum erlangt und die Bedeutung der einzelnen „medizinischen Leistungen“ für den Erfolg der Klinik bewertet.

7  Digitalisierung ist Kulturumbruch – Medizin im Zentrum des Wandels

131

Eine Portfolioanalyse basiert auf den Vorstellungen eines freien Markts und ist daher auf die Entscheidungsprozesse des Krankenhauses als Teil einer regulierten Gesundheitswirtschaft hin anzupassen, ohne die Chance für einen neuen, unternehmerischen Blick auf das Leistungsgeschehen einer Klinik zu mindern. Finanzielle und medizinische Betrachtungsweisen werden dabei gleichberechtigt zur Entwicklung handlungsrelevanter Per­ spektiven herangezogen. Es gibt verschiedene Techniken einer Portfolioanalyse, die hier vorgeschlagene basiert auf der Variante der Boston Consulting Group (Kaplan und Norton 1997) und wurde für die Anwendung im medizinischen Kontext weiterentwickelt. Zum Beispiel wurden Bezeichnungen und Inhalte der vier Felder neu definiert (vgl. Abb. 7.1): In Bezug auf medizinische Leistungen erscheint es z.  B. nicht angemessen, von „Poor Dogs“ oder „Cash Cows“ zu sprechen, in der klinischen Definition werden daraus „Versorgungsmedizin“ und „Standardmedizin“. „Stars“ beschreiben die „Spitzenmedizin“, die klinischen „Leuchttürme“ einer Abteilung. Die „Questionmarks“ sind Leistungen, deren Perspektive noch unsicher ist: Als „Entwicklungsmedizin“ umfassen sie Angebote von Groß- und Universitätskliniken, die mit Innovation und Forschung und damit einer erst kurzen Marktpräsenz verbunden sind.

•... sind Medizinische Leistungen, die •es noch nicht lange gibt, •ein erwartetes, hohes Wachstumspotental •von öffentlichem oder wissenschaftlichem Interesse sind und •noch keine großen Marktanteile haben.

•... sind Medizinische Leistungen, die •bereits etabliert sind, •ein hohes, bereits als gesichert eingestuftes Wachstumspotential haben, •von großem, öffentlichem oder wissenschaftlichem Interesse sind und •einen attraktiven Deckunsgbeitrag II aufweisen.

Entwicklungs -medizin (Questionma rks)

•... sind Medizinische Leistungen, die •rückläufig sind, •wenig öffentliches oder wissenschaftliches Interesse haben und •einen deutlich negativen Deckungsbeitrag II aufweisen.

Spitzenmediz in (Stars)

Versorgungsmedizin

Standardmedizin

(Poor Dogs)

(Cash Cows) •... sind Medizinische Leistungen, die •hochfrequent sind, •aber kaum Wachstumspotential haben, •von großem, öffentlichem Interesse sind und •einen günstigen oder nur leicht negativen Deckungsbeitrag II aufweisen.

Abb. 7.1  Medizinisches 4-Felder-Portfolio. (Quelle: Rippmann 2017)

132

K. Rippmann

Zu den Überbegriffen kommen inhaltlich detaillierte Beschreibungen. Diese unterstützen Verständnis, Akzeptanz und Anwendbarkeit durch die Ärzte, ohne dass hierfür tiefer gehende ökonomische Kenntnisse erforderlich wären. Aus ärztlicher Sicht erscheint es zunächst schwer nachvollziehbar, warum Leistungen einem der Felder zugeordnet werden. Da dieser Schritt aber von großer Bedeutung ist für die Herausbildung differenzierter Portfolios, werden die Felder inhaltlich in möglichst enge Beziehung zum medizinischen Leistungsalltag gebracht. Das Ergebnis des medizinischen Zukunftsplans: • Eine transparente und akzeptierte strategische Leistungsentwicklung im abgestimmten Leistungsportfolio, sowohl auf der Ebene jeder einzelnen Abteilung als auch für das Gesamtportfolio des Krankenhauses • Gemeinsame Empfehlungen für strukturelle, personelle und prozessuale Maßnahmen, um das Leistungsportfolio realisieren zu können und langfristig zu sichern • Als „Nebenprodukt“ dazu konkrete Hinweise auf (Kosten-)Optimierungspotenziale, die kurzfristig zu heben sind – „quick wins“ Digitale Roadmap Auf dem Weg zum medizinischen Zukunftsplan ist ein Aspekt kontinuierlich im Auge zu behalten: An welchem Punkt der Wertschöpfung, in welchem Prozess der Leistungserbringung wird welche technologische Unterstützung benötigt bzw. wo macht es wirklich Sinn, in Modernität zu investieren? Beispiele dafür sind Themen wie Onlineaufnahme und -entlassung, EPA, Telediagnostik und -therapie, digitales Wissensmanagement, Assistenzsysteme im OP, Patient-Self-Services. Dazu kommen Maßnahmen, die Prozesse und Workflows strukturieren und optimieren, wie Ressourcensteuerung, Robotik, AI, digitale Leistungserfassung und Dokumentation und Data Warehouse zur Integration von Leistungsdaten und Medizinparametern mit dem Ziel, sowohl wirtschaftliche als auch medizinische Risiken zu reduzieren und prädiktiv kritischen Verläufen vorzubeugen. Aus diesen Handlungsfeldern wird im nächsten Schritt eine digitale Roadmap erstellt, welche Medizin und Management ermöglicht, Prioritäten zu setzen hinsichtlich Bedeutung und Notwendigkeit auf der einen Seite sowie Finanzier- und Umsetzbarkeit auf der anderen Seite. Medizinmanager als Initiatoren Bleibt die Frage: Wer nimmt das Ganze in die Hand? Die „traditionelle“ Zuständigkeit für Mittel- und Langfristplanungen liegt bei der Ökonomie. Da dort medizinische Kompetenz nicht in erforderlichem Ausmaß zur Verfügung steht – stehen kann –, mangelt es entsprechend betriebswirtschaftlich motivierten Planungen an medizinischer Perspektive. Häufig kommen auch weiterreichende strategische Ansätze zu kurz oder werden vermengt mit „Ziel- und Jahresgesprächen“ zwischen Geschäftsführern und Chefärzten,

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133

die eher von Konfrontation und Abgrenzung als von einem gemeinsamen Aufbruch geprägt sind. Daher sind durchaus die Ärztemanager gefragt, die Initiative zu ergreifen und den Strategieprozess in Richtung eines medizinischen Zukunftsplans anzustoßen.

7.5

Schlussbetrachtung

Der Wandel – ermöglicht durch technologischen Fortschritt und hier an erster Stelle durch die Digitalisierung – ist im Krankenhaus angekommen. Initiiert wurde er jedoch nicht von der Technik, sondern von den Menschen: den Patienten und den Mitarbeitern, deren Position sich deutlich zu ihren Gunsten verschiebt und ihnen eine zukunftsentscheidende Bedeutung gibt. Medizin und Management sind gemeinsam herausgefordert, darauf einzugehen und ihre Betriebe entsprechend neu aufzustellen. Sowohl mit den Behandlungs- als auch mit den Arbeitsbedingungen von heute kann die Zukunft nicht gewonnen werden. Die Menschen werden die neuen Chancen von Transparenz und Wettbewerb am Markt nutzen, den Ort ihrer Behandlung oder ihrer Tätigkeit zu wählen. Der Weg in die Modernität ist für die Krankenhäuser komplex und teuer. Die richtigen Weichenstellungen müssen hier und heute getätigt werden, und zwar unter Einbeziehung aller Führungsverantwortlichen im Krankenhaus, berufsgruppenübergreifend. Die Führungs- und Planungsinstrumente hierfür sind vorhanden. Ein Grundproblem jedoch bleibt  – die Finanzierung. Offensichtlich besteht in den meisten Kliniken noch Potenzial zur Optimierung, wodurch Geldmittel für den Modernisierungsprozess freigesetzt werden können. Aber wird das ausreichen, um z.  B. bis zu 10 % des Umsatzes in Digitalisierung zu stecken? Am Ende müssen wir uns fragen – uns alle und nicht nur die Politik –, ob es Sinn macht, die begrenzten Mittel weiterhin so breit zu verteilen wie bisher, ob wir z.  B. in Nordrhein-Westfalen wirklich 470 Krankenhäuser brauchen, wohingegen z. B. in den benachbarten Niederlanden, bei gleicher Bevölkerung von ca. 18 Mio., eine mindestens ebenso gute Versorgung durch 47 (Groß-)Krankenhäuser realisiert wird. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Literatur Heitmann C (2018) Persönliche Mitteilung. Münster Huland H, Graefen M, Deerberg-Wittram J (2018) (Hrsg) Das Martini-Prinzip. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin Kaplan R, Norton D (1997) Balanced Scorecard. Strategien erfolgreich umsetzen (Handelsblatt Bücher). Schäffer-Poeschel, Stuttgart, S 62–82

134

K. Rippmann

Khosla V (2018) Vinod Khosla Profile. Linkedin (Hrsg). http://linkedin.com/in/vinod-khosla65387416. Zugegriffen am 23.06.2018 Lohmann H, Rippmann K (2017) Was kann die Gesundheitswirtschaft von der Heilkunst lernen? In: Matusiewicz D, Muhrer-Schwaiger M (Hrsg) Neuvermessung der Gesundheitswirtschaft. Springer Gabler Edition FOM, Wiesbaden, S 246–251 Rippmann K (2009) Masterplan Material und Methoden, LOHMANN konzept Kundenprojekt. LOHMANN konzept (Hrsg), Hamburg, S 1–22 Rippmann K (2011a) Zukunftsplan Medizin. LOHMANN konzept (Hrsg). http://lohmannkonzept. de/dokumente/zukunftsplan_medizin.pdf. Zugegriffen am 06.09.2016 Rippmann K (2011b) Der Medizinische Masterplan. LOHMANN konzept Kundenprojekt, LOHMANN konzept (Hrsg), Hamburg, S 1–21 Rippmann K (2016a) Zukunftsplan Medizin – Medizin und Management fokussieren sich gemeinsam auf das Kerngeschäft. In: Hellmann W, Beushagen T, Hasebrook J (Hrsg) Krankenhäuser zukunftssicher managen. Kohlhammer, Stuttgart, S 164–176 Rippmann K (2016b) Heilkunst 4.0 – moderne Technologie unterstützt strukturierte Medizin. In: Lohmann H, Kehrein I, Rippmann K (Hrsg) Markenmedizin für informierte Patienten: Strukturierte Behandlungsabläufe auf digitalem Workflow. medhochzwei, Heidelberg, S 7–11 Rippmann K (2016c) Zukunftsplan Medizin – Auf dem Weg zu strukturierten Behandlungslösungen. In: Hellmann W (Hrsg) Herausforderung Krankenhausmanagement. Hogrefe, Bern, S 239–243 Rippmann K (2017) Masterplan Medizin  – Motor für die Krankenhäuser auf dem Weg zu Inte­ grierten Versorgungssystemen. In: Pfannstiel MA, Focke A, Mehlich H (Hrsg) Management von Gesundheitsregionen III, Gesundheitsnetzwerke zur Optimierung der Krankenversorgung durch Kooperation und Vernetzung. Springer Gabler, Wiesbaden, S 148–155

Dr. med. Konrad Rippmann  ist Chirurg und Organisationsentwickler. Als Geschäftsführer der LOHMANN konzept GmbH in Hamburg begleitet und vernetzt er Akteure in der Gesundheitswirtschaft, in der ambulanten und stationären Medizin sowie in der Industrie. Als Unternehmer unterstützt er innovative Start-ups, vorausgesetzt, sie fördern den Wandel hin zu einer patientenorientierten, strukturierten und workfloworientierten Leistungserbringung. Seine medizinische Karriere führte ihn in leitende Positionen in Hamburger Kliniken. Nach einem Studium in Organisationsentwicklung und Projektmanagement begann er seine Tätigkeit als Berater und hatte verschiedene Führungspositionen bei Consultingfirmen in Hamburg inne. Dazu kommen Lehraufträge in Krankenhausmanagement und Gesundheitswissenschaften an der FH Hannover bzw. an der HAW in Hamburg. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zum Thema Organisationsentwicklung im Krankenhaus. Als Moderator und Keynote Lecturer ist er auf zahlreichen Kongressen der Gesundheitswirtschaft präsent.

8

Projektsteuerung, Due Diligence und Kaufpreisfindung – Unternehmensberatung bei Transaktionen im Gesundheitswesen Matthias Borchers und Karolin Kwickert

Inhaltsverzeichnis 8.1  8.2  8.3  8.4 

Einleitung   egriffsklärung – Kooperationen, Fusionen und Akquisitionen  B Transaktion – Eine Frage der Strategie  Projektsteuerung bei Akquisitionen  8.4.1  Möglichkeiten der Prozessgestaltung  8.4.2  Strukturierte Bieterverfahren – Wie finde ich den passenden Käufer?  8.5  Due Diligence – Risiken identifizieren und bewerten  8.5.1  Inhalte und Ziele einer Due Diligence  8.5.2  Der Due-Diligence-Prozess im Überblick  8.5.3  Due-Diligence-Analysefelder und die Herausforderungen des Gesundheitswesens  8.6  Den richtigen Kaufpreis finden – Unternehmensbewertung bei Krankenhäusern  8.6.1  Abgrenzung der Begriffe Unternehmenswert, Marktwert und Kaufpreis  8.6.2  Strategischer Kaufpreis und Zuschlag  8.6.3  Bewertungsverfahren – Welches ist das richtige?  8.6.4  Alternative Entscheidungswege  8.7  Professionelles Projektmanagement als Erfolgsfaktor einer Transaktion  8.8  Schlussbetrachtung  Literatur 

 136  136  138  140  140  141  144  144  145  146  148  148  149  150  152  153  155  156

M. Borchers (*) Borchers & Kollegen Managementberatung GmbH, Münster, Deutschland E-Mail:[email protected] K. Kwickert Borchers & Kollegen Managementberatung GmbH, Ratingen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), Consulting im Gesundheitswesen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25479-7_8

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136

M. Borchers und K. Kwickert

Zusammenfassung

Längst sind Verkäufe und Fusionen von Einrichtungen im Gesundheitswesen keine Seltenheit mehr. Während vor rund fünf bis zehn Jahren eine große Welle der Privatisierungen durch die deutsche Krankenhauslandschaft zog, stehen aktuell Verbundlösungen im Vordergrund. Dieser Beitrag widmet sich dem Thema der Unternehmensberatung bei Transaktionen im Gesundheitswesen, die nicht nur eine Empfehlung ist, sondern häufig auch ein Erfordernis darstellt. Verschiedene Studien zeigen, dass zu den häufigsten Gründen für das Scheitern von Transaktionen ein nichtvorhandenes oder unzureichendes Projektmanagement zählt. Vor allem bei kleineren Krankenhausträgern fehlen häufig das Know-how und die Erfahrung im Umgang mit Transaktionsprozessen. Daher empfiehlt es sich, erfahrene externe Unterstützung einzubinden, um die Erfolgschancen zu erhöhen. Für einzelne Bausteine einer Transaktion ist es gar unumgänglich aus Sicht eines ordentlichen Kaufmanns, einen externen Experten einzubinden. So werden seitens der Gremien für Due-Diligence-Analysen oder Unternehmensbewertungen in der Regel Wirtschaftsprüfer oder entsprechende Fachleute gefordert. Der Beitrag gibt einen Überblick über beratungsrelevante Themen bei Transaktionen im Gesundheitswesen.

8.1

Einleitung

Die Landschaft der Gesundheitsunternehmen ist geprägt von einer Trägerpluralität aus öffentlichen, freigemeinnützigen und privaten Trägern. Darüber hinaus sind wesentliche Teilbereiche des Gesundheitswesens nicht durch einen freien Marktmechanismus im Sinne eines Wechselspiels zwischen Angebot und Nachfrage, sondern durch eine Fülle staatlicher Eingriffe und Regelungen charakterisiert. Die Gesamtzahl der Gesundheitsunternehmen am Markt bzw. deren Träger sinkt. Dies ist im Wesentlichen Ausdruck von Kapazitätsreduktionen im Zusammenhang mit Angebotsveränderungen, wie zum Beispiel dem fortschreitenden Trend zur Ambulantisierung. Aber auch das Streben nach Erzielung von kostenseitigen und operativen Synergien aufgrund des vorherrschenden Kostendrucks und der Konzentration im Markt ist ursächlich für die sich verändernde Krankenhauslandschaft. Einrichtungen des Gesundheitswesens müssen sich unter dem Gebot von Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit in einem sich dynamisch verändernden wirtschaftlichen und politischen Umfeld positionieren. Durch die Auswirkungen der vielfältigen Gesetzesreformen, des Fachkräftemangels und des anhaltenden Konkurrenz- und Kostendrucks ist daher auch in den nächsten Jahren eine deutliche Ausweitung von Transaktionen zu erwarten.

8.2

Begriffsklärung – Kooperationen, Fusionen und Akquisitionen

Sucht man nach einer passenden Übersetzung des Begriffes „Mergers & Acquisitions“ im deutschen Sprachgebrauch, so lässt sich kein eindeutiges Ergebnis finden. In der Regel wird von Unternehmenszusammenschlüssen und Unternehmensübertragungen gesprochen,

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welche wiederum in verschiedene Formen derer differenziert werden (vgl. Picot 2002, S. 15). Im deutschen Gesundheitswesen hat sich der Begriff Transaktion als übergeordneter Begriff für „M&A“ etabliert. Hierunter lassen sich sämtliche Formen von Zusammenschlüssen und Übertragungen sowie Kooperationen von Einrichtungen, Trägern oder Gesellschaften subsumieren. In der Praxis wird insbesondere von Kooperationen, Fusionen oder Akquisitionen gesprochen. Kooperationen Unternehmenskooperationen beinhalten eine zweckgebundene Zusammenarbeit von wirtschaftlich und rechtlich selbstständigen Partnern (vgl. Wirtz 2003, S. 13). Dabei können Kooperationen eine unterschiedliche Verbindlichkeit aufweisen  – von Netzwerken über vertragliche Kooperationen bis hin zu gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen mit ihrer stärksten Ausprägung, der Fusion. Entscheidend für die anzustrebende Ausprägung der Kooperation ist die individuelle Situation der Beteiligten. Ziel einer Kooperation und wesentliches Merkmal einer strategischen Kooperation im Vergleich zu einem einfachen Leistungsaustausch zwischen der Einrichtung und weiteren Dritten Anbietern (z. B. Wäscheversorgung, Übernahme der Essensversorgung durch einen externen Dritten) ist demzufolge, dass ein gemeinschaftliches Ziel (u. a. Verbesserung der Wirtschaftlichkeit sowie effektiveres Handeln) im Vordergrund steht (vgl. Kirstein 2010, S. 61). Anhand des Grades der Verbindlichkeit sowie der Eigenständigkeit kann die Bindungsintensität einer Kooperation gemessen werden, wobei die Bindungsintensität die Stufe der Abhängigkeit der Partner angibt. Neben der Beantwortung der Frage, wie die beabsichtigten wirtschaftlichen und strategischen Zielsetzungen am besten realisiert werden können, ist jedoch in der Realität auch das „Bauchgefühl“ Treiber der tatsächlich gewählten Kooperationsform. Fusionen Bei einer Fusion werden zwei oder mehrere bisher unabhängige Unternehmen zu einer rechtlichen Einheit zusammengeführt. Mindestens ein beteiligtes Unternehmen verliert sowohl seine rechtliche als auch seine wirtschaftliche Selbstständigkeit (vgl. Coenenberg und Schultze 2011, S. 177–178). Eine Fusion stellt die engste Form der Kooperation dar und ermöglicht grundsätzlich ein Zusammenwachsen zu einem Gesamtunternehmen (Corporate Identity) und die vollumfängliche Hebung von Synergien durch Personalaustausch und -pooling, durch mögliche Zentralisierungen sowie die Nutzung einheitlicher Steuerungssysteme – sei es im Bereich der Steuerung, Verwaltung, Buchhaltung, des Controllings, bei der Erstellung von Jahresabschlüssen etc. Jedoch kann insbesondere bei der Zusammenführung ertragsstarker und ertragsschwacher Unternehmen keine ­Risikoabgrenzung mehr vorgenommen werden. Die Regelung zu einem möglichen finanziellen Ausgleich (z. B. in Verlustsituationen) ist zwar grundsätzlich möglich, jedoch in der Handhabung schwierig zu gestalten. Auch die Rückabwicklung im Falle des Scheiterns der Fusion ist nicht bzw. nur schwer möglich. Einer der wichtigsten kritischen Erfolgsfaktoren bei einer Fusion ist die mangelnde Berücksichtigung der weichen Faktoren sowie eine mangelnde Berücksichtigung des

138

M. Borchers und K. Kwickert

Integrationsprozesses. Wesentliche Erfolgsfaktoren sind demzufolge eine genaue Beobachtung und adäquate Einschätzung in der Analysephase unter Beachtung sowohl der weichen als auch der harten Faktoren, um eventuelle Deal Breaker möglichst frühzeitig zu identifizieren. Akquisitionen Im Rahmen einer Übernahme (Akquisition) erwirbt der Käufer teilweise oder vollständig die Eigentums- und Besitzrechte an einem Transaktionsobjekt. Dieses kann ein rechtlich selbstständiges Unternehmen ggf. inkl. Tochtergesellschaften sein oder aber auch eine rechtlich unselbstständige Teileinheit. Bei einer Akquisition sind demzufolge immer mindestens zwei Parteien – Verkäufer und Käufer – beteiligt. Eine Akquisition kann in Form eines Asset-Deals (Veräußerung von Vermögensgegenständen) oder Share-Deals (Veräußerung von Geschäftsanteilen) erfolgen (vgl. Lucks und Meckl 2002, S. 24; vgl. Wirtz 2003, S. 16). Die Entscheidung zu einem Verkauf wird von unterschiedlichen Beweggründen getrieben. Insbesondere bei inhabergeführten Einrichtungen stehen hinter dieser Entscheidung häufig persönliche Gründe, wie z. B. das Erreichen einer Altersgrenze bzw. nichtvorhandene Nachfolgelösungen (vgl. Bruppacher 1990, S. 271; Krallinger 1997, S. 58). Darüber hinaus gibt es auch strategisch motivierte Verkäufe. Hierzu zählt beispielsweise die Konzentration auf Kerngeschäftsfelder mit einer damit einhergehenden Portfoliobereinigung durch Verkauf der nicht (mehr) zum Kerngeschäftsbereich zählenden Einheiten. Last, but not least sind wirtschaftliche Beweggründe zu nennen. Vor allem in einem so stark regulierten Markt wie der Gesundheitsbranche geraten immer mehr Krankenhäuser mangels ausreichender Refinanzierung in wirtschaftliche Schieflagen. Häufig sind notwendige Investitionen oder Instandhaltungen nicht mehr durch den Träger zu stemmen und der Verkauf ist dann die einzige Lösung. Durch den Verkauf an einen finanzstarken Investor bzw. Träger können notwendige Mittel bereitgestellt werden (vgl. Wirtz 2003, S. 74).

8.3

Transaktion – Eine Frage der Strategie

Auch in der dienstleistungsorientierten Gesundheitsbranche werden strategische Ziele mit einer Transaktion verfolgt. So gilt es für Krankenhäuser genauso wie für Unternehmen anderer Branchen, eine gute Marktpositionierung zu erreichen, um neue Patienten (Kunden) zu gewinnen und durch Qualität zu überzeugen. Darüber hinaus spielen die verfügbaren Ressourcen (im Wesentlichen ärztliches und pflegerisches Personal) im Gesundheitswesen eine immer entscheidendere Rolle. Zusammenschlüsse oder Akquisitionen können dem sich zukünftig noch verschärfenden Fachkräftemangel frühzeitig entgegenwirken. Letztendlich spielen natürlich auch die Kosten eine wesentliche Rolle bei der strategischen Ausrichtung. Die Reduzierung von Sach- und Personalkosten ist eines der wesentlichen Ziele von Krankenhaustransaktionen (vgl. Rippmann 2007, S. 5–6). Eine Transaktion dient primär dem Wachstum – dieses kann sowohl durch internen als auch durch externen Zuwachs generiert werden. Weiterhin kann die Realisierung von Synergien

8  Projektsteuerung, Due Diligence und Kaufpreisfindung – Unternehmensberatung …

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ein wichtiger Beweggrund für einen Erwerb sein. Hierzu zählt sowohl die Realisierung von Verbundeffekten („economies of scope“), indem Vorteile aus der Nutzung von Gemeinsamkeiten gezogen werden, wie auch die Realisierung von Skaleneffekten („economies of scale“), bei welchen Vorteile aus der reinen Mengen- bzw. Leistungserhöhung erzielt werden (vgl. Wirtz 2003, S. 18; Jansen 2001, S. 103–104). Die Synergieeffekte können sowohl im primären, sekundären als auch tertiären Bereich erzielt werden. Im primären Bereich betreffen die Sy­ nergieeffekte zumeist die Generierung einer höheren Auslastung oder auch die Optimierung des Personaleinsatzes. Im sekundären und tertiären Bereich – hierunter fällt z. B. die Wäscheversorgung, die Reinigung oder auch die Küche – können Synergieeffekte durch die Zentralisierung mit dem Ziel der Reduktion von (Personal-)Kosten erreicht werden (vgl. Beisel und Klumpp 2016, § 1 Rn. 2–11). Der Erfolg einer Transaktion wird in der Regel an der Generierung der Synergie- und Optimierungspotenziale gemessen. Jedoch spielen bei einer Akquisition neben den sogenannten harten Faktoren ebenfalls die weichen Faktoren – Unternehmenskultur, Führungsstil/-kultur, Kommunikation, Reaktionen wichtiger Interessensgruppen  – eine entscheidende Rolle, die über Erfolg oder Misserfolg einer Transaktion entscheiden können. Vor diesem Hintergrund sollte bereits in der ersten Gesprächsanbahnung ein besonderes Augenmerk auch auf diese weichen Faktoren gelegt werden, um mögliche Schwierigkeiten frühzeitig zu identifizieren und sich dieser anzunehmen (vgl. Hettler et al. 2004, S. 20 ff.). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Ziel einer Transaktion die systematische Effizienzsteigerung ist. Dies wird durch Veränderung des Wirkungsbereichs eines Unternehmens herbeigeführt. So können Veränderungen im horizontalen, vertikalen oder konglomeraten Wirkungsbereich eines Unternehmens stattfinden. Horizontale Zusammenschlüsse Bei horizontalen Zusammenschlüssen oder Käufen schließen sich Unternehmen gleicher Branche und Wertschöpfungsstufe zusammen und können dadurch ihren Marktanteil erhöhen (vgl. Rippmann 2007, S. 7). Zusammenschlüsse dieser Art sind nicht nur großen Ketten und Verbünden vorbehalten, sondern bieten auch für kleinere, spezialisierte Einrichtungen (z. B. Fachkrankenhäuser, medizinische Versorgungszentren, Rehabilitationseinrichtungen) eine gute Möglichkeit zur Verbesserung ihrer Marktposition. Dies wird auch durch die These von Porter et al. (1980) bestätigt, nach welcher nur bedingt ein positiver Zusammenhang zwischen Rendite und Marktanteil besteht und vielmehr von einer u-förmigen Relation auszugehen ist. Der positive Zusammenhang zwischen Marktanteil und Rendite ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass sich bei zunehmendem Marktanteil Synergieeffekte (insbesondere Skalen-, Verbund- oder Erfahrungskurveneffekte) auf der Kostenseite generieren lassen (vgl. Franck und Meister 2006, S. 93 f.). So können Kostenreduzierungen durch die Nutzung einheitlicher Steuerungssysteme und die Zentralisierung sekundärer und tertiärer Bereiche erfolgen. Darüber hinaus steigt mit zunehmendem Marktanteil auch die Marktmacht eines Unternehmens. Diese gestiegene Marktmacht kann zum Beispiel einkaufsseitig wie auch bei Vergütungsverhandlungen mit den Kostenträgern sowie in der Personalgewinnung eine wichtige Rolle spielen und sich positiv auf den Unternehmenserfolg auswirken.

140

M. Borchers und K. Kwickert

Vertikale Zusammenschlüsse Der vertikale Zusammenschluss oder Kauf hingegen vereinigt Unternehmen gleicher Branche, jedoch unterschiedlicher Wertschöpfungsstufe. Beispiel für eine vertikale Vereinigung ist die Gründung eines medizinischen Versorgungszentrums durch ein Krankenhaus, wodurch eine höhere Marktdurchdringung mit einem positiven Effekt auf die Auslastung des Krankenhauses erreicht werden kann, oder auch die Fusion einer Akut- und einer Rehabilitationsklinik (vgl. Rippmann 2007, S. 7). Ziel eines vertikalen Zusammenschlusses ist es folglich, die Aktivitäten der Unternehmen effizienter durchführen zu können, da z. B. der Zugang zu weiteren Vertriebskanälen, Patienten oder Einweisern sowie zu weiterem Know-how geschaffen wird. Konglomerate Zusammenschlüsse Bei konglomeraten Zusammenschlüssen und Käufen fusionieren Unternehmen unterschiedlicher Branchen und es können z. B. aufgrund der geografischen Nähe Verbundeffekte generiert werden. Bei Zusammenschlüssen dieser Art können beispielsweise Kosteneinsparungen durch die Nutzung einheitlicher Steuerungssysteme oder die Zentralisierung von sekundären und tertiären Bereichen generiert werden. Beispielhaft genannt werden kann in diesem Zusammenhang die Kooperation eines auf geriatrische Leistungen fokussierten Krankenhauses mit einer sich in regionaler Nähe befindlichen stationären Altenhilfeeinrichtung, um durch die Bündelung der Speisenversorgung nichtausgelastete Kapazitäten in einer Einrichtung durch Belieferung der anderen Einrichtung zu optimieren und kostenseitige Verbesserungen zu erzielen.

8.4

Projektsteuerung bei Akquisitionen

Die Veräußerung eines Unternehmens ist ein Projekt, welches durch eine konkrete Zielvorgabe, eine spezielle Projektorganisation sowie eine besondere Form der Aufgabenerledigung gekennzeichnet ist. Subsumiert unter dem Begriff Projektmanagement (Abschn. 8.7) ist eine spezifische und vor allem strukturierte Vorgehensweise erforderlich. Welche Möglichkeiten der Prozessgestaltung bei ­Veräußerungen im Gesundheitswesen bestehen und welche Verfahren sich in der Praxis bewährt haben, wird im Folgenden erläutert.

8.4.1 Möglichkeiten der Prozessgestaltung Bei der angestrebten Veräußerung eines Unternehmens bzw. einer Unternehmensgruppe gibt es grundsätzlich unterschiedliche Vorgehensweisen, die in der Praxis zur Anwendung kommen. Welcher Ansatz der richtige ist, hängt vor allem davon ab, wie die Rahmenbedingungen (zeitliche Vorgaben, wirtschaftliche Situation, Marktumfeld etc.) ausgestaltet sind und welche Ziele mit der Veräußerung erreicht werden wollen (vgl. Picot 2002, S. 24).

8  Projektsteuerung, Due Diligence und Kaufpreisfindung – Unternehmensberatung …

141

Bestehen bereits Kontakte zu potenziellen Interessenten und/oder sind eventuell auch schon Gespräche bezüglich einer möglichen Übernahme geführt worden, so bietet sich die strukturierte Direktansprache an (vgl. auch Preisser und Cavaillés 2011, S. 12 f.). Hierbei wird ein sehr begrenzter Kreis an potenziellen Kandidaten unmittelbar angesprochen und nach Bestätigung des Interesses eine Vertraulichkeitserklärung abgeschlossen. In der Regel werden daraufhin die Gespräche und Verhandlungen zur Konkretisierung der Überlegungen aufgenommen sowie die Bereitstellung von notwendigen Unterlagen abgestimmt. Aufgrund des sehr begrenzten Kandidatenkreises bietet diese Vorgehensweise eine hohe Diskretion und in der Regel einen schnellen Findungsprozess. Auf der anderen Seite führt es möglicherweise zu begrenzten Gestaltungsmöglichkeiten durch fehlende Alternativen sowie ggf. zu schlechteren Konditionen. Die strukturierte Direktansprache empfiehlt sich deshalb vor allem dann, wenn bereits eine klare Zielvorstellung besteht, idealerweise erste Kontakte vorhanden sind und darüber die Notwendigkeit eines zeitnahen Handelns besteht. Bei Veräußerungen von Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen und Einrichtungen insbesondere in der Sozial- und Gesundheitsbranche haben sich in der Praxis extern zur Erreichung eines optimalen Ergebnisses aus Verkäufersicht begleitete, strukturierte Verfahren bewährt – wie das strukturierte Bieterverfahren (vgl. auch Andreas 2007, S. 16 f.). Dabei wird anhand von definierten Eigenschaften ein Kreis an potenziellen Kandidaten ausgewählt und angesprochen. Im Rahmen einer phasenorientierten Vorgehensweise wird dieser Kreis sukzessive verkleinert. Mithilfe vorab definierter Kriterien werden die von den Kandidaten eingeforderten Informationen in Form von Angeboten vergleichend bewertet und dienen so nach jeder Phase als Entscheidungsgrundlage für die weitere Vorgehensweise. Diese Zwischenentscheidungen ermöglichen zudem die kontinuierliche Überprüfung des Projektfortschritts sowie die Einhaltung der Ziele. Zu beachten ist jedoch, dass ein strukturiertes Bieterverfahren aufgrund der höheren Anzahl an Kandidaten im Vergleich zur Direktansprache aufwendiger und zeitintensiver ist sowie ein größeres Risiko in Bezug auf die Diskretion birgt (vgl. Woltery et al. 2016, S. 781). Das strukturierte Bieterverfahren bietet mit seinen klaren Strukturen und Kriterien insgesamt eine hohe Transparenz für die Auswahl des besten Angebotes und in der Regel bessere Konditionen als bei der Direktansprache. Durch den Wettbewerb der Kandidaten steigen die Chancen, die beste Lösung zu finden und damit die gesetzten Ziele bestmöglich zu erreichen (vgl. Preisser und Cavaillés 2011, S. 13).

8.4.2 S  trukturierte Bieterverfahren – Wie finde ich den passenden Käufer? Ein strukturiertes Bieterverfahren lässt sich in der Regel in vier Phasen unterteilen. Abb. 8.1 stellt die Phasen der vierstufigen Vorgehensweise mit ihren wesentlichen Inhalten dar, wie sie in der Praxis häufig zur Anwendung kommt.

142

M. Borchers und K. Kwickert

Vorbereitung

• Definition Transaktionsgegenstand • Projektplanung • Identifizierung potentieller Kandidaten • Erstellung Informationsmemorandum

Sondierung • • • •

Angebotsphase

• Überprüfung/Festlegung von Bewertungskriterien • Datenraumanalyse (Due Diligence) • Vor-Ort-Besichtigungen • Aus- und Bewertung von verbindlichen Angeboten • Kandidatenauswahl

Anonyme Ansprache Abschluss Vertraulichkeitserklärung Versand Informationsmemorandum Aus- und Bewertung von Interessenbekundungen • Überprüfung/Anpassung Transaktionsstruktur • Kandidatenauswahl

Abschluss

Verhandlungen

• (Bei Bedarf: Managementpräsentationen der Kandidaten, inkl. Kandidatenauswahl) • Erstellung von Vertragsentwürfen • Vertragsgespräche & -verhandlungen • Klärung von Rechtsfragen

Abb. 8.1  Inhalte und Ablauf eines strukturierten Bieterverfahrens. (Quelle: eigene Darstellung 2018)

Vorbereitungsphase Im Rahmen der Vorbereitungsphase sind zunächst die zeitlichen und inhaltlichen Rahmenbedingungen des Verfahrens zu klären. Mithilfe eines strukturiert vorbereiteten Arbeitstermins werden im Vorfeld die Vorstellungen und Möglichkeiten zum strukturierten Bieterverfahren beraten. Hierzu zählen insbesondere (vgl. auch Andreas 2007, S. 15): • Definition des Transaktionsgegenstandes (Transaktionsumfang und -struktur, Identifizierung von nichtbetriebsnotwendigen Vermögensgegenständen), • Definition der Ziele, die mit der Transaktion erreicht werden sollen (Standortsicherung, Sicherheiten für das Personal, Fortführung/Weiterentwicklung des bestehenden Leistungsgeschehens, angemessener Kaufpreis etc.), • Auswahl der infrage kommenden Kandidaten (Festlegung von Eigenschaften wie Regionalität, Trägerschaft, Größe und Erfahrung etc.), • Besprechung der notwendigen Verfahrensdokumente (Vertraulichkeitserklärung, Informationsmemorandum, Datenraum etc.), • Festlegung der von den Interessenten zur Verfügung zu stellenden Informationen, • Identifizierung möglicher Chancen und Risiken (auch rechtliche und steuerliche Betrachtung), • Klärung von Fragen der internen und externen Kommunikation, • Klärung organisatorischer Detailfragen (Ansprechpartner, Projektorganisation, Zeitplanung, Gremieneinbindung etc.). Aufbauend auf diesem Arbeitstermin werden umgehend die nächsten Schritte eingeleitet. Hierzu zählen vor allem die Erstellung der notwendigen Verfahrensdokumente, wie bspw. Vertraulichkeitserklärung, Verfahrensbrief, Informationsmemorandum.

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Sondierungsphase Die im Rahmen der Vorbereitung gemeinsam festgelegten potenziellen Kandidaten werden dann in einem nächsten Schritt, der Sondierungsphase, anonym angesprochen und erhalten nach Unterzeichnung einer rechtsverbindlichen Vertraulichkeitserklärung (vgl. Koch und Wegmann 2002, S. 43) das Informationsmemorandum (vgl. Gran 2008, S. 1410). Auf Basis dieses Informationsmemorandums werden die Interessenten aufgefordert, ihr Interesse an dem Verfahren zu bestätigen sowie erste konzeptionelle Überlegungen und wirtschaftliche Konditionen zu benennen. Abhängig von den eingehenden Interessenbekundungen kann zu diesem Zeitpunkt unter anderem eine Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung der Transaktionsstruktur erforderlich sein. Angebotsphase Sollte sich die Verkäuferin auf Basis der Interessenbekundungen für die Fortsetzung des Verfahrens entscheiden, beginnt mit der verbindlichen Phase eine Konkretisierung des strukturierten Bieterverfahrens, die Angebotsphase (vgl. Fröhlich und Bächstädt 2014, § 22 Rn. 56). Zu Beginn dieser werden zunächst die Angebots- und Bewertungskriterien überprüft bzw. konkretisiert. Anschließend wird einer zuvor getroffenen Auswahl an potenziellen Kandidaten die Möglichkeit gegeben, eine eigene Due-Diligence-Analyse (vgl. Blöcher 2002, S. 31 f.) durchzuführen. Dafür ist ein Datenraum (vgl. Gran 2008, S. 1411) zu organisieren und zu begleiten. In diesem Datenraum werden den Kandidaten sämtliche relevanten Informationen über die Einrichtung zur Verfügung gestellt. Die Daten werden auf Basis einer Anforderungsliste zusammengestellt und aufbereitet. Bei einer größeren Anzahl an Interessenten empfiehlt sich die Einrichtung eines virtuellen Datenraums. Des Weiteren bekommen die Kandidaten die Möglichkeit, an einer Vor-Ort-­Besichtigung teilzunehmen. Auf Basis dieser Teilschritte werden die Kandidaten gebeten, ein verbindliches Angebot abzugeben. Die eingehenden Angebote werden anhand der definierten ­Kriterien vergleichend aufbereitet und gegenübergestellt, sodass eine optimale Entscheidung der Verkäuferin über das weitere Vorgehen erfolgen kann. Verhandlungsphase Nach Identifikation der möglichen Kandidaten, mit denen Vertragsverhandlungen aufgenommen werden sollen, gilt es, zügig mit diesen in der sich nun anschließenden Verhandlungsphase (vgl. Fink und Uhl 2016, S. 45 ff.) die Vertragsverhandlungen aufzunehmen. Die konkrete Ausgestaltung der Verhandlungsphase ist sehr stark von den Ergebnissen der Sondierungs- und insbesondere Angebotsphase abhängig. In Zusammenarbeit mit erfahrenen Rechtsanwälten sind Verhandlungsgespräche zu führen, die vertragliche Gestaltung vorzunehmen sowie eventuelle gesellschafts-, arbeits- und steuerrechtliche Detailfragen zu klären. Zeit- und Terminplanung Zu Projektbeginn ist ein detaillierter Projektplan mit allen Teilaufgaben, Zielterminen und Verantwortlichkeiten zu erstellen und abzustimmen. Unter der Annahme, dass Zwischenentscheidungen ohne ausgiebige Vorlaufzeiten von Gremien erfolgen können, ist in der

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Vorbereitung

Angebotsphase

Abschluss 1. Monat

2. Monat

Sondierung

3. Monat

4. Monat

5. Monat

6. Monat

7. Monat

Verhandlungen

Abb. 8.2  Grobe Zeit- und Terminplanung eines strukturierten Bieterverfahrens. (Quelle: eigene Darstellung 2018)

Regel von einer Projektdauer von ca. sechs Monaten auszugehen (vgl. Woltery et al. 2016, S. 785). Die Dauer der einzelnen Phasen sowie des gesamten Prozesses sind in Abb. 8.2 dargestellt.

8.5

Due Diligence – Risiken identifizieren und bewerten

Unabhängig von der Art der Transaktion  – ob der Kauf eines Krankenhauses oder die Fusion zweier Unternehmen – die Due Diligence ist ein wesentlicher und wichtiger Baustein im Transaktionsprozess. Nachfolgend werden die Inhalte und Ziele sowie der Prozess einer Due Diligence erläutert. Zudem werden Besonderheiten der Analyse von Unternehmen des Gesundheitswesens herausgestellt.

8.5.1 Inhalte und Ziele einer Due Diligence Die Due Diligence, welche ihren Ursprung im US-amerikanischen Kapitalmarkt- und Anlegerschutzgesetz hat und dem Investorenschutz dienen soll, hat den Abbau von Informationsasymmetrien zwischen Käufer und Verkäufer oder zwischen Fusionspartnern vor Vertragsabschluss zum Ziel (vgl. auch Berens und Brauner 1998, S. 6 f.). Inhaltlich handelt es sich bei der Due Diligence um eine systematische Analyse des Transaktionsobjektes im Rahmen einer geplanten Transaktion mit dem Ziel, ein möglichst aussagefähiges Gesamtbild zu entwickeln. Transaktionsobjekt kann in diesem Zusammenhang ein rechtlich selbstständiges Unternehmen oder aber auch eine rechtlich unselbstständige Teileinheit sein. Der Kaufinteressent soll auf Basis der im Rahmen der Due Diligence gewonnenen, umfassenden Informationen in die Situation gebracht werden, mit hinreichender Sicherheit die Kaufentscheidung zu fällen. Die Erkenntnisse der Due-Diligence-Analyse stellen jedoch nicht nur die Basis für die Verifizierung bzw. Bestätigung des Kaufinteresses, sondern auch für die Erstellung einer Planungsrechnung im Transaktionsfall und die Bestimmung des Kaufpreises sowie mögliche kaufvertragliche Regelungsbedürfnisse dar (vgl. Hettler et al. 2004, S. 87 f.).

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Folglich ist dem Erwerber daran gelegen, seine individuellen Informationsbedürfnisse möglichst lückenlos zu befriedigen, um auf dieser Basis die notwendigen transaktionsrelevanten Entscheidungen treffen zu können. Eine vollumfängliche Informationsbereitstellung, aus welcher er „à la carte“ die individuell relevanten Informationen auswählen kann, ist für den Erwerber folglich ideal. Auf der anderen Seite ist der Verkäufer naturgemäß aus Gründen der Vertraulichkeit und der Wahrung seiner Verhandlungsposition darum bemüht, nur einen begrenzten Umfang an Informationen zur Verfügung zu stellen. Ziele der Due-Diligence-Analyse sind die Identifikation der wesentlichen Erfolgsgrößen sowie das Erlangen eines Verständnisses für die finanzielle, steuerliche, rechtliche sowie die marktstrategische Situation des Transaktionsobjektes und dessen zukünftige Entwicklung. Ferner sind Risiken  – aber auch Chancen  – im Transaktionsobjekt selbst oder in seinem Umfeld aufzudecken. Somit ist eine Due Diligence keine erneute Jahresabschlussprüfung, sondern eine anlassbezogene Analyse des Transaktionsobjekts mit direktem Bezug zu den spezifischen Informationsbedürfnissen des Erwerbers. Die geprüften Jahresabschlüsse dienen vielmehr als wichtige und – aufgrund der Prüfung durch einen sachverständigen Dritten – vertrauenswürdige Informationsquelle für die Entwicklung der Vergangenheit. Die Inhalte der im Rahmen der Due Diligence durchzuführenden Analysen sind somit transaktionsindividuell zu bestimmen, wobei regelmäßig der Inhalt und Umfang, die Analysetiefe wie auch manchmal die Zielrichtung aufgrund zwischenzeitlich gewonnener Erkenntnisse und Gegebenheiten im Laufe des Prozesses nach den Bedürfnissen des Kaufinteressenten anzupassen sind.

8.5.2 Der Due-Diligence-Prozess im Überblick Der Due-Diligence-Prozess folgt regelmäßig – unabhängig von der Transaktionskonstellation – einer klaren Struktur. Vorbereitungsphase Im Rahmen einer sorgfältigen Vorbereitung des Due-Diligence-Prozesses sollte der Käufer in einem ersten Schritt sein notwendiges Informationsbedürfnis und den sich daraus ergebenden Inhalt und Umfang der Analysen, den sogenannten Due Diligence Scope, bestimmen. Erste grundsätzliche Fragestellungen sind regelmäßig die folgenden: • • • •

Welche Informationen sind für mich wichtig? Was sind für mich Deal Breaker? Wer sonst hat noch Informationsbedürfnisse, die ich befriedigen muss – und welche? Wie viel Zeit habe ich für die Analysen zur Verfügung und wie sind die Informationsbedürfnisse ggf. zu priorisieren? • Welche Informationen sind zum Zwecke der Analysen verfügbar? • Was steht eigentlich zum Verkauf und was will ich erwerben (einzelne oder mehrere Unternehmen bzw. Gesellschaften oder nur einzelne Assets)? • Welches Interesse hat der Verkäufer?

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Analysephase Aufbauend auf diesen ersten vorbereitenden Grundüberlegungen gilt es, ein Verständnis für die Transaktion, mögliche Transaktionsstrukturen sowie die wesentlichen Kernthemen zu entwickeln und so ziel- und zweckgerichtete Due-Diligence-Analysen durchzuführen. In der Analysephase selbst werden die aufgeworfenen Fragestellungen i. d. R. von unterschiedlichen Disziplinen (bspw. aus betriebswirtschaftlicher, rechtlicher und steuerlicher sowie marktstrategischer Sicht) durchleuchtet mit dem Ziel, die wesentlichen Risiken, die aus der angedachten Transaktion entstehen können, und sogenannte Deal Breaker zu identifizieren. Ebenso soll die Analyse eine Basis bieten, Upside- und Downside-Potenziale zu identifizieren und diese idealerweise in einer Planungsrechnung im Übernahmefall abzubilden, sodass eine höhere Sicherheit über die zukünftig zu erwirtschaftenden Überschüsse oder auch Defizite besteht. Ebenso mit einzubeziehen sind hier auch mögliche Stand-­alone-­ Kosten, die ggf. erst mit Herauslösen aus bestehenden Verbundstrukturen zum Tragen kommen und zukünftige Kosten- oder auch Erlösstrukturen verändern. Berichterstattung In der Phase der Berichterstattung sind sämtliche, im Rahmen der Analyse gewonnenen Erkenntnisse in einer möglichst prägnanten Berichterstattung zu dokumentieren, die sich auf die transaktionsrelevanten Themen fokussiert. Es empfiehlt sich in diesem Zusammenhang, die wesentlichen Feststellungen in einer prägnanten Ergebniszusammenfassung, der sogenannten Management-Summary, zusammenzufassen und dem Hauptbericht vorwegzustellen, um die Berichterstattung gremienfreundlicher zu gestalten. Zusätzlich sollten die im Rahmen der Analyse erhobenen Daten in einem zusammengefassten Excel-Dokument archiviert werden, damit diese insbesondere für spätere Anpassungen oder auch die Erstellung weiterer Planungsszenarien oder die Erstellung von Maßnahmenkatalogen im Rahmen von Restrukturierungsüberlegungen genutzt werden können.

8.5.3 D  ue-Diligence-Analysefelder und die Herausforderungen des Gesundheitswesens In Abhängigkeit von dem persönlichen Informationsbedürfnis des Käufers sind im Rahmen einer Due-Diligence-Analyse unterschiedliche Disziplinen gefragt. Es empfiehlt sich, regelmäßig zumindest die Bereiche der finanziellen, rechtlichen und steuerlichen sowie marktstrategischen Verhältnisse unter Berücksichtigung der branchen- und trägerspezifischen Besonderheiten abzudecken, um ein aussagekräftiges Gesamtbild des zu untersuchenden Unternehmens zu erhalten. Weitere Analysebausteine können auch eine Analyse der Immobilien und Technik, der Infrastruktur, der IT-Systeme o. Ä. sein. Diese Analysefelder sollten individuell bestimmt werden und entsprechend dem Analysegegenstand sowie der Erkenntnisse der Hauptanalysefelder in die Untersuchungen einbezogen werden.

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Finanzielle Fragestellungen

Steuerliche Fragestellungen

Rechtliche Fragestellungen

Bauliche/ Ausstattungstechnische Fragestellungen

Weiche Faktoren (z. B. Unternehmenskulturen)

Operative (z.B. Medizinstrategische) Fragestellungen

Zukünftige Entwicklung (Chancen/Risiken)

Identifikation der wesentlichen Erfolgsgrößen

u.v.m.

147

Abb. 8.3  Analysefelder bei einer Krankenhaus-Due-Diligence. (Quelle: eigene Darstellung 2018)

Die üblichen Analysefelder bei Unternehmen des Gesundheitswesens sind in Abb. 8.3 dargestellt. Nahezu sämtliche Angebote im Gesundheitswesen sind i. d. R. von einer hohen Personalintensität geprägt; entsprechend bilden die Personalkosten einen wesentlichen Kostenfaktor. Kommunale und konfessionelle Träger sind regelmäßig an tarifliche Konstrukte wie den TVöD oder die AVR gebunden. Darüber hinaus verfügen die Mitarbeiter zum überwiegenden Teil über zugesicherte Pensions- und Rentenansprüche, die über die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder oder kirchliche Zusatzversorgungskassen gedeckt werden. Hierfür sind neben den laufenden Beiträgen Zusatz- und Sanierungsbeiträge für die Beseitigung der vorhandenen Unterdeckung zu leisten, die das operative Ergebnis zusätzlich belasten. Ebenso müssen aufgrund fehlender Mittel bei der Investitionsfinanzierung und aufgrund des bestehenden Investitionsstaus in vielen Einrichtungen von vielen Trägern neue Wege in der Investitionsfinanzierung beschritten werden. Der für Industrieunternehmen übliche Weg über eine Kreditfinanzierung durch ein Kreditinstitut scheint naheliegend, doch aus Bankensicht ergeben sich verschiedene Problemstellungen bei der Finanzierung von Sozialunternehmen. So verfügen Sozialunternehmen häufig über eine niedrige Eigenkapitalquote, was in Hinblick auf die Einhaltung von Eigen- und Fremdkapitalrelationen nach Basel II grundsätzlich problematisch erscheint (vgl. Hofmann 2007, S. 5 ff.). Auch sind das grundsätzliche Geschäftsmodell eines häufig nach gemeinnützigen Maximen agierenden Sozialunternehmens und die Finanzierung durch die Kostenträger vom Grundgedanken her nicht auf Gewinnerzielung ausgelegt. Darüber hinaus sind Zinsaufwendungen teilweise in den Vergütungssätzen von Sozialunternehmen nicht bzw. nur unzureichend refinanziert.

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Dennoch wird für die Unternehmen die Generierung von Kredit- und Kapitalmarktmitteln zukünftig weiter an Bedeutung gewinnen. Dafür ist neben der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation vor allem die Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Eine „gute“ Due-Diligence-Analyse im Sinne einer fundierten Entscheidungsgrundlage berücksichtigt diese branchen- und unternehmensspezifischen Themen und beachtet zudem die Unternehmensumgebung und -struktur des potenziellen Erwerbers, um umfängliche Transaktionsunterstützung zu gewähren.

8.6

 en richtigen Kaufpreis finden – Unternehmensbewertung D bei Krankenhäusern

Der Konzentrationsprozess auf dem deutschen Krankenhausmarkt führt zu vermehrten Transaktionen und damit einhergehend der Frage nach der Wertfindung für die Transaktionsobjekte, die gekauft, verkauft oder fusioniert werden. Doch was ist die angemessene Methode zur Bewertung eines Krankenhauses? Bereits vor der angespannten wirtschaftlichen Situation vieler Krankenhäuser war dies eine schwierige Frage. Kann ein Unternehmen, welches nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist, tatsächlich an seinen Erträgen oder gar seinen Cashflows gemessen werden? Kann man  – unter den gegebenen Rahmenbedingungen einer Finanzierungspolitik, unter der die Kosten- und Erlösschere immer stärker auseinandergeht und Wachstum zunehmend bestraft wird – wirklich noch standardmäßig von einem nachhaltigen Wachstum oder gar von „going concern“ als grundlegende Prämissen im Rahmen der Unternehmensbewertung ausgehen? Die aktuelle Situation vieler Krankenhäuser erschwert die Frage nach der Wertfindung zunehmend. Sind Krankenhäuser, die nachhaltig Defizite erwirtschaften, „wertlos“? Oder kann diesen Häusern zumindest für die Sicherstellung des Versorgungsauftrags der Kommunen ein Wert beigemessen werden?

8.6.1 A  bgrenzung der Begriffe Unternehmenswert, Marktwert und Kaufpreis Wie bei jeder Unternehmensbewertung steht auch bei Bewertungen von Unternehmen des Gesundheitswesens der Bewertungsanlass im Mittelpunkt. Spricht man von einer Bewertung oder von einer Wertfindung, so geht es in der Regel darum, einen angemessenen Preis für etwas zu finden, für das kein Vergleichspreis am Markt existiert. Es stellt sich also die Frage nach einer sinnhaften Methodik, einen geeigneten Wert für ein Unternehmen zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sind die Begriffe Marktwert des Unternehmens, Unternehmenswert und Kaufpreis voneinander zu unterscheiden und abzugrenzen. Es ist davon auszugehen, dass der Erwartungswert von Käufer und Verkäufer für einen im Rahmen einer Unternehmenstransaktion zu zahlenden Kaufpreis dem Marktwert des Unternehmens

8  Projektsteuerung, Due Diligence und Kaufpreisfindung – Unternehmensberatung …

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entspricht. Insbesondere im Gesundheitswesen besteht die Herausforderung, dass häufig Marktpreise von vergleichbaren Transaktionen nicht verfügbar sind, da diese regelmäßig nicht öffentlich gemacht werden. Vor diesem Hintergrund stellt eine Unternehmensbewertung ein Hilfskonstrukt zur Einschätzung des Marktwertes dar. Je nach Bewertungsmethodik, -ansatz und Wahl der Bewertungsparameter kann es zu unterschiedlichen Erwartungswerten bei Käufer und Verkäufer kommen. Der auf Basis anerkannter Methoden ermittelte Unternehmenswert stellt somit die Basis für die Verhandlungen zwischen Käufer und Verkäufer dar. Der dann letztlich fließende Kaufpreis weicht jedoch regelmäßig von diesem theoretisch ermittelten Unternehmenswert ab, da er das Ergebnis von Verhandlungen ist und in diesem Zusammenhang zusätzliche, üblicherweise strategische Komponenten Eingang in die Kaufpreisermittlung ­finden.

8.6.2 Strategischer Kaufpreis und Zuschlag Der niedrigste beizulegende Wert und damit die absolute Wertuntergrenze für einen Verkäufer ist der Zerschlagungswert, der bei Aufgabe und Zerschlagung eines Unternehmens und der Veräußerung aller Vermögensgegenstände und der Deckung der Verbindlichkeiten erzielt werden kann. Für einen Käufer hingegen ermittelt sich die Wertuntergrenze eines Unternehmens durch den Wert, welcher sich bei Fortführung im Stand-alone-Zustand – und somit ohne Berücksichtigung möglicher wertsteigernder Komponenten durch die Einbindung in den Gesamtzusammenhang des Käufers bzw. dessen Unternehmens – ergibt. Darüber hinaus kann es, insbesondere in einer Wettbewerbssituation, wie zum Beispiel in einem strukturierten Bieterverfahren, bei welchem mehrere potenzielle Erwerber ihr Interesse am Erwerb des Transaktionsobjektes durch Abgabe eines Angebotes zum Ausdruck bringen können, dazu kommen, dass Kaufpreise oberhalb des Stand-alone-Wertes gezahlt werden. Ist dies der Fall, so spricht man von einem strategischen Zuschlag. Dies bedeutet, dass der Käufer bereit ist, einen Teil des Mehrwertes, der durch die Transaktion selbst und durch das zukünftige Zusammenspiel zwischen Käufer und Transaktionsobjekt generiert werden wird, dem Verkäufer über den Kaufpreis zu vergüten. Doch diesem Zuschlag sind – sollte der Kaufpreis noch betriebswirtschaftlich vertretbar und damit refinanzierbar sein – Grenzen gesetzt. Seine maximale Höhe bestimmt sich üblicherweise durch Faktoren, wie z. B. der Hinzurechnung eines in dem Unternehmen selbst vermuteten und durch den Käufer zu hebenden Verbesserungs- bzw. Restrukturierungspotenzials oder auch operativer (Verbund-)Synergien, die durch das Zusammenspiel des Transaktionsobjektes mit Unternehmen des Käufers realisiert werden können. Diese Effekte sind  – auf Basis der verfügbaren Informationen  – vom Erwerber zu qualifizieren und zu quantifizieren. Hierbei ist insbesondere auf die diesbezügliche Umsetzungs- und Erfolgswahrscheinlichkeit ein besonderes Augenmerk zu richten und bei der Wertermittlung zu berücksichtigen. Entsprechend ist der zu gewährende strategische Zuschlag auch abhängig von der individuellen Risikoneigung des Käufers.

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Wichtiger als in vielen anderen Branchen ist in Fragen der Wertfindung im Gesundheitswesen auch die Trägerschaft, in welcher sich die Transaktionsobjekte befinden, und die häufig damit in Zusammenhang stehenden sogenannten weichen Faktoren. So ist die Bereitschaft, Zugeständnisse auch im Hinblick auf den Kaufpreis und die Rahmenbedingungen des Erwerbs zu machen, häufig höher, wenn zwischen zwei Parteien der gleichen Trägerschaft verhandelt wird. Hier wird üblicherweise auch der Tatsache, dass das Unternehmen in eben dieser Trägerschaft verbleibt (konfessionell, kommunal etc.), ein gewisser Wert beigemessen. Diesen „weichen“ und damit nicht quantifizierbaren Wertbeitrag zu bestimmen, ist unter betriebswirtschaftlichen Aspekten kaum möglich, kann aber insbesondere bei Überlegungen zu einem strategischen Aufschlag eine wichtige Rolle spielen.

