Cligès: Auf der Grundlage des Textes von Wendelin Foerster 9783110201543, 9783110188547

Cligès was probably written after Erec et Enide and is thus Chrétien de Troyes' second romance. There are several m

348 7 11MB

German Pages 443 [444] Year 2006

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Cligès: Auf der Grundlage des Textes von Wendelin Foerster
 9783110201543, 9783110188547

Table of contents :
Frontmatter
Inhalt
Einleitung
Text und Übersetzung
Backmatter

Citation preview

I Chrétien de Troyes Cligès

II

III

Chrétien de Troyes

Cligès Auf der Grundlage des Textes von Wendelin Foerster übersetzt und kommentiert von Ingrid Kasten

Walter de Gruyter · Berlin · New York

IV Illustration zum Roman de la Poire, Paris, Bibliothèque nationale, Fr. 2186 (Datierung 1250–1340). In der oberen Bildhälfte sind Tristan und Isolde abgebildet. Die untere Bildhälfte enthält die einzig erhaltene Illustration zu Chrétiens Cligès. Sie zeigt, wie Fenice während ihres Scheintodes malträtiert wird: die Ärzte gießen ihr heißes Blei in die Hände, um zu testen, ob sie noch lebt.

Ü Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 13: 978-3-11-018854-7 ISBN 10: 3-11-018854-6 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© Copyright 2006 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen

V

Für Paula und Ana

VI

VII

Vorwort Die Übersetzung des Cligès von Chrétien de Troyes, die hier mit einer Einführung und einem Kommentar vorgelegt wird, war seit langem geplant. Ohne die finanzielle Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die mir für die Arbeit ein Forschungssemester und für die Publikation einen Druckkostenzuschuss gewährte, wäre sie jedoch nicht zustande gekommen. Ich möchte der Deutschen Forschungsgemeinschaft und den Gutachtern deshalb an dieser Stelle nachdrücklich für ihre Förderung danken. Ein besonders herzlicher Dank gilt außerdem meinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sowie den wissenschaftlichen Hilfskräften, die meine Arbeit in ebenso effektiver wie angenehmer Teamarbeit unterstützt haben: Dr. des. Andrea Sieber, Dr. des. Antje Wittstock und Dr. Martin Baisch haben die Mühe des Korrekturlesens auf sich genommen, Nina Nowakowski und Johannes Traulsen standen mir mit Recherchen und der Literaturbeschaffung unermüdlich zur Seite. Auch Christa Loitsch sei gedankt, die sorgfältig acht darauf gegeben hat, dass die verschiedenen Fassungen, die im Laufe des Arbeitsprozesses entstanden sind, nicht durcheinander gerieten. Nicht zuletzt geht mein Dank an Dr. Heiko Hartmann, der die Arbeit an diesem Buch mit Interesse verfolgt und dafür Sorge getragen hat, dass es in das Programm des de-Gruyter-Verlages aufgenommen wurde. J. K.

VIII

IX

Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur und Quellen . . . . . . . . . . . . . Illusionen – Täuschungen – Verstellungen – Transformationen – Fiktionen . . . . . . König Artus und sein Hof . . . . . . . . . . Liebe und Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . Aspekte der Wirkungsgeschichte . . . . . . . Textgrundlage und Übersetzung . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

1 2 4

. . . . .

9 12 15 21 23

Text und Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

371

Namenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

423

Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

427

X

1

Einleitung Chrétien de Troyes ist der wohl produktivste und bedeutendste Verfasser volkssprachlicher Romane im Frankreich des 12. Jahrhunderts. Viele seiner Dichtungen wurden seinerzeit in andere europäische Sprachen, auch ins Deutsche, übertragen. Der Cligès1 ist vermutlich nach dem ersten Roman Chrétiens, Erec et Enide, entstanden und wird um 1176 datiert. Der Roman ist heute in fünf Editionen zugänglich; noch häufiger ist er übersetzt worden. So existieren mehrere ältere und neuere Übertragungen in englischer und in französischer Sprache. Erst kürzlich ist eine Übersetzung ins Niederländische hinzugekommen.2 Es ist deshalb erstaunlich, dass eine neuhochdeutsche Übertragung bislang nicht vorliegt, und dies umso mehr, als es fragmentarische Zeugnisse für eine mittelhochdeutsche Bearbeitung des Romans gibt.3 Eine Dichtung mit dem Titel Clies bzw. Kliges wird von verschiedenen Autoren der Zeit, von Wolfram von Eschenbach, Heinrich von dem Türlin und Rudolf von Rotenburg erwähnt; Thomasin von Zerklaere empfiehlt den Roman in seinem 1215/1216 datierten Welschen Gast sogar als Jugendlektüre.4 Da der Cligès in mehr als einer Hinsicht eine Sonderstellung in der Geschichte des mittelalterlichen Romans innehat, besteht Grund genug, ihn mit einer Übersetzung stärker ins Blickfeld der Germanistik zu rücken.

1

2

3

4

Ursprünglich wurde der Name mit geschlossenem e-Laut gesprochen, statt der Schreibung Cligés hat sich inzwischen jedoch die Schreibung Cligès eingebürgert, vgl. Simonetta Bianchini: Interpretatio nominis e pronominatio nel Cligès de Chrétien de Troyes. In: Vox Romanica 612 (2002), S. 181–221, dort S. 207 ff. Chrétien de Troyes: Cligès. Een roman over liefde en list. Vertaald door René Stuip. Hilversum 2003. Dieser Umstand ist einigen Romanisten entgangen. So behaupten Per Nykrog: Chrétien de Troyes. Romancier discutable. Genève 1996 (Publications romanes et francaises CCXIII), S. 81, und Per Rychner: Chrétien de Troyes. Romancier discutable. Paris 1996 (Publications Romanes et Françaises 213), S. 85, der Cligès sei im Mittelalter nicht bearbeitet bzw. übersetzt worden, auch nicht ins Deutsche. Die Hinweise finden sich schon in der Großen Ausgabe des Cligès von Wendelin Foerster: Kristian von Troyes, Sämtliche erhaltene Werke nach allen bekannten Handschriften. I: Kligès. Halle 1984, S. XXIV–XXVI.

2

Einleitung

Inhalt Alexander, der ältere Sohn des Kaisers von Konstantinopel und Griechenland, hat vom Ruhm des britischen Königs Artus gehört und zieht an dessen Hof, um sich dort zu bewähren und Ritter zu werden. In England werden Alexander und seine Begleiter freundlich empfangen. Artus beschließt, eine Reise in die Bretagne zu unternehmen, und setzt den Grafen Angres als seinen Stellvertreter ein. Alexander begleitet den König und begegnet Soredamor, der Schwester Gauvains; beide verlieben sich ineinander. Nach einiger Zeit kommen Boten mit der Nachricht zu Artus, dass Graf Angres sich gegen ihn erhoben habe und die Herrschaft an sich reißen wolle. Unverzüglich kehrt der König mit seinem Heer nach England zurück. In einem Scharmützel, das den eigentlichen Kampfhandlungen vorausgeht, nimmt Alexander vier Ritter gefangen und macht sie der Königin zum Geschenk. Der König stellt dem Sieger im Kampf gegen Angres einen kostbaren Pokal als Lohn in Aussicht. Alexander trägt maßgeblich zum Sieg bei, indem er mit seinen Gefährten die Rüstungen der gefallenen Gegner anlegt und in dieser Verkleidung in die feindliche Burg eindringt. Er erhält den Pokal und schenkt ihn weiter an Gauvain. Abseits von der Gesellschaft ermuntert die Königin die Liebenden dazu, sich ihre Gefühle zu gestehen und zu heiraten. Bald wird ein Sohn, Cligès, geboren. Unterdessen fühlt der Kaiser von Konstantinopel seinen Tod nahen. Boten werden nach England geschickt, um Alexander zu holen, sie geraten aber in Seenot und ertrinken bis auf einen Mann, der nach Konstantinopel zurückkehrt und behauptet, die Gesandtschaft sei bei der Rückkehr aus England zusammen mit Alexander ertrunken. Daraufhin wird der jüngere Bruder Alexanders, Alis, zum Kaiser gekrönt. Als Alexander davon erfährt, reist er nach Konstantinopel und einigt sich schließlich mit dem Bruder: Alis behält die Krone, während Alexander die Regierungsgeschäfte übernimmt. Zugleich schwört Alis, niemals zu heiraten, damit Cligès dereinst seine Nachfolge antreten kann. Unerwartet wird Alexander von einer tödlichen Krankheit heimgesucht. Vor seinem Tod trägt er Cligès auf, sich zu gegebener Zeit an den Artushof zu begeben und sich dort unerkannt als Ritter zu bewähren. Gegen die Absprache lässt Alis sich später von seinen Vasallen doch zur Heirat drängen. Die Tochter des Kaisers von Deutschland, Fenice, soll seine Frau werden, obwohl sie bereits dem Herzog von Sachsen versprochen ist. Alis macht sich zusammen mit Cligès auf den Weg, um sie

Inhalt

3

zu holen. Schon bei der ersten Begegnung verlieben sich Fenice und Cligès ineinander, und Fenice ist untröstlich, weil sie mit einem ungeliebten Mann verheiratet werden soll. Doch Thessala, ihre Erzieherin, weiß Rat: Sie wird einen Zaubertrank zubereiten, dessen Genuss Alis imaginäre Liebesfreuden mit Fenice verschaffen wird, ohne dass er sie berührt. Auf der Rückreise gerät Cligès in einen Hinterhalt des Herzogs von Sachsen, weiß sich aber zu behaupten. Er legt die Rüstung des besiegten Gegners an und täuscht so die Feinde wie die eigenen Leute, die ihn für tot halten. Außerdem befreit er Fenice, die inzwischen entführt worden war. Schließlich entscheidet ein Zweikampf zwischen dem Herzog und Cligès den Konflikt zugunsten der Griechen. Nach seinem Sieg beschließt Cligès, das Vermächtnis seines Vaters zu erfüllen und an den Artushof zu reisen. Beim Abschied gesteht er Fenice in verschlüsselter Form seine Liebe. In England nimmt er unerkannt an einem viertägigen Turnier in Oxford teil und erlangt großen Ruhm. Der letzte Kampf, bei dem er auf seinen Onkel Gauvain trifft, bleibt unentschieden, weil Artus ihn abbricht. Cligès gibt sich zu erkennen und wird freudig begrüßt. Als er nach Konstantinopel zurückkehrt, kommt es zu einem Geständnis der Liebenden. Cligès erfährt, dass Fenice ihre Unberührtheit bewahrt hat. Um dem ungeliebten Ehemann endgültig zu entkommen, fasst Fenice den Plan, sich tot zu stellen. Ein Leibeigener von Cligès, der vielseitige Künstler Johann, ist den Liebenden behilflich, indem er ein kunstvolles Grabmal für die scheinbar tote Fenice und einen Turm zur Verfügung stellt, in dem sie sich nach ihrer Befreiung aus dem Grab unbemerkt aufhalten können. Monate später werden sie von einem Ritter des Kaisers entdeckt. Sie fliehen und gelangen, erneut mithilfe der Zauberkünste Thessalas, an den Artushof. Als der König ein großes Heer gesammelt hat, um Cligès bei der Durchsetzung seines Rechts zu unterstützen, kommt die Nachricht, dass Alis aus Gram gestorben sei. Cligès kehrt mit Fenice nach Konstantinopel zurück, beide werden gemeinsam gekrönt und führen eine glückliche Ehe. Der Erzähler berichtet, dass Fenice niemals eingesperrt wurde wie ihre Nachfolgerinnen. Denn wenn die späteren Kaiser von Konstantinopel die Geschichte von Fenice hörten, fürchteten sie, betrogen zu werden wie Fenice Alis betrogen hatte. Deshalb lassen sie ihre Frauen einschließen und von Eunuchen bewachen, von denen nicht zu befürchten ist, dass sie Ehebruch begehen.

4

Einleitung

Struktur und Quellen Die Sonderstellung des Cligès in der Reihe von Chrétiens Dichtungen zeigt sich schon in der strukturellen Anlage des Werks. Denn der Roman weist, im Unterschied zu Erec et Enide und auch zum Yvain, nicht jene charakteristische Struktur auf, für die sich in der germanistischen Forschung der Begriff des ‚Doppelwegs‘ eingebürgert hat und die als kennzeichnend für den klassischen Artusroman gilt. Der Artushof spielt im Cligès zwar auch eine wichtige Rolle, er hat aber keine vergleichbare strukturelle Funktion inne wie in Chrétiens anderen Artusromanen. Ausgangs- und Endpunkt der Handlung ist der byzantinische Kaiserhof, daneben sind England, die Bretagne und Deutschland die Schauplätze des Geschehens. Der Roman folgt außerdem, indem der Hauptgeschichte eine Vorgeschichte vorgeschaltet ist, einem narrativen Verfahren, das seinerzeit vor allem die Bearbeitungen des Tristanstoffs prägt und auch einige Artusromane.5 In der Forschung ist darüber spekuliert worden, was Chrétien dazu veranlasst haben mag, im Cligès von dem innovativen Strukturmodell abzurücken, das er erstmals in Erec et Enide entwickelt und dann in seinen späteren Romanen wieder aufgenommen und variiert hat. Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, aber es ist offensichtlich, dass im Cligès eine besondere Lust am Spiel mit literarischen Mustern und Motiven am Werk ist, gerade so als ob Chrétien die Intertextualität in diesem Roman zum Strukturprinzip erheben wollte.6 Der Erzähler behauptet zwar im Prolog, er habe die Geschichte für seinen Roman in einem Buch der Kirchenbibliothek von St. Pierre in Beauvais gefunden, die meisten Interpreten gehen aber davon aus, dass es sich bei dieser Quellenangabe um eine Fiktion handelt, denn nicht nur ist kein Buch vergleichbaren Inhalts überliefert,7 sondern Chrétien hat für sei5

6

7

Aus dem deutschen Bereich zu nennen wären hier neben dem Tristan Gottfrieds von Straßburg beispielsweise der Parzival Wolframs von Eschenbach, der Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven, der Wigalois des Wirnt von Gravenberc. Wolfzettel vertritt die Meinung, dass Chrétien mit dem Cligès „in traditionelle Bahnen“ zurückgekehrt sei; demnach hält er den intertextuellen Spielcharakter, der die Dichtung wie keinen anderen Roman Chrétiens prägt, offensichtlich für nicht innovativ, vgl. Friedrich Wolfzettel: Doppelweg und Biographie. In: Erzählstrukturen der Artusliteratur. Forschungsgeschichte und neue Ansätze. Hg. von F.W. unter Mitwirkung von Peter Ihring. Tübingen 1999, S. 125. Der Roman de Marques de Rome (Hg. von Johann Alton. Tübingen 1889), eine Fortsetzung des Buchs der Sept Sages de Rome, enthält die Geschichte von Cligès in stark ge-

Struktur und Quellen

5

nen Roman nachweislich Quellen ganz unterschiedlicher Herkunft benutzt. Gelegentlich ist das Motiv der ‚lebenden Toten‘, das noch in Shakespeares Romeo und Julia produktiv ist, als Nukleus des Romans bezeichnet worden.8 Mit größerem Recht aber lässt sich das Motiv des betrogenen Ehemanns als produktiver Kern der Narration ausmachen. In der mittelalterlichen Erzähltradition war dieses Motiv bereits mit dem des vorgetäuschten Todes verbunden, mit der biblischen Figur Salomos assoziiert und zu einer Geschichte verdichtet worden.9 An diesen Erzählkomplex knüpft Chrétien in seinem Cligès offensichtlich an (V.5876–78). Das Motiv des betrogenen Ehemanns wird zwar erst im zweiten Teil entfaltet, aber es beherrscht thematisch den gesamten Roman. Denn der Cligès ist unter anderem als Gegenentwurf zum Tristan angelegt, in dem die Illegitimität der Liebe und der Ehebruch eine zentrale Rolle spielen. Vermutlich kannte Chrétien sowohl die frühhöfische Fassung von Béroul als auch die höfische Bearbeitung des Thomas von England, aber sein Gegenentwurf bezieht sich, wie sich an dem allenthalben manifesten Überbietungsgestus erkennen lässt, vor allem auf Thomas’ Fassung. Diese ist zwar nur fragmentarisch erhalten, aber vieles ist durch die Bearbeitung Gottfrieds von Straßburg und die Adaption des Stoffs in der nordischen Saga erschließbar. Strukturell schlägt sich der Bezug des Cligès auf den Tristan schon in der zweiteiligen Anlage des Romans mit Vor- und Hauptgeschichte nieder. Über die strukturelle Analogie hinaus weist der Cligès jedoch zahlreiche weitere Motivparallelen und zugleich gegenläufige Textbewegungen auf:10 Wie im Tristan berichtet die Vorgeschichte im Cligès von den Eltern des Helden; wie dort verlässt der Vater des Helden sein Land, um

8

9

10

kürzter und veränderter Form in Prosa. Der Text stammt aus dem 13. Jahrhundert und kann schon deshalb nicht als Quelle gedient haben. Vgl. etwa Donald Maddox: Critical Trends and Recent Work on the Cligés of Chrétien de Troyes. In: Neuphilologische Mitteilungen 74 (1973), S. 730–745, dort S. 739 f. Maddox sieht in der Geschichte des „feigned death“ den Kern des Romans. Die deutsche Tradition ist nur durch Zeugnisse aus dem 15. Jahrhundert vertreten, vgl. Salman und Morolf. Hg. von Alfred Karnein, Tübingen 1979 (ATB 85). Eingehend erörtert werden die Bezüge vor allem in der Kleinen Ausgabe von Wendelin Foerster: Kristian von Troyes, Cligés. Textausgabe mit Variantenauswahl, Einleitung, Anmerkungen und vollständigem Glossar. Dritte umgearbeitete und vermehrte Auflage. Halle 1910 (Romanische Bibliothek I), S. XXXIX-LXXII, und von Anthime Fourrier: Le Courant réaliste dans le roman courtois en France au Moyen Age. Paris 1960, S. 111–178.

6

Einleitung

an einen Hof zu reisen, der wegen seiner vorbildlichen höfischen Lebensformen berühmt ist (im Tristan ist es der Hof Markes); wie dort verlieben sich Vater und Mutter während einer Schiffsreise auf dem Meer – selbst das berühmte Wortspiel mit den Homonymen amer („bitter“, „lieben“), l’amer („das Bittere“, „das Lieben“) und la mer („das Meer“), mit dem Isolde Tristan zu verstehen gibt, dass sie in ihn verliebt ist, erscheint in variierter Form im Cligès. Parallelen bietet auch die Hauptgeschichte: Wie Marke wird Alis von seinen Vasallen zur Heirat gedrängt und bricht das Versprechen, ehelos zu bleiben; wie Tristan tritt Cligès gewissermaßen in der Rolle des Brautwerbers für den Onkel auf und befreit dessen Frau – hier ist es die zukünftige Frau – aus den Händen von Entführern, und während im Tristan die Minnegrotte der Ort der Liebe ist, erfüllt im Cligès der Turm mit einem kunstvoll angelegten Park diese Funktion.11 Signifikanter als die Parallelen aber noch sind die Differenzen, die oft geradezu Inversionen darstellen.12 Sie markieren, vor allem in der Inszenierung der Liebes- und Ehebeziehung, den bewusst gesuchten, oft ironisch getönten Kontrast zum Tristan. Während im Tristan die Rechtmäßigkeit der Heirat der Eltern (und damit die eheliche Geburt des Helden) in Frage steht, wird im Cligès die Legitimität der Eheschließung sowohl von Alexander und Soredamor als auch, wenngleich den besonderen Umständen entsprechend anders, von Cligès und Fenice mit Nachdruck hervorgehoben. Auch das Motiv des Zaubertranks weist auf den Tristan zurück; die semantische Umbesetzung des Motivs aber erzeugt einen für den Cligès charakteristischen, ironischen Effekt: An die Stelle des Minnetranks, der im Tristan die Liebenden schicksalhaft in einer illegitimen Beziehung aneinander bindet, tritt im Cligès ein Zaubertrank, dessen Genuss die sexuelle Aktivität des Ehemanns still stellt und so die Vereinigung der Ehepartner verhindert. Explizit gemacht wird die gegen den Tristan gerichtete Tendenz des Cligès in Äußerungen Fenices, die sich vehement dagegen verwahrt, als zweite Isolde in die (Literatur-) Geschichte einzugehen. Einige Interpreten haben die Kritik Fenices an Isolde mehr oder weniger umstandslos mit der Meinung Chrétiens gleichgesetzt, weil dieser auch in anderen

11

12

Gegen die Entdifferenzierung der Liebenden und die Verschmelzungsrhetorik des Tristan scheinen sich auch die Überlegungen des Erzählers zu richten, nach denen zwei Herzen unmöglich zu einem einzigen werden können (V. 2822ff.). Diesen Aspekt betont insbesondere Michelle A. Freeman: Cligés. In: The Romances of Chrétien de Troyes’. A Symposium. Hg. von Douglas Kelly. Lexington/Kentucky 1985, S. 89–131.

Struktur und Quellen

7

Dichtungen die Institution der Ehe verteidige.13 In dieser Sicht erscheint der Cligès als ein „Anti-Tristan“.14 Andere Interpreten sehen in Chrétien dagegen – mit Blick vor allem auf die Ehe zwischen Alis und Fenice – weniger einen Verfechter der Institution der Ehe; sie deuten die intertextuellen Bezüge auf den Tristan vielmehr als Ausdruck literarischer Überbietung und rechnen mit kalkulierten ironischen Effekten, die im Cligès auch sonst allgegenwärtig sind. In ihrer Sicht erlangt der Roman den Charakter eines „Hyper“-, eines „Néo“15- oder gar eines „Super“16-Tristan. Doch das intertextuelle Spiel im Cligès beschränkt sich nicht allein auf den Tristan. Die Forschung hat eine Fülle weiterer literarischer Referenzen festgestellt und gezeigt, wie virtuos Chrétien über das literarische Repertoire seiner Zeit verfügt. Kein anderer Roman des 12. Jahrhunderts spielt so brillant auf der Klaviatur der zeitgenössischen Literatur, kein anderer eröffnet der Imagination so viele intertextuelle Zwischenräume, kein anderer stellt seine eigene Fiktionalität derart aus, und kein anderer Roman der Zeit unterläuft den Prozess der eigenen Sinnkonstitution so beharrlich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, mit vielfältigen Verfahren der Ironisierung, die auf unterschiedlichen Ebenen wirksam sind und bis zu einer mise en abyme17 gesteigert werden können. Insofern ist der Cligès ein höchst eindrucksvolles und in gewisser Weise auch singuläres Zeugnis für die literarische Kultur an den Adelshöfen des 12. Jahrhunderts. Die matière de Rome ist mit Anspielungen auf die Antikenromane18 und, wenn der matière-Begriff nicht zu eng gefasst wird, mit Anspielungen auf die Metamorphosen Ovids ebenso präsent wie die matière de Bretagne, der die sagenhafte Figur von König Artus und seine Ritter ent-

13

14 15

16

17

18

Mit Nachdruck vertritt diese Position Peter S. Noble: Love and Marriage in Chrétien de Troyes. Cardiff 1982, S. 7, der Chrétien als Advokaten „for marriage and love in marriage“ bezeichnet. Diese oft wiederholte Auffassung findet sich bereits bei Foerster (Anm. 10), S. XXIXff. Jean Frappier: Cligès. In: Chrétien de Troyes. Paris, Nouvelle édition 1968 (Connaissance des Lettres), S. 100. Weil der betrogene Ehemann nicht einmal mehr einen „Ersatz“ bekommt, sondern sich mit illusionärem Liebesglück begnügen muss, so D.W. Robertson Jr.: The Idea of Fame in Cligès. In: Studies in Philology 69 (1972), S. 433. So Friedrich Wolfzettel: Cligès – roman ‚épiphanique‘. In: Mélanges offerts à Philippe Ménard. In: Miscellanea Mediaevalia I und II. Hg. von Jean-Claude Foucon u. a. Paris 1998, Bd. II, S. 1498–1507, dort S. 1490. Renate Blumenfeld-Kosinski: Chrétien de Troyes as a reader of the Romans Antiques. In: Philological Quarterly 64 (1985), S. 398–405.

8

Einleitung

stammen.19 Mit der Episode des Verrats von Graf Angres greift Chrétien auf ein eher der heldenepischen Tradition verpflichtetes Erzählmuster zurück; Modell gestanden hat dabei offenbar der Mordred-Verrat in Waces Brut.20 Und der matière byzantine,21 dem Liebes- und Abenteuerroman griechisch-orientalischer Provenienz, wird mehr Tribut gezollt als die Forschung bislang vermutet hat.22 Dies zeigt sich nicht allein in der Beschreibung wunderbarer Bauwerke und der Erzeugung eines orientalischen Ambientes, auch das dreiteilige Grundmuster des Liebes- und Abenteuerromans – mit dem Dreischritt der Vereinigung, Trennung und Wiedervereinigung zweier Liebender nach einer Zeit der Prüfung – scheint in der Liebesgeschichte zwischen Cligès und Fenice durch. Die Qualen wiederum, denen die scheinbar todkranke Fenice bei der Untersuchung durch drei Ärzte aus Salerno ausgesetzt wird, die ihre List durchschauen, sind nach dem Muster von Martyriendarstellungen in Heiligenlegenden gestaltet und werden ausdrücklich auch als Martyrium (V.6025) bezeichnet. Hinzu kommt, dass Chrétien das Geschehen – auch hier dem Liebes- und Abenteuerroman verpflichtet – in einem konkreten Raum verankert und die vermeintliche historische Wahrheit der Geschichte mit genauen Zeit- und Ortsangaben untermauert. Die Fiktion tarnt sich so mit der Maske der Historiographie. Mit Erfolg: Die Forschung hat nicht allein den ausgesprochen artifiziellen Charakter der 19

20

21

22

Es ist bezeichnend, dass Roger Sherman Loomis: Arthurian Tradition and Chrétien de Troyes. New York 1948, den Cligès aus seinen Untersuchungen über die keltischen Quellen Chrétiens wegen zu geringen Einflusses ausschließt. Margarete Pelan: L’influence du Brut de Wace sur les romanciers français de son temps. Genève 1968. Der Terminus ist zwar historisch nicht bezeugt, hat sich aber in der Forschung eingebürgert, vgl. Krijnie Ciggaar: Encore une fois Chrétien de Troyes et la „matière byzantine“: La révolution des femmes au palais de Constantinople. In: Cahiers de civilisation médiévale 38 (1995), S. 267–274. Die Bezüge sind bislang nur ansatzweise erforscht, vgl. etwa Huguette Legros: Du verger royal au jardin d’amour. Mort et transfiguration du locus amoenus, C.U.E.R.M.A. 1990, S. 215–233. Zur Darstellung von Turm und Garten vgl. Wolfzettel (Anm. 17), S. 1494. Wolfzettel verweist zu Recht auf Ähnlichkeiten mit Floire et Blancheflor; sie wären einer näheren Untersuchung wert. Erstaunlich ist es, dass eine Studie über den Einfluss dieser Erzählung auf Chrétiens Romane nur Erec et Enide und den Yvain brücksichtigt, nicht aber den Cligès, vl. Peter Haidu: Narrative Structure in Floire et Blancheflor: A Comparison with Two Romances of Chrétien de Troyes. In: Romance Notes 14 (1972/73), S. 383–386. – Alexandre Micha: Amadis et Ydoine. In: Grundriss der romanischen Literaturen des Mittelalters (=GRLM), Teil 1, Heidelberg 1978, S. 239–247, sieht Parallelen zwischen Cligès und dem Roman von Amadas et Ydoine; beide Texte ordnet er dem Liebes- und Abenteuerroman zu.

Illusionen – Täuschungen – Verstellungen – Transformationen – Fiktionen

9

Dichtung hervorgehoben, sondern sich auf den Roman auch als Kronzeugen für den ‚Realismus‘ des 12. Jahrhunderts berufen23 und nach unmittelbaren historischen Quellen geforscht.24

Illusionen – Täuschungen – Verstellungen – Transformationen – Fiktionen Es ist kein Zufall, dass der Erzähler sich im Prolog als Bearbeiter von Ovids Metamorphosen präsentiert und im gleichen Zuge dem Topos der translatio einen zentralen Stellenwert zuweist. Metamorphosen, Transformationen durch Verkleidungen, Täuschungen, Zaubereien. Lügen, Illusionen – all dies sind Aspekte eines Themenkomplexes, der für den gesamten Roman programmatisch ist und der in zahlreichen Facetten durchgespielt wird: Die Liebenden verstellen sich, indem sie ihre Gefühle voreinander verbergen, aus Scham und aus Angst, dass sie nicht erwidert werden; Alexander und Cligès legen die Rüstung von Gegnern an, um die Feinde zu täuschen (und auch die eigenen Leute an der Nase herumzuführen), so dass mit großem Aufwand um Tote getrauert wird, die in Wahrheit noch leben; die Königin nimmt die Zeichen der Liebe an Alexander und Soredamor trotz der wiederholt proklamierten ‚Lesbarkeit der Gefühle‘ zunächst nicht wahr, als sie dies aber tut, verschweigt sie ihr Wissen, um die Liebenden nicht in Verlegenheit zu bringen; der Grieche, der als einziger aus der byzantinischen Gesandtschaft den Seesturm überlebt, verbreitet die Lüge, Alexander sei tot, und löst damit den zentralen Konflikt aus, weil an seiner Stelle der jüngere Bruder zum Kaiser erhoben wird; Cligès wechselt auf dem Turnier von Oxford die Rüstung wie ein Vogel, der die Mauser hat, um unerkannt Ruhm und Ehre zu erlangen; Fenice schließlich geht gleichsam durch den Tod, um in den Armen von Cligès neu zu erstehen. Weitere Konturen gewinnt der Themenkomplex Illusionen, Täuschungen, Verstellungen und Lügen zum einen in Reflexionen über die

23

24

Fourrier (wie Anm. 10), S. 111 ff. spricht von einem „réalisme magique“ im Cligès. Vgl. auch Frappier (Anm. 15), S. 104. Neben der älteren Studie von Friedrich Settegast: Byzantinisch-Geschichtliches im Cligès und Yvain. In: Zeitschrift für romanische Philologie 32, 1908, S. 400–416, ist hier vor allem die Untersuchung von Sharon Kinoshita: Poetics of Translatio. French-Byzantine Relations in Chrétien de Troyes’ Cligés. In: Exemplaria 8.2 (1996), S. 315–354, zu nennen.

10

Einleitung

Arbitrarität von Zeichen und zum anderen in Reflexionen über die Einbildungskraft, über den Prozess der Produktion von Kunst und über Kunstprodukte.25 Beide Ebenen der Reflexion stehen im Zusammenhang, und auch hier ist der Bezug auf den Tristan unverkennbar. Auf das Problem der Arbitrarität von Zeichen wird die Aufmerksamkeit besonders in den Verkleidungsepisoden gelenkt; es ist eng mit dem Problem der Wahrnehmung verbunden, das dabei ebenfalls thematisiert wird. Zu den Kunstprodukten, denen eigene Beschreibungen gewidmet sind, gehören das Seidenhemd mit dem Haar Soredamors, das Alexander von der Königin als Geschenk erhält (V.1152 ff.), der Pokal, der dem Sieger im Kampf gegen den Grafen Angres zuteil wird (V.1536 ff.), das Grabmal (V.6109 ff.) und der Turm Johanns (V.5555 ff.), in dessen Bereich sich auch ein kunstvoll angelegter Park befindet (V.6393 ff.). Und selbstverständlich gehört auch der Zaubertrank Thessalas zu diesen Kunstwerken. Wie der Erzähler verfügen Johann und Thessala über die Fähigkeit, mit ihrer Kunst das Verhältnis von Sein und Schein zu manipulieren, wie er haben sie eine entscheidende handlungssteuernde Funktion inne und dienen gewissermaßen als Spielfiguren, die der Erzähler benutzt, um sein eigenes Tun zu spiegeln. Eine wichtige Rolle bei der Gestaltung des facettenreichen Themas der Illusionen und Täuschungen spielt die rhetorische Figur der Ironie, die Chrétien, wie vor allem Peter Haidu gezeigt hat,26 in vielfacher Weise gebraucht. Als einfacher Gegensatz des eigentlich Gemeinten findet sich Ironie in dem Roman jedoch eher selten; häufig verbindet Chrétien gegensätzliche Bild- und Vorstellungsbereiche miteinander – zum Beispiel indem er einen Kampf als musikalische Performance beschreibt –, so dass eine Inkongruenz mit komischem Wirkungspotential entsteht. Zahlreiche ironische Effekte kommen bereits durch intertextuelle Bezüge vor allem zum Tristan zustande, beispielsweise durch die Umdeutung des Minnetranks als ‚Minne-Verhinderungstrank‘. Eine ironische Diskrepanz besteht auch zwischen dem Wunsch Fenices, nicht wie Isolde ins Gerede kommen zu wollen, und den Folgen ihrer Geschichte für ihre Nachfolgerinnen auf dem Thron, die von ihren Männern eingeschlossen und von Eunuchen bewacht werden (V.6762 ff.). Ironische Effekte werden weiterhin erzielt, indem bei einer intertextuel25 26

Vgl. dazu besonders Freeman (Anm. 12). Peter Haidu: Aesthetic Distance in Chrétien de Troyes. Irony and Comedy in Cligès and Perceval, Genève 1968, und ders.: Au début du roman, l’ironie. In: Poétique. Revue de théorie et d’analyse littéraire 36 (1978), S. 443–466.

Illusionen – Täuschungen – Verstellungen – Transformationen – Fiktionen

11

len Referenz etwas bewusst ausgespart und dadurch eine Leerstelle markiert wird. So behauptet Cligès, als er Fenice den Vorschlag macht, mit ihm an den Artushof zu fliehen, dass sie dort noch freudiger empfangen werden würde als seinerzeit Helena in Troja (V.5299 ff.); die schlimmen Folgen der Entführung Helenas durch Paris, den Krieg um Troja und seinen Untergang, übergeht er dabei. Eine andere Form der ironischen Brechung wird dadurch erzeugt, dass Fenice sich mit ihrer Eheauffassung auf die biblische Autorität des heiligen Paulus beruft, dessen Lehre aber höchst eigenwillig auslegt (V.5324 ff.). Eine besondere Ebene der Ironie konstituiert sich durch Wortspiele oder durch das Spiel mit Namen und ihrer Etymologie.27 So trägt der Vater des Helden den Namen des Welteroberers Alexander (V.445 ff.), aber sein Verhalten als schüchterner Liebender und kompromissbereiter Herrscher steht im Gegensatz zu dem unbedingten Eroberungsdrang des griechischen Helden. Der Name des jüngeren Bruders Alis ist eine Diminutivform von Alexander, die auch im Namen der Mutter (Tant-alis) wiederkehrt. Soredamor wird zunächst als spröde gegenüber der Liebe charakterisiert, sie erweist sich durch ihren Namen aber, den sie selbst als „durch die Liebe vergoldet“ deutet (V.962 ff.), als eng mit der Liebe verbunden. Namenspate der deutschen Prinzessin Fenice ist der mythische Vogel Phönix (V.2725 ff.), der sich selbst im Feuer verbrennt, um aus der Asche neu hervorzugehen – ein deutlicher Hinweis auf die Episode, in der Fenice sich tot stellt und in den Armen von Cligès28 gleichsam neu geboren wird. Mit dem Vogel Phönix wird jedoch noch ein weiterer ironischer Subtext aufgerufen, denn der Phönix galt im Mittelalter, wie bereits erwähnt, einerseits als Sinnbild einer treuen Ehefrau und andererseits als Symbol für den Tod und die Auferstehung Christi. Wie die Forschung herausgearbeitet hat, enthält die Episode mit der ‚lebendigen Toten‘ zahlreiche Anspielungen auf das Martyrium und die Auferstehung Christi, die aus heutiger Sicht blasphemisch erscheinen können,29 zur Zeit Chrétiens aber offenbar nicht so gewertet wurden.

27 28

29

Vgl. hierzu vor allem Bianchini (wie Anm.1), S. 181–221. Obwohl der Text keine konkreten Hinweise auf die Bedeutung des Namens Cligès enthält, ist ihm wiederholt ein verschlüsselter Sinn zugeschrieben worden (vgl. Kommentar zu V. 2382 ff.). Zu diesem Problem vgl. D.D.R. Owen: Profanity and its Purpose in Chrétien’s Cligés and Lancelot. In: Forum for Modern Language Studies 6 (1970), S. 37–48.

12

Einleitung

König Artus und sein Hof Die ältere mediävistische Forschung war von der Vorstellung beherrscht, dass König Artus und die Ritter der Tafelrunde in den Dichtungen des Mittelalters als nachahmenswerte Vorbilder dargestellt werden. Von dieser Einschätzung sind die Interpreten inzwischen abgerückt.30 So hat sich mehr und mehr die Auffassung durchgesetzt, dass König Artus auch im Cligès als „une figure composite“31 zu betrachten ist. Zum einen wird er als idealer Feudalherrscher gezeichnet, dessen Hof eine große Anziehungskraft für junge, auf den Erwerb von Ruhm bedachte Adlige besitzt; zu diesem positiven Bild passt es auch, dass Artus sowohl Alexander als auch Cligès in ihrem Rechtsanspruch gegenüber Alis unterstützt.32 Wiederholt stellt der Erzähler dabei das Thema der gerechten Herrschaft zur Diskussion. Artus wird von den Bretonen als Herrscher sehr geschätzt, und im Konflikt mit dem verräterischen Grafen Angres wird die Rechtmäßigkeit seines Herrschaftshandelns unter anderem dadurch hervorgehoben, dass der Usurpator, der sich gegen ihn erhoben hat, aus purem Macht- und Überlebenswillen die Bewohner Londons ausplündert. Zum anderen aber ist das Bild des Königs nicht frei von kritischen und ironischen Zügen. So spielt Alexander zwar bei der erfolgreichen Verteidigung der politischen Position des Königs eine zentrale Rolle, aber er erscheint auch in der Rolle eines potentiellen Gegenspielers. So macht er die gefangenen Ritter der Königin zum Geschenk, um sie vor der grausamen Bestrafung durch Artus zu bewahren. Damit findet er allgemeine Zustimmung (V.1349 ff.). Artus jedoch nötigt die Königin, ihm die Gefangenen auszuliefern und lässt keine Gnade walten. Erst nach dem Sieg über Graf Angres und seine Verbündeten entspricht Artus dem

30

31

32

An dieser Stelle kann nur auf die Forschung zum Cligès verwiesen werden. Eher vorsichtige Distanznahmen gegenüber eindeutigen Wertvorstellungen, die angeblich durch die Figurendarstellung vermittelt werden sollen, finden sich bei Norris J. Lacy: Cligès and Courtliness. In: Interpretations 15 (1984), S. 18–24, und bei Nicole Guenther Discenza: Dialectical Structure in Chrétien de Troyes’ Cligès. In: Romance Languages Annual 8 (1996), S. 21–25. Konsequent in der impliziten Kritik an solchen Ansätzen ist dagegen bereits Freeman (Anm. 12). Frappier (Anm. 15), S. 113. Ähnlich Donald Maddox: The Arthurian Romances of Chrétien de Troyes. Once and future fictions. Cambridge University Press 1991, S. 13. Nach Donald Maddox: Kinship Alliances in Cligès. In: L’esprit créateur 12 (1972), S. 12, illustriert Chrétien damit „the superiority of the Arthurian ideals“. Robertson Jr. (Anm.16), S. 433, wertet es dagegen negativ, dass Artus Cligès’ „treasonable activity“ unterstütze.