8.6.3 Bewertungsverfahren – Welches ist das richtige? Wie bei jeder Unternehmensbewertung muss auch bei Bewertungen von Unternehmen des Gesundheitswesens zur Erreichung einer zweckmäßigen Wertermittlung eine Abwägung zwischen Bewertungsanlass und -zweck einerseits und der auf das konkrete Bewertungsobjekt zutreffenden Rahmenbedingungen andererseits erfolgen. In seiner Verlautbarung nennt das Institut der Wirtschaftsprüfer in den Grundsätzen zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S1) das Ertragswert- sowie das DCF-Verfahren als gleichberechtigte und angemessene Bewertungsverfahren zur Ermittlung von Unternehmenswerten. Substanz- und Liquidationswertbetrachtungen oder vereinfachte Multiplikatorberechnungen haben hingegen nur in Ausnahmefällen Bedeutung (vgl. IDW S1 2008, Rn. 4–7). Das IDW vertritt jedoch auch die Auffassung, dass bei Unternehmen mit nicht ausschließlich finanziellen Zielsetzungen (fehlende Gewinnerzielungsabsicht, Ausschüttungssperre) die Bewertung auf Basis von Erträgen oder Cashflows grundsätzlich nicht zu favorisieren ist. Vielmehr ist in diesen Fällen nicht der Zukunftserfolgswert maßgeblich, sondern ein Rekonstruktionswert zu ermitteln (vgl. IDW S1 2008, Rn. 152). Es existiert eine Vielzahl von Unternehmensbewertungsverfahren, von denen in Theorie und Praxis jedoch nur wenige üblich und anerkannt sind (vgl. auch Peemöller 2001, S. 202). In der Theorie, in der Rechtsprechung und in der Praxis haben sich Anforderungen herausgebildet, die an die Unternehmensbewertung gerichtet werden. Die wesentlichen Anforderungen beinhalten die folgenden Aspekte: • Zukunftsbezogenheit: Ein rational handelnder Investor vergütet i. d. R. nur diejenigen Erträge, die ihm in der Zukunft wieder zufließen. • Nutzenbewertung: Alle Nutzenbeiträge sind bei der Unternehmensbewertung zu berücksichtigen – den Berechnungen liegen jedoch vorrangig finanzielle Ziele zugrunde. • Chancen und Risiken: Für die Reduzierung von Unsicherheiten sollen in die Prognosen begründete Annahmen über die zukünftigen Entwicklungen einfließen sowie • Investorenbezug: Der relevante Wert kann nur unter Berücksichtigung der Sicht des jeweilig Interessierten und des Bewertungszwecks abgeleitet werden (vgl. auch Peemöller 2001, S. 3).

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Demzufolge erscheinen – in Übereinstimmung mit den Verlautbarungen des IDW – insbesondere die ertragswertorientierten Verfahren (Ertragswert- und DCF-Verfahren) als relevante Verfahren. Das Multiplikatorverfahren kann in Einzelfällen für eine erste, indikative Wertfindung, für Plausibilisierungszwecke oder aber bei einer unzureichenden Informationslage als Näherungswert in Betracht kommen. Ertragsorientierte Verfahren Ertragswert- und DCF-Verfahren beruhen auf der gleichen theoretischen Grundüberlegung. Der zukünftige Nutzen eines Unternehmens ergibt sich im Zusammenwirken aller die Ertragskraft beeinflussenden Faktoren. Er wird durch den Ertrag, der als Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben oder unter Berücksichtigung von Periodenabgrenzungen der Erträge über die Aufwendungen in der auf den Bewertungsstichtag folgenden Zukunft zu erwarten ist, ausgedrückt. Im Hinblick auf finanzielle Zielsetzungen entspricht somit der Wert eines Unternehmens grundsätzlich dem Barwert aller künftigen Einnahme- bzw. Ertragsüberschüsse (= Zukunftserfolgswert; vgl. Peemöller 2001, S. 51 ff.). Bei seiner Ermittlung wird grundsätzlich eine Vollausschüttung der künftigen Jahresüberschüsse unterstellt. Soweit aus rechtlichen oder steuerlichen Gründen eine partielle Thesaurierung geboten ist, wird insoweit von der Vollausschüttungshypothese Abstand genommen (vgl. Peemöller 2001, S. 215 f., 278 f.). Im Rahmen des Ertrags- bzw. DCF-Wertes findet nur der Wert des betriebsnotwendigen Vermögens seinen Niederschlag. Die Vorgehensweise bei der Anwendung des Ertragswertverfahrens kann grob in die Analyse der Vergangenheitsergebnisse, die Prognose der künftigen finanziellen Überschüsse und die Diskontierung dieser mit dem risikoäquivalenten Zinssatz aufgespalten werden. Der Unternehmenswert wird aus den von den zukünftigen Jahresergebnissen der Unternehmensplanung abgeleiteten, unmittelbar an die Eigenkapitalgeber fließenden, künftigen finanziellen Überschüssen ermittelt. Die Ausschüttungsfähigkeit der Überschüsse der Plan-Gewinn- und Verlustrechnung ist unter den aktuellen und zukünftigen rechtlichen Rahmenbedingungen zu hinterfragen. In diesem Zusammenhang ist es nötig, Annahmen über die zukünftige Ausschüttungs- bzw. Entnahmepolitik zu treffen. So ist bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswertes von solchen Ausschüttungen auszugehen, die nach dem Unternehmenskonzept und unter Berücksichtigung rechtlicher Restriktionen ausschüttungsfähig sind. Im Vergleich zum Ertragswert basiert die Wertermittlung nach dem DCF-Verfahren auf prognostizierten Kapitalströmen, die eine integrierte Planungsrechnung, bestehend aus Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanz und Cashflowrechnung voraussetzt, welche in der Praxis häufig nicht bzw. nicht vollumfänglich zur Verfügung gestellt werden können. Entsprechend wird das DCF-Verfahren wegen der aufwendigeren Ermittlungsweise insbesondere bei Unternehmen des Gesundheits- und Sozialwesens in der Praxis seltener verwendet als das Ertragswertverfahren.

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M. Borchers und K. Kwickert

8.6.4 Alternative Entscheidungswege Der Unternehmenszweck bei Krankenhäusern ist vorrangig auf die Erbringung von medizinischen und pflegerischen Dienstleistungen zum Zwecke der Versorgung von Patienten ausgerichtet und dient regelmäßig auch gemeinnützigen bzw. sozialen Zwecken. Der Erfolg eines entsprechenden, häufig auch gemeinnützig geprägten Unternehmens ist folglich nicht allein an wirtschaftlichen Größen zu messen. In derartigen Fällen ist anzunehmen, dass die Leistungserstellung im öffentlichen bzw. gemeinnützigen Interesse liegt und auch unabhängig von einer unternehmerischen Betätigung erfolgen würde. Demzufolge kann es trotz anhaltender Defizite Gründe für die Fortführung einer Einrichtung geben. In diesen Fällen stellt eine aus betriebswirtschaftlicher bzw. finanzorientierter Sicht durchaus logisch erscheinende Liquidation keine Option dar. Doch sind in solchen Fällen grundsätzlich Überlegungen anzustellen, ob das Unternehmen in der bestehenden Form und einhergehend mit der Annahme permanenter, ggf. zu übernehmender Verluste fortgeführt werden soll oder ob es Handlungsalternativen gibt. Konsequenzen aus diesen Überlegungen sind entsprechend planerisch umzusetzen, damit eine Fortführung plausibel abgebildet werden kann. Alternativ sind im Rahmen einer Wertfindung andere – möglichst messbare – Erfolgsgrößen zu definieren. Hierzu können auch die sogenannten nichtmonetären Erfolgsziele zählen, wie die langfristige Sicherstellung der Versorgungsleistung, die Erreichung von Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit sowie eine positive Reputation in der Öffentlichkeit etc. Maßgeblich in diesem Zusammenhang ist sicherlich auch immer die Frage der Bedeutung für die Versorgung der Bevölkerung bzw. ggf. auch für das Gesamtgefüge des jeweiligen Trägers. Auch ist bei der Bewertung zu beachten, mit welchen Handlungsalternativen das vorab definierte Unternehmensziel der Versorgung der Bevölkerung mit sozialen Dienstleistungen ebenfalls durchgeführt werden kann und welche Zahlungsströme bei diesen Handlungsalternativen zu erwarten sind. Der Vergleich der Zahlungsströme von Handlungsalternative und Unternehmen für die Deckung der gleichen bedarfswirtschaftlichen Ziele führt dann zum Entscheidungswert – Erwerb oder Neuerrichtung. Alternative Bewertungsverfahren sind somit grundsätzlich denkbar, insbesondere, wenn es um die Bewertung von ertragsschwachen Unternehmen geht, deren Daseinsberechtigung sich aus der Bedeutung für die Versorgung der Bevölkerung ableiten lässt. Dennoch dürfen diese alternativ abgeleiteten Werte nicht als Unternehmenswert im eigentlichen Sinne verstanden werden. Vielmehr kann es sich nur um Entscheidungswerte handeln, die eine Indikation für die Vorteilhaftigkeit von Handlungsalternativen liefern. Jedoch macht es auch in diesem Fall Sinn, Entscheidungswerte eng an den zu erwartenden Ertrags- bzw. Kapitalströmen zu orientieren, um aus betriebswirtschaftlicher Sicht die vorteilhafteste Variante zu wählen. Sogenannten weichen Faktoren muss hierbei zum Zwecke der Bewertung möglichst ein finanzieller Wert beigemessen werden, welcher je nach Standpunkt des Bewertenden ein unterschiedliches Gewicht in Bezug auf den Gesamtwert haben kann.

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Geht es im Rahmen einer Bewertung um die Bestimmung von Anteilsverhältnissen, bspw. im Rahmen von Fusionsüberlegungen, so ist eher denkbar, zu deren Bestimmung auf Vergleichswerte auch außerhalb betriebswirtschaftlicher Fakten zurückzugreifen, so kann hier bspw. auch die Anzahl betreuter Personen, der Mitarbeiter o. Ä. für eine Gegenüberstellung in Betracht kommen. Zu berücksichtigen ist hier jedoch, dass diese Werte bzw. Wertverhältnisse nur begrenzt Rückschlüsse auf die betriebswirtschaftliche Auskömmlichkeit der erbrachten Angebote und Leistungen erlauben. Auch hier gilt grundsätzlich die Abwägung zwischen Genauigkeit und Aufwand sowie die Überlegung, dass letztlich sämtliche  – auch übergeordnete Aktivitäten  – finanziert werden müssen und dementsprechend auch entsprechende Verlustübernahmen kalkuliert und budgetiert werden müssen.

8.7

 rofessionelles Projektmanagement als Erfolgsfaktor einer P Transaktion

Ein Transaktionsprozess ist ein komplexes Unternehmen, an dem viele unterschiedliche Experten beteiligt sind: Rechtsanwälte, Kaufleute, Steuerberater, Immobiliensachverständige, operative Fachleute und weitere. Nur wenn diese entlang der gesamten Prozesskette Hand in Hand arbeiten, kann ein optimales Ergebnis erzielt werden. Daher bedarf es bei der Realisierung einer Transaktion von der Idee bis hin zur vollständigen Integration eines konsequenten Projektmanagements (vgl. Menz et al. 2007, S. 19; Lucks und Meckl 2002, S. 43–46). Projektmanagement ist ein systematischer Prozess zur Führung komplexer Vorhaben und als Gesamtheit von Führungsaufgaben, -organisation, -techniken und -mittel für die Abwicklung eines Projekts zu verstehen. Es umfasst die Organisation, Planung, Steuerung und Überwachung aller Aufgaben und Ressourcen, die notwendig sind, um das Ziel eines gemeinsamen Unternehmens zu erreichen. Mithilfe von Projektmanagement soll die Projektabwicklung zur Erreichung des Projektziels in der geforderten Qualität, geplanten Zeit und mit optimalem Einsatz von Ressourcen effizient gestaltet werden. Vor dem Hintergrund der Komplexität einer Transaktion ist die Einrichtung einer festen Projektorganisation, wie beispielhaft in Abb.  8.4 dargestellt, mit Beginn des Prozesses essenziell (vgl. Lucks und Meckl 2002, S. 60 ff.). Lenkungsgruppe Die Lenkungsgruppe bildet das oberste Gremium im Projekt. Sie besteht aus verantwortlichen Entscheidern des Unternehmens oder bei einer Fusion der beteiligten Unternehmen sowie der (externen) Projektleitung. Sie übernimmt die strategische Steuerung des Projektes, trifft projektbezogene (Zwischen-)Entscheidungen und ist für die Vor- sowie Nachbereitung von Gremiensitzungen und -beschlüssen verantwortlich. Darüber hinaus obliegt ihr die Verantwortung für die Steuerung der internen und externen Kommunikation. Der Lenkungsgruppe wird in der Regel ein monatlicher Statusbericht über den Fortschritt des Projektes zur Verfügung gestellt. Der externe Berater übernimmt dabei als

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M. Borchers und K. Kwickert Aufgaben

Lenkungsgruppe Projektleitung

Steuerung des Projektes

Verantwortlichen Entscheider + externer Berater

Management des Projektes

Interne + externe Projektleitung

Durchführung des Projektes

Mitarbeiter des Unternehmens + externer Berater

Projektbüro Arbeitsgruppen

Mitglieder

Abb. 8.4  Beispielhafte Darstellung für eine Projektorganisation. (Quelle: eigene Darstellung 2018)

externer Projektleiter die Moderation sowie Dokumentation von Sitzungen und deren wesentlichen Inhalten. Darüber hinaus steht er den Verantwortlichen beider Parteien häufig bei der Erarbeitung der Kommunikationsstrategie beratend zur Seite. Projektleitung Eine besondere Rolle nimmt die Projektleitung bestehend aus (einem) internen Projektleiter(n) und einem vonseiten des externen Beraters gestellten Projektleiter ein. Die Projektleitung steuert und kontrolliert das gesamte Projekt und begleitet die einzelnen Verfahrensschritte auf operativer Ebene. Sie ist verantwortlich für die Einhaltung von Zielen, Meilensteinen und Budgets. Dabei ist sie im Austausch mit allen Verantwortlichen der einzelnen Teilprojekte bzw. Arbeitsgruppen. Projektbüro Das Projektbüro ist in der Regel mit Mitarbeitern des Unternehmens, aber vor allem auch mit externen, im Projektmanagement geschulten und erfahrenen Beratern besetzt. Es ist für die Erfolgssteuerung aller Teilprojekte zuständig. Dabei kommen ihm verschiedene Funktionen/Aufgaben zu: 1. Steuerung des Umsetzungszeitplans aller definierten Teilprojekte bzw. Arbeitsgruppen: Der Fokus liegt dabei auf der Terminsetzung und Einhaltung dieser. Ziel ist es, alle definierten Teilprojekte bzw. Arbeitspakete auf die avisierte Zeitschiene zu setzen. Zu diesem Zweck wird die Terminfindung mit den Auftraggebern, den Beratern sowie anderen an dem Projekt Beteiligten vorgenommen. 2. Zentrales Management des Projektplans: Das Projektbüro ist dazu angehalten, die in jedem Teilprojekt definierten Ziel- und Maßnahmenpläne zu verwalten und zu managen. Im Projektbüro werden die einzelnen Maßnahmen damit in einem Gesamtplan einzelnen Mitarbeitern und Beratern zugeordnet und zeitlich eingeordnet. Das Projektbüro wird den Auftraggebern ein monatliches Umsetzungsreporting in Form eines kurzen Statusberichtes zur Verfügung stellen. 3. Dokumentation sowie Daten- und Informationssteuerung: Das Projektbüro ist die zentrale Sammelstelle aller projektbezogenen Informationen. Wesentliche Aufgabe ist die Sicherstellung aller in den Teilprojekten bzw. Arbeitsgruppen erarbeiteten Ergebnisse sowie die Steuerung der Datenverteilung an die jeweiligen Arbeitsgruppen.

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4. Erfolgscontrolling: Im Erfolgscontrolling werden die Umsetzungserfolge der definierten Ziel- und Maßnahmenpläne kontrolliert und ggf. nachgesteuert. In einem ersten Schritt werden Gründe für zeitliche Verzögerung identifiziert und darüber berichtet. In einem zweiten Schritt wird gemeinsam mit den Auftraggebern die Nachsteuerung einzelner Maßnahmen besprochen. Im Fokus stehen insbesondere zeitlich kritische Maßnahmen sowie solche mit hohem ökonomischen Einfluss. Eine Orientierung erfolgt anhand der Maßnahmenpriorisierung der Teilprojekte. Ziel des Erfolgscontrollings ist es, die beteiligten Parteien nicht durch die Menge an Maßnahmen auf operativer Ebene zu überfordern. Dies bedeutet eine Implementierung verschiedener Eskalationsstufen (von leichter Erinnerung bis hin zu vehementem Nachfassen). In zentral wichtigen Maßnahmen wird die Eskalationsstufe von Beginn an erhöht. 5. Inhaltliche Unterstützung: Die externen Berater leiten als Experten bei notwendiger inhaltlicher Unterstützung Maßnahmen in die Wege, um die definierten Ziele zu erreichen. Arbeitsgruppen Die Einbindung der operativen Ebene erfolgt über die gebildeten Arbeitsgruppen. Die Arbeitsgruppen können unterschiedlichster Besetzung sein. Auch kann eine Arbeitsgruppe nur aus internen Mitarbeitern oder nur aus Mitarbeitern des externen Beraters bestehen. Die Arbeitsgruppen beschäftigen sich sowohl mit inhaltlichen Themen der Transaktion (wie z. B. Due Diligence, Unternehmensbewertung oder rechtliche Umsetzungsmodelle) als auch mit prozessbezogenen Aufgaben (wie z. B. Kommunikation, Organisation oder Steuerungsinstrumente).

8.8

Schlussbetrachtung

Eine Transaktion im Gesundheitswesen unterscheidet sich in vielen Dingen nicht wesentlich von einem Zusammenschluss oder einer Übernahme in anderen (Industrie-)Branchen. Gerade durch die Besonderheiten der gesetzlichen und sozialen Rahmenbedingungen sowie der verschiedenen Akteure im Markt stellt eine Transaktion im Gesundheitswesen einen komplexen und anspruchsvollen Prozess dar. Der Beitrag zeigt, dass neben der grundsätzlichen strategischen Ausrichtung eines Transaktionsvorhabens die strukturierte Vorgehensweise und das professionelle Managen des Prozesses von entscheidender Bedeutung sind. Mithilfe von erfahrenen Unternehmensberatern können solche Prozesse auch parallel zum alltäglichen Geschäft erfolgreich umgesetzt werden. Unabhängig davon, ob ein Träger auf der Käufer- oder Verkäuferseite steht oder einer von mehreren Kooperations- bzw. Fusionspartnern ist, sind die Vorbereitung und Planung bis hin zur tatsächlichen Umsetzung der Transaktion nicht zu unterschätzen. Transaktionsentscheidungen werden auf Management- oder Gesellschafterebene getroffen und sind in der Regel mit erheblichen unternehmerischen Veränderungen verbunden. Für eine sichere Entscheidung und zur Einhaltung der erforderlichen Sorgfaltspflichten bedarf es einer Due Diligence sowie Unternehmensbewertung. Erst dadurch können Chancen und Risiken ermittelt, Informationsasymmetrien zwischen den Beteiligten abgebaut sowie Unternehmenswerte bzw. Kaufpreise bestimmt werden.

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M. Borchers und K. Kwickert

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8  Projektsteuerung, Due Diligence und Kaufpreisfindung – Unternehmensberatung …

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Rippmann K (2007) Einführung Unternehmensverbindungen in der Gesundheitswirtschaft – Treiber und Hindernisse. In: Hellmann W, Rippmann K (Hrsg) Erfolgsfaktoren für marktorientiertes Fusionsmanagement in der Gesundheitswirtschaft. Economica,Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm GmbH, Heidelberg, S 3–9 Wirtz BW (2003) Mergers & Acquisitions Management. Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler/GWV Fachverlag GmbH, Wiesbaden Woltery L, Gatz C, Müller I (2016) Das kontrollierte Bieterverfahren – eine effiziente Methode der Suche nach strategischen Partnern. Der Betrieb 69(14):781–788

Matthias Borchers, Dipl.-Kfm.,  ist Gründer und Geschäftsführender Partner der Borchers & Kollegen Managementberatung GmbH. Zuvor hat er viele Jahre – zuletzt als Geschäftsführer - die Unternehmensberatung einer auf das Gesundheits- und Sozialwesen spezialisierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft aufgebaut und verantwortet. Er ist leidenschaftlicher Experte für die Beratung von Zusammenschlüssen und Akquisitionen und engagierter Begleiter von Führungskräften und Aufsichtsgremien bei Strukturveränderungen. Darüber hinaus ist er Verantwortlicher für die Studien zum Thema Führung und Aufsicht, Autor diverser Fachbeiträge und Referent auf Kongressen und Fortbildungsveranstaltungen. Karolin Kwickert, Dipl.-Kffr.,  ist Senior Managerin und Prokuristin bei der Borchers & Kollegen Managementberatung GmbH. Zuvor war Sie viele Jahre als verantwortliche Projektleiterin in der Unternehmensberatung einer auf das Gesundheits- und Sozialwesen spezialisierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft tätig. Sie ist seit mehr als 10 Jahren Expertin für die Beratung von Transaktionen, insb. für die Durchführung von strukturierten Bieterverfahren zur Veräußerung von Einrichtungen oder Unternehmen aus dem Sozial- und Gesundheitswesen. Insgesamt hat sie bereits über 30 derartige Transaktionen erfolgreich begleiten können. Die zertifizierte Projektmanagerin ist zudem Autorin diverser Fachartikel und referiert auf verschiedenen Veranstaltungen.

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IT-Strategieberatung für Krankenhäuser Uwe Günther und Timo Braun

Inhaltsverzeichnis 9.1  E  inleitung  9.1.1  Besondere Herausforderungen im Gesundheits-/Krankenhaussektor  9.1.2  Verbundbildung im Krankenhausmarkt  9.1.3  Grundlegende Bedeutung einer IT-Strategie  9.1.4  Mehrwert durch die Beauftragung externer Berater für Krankenhäuser  9.2  Methoden zur Entwicklung und Einführung einer IT-Strategie  9.2.1  Erfassung des Istzustandes der IT  9.2.2  Sollkonzeption der IT-Strategie  9.2.3  IT-Maßnahmen und Finanzplanung  9.3  Schlussbetrachtung  Literatur 

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Zusammenfassung

Die Informationstechnologie (IT) ist elementar für die Unternehmensprozesse in Krankenhäusern. Dennoch wird die Bedeutung der IT häufig unterschätzt oder nicht erkannt. Es muss daher eine geeignete Möglichkeit gefunden werden, die IT bestmöglich in Krankenhäuser einzubinden. Eine Lösung hierfür bietet die IT-Strategie. Eine optimal gestaltete IT-Strategie ermöglicht den zielgerichteten Einsatz von IT im Krankenhaus. Durch die daraus resultierende verbesserte Kooperation und optimierte Abläufe werden sowohl die Qualität und Effizienz gesteigert als auch die Kosten gesenkt. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den speziellen Aspekten einer IT-Strategieentwicklung im Krankenhaus. Vor dem Hintergrund der IT-Strategieberatung werden zunächst die U. Günther (*) · T. Braun Sanovis GmbH, München, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), Consulting im Gesundheitswesen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25479-7_9

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besonderen Herausforderungen, die der Gesundheits-/Krankenhaussektor bietet, aufgezeigt sowie die Verbundbildung im Krankenhausmarkt diskutiert. Hierbei wird der Mehrwert für Krankenhäuser durch die Beauftragung externer Berater bei der Entwicklung von IT-Strategien deutlich. Die bewährten Methoden einer auf das Gesundheitswesen spezialisierten Unternehmensberatung zur Entwicklung und Einführung einer solchen IT-Strategie werden in diesem Beitrag vorgestellt.

9.1

Einleitung

Kann ein Krankenhaus ohne Informationstechnologie (IT) funktionieren? Gelingt Unternehmenserfolg ohne IT? Quasi zeitgleich mit dem Wandel des Gesundheitswesens von behördlichen Verwaltungsstrukturen zu einem Markt medizinischer Leistungserbringer mit betriebswirtschaftlichen Zielen wuchs die Präsenz der unternehmenseigenen IT.  In diesem Zusammenhang wird zudem immer wieder die Frage des Beitrags der IT zum Unternehmenserfolg erörtert. Dennoch hat man oftmals noch den Eindruck, dass eine Abgrenzung zwischen IT und Fachseite besteht, die beiderseits von Klagen über eine mangelhafte Zusammenarbeit und Schuldzuweisungen geprägt ist. Um dieser Problematik entgegenzuwirken, ist es von großer Bedeutung, eine IT-Strategie zu entwickeln, die im Einklang mit der Unternehmensstrategie erstellt und gelebt wird. Die IT muss mithilfe der IT-Strategie in der Lage sein, die übergeordneten Strategiemodelle und strategischen Methoden zu verstehen und im eigenen Bereich adaptiert umzusetzen, um die Sprachbarriere zwischen Unternehmensleitung und IT zu überwinden (Mangiapane und Büchler 2015).

9.1.1 B  esondere Herausforderungen im Gesundheits-/ Krankenhaussektor Die strategische und operative Steuerung von Informationstechnologien im Gesundheits-/ Krankenhaussektor unterscheidet sich zum Teil deutlich von anderen Sektoren. Krankenhäuser stehen, bedingt durch zunehmend schneller werdende politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen, einer Vielzahl an Herausforderungen gegenüber. Hierzu gehören steigende Kosten im Gesundheitswesen, die demografische Entwicklung der Bevölkerung, stetiger medizinischer und technologischer Fortschritt sowie gesetzliche und politische Vorgaben. Zeitgleich erwarten Patienten von ihrem Gesundheitsversorger zunehmend innovative Interaktions- und Kommunikationswege, jedoch ist die tatsächliche digitale Einbindung der Patienten oder deren Angehörigen in die Prozesse der Klinik bei Krankenhausaufenthalten immer noch unterentwickelt. Auch in den Einrichtungen selbst entstehen weitere Herausforderungen durch den spezifischen Gesundheits-/Krankenhaussektor. Die Komplexität des diagnostischen und

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t­herapeutischen Spektrums erfordert ein übergreifendes Zusammenwirken der Leistungserbringer. Es existieren sektoral getrennte Versorgungsbereiche mit unterschiedlichen Al­ lokations-, Organisations- und Finanzierungsstrukturen. Ferner können inhaltlich und krankengeschichtlich umfassende Patientenakten fehlen oder es können fehlerhafte und/ oder falsche Informationen über vorangegangene medizinische Behandlungsprozesse vorliegen. Durch die Kommunikation mit vielen unterschiedlichen Einrichtungen ist die Kommunikationsarchitektur im Krankenhaus stets sehr heterogen. Dies bedingt eine Vielzahl an proprietären Insellösungen, die viele Medienbrüche innerhalb einer Einrichtung nach sich ziehen. Die Verwaltung, Entwicklung und Anpassung dieser Schnittstellen binden fortwährend viele Ressourcen innerhalb der Krankenhaus-IT. Die gegenwärtige Situation im Gesundheitswesen macht die Suche nach Prozessen, die in ihrem Verlauf keine Berührungspunkte zu IT-Basistechnologien aufweisen, schwer. Es gibt kaum noch Medizinprodukte, die isoliert betrieben werden, sondern sich in IT-­ Netzwerke einbinden lassen (Walther und Becker 2009). Die vielschichtigen Herausforderungen erhöhen den Druck auf Krankenhäuser, ihre internen Strukturen effektiv und effizient zu gestalten, und stellen hohe Anforderungen an die moderne Krankenhausverwaltung. Eine weitere Schwierigkeit, der sich IT-Abteilungen im Gesundheits-/Krankenhaussektor gegenübersehen, ist ihr deutlich geringeres IT-Budget als in der Industrie. Dennoch haben Einrichtungen im Gesundheits-/Krankenhaussektor mindestens genauso hohe Anforderungen an sichere und hoch verfügbare IT-Lösungen wie die Industrie. All dies ist Grund genug, über die Positionierung einer IT im Unternehmen Krankenhaus nachzudenken, die oftmals im Alleingang den Wandel vom Technologiebetreiber zum Businesspartner schaffen soll. Schnell sind mit dem Blick von außen auf die IT die Fragen nach Leistungsfähigkeit, Zufriedenheit und Wertbeitrag gestellt. Obwohl der Stellenwert der IT als Schlüsseltechnologie im Gesundheitswesen zur Förderung der Effizienz und Effektivität und ihre wachsende strategische Bedeutung anerkannt sind, liegt der Gesundheits-/Krankenhaussektor hinsichtlich Einsatz moderner Informationstechnologien und Investitionsbereitschaft hinter anderen Branchen zurück. Viel zu häufig wird die IT nicht als Enabler wahrgenommen, der sie ist und in dessen Rolle sie neue Impulse für Geschäftsprozesse geben kann und an der Gestaltung neuer Geschäftsmodelle beteiligt sein sollte. Es liegt also an der Führungsebene, durch eine Verbesserung der IT-Organisation zur Effizienzsteigerung beizutragen und mit der daraus resultierenden Kosteneinsparung die Limitierung durch Budgets zu überwinden.

9.1.2 Verbundbildung im Krankenhausmarkt Der deutsche Gesundheitsmarkt befindet sich nicht zuletzt aufgrund des immensen Kostendrucks, der steigenden Qualitätsanforderungen, des Einzug haltenden transsektoralen Wettbewerbs sowie der andauernden Gesetzesänderungen in einem tief greifenden Wandel. Es herrscht das Diktat der Kostensenkung und Effizienzsteigerung. Krankenhäuser

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finden sich daher immer häufiger in Verbundstrukturen zusammen, um konkurrenzfähig und wirtschaftlich zu bleiben. Dieser Trend zur Verbundbildung im Krankenhausmarkt ist voll im Gange und wird weiterhin deutlich voranschreiten. Derzeit sind bereits mehr als die Hälfte der deutschen Krankenhäuser in einer gesellschaftsrechtlich relevanten Verbundstruktur organisiert, zwei von drei Einzelhäusern denken vermehrt über Verbundzugehörigkeit nach. Dies belegt die Krankenhausstudie 2017 der Curacon GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (Lorke und Schlenker 2017). Inwieweit die Zugehörigkeit zu einem Krankenhausverbund vorteilhaft ist, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Dabei spielen strategische und speziell wirtschaftliche Positionierungsfragen eine zentrale Rolle (vgl. Abb. 9.1). Wie in Abb. 9.1 ersichtlich, können knapp zwei Drittel der Verbundhäuser Kostensenkungen realisieren, während weitere 28 % immerhin eine teilweise Kostenreduktion verbuchen. Nahezu alle Häuser (97 %) erzielten Kostensenkungen in den Tertiärbereichen, d. h. bei den administrativen, technischen und zuliefernden Prozessen, deutlich weniger hingegen in den Sekundär- (73 %) und vor allem in den patientennahen Primärbereichen (45  %; Lorke und Schlenker 2017). Eine wesentliche Funktion im Tertiärbereich eines Krankenhausverbundes bildet heutzutage die IT. In diesem Zusammenhang stellt sich die grundlegende Frage, wie sich die IT organisatorisch innerhalb eines Krankenhausverbundes positioniert. Im Diskurs um die Ausrichtungsalternativen „Zentralisierung vs. Dezentralisierung“ wird vermehrt das Konstrukt der Shared Services in Betracht gezogen. Obwohl die Erzielung von Wirtschaftlichkeitseffekten eine Maxime bei der Verbundbildung ist und diese nahezu in allen Verbundhäusern in den Tertiärbereichen erreicht werden konnten, hat noch längst nicht überall eine diesbezügliche Zentralisierung stattgefunden. Ob und inwieweit eine Zentralisierung von Tertiärstrukturen Kostenvorteile mit sich bringt, dürfte von den Dienstleistungen der jeweiligen Bereiche sowie von der Entfernung zwischen den einzelnen Krankenhausstandorten abhängen (Hanschke 2013). Die Erfahrung zeigt, dass insbesondere bundesweit agierende, große private Träger – neben zentralen oder regionalen Einheiten – häufig am Krankenhaus vor Ort ansässige Verwaltungsstrukturen vorhalten (Lorke und Schlenker 2017). Kleinere Träger, deren Einrichtungen überwiegend regional, also deutlich näher beieinander lokalisiert sind, können einen höheren Zentralisierungsgrad besser realisieren. Hier sind an den Standorten selbst wenige oder gar keine Verwaltungsstrukturen mehr vorhanden. Das Vorhandensein von Shared-Service-Strukturen als Zentraleinheiten muss also nicht zwingend mit der vollständigen Aufgabe von vor Ort tätigem Personal einhergehen (Günther und Plagge 2017a). Mit speziellem Blick auf die IT weisen 90  % der Verbundkrankenhäuser eine IT-­ Abteilung in Gestalt eines Shared Service Center auf. Die aufbau- und ablauforganisatorische Ausgestaltung des Shared Service Center spielt insbesondere hier eine wesentliche Rolle, da die Dienstleistungen von sowohl zentralen Ausprägungen, z. B. Rechenzentrum und User Help Desk, als auch dezentralem Charakter, z. B. Onsite Support und Softwareeinführungsprojekte, gekennzeichnet sind.

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Abb. 9.1  Kostensenkungseffekte durch Verbundbildung vornehmlich im Tertiärbereich. (Quelle: Lorke und Schlenker 2017)

Abb. 9.2  Mögliche IT-Organisationsmodelle im Krankenhausverbund. (Quelle: eigene Darstellung 2018)

Besondere Herausforderungen für die IT-Strategie in Krankenhausverbünden ist die Zentralisierung von IT-Abteilungen, wobei drei unterschiedliche Governance-Ansätze und Organisationsmodelle für die IT in einem Krankenhausverbund unterschieden werden können (vgl. Abb. 9.2). Beim zentralisierten IT-Modell werden alle IT-Aktivitäten von einer zentralen und hierarchisch organisierten IT-Einheit gesteuert und bereitgestellt. Die positiven Effekte hierbei sind eine weitgehend vereinfachte Chance zur Standardisierung der IT-Abläufe und IT-Systeme sowie die Realisierung von Economies of Scale. Dies geht jedoch zulasten der Responsivität in Bezug auf die Anwender sowie der Kostenkontrolle der einzelnen Kliniken als dezentrale Leistungsempfänger (Tiemeyer 2007). Im Gegensatz dazu erfolgt bei der dezentralisierten IT die IT-Leistungserbringung durch verteilte und autark agierende IT-Einheiten in den verschiedenen Kliniken, ohne

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U. Günther und T. Braun

übergreifende Koordination. Die in diesem Fall sehr große Möglichkeit, auf klinikindividuelle Wünsche einzugehen, wird durch die mangelnde Nutzung von Synergieeffekten und somit höhere IT-Kosten in Kauf genommen (Günther und Plagge 2017b). Jede IT-­ Einheit erfindet sprichwörtlich das Rad neu, ohne die gemeinsame Kraft im Verbund zu nutzen. Beim letzten, dem föderalistischen IT-Modell werden alle IT-Aktivitäten von einer Kombination aus dezentralen klinikspezifischen IT-Abteilungen sowie einer zentralen IT-Einheit bereitgestellt und übergreifend koordiniert. Damit werden die Vorteile aus dem zentralisierten und dezentralisierten IT-Modell genutzt und gleichzeitig deren Nachteile eliminiert. Die Perspektive der Gesamtorganisation steht nun im Vordergrund. Demzufolge ist das föderalistische IT-Modell in der Regel das Mittel der Wahl für die Organisation der IT in einem Krankenhausverbund. Bei der strategischen Ausrichtung von IT-Abteilungen in Krankenhausverbünden können, bedingt durch Neustrukturierungen, Probleme bei der Zentralisierung von IT-­ Abteilungen auftauchen, deren Lösungen in Abschn. 9.2.2.3 beschrieben werden.

9.1.3 Grundlegende Bedeutung einer IT-Strategie Die unternehmenseigene IT-Abteilung im Krankenhaus wird meist mit einem Blick von außen und den Fragen nach Leistungsfähigkeit, Zufriedenheit und Wertbeitrag konfrontiert. Was bringen Investitionen in Krankenhaus-IT? Welchen Notwendigkeiten folgen diese und wird irgendwann ein Return on Investment (ROI) erreicht? Um dies beantworten zu können, muss zunächst geklärt werden, ob die Ansprüche an die IT gerechtfertigt sind und die IT-Abteilung entsprechend ausgestattet ist, damit IT-Leistungen zum Erfolg eines Unternehmens beitragen können. Um die Fragen aus der Sicht der IT beantworten zu können, muss als Erstes klar sein, wie der Wertbeitrag der IT zum Erfolg des Unternehmens aussehen kann. Wie entsteht Wertsteigerung in der IT durch Investition in IT? Hierbei ist die klassische Ansicht längst überholt, sich mit einem Stück neuer Technologie automatisch optimierte Businessprozesse kaufen zu können. Letztendlich ist IT nicht führender Selbstzweck im Krankenhaus und eine optimierte IT kein Treiber für Anspruchsgruppen. Der Gewinn einer Investition in IT ist kein Automatismus, er wird generiert durch eine konsequent fortgeschriebene Optimierung der übergeordneten Businessprozesse. Der Nachweis sollte zu jedem Zeitpunkt erbringbar sein durch die Anwendung klassischer Zielsysteme, wie z.  B. die Balanced Scorecard (BSC). Als Vorgabe an eine IT-Abteilung im Krankenhaus übergeben, besteht dadurch das größte Potenzial, IT-Systeme zu implementieren, die in kongruenter Weise eben diese optimierten Businessprozesse abbilden können. Zufriedenheit mit der IT-Abteilung stellt sich ein, wenn diese Kongruenz geschaffen wurde. Die IT schafft keine Werte, sie liefert Wertbeiträge zu einer Investition in Automatisierung und ­Prozessoptimierung.

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Eine IT-Strategie sollte daher auf der Unternehmensstrategie und den darin verankerten grundsätzlichen Unternehmenszielen aufgebaut werden. Dadurch kann die IT-Strategie als Grundlage für operative Entscheidungen in der Krankenhaus-IT dienen und somit zu einem zielgerichteten Einsatz von IT führen. Ein zielgerichteter Einsatz von IT mit einer verbesserten Kooperation und optimierten Abläufen steigert zum einen die Qualität und Effizienz, zum anderen kann er zeitlich zu einer deutlichen Kostensenkung führen. Die IT-Strategie schafft keinen statischen Zustand, sondern ist ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess, der in einem Regelkreis veranschaulicht werden kann (Abb. 9.3). Der Nachweis der Zielerreichung erfolgt hierbei über Key Performance Indicators (KPIs) und den Vergleich der Ist- mit den Sollwerten. Das Dilemma einer klassisch strukturierten IT-Abteilung ist oftmals die Nichtexistenz von Controllingmöglichkeiten, die in hinreichender Weise mit IT-Fachwissen gepaart darstellen können, was der quantisierte Erfolg von IT-Investitionen ist. Ein langfristiger Versatz der Investivmaßnahmen zum schwer zu quantifizierenden Erfolg erschwert die Situation zusätzlich. Allein der Aufbau eines Registers an KPIs zum Thema IT-Leistung und Optimierungsgrad assoziierter Businessprozesse ist aufwendig. Ohne diese Aufwände zu betreiben und einer Unternehmens-IT die Zeit und die Ressourcen zu gewähren, kann der Nachweis des Wertbeitrages nicht erreicht werden. Controlling ist kein Kerngeschäft einer klassisch strukturierten Unternehmens-IT, es ist aber ein entscheidender Erfolgsfaktor. Durch bedarfsgerechte Prozessunterstützung und modernes Informationsmanagement im Rahmen einer IT-Strategie ist die Krankenhaus-IT nachweislich in der Lage, zur Erreichung der strategischen Unternehmensziele im Krankenhaus beizutragen und durch eine konsequent fortgeschriebene Optimierung der übergeordneten Businessprozesse einen Gewinn von Investitionen aufzuweisen. Abb. 9.3 Kontinuierlicher Verbesserungsprozess in der IT. (Quelle: eigene Darstellung 2018)

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U. Günther und T. Braun

9.1.4 M  ehrwert durch die Beauftragung externer Berater für Krankenhäuser Trotz der in Abschn. 9.1.3 definierten Voraussetzungen für das Erstellen einer IT-Strategie im Krankenhaus kommt es immer wieder zu Schwierigkeiten. Besonders beim erstmaligen Erstellen einer IT-Strategie können hierbei Probleme auftreten. So kann es für IT-­ Abteilungen im Krankenhaus schwierig sein, die strategischen Unternehmensziele IT-­ Zielen zuzuordnen, was dadurch noch verstärkt werden kann, dass Fachbereiche und Anspruchsgruppen ihre Ziele nicht klar definieren oder es keine verbindlichen Vorgaben des Businessmanagements gibt. Auch eine aufrichtige Selbstreflexion der IT-Abteilung kann bisweilen vom tatsächlichen oder von der Anwenderseite wahrgenommenen Zustand abweichen. Ähnliche Probleme können eine Gap-Analyse zum zukünftigen IT-­Kerngeschäft beeinflussen. Aus diesen Gründen ist die Beschäftigung eines externen Beraters für die IT-­ Strategieberatung von großem Mehrwert für Krankenhäuser. Neben einer umfangreichen Expertise und Erfahrung im Erstellen einer IT-Strategie verfügt ein spezialisierter Berater über eine saubere und bewährte Methodik. Ferner ist seine politische und sachliche Neu­ tralität von großem Vorteil bei der Bewertung der Istsituation, der Gap-Analyse und dem Erstellen der IT-Sollkonzeption. Besonders bei den daraus resultierenden Maßnahmen ist eine neutrale Betrachtung wichtig und erhöht darüber hinaus die Akzeptanz bei strukturellen und personellen Veränderungen in IT-Abteilungen. Der größte Mehrwert der Beauftragung eines externen Beraters ist, dass dieser nicht in das operative Tagesgeschäft des Krankenhauses eingebettet und somit zeitlich gebunden ist. Dies ist besonders mit Hinblick auf die IT-Strategie als kontinuierlichen Verbesserungsprozess von großer Bedeutung. So können in Zusammenarbeit mit einem externen Berater die entscheidenden Grundlagen für eine kontinuierliche Überarbeitung und Anpassung nach der Implementierung der IT-Strategie gelegt werden.

9.2

 ethoden zur Entwicklung und Einführung einer ITM Strategie

Der Aufbau der folgenden Abschnitte richtet sich nach der Vorgehensweise der Sanovis GmbH, München, eine Tochter der Curacon GmbH Wirtschaftsprüfgesellschaft, die durch die Spezialisierung auf das Gesundheitswesen eine bewährte Methode zur Entwicklung von IT-Strategien in Krankenhäusern darstellt. Diese Methode der IT-Strategieberatung umfasst die Analyse und Bewertung des Istzustandes der IT-Strukturen, das Erfassen der derzeitigen und zukünftigen Anforderungen an die IT und deren strategische Ausrichtung, das Einbringen von Benchmarks und Best Practices, die Definition des Sollzustandes sowie die Entwicklung einer Maßnahmenplanung und Investitionsplanung in Bezug auf die nachfolgenden Aspekte:

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• • • • • •

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IT-Personalstruktur und IT-Organisation, Applikationen/Verfahren, IT-Infrastruktur und Systeme, Projektplanung, Sourcing, Budget.

9.2.1 Erfassung des Istzustandes der IT Zu Beginn der IT-Strategieberatung stehen die Erfassung des Istzustandes der IT und die Bestimmung der strategischen Positionierung. Dies bildet die Grundlage für alle weiteren Schritte, ist somit von elementarer Bedeutung und ermöglicht es, den Stellenwert der IT im Krankenhaus beurteilen zu können und in weiteren Schritten strategisch auszurichten. Die IT-Strategieberatung kann nur erfolgreich sein, wenn die aktuelle Situation im jeweiligen Krankenhaus bekannt ist. Um hiervon ein aktuelles Bild zu erhalten, stehen mehrere Maßnahmen zur Analyse der IT zur Verfügung, deren Kombination den Istzustand umfänglich abbilden.

9.2.1.1 Analyse der IT mithilfe strukturierter Abfragekataloge Die erste Maßnahme bei der Erfassung des Istzustandes ist die Bearbeitung eines strukturierten Abfragekataloges, in dem alle relevanten Aspekte für eine detaillierte Analyse der IT erfasst werden. Die Datenerhebung erfolgt durch die IT-Abteilungen, während die Prüfung und Bewertung auf Relevanz und Vollständigkeit durch den externen Berater durchgeführt werden. Zu Beginn des Abfragekataloges werden die Hauptaufgaben und Qualifikationen der einzelnen Mitarbeiter abgefragt, um einen Überblick über die IT-Organisation zu erhalten. Im nächsten Schritt werden die IT-Systeme erfasst. Hierbei wird die Abfrage in Server, Storage, Clients, Drucker und weitere Endgeräte (Beamer, Scanner etc.) unterteilt. Unter dem Aspekt der Netzwerksysteme und Telekommunikation werden sämtliche Komponenten des LAN, WAN und der Telekommunikation gelistet. Einen Hauptbestandteil der IT-Analyse macht die Erfassung sämtlicher durch die IT betriebenen und im Krankenhaus Einsatz findenden Applikationen aus. Je nach Größe und Spezialisierung der jeweiligen Krankenhäuser mit diversen Fachbereichen und Abteilungen, fällt dieser Bereich entsprechend umfangreich aus und verlangt eine strukturierte Bearbeitung. Grundlegend kann hierbei zwischen Applikationen aus den Bereichen Medizin und Pflege, Subsysteme, Personal, Finanzwesen, Materialwirtschaft, Facility-Management, Office-Programme, Anwender- und EDV-Tools unterschieden werden. In diesem Zusammenhang von Bedeutung sind die notwendigen Schnittstellen, deren Anzahl proportional zur Anzahl der eingesetzten Applikationen ist und deren Verwaltung stets Ressourcen der IT-Abteilung bindet. Bei der Abfrage der IT-Dienstleistungen ist zwischen Leistungen

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der IT-Abteilung im Krankenhaus und den Leistungsinanspruchnahmen der IT-Abteilung von externen Dienstleistern zu unterscheiden. Nach einer Übersicht von laufenden und geplanten Projekten der IT-Abteilung ist der Bereich des IT-Budgets und der Finanzen der finale Punkt der Erhebung des Istzustandes und gleichzeitig einer der wichtigsten für dessen Bewertung. Die Betriebskosten der IT-Abteilung werden in die Bereiche Personal, Sachaufwand (Hardware, Software, EDV-Aufwand allgemein, Wartung/Pflege) und Kosten für externe Dienstleistungen differenziert. Das Investitionsbudget wird getrennt für Hardware, Software und externe Dienstleistungen betrachtet. Um das IT-Budget und die Finanzen sinnvoll analysieren zu können, ist zusätzlich zu den aktuellen Zahlen eine Betrachtung der vergangenen (zwei) Jahre anzustreben. Basierend auf derartig strukturierten Abfragekatalogen und weiterführenden Informationen, die von der IT-Abteilung zur Verfügung gestellt werden, ist es, nach Prüfung auf Relevanz, dem externen Berater möglich, das bisherige IT-Konzept und die Rahmenbedingungen zu analysieren und zu bewerten.

9.2.1.2 Interviews zur Bewertung der Anforderungen der IT und strategische Ziele Neben der Analyse der IT-Landschaft mittels Abfragekataloge ist die Durchführung von Interviews mit Anwendern der Fachbereichsseite und entscheidungsrelevanten Vertretern der IT-Abteilungen eine hilfreiche Ergänzung zur Analyse der IT. Die Interviews bilden eine sinnvolle Grundlage, um die Positionierung und Einbindung der IT im Krankenhaus bewerten zu können. Die thematischen Schwerpunkte der Interviews sollten sich für Fachbereiche und IT-Abteilung zwar unterscheiden, bilden jedoch in ihrer nachfolgenden Auswertung eine sehr umfassende Einsicht aus allen relevanten Blickwinkeln. In Interviews mit den Fachbereichen sollte zunächst Allgemeines über die Abteilung abgefragt werden, um deren Bedeutung im Rahmen der IT-Strategieberatung einschätzen zu können. Als Interviewpartner werden im Grunde alle Fachbereiche berücksichtigt, die von der IT betroffen sind, z. B. Geschäftsführung, Ärzte, Pflege, Verwaltung (Patientenaufnahme und -abrechnung, Medizincontrolling etc.) und Technik (Medizintechnik, Facility-­Management, Haustechnik etc.). Wichtig ist hierbei auch zu erfragen, in welchen Prozessen die IT wesentliche Voraussetzungen für den Erfolg der Abteilung bereitstellen muss. Weitere wegweisende Einblicke ergeben sich aus den Aspekten Strategie und Planung der jeweiligen Fachbereiche. Hierbei sollte bereits die Unternehmensstrategie erkennbar sein und ob diese in allen Fachbereichen verankert ist. Den Kernpunkt der Interviews nehmen stets die Zusammenarbeit mit und die Anforderung an die IT-Abteilung im Krankenhaus ein. So spielt die Zufriedenheit der Fachbereiche mit der Unterstützung durch die IT-Abteilung eine ebenso wichtige Rolle wie ihre Sicht für Bereiche, die Potenzial für Verbesserungen bieten. Eine hohe Wertschätzung der IT im Unternehmen stellt einen großen Vorteil bei der strategischen Ausrichtung der IT dar. Ferner sollten in ­Interviews konkrete IT-Vorhaben der Fachbereiche und Erwartungen der Anwender an die IT-Abteilung erfragt werden.

9  IT-Strategieberatung für Krankenhäuser

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Durch derartig aufgebaute Interviews entsteht ein gutes Verständnis der spezifischen Anforderungen der einzelnen Fachbereiche an die IT-Abteilung des Krankenhauses und ein erster Eindruck der Kommunikation zwischen IT und Anwendern kann gewonnen werden. Aus Interviews mit Vertretern der IT-Abteilung ergeben sich sowohl weiterführende Aspekte als auch andere Sichtweisen auf sich deckende Aspekte in der Zusammenarbeit mit den Anwendern. Da sich IT-Abteilungen in Krankenhäusern oft erheblich unterscheiden, sind zu Beginn demografische Informationen bezüglich der IT-Abteilung und die Definierung von Rollen und Verantwortlichkeiten zu klären. Hierbei sollten auch die Zufriedenheit mit der momentanen Situation, die organisatorischen Ziele für die IT-­Abteilung und Bereiche für Verbesserungen diskutiert werden. Unter strategischen und planerischen Aspekten sollte sich mit den Kernkompetenzen und Herausforderungen für den Erfolg der IT aus Sicht der IT-Abteilung auseinandergesetzt werden. Ein weiterer wichtiger Punkt der Interviews sind die bereitgestellten IT-Services, deren reflektierte Bewertung und von Anwendern gewünschte weiterführende Services. Hieraus können sich Berührungspunkte und mögliche Synergiepotenziale mit anderen Einheiten, z. B. Medizintechnik, Telefonie oder Haustechnik, ergeben. Durch mögliche Differenzen zwischen angebotenen und gewünschten Services sind Bereiche für Verbesserungen leicht zu erkennen. Ferner ist es für die Zusammenarbeit und Koordination mit Anwendern wichtig zu klären, inwieweit Standards und Prozesse innerhalb der IT definiert und angewandt werden. Auch die Art der Koordination der Aktivität und der Kommunikation mit Anwendern ist entscheidend für die strategische Positionsbestimmung der IT-Abteilung im Krankenhaus. Für die Betrachtung des Sourcings ist es wichtig, eine Einschätzung der IT-­ Verantwortlichen über die Fähigkeiten und den Einsatz ihrer Mitarbeiter zu bekommen. Auch ob, in welchem Umfang und mit welcher Begründung einzelne Prozesse von externen Anbietern bezogen werden, ist hierfür wichtig aufzuschlüsseln. Projekte und Maßnahmen, die von der IT durchgeführt werden sollen, müssen für eine optimale Umsetzung organisiert und strukturiert an die IT-Abteilung herangetragen werden. Es ist daher in Interviews zu klären, wie die Projekte und Maßnahmen zum aktuellen Zeitpunkt geplant und durchgeführt werden. Hieraus ergeben sich häufig Verbesserungsvorschläge, wie beispielsweise Projektantragsverfahren vonseiten der IT, um einen gezielten Einsatz der Ressourcen planen zu können und um die Kernprozesse und ihr Daily-­ Business mit angestrebter Qualität durchführen zu können. Ferner muss die Verantwortlichkeit für die Projektergebnisse und Priorisierung der Projekte innerhalb der IT-Abteilung klar definiert sein. Durch die detaillierte Auswertung derart geführter Interviews erhält ein externer Berater einen guten Eindruck von der Positionierung der IT im Krankenhaus und ist in der Lage, die Anforderungen an die IT und ihre strategischen Ziele abzuleiten. Dennoch sollten in den Interviews erkennbare Trends und gewünschte Anforderungen an die IT durch zusätzliche externe Quellen, wie Branchenberichte, ergänzt werden, um Handlungsfelder klarer herausstellen zu können.

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Sowohl in den Interviews mit Vertretern der Fachbereiche als auch der IT-Abteilung sollten die Erwartungen an die IT-Strategieberatung erfasst werden, um diese in der Zusammenarbeit berücksichtigen zu können. Nur hierdurch kann eine IT-Strategieberatung von allen Betroffenen angenommen und effektiv umgesetzt werden.

9.2.1.3 Ortsbegehungen von Rechenzentren/Serverräumen Als ergänzende Maßnahme zur Erfassung des Istzustandes innerhalb der IT-Abteilung im Krankenhaus bietet sich die Begehung von Rechenzentren und/oder Serverräumen an. Hierbei kann sowohl ein allgemeiner Eindruck in Bezug auf Raumdimensionierung, Verkabelung und Ordnung gewonnen werden als auch eine spezielle Betrachtung in Bezug auf IT-Sicherheit vorgenommen werden. Gerade für Einrichtungen im Gesundheitswesen, im Besonderen Krankenhäuser, nimmt IT-Sicherheit eine zunehmend wichtigere Rolle ein (BSI 2017). IT-sicherheitsrelevante Punkte, die bei der Ortsbegehung eines Rechenzen­ trums oder Serverraumes betrachtet werden, sind sehr vielschichtig. Hierzu gehören Maßnahmen zu Zutrittsbeschränkungen, die automatische Überwachung der Infrastruktur und der Einsatz von Videoüberwachungsmaßnahmen. Auch der Einsatz von Brandmelde- und Löschanlagen sowie von Überspannungsschutz- und Notabschalteinrichtungen kann bei einer Begehung ebenso einfach überprüft werden wie die Raumklimatisierung und redundante Auslegung kritischer Systeme. Ebenso leicht können bei der Ortsbegehung eines Rechenzentrums oder Serverraumes auch gravierende Mängel hinsichtlich IT-Sicherheit festgestellt werden. Dies kann von nicht ausreichend dimensionierter oder nicht redundanter Notstromversorgung, fehlenden oder unzureichenden Löschanlagen bis zu Risiken, wie durch den Raum verlaufende Wasserleitungen oder fehlende Zutrittsbeschränkungen, führen.

9.2.2 Sollkonzeption der IT-Strategie Basierend auf den Erkenntnissen, die mittels Abfragekataloge, Interviews und Ortsbegehungen gewonnen werden konnten, kann eine Sollkonzeption der IT-Strategie erstellt werden, mit der eine bestmögliche Unterstützung der Geschäftsprozesse im Krankenhaus ermöglicht wird.

9.2.2.1 Vergleich von Basiskennzahlen mit Benchmarks und Best Practice Um die erfassten Kennzahlen des Istzustandes bewerten und in Kontext setzen zu können, empfiehlt sich der Vergleich mit externen Benchmarks (Tiemeyer 2007). Hierbei äußert sich erneut der Mehrwert der IT-Strategieberatung durch externe Berater für die IT-­ Abteilung eines Krankenhauses. So besitzen externe Berater umfangreiche Datenbanken mit Unternehmen, die in Struktur und Größe mit den untersuchten Krankenhäusern vergleichbar sind und eine ausreichend gute Zahlenbasis für einen Vergleich liefern. In einem ersten Schritt werden die erhobenen Basiskennzahlen bei Bedarf adaptiert, um eine Vergleichbarkeit mit den externen Benchmarks herstellen zu können. Obwohl die

9  IT-Strategieberatung für Krankenhäuser

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externen Benchmarks mit den internen in Bezug auf Qualität und Aussagekraft vergleichbar sind, muss beachtet werden, dass systematisch bedingte Fehler hierbei nur begrenzt bereinigt werden können. Um die IT-Kostenstruktur bewerten zu können, ist zunächst die Betrachtung des Gesamterlöses des Krankenhauses, der Anzahl an Betten bzw. Patientenplätzen, der Mitarbeiteranzahl im Unternehmen und in der IT-Abteilung sowie der Anzahl der von der IT zu betreuenden Clients erforderlich. Im Bereich der IT-Abteilung sind ferner die Personalkosten, Investitionskosten und Betriebskosten für ein aussagekräftiges Benchmarking relevant. Mit diesen Basiskennzahlen ist es möglich, die IT-Kosten für Personal, Betrieb und Investitionen mit externen Benchmarks zu vergleichen und zu bewerten, ob die internen Benchmarks über oder unter dem mittleren Durchschnittswert für die jeweiligen Bereiche liegen. Besonders der Anteil der IT-Budgets am Gesamterlös ist eine signifikante Kennzahl, die Aufschluss über die Positionierung der IT im Krankenhaus gibt. Ein häufig sehr niedriges IT-Budget und eine damit verbundene niedrige Investitionsbereitschaft sind kennzeichnend für Einrichtungen im Gesundheitssektor. Die IT-Gesamtkosten selbst müssen jedoch auch weitergehend analysiert werden. So liefert die relative Verteilung der IT-Gesamtkosten auf die Bereiche Personal, Betrieb und Investitionen wertvolle Einblicke in die strategische Ausrichtung der IT-Abteilung. Weitere detaillierte Einblicke in das IT-Budget erhält man durch den Bezug des IT-Budgets auf die Anzahl der Mitarbeiter und Betten, was zusätzlich zu einer guten Vergleichbarkeit mit externen Benchmarks führt und eine Personalabschätzung ermöglicht. Eine ergänzende Methode zur Analyse der erfassten Basiskennzahlen ist der Vergleich mit einem Referenzmodell der Best Practice. Einen weitverbreiteten Standard hierfür stellt die Information Technology Infrastructure Library (ITIL) der Central Computer and Telecommunications Agency (CCTA) dar (Stych und Zeppenfeld 2008; Cannon 2011). Darüber hinaus fließen etablierte Standards und Trends in die Bewertung ein. Sowohl der strukturierte Vergleich mit ausgewählten Benchmarks als auch mit Best-Practice-Sammlungen liefert somit Ansatzpunkte im Sinne der angestrebten IT-­ Sollkonzeption.

9.2.2.2 IT-Sollkonzeption Auf den Ergebnissen der Erfassung des Istzustandes der IT und dem Vergleichen mit Benchmarks und/oder Best Practice aufbauend, kann eine IT-Sollkonzeption erarbeitet werden. Dieses Konzept sollte es ermöglichen, eine an den Unternehmenszielen ausgerichtete IT-Strategie zu erarbeiten, die einen optimalen Ressourceneinsatz unter Berücksichtigung der Synergien und Schnittstellen im Unternehmen beinhaltet. Es müssen sowohl die Rolle und Intensität der Nutzung der IT grundsätzlich definiert als auch strategische Schwerpunkte der IT-Nutzung festgelegt werden. Die IT-­Sollkonzeption darf hierbei nicht die Erfolgsfaktoren und strategischen Unternehmensziele vernachlässigen. Durch eine starke Einbindung bzw. Orientierung an der U ­ nternehmensstrategie ist es möglich, Entscheidungen methodisch und priorisierend nachvollziehbar zu formulieren (Beißel 2016).