König Artus und sein Hof

13

Bild eines gnädigen Herrschers, das Alexander von ihm entwirft, als er den neuen Gefangenen verspricht, Artus werde ihr Leben verschonen, wenn sie sich seiner Gnade ergeben (V.2171 ff.). Das auf Schonung der Gefangenen bedachte Verhalten Alexanders steht im Gegensatz zum Straf- und Rachebegehren des Königs, ohne dass gesagt wird, welcher von beiden das ‚richtige‘ Herrschaftshandeln vertritt. Ironisches Licht fällt auf Artus, als er bei dem Turnier von Oxford ebenfalls zum Opfer einer Täuschung wird, indem er den unbekannten Ritter, der niemand anders ist als Cligès, für ein Gespenst hält und sich bekreuzigt (V.4742 ff.). Der Erzähler zeigt überdies wenig Respekt vor dem König, wenn er bei dieser Gelegenheit spottet, Artus hätte besser schweigen als reden sollen (V.4757 f.). Mit den Kriegsvorbereitungen, die der König trifft, um gegen Alis in den Kampf zu ziehen, überbietet er alle mächtigen Herrscher, die es in der Welt je gab, doch zwischen dem gewaltigen Aufwand und dem Umstand, dass sich der Kriegsgrund plötzlich in nichts auflöst, besteht eine komische Diskrepanz. Ebenso wenig wie das Bild des Königs ist das Helden- bzw. Ritterbild eindimensional. Alexander und auch Cligès beziehen ihr Selbstwertgefühl nicht allein aus überkommenen geburtsrechtlichen Herrschaftsansprüchen, denn sie wünschen ausdrücklich, sich außerhalb des angestammten Machtbereichs zu erproben. In dieser Haltung macht sich das Konzept des ‚Tugendadels‘ geltend, das die zeitgenössische ritterliche Ethik stark beeinflusst und in Konkurrenz zum Konzept des Geburtsadels steht. Alexander trägt zwar gewiss nicht zufällig den Namen des Welteroberers, aber er ist als adliger Ritter gezeichnet, der, ebenso wie Cligès, nicht nur über kriegerische Qualitäten verfügt, sondern auch dem neuen Typus eines höfischen Ritters entspricht: Alexander räsonniert ausführlich und in gelehrter Manier über seine Gefühle und zeigt sich dabei aufgeschlossen gegenüber der neuen Affektkultur, nach der ein Mann eine Frau nicht zur Liebe zwingen darf, sondern abwarten soll, ob sie seine Zuneigung erwidert. Die differenzierten Reflexionen in langen (inneren) Monologen, wie sie bereits im Antikenroman begegnen, kennzeichnen die ‚Empfindsamkeit‘ des Helden ebenso wie seine Haltung der Geliebten gegenüber, die Züge religiöser Verehrung annimmt. Die ‚empfindsamen‘ Züge finden sich in gesteigerter Form in der Darstellung Cligès’ wieder, der sich beim Abschied von Fenice den Tränen hingibt und sich bei ihrem vermeintlichen Tod selbst das Leben nehmen will. Offensichtlich war die Vorstellung, dass ein Ritter Furcht vor einer Frau empfinden könnte, für die zeitgenössischen Rezipienten nicht selbstverständlich, denn der Erzähler lässt sich ausführlich darüber aus,

14

Einleitung

dass ein Ritter im allgemeinen zwar kühn und furchtlos sein soll, betont aber zugleich, dass die Furcht vor der Geliebten ein Zeichen wahrer Liebe sei (V.3893 ff.). Andererseits verzichtet die Darstellung keineswegs darauf, grausame Details der Kampfhandlungen zu beschreiben, an denen die Helden beteiligt sind: Mehrfach berichtet der Erzähler davon, wie im Kampf menschliche Gliedmaßen verstümmelt, zerteilt, zerstückelt oder zerrissen und über das Kampffeld verstreut werden; auch davon, dass einem besiegten Gegner der Kopf abgeschlagen, als Trophäe auf eine Lanze gespießt und dem Gegner triumphierend vor Augen geführt wird, ist die Rede. Neben der Schilderung der brutalen kriegerischen Auseinandersetzungen steht aber auch die Darstellung der eher spielerischen Kämpfe, die Cligès beim Turnier von Oxford ausficht. Die Königin erhält im Cligès keinen Eigennamen, sie steht aber in einer besonderen Beziehung zu Alexander und spielt als Mittlerin zwischen den Liebenden eine wichtige Rolle. Die Forschung hat darauf aufmerksam gemacht, dass Soredamor zwar zwei große Monologe zugeschrieben werden, dass sie aber niemals jemanden in direkter Rede anspricht.33 Im übrigen bietet der Roman erstaunlich viele ‚starke‘ Frauenfiguren. Obwohl Fenice behauptet, sich der väterlichen Gewalt nicht widersetzen zu können, tritt sie klug und selbstbewusst auf und versteht es hervorragend, sich dem Zugriff des ungeliebten Ehemanns zu entziehen. Dabei wird sie nicht nur durch die zauberkundige Thessala unterstützt, die ihr als ‚Überfrau‘ zur Seite steht, sondern ihr wird auch die Hilfe von mehr als tausend Damen zuteil, die sie von ihrem Martyrium erlösen und die Ärzte aus dem Fenster des byzantinischen Kaiserpalastes werfen (V.6016 ff.). Die Annahme, dass Fenice mit ihrem Handeln die patriarchale Ordnung in Frage stellen würde, geht allerdings fehl.34 Ihr Wunsch, die Jungfräulichkeit zu bewahren, ist vor allem dadurch motiviert, dass sie den Anspruch Cligès’ auf den Kaiserthron nicht unterminieren will, indem sie in der Ehe mit Alis einen legitimen Erben zur Welt bringt.35 Es gelingt Fenice zwar, keine zweite Isolde zu werden, indem

33 34

35

Haidu, Aesthetic Distance (Anm. 25), S. 75. Zur Semiotik des weiblichen Körpers am Beispiel Fenices vgl. Peggy McCracken: Feminist Approaches to the Body in Medieval Literature. Ed. by Linda Lompers and Sarah Stanbury, Philadelphia 1993, S. 38–64. Diese historische Dimension verfehlt Frappier (Anm. 15), S. 113, wenn er Fenice pathetisch als „une héroïne de la liberté intérieure“ und als „fille spirituelle de Chrétien“ bezeichnet.

Liebe und Ehe

15

sie ihre Unberührtheit in der Ehe mit Alis bewahrt, aber die Geschichte lässt sie nicht ungeschoren davon kommen: Ihretwegen werden die späteren Kaiserinnen von Byzanz eingesperrt.

Liebe und Ehe Eine einheitliche Auffassung über die Ehe gibt es im Mittelalter nicht. Die Heiratspraktiken des Adels stehen in vielfachem Gegensatz zu Lehrmeinungen, die von der Kirche propagiert werden. Im mittelalterlichen Feudaladel werden Ehen in der Regel aus dynastischen, politischen und wirtschaftlichen Gründen geschlossen – und auch wieder aufgelöst, wenn sich der Zweck der Ehe, etwa durch Kinderlosigkeit oder Veränderungen der politischen Lage, nicht erfüllt. Der Ehevertrag wird in der Regel nicht von den künftigen Eheleuten, sondern von deren Familien und ihren Beratern geschlossen. Gefühle der Partner füreinander spielen keine – oder doch keine ausschlaggebende – Rolle; ein akzeptierter Heiratsgrund sind sie jedenfalls nicht. Liebe und Ehe gelten als unvereinbar. Die Kirche dagegen fordert schon seit dem frühen Mittelalter, dass eine Ehe nur mit der aus freiem Willen gegebenen Zustimmung der Ehepartner, dem Konsens (consensus), zustande kommen dürfe. Diese Forderung führt in der Konsequenz theoretisch zu einer Aufwertung der Position der Frau bei der Eheschließung. Allerdings wird die Frage, worin ein consensus besteht, von den Theologen nicht einheitlich beantwortet; das Wort umfasst eine breite Bedeutungsskala von „Einverständnis“ über „Wohlwollen“ bis hin zu „Liebe“. Indem die Kirche die Gültigkeit der Ehe von einem Konsens abhängig macht, stellt sie die Legitimität der Praktiken des Adels und seine Macht in Frage. Außerdem setzt sie sich für die Unauflösbarkeit der Ehe ein und wendet sich strikt gegen die vor allem im männlichen Feudaladel verbreitete Promiskuität sowie gegen Ehen, die unter Verwandten geschlossen werden.36 36

Als Einführung in die Problematik in historischer Perspektive sei hier verwiesen auf die anschauliche Darstellung von George Duby: Ritter, Frauen und Priester. Die Ehe im feudalen Frankreich. Frankfurt M. 1985. Zum Begriff des Konsenses und zu den kirchengeschichtlichen Positionen vgl. die Studien von John T. Noonan: Marital Affection in the Canonists. In: Studia Gratiana XII (1967), S. 481–509; ders.: Power to Choose. In: Viator 4 (1973), S. 419–434; Charles Donahue Jr.: The Policy of Alexander III’s Concent Theory. In: Proceedings of the Fourth International Congress of Medieval Canon Law. Ed. by Stephan Kuttner. Città del Vaticano 1976 (Monumenta iuris canonici, Ser. C: Subsidia, Vol.5), S. 251–281; Rudolf Weigand: Zur mittelalterlichen

16

Einleitung

Die gegensätzlichen Auffassungen über die Ehe konstituieren ein Spannungsfeld, das spätestens seit dem Ende des 11. Jahrhunderts zu dramatischen politischen Konflikten in der historischen Wirklichkeit führt. Auf dieses Spannungsfeld ist die Auseinandersetzung mit Konzepten von Liebe und Ehe in der volkssprachlichen Literatur der Zeit in vielfacher Weise bezogen. Die Troubadours im Süden Frankreichs geben mit ihren Liedern eine erste Antwort auf die Herausforderung durch die kirchlichen, von asketischen Idealen geprägten Vorstellungen, indem sie einen höfischen Liebescode entwickeln, der die Beziehung zwischen den Geschlechtern neu regelt. Die Relation zwischen Mann und Frau wird nach dem Muster einer Vasallitätsbeziehung modelliert, aber das hierarchische Geschlechterverhältnis zugleich umgekehrt, so dass die Frau als eine zum Inbegriff aller Werte erhobenen ‚Herrin‘ erscheint, der Mann hingegen in der Position eines ‚Dieners‘, der demütig um ihre Liebe wirbt. Um den Preis ihrer Unerreichbarkeit wird die Frau in der Lyrik der Troubadours zum Objekt einer Verehrung, die bis ins Religiöse gesteigert werden kann. Die Auffassung, dass Liebe und Ehe unvereinbar seien, scheint sich auf diese Weise eingebürgert zu haben. Jedenfalls beruft sich der Kaplan Andreas in seinem um 1200 entstandenen lateinischen Traktat über die Liebe auf sie wie auf einen Rechtssatz.37 Auch die erzählende Literatur der Zeit bemüht sich um Antworten auf die kontroversen Standpunkte in der Diskussion über die Ehe. Dabei zeichnet sich, exemplarisch im Roman d’Eneas, die Tendenz ab, Konzepte für eine Synthese von Ehe und Liebe zu entwickeln und sie narrativ durchzuspielen. In differenzierender Form folgt diesen Bemühungen auch Chrétien mit seinem Roman Erec et Enide. Der harmonisierenden Tendenz solcher Bestrebungen aber stellt sich der Tristan entschieden entgegen, indem er den Gegensatz von Liebe und Ehe radikalisiert und zugleich mythisch verankert. Chrétiens Bestreben im Cligès scheint darauf zu zielen, diesen Mythos zu dekonstruieren, und zwar vorzugsweise mit Mitteln, derer sich der Tristan selbst bedient. Es wäre zwar überspitzt, dem Cligès den Charakter eines „matrimonial case-book“ zuspre-

37

Ehegerichtsbarkeit. In: Zeitschrift für Rechtsgeschichte (Kanon. Abt.) 89 (1981), S. 213–247, und ders.: Liebe und Ehe bei den Dekretisten des 12. Jahrhunderts. In: Love and Marriage in the Twelfth Century. Hg. von Willy Horcke und Andries Welkenhuysen. Leuven 1981, S. 41–58. Andreae Capellani De amore libri tres. Ed. E. Trojel. Kopenhagen 1892 [Neudruck 1962].

Liebe und Ehe

17

chen zu wollen, wie es David J. Shirt vorgeschlagen hat,38 aber es ist zweifellos richtig, dass in dem Roman verschiedene Formen und Modalitäten der Eheschließung exemplarisch vorgeführt werden. Anhand von Alexander und Soredamor wird gezeigt, dass zwischen beiden spontan eine Liebesbeziehung entsteht; im Blick auf die zeitgenössische Kontroverse über Liebe und Ehe ist es aufschlussreich, wie sehr betont wird, dass Alexander Artus nicht um Soredamor bitten will, bevor er nicht weiß, ob sie seine Zuneigung erwidert und mit einer Verbindung einverstanden ist. Im Unterschied zum Tristan führt die Beziehung auch zu einer legalen Eheschließung. Die Worte der Königin, die als Ehevermittlerin und ‚Brautgeberin‘ fungiert, machen den programmatischen Charakter der Eheschließung offenbar: Damit ihre Beziehung Bestand habe, sollen sich Alexander und Soredamor Par mariage e par enor (V.2304) miteinander verbinden. Ein ganz anderes Ehemodell repräsentiert die Verbindung zwischen Alis und Fenice, die aus politischen Gründen und ohne das Einverständnis der Braut zustande kommt. Das Modell einer politisch begründeten Ehe wird so mit dem Modell einer durch Liebe motivierten Ehe kontrastiert. Auch Fenice erhebt den Anspruch, mit dem Mann verheiratet zu werden, den sie liebt (V.3137 ff.), und so mündet schließlich ihre Liebesbeziehung zu Cligès nach einigen Komplikationen ebenfalls in eine Ehe. In beiden Szenarien wird Liebe als Heiratsgrund akzeptiert und gegenüber dem Konzept einer nur politisch motivierten Ehe erkennbar favorisiert. Einige Interpreten haben Anstoß daran genommen, dass Fenice als verheiratete Frau eine Liebesbeziehung mit Cligès eingeht, und die Frage aufgeworfen, ob sie sich damit des Ehebruchs schuldig macht.39 In diesem Zusammenhang wurden Regelungen des kanonischen Eherechts der Zeit konsultiert, in denen sich Chrétien, wie die Thematisierung von Ehefragen auch in seinen anderen Romanen vermuten lässt, offenbar gut auskannte. Sally L. Burch zieht zum Vergleich mit dem Cligès die um 1200 entstandene Geschichte von Amadas et Ydoine heran,40 die nicht nur deutliche thematische Parallelen mit Chrétiens Roman erken38

39

40

David J. Shirt: A Twelfth-Century Matrimonial Case-Book? In: Forum for Modern Language Studies 18 (1982), S. 75–78. Sally L. Burch: Amadas et Ydoine, Cligès, and the Impediment of Crime. In: Forum for Modern Language Studies 36 (2000), S. 185–195. Die Interpretin äußert außerdem die Vermutung, dass Chrétien mit seiner Darstellung die byzantinische Gesellschaft als dekadent habe charakterisieren wollen. Demgegenüber ist zu betonen, dass die Eheproblematik seinerzeit gerade im christlichen Westen von höchster Aktualität war. Éd. par J.R. Reinhard. Paris 1926 (CFMA 51).

18

Einleitung

nen lässt, sondern in der auch Aspekte des kirchlichen Eherechts angesprochen werden: Wie dort wird hier eine Frau, Ydoine, nicht mit dem geliebten, sondern mit einem ungeliebten Mann verheiratet, sie bewahrt ebenfalls ihre Virginität in der Ehe, wird ebenfalls zeitweilig für tot gehalten und schließlich aber doch noch mit Amadas, dem Geliebten, verbunden. Ydoine unterhält zu Amadas vor der Ehe jedoch keine sexuellen Beziehungen; sonst hätte sie, wie Burch ausführt, nach kirchlichem Recht Ehebruch begangen und ihn nicht heiraten können. Im Cligès werde die Ehe zwischen Alis und Fenice zwar nicht vollzogen, aber sie sei als rechtlich gültig anzusehen. Deshalb könne die Frage, ob Fenice sich des Ehebruchs schuldig mache, nicht einfach verneint werden.41 Zuvor hatte allerdings schon Shirt darauf hingewiesen, dass es in der Kirche unterschiedliche Meinungen darüber gab, wodurch die Gültigkeit einer Ehe konstituiert wurde.42 Allgemein verbreitet war die Auffassung Gratians (um 1140), nach der Vertrag und Vollzug entscheidend waren, Petrus Lombardus (nach 1151) aber machte die Gültigkeit der Ehe ausschließlich vom consensus abhängig, ganz im Sinne des Satzes non coitus (oder copula carnis), consensus facit matrimonium.43 So wichtig es ist, die Auseinandersetzung mit der Ehethematik im Cligès mit Blick auf historische Ehekonzepte und -praktiken zu betrachten, so erscheint die Annahme gleichwohl fraglich, dass Chrétien mit seiner Darstellung eine bestimmte Rechtsauffassung im Sinne kirchlicher Regelungen vermitteln wollte. Nicht übersehen werden darf, dass in die Eheproblematik, die er in seiner Dichtung entfaltet, auch Alis einbezogen ist. In der wiederholten Erinnerung an den Eidbruch, mit dem Alis sich ins Unrecht setzt, waltet die poetische Gerechtigkeit, die das Verhalten der Liebenden entschuldigt. Der Schluss des Cligès schließlich zeigt, dass die Dichtung wie in Erec et Enide auf eine Harmonisierung von Liebe und Ehe zielt: Wie ein Echo auf den ersten Roman Chrétiens heißt es, dass Cligès nach seiner Krönung und nach der Eheschließung aus seiner Freundin seine Frau machte De s’amie a feite sa fame (V.6753) und sie ihrerseits es ihm gleich tat. Ebenso wie das Thema Ehe bedarf auch das Thema Liebe der Historisierung. Zu betonen ist, dass die Bedeutung von ‚Liebe‘ im Mittelalter mit der heutigen Bedeutung des Wortes nicht einfach gleichgesetzt wer41 42 43

Burch (Anm. 39), S. 192. Shirt (Anm. 38). „Nicht durch den Beischlaf (oder die körperliche Vereinigung), sondern durch den Konsens wird die Ehe vollzogen.“

Liebe und Ehe

19

den darf. Der Terminus amor konnte nicht nur das erotische Verhältnis zwischen Mann und Frau bezeichnen, sondern auch die politische Beziehung zwischen Herr und Vasall oder die Liebe zwischen Gott und Mensch im religiösen Bereich. Neben erotischen, politischen und religiösen prägten auch medizinische Vorstellungen den Wortgebrauch. Viele Elemente des mittelalterlichen Diskurses über die Liebe stammen aus der Antike; der Einfluss Ovids insbesondere auf den Cligès ist in vielen Details nachgewiesen worden. In der Tat spielt Chrétien souverän mit allen Versatzstücken des ovidianischen Registers: mit der Auffassung etwa, dass die Liebe lehr- und lernbar sei, mit dem Topos von der Liebe als Krankheit oder – rhetorisch zugespitzt in der Figur des Oxymoron – von der Liebe als „süßem Leiden“, mit der Auffassung, dass die Liebe an Körperzeichen, an der wechselnden Gesichtsfarbe, ‚ablesbar‘ sei, auch der Gedanke des Liebesdienstes bzw. der Liebe als Krieg, der militia amoris, ist bei dem römischen Dichter vorgeprägt. Kaum geringer aber ist der Einfluss der Troubadours. So rekurriert Chrétien wie selbstverständlich auf das politische Modell einer Vasallitätsbeziehung, um die erotische Interaktion zwischen den Liebenden einerseits und zwischen dem personifizierten Amor und den Liebenden andererseits zu veranschaulichen. Auch die religiöse Übersteigerung der Gefühle fehlt nicht. Als Alexander erfährt, dass Soredamor eines ihrer Haare in das Seidenhemd eingewirkt hat, das ihm die Königin geschenkt hatte, ist er überglücklich und küsst das Haar, sobald er allein ist, wie die Reliquie einer Heiligen. Cligès schließlich liefert beim Abschied von Fenice das Bild eines in Tränen aufgelösten ‚sentimentalen‘ Liebenden und weist sich durch eine außerordentliche Schüchternheit ihr gegenüber aus. Die Ausführungen über das néant (V.3299 ff.), über das „Nichts“, über das illusorische Glück, das Alis durch den Genuss des Zaubertranks erfährt, nehmen Bezug auf ein Lied des Troubadours Guillaume d’Aquitaine und lassen sich als ironisches Spiel mit der trobadoresken Vorstellung von der Liebe zu einer ‚nie gesehenen Dame‘ verstehen.44 Eine besondere Rolle bei der Entwicklung einer neuen Psychologie der Liebe aber spielen die Monologe im Cligès, denen die Kritik gelegentlich jedoch mit Unverständnis begegnet ist.45 Mit der Technik der 44

45

Francesco Zambon: „Neant tient, a neant parole“. Il sogno erotico nel Cligès di Chrétien de Troyes. In: Geografia, storia e poetiche del fantastico. Ed. by Monica Farnetti. Florenz 1995, S. 72–82. Norris J. Lacy: Form and Pattern in Cligès. In: Orbis Litterarum 25 (1970), S. 307–313, dort S. 307, etwa bezeichnet die Monologe als „tedious“.