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Um eine optimale Wertschöpfung der IT zu ermöglichen, ist eine aktive und nachhaltige Kommunikation zwischen IT-Abteilung und Fachbereichen notwendig, die durch organisatorische Konzepte berücksichtigt und gefördert werden sollte. Aufbauend auf der Erfassung des Istzustandes der IT muss bei der IT-Sollkonzeption die Positionierung der IT im Unternehmen berücksichtigt werden (vgl. auch Abschn. 9.2.2.3). Ist die IT nicht als eigenständiger Bereich im Unternehmen positioniert, muss geklärt werden, in welche Richtung Veränderungen erforderlich sind. Grundlegende Voraussetzung für die Einführung moderner IT-Organisationsformen sind die Bereitschaft zum Wandel der IT in Richtung Anwender- und Serviceorientierung sowie die ständige Gewährleistung der IT-­ Services. Dies führt zur Verbesserung der Effizienz, der Qualität und der Wirtschaftlichkeit der IT-Abteilung im Krankenhaus. Auch die Ausrichtung der eingesetzten bzw. einzusetzenden Software zur Unterstützung der administrativen und klinischen Prozesse (z. B. KIS, EPA, ERP, Subsysteme) sollte in einer Applikationsstrategie, als Teil der IT-Sollkonzeption, beschrieben werden. In diesem Zusammenhang müssen notwendige (interne/externe) Schnittstellen und Redundanzen ebenso berücksichtigt werden wie bei der Infrastrukturstrategie, die den Einsatz der IT-Basistechnologien konzipiert (Hanschke 2013). Die Beschaffung von IT-­Infrastruktur und Software ist mit hohem Investitionsaufwand verbunden und bedarf daher, in Abhängigkeit der Anforderungen und vorhandenen Rahmenbedingungen, einer systematischen Abwägung der Finanzierungsmöglichkeiten. Unter dem Aspekt der IT-Wertschöpfungskette ist es daher erforderlich, im Rahmen einer Sourcingstrategie festzulegen, welche Dienste von externen Dienstleistern in Anspruch genommen werden sollen. Dies hängt stark von der Eigenleistungsfähigkeit der IT-Abteilung ab, die im Rahmen des Istzustandes der IT erfasst wurde.

9.2.2.3 Zentralisierung von IT-Abteilungen zum föderalistischen IT-Modell Ein besonderer Stellenwert in der Sollkonzeption der IT-Strategie ist die Zentralisierung von IT-Abteilungen. Dies ist vielfach bei in Abschn. 9.1.2 beschriebenen Verbundbildungen im Krankenhausmarkt der Fall. Ein Zusammenführen mehrerer bereits bestehender IT-Abteilungen mit autarken IT-Infrastrukturen, verschiedenen IT-Systemen und Applikationen bedarf einer komplexen Konzeptionierung, die Homogenisierung und Harmonisierung verlangt (Bärwolff et al. 2006). Da sich einer Zentralisierung in der Regel eine Vielzahl an bedeutsamen Veränderungen innerhalb des Unternehmens anschließen, ist dies häufig ein Aspekt mit Konfliktpotenzial, das durch externe Berater entschärft und strukturiert begleitet werden kann. Es existieren, wie in Abschn.  9.1.2 bereits beschrieben, drei unterschiedliche IT-­ Organisationsmodelle, wobei das föderalistische IT-Modell (Abb. 9.2) in der Regel das Mittel der Wahl für die Organisation der IT in einem Krankenhausverbund darstellt. Aus strategischen Gründen ist es ratsam, soweit möglich und erforderlich, verbundweite IT-Aktivitäten zu zentralisieren. In einer „IT-Zentrale“ erfolgen die übergreifende, ­strategische sowie operative Planung und Steuerung der IT, die sogenannte IT-Governance. Zu dieser zählen Funktionen, wie beispielsweise die IT-Strategieformulierung, die IT-­Budgetierung, das IT-Controlling und das IT-Portfoliomanagement.

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173

In der operativen Umsetzung erfolgen unter anderem der Aufbau von zentralen und re­ dundanten Rechenzentren sowie die Errichtung eines klinikübergreifenden User Help Desk und IT-Bereitschaftsdienstes. Darüber hinaus ist zu empfehlen, weitere übergreifende IT-Funktionen, wie z.  B. das IT-Sicherheitsmanagement und das IT-­Risikomanagement, zentral zu organisieren. Die gemeinsame und klinikübergreifende Planung und Durchführung von Projekten sind bei der Einführung neuer unternehmensweiter IT-Systeme in den Krankenhäusern ebenso zu berücksichtigen. Weitere übergreifende und somit zentralisierbare Aspekte sind auch in den operativen administrativen Bereichen der IT zu finden, z. B.: • gemeinsame Soft- und Hardwarebeschaffungen, z. B. auf Basis eines verbundweit einheitlichen IT-Warenkorbes, • Vereinheitlichung des Vertragswesens, • Nutzung eines einheitlichen Ausschreibungswesens auf Grundlage einer gemeinsamen Bedarfsermittlung und Pflichtenhefterstellung, • Einführung klinikübergreifender IT-Standards und Richtlinien. Die zentrale IT wird durch dezentrale lokale IT-Einheiten unterstützt und ergänzt. Im Rahmen dieser dezentralen IT-Abteilungen werden die jeweils vor Ort benötigten IT-­ Leistungen erbracht, wie etwa der lokale Support, lokale Speicher- und Fileservices oder die Konzeption und Durchführung von Anwenderschulungen für die IT-Anwendungssysteme (z. B. für das KIS). Jedoch erscheint es als wesentlich, dass auch die dezentralen IT-Bereiche so weit wie möglich kollaborieren. Dies könnte unter anderem im Rahmen eines übergreifenden Know-how-Transfers erfolgen, z. B. mittels Hospitationen bzw. Mitarbeiterrotationen, der Einführung einer Kollaborationsplattform mit Wissensdatenbank, Forum, Projektmanagement- und Diskussionsplattform zu aktuellen Projekten, verwendeter Technologien und Standards in den Häusern sowie Innovationen in der Krankenhaus-IT. Die größte Herausforderung bei der Zentralisierung von IT-Abteilungen ist die kulturelle und personelle Integration der vormals eigenständigen IT-Einheiten in ein Shared Service Center, während die vielerorts komplexe technische Integration im Vergleich dazu wesentlich weniger Relevanz genießt. Trotz der heutzutage vielfältigen technischen Möglichkeiten der Fernadministration von IT-Systemen und der IT-Betreuung via Telefon und E-Mail bedarf es oftmals einer Vor-Ort-Präsenz von IT-Personal in den jeweiligen Einrichtungen. Speziell die dafür erforderliche Mobilität der IT-Mitarbeiter erweist sich allerdings häufig als Problem, gerade bei größeren Entfernungen. Umzüge, Arbeitsplatzwechsel oder auch nur ein Pendeln zwischen den Standorten werden aus beruflichen oder privaten Gründen als problematisch oder gar unzumutbar empfunden. Es bedarf einer kreativen Lösung für dieses Dilemma, welche sowohl die Arbeitnehmer als auch die ­Organisation zufriedenstellt. Folglich stellt das Zugehörigkeitsgefühl bzw. die Identifikation in der Belegschaft ein bedeutendes Kernthema beim Aufbau eines Shared Service Center für die IT dar.

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U. Günther und T. Braun

9.2.3 IT-Maßnahmen und Finanzplanung Aufbauend auf der Sollkonzeption der IT-Strategie kann ein Maßnahmenkatalog erstellt werden, der einen Weg zur Umsetzung des Sollzustandes bereitet. Hierbei sollten vier Aktionsfelder in der strategischen Ausrichtung betrachtet werden, um konkrete Maßnahmen zur Umsetzung der IT-Strategie empfehlen zu können. So werden beispielsweise alle in der Isterhebung erfassten IT-Services und Systeme hinsichtlich Reduzierung, Eliminierung, Steigerung und Kreieren analysiert. IT-Services und Systeme, die mit hohem Aufwand verbunden sind, jedoch nur wenig zu den Kernprozessen der IT-Abteilung beitragen, sollten, soweit es geht, reduziert werden. Dienstleistungen, die vom Anwender nicht benötigt werden oder keinen Nutzen bieten, können eliminiert werden und somit Ressourcen für andere Bereiche freigeben. Im Gegensatz hierzu sollten IT-Services und Systeme, die dem Krankenhaus einen Mehrwert und den Anwendern einen Nutzen bieten, gesteigert werden. Ein wichtiger Punkt, der unter anderem im Rahmen von Interviews zur Bewertung des Istzustandes auffällt, sind Anforderungen der Anwender an die IT, die bisher nicht angeboten wurden. Hieraus ergeben sich exemplarisch Dienstleistungen, die neu von der IT-Abteilung kreiert werden und die Position der IT als Enabler verdeutlichen. Die Planung von Maßnahmen hinsichtlich Reduzierung und Eliminierung ermöglicht es, die IT-Kostenstruktur zu verbessern, während durch Steigerung und Kreieren der Nutzen für die Anwender erhöht wird, was eine verstärkte Wertschätzung der IT-Abteilung im Krankenhaus nach sich zieht. Diese Betrachtungsweise ermöglicht es, praktikable und gleichzeitig innovative Wege für die IT-Strategie zu finden. Für die Maßnahmenplanung ist eine Priorisierung ebenso erforderlich wie eine Zeitplanung der einzelnen empfohlenen Maßnahmen, um deren strategische Umsetzung zu ermöglichen. Ferner müssen Möglichkeiten geschaffen werden, um die Umsetzung der Maßnahmen und Veränderungen messen zu können. Nur durch klar definierte und formulierte Messgrößen und eindeutige, messbare Vorgaben ist es möglich, eine erfolgreiche IT-­ Strategieumsetzung zu realisieren. Ein bewährtes Mittel hierfür ist die Einführung eines ganzheitlichen IT-Controllings, welches sich auf sowohl strategische als auch operative Aspekte der IT bezieht. Ein geeignetes Werkzeug hierfür stellt die in Abschn. 9.1.3 erwähnte Balanced Scorecard (BSC) in den nachfolgenden Dimensionen dar: • • • • • • • •

Finanzen, Kunden (User), Betrieb: IT-Support, Betrieb: IT-Systeme, Betrieb: Applikationen, Projekte, IT-Personal, Lieferanten.

9  IT-Strategieberatung für Krankenhäuser

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Die Maßnahmenplanung einer IT-Strategieberatung für Krankenhäuser umfasst die Ansatzpunkte IT-Personal und IT-Organisation, Applikationen sowie IT-Systeme und Infrastruktur. Exemplarische Maßnahmen aus dem Bereich IT-Personal und IT-Organisation können sein: • • • • • • • • • • • • • • •

Anpassung der IT-Ressourcen, Etablierung neuer IT-organisatorischer Strukturen, wie bspw. IT-Lenkungsausschuss, Einführung eines Projektmanagementsystems, Etablierung eines Risikomanagements nach DIN EN 80001-1, Etablierung eines Informationssicherheitsmanagements nach ISO/IEC 27001, Schaffung neuer Positionen, wie bspw. eines Datenschutzbeauftragten/Sicherheitsbeauftragten, Schaffung von Know-how-Redundanzen innerhalb der IT-Abteilung, Auf-/Ausbau des Helpdesks und Supports, Etablieren einer IT-Kosten- und IT-Budgetplanung, Etablieren der Funktion des IT-Controllings, Etablieren der Funktion eines IT-Koordinators, Ausweitung/Aufbau eines Key-User-Konzeptes, Aufbau eines transparenten IT-Leistungskatalogs, Vereinbarung von Service-Level-Agreements (SLAs) zwischen IT und den Fachbereichen, Durchführung von Anwenderschulungen.

Maßnahmen im Bereich Applikationen sind stark von den eingesetzten Applikationen abhängig. Jedoch gibt es auch hier beispielhafte Maßnahmen, die häufig Anwendung finden: • Nutzungsgraderhöhung/weitere Ausprägung von Funktionen in den vorhandenen KIS-Systemen (entsprechend den Anforderungen der Fachbereiche), • Reduzierung der Applikationsvielzahl durch strategische Standardisierung von Softwareprodukten, • Einführung einer elektronischen Patientenkurve, • mögliche Integration von elektronischem Archiv und PACS, • Einführung neuer Systeme zur Qualitätssicherung und Materialerfassung, • Überprüfung der aktuellen Lizenzsituation, • Auf- bzw. Ausbau telemedizinischer Funktionen, • Zusammenführung von Archivstrukturen im Rahmen sinnvoller Cluster, • Aufbau eines verbundweiten Managementinformationssystems. Der Bereich IT-Systeme und Infrastruktur erfordert Maßnahmen wie: • Aufstocken/Ausbau der vorhandenen Infrastruktur, • Aktualisierung bestehender Server und Clients,

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• Bereitstellung von Datensicherung und Serverredundanz, • bauliche Maßnahmen wie verbesserte Zutrittskontrollen, Videoüberwachung der kritischen Bereiche, • Einrichtung eines redundanten Serverraums, ggf. Housing bei externen Dienstleistern, • Schaffung von Redundanzen bei der Anbindung interner Netzwerkkomponenten, • Standardisierung bei der Beschaffung von IT-Komponenten, • flächendeckender WLAN-Ausbau, • Überprüfung der Performance der Bandbreite. Häufig gilt die IT als kostspielig und der direkte Nutzen von Investitionen ist für die Krankenhausleitung nicht ersichtlich. Durch eine detaillierte Finanzplanung wird der wirtschaftliche Nutzen der IT-Abteilung für das gesamte Krankenhaus ersichtlich und nachvollziehbar. In der Finanzplanung werden die Investitions- und Kostenabschätzung getroffen. Bei der Betrachtung der Investitionskosten kann zusätzlich in Kosten für Betriebs- und Instandhaltungskosten sowie strategische Investitionen unterschieden werden. So dienen Investitionen in den Betrieb und die Instandhaltung der IT-Infrastruktur der Verbesserung der Effizienz des laufenden IT-Betriebs, während strategische Investitionen die Weiterentwicklung und Zukunftsfähigkeit des Krankenhauses als Ziel haben. Eine sinnvolle Maßnahme im Rahmen der Finanzplanung ist die Einführung einer IT-Kosten- und Leistungsverrechnung. Hierbei werden Kosten und Leistungen direkt den internen Kunden im Krankenhaus in Rechnung gestellt. Dies hat eine erhöhte Kosten- und Leistungstransparenz für die Anwender und IT als Folge und bewirkt eine verursachergerechte Kostenverteilung. Ferner liefert eine Kosten- und Leistungsverrechnung das Fundament für ein aktives IT-Kostenmanagement und erleichtert die Identifizierung von zukünftigem Optimierungspotenzial.

9.3

Schlussbetrachtung

Die Bedeutung von Informationstechnologie (IT) in Krankenhäusern nimmt im Prozess der anhaltenden Digitalisierung stetig zu. Dennoch gibt es teilweise starke Abgrenzungen zwischen IT und Fachabteilungen innerhalb von Krankenhäusern. Dies liegt zum Teil an für den Gesundheits- und Krankenhaussektor spezifischen Herausforderungen, wie die besonders heterogenen Kommunikationsstrukturen, die proprietäre Insellösungen nach sich ziehen können. Eine weitere Schwierigkeit bereitet ein häufig geringeres IT-Budget im Gesundheitswesen als in der Industrie. Um derartige Hindernisse effektiv überwinden zu können, konnte die IT-Strategie als effektives Mittel in diesem Beitrag vorgestellt werden. Mit ihrer Hilfe ist es möglich, die IT innerhalb des Krankenhauses neu zu positionieren und ihre Rolle als Enabler herauszuarbeiten und zu verdeutlichen. Eine bedeutende Rolle nimmt die Entwicklung einer IT-Strategie im Rahmen der Verbundbildung im Krankenhausmarkt ein, die häufig Zusammenschlüsse von mehreren IT-Abteilungen nach sich zieht.

9  IT-Strategieberatung für Krankenhäuser

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Unabhängig von der individuellen Ausgangslage stellt die Beauftragung einer Unternehmensberatung zur Erstellung einer IT-Strategie einen großen Mehrwert für Krankenhäuser dar. Die hier vorgestellte Methodik liefert eine geeignete Grundlage zur Erstellung einer IT-Strategie, bei der die besonderen Herausforderungen des Gesundheits- und Krankenhaussektors berücksichtigt werden. Werden geeignete Mechanismen zur Überprüfung der empfohlenen Maßnahmen geschaffen, kann die IT-Strategie effektiv umgesetzt werden, wodurch der immense Wertbeitrag der IT im Krankenhaus wahrgenommen und weiter gesteigert werden kann.

Literatur Bärwolff H, Victor F, Hüsken V (2006) IT-Systeme in der Medizin. Vieweg & Sohn, Wiesbaden Beißel S (2016) IT-Management, 2. Aufl. UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz BSI (Hrsg) (2017) Leitfaden zur Basis-Absicherung nach IT-Grundschutz, Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. https://www.bsi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/BSI/Publikationen/Broschueren/Leitfaden_zur_Basis-Absicherung.pdf?__blob=publicationFile&v=3. Zugegriffen am 21.06.2018 Cannon D (2011) ITIL service strategy, 2. Aufl. TSO, London Günther U, Plagge H (2017a) Verbundbildung unter Krankenhäusern – Auswirkungen auf die IT (Teil 1). Krankenhaus-IT J 2017(6):16–17 Günther U, Plagge H (2017b) Verbundbildung unter Krankenhäusern – Auswirkungen auf die IT (Teil 2). Krankenhaus-IT J 2018(1):25–27 Hanschke I (2013) Strategisches Management der IT-Landschaft, 3. Aufl. Carl Hanser, München Lorke B, Schlenker J (2017) Curacon Krankenhausstudie 2017. Curacon GmbH, Münster Mangiapane M, Büchler RP (2015) Modernes IT-Management. Springer, Wiesbaden Stych C, Zeppenfeld K (2008) ITIL. Springer, Wiesbaden Tiemeyer E (2007) IT-Strategien entwickeln IT-Architekturen planen. Rauscher, Haag Walther S, Becker K (2009) Betrieb von IT-Systemen im Gesundheitswesen. In: Johner C, Haas P (Hrsg) Praxishandbuch IT im Gesundheitswesen. Hanser, München, S 375–401

Uwe Günther, Dipl.-Inf., Dipl.-Wirtsch.-Ing., Dr. sc. hum.,  ist Partner der Curacon GmbH Wirtschaftsprüfgesellschaft sowie Geschäftsführer der Sanovis GmbH und leitet die Geschäftsfelder IT-Management und Datenschutz. Er blickt auf eine über zwanzigjährige Erfahrung im Consulting bei weltweit führenden Technologie- und ­Unternehmensberatungen zurück. Ergänzend zu seinem Informatikstudium in Erlangen und Nürnberg absolvierte Herr Dr. Günther einen einjährigen Aufenthalt in Princeton, New Jersey, USA, wo er bei einem weltweit führenden Elektronikkonzern ein Forschungsprogramm im Bereich der innovativen Netzwerktechnologie durchführte. Parallel zu verschiedenen Entwicklungstätigkeiten für Unternehmen der deutschen Industrie, diplomierte er zusätzlich im Bereich Wirtschaftsingenieurwesen in Würzburg. Herr Dr. Günther hat im Bereich der Gesundheitswissenschaften zum Thema „Strategische Leistungsausrichtung von Krankenhäusern“ promoviert. Nach mehrjährigen Erfahrungen in der Beratung für einen international tätigen IT-Dienstleister übernahm Herr Dr. Günther die Leitungsverantwortung für die Bereiche Consulting und Managed Services. Herr Dr. Günther sammelte in diesen Positionen profunde Erfahrungen in der Strategie- und Organisationsberatung sowie im operativen Management. Diese konnte er in seiner anschließenden langjährigen Tätigkeit bei einer der weltweit führenden Unternehmensberatun-

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U. Günther und T. Braun

gen intensivieren, wo Herr Dr. Günther Strategieberatung mit speziellem Fokus auf das Gesundheitswesen durchführte. Herr Dr. Günther ist Dozent an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht. Timo Braun, M. Sc., Dr. rer. medic.,  ist Berater der Sanovis GmbH. Während seines Studiums der Biomedizinischen Technik in Münster arbeitete er in verschiedenen Laboren und fertigte seine Abschlussarbeiten an zwei deutschen Universitätskliniken an. Im Anschluss promovierte Herr Braun in der Medizinwissenschaft. Im Rahmen der Promotion durchlief er Forschungsaufenthalte in Rio de Janeiro, Brasilien, und Kairo, Ägypten. Während seiner Ausbildung konnte Herr Braun viele Aspekte des Gesundheits-/Krankenhaussektors kennenlernen, die ihm bei der IT-Strategieberatung behilflich sind. Herr Braun ist zertifizierter Information Security Officer.

Maßnahmen zur Umsetzung der europäischen Medical Device Regulation bei klein- und mittelständischen Herstellern von Medizinprodukten

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Franz Menean, Nicole Menean, Florian Rometsch, Michael Großmann und Tamara Becker

Inhaltsverzeichnis 10.1  10.2  10.3  10.4  10.5 

Einleitung......................................................................................................................  180 Begriffsklärungen..........................................................................................................  181 Medical Device Regulation und deren Geltungsbereich...............................................  183 Klein- und mittelständisches Unternehmen..................................................................  184 Neue und geänderte Anforderungen gegenüber der EG-Richtlinie 93/42....................  184 10.5.1  Neue Anforderungen.......................................................................................  185 10.5.2  Risiken.............................................................................................................  187 10.5.3  Chancen...........................................................................................................  187 10.5.4  Überwachung der wichtigen/kritischen Lieferanten.......................................  188 10.5.5  Neue und geänderte Produktklassifizierungsregeln und deren Auswirkung...  188 10.5.6  Anforderungen an die klinische Bewertung....................................................  189 10.6  Zertifizierung von OEM-Produkten..............................................................................  190 10.7  Zusätzliche Anforderungen an die Marktbeobachtung (Überwachung nach dem Inverkehrbringen) und das Vigilanzsystem...................................................................  191 10.8  EUDAMED-Datenbank/UDI........................................................................................  193 10.9  Hinweise zur Umsetzung für Klein- und Mittelstand...................................................  194 10.10  Abverkauf von Produkten unter Berücksichtigung der bestehenden Zertifizierung.....  195 10.11  Schlussbetrachtung.......................................................................................................  198 Literatur.......................................................................................................................................  199

F. Menean (*) · N. Menean · F. Rometsch · M. Großmann · T. Becker MEDAGENT GmbH, Mühlheim an der Donau, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected]; florian.rometsch@ medagent.de; [email protected]; [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), Consulting im Gesundheitswesen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25479-7_10

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F. Menean et al.

Zusammenfassung

Das Inverkehrbringen von Medizinprodukten in der EU wird seit den Jahren 1990, 1993 und 1998 durch drei EG-Richtlinien geregelt, welche den regulatorischen Rahmen für die gesetzlichen Anforderungen festlegen. In den Mitgliedsstaaten und den über bilaterale Verträge angeschlossenen Ländern wurden diese Richtlinien durch weitere nationale Gesetze umgesetzt und ergänzt. Mit der Veröffentlichung der Europäischen Verordnung 2017/745 für Medizinprodukte (MDR) und 2017/746 für In-­ vitro-­Diagnostika (IVDR) wurden die bestehenden Richtlinien vereinheitlicht und in zwei für alle Hersteller von Medizinprodukten und IVD gültigen Verordnungen zusammengefasst. Dieser Beitrag beschäftigt sich zum einen mit den neuen Anforderungen, welche mit der Verordnung 2017/745 (MDR) einhergehen, zum anderen mit den Herausforderungen insbesondere für klein- und mittelständische Unternehmen (KMU). Welche besondere Problemstellung ergibt sich für KMU? Welche Risiken, aber auch Chancen ergeben sich? Wie muss sich ein KMU künftig strategisch positionieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben? Wie muss ein Unternehmen planen, um die Übergangsfrist sinnvoll zu nutzen? Der Beitrag vergleicht bestehende mit neuen Anforderungen und dient als Hilfestellung im Zuge der Umsetzung.

10.1 Einleitung Für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten in der Europäischen Union gibt es seit dem 05.05.2017 eine neue Verordnung als Rechtsrahmen: Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates über Medizinprodukte. Branchenintern und länderübergreifend wird hierfür die englische Bezeichnung Medical Device Regulation (MDR) verwendet. Die Verordnung trat am 25.05.2017 in Kraft. Diese neue Verordnung regelt die Anforderungen an ein Qualitätsmanagementsystem (QM-System) sowie die Anforderungen für die Zulassungsvoraussetzungen für Medizinprodukte. Die MDR löst nach einer dreijährigen Übergangsfrist am 26.05.2020 die aktuell gültige EG-Richtlinie 93/42 EWG für Medizinprodukte und 90/385/EWG für aktive implantierbare Medizinprodukte ab. Hiervon besonders betroffen sind klein- und mittelständische Unternehmen, die sogenannten KMU. Wo große und international tätige Unternehmen ganze Fachabteilungen ins Leben rufen, stehen insbesondere die Unternehmen mit einer geringen Anzahl an Mitarbeitern und begrenzten Ressourcen vor einem großen Berg voll Arbeit, Fragezeichen, Paragrafen und Anforderungen, mit denen sie sich nun intensiv auseinandersetzen müssen. Für einige dieser genannten Unternehmen geht es um ihre Existenz beziehungsweise die Frage, ob das bestehende Geschäftsmodell auch zukünftig die Anforderungen umsetzen kann. Die Frage nach dem „Wie“, „Warum“ und „Bis-wann“ kann noch nicht vollumfänglich beantwortet werden, da die MDR auf einige „Durchführungsrechtsakten“ verweist, die

10  Maßnahmen zur Umsetzung der europäischen Medical Device Regulation bei …

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zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht erstellt bzw. veröffentlicht wurden. Die nachfolgenden Ausführungen sollen jedoch die wesentlichen Neuerungen, Änderungen und Anforderungen hervorheben und Sie als Leser bestmöglich auf die Umsetzung und Implementierung vorbereiten.

10.2 Begriffsklärungen Neben den bereits bekannten Begrifflichkeiten und Definitionen der EG-Richtlinien 93/42 und 90/385 sind zusätzliche Begrifflichkeiten und Definitionen geändert und/oder erneuert worden (siehe Tab.  10.1). Folgende Begriffserklärungen aus der neuen MDR müssen daher besonders berücksichtigt werden. Tab. 10.1  Begrifflichkeiten und Definitionen der MDR. (Quelle: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, 05.05.5017, Nr. L 117/15 ff.) Begriff Medizinprodukt

Generische Produktgruppe

Beschreibung Bezeichnet ein Instrument, einen Apparat, ein Gerät, eine Software, ein Implantat, ein Reagenz, ein Material oder einen anderen Gegenstand, der dem Hersteller zufolge für Menschen bestimmt ist und allein oder in Kombination einen oder mehrere der folgenden spezifischen medizinischen Zwecke erfüllen soll: – Diagnose, Verhütung, Überwachung, Vorhersage, Prognose, Behandlung oder Linderung von Krankheiten – Diagnose, Überwachung, Behandlung, Linderung von oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen – Untersuchung, Ersatz oder Veränderung der Anatomie oder eines physiologischen oder pathologischen Vorgangs oder Zustands – Gewinnung von Informationen durch die In-vitro-Untersuchung von aus dem menschlichen Körper, auch aus Organ-, Blut- und Gewebespenden stammenden Proben und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann. Die folgenden Produkte gelten ebenfalls als Medizinprodukte: – Produkte zur Empfängnisverhütung oder -förderung – Produkte, die speziell für die Reinigung, Desinfektion oder Sterilisation der in Artikel 1 Absatz 4 genannten Produkte und der in Absatz 1 dieses Spiegelstrichs genannten Produkte bestimmt sind (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, 05.05.5017, Nr. L 117/15) Bezeichnet eine Gruppe von Produkten mit gleichen oder ähnlichen Zweckbestimmungen oder mit technologischen Gemeinsamkeiten, die allgemein, also ohne Berücksichtigung spezifischer Merkmale klassifiziert werden können (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, 05.05.5017, Nr. L 117/16, Punkt 7) (Fortsetzung)

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F. Menean et al.

Tab. 10.1 (Fortsetzung) Begriff Gefälschtes Produkt

Beschreibung Bezeichnet ein Produkt mit falschen Angaben zu seiner Identität und/oder seiner Herkunft und/oder seiner CE-Kennzeichnung oder den Dokumenten zu den CE-Kennzeichnungsverfahren. Diese Begriffsbestimmung erstreckt sich nicht auf die unbeabsichtigte Nichteinhaltung von Vorgaben und lässt Verstöße gegen die Rechte des geistigen Eigentums unberührt (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, 05.05.5017, Nr. L 117/16, Punkt 9) Einmalige (Unique Device Identifier – UDI) bezeichnet eine Abfolge numerischer Produktkennung oder alphanumerischer Zeichen, die mittels international anerkannter Identifizierungs- und Codierungsstandards erstellt wurde und die eine eindeutige Identifizierung einzelner Produkte auf dem Markt ermöglicht (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, 05.05.5017, Nr. L 117/16, Punkt 15) Neuaufbereitung Im Sinne der Herstellerdefinition bezeichnet die vollständige Rekonstruktion eines bereits in Verkehr gebrachten oder in Betrieb genommenen Produkts oder die Herstellung eines neuen Produkts aus gebrauchten Produkten mit dem Ziel, dass das Produkt den Anforderungen dieser Verordnung entspricht; dabei beginnt für die als neu aufbereiteten Produkte eine neue Lebensdauer (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, 05.05.5017, Nr. L 117/17, Punkt 31) Überwachung nach Bezeichnet alle Tätigkeiten, die Hersteller in Zusammenarbeit mit dem Inverkehrbringen anderen Wirtschaftsakteuren durchführen, um ein Verfahren zur proaktiven Erhebung und Überprüfung von Erfahrungen, die mit den von ihnen in Verkehr gebrachten, auf dem Markt bereitgestellten oder in Betrieb genommenen Produkten gewonnen werden, einzurichten und auf dem neuesten Stand zu halten, mit dem ein etwaiger Bedarf an unverzüglich zu ergreifenden Korrektur- oder Präventivmaßnahmen festgestellt werden kann (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, 05.05.5017, Nr. L 117/17, Punkt 60) Marktüberwachung Bezeichnet die von den zuständigen Behörden durchgeführten Tätigkeiten und von ihnen getroffenen Maßnahmen, durch die geprüft und sichergestellt werden soll, dass die Produkte mit den Anforderungen der einschlägigen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union übereinstimmen und keine Gefährdung für die Gesundheit, Sicherheit oder andere im öffentlichen Interesse schützenswerte Rechtsgüter darstellen (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, 05.05.5017, Nr. L 117/17, Punkt 61) Gemeinsame (Im Folgenden GS) bezeichnet eine Reihe technischer und/oder klinischer Spezifikationen Anforderungen, die keine Norm sind und deren Befolgung es ermöglicht, die für ein Produkt, ein Verfahren oder ein System geltenden rechtlichen Verpflichtungen einzuhalten (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, 05.05.5017, Nr. L 117/17, Punkt 71) Die Begrifflichkeiten sind schon seit längerer Zeit definiert. Im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften werden fortlaufend Änderungen vorgenommen.

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10.3 Medical Device Regulation und deren Geltungsbereich Am 05.04.2017 wurde die Europäische Medizinprodukteverordnung 2017/745 „EU-­ MDR“ vom Europaparlament einstimmig verabschiedet. Die Veröffentlichung im europäischen Amtsblatt erfolgte am 05.05.2017. Zwanzig Tage nach der Veröffentlichung, am 25.05.2017, trat die Verordnung in Kraft. Damit endet die seit 2010 andauernde Entwurfsphase. Die Richtlinieninhalte wurden im Konsens mit den anderen EU-­Mitgliedstaaten überarbeitet sowie nationale gesetzliche Regelungen (wie z. B. das deutsche Medizinproduktegesetz MPG) „europäisiert“, was eine inhaltliche Änderung von Begriffen (Art. 2) und Verschärfung der Zulassungskriterien zur Folge hat. Anders als die bisherige Richtlinienkonzeption ist die Verordnung für alle Mitgliedsstaaten unmittelbar gültig und muss nicht durch nationale Gesetze umgesetzt werden. Sie löst in einer dreijährigen Übergangsphase (bis 25.05.2020) die Medizinprodukterichtlinie 93/42/EWG als auch die 90/385 über aktive implantierbare Medizinprodukte ab und setzt quantitativ sowie qualitativ neue Maßstäbe für die gesamte Medizintechnikbranche in Europa. Die Verordnung 2017/745 wird bis Mai 2020 auch das Deutsche Medizinproduktegesetz und seine nationalen Verordnungen (MPV, MPSV, DIMDIV etc.) ersetzen, wodurch nationale Regelungen und Interpretationen durch diese europäische Verordnung vereinheitlicht werden (Stok A. J. H., 05.04.2014, S. 1–16). Geltungsbereich Die neue Europäische Medizinprodukteverordnung formuliert von nun an die Anforderungen an die Konformitätsbewertung von Medizinprodukten. Sie wurde eingeführt, um mehr Patienten- und Produktsicherheit zu schaffen. Der Geltungsbereich erstreckt sich auf den Gebrauch bestimmter Medizinprodukte und deren Zubehör sowie für die in Anhang XVI aufgeführten Produktgruppen ohne medizinische Zweckbestimmung (z. B. farbige Kontaktlinsen ohne medizinischen Verwendungszweck). Für die Umsetzung der neuen Anforderungen ist zunächst wichtig, dass sich Unternehmen im Umfeld von Medizinprodukten, insbesondere KMU, ihrer Rollen am Markt bewusst werden. Die Rollen sind mitunter einfach zu definieren. Werden Medizinprodukte unter eigenem Namen im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) in Verkehr gebracht, trifft die Rolle des Herstellers für Medizinprodukte zu. Werden Produkte beschafft, die nicht unter eigenem Namen in Verkehr gebracht werden und die aus einem Land der EU stammen, so agieren Unternehmen in der Rolle eines Händlers. Stammen diese Produkte aus einem Drittland, so trifft die Rolle des Importeurs und ggf. europäischen Bevollmächtigten zu. Einer der ersten Schritte muss also sein, sich über die Rolle des eigenen Unternehmens bewusst zu werden und diese zu definieren. Für jede Rolle hat die MDR Pflichten definiert, die entsprechend umzusetzen sind (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, 05.05.5017).

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10.4 Klein- und mittelständisches Unternehmen Die EU-Empfehlung 2003/361 definiert ein KMU als ein Unternehmen, welches nicht mehr als 249 Beschäftigte hat und einen Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. Euro nicht übersteigt. Zusätzlich darf die Bilanzsumme maximal 43 Mio. Euro ausweisen (Prof. Dr. Friederike Welter, Institut für Mittelstandsforschung Bonn, 01.01.2005, S. 1). Die Medizintechnikbranche stellt zurzeit mehr als 500.000 Produkte, Dienstleistungen und Lösungen bereit. Diese reichen von Verbänden, Bluttests und Hörgeräten bis hin zu Krebsvorsorgetests, Herzschrittmachern und Blutzuckermessgeräten. Die Branche beschäftigt mehr als 650.000 Personen. In Europa gibt es mehr als 26.000 Medizintechnikfirmen, 95 % davon sind KMU. Die MDR hat somit einen ganz entscheidenden Einfluss auf das Fortbestehen und die Aufrechterhaltung einer ganzen Branche (Bundesverband Medizintechnologie, Durchführung der neuen EU-Verordnungen über Medizinprodukte und IVDs – Frühe Verfügbarkeit & Kapazität von Benannten Stellen – 26.11.2017, S. 2). Für klein- und mittelständische Unternehmen ergibt sich mit Umsetzung der neuen MDR eine wesentliche Problemstellung: Die umfangreichen neuen Anforderungen können sowohl seitens Hersteller als auch Benannter Stellen nur von qualifiziertem Personal umgesetzt und überprüft werden. Die Verfügbarkeit von Personen mit dem entsprechenden Fachwissen ist derzeit stark eingeschränkt und wenn vorhanden, dann kaum bezahlbar. Aufgrund der hohen Anforderungen an Benannte Stellen gehen Experten davon aus, dass zukünftig nur noch 40 Benannte Stellen verfügbar sein werden, die den durch die MDR deutlich gestiegenen Akkreditierungs- und Zertifizierungsaufwand umsetzen müssen. Die teilweise unzureichenden personellen Ressourcen und die sich hierdurch ergebenden Engpässe der Benannten Stellen sind bereits jetzt schon deutlich spürbar. Neue Produkte oder bestehende Produkte im Rahmen der Zulassungen und Zertifizierungen auf den Markt zu bringen, erscheint als unüberwindbare Hürde (BVMed 2018, S. 38).

10.5 N  eue und geänderte Anforderungen gegenüber der EG-Richtlinie 93/42 Die neue MDR hat im Vergleich zur gültigen 93/42 EWG-Richtlinie einige erweiterte oder gänzlich neue Anforderungen an die Produktzertifizierung und das Qualitätsmanagementsystem des Medizinprodukteherstellers gestellt. Differenziert zu betrachten ist, dass diese Anforderungen an alle Unternehmen gleichgestellt werden, ob es sich um einen 2-Mann-Hersteller handelt oder aber um ein 1000-Mann-Unternehmen. Nachfolgend werden die neuen und geänderten Anforderungen in Bezug auf die Risiken und Chancen für KMU dargestellt.

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10.5.1 Neue Anforderungen Die Notwendigkeit der Implementierung eines Qualitätsmanagementsystems ist für alle Hersteller bindend. Die MDR stellt jedoch erhöhte Anforderungen an das Qualitätsmanagementsystem. Sogenannte Pseudoqualitätsmanagementsysteme, die sich im Dornröschenschlaf befinden und von den Unternehmen nicht aktuell gehalten werden, müssen durch die höheren Anforderungen stetig gepflegt werden. Branchenübergreifend spricht man auch von einem „lebenden QM-System“. In den folgenden Abschnitten werden unterschiedliche Artikel sowie Anhänge genannt. Diese Quellen beziehen sich auf die Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14.06.1993, 1993L0042 – DE 11.10.2007, 005.001, 26. Weiter sind die Anforderungen an den Inhalt der technischen Dokumentation zur Darlegung der Konformität des Medizinproduktes deutlich detaillierter geregelt (Anhang II). Geht man von unkonkreten Aussagen einiger Benannter Stellen in Deutschland aus, so wird sich der Dokumentations- und Verwaltungsaufwand für technische Dokumentationen etwa verdreifachen. Eine Strukturierung der Daten und Nachweise ist künftig unabdingbar, um den Überblick nicht zu verlieren. Die Grundlegenden Anforderungen (93/42/EWG) werden ersetzt durch neue Grundlegende Sicherheits- und Leistungsanforderungen (Anhang I). Zu vorhergehenden 13 Punkten aus der 93/42 EWG-Richtlinie müssen nun 23 Punkte aus der neuen MDR betrachtet und bewertet werden. Jede dieser 23 Anforderungen gilt es, mit Referenzdokumenten innerhalb der technischen Dokumentation zu belegen oder, falls möglich, begründet auszuschließen. Die Inhalte der EG-Konformitätserklärung wurden ebenfalls in Anhang IV konkretisiert. Jedes Unternehmen muss eine qualifizierte Person bestimmen, die über qualifiziertes Fachwissen auf dem Gebiet der Medizinprodukte verfügt (Kapitel II, Artikel 15). Die Anforderungen an das Fachwissen haben sich im Gegensatz zur Benennung des Sicherheitsbeauftragten gem. § 30 Medizinproduktegesetz (MPG) erweitert. Betrachtet man den aktuellen Fachkräftemangel in der Medizintechnikbranche, insb. im Bereich Regulatorische Anforderungen und Qualitätsmanagement, wird dies für die Branche gravierende Auswirkungen haben. Eine weitere Änderung ist die Modifikation einiger Produktrisikoklassifizierungen, welche in einem späteren Abschnitt nochmals aufgegriffen werden. Die bisher bekannten Konformitätsbewertungsverfahren wurden ebenfalls überarbeitet. Diese sind künftig in Anhang IX, Anhang X und Anhang XI beschrieben. Im Besonderen wurde das Konformitätsverfahren für wiederverwendbare Produkte (Kapitel V, Abschnitt 2) verändert. Wer seine Produkte unter eigenem Namen in Verkehr bringen möchte, muss künftig auch die Anforderungen des Unique Device Identifier (UDI) berücksichtigen.

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Diese Anforderung ist für Hersteller, die den US-amerikanischen Markt bereits beliefern, keine wirkliche Neuerung. Für Kunden die sich hiermit noch nicht beschäftigt haben, wird sich im Bereich der Produktkennzeichnung eine nicht wenig signifikante Änderung ergeben. Festgelegt ist dies in Kapitel III und Anhang VI. Wie in vielen nationalen Märkten und Branchen soll es künftig auch für die Mitgliedsstaaten eine vereinheitlichte Datenbank geben, die sogenannte EUDAMED wird ausgeweitet und teilweise Herstellern, Benannten Stellen sowie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht (Kapitel III, Artikel 33). Ferner greift die neue MDR im Gegensatz zur 93/42 EWG-Richtlinie neue Haftungsregeln auf. Der Bevollmächtigte ist bezüglich der Haftung in derselben Verantwortung wie der Hersteller (Kapitel II, Artikel 11). Ein ganz entscheidender Mehraufwand konkretisiert sich im Bereich Marktüberwachung und Erhebung klinischer Daten. Wo es bislang oft ausreichend war, im sogenannten Risikomanagementbericht Reklamationsquoten der nationalen Datenbankrecherche gegenüberzustellen, sehen sich Hersteller von Medizinprodukten künftig einer deutlich höheren Dokumentationspflicht gegenüber. Hierzu zählen ein Plan zur Überwachung nach dem Inverkehrbringen, ein regelmäßig aktualisierter Bericht über die Sicherheit des Medizinprodukts (notwendig ab Produktrisikoklasse IIa), ein Plan und ein Bewertungsbericht zur klinischen Überwachung nach dem Inverkehrbringen, der Post Market Surveillance Plan/Report (PMS), Post Market Clinical Follow-up Report (PMCF), Periodic Safety Update Report (PSUR), Clinical Evaluation Plan (CEP), Summary of Safety and Clinical Performance (SS&CP). Ebenso sind wesentlich höhere Anforderungen bei der Erstellung von klinischen Bewertungen und klinischen Prüfungen (Kapitel VI & Anhang XIV & Anhang XV) durchzuführen und zu dokumentieren. Dies kostet nicht nur Arbeitskraft und Zeit, sondern bedarf auch monetärer Ressourcen und bestenfalls des direkten Austauschs mit den Anwendern des Medizinproduktes. Zusätzlich wurde das Scrutiny-Verfahren ins Leben gerufen. Der BVMed diskutierte das neue Scrutiny-Verfahren direkt nach Veröffentlichung der MDR kritisch: „Zwar sei das Verfahren gegenüber den ursprünglichen Plänen des Europäischen Parlaments nun fokussierter ausgestaltet, die Regelung werde aber bei MedTech-Innovationen zu weiteren zeitlichen Verzögerungen durch Doppelprüfungen führen, ohne die Patientensicherheit zu erhöhen.“ Positiv bewertet der BVMed, „dass das Expertenkomitee, welches das Scrutiny-­Verfahren durchführt, von der Europäischen Kommission überwacht wird sowie klare zeitliche Fristen vorgegeben werden“ (BVMed 2016a, b, S. 16). Im Zuge des Scrutiny-Verfahrens wird bei der Bewertung der klinischen Bewertung entschieden, ob ein Expertengremium der Europäischen Kommission das Produkt ebenfalls bewerten muss. Dies wird für Klasse-III-Produkte verpflichtend sein. Ausgenommen hierfür sind zumindest reine Rezertifizierungen.

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10.5.2 Risiken Im Allgemeinen ist der hohe Zeitaufwand für das QM-System und die Erstellung der technischen Dokumentation als kritisch und risikobehaftet anzusehen. Die Geschäftsführung muss mehr Ressourcen zur Verfügung stellen, um diesen Aufwand umzusetzen. Die Suche nach Personal mit qualifiziertem Fachwissen löst einen Fachkräftemangel aus. Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Für KMU wird es sich in den wenigsten Fällen lohnen eine Vollzeitkraft anzustellen. Sicher ist jedoch, dass die Kosten zur Implementierung, Aufrechterhaltung und Verbesserung von Qualitätsmanagementsystemen und technischen Dokumentationen enorm steigen werden. Klinische Daten müssen mit einer erschwerten Äquivalenzbetrachtung in Bezugnahme auf vergleichende Rohdaten von Mitbewerbern erstellt werden. Es wird schwierig werden, die Daten eines Mitbewerbers zum Vergleich heranzuziehen. Dies wird in vielen Fällen nur mit Zustimmung des Mitbewerbers möglich sein.

10.5.3 Chancen Die Chancen der neuen MDR sind dennoch nicht außer Acht zu lassen. So gehen Experten davon aus, dass mit der Umsetzung der Anforderungen zur MDR die Zulassungsvoraussetzungen für andere internationale Zielmärkte in den meisten Fällen ohne größeren Mehraufwand möglich sein werden. Zusätzlich werden es Mitbewerber außerhalb der EU schwerer haben, die hier angesetzten Anforderungen in der gleichen Art und Weise zu erfüllen. Dies kann möglicherweise die innereuropäischen KMU vor zu großem Wettbewerb schützen. Auch wird es für Hersteller schwieriger werden, qualifizierte Lieferanten außerhalb der EU freizugeben, da gerade Lohnhersteller in Billiglohnländern die Anforderungen für qualifizierte Unterlieferanten nur schwer erfüllen können werden. Der Zukauf von dann teilweise komplett fertigen Produkten aus asiatischen Ländern oder Ländern des vorderen Ostens wird aus diesem Grund immer schwieriger. So individuell die Zulassung in den einzelnen Ländern durchgeführt werden muss, so einfach wird es in Zukunft mit einer strukturierten technischen Akte und einem zertifizierten Qualitätsmanagementsystem sein. Auch werden die zu erwartenden Erkenntnisse aus Rückmeldungen und Marktbeobachtung dazu beitragen, die Produktqualität und Prozessleistung zu verbessern und somit die Patientensicherheit nachhaltig zu optimieren. Ebenso kann die Erfassung der Daten des Mitbewerbers neue Erkenntnisse bringen und Risiken in Richtung Patientengefährdung vermindern. Wer die Anforderungen verstanden und umgesetzt hat, generiert sicherlich entscheidende Marktvorteile, da nicht mehr jedes Unternehmen das gleiche Produktportfolio aus Ressourcen- und Kapazitätsgründen in Verkehr bringt und Anbieter den Rückzug antreten werden.

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Nachweise, die aufgrund des QM-Systems und der technischen Dokumentation erstellt werden müssen, können bei Streitfällen lückenlos vorgelegt werden. Auch die Produkt- und Patientensicherheit wird optimiert, indem die Hersteller die Angabe tätigen, welche die vorgesehene Anwendergruppe des Medizinproduktes ist. Dadurch sollen Vorkommnisse durch Anwenderfehler nachhaltig verringert werden (Spectaris 2018).

10.5.4 Überwachung der wichtigen/kritischen Lieferanten Mit der Empfehlung 2013/473/EU war es Benannten Stellen seit 2013 möglich und erlaubt, unangekündigte Audits bei Herstellern und deren Lieferanten durchzuführen. Die MDR konkretisiert dies nun erstmals und legt fest, dass ein unangekündigtes Audit mindestens einmal alle fünf Jahre durchzuführen ist. Da dies auch jederzeit auf Unterlieferanten ausgeweitet werden kann, muss frühzeitig damit begonnen werden, die Prozesse und Systeme der Lieferanten bei der eigenen Umsetzung zu berücksichtigen, um möglichst keine Reibungspunkte entstehen zu lassen und Synergieeffekte zu nutzen. Es gilt, alle möglichen Risiken in der Herstellung des Produktes zu identifizieren und zu minimieren.

10.5.5 Neue und geänderte Produktklassifizierungsregeln und deren Auswirkung Wie bereits diskutiert, wurden einige neue Klassifizierungsregeln ergänzt und bestehende erweitert, um Produkte noch eindeutiger klassifizieren zu können. Besonders der Abschnitt des Anhangs IX der 93/42/EWG „besondere Regeln“ wurde um vier neue Regeln erweitert. Davon betroffen sind unter anderem Produkte, die Nanomaterial enthalten oder daraus bestehen, invasive Produkte, die Arzneimittel durch Inhalation verabreichen, sowie aktive therapeutische Produkte mit diagnostischer Funktion. Für invasive Produkte wurden ebenfalls Ergänzungen vorgenommen. Davon betroffen sind zur kurzzeitigen Anwendung bestimmte chirurgisch-invasive Produkte sowie alle implantierbaren beziehungsweise zur langzeitigen Anwendung bestimmten chirurgisch-­ invasiven Produkte. Die Regeln zur Klassifizierung wurden zudem um fünf Regeln erweitert (siehe Tab. 10.2). Die größte Änderung für die KMU wird sich jedoch im Bereich der Klasse-I-­Instrumente ergeben. Hier wurde eine neue Klassifizierung geschaffen (siehe Tab. 10.3). Dies bedeutet, dass die Klasse-I-Instrumente „höher“ klassifiziert werden. Branchenintern spricht man hier von der Risikoklasse „Ir“ (I re-useable), vergleichbar zu Is (steril) und Im (Messfunktion). Aufgrund der neuen Einführung der Klasse Ir werden zukünftig die Unterlagen bei wiederverwendbaren chirurgischen Instrumenten auf die Aspekte, die mit der Wiederverwendung in Zusammenhang stehen, insbesondere die Reinigung, Desinfektion, Sterilisation,

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Tab. 10.2  Die Regelungen zur Klassifizierung von Medizinprodukten. (Quelle: Medical Mountains, Checkliste zur Vorbereitung auf die Europäische Verordnung 2017/745 über Medizinprodukte „EU-MDR“, S. 6) Regel Regel 11

Erklärung Software, die Informationen liefert, um Entscheidungen für diagnostische Regel 19 oder therapeutische Zwecke treffen zu können Regel 20 Alle Produkte, die Nanomaterial enthalten oder daraus bestehen Regel 21 Alle invasiven Produkte im Zusammenhang mit Körperöffnungen, die für Regel 22 die Verabreichung von Arzneimitteln durch Inhalation bestimmt sind Regel 18 – entfällt Ausnahme: chirurgisch-invasive Produkte Regelungen zur Klassifizierung von Medizinprodukten

Tab. 10.3  Die Neuklassifizierung von Klasse-I-Instrumenten. (Quelle: Medical Mountains, Checkliste zur Vorbereitung auf die Europäische Verordnung 2017/745 über Medizinprodukte „EU-MDR“, S. 7) Klassifizierung Klasse Ir = „re-useable“

Erklärung Wiederverwendbare chirurgische Instrumente – CE mit Kennnummer einer Benannten Stelle Hochklassifizierung von Implantaten von Klasse IIb auf III

Wirbelsäulenimplantate und Brustimplantate Neuklassifizierung von Medizinprodukten in der Klasse I, die Klasse Ir ist neu

Wartung und Funktionsprüfung, sowie die damit verbundenen Gebrauchsanweisungen durch die Benannte Stelle geprüft. Der Aufwand für die KMU wird hier vor allen Dingen im Bereich der Laborkosten für die Durchführung von Aufbereitungsvalidierungen liegen. Es gilt daher frühzeitig, aber auch regelmäßig, über ein implementiertes Änderungswesen das eigene Produktportfolio zu durchleuchten und regelmäßig zu bewerten. Viele Hersteller wenden hier das sogenannte Worst-Case-Verfahren an. Anhand dieses Verfahrens wird ein Produkt mit den kritischen Eigenschaften bewertet, anhand welcher die notwendigen Tests und Validierungen durchgeführt werden. Mit dieser Vorgehensweise ist es bei den allermeisten Benannten Stellen und nationalen Behörden noch möglich, die notwendigen Nachweise vorzuhalten. Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass dies immer mehr infrage gestellt wird.

10.5.6 Anforderungen an die klinische Bewertung Bezüglich der klinischen Bewertung hat der im Juni 2016 veröffentlichte MEDDEV-­ Leitfaden (European Commission, 2016, 2.7/1 Rev. 4) bereits für Verwirrung und teilweise Verärgerung gesorgt. Produkte, die sich seit Jahren und Jahrzehnten in unverändertem

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Gebrauch befunden haben, mussten nun ein sehr umfangreiches Verfahren durchlaufen, um den klinischen Nutzen aufzuzeigen. Nun setzt die MDR als weitere Voraussetzung fest, dass es bei dieser initialen Bewertung nicht bleiben soll. Die MDR beschreibt die klinische Bewertung als einen fortlaufenden Prozess der geplant und bewertet werden muss. Diesbezüglich hat sich auch beim Nationalen Arbeitskreis „NAKI“ eine Gruppe gebildet, welche sich dieser Thematik annimmt und zur Erleichterung vieler, etwas „Druck aus dem Kessel“ zu nehmen scheint. Der Nationale Arbeitskreis (NAKI) wurde ins Leben gerufen, um bei der Implementierung der neuen EU-Verordnungen über Medizinprodukte Leitfäden und Fragen zu beantworten. Der Arbeitskreis identifiziert und diskutiert Auslegungs- und Umsetzungsfragen, die vordringlich auf EU-Ebene gelöst werden müssen, wie zum Beispiel produktspezifische Leitlinien in Bezug auf die klinische Bewertung/klinische Prüfung von generischen oder althergebrachten („well-established“) Produkten. Weiteres Anliegen ist es, ein Netzwerk nationaler (weitestgehend unabhängiger) Experten zu schaffen, die ggf. von Behörden und Benannten Stellen in Bezug auf die Beurteilung klinischer Bewertungen konsultiert werden könnten oder Aufrufen der EU-Kommission zur Besetzung der Expertengremien nach Art. 106 MDR nachkommen könnten. Hierzu gibt es noch keine Ergebnisse und es bleibt weiterhin spannend, wie die Produkte, die seit Jahrzehnten unverändert auf den Markt gebracht werden, betrachtet werden müssen (BMG 2018a).

10.6 Zertifizierung von OEM-Produkten Ein weiterer Aspekt, welcher für einige KMU weitreichende Auswirkungen haben wird, ist die voraussichtliche Außerkraftsetzung des EK-Med. Beschlusses „ZLG 3.9. B 16“ (ZLG, Konformitätsbewertung, 3.9. B16, 1–8). Ein für viele KMU interessanter Geschäftsbereich ist es bis heute, im Hinblick auf das Inverkehrbringen die Rolle des sogenannten Private Label Manufacturer (PLM) einzunehmen. Ein PLM ist ein Hersteller von Medizinprodukten, der nicht selbst entwickelt und produziert, sondern sich zur Erfüllung der regulatorischen Anforderungen an einem bereits durchgeführten Konformitätsbewertungsverfahren des Original Equipment Manufacturer (OEM) anlehnt. Der „Quasihersteller“, wie der PLM auch gem. EK-Med. Beschluss definiert wird, hat sich bislang reduzierten Anforderungen gegenüberzustellen. So hatte der PLM beispielsweise geringere Anforderungen an die Erstellung der technischen Dokumentation gemäß 93/42/EWG. Nachweise zur Produktauslegung, Herstellung, zu dem Risikomanagement sowie der klinischen Bewertung konnten größtenteils auf den OEM ausgelagert werden und genügten zumeist, wenn diese zusammenfassend der technischen Dokumentation des PLM beilagen. Auch wenn der PLM juristisch betrachtet dieselben Rechte und Pflichten wie der OEM hatte, so war und ist dies bislang eine gewinnbringende und interessante

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Alternative, mit welcher anhand eines überschaubaren Aufwands auch KMU ein umfangreiches Produktportfolio zulassen und internationale Märkte bedienen können. Der Beschluss der ZLG wurde jedoch jeher von Benannten Stellen unterschiedlich interpretiert und ausgelegt. Insbesondere deshalb, weil es diese Regelung in dieser Form nur in Deutschland gibt. Außerhalb unserer Landesgrenzen sind sogenannte OEM-PLM-­ Partnerschaften nicht etabliert und werden bei Konformitätsbewertungen durch Benannte Stellen nicht akzeptiert. Was bedeutet das nun? KMU, welche ihr Geschäftsmodell vornehmlich auf dieser Sonderlösung aufbauen, wird es mit der Umsetzung der Anforderungen zur MDR vermutlich „kalt erwischen“. Grund hierfür ist der Anhang II der Verordnung (EU) 2017/745 (MDR), welcher für alle Mitgliedsstaaten gesetzlich festlegt, welche die Anforderungen an die Erstellung der technischen Dokumentation sind. Es wird daher für einen PLM zu einer großen Herausforderung, eine technische Dokumentation zu erstellen, ohne die vollständige Einsicht in die technische Dokumentation des OEM zu haben. Dies wiederrum führt dazu, dass für ganze Produktgruppen des PLM keine Zulassung erfolgen wird. Daher ist es für KMU auch heute schon unerlässlich, frühzeitig ein strategisches Lieferantenmanagement zu betreiben und sich an Geschäftspartner (OEMs) zu binden, die bereit sind Kompetenzen und Know-how gegenüber dem PLM und dessen Benannten Stelle ­offenzulegen.

10.7 Z  usätzliche Anforderungen an die Marktbeobachtung (Überwachung nach dem Inverkehrbringen) und das Vigilanzsystem Für die Überwachung von meldepflichtigen Vorkommnissen und Rückrufen nach dem Inverkehrbringen wird künftig ein elektronisches System, die EUDAMED-Datenbank (Europäische Datenbank für Medizinprodukte; Eudamed 2010) eingesetzt. Die elektronische Erfassung und Verarbeitung wesentlicher Informationen wird Bestandteil der EUDAMED-­ Datenbank sein. Hierzu zählt, dass die Meldungen von schwerwiegenden Vorkommnissen und von Sicherheitskorrekturmaßnahmen im Feld erfasst werden müssen. Zudem werden periodische Sammelmeldungen der Hersteller veröffentlicht. Insbesondere Trendberichte und Sicherheitsberichte, auch Sicherheitsanweisungen aus dem Feld seitens der Hersteller werden in der Datenbank erfasst und gepflegt. Die von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission auszutauschenden Informationen können von den zuständigen Personen, Behörden oder Benannten Stellen abgerufen werden. Die zuständigen Behörden haben Zugriff auf alle Informationen, die Benannte Stellen für von ihnen zugelassene Produkte eingeben. Es gibt zusätzlich einen angemessenen Zugang für Angehörige der Gesundheitsberufe und die Öffentlichkeit. Die Forderungen nach mehr Transparenz und Dokumentation bzgl. Produkt- und Patientensicherheit verlangt von den Herstellern verschiedene Berichte in die Datenbank einzustellen.

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Tab. 10.4  Die Dokumentationsübersicht bzgl. Produkt- und Patientensicherheit von Herstellern. (Quelle: EUDAMED-Datenbank; Eudamed 2010) Kurztitel SSCP = Summary of Safety and Clinical Performance PMS = Post Market Surveillance

Beschreibung Zeitrahmen für die Aktualisierung Kurzbericht über Sicherheit und RKL IIb/III: Der PSUR und SSCP klinische Leistung sind bei Bedarf oder mindestens einmal jährlich zu aktualisieren Plan und Bericht über die Der Plan wird bei Bedarf aktualisiert Überwachung nach dem Inverkehrbringen 1. PSUR = Regelmäßig aktualisierter RKL IIb/III: Der PSUR und SSCP Periodic Safety Update Bericht über die Sicherheit sind bei Bedarf oder mindestens Report einmal jährlich zu aktualisieren RKL IIa: Der PSUR ist bei Bedarf oder mindestens alle 2 Jahre zu aktualisieren Mehr Transparenz und Dokumentation bzgl. Produkt- und Patientensicherheit: Verschiedene Berichte sollen in die Datenbank eingestellt werden.

Folgende Berichte sind differenziert zu betrachten (siehe Tab. 10.4). Es muss daher frühzeitig begonnen werden, systematisch und proaktiv auswertbare Daten hinsichtlich der Leistungsfähigkeit und der Sicherheit des Medizinproduktes zu sammeln. Hierfür empfehlen sich Meldungen von Anwendern und deren Feedback, Kundenrückmeldungen, Veröffentlichungen über gleichartige Produkte, Vigilanz- und Trendberichte, klinische Nachbeobachtung, Fachliteratur und relevante Datenbanken. Für Produkte der RKL IIb (implantierbar) und der RKL III gilt: Der PSUR ist gemäß Artikel 92 der MDR 2017/745 über das elektronische System den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, der Kommission und den Benannten Stellen zur Verfügung zu stellen. Der Kurzbericht über die Sicherheit und klinische Leistung ist im Rahmen der Konformitätsbewertung der Benannten Stelle zur Verfügung zu stellen. Dieser wird durch die Benannte Stelle bei der EUDAMED-Datenbank hochgeladen. Auf der Kennzeichnung oder Gebrauchsanweisung wird angegeben, wo der Kurzbericht über die Sicherheit und klinische Leistung verfügbar ist. Die Bewertung durch Fachwissen der verantwortlichen Person der Marktbeobachtung und die Bewertung von Vigilanz bekommen zusätzliche Bedeutung. Durch die erhöhten Anforderungen an die Bewertung und Dokumentation muss bei der verantwortlichen Person zusätzliches Wissen abrufbar sein. Die Frage stellt sich: Warum müssen wir Daten erfassen, analysieren und bewerten, die schon seit Jahrzehnten unverändert auf den Markt gebracht werden und nichtrisikobehaftet sind in der Anwendung? Durch die kontinuierliche Erfassung und Bewertung der Daten sollen die Sicherheits- und Leistungsfähigkeit der Produkte nachweislich belegt werden. Es soll Fehlanwendung durch das Fachpersonal erfasst und ausgewertet werden. Die Hinnehmbarkeit der ermittelten Risiken soll überdacht werden, um ggf. neue Risiken aufzudecken.

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All diese Voraussetzungen sind notwendig, um die technische Dokumentation aktiv nach Markteinführung zu aktualisieren mit dem Ziel, Qualität, Sicherheit und Leistung der Produkte über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg zu gewährleisten.

10.8 EUDAMED-Datenbank/UDI EUDAMED ist die Europäische Datenbank für Medizinprodukte. Ziel ist es, die Marktüberwachung und Transparenz im Bereich der Medizinprodukte zu stärken, indem den zuständigen nationalen Behörden ein schneller Zugang zu Informationen sowie zu Vigilanzdaten ermöglicht wird. Sie trägt auch zu einer einheitlichen Anwendung der Richtlinien bei. EUDAMED ist ein sicheres, webbasiertes Portal, das als zentrales Repository für Informationen zwischen den zuständigen nationalen Behörden und der Kommission dient. Es ist nicht öffentlich zugänglich. Folgende Begriffsbestimmungen liegen der EUDAMED/UDI zugrunde (siehe Tab. 10.5). In der Medizintechnikbranche hat die Sicherheit von Patienten oberste Priorität. Basis hierfür ist die lückenlose Identifikation von Medizinprodukten vom Hersteller über den Fachhandel und das Krankenhaus bis hin zum Patienten. Mithilfe von UDI erhalten ­Medizinprodukte eine eindeutige Identifikation. Hierdurch wird eine durchgängige Transparenz in der gesamten Versorgungskette geschaffen. Die betrifft jedes Medizinprodukt, welches in der EU auf den Markt gebracht werden soll. Ausgenommen sind lediglich Sonderanfertigungen und Produkte zur klinischen Erprobung. Außerdem können sich Verantwortliche in jedem Unternehmen und jeder Abteilung durch UDI auf behördliche Vorgaben beziehen, die in der zentralen Datenbank EUDAMED hinterlegt sind. Die Angabe „UDI-konform“ zeigt, dass ein Medizinprodukt eindeutig gekennzeichnet ist. Andere Angaben erübrigen sich hierdurch. Die Erfassung der Produktdaten und die Pflege der EUDAMED-Datenbank werden Pflicht für alle Inverkehrbringer von Medizinprodukten in der EU. Um die Kennung auch auf Papier zu bringen, wird der Basis-UDI-DI zur Pflichtinformation auf der Konformitätserklärung und muss zukünftig auf dem Dokument angegeben werden. Die vom Hersteller vergebenen UDI müssen Teil der technischen Dokumentation werden und auch in selbiger gepflegt und bei Bedarf aktualisiert werden. Tab. 10.5  Die Begriffsbestimmungen der EUDAMED/UDI. (Quelle: EUDAMED-Datenbank; Eudamed 2010) Begriff Basis-UDI-DI Gebrauchseinheit-DI UDI-DI UDI-PI

Erklärung Primäre Kennung eines Produktmodells Ordnet die Anwendung eines Produktes einem Patienten zu Einmaliger Code für ein Produktmodell, dient als „Zugangsschlüssel“ zu Informationen einer UDI-Datenbank Kennzeichnung der Produktionseinheit des Produkts

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Der Vorteil durch die zentrale Erfassung ist der schnelle Zugriff auf Daten von Herstellern, Importeuren, Händlern durch die Behörden zur Marktüberwachung über Produkte, Bescheinigungen, Vigilanzdaten und klinische Prüfungsdaten. Eine zentrale Erfassung bringt auch Erleichterungen, da nicht in jedem Mitgliedsstaat die Daten erfasst werden müssen, sondern eine nur einmalige Erfassung erfolgt. Nachteil für die Wirtschaftsakteure (Hersteller, Bevollmächtigte, Vertreter, Importeure) ist der Aufwand, die Daten in EUDAMED zu pflegen und aktuell zu halten. Die Hersteller, Bevollmächtigten und Importeure stehen unter größerer Beobachtung durch die Behörden und Benannten Stellen. Durch die höhere Markt- und Produkttransparenz werden auch Daten über die Konkurrenz frei verfügbar sein, was KMU helfen wird, da eine zusätzliche Informationsquelle installiert wird, mit welcher das eigene Produktportfolio abgeglichen werden kann.

10.9 Hinweise zur Umsetzung für Klein- und Mittelstand Termine, Fristen und Vorgaben zur Umsetzung: Die EU-Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation = MDR) wurde am 05.04.2017 vom Europäischen Parlament verabschiedet  – diese Nachricht dürfte sich inzwischen entsprechend verbreitet haben, sodass Sie die ersten Zeilen mit einem leichten Schulterzucken wahrnehmen und denken werden: „Das ist inzwischen bekannt, was jetzt?“ Nun – was bedeutet das jedoch für die Übergangsfrist und die Zeit, die mir als KMU verbleibt, die MDR umzusetzen? Besteht denn ausreichend Zeit, sich häppchenweise dieser Thematik zu widmen, fragen Sie sich? Eindeutige Antwort: Jein! Weshalb „Jein“? Hierzu werfen wir einen Blick auf den Zeitplan der MDR-Einführung: Zwanzig Tage nach der Veröffentlichung im europäischen Amtsblatt trat die MDR in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt gelten für einen Übergangszeitraum von drei Jahren sowohl die Richtlinie 93/42 EWG (Medical Device Directive = MDD) als auch die MDR. Ab Mai 2020 müssen neue oder geänderte Medizinprodukte die Anforderungen der MDR erfüllen. Bestehende Zertifikate nach MDD 93/42 behalten jedoch ihre Gültigkeit bis max. vier Jahre, somit bis Mai 2024. Abb. 10.1 zeigt das Inkrafttreten der MDR. Die zuständigen Behörden haben die Akkreditierungsregeln bereits definiert, weshalb sich die Benannten Stellen nun neu benennen lassen müssen. Auch hier ist es wichtig, den möglichen Zeitstrahl zu beachten. Es wird angenommen, dass der Akkreditierungsprozess einer Benannten Stelle ca. 1,5 Jahre dauert. In dieser Zeit werden sicherlich vereinzelt Zertifizierungsverfahren nach den neuen Regeln durchgeführt werden. Wir wagen jedoch eine Vorhersage zu treffen: Nicht allen Medizintechnikherstellern wird es innerhalb der Übergangsfrist möglich sein, sich nach der MDR zertifizieren zu lassen, da es zu einem Engpass bei Benannten Stellen kommen wird – es warten schlichtweg zu viele Verfahren auf eine immer geringer werdende Anzahl Benannter Stellen, welche zudem Schwierigkeiten haben, Fachexperten zu finden, welche die Anforderungen aus der Richtlinie und der Verordnung umsetzen können.

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Abb. 10.1  Inkrafttreten der MDR. (Quelle: MEDAGENT GmbH)

Für EUDAMED und UDI gilt, dass frühestens ab 26.05.2020 oder sechs Monate nach Bekanntmachung der vollen Funktionsfähigkeit von EUDAMED die Regelungen gelten, die in untrennbarem Zusammenhang mit EUDAMED und der UDI-Datenbank stehen. Die Unternehmen haben dann 18 Monate Zeit, um ihre Produkte in EUDAMED zu registrieren.

10.10 A  bverkauf von Produkten unter Berücksichtigung der bestehenden Zertifizierung Grundsätzlich müssen Produkte nach dem 26.05.2020 den Anforderungen der MDR entsprechen, um (erstmalig) in Verkehr gebracht/in Betrieb genommen zu werden (siehe Art. 5 MDR). Jedoch besteht für eine begrenzte Zeit (abhängig von der Gültigkeit der jeweiligen AIMDD/MDD Bescheinigungen) die Möglichkeit, AIMDD/MDD-konforme Produkte weiterhin (erstmalig) in Verkehr zu bringen/in Betrieb zu nehmen. Durch den Gebrauch dieser Möglichkeit kann die unmittelbare Notwendigkeit, mit Geltungsbeginn über eine gültige MDR-Bescheinigung zu verfügen, vertagt werden. In den folgenden Abschnitten werden unterschiedliche Artikel sowie Anhänge genannt. Diese Quellen beziehen sich auf die MDR-Richtlinie, Amtsblatt der Europäischen Union, 05.05.2017, L 117. Was regelt die sogenannte Abverkaufsregelung? Sie soll den Zeitraum befristen, in dem AIMDD/MDD-konforme Produkte, die bereits (erstmalig) in Verkehr gebracht wurden, zum Beispiel durch einen Händler bereitgestellt werden dürfen. Nach dem 27.05.2025 dürfen diese Produkte nicht mehr bereitgestellt/in Betrieb genommen werden (= Endtermin). Derartige Produkte, die sich an diesem Tag noch immer in der Handelskette befinden, d. h. noch nicht dem Endanwender (z. B. Krankenhaus) als gebrauchsfertiges Produkt zur Verfügung gestellt wurden, sind nicht mehr „handelbar“. Artikel 120 Abs. 4 MDR adressiert im Wesentlichen das „Bereitstellen“ auf dem Markt von AIMDD/MDD-konformen Produkten, nachdem sie (erstmalig) in Verkehr gebracht wurden, z. B. in der Handelskette. Er regelt nicht das „(erstmalige) Inverkehrbringen“ dieser Produkte durch den Hersteller.

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Bleiben Bescheinigungen, die von Benannten Stellen vor dem 25.05.2020 gemäß den Richtlinien (= AIMDD/MDD-Bescheinigungen) ausgestellt wurden, auch nach Geltungsbeginn gültig? Ja, sie behalten – wie in Art. 120 Abs. 2 MDR beschrieben – ihre Gültigkeit. Grundsätzlich bleiben sie bis zu dem in der Bescheinigung angegebenen Zeitpunkt gültig. Gewisse AIMDD/MDD-Bescheinigungen (Annex 4/IV, siehe Art. 120 Abs. 2 erster Satz MDR) verlieren jedoch spätestens am 27.05.2022 ihre Gültigkeit, andere (siehe Art. 120 Abs. 2 zweiter Satz MDR) spätestens am 27.05.2024. Nach dem 27.05.2024 gibt es jedenfalls keine gültigen AIMDD/MDD-Bescheinigungen mehr (siehe Abb. 10.1; BMG 2018b, Förderprogramm für KMU). Ein nationales Förderprogramm für KMU ist zwingend erforderlich, um deren Fortbestehen zu gewährleisten und den Klein- und Mittelstand zu unterstützen. Hierzu zählt zum Beispiel die Unterstützung bei der Erstellung der technischen Dokumentation und der Gewinnung von klinischen Daten. Ebenso ist die Definition eines gemeinsamen klinischen Stands der Technik, Unterstützung bei der Marktbeobachtung (z.  B.  Erstellung des PMS-Reports (Klasse I), PSUR (Klasse IIa–III), Summary of Safety and Clinical Performance) ein wichtiger Input für KMU. Einige dieser Förderprogramme wurden bereits ins Leben gerufen wie das des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), welches kleine und mittelständische Unternehmen an sich wandelnde rechtliche und regulatorische Rahmenbedingungen heranführen und sie bei klinischen Validierungen medizintechnischer Lösungen unterstützen will. Ebenfalls bietet der BVMed Hilfestellung bei der Implementierung der MDR an. Der BVMed versucht, gemeinsam mit dem europäischen Verband MedTech Europe (MTE) und den nationalen Schwesterverbänden (Arbeitsgruppe MPG der Industriefachverbände  – AG MPG) seinen Mitgliedsunternehmen Hilfestellung bei der Anwendung der MDR in der Praxis zu geben. Unter anderem hat der BVMed gemeinsam mit MTE ein Flowchart erarbeitet, das einen Gesamtüberblick über die Anforderungen der MDR gibt. Diese Information ist im Web frei verfügbar (BVMed, Der lange Weg eines Medizinprodukts von der Idee über die Zulassung bis zum Patienten, 2018). Zur Umsetzung der MDR hat sich ein Nationaler Arbeitskreis (NAKI) gebildet. Der Nationale Arbeitskreis zur Implementierung der neuen EU-Verordnungen über Medizinprodukte (MDR) und In-vitro-Diagnostika (IVDR) setzt sich aus unterschiedlichsten Untergruppen und Fachgremien zusammen, zu denen u. a. die Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG) sowie das Deutsches Institut für Dokumentation und Information (DIMDI) und das Robert Koch-Institut (RKI) zählen. Der NAKI hat zum Ziel, „Probleme und Fragen im Zusammenhang mit einer sinnvollen Implementierung der beiden Verordnungen zu identifizieren und für diese Lösungen zu entwickeln. Vielfach geht es dabei um Auslegungsfragen, für die das BMG ein möglichst einheitliches Verständnis anstrebt“ (BMG 2018c). Was bringt Ihnen als KMU der NAKI de facto? Fachexperten erwarten, dass zwar bis zu 50 zusätzliche Leitfäden ausgearbeitet werden, diese jedoch die Anforderungen nicht

10  Maßnahmen zur Umsetzung der europäischen Medical Device Regulation bei …

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spürbar erleichtern werden. Zusätzlich heißt dies 175 Seiten MDR, 50 Leitfäden und Richtlinien sowie steigende internationale Anforderungen an die Produktregistrierungen und Länderzulassungen. Hier den Überblick zu behalten, wird eine enorme Herausforderung für Unternehmen mit begrenzten Kapazitäten, insbesondere im personellen Bereich. Es geht also darum, die eigene Fachexpertise hinsichtlich regulatorischer Anforderungen sicherzustellen, auszubauen und gegebenenfalls „einzukaufen“. Sei es über qualifizierte, branchenerfahrene Qualitätsmanager oder entsprechend fachkundige externe Berater und Dienstleister. Die Planungsaktivitäten müssen um weitere Kostenaspekte ergänzt werden. Insbesondere der Dokumentationsaufwand und die regelmäßige Pflege der Nachweise zur Bestätigung der Konformitätsbewertung werden mehr als nur eine Vollzeitbeschäftigung und daher entsprechende Arbeitskraft und Ressourcen in Anspruch nehmen. Was müssen Sie jedoch noch berücksichtigen? Nehmen Sie in jedem Fall frühzeitig Kontakt zu Ihrer Benannten Stelle auf und fixieren Sie Termine zur Auditierung und Aktenprüfung. Doch damit ist es nicht getan. Implementieren Sie ein effektives Änderungswesen und stellen Sie die Kommunikation mit der Benannten Stelle sicher. Dies gilt insbesondere, wenn sich signifikante Änderungen ergeben. Hierzu zählen Änderungen am Produkt- oder dem Produktportfolio, welche Sie regelmäßig an die Benannte Stelle melden müssen. Schon heute müssen Hersteller mit bis zu 1,5 Jahren kalkulieren, bis ein neues Produkt die Konformitätsbewertung der Benannten Stelle durchlaufen hat. Dies gilt es, auch in Zukunft frühzeitig einzuplanen und in Kauf zu nehmen. Zudem muss konkret geplant werden, in welchem Zeitraum technische Dokumentationen erstellt und überarbeitet werden, insbesondere im Hinblick auf die initiale Bewertung gemäß den Anforderungen der MDR, aber auch insbesondere für Hersteller von Medizinprodukten, die bislang unter eigener Verantwortung in Verkehr gebracht wurden und für die künftig eine Benannte Stelle herangezogen werden muss (wir sprachen bereits über die Neuklassifizierung in Klasse Ir Wiederverwendbare chirurgische Instrumente). Hierbei ist vor allem die Anzahl der technischen Dokumentationen ausschlaggebend. Einen Vorteil haben hierbei die Unternehmen, die sich auf ihre Kernkompetenzen und vor allem ein ausgewähltes Produktportfolio konzentrieren. Auch die Aktivitäten der Marktüberwachung und des Risikomanagements müssen zielgerecht geplant werden, da wie bereits erwähnt zusätzliche Anforderungen an die Gewinnung von Daten und die Erstellung von Berichten gestellt werden. Stellen Sie sich also die Frage: Kenne ich meine Rolle am Markt? Diese ist eine der ersten Fragen, die Sie sich im Hinblick auf die neuen gesetzlichen Anforderungen stellen müssen, da hiervon die zu erfüllenden regulatorischen Anforderungen entscheidend abhängen. Ist es aus betriebswirtschaftlichen Gründen weiterhin rentabel, ein großes Vertriebsnetzwerk aufrechtzuerhalten, oder konzentriere ich mich auf einige wenige interessante Märkte? Die Überlegung vieler KMU geht auch heute schon dahin, sich aus der Verantwortung des legalen Herstellers und Inverkehrbringers zurückzuziehen und sich als Hersteller in den

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F. Menean et al.

relevanten Datenbanken und bei den relevanten Behörden abzumelden. Dadurch kann sich ein Unternehmen auf die Lohnherstellung konzentrieren und regulatorische Anforderungen an den Verkauf unter eigenem Namen außer Acht lassen. Oder haben Sie auch schon mal überlegt die Anforderungen des Europäischen Wirtschaftsraums außer Acht zu lassen und Ihre Produkte in Übersee in Verkehr zu bringen? Die MDR ist unbestreitbar mit einem hohen Maß an Arbeit und erforderlichen Ressourcen verbunden. Beginnen Sie also bereits heute mit den Vorbereitungen.

10.11 Schlussbetrachtung Der knapp bemessene Zeitraum der Übergangsfrist von drei Jahren, in der sich die Wirtschaftsakteure (insbesondere Hersteller und Händler von Medizinprodukten sowie Benannte Stellen) auf die Konformitätsbewertungsverfahren nach Medizinprodukteverordnung 2017/745 EWG vorbereiten müssen, wird aufgrund der deutlich gestiegenen Anforderungen an neue Produkte, die nun einer Konformitätsbewertung durch eine Benannte Stelle unterliegen, sowie der geringeren Verfügbarkeit von Benannten Stellen sicherlich nicht ausreichen, um alle bis zum Stichtag 26.05.2020 anstehenden Verfahren abschließen zu können. Medizinproduktehersteller müssen den gestiegenen finanziellen und organisatorischen Aufwand stemmen, den die MDR mit sich bringt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die verbleibenden Benannten Stellen nicht die ausreichenden personellen Ressourcen haben werden, um die eingereichten Unterlagen der Hersteller fristgerecht prüfen zu können. Zudem ist mit einer Benennung dieser Stellen vor Sommer 2019 nicht zu rechnen, sodass von der dreijährigen Übergangsfrist weniger als ein Jahr übrigbleibt, um die Konformitätsbewertungsverfahren zeitgerecht abzuschließen. Besonders kritisch stellt sich hierbei die Situation für Hersteller von Produkten dar, deren Konformitätsbewertungsverfahren unter den Regelungen der Richtlinie 93/42 EWG bislang in alleiniger Verantwortung des Herstellers durchgeführt wurden, nun jedoch aufgrund der geänderten Anforderungen der Verordnung 2017/745 EWG der Konformitätsbewertung einer Benannten Stelle unterzogen werden müssen. Diese Verfahren müssen zum Stichtag 26.05.2020 abgeschlossen sein, damit die nach diesem Datum hergestellten Produkte mit dem CE-Zeichen versehen in Verkehr gebracht werden dürfen. Eine Übergangsfrist nach dem 26.05.2020 ist für diese Produkte nicht vorgesehen. Bei Medizinprodukten der Risikoklasse Is, Im, IIa, IIb und III, die nach Richtlinie 93/42 EWG konformitätsbewertet wurden, besteht die Möglichkeit der Aufrechterhaltung der Gültigkeit ausgestellter Zertifikate bis maximal 27.05.2024, sofern die Medizinprodukte und deren Herstellungsprozesse unverändert bleiben. Bei wesentlichen Änderungen oder der Aufnahme neuer Produkte müssen ab 26.05.2020 die Anforderungen der Verordnung 2017/745 angewendet werden.

10  Maßnahmen zur Umsetzung der europäischen Medical Device Regulation bei …

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F. Menean et al.

Franz Menean  ist Gründer und Geschäftsführer der MEDAGENT GmbH und berät Unternehmen bzgl. Aufbau, Implementierung und Optimierung von Qualitätsmanagementsystemen sowie Zulassungsverfahren im In- und Ausland. Franz Menean absolvierte eine technische Ausbildung zum Werkzeugmechaniker mit der Fachrichtung Instrumententechnik sowie die Ausbildung zum technischen Fachwirt. Vor der Selbstständigkeit arbeitete Herr Menean langjährig im Bereich der Herstellung von Medizinprodukten, wodurch er eine profunde Praxis und Erfahrung in der Herstellung von medizinischen Instrumenten und Implantaten besitzt. Nicole Menean  ist Gründerin und Geschäftsführerin der MEDAGENT GmbH und berät Unternehmen bzgl. Aufbau, Implementierung und Optimierung von Qualitätsmanagementsystemen sowie Zulassungsverfahren im In- und Ausland. Nicole Menean schloss eine Ausbildung zur Energiegeräteelektronikerin erfolgreich ab. Zudem absolvierte sie diverse Weiterbildungen als DGQ/EOQ Auditorin, Datenschutzbeauftragte und Validierungsbeauftragte. Vor der Selbstständigkeit arbeitete Frau Menean langjährig im Bereich der Herstellung von Medizinprodukten, wodurch sie eine profunde Praxis und Erfahrung in der Herstellung von medizinischen Instrumenten und Implantaten besitzt. Florian Rometsch  ist QM & Regulatory Affairs Consultant bei der MEDAGENT GmbH und berät Unternehmen bzgl. Aufbau, Implementierung und Optimierung von Qualitätsmanagementsystemen sowie Zulassungsverfahren im In- und Ausland. Florian Rometsch machte seinen Abschluss Bachelor of Arts im Bereich der Betriebswirtschaftslehre. Zudem ist er seit Mai 2018 qualifizierter DGQ Qualitätsmanager. Er ist seit 2013 in der Medizintechnikbranche tätig und kann durch eine Vielzahl von Zertifizierungsverfahren und Weiterbildungen, z.  B.  Medizinprodukteberater, Sicherheitsbeauftragter, und diverse interne und externe Trainings zu unterschiedlichen Normen, Richtlinien, Verordnungen und Gesetzen auf eine umfassende Erfahrung zurückgreifen. Michael Großmann  absolvierte seine Ausbildung als Verwaltungsfachangestellter bei der Stadt Tuttlingen und arbeitete dort wie auch bei der MEDAGENT GmbH als Marketingmanager. Seit Februar 2018 ist er als QM & Regulatory Affairs Assistent bei MEDAGENT tätig und unterstützt das Team bei der Beratung von Unternehmen bzgl. Aufbau, Implementierung und Optimierung von Qualitätsmanagementsystemen sowie Zulassungsverfahren im In- und Ausland. Tamara Becker  ist bei der MEDAGENT GmbH als Assistenz der Geschäftsführung tätig und unterstützt das Team bei der Beratung von Unternehmen bzgl. Aufbau, Implementierung und Optimierung von Qualitätsmanagementsystemen sowie Zulassungsverfahren im In- und Ausland. Sie machte ihren Abschluss Bachelor of Arts im Bereich der Betriebswirtschaftslehre und ist seit Februar 2015 im Bereich der Medizintechnikbranche tätig.

Medizinische Strategieentwicklung und -implementierung in Krankenhäusern

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Annika Emde und Michaela Lemm

Inhaltsverzeichnis 11.1  Rahmenbedingungen.................................................................................................  202 11.2  Vision.............................................................................................................................  204 11.3  Status quo............................................................................................................................... 205 11.4  Leistungsprognose.........................................................................................................  206 11.5  Krankenhaussicht...........................................................................................................  208 11.6  Fachabteilungsinterne Sicht...........................................................................................  209 11.7  Fachabteilungsübergreifende Sicht................................................................................  210 11.8  Priorisierung und Umsetzungsplanung..........................................................................  211 11.9  Umsetzungscontrolling und Strategieanpassung............................................................... 213 11.10  Schlussbetrachtung........................................................................................................  213 Literatur.................................................................................................................................  214

Zusammenfassung

Unabhängig von ihrer Größe beschäftigt Krankenhäuser die Frage nach der richtigen Medizinstrategie. Dieser Beitrag beschreibt, welche Schritte für die Erarbeitung einer Medizinstrategie erfolgen. Neben Analysen, die sowohl die aktuelle Situation als auch zu erwartenden Einflussfaktoren auf die Prognose der stationären Fallzahlen umfassen, wird aufgezeigt, wie die Chefärzte oder Klinikdirektoren in den Prozess eingebunden werden können. Da für viele Krankenhäuser die erfolgreiche Umsetzung der Strategie kritisch ist, wird ein mögliches Vorgehen geschildert und mit Praxisbeispielen unterlegt.

A. Emde (*) · M. Lemm hcb GmbH, Essen, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), Consulting im Gesundheitswesen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25479-7_11

201

202

A. Emde und M. Lemm

11.1 Rahmenbedingungen Gegenwärtige und zukünftig zu erwartende Veränderungen im Umfeld von Krankenhäusern machen eine fundierte und nachhaltige Medizinstrategie erforderlich, um für Trends und Herausforderungen vorbereitet zu sein. Wesentliche Treiber bestehen in der Finanzierung und Vergütung sowie den gesetzlichen Vorgaben in Bezug auf einzuhaltende Strukturen oder Leistungsmengen, aber auch in der medizinischen und demografischen Entwicklung. Im Rahmen der dualen Finanzierung erhalten Krankenhäuser investive Mittel vom Land. Betriebskosten in Form von abgerechneten Fallpauschalen (vgl. Graumann und Schmidt-Graumann 2016), den Diagnosis Related Groups (DRGs), werden von den Kostenträgern erstattet. Durch die Verantwortung für einen kostendeckenden Betrieb sind die Krankenhäuser dabei grundsätzlich einem Insolvenzrisiko ausgesetzt. Die Höhe der Fallpauschalenvergütung für stationär erbrachte Leistungen lässt eine Überschuldung oder Illiquidität zu. Der jährlich erscheinende Krankenhaus Rating Report zeigt neben der aktuellen wirtschaftlichen Lage die zu erwartende Entwicklung hinsichtlich des Insolvenzrisikos auf. Demnach lag auf Basis der Jahresabschlussdaten der Krankenhäuser 2016 für 7  % der Häuser die Ausfallwahrscheinlichkeit im kommenden Jahr bei über 2,6  %. Banken werden diesen Häusern ohne Sicherheiten keine Darlehn zur Verfügung stellen. Weitere 9 % weisen eine Ausfallwahrscheinlichkeit von 1–2,6 % auf. Für diese Häuser ist die Aufnahme von Darlehn nur bei höheren Zinsrisikoaufschlägen möglich. Die übrigen 84 % der Häuser haben eine derartig geringe Ausfallwahrscheinlichkeit, dass sie von geringeren Zinsniveaus bei der Fremdkapitalaufnahme profitieren. Die Prognose der Ausfallwahrscheinlichkeiten bis 2025 in Abb. 11.1 zeigt ohne korrigierende politische Eingriffe eine deutliche Verschlechterung. Knapp 30  % der Häuser würden im Jahr 2025 ein nennenswertes Insolvenzrisiko aufweisen (vgl. Augurzky et al. 2018). Für die Kliniken, die aus Bankensicht mit einem hohen Risiko bewertet werden, ist die Situation insofern kritisch, da viele Bundesländer ihren Krankenhäusern nicht ausreichend Fördermittel für Investitionen zur Verfügung stellen. In Nordrhein-Westfalen werden beispielsweise ca. 50 % der jährlichen Abschreibungen von Krankenhäusern gedeckt. Aus Krankenhaussicht bedeutet dies, dass Investitionen zu einem erheblichen Anteil aus Eigenmitteln zu finanzieren sind. Es müssen entsprechende Gewinne erwirtschaftet werden, um die getätigten Investitionen refinanzieren zu können. Die Abb. 11.2 zeigt deutschlandweit von 1991 bis 2015 die Reduktion der Fördermittel von nominal 23 % bzw. real 36 % (vgl. RWI 2016). Die Notwendigkeit der Erzielung von Gewinnen stellt die Krankenhäuser vor große Herausforderungen, weil das DRG-System die Vergütung von stationären Leistungen

11  Medizinische Strategieentwicklung und -implementierung in Krankenhäusern

203

Durchschnittliche Ratingnote(2) und Ampelklassifikation 2.2

2.0

2.1

2.0

1.9

1.9

1.9

1.9

2.0

2.1

2.2

83

82

78

74

71

6

8

Verteilung nach Rating-Ampel

77

9

9 7

7 10

6 9

6 10

6 11

5 12

4 14

16

18

23

2020e

2021e

2022e

2023e

2024e

2025e

6

2019e

84

2018e

84

2017e

84

2016

83

2015

13

84

(1) EAT, Earnings after tax (2) Die Ratingnoten gehen von 1 = sehr gut bis 5 = mangelhaft Quelle: RWI / hcb / deloitte.

Abb. 11.1  Prognose der Ausfallwahrscheinlichkeit bei Fortführung des Status quo 2007–2016. (Quelle: Augurzky et al. 2018)

anhand von kalkulierten Durchschnittskosten vorsieht. Das bedeutet, dass die Istkosten gedeckt werden, was keinen Gewinn, sondern ein ausgeglichenes Ergebnis bedeutet (vgl. InEK 2016). Krankenhäuser müssen vor dem Hintergrund der geschilderten finanziellen Rahmenbedingungen Wege finden, die es ihnen ermöglichen, Leistungen mit einem geringeren Kostenniveau zu erbringen. Die Entwicklung einer Medizinstrategie stellt in diesem Zusammenhang einen wesentlichen Erfolgsfaktor dar. Beispielsweise beeinflusst die Schwerpunktbildung durch einen gezielten Einsatz der limitierten investiven Ressourcen den wirtschaftlichen Erfolg.

A. Emde und M. Lemm

204

KHG Fördermittel in Mrd. € 5.0 4.0

Real1: -36%

3.0 Nominal: -23% 2.0

2015

2013

2011

2009

2007

2005

2003

2001

1999

1997

1995

1993

0.0

1991

1.0

(1) Deflationiert mit Investitionsgüterpreisindex. Quelle: RWI / hcb / Deloitte; DKG (2017); Statistisches Bundesamt (2017e, 2017h). Abb. 11.2  Fördermittel gemäß Krankenhausfinanzierungsgesetz 1991–2015. (Quelle: Augurzky et al. 2018)

11.2 Vision Zu Beginn einer medizinischen Strategieentwicklung ist grundsätzlich festzulegen, welche Vision der Träger mit seinem Krankenhaus verfolgt (vgl. Kaplan und Norton 2008). Mit dem Leistungsspektrum und der Größe des Hauses ist insofern ein Rahmen vorgegeben, als dass das Haus für die Bevölkerung als • Basisversorger, • Schwerpunktversorger oder • Maximalversorger stationäre Krankenhausleistungen anbietet. Vereinfacht lässt sich die Frage stellen, wie die Einrichtung in der Bevölkerung, aber auch von Mitarbeitern wahrgenommen werden soll. Es wird ein Zukunftsbild über die Rolle in der Gesundheitsversorgung und die zugrunde liegenden Werte entwickelt, auf das alle weiteren unternehmerischen Maßnahmen ausgerichtet sind. Exemplarisch findet sich in Abb. 11.3 die Vision des Sana Krankenhauses Templin.

11  Medizinische Strategieentwicklung und -implementierung in Krankenhäusern

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Abb. 11.3  Vision Sana Krankenhaus Templin. (Quelle: Sana Krankenhaus Templin 2018)

Zu beachten ist, dass die krankenhausplanungsrechtliche Komponente die Gestaltungsmöglichkeiten des stationären Leistungsspektrums einschränkt. Zur Versorgung zugelassene Krankenhäuser dürfen ihr Leistungsangebot nur innerhalb des ihnen durch den im Aufnahmebescheid zum landesrechtlichen Krankenhausplan vorgegebenen Versorgungsauftrages gestalten (vgl. § 140a SGB V). Der verwaltungsinterne Krankenhausplan hat vier Bestandteile: Zielplanung, Bedarfsanalyse, Krankenhausanalyse und Versorgungsentscheidung. Er entfaltet erst durch den jeweiligen Feststellungsbescheid gegenüber dem einzelnen Krankenhaus seine Wirkung und bestimmt dessen konkreten Versorgungsauftrag anhand von u.  a. Gebietsfestlegung und Bettenanzahl. Geprüft werden dabei immer die Leistungsfähigkeit, Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit der jeweiligen Krankenhäuser. Gegebenenfalls wird im zweiten Schritt eine Ermessensentscheidung bzgl. der Auswahl der zur Bedarfserfüllung geeigneten Krankenhäuser getroffen (vgl. § 8 Abs. 2 KHG). Die fachliche Gliederung des Versorgungsauftrages orientiert sich oft an den ärztlichen Weiterbildungsordnungen der Landesärztekammern. Soweit bestimmte Schwerpunkte im Krankenhausplan nicht gesondert ausgewiesen werden und zu einem Fachgebiet zählen, für das bereits ein Versorgungsauftrag erteilt wurde, können zusätzliche ­Leistungsangebote etabliert werden. So ist es beispielsweise möglich bei einem bestehenden Versorgungsauftrag für innere Medizin zusätzliche kardiologische Leistungen anzubieten.

11.3 Status quo Der erste Schritt in der Strategieentwicklung ist die Schaffung von Transparenz über die individuelle Ausgangslage. Darunter fällt die Analyse des medizinischen Portfolios (Historie und Status quo) der einzelnen Fachabteilungen und des Krankenhauses insgesamt. Sie wird ergänzt um die Analyse der externen Rahmenbedingungen in Bezug auf die

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A. Emde und M. Lemm

regionale Konkurrenzsituation sowie die Bestimmung der eigenen Marktanteile. Darüber lassen sich die bestehenden Stärken und Schwächen sowie Chancen und Risiken des Krankenhauses und seiner Fachabteilungen identifizieren. Datenbasis zur internen Leistungsanalyse bildet der Datensatz nach § 21 KHEntgG, der in jedem Krankenhaus zu Abrechnungszwecken nach einem einheitlichen Standard erstellt wird. In diesen Routinedaten sind wichtige Informationen zu allen behandelten Patienten, wie zum Beispiel Diagnosen, Prozeduren und Prozessdaten, enthalten. Die Betrachtung von medizinischen Leistungsgruppen schafft dabei einen höheren Detaillierungsgrad des Leistungsangebots der Fachabteilungen bzw. des gesamten Hauses. Veränderungen der Fallzahlen je DRG und ICD, des Case-Mix und Case-Mix-Index und der Verweildauern geben erste Anhaltspunkte für die Bewertung des Leistungsportfolios. Positive und negative Entwicklungen werden so für jede Leistungsgruppe transparent. Ergänzend dazu ist eine detaillierte Untersuchung des relevanten Marktes und der Konkurrenz erforderlich (vgl. Beivers et al. 2017). Das visualisierte Einzugsgebiet mittels Geocodierung der Fachabteilungen bzw. Leistungsgruppen zeigt, welche Gebiete derzeitig als Kernmarkt anzusehen sind und welche Gebiete neue Zielmärkte sein könnten. Bislang nicht wahrgenommene Veränderungen in den vergangenen Jahren könnten so aufgezeigt werden. Es wird ersichtlich, ob Fallzahlverluste oder -zuwächse auf einen Teilmarkt beschränkt sind oder sich gleichmäßig auf das gesamte Einzugsgebiet verteilen. Außerdem gibt die Analyse der relevanten Wettbewerber mit ihren gegenwärtigen Leistungen und Leistungsveränderungen in Bezug auf das eigene Leistungsspektrum wichtige Hinweise. So werden die Hauptkonkurrenten identifiziert. Die Höhe der eigenen und der fremden Marktanteile lässt erkennen, bei welchem Wettbewerber sich Patienten aus dem eigenen Einzugsgebiet behandeln lassen und welche Marktpotenziale gegenwärtig bestehen. Daraus lassen sich erste Chancen ableiten. Sie können in zusätzlichen, neuen und innovativen komplementären Leistungsbereichen, aber auch in der Aufgabe nichtprofitabler Bereiche liegen. Dies hängt insbesondere auch von der lokalen Konkurrenzsituation ab.

11.4 Leistungsprognose Für ein medizinisches Gesamtkonzept ist die Nachhaltigkeit des vorhandenen stationären Leistungsspektrums ein wesentlicher Aspekt. Verschiedene Einflussfaktoren bestimmen die zukünftige Nachfrage nach stationären Leistungen. Neben der lokalen demografischen Entwicklung kommen vor allem der medizinisch-technische Fortschritt, gesetzlich vorgegebene, aber auch von Patienten und Kostenträgern erwartete Mindestmengen, ­Veränderungen des Wettbewerbsumfelds, die Höhe des ambulanten Potenzials und Gesetzesänderungen hinzu. Anhand der stationären Fallzahlprognose pro Kreis zeigt sich, dass die lokale demografisch zu erwartende Entwicklung einer der wichtigsten Faktoren ist. Wie Abb.  11.4

11  Medizinische Strategieentwicklung und -implementierung in Krankenhäusern

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Abb. 11.4  Veränderung der Zahl der Fälle auf Kreisebene aufgrund der Demografie 2016–2030. (Quelle: Augurzky et al. 2018)

zeigt, finden sich in Deutschland Regionen, in denen bis 2030 bis zu 15 % mehr stationäre Fälle zu erwarten sind, aber auch andere Regionen mit sinkenden stationären Fallzahlen. Je nach Standort des Krankenhauses ergeben sich entsprechend unterschiedliche Anforderungen an vorzuhaltende Kapazitäten und Leistungen. Die Substitution bisher stationär erbrachter Leistungen durch ambulante Angebote kann die zukünftig zu erwartenden Fallzahlen erheblich beeinflussen. Finden sich im Leistungsspektrum viele Eingriffe, die ggf. bereits heute häufig ambulant erbracht werden oder aber

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A. Emde und M. Lemm

vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen infrage gestellt werden, wird eine Fortschreibung bisheriger Fallzahlen zu einer Überbewertung des zu erwartenden Bedarfs führen. Die Frage der Nachhaltigkeit, also auch perspektivisch stationär zu erbringender Leistungen ist demnach wichtig, um keine Überkapazitäten mit entsprechendem Investitionsrisiko aufzubauen. Da jede Prognose der künftigen Fallzahlen abhängig von den getroffenen Annahmen ist, ist eine Szenarioanalyse sinnvoll. Durch Variation der Annahmen lassen sich unterschiedliche Szenarien bilden. Für jede Fachabteilung oder Leistungsgruppe lässt sich so ein plausibler Entwicklungskorridor für die nächsten Jahre ableiten. Der Blick in die Zukunft mithilfe von Szenarien erlaubt die Identifikation des Unsicherheitsgrades, die das medizinische Gesamtkonzept berücksichtigen muss.

11.5 Krankenhaussicht Für die Bewertung der Ausgangssituation und Zukunftsperspektive auf Krankenhausebene lassen sich die einzelnen Analyseergebnisse der Fachabteilungen bzw. Leistungsschwerpunkte aggregiert zusammentragen. Die BCG-Matrix, als klassisches Instrument der Strategieentwicklung, fasst die Bewertung des Leistungsspektrums vergleichend zusammen (vgl. Andler 2015). In der BCG-Matrix werden Fachabteilungen bzw. Leistungsschwerpunkte nach zwei Faktoren bewertet: Marktwachstum und relativer Marktanteil (Verhältnis des eigenen Marktanteils zu dem des größten Konkurrenten). Je nachdem, ob die Bewertung jeweils hoch oder niedrig ausfällt, lassen sich vier Felder in der Matrix unterscheiden (vgl. Abb. 11.5), denen sogenannte Normstrategien zugeordnet sind. Marktwachstum Question Mark

Stars

?

Hoch

Cash cows

Poor dogs

Niedrig

Niedrig

Relativer Marktanteil

Abb. 11.5  BCG-Matrix. (Quelle: Andler 2015)

Hoch

11  Medizinische Strategieentwicklung und -implementierung in Krankenhäusern

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Question Marks (hohes Marktwachstum, geringer relativer Marktanteil): Fachabteilungen oder Leistungsschwerpunkte, die aus Sicht des einzelnen Hauses diesem Feld zugeordnet werden, zeichnen sich aufgrund der zu erwartenden Fallzahlentwicklung durch hohe Chancen aus. Aufgrund des bisher geringen relativen Marktanteils sollte in diesen Bereich investiert werden, um die Chancen nutzen zu können, als potenzieller Anbieter wahrgenommen zu werden. Alternativ ist die gezielte Aufgabe von Leistungen aus diesem Segment anzustreben. Stars (hohes Marktwachstum, hoher relativer Marktanteil): Auch hier bestehen Chancen aufgrund der Marktentwicklung. Gleichzeitig hat sich das Haus bereits gut mit seinem Leistungsangebot positioniert. Es gilt, diese Position zu stärken, indem sie ausgebaut wird. In diesem Segment werden ebenfalls finanzielle Mittel für die Wachstumsrealisierung benötigt. Cash Cows (geringes Marktwachstum, hoher relativer Marktanteil): Mit Leistungsbereichen, die aufgrund der Bewertung in dieses Feld einzuordnen sind, erzielt ein Krankenhaus positive Deckungsbeiträge. Investitionen sind nicht mehr erforderlich. Poor Dogs (geringes Marktwachstum, geringer relativer Marktanteil): Bei dieser Einordnung bestehen weder Marktchancen durch Wachstum noch konnte bisher eine nennenswerte Marktposition erreicht werden. Die Aufgabe des Leistungsfelds ist die empfohlene Normstrategie. Es wird deutlich, dass zwischen den einzelnen Segmenten Unterschiede hinsichtlich des Investitionsbedarfs bestehen. Während bei hohem Marktwachstum Investitionen erforderlich sind, müssen etablierte Leistungsfelder ausreichend Deckungsbeiträge generieren, um die Investitionen zu ermöglichen. In der Folge bedeutet dies, dass sich eine Strategie nie nur auf Leistungsangebote mit hohem Finanzierungsbedarf beziehen kann. Vielmehr gilt es, für ein Gleichgewicht zu sorgen, um gerade vor dem geschilderten Spannungsfeld der finanziellen Situation von Krankenhäusern nachhaltig erfolgreich zu sein.

11.6 Fachabteilungsinterne Sicht Die Ergebnisse der Status-quo-Bewertung und der Leistungsprognose sind in einem nächsten Schritt Gegenstand der Diskussion mit den Chefärzten bzw. Klinikdirektoren. Neben der Plausibilisierung der Daten sind die Stärken und Schwächen im Leistungsspektrum zu diskutieren. In Vorbereitung einer solchen Diskussion in Form einer Strategietagung mit den Chefärzten hat sich folgendes Vorgehen bewährt: Transparenz herstellen: Das Vorgehen bei den Analysen und die Methodik der Pro­ gnose sind im Vorfeld transparent vorzustellen, um Verständnisprobleme und ggf. Widerstände im weiteren Strategieprozess zu vermeiden. Ergebnisse diskutieren: Die Ergebnisse auf Fachabteilungsebene werden in einem Einzelgespräch, falls gewünscht unter Einbeziehung ausgewählter Oberärzte, vorgestellt

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und diskutiert. Häufig weicht die persönliche, nichtdatenbasierte Einschätzung deutlich von den Analyseergebnissen ab. Insbesondere die Stärke von Mitbewerbern wird häufig unterschätzt und zunächst ein Datenfehler vermutet. Trends erkennen: Neben zu prüfenden Daten sind auch zu erwartende Trends im Fachgebiet zu thematisieren. Potenzielle Zukunftsthemen, die der Sicherung bereits bestehender Stärken und Chancen oder aber der Beseitigung von Schwächen und Risiken dienen, werden zusammengetragen. Nachdem alle Gespräche mit den Chefärzten und Klinikdirektoren geführt sind, liegt eine Sammlung der zu bearbeitenden Themenschwerpunkte vor. Erfahrungsgemäß beschränken sich die Vorstellungen nicht auf einzelne Fachabteilungen, sondern betreffen auch die Verzahnung verschiedener medizinischer Schwerpunkte.

11.7 Fachabteilungsübergreifende Sicht Die Handlungsoptionen und -notwendigkeiten aus der Krankenhaus- und Fachabteilungsbewertung sind unter Einbeziehung aller Beteiligten zu detaillieren. Diese Detaillierung kann ebenfalls auf einer interdisziplinären Strategietagung im Anschluss an die Diskussion der fachabteilungsinternen Sicht erfolgen. Ziel ist es, die direkten und indirekten Zusammenhänge zu erarbeiten und Maßnahmenpakete mit Verantwortlichkeiten und Zeitpunkten zu hinterlegen. Zunächst sind zu bearbeitende Themenschwerpunkte zu definieren, die interdisziplinär zu bearbeiten sind. Diese Themenschwerpunkte beziehen sich auf medizinische Leistungsschwerpunkte, die sich fachabteilungsübergreifend als wesentlich herausgestellt haben. Im Praxisbeispiel wurde eine Klinik u. a. vor die Herausforderung gestellt, das Segment der Herz- und Gefäßmedizin zu stärken. Zahlreiche neue Leistungsangebote im Umkreis in Kombination mit der eigenen rückläufigen Fallzahlentwicklung zeigten den Handlungsbedarf auf. Es stellte sich die Frage, welche Kompetenzen bereits heute bestehen, welche Qualifikation und Angebote sogar schon vorhanden sind, aber noch verbessert werden müssen oder aber auch was noch gänzlich fehlt. Um eine ganzheitliche Sicht auf das Thema zu ermöglichen, reicht eine Beschränkung auf die Chefärzte bzw. Klinikdirektoren der Kardiologie und Gefäßchirurgie nicht aus. Einzubeziehen sind auch inhaltlich eng verzahnte Fachvertreter, wie zum Beispiel ­Geriater, Angiologen und Radiologen (vgl. Abb. 11.6). Technische und bauliche Voraussetzungen müssen gleichermaßen formuliert werden wie noch fehlende Qualifikationen. Die Abb. 11.6 stellt beispielhaft ein mögliches Workshopergebnis dar. Bisher nicht vorhandene bzw. auszubauende medizinische Leistungsschwerpunkte im Zusammenhang mit der Herz- und Gefäßmedizin können am Ende der Diskussion hinsichtlich ihres wirtschaftlichen Potenzials und des zu erwartenden Umsetzungsaufwands beurteilt werden. Abb. 11.7 zeigt wiederum ein exemplarisches Beispiel aus der Praxis. Analog sind die anderen Themenschwerpunkte bezogen auf das medizinische Leistungsspektrum zu bearbeiten.

11  Medizinische Strategieentwicklung und -implementierung in Krankenhäusern

Telemedizin

Zentrum Herz- Gefäß Elektrophysiologie

KAR Alle Techniken

Herzchirurgie Kunstherzen

Rhythmologie

IST/IMC Post-OP/ Strukturen

Herz- & Gefäßkrankheiten

Stammzellentherapie

Neurologie

Kard. Bildgebung

Sono-Geräte

Gefäßzentrum

Forschung

Genmedizin

Nicht vorhanden

Koop. Reha?

Abrechnungsmöglichkeit

Kinderkardiologie EMAHAmbulanz

EDV CPU

Hybridsaal

Angiologie

Implantation SM Defi -> OP Saal

211

Raum

Gefäßinterventionen

Angiologie

Vorhanden

In Ansätzen vorhanden

Abb. 11.6  Workshopergebnis Herz-Gefäß-Medizin. (Quelle: eigene Darstellung 2018)

hoch

Angiologie

Wirtschaftliches Potenzial

Rhythmologie Gefäßchirurgie Herzinsuffizienz

gering hoch

Umsetzungsaufwand

gering

Abb. 11.7  Priorisierung medizinischer Leistungsschwerpunkte. (Quelle: eigene Darstellung 2018)

11.8 Priorisierung und Umsetzungsplanung Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen knappen Investitionsmittel, aber auch einer realistischen Umsetzung muss eine Priorisierung der Maßnahmen und Aufgaben erfolgen. Wer an der Priorisierung zu beteiligen ist, muss im Einzelfall entschieden werden.

212

A. Emde und M. Lemm

Die Priorisierung ohne Einschränkung im Rahmen einer Strategietagung mit allen Chefärzten bzw. Klinikdirektoren vorzunehmen, ist insofern kritisch, als dass nicht immer Sachargumente im Vordergrund stehen und die persönlichen Beziehungen untereinander eine maßgebliche Rolle bei der Bewertung bewirken. Zentral ist es in dieser Phase des Strategieprozesses, verbindlich Themen aufzugeben oder weiterzuverfolgen. Dies muss auch allen Beteiligten abschließend bewusst sein, um ineffiziente, sich wiederholende Diskussionen zu vermeiden. Häufig besteht zunächst die Notwendigkeit, die wirtschaftliche Situation der Klinik im ersten Schritt zu verbessern, um im zweiten Schritt neue Schwerpunkte mit entsprechendem Investitionsbedarf zu realisieren. Von den potenziellen Inhalten basierend auf den Workshopergebnissen gilt es, zunächst diejenigen zu identifizieren, die ohne großen zeitlichen Vorlauf zu einer Ergebnisverbesserung führen. Es bietet sich an, auf einer Zeitschiene die Strategieelemente sichtbar danach zu differenzieren, ob sie primär das Ergebnis kurzfristig verbessern oder langfristigen innovativen Charakter haben. Der zu berücksichtigende zeitliche Horizont umfasst dabei in der Regel die kommenden fünf bis zehn Jahre. Schematisch zeigt Abb. 11.8 einen möglichen Aufbau zur Systematisierung. Stehen dagegen ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung und es steht die Frage nach der bestmöglichen Verwendung zur Diskussion, wird man die Inhalte priorisieren, die aufgrund der aktuellen Marktbewertung den größtmöglichen Vorteil auf dem Weg zur Erreichung der Zukunftsvision erwarten lassen. Da die Zeitschiene lediglich einen Überblick über das Jahr, in dem bestimmte Themen als Bestandteil der Medizinstrategie zu bearbeiten sind, gibt, sind im nächsten Schritt konkrete Maßnahmen mit messbaren Zielen zu definieren. Auch hier zeigt sich in der Praxis, dass die Festlegung eindeutiger Verantwortlichkeiten die erste Hürde darstellt. Nicht selten

Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage

Zeitschiene ca. 5–10 Jahre

€ Investition für Innovation und neue Leistungsbereiche (baulich, technisch, personell)

Abb. 11.8  Zeitschiene der Umsetzung. (Quelle: eigene Darstellung 2018)

11  Medizinische Strategieentwicklung und -implementierung in Krankenhäusern

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kommt es vor, dass sich für bestimmte Themen zunächst niemand findet, der die Verantwortung übernimmt, oder aber darauf gedrungen wird, mehrere Verantwortliche zu benennen. Falls sich abschließend niemand findet, sollte das Thema nicht weiter berücksichtigt werden. Es sollte geprüft werden, ob durch diese „Lücke“ andere Themen ebenfalls nicht mehr realisierbar sind. Die Benennung von mehreren Verantwortlichen ist nur dann sinnvoll, wenn die Gesamtverantwortung klar bei einer Person liegt. Ansonsten ist die Chance einer erfolgreichen Umsetzung bereits zu Beginn begrenzt. Aus Krankenhaussicht sollte für jedes Projekt ein einheitlich detaillierter Projektplan vorlagenbasiert zusammengetragen werden, um ein Umsetzungscontrolling zu ermöglichen. Aus der zusammengeführten Liste kann abgelesen werden, welche Personen zu welchem Zeitpunkt zur Bearbeitung welcher Einzelfragen bzw. -themen geplant sind. Eine Organisation und einzelne Mitarbeiter dürfen nicht durch zu viele parallele „Sonderaufgaben“ überfordert werden. Ein Scheitern der Umsetzung wäre die Folge.

11.9 Umsetzungscontrolling und Strategieanpassung Die Projektpläne für die Realisierung der einzelnen Strategieelemente sollten messbare Ziele beinhalten. Beispielsweise könnte konkret definiert werden, mit welchen Diagnosen ein bestimmter Marktanteil in einem vorgesehenen Gebiet bis zum festgelegten Zeitpunkt erreicht werden soll (vgl. Andler 2015). Ein kontinuierlicher Abgleich der definierten Maßnahmen und Ziele mit dem Erreichungsgrad ermöglicht frühzeitig ein Gegensteuern. Auch hier zeigt sich in der Praxis, dass ohne Begleitung des Umsetzungsprozesses durch regelmäßige Rückfragen zum Zwischenstatus relevante Themen binnen eines Jahres nicht bearbeitet werden. Da sich die Rahmenbedingungen von Kliniken auch weiterhin schnell verändern werden, ist eine regelmäßige Überprüfung der Strategie bzw. der vereinbarten Einzelmaßnahmen im Sinne einer rollierenden Planung unerlässlich. Die enge Taktung neuer gesetzlicher Vorgaben, aber auch des sich weiter verschärfenden Fachkräftemangels sind nur zwei Beispiele, an denen die hohe Umfelddynamik von Kliniken deutlich wird.

11.10 Schlussbetrachtung Das beschriebene Vorgehen zur Entwicklung und Umsetzung einer Medizinstrategie anhand von Praxisbeispielen berücksichtigt die Besonderheiten von Krankenhausverbünden und sektorenübergreifende Verzahnungen nicht. Bei Krankenhausverbünden kommen neben den inhaltlichen medizinischen Fragestellungen Standortüberlegungen hinzu. Bei mehreren Standorten muss zusätzlich zu strategischen Überlegungen miteinfließen, welche Standorte perspektivisch fortzuführen sind und welche Folgen sich hinsichtlich der Fallzahlen bei der Verlagerung von Leistungen zwischen Standorten ergeben. Die zunehmende Spezialisierung in der Medizin sowie gesetzlich

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A. Emde und M. Lemm

definierte strukturelle Mindestvorgaben fördern den Konzentrationsprozess. Dem steht die Frage nach einer vertretbaren Erreichbarkeit gegenüber. Denn auch vor dem Hintergrund der knappen Investitionsmittel ist eine Standortreduktion sinnvoll. Eine ausschließliche Fokussierung auf den stationären Leistungsbereich stößt perspektivisch an Grenzen. Fragen nach geeigneten Kooperationen oder Netzwerken werden zwingend im Strategieprozess zu berücksichtigen sein. Dazu werden sich Kliniken im Vorfeld entscheiden müssen, welche nichtakutstationären Leistungen sie selber anbieten möchten. Insbesondere die Leistungsverlagerungen in den ambulanten Bereich stellen Kliniken vor die Wahl, diese Leistungen entweder perspektivisch selber ambulant zu erbringen oder sie Dritten zu überlassen. In dem Beitrag wurde deutlich, dass eine Medizinstrategie für Krankenhäuser zwingend ist und zunächst seitens des Trägers eine Vision definiert werden muss. Umfassende analytische Vorarbeiten sind in der ersten Phase grundlegend, um den weiteren Diskussions- und Entwicklungsprozess unter Einbeziehung der Ärzte sachorientiert gestalten zu können. In der zweiten Phase werden Einzelgespräche und idealerweise interdisziplinäre Workshops durchgeführt, um die Ergebnisse der Analysephase zu plausibilisieren und Zukunftsthemen umfassend zu sammeln und zu priorisieren. Eine isolierte Fachabteilungssicht greift hierbei zu kurz. So lassen sich Chancen nicht im möglichen Umfang nutzen. Einerseits ist eine realistische Einschätzung zu den wirtschaftlichen Potenzialen und dem zu erwartenden Umsetzungsaufwand gemeinsam abzuleiten, andererseits schafft eine enge Einbindung der Ärzte Akzeptanz und ermöglicht eine zielgerichtete Priorisierung. Der Umsetzungserfolg erhöht sich dementsprechend. Eine Herausforderung besteht allerdings darin, die aktuellen finanziellen Rahmenbedingungen zu verdeutlichen, sodass h­ äufig erst die Maßnahme mit direktem Einfluss auf die Gewinne begonnen werden muss, um finanzielle Mittel für Investitionen in Innovationen und neue medizinische Leistungsfelder zu ermöglichen. Schließlich zeigt die Praxis die Notwendigkeit eines begleitenden Umsetzungscontrollings, damit die strategischen Ziele nicht im Alltagsgeschehen untergehen.

Literatur Andler N (2015) Tools für Projektmanagement, Workshops und Consulting, Kompendium der wichtigsten Techniken und Methoden, 6. Aufl. Publicis Publishing, Erlangen Augurzky B, Krolop S, Schmidt C, Pilny A, Wuckel C, Mensen A (2018) Krankenhaus Rating Report 2018, Personal – Krankenhäuser zwischen Wunsch und Wirklichkeit. medhochzwei Verlag GmbH, Heidelberg Beivers A, Steidel GP, Haag G, Wittig NF (2017) Geomarketing: Vernetzung im Gesundheitswesen. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Berlin Graumann M, Schmidt-Graumann A (2016) Rechnungslegung und Finanzierung der Krankenhäuser: Leitfaden für Rechnungslegung, Beratung und Prüfung, 3. Aufl. nwb Verlag GmbH & Co. KG, Herne InEK (2016) Kalkulation von Behandlungskosten, Version 4.0. https://www.g-drg.de/Kalkulation2/ DRG-Fallpauschalen_17b_KHG/Kalkulationshandbuch. Zugegriffen am 15.07.2018

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Kaplan RS, Norton DP (2008) Der effektive Strategieprozess, Erfolgreich mit dem 6-Phasen-­ System. Campus, Frankfurt am Main RWI (2016) Investitionsbarometer NRW. Forschungsprojekt im Auftrag der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen. http://www.rwi-essen.de/media/content/pages/publikationen/rwi-projektberichte/rwi-pb_investitionsbarometer_nrw.pdf. Zugegriffen am 15.07.2018 Sana Krankenhaus Templin (2018) Vision. https://www.sana-kt.de/ueber-uns/unsere-werte/unsere-vision. Zugegriffen am 15.07.2018

Annika Emde, M. Sc.,  absolvierte ihr Bachelor- und Masterstudium im Bereich Health Care Management an der Hochschule Niederrhein. Vor und während ihres Studiums sammelte sie Erfahrungen in Bereichen der medizinischen Versorgung sowie in den Leistungsgebieten der Unternehmensentwicklung und des Medizincontrollings bei Leistungsanbietern unterschiedlicher Trägerschaften. Seit 2011 arbeitet Frau Emde als Unternehmensberaterin im Gesundheitswesen und verfügt über entsprechende Projekterfahrung zu unterschiedlichen Fragestellungen. Ihr Beratungsschwerpunkt liegt im Bereich der Strategie- und Organisationsberatung von Krankenhäusern. Dr. Michaela Lemm  studierte Betriebswirtschaftslehre an der Westfälischen Wilhelms-­Universität Münster. Im Anschluss promovierte sie im Rahmen des DFG-­Graduiertenkollegs „Bedarfsgerechte und kostengünstige Gesundheitsversorgung“ an der Technischen Universität Berlin. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet Frau Dr. Lemm bei Beratungen in der Gesundheitswirtschaft und unterstützt Leistungserbringer in den verschiedenen Sektoren sowohl bei strategischen als auch bei betriebsorganisatorischen Fragestellungen. Seit 2017 ist sie Geschäftsführerin der hcb GmbH. Des Weiteren hat sie durch eine Weiterbildung zum systemischen Coach/Changemanagement ihre Qualifikation in der Personal- und Organisationsentwicklung vertieft. Lehraufträge an verschiedenen Fachhochschulen und Weiterbildungsinstituten fördern den engen Austausch zwischen Praxis und Lehre.