20

Einleitung

‚inneren Monologe‘ knüpft Chrétien an den Antikenroman, insbesondere an den Roman d’Eneas, an, nutzt sie aber zur Entfaltung einer Theorie über die Entstehung der Liebe, die explizit gegen den Tristan gerichtet zu sein scheint und mit modernen Vorstellungen über die Liebe wenig gemein hat. Zur Charakterisierung dieser Monologe ist, wie Jody Enders in einer aufschlussreichen Studie gezeigt hat, „the stream-of-consciousness technique of modern novelists“46 nicht angemessen; vielmehr macht Chrétien, so Enders, in ingeniöser Weise traditionelle rhetorische Praktiken für eine neue literarische Psychologie der Liebe produktiv. Um die Entstehung der Liebe zu erklären, greift er auch auf zeitgenössische Theorien über die optische Wahrnehmung zurück.47 Chrétien nutzt nicht nur die Form des scholastischen Dialogs, um einen inneren Konflikt der Figuren zu gestalten, indem sie zu sich selbst mit zwei Stimmen sprechen. Wie vor allem der innere Monolog zeigt, in dem Fenice die verschlüsselte Liebeserklärung zu enträtseln versucht, mit der Cligès sich von ihr verabschiedet hat, macht er auch das rhetorische Verfahren der ars memorativa produktiv und setzt den Prozess der literarischen Produktion und den Prozess der Selbsterkenntnis durch die Erinnerung in Bezug zueinander. Entscheidend ist dabei die Verbindung von mnemonischer Invention und literarischem Finden. Denn die Monologe veranschaulichen exemplarisch, wie die mnemonische Methode psychologischer Entdeckung funktioniert und sich ein ‚Selbst‘ in der Erinnerung konstituiert. Die Erinnerung an Zeit, Ort und Umstände der Begegnung mit dem Geliebten liefert die imagines agentes und mit ihnen das script, nach dem sich die Liebe in der Erinnerung konstituiert und als solche ‚erkannt‘ (und bekannt) wird. Die Figuren werden so mit einer „mnemonic identity“ ausgestattet.48 Fenices Monolog reflektiert demnach die (Er-)Findung des Selbst als Subjekt der Liebe als schöpferischen Prozess, welcher dem Prozess der literarischen Produktion analog ist.

46

47

48

Jody Enders: Memory and Psychology of the Interior Monologue in Chrétien’s Cligès. In: Rhetorica X,1 (1992), S. 5–23, dort S. 20. Vgl. dazu Ruth H. Cline: Heart and Eyes. In: Romance Philology 25 (1971/72), S. 263–297, und Dana E. Stewart: The Arrow of Love. Optics, Gender, and Subjetivity in Medieval Love Poetry. Lewisburg, Bucknell University Press London: Associated University Press 2003. Enders (Anm. 46), S. 7.

Aspekte der Wirkungsgeschichte und die deutsche Bearbeitung des Cligès

21

Aspekte der Wirkungsgeschichte und die deutsche Bearbeitung des Cligès Der Cligès ist in sieben vollständigen Handschriften und fünf Fragmenten überliefert, die zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert datiert werden;49 aus dem 15. Jahrhundert ist außerdem noch eine Bearbeitung in Prosa erhalten.50 Dass es eine mittelhochdeutsche Bearbeitung gegeben hat, steht seit dem Fund eines ersten, in Zürich entdeckten Fragments (Z) außer Frage, in dem Teile der Abschiedsgespräche zwischen Alis und Cligès und zwischen Fenice und Cligès enthalten sind. Über den Verfasser dieser Bearbeitung gibt es allerdings widersprüchliche Angaben. So hebt Rudolf von Ems in seinem Alexander hervor, dass Konrad Fleck dargestellt habe, wie der strengen Minne craft Clîesen twang (V.3239 f.),51 in seinem Wilhelm von Orlens preist er jedoch die große Kunst, die Ulrich von Türheim als Bearbeiter des Stoffs unter Beweis gestellt habe (V.2256 ff.).52 Möglicherweise hat es also zwei Bearbeitungen gegeben. Demgegenüber ist in der Forschung jedoch die Vermutung geäußert worden, dass Konrad Fleck seine Bearbeitung nicht abgeschlossen und Ulrich von Türheim sie zu Ende gedichtet haben könnte. Durch die 1966 entdeckten Kalocsaer Fragmente (K), die Unterredungen zwischen Cligès, Johann und Thessala aus der Episode von Fenices scheinbarem Tod enthalten, wird die Verfasserschaft Ulrichs von Türheim aber bestätigt, da der Erzähler sich diesen Namen zuschreibt. Der bislang letzte Fund, das Fragment P, das vom Kampf zwischen Gauvain und Cligès beim Turnier von Oxford berichtet, wurde 1975 im Archiv des Stiftes St. Paul im Lavanttal ent49

50

51

52

Vgl. die Einleitungen zur Edition von Claude Luttrell und Stewart Gregory: Chrétien de Troyes, Cligés. Cambridge 1993 (Arthurian Studies 28) sowie Charles MÉla und Olivier Collet: Chrétien de Troyes, Cligès. Edition critique du manuscrit B.N. fr. 12560, traduction et notes. Paris 1994, hier besonders S. 29 ff. Der Text ist im Appendix der Großen Ausgabe des Cligès von Foerster (Anm. 4) abgedruckt. Erst kürzlich erschien eine Neuausgabe: Le livre de Alixandre empereur de Constentinoble et de Cligés son filz. Roman en prose du XVe siècle. Edition critique par Maria Colombo Timelli. Genève 2004 (Textes littéraires français). Rudolf von Ems: Alexander. Ein höfischer Versroman des 13. Jahrhunderts. Hg. von Viktor Junk. Leipzig 1928/29 (Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart 272 und 274). Rudolf von Ems: Wilhelm von Orlens. Hg. von Viktor Junk. Berlin 1905. – Die Hinweise auf den Cligès sind in der deutschen Literatur offenbar zahlreicher als in der französischen, vgl. Foerster (Anm. 9), S. XXIV–XXVI.

22

Einleitung

deckt.53 Alle Fragmente stammen aus dem zweiten Teil des Romans, und da sie derselben Pergamenthandschrift zugewiesen werden, steht außer Frage, dass sie einer Bearbeitung des Cligès durch Ulrich von Türheim angehören. Die Frage, ob Konrad Fleck den Stoff ebenfalls bearbeitete oder ob Ulrich von Türheim eine von Fleck angefangene Dichtung vollendete, lässt sich gleichwohl aufgrund der Materiallage nicht beantworten. Mit Blick auf Thomasins Empfehlung des Cligès als Jugendlektüre stellt sich die Frage, welchen Charakter die deutsche Bearbeitung des Romans hatte, die ihm und dem deutschen Publikum bekannt war. Festzuhalten ist, dass er als vorbildhaft explizit nur Cligès und Soredamor erwähnt, nicht aber Fenice. Über das Konzept der Bearbeitung Ulrichs von Türheim erlauben die Fragmente nur wenig Aufschluss. Man hat generell eine moralisierende Tendenz aus ihnen herausgelesen und auf Veränderungen in der Figurengestaltung hingewiesen; so habe Alis bei Ulrich von Türheim positivere Züge als bei Chrétien, während Artus negativer erscheine.54 Erhalten sind Teile aus der Szene des Abschieds, bevor Kliges an den Artushof reist (Z); der Onkel stattet ihn großzügig für die Reise aus, und zwischen Kliges und Venix scheint bereits Einverständnis über ihre gegenseitige Liebe zu herrschen (Kligesen ir herz lech55). In der Darstellung des Kampfes zwischen Kliges und Kawein beim Turnier von Oxford (P) wird der Altersunterschied sowie die verwandtschaftliche Beziehung stark hervorgehoben und die Härte des Kampfes herausgestellt. Von Kawein etwa heißt es, dass er von dem kinde am Kopf verletzt wurde, so dass er blutete, und dass er den Gegner ebenfalls nicht schonte (An den selben stunden. Sluoc er seiner swester kint. Daz ez nah waz worden blint56). Auch unterbricht Artus nicht aus eigener Initiative den Kampf, sondern tut dies auf Bitten der Ritter, denen der Kampf missfällt. Danach gesteht Kawein seine Unterlegenheit ein und hält eine Lobrede auf Kliges. Das dritte Fragment (K) ist nur zum Teil lesbar; es gehört aber zweifellos in die Episode von Fenices vermeintlichen Tod. András Vizkelety schließt aus seinem Befund, dass Ulrich die Krank-

53

54

55 56

H. Gröchenig und P. H. Pascher: Ulrich von Türheim, Cligès. Ausgabe der bisher bekannten Fragmente vermehrt um den Neufund aus St. Paul im Lavanttal. Einleitung und buchkundliche Beschreibung. Klagenfurt 1984 (armarium 2). Ándrás Vizkelety: Neue Fragmente des mhd Cligès-Epos aus Kalocsa (Ungarn). In: Zeitschrift für deutsche Philologie 88 (1969), S. 409–431, dort S. 413. Gröchenig/Pascher (Anm. 53), S. 45. Gröchenig/Pascher (Anm. 53), S. 50.

Textgrundlage der Übersetzung

23

heitsgeschichte Fenices sehr vereinfacht habe, und verweist darauf, dass die Fragmente nichts von der Harnprobe und den Ärzten aus Salerno „wissen“.57

Textgrundlage der Übersetzung Die vorliegenden Ausgaben von Chrétiens Cligès basieren auf unterschiedlichen editorischen Verfahren und stehen gleichsam exemplarisch für die Editionsgeschichte der letzten hundert Jahre. Der Herausgeber der ältesten Edition, Wendelin Foerster legt die Handschrift S, die er damals für die beste Überlieferung hielt, als Leithandschrift zugrunde, benutzt jedoch, in der Tradition Lachmanns stehend, für die Edition die gesamte ihm seinerzeit zugängliche Überlieferung (alle Handschriften mit Ausnahme von N). Alexandre Micha verwirft Foersters Prinzip als eklektizistisch und gibt den Text nach einer einzigen Handschrift heraus, nach A, der berühmten „copie Guiot“. Claude Luttrell und Stewart Gregory benutzen ebenfalls A als Leithandschrift, unterwerfen sie jedoch einer kritischen Prüfung und beziehen, ähnlich wie Foerster, die gesamte Überlieferung in ihre kritische Prüfung ein. Charles Méla und Olivier Collet edieren den Text auf der Grundlage von C, und Philippe Walter schließlich greift in seiner Ausgabe des Textes in der Bibliothèque de la Pléïade erneut auf A zurück. In Anbetracht der Überlieferungs- und Editionslage sowie der historischen Pionierleistung, die Foerster mit seinen Ausgaben der Werke Chrétiens vollbracht hat, bedarf es keiner besonderen Rechtfertigung, dass bei der Suche nach einer Grundlage für die vorliegende Übersetzung die Wahl auf seine Edition fiel.58 Noch heute wird Foerster bescheinigt, dass sein Versuch, die Orthographie möglichst nahe an der Sprache des vermutlich aus der Champagne stammenden Dichters zu orientieren, auf seriösen Studien beruht und seine Lesarten oft exzellent sind.59 Der grundsätzlichen Kritik, die dem ‚eklektizistischen‘ editori-

57 58

59

Vizkelety (Anm. 54), S. 418. Es handelt sich um die dritte und die letzte von Foerster allein verantwortete Ausgabe von 1910 (zitiert in Anm. 10). Vgl. die Einleitungen von Luttrell/Gregory (wie Anm. 49), sowie von Méla/Collet (Anm. 49), hier besonders S. 29 ff.

24

Einleitung

schen Verfahren in Lachmannscher Tradition gilt,60 steht eine ebenso grundsätzliche Kritik an dem Verfahren entgegen, einen Text möglichst nur nach einer einzigen Handschrift zu edieren und damit dem Konzept des ‚unfesten Textes‘, der Varianz und der Variabilität in der mittelalterlichen Überlieferung, Rechnung zu tragen. Dies schließt allerdings die Gefahr ein, der Tätigkeit der Schreiber eine besondere, wenn nicht eine allzu große ‚Autorität‘ zuzuschreiben.61 Die Kritik an Foerster besteht im übrigen vor allem in dem Vorwurf, dass er der Handschrift S zuviel Vertrauen geschenkt habe und sein Variantenapparat falsche Zuordnungen der Lesarten zu den Manuskripten enthalte.62 Die Übersetzung trägt dieser Kritik Rechnung, indem sie, nach der Ausgabe von Luttrell/ Gregory, auf sinntragende Varianten verweist. Der Variantenapparat mit den Lesarten der Ausgabe Foersters ist für die Übersetzung ohnehin von nachrangiger Bedeutung. Mit der kommentierten Übersetzung des Cligès von Chrétien de Troyes wird ein Werk, das für die Geschichte des mittelalterlichen Romans in Europa von großer Bedeutung ist, für deutschsprachige Benutzer erschlossen. Damit soll eine weitere Basis sowohl für eine interdisziplinär arbeitende germanistische Mediävistik als auch für Forschungen zur Geschichte und Theorie des Romans gelegt werden. Die Übersetzung hält sich so eng wie möglich an Wortlaut und Stil des altfranzösischen Textes. Vor allem der unvermittelte Wechsel vom Präteritum zum Präsens (und umgekehrt), der auf das heutige Sprachgefühl irritierend wirkt, wurde in den meisten Fällen bewahrt, weil er ein Charakteristikum mittelalterlichen Erzählens ist, dessen Strukturen und Effekte sich nicht, wie manche Pleonasmen, mit der Versform erklären lassen. Der Tempuswechsel verweist vielmehr auf eine spezifisch historische Wahrnehmung und Organisation von Zeit, die noch nicht hinreichend erforscht und erklärt ist.

60

61

62

Les romans de Chrétien de Troyes édités d’après la copie Guiot (BN Fr. 794). II. Cligès. Publié par Alexandre Micha. Paris 1957 (Les Classiques Français du moyen âge 84). Cligès. Texte établi, traduit, présenté et annoté par Philippe Walter. In: Chrétien de Troyes, Œuvres complètes. Edition publiée sous la direction de Daniel Poirion. Paris 1994 (Bibliothèque de la Pléïade). Exemplarisch hierfür sei auf die Studie hingewiesen von Claude Luttrell und Steward Gregory: Les fragments d’Oxford du Cligès de Chrétien de Troyes. In: Romania 113 (1992/95), S. 320–348. Luttrell/Gregory (Anm. 49), S. XXIX.