Der virtuelle Klinikverbund Die ENDERA Klinik-Partnerschaft als Lösungsansatz und Zukunftskonzept

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Fred Andree, Kristin Blendow und Jan Patrick Glöckner

Inhaltsverzeichnis 12.1  E  inleitung  12.2  Der Krankenhausmarkt im 21. Jahrhundert  12.2.1  Herausforderungen und Ziele  12.2.2  Auswirkungen und Veränderungen im Markt  12.2.3  Krankenhausgröße als Einflussfaktor  12.3  Resultierende Bedarfssituation  12.4  Klassische Entwicklungsoptionen  12.5  Weitere Lösungsansätze  12.5.1  CLINOTEL Krankenhausverbund  12.5.2  Klinik-Kompetenz-Bayern  12.6  Die ENDERA Klinik-Partnerschaft als innovativer Lösungsansatz  12.6.1  Der virtuelle Verbund  12.6.2  Ziele  12.6.3  Expertensharing  12.6.4  Individuelle Unterstützung über Leistungsmodule  12.6.5  Krisenintervention  12.6.6  Austausch und Netzwerkbildung  12.7  Schlussbetrachtung  Literatur 

 218  219  219  222  225  226  227  228  229  229  230  230  230  231  232  235  235  236  237

F. Andree (*) · K. Blendow · J. P. Glöckner ENDERA Klinik-Partnerschaft GmbH, Siegburg, Deutschland [email protected]; [email protected]; [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), Consulting im Gesundheitswesen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25479-7_12

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F. Andree et al.

Zusammenfassung

Digitalisierung dominiert und verändert zunehmend den Krankenhausbereich. Damit eröffnen sich neue Möglichkeiten und Chancen, aber auch Herausforderungen. In Kombination mit den bereits länger bestehenden Anforderungen an positive Wirtschaftlichkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Investitionsfähigkeit kennzeichnet sie den komplexen und sich verändernden Krankenhausmarkt. Insbesondere kleine bis mittelgroße Krankenhäuser, die keinem größeren Verbund angehören, sind auf sich allein gestellt und benötigen neue Konzepte zur bedarfsgerechten, ganzheitlichen und fachlichen Unterstützung. Der virtuelle ENDERA-Klinikverbund setzt genau hier an und nutzt die Digitalisierung dabei als Vorteil. Krankenhäuser werden vernetzt und im Bereich IT sowie weiteren zentralen Dienstleistungsbereichen unterstützt und entlastet. ENDERA-Experten begleiten alle dem ENDERA-Klinikverbund zugehörigen Krankenhäuser vor Ort und aus der Ferne bei ihren individuellen operativen und strategischen Fragestellungen. Je nach Bedarf der Klinik werden die Leistungen und Einsatzbereiche modular zugeschnitten. Die gesellschaftsrechtliche Struktur der Häuser bleibt innerhalb des Verbundes unangetastet, man teilt sich jedoch die Kosten für Fachexperten. Auf diese Weise kann man den He­ rausforderungen mit gebündelter, bezahlbarer Kompetenz begegnen, Mehrwert schaffen und die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und Organisation gemeinsam vorantreiben.

12.1 Einleitung Die Idee des ENDERA-Klinikverbunds ist aus den Veränderungen und Bedürfnissen des Krankenhausmarktes entstanden und verfolgt das Ziel, für kleine bis mittelgroße Krankenhäuser einen alternativen, ganzheitlichen und zukunftsfähigen Entwicklungsweg in Form eines partnerschaftlichen Zusammenschlusses ohne eine gesellschaftsrechtliche Verflechtung zu schaffen. Das Thema der digitalen Transformation spielt im ENDERA-Klinikverbund eine ganz wesentliche Rolle. Hierdurch wird die Möglichkeit zur Zentralisierung von Dienstleistungen – analog zu großen Klinikketten oder -konzernen – geschaffen. Mittels digitaler Vernetzung entsteht eine virtuelle Plattform zum Datenaustausch, die einer übergeordneten Konzernstruktur gleichkommt, und somit ein virtueller Klinikverbund. Ergänzend sind die einzelnen Leistungsbereiche des virtuellen Verbundes mit ausgesuchten Fachexperten inhaltlich besetzt, die sowohl über die digitalen Strukturen als auch real in den Häusern zum Einsatz kommen. Das auf diese Weise ermöglichte „Expertensharing“ hat den Vorteil, dass die Partnerschaftskliniken gemeinsam und je nach Bedarf auf einen Pool von Experten zugreifen können. Gleichzeitig werden die Kostenstrukturen entlastet, da mit dem Expertensharing auch ein Kostensharing erzielt wird. Mit diesem innovativen Ansatz des virtuellen ENDERA-Klinikverbunds können die Mitgliedshäuser ihre Trägerschaft und Organisationsstrukturen erhalten und gleichzeitig die Vorteile von größeren Zusammenschlüssen nutzen.

12  Der virtuelle Klinikverbund

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12.2 Der Krankenhausmarkt im 21. Jahrhundert Deutsche Krankenhäuser befinden sich in einem organisierten und beschränkten sowie regulierten und heterogenen Markt, der sich im ständigen Konflikt zwischen Daseinsfürsorge und Wettbewerb befindet. Organisiert wird der Krankenhausmarkt dem Grunde nach über die Verpflichtung des Staates zur Daseinsvorsorge, wozu die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung zählt. Im Zuge dessen sind die Bundesländer für die Krankenhausbedarfsplanung zuständig, worüber der Marktzutritt für Krankenhäuser über notwendige Antragverfahren beschränkt wird. Die Regulierung erfolgt dadurch, dass die Preise für medizinische Leistungen nicht frei verhandelbar, sondern über die vom InEK-Institut kalkulierten DRG-Fallpauschalen der Höhe nach festgelegt sind. Doch nicht nur der Preis, auch die Menge der Leistungen wird reguliert. Dazu dienen die jährlichen Budgetverhandlungen zwischen Kostenträgern und Leistungserbringern. Diese eher planwirtschaftlichen Elemente verhindern im Wesentlichen eine bedarfsunabhängige und uneingeschränkte Mengen- und Angebotsausweitung. Gleichzeitig finden sich marktwirtschaftliche Elemente im Krankenhausmarkt. Denn Krankenhäuser konkurrieren um Patienten und über Qualität. Der Wettbewerb zwischen den Leistungserbringern im Krankenhausmarkt hat jedoch nicht wie in der freien Marktwirtschaft Einfluss auf den Preis der Leistungen bzw. die Ausgaben der Kostenträger. Er verfolgt lediglich das Ziel des Durchsetzens und der Expansion zulasten anderer Mitbewerber (Bruckenberger 2002).

12.2.1 Herausforderungen und Ziele Das 21. Jahrhundert begann für Krankenhäuser mit einer Trendwende. Die Einführung des G-DRG-Systems bis zum Jahr 2003 veränderte die Krankenhausfinanzierung in ihren Grundzügen, indem die bisherigen tagesgleichen Pflegesätze den diagnosebezogenen Fallpauschalen wichen. Die bis dahin überwiegend stabile Situation der Krankenhäuser mit der Sicherheit der vollen Kostenerstattung seitens der Kostenträger fand endgültig ihr Ende. Das Risiko liegt seither ganz aufseiten der Krankenhäuser als Leistungserbringer, die mit den Erlöspauschalen pro Fall haushalten müssen. Der Druck im Markt und das notwendige Streben nach Qualität, Effizienz und Wirtschaftlichkeit sind jedoch nur einige der vielseitigen Herausforderungen, vor denen Krankenhäuser mittlerweile stehen. Wirtschaftlichkeit ist das A und O der Krankenhausführung von heute sowie gleichzeitig das Ziel und die Grundlage jeder Zukunftsperspektive. Dazu gehören Erlösoptimierung über Fallzahlsteigerung und Steigerung sonstiger Erlöse auf der einen sowie Kostenoptimierung über effizienten Personaleinsatz (Personalproduktivität) und möglichst geringe Materialaufwendungen auf der anderen Seite. Unter diesen Bedingungen verzeichnen ganze 29 % der Krankenhäuser in Deutschland Fehlbeträge und nur rund 10 % haben ein ausgeglichenes Jahresergebnis. Zieht man die Bettengrößenklassen mit heran, so zeigt sich (siehe Abb. 12.1), dass kleine Krankenhäuser

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F. Andree et al.

Jahresergebnisse 2016 nach Bettengrößenklassen (Krankenhäuser in %) 90 77,8

80 70 55,6

60

51,2

50 40

33,9

32,6

30 20

15,9

10,5

10 0

Jahresefehlbetrag

16,6 6,3

Ausgeglichenes Ergebnis

100-299 Betten

300-599 Betten

Jahresüberschuss

ab 600 Betten

Abb. 12.1  Jahresergebnisse 2016 nach Bettengrößenklassen. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Deutsches Krankenhausinstitut e. V. 2017)

mit 100 bis 299 Betten und große Krankenhäuser ab 600 Betten etwa doppelt so häufig negative Jahresergebnisse ausweisen und seltener positive Ergebnisse erreichen (Deutsches Krankenhausinstitut e. V. 2017). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Größe des Krankenhauses in puncto Wirtschaftlichkeit ein Indiz sein könnte und lässt vermuten, dass es eine Art „Idealgröße“ für Krankenhäuser gibt (siehe Ausführungen Abschn. 12.2.3). Ein Faktor, der die Wirtschaftlichkeit in Krankenhäusern belastet, ist, dass die Krankenhäuser gezwungen sind notwendige Investitionen in bauliche Maßnahmen, Maßnahmen zum Erhalt der Substanz, aber auch Investitionen in neue Bereiche wie Digitalisierung und IT aus ihren eigenen Betriebsmitteln zu finanzieren oder sich am Kapitalmarkt zu bedienen (Blum et al. 2015). Hintergrund ist, dass die Bundesländer ihrer sich aus dem Krankenhausfinanzierungsgesetz von 1972 im Rahmen der Öffentlichen Daseinsvorsorge ergebenden Verpflichtung zur Bereitstellung von Investitionsmitteln für Krankenhäuser nicht im notwendigen Maße nachkommen (GKV-Spitzenverband, Deutsche Krankenhausgesellschaft, Verband der Privaten Krankenversicherung 2018). Eine weitere wesentliche Herausforderung ist der Wettbewerb um Patienten und Qualität. Hintergrund dessen sind die politischen Bemühungen, die hohe Versorgungsdichte und die Überkapazitäten im Krankenhausmarkt zu reduzieren und gleichzeitig die Qualität der Versorgung zu erhalten bzw. zu verbessern. Zuletzt wurde das Thema Qualität durch das am 01.01.2016 in Kraft getretene Krankenhausstrukturgesetz weiter gestärkt. Die Behandlungsqualität wird demnach neben den bisherigen Maßnahmen der Qualitätssicherung über Mindestmengen und Co. zukünftig

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sogar noch weiter an Bedeutung gewinnen, indem sie als Kriterium bei der Krankenhausplanung und -vergütung herangezogen werden soll (BMG 2018a, b). Bereits jetzt gibt es in den Krankenhausplanungen einiger Länder entsprechende Ansätze, so z. B. in Nordrhein-Westfalen. Das zuständige Ministerium des Landes Nordrhein-­ Westfalen hat mit dem Ziel, die Brustkrebsbehandlung in Zentren zu konzentrieren und damit die Versorgungsqualität zu verbessern, konkrete Struktur-, Prozess- und Qualitätsanforderungen entwickelt. Die Aufnahme und Anerkennung eines Brustzentrums im Landeskrankenhausplan NRW ist daran gebunden, sich nach dem vom Land vorgegebenen Anforderungskatalog zertifizieren zu lassen (Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen 2013). Im Krankenhausplan für das Saarland ist der Versorgungsauftrag in der Gefäßchirurgie und von Stroke Units ebenfalls an entsprechende Zertifizierungen durch die Fachgesellschaften gebunden (Ministerium für Gesundheit und Verbraucherschutz 2011). Andere Bundesländer, wie bspw. die Freie und Hansestadt Hamburg, haben noch keine konkreten Anforderungen in die Krankenhausplanung aufgenommen, aber bereits ein Gutachten in Auftrag gegeben, das geeignete Qualitätsvorgaben für die Bedarfsplanung ermitteln soll (Freie und Hansestadt Hamburg 2016). Weitere Herausforderungen sind die zunehmende Konzentration auf weniger und größere Leistungsanbieter und Betriebseinheiten sowie die gleichzeitige Spezialisierung bzw. Ausdifferenzierung von Leistungen in den Fachgebieten, durch die eine Qualitätsverbesserung erreicht werden soll. In der Geburtshilfe lassen sich die Konzentrationstendenzen bereits beobachten. Große Geburtenmengen von mindestens 800 bis 1000 Geburten pro Jahr sind notwendig, um eine geburtshilfliche Abteilung refinanzieren zu können. Dies fördert die Konzentration auf wenige Standorte und große Zentren. Hinzu kommt die Forderung, beispielsweise des AOK-Bundesverbandes, nach der Ausweitung und Schärfung der Mindestmengenregelungen unter anderem in der Geburtshilfe und beim Hüftgelenkersatz (AOK Bundesverband 2017). Kleine Krankenhäuser sind von diesen Entwicklungen besonders bedroht und gezwungen das jeweilige Leistungsangebot einzustellen, während große Standorte und Zentren profitieren. Die Spezialisierung von Leistungen in den Fachgebieten zeigt sich sehr deutlich am Beispiel der chirurgischen Fächer. Hier findet eine zunehmende Spezialisierung bei den Facharztkompetenzen (Unfallchirurgie/Orthopädie, Gefäßchirurgie, Thoraxchirurgie, Viszeralchirurgie, plastische Chirurgie, Kinderchirurgie, Herzchirurgie) der chirurgischen Weiterbildung statt, zulasten der generalistischen Allgemeinchirurgie (Gesundheitsstadt Berlin 2017). Dies hat die fachliche und organisatorische Trennung einzelner chirurgischer Fachgebiete im Krankenhaus mit sich gebracht. Ergebnis dieser Entwicklung ist jedoch eine weitere Schwächung kleiner Krankenhäuser, die für die Sicherstellung der Grund- und Regelversorgung etwa getrennte Dienste von Allgemeinchirurgen, Gefäßchirurgen sowie Orthopäden/Unfallchirurgen benötigen. Diese ausdifferenzierte Struktur und die Abdeckung drei chirurgischer Dienste können diese Häuser nur schwer wirtschaftlich abbilden, da die Personalkosten in keinem Verhältnis zu den Erlösen aufgrund der Leistungsmenge stehen.

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F. Andree et al.

Nicht zuletzt ist das Thema Digitalisierung und IT-Strategie im Rahmen der digitalen Transformation eine der großen und aktuellen Herausforderungen für Krankenhäuser. Digitalisierung des Behandlungsprozesses über die elektronische Patientenakte, sektorenübergreifende Vernetzung und Kommunikation sowie Telemedizin sind vielversprechende Themen im Krankenhausalltag. Allerdings sind damit Herausforderungen und Risiken wie Sicherheit der Patientendaten, Schutz vor Cyberangriffen durch Firewalls, Datensicherung und Back-up-Lösungen verbunden, die aufgrund ihrer Bedrohung und Existenzgefährdung nicht zu unterschätzen sind. Bereits 64 % der deutschen Krankenhäuser waren von einem Hackerangriff betroffen (Roland Berger 2017). Obwohl die Wichtigkeit der digitalen Transformation seitens der Krankenhäuser und deren Geschäftsführungen unumstritten und erkannt ist, lässt es sich an den Ausgaben für IT, gemessen am Umsatz der Häuser, noch nicht erkennen. Lediglich etwa 9 % der Krankenhäuser geben mehr als 2 % ihres Umsatzes für IT aus (Roland Berger 2017). Dabei ist der Bezug zur oben genannten Problematik der Investitionsfinanzierung deutlich erkennbar (Krüger-Brand 2017). Er mindert jedoch nicht die Notwendigkeit und Dringlichkeit, sich der Thematik anzunehmen. Zum Mangel an Investitionen in IT-Infrastruktur kommt ein Mangel an Fachpersonal hinzu. Beide Faktoren sind jedoch notwendig, um die Digitalisierung voranzubringen und umzusetzen (Krüger-Brand 2017). E-Health-Gesetz Das „Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen“ sieht vor, dass die bundesweite Einführung der Telematikinfrastruktur bis Ende 2018 vollzogen sein soll. Das bedeutet, dass bis dahin alle Arztpraxen und Krankenhäuser flächendeckend angeschlossen sein müssen. Damit legt das Gesetz die Grundlage für den Einsatz der elektronischen Patientenakte. Ziel ist es, die elektronische Patientenakte über diese Vernetzung nutzbringend einzusetzen und die Gesundheitsdaten sowohl dem Patienten als auch allen an der Versorgung Beteiligten, auch über Telemedizin, zugänglich zu machen (BMG 2018c).

Die aufgeführten Herausforderungen deuten sowohl die Chancen als auch die Risiken für Krankenhäuser im aktuellen Krankenhausmarkt an. Nachfolgend soll ergänzend auf die bisherigen Veränderungen im Markt eingegangen werden, um anschließend den daraus resultierenden Bedarf an Unterstützung zu konkretisieren.

12.2.2 Auswirkungen und Veränderungen im Markt Die beschriebenen Herausforderungen haben im Krankenhausmarkt eine Reihe struktureller, marktkonsolidierender Veränderungen mit sich gebracht. So hat die Anzahl der zu behandelnden Patienten von 2000 bis 2016 zugenommen (+13 %), während die Anzahl der Krankenhäuser und Krankenhausbetten rückläufig war (−13 % und −11 %; Destatis 2017). Dieser Konsolidierungsprozess begann jedoch nicht erst im 21. Jahrhundert, sondern geht bereits auf die Zeit vor der Einführung der diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG) zurück.

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In den Jahren zwischen 1960 und 1980 gab es in nahezu allen Industrieländern einen deutlichen Bettenausbau. Dieser betraf vor allem öffentliche Häuser, die unter anderem im Rahmen von staatlichen Ausbauprogrammen unterstützt wurden. Eine hohe Bettenkapazität galt zu dieser Zeit als Erfolg zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung. Mit leichtem zeitlichen Verzug kam jedoch international bereits die Diskussion um die Beschränkung von Bettenkapazitäten auf. Die Bemühungen um Einsparungen und Bettenabbau zeigten sich in der Bundesrepublik ab etwa 1975 (Lebok 2000, S. 119–127). Dadurch wird ersichtlich, dass die Reduktion der Krankenhäuser und Krankenhausbetten nicht allein in der Einführung des DRG-Systems begründet ist, wie dies allgemein behauptet wird. Zudem relativiert sich der bis heute anhaltende Bettenrückgang, wenn man die Phase des sprunghaften Kapazitätsaufbaus in den Jahren 1960 bis 1975 in die Betrachtung mit einbezieht und einen früheren Startpunkt für den Vergleich wählt. In jedem Fall ist der Prozess der Marktkonsolidierung im 21. Jahrhundert jedoch weiter fortlaufend, was sich schließlich auch an den durchschnittlich pro Krankenhaus vorgehaltenen Betten ablesen lässt, die von 178 Betten je Krankenhaus in 1960 auf 256 Betten je Krankenhaus angestiegen sind (Lebok 2000, S. 119–127; Destatis 2017). Weitere Veränderungen im Krankenhausmarkt sind eine sukzessive Verweildauersenkung und die Zunahme von Privatisierungen (Destatis 2017). Die stetige Verweildauersenkung ist eine sehr umstrittene Entwicklung. Häufig wird sie ursächlich auf die (Fehl-)Anreize des DRG-Systems beschränkt und als zunehmend unzureichende Behandlung im Krankenhaus sowie zu frühe Entlassung interpretiert. Die Hintergründe für den stetigen Rückgang der Verweildauer sind jedoch in jedem Fall multikausal. Hier seien als weitere Einflussfaktoren unter anderem die Weiterentwicklung im Fachgebiet der Anästhesie mit immer schonenderen Narkoseverfahren oder auch neue Medizingeräte und Techniken (bspw. laparoskopische Eingriffe) anzuführen, die die Patienten während des stationären Aufenthaltes deutlich weniger belasten und somit die notwendige Dauer des Krankenhausaufenthaltes verkürzen. Die Zunahme von Krankenhausprivatisierungen lässt sich in Abb. 12.2. über die Veränderung der Krankenhausträgerschaften erkennen. Der Anteil der Krankenhäuser in öffentlicher (−8 Prozentpunkte) und freigemeinnütziger Trägerschaft (−6 Prozentpunkte) ist im Zeitraum von 2000 bis 2016 rückläufig, während sich der Anteil privater Krankenhäuser sukzessive erhöht hat (+14 Prozentpunkte). Seit 2009 befinden sich sogar mehr Krankenhäuser in privater Trägerschaft als in öffentlicher Trägerschaft. Das Ausmaß der Privatisierungen wird zudem an der Entwicklung der Krankenhausbetten deutlich. Während die öffentlichen und freigemeinnützigen Krankenhäuser rückläufige Bettenzahlen verzeichnen (−20 % und −17 % im Zeitraum von 2002–2016), erreichten die privaten Krankenhäuser im selben Zeitraum einen Bettenzuwachs von 91 % (Destatis 2017). Marktaustritte im Sinne einer vollständigen Auflösung des Standortes und der Kapazitäten spielen hingegen eine nachgelagerte Rolle. Ein vom GKV-Spitzenverband in Auftrag gegebenes Gutachten zur „Darstellung und Typologie der Marktaustritte von Krankenhäusern

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Krankenhäuser nach Trägerschaften 2000-2016 45% 40% 35% 30% 25% 22%

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2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 öffentlich

freigemeinnützig

privat

Abb. 12.2  Krankenhäuser nach Trägerschaften 2000–2016. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Destatis 2017)

in Deutschland 2003–2013“ kam zu dem Ergebnis, dass nur rund 36 % der Krankenhäuser und rund 11 % der Betten, die nicht mehr in der Statistik des Statistischen Bundesamtes geführt wurden, auf vollständig vom Markt getretene Krankenhäuser zurückzuführen sind. Des Weiteren ergab die Untersuchung, dass vor allem kleine Krankenhäuser mit bis zu 200 Betten betroffen waren. Was die Trägerschaft anbelangt, war das Verhältnis nahezu ausgeglichen: Jeweils 30 % der abgebauten Betten waren in öffentlicher oder freigemeinnütziger Trägerschaft und 40 % in privater Trägerschaft (Preusker et al. 2014). Bei der Marktkonsolidierung ist zudem seit einiger Zeit ein Wandel zu beobachten. Zum einen übernehmen private Träger nicht mehr, wie noch vor ein paar Jahren, jedes zum Verkauf stehende kommunale oder freigemeinnützige Krankenhaus. Es wird zunehmend selektiert und abgewiesen. Zum anderen kommt es vermehrt zu Fusionen zwischen kommunalen Krankenhäusern oder zwischen kommunalen und freigemeinnützigen Krankenhäusern (Osterloh 2017). Auch Übernahmen und Aufkäufe von privaten durch private Träger kommen zustande. So beispielsweise die Übernahme von MediClin durch Asklepios, die Übernahme der Damp-Gruppe durch Helios und der Verkauf der Mehrzahl der ­Krankenhäuser der Rhön-Kliniken an Fresenius (Steinert 2011). Und zuletzt zeigt sich anhand der Insolvenz der Paracelsus-Kliniken, dass private Betreiber vor denselben He­ rausforderungen des Krankenhausmarktes stehen und diesen nicht zwingend dauerhaft gewachsen sind. Krankenhausstrukturfonds Politisch wurde die Thematik der Marktkonsolidierung im Jahr 2015 mit dem im Rahmen des Krankenhausstrukturgesetzes eingerichteten Krankenhausstrukturfonds aufgegriffen. Mithilfe finanzieller Unterstützung – 500 Mio. Euro aus den Liquiditätsreserven des Gesundheitsfonds und zusätzlicher CoFinanzierung durch die Länder – sollen von 2016 bis 2018 die Strukturen der Krankenhausversorgung

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qualitativ verbessert und an die regionalen Gegebenheiten angepasst werden. Förderungsfähige Tatbestände waren: • Konzentration im Sinne einer standortübergreifenden Verdichtung des stationären Versorgungsangebotes, • Schließung von Krankenhäusern oder Abteilungen, • Umwandlung in nichtakutstationäre Versorgungseinrichtungen oder andere bedarfsnotwendige Fachrichtungen. Insgesamt machten Konzentrationsmaßnahmen ca. 75 %, Kapazitätsabbau ca. 22 % und Umwandlungen ca. 3 % des Antragsvolumens aus (Bundesversicherungsamt 2018; Augurzky et al. 2017).

12.2.3 Krankenhausgröße als Einflussfaktor Verschiedene Faktoren und Entwicklungen geben Anlass, über den Einfluss der Krankenhausgröße auf die Wirtschaftlichkeit, Effizienz und damit über die Zukunftsfähigkeit und den Erfolg eines Krankenhauses unter den Krankenhausmarktbedingungen des 21. Jahrhunderts nachzudenken und die Frage nach einer optimalen oder lukrativen Bettengröße zu stellen. Zum einen ist es die Feststellung, dass kleine Häuser mit einer Größe von 100 bis 299 sowie größere Häuser über 600 Betten deutlich häufiger Jahresfehlbeträge ausweisen als mittelgroße Häuser (siehe Abschn. 12.2.1). Es lässt sich somit vermuten, dass eine wirtschaftlich optimale Größe zwischen 300 und 599 Betten je Krankenhaus liegt. Zum anderen zeigt die Entwicklung der Krankenhäuser nach Bettengrößenklassen im Zeitraum von 2000 bis 2016 einen Zuwachs von Häusern bis 49 Betten (+51) und einen deutlichen Rückgang von Häusern mit 50 bis 399 Betten (−377). Krankenhäuser mit 400 bis 499 Betten verzeichnen einen sehr geringen Rückgang (−4). Ab 500 Betten und mehr haben die Krankenhäuser im benannten Zeitraum hingegen zugenommen (+22). Hiernach ließe sich ableiten, dass Krankenhäuser mit weniger als 50 (im Wesentlichen Fachkliniken) und mehr als 400 Betten die besseren Chancen haben, am Markt zu bestehen. Kleine Krankenhäuser zwischen 50 und 300 Betten scheinen somit im Hinblick auf Wirtschaftlichkeit und Zukunftsfähigkeit am meisten gefährdet zu sein, während größere Krankenhäuser zwar durchgehend bessere Überlebenschancen, aber ab 600 Betten eine eingeschränkte Wirtschaftlichkeit haben. Demnach könnte eine optimale Krankenhausgröße zwischen 400 und 600 Betten liegen. Hier ließen sich die betriebswirtschaftlichen Theorien der Economies of Scale und der Diseconomies of Scale anführen. Erstere besagt, dass große Einheiten im Vorteil sind, da sie Skaleneffekte erzielen können, bspw. über Effizienzgewinne mit zunehmender Spezialisierung (Geburtshilfe oder andere Zentren), Produktivitätssteigerungen über den Lernkurveneffekt oder Stärkung der Verhandlungsmacht mit zunehmender Größe. Letztere Theorie nimmt auf negative Skaleneffekte in Unternehmen Bezug. Diese können auftreten,

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wenn der Bedarf an Koordination mit zunehmender Unternehmensgröße wächst und in sogenannten Komplexitätskosten mündet. Beispiele hierfür wären steigende Kosten für die Unternehmensführung, lange Entscheidungswege oder zurückgehende Eigeninitiative des Einzelnen (Gabler Wirtschaftslexikon 2018). Die Diskussion zum Thema der optimalen Klinikgröße im Krankenhaus-Report 2017 kommt zu folgenden Erkenntnissen: Es gibt Hinweise darauf, dass bereits ab einer Bettenzahl von 200 Betten keine Größenvorteile mehr auftreten und ab 600 Betten die Nachteile in Folge der Größe einsetzen. Die Literatur sieht eine betriebswirtschaftlich optimale Klinikgröße im Bereich von 300 bis 500 Betten (Lüngen 2017, S. XXII).

Ergänzend wird angemerkt, dass Wirtschaftlichkeit noch von weiteren Aspekten abhängig ist, wie bspw. dem Grad der Spezialisierung, der Investitionsfähigkeit und/oder vorhandenen Kooperationen (Lüngen 2017, S. 192). Eine Fallstudie ergab zudem, dass Größe (und auch Trägerart) nicht mit Effizienz zusammenhängen. Sowohl große als auch kleine Krankenhäuser können effizient geführt werden oder noch Effizienzpotenziale aufweisen. Effizienz steht dabei ausdrücklich nicht in direktem Zusammenhang mit Wirtschaftlichkeit. Auch effizient geführte Unternehmen können demnach negative Jahresergebnisse erzielen (Jung und Schlaudt 2013). In puncto Effizienz scheint es somit keine optimale Unternehmensgröße zu geben, während sich in Hinblick auf Wirtschaftlichkeit entsprechende Hinweise auf eine optimale Größe zwischen 300 und 600 Betten finden lassen.

12.3 Resultierende Bedarfssituation Da kleine bis mittelgroße Krankenhäuser im Spannungsfeld der Anforderungen und He­ rausforderungen des Krankenhausmarktes am meisten gefährdet sind und es Hinweise auf Größenvorteile gibt, brauchen ebenjene Krankenhäuser Partner, mit denen sie eine größere (wirtschaftliche) Einheit bilden können. Der Erhalt von Krankenhäusern dieser Größenordnung ist gerade in ländlichen Regionen notwendig, um die Versorgung flächendeckend und wohnortnah sicherstellen zu können. Auch im Hinblick auf die fachliche Expertise, Austausch und Networking bieten größere Krankenhauseinheiten Vorteile. Kleine, alleinstehende Kliniken haben das Problem, dass die Führungsriege nur knapp besetzt ist. Weder die Geschäftsführung noch Bereichsleitungen haben einen fachlichen Austauschpartner oder qualifizierte Stellvertreter, da sich doppelte Strukturen nicht refinanzieren lassen. Folglich stehen sie bei neuen und komplexen Themenstellungen häufig allein da. Der Trend zur Digitalisierung im Krankenhauswesen ist hier ein sehr passendes Beispiel. Die Erwartungshaltung der Geschäftsführung an die IT-Leitung besteht darin, IT-­ Sicherheit zu gewährleisten und neue Technologien und Investitionen zu bewerten und

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zu etablieren. Tatsächlich kann sich der IT-Leiter jedoch im eigenen Haus nicht fachlich qualifiziert zu Möglichkeiten, Erfahrungen und Problemen austauschen. In der Konsequenz wird sich häufig Expertise extern in Form von Beraterleistungen eingekauft. Diese sind jedoch nur punktuell und projektbezogen verfügbar und dürfen die Situation des Hauses – je nach wirtschaftlicher Lage – nicht zu sehr zusätzlich belasten. In größeren Klinikverbünden gibt es hingegen Austauschpartner in gleicher Funktion an einem anderen Standort oder aber zentrale Ansprechpartner aus übergeordneten (Konzern-) Strukturen. Hieraus ergibt sich der Bedarf für neue Beratungs- bzw. Begleitungsansätze, ergänzend oder alternativ zur klassischen Projektberatung. Krankenhäuser brauchen innovative Formen von Verbünden oder Zusammenschlüssen, die zwar die Vorteile von Fusionen nutzen, die Nachteile jedoch außen vor lassen.

12.4 Klassische Entwicklungsoptionen Klassische Lösungsansätze in Bezug auf die Schaffung einer größeren Einheit sind sowohl Fusionen als auch Privatisierungen. Diese werden nachfolgend in Bezug auf Vor- und Nachteile bzw. Chancen und Risiken dargestellt. Eine Fusion, d. h. ein gesellschaftsrechtlicher Zusammenschluss von mindestens zwei eigenständigen Gesellschaften, verfolgt vor allem betriebswirtschaftliche Vorteile. Ziele sind die Steigerung des Unternehmenswertes, verbesserte Wirtschaftlichkeit durch die Realisierung von Synergien und Kostenvorteilen sowie ein gemeinsam stärkeres Auftreten am Markt und im Wettbewerb. Durch eine Fusion können Doppelvorhaltungen (z. B. Verwaltungspersonal) reduziert, eine intensivere Nutzung der Infrastruktur/en, eine höhere Auslastung der Kapazitäten und Geräte und eine bessere Verhandlungsbasis durch Größenvorteile, bspw. im Einkauf, erreicht werden (Mayerhofer 2003). Fusionen sind jedoch kein uneingeschränkter Erfolgsgarant für Zukunftsfähigkeit. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass die Zusammenführung von Sekundär- und Tertiärbereichen allein nicht ausreicht, um eine Fusion dauerhaft erfolgsträchtig aufzusetzen. Ausschlaggebend sind eine gemeinsame, neue Strategie, eine rechtzeitige Fusionsplanung und Schaffung einer gemeinsamen Unternehmenskultur. Auch die professionelle Kommunikation nach innen und außen sowie ein Konzept zur Personalintegration sind erfolgsentscheidend. Hinzu kommt, dass die mit einer Fusion verbundenen Kosten sehr häufig ­unterschätzt und die Potenziale überschätzt werden. Insbesondere bei Fusionen unterschiedlicher Trägerschaften und Unternehmenskulturen stellen sich häufig nicht die gewünschten Synergien und Effekte ein (Osterloh 2017; Mayerhofer 2003; Deutsches Krankenhausinstitut e. V. 2011). Hinzu kommt, dass Fusionen nicht zwingend den Bedarf an fachlichem Austausch und Vernetzung decken. Wenn bspw. zwei kleine Häuser fusionieren, so werden dadurch zukünftig nicht automatisch alle Positionen doppelt besetzt sein.

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Vivantes: Der größte kommunale Krankenhausträger Deutschlands

Die Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH stellt mit neun Krankenhäusern, 13 Pflegeheimen, zwei Seniorenwohnhäusern, einer ambulanten Rehabilitation, medizinischen Versorgungszentren, einer ambulanten Krankenpflege, einem Hospiz sowie Tochtergesellschaften für Catering, Reinigung und Wäsche die medizinische und pflegerische Versorgung in Berlin sicher. Der Marktanteil beträgt rund 30 %. Alleiniger Anteilseigner ist nach wie vor das Land Berlin (Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH 2017). Der Konzern entstand 2001 auf das Bewirken der damaligen Landesregierung, nachdem die städtischen Bezirkskliniken im Jahr 2000 ein Ergebnis von −65 Mio. Euro er­ zielten. Das Ziel der Fusion der kommunalen Berliner Krankenhäuser waren eine erfolgreiche Sanierung und Herstellung der Zukunftsfähigkeit. Maßnahmen wie die Bildung von Versorgungsregionen und Kompetenzzentren, die konsequente Umsetzung von Rationalisierungen und nicht zuletzt die Zentralisierung von Dienstleistungen führten Vivantes über die Jahre zum Erfolg (Stollowsky 2001; Kotlorz 2007). Die Konzernjahresergebnisse sind seit 2004 positiv und liegen in 2017 bei rd. 21,4 Mio.  Euro (Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH 2017, 2018). Ein Beispiel für die Zentralisierung von Leistungen ist die Kooperation mit der Charité im Bereich Labor zu Europas größtem Krankenhauslabor. 2011 haben beide Unternehmen ihre Labore zusammengeführt und konnten bereits im ersten Jahr rd. 1 Mio. Euro im Vergleich zum Vorjahr einsparen (Senatskanzlei Berlin 2012). Aber auch die Zentralisierung der Speisenversorgung in einer 100 %igen Tochtergesellschaft ist einmalig. In zwei Verteilzentren werden täglich über 5000 Patientenessen produziert und an alle Vivantes-Standorte ausgeliefert (Gläser et al. 2016). Eine Privatisierung, d. h. der vollständige Verkauf eines Krankenhauses an eine private Klinikkette, kommt in Betracht, wenn eine wirtschaftliche Schieflage und ein Mangel an zukunftsträchtigen Entwicklungsoptionen vorliegen. Am häufigsten sind kommunale Krankenhäuser betroffen. Der Vorteil für den kommunalen Träger besteht darin, dass durch die Privatisierung der öffentliche Haushalt entlastet wird. Gleichzeitig wird jedoch auch der Versorgungsauftrag abgegeben, wodurch jegliche Steuerungsmöglichkeit und jeglicher Einfluss auf die ­Weiterentwicklung des Hauses verloren gehen. Ob das Krankenhaus in der privaten Trägerschaft dann schließlich eine Zukunft haben wird, ist durchaus ungewiss. Die klassischen Entwicklungsalternativen zu einer größeren Einheit sind für kleine bis mittelgroße Häuser demnach limitiert und mit Kompromissen und Risiken verbunden.

12.5 Weitere Lösungsansätze Nachfolgend sollen exemplarisch zwei Modelle für Krankenhäuser angeführt werden, die über freiwillige Verbünde versuchen Lösungsansätze zu bieten.

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12.5.1 CLINOTEL Krankenhausverbund Die CLINOTEL Krankenhausverbund gGmbH ist ein trägerübergreifender Verbund für kommunale und freigemeinnützige Krankenhäuser in Deutschland. Er verfolgt das Ziel, Krankenhäuser zu vernetzen. Ein zentraler Ansatzpunkt bei CLINOTEL sind daher ein offener Austausch, internes Benchmarking sowie Wissenstransfer, um voneinander bzw. von den Stärken anderer Mitgliedshäuser zu lernen und zu profitieren. Zur Erreichung dieses Ziels misst CLINOTEL die Ergebnisse seiner Mitgliedshäuser und stellt die Plattform, die den gegenseitigen Austausch ermöglicht, zur Verfügung. Neben der Balanced Scorecard als Kennzahlensteuerungssystem wird versucht, Ergebnisse im Rahmen von Patientenzufriedenheitsbefragungen, Hygienemanagement und Qualitätsindikatoren zu messen. CLINOTEL selbst hält zudem Experten zur Unterstützung der Mitgliedskliniken in den Themengebieten Qualität, Prozesse, Personal, Finanzen, Strategie sowie Compliance und Recht vor. Der Austausch erfolgt schließlich über themen- und bedarfsorientierte Expertengruppen, Verbundumfragen zu speziellen Pro­ blemstellungen sowie jährliche, integrierte Datengespräche. Die Aufnahme in den CLINOTEL Krankenhausverbund ist angeblich an definierte Aufnahmekriterien gebunden. Sie umfassen zum einen die Einwilligung zum öffentlichen Vergleich und Bereitschaft zur Verbesserung der Qualität, die über Qualitätsindikatoren mittels Routinedaten ermittelt wird. Zum anderen muss das Krankenhaus wirtschaftlich gut aufgestellt sein und bereit sein, seine Stärken entsprechend dem Leitbild in den Verbund einzubringen.

12.5.2 Klinik-Kompetenz-Bayern Die Klinik-Kompetenz-Bayern eG ist ein freiwilliger Verbund kommunaler und freigemeinnütziger Krankenhäuser in Bayern, der im Jahr 2011 gegründet wurde. Neben der effektiven Vernetzung im Sinne von Know-how und Erfahrungsaustausch ist es Ziel des Verbundes, die zugehörigen Krankenhäuser in ihrer Marktposition sowie gegenüber dem Wettbewerb zu stärken und eine flächendeckende und qualitativ hochwertige medizinische Versorgung in Bayern sicherzustellen. Dazu will die Klinik-Kompetenz-­ Bayern für ihre Mitglieder als Denk- und Innovationsplattform fungieren und stellt verschiedene Dienstleistungen zur Verfügung. Der Austausch der Mitgliedskliniken untereinander erfolgt über Arbeitskreise und Foren, die sich praxisnah gestalten. Darüber hinaus versteht sich die Klinik-Kompetenz-Bayern als Vertreter und Vermittler für die Interessen kommunaler Kliniken in Bayern. Sie kooperiert mit Krankenhaus- oder Kommunalverbänden, wie bspw. der Bayerischen Krankenhausgesellschaft und dem Bayerischen Städte- bzw. Landkreistag. Sowohl CLINOTEL als auch die Klinik-Kompetenz Bayern verfolgen denselben Ansatz.

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12.6 D  ie ENDERA Klinik-Partnerschaft als innovativer Lösungsansatz Die ENDERA Klinik-Partnerschaft macht sich die digitale Transformation zunutze. Sie bietet mit der Idee eines virtuellen Verbundes einen innovativen und zukunftsfähigen Entwicklungsweg in Form eines partnerschaftlichen Zusammenschlusses.

12.6.1 Der virtuelle Verbund Die innovative Grundlage der ENDERA Klinik-Partnerschaft ist die gemeinsame Arbeit in einem virtuellen Verbund. Virtuell meint hier, dass mittels digitaler Vernetzung eine Plattform zum Datenaustausch geschaffen wird, die eine übergeordnete Struktur bildet und die Zentralisierung von Dienstleistungen ermöglicht. Dank der digitalen Transformation kann somit einer Art „Konzernzentrale“, wie man sie von großen Klinikketten kennt, nachempfunden und deren Vorteile genutzt werden. Im Fokus der ENDERA Klinik-Partnerschaft stehen kleine bis mittelgroße Krankenhäuser, denen über den virtuellen Verbund bedarfsorientierte Unterstützung, Entlastung und Zusammenarbeit sowie die Bildung eines größeren Netzwerkes zum fachlichen Austausch ermöglicht wird. Die Trägerschaft der Häuser wird im ENDERA-Klinikverbund bewusst nicht verändert, um sowohl die Individualität der Krankenhäuser zu erhalten als auch die Risiken, die mit einer gesellschaftsrechtlichen Fusion verbunden sind, zu vermeiden. Die Leistungen im ENDERA-Klinikverbund stehen in Form von Leistungsmodulen in zentralen Dienstleistungsbereichen zur Verfügung (siehe Abschn. 12.6.4). Sie sind flexibel miteinander kombinierbar und somit einfach und individuell auf den jeweiligen Bedarf der Mitgliedskliniken anzupassen. Die Leistungserbringung erfolgt sowohl virtuell als auch real über die Betreuung vor Ort. Dafür stehen ENDERA-Experten zur Verfügung, die hausübergreifend im Sinne eines Expertensharings zum Einsatz kommen (Abschn. 12.6.3). Neben der Nutzung der personellen Ressourcen der ENDERA Klinik-Partnerschaft stehen die übergreifende Steuerung und Standardisierung wesentlicher Managementinstrumente innerhalb des Verbunds im Vordergrund. Darüber wird eine interne Vergleichbarkeit der Mitgliedskliniken sichergestellt und Benchmarking ermöglicht. Insgesamt schafft der virtuelle ENDERA-Klinikverbund die geeigneten Rahmenbedingungen für seine Partnerschaftskliniken, damit sie ihre Aufgaben und sich verändernde Herausforderungen des Krankenhausmarktes selbstständig und eigenverantwortlich bewältigen können.

12.6.2 Ziele Das übergeordnete Ziel der ENDERA Klinik-Partnerschaft sind der nachhaltige Aufbau und die Unterhaltung des virtuellen Krankenhausverbunds, der einen wichtigen Beitrag zum Erhalt kleiner und mittelgroßer Krankenhäuser mit ihrer individuellen Organisationskultur in der Krankenhauslandschaft leistet. Um dies zu erreichen, wird höchster Wert auf die Qualität der Leistungserbringung und die positive wirtschaftliche Gesamtentwicklung der Krankenhäuser gelegt.

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Ziel der Partnerschaftskliniken ist es, gemeinsam stärker am Markt zu agieren sowie eine wirtschaftliche und organisatorische Optimierung aus eigener Kraft zu erlangen. Die dafür erforderlichen Leistungen werden den Häusern durch die ENDERA Klinik-Partnerschaft zentral zur Verfügung gestellt. Die Geschäftsführungen und Abteilungsleitungen sollen mit den ENDERA-Experten bei der Bewältigung der komplexen Herausforderungen im Krankenhausalltag Sparringspartner an ihrer Seite haben und in Ausnahmesituationen (wirtschaftliche Krise, personelle Engpässe etc.) die Möglichkeit zum Austausch und zu kompetenter Unterstützung haben. Ein weiteres Ziel ist die Vernetzung kleiner bis mittelgroßer Krankenhäuser, die bisher keinem Verbund angehören, um einen fachlichen, krankenhausübergreifenden Dialog zu ermöglichen und letztlich ein Gegengewicht zu großen Betreiberketten zu bilden.

12.6.3 Expertensharing Der Gedanke des Expertensharings setzt auf den erfolgreichen Trend des Sharings, wie man ihn im Kontext von Autos, Wohnungen usw. kennt, auf und überträgt ihn in den Krankenhausbereich. Expertensharing im ENDERA-Klinikverbund bedeutet, dass Fachexperten übergreifend in den Mitgliedshäusern eingesetzt werden. Ziel ist es, darüber auch ein Kostensharing zu erreichen und somit den Zugriff auf Fachexpertise dauerhaft möglich und bezahlbar zu machen. Insbesondere kleine bis mittelgroße Häuser haben einen entsprechenden Bedarf. Das Aufgabenvolumen in einigen Themenbereichen, wie bspw. IT oder Medizincontrolling und MDK-Management, ist in Häusern dieser Größe häufig nicht ausreichend für eine ganze Stelle oder ein kleines Team, mit dem man sich zu aktuellen Themenstellungen austauschen oder mit dem sich Krankheiten und Urlaube vertreten lassen. Hinzu kommt, dass Fachpersonal zunehmend schwer zu finden oder sehr teuer ist, sodass vakante Stellen zum Teil nicht qualifiziert besetzt werden können. Über ein Sharing der benötigten Experten in verschiedenen Themenbereichen können die ENDERA-Partnerschaftskliniken die vorhandenen Lücken füllen. Die Unterstützung durch ENDERA-Experten ist somit variabel. Sie reicht von fachlicher Begleitung und Unterstützung des klinikeigenen, vorhandenen Personals bis hin zur Übernahme von Aufgabenbereichen und Entlastung des Hauses. Beispiel

„Die ENDERA Klinik-Partnerschaft unterstützt unser Krankenhaus mit speziellem Expertenwissen in den Bereichen Medizincontrolling und MDK-Management. Durch diese Entastung können wir uns stärker dem medizinischen Kerngeschäft widmen.“ Katrin Storck-Müller, Ärztliche Direktorin und Geschäftsführerin des Rheumazentrums Mittelhessen in Bad Endbach Der Vorteil des Expertensharings liegt dabei aber nicht nur in der passgenauen Skalierbarkeit der benötigten Personalressourcen. Durch die Tätigkeit der Experten in verschiedenen

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Mitgliedshäusern ist auch der Blick über den eigenen Tellerrand gewährleistet. Denn in regelmäßigen Gesprächen zwischen der Geschäftsführung sowie anderen Abteilungsleitern mit den ENDERA-Experten bringen diese ihre Erfahrungen in das Haus ein und geben damit neue Impulse für die Weiterentwicklung von Abläufen und Strukturen. Durch die Bündelung von Kompetenzen sollen Mehrwert geschaffen und die verschiedensten Herausforderungen bis hin zu ernsthaften wirtschaftlichen Schieflagen gemeinsam angegangen werden, um die Zukunftsfähigkeit der Mitgliedshäuser gemeinsam zu sichern.

12.6.4 Individuelle Unterstützung über Leistungsmodule Da der Unterstützungsbedarf in Krankenhäusern sehr unterschiedlich sein kann, ist es wichtig, die Unterstützungsleistungen individuell zu gestalten und am Bedarf zu orientieren. Mit dem modularen Angebot von zentralen Dienstleistungen bietet die ENDERA Klinik-Partnerschaft ihren Mitgliedskliniken ein breites Spektrum an Leistungsmodulen an, die flexibel kombinierbar sind. Die Abb. 12.3 zeigt die Leistungsmodule, aus denen die Mitgliedskliniken ihre Unterstützungsleistungen wählen können. Jedes Modul wird von ausgewählten ENDERA-Experten inhaltlich besetzt. Dem Grunde nach umfasst jedes Modul eine Aufbau- und eine Betreuungsphase. In der Aufbauphase werden jeweils die Voraussetzungen für den automatisierten, digitalen Prozess des Datenaustausches und der Kommunikation geschaffen sowie eine Erfassung und Bewertung des Status quo vorgenommen. Auf dieser Basis beginnen anschließend die BetreuAbb. 12.3 Leistungsmodule der ENDERA KlinikPartnerschaft. (Quelle: eigene Darstellung 2018)

Informationstechnologie Medizinischstrategisches Controlling

Kaufmännisches Controlling

Leistungsmodule der ENDERA KlinikPartnerschaft

Medizincontrolling

Vertragsmanagement …

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ungsleistungen, die je nach Leistungsmodul und auch innerhalb eines Leistungsmoduls unterschiedliche, bedarfsorientierte Schwerpunkte haben können. Im Rahmen dessen werden die Mitgliedshäuser regelmäßig durch die ENDERA-Experten begleitet. Die Experten kommen dabei sowohl über die virtuellen bzw. digitalen Strukturen als auch real in den Häusern zum Einsatz. Modul Informationstechnologie Ein wesentlicher Unterstützungsbereich in der ENDERA Klinik-Partnerschaft ist das Modul Informationstechnologie. Es nimmt Bezug auf alle Herausforderungen und Aufgaben, die im Zusammenhang mit dem Prozess der digitalen Transformation für die Krankenhäuser entstehen. Das Modul umfasst die strukturierte, webbasierte Erfassung und Bewertung der gesamten IT-Infrastruktur und -prozesse und hat die operative und strategische Optimierung, Anpassung an weitere/neue IT-Gefahren und stetige Weiterentwicklung zum Ziel. Dazu werden in regelmäßigen Gesprächen mit der Geschäftsführung und der Leitung IT der ENDERA-Partnerschaftsklinik aktuelle Problemstellungen diskutiert und bearbeitet sowie gleichzeitig ein IT-Rahmenkonzept erstellt. cc IT-Rahmenkonzept  Das Konzept beinhaltet neben der Übersicht über die IT-Eckdaten die abgeleiteten, aktuellen Risiken und Schwächen sowie kurz-, mittel- und langfristige Handlungsmaßnahmen zur Verbesserung der IT-Sicherheit. Ebenfalls enthalten sind Ausführungen zu übergreifenden und aktuellen Themenstellungen, wie beispielsweise Datenschutz, Sicherheit/Gefahrenabwehr, IT-Projektmanagement, Budget. Die Erstellung eines IT-Rahmenkonzeptes ist ein aufwendiger Prozess, der unter Einbeziehung aller Berufsgruppen, des Trägers und der IT-Mitarbeiter erfolgen muss. Eine kontinuierliche Fortschreibung ist notwendig. Ein IT-Rahmenkonzept ist von besonderer Bedeutung, da eine solche Übersicht immer häufiger von Versicherungen und Banken als Grundlage für Verhandlungen, Vertragsabschlüsse bzw. Kreditvergabe gefordert wird. Darüber hinaus stehen der IT-Leitung eine regelmäßige Telefonsprechstunde für kurzfristige individuelle Fragestellungen und fachlichen Austausch mit den ENDERA-Experten sowie regelmäßige Arbeitsgruppentreffen mit den IT-Leitungen der anderen Partnerschaftskliniken zur gemeinsamen Bearbeitung von ausgewählten Themen zur Verfügung. Ziel des Moduls ist es, über die strukturierte Analyse der identifizierten Stärken und Schwächen das Thema IT transparent zu machen sowie es vor dem Hintergrund der sich rasant entwickelnden IT-Thematik durch den kontinuierlichen Austausch und die Umsetzungsbegleitung nachhaltig und zielgerichtet zu verbessern. Weitere Leistungsmodule Neben dem Modul IT stehen den ENDERA-Partnerschaftskliniken noch weitere Leistungsmodule zur Auswahl. Dies sind das medizinisch-strategische sowie das kaufmänni-

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sche Controlling und Berichtswesen sowie die Bereiche Medizincontrolling und Vertragsmanagement. Die Controllingmodule umfassen die strukturierte Darstellung, Analyse und Bewertung der medizinischen Leistungsdaten sowie des Bereiches Finanzbuchhaltung und dienen als Grundlage für eine nachhaltige Steuerung und wirtschaftliche Entwicklung des Krankenhausbetriebes. Die ENDERA Klinik-Partnerschaft übernimmt dabei den kompletten Prozess von der Datengenerierung bis zur vollständigen Erstellung der monatlichen Berichte und entlastet damit die Bereiche Medizincontrolling und kaufmännisches Controlling der Partnerschaftskliniken, die dadurch Kapazitäten für Spezialauswertungen erlangen. Die Analyse und Bewertung erfolgen gemeinsam zwischen den ENDERA-Experten und der Geschäftsführung sowie ggf. weiteren Bereichsleitern in regelmäßigen Gesprächen. Hier wird Handlungsbedarf identifiziert und in Form von Maßnahmen konkretisiert. Ziel ist es, leistungsspezifische und wirtschaftliche Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen und die Patientenversorgung sowie die Erlöse und Kosten zu optimieren. Das Modul Medizincontrolling umfasst standardmäßig die strukturierte Analyse und Optimierung der jeweiligen medizinisch-organisatorischen Prozesse und der Qualität rund um die Codierung, die Dokumentation und das MDK-Management. In der konkreten inhaltlichen Ausgestaltung ist das Leistungsmodul jedoch variabel und reicht von der Unterstützung durch ENDERA-Experten bei der Abarbeitung von angefallenen MDK-Anfragen bis zur umfassenden Begleitung und Optimierung der Bereiche. Dabei ist der Austausch nicht auf die Geschäftsführung fokussiert, sondern richtet sich an die Bereichsleitung und deren Teammitglied/er. Ziel des Moduls ist es, Erlöse zu sichern bzw. zu steigern, Einsparungen durch eine prozess- und kostenoptimierte Struktur zu erzielen sowie gleichzeitig die Qualität zu verbessern. Das Modul Vertragsmanagement umfasst ein Vertragscontrolling im Sinne einer Vertragsarchivierung und Vertragsverwaltung für die ENDERA-Partnerschaftskliniken. Ausgehend von der Vertragsverwaltung wird sukzessive ein umfassendes Vertragsmanagement geschaffen. Diese Unterstützungsleistung ist von großer Bedeutung, da eine strukturierte Erfassung der Verträge in kaum einem Krankenhaus vorliegt und somit auch kein Vertragsmanagement stattfinden kann. Häufige Personalwechsel, gemischte und uneinheitliche Ablageverfahren in den verschiedenen Abteilungen und nichtvorhandene Zuständigkeiten sind nur einige Gründe dafür. Es lassen sich jedoch erfahrungsgemäß nennenswerte Einsparungen realisieren. Ziel des Moduls ist es daher, diese zu erzielen und insgesamt Transparenz und eine kostenoptimierte Struktur in der Partnerschaftsklinik zu schaffen. Da die ENDERA Klinik-Partnerschaft den Anspruch hat, das Leistungsangebot für die Mitgliedskliniken stetig in Vorschau oder Reaktion auf neue Unterstützungsbedarfe der Krankenhäuser und Veränderungen am Markt zu erweitern, ist der Umfang der Leistungsmodule nicht abschließend.

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12.6.5 Krisenintervention Unabhängig bzw. ergänzend zu den Leistungen innerhalb der Leistungsmodule besteht für die ENDERA-Partnerschaftskliniken jederzeit die Möglichkeit, die Unterstützung der ENDERA-Experten auch in Ausnahmesituationen in Anspruch zu nehmen. Die digitale Anbindung und die dauerhaft enge thematische Einbindung der ENDERA-Experten in die jeweiligen Bereiche der Mitgliedskliniken machen diese Form der schnellen Ad-hoc-Unterstützung möglich. So können die Mitgliedskliniken bspw. bei IT-Notfällen wie Cyberangriff oder Serverausfall direkt mit den ENDERA-Experten in Verbindung treten, fachliche Expertise einholen sowie gemeinsam und schnell eine Lösung erarbeiten. Eine ausführliche Beschreibung der Strukturen im Klinikum ist dabei ebenso wenig notwendig wie die Etablierung von Fernzugriffen/-zugängen. Zudem besteht, insbesondere, aber nicht ausschließlich in Krisensituationen, häufig der Bedarf an weiterführender Unterstützung im Hinblick auf die Kommunikation, bspw. mit dem Träger, dem Aufsichtsrat (komprimierte Aufbereitung der Daten inklusive Kommentierung) oder Banken (bankenspezifische Aufbereitung der Zahlen inklusive Kommentierung im Rahmen eines regelmäßigen Monitorings). Die ENDERA-Experten stehen den Mitgliedskliniken dabei sowohl für die inhaltliche Vor- und Aufbereitung von Themen als auch für die Begleitung zu Terminen oder Gesprächen zur Verfügung.

12.6.6 Austausch und Netzwerkbildung Im Rahmen der Leistungsmodule stellt die ENDERA Klinik-Partnerschaft seinen Mitgliedshäusern bereits einen umfangreichen fachlichen Austausch auf Augenhöhe sowie einen regelhaften, hausübergreifenden Austausch mit den Abteilungsleitern der anderen ENDERA-Partnerschaftskliniken (bspw. Arbeitsgruppen im Modul IT) zur Verfügung. Darüber hinaus schafft der ENDERA-­Klinikverbund jedoch noch weitere Plattformen für fachlichen Austausch und Netzwerkbildung. Workshops Ungleich den modulbezogenen, regelmäßigen Arbeitsgruppen finden unregelmäßig Workshops zu aktuellen und relevanten Themenstellungen statt. Der Bedarf bzw. die Notwendigkeit eines Workshops kann sowohl vonseiten der Partnerschaftskliniken an ENDERA als auch vonseiten der ENDERA-Experten an die Häuser herangetragen werden. Teilnehmen können alle im ENDERA-Klinikverbund befindlichen und interessierten Häuser. Im Zuge der Unterstützung bei der Umstellung auf Monatsabschlüsse haben die ­ENDERA-Experten bspw. einen Workshop zum Thema Abgrenzungsbuchungen organisiert. Neben der inhaltlichen Anleitung durch die ENDERA-Experten dienen die Workshops zudem dem interaktiven Austausch der Finanzbuchhaltungsleitungen und -mitarbeiter der unterschiedlichen ENDERA-Partnerschaftskliniken.

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ENDERA-Netzwerktage Die jährlich stattfindenden ENDERA-Netzwerktage dienen sowohl dem Kennenlernen als auch der übergreifenden Netzwerkbildung der Geschäftsführungen der ENDERA-Partnerschaftskliniken untereinander. Die Veranstaltungsorte wechseln und finden jeweils in einer der ENDERA-­Partnerschaftskliniken statt. Hierdurch lernen sich nicht nur die Geschäftsführer persönlich kennen, sondern sukzessive werden auch die einzelnen Häuser mit ihren individuellen Strukturen vorgestellt. Inhaltlich greift der ENDERA-Netzwerktag jeweils verbundinterne Themen sowie aktuelle Diskussionen und Fragestellungen auf. Zudem werden Benchmarks, nach vorheriger Abstimmung und Einvernehmen, erstellt, vorgestellt und diskutiert.

12.7 Schlussbetrachtung Ziel des virtuellen ENDERA-Klinikverbunds und der Partnerschaftskliniken ist die wirtschaftliche und organisatorische Optimierung aus eigener Kraft, bei gleichzeitigem Erhalt der Trägerschaft. Dazu nutzt die ENDERA Klinik-Partnerschaft die Digitalisierung, um einen virtuellen Verbund von kleinen bis mittelgroßen Krankenhäusern zu schaffen sowie gleichzeitig ein Gegengewicht zu großen Klinik-/Betreiberketten zu bilden. Hinzu kommt bedarfsorientierte Unterstützung der ENDERA-Partnerschaftskliniken in zentralen Dienstleistungsbereichen, die mit dem Zugriff auf entsprechende Fachexperten verbunden ist. Dies ermöglicht den Mitgliedshäusern nicht nur individuelle, fachliche Begleitung und Austausch auf verschiedenen Leitungsebenen, sondern auch die Bildung eines Netzwerkes miteinander und damit einen hausübergreifenden Dialog. Durch den Gedanken des „Expertensharings“, das gleichzeitig ein Kostensharing ist, entsteht durch den virtuellen ENDERA-Klinikverbund schließlich eine innovative und wirtschaftlich attraktive Alternative für Krankenhäuser, mit der sie gemeinsam stärker am Markt agieren können. Dies ist notwendig, da der Krankenhausmarkt vom ständigen Konflikt zwischen Daseinsvorsorge und (Verdrängungs-)Wettbewerb geprägt ist. Hinzu kommen neben der Digitalisierung, die im Krankenhausmarkt zunehmend Einzug hält und Fachexpertise erfordert, der steigende wirtschaftliche Druck, die Wettbewerbsfähigkeit, der Anspruch an Qualität sowie die Konzentration auf große Betriebseinheiten bei gleichzeitiger Spezialisierung von Leistungen, die den bereits seit einigen Jahrzehnten bestehenden Konzentrationsprozess weiter fortführen. Im Hinblick auf den wirtschaftlichen Erfolg und Bestand am Markt ist die Krankenhausgröße ein entscheidender Einflussfaktor. Im Gegensatz zur Effizienz, die nicht mit der Anzahl der Krankenhausbetten in Verbindung zu bringen ist, scheint eine Krankenhausgröße zwischen 300 und 600 Betten für die Wirtschaftlichkeit eines Krankenhauses hingegen vorteilhaft zu sein. Kleine bis mittelgroße Krankenhäuser, die keinem Verbund angehören, befinden sich demnach im Spannungsfeld der Anforderungen. Sie benötigen neuartige Modelle, die sie zu einer größeren Einheit vernetzen sowie darüber gleichzeitig Zugang zu dauerhafter, fachlicher Unterstützung und Austausch im Kontext der zunehmend komplexen Themenstellungen im Krankenhausmarkt ermöglichen.

12  Der virtuelle Klinikverbund

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Fred Andree, Dipl. Wirtsch.-Ing., Dipl.-Ing. Krankenhausbetriebstechnik,  ist Geschäftsführer der ENDERA Klinik-Partnerschaft GmbH und verfügt über weitreichende Erfahrungen im Gesundheitswesen. Er arbeitete als Berater bei der Kienbaum Management Consultants GmbH im Bereich Krankenhausberatung, bei der Ernst & Young Unternehmensberatung in der Sparte Healthcare und bei Roland Berger für den Beratungsbereich Sanierung. Im Jahr 1999 gründete er die Krankenhausberatung ANDREE CONSULT GmbH.  Mit der ENDERA Klinik-Partnerschaft GmbH, der ENDERA Interim-Management GmbH und der ENDERA Personalberatung GmbH folgten weitere Unternehmensgründungen im Rahmen der ENDERA-GRUPPE, die als Holding fungiert. Kristin Blendow, M. A.,  ist Prokuristin der ENDERA Klinik-Partnerschaft GmbH. Sie besitzt einen Bachelorabschluss der Universität Bremen im Bereich „Public Health, Schwerpunkt Gesund-

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heitsmanagement und -planung“, sowie einen Masterabschluss des RheinAhrCampus Remagen im Bereich „Betriebswirtschaftslehre, Schwerpunkt Gesundheits- und Sozialmanagement“. Seit 2012 ist sie im Gesundheitswesen tätig und arbeitete zuletzt als Beraterin bei der Krankenhausberatung ANDREE CONSULT. Jan Patrick Glöckner, Ass. jur.,  ist Leiter Strategieentwicklung bei der ENDERA Klinik-Partnerschaft GmbH und seit über 15 Jahren im Gesundheitswesen tätig. Er ist zudem Prokurist und Geschäftsbereichsleiter Strategie und Sanierung bei der Krankenhausberatung ANDREE CONSULT GmbH.

Instrumente der Evidenzgenerierung als Grundlage für Geschäftslösungen in der Healthcare-Industrie

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Gesundheitsökonomische Fachberatung als Schlüssel zu faktenbasierter Nutzenkommunikation Tino Schubert und Tobias Vogelmann

Inhaltsverzeichnis 13.1  Einleitung  13.2  Gesundheitsökonomische Fachberatung  13.3  Planung der Evidenzgenerierung  13.4  Instrumente der Evidenzgenerierung  13.5  Datenquellen für eine faktenbasierte Nutzenkommunikation  13.6  Evidenzgenerierung als Grundlage für Geschäftslösungen  13.7  Schlussbetrachtung  Literatur 

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Zusammenfassung

Die gesundheitsökonomische Fachberatung ist ein recht junger, spezialisierter Beratungszweig im Gesundheitswesen, dessen Aufgabe die Generierung und Bewertung von Evidenz gesundheitsbezogener Interventionen ist. Hierbei greifen Berater je nach Fragestellung zur Lösung der gestellten Aufgaben auf einen Methodenbaukasten zurück, der im Unterschied zu klassischer Strategieberatung keine One-fits-all-Lösungen enthält. Die eingesetzten Instrumente der Evidenzgenerierung übernehmen die Funktion der Bewertung des Nutzens eines Produktes oder die Einordnung des Produktes im Versorgungsalltag, weil dies aufgrund der besonderen Marktmechanismen im Gesundheitswesen nicht durch Angebot und Nachfrage selbst reguliert wird. Damit einhergeht, dass nicht alle Nutzenkomponenten für alle Stakeholder im Gesundheitswesen dieselbe Bedeutung haben. Eine Kommunikation der generierten Evidenz führt daher erst dann

T. Schubert (*) · T. Vogelmann LinkCare GmbH, Stuttgart, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), Consulting im Gesundheitswesen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25479-7_13

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T. Schubert und T. Vogelmann

zu kommerziellen Geschäftslösungen für die medizintechnischen oder p­ harmazeutischen Unternehmen, wenn diese empfängergerecht transformiert wird. In diesem Beitrag werden drei einfache Beispiele hierfür aufgezeigt.

13.1 Einleitung Die Beraterbranche ist seit Jahren im Umbruch begriffen und ähnlich anderen Branchen von der Digitalisierung nachhaltig betroffen. Doch trotz dieses Wandels werden auch heute noch Beratungsleistungen kaum automatisiert, sondern weiterhin manuell von den Beratern durchgeführt (Werth et al. 2015), das gilt auch und insbesondere im Gesundheitswesen. Es scheint, als würde das Beratungswesen daher weiterhin im hohen Maß von der individuellen Dienstleistungsqualität, also der Kreativität, der Kompetenz und der Fähigkeit, komplexe Sachverhalte in verständliche Strukturen zu überführen – kurzum von der persönlichen, individuellen Beraterleistung –, abhängen. Warum ist das so? Ist der Nutzen aus Beraternetzwerken in Zeiten digitaler Netzwerke wie Xing und Co. nicht längst obsolet? Liegt spezielles Beraterwissen, insbesondere, wenn in Unternehmen mit interdisziplinären Teams gearbeitet wird, nicht ohnehin in den Unternehmen vor, also in den Köpfen der Mitarbeiter? Können Internetsuchen mit Google und Co. nicht dabei helfen, Benchmarks zu entwickeln, wofür man früher die exklusiven Datenbanken der Berater brauchte? Gibt es für die Bewertung von Daten nicht längst eine Vielzahl von digitalen Entscheidungsunterstützungsprogrammen, die die Beraterexpertise überflüssig macht? In unserem Beitrag werden wir am Beispiel der Evidenzgenerierung zeigen, dass persönlich erbrachte Dienstleistung (z. B. die Einordnung komplexer Sachverhalte) und standardisierte digitale Lösungen (z. B. bei Datenanalysen) kein Widerspruch sind, sondern dem Zweck dienen, dem Kunden zur selbstständigen Lösung seiner Probleme zu verhelfen. Wir verstehen Beratung daher dann als Grundlage für Geschäftslösungen, wenn sie als Hilfe zur Selbsthilfe und nicht als Anspruch eines allumfassenden Expertenwissens angesehen wird.

13.2 Gesundheitsökonomische Fachberatung Der Erfahrung und Einschätzung der Autoren nach gibt es drei Gründe, warum ein Unternehmen für die Beantwortung von Fragestellungen oder allgemeiner gesprochen bei der Bewältigung von Veränderungen, einen Berater engagiert. 1. Das Ressourcenproblem: Demnach werden Berater engagiert, weil diese kurzfristig mit speziell ausgebildeten Fachkräften sehr spezifische Probleme lösen. Das könnte zum Beispiel die Integration der IT im Rahmen von Post-Merger-Prozessen sein. Bezogen auf das Gesundheitswesen (speziell Krankenhäuser) könnten auch die ­Abrechnungsprüfung im Krankenhaus und ein Streitschlichtungsverfahren mit dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) dazu zählen. In der Regel verfügen die Unternehmen in beiden

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Beispielen über Personal, das diese Aufgaben (im Beispiel die IT-Integration und Abrechnungsprüfung) selbstständig vornehmen könnte. Es gibt allerdings Situationen (z. B. die Post-Merger-Integration oder das MDK-­Streitschlichtungsverfahren), in denen ein gewisser Zeitdruck und relevante finanzielle Risiken zusammenlaufen und somit das Hinzuziehen von Dritten rechtfertigen. Die Unternehmen wägen somit letztlich ab, ob sich mit den Ausgaben für die externen Berater die finanziellen Risiken minimieren und künftige Ausgaben vermeiden lassen. Das Ressourcenproblem wird bei spezialisierten Arbeitsfeldern, wozu das Medizincontrolling, die Erstellung von Studien(-dossiers) und europäische Marktzugangsexpertise zählen, bei gleichzeitigem Fachkräftemangel immer relevanter. Die Beratungsleistung hat bei der Lösung des Ressourcenproblems einen sehr operativen Fokus, wird dabei aber auch direkt messbar. 2. Das Know-how-Problem: setzt voraus, dass Unternehmen eine spezifische Wissenslücke haben, die sie durch den Einkauf von Beratungsleistungen schließen möchten. Diese Wissenslücke könnte am Beispiel der Medizintechnik, insbesondere von Einproduktunternehmen, in den regulatorischen Rahmenbedingungen für den Marktzugang bestehen. Dieses Wissen wird de facto nur zu einem speziellen Zeitpunkt benötigt und spezialisierte Mitarbeiter müssten im Einproduktfall nach dem Marktzugang fachfremde Aufgaben ausüben oder freigestellt werden. Hinzu kommt, dass Berater lange Zeit über mehr oder weniger exklusives Wissen, Daten und Informationen verfügten und damit auch einen Know-how-Vorsprung hatten, weil das Consultingunternehmen bestimmte Problemstellungen bereits in anderen Unternehmen/Situationen gelöst hatte. Mittlerweile ist es aber durch intelligentes Market-Research über das Internet auch firmenintern leistbar, Benchmarks und Erfahrungswerte über eben diese Problemlösungen zu generieren, sodass der vermeintliche Know-how-Vorteil der Berater entfällt. 3. Das Delegationsproblem: setzt voraus, dass Unternehmen vor einer größeren strukturellen Veränderung stehen, z. B. der Einführung eines neuen Produktes oder der Restrukturierung eines Betriebes. In solchen Fällen greifen Firmen gern auf Berater zu, die diese Aufgaben bereits in anderen Firmen erfolgreich absolviert haben, also einen Erfahrungsvorsprung mitbringen (analog dem Know-how-Problem). Im Unterschied zum Know-how-Problem machen sie dies jedoch in erster Linie dem Gedanken des Vier-­Augen-­Prinzips folgend. Die externe Expertise soll in diesen Fällen also die Entscheidungsfindung mittragen oder ggf. sogar legitimieren. Mit einer von der Mehrheit getragenen Entscheidung, insb. bei solchen von existenzieller Bedeutung für die Unternehmung, wird diese leichter kommunizierbar und scheint zudem auch objektivierbar. Die Beratung nimmt eine Art Stabsfunktion ein. Selbstverständlich können die drei genannten Probleme auch gleichzeitig vorliegen und sich gegenseitig verstärken. Unter einer gesundheitsökonomischen Fachberatung verstehen wir nun eine Beratung, die spezifische Fragestellungen im Gesundheitswesen im Kontext einer Kosten- und Nutzenbewertung beantwortet. Dies ist im Gesundheitsmarkt im Unterschied zu anderen Märkten deshalb eine Herausforderung, weil Leistungsinanspruchnehmer (Patient) und

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Leistungsfinanzierer (Versicherung) nicht zusammenfallen und die Nachfrage somit nichts über die Leistungsgüte aussagt. Hinzu kommt, dass die Leistungserbringer eigenen marktfernen Regelungen (bspw. Heilmittelwerbegesetz) unterliegen. Ähnlich der Beratung eines Steuerberaters liegt daher bei der gesundheitsökonomischen Fachberatung ein hoher Spezialisierungsgrad zugrunde. Das vorhandene spezifische Wissen und die Beratungsleistung unterliegen in hohem Maße Vertrauenseigenschaften, da die Dienstleistungsqualität des Beraters nicht ex ante messbar ist und auch keine Ergebnisgarantie nach sich zieht (Bruhn und Stauss 2010). Aus diesem Grund, analog anderen Dienstleistungen mit hohen Vertrauenseigenschaften, sind persönliche Weiterempfehlungen und Folgeprojekte für eine erfolgreiche Beratungsleistung essenziell. Dieser Grundgedanke führt dazu, dass Weiterbildung und interne Kontrollmechanismen maßgeblich zum Erhalt einer hohen Beratungsqualität beitragen. Ein gesundheitsökonomischer Fachberater muss über Expertise im Sozialversicherungsrecht, über medizinische Grundlagen im wissenschaftlichen Arbeiten, insb. der Good Clinical Practice (GCP), und über ein tiefes Gesundheitssystemverständnis verfügen. Dabei sollte er einen „Instrumentenbaukasten“ nutzen können, aus dem er für verschiedene Fragestellungen die jeweils angemessene Methodik zieht. Gesundheitsökonomische Fachberatung ist daher oft eine Antwort auf die Kombination aus dem Know-how- und dem Ressourcenproblem und kann über Erfahrungswerte auch das Legitimationsproblem lösen. Im nächsten Abschnitt gehen wir auf diesen „Instrumentenbaukasten“ und wichtige Instrumente der Evidenzgenerierung ein. Unter dem Begriff „Evidenz“, der sich vom englischen Wort „evidence“ ableitet, versteht man den Nach- oder Beweis eines Sachverhalts. Im Gesundheitswesen spricht man von Evidenz, wenn Informationen aus klinischen Studien gewonnen werden, die einen Sachverhalt verifizieren oder falsifizieren (Deutsches Netzwerk für Evidenzbasierte Medizin 2011). In den folgenden Abschnitten werden im Folgenden verschiedene Studiendesigns (Abschnitt 13.3 und 13.4) sowie Datenquellen für die Anwendung dieser Designs (Abschnitt 13.5) dargestellt, bevor in Abschnitt 13.6 beispielhaft gezeigt wird, wie diese in der gesundheitsökonomischen Fachberatung für Geschäftslösungen verwendet werden können.

13.3 Planung der Evidenzgenerierung Randomisierte kontrollierte Studien (Randomized Controlled Trials, RCTs) werden gemeinhin als Goldstandard bei der Untersuchung von Gesundheitsinterventionen und somit zur Erzielung von Evidenz angesehen (Kabisch et al. 2011). Durch die zufällige Einteilung der Versuchspersonen in eine Interventions- und eine Kontrollgruppe wird sichergestellt, dass sich beide Gruppen nur hinsichtlich der Intervention unterscheiden. Gut ­designte und durchgeführte RCTs haben daher eine hohe interne Validität (Windeler et al. 2008). Das heißt, die Veränderungen der abhängigen Variable (bspw. Tod, Gesundheitszustand) zwischen Interventions- und Kontrollgruppe können sehr gut auf die Unterschiede in der unabhängigen Variable (Scheinintervention oder richtige Intervention) zurückgeführt werden.

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Die engen Ein- und Ausschlusskriterien von RCTs führen dazu, dass Effekte aus RCTs mit hoher interner Validität (also sehr wahrscheinlich „echte Effekte“) gemessen werden können, jedoch die in klinischen Studien betrachteten Populationen große Unterschiede zu den Patienten in der realen Versorgung aufweisen (geringe externe Validität). Im Rahmen von gesundheitsbezogenen Interventionen wird dieser Unterschied zwischen interner und externer Validität auch als Efficacy und Effectiveness bezeichnet: Die Efficacy beschreibt, wie gut die Wirksamkeit einer Behandlung in definierten Kohorten und unter Studienbedingungen im Vergleich zu Placebo untersucht ist. Die Effectiveness andererseits beschreibt den Nachweis der Wirksamkeit einer Intervention unter Alltagsbedingungen, in denen auch Problemstellungen wie die Wirkung bei Patienten mit Multimorbidität, Wechselwirkung mit anderen Medikamenten, Adhärenzprobleme, ärztliche Anwendungsprobleme etc. eingehen (vgl. Singal et al. 2014). Diese Lücke zwischen der internen und der externen Validität von RCTs zu schließen und einen Transfer der Wirksamkeit unter Studienbedingungen hin zur Wirksamkeit unter Alltagsbedingungen zu finden, ist ein wichtiges Ziel der sogenannten Real World Evidence (RWE). Nach der Definition des Deutschen Netzwerks für Evidenzbasierte Medizin geht es daher um die Evidenz, die aus der echten Welt und somit aus der Versorgungsrealität und nicht aus den streng kontrollierten Bedingungen, die bei RCTs zu finden sind, stammt. „Aus der Versorgungsrealität“ bedeutet, dass die Auswahl der Patienten und Behandler und die Behandlung „real“ und damit unbeeinflusst von der Studie erfolgen sollte. Je eher eine RWE-Studie dieses Ziel erreicht, desto valider misst sie die Bedingungen der wahren Welt, d. h., desto höher ist ihre externe Validität. Die untersuchten Patienten sind dabei in der Regel ihrer jeweiligen Behandlung durch die gemeinsame Entscheidungsfindung mit ihrem behandelnden Arzt zugewiesen und nicht aufgrund ihrer Studienteilnahme einer bestimmten Intervention zugeordnet. Tab. 13.1 fasst die wesentlichen Unterschiede zwischen RCTs und RWE-Studien zusammen. In den folgenden Abschnitten wird dargestellt, wie Unternehmen typischerweise bei der Evidenzgenerierung vorgehen. Hierfür wird zunächst die Planung der Evidenzgenerierung beschrieben, bevor anschließend typische Datenquellen dargestellt werden.

13.4 Instrumente der Evidenzgenerierung Zunächst müssen Unternehmen die Frage klären, welche Evidenz gegenüber welchem Stakeholder zu welchem Zeitpunkt benötigt wird. Hierbei spielen einerseits die regulatorischen Anforderungen der Zulassung, also die Vorgaben der European Medicines Agency (EMA) bei Arzneimitteln und die Regelungen der Medical Device Regulation (MDR) bei Medizinprodukteherstellern, eine wichtige Rolle: Bei Arzneimitteln werden, bis auf wenige Ausnahmen bei Orphan Diseases, RCTs benötigt, um Wirksamkeit und Sicherheit für die Zulassung nachzuweisen. Bei Medizinprodukten muss zunächst über die Risikoklasse des Produkts und die Frage, ob Äquivalenzstudien vorhanden und nutzbar sind, bestimmt

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Tab.  13.1  Unterschiede zwischen Randomized Controlled Trials und Real World Evidence. (Quelle: eigene Darstellung 2019) Real World Evidence Effectiveness, Effektivität unter Alltagsbedingungen Die Veränderung in unterschiedlichen Population und Behandlungsendpunkten, die für Behandler Outcomes und Patienten von Interesse sind – bei Patienten, die vom Behandler in der Routinebehandlung als geeignet ausgewählt wurden Ausschlusskriterien Zahlreiche Ausschlusskriterien Wenig oder keine Ausschlusskriterien Intervention und Meistens Vergleich zu Placebo Meistens im Vergleich zu anderen Therapien in einem echten Kontrolle oder Scheininterventionen Behandlungssetting mit unterschiedlicher unter einem standardisierten Adhärenz und Compliance von Ärzten und Behandlungsprotokoll Patienten Ziel Hohe interne Validität Hohe externe Validität Datenerhebung Prospektiv Prospektiv oder retrospektiv Sample Size In der Regel 10.000 Gemessene Effekte

Randomized Controlled Trials Efficacy, Effektivität unter Studienbedingungen Die Veränderung von vordefinierten klinischen Parametern in einer Kohorte von vordefinierten Patienten

werden, ob eine klinische Prüfung in Form eines RCT benötigt wird. Ziel bei der Zulassung ist in jedem Fall, die Wirksamkeit und Sicherheit eines Produkts im Sinne einer Effectiveness nachzuweisen. Wenn die Zulassung erfolgt ist, ist als zweiter Schritt des Marktzugangs die Erstattung des Produkts vorzubereiten. Hierfür sind in den meisten Fällen die Vorgaben von Health Technology Assessments (HTA) der jeweiligen national zuständigen Behörden zu beachten. In Deutschland sind dies die Vorgaben des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Gerade Hersteller von Medizinprodukten müssen sich frühzeitig und detailliert über die Gegebenheiten der Erstattung informieren: Im Gegensatz zu Arzneimitteln kennen die Erstattungsregularien der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), also Sozialgesetzbuch V (SGB V) und ergänzend diverse G-BA-Richtlinien, keine einheitlichen sozialversicherungsrechtlichen Regelungen für Medizinprodukte. Sie unterliegen vielmehr je nach Produkt sehr unterschiedlichen Erstattungsregelungen: Ob ein Medizinprodukt als Sprechstundenbedarf ambulanter Arztpraxen, Hilfsmittel, Bestandteil von ambulanten oder stationären Behandlungsmethoden oder als arzneimittelähnliches Medizinprodukt gilt, hat wesentlichen Einfluss auf die Evidenz, die der Hersteller für die Erstattungsfähigkeit durch die GKV vorlegen muss. Bereits an dieser Stelle, also der Festlegung des Umfangs der nötigen Evidenz für die Marktzulassung und der Erstattungsfähigkeit, ist ein hoher Informations- und Beratungsbedarf der Unternehmen vorhanden. Nachdem der Evidenzbedarf bestimmt ist, muss im nächsten Schritt ein Studiendesign für die Erzeugung eben dieser Evidenz erstellt werden. Dabei kann zwischen

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Beobachtungsstudien und Interventionsstudien unterschieden werden: Beobachtungsstudien (Observational Studies) unterscheiden sich von Interventionsstudien dadurch, dass durch die Studie nicht mittels der Anwendung von Maßnahmen eingegriffen wird. Typischerweise untersuchen Beobachtungsstudien Eigenschaften und Verhalten von Patienten, die dann mit gesundheitlichen Outcomes in Verbindung gebracht werden. Beobachtungsstudien sind geeignet, Krankheitsverläufe zu beschreiben und Zusammenhänge zwischen Einflussfaktoren und gesundheitlichen Outcomes zu untersuchen. Dadurch, dass Patienten nicht zufällig in verschiedene Untersuchungsgruppen eingeteilt werden, sind sie anfällig für Verzerrungen wie Confounding. Diese können mit verschiedenen statistischen Verfahren der Risikoadjustierung, wie Propensity Score Matching oder multivariaten Regressionsverfahren, reduziert werden (Vogelmann und Schubert 2013). Zudem kann unterschieden werden, ob Studien vergleichend oder nichtvergleichend sind. Bei vergleichenden Studien ist neben der Wahl des zweckmäßigen Comparator die Definition der Endpunkte, also derjenigen Parameter, anhand derer die Wirksamkeit und Sicherheit gemessen werden, elementar. Nichtvergleichende Beobachtungsstudien  Zur Ermittlung der Inzidenz (Neuerkrankungsziffer, also die Anzahl neu auftretender Erkrankungsfälle in einer definierten Bevölkerungsgruppe), Prävalenz (Bestand aller Fälle einer bestimmten Krankheit in der Bevölkerung) bieten sich Real-World-Daten an. Diese sind für Medizinproduktehersteller, insbesondere in der Produktentwicklung und Vermarktungsplanung, wichtig, bestimmen sie doch den adressierbaren Markt. Um den relevanten Markt noch näher abzugrenzen, ist mit Real-World-Daten auch eine weitere Verfeinerung der Patientenbilder möglich, beispielsweise eine Eingrenzung der erkrankten Personen nach Alter, Geschlecht oder bestimmten Begleiterkrankungen. Auf diesem Weg ist es möglich, Marktpotenziale und Konkurrenzprodukte zielgerichtet zu bestimmten und die eigene Zielgruppe besser einzugrenzen. Eine Patient Journey (auch: Patient Pathway) ist definiert als die sequenzielle Abfolge aller Behandlungen eines Patienten. Im Gegensatz zu Querschnittsstudien, die sich auf Aussagen zu einem bestimmten Zeitpunkt beziehen (bspw.: Wie hoch ist die Prävalenz von Diabetes im Jahr 2018? Wie alt sind Patienten, die mit einem Flash-Glucose-­Monitoringsystem ausgestattet sind?), handelt es sich um eine Längsschnittbetrachtung von Patienten. Es handelt sich also um in klinischen Studien in dieser Form nicht enthaltende Insights aus der klinischen Praxis, um Reihenfolgen, Muster und Abweichungen in Behandlungsschemata für definierte Krankheitsbilder zu erforschen (Hripcsak et al. 2016). Typischerweise wird mit Patient-Journey-Analysen beantwortet, welche Diagnostik und Therapien Patienten in welcher Reihenfolge und in welchen Zeitabständen erhalten. Dabei ist die Auswertung nicht vergleichend, sondern bezieht sich auf eine Patientengruppe. Für Unternehmen im Gesundheitswesen können Aussagen aus der Patient Journey im Marktzugangsprozess von besonderem Interesse sein, da sie erfahren, welche Ärzte wann im Behandlungsablauf typischerweise tätig werden und was diese in welcher Reihenfolge verordnen.

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Beispielhafte Fragen, die mit einer Patient-Journey-Analyse beantwortet werden können, sind: • Mit welcher Wahrscheinlichkeit werden welche Behandlungspfade durchlaufen? • Wie viel Zeit liegt zwischen verschiedenen Behandlungen? • Wie oft wird eine Therapie als Erstlinientherapie und wie oft als Zweitlinientherapie eingesetzt? • Wie viele Patienten sind an welchen Komorbiditäten erkrankt? • Wie viel Zeit vergeht zwischen einzelnen Krankheitsstadien?

Kohortenstudien  Eine häufig verwendete Form der Beobachtungsstudien sind Kohortenstudien. Bei diesen werden Patienten basierend auf bestimmten Merkmalen, wie ihre Vorerkrankungen oder ihre Therapie, in Gruppen aufgeteilt und dann über die Studiendauer beobachtet. Typische Fragen von Kohortenstudien lauten daher: • Entwickeln Patienten mit einer bestimmten Vorerkrankung eine Erkrankung häufiger als Personen ohne dieses Merkmal? • Ist eine Therapie mit Produkt A mit weniger Schlaganfällen assoziiert als Therapie B? • Entwickeln Raucher häufiger Lungenkrebs als Nichtraucher? In der Kohortenstudie werden die Patienten also nach ihrem Expositionsstatus eingeteilt und die Gesundheits-Outcomes dann zwischen den Gruppen verglichen. Fall-Kontroll-Studien  Während Kohortenstudien die Gruppen basierend auf Therapien oder Expositionen auswählen und dann prospektiv weiterverfolgen, ist das Vorgehen bei Fall-Kontroll-Studien andersherum. Bei Fall-Kontroll-Studien werden die Patienten aufgrund ihres gesundheitlichen Outcomes (meistens: Erkrankt? Ja oder Nein) ausgewählt und dann retrospektiv ausgewertet. Dabei werden die Patienten eingeteilt in eine Gruppe mit erkrankten Personen (Fälle) und in Personen ohne diese Erkrankung (Kontrollen). Beide Gruppen werden nun hinsichtlich ihrer Expositionen in der Vergangenheit ausgewertet. Typische Fragestellungen von Fall-Kontroll-Studien lauten daher: • Waren Personen, die eine Erkrankung entwickelt haben, in der Vergangenheit häufiger einer bestimmten Exposition ausgesetzt als Personen ohne diese Erkrankung? • Haben Patienten, die Lungenkrebs entwickeln, in der Vergangenheit öfter geraucht als Personen ohne Lungenkrebs?

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Entscheidend bei Fall-Kontroll-Studien ist die Wahl der Kontrollgruppe: Diese sollte den Fällen möglichst ähnlich sein und sich nur in der Exposition unterscheiden. Wesentliche Limitation von Fall-Kontroll-Studien ist zudem das sogenannte Recall-Bias: Werden Patienten mit einer bestimmten Erkrankung nach ihrem Risikoverhalten in der Vergangenheit befragt, so erinnern sich diese eher an ihr Verhalten als Personen, die keine Krankheit entwickeln. Gesundheitsökonomische Studien  Im Vergleich zu klinischen Studien enthalten Real-­ World-­Daten oftmals auch Informationen zu den Kosten der Behandlung, womit sie auch für gesundheitsökonomische Analysen gut geeignet sind. Gesundheitsökonomische Auswertungen erfolgen meist, indem gesundheitliche Outcomes verschiedener Interventionen gemessen und mit den unterschiedlichen Kosten der Interventionen ins Verhältnis gesetzt werden. Gesundheitsökonomische Modelle sind insbesondere im europäischen Ausland wie in Großbritannien oder den Niederlanden verpflichtend, wenn Unternehmen in die Erstattung des allgemeinen Krankenversicherungssystems gelangen wollen. Insbesondere die Incremental Cost Effectiveness Ratio (ICER), also die Zusatzkosten pro zusätzlich gewonnenen oder vermiedenen Outcome, müssen im europäischen Ausland regelmäßig ermittelt und vorgelegt werden. In Deutschland sind gesundheitsökonomische Modelle bislang nicht notwendiger Bestandteil der G-BA-Nutzenbewertung oder anderer ­Erstattungsentscheidungen. Tab. 13.2 fasst die Arten der gesundheitsökonomischen Studien zusammen. Tab. 13.2  Arten gesundheitsökonomischer Studien. (Quelle: in Anlehnung an Schöffski und v. d. Schulenburg 2011) Evaluationsart Krankheitskostenanalyse

Kosten Ergebnis Monetär Keine (= identische) Effekte Kostenminimierungsanalyse Monetär Keine (= identische) Effekte Kosteneffektivitätsanalyse Monetär Ein zentraler klinischer Parameter

Kosten-Nutzwert-Analyse

Kosten-Nutzen-Analyse

Monetär Bewertete gesundheitsbezogene Lebensqualität (z. B. QALY) Monetär Monetär bewertete Gesundheit

Beispiel Kosten des Rauchens/der Demenz Zwei wirkstoffgleiche Arzneimittel Unterschiedliche Behandlungsmethoden, z. B. Nierentransplantation vs. Dialyse Unterschiedliche Therapieformen, Mamma CA/ chronische Bronchitis Kosten des Screenings vs. Kosten der Therapie ohne Screening

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T. Schubert und T. Vogelmann

13.5 Datenquellen für eine faktenbasierte Nutzenkommunikation Wie eingangs dargestellt müssen Unternehmen im Gesundheitswesen über den gesamten Lebenszyklus ihrer Produkte hinweg Bewertungen der Kosten und des Nutzens vornehmen und die Durchführungen der Bewertungen nachweisen. Je nach Phase des Produkts und dessen regulatorischer Einordnung in der Zulassung (Arzneimittel oder Medizinprodukt) und der Erstattung werden unterschiedliche Instrumente der evidenzbasierten Medizin und der gesundheitsökonomischen Evaluation benötigt. Dieser Abschnitt soll auf übergeordneter Ebene die drei wichtigsten Datenquellen für die Erzeugung dieser Evidenz, aber auch wichtiger Marktzahlen beschreiben. a. Studien und systematische Literaturübersichten Eine naheliegende Art der gesundheitsökonomischen Evidenzgenerierung besteht in der Nutzung und Neuverarbeitung von bereits veröffentlichten Studienergebnissen. Für die Nutzenkommunikation von gesundheitsökonomischer Evidenz im Gesundheitswesen müssen im Wesentlichen zwei Empfänger unterschieden werden: zentrale HTA-Behörden und dezentrale Payer, also die gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen. Zentrale HTA-Behörden sind dabei insbesondere für pharmazeutische Hersteller relevant, da vor der Erstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung bei neuen Arzneimitteln seit 2011 im Rahmen der frühen Nutzenbewertung nach § 35 SGB V auch die Kosteneffektivität von Arzneimitteln bewertet wird. Dieses etablierte Verfahren wird von pharmazeutischen Herstellern inzwischen routiniert und unter Zuhilfenahme spezialisierter Beratungsunternehmen durchlaufen. Demgegenüber ist die Kommunikation mit dezentralen Zahlern, also den privaten und gesetzlichen Krankenkassen sowie dem medizinischen Dienst der Krankenversicherung und kassenärztlichen Vereinigungen, nicht im selben Maß etabliert. Dennoch haben auch die dezentralen Zahler in vielen Fällen einen erheblichen Einfluss auf den Absatz und damit auf Umsatz und Gewinn der Unternehmen im Gesundheitswesen und müssen daher als Empfänger für eine Nutzenkommunikation mitberücksichtigt werden. In der GKV dürfen nur Leistungen erbracht werden, die ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind (Wirtschaftlichkeitsgebot, § 2 SGB V). Zudem müssen alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (Qualitätsgebot, § 12 SGB V). Die Prüfung dieser Kriterien obliegt zum einen dem Gemeinsamen Bundesausschuss als zentralem Prüfgremium. Zum anderen prüfen aber auch Krankenkassen und der Medizinische Dienst der Krankenversicherung im Einzelfall, ob erbrachte Leistungen dem Wirtschaftlichkeitsgebot und dem Qualitätsgebot entsprechen. Ausreichend bedeutet, dass die Leistung den Erfordernissen des konkreten Einzelfalls entsprechen muss. Darüber hinaus soll sie den medizinischen Fortschritt berücksichtigen. Zweckmäßig bedeutet, dass die zu erbringende Leistung im Hinblick auf das konkrete Behandlungsziel geeignet, zweckdienlich und zweckentsprechend ist. Wirtschaftlich bedeutet,

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dass Therapeuten den gegebenen Behandlungserfolg mit den geringsten Mitteln erzielen müssen (ökonomisches Minimalprinzip). Hieraus wird ersichtlich, dass Unternehmen nicht nur in den zentralen Erstattungsprozessen, wie der frühen Nutzenbewertung durch G-BA und IQWiG, oder anderen G-BA-­ Entscheidungen auf gesundheitsökonomische Evidenz angewiesen sind, sondern auch ­bei dezentralen Erstattungsentscheidungen im Einzelfall, wie sie tagtäglich in der Krankenversicherung getroffen werden, auf gesundheitsökonomische Prüfungen eingestellt sein müssen: Wenn ein besserer medizinischer Outcome nicht nachgewiesen ist, so ist im Sinne des Wirtschaftlichkeitsgebots eine Kosten-Kosten-Analyse durchzuführen und Ärzte müssen sich für die günstigste Behandlung entscheiden. Bei besserem Outcome müssen im Sinne einer Kosteneffektivitätsanalyse die Kosten zentraler klinischer Verbesserung benannt sein und diese, auch im Vergleich mit therapeutischen Alternativen, angemessen sein. Unternehmen müssen daher, um mittelfristig am Markt bestehen zu können, nachweisen, dass sie entweder in wichtigen klinischen Parametern besser sind als ihre Mitbewerber oder dass sie bei gleichen Outcomes nicht teurer sind, um nicht gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot und das Qualitätsgebot des SGB V zu verstoßen. Zu den konkreten Aufgaben der Unternehmen gehört daher zum einen der Nachweis der Überlegenheit, beispielsweise durch die Erstellung von Health Technology Assessments, systematischen Literaturübersichten oder Metaanalysen. Dabei ist grundsätzlich ein möglichst hoher Evidenzgrad der Studien anzustreben, also in aller Regel Randomized Controlled Trials. Die Rechtsprechung fordert zum Nachweis der Qualität einer Methode in der Regel „wissenschaftlich einwandfrei durchgeführte Studien“ mit einer „ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen“. Nur bei seltenen oder schwer zu erforschenden Erkrankungen können die Anforderungen an die Evidenz im Sinne der „tatsächlich erzielbaren Evidenz“ gemindert werden (BSG 2013). Zum anderen müssen die Mehrkosten der eigenen Therapie benannt werden, hierfür sind auch Kenntnisse der Kosten der Alternativtherapie unabdingbar. Zu den Behandlungskosten gehören dabei nicht nur die direkten Kosten, beispielsweise für das eingesetzte Medikament oder Medizinprodukt, sondern auch ärztliche und pflegerische Leistungen oder notwendige Vor- und Nachuntersuchungen des Einsatzes. Diese Informationen können beispielsweise aus Abrechnungsdaten von Krankenkassen gewonnen werden, alternativ durch die Abbildung des Versorgungspfades des Patienten und die Berechnung der Kosten dieses Pfades durch administrierte Preise wie DRG- oder EBM-Vergütungen. b. Real World Evidence Real World Evidence ist definiert als klinische Evidenz hinsichtlich des Einsatzes und des potenziellen Nutzens bzw. der Risiken eines Arzneimittels oder eines Medizinprodukts, die auf der Analyse von Daten basiert, die außerhalb traditioneller klinischer Studien (RCTs) gewonnen werden. Daten aus der Versorgungsrealität werden überall dort generiert, wo Gesundheitsdaten oder Daten aus Versorgungsprozessen auf Patientenebene erfasst werden. Hierzu zählen (Goettsch und Makady 2016):

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1. Registerdaten: prospektive Datenerhebungen von Patienten ähnlicher Erkrankungen und/oder einer spezifischen Intervention. Der Einschluss erfolgt prospektiv. Die Erhebung von Interventionen, Risikofaktoren und Outcomes vor Einschluss werden oft re­ trospektiv ergänzt. 2. Routinedaten gesetzlicher Krankenversicherungen (GKV-Routinedaten): retrospektive Auswertung von Daten, die zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern zu Abrechnungsdaten ausgetauscht wurden, oder von Daten, die der Krankenkasse im Rahmen der Versicherung vorliegen (Stammdaten). 3. Patientenakten: elektronische Akten oder Akten aus Papier, in denen Krankenhäuser oder niedergelassene Ärzte die Dokumentation zum Patienten führen. Diese enthalten typischerweise Symptome und Behandlungen auf Patientenebene im Längsschnitt. 4. Primäre prospektive Datenerhebung: prospektive klinische Studien mit oder ohne Randomisierung, die aber hinsichtlich Ein- und Ausschlusskriterien sowie Outcome-­ Messung näher an der Versorgungsrealität sind als klassische RCTs. Zudem zählen Datenquellen wie Wearables, also Smartwatches oder Fitnesstracker, Gesundheitsdaten aus Social Media oder Anwendungsdaten von Medizinprodukten zu Real-­ World-­Daten und können systematisch erfasst und ausgewertet werden. In den letzten Jahren haben in Deutschland Krankenkassendaten an Bedeutung gewonnen (Kreis et  al. 2016). Gerade für gesundheitsökonomische Auswertungen sind diese Daten der Krankenkassen geeignet. Da auch Kosteninformationen in den GKV-­ Abrechnungsdaten enthalten sind (sie sind schließlich für die Abrechnung von Leistungen erhoben worden), müssen Ressourcen und Kosten nicht geschätzt werden. Im Gegensatz zur Verwendung von administrierten Preisen sind auch Arzneimittelrabatte und Abstaffelungen, bspw. Vergütungsminderungen bei Überschreitung der Regelleistungsvolumina im ambulanten Bereich, auswertbar. Abb.  13.1 zeigt beispielhaft, wie mittels GKV-­ Routinedaten die Wirkung einer Intervention auf die Kosten verschiedener Leistungsbereiche im Vergleich zu einer Kontrollgruppe dargestellt werden kann. Durch die seit Jahren etablierte elektronische Datenübermittlung der vertragsärztlichen Versorgung nach § 295 SGB V und der stationären Versorgung nach § 301 SGB V liegen die Leistungsdaten der Krankenkassen bereits in elektronischer Form vor, was sie einer Auswertung schnell zugänglich macht. Da sie mit Leistungsinanspruchnahme des Versicherten entstehen und sofort (Krankenhäuser) bzw. quartalsweise (Vertragsärzte) an die Krankenkassen geliefert werden, sind sie im Vergleich zu anderen Routinedaten aktuell und schnell verfügbar. Zudem ist durch die Krankenversicherungsnummer bzw. die Nummer der elek­ tronischen Gesundheitskarte ein eindeutiger Personenbezug gegeben, die Daten sind über die Leistungsbereiche vollständig und ohne Möglichkeiten des Opt-out erhoben, was eine Analyse über verschiedene Leistungssektoren oder verschiedene Jahre hinweg ermöglicht. In den GKV-Daten sind sämtliche Leistungsbereiche des GKV-Systems abgebildet. Hierzu zählen Verordnungen über ambulante Arzneimittel, die stationäre Versorgung, die ambulant-vertragsärztliche Versorgung, Hilfsmittel, Heilmittel, Arbeitsunfähigkeit,

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Abb. 13.1  Beispiel für eine Kostenauswertung mit Routinedaten. (Quelle: Schubert et al. 2015)

Rehabilitationsdaten sowie sonstige Leistungen (z. B. Fahrtkosten). Medikamente, die im Rahmen der stationären Versorgung abgegeben werden, werden von wenigen Ausnahmen abgesehen im Rahmen der pauschalen DRG-Vergütung abgerechnet und sind nicht einzeln analysierbar. Pflegeleistungen, die von den gesetzlichen Pflegeversicherungen abgerechnet werden, liegen ebenfalls bei den Krankenkassen vor. Die GKV-Daten sind pseudonymisiert, besitzen also einen Personenbezug der eine Nachverfolgung von Versicherten über die Zeit und über verschiedene Leistungsbereiche ermöglicht, aber eine Identifizierung von Einzelpersonen nicht vorsieht. Der Personenbezug erlaubt es auch, im Gegensatz zu aggregierten Falldaten, beispielsweise der Krankenhausstatistik, Inzidenzen und Prävalenzen auf Patientenebene zu erheben und Krankheitsverläufe auch über verschiedene Sektoren (Krankenhaus, ambulante Ärzte, Arzneimittel) nachzuverfolgen. Der Datenzugang zu GKV-Daten erfolgt entweder über das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) oder über Vereinbarungen mit einzelnen Krankenkassen. Während beim DIMDI Zugriff auf die Daten aller GKV-Versicherten möglich ist, kann bei Vereinbarungen mit einzelnen Krankenkassen nur auf deren Bestand zugegriffen werden. c. Real World Data Auch Daten, die nicht aus RCTs kommen und die auch keine Evidenz im Sinne von „Informationen aus wissenschaftlichen Studien und systematisch zusammengetragenen klinischen Erfahrungen, die einen Sachverhalt erhärten oder widerlegen“ (Deutsches Netzwerk für Evidenzbasierte Medizin 2011), darstellen, können als Quelle für faktenbasierte Nutzenkommunikation dienen.

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In Abgrenzung zur Real World Evidence handelt es sich hierbei um Daten, die zwar in der realen Gesundheitsversorgung entstehen, mit deren Hilfe aber keine Bewertung von Interventionen oder anderer Evidenz möglich ist. Hierbei handelt es sich um reine epidemiologische Zahlen, bspw. zu Prävalenz oder Inzidenz von Erkrankungen oder Behandlungshäufigkeiten. Wichtige Informationsquellen sind: • Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes (GBE) ist eine Sammlung verschiedener Daten und Informationen zum Gesundheitszustand und zur Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in Deutschland. In der GBE sind mehr als 100 Datenquellen aus den Bereichen amtliche Statistiken, Gesundheitssurveys und epidemiologische Studien, Registerdaten und andere Datenquellen abgebildet (Lampert et al. 2010). Auf der Internetseite der GBE (www.gbe-bund.de) kann der Nutzer die verschiedenen Datenquellen auswerten und in verschiedenen Formaten (Powerpoint, Excel, Grafiken) herunterladen. So findet sich in der GBE beispielsweise die Krankenhausstatistik des Statistischen Bundesamtes mit der bundesdeutschen Häufigkeit von Diagnosen und Operationen in Krankenhäusern über verschiedene Jahre und Altersgruppen. In Abschn. 13.3 wird darauf eingegangen, wie diese Informationen für die Auswahl von Stakeholdern und die Ausrichtung des Vertriebs für eine faktenbasierte Nutzenkommunikation genutzt werden können. • Qualitätsberichte der Krankenhäuser nach § 136b Abs. 1 Nr. 4 SGB V Seit 2005 sind Krankenhäuser gesetzlich dazu verpflichtet, in strukturierten Qualitätsberichten Angaben zu ihrer Arbeit zu machen. In den Berichten stellen Krankenhäuser jährlich zu ihren Strukturen und den im letzten Jahr durchgeführten Leistungen und behandelten Diagnosen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) legt fest, welche Informationen diese Qualitätsberichte enthalten und wie sie gegliedert und bereitgestellt werden müssen. Die Qualitätsberichte werden jährlich von den Krankenhäusern als maschinenlesbare XML-Daten (Extensible Mark-up Language) an den G-BA übermittelt. Inhaltlich umfassen die Qualitätsberichte Strukturdaten, Leistungsdaten und Qualitätsindikatoren. Strukturdaten sind beispielsweise die Personalstruktur, Anzahl der Betten und apparative Ausstattung der Krankenhäuser. Die Leistungsdaten beinhalten Angaben zu sämtlichen ambulant und stationär durchgeführten Operationen sowie die Anzahl der ­Behandlungsfälle nach Diagnosen. Qualitätsindikatoren sind beispielsweise die Überlebensrate nach Herztransplantationen (Ergebnisqualität). Die Qualitätsindikatoren sind jedoch nicht risikoadjustiert und daher nur bedingt brauchbar, um Krankenhäuser tatsächlich hinsichtlich ihrer Ergebnisqualität zu vergleichen.

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Hintergrundinformation Diagnosen werden in Deutschland üblicherweise mittels der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, German Modifikation (ICD-10-GM) verschlüsselt, die jährlich vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) in Köln herausgegeben wird. Die Verwendung ist verpflichtend für Ärzte im ambulanten und im stationären Bereich nach § 295 und § 301 SGB V. Operationen und Prozeduren werden mit Operationen- und Prozedurenschlüsseln (OPS) verschlüsselt. Die Klassifikation wird ebenfalls vom DIMDI jährlich aktualisiert und basiert auf dem ehemaligen internationalen Klassifikationssystem International Classification of Procedures in Medicine (ICPM) der Weltgesundheitsorganisation.

• Veröffentlichung der Jahresrechnungsergebnisse der gesetzlichen Krankenkassen nach § 305b SGB V Krankenkassen sind seit 2014 verpflichtet, ihre Jahresrechnungsergebnisse im elektronischen Bundesanzeiger und im Internet zu veröffentlichen. Die Veröffentlichung muss dabei bis zum 30. November des Folgejahres erfolgen. Die Jahresrechnungsergebnisse beinhalten Zahlen zu Mitgliedern und Versicherten sowie zur Höhe und Struktur der Einnahmen und Ausgaben und das Vermögen der einzelnen Krankenkassen. Diese Angaben bieten nicht nur den gesetzlich Versicherten Transparenz über die Finanzstärke von Krankenkassen, sondern sie sind auch für andere Stakeholder interessant, um Krankenkassen bezüglich ihrer Ausgabenstruktur und Finanzstärke zu segmentieren.

13.6 Evidenzgenerierung als Grundlage für Geschäftslösungen Wie eingangs beschrieben wurde, ist der Nutzen eines Produktes für den Patienten nicht offenkundig und kann auch nicht direkt erworben werden. Auf anderen Märkten würde über den Nutzen eines Produktes mit den Füßen abgestimmt. Stellt das Produkt keinen für den Konsumenten erkennbaren Nutzenzugewinn dar, wird er einen Kauf oder Wiederkauf folglich ablehnen. Im Gesundheitswesen entscheidet der Arzt, welches Produkt zur Lösung des abstrakten Bedürfnisses, die „Gesundheit wiederherzustellen“, eingesetzt wird. Darüber hinaus entscheidet die Versicherung (und in Deutschland der G-BA), welche Produkte bezahlt werden. Die Instrumente der Evidenzgenerierung übernehmen daher die Funktion der Bewertung des Nutzens eines Produktes. Gleichzeitig haben aber nicht alle Nutzenkomponenten für alle Stakeholder dieselbe Bedeutung. Eine Kommunikation der generierten Evidenz muss daher empfängergerecht zu kommerziellen Geschäftslösungen für die medizintechnischen oder pharmazeutischen Unternehmen transformiert werden. Anhand von drei Beispielen möchten wir dies verdeutlichen:

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a. Mit systematischer Literaturübersicht zur MDK-Streitschlichtung Rechnungskürzungen durch die gesetzlichen Krankenkassen im Anschluss an eine durchgeführte Krankenhausbehandlung gehören de facto zum Alltag für Krankenhäuser. Krankenhäuser wissen, dass solche Rechnungskürzungen eine der effektivsten Kostensteuerungsinstrumente aufseiten der Krankenkassen darstellen und richten daher auch ihr Medizincontrolling entsprechend mit Fachpersonal aus. Im Fokus dieser Rechnungsprüfungen durch die Krankenkassen stehen oft hohe und häufig mit Zusatzentgelten verknüpfte Verfahren, zudem solche, bei denen die Evidenzlage uneindeutig ist, bspw. weil keine RCTs vorliegen. Solche Verfahren sind damit sehr anfällig für eine konträre Haltung der Kassen. Der Medizintechnikhersteller muss in den meisten Fällen zwar einen Beleg über Wirksamkeit und Sicherheit, nicht jedoch hinsichtlich der Überlegenheit gegenüber bestehenden Verfahren und zulasten der GKV erbringen. Da es sich beim Einsatz solcher Verfahren i. d. R. um innovative Medizintechnik handelt und diese zudem meist hohen Kosten im Krankenhaus verursacht, ist eine wirksame Rechnungskürzung für die Krankenhäuser wirtschaftlich problematisch. Sie erhalten dann weniger Erlöse (DRG), haben aber weiterhin bestehende Kosten (z. B. Sachkosten), weshalb sie Verluste machen. Diese wiederum versuchen sie unmittelbar an die medizintechnischen Unternehmen weiterzugeben oder in letzter Konsequenz mit einem Nachfragerückgang zu reagieren. Es kann daher im Interesse der medizintechnischen Unternehmen sein, Krankenhäuser bei der Abwehr von Rechnungskürzungen zu unterstützen. Wenn, wie dargestellt, das Problem die unklare Evidenzlage ist, haben Krankenkassen immer die bessere Ausgangssituation in der Argumentation auf ihrer Seite. Die Beweispflicht, dass das eingesetzte Produkt über ausreichende Evidenz verfügt, liegt bei den Unternehmen und den einsetzenden Krankenhäusern, die wiederum nur Leistungen erbringen dürfen, die dem medizinisch anerkannten Stand des Wissens entsprechen. Sie haben daher den Einsatz des spezifischen Produkts ggf. zu begründen. Dafür ist es erforderlich, die vorhandene medizinische Evidenz zusammenzufassen, aufzubereiten und maßgeschneidert auf die Fragen oder Aussagen des MDK anzupassen. Hierbei geht das Wissen über Informationen des eigenen Produktes und auch der Leitlinien hinaus, sondern umfasst insb. die medizinische Literatur, welche mittels systematischer Literaturanalyse (vgl. Abschn. 13.4) zusammengetragen wird. Der MDK selbst kann nur bewerten, was in den Patientenakten dokumentiert ist, und wird diese Informationen mit dem medizinisch anerkannten Stand der Erkenntnisse abgleichen. Natürlich sind aber insb. neue innovative Verfahren noch nicht Gegenstand einer Leitlinie, da diese langjährigen Überarbeitungsintervallen unterliegt. Das Wissen der Leitlinien kann also auch bereits wieder veraltetes Wissen sein, was es zu erklären gilt. Unter anderem ist daher wichtig darzustellen, dass die erbrachte Leistung den Erfordernissen des konkreten Einzelfalls und dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Diese Vorrausetzung wurde vom BSG wie folgt konkretisiert (B 1 KR 70/12 R): „… dass die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dieses setzt im Regelfall

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voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der neuen M ­ ethode – die in ihrer Gesamtheit und nicht nur in Bezug auf Teilaspekte zu würdigen ist – zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein. Diese Anforderung darf aber nicht als starrer Rahmen missverstanden werden, der unabhängig von den praktischen Möglichkeiten tatsächlich erzielbarer Evidenz gilt.“

Die Geschäftslösung für die Unternehmen besteht nun darin, dass diese der Klinik und dem Medizincontrolling beratend zur Seite stehen. Ein prominentes Beispiel hierfür ist Medtronic, welches auf seiner Homepage damit wirbt, dass Medtronic-Kunden Unterstützung im Umgang mit Erstattungsfragestellungen erhalten (Medtronic 2018). Die Recherche der medizinischen Literatur und die Durchführung der systematischen Literaturanalyse kann natürlich grundsätzlich auch von den Krankenhäusern direkt durchgeführt werden. Aber hier tritt nicht selten das oben beschriebene Ressourcenproblem auf, da diese Analysen natürlich für eine Vielzahl von Produkten durchgeführt werden müssten. Dennoch erfordern die Recherchen kein exklusives Wissen von Beratern (Know-how-­Problem), sondern einen fachmännischen Umgang bspw. mit Datenbanken wie PubMed. Die Einordnung der relevanten klinischen Argumente und die Verknüpfung mit sozialrechtlichen Argumenten sowie eine im vorneherein angepasste Dokumentation hingegen können den Einsatz von Spezialexpertise rechtfertigen. Die MDK-Streitschlichtung lässt sich somit auf der einen Seite automatisiert und mithilfe digitaler Suchen (systematische Literaturanalyse) vorbereiten und sich andererseits mit individueller Beraterleistung verbinden. Eine Geschäftslösung stellt dieser Support für das Medizintechnikunternehmen dann dar, wenn hieraus eine hohe Wiederkaufrate und zufriedene Kunden resultieren. Berater können diese Prozesse beschleunigen und eine Best Practice in der Zusammenstellung wissenschaftlicher Erkenntnisse und hinsichtlich der Dokumentationspflichten für Krankenhäuser zur Verfügung stellen. Ferner könnte eine Beraterleistung auch das Monitoring von MDK-Fällen umfassen, sodass Kliniken damit eine Entscheidungsunterstützung bei Klagen vor dem Sozialgericht hätten und Rückstellungssummen adäquat bilden können. Dies wiederum hätte Einfluss auf die Liquidität der Klinik und wäre eine weitere wichtige Erfolgsgröße. Beratungshäuser wie die LinkCare GmbH bieten ihren Kunden Services an, wonach diese Leistungen zum Teil digital durch das Medizincontrolling der Krankenhäuser selbst erbracht und passgenau durch individuelle Beraterleistung im Einzelfall ergänzt werden können. b. Mit Real World Evidence zur faktenbasierten Kommunikation Oftmals wird im Bereich Commercial Operations oder allgemeiner im Marketing- und Salesbereich der Unternehmen eine Value Story erstellt, die auf den klinischen Ergebnissen der RCT beruht und Vorteile in Funktionsweise und Anwendung des Verfahrens beschreibt. Hier spielen dann Begriffe wie Convenience und Schnelligkeit des Verfahrens oder zum Teil auch eine vereinfachte Anwendbarkeit des Verfahrens eine Rolle. Solche Produktvorteile können zwar gegenüber dem Anwender, also dem Krankenhaus, einen

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relevanten Vorteil darstellen, müssen dies aber nicht gegenüber HTA-Behörden und Patienten und den Krankenkassen. Wie eingangs erwähnt führt die Trennung zwischen Zahler (Krankenkasse), Inanspruchnehmer (Patient) und Leistungserbringer auch zu unterschiedlichen relevanten Vorteilen: Beispielsweise wäre es denkbar, dass Krankenhäuser beim Einsatz eines Verfahrens Krankenhausverweildauerzeit sparen und die dann frei gewordenen Ressourcen an anderer Stelle nutzen können, aber die eingesetzten Sachkosten um ein Vielfaches den Preis im Status quo übersteigen. Der Zeitvorteil wird dann gegenüber dem höheren Preis abgewogen. Solche Vorteile können Unternehmen oft leicht nachvollziehbar gegenüber dem Krankenhauseinkauf und -controlling darstellen, indem Informationen grafisch aufbereitet werden, wie sie in Abb. 13.2 beispielhaft dargestellt sind. Letztlich wird den Krankenhäusern in diesem Beispiel der Produktvorteil „Schnelligkeit des Verfahrens“ anhand einer auf das Krankenhaus zugeschnittenen Kalkulation dargestellt und die im Marketing kommunizierten Aussagen werden valide belegt. Schwieriger ist es hingegen darzustellen, welche patientenrelevanten Nutzenkomponenten aus dem Einsatz eines Produktes entstehen. Hier gilt es dann darzulegen, dass die in klinischen Studien gefundenen Vorteile einer Behandlung auch tatsächlich in der Versorgungsrealität auftreten, was üblicherweise mit Post-Market-Surveillance-Studien nachverfolgt wird. Der Unterschied zwischen beiden Formen der Evidenzgenerierung wurde in Abschn. 13.3 beschrieben. Mit der Real World Evidence wird ermittelt, welche Bedeutung bspw. fehlende Compliance hat, welche anderen positiven „Nebeneffekte“ durch eine Behandlung entstehen könnten, bspw. in Bezug auf Komorbiditäten, und welchen Einfluss das wiederum auf das eigene Produkt haben kann. Ferner kann auch überprüft werden, ob belegte Vorteile zeitlich stabil bleiben. Beispielsweise könnte eine minimalinvasive Operation zwar kurzfristig ein medizinisches Problem lösen, aber mittelfristig möglicherweise zu einem radikaleren Eingriff, der ggf. nicht erforderlich gewesen wäre, führen. An dieser Stelle kommt die Real World Evidence ins Spiel, mit der Unternehmen entweder anhand von Registerdaten oder mithilfe von Abrechnungsdaten zeitlich stabile Effekte nachweisen (vgl. Abb. 13.3). 12.5K

10K –3 668

3 748

7.5K EUR

–840 10 780

5K

4 837

–3 926

2.5K 2 346

2 195

0 Erlöse Entnahme

Erlöse Transplantation

Zusatzentgelt

Erlöse Gesamt

tagesunabhängige kosten (z.B. Radiologie)

tagesabhängige kosten (z.B. Normalstation)

Produktkosten

Abb. 13.2  Deckungsbeitrag im Krankenhaus. (Quelle: eigene Darstellung 2019)

Deckungsbeitrag

13  Instrumente der Evidenzgenerierung als Grundlage für Geschäftslösungen in der …

% Transplantatsversagen

100% Haltbarkeit Implantat A Haltbarkeit Implantat B

80%

Median (Monate) 10 20

% ohne Event nach 12 Monaten 38% 45%

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p-Wert 44 Jahre sich signifikant weniger häufig Informationen aus dem Internet bedienen als jüngere niedergelassene Kollegen, insbesondere nicht die von den Kliniken erstellten Webauftritte. Sie nutzen dafür mehr (unabhängige) Fachjournale als Informationsquelle. Als Schlussfolgerung der Studie wurde konstatiert, dass niedergelassene Ärzte ihr Überweisungsverhalten an bestimmte Krankenhäuser auch davon abhängig machen, auf welche jeweils passenden Fachinformationen sie zurückgreifen können, aber auch wie der Zugriff auf Klinikärzte möglich ist (vgl. Jette et al. 2016). In Bezug auf die Evaluation und Auswahl ist die „gefühlt vorhandene“ Fachkompetenz – die wahre Kompetenz kann durch den Praxiskollegen kaum oder gar nicht beurteilt werden – für den niedergelassenen Arzt konstant das entscheidende Kriterium. Da in den letzten Jahren europaweit zunehmend politisch gewollt ist, dass bei der Auswahl des stationären Leistungserbringers Qualitätsvergleiche/-berichte der Krankenhäuser als Informationsquelle für den niedergelassenen Arzt zur Verfügung stehen, hat eine französische Studie 2016 die Bedeutung von (vergleichenden) Qualitätsindikatoren und Kennzahlen für die Auswahl des Krankenhauses ­untersucht. Fast 90 % der 503 befragten hausärztlich tätigen Ärzte (Zufallsauswahl) haben angegeben, dass bislang niemals auf öffentlich zugängliche Qualitätsindikatoren als Entscheidungskriterium zurückgegriffen wurde, man aktuell eher noch auf traditionelle Quellen, wie zum Beispiel wiederum mündliche ­Empfehlungen, insbesondere des eigenen Netzwerks, vertraut oder sich eben auf eigene Erfahrungen der Vergangenheit stützt. Da die Niedergelassenen die fachliche Kompetenz der Klinikärzte prinzipiell sehr schätzen und auf eine ­reibungslose Zusammenarbeit mit Klinikärzten angewiesen sind, wenn sie ihre Patienten ­optimal versorgt haben wollen, ist es nicht verwunderlich, dass die eigenen und von Vertrauten berichteten professionellen Kontakte auch in dieser Studie von ähnlich hoher Bedeutung für die befragten Ärzte waren, gefolgt von der geografischen Entfernung des Patienten und den Patientenpräferenzen, die für die Einweisungsentscheidung ebenso eine tragende Rolle spielen (vgl. Ferrua et al. 2016). Vor dem Hintergrund, die Gesundheitsversorgung effizienter zu gestalten, wird die Veröffentlichung vergleichender Qualitätsparameter über Leistungserbringer weiter von der Gesundheitspolitik vorangetrieben und auch zunehmend den Patienten in verständlicher Form nahegebracht. Öffentliches Reporting kann sicherlich zur Qualitätssteigerung beitragen, vorausgesetzt, die niedergelassenen Ärzte interessieren sich auch dafür. Immerhin betonen knapp 43 % der befragten Ärzte in der Studie von Ferrua et al. (2016), dass diese Vergleichsparameter (sehr) nützlich für die Auswahl des richtigen Krankenhauses seien. Bleibt übrig, sich zu fragen, warum diese heute in Frankreich (die Übertragbarkeit der Studienergebnisse auf Deutschland ist sicher nur mit Einschränkungen möglich) de facto noch so wenig herangezogen werden – darüber wird in der Studie spekuliert, aber keine plausible Antwort gegeben. Vor dem Hintergrund, dass Patienten zunehmend die Qualitätsparameter der Kliniken kennen (siehe auch Abschn. 15.4) und mit dem Arzt ihres Vertrauens diskutieren möchten, sind niedergelassene Ärzte mit hoher Wahrscheinlichkeit zukünftig eher geneigt, sich darüber kundig zu machen und u. a. auf dieser Basis gemeinsam mit dem Patienten eine passende Einweisungsentscheidung zu treffen.