Text und Übersetzung

25

26 1

5

10

15

20

25

30

35

40

Text und Übersetzung

Cil qui fist d’Erec et d’Enide, Et les Comandemanz Ovide Et l’Art d’Amors an romanz mist Et le Mors de l’Espaule fist, Del roi Marc et d’Iseut la blonde, Et de la Hupe et de l’Aronde Et del Rossignol la Muance, Un novel conte recomance D’un vaslet, qui an Grece fu Del lignage le roi Artu. Mes ainz que de lui rien vos die, Orroiz de son pere la vie, Dont il fu et de quel lignage. Tant fu preuz et de fier corage, Que por pris et por los conquerre Ala de Grece an Eingleterre, Qui lors estoit Bretaingne dite. Ceste estoire trovons escrite, Que conter vos vuel et retreire, An un des livres de l’aumeire Mon seignor saint Pere a Biauvez. De la fut li contes estrez, Don cest romanz fist Crestiiens. Li livres est mout anciiens, Qui tesmoingne l’estoire a voire ; Por ce fet ele miauz a croire. Par les livres que nos avons Les fez des anciiens savons Et del siecle qui fu jadis. — Ce nos ont nostre livre apris, Que Grece ot de chevalerie Le premier los et de clergie. Puis vint chevalerie a Rome Et de la clergie la some, Qui ore est an France venue. Des doint qu’ele i soit retenue Et que li leus le abelisse Tant que ja mes de France n’isse L’enors qui s’i est arestee. Des l’avoit as autres prestee,

1–40 1

5

10

15

20

25

30

35

40

Der Dichter von Erec und Enide, der die Regeln Ovids und die Kunst der Liebe in die Volkssprache übertrug, der vom Schulterbiss erzählte und von König Marke und der blonden Isolde und von der Metamorphose des Wiedehopfs, der Schwalbe und der Nachtigall, der beginnt jetzt eine neue Erzählung von einem Knappen, der in Griechenland lebte, aus dem Geschlecht von König Artus. Aber bevor ich euch irgendetwas über ihn sage, hört vom Leben seines Vaters, woher er stammte und aus welchem Geschlecht. Er war so tapfer und stolz, dass er, um Ruhm und Ehre zu erwerben, von Griechenland nach England ging, das man damals Britannien nannte. Wir finden diese Geschichte, die ich euch erzählen und berichten will, in einem der Bücher der Kirchenbibliothek von Saint Pierre in Beauvais geschrieben. Ihm wurde die Geschichte entnommen, aus der Chrétien diesen Roman machte. Das Buch, das die Wahrheit der Geschichte belegt, ist sehr alt; darum ist sie um so glaubwürdiger. Durch die Bücher, die wir besitzen, wissen wir von den Taten der Alten und von der Welt, die einstmals war. Das haben uns unsere Bücher gelehrt, dass die erste Blüte der Ritterschaft und Bildung in Griechenland entstand. Und dann kam die Ritterschaft und die gesamte Bildung nach Rom, die nun nach Frankreich gewandert ist. Gott gebe, dass sie dort bleibt und der Ort ihr so sehr gefällt, dass Frankreich niemals mehr die Ehre und den Ruhm verliert, der sich dort niedergelassen hat. Gott hatte sie den anderen geliehen,

27

28

Text und Übersetzung

Mes des Grezois ne des Romains Ne dit an mes ne plus ne mains ; D’aus est la parole remese Et estainte la vive brese. 45

50

55

60

65

70

75

Crestiiens comance son conte, Si con l’estoire nos reconte, Qui treite d’un anpereor Puissant de richesce et d’enor, Qui tint Grece et Costantinoble. Anpererriz i ot mout noble, Don l’anperere ot deus anfanz. Mes ainz fu li premiers si granz, Que li autre neissance eüst, Que li premiers, se li pleüst, Poïst chevaliers devenir Et tot l’anpire maintenir. Li premiers ot non Alixandre, Alis fu apelez li mandre. Alixandres ot non li pere, Et Tantalis ot non la mere. De l’anpererriz Tantalis, De l’anpereor et d’Alis La parole a tant leisserai. D’Alixandre vos parlerai, Qui tant fu corageus et fiers, Que il ne deigna chevaliers Devenir an sa region. Oï ot feire manssion Del roi Artu qui lors regnoit, Et des barons que il tenoit An sa conpaignie toz jorz, Par qu’estoit dotee sa corz Et renomee par le monde. Comant que la fins li responde Et comant que il l’an avaingne, N’est riens nule, qui le detaingne, Qu’aler ne s’an vuelle an Bretaingne ; Mes ainz est droiz que congié praingne A son pere, que il s’an aille

41–79

aber von Griechen oder Römern spricht man kein Wort mehr. Die Rede über sie ist verstummt und die lebendige Glut erloschen. 45

50

55

60

65

70

75

Chrétien beginnt seine Erzählung so, wie die Geschichte sie uns erzählt, die von einem Kaiser handelt, mächtig an Besitz und Ehre, der über Griechenland und Konstantinopel herrschte. Von der hochadligen Kaiserin dort hatte der Kaiser zwei Söhne. Aber der erste war schon so groß, als der andere geboren wurde, dass der erste, wenn es ihm angenehm gewesen wäre, hätte Ritter werden und über das ganze Reich hätte herrschen können. Der erste hieß Alexander, Alis war der Name des jüngeren. Alexander hieß der Vater und Tantalis die Mutter. Über die Kaiserin Tantalis, den Kaiser und Alis werde ich jetzt nicht weiter reden. Ich werde euch von Alexander erzählen, der so tapfer und stolz war, dass er nicht in seinem Heimatland Ritter werden wollte. Er hatte von König Artus reden hören, der damals regierte, und von den Herren, die stets in seiner Gesellschaft waren, weshalb sein Hof in der Welt gefürchtet und berühmt war. Wie immer es auch ausgehen wird und was immer ihm auch widerfahren mag – es gibt nichts, das ihn daran hindern könnte, seinem Wunsch zu folgen und nach Britannien zu gehen. Aber es ist nur recht und billig, dass er seinen Vater um Erlaubnis bittet,

29

30 80

85

90

95

100

105

110

115

Text und Übersetzung

An Bretaingne n’an Cornoaille. Por congié prandre et demander Vet a l’anpereor parler Alixandres, li biaus, li preuz. Ja li dira, ques est ses veuz Et que il viaut feire et anprandre. « Biaus pere ! por enor aprandre Et por conquerre pris et los, Un don », fet il, « querre vos os, Que je vuel que vos me doigniez, Ne ja ne le me porloigniez, Se otreiier le me devez. » De ce ne cuide estre grevez L’anperere ne po ne bien ; L’enor son fil sor tote rien Doit il voloir et coveitier. Mout cuideroit bien esploitier, — Cuideroit ? et si feroit il — S’il acreissoit l’enor son fil. « Biaus fiz ! » fet il, « je vos otroi Vostre pleisir, et dites moi, Que vos volez que je vos doingne. » Or a bien feite sa besoingne Li vaslez, et mout an fu liez, Quant li dons li est otreiiez, Qu’il tant desirroit a avoir. « Sire ! » fet il, « volez savoir Que vos m’avez acreanté ? Je vuel avoir a grant planté De vostre or et de vostre arjant Et conpaignons de vostre jant Tes con je les voldrai eslire ; Car issir vuel de vostre anpir, S’irai presanter mon servise Au roi qui Bretaingne justise, Por ce que chevalier me face. Je n’avrai armee la face Ne hiaume el chief, jel vos plevis, A nul jor que je soie vis, Tant que li rois Artus me çaingne

80–119 80

85

90

95

100

105

110

115

bevor er sich nach Britannien und Cornwall aufmacht. Um diese Erlaubnis zu erhalten, geht der schöne und tapfere Alexander zum Kaiser, um mit ihm zu sprechen. Er wird ihm erklären, was er wünscht und was er tun und unternehmen möchte. „Lieber Vater, um zu lernen, was Ehre ist, und um Ruhm und Lob zu erwerben, wage ich es“, sagt er, „von Euch eine Gabe zu erbitten, von der ich wünsche, dass Ihr sie mir gebt, und zwar sofort, wenn Ihr sie mir zugestehen solltet.“ Dass diese Bitte ihm Kummer verursachen könnte, ahnt der Kaiser überhaupt nicht. Die Ehre seines Sohnes muss er über alles wollen und erstreben. Er glaubt, richtig zu handeln, wenn er die Ehre seines Sohnes vergrößert. – Glauben? Er würde es tun! – „Lieber Sohn“, sagt er, „ich gewähre Euch Eure Bitte, nun sagt mir, welche Gabe Ihr von mir begehrt.“ Da hat sich die Sache für den jungen Knappen gut gefügt, und er war sehr glücklich darüber, dass ihm die Gabe gewährt wird, die er so sehr zu haben begehrte. „Herr“, sagt er, „wollt Ihr wissen, was Ihr mir versprochen habt? Ich will eine große Menge von Eurem Gold und Eurem Silber haben und Begleiter von Euren Leuten nach meiner Wahl, denn ich will Euer Reich verlassen und meinen Dienst dem König anbieten, der in Britannien herrscht, damit er mich zum Ritter macht. Niemals werde ich das Gesicht wappnen oder einen Helm auf dem Kopf tragen, solange ich lebe, das schwöre ich Euch, bis der König Artus – sofern er geruht,

31

32

Text und Übersetzung

120

L’espee, se feire le daingne ; Que d’autrui ne vuel armes prandre. » L’anperere sanz plus atandre Respont : « Biaus fiz !, por De, ne dites ! Cist païs est vostre toz quites Et Costantinoble, la riche. Ne me devez tenir por chiche, Quant si bel don vos vuel doner. Par tans vos ferai coroner, Et chevaliers seroiz demain. Tote Grece iert an vostre main : Et de voz barons recevroiz, Si con reçoivre les devoiz, Les seiremanz et les homages. Qui ce refuse, n’est pas sages. »

125

130

135

140

145

150

155

Li vaslez antant la promesse, Que l’andemain aprés la messe Le viaut ses peres adober, Et dit qu’il iert mauvés ou ber An autre païs que el suen. « Se vos volez feire mon buen De ce, don je vos ai requis, Donc me donez et ver et gris Et buens chevaus et dras de soie ; Car einçois que chevaliers soie, Voldrai servir le roi Artu. N’ai pas ancor si grant vertu, Que je poïsse armes porter. Nus ne m’an porroit enorter Par proiiere ne par losange, Que je n’aille an la terre estrange Veoir le roi et ses barons, De cui si granz est li renons De corteisie et de proesce. Maint haut home par lor peresce Perdent grant los, que il porroient Avoir, se par le monde erroient. Ne s’acordent pas bien ansanble Repos et los, si con moi sanble ;

120–158 120

125

130

135

140

145

150

155

33

dies zu tun – mir das Schwert umgürtet, denn von keinem anderen will ich mich zum Ritter schlagen lassen.“ Ohne weiter abzuwarten, antwortet der Kaiser: „Lieber Sohn, bei Gott! Schweigt! Dieses Land gehört ganz und gar Euch und auch das mächtige Konstantinopel. Ihr dürft mich nicht für geizig halten, da ich Euch eine so schöne Gabe geben will. Ich werde Euch bald krönen lassen, und morgen werdet Ihr Ritter werden. Ganz Griechenland wird in Eurer Hand sein. Und von Euren Vasallen werdet Ihr Eurem Recht gemäß Treueschwüre und Lehnseide entgegennehmen. Wer dies verweigert, ist nicht klug.“ Der Knappe hört, wie der Vater verspricht, ihn am nächsten Tag nach der Messe zum Ritter zu schlagen, und er sagt, dass er in einem anderen Land als dem eigenen sein Glück erproben werde. „Wenn Ihr mir zubilligen wollt, worum ich Euch gebeten habe, dann gebt mir buntgescheckte und graue Pelze und gute Pferde und Seidenstoffe, denn bevor ich Ritter werde, möchte ich König Artus dienen. Ich habe noch nicht so große Verdienste, dass ich Waffen tragen könnte. Niemand wird mich, weder durch Bitten noch durch Schmeichelei, davon abhalten, in das fremde Land zu gehen, damit ich den König und seine Ritter kennenlerne, deren Ruhm, was Courtoisie und Tapferkeit betrifft, so groß ist. Vielen adligen Männern entgeht ihrer Trägheit wegen großer Ruhm, den sie erwerben könnten, wenn sie durch die Welt ziehen würden. Ruhe und Ruhm passen, wie mir scheint, nicht gut zusammen,

34 160

165

170

175

180

185

190

195

Text und Übersetzung

Car de rien nule ne s’alose Riches hon, qui toz jorz repose. Proesce est fes a mauvés home, Et as preuz est mauvestiez some ; Einsi sont contreire et divers. Et cil est a son avoir sers, Qui toz jorz l’amasse et acroist. Biaus pere ! tant come il me loist Los aquerre, se je tant vail, J’i vuel metre painne et travail. » De ceste chose sanz dotance L’anperere a joie et pesance. Joie a por ce que il antant, Que ses fiz a proesce antant, Et pesance de l’autre part Por ce que de lui se depart ; Mes por l’otroi qu’il an a fet, Quel pesance que il an et, Li covient son buen consantir ; Qu’anperere ne doit mantir. « Biaus fiz ! » fet il, « leissier ne doi, Puis qu’a enor tandre vos voi, Que ne face vostre pleisir. An mes tresors poez seisir D’or et d’arjant plainnes deus barges ; Mes gardez que mout soiiez larges Et cortois et bien afeitiez. » Or est li vaslez bien heitiez, Quant ses pere tant li promet, Qu’a bandon son tresor li met, Et si li enorte et comande, Que largemant doint et despande ; Et si li dit reison por quoi : « Biaus fiz ! », fet il, « de ce me croi, Que largesce est dame et reïne, Qui totes vertuz anlumine, Ne n’est mie grief a prover. An quel leu porroit l’an trover Home, tant soit puissanz ne riches,

159–197

160

165

170

175

180

185

190

195

denn durch nichts wird ein mächtiger Mann berühmt, wenn er sich immer ausruht. Tapferkeit ist für einen feigen Mann eine Last, und für die Tapferen ist Feigheit ein Kreuz, so gegensätzlich sind sie und verschieden. Und der ist ein Sklave seines Besitzes, der ihn immer weiter anhäuft und vermehrt. Lieber Vater, in dem Maße, in dem es mir erlaubt ist, Ruhm zu erwerben und ich dies vermag, werde ich Mühsal und Gefahr auf mich nehmen.“ Dieser Wunsch erfüllt den König ohne Zweifel mit Freude und Kummer. Er freut sich, weil er hört, dass sein Sohn nach Ruhm strebt, auf der anderen Seite aber ist er bekümmert, weil er von ihm fortgeht. Aber wegen des Versprechens, das er gegeben hat, muss er ihm, wie sehr es ihn auch bekümmern mag, den Wunsch gewähren, denn ein Kaiser darf sein Wort nicht brechen. „Lieber Sohn“, sagt er, „ich kann, da ich Euch nach Ehre streben sehe, nicht umhin, Euren Wunsch zu erfüllen. Ihr könnt aus meinem Schatz zwei Barken mit reinem Gold und Silber füllen. Aber achtet darauf, sehr freigebig und höfisch und gut erzogen aufzutreten.“ Da ist der Knappe sehr froh, als der Vater ihm soviel verspricht und ihm seinen Schatz zur freien Verfügung stellt und ihn auffordert und ihm befiehlt, freigebig zu sein im Schenken und im Ausgeben und ihm auch sagt warum: „Lieber Sohn“, sagt er, „glaube mir dies: Freigebigkeit ist die Herrin und Königin, die alle Tugenden erstrahlen lässt; das ist nicht schwer zu beweisen. Wo könnte man einen Menschen finden, so mächtig und reich er auch sein mag,

35

36

200

205

210

215

220

225

230

235

Text und Übersetzung

Ne soit blasmez, se il est chiches, Ne nul, tant et mauveise grace, Que largesce loer ne face ? Par li fet prodome largesce, Ce que ne puet feire hautesce Ne corteisie ne savoirs Ne jantillesce ne avoirs Ne force ne chevalerie Ne hardemanz ne seignorie Ne biautez ne nule autre chose. Mes tot aussi come la rose Est plus que nule autre flors bele, Quant ele nest fresche et novele : Aussi la, ou largesce vient, Dessor totes vertuz se tient, Et les bontez que ele trueve An prodome, qui bien s’esprueve, Fet a cinc çanz dobles monter. Tant a an largesce a conter, Que n’an diroie la meitié. » Bien a li vaslez esploitié De quanqu’il a quis et rové ; Que ses pere li a trové Tot quanque li vint a creante. Mout fu l’anpererriz dolante, Quant de la voie oï parler, Ou ses fiz an devoit aler ; Mes qui qu’an et duel ne pesance, Ne qui que li tort a anfance, Et qui que li blast et deslot, Li vaslez au plus tost qu’il pot Comanda ses nes aprester ; Que il n’a cure d’arester An son païs plus longuemant. par son comandemant Furent chargiees cele nuit De vin, de char et de bescuit. Les nes sont chargiees au port, Et l’andemain a grant deport

198–236

200

205

210

215

220

225

230

235

der nicht getadelt werden würde, wenn er geizig ist? Was nützen alle anderen Tugenden einem Mann, wenn er nicht für seine Freigebigkeit gelobt wird? Freigebigkeit allein macht den Adel aus, weder hohe Geburt noch höfische Erziehung und Wissen, weder Adel noch Besitz, weder Gewalt noch Ritterschaft, weder Kühnheit noch Macht, weder Schönheit noch irgendetwas anderes vermögen dies. Denn ebenso wie die Rose schöner als alle anderen Blumen ist, wenn sie frisch und neu erblüht, so überragt Freigebigkeit, wo sie erscheint, alle anderen Qualitäten und vermehrt die Tugenden, die sie in einem edlen Mann findet, der sich gut bewährt, um das zweimal Fünfhundertfache. Es gibt soviel über die Freigebigkeit zu erzählen, dass ich nicht einmal die Hälfte davon sagen könnte.“ Da hat der Knappe alles erreicht, was er gewünscht und worum er gebeten hat, denn sein Vater hat ihm alles gegeben, was er von ihm begehrte. Die Kaiserin war sehr traurig, als sie von der Reise hörte, die ihr Sohn unternehmen sollte. Aber wen immer es bekümmert oder schmerzt, wer immer es seiner Jugend zuschreibt und wer immer ihn tadelt und ihm abrät – der Knappe befiehlt, die Schiffe so schnell wie möglich bereit zu machen, denn er hat keine Lust, länger in seinem Land zu bleiben. Die Schiffe wurden auf seinen Befehl noch in der gleichen Nacht mit Wein, Fleisch und Zwieback beladen. Die Schiffe werden im Hafen beladen, und am nächsten Morgen kam Alexander

37

38

240

245

250

255

260

265

270

275

Text und Übersetzung

Vint Alixandres el sablon, Ansanble o lui si conpaignon, Qui lié estoient de la voie. Li anperere les convoie Et l’anpererriz, cui mout poise. Au port truevent lez la faloise Les mariniers dedanz les nes. La mers fu peisible et soés, Li vanz douz et li ers serains. Alixandres toz premerains, Quant de son pere fu partiz, Au congié de l’anpererriz, Qui le cuer ot dolant el vantre, Del batel an la nef s’an antre ; Et si conpaignon avuec lui, Ansanble quatre, troi et dui, Tancent d’antrer sanz atandue. Tantost fu la voile tandue Et la barge desaancree. Cil de terre, cui pas n’agree Des vaslez, que aler an voient, Tant come il pueent, les convoient De la veüe de lor iauz, Et por ce qu’il les puissent miauz Et plus longuemant esgarder, S’an vont tuit ansanble monter Lez la marine an un haut pui. D’iluec esgardent lor enui Tant come il les pueent veoir. Lor enui esgardent por voir ; Que des vaslez mout lor enuie, Que Damedés a port conduie Sanz anconbrier et sanz peril. An la mer furent tot avril Et une partie de mai. Sanz grant peril et sanz esmai Vindrent au port dessoz Hantone. Un jor antre vespres et none Gietent lor ancre, port ont pris.

237–275

240

245

250

255

260

265

270

275

39

in großer Freude zum Gestade, zusammen mit seinen Gefährten, die sich auf die Reise freuten. Der Kaiser begleitet sie und auch die Kaiserin, die sehr betrübt ist. Im Hafen an der Steilküste finden sie die Seeleute in den Schiffen. Das Meer war ruhig und sanft, der Wind mild und das Wetter heiter. Als erster steigt Alexander nach der Trennung von seinem Vater und dem Abschied von der Kaiserin, deren Herz im Innern betrübt war, vom Boot in das Schiff und mit ihm seine Gefährten, zu viert, zu dritt und zu zweit drängeln sie hinein. Sogleich wurde das Segel gesetzt und der Anker gelichtet. Diejenigen an Land, die betrübt sind, weil sie die Knappen fortgehen sehen, verfolgen sie mit ihren Blicken, solange sie können, und damit sie ihnen besser und länger nachschauen können, steigen alle gemeinsam auf einen hohen Hügel am Strand. Von dort aus schauen sie ihnen traurig nach, solange sie können. Sie betrachten, was sie wirklich betrübt, denn sie sorgen sich sehr um die Knappen, die der Herrgott ohne Hindernis und Gefahr in den Hafen geleiten möge. Auf dem Meer blieben sie den ganzen April und bis in den Mai hinein. Ohne große Gefahr und ohne Schrecken erreichten sie den Hafen von Southampton. Eines Tages, zwischen dem Abendessen und drei Uhr nachmittags, werfen sie den Anker und haben im Hafen festgemacht.