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A. E. Raab et al.

Was die stationäre Behandlung seines Patienten angeht, sollte das Krankenhaus auf das konstante Bedürfnis des niedergelassenen Arztes abstellen, seinen Patienten nicht an eine „Blackbox“ im Krankenhaus zu verlieren. Bezüglich des wichtigen Prozessschrittes der Entlassung baut der Einweiser sicherlich auf die neue gesetzliche Regelung zum Entlassmanagement aus dem Jahr 2017 (siehe auch Abschn. 15.1). Die neueren Studien zeigen aber eindrücklich, dass eine funktionierende Dreiecksbeziehung zwischen Patient, niedergelassenem Haus-/Facharzt und Klinikspezialisten, die den Patienten zu eigenverantwortlichem Handeln motivieren und gemeinsam lückenlos in seinen relevanten gesundheitsfördernden Belangen begleiten, in Zukunft noch wichtiger werden wird.

15.3.4 Wie kann Einweiserbeziehungsmanagement in der Praxis erfolgreich etabliert werden? Ein Praxisbeispiel aus dem süddeutschen Raum Wie ein Projekt im süddeutschen Raum für einen Klinikverbund mit zwei Standorten und insgesamt 630 Planbetten gezeigt hat, konnten für das Hauptziel der Professionalisierung der Einweiserbeziehungen gezielt und schnell Quick Wins erzielt werden, weil das ­Management und die Chefärzte der untersuchten Fachabteilungen hinter dem Projekt standen. Vor dem Hintergrund eines starken regionalen Wettbewerbsumfelds war der Klinikverbund bestrebt, mit externer Unterstützung für ausgewählte Fachabteilungen Antworten zu finden, wie sich „Beziehungsarbeit“ mit den niedergelassenen Ärzten im Hinblick auf strategische und operative Anforderungen erfolgreich nachhaltig und praxisnah umsetzen lässt. Projektinhalte waren umfassende Analysen zu Marktattraktivität und Wettbewerbsstärke in den ausgewählten Fachabteilungen, Aufbereitung von Kennzahlen/Leistungsparametern zu Einweisersegmentierung und -priorisierung sowie die Erstellung eines Business Case mit dem Ziel der Darstellung von Fallzahlsteigerungen bzw. einer möglichen höheren Fallausschöpfung für Potenzialeinweiser. Darüber hinaus wurden eine qualitative (telefonische, auf Basis eines Interviewleitfadens mit offenen Fragen) und eine quantitative (hoch standardisierte) Einweiserbefragung durchgeführt, Schwächen und Stärken im Einweiserbeziehungsmanagement aufgezeigt und erste geeignete Maßnahmen und Angebote, insbesondere für Einweiser(-gruppen) mit Potenzial abgeleitet. Über eine Gesamtübersicht der Einweiser (Allgemeinärzte und Fachärzte) konnten für alle Einweiser Profile mit ausgewählten Kennzahlen und den entsprechenden Einweisungen nach Behandlungs-, Erkrankungsgruppen und nach Topdiagnosen erstellt werden. Diese waren wie im allgemeinen Teil oben beschrieben die Grundlage für die Auswahl von Potenzialeinweisern im Rahmen der Makro- und Mikrosegmentierung (vgl. Raab und Drissner 2011; vgl. Raab und Legl 2015, 2016). Für die fünf untersuchten Fachabteilungen konnten sich insgesamt 103 Einweiser als Potenzialeinweiser qualifizieren (dabei aus Fachabteilung eins 36 von 166 Einweisern > 2 Fälle, aus Fachabteilung zwei 19 von 33 Einweisern > 4 Fälle, aus Fachabteilung drei 16

15  Strategisches Marketing im Krankenhaus – Mitarbeiter motivieren, …

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von 104 Einweisern > 2 Fälle, aus Fachabteilung vier 16 von 98 Einweisern > 1 Fall, aus Fachabteilung fünf 16 von 38 Einweisern > 5 Fälle). Um den individuellen Bedarf der selektierten Einweiser zu eruieren, wurde auch in diesem Projekt der persönliche Besuch des Potenzialeinweisers durch den Chefarzt persönlich priorisiert und zeitnah eingeleitet. Die niedergelassenen Ärzte waren weitgehend sehr schnell zur Terminvereinbarung bereit und signalisierten mit wenigen Ausnahmen, dass ein persönlicher Besuch die Wertschätzung der Klinik zeige, individuelle Wünsche und Anforderungen direkt diskutiert sowie Probleme offen angesprochen werden könnten. Wenn gewisse Erfolgsfaktoren für den persönlichen Einweiserbesuch Beachtung finden, wie beispielsweise eine gute Informationssammlung über den Einweiser, seine Praxis, Patientenbewertungen als Vorbereitung oder eine gute Nachdokumentation, die den Status der Beziehungsarbeit stets für alle Beteiligten im Krankenhaus transparent macht, ist die erfolgreiche Gestaltung des persönlichen Einweiserbesuchs keine Rocket Science (vgl. Raab et al. 2017). Zusammen mit den Ergebnissen der Einweiserbefragungen konnten auf Grundlage der Erkenntnisse aus den in den untersuchten Fachabteilungen eingeleiteten Chefarztbesuchen erste konkrete Maßnahmen für alle (!) Potenzialeinweiser der untersuchten ­Fachabteilungen abgeleitet werden. Beispielhaft sollen nachfolgend die erfolgreichsten operativen Maßnahmen aus unterschiedlichen Themenclustern vorgestellt und eingeordnet werden: Im Themenbereich „Fortbildung“ waren sich die besuchten Ärzte weitgehend darüber einig, dass es bereits viele gute Angebote durch die untersuchte Klinik geben würde, die auch genutzt werden: „Ich besuche regelmäßig die angebotenen Fortbildungen. Das sind wirklich sehr gute Veranstaltungen.“ Allerdings richtete sich der Wunsch nicht nach weiteren „Grundlagenfortbildungen“, sondern spezifischen Angeboten (Beispiel „diabetesgeeignete Klinik“). Als möglicher Ansatzpunkt für die Klinik wurden in diesem Zusammenhang zusätzlich vertragliche Kooperationsmöglichkeiten im Rahmen von Zertifizierungen für den niedergelassenen Arzt bei der integrativen Diabetesbehandlung diskutiert und darüber hinaus eine priorisierte Planung über die regelmäßige Teilnahme eines leitenden Arztes aus der relevanten Fachabteilung an jeder wichtigen Ärztenetzveranstaltung als Repräsentant des Krankenhauses (Ärztenetze, Qualitätszirkel, Fachnetzwerke) eingeleitet. Eine Prüfung der geeigneten Veranstaltungen und die Sicherstellung einer entsprechenden Anwesenheit eines kompetenten Vertreters der Fachabteilung wurde von der größten untersuchten Fachabteilung umgehend mit der Delegation der Aufgabe auf einen Oberarzt in die Wege geleitet. Wie wichtig gerade der letztgenannte Aspekt zum Aufbau einer Beziehung zwischen Klinikarzt und Niedergelassenen ist, konnte gerade in der vorgenannten Studie aus Frankreich (vgl. Ferrua et al. 2016) nachgewiesen werden. Im Themencluster „Kommunikation“ war das Krankenhaus bei den Besuchen der Potenzialeinweiser besonders häufig mit der Nachfrage nach einem schnellen und zuverlässigen Arztzugang in der Fachabteilung des Krankenhauses konfrontiert, was das nachfolgende Meinungsbild gut unterstreichen konnte: „Bei Unklarheiten z. B. zur Diagnose oder dem weiteren Vorgehen will ich sofort den telefonischen Kontakt zu einem Entscheider, um das weitere Vorgehen zu besprechen.“ Die im Klinikverbund beschlossene flächendeckende

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Einrichtung einer für Potenzial- und Schlüsseleinweiser exklusiven Arzt-zu-Arzt-­Hotline ermöglicht es den niedergelassenen Ärzten heute garantiert, Anfragen entweder direkt beim zuständigen Klinikarzt zu platzieren oder darüber hinaus eine Rückrufgarantie durch den Chefarzt/zuständigen Oberarzt zu erhalten. Die „exklusiven“ Telefonnummern für alle Fachabteilungen wurden konsolidiert und ansprechend im handlichen DIN-A5-­Format auf strapazierfähigem Papier gedruckt und mit Aufstellern persönlich an die ausgewählten Ärzte im Rahmen der Besuche übergeben. Unterstützt wurde dieses Angebot durch die Maßnahme des Krankenhauses, neue visuell und haptisch hochwertige Kontaktkarten mit regulären Kontaktnummern aller Fachbereiche des Klinikverbunds an die Arzthelferinnen aller niedergelassenen Haus- und Fachärzte auszugeben, um die Kontaktmöglichkeit generell zu erleichtern. Auch diese Maßnahme wurde insbesondere von den Arzthelferinnen vor Ort teilweise mit Begeisterung registriert – einfach, aber mit hohem Wirkungsgrad. In Bezug auf „Prozesse und Organisation“ waren für das Krankenhaus die kritischen Anmerkungen der besuchten Potenzialeinweiser zu Defiziten in Bezug auf die ­Informationsweitergabe im Rahmen des Entlassmanagements, insbesondere bei der Übermittlungsart/-geschwindigkeit, Qualität und Inhalten des Arztbriefs, auffällig: Stimmen wie: „Dem Arztbrief hinterher zu rennen, macht wahnsinnig viel Arbeit. Der Vordiagnostiker muss die Information nachrichtlich unbedingt auch bekommen“, oder: „Auf jeden Fall muss ich eine Empfehlung für eine fachärztliche Weiterbehandlung und eine Medikationsänderung erhalten bzw. den Hinweis, dass an der Medikation nichts geändert wurde“, belegen den vorgenannten Sachverhalt. Die niedergelassenen befragten Ärzte waren zudem in der Lage und willens, konkrete Verbesserungsvorschläge in Bezug auf die erwähnten Defizite des Arztbriefs zu geben: „Der Kurzentlassbrief ist immer noch zu ausführlich – bitte kompakter gestalten“ oder: „Der Arztbrief sollte optimalerweise inhaltlich einfach auf dem Kurzentlassbrief aufbauen; es sollte sofort zu erkennen sein, was neu hinzugekommen ist; dann muss ich nicht immer alles doppelt lesen.“ Das sensible Thema „Arztbrief“ erfuhr aufgrund der markanten Auffälligkeiten eine schnelle Maßnahmeneinleitung durch das Krankenhaus, indem  – auch durch Aufnahme von Positiverfahrungen und Pilotprojekten aus anderen Fachabteilungen – zeitnah folgende Maßnahmen umgesetzt wurden: Neben der Synchronisation der Inhalte von Kurzarztbrief, welcher wirklich ein Kurzarztbrief sein sollte, und finalem Arztbrief (Kenntlichmachung der Änderungen) und der damit einhergehenden Qualitätsverbesserung wurde besonderer Wert auf die schnellere Übermittlung gelegt. Hier sind insbesondere die Sicherstellung der Faxübermittlung des Kurzarztbriefs bei Entlassung durch Prüfung der Möglichkeit einer automatischen Übermittlung an den Hausarzt, Facharzt, Einweiser, beispielsweise durch die Einrichtung von Kurzwahlnummern, und der unaufgeforderte Nachversand der Histologie innerhalb eines bestimmten Zeitraums herauszustellen. Hinsichtlich des Problems der Einweiser in Bezug auf die Entlassmedikation (z. B. genaue Anweisung über Dauer der Medikamentengabe) wurden zeitnah konkrete und frühzeitige Möglichkeiten der Einbindung des Einweisers bei Therapieveränderung bzw. Medikamentenumstellung geprüft, beispielsweise eine Bewertung der Möglichkeiten für eine bedarfsorientierte Formulierung der

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„Entlassmedikation“ durch den Niedergelassenen. Besonders häufig wurde durch die besuchten Einweiser auch das Problem des Entlassungszeitpunkts der eigenen Patienten kurz vor dem Wochenende und den damit oftmals einhergehenden Folgen für den Niedergelassenen aufgezeigt. Mehrere Einweiser gaben folgende Hinweise: „Das Staging sollte so ausgerichtet sein, dass eine Nachsorge durch mich problemlos möglich ist, und dazu sollte man eben kommunizieren.“ Bedingt durch die Öffnungszeiten vieler Praxen und auch Apotheken (nicht nur in ausgesprochen ländlichen Gegenden), baten die Niedergelassenen häufig um Unterstützung bei der Integration der Aufgaben in ihren Alltag: „Bitte keine Entlassung am Mittwoch oder Freitag um die Mittagszeit, ohne bereits am Morgen informiert worden zu sein, da Organisatorisches mit Familie, Angehörigen, zudem teilweise bzgl. Medikation zu klären ist.“ Die beiden vorgenannten kritischen Meinungsbilder spiegeln sehr deutlich auch die Angst des Niedergelassenen wider, dass seine Patienten in einer stationären Blackbox verschwinden, Rückmeldungen durch das Krankenhaus während der stationären Behandlung des P ­ atienten zumeist ausbleiben und er dann bei der „Rückkehr“ seines Patienten gerade bei einer späten Entlassung am Mittwoch oder Freitag weniger weiß als der Patient selbst oder dessen Angehörige. Das Krankenhaus reagierte gerade für die beiden größten untersuchten Fachabteilungen und führte konkrete Maßnahmen zur Gewährleistung und Optimierung der Zusammenarbeit zwischen der Leitung der Aufnahme und dem Case Management zeitnah in die Umsetzung. Insbesondere wurde dabei als besondere Sicherstellungsfunktion im Verantwortungsbereich von Aufnahme und Case Management fixiert, dass bereits bei der Aufnahme der Arztbrief angelegt und beim Entlassungszeitpunkt die Beigabe von Medikamenten zur Überbrückung für bis zu drei Tage bzw. die Aushändigung von entsprechenden gesetzlich erlaubten Rezepten garantiert wird. Das Case Management wurde zudem sensibilisiert, einen möglichst frühen Entlassungszeitpunkt am Freitag mit sicherzustellen. Es bleibt abschließend festzuhalten, dass die durch den Krankenhausverbund eingeleiteten vorgenannten beispielhaften Maßnahmen insbesondere auf der im persönlichen Einweiserbesuch eruierten detaillierten Bedürfnislage der Einweiser mit Potenzial fußen. Wie auch in diesem Projekt lässt sich jedoch darüber hinaus gleichzeitig ein positiver Effekt auf die gesamte Einweiserbasis feststellen, weil der generellen Bedürfnislage der niedergelassenen Ärzte, wie in der quantitativen Einweiserbefragung vielfach konstatiert, Rechnung getragen wurde.

15.4 Patientenbeziehungsmanagement Patienten definieren sich heute anders als noch vor ein paar Jahren. Sie engagieren sich im Allgemeinen intensiver und teilweise auch gerne für die erwartete Genesung. Diese Tatsache kann von Gesundheitsdienstleistern als Chance gesehen werden, die Adhärenz, d. h. die aktive Mitwirkung im Heilungsprozess, zu steigern. Durch ein wertschätzendes Patientenbeziehungsmanagement auf Augenhöhe betreiben Kliniken das bestmögliche Pull-Marketing und können durch diesen Hebel Patientenströme zu ihren Gunsten lenken.

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15.4.1 Wie verändert sich die Rolle des Patienten? Die Interaktionsbeziehungen zwischen Arzt und Patient befinden sich im Wandel. Sie bewegen sich weg vom traditionellen, überwiegend paternalistisch bestimmten Rollenverständnis hin zu partnerschaftlichen Kooperationsbeziehungen. Hauptantriebskräfte hierfür sind ökonomische und demografische Entwicklungen, die einen enormen Reformdruck auf das Gesundheitswesen ausüben. Aber auch technologische Errungenschaften begünstigen den Wandel. Durch das Internet und die sozialen Medien besitzen Patienten einen leichteren Zugang zu medizinischen Informationen, wodurch sie mehr Gestaltungsmacht erlangen. Sie werden zunehmend befähigt und ermutigt, aktiv und selbstbestimmt an medizinischen Entscheidungen zu partizipieren. Die veränderte Rolle des Patienten folgt dem Ansatz der Service-Dominant Logic (SDL). Die Begründer Vargo und Lusch (2004) postulieren darin einen Paradigmenwechsel von einer güterzentrierten zu einer servicezentrierten Sichtweise. Übertragen auf das Gesundheitswesen ist die zugrunde liegende Idee, dass Service (ohne „s“), also der Prozess, in dem etwas Nutzenbringendes für jemand anderen oder mit jemand anderem geschaffen wird, die grundlegende Form aller Wertschöpfung mit und für einen Patienten darstellt und als die Anwendung von Kompetenzen und Fähigkeiten zur Erbringung einer Leistung verstanden wird (vgl. Vargo und Lusch 2008). Der Wert einer Leistung wird in einem Netzwerk bestehend aus verschiedenen Akteuren einschließlich des Patienten erstellt, indem alle Partner einen Beitrag zur Wertgenerierung leisten. Der Gesundheitsanbieter kann demnach lediglich einen Wertvorschlag, im Sinne eines Angebots, liefern. Erst durch die Integration eigener und fremder Ressourcen schafft der Patient selbst den Wert für sich. Dabei spricht die Theorie der Service-Dominant Logic von Value Co-Creation (vgl. Vargo und Akaka 2009). Die Wertentfaltung bestimmt sich immer individuell und kontextspezifisch aufseiten des Patienten (vgl. Vargo 2008), je nachdem wie stark sich der Patient selbst einbringt, welche Anstrengungen er unternimmt und mit wem er sich austauscht. Abb. 15.5 zeigt, wie der Patient durch Interaktion mit verschiedenen Akteuren seine Adhärenz verbessern und zu einem aktiven Gesundheitsmanagement aktiviert werden kann, um sich dann darüber hinaus proaktiv, präventiv und ganzheitlich für seine zukünftige Gesundheit zu engagieren und somit einen positiven Einfluss auf die medizinische Qualität nehmen zu können. Gesundheit ist das Resultat des Engagements vieler Akteure einschließlich des Patienten. Graffigna et  al. (2015) definieren Patient Engagement als „the cognitive, emotional and conative enactment of individuals toward their health management“. Nach dieser Definition ist Patient Engagement ein multidimensionales Kon­ strukt. Es kombiniert die Aktivierung des Patienten mit Interventionen, die auf Steigerung der Aktivierung und auf das daraus resultierende Verhalten der Patienten, wie z.  B.  ­Präventionsvorsorge oder regelmäßige körperliche Bewegung, abzielen (vgl. Hibbard und Greene 2013). Patient Engagement ist eine Strategie, um das Triple Aim – verbesserte Gesundheitsergebnisse, bessere Patientenversorgung und geringere Kosten – zu erreichen (vgl. James 2013).

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Abb. 15.5  Value Co-Creation. (Quelle: eigene Darstellung 2018, in Anlehnung an Leclercq et al. 2016)

Da Patient Activation als notwendiger Bestandteil von Patient Engagement angesehen wird, werden die beiden Begriffe oft synonym verwendet. Hibbard et al. (2004) definieren Patient Activation folgendermaßen: „… those who are activated … know how to manage their condition and maintain functioning and prevent health declines; and they have the skills and behavioral repertoire to manage their condition, collaborate with their health providers, maintain their health functioning, and access appropriate and high-quality care.“ Patienten, die aktiviert sind, wissen, wie sie ihren Gesundheitszustand managen können. Sie verfügen über ausreichend Fähigkeiten, um mit ihrem Arzt zusammenzuarbeiten und Zugang zu qualitativ hochwertiger Versorgung und Informationen zu erhalten. Im Gegensatz zu Patient Engagement umfasst Patient Activation allerdings keine Bereiche, die nicht ausdrücklich mit der Gesundheitsversorgung in Verbindung stehen. Hierzu gehören beispielsweise die soziale Situation des Patienten sowie kulturelle, religiöse und ureigene Überzeugungen. Dementsprechend werden Interaktionen mit anderen Personen wie mit Familie, Freunden und Bekannten nicht in die Bewertung des Grades von Patient Activation miteinbezogen, sehr wohl aber innerhalb des Konstruktes „Patient Engagement“. Adhärenz kann als eine Verhaltensdimension von Patient Activation und Patient Engagement angesehen werden. Die WHO (2003) definiert Adhärenz als „… the extent to which a person’s behavior – taking medication, following a diet, and/or executing lifestyle changes, corresponds with agreed recommendations from a health care provider.“ Der Begriff Adhärenz laut Chesney et al. (2000) berücksichtigt zusätzlich die Verantwortung des Arztes für den Aufbau einer guten Arzt-Patienten-Beziehung und die Beteiligung des Patienten an der therapeutischen Entscheidungsfindung. Während in dem oft synonym verwendeten Begriff „Compliance“ der Schwerpunkt einseitig auf der medizinischen Seite liegt, wird bei dem Begriff Adhärenz die ethische Bedeutung des freien Willens und der Eigenverantwortlichkeit des Patienten hervorgehoben (vgl. Schönborn 2009). Zusammenfassend ist das Konstrukt des Patient Engagement im Rahmen der Service-­ Dominant Logic folgendermaßen zu interpretieren: Wenn sich der Patient beispielsweise

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mit seinem Arzt und/oder anderen Patienten, Gleichgesinnten, Familie über Gesundheitsbelange austauscht, ist er eher geneigt, sein Verhalten in Bezug auf seine Erkrankungssymptome entsprechend anzupassen. Er erlangt Wissen und u. U. emotionalen Zuspruch, welche ihn dazu befähigen, mit seiner Krankheit besser umzugehen, wodurch sich sein Gesundheitszustand nachweisbar verbessert und die Lebensqualität steigt.

15.4.2 Was bedeutet patientenorientiertes Dienstleistungsmanagement? Für einen wie in Abschn. 15.2 beschriebenen Austausch zwischen dem Patienten und seinem behandelnden Arzt oder dem potenziellen stationären Leistungserbringer ist es notwendig, miteinander in Kontakt zu treten. Gerade Letzterer hat ein berechtigtes Interesse im härter werdenden Wettbewerb, seine (zukünftigen) Patienten bedarfsorientiert und individuell zu beraten und gegebenenfalls zu behandeln. In Zeiten von Social Media und flächendeckendem Internet sind diese zunehmend bereits vor dem stationären Aufenthalt aus Bewertungsportalen der Kostenträger (z.  B.  AOK-Krankenhausnavigator, Weiße Liste, Barmer Krankenhausnavi, TK Klinikführer) oder Patientenbewertungsplattformen (z.  B. klinikbewertungen.de, krankenhausbewertung.de) über einzelne Qualitätsparameter des Krankenhauses sowie über Stärken und Schwächen gut informiert. Sie machen sich selbst ein möglichst umfassendes Bild, bevor sie ihre Entscheidung für gerade diesen stationären Dienstleister treffen – entsprechend hoch sind hier oft die Erwartungen (siehe Abschn. 15.4.1 zur veränderten Rolle des Patienten). Das Krankenhaus steht nun vor der großen Herausforderung, die subjektiven Bedürfnisse des Patienten mit den vorhandenen medizinischen wie auch pflegerischen Ressourcen weitgehend zu befriedigen (siehe Abschn. 15.2). Dies ist insbesondere aus zwei Gründen schwierig: 1. Der stationäre Dienstleister muss sich an allen kundenseitigen Schnittstellen als Dienstleister verstehen und den Dienstleistungsgedanken leben. Dazu gehören die Bereitschaft und Offenheit, zu erfahren und permanent zu erfragen, was der Patient erwartet. 2. Patientenzufriedenheit reicht heute oft nicht mehr aus, um im Wettbewerb langfristig bestehen zu können. Der Patient muss regelrecht überzeugt sein vom Angebot bzw. Service oder Wertvorschlag der Klinik und aktiviert werden, sich mit zu engagieren (siehe Abschn.  15.4.1 zur veränderten Rolle des Patienten): Dazu gehört Überzeugungs-, aber auch Motivationsarbeit, den Patienten immer wieder zum eigenverantwortlichen Handeln in Bezug auf seine Gesundheit zu bewegen, ihn geradezu für sein Thema und den gemeinsamen Fortschritt in Bezug auf seine Gesundheit (also die gemeinsame „Wertkreation“) zu gewinnen, ja regelrecht zu begeistern. Nur dadurch kann der Patient wirklich an das Haus gebunden bzw. im besten Fall sogar als Markenbotschafter gewonnen werden (siehe Abschn. 15.2.2 und 15.2.3 zur Patientenbegeisterung).

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15.4.3 Wie sehen die Erfolgsfaktoren für eine professionelle Patientenkommunikation aus? Das wertschätzende Gespräch auf Augenhöhe zwischen Arzt und Patient ist die Basis einer guten Therapie. Die Arzt-Patienten-Beziehung hat einen Einfluss auf den ­Therapieverlauf, den langfristigen Gesundheitszustand und die Lebensqualität (vgl. Ball et al. 2015; vgl. Brenk-Franz et al. 2016; vgl. Stahl und Nadj-Kittler 2015). Umso wichtiger ist es, einen entsprechenden Fokus darauf zu richten. Gleichzeitig existiert gerade durch die immer „umtriebigere“ Digitalisierung eine Informationsflut, die sich der Patient zunutze machen kann und welche das Bedürfnis nach Information noch steigert. In der Praxis ist die Umsetzung komplex und bedeutet, dass Ärzte auch Kommunikationsexperten in jeder Beziehung werden müssen, insbesondere um mit den bereits vor-, oft teil- oder falsch informierten Gesprächspartnern professionell und fürsorglich umgehen zu können. Daneben ist der notwendige Zeitaufwand nicht zu unterschätzen, worauf im heutigen Krankenhausalltag zu wenig Priorität gesetzt wird. Für den Patienten ist das kostbarste Gut die Zeit, die der Arzt ihm schenkt, wenn er mit ihm redet und zuhört. Nach wie vor unterbrechen Ärzte den Redefluss ihres Patienten meist nach weniger als einer Minute und verpassen dadurch manchmal wichtige Informationen über dessen Zustand und Leidensdruck. Manche Patienten wiederum verstehen nicht, was Ärzte ihnen mitteilen wollen, da die Fülle der Informationen und die Wortwahl dies verhindern. Im Schnitt gibt ein Arzt einem Patienten in einem durchschnittlich 5 bis 7 Minuten langen Gespräch 18 bis 28 Informationen, Botschaften, Anregungen, Vorschläge und/oder Anordnungen – davon merken kann sich der Patient allerdings lediglich 3 bis 5 Sachverhalte (vgl. Szeliga 2016)! Selbst wenn Ärzte nicht oder zu wenig mit den Patienten reden, weil sie keine Zeit haben, geben sie nonverbal die Botschaft: „Wir wollen oder können nicht kommunizieren!“ Menschen kommunizieren jedoch immer und überall, oft ohne Worte – oder nach Paul Watzlawick: „Man kann nicht nicht kommunizieren“ (vgl. Watzlawick et al. 2017). Jede Kommunikation – und dazu gehört auch die ohne Worte – ist Verhalten und genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man nicht nicht kommunizieren! Zusätzlich ist zu beachten, dass auch Mediziner gleichzeitig mit vier „Zungen“ sprechen und Patienten mit vier mal zwei Ohren hören. Jede Botschaft ist demnach je nach Sender und Empfänger neben der Sachebene (Fakten) in drei weitere Bedeutungs- und Verständnisebenen einteilbar: • Selbstbekundung (Wer ist der Sender bzw. welche Rolle nimmt er - in den Augen des Empfängers - ein?), • Beziehung (Welche Beziehung wird angestrebt und wie stehen Sender und Empfänger zueinander?), • Appell (Welche Aufforderung gibt der Sender und wie wird diese vom Empfänger interpretiert?).

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Das Modell veranschaulicht dabei, dass sowohl Sender als auch Empfänger für die Qualität der Kommunikation verantwortlich sind, wobei die unmissverständliche Kommunikation den Idealfall darstellt und nicht die Regel (vgl. Szeliga 2016). Auf den Punkt gebracht: Wenn ein Arzt oder eine Pflegekraft nicht kommuniziert, bedeutet dies für den Patienten, dass die Person nicht kommunizieren will oder kann, damit aber auch die Prozesse nicht transparent machen will bzw. kann. Kommuniziert der ­Sender unachtsam und ist sich der möglichen Missverständigung nicht bewusst, wird der Patient nicht erreicht und die Inhalte werden nicht adäquat transportiert. In der Konsequenz muss der Klinikverantwortliche damit rechnen, dass sich der Patient alleingelassen fühlt und die medizinische Empfehlung, d.  h. den Wertvorschlag in der Sprache der Service-Dominat Logic gesprochen, nicht annimmt oder sich sogar der ganzen Behandlung verweigert, also das Gegenteil von positivem Patient Engagement eintritt (siehe hierzu auch Abschn. 15.4.1 zur veränderten Rolle des Patienten). Je transparenter, offener und vor allem bewusster, trotzdem ehrlich und authentisch jemand kommuniziert, desto weniger kommt es zu Missverständnissen, Unklarheiten oder gar Konflikten. Einschränkend muss noch erwähnt werden, dass die Zielsetzung des Patientengesprächs ist, den Patienten optimal zu betreuen, nicht sich juristisch abzusichern. Der Arzt hat in der Regel aber die Intention und die vom Management vorgegebene Aufgabe, den Patienten möglichst sachlich und rechtlich unangreifbar zu informieren: Dazu sammelt er in der Regel nur die notwendigen medizinischen Daten über den Patienten und vermittelt ihm entsprechend wichtige sachbezogene Informationen. Der Patient jedoch möchte vom Arzt verstanden und verständlich informiert werden, ohne verwirrt oder gar verängstigt zu werden, vielmehr: Er möchte sich „gut aufgehoben“ fühlen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Patient aufgrund eines natürlichen „Trancezustands“ in der Ausnahmesituation im Krankenhaus in der Regel nicht 100 % aufnahmefähig ist. In einem solchen Trancezustand wendet sich die Aufmerksamkeit des Patienten nach innen, die Gedanken schweifen ab und Emotionen werden intensiver. Dieser besondere Bewusstseinszustand ist geprägt durch ein mehr bildhaftes und weniger rationales Verständnis. Der Patient befindet sich allerdings keineswegs in einer Art Dämmerzustand, wie dies der Begriff suggerieren könnte, sondern er nimmt seine Umgebung sehr konzentriert wahr – besonders alles, was für ihn persönlich Bedeutung hat oder haben könnte. Dazu kommt, dass er das Gesagte mehr als sonst auf sich bezieht. Befindet sich der Patient also in einem Trancezustand, erfordert dies eine besondere Form der Kommunikation: Man kann dies aber auch als Möglichkeit einer besonderen Patientenkommunikation sehen (vgl. Hansen und Bejenke 2010). Nach wie vor wird das Thema Arzt-Patienten-Kommunikation zu klein geschrieben. Gerne fokussiert man sich, wenn überhaupt, auf unterstützende Konzepte für Gespräche im Rahmen des Überbringens schlechter Nachrichten. Für onkologische Patienten wird

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gerne das SPIKES-Modell (SPIKES = Setting up the Interview, Assessing the Patient’s Perception, Obtaining the Patient’s Invitation, Giving Knowledge and Information to the Patient, Addressing the Patient’s Emotions with Empathic, Strategy and Summary; vgl. Baile et al. 2000) verwendet. In sechs Schritten soll der Arzt damit ein Werkzeug erhalten, strukturiert und in Abhängigkeit von den Patientenbedürfnissen die Nachricht zu überbringen, sich als Kooperationspartner zu präsentieren und einen Behandlungsplan zu kommunizieren (vgl. Keller 2014; vgl. Baile et al. 2000). Allerdings ist eine positive und erfolgreiche Patientenkommunikation nicht nur in sehr schwierigen Situationen und in rechtlich relevanten Aufklärungsgesprächen notwendig, sondern vor allem in der alltäglichen Arzt-Patienten-Kommunikation. In Abb. 15.6 sind sieben Erfolgsfaktoren einer professionellen und erfolgreichen Patientenkommunikation abgebildet, die im Folgenden erklärt werden. 1. Empathie: Für Patienten ist es wichtig, sich vom Arzt als Person wahrgenommen zu fühlen. Ein Arzt kann nicht wissen, was einem Patienten durch den Kopf geht – er kann aber versuchen, dies gemeinsam mit seinem Patienten herauszufinden. Basis hierfür

Voraussetzung: Empathie Wissen über individuelle Patientensituation

Körpersprache

Positive Wortwahl

Patientenkommunikation

Ehrlichkeit

Adäquate Vermittlung medizinischer Sachverhalte

Verständnis & Mitgefühl

Abb. 15.6  Erfolgsfaktoren in der Arzt-Patienten-Kommunikation. (Quelle: eigene Darstellung 2017)

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wäre ein engagiertes Interesse am persönlichen Erleben eines anderen Menschen. So bekommt der Patient vermittelt, dass er ernst genommen wird. Dies wird am besten erreicht durch das Führen eines Dialogs mit ausgewogenen Gesprächszeiten, Rückversicherungen, ob der Patient verstanden hat, was gesagt wurde, und „sanften“ Aufforderungen, dass er keine Scheu haben muss, Fragen zu stellen (vgl. Keller 2014; vgl. Seemann et al. 2015). 2. Wissen über die individuelle Patientensituation: Jeder Patient hat eine andere Geschichte, andere Bedürfnisse und eine andere Belastbarkeit. Es ist wichtig, die unterschiedlichen Erfahrungen des Patienten zu berücksichtigen und gegebenenfalls falsche Vorabinformationen, die der Patient kommuniziert, zu berichtigen. Über Zuhören und Fragen erschließt sich die individuelle Situation des Patienten. Je besser ein Arzt die Bedürfnisse seines Patienten kennt, umso besser kann er diese auch berücksichtigen (vgl. Brenk-Franz et al. 2016). 3. Adäquate Vermittlung medizinischer Sachverhalte: Wichtig ist es, den Ablauf der Behandlung möglichst neutral darzustellen, weil damit häufig bereits falsche Vorstellungen ausgeräumt werden können. Auch ist es sinnvoll, Risiken nicht nur aufzuzählen, sondern sie in Bezug zum Nutzen zu setzen und dem Patienten zu schildern, wie ein größtmögliches Maß an Sicherheit gewährleistet wird. Die sicherheitsbetonte Aufklärung ist der risikobetonten vorzuziehen. Dabei geht es nicht darum, Dinge zu verharmlosen oder zu beschönigen, sondern für den Patienten verständlich zu machen. Auch ein vermehrter Gebrauch medizinischen Fachvokabulars („Fachjargon“) ist oft nicht das Richtige für ein adäquates Verständnis beim Patienten. Das Transportieren plakativer Bilder könnte sich für die Erklärung anbieten: Bilder und Metaphern im Kopf können schneller als Gesprochenes neues Verständnis, Veränderungsprozesse auslösen (vgl. Kaltwasser 2012; vgl. Seemann et  al. 2015; vgl. ­Szeliga 2016). 4. Verständnis und Mitgefühl: Die Herausforderung im Umgang mit Patienten besteht darin, weniger ein Gespräch von Arzt zu Patient, sondern ein Gespräch von Mensch zu Mensch zu führen und das Mitgefühl auszudrücken. Eine mit den Worten „ich verstehe Sie“ eingeleitete Patientenansprache beruhigt das Gegenüber zunächst einmal und stimmt es auf ein verständnisvolles Gespräch ein. Patienten sind es zudem gewohnt, zu hören, was sie besser machen sollen und was im Allgemeinen weniger optimal an ihrem Krankheitsbild ist (z. B. schlechte Laborparameter, Übergewicht). Viel zu selten hören sie, was sie schon gut gemacht haben oder wo man erste Schritte einer Verbesserung sieht  – und wenn sie es doch hören, dann meistens in einem Nebensatz. Ernst gemeintes Lob kann ein Verständnis für den Patienten unterstreichen (vgl. Rexrodt von Fircks 2012; vgl. Szeliga 2016).

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5. Ehrlichkeit: Ehrlichkeit ist ein wichtiger Schritt, das Vertrauen des Patienten zu gewinnen. Eine Vertrauensbeziehung entsteht nicht von heute auf morgen, sie muss aufgebaut werden und ist das Resultat eines kontinuierlichen Kommunikationsprozesses. Unwahrheiten, Fehlinformationen, Versprechungen, die nicht haltbar sind, Verharmlosung von Nebenwirkungen, Verneinungen oder Verkleinerungen sind nicht geeignet, eine Vertrauensbasis zu schaffen (z. B. „das tut gar nicht weh“ oder „das ist gleich vorbei“). 6. Positive Wortwahl: Viele Mediziner kommunizieren auf Basis von Negativsuggestionen, z. B.: „Ich hole noch schnell etwas aus dem Giftschrank, dann kann es losgehen!“ Die Herausforderung im Umgang mit Patienten besteht darin, die negativen Gefühle umzulenken. Am besten gelingt dies über eine bildhafte Sprache passend zur Welt des Patienten (siehe Punkt 2 „Wissen über die individuelle Patientensituation“). Adäquate Schlüsselbilder lösen Emotionen aus, welche den gemeinsamen Lern- und Heilungsprozess positiv unterstützen (z. B. „denken Sie an Ihren letzten schönen Urlaub“; vgl. Hansen und Bejenke 2010; vgl. Seemann et al. 2015). 7. Körpersprache: Die Körperkommunikation sollte „fürsorgliche“ Signale aussenden und Ruhe beziehungsweise Zugewandtheit vermitteln. Wahre Wunder können geöffnete Arme, ein fester Stand, eine gerade, aber entspannte Haltung, Blickkontakt sowie ein freundliches Lächeln bewirken, denn ein guter Teil der Kommunikation passiert nonverbal, d.  h. über Gestik und Mimik. Bedient man sich nun positiv konnotierter Symbolik, wie z. B. des Legens eines Arms auf die Schulter eines Patienten, so drückt man damit unter Umständen eine höhere Wertschätzung aus als mit einem gut gemeinten Satz (vgl. Seemann et al. 2015).

15.4.4 Praxisbeispiel: Ein Leitfaden zur persönlichen Patientenkommunikation Im Rahmen von Kommunikationsworkshops für eine positivere Arzt-Patienten-­Kommu­ nikation wurde ein Leitfaden für eine patientenorientierte Kommunikation definiert, mit Ärzten diskutiert und in Simulationsgesprächen angewendet. Im Folgenden ist ein Auszug des Leitfadens in Form von zwei Tabellen abgebildet. Tab. 15.2 gibt einen Überblick über falsches und richtiges Verhalten, welches mit Beispielterminologien bzw. Tipps hinterlegt wurde. Es empfiehlt sich, sich im Vorfeld für immer wieder eintretende Patientensituationen (z. B. lange Wartezeiten) und schwierige Patientenaussagen (z. B. Fragen zum Krankheitsverlauf) eine adäquate Antwort zu überlegen. Tab. 15.3 mit „schwierigen“ und „passenden“ Formulierungen kann unterstützend herangezogen werden.

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Tab. 15.2  „Richtiges“ und „falsches“ Verhalten gegenüber Patienten. (Quellen: Hansen und Bejenke 2010; Langewitz 2015; Seemann et al. 2015) Erfolgsfaktor Empathie

Falsch Unkenntnis über die Ausnahmesituation des Patienten

Wissen über die Selbstdarstellung, individuelle oberflächliches Patientensituation Interesse, spürbarer Zeitmangel

Adäquate Vermittlung medizinischer Sachverhalte

„Technokratische“ Sprache, zu viele Fremdwörter (Fachchinesisch)

Verständnis und Mitgefühl

Belehrungen, lange Monologe

Richtig Zeigen von Respekt für den Krankheitszustand und Erholungsbedarf des Patienten; Aufbau und Aufrechterhalten einer Beziehung/Partnerschaft

Beispielterminologie/Tipp „Ich finde es ganz schön schwierig, diesen Eingriff gut zu erklären. Ich hoffe, dass mir das jetzt gut gelingen wird. Sie würden mir helfen, wenn Sie mir ab und zu mal sagen könnten, was Sie von meinen Erklärungen verstehen konnten. Wenn das dann nicht so ganz stimmt, muss ich versuchen, es besser zu erklären“ (Langewitz 2015) Zuhören und Zeigen von „Was würden Sie jetzt machen, wenn Sie nicht Interesse für das hier wären?“ individuelle Schicksal „Was machen Sie Behutsamer und beruflich?“/„Haben Sie respektvoller Umgang Kinder/Familie? Was mit dem Patienten in machen Sie gerne mit Ihrer seiner Extremsituation Familie?“ Klare Aussagen in „Die Endoskopie ist die deutscher Sprache und innere Ausleuchtung von kurze Sätze Hohlorganen und Körperhöhlen mithilfe eines schlauchförmigen Instruments. Dieses ist vorne mit einer Bildübertragung ausgestattet. Wir wollen uns genau ansehen, was Ihnen da Probleme bereitet“ Übermittlung von „Ich verstehe Sie!“ Verständnis und „Letztes Mal hatten Sie Mitgefühl starke Schmerzen. Bei diesem Eingriff erhalten Sie zusätzlich eine Regionalanästhesie, damit es diesmal für Sie angenehmer ist“ (Seemann et al. 2015) (Fortsetzung)

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Tab. 15.2 (Fortsetzung) Erfolgsfaktor Ehrlichkeit

Falsch Unwahrheiten, Verneinungen, Verkleinerungen, Fehlinformationen, falsche Versprechungen

Richtig Realitätsnahe Aussagen: eine Vertrauensbeziehung beruht auf (gegenseitiger) Ehrlichkeit

Beispielterminologie/Tipp „Die Allgemeinrisiken des Eingriffs bestehen in Nachblutungen, Infektionen, Schwellungen, Verletzung von Gefäßen. Trotz äußerster Sorgfalt lassen sich diese Risiken nicht vollständig ausschließen. Aber hier ist ein ganzes Team an Ärzten und Pflegekräften, das sich während der gesamten Zeit nur um Sie kümmern wird“ Positive Wortwahl Einsatz von Einsatz von „Wo waren Sie in Ihrem Negativsuggestionen Positivsuggestionen, letzten schönen Urlaub?“ Anregung innerer Bilder (Hansen und Bejenke 2010; Seemann et al. 2015) Blickkontakt und z. B. ein freundliches Körpersprache Erwecken des gezielte Mimik und Lächeln, das Legen der Eindrucks einer Gestik Hand auf die Schulter/den „ausweichenden“ Arm des Patienten, lange oder gar dem Arzt Blicke, in die Augen sehen unangenehmen Kommunikation

15.5 Schlussbetrachtung Den Mitarbeitern eines Krankenhauses kommt eine entscheidende Rolle zu: Sie haben die Macht, durch ihre Art und Weise des Umgangs mit den Patienten auch Patientenströme zu lenken. Sind diese nämlich nicht nur zufrieden, sondern begeistert, werden sie ihre positiven Erfahrungen weitergeben. Und genau davon lebt ein Krankenhaus: von Empfehlungen. Der Aufbau einer Beziehung zu Einweisern und Patienten gehört zu den wichtigsten Herausforderungen und Aufgaben der ärztlichen und pflegerischen Praxis. Wie sich ein Patient fühlt, ist nicht nur eine Frage der Diagnose und Prognose. Auch wie Ärzte und Pflegende kommunizieren, hat wesentlichen Einfluss auf sein Erleben und Empfinden. Für sein Vertrauen in die Kompetenz der ihn Behandelnden und ebenso für seine Bereitschaft zur Kooperation (Adhärenz) zählen daher nicht nur deren medizinisch-technische Expertise, sondern auch ihre Fähigkeiten zu empathischer und professioneller Informationsübermittlung. Mit dem Wissen, dass der Patient nach dem stationären Aufenthalt wieder in den ambulanten Bereich entlassen wird und dort nahtlos, kompetent und auf seine individuellen Bedürfnisse abgestimmt weiterbetreut werden soll, stellt sich die vollkommen ­legitime Forderung ein, dass die betreuenden Ärzte über den Gesundheitszustand und die Spezifika des Patienten Bescheid wissen sollten.

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Tab. 15.3  „Schwierige“ und „passende“ Formulierungen für die Patientenkommunikation. (Quellen: Hansen und Bejenke 2010; Hansen und Hansen 2011; Kaltwasser 2012; Keller 2014; Rexrodt von Fircks 2012; Seemann et al. 2015) Diese Worte/Sätze sollten vermieden werden Diese Worte/Sätze können verwendet werden - „Bei 5 von 100 Patienten kommt es zu - „95 von 100 Patienten vertragen die Methode sehr Nebenwirkungen“ (Seemann et al. 2015) gut“ (Seemann et al. 2015) - „Sie müssen mit Nachblutungen, - „Es können Nachblutungen auftreten; dies kann aus Schmerzen, Schwellung rechnen“ folgendem Grund … passieren und ist bei diesem für (Hansen und Bejenke 2010) Sie notwendigen Eingriff nicht immer zu vermeiden. In diesem Fall wenden Sie sich bitte sofort wieder an uns, wir kümmern uns gemeinsam darum. So fit, wie ich Sie im Moment einschätze, werden Sie aber aller Voraussicht nach schnell genesen“ - „Ich bin Ihr Narkosearzt, ich lege Sie - „Ich bin Dr. …, Ihr Anästhesist. Wir sind ein ganzes jetzt schlafen“ (Hansen und Bejenke Team, das sich jetzt um Ihre Sicherheit und Ihr 2010) Wohlbefinden kümmert“ (Hansen und Bejenke 2010) - „Sie bekommen jetzt ein Medikament, das Ihnen - „Sie werden durch das Propofol nun einen erholsamen Schlaf ermöglicht. Manchmal kann einen Venenschmerz spüren. Es wird man es im Arm spüren, das wäre ganz normal, geht gleich ein bisschen brennen“ (Hansen gleich wieder vorbei und sagt Ihnen nur: Jetzt ist es und Bejenke 2010) Zeit für den Liegestuhl“ (Hansen und Bejenke 2010) - „Da werden Sie noch eine ganze Weile - „Sie haben die Behandlung gut überstanden, die daran zu knabbern haben“ (Hansen und Heilung hat bereits begonnen“ Hansen 2011) - „Konzentrieren Sie sich jetzt bitte – das - „Mit jedem tiefen Atemzug können Sie den ist der schlimmste Teil der ganzen Sauerstoff und alles, was Ihnen jetzt guttut, Prozedur“ (Kaltwasser 2012) aufnehmen – und mit jedem Ausatmen können Sie die ganze verbrauchte Luft und alles, was Sie stört und was Sie jetzt nicht brauchen, loswerden“ (Hansen und Bejenke 2010) - „Das sieht ja furchtbar aus, das müssen - „Der Heilungsverlauf sieht den Umständen wir unbedingt fotografieren!“ entsprechend gut aus. Darf ich das fotografieren für meine Studenten?“ - „Wir haben das schon tausendmal - „Wir achten auf Sie, bis Sie die Operation gut gemacht, verlassen Sie sich ganz auf uns“ überstanden haben“ (vgl. Seemann et al. 2015) - „Ist es angenehmer mit dem Arm auf der Seite oder - „So, wir kommen jetzt zur Sache. Sie über dem Bauch? Ich erkläre Ihnen dann in aller müssen sich jetzt bitte so hinlegen, dass Ruhe die nächsten Schritte“ wir gut den Zugang legen können. Sie spüren jetzt nur einen kurzen heftigen Stich“ - „Wenn Ihnen übel ist, können Sie sich ja - „Und wenn die Behandlung vorbei ist, dann können rühren“ (vgl. Seemann et al. 2015) Sie schnell genesen. Falls Sie bis dahin etwas brauchen, melden Sie sich bitte jederzeit“ (Fortsetzung)

15  Strategisches Marketing im Krankenhaus – Mitarbeiter motivieren, …

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Tab. 15.3 (Fortsetzung) Diese Worte/Sätze sollten vermieden werden - „Versuchen Sie, die Medikamente regelmäßig einzunehmen“ (Hansen und Bejenke 2010) - „So schlimm wird es gar nicht, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen“ (Keller 2014) - „Sie bekommen jetzt pures Gift“ (Rexrodt von Fircks 2012)

Diese Worte/Sätze können verwendet werden - „Indem Sie für die Regelmäßigkeit der Medikamenteneinnahme sorgen, können Sie Ihren Teil dazu beitragen, schneller gesund zu werden. Zusammen schaffen wir das“ - „Gemeinsam schaffen wir das, ich bin für Sie und Ihre Fragen jederzeit da“ - „Sie erhalten jetzt hoch wirksame Medikamente“

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15  Strategisches Marketing im Krankenhaus – Mitarbeiter motivieren, …

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Prof. Dr. Andrea E. Raab  lehrt seit 2000 Marketing mit den Schwerpunkten Marktforschung und Dienstleistungsmanagement an der Technischen Hochschule Ingolstadt. Seit 2014 hält Frau Professor Raab eine (Teil-)Forschungsprofessur inne. Vor ihrer Berufung an die Hochschule sammelte sie mehrjährige, intensive Industrieerfahrung und war u. a. in einem international tätigen Beratungsunternehmen beschäftigt. Ihr Fokus liegt insbesondere im Gesundheitswesen, wo sie über umfangreiches Branchenwissen sowie vielfältige nationale und internationale Projekterfahrung verfügt. In einer Vielzahl von Forschungs- und Praxisprojekten (www.professor-raab.com) fokussiert Frau Prof. Raab besonders folgende Bereiche: Marketing von stationären Einrichtungen des Gesundheits­ wesens (insbesondere Einweiserbeziehungsmanagement, Zuweisermarketing, dialogorientierte mediale Patientenkommunikation, Markenbildung); intersektorale Kooperation, medizinische Versorgungszentren, Ärztenetzwerke; Marketingforschung (Patienten-, Einweiserbefragungen, Social-Media-Monitoring). Frau Professor Raab unterrichtet auch in Weiterbildungsstudiengängen wie einem MBA Gesundheits-Management für Ärzte, Chefärzteseminaren und einem Bachelor für Gesundheitsberufe. Ihre Lehrschwerpunkte sind in den Modulen „Dienstleistungsmanagement“,

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A. E. Raab et al.

„Krankenhaus-­Marketing“, „Einweisermanagement“, „Qualitätsmanagement“, „Patientensteuerung und Fallmanagement“ angesiedelt. Sie referiert in zahlreichen Managementseminaren und publiziert regelmäßig die Ergebnisse ihrer Forschungs- und Projektarbeiten. Sie ist unter anderem Gutachterin am Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Bayern (LGL). Prof. Dr. Thomas Doyé  ist seit 17 Jahren als Professor für Human Capital und Organisationsentwicklung an der Hochschule, zehn davon als Vizepräsident, parallel dazu ist er erfolgreich als Berater in verschiedenen HR-Themen tätig. Als Vizepräsident hat er das Institut für Akademische Weiterbildung (IAW) der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI) in den letzten zehn Jahren erfolgreich zu einer der führenden staatlichen Weiterbildungseinrichtungen aufgebaut. Er hat breite Kompetenz in der inhaltlichen Entwicklung und Gestaltung von maßgeschneiderten Studiengängen sowie zielgruppenspezifischen innovativen Lehrformaten. Seine Forschungsfelder sind primär Konzepte und Strukturen der Weiterbildung, HR-Strategie, Change Management, Vergütungssysteme, Bildungsforschung. Davor hat er 16 Jahre Berufserfahrung in verschiedenen HR-Verantwortungen in namhaften Großunternehmen, mehr als die Hälfte davon in OFK-Funktionen. Klaus Legl  ist seit mehr als 20 Jahren als Jurist und Unternehmensberater für namhafte Unternehmensberatungen tätig. Sein Schwerpunkt liegt in den Branchen Gesundheitswesen und der Pharmaindustrie, in denen sich Herr Legl in zahlreichen Beratungsprojekten umfangreiches Branchenwissen erwerben konnte. Seit 2009 arbeitet er zudem als Dozent im MBA-Studiengang „Gesundheits-Management“ an der Technischen Hochschule Ingolstadt. Dabei sind seine Lehrschwerpunkte bei den Themen Lean-Hospital-­Management, Prozessmanagement, Qualitätsmanagement, Fallsteuerung und Risikomanagement angesiedelt. Julia Wolf, MBA,  ursprünglich Sprachwissenschaftlerin, ist seit über zehn Jahren in unterschiedlichen, auch leitenden Positionen im Pharmavertrieb und -marketing tätig. Seit dem 2016 an der Technischen Hochschule Ingolstadt mit Auszeichnung abgeschlossenen MBA-Studium „Gesundheits-Management“ ist Frau Wolf nebenberuflich als Kommunikationsberaterin tätig. Ihre Schwerpunkte liegen im Einweiser- und Patientenbeziehungsmanagement. Zudem leitet Frau Wolf als Key Account Managerin diverse ambulant-stationäre Vernetzungsprojekte im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Pharmaindustrie. Bettina Kriegl  studierte an der Universität Passau Wirtschaftswissenschaften und schloss dort 2012 mit dem Bachelor of Science ab. Ihr Masterstudium in Betriebswirtschaftslehre mit den Vertiefungen Marketing und Dienstleistungsmanagement absolvierte sie an der Universität Bayreuth. Seit 2015 arbeitet Frau Kriegl als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Hochschule Ingolstadt und promoviert in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Marketing & Dienstleistungsmanagement der Universität Bayreuth. Ihr Forschungsinteresse liegt im Bereich Actor Engagement und Value Co-Creation in verschiedenen Dienstleistungskontexten, insbesondere im Gesundheitswesen.

Vertrauen schaffen und Lösungen anbieten Public Affairs in der Gesundheitspolitik zwischen Produktlobbying und Patienteninteressen

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Holger Friedrich und Rieke Schulz

Inhaltsverzeichnis 16.1  Einleitung  16.2  Vertrauen schaffen  16.3  Neue Verfahren schaffen neue Spielregeln  16.4  Die Relevanz von Institutionen und Spielregeln  16.5  Marktzugang und Kostenerstattung strategisch gestalten  16.6  Schlussbetrachtung  Literatur 

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Zusammenfassung

Was haben die beiden Jahre 2005 und 2010 miteinander gemein? Auf den ersten Blick wenig. Dennoch sind beide Jahre Wegmarken in der Regulierung der Krankenbehandlung in Deutschland. Und in beiden Jahren haben Gesetzgeber, Behörden und Öffentlichkeit das Vertrauen verloren, das andere bei der Vermarktung ihrer Produkte und Dienstleistungen dringend brauchen. Durch prägende Ereignisse in diesen Jahren haben sich die gesetzlichen und regulatorischen Voraussetzungen für den Marktzugang und die Kostenerstattung medizinischer Leistungen in Deutschland fundamental geändert. Seither ist nichts mehr, wie es einmal war: Das System des unbeschränkten Marktzugangs und der freien Preise hat der Gesetzgeber schrittweise aufgehoben und gegen ein System des regulierten Marktzugangs und der kollektiven Preisverhandlung eingetauscht. Vor diesem Hintergrund haben sich auch die Voraussetzungen für eine erfolgreiche politische Begleitung der Markteinführung medizinischer Leistungen, also die

H. Friedrich (*) · R. Schulz Pathways Public Health GmbH, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), Consulting im Gesundheitswesen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25479-7_16

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H. Friedrich und R. Schulz

Public-Affairs-Arbeit von Herstellern und Anbietern grundlegend geändert. Wie und warum ist es dazu gekommen? Was bedeutet das für künftige Strategien und Optionen von Public-Affairs-Arbeit im deutschen Gesundheitswesen und was für eine begleitende Beratung bei den Verfahren zum Erhalt von Marktzugang und Kostenerstattung?