40

280

285

290

295

300

305

310

315

Text und Übersetzung

Li vaslet qui n’orent apris A sofrir meseise ne painne, An mer, qui ne lor fu pas sainne, Orent longuemant demoré, Tant que tuit sont descoloré, Et afebli furent et vain Tuit li plus fort et li plus sain. Et neporquant grant joie font, Quant de la mer eschapé sont Et venu la, ou il voloient. Por ce que formant se doloient, Dessoz Hantone se remainnent La nuit, et grant joie demainnent, Et font demander et anquerre, Se li rois est an Eingleterre. L’an lor dit qu’il est a Guincestre Et que mout tost i porront estre, S’il vuelent movoir par matin, Mes qu’il taingnent le droit chemin. Ceste novele mout lor plest, Et l’andemain, quant li jorz nest, Li vaslet par matin s’esvoillent, Si s’atornent et aparoillent, Et quant il furent atorné, de soz Hantone sont torné Et ont le droit chemin tenu Tant qu’a Guincestre sont venu, Ou li rois estoit a sejor. Einçois qu’il fust prime de jor, Furent a cort venu li Gre. Au pié desçandent del degré ; Li escuiier et li cheval Remestrent an la cort a val ; Et li vaslet montent a mont Devant le meillor roi del mont, Qui onques fust ne ja mes soit. Et quant li rois venir les voit, Mout li pleisent et abelissent ; Mes ainz que devant lui venissent, Ostent les mantiaus de lor cos,

276–315

280

285

290

295

300

305

310

315

Die Knappen, die es nicht gewohnt waren, Krankheit und Gefahr auf dem Meer zu erleiden, das sie nicht gut vertrugen, hatten sich dort so lange aufgehalten, dass sie alle ganz blass und geschwächt und kraftlos waren, die Stärksten wie die Gesundesten. Und trotzdem sind sie sehr froh, dass sie dem Meer entkommen und dahin gelangt sind, wohin sie wollten. Weil sie sehr erschöpft sind, bleiben sie die Nacht über im Hafen von Southampton und freuen sich sehr und lassen fragen und nachforschen, ob sich der König in England aufhält. Man sagt ihnen, dass er in Winchester sei und dass sie schnell dort sein könnten, wenn sie am Morgen aufbrechen würden, aber dass sie sich an den rechten Weg halten müssten. Diese Nachricht ist ihnen sehr angenehm, und am nächsten Tag, in der Morgendämmerung, stehen die Knappen früh auf, rüsten sich und machen sich bereit. Und als sie gerüstet waren, haben sie den Hafen von Southampton verlassen und sind geradewegs nach Winchester geritten, wo der König sich aufhielt. Vor sechs Uhr morgens waren die Griechen an den Hof gelangt. Sie steigen am Fuß der Treppe ab, die Pferdeknechte und die Pferde blieben unten im Hof, und die Knappen steigen hinauf vor den besten König der Welt, den es jemals gab und geben wird. Und als der König sie kommen sieht, sind sie ihm sehr angenehm und lieb. Aber bevor sie vor ihn traten, nahmen sie ihre Mäntel von den Schultern,

41

42

320

325

330

335

340

345

350

Text und Übersetzung

Que l’an ne les tenist por fos. Einsi trestuit desafublé An sont devant le roi alé. Et li baron trestuit se teisent ; Que li vaslet formant lor pleisent Por ce que biaus et janz les voient ; Ne cuident pas que il ne soient Tuit de contes ou de roi fil ; Et por voir si estoient il, Et mout ierent de bel aage, Jant et bien fet de lor corsage ; Et les robes que il vestoient D’un drap et d’une taille estoient, D’un sanblant et d’une color. Doze furent sanz lor seignor, Don je tant vos dirai sanz plus, Que miaudre de lui ne fu nus ; Mes sanz outrage et sanz desroi Desfublez fu devant le roi Et fu mout biaus et bien tailliez. Devant lui s’est agenoilliez, Et tuit li autre por enor S’agenoillent lez lor seignor. Alixandres le roi salue, Qui la langue avoit esmolue A bien parler et sagemant. « Rois ! », fet il, « se de vos ne mant Renomee qui vos renome, Des que Des fist le premier home, Ne nasqui de vostre puissance Rois, qui an De eüst creance. Rois ! li renons qui de vos cort, M’a amené a vostre cort Por vos servir et enorer, Et si voldrai tant demorer, Se mes servises vos est biaus, Que chevaliers soie noviaus De vostre main, non de l’autrui. Car se je par vos ne le sui,

316–354

320

325

330

335

340

345

350

damit man sie nicht für unerzogen hielte. So sind sie alle ohne Mäntel vor den König getreten. Und alle Herren verstummen, denn die Knappen gefallen ihnen außerordentlich, weil sie so schön und edel aussehen. Sie können sich nicht vorstellen, dass sie nicht alle Söhne von Grafen und Königen seien, und tatsächlich waren sie es auch, sie standen in der Blüte ihrer Jugend, sie waren adlig und von schöner Körpergestalt, und die Kleider, die sie anhatten, waren aus einem Stoff und von einem Schnitt, von gleichem Aussehen und gleicher Farbe. Zwölf waren sie, ihren Herrn nicht mitgezählt, von dem ich euch nur sagen kann, dass es niemals einen Besseren gab als ihn. Und so trat er ohne Hochmut und ohne Maßlosigkeit vor den König, als er den Mantel abgelegt hatte, und er war sehr schön und sehr gut gewachsen. Er ist vor ihm niedergekniet, und alle anderen knien neben ihrem Herrn nieder, um dem König Ehre zu erweisen. Alexander grüßt den König. Er verfügte über eine geschliffene Sprache und verstand gut und klug zu reden. „König“, sagt er, „wenn Euer Ruf nicht falsch ist, der Euch auszeichnet, dann wurde, seit Gott den ersten Menschen erschuf, kein König unter denen, die an Gott glauben, geboren, der Euch an Macht gleichkäme. König! Der Ruhm, der über Euch verbreitet wird, hat mich an Euren Hof geführt, damit ich Euch diene und Ehre erweise, und ich möchte so lange bleiben – wenn Euch mein Dienst zusagt –, bis ich durch Eure Hand und keine andere zum Ritter geschlagen werde. Denn ich werde niemals Ritter werden,

43

44 355

360

365

370

375

380

385

390

Text und Übersetzung

Ne serai chevaliers clamez. Se vos tant mon servise amez, Que chevalier me voilliez feire, Retenez moi, rois de bon’ eire ! Et mes conpaignons qui ci sont. » Li rois tot maintenant respont : « Amis ! », fet il, « ne refus mie Ne vos ne vostre conpaignie, Mes bien veignant soiiez vos tuit ! Car bien sanblez, et je le cuit, Que vos soiiez fil a hauz homes. Dont estes vos ? » — « De Grece somes. » « De Grece ? » — « Voire. » — Qui’st tes pere ? » « Par ma foi, sire, l’anperere. » « Et comant as non, biaus amis ? » « Alixandres me fu nons mis La, ou je reçui sel et cresme Et crestiienté et batesme. » « Alixandres, biaus amis chiers ! Je vos retaing mout volantiers Et mout me plest et mout me heite ; Car mout m’avez grant enor feite, Quant venuz estes a ma cort. Mout vuel que l’an vos i enort Con franc vassal et sage et douz. Trop avez esté a genouz, Relevez sus, jel vos comant, Et soiiez des ore an avant De ma cort et de moi privez ; Qu’a buen port estes arivez. » A tant se lievent li Grezois. Lié sont, quant si les a li rois Debonairemant retenuz. Bien est Alixandres venuz ; Car a rien, qu’il vuelle, ne faut, N’an la cort n’a baron si haut, Qui bel ne l’apiaut et acuelle. Cil n’est pas fos ne ne s’orguelle Ne ne se fet noble ne cointe.

355–393 355

360

365

370

375

380

385

390

wenn nicht durch Euch. Wenn Ihr meinen Dienst so schätzt, dass Ihr geruht, mich zum Ritter machen, dann behaltet mich bei Euch, edler König, und meine Gefährten, die hier sind.“ Der König erwidert sogleich: „Freund,“ sagt er, „ich weise weder Euch noch Eure Begleitung zurück, vielmehr seid Ihr alle herzlich willkommen. Denn Ihr scheint wirklich, glaube ich, Söhne aus hohem Adel zu sein. Woher kommt Ihr?“ – „Wir sind aus Griechenland.“ „Aus Griechenland?“ – „So ist es.“ – „Wer ist dein Vater?“ „Auf mein Wort: der Kaiser.“ „Und wie heißt du, lieber Freund?“ „Alexander wurde ich genannt, als ich Salz und Öl und den christlichen Glauben und die Taufe erhielt.“ „Alexander, lieber, schöner Freund! Ich behalte Euch sehr gern bei mir und es gefällt mir sehr und macht mich vergnügt, denn Ihr habt mir große Ehre erwiesen, indem Ihr an meinen Hof gekommen seid. Ich wünsche sehr, dass man Euch hier wie edle und kluge und liebenswürdige Vasallen behandelt. Ihr kniet schon zu lange da, erhebt Euch, ich gebiete es Euch, und gehört von heute an zu meinem Hof und zu meinen Vertrauten, Ihr seid in einem guten Hafen gelandet.“ Bei diesen Worten erheben sich die Griechen. Sie sind erfreut, weil der König sie mit so großer Huld aufgenommen hat. Alexander wird willkommen geheißen, denn an nichts, was er auch wünscht, mangelt es ihm, am Hof gibt es keinen noch so hohen Herrn, der ihn nicht freundlich anspricht und begrüßt. Und er seinerseits ist weder töricht noch überheblich, er gibt sich weder stolz noch macht er sich wichtig.

45

46 395

400

405

410

415

420

425

430

Text und Übersetzung

A mon seignor Gauvain s’acointe Et as autres par un et un. Mout se fet amer a chascun, Nes mes sire Gauvains tant l’aimme, Qu’ami et conpaignon le claimme. An la vile chiés un borjois Orent pris ostel li Grezois, Le meillor qu’il porent avoir. Alixandres ot grant avoir De Costantinoble aporté : A ce que li ot enorté Li anperere et conseillié, Que son cuer eüst esveillié A bien doner et a despandre, Voldra sor tote rien antandre. Mout i antant et mout s’an painne, Bele vie a son ostel mainne Et largemant done et despant, Si come a sa richesce apant Et si con ses cuers li consoille. Tote la corz s’an esmervoille, Ou ce que il despant est pris ; Qu’il done a toz chevaus de pris, Que de sa terre ot amenez. Tant s’est Alixandres penez Et tant fet par son bel servise, Que mout l’aimme li rois et prise Et li baron et la reïne. — Li rois Artus an cel termine S’an vost an Bretaingne passer. Toz ses barons fet amasser, Por consoil querre et demander, A cui il porra comander Eingleterre tant qu’il revaingne, Qui la gart an pes et maintaingne. Par le consoil a toz ansanble Fu comandee, ce me sanble, Au conte Angrés de Guinesores ; Car il ne cuidoient ancores, Qu’il eüst baron plus de foi

394–433

395

400

405

410

415

420

425

430

Mit Herrn Gauvain befreundet er sich und mit den anderen, einem nach dem anderen. Jedem macht er sich angenehm, und sogar der Herr Gauvain liebt ihn so sehr, dass er ihn Freund und Gefährte nennt. In der Stadt haben die Griechen bei einem Bürger Unterkunft genommen, die beste, die sie finden konnten. Alexander hatte große Reichtümer aus Konstantinopel mitgebracht: Denn der Kaiser hatte ihn ermahnt und ihm dazu geraten, dass sein Herz bereit sein solle, reichlich zu schenken und freigebig zu sein, darauf möge er vor allem achten. So strengt er sich an und achtet sehr darauf, er genießt das Leben in seiner Unterkunft und verteilt freigebig Geschenke und gibt sein Geld aus, wie es seinem Reichtum ansteht und sein Herz es ihm rät. Der ganze Hof wundert sich darüber, woher er das hat, was er ausgibt, denn er schenkt allen vorzügliche Pferde, die er aus seinem Land mitgebracht hat. So sehr gibt Alexander sich Mühe und so schön leistet er seinen Dienst, dass der König ihn sehr schätzt und liebt und auch die Herren und die Königin. – Zu dieser Zeit wollte sich König Artus in die Bretagne begeben. Er lässt alle seine Fürsten versammeln, um sich mit ihnen zu beraten und zu fragen, wem er bis zu seiner Rückkehr die Herrschaft über England übertragen könne, wer sie in Frieden bewahren und erhalten würde. Auf den Rat aller Anwesenden wurde die Herrschaft, wie mir scheint, dem Grafen Angres von Windsor übertragen; denn sie glaubten damals nicht, dass es einen treueren Fürsten

47

48 435

440

445

450

455

460

465

470

Text und Übersetzung

An tote la terre le roi. Quant cil ot la terre an sa main, Li rois Artus mut l’andemain Et la reïne et ses puceles. An Bretaingne öent les noveles, Que li rois vient et si baron, S’an font grant joie li Breton. An la nef, ou li rois passa, Vaslez ne pucele n’antra Fors Alixandre solemant, Et la reïne voiremant I amena Soredamors, Qui desdeigneuse estoit d’amors. Onques n’avoit oï parler D’ome, qu’ele deignast amer, Tant eüst biauté ne proesce Ne seignorie ne hautesce. Et neporquant la dameisele Estoit tant avenanz et bele, Que bien deüst d’amors aprandre, Se li pleüst a ce antandre ; Mes onques n’i vost metre antante. Or la fera Amors dolante Et mout se cuide bien vangier Del grant orguel et del dangier, Qu’ele li a toz jorz mené. Bien a Amors droit assené, Qu’el cuer l’a de son dart ferue. Sovant palist, sovant tressue Et maugré suen amer l’estuet. A grant painne tenir se puet, Que vers Alixandre n’esgart ; Mes mout estuet qu’ele se gart De mon seignor Gauvain, son frere. Chieremant achate et conpere Son grant orguel et son desdaing. Amors li a chaufé un baing Qui mout l’eschaufe et mout la cuist. Or li est buen et or li nuist,

434–472

435

440

445

450

455

460

465

470

im ganzen Reich des Königs gäbe. Nachdem dieser die Herrschaft übernommen hatte, brach König Artus am nächsten Morgen mit der Königin und ihren Mädchen auf. In die Bretagne gelangt die Nachricht, dass der König mit seinen Baronen kommt, darüber freuen sich die Bretonen sehr. In dem Schiff, mit dem der König das Meer überquerte, befand sich weder ein Knappe noch ein Mädchen, außer Alexander allein, und die Königin führte dort in der Tat Soredamor mit sich, die von der Liebe nichts wissen wollte. Niemals hatte sie von einem Mann reden gehört, den sie zu lieben sich herabgelassen hätte, wie schön, tapfer, adlig und hochrangig er auch sein mochte. Und dennoch war die junge Dame so liebenswürdig und schön, dass sie wohl etwas von der Liebe hätte lernen können, wenn sie danach gestrebt hätte; aber sie wollte sich überhaupt nicht darauf einlassen. Nun wird Amor ihr Leid zufügen, und er ist sehr darauf bedacht, sich für den großen Stolz und den Widerstand zu rächen, die sie ihm gegenüber stets an den Tag gelegt hat. Amor hat genau gezielt, als er ihr Herz mit seinem Pfeil getroffen hat. Oft erbleicht sie, oft wird ihr heiß, und gegen ihren Willen muss sie lieben. Sie kann sich nur mit großer Mühe davor zurückhalten, Alexander anzuschauen; aber sie muss sich sehr vor dem Herrn Gauvain, ihrem Bruder, hüten. Teuer bezahlt sie und büßt sie für ihren großen Stolz und ihre Sprödigkeit. Amor hat ihr ein Bad bereitet, das sie sehr erhitzt und sie verbrennt. Bald ist ihr wohl, bald ist ihr schlecht,

49

50

475

480

485

490

495

500

505

510

Text und Übersetzung

Or le viaut et or le refuse. Ses iauz de traïson ancuse Et dit : « Oel ! vos m’avez traïe ! Par vos m’a mes cuers anhaïe, Qui me soloit estre de foi. Or me grieve ce que je voi. Grieve ? Non fet, einçois me siet. Et se je voi rien qui me griet, Don n’ai je mes iauz an baillie ? Bien me seroit force faillie Et po me devroie prisier, Se mes iauz ne puis justisier Et feire autre part esgarder. Einsi me porrai bien garder D’Amor, qui justisier me viaut. Que iauz ne voit, ne cuers ne diaut ; Se je nel voi, riens ne m’an iert. Il ne me prie ne requiert : S’il m’amast, il m’eüst requise. Et puis qu’il ne m’aimme ne prise, Amerai le gié, s’il ne m’aimme ? Se sa biautez mes iauz reclaimme Et mi oel traient a reclaim, Dirai je por ce que je l’aim ? Nenil, car ce seroit mançonge. Por ce n’a il an moi chalonge, Ne plus ne mains n’i puis clamer. L’an ne puet pas des iauz amer. Et que m’ont donc forfet mi oel, S’il esgardent ce que je vuel ? Quel coupe et quel tort i ont il ? Doi les an je blasmer ? Nenil. Cui donc ? Moi, qui les ai an garde. Mes iauz a nule rien n’esgarde, S’au cuer ne plest et atalante. Chose, qui me feïst dolante, Ne deüst pas mes cuers voloir. Sa volantez me fet doloir — Doloir ? Par foi, donc sui je fole, Quant par lui vuel ce qui m’afole.

473–512

475

480

485

490

495

500

505

510

bald will sie es und dann wieder nicht. Ihre Augen klagt sie des Verrats an und sagt: „Augen! Ihr habt mich verraten! Euretwegen ist mir mein Herz, das mir stets treu war, zum Feind geworden. Nun verursacht mir das, was ich sehe, Leid. Leid? Nein, vielmehr gefällt es mir. Und wenn ich etwas sehe, das mir Leid verursacht, habe ich dann keine Herrschaft mehr über meine Augen? Ich hätte wohl alle Macht verloren und müsste mich geringschätzen, wenn ich meine Augen nicht in der Gewalt haben und sie woanders hinschauen lassen kann. So werde ich mich gut vor Amor bewahren können, der Macht über mich erlangen möchte. Was das Auge nicht sieht, macht dem Herzen nicht zu schaffen; wenn ich nicht schaue, wird mir nichts geschehen. Weder bittet er noch wirbt er um mich: Wenn er mich liebte, hätte er um mich geworben. Und da er mich weder liebt noch schätzt – werde ich ihn lieben, wenn er mich nicht liebt? Wenn seine Schönheit meine Augen verführt und meine Augen der Verlockung folgen, soll ich deshalb sagen, dass ich ihn liebe? Gewiss nicht, denn das wäre eine Lüge. Weil er keinen rechtlichen Anspruch auf mich hat, kann auch ich nicht das Geringste von ihm verlangen. Mit den Augen kann man nicht lieben. Und was haben mir meine Augen Schlimmes angetan, wenn sie anschauen, was ich begehre? Welche Schuld und welches Unrecht begehen sie damit? Muss ich sie deshalb tadeln? Gewiss nicht. Wer dann? Ich, in deren Obhut sie stehen. Meine Augen lenken den Blick nur auf das, was dem Herzen gefällt und Lust bereitet. Etwas, das mir Schmerz verursacht, sollte mein Herz nicht begehren. Sein Begehren verursacht mir aber Schmerz. Schmerz? Wirklich, dann bin ich von Sinnen, wenn ich seinetwegen etwas begehre, das mich so quält.

51

52

515

520

525

530

535

540

545

550

Text und Übersetzung

Volanté, don me vaingne enuis, Doi je bien oster, se je puis. Se je puis ? Fole, qu’ai je dit ! Donc porroie je mout petit, Se de moi puissance n’avoie. Cuide m’Amors metre a la voie, Qui les autres siaut desveiier ? Autrui li covient aveiier ; Car je ne sui de rien a lui. Ja n’i serai, n’onques n’i fui Ne ja n’amerai s’acointance. » Einsi a li meïsme tance, Une ore aimme et une autre het. Tant se dote, qu’ele ne set, Li ques li vaille miauz a prandre. Vers Amor se cuide deffandre ; Mes ne li a mestier deffanse. Des ! que ne set que vers li panse Alixandres de l’autre part ! Amors igaumant lor depart Tel livreison, come il lor doit. Mout lor fet bien reison et droit, Que li uns l’autre aimme et covoite. Ceste amors fust leaus et droite, Se li uns de l’autre seüst, Quel volanté chascuns eüst ; Mes cil ne set, que cele viaut, Ne cele, de quoi cil se diaut. La reïne garde s’an prant Et voit l’un et l’autre sovant Descolorer et anpalir Et sospirer et tressaillir ; Mes ne set, por quoi il le font Fors que por la mer, ou il sont. Espoir bien s’an aparceüst, Se la mers ne la deceüst ; Mes la mers l’angingne et deçoit Si qu’an la mer l’amer ne voit ; Qu’an la mer sont, et d’amer vient,

513–551

515

520

525

530

535

540

545

550

Ein Begehren, das mir Qual bereitet, muss ich vertreiben, wenn ich kann. Wenn ich kann? Ich Wahnsinnige, was habe ich da gesagt! Dann hätte ich sehr wenig Macht, wenn ich keine Kontrolle über mich hätte. Glaubt Amor, mich auf den gleichen Weg zu führen, der andere in die Irre zu leiten pflegt? Andere soll er auf diesen Weg führen, denn ich gehöre ihm in keiner Weise an. Niemals werde ich ihm angehören, niemals gehörte ich ihm an, und mir wird seine Bekanntschaft nicht lieb sein.“ So liegt sie im Widerstreit mit sich selbst, bald liebt sie und bald hasst sie. So sehr ist sie im Zwiespalt, dass sie nicht weiß, welche Entscheidung besser für sie ist. Sie meint, sich gegen Amor zur Wehr zu setzen, aber der Widerstand nützt ihr nichts. Gott! Dass sie nicht weiß, wie Alexander seinerseits an sie denkt! Amor misst beiden den gleichen Anteil zu, wie er es ihnen schuldig ist. Sehr vernünftig und rechtmäßig handelt er ihnen gegenüber, weil beide einander lieben und begehren. Diese Liebe wäre legitim und rechtmäßig gewesen, wenn beide gewusst hätten, welches Verlangen der jeweils andere hatte. Aber er weiß nicht, wonach sie verlangt, und sie nicht, was ihn bekümmert. Die Königin wird aufmerksam und sieht, wie beide oft die Farbe verlieren und blass werden und seufzen und zittern. Aber sie weiß nicht, warum sie das tun, es sei denn, wegen des Meeres, auf dem sie sich befinden. Vielleicht hätte sie es richtig wahrgenommen, wenn das Meer sie nicht getäuscht hätte. Aber das Meer täuscht und betrügt sie, so dass sie im Meer die Liebe nicht erkennt. Sie sind auf dem Meer, und von der Liebe

53

54

555

560

565

570

575

580

585

590

Text und Übersetzung

Et s’est amers li maus, quis tient ; Mes de cez trois ne set blasmer La reïne fors que la mer ; Car li dui le tierz li ancusent Et par le tierz li dui s’escusent Qui del forfet sont antechié. Sovant conpere autrui pechié Tes qui n’i a coupe ne tort. Einsi la reïne mout fort La mer ancoupe et si la blasme ; Mes a tort l’an met sus le blasme, Que la mers n’i a rien forfet. Mout a Soredamors mal tret Tant qu’au port est la nes venue. — Del roi est bien chose seüe, Que li Breton grant joie an firent Et mout volantiers le servirent Come lor seignor droiturier. Del roi Artu parler ne quier A ceste foiz plus longuemant : Einçois m’orroiz dire, comant Amors les deus amanz travaille, A cui il a prise bataille. Alixandres aimme et desire Celi, qui por s’amor sospire ; Mes il ne set ne ne savra De ci a tant qu’il an avra Maint mal et maint enui sofert. Por s’amor la reïne sert Et les puceles de la chanbre ; Mes celi, don plus li remanbre, N’ose aparler ne aresnier. S’ele osast vers lui desresnier Le droit, que ele i cuide avoir, Volantiers li feïst savoir ; Mes ele n’ose ne ne doit. Et ce que li uns l’autre voit, Ne plus n’osent dire ne feire, Lor torne mout a grand contreire,

552–590

555

560

565

570

575

580

585

590

kommt das bittere Leid, das sie quält. Doch von diesen dreien tadelt die Königin nur das Meer, denn die beiden anderen klagen den Dritten bei ihr an, und mit dem Dritten entschuldigen sich die beiden, die sich des Vergehens schuldig gemacht haben. Oft bezahlt jemand, der ohne Fehl und Tadel ist, für die Schuld eines anderen. So klagt die Königin das Meer heftig an und tadelt es, aber zu Unrecht tadelt sie es, denn das Meer hat kein Unrecht begangen. Sehr hat es Soredamor zugesetzt, bis das Schiff im Hafen gelandet ist. – Der König weiß wohl, dass die Bretonen sich sehr darüber freuten und ihm sehr gern als ihrem rechtmäßigen Herrn dienten. Über König Artus will ich an dieser Stelle nicht länger reden, vielmehr werdet ihr von mir hören, wie Amor die beiden Liebenden quält, gegen die er den Kampf eröffnet hat. Alexander liebt und begehrt die, welche nach seiner Liebe seufzt, aber er weiß es nicht und wird es nicht wissen, bis er viel Kummer und viele Qualen erduldet haben wird. Wegen seiner Liebe dient er der Königin und den Kammermädchen, aber er wagt nicht, die, an die er am meisten denkt, anzusprechen oder sich ihr zu eröffnen. Wenn sie es nur wagte, das Recht gegen ihn zu verteidigen, das sie an ihm zu haben glaubt, würde sie es ihn gern wissen lassen, aber weder wagt sie es, noch darf sie es. Und dass sie einander sehen und nicht wagen, darüber hinaus etwas zu sagen oder zu tun, wird für sie zu einer großen Qual,

55

56

595

600

605

610

615

620

625

630

Text und Übersetzung

Et l’amors an croist et alume. Mes de toz amanz est costume, Que volantiers peissent lor iauz D’esgarder, s’il ne pueent miauz, Et cuident, por ce qu’il lor plest Ce, don lor amors croist et nest, Qu’eidier lor doie, si lor nuist : Tot aussi con cil plus se cuist, Qui au feu s’aproche et acoste, Que cil qui arrieres s’an oste. Adés croist lor amors et monte : Mes li uns a de l’autre honte, Si se cele et cuevre chascuns, Que il n’i pert flame ne funs Del charbon, qui est soz la çandre. Por ce n’est pas la chalors mandre, Einçois dure la chalors plus Dessoz la çandre que dessus. Mout sont andui an grant angoisse ; Que por ce que l’an ne conoisse Lor complainte ne aparçoive, Estuet chascun, que il deçoive Par faus sanblant totes les janz ; Mes la nuit est la plainte granz, Que chascuns fet a lui meïmes. D’Alixandre vos dirai primes, Comant il se plaint et demante. Amors celi li represante, Por cui si fort se sant grevé, Que de son cuer l’a esgené, Ne nel leisse an lit reposer : Tant li delite a remanbrer La biauté et la contenance Celi, on n’a point d’esperance, Que ja biens l’an doie avenir. « Por fol », fet il, « me puis tenir — Por fol ? Voiremant sui je fos, Quant ce que je pans dire n’os ; Car tost me torneroit a pis. An folie ai mon panser mis.

591–630

595

600

605

610

615

620

625

630

und dadurch wächst die Liebe und entflammt noch mehr. Doch alle Liebenden haben die Gewohnheit, dass sie ihre Augen gern mit Blicken weiden, wenn ihnen nichts Besseres möglich ist, und sie glauben, weil ihnen das gefällt, wodurch ihre Liebe wächst und entsteht, dass es ihnen helfen müsste. Aber es schadet ihnen, so wie einer sich stärker verbrennt, wenn er sich dem Feuer nähert und es berührt, als einer, der Distanz dazu hält. Ständig wächst ihre Liebe und wird größer, aber jeder empfindet Scham vor dem anderen, jeder versteckt sich und hält sich bedeckt, damit ihm von der Kohle, die unter der Asche brennt, nicht Flamme und Rauch aufsteigt. Dadurch aber nimmt die Hitze nicht ab, vielmehr hält die Hitze länger unter der Asche als darüber. Große Qual leiden sie beide, denn damit man ihren Kummer nicht bemerkt oder wahrnimmt, bemüht sich jeder, alle Leute durch falschen Schein zu täuschen. Aber nachts ist die Klage groß, die jeder vor sich selbst führt. Zuerst werde ich von Alexander berichten, wie er jammert und klagt. Amor spiegelt ihm das Bild jener vor, um deretwillen er sich so sehr quält, weil sie ihm das Herz geraubt hat und ihn im Bett nicht zur Ruhe kommen lässt – so sehr vergnügt er sich daran, an die Schönheit und die Gestalt derjenigen zu denken, von der er nicht im geringsten hofft, jemals Freude zu erlangen. „Ich kann mich,“ sagt er, „für verrückt halten – für verrückt? In der Tat bin ich verrückt, wenn ich das, was ich denke, nicht zu sagen wage, weil es sich mir ins Schlechte verkehren könnte. Was ich denke, ist verrückt.

57

58

635

640

645

650

655

660

665

670

Text und Übersetzung

Don ne me vient il miauz panser Que fol me feïsse apeler ? Ja n’iert seü ce que je vuel. Si celerai ce don me duel Ne n’oserai de mes dolors Aïe querre ne secors ? Fos est, qui sant anfermeté, S’il ne quiert, par quoi et santé, [Se il la puet trover nul leu ; Mes tes cuide feire son preu Et porquerre ce que il viaut, Qui porchace, dont il se diaut.] Et qui ne la cuide trover, Por quoi iroit consoil rover ? Il se traveilleroit an vain. Je sant le mien mal si grevain, Que ja n’an avrai garison Par mecine ne par poison Ne par herbe ne par racine. A chascun mal n’a pas mecine : Li miens est si anracinez, Qu’il ne puet estre mecinez. Ne puet ? Je cuit que j’ai manti. Des que primes cest mal santi, Se mostrer l’osasse ne dire, Poïsse je parler a mire, Qui del tot me poïst eidier; Mes mout m’est griés a anpleidier : Espoir n’i deigneroit antandre Ne nul loiier n’an voldroit prandre. N’est donc mervoille, se m’esmai ; Car mout ai mal, et si ne sai, Ques maus ce est, qui me justise, Ne sai, don la dolors m’est prise. Ne sai ? Si faz, jel cuit savoir, Cest mal me fet Amors avoir. Comant ? Set donc Amors mal feire ? Don n’est il douz et de bon’ eire ? Je cuidoie que il n’eüst An Amor rien, qui buen ne fust ;

631–670

635

640

645

650

655

660

665

670

59

Aber ist es nicht besser für mich, nur zu denken, als mich für verrückt erklären zu lassen? Niemals wird mein Begehren bekannt werden. Werde ich also mein Leid verbergen und nicht wagen, Hilfe und Unterstützung gegen mein Leid zu suchen? Wenn einer sich krank fühlt und nicht danach strebt, seine Gesundheit wieder zu erlangen, ist er verrückt [wenn er sie irgendwo finden kann. Aber manch einer glaubt, einen Vorteil zu gewinnen, indem er das verfolgt, was er begehrt, obwohl er doch nur dem nachjagt, was ihm Leid verursacht]. Aber wenn einer nicht glaubt, dass er Heilung findet, warum sollte er um Rat fragen? Er würde sich vergeblich abmühen. Ich empfinde mein Leid als so schwer, dass ich niemals geheilt werden kann, weder durch eine Medizin noch durch einen Zaubertrank noch durch ein Heilkraut oder eine Heilwurzel. Nicht für jeden Schmerz gibt es eine Medizin, und meiner ist so tief verwurzelt, dass er nicht geheilt werden kann. Nicht geheilt werden? Ich glaube, da habe ich etwas Falsches gesagt. Wenn ich, als ich diesen Schmerz zuerst empfand, gewagt hätte, ihn zu zeigen und darüber zu sprechen, hätte ich mit einem Arzt reden können, der in der Lage gewesen wäre, mich vollkommen zu heilen. Aber es fällt mir sehr schwer, meine Sache zu vertreten; vielleicht wäre er gar nicht bereit, zuzuhören und einen Lohn dafür zu nehmen. Es ist also kein Wunder, wenn ich sehr beunruhigt bin. Denn ich fühle einen großen Schmerz, und ich weiß nicht, welcher Schmerz es ist, der mich beherrscht, noch weiß ich, woher das Leid kommt, das mich ergriffen hat. Weiß ich nicht? Doch, ich glaube es zu wissen: Diesen Schmerz fügt Amor mir zu. Wie das? Kann denn Amor Leid verursachen? Ist er nicht sanft und zärtlich? Ich dachte, es gäbe nichts in Amor, das nicht gut wäre,

60

675

680

685

690

695

700

705

710

Text und Übersetzung

Mes je l’ai trop felon trové. Nel set, qui ne l’a esprové, De ques jeus Amors s’antremet. Fos est, qui devers lui se met, Qu’il viaut toz jorz grever les suens. Par foi ! ses jeus n’est mie buens. Mauvés joer se fet a lui, Car ses jeus me fera enui. Que ferai donc ? Retreirai m’an ? Je cuit, que je feroie san, Mes ne sai, comant je le face. S’Amors me chastie et manace Por moi aprandre et anseignier, Doi je mon mestre desdeignier ? Fos est, qui son mestre desdaingne. Ce qu’Amors m’aprant et ansaingne, Doi je garder et maintenir ; Car tost m’an puet granz biens venir. Mes trop me bat, ice m’esmaie. Ja n’i pert il ne cos ne plaie, Et si te plains ? Don n’as tu tort ? Nenil ; qu’il m’a navré si fort, Que jusqu’au cuer m’a son dart tret, N’ancor ne l’a a lui retret. Comant le t’a donc tret el cors, Quant la plaie ne pert defors ? Ce me diras, savoir le vuel ! Par ou le t’a il tret ? Par l’uel. Par l’uel ? Et si nel t’a crevé. An l’uel ne m’a il rien grevé, Mes au cuer me grieve formant. Or me di donc reison, comant Li darz est parmi l’uel passez, Qu’il n’an est bleciez ne quassez. Se li darz parmi l’uel i antre, Li cuers por quoi se diaut el vantre, Que li iauz aussi ne s’an diaut, Qui le premier cop an requiaut ? De ce sai je bien reison randre : Li iauz n’a soing de rien antandre

671–710

675

680

685

690

695

700

705

710

aber er ist zu grausam zu mir. Wer es nicht erfahren hat, weiß nicht, welche Spiele Amor spielt. Wer sich mit ihm einlässt, ist nicht bei Sinnen, denn er legt es darauf an, den Seinen stets zu schaden. Wirklich, sein Spiel ist alles andere als gut. Er lässt nicht gut mit sich spielen, denn sein Spiel wird mir Kummer bringen. Was also soll ich machen? Soll ich mich zurückziehen? Das wäre vernünftig, glaube ich. Aber ich weiß nicht, wie ich es machen soll. Wenn Amor mich ermahnt und mir droht, um mich zu belehren und zu unterrichten, darf ich meinen Meister dann verachten? Wer seinen Meister verachtet, ist nicht bei Sinnen. Was Amor mich lehrt und mir beibringt, muss ich behalten und beachten, denn bald kann mir dadurch viel Gutes zuteil werden. Aber er schlägt mich zu sehr, das erschreckt mich. ‚Man sieht aber weder Schlag noch Wunde, und du beklagst dich? Hast du dich da nicht geirrt?‘ Nein, denn er hat mich so schwer verwundet, indem er mir seinen Pfeil direkt ins Herz geschossen und ihn nicht wieder herausgezogen hat. ‚Wie hat er dir denn den Leib durchschossen, ohne dass man außen eine Wunde sieht? Sag mir das, ich will es wissen! Wo hat er ihn dir durchschossen?‘ Durch das Auge. ‚Durch das Auge? Aber er hat es dir nicht ausgestochen.‘ Er hat mir am Auge nichts verletzt, aber im Herzen schmerzt es mich sehr. ‚Nun erkläre mir also, wie der Pfeil durch das Auge gegangen ist, ohne etwas zu verletzen oder zu beschädigen. Wenn der Pfeil das Auge durchbohrt, warum tut dann das Herz im Inneren weh, nicht aber das Auge, das den ersten Schlag empfing?‘ Das kann ich genau erklären: Das Auge achtet nicht auf das Hören

61

62

715

720

725

730

735

740

745

750

Text und Übersetzung

Ne rien n’i puet feire a nul fuer, Mes c’est li mireors au cuer, Et par cest mireor trespasse, Si qu’il ne le blesce ne quasse, Li feus, don li cuers est espris. Don n’est li cuers el vantre mis Aussi con la chandoile esprise, Qui dedanz la lanterne est mise ? Se la chandoile an departez, Ja n’an istra nule clartez ; Mes tant con la chandoile dure, N’est mie la lanterne oscure, Et la flame, qui par mi luist, Ne l’anpire ne ne li nuist. Autretel est de la verriere : Ja n’iert tant forz ne tant antiere, Que li rais del soloil n’i past, Sanz ce que de rien ne la quast; Ne ja li voirres tant clers n’iert, Se autre clartez ne s’i fiert, Que por la soe voie an miauz. Ce meïsmes sachiez des iauz Con del voirre et de la lanterne ; Car es iauz se fiert la luiserne, Ou li cuers se remire, et voit L’uevre defors, ques qu’ele soit, Si voit maintes oevres diverses, Les unes verz, les autres perses, L’une vermoille, l’autre bloe, Si blasme l’une et l’autre loe, L’une tient vil et l’autre chiere ; Mes tes li mostre bele chiere El mireor, quant il l’esgarde, Qui le traïst, s’il ne s’i garde. Moi a li miens mout deceü ; Car an lui a mes cuers veü Un rai, don je sui anconbrez, Qui dedanz moi s’est aonbrez, Et por lui m’est mes cuers failliz. De mon ami sui maubailliz,

711–750

715

720

725

730

735

740

745

750

und ist dazu auch gar nicht imstande, aber es ist der Spiegel des Herzens und durch diesen Spiegel dringt, ohne etwas zu verletzen oder zu beschädigen, das Feuer, welches das Herz in Flammen setzt. ‚Wird also das Herz, das sich im Leib befindet, so entflammt wie die Kerze, die in der Laterne ist?‘ Wenn man die Kerze herausnimmt, geht kein Licht mehr von ihr aus, aber solange die Kerze brennt, ist die Laterne keineswegs dunkel, und die Flamme leuchtet in ihr, ohne etwas zu beschädigen oder zu zerstören. Ebenso ist es mit dem Glas: So stark und dick es auch sein mag, der Strahl der Sonne kann es dennoch durchdringen, ohne es auch nur im geringsten zu beschädigen. Und das Glas wird niemals so glänzen, dass, wenn es von einem anderen Licht getroffen wird, man seinen Glanz nicht noch besser sehen kann. Mit den Augen ist es, wisst ihr, ebenso wie mit dem Glas und der Laterne, denn das Licht dringt durch die Augen, in denen sich das Herz spiegelt, und es sieht die äußeren Gegenstände, welche es auch seien. Es sieht viele verschiedene Objekte, die einen grün, die anderen violett, die einen dunkelrot, die anderen blau, so tadelt es das eine und lobt das andere, das eine schätzt es gering, das andere dagegen hoch. Aber manches zeigt ihm der Spiegel als schönes Bild, wenn es hineinblickt, und betrügt es, wenn es nicht achtgibt. Mich hat mein Spiegel sehr getäuscht, denn in ihm hat mein Herz einen Lichtstrahl gesehen, der mich in Bedrängnis bringt, er ist in mich eingedrungen und mein Herz ist deshalb wie von Sinnen. Von meinem Freund werde ich übel behandelt,