16.1 Einleitung 2005 war der Höhepunkt einer möglichen Grippeepidemie, die von manchen Apologeten schon als Pandemie bezeichnet wurde. Ausgelöst wurde sie durch das mutierte Vogelgrippevirus H5N1. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nahm den Wirkstoff Oseltamivir in ihre Liste der essenziellen Arzneimittel auf und empfahl große Mengen von Tamiflu des Schweizer Pharmaunternehmens Roche zu beschaffen, um im Fall einer grassierenden Grippeepidemie einen Großteil der Bevölkerung schützen und behandeln zu können (World Health Organization 2011). Die Unternehmen befeuerten diesen Prozess – einerseits indem sie die Risikoabschätzung unterstützten und andererseits indem sie mithilfe von entsprechenden Wirkungsnachweisen ihrer Präparate das richtige Gegenmittel präsentierten. Beides stärkte das Vertrauen in aktive Maßnahmen zur Krisenbewältigung. Folglich beschafften mehrere Länder, darunter auch Deutschland, große Vorräte an Tamiflu, um der möglichen Epidemie Herr zu werden. Insgesamt orderten die Regierungen der Bundesländer sechs Millionen Tamiflu-Dosen und lagerten sie für den Notfall ein, um die Bevölkerung effektiv schützen zu können. Was letztlich ausblieb, war jedoch nicht nur die Pandemie der Vogelgrippe, sondern auch die versprochene Wirksamkeit der viel gepriesenen Wirkstoffe. Die erhobenen Daten für die Wirksamkeitsnachweise entpuppten sich als deutlich weniger solide als ursprünglich gedacht. Der Staat blieb auf den eingelagerten Arzneimitteldosen und den mit der Beschaffung verbundenen Kosten sitzen (Müller 2017). Spricht man heute politische Entscheider von damals auf notwendige Maßnahmen zum Grippeschutz an, bekommen noch immer einige von ihnen Schaum vor dem Mund. Unabhängig der Kosten erodierte das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Analysen und in Wirkungsnachweise auf Basis von Herstellerangaben und -studien. Es stellte sich heraus, dass viele Studien – nicht nur im Fall von Tamiflu, sondern für viele Produkte – Auftragsarbeiten der Industrie waren. Die Hersteller haben dafür gesorgt, dass negative Studienergebnisse nicht veröffentlicht werden, um ihre Produkte ins rechte Licht zu rücken. Die Pharmaindustrie hat in dieser Zeit sehr viel Vertrauen und Glaubwürdigkeit verspielt. 2010 erging es den Unternehmen der Medizintechnikindustrie ähnlich. Das Jahr 2010 markiert den Höhepunkt des sogenannten PIP-Skandals, in dessen Folge sehr viele Frauen aufgrund geplatzter und undichter Brustimplantate des französischen Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) zu Schaden kamen. Jahre zuvor wurden bereits ernst zu nehmende Komplikationen mit Implantaten von PIP gemeldet, doch erst im April 2010 untersagte die französische Zulassungsbehörde PIP die Vermarktung und den Vertrieb seiner Brustimplantate. Einen Monat später widerrief der TÜV Rheinland PIP die Marktzulassung in Form des CE-Kennzeichens. Der Skandal lag darin, dass PIP billiges und für den Menschen

16  Vertrauen schaffen und Lösungen anbieten

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hochgiftiges Industriesilikon in seinen Implantaten verwendete, die zudem in vielen Fällen undicht waren. Auftretende Zweifel und Komplikationen wurden lange Zeit verschwiegen oder verharmlost (SWR 2017; F.A.Z. 2017). Sicherlich hätten die Sicherheitskontrollen durch den TÜV Rheinland härter und engmaschiger erfolgen müssen. Dennoch haben vor allem Habgier und Leichtsinn seitens des Herstellers zum Schaden der Patientinnen geführt. Kosten für Patienten und das Gesundheitssystem wurden billigend in Kauf genommen, um einseitig Gewinn zu maximieren, was auch in diesem Fall zu einem großen Vertrauensverlust führte. In beiden Fällen wurde Vertrauen leichtfertig verspielt. Zudem sind beide Fälle beispielhaft dafür, wie kurzfristiges Agieren und Gewinnstreben eine Gesetzesfolge auslösen können, die alle bis dahin gekannten Marktgegebenheiten auf den Kopf stellt: Im Nachgang der Ereignisse hat der deutsche Gesetzgeber ein hoch reguliertes Regime der Nutzenbewertung von innovativen Arzneimitteln sowie der Bewertung von Methoden, insbesondere im Bereich hochriskanter Medizinprodukte, eingeführt. Seitdem ist nichts mehr, wie es einmal war, was somit auch die Prämissen für erfolgreiche Public-Affairs-Arbeit komplett neujustiert: An die Stelle des Lobbyings für oder gegen einzelne Produkte, wodurch kurzfristige Gewinnmaximierung und Verhinderungsstrategien dominieren, rücken verstärkt Langfristdenken und die Einbettung der angebotenen medizinischen Leistung in den medizinischen Behandlungspfad von Patienten. Wer nicht zeigen kann, inwiefern die neue medizinische Leistung die aktuelle Versorgung verbessert oder voranbringt, hat es schwer. Das ist deshalb so bemerkenswert, weil damit eine völlige Neuausrichtung von Public-­ Affairs-­Arbeit im deutschen Gesundheitswesen verbunden ist: Im ersten Schritt kommt es darauf an, Vertrauen zu schaffen, indem man als Hersteller und Anbieter medizinischer Leistungen glaubwürdig und wahrhaftig innerhalb der gegebenen Strukturen und Prozesse (Institutionen und Verfahren) agiert. Im zweiten Schritt ist zudem die Bereitschaft nötig, aktiv an der kollektiven Problemlösung mitzuwirken, also nachweislich einen Mehrwert für die medizinische Versorgung zu liefern.

16.2 Vertrauen schaffen Obwohl Vertrauen das wichtigste Merkmal funktionierender und wachsender Märkte ist, folgt der Markt für medizinische Leistungen nicht den klassischen Marktgesetzen. Weder gibt es freie Preise, die Nachfrage und Angebot zum Ausgleich bringen, noch ausreichend Transparenz und Information für Verbraucher, um souverän entscheiden zu können. Verbraucher sind hier vor allem Patienten, die sich in die Hände der behandelnden Ärzte begeben und darauf vertrauen, von diesen bestmöglich beraten und behandelt zu werden. Wer seinem Arzt nicht vertraut, wird ihn höchstwahrscheinlich wechseln. Der Behandlungserfolg wiederum basiert mehr auf Erfahrung als auf Erkenntnis, da Medizin als ­ungewisse Wissenschaft gilt und jede Krankheit patientenindividuell verläuft (siehe Mukherjee 2016). Um als Patient auf das Urteilsvermögen erfahrener Ärzte zu bauen, ist wiederum Vertrauen die Grundvoraussetzung. Vertrauen ist demnach ein besonderes Wesensmerkmal der Krankenbehandlung.

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Zugleich ist nirgendwo anders das mit dem Delegationsprinzip von Verantwortung und Entscheidungsbefugnis verbundene Problem der Entscheidungsfindung unter Ungewissheit und Unsicherheit (das sogenannte Prinzipal-Agent Problem) – was letztlich auf Vertrauen basiert – so groß wie im Gesundheitswesen. (Zur Theorie des Prinzipal-Agent-Problems siehe u. a. Kaspar und Streit 1999, S. 65 f. sowie Erlei et al. 1999, S. 65–171.) Schließlich geht es um das individuell und kollektiv wichtigste Gut: die Gesundheit. Nun verhandeln gleich mehrere Parteien darüber, wie dieses Gut unter Einhaltung der Wirtschaftlichkeit am besten zu erhalten und zu verbessern ist, ohne dass man als Patient wirklich mitentscheiden kann. Wer überstimmt schon den behandelnden Arzt bei der Auswahl des infrage kommenden Modells für einen Herzschrittmacher oder des Arzneimittelwirkstoffs, den es in verschiedenen Darreichungsformen gibt? Welcher Patient hinterfragt schon die Erstattungspreise von innovativen Arzneimitteln und Medizinprodukten, wenn er aufgrund des Solidarprinzips der gesetzlichen Krankenversicherung nicht selbst dafür aufkommen muss? Es ist offenkundig: Im Vergleich zu anderen Märkten spielt Vertrauen auf allen Ebenen im Gesundheitssystem eine besondere Rolle. Das macht Gesundheitspolitik wiederum so sensibel, trickreich, komplex und schwierig. Schließlich verfolgt die Gesundheitspolitik vielfältige Ziele: Eine optimale Gesundheitsversorgung soll qualitativ hochwertig sein, gleichzeitig aber auch wirtschaftlich, Patientenrechte und deren Mitsprache stärken, effizient und flächendeckend einheitlich, gerecht und sicher sein. Im Gegensatz zu anderen Märkten sind Innovationen und deren Zugang zum System daher kein Selbstzweck. Schließlich ist ein medizinischer Eingriff zunächst immer eine Körperverletzung, die nur durch ihren Zweck – den Erhalt oder die Verbesserung der Gesundheit – gerechtfertigt ist. Gesundheitspolitik muss also immer im Auge behalten, dass Patienten durch neue, noch nicht ausreichend bekannte Methoden zu Schaden kommen können, weshalb neue medizinische Leistungen immer den Nachweis liefern müssen, sicher zu sein, und erst im zweiten Schritt auch einen Nutzen stiften sollten. Der Gesetzgeber fungiert hier mitsamt allen nachgelagerten Behörden als Schutzpatron der Patienten  – eine Rolle, die er in vielen Punkten stark ausgebaut hat. Vor allem in den letzten Jahren hat der Gesetzgeber sich sehr darum bemüht, kollektives Vertrauen (wieder-)herzustellen und den Marktzugang sowie die Kostenerstattung medizinischer Leistungen im Rahmen klar strukturierter Verfahren kriterienbasiert zu gestalten. Aus den Erfahrungen der Jahre zwischen 2005 und 2010 hat der Gesetzgeber die Entscheidungsfindung rationaler gestaltet, um Schaden für Patienten sowie die öffentliche Hand weitgehend abzuwenden: Auf das mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) im Jahr 2011 komplett neu eingeführte Regime der Nutzenbewertung für innovative Arzneimittel folgte das Regime einer ausdifferenzierten Methodenbewertung und Erprobung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) unter dem maßgeblichen Einsatz eines Medizinproduktes im Rahmen des ­GKV-­Versorgungsstrukturgesetzes (GKV VStG 2012) sowie die Nutzenbewertung hoch riskanter Medizinprodukte im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV VSG 2014) und Hilfsmittel, die als wesentlicher Teil einer NUB angesehen werden können (HHVG 2017). Neben das Ziel, die Sicherheit der Patienten zu gewährleisten, trat dabei angesichts beschränkter Kassenbudgets auch das Bestreben,

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die Preisgestaltung für neue Produkte nicht dem Markt zu überlassen, sondern regulierend (und damit kostensenkend) einzugreifen (Bundesministerium für Gesundheit 2015, 2016, 2017a, b).

16.3 Neue Verfahren schaffen neue Spielregeln Die frühe Nutzenbewertung für Arzneimittel gemäß § 35a SGB V ist klar definiert: Zeitplan, Beteiligte, Ergebnis, Auswirkungen. Alle Arzneimittelhersteller müssen mit ihren Produkten durch die frühe Nutzenbewertung, wenn sie Produkte in den deutschen Markt einführen wollen. Mit der Zulassung beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sind sie verpflichtet, ein Dossier einzureichen, das Auskunft über den Nutzen des Arzneimittels im Vergleich zur Standardtherapie, der sogenannten zweckmäßigen Vergleichstherapie, gibt. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bewertet auf Basis dieses Dossiers innerhalb von drei Monaten aus wissenschaftlicher Sicht, welchen zusätzlichen Nutzen das neue Produkt im Vergleich zur zweckmäßigen Vergleichstherapie hat. Auf Grundlage der IQWiG-Bewertung, einem schriftlichen Stellungnahmeverfahren und einer mündlichen Anhörung ermittelt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) innerhalb von drei Monaten das Ausmaß des Zusatznutzens. Auf Basis dieses Ergebnisses verhandeln die Unternehmen mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Spitzenverband) den Erstattungsbetrag, der ab dem 13. Monat auf dem deutschen Markt von den Krankenkassen für das neue Arzneimittel gezahlt wird. Ist nach sechs Monaten Verhandlung kein Erstattungsbetrag geeinigt, legt die Schiedsstelle innerhalb von drei Monaten einen Erstattungsbetrag fest. Wie hoch dieser Erstattungsbetrag sein darf, wenn das Produkt keinen Zusatznutzen belegen kann, hat der Gesetzgeber ebenfalls klar festgelegt: Der Preis sollte nicht höher sein als der Preis der zweckmäßigen Vergleichstherapie. Dies ist eine völlige Umkehr von Marktzugang und Erstattung zur Zeit vor 2011. Auch die Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gemäß §§  135 und 137c SGB V wird ähnlich regelhaft im Zusammenspiel von IQWiG und G-BA durchgeführt. Bedauerlicherweise kann eine Methodenbewertung nur auf Antrag eines Mitglieds des G-BA eingeleitet werden. Das Ergebnis des IQWiG sowie ein schriftliches Stellungnahmeverfahren und eine mündliche Anhörung bilden die Basis für die Entscheidung des G-BA, ob das Produkt in die Versorgung aufgenommen bzw. von der Versorgung ausgeschlossen wird. Der Preis für Medizinprodukte wird (noch) unabhängig vom Ergebnis der Methodenbewertung vom Hersteller festgelegt. In allen Verfahren gibt es ein Recht auf Stellungnahme und Anhörung. Die Methodenbewertung selbst folgt je nach Sektor der Leistungserbringung den Prinzipien des Verbotsvorbehalts im stationären Bereich (§  137c SGB V) und des Erlaubnisvorbehalts im ambulanten Bereich (§ 135 SGB V). Mit einer Methodenbewertung nach § 137c SGB V beantragen die Beteiligten, ein Produkt zu bewerten, um zu prüfen, ob es aus der Versorgung ausgeschlossen werden soll. Mit einer Methodenbewertung nach § 135 SGB V wird geprüft, ob ein Produkt in die ambulante Versorgung aufgenommen wer-

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den soll. Im Auftrag des G-BA erstellt das IQWiG analog der Arzneimittelnutzenbewertung eine systematische Studien- und Literaturrecherche und trifft da­raufhin eine erste Nutzeneinschätzung. Im Zuge der Erprobung von NUB gemäß § 137e SGB V ermittelt der G-BA zunächst das Potenzial einer notwendigen Behandlungsalternative der beantragten NUB. Liegt dieses, aber noch keine ausreichende Evidenz vor, kann der Antragsteller – in diesem Fall Anbieter und Hersteller einer NUB  – eine Erprobungsstudie zusammen mit dem G-BA durchführen. Ist nicht nur Potenzial, sondern auch ausreichend Evidenz vorhanden, leitet der G-BA das Verfahren einer Methodenbewertung gemäß § 135 SGB V ein, nach dessen positivem Ausgang eine NUB in die Richtlinien zur vertragsärztlichen Versorgung aufgenommen wird. Der Gesetzgeber hat aufgrund der Erfahrung mit schadhaften Methoden auch den bis dato freien Zugang von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) in die stationäre Versorgung eingeschränkt. Mit dem neuen § 137h SGB V stehen NUB, die für die stationäre Versorgung gedacht sind und für die erstmals eine Zusatzvergütung beantragt wird, unter dem Vorbehalt einer Prüfung durch den G-BA.  Nur bei ausreichender Evidenz dürfen sie in die Versorgung, ansonsten müssen NUB gemeinsam mit dem G-BA erprobt werden. Damit hat der Gesetzgeber den Verbotsvorbehalt maßgeblich eingeschränkt. Für Hilfsmittel, die maßgeblicher Bestandteil einer NUB sind, hat der Gesetzgeber 2017 ebenfalls eine weitreichende Änderung vorgenommen. Mit dem novellierten § 139 SGB V stellen Hersteller einen Antrag auf Aufnahme eines Produkts in das Hilfsmittelverzeichnis des GKV-Spitzenverbands, wonach dieser nun legitimiert ist, eine genauere Überprüfung des Hilfsmittels durch den G-BA vornehmen zu lassen. Sofern er der Auffassung ist, dass das Hilfsmittel ein Bestandteil einer NUB ist, wird der Antrag dem G-BA zur Prüfung vorgelegt, ob es sich bei dem beantragten Hilfsmittel tatsächlich um eine NUB handelt. Der G-BA hat dann innerhalb von sechs Monaten zu prüfen, ob das Hilfsmittel eine NUB ist und ob es eine relevante Behandlungsmethode darstellt. Daraufhin entscheidet der GKV-Spitzenverband über die Aufnahme des Produkts in das Hilfsmittelverzeichnis. Die Preise für Hilfsmittel werden im Rahmen von Verträgen zwischen Krankenkassen und Herstellern ausgehandelt. Obwohl vom Gesetzgeber zunächst zur Anpassung der medizinischen Versorgung an den aktuellen Stand der Wissenschaft und damit als Instrument der Qualitätssicherung konzipiert, dienen die Verfahren der Methodenbewertung gemäß §§ 135 ff. SGB V zum Ein- und Ausschluss von Methoden in die Versorgung. Verwunderlich ist, wie gering die Verfahrenskompetenz seitens der Leistungserbringer, Hersteller und Anbieter von ­Methoden ist. Das lässt sich daran ablesen, dass seit der Einführung der weiterführenden Verfahren – was die Erprobung sowohl im ambulanten als auch im stationären Sektor betrifft – diese Verfahren kaum genutzt werden, obwohl zum Teil sogar ein Antragsrecht seitens der Hersteller vorliegt. Erstaunlich ist, dass die geschaffenen Zugangsmöglichkeiten sehr sporadisch und zögerlich genutzt werden, so als ob mit deren Entstehen der Strom an Innovationen versiegt sei. Sicherlich sind die neu geschaffenen Verfahren zu langwierig und kompliziert, was den Innovationszyklen, insbesondere von Medizinprodukten, nicht gerecht wird. Allerdings können die vorhandenen Verfahren für den Marktzugang und die Kostenerstattung nur sinnvoll

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verbessert und weiterentwickelt werden, wenn sie auch genutzt und an der Erfahrung von Anbietern und Herstellern von NUB gespiegelt werden. Hilfreich wäre sicherlich, wenn Methodenbewertungen nach § 135 SGB V nicht nur von Mitgliedern des G-BA, sondern auch von Anbietern oder Herstellern beantragt werden dürften – dies stellt eine längst überfällige Gesetzesreform dar (vgl. Friedrich 2017).

16.4 Die Relevanz von Institutionen und Spielregeln Die neu eingeführten Regime der Nutzenbewertung von Arzneimitteln und NUB zeigen, dass der Gesetzgeber die Institutionen des Gesundheitsmarktes fundamental verändert hat. Damit soll einerseits verlorenes Vertrauen wieder zurückgewonnen werden und zugleich die Entscheidungsfindung für den Marktzugang und die Kostenerstattung, die immer auch eine Entscheidung unter Unsicherheit ist, stärker regelbasiert und damit institutionalisiert erfolgen, um nicht dem Vorwurf ausgesetzt zu sein, willkürlich zu handeln. Mit den neuen Bewertungsregimen sind neue „Spielregeln“ entstanden. Wie wichtig effektive Institutionen für das Herstellen von Vertrauen und das ordnungsgemäße Funktionieren von Märkten sind, hat der US-amerikanische Wirtschaftshistoriker und Nobelpreisträger Douglass North eindrucksvoll beschrieben. Für ihn sind Institutionen die Spielregeln menschlicher Interaktion. Auf den Kontext im Gesundheitswesen angewendet, sind die nach und nach geschaffenen Regime der Nutzen- und Methodenbewertung die Spielregeln des deutschen Gesundheitsmarktes, an die sich alle Marktteilnehmer halten und wonach sie sich ausrichten müssen, wollen sie wirtschaftlich erfolgreich sein und Patienten versorgen (siehe North 1990). Die hier beschriebenen Spielregeln bestimmen darüber, ob es effektiv, effizient und gerecht zugeht, und auch darüber, ob ausreichende Freiräume für Innovationen und Entwicklungen bestehen. Entscheidungen müssen von allen Marktteilnehmern demnach als nachvollziehbar, klar und fair wahrgenommen werden. Ist das nicht der Fall, sollte nicht nur Kritik geübt, sondern es sollten auch Vorschläge unterbreitet werden, wie sie verbessert werden können. Dazu bedarf es jedoch, dass man die Verfahren als Hersteller und Anbieter von Arzneimitteln und Methoden ordnungsgemäß durchläuft, andernfalls kann man nicht glaubwürdig und wahrhaftig auftreten. Vor diesem Hintergrund ist neben dem grundlegenden Verständnis der „Spielregeln“, ihrer Intention und Funktionsweise auch ein Verständnis der beteiligten Akteure, wiederum ihrer Funktionen und Motive entscheidend. Nur so können die Verfahren realistisch und erfolgreich durchlaufen und begleitet werden. Der Gesetzgeber hat nicht nur neue Entscheidungsprozesse eingeführt, die der Bewertung neuer Produkte dienen, er hat für ihre Durchführung auch neue Institutionen geschaffen. Eine dieser Institutionen ist der G-BA, dem in allen Verfahren des Marktzugangs von Innovationen im Gesundheitswesen eine entscheidende Rolle zukommt. Er entscheidet in allen Bereichen über Nutzen und Relevanz von neuen Produkten für die Krankenbehandlung. Die Einrichtung des G-BA und seiner Vorgängerinstitution ist das Ergebnis der steigenden Komplexität des Gesundheitswesens. Bei der Zusammensetzung des G-BA hat der Gesetzgeber Wert darauf gelegt, Interessen auszugleichen. Daher haben

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Kostenträger (vertreten durch den GKV-­Spitzenverband) und Leistungserbringer (vertreten durch die Deutsche Krankenhausgesellschaft, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung) im Plenum des G-BA die gleichen Stimmanteile. Mehrheiten können nur bei gemeinsamer Stimmabgabe von Kostenträgern und Leistungserbringern oder durch einen oder mehrere unparteiische Mitglieder des G-BA erreicht werden (siehe Verfahrensordnung des G-BA 2018). Im wechselseitigen Zusammenspiel aus Verfahren (Institutionen), Akteuren (Entscheider/Beteiligte) und Themen (hier Agenden und Positionen) ergibt sich ein dynamisches Modell der Entscheidungsfindung im politischen Raum (siehe Abb. 16.1). Die Beachtung des dynamischen Dreiklangs aus Verfahren, Akteuren und Themen ist unserer Erfahrung nach Grundsatz eines erfolgreichen systemischen Beratungsansatzes. Eine wirkungsvolle Strategie muss situationsabhängig in diesen Kontext und unter Beachtung der jeweils wechselseitig bestehenden Interaktionen entwickelt werden: Welches Verfahren bzw. welcher Entscheidungsprozess liegt dem aktuellen Problem zugrunde? Welche Akteure bzw. Entscheider sind entsprechend dem Verfahren an der Entscheidung beteiligt und wer kann die Entscheidung wie nach welchen Prämissen beeinflussen? Welche Themen bzw. Konfliktlinien bestehen zwischen den beteiligten Akteuren und dem Interesse des Herstellers oder Anbieters der medizinischen Leistung? So sehr die Interessen durch die gleichen Stimmanteile von Kostenträgern und Leistungserbringern ausgeglichen zu sein scheinen, so sehr sind auch innerhalb der ­sogenannten Bänke unterschiedliche Interessen, Intentionen oder Motive erkennbar. Diese unterscheiden sich je nach Thema, Sektor und Relevanz des Krankheitsbildes, sodass sich dynamische Mehrheiten ergeben, die nicht immer auf den ersten Blick offensichtlich sind. Wer also verstehen will, wie Entscheidungen im G-BA getroffen werden, der muss sich zwingend und vor allem situationsabhängig mit den beteiligten Akteuren, ihren Positionen und den zugrunde liegenden Interessen und Motiven der Akteure beschäftigen. Die Politik hat die vorhandenen Verfahren für den Erhalt von Marktzugang und Kostenerstattung angepasst oder durch neue ersetzt, weil sie das Vertrauen verloren hat, dass sich Abb. 16.1 Dynamisches Modell politischer Entscheidungen. (Quelle: eigene Darstellung 2018)

Verfahren

Akteure

Themen

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der Markt von alleine zugunsten der Patienten reguliert. Politik musste vor dem Hintergrund der geschilderten Erfahrungen regulierend eingreifen. Zuungunsten der Hersteller, die bisher weitgehende Freiheitsgrade bei Produkteinführung genossen. Um Verfahren erfolgreich zu beschreiten, müssen Hersteller zunächst die gegebenen Verfahren anwenden und befolgen, sich also an die geltenden Spielregeln halten. Damit schaffen sie Vertrauen in ihre eigene Verfahrenskompetenz sowie in ihre Rolle als glaubwürdiger und wahrhaftig agierender Akteur. Wer die Verfahren regelkonform durchläuft, glaubwürdig und wahrhaftig agiert, schafft wechselseitig Vertrauen und zugleich die Grundlage, die gegebenen Verfahren aktiv zu nutzen und zu gestalten. Wie dies zielgerichtet und systematisch erfolgen kann, wird im nachfolgenden Abschnitt näher erörtert.

16.5 Marktzugang und Kostenerstattung strategisch gestalten Wer im deutschen Gesundheitsmarkt gestalten will, muss sich die Chance erarbeiten, im Prozess der institutionellen Anpassung und Weiterentwicklung mitreden zu können. Nur wer sich über die Zeit konstruktiv beteiligt, kann (mit-)gestalten. Damit haben sich die Prämissen verschoben, weg vom kurzfristigen Agieren und Vermeiden hin zur langfristigen Strategieentwicklung und aktiven Einflussnahme. Beteiligungsmöglichkeiten in den Entscheidungsprozessen des G-BA sind gemäß dessen Verfahrensordnung zeitlich und sachlich klar geregelt (siehe Verfahrensordnung des G-BA 2018). Aufgrund der Vertraulichkeit der Beratungen ist es unbedingt notwendig, sich an die formalen Verfahrensläufe zu halten. Wollen Unternehmen den Marktzugang und die Kostenerstattung ihrer Produkte mitgestalten, müssen sie wie zunächst dargelegt zuallererst die geltenden Spielregeln befolgen. Zugleich erfolgt auch die Entscheidungsfindung im G-BA unter Ungewissheit. Das heißt, neben den Prämissen der evidenzbasierten Medizin hat der G-BA auch Kriterien wie das der Versorgungsrelevanz von medizinischen Leistungen zu beachten. Darüber hinaus haben die ihn konstituierenden Bänke Interessen, die nicht immer gleich sind. Dadurch entsteht automatisch ein Ermessensspielraum im Rahmen einer dynamischen kollektiven Entscheidungssituation. Die Wissenschaft hat hierfür ausreichend Modelle entwickelt, wie Entscheidungen unter Ungewissheit zustande kommen (siehe u. a. Holcombe 2016). Notwendig ist in jedem Fall eine aktive Beteiligung statt unbeteiligten Abwartens. Erfolgreiche Beteiligung zeichnet sich dadurch aus, dass es gelingt, die eigenen Interessen und Anliegen in für Dritte anschlussfähige Positionen zu übersetzen. Die Frage ist, wie das gelingen kann: Wie kann man Verfahren befolgen und dabei gleichzeitig einen Vorteil für das eigene partikulare Anliegen erzielen? Zunächst sollte Public-Affairs-Arbeit darauf ausgerichtet sein, die zugrunde liegenden Verfahren aktiv zu begleiten. Am Beispiel der Arzneimittelnutzenbewertung lässt sich das wie folgt erläutern: Der G-BA gewährt Unternehmen die Möglichkeit eines Beratungsgesprächs vor dem Einreichen eines Nutzendossiers. Darin können beispielsweise Fragen zur zweckmäßigen Vergleichstherapie erörtert werden. Auch wenn es häufig zum Zeitpunkt des Beratungs-

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gesprächs zu spät ist, um die Studien an die zweckmäßige Vergleichstherapie des G-BA anzupassen, so gibt die Diskussion den Herstellern zumindest die Möglichkeit, in ihrem Dossier auf die Gründe für eine Abweichung der Vergleichstherapie hinzuweisen, sodass diese Berücksichtigung in der G-BA-Entscheidung finden können. In den ersten Jahren der frühen Nutzenbewertung haben jedoch nur sehr wenige Hersteller das Beratungsgespräch genutzt. Ähnlich verhält es sich mit der Einführung und Erprobung von NUB. Nach wie vor nutzen Unternehmen die Möglichkeit zur Beratung seitens des G-BA kaum und beantragen quasi ins Blaue hinein. Gleichzeitig halten Anbieter und Hersteller die zugrunde liegenden Verfahren für so sakrosankt, dass sie lediglich Antrag stellen, abwarten und mitunter klagen, sobald eine Entscheidung getroffen wurde, die ihnen nicht passt. Dabei versäumen sie es, ihre Rolle als Experten in der Versorgung praktisch zu nutzen und dem G-BA zielgerichtet Informationen und Vorschläge zu unterbreiten. Dadurch beschränken Unternehmen unnötig ihre Rolle und ihren möglichen Beitrag zur kollektiven Problemlösung in der Versorgung. Für das Gelingen von Public-Affairs-Arbeit im Gesundheitswesen ist entscheidend, dass man das partikulare bzw. unternehmerische Interesse in ein öffentliches politisches Interesse übersetzt. Basierend auf dem Verständnis, wie Entscheidungen getroffen werden und welche Ziele die Politik verfolgt, sind eine strategisch ausgerichtete Public-­Affairs-­ Arbeit und Beratung umso erfolgreicher, je besser sie die produktbezogenen Eigenschaften in Ziele und Handlungsprämissen der Gesundheitspolitik sowie der in der Versorgung befindlichen Akteure übersetzen. Das heißt konkret: Produkte werden nicht nur neu konzipiert und weiterentwickelt, sie adressieren im Markt und damit der Versorgung auch einen Mehrwert, der sich klar beschreiben lässt. Es geht darum, gedanklich und konzep­ tionell wegzukommen von der Darstellung produktbezogener Value Stories hin zur Beschreibung des produkt- bzw. leistungsspezifischen Beitrags in der Versorgung. Hersteller und Anbieter verändern damit ihr räumliches und konzeptionelles Denken und vergrößern den Maßstab ihres Angebots. Sie übernehmen zugleich Verantwortung im Sinne einer bedarfsgerechten Versorgung (patientenindividueller Untersuchungs- oder Behandlungsnutzen) oder eines kollektiven Nutzens (gesundheitsökonomischer oder versorgungsrelevanter Nutzen). Dabei müssen Hersteller und Anbieter von medizinischen Leistungen unbedingt Aspekte und Themen adressieren, welche die Bänke, die Gesundheitspolitiker und Entscheider in der Gemeinsamen Selbstverwaltung als für sich relevant erachten: Entscheidend ist die Frage: Welche patientenindividuellen und/oder kollektiven Probleme löst die betreffende medizinische Leistung bzw. das angebotene Produkt? Welches Paradox in der Versorgung wird behoben, wodurch das System als Ganzes profitiert? Eine Dimension können Kosteneinsparungen sein, wenngleich sie nicht hinreichend sind für die Etablierung neuer Leistungen. Vielmehr interessieren nachhaltige Verbesserungen in der Versorgung und der Behandlung von Patienten. Probleme in der Versorgung können vielfältig sein: Patienten werden regelmäßig sowohl mangel-, fehl- als auch überversorgt. Kann ein Produkt oder eine Dienstleistung dazu beitragen, diese Versorgungsprobleme zu beheben, erhöht das die Chancen einer positiven Entscheidung. Als Anbieter oder Hersteller neuer Produkte und Methoden und

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ebenso als Berater sollte die Beantwortung dieser Frage ganz an den Anfang der Markteinführungsstrategie gestellt werden: Welches Problem besteht in der Versorgung und wie kann mein Produkt oder meine Dienstleistung dazu beitragen, dieses Problem zu beheben? Je exakter die Beschreibung der Ausgangslage, also des Problems, desto größer der Handlungsdruck und umso klarer der daraus resultierende Nutzen. Schließlich erfolgen Entscheidungen über den Marktzugang und die Kostenerstattung medizinischer Leistungen unter Ungewissheit und sie verlangen gar eine Veränderung des Status quo. Eine Veränderung des Status quo ist für Entscheider ebenfalls unsicher und risikobehaftet. Daher muss die gewünschte Veränderung nicht nur nachweislich besser sein, sondern auch die erforderlichen Mittel müssen die Veränderung rechtfertigen. Sind Akteure nicht hinreichend veränderungsbereit oder von der Notwendigkeit der Veränderung überzeugt, bleibt es höchstwahrscheinlich bei einer Entscheidung zugunsten des Status quo. (Eingehend untersucht und beschrieben hat die Status-quo-Ausrichtung von Politik der an der Harvard University lehrende US-Ökonom Dani Rodrik; vgl. Rodrik und Fernandez 1991.) Paradoxien treten häufig auf, wenn Systeme organisch wachsen oder wenn neue Entscheidungsprozesse eingeführt werden, ohne dass die abgelösten Entscheidungsprozesse vollständig aus dem System genommen sind. Ein Beispiel ist die Einführung der Erprobung von Hochrisikomedizinprodukten im stationären Bereich gemäß § 137h SGB V. Hier hat der Gesetzgeber Fristen definiert, wie lange die Erprobung eines Medizinprodukts dauert, das im Rahmen eines Zusatzentgelts für NUB von einem Krankenhaus beantragt wurde. Somit können sich Hersteller darauf verlassen, dass das Verfahren zur Entscheidung über das Medizinprodukt innerhalb eines definierten Zeitraumes abgeschlossen sein wird. Die „klassische“ Erprobung gemäß § 137e SGB V für NUB hingegen sieht nur für die Beurteilung des Potenzials einer Methode eine klare Frist vor, nicht jedoch für die Entscheidung über die Erprobungsrichtlinie. Paradox ist, dass Medizinprodukte, die nicht der Hochrisikoklasse zuzuordnen sind, im Erprobungsverfahren nach § 137e SGB V dadurch einen längeren Verfahrenslauf haben als Hochrisikoprodukte gemäß § 137h SGB V. Auch in der Vergütung von Leistungen können paradoxe Situationen bestehen, wenn zum Beispiel eine Leistung höher vergütet wird, wenn sie ohne eine vorherige Diagnostik erbracht wird als mit der vorangehenden sie legitimierenden Diagnostik. Können solche Paradoxien aufgezeigt werden, haben partikulare Interessen und Anliegen eine ungleich bessere Chance, gehört, auf- und angenommen zu werden. Die Frage nach Kosteneinsparungen und -steigerungen ist zweifellos eine wichtige Frage in der Beurteilung von innovativen Produkten. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip heißt jedoch nicht, „günstiger ist gut“ – dennoch sollten Kostensteigerungen durch ­Qualitätssteigerungen begründet sein. Kostenentwicklungen durch Innovationen vor ihrer Einführung belastbar zu berechnen, ist extrem schwierig. Unvorhersehbare Ereignisse und Entwicklungen, wie die Vogelgrippe, die zu enormen Kosten im Zuge der Anschaffung von Tamiflu geführt haben, können nicht berechnet werden. Genauso ist eine Vorhersage, wie hoch die Anwendungsrate bei Ärzten sein wird, meist nur eine Schätzung. Dennoch fordern Entscheider in Politik und Selbstverwaltung regelmäßig Antworten auf diese Frage und man sollte Antworten darauf parat haben, die möglichst realistisch sind. Insbesondere die Herleitung eines Erstattungs-

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betrages wird immer häufiger von Entscheidern in der Selbstverwaltung und auch der Gesundheitspolitik hinterfragt. Schematisch kann man bei der Analyse des politischen und verfahrensseitigen Kontextes sowie der Entwicklung einer politisch anschlussfähigen Argumentation wie folgt vorgehen, um das zunächst rein als Partikularinteresse erscheinende Anliegen in ein kollektives Interesse zu übertragen (zur methodischen und fundierten Politikfeldanalyse sowie zur systematischen Herleitung einer problembezogenen politischen Argumentation siehe Dunn 2008): • Ausgangsprämissen für die Anschlussfähigkeit von Anliegen im Gesundheitswesen: gesundheitspolitische Ziel- und Problemdefinition (politische Agenda), Paradoxien im Gesundheitssystem, Versorgungsdefizite oder -lücken, Kosten (kollektive vs. individuelle), • Wertbeitrag des Anliegens: Anbieter und Hersteller medizinischer Leistungen müssen die nachfolgenden Fragen beantworten: Wie verändert mein Angebot, mein Produkt den Behandlungserfolg und -Pfad? Welche Versorgungsprobleme werden dadurch gelöst? Welchen Beitrag leistet es zu einem effizienten Ressourceneinsatz im Gesundheitssystem? Eine politische Zielformulierung kann nur erfolgreich sein, wenn sie das für die Politik zentrale Element in den Mittelpunkt stellt: den Patienten. Den Patienten in den Mittelpunkt zu stellen, heißt jedoch mehr als eine produktbezogene Value Story zu formulieren oder ein Unternehmensleitbild zu entwickeln. Viel mehr kommt es darauf an, medizinische Leistungen vom Ende her zu denken und zu fragen, wie ein Produkt oder eine Leistung den medizinischen Behandlungspfad (im Englischen der „patient pathway“) verändert, wie Patienten davon profitieren und welche Auswirkungen das auf die Versorgung haben könnte. „Der Patient“ ist dabei synonym sowohl für jeden einzelnen Patienten zu verstehen als auch für das Kollektiv aller Patienten im Sinne der Versichertengemeinschaft. Daher kann eine Verbesserung durch ein neues Produkt sowohl einzelne Patienten als auch das Patientenkollektiv betreffen, um politisch anschlussfähig zu sein (siehe Abb. 16.2). Auch auf den Patienten bezogen kann der Dreiklang von Verfahren, Akteuren und Themen angewendet werden. Denn auch Patienten befinden sich in Entscheidungsprozessen, die ihre Versorgung beeinflussen: Neben medizinisch-wissenschaftlichen Leitlinien sind beispielsweise auch Bewertungs- und Überprüfungsverfahren durch die Krankenkassen entscheidend dafür, welche Behandlung ein Arzt verordnet. Dementsprechend können auch die beteiligten Akteure identifiziert werden: Ärzte, Fachgesellschaften, ­Krankenkassen, aber auch Angehörige und Ratgeber der Patienten. Die Konfliktlinie in der Patientenversorgung ist häufig die Abwägung zwischen den Prämissen der GKV-Versorgung: Leistungen müssen angemessen, ausreichend und wirtschaftlich sein. Je besser man die Konfliktlinien und unterschiedlichen Motive und Interessenlagen analysiert und versteht, desto besser kann man anschlussfähige Positionen finden und anbieten. So sehr der Zusatznutzen einer medizinischen Leistung, eines Arzneimittels oder einer Methode im Vergleich zur Standardbehandlung liegen kann, muss er sich auch innerhalb der Ver-

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Verfahren

Verfahren

Patient

Politik

„Pathway“

Akteure

Themen

Akteure

Themen

Abb. 16.2  Das dynamische Modell politischer Entscheidungen im gesundheitspolitischen Kontext. (Quelle: eigene Darstellung 2018)

sorgung begründen. Anbieter und Hersteller von Arzneimitteln und Methoden, die mit medizinischen Leistungen erfolgreich sein wollen, müssen daher immer auch Lösungen für aktuelle Versorgungsprobleme liefern.

16.6 Schlussbetrachtung Wie gezeigt, verspielen Unternehmen das Vertrauen der Gesundheitspolitik durch leichtsinniges Agieren, sofern sie sich ausschließlich für den Absatz ihrer Produkte interessieren und nicht ebenso für die Verbesserung der Versorgung. Die Politik hat auf diesen Realitäts- und Vertrauensverlust reagiert, indem sie die geltenden Spielregeln verändert hat. Neue Produkte müssen nunmehr Bewertungsverfahren durchlaufen, bevor sie dauerhaft Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung werden können. Die Bewertungsverfahren sind als Absicherung zu verstehen, dass eine neue Leistung, ein neues Produkt auch das hält, was es verspricht. Ob das so ist, entscheiden nicht mehr allein Ärzte, deren Verbände und Fachgesellschaften, sondern auch Gremien und Organisationen, die von Berufsinteressen der Ärzteschaft weitgehend unabhängig sind. Entscheidungsprozesse und Teilnehmer sind wie gezeigt klar strukturiert und festgelegt. Wer sich an die Regeln hält, darf „mitspielen“. Je besser jemand mitspielt, desto besser kann er seine Interessen in den Bewertungsverfahren vertreten und über Dritte einbringen. Folglich sind das Befolgen der Spielregeln sowie deren souveräne Anwendung notwendige und hinreichende Bedingung erfolgreicher Public-Affairs-Arbeit. Wer dauerhaft glaubwürdig und wahrhaftig agiert und zugleich den Nutzen nicht allein produktbezogen, sondern innerhalb der Versorgungsrealität definiert, wird nicht nur als vertrauenswürdiger Akteur wahrgenommen, sondern kann zugleich den Marktzugang und die Kostenerstattung seiner Leistungen strategisch gestalten.

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Literatur Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg) (2015) GKV-Versorgungsstrukturgesetz. Bundesministerium der Gesundheit (BMG). https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffevon-a-z/v/versorgungsstrukturgesetz.html. Zugegriffen am 01.08.2018 Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg) (2016) Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG). Bundesministerium der Gesundheit (BMG). https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/ begriffe-von-a-z/a/arzneimittelmarktneuordnungsgesetz-amnog.html. Zugegriffen am 01.08.2018 Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg) (2017a) GKV-Versorgungsstärkungsgesetz. Bundesministerium der Gesundheit (BMG). https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/g/gkv-versorgungsstaerkungsgesetz.html. Zugegriffen am 01.08.2018 Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg) (2017b) Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung tritt in Kraft. Bundesministerium der Gesundheit (BMG). https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/2017/april/hhvg.html#c10272. Zugegriffen am 01.08.2018 Dunn WN (2008) Public policy analysis. Pearson Publishing, Upper Saddle River Erlei M, Leschke M, Sauerland D (1999) Neue Institutionenökonomik. Schäffer Poeschel, Stuttgart F.A.Z. (Hrsg) (2017) EuGH-Urteil: Wohl kein Schmerzensgeld im Implantate-Skandal. Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.). http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/eugh-urteil-zum-brustimplantate-skandal-tuev-muss-nicht-zahlen-14880659.html. Zugegriffen am 01.08.2018 Friedrich H (2017) Barrieren oder Sprungbrett für Innovationen? Die Verfahren zur Qualitätssicherung und Methodenbewertung medizinischer Leistungen im deutschen Gesundheitswesen. Welt der Krankenversicherung 7–8:164–167, medhochzwei, Heidelberg Holcombe RG (2016) Advanced introduction to public choice. Edward Elgar, Cheltenham Mukherjee S (2016) Gesetze der Medizin, Anmerkungen zu einer ungewissen Wissenschaft. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main Müller MU (2017) Grippemittel Tamiflu: der Irrsinn um ein vermeintliches Wundermittel. Der SPIEGEL, 33/2017 North DC (1990) Institutions, institutional change and economic performance. Cambridge University Press, Cambridge Orlowski U, Rau F, Wasem J, Zipperer M (Hrsg) (2018) GKV-Kommentar SGB V. C. F. Müller, Heidelberg Rodrik D, Fernandez R (1991) Resistance to reform: status quo bias in the presence of individualspecific uncertainty. Am Econ Rev 81(5):1146–1155 SWR (2017) Chronologie  – Skandal um billige Brustimplantate. Südwestrundfunk (SWF, Hrsg). https://www.swr.de/swraktuell/chronologie-pip-brustimplantate/-/id=396/did=12528710/ nid=396/8816xh/index.html. Zugegriffen am 01.08.2018 Verfahrensordnung des G-BA datiert vom 16.08.2018 BAnz AT 05.03.2019 B2 gemäß der Ursprungsfassung vom 18.12.2008 veröffentlicht im BAnz. Nr. 84a (Beilage) vom 10.06.2009. Zugriffsdatum 05.06.2019 World Health Organization (Hrsg) (2011) WHO model list of essential medicines. 17th list (March 2011), World Health Organization (WHO). http://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/70640/ a95053_eng.pdf?sequence=1. Zugegriffen am 01.08.2018

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Dr. Holger Friedrich  hat im Jahr 2013 die Pathways Public Health GmbH (kurz Pathways) gegründet. Er ist seitdem geschäftsführender Gesellschafter. Zuvor war er Partner bei Steltemeier & Rawe und verantwortete den Bereich Public Health. Bei Pathways ist Holger Friedrich spezialisiert auf medizinische Leistungen in der stationären Versorgung, Hilfsmittel und Medizintechnik sowie E-Health bzw. digitale Gesundheitsanwendungen. Er hat in Mainz, München und London Politikwissenschaft und Volkswirtschaft studiert, hält einen Master of Science in Economics und hat im Fach Politische Ökonomie promoviert. Rieke Schulz  ist seit 2014 bei Pathways Public Health (kurz Pathways) und seit 2017 geschäftsführende Gesellschafterin. Sie verantwortet bei Pathways die Bereiche ambulante Versorgung, Pflege und Arzneimittel. Vor Pathways hat Schulz bei einem privaten Krankenhausträger im Management mehrerer Kliniken gearbeitet. Rieke Schulz hält einen Bachelor of Science in European Public Health von der Universität Maastricht und einen Master of Arts in International Healthcare Management vom Management Center Innsbruck.

Stichwortverzeichnis

A Akquisition 136 Angebot 32 Assistenzsystem 10 digitales 10 Ausbildung 33 Ausrichtung, strategische 91

Compliance ethisch-normative 11 rechtlich-politische 11 technologisch-innovatorische 11 Complianceanalyse 12 Compliancestresstest 12 Consultingfirmen 3

B Balanced Scorecard (BSC) 6, 164, 174, 229 Strategy 8 Balanced-Hospital-Management 7 Bedrohungspotenzial 120 Beratung 3 Beratungsleistung 2 Beratungsmandat 4 Best Practice 170 Betreibermodell 75 Bewertung 186, 189, 192, 212 Bewertungsverfahren 150 Bieterverfahren 142 Bottom-up-Ansatz 112 Business-Development 11 Business Model Canvas 6 Navigator 7

D Dashboardconsulting 3, 4 Dashboardmanagementsystem 17 Datenschutz 70, 233 Denken, strategisches 88 Dezentralisierung 162 Dienstleistung 10, 25, 184, 218, 230, 232 Dienstleistungsprozess 37 Digital-Health-Applikation 10 Digital-Healthcare-Consulting 24 Digital-Health-Dashboard 16 Digital-Health-Geschäftsmodell 20 Digitalisierung 10, 24, 54, 64, 80, 99, 121, 133, 222, 236 Digitalisierungsbedarf 24 Digitalisierungsprozess 83, 94 Digitalisierungsstrategie 95 Digital Spirit 98 Disruption 85 Disruptionspotenzial 81 Distributionsmanagement 11 Due Diligence 144 Due-Diligence-Analyse 145, 146 Due-Diligence-Prozess 145

C Chance 187, 206, 214 Cockpitmanagement 6

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.), Consulting im Gesundheitswesen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-25479-7

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Stichwortverzeichnis

E Effektivität 161 Effizienz 114, 161, 172, 219, 225, 236 Effizienzpotenzial 81, 226 E-Health-Gesetz 222 Einnahmestrom 6 End-User-Vernetzung 9 Entlassmanagement 48 Entscheidungsprozess 120 Entwicklungsmedizin 131 Erfolg 236 Erfolgsfaktor 6, 17, 84, 106, 137 strategischer 17 Experte 233 Expertenorganisation 30, 44, 92 Expertensharing 231 Expertensprache 35 Expertenstruktur 36 Expertentum 33 Expertenwissen 33

Gesundheitsangebot 17 digitales 17 Gesundheits-App 9, 22, 86 Gesundheitsdienstleistung 57 Gesundheitshandwerker 54 Gesundheitsmarkt 25, 48, 56, 161 Gesundheitsprodukt 11 Gesundheitsunternehmen 136 Gesundheitsversorgung 219 Gesundheitswesen 2, 11, 30, 80, 99, 104, 176 Gesundheitswirtschaft 8, 58, 110, 127

F Fachabteilungsbewertung 210 Fallpauschale 202 Fallpauschalenvergütung 202 Finanzierung, duale 202 Finanzplanung 176 Flexibilität, strategische 98 Führung 30, 36, 81, 112, 127 äußere 37 innere 37 Führungskraft 30, 31, 112 Funktionalität 67 Fusion 136, 227 Fusionspartner 155

I Innovation 10, 84, 86, 120, 214 disruptive 85 radikale 10 Innovationsgrad 8 Innovationsorientierung 8, 10 Innovationsprozess 83, 89, 99 Innovationsreserve 14, 25 Integrationsfähigkeit 66 Invention 8, 10 digitale 8 Investition 214 Investitionsfähigkeit 226 Investitionsplanung 166 IT-Abteilung 167, 174, 176 IT-Analyse 167 IT-Budget 171, 176 IT-Governance 172 IT-Infrastruktur 172, 222 IT-Konzept 168, 233 IT-Kostenstruktur 171 IT-Leitung 226, 233 IT-Maßnahme 174 IT-Modell 172 IT-Service 169, 174 IT-Sicherheit 226 IT-Sollkonzeption 171

G Gap-Analyse 166 Generalist 40, 44 Geschäftsmodell 6, 21, 58, 73, 75, 80, 118, 122, 180 Geschäftsmodellinnovation 8 Geschäftsmodellkomponente 24 Geschäftsmodelllogik 14 Geschäftsmodelltransformation 22 Geschäftsprozess 64, 67, 161 Geschäftssystem 6

H Healthcare-Business-Transformation-Tool 8, 16 Healthcare-Consulting 2 Heilmittelversorgung 50 Hilfsmittel 48 Hilfsmittelversorgung 50, 55 Hilfsmittelverzeichnis 50

Stichwortverzeichnis

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IT-Strategie 170, 174, 176, 222 IT-Strategieberatung 166 IT-System 167, 173, 175 IT-Verantwortliche 169

Kundennutzen 90 Kundensegment 6 Kundenverhalten 84 Kundenzufriedenheit 53

K Kaufpreis 148 strategischer 149 Kennzahl 5, 170 Kernkompetenz 59 Key Learning, strategisches 97 Performance Indicators 5 Process Indicators (KIPs) 165 Klinikpartnerschaft 230 Klinikverbund 218 Kollaboration 81, 88, 93 Kommunikation 119, 123, 222, 232 Kompass, digitaler 97 Kompetenz 232 Komplementärberatung 114 Konkurrenzkampf 53 Konsolidierung 52 Konsolidierungsprozess 222 Konzentrationsprozess 148 Konzept 233 Kooperation 96, 136 strategische 137 Kooperationspartner 155 Kosten 6, 104 Kostensteuerung 87 Kostenstruktur 6 Krankenhausanalyse 205 Krankenhauscontrolling 5 Krankenhausfinanzierung 219 Krankenhausinformationssystem 70 Krankenhausmarkt 218, 222, 236 Krankenhausplan 205 Krankenhausprivatisierung 223 Krankenhausstrukturfond 224 Krankenhausverbund 229 Krankenkasse 52 Krisenintervention 235 Krisensituation 235 Kulturwandel 122 Kunde 35, 54 Kundenbeziehung 6 Kundenerwartung 53

L Leistung 54, 129, 219, 221, 236 Leistungsanbieter 51 Leistungsangebot 205 Leistungsbemessung 123 Leistungsbereitschaft 123 Leistungsentwicklung 130 Leistungserbringer 48, 54, 59, 219 Leistungserbringung 132, 163 Leistungsfähigkeit 5, 108, 164, 192 Leistungsindikator 4 Leistungsorientierung 130 Leistungsplanung 108 Leistungsportfolio 130 Leistungsprognose 206, 209 Leistungsträger 112 Leistungsverlagerung 214 Leistungsversprechen 106 Leistunn 214 M Machtverlust 120 Managementberatung 105, 114 Management, multifokales 7 Mannschaftsleistung 123 Marge 55 Markt 2, 51, 85, 104, 183, 222 nicht regulierter 31 regulierter 31 Marktabgrenzung 9 Marktanalyse 106 Marktanteil 139, 206 relativer 208 Marktauswahl 9 Marktbeobachtung 191, 196 Marktdurchdringung 86, 140 Markteinführung 193 Markteintritt 87 Marktentwicklung 59, 108 Marktkonsolidierung 223, 224 Marktmacht 139 Marktpositionierung 9, 13

336 Marktpotenzial 206 Marktregulierung 32 Marktreife 87 Marktsegmentierung 9 Markttransparenz 194 Marktüberwachung 182, 197 Markt-Umfeld-Fit 13 Marktwachstum 208 Marktwert 148 Marktwirtschaft, soziale 31 Marktzutritt 219 Maßnahme 111, 114, 177, 211, 228 Maßnahmenpaket 210 Maßnahmenplanung 166 Medical Device Regulation 180, 183 Medizincontrolling 234 Medizinprodukt 58, 64, 68, 75, 181, 193 Medizinproduktegesetz (MPG) 66, 183 Medizinproduktehersteller 184 Medizinprodukterichtlinie 183 Medizinprodukteverordnung 183 Medizinstrategie 202, 212 Medizintechnik 70, 75 Mehrwert 177, 232 Meilenstein 109 Methode 109 Mindset 16, 84, 91, 99, 127 digitales 91 Mitentscheider 118 Mitgestalter 118 Multioptionalität 15 N Nachfrage 32 Netzwerk 228 Netzwerkbildung 236 Nutzenversprechen 13, 127 Nutzerorientierung 9 O Ökonomisierung 120, 121 Operationalisierung 106, 109 Opponent 18 Optimierung 3, 165, 234, 236 Optimierungspotenzial 176 Organisationsberatung 4 Organisationsentwicklung 114

Stichwortverzeichnis Organisationserfolg 6 Organisationsmodell 37 Organisationsprozess 31 Organisationsstruktur 31, 43, 109 Organisationsziel 6 P Partizipation 120, 123 Partnerschaft 96 Patientenakte, elektronische 222 Pauschalvergütung 55 Planungsprozess 107 Positionierung, strategische 167 Priorisierung 211 Privatisierung 223, 228 Produkt 10, 188 gefälschtes 182 Produktgruppe, generische 181 Produktinnovation 82 Produktivitätsreserve 14, 25 Produktklassifizierungsregel 188 Produktlebenszyklus 193 Produktportfolio 187, 189, 197 Produktqualität 187 Produktsicherheit 191 Produkttransparenz 194 Promotor 18 Prozess 31, 66, 84, 96, 104, 160, 229 Prozessberater 114 Prozessberatung 4, 105 Prozessgestaltung 140 Prozessorientierung 130 Q Qualität 2, 6, 55, 82, 104, 165, 219 Qualitätsentwicklung 130 Qualitätsindikator 229 Qualitätsmanagementsystem 180, 185 Qualitätssicherung 87 Quantität 82

R Regulierung 36 Ressource 94, 138, 161, 180, 184, 197 Ressourceneinsatz 121, 171 Ressourcensteuerung 132

Stichwortverzeichnis Return on Investment 164 Risiko 72, 187, 206 Risikobewertung 72 Risikoindikator 6 Risikomanagement 11, 72, 74 Roadmap, digitale 132 S Schlüsselaktivität 6 Schlüsselpartner 6 Schlüsselressource 6 Service 55 Serviceleistung 74 Servicemodell 73 Servicevertrag 74 Shared Service Center 162 Spezialisierung 221, 225, 236 Spezialist 40, 44 Spitzenmedizin 131 Sprache 33 Stakeholder 13, 18, 75 Stakeholdervalidierung 13 Standardmedizin 131 Steuerung 160, 230 Strategie 3, 41, 88, 105, 106, 108, 227, 229 Strategieentwicklung 15, 90, 98, 104, 106, 205 Strategiefindung 130 Strategieorientierung 6 Strategieprozess 107, 209 Strategiesystem 6 Strategiewerkzeug 105 Struktur 31, 106, 202, 218 digitale 218 Strukturorganisation 104 System 106 Systemgrenze 68 T Team 99, 122 agiles 93 Technologie 119, 121 Technologieorientierung 8, 9 Top-down-Ansatz 112 Transaktion 137, 138, 155 Transaktionsentscheidung 155 Transaktionsobjekt 144 Transaktionsprozess 153

337 Transaktionsvorhaben 155 Transformation 8, 14, 25, 44, 81, 94, 218, 222 digitale 8, 14, 25, 81, 94, 222 Transformationsprozess 8, 30, 91 digitaler 99 U Überwachung 188 Umsetzungscontrolling 213 Umsetzungsplanung 211 Unternehmen 91, 110, 161, 180 klein- und mittelständiges 184 Unternehmensberater 3 Unternehmensberatung 3, 114, 177 Unternehmensbewertung 148, 155 Unternehmenserfolg 6, 160 Unternehmensführung 226 Unternehmenshierarchie 113 Unternehmenskultur 105 Unternehmensleitung 160 Unternehmensphilosophie 37 Unternehmensstategie 106 Unternehmenssteuerung 4 Unternehmensstrategie 114, 160, 171 Unternehmenswert 148 Unternehmensziel 109 Unternehmenszweck 152 Unterstützungsleistung 232 V Veränderung 110 Veränderungsmanagement 110 Veränderungsprozess 110, 114 Verbesserungsprozess kontinuierlicher 165 Verdrängungswettbewerb 53 Verhandlungsgespräch 143 Verhandlungsmacht 225 Verhandlungsphase 143 Vernetzung 70, 75, 83, 222, 227 digitale 218 Versorgung 48, 220, 228 Versorgungs-Apps 98 Versorgungsauftrag 205 Versorgungsmedizin 131 Versorgungsmodell 7 Versorgungsqualität 221

338 Vertragsmanagement 234 Vertragsverhandlung 143 Vertriebskanal 6 Vision 98, 204, 214 W Wasserfallprinzip 90 Weitblick, strategischer 98 Wertbeitrag 164 Wertfindung 150 Wertressource 83 Wertschöpfung 19, 59, 132 Wertschöpfungskette 3, 19 Wertschöpfungsmechanik 7 Wertschöpfungsprozess 6 Wertversprechen 6, 84 Wettbewerb 10, 53, 83, 219, 227 Wettbewerber 206 Wettbewerbsanalyse 106 Wettbewerbsfähigkeit 106 Wettbewerbsfaktor 127

Stichwortverzeichnis Wettbewerbskonsolidierung 4 Wettbewerbsorientierung 6 Wettbewerbsumfeld 108 Wirtschaftlichkeit 109, 114, 172, 219, 225, 236 Wirtschaftlichkeitspotenzial 81 Z Zeit 6, 81, 165 Zentralisierung 162, 218, 228 Zertifizierung 184, 190, 195 Zertifizierungsverfahren 194 Ziel 108, 213, 219, 230 strategisches 91, 108, 168 Zielerreichung 35 Zielsystem 106 Zulassung 184 Zusammenschluss 139 horizontaler 139 konglomerater 140 vertikaler 140 Zusatzleistung 53