63

64

755

760

765

770

775

780

785

790

Text und Übersetzung

Qui por mon anemi m’oblie. Reter le puis de felonie, Car il a trop vers moi mespris. Je cuidoie avoir trois amis, Mon cuer et mes deus iauz ansanble ; Mes il me heent, ce me sanble. Ou troverai je mes ami, Quant cist troi me sont anemi, Qui de moi sont, et si m’ocïent ? Mi serjant an moi trop se fïent, Qui tote lor volanté font Et de la moie cure n’ont. Or sai je bien de verité Par cez qui m’ont deserité, Qu’amors de buen seignor porrist Par mauvés serjanz qu’il norrist. Qui mauvés serjant aconpaingne, Ne puet faillir qu’il ne s’an plaingne, Quanqu’il avaingne, ou tost ou tart. Or vos reparlerai del dart, Qui m’est comandez et bailliez, Comant il est fez et tailliez ; Mes je dot mout, que je n’i faille ; Car tant an est riche la taille, Que n’est mervoille, se j’i fail. Et si metrai tot mon travail A dire ce que moi an sanble. La coche et li penon ansanble Sont si pres, qui bien les ravise, Que il n’i a qu’une devise Aussi con d’une greve estroite ; Mes ele est si polie et droite, Qu’an la coche sanz demander N’a rien, qui face a amander. Li penon sont si coloré, Con s’il ierent d’or ou doré ; Mes doreüre n’i fet rien ; Car li penon, ce sai je bien, Estoient plus luisant ancores. Li penon sont les tresces sores,

751–790

755

760

765

770

775

780

785

790

wenn er mich um meines Feindes willen vergisst. Wegen Treulosigkeit kann ich ihn anklagen, denn er hat mir zu großes Unrecht angetan. Ich glaubte, drei Freunde zu haben, mein Herz und meine beiden Augen, aber sie hassen mich, wie mir scheint. Wo soll ich fortan Freunde finden, wenn diese drei mir feind sind, und sie mich töten, obwohl sie mir gehören? Meine Diener haben zu wenig Respekt vor mir, wenn sie tun, was sie wollen, und sich nicht darum kümmern, was ich will. Nun weiß ich durch die, welche mir Schaden zugefügt haben, sehr wohl, dass die Liebe eines guten Herrn zugrunde geht, wenn er schlechten Dienern Unterhalt gewehrt. Wer schlechte Diener um sich hat, wird sich ohne Zweifel darüber zu beklagen haben, wann immer es auch geschieht, früher oder später. Nun werde ich euch wieder von dem Pfeil erzählen, der mir anvertraut und in meinen Schutz gegeben ist, wie er beschaffen und geschnitzt ist. Aber ich fürchte sehr, dabei zu versagen, denn er hat eine so kunstreiche Gestalt, dass es kein Wunder ist, wenn ich versage. Aber ich werde meine ganze Mühe darauf verwenden, um zu sagen, wie er mir erscheint. Die Kerbe und die Federn sind so nahe beieinander, wenn einer sie genau betrachtet, dass die Trennungslinie so fein verläuft wie ein gerader Scheitel im Haar, und die Kerbe ist so glatt und gerade, dass es ohne Frage nichts an ihr zu verbessern gibt. Die Federn sind so gefärbt, als ob sie aus Gold oder vergoldet wären, aber die Vergoldung kommt dort nicht zur Geltung, denn die Federn, das weiß ich wohl, leuchteten noch viel mehr. Die Federn sind goldfarbene Zöpfe,

65

66

795

800

805

810

815

820

825

830

Text und Übersetzung

Que je vi l’autre jor an mer. C’est li darz, qui me fet amer. Des ! con tres precïeus avoir ! Qui tel tresor porroit avoir, Por qu’avroit an tote sa vie De nule autre richesce anvie ? Androit de moi jurer porroie, Que rien plus ne desirreroie ; Que seul les penons et la coche Ne donroie por Antioche. Et quant cez deus choses tant pris, Qui porroit esligier le pris De ce, que vaut li remenanz, Qui tant est biaus et avenanz Et tant chiers et tant precïeus, Que desirranz et anvïeus Sui ancor de moi remirer El front, que Des a fet tant cler, Que rien nule n’i feroit glace Ne esmeraude ne topace ? Mes an tot ce n’a rien a dire, Qui la clarté des iauz remire ; Car a toz çaus, qui les esgardent, Sanblent deus chandoiles qui ardent. Et qui a langue si delivre, Qu’il poïst la façon descrivre Del nes bien fet et del cler vis, Ou la rose cuevre le lis Einsi qu’un po le lis esface Por miauz anluminer la face, Et de la bochete riant, Que Des fist tel a esciant Por ce que nus ne la veïst, Qui ne cuidast, qu’ele reïst ? Et quel sont li dant an la boche ? Li uns si pres de l’autre toche, Qu’il sanble que tuit s’antretaingnent ; Et por ce que miauz i avaingnent, I fist Nature un petit d’uevre ; Que qui verroit, quant la boche oevre,

791–830

795

800

805

810

815

820

825

830

die ich kürzlich auf dem Meer sah, das ist der Pfeil, der mich zu lieben veranlasst. Gott! Welch ein kostbares Gut! Wer einen solchen Schatz besitzen könnte, warum sollte der in seinem ganzen Leben nach irgendeinem anderen Reichtum streben? Was mich angeht, so könnte ich schwören, dass ich nichts weiter begehren würde. Die Federn und die Kerbe würde ich nicht einmal für Antiochien hergeben. Und wenn ich diese beiden Dinge so lobe, wer könnte dann den Wert der anderen Dinge schätzen, die es da sonst noch gibt, so schön und reizend und so lieb und so kostbar, dass ich mich danach sehne und begehre, mich noch in ihrem Antlitz zu spiegeln, das Gott so strahlend geschaffen hat, dass kein Spiegel und kein Smaragd oder ein Topas so strahlen könnten. Aber das alles ist nichts, wenn einer in ihre strahlenden Augen schaut, denn allen, die in sie hineinsehen, erscheinen sie wie zwei leuchtende Kerzen. Und wer ist so redegewandt, dass er die Form ihrer schön geschnittenen Nase und ihres klaren Gesichts beschreiben könnte, in dem die Rose die Lilie bedeckt, so dass sie deren Glanz ein wenig mindert, um das Antlitz besser ins Licht zu setzen, und die Form ihres lächelnden kleinen Mundes, den Gott so kunstvoll geschaffen hat, damit niemand, der ihn sieht, nicht glauben würde, dass er lächelte? Und wie die Zähne in ihrem Mund beschaffen sind? Der eine steht so eng neben dem anderen, als ob sie sich alle umschlungen hielten. Und damit sie sich noch besser ausnehmen, vollbrachte die Natur dort ein kleines Kunstwerk: damit jeder, der sieht, wie sie den Mund öffnet,

67

68

835

840

845

850

855

860

865

870

Text und Übersetzung

Ne diroit mie, que li dant Ne fussent d’ivoire ou d’arjant. Tant a a dire et a retreire An chascune chose portreire Et el manton et es oroilles, Que ne seroit pas granz mervoilles, Se aucune chose i trespas. De la gorge ne di je pas, Que vers li ne soit cristaus trobles. Et li cos est a quatre dobles Plus blans qu’ivoires soz la tresce. Tant come il a des la chevesce Jusqu’au fermail d’antroverture, Vi del piz nu sanz coverture Plus blanc que n’est la nois negiee. Bien fust ma dolors alegiee, se tot le dart veü eüsse. Mout volantiers, se je seüsse, Deïsse, ques an est la fleche : Ne la vi pas, n’an moi ne peche, Se la façon dire ne sai De chose, que veüe n’ai. Ne m’an mostra Amors adons Fors que la coche et les penons ; Car la fleche iere el coivre mise : C’est li blïauz et la chemise, Don la pucele estoit vestue. Par foi ! c’est li maus qui me tue, Ce est li darz, ce est li rais, Don trop vilainement m’irais. Mout sui vilains, qui m’an corroz : Ja mes festuz n’an sera roz Por desfiance ne por guerre, Que je doie vers Amor querre. Or face Amors de moi son buen, Si come il doit feire del suen ; Car je le vuel et si me plest. Ja ne quier que cist maus me lest : Miauz vuel qu’einsi toz jorz me taingne, Que de nelui santez me vaingne,

831–870

835

840

845

850

855

860

865

870

sagen müsste, dass die Zähne wie aus Elfenbein und Silber wären. Soviel gibt es zu sagen und zu schildern, um jedes Ding zu beschreiben, das Kinn und die Ohren, so dass es nicht sehr erstaunlich wäre, wenn ich etwas dabei vergesse. Über die Kehle sage ich nichts, außer dass Kristall im Vergleich mit ihr trübe erscheint. Und der Hals unter dem geflochtenen Haar ist viermal so weiß wie Elfenbein. Vom Halskragen bis zur Spange am Ausschnitt sah ich die nackte unverhüllte Brust, weißer als Neuschnee. Mein Schmerz wäre sicher geringer, wenn ich den ganzen Pfeil gesehen hätte. Sehr gern würde ich sagen, wenn ich es nur wüsste, wie der Schaft gestaltet ist. Ich sah ihn nicht, und es ist nicht meine Schuld, wenn ich die Form von etwas nicht beschreiben kann, das ich nicht gesehen habe. Amor zeigte mir davon nur die Kerbe und die Federn, denn der Schaft steckte in seinem Köcher: dem Mantel und dem Kleid, mit denen das Mädchen bekleidet war. Ja, das ist der Schmerz, der mich vergehen lässt, das ist der Pfeil, das ist der Strahl, gegen den ich mich so heftig empöre. Ich bin sehr unerzogen, wenn ich darüber zürne. Niemals werde ich gegen die Versprechungen handeln, weder durch Aggression noch durch Krieg, die ich gegenüber Amor einhalten muss. Nun kann Amor nach Belieben mit mir verfahren, wie er es mit einem der Seinen tun muss, denn ich will es und es gefällt mir. Ich will nicht, dass dieser Schmerz mich jemals verlässt; lieber möchte ich immer so von ihm gequält als geheilt werden,

69

70

Text und Übersetzung

Se de la ne vient la santez, Don venue est l’anfermetez. »

875

880

885

890

895

900

905

Granz est la conplainte Alixandre ; Mes cele ne rest mie mandre, Que la dameisele demainne. Tote nuit est an si grant painne, Qu’ele ne dort ne ne repose. Amors li a el cors anclose Une tançon et une rage, Qui mout li troble son corage Et qui si l’angoisse et destraint, Que tote nuit plore et se plaint Et se degiete et si tressaut, A po que li cuers ne li faut. Et quant ele a tant traveillié Et sangloti et baaillié Et tressailli et sospiré, Lors a an son cuer remiré, Qui cil estoit et de ques mors, Por cui la destreignoit Amors. Et quant ele s’est bien refeite De panser, quanque li anheite, Lors se restant et se retorne, El torner a folie atorne Tot son panser que ele a fet. Lors recomance un autre plet Et dit : « Fole ! qu’ai je a feire, Se cist vaslez est de bon’ eire Et sages et cortois et preuz ? Tot ce li est enors et preuz. Et de sa biauté moi que chaut ? Sa biautez avuec lui s’an aut ! Si fera ele maugré mien, Ja ne l’an vuel je tolir rien. Tolir ? Non voir ! ce ne faz mon. S’il avoit le san Salemon, Et se Nature an lui eüst Tant mis qu’ele plus ne seüst De biauté metre an cors humain,

871–909

71

wenn nicht von dort die Heilung kommt, wo die Krankheit ihren Ursprung hat.“

875

880

885

890

895

900

905

Heftig ist die Klage Alexanders, aber nicht weniger heftig ist die der jungen Dame. Die ganze Nacht über ist sie in so großer Bewegung, dass sie nicht schläft und nicht zur Ruhe kommt. Die Liebe hat Tumult und Aufruhr in ihrem Herzen eingeschlossen, die es so schwer erschüttern und sie so quälen und martern, dass sie die ganze Nacht weint und klagt und sich hin und herwirft und zittert, dass ihr fast das Herz versagt. Und nachdem sie solche Qualen ausgestanden und geschluchzt und sich selbst malträtiert und gezittert und geseufzt hat, hat sie in ihr Herz gesehen, welcher Mann es war und von welcher Art, um dessentwillen Amor sie peinigte. Und als sie sich ein wenig beruhigt hat, indem sie an etwas denkt, das ihr Vergnügen bereitet, da wirft sie sich erneut hin und her und dreht sich um; alles, was sie gedacht hat, hält sie nun für verrückt. Da setzt sie bei einer anderen Überlegung an und sagt: „Wie dumm bin ich, denn was kann ich schon machen, wenn dieser Knappe so freundlich aussieht und klug und höfisch und tapfer ist? All dies bedeutet für ihn Ehre und Tapferkeit. Und seine Schönheit – was geht mich das an? Seine Schönheit soll mit ihm fortgehen! Aber wenn sie das tut, dann gegen meinen Willen, denn ich will ihm nichts fortnehmen. Ihm fortnehmen? Wirklich nicht! Das tue ich gewiss nicht! Wenn er so klug wäre wie Salomon, und wenn die Natur ihm das Äußerste an Schönheit geschenkt hätte, das ihr einem Menschen zu schenken möglich ist,

72 910

915

920

925

930

935

940

945

Text und Übersetzung

Si m’eüst Des mis an la main Le pooir de tot depecier : Ne l’an querroie correcier ; Mes volantiers, se je pooie, Plus sage et plus bel le feroie. Par foi ! donc ne le he je mie. Et sui je donc por ce s’amie ? Nenil, ne qu’a un autre sui. Et por quoi pans je plus a lui, Se plus d’un autre ne m’agree ? Ne sai, tote an sui esgaree ; Car onques mes ne pansai tant A nul home el siecle vivant, Et mon vuel toz jorz le verroie, Ja mes iauz partir n’an querroie. Tant m’abelist, quant je le voi. Est ce amors ? Oïl, ce croi. Ja tant sovant nel reclamasse, Se plus d’un autre ne l’amasse. Or l’aim bien soit acreanté. — Si ne ferai ma volanté? Oïl, mes que ne li despleise. Ceste volantez est mauveise ; Mes Amors m’a si anvaïe, Que fole sui et esbaïe, Ne deffanse rien ne m’i vaut, Si m’estuet sofrir son assaut. Ja me sui je si sagemant Vers lui gardee longuemant, Ains mes por lui ne vos rien feire ; Mes or li sui trop de bon’ eire. Et quel gre m’an doit il savoir, Quant par amor ne puet avoir De moi servise ne bonté ? Par force a mon orguel donté, Si m’estuet a son pleisir estre. Or vuel amer, or sui a mestre, Or m’aprandra Amors — Et quoi? Confeitemant servir le doi. De ce sui je mout bien aprise,

910–949 910

915

920

925

930

935

940

945

und wenn Gott mir die Macht in die Hand gelegt hätte, alles zu vernichten: Ich würde nicht danach streben, ihn zu erzürnen, vielmehr würde ich ihn gern, wenn ich könnte, noch klüger und schöner machen! Wirklich, ich hasse ihn nicht. Aber bin ich deshalb seine Freundin? Durchaus nicht, nicht mehr als die eines anderen. Warum denke ich aber mehr an ihn, wenn er mir nicht mehr als ein anderer gefällt? Ich weiß es nicht, ganz verwirrt bin ich, denn niemals habe ich in diesem Leben an irgendeinen Menschen mehr gedacht, und ich wünschte, ihn jeden Tag sehen zu können und meine Augen niemals von ihm abzuwenden, so sehr freue ich mich, wenn ich ihn sehe. Ist das Liebe? Ja, das glaube ich. Ich würde doch nicht so oft von ihm sprechen, wenn ich ihn nicht mehr als andere liebte. Ich liebe ihn also, das sei zugestanden. Werde ich nicht tun, was ich will? Doch, sofern es ihm nicht missfällt. Dieses Verlangen ist schlecht, aber Amor hat mich derart überfallen, dass ich von Sinnen und außer Fassung bin; Verteidigung nützt mir nichts, ich muss seinen Angriff erdulden. Ich habe mich ja lange so klug vor ihm bewahren können, niemals zuvor habe ich etwas um seinetwillen tun wollen, aber nun bin ich ihm nur allzu zugeneigt. Und wofür sollte er mir Dank schulden, wenn er durch Liebe weder Dienst noch Wohlwollen von mir erlangen kann? Mit Gewalt hat er meinen Stolz bezwungen, ich muss mich seinem Willen fügen. Nun will ich lieben, nun habe ich einen Meister gefunden, nun wird Amor mich lehren – aber was? Auf welche Weise ich ihm dienen soll. Darüber bin ich sehr gut im Bilde,

73

74 950

955

960

965

970

975

980

985

Text und Übersetzung

Mout sui sage de son servise, Que nus ne m’an porroit reprandre. Ja plus ne m’an covient aprandre : Amors voldroit, et je le vuel, Que sage fusse et sanz orguel Et de bon’ eire et acointable Vers toz, por un seul amiable. Amerai les je toz por un ? Bel sanblant doi feire a chascun, Mes Amors ne m’ansaingne mie, Que soie a toz veraie amie. Amors ne m’aprant se bien non. Por neant n’ai je pas cest non, Que Soredamors sui clamee. Amer doi, si doi estre amee, Si le vuel par mon non prover, Se la reison i puis trover. Aucune chose senefie Ce que la premiere partie An mon non est de color d’or ; Car li meillor sont li plus sor. Por ce taing mon non a meillor, Qu’il comance par la color, A cui li miaudres ors s’acorde. Et la fins Amor me recorde; Car qui par mon droit non m’apele, Toz jorz d’amors me renovele. Et l’une meitiez l’autre dore De doreüre clere et sore ; Qu’autretant dit Soredamors Come sororee d’amors. Mout m’a donc Amors enoree, Quant il de lui m’a sororee. Doreüre d’or n’est si fine Come cele qui m’anlumine. Et je metrai an ce ma cure, Que de lui soie doreüre, Ne ja mes ne m’an clamerai. Or aim et toz jorz amerai. Cui ? Voir, ci a bele demande !

950–989 950

955

960

965

970

975

980

985

ich weiß über seinen Dienst recht gut Bescheid, so dass niemand mich für etwas tadeln könnte. Es gibt nichts, was ich noch lernen muss. Amor möchte und ich will es auch, dass ich zu allen klug bin und sanft und freundlich und liebenswürdig wegen eines Einzigen, den ich liebe. Werde ich sie alle lieben um des einen willen? Freundlich muss ich zu jedem sein, aber Amor lehrt mich durchaus nicht, eine Freundin aller zu sein. Amor lehrt mich nur Gutes. Nicht zufällig habe ich diesen Namen und werde Soredamor genannt. Ich muss lieben und geliebt werden, und das will ich durch meinen Namen beweisen, wenn ich darin die Erklärung finden kann. Es bedeutet etwas, dass der erste Teil meines Namens die Farbe des Goldes bezeichnet, denn die Goldblonden sind am besten. Darum halte ich meinen Namen für besonders schön, weil er mit der Farbe beginnt, die mit dem reinsten Gold übereinstimmt. Und das Ende erinnert mich an Amor, denn wer mich bei meinem rechten Namen nennt, erneuert mich stets mit Liebe. Und eine der Hälften vergoldet die andere in strahlender und goldener Vergoldung, denn Soredamor bedeutet ‚die durch Amor Vergoldete‘. Amor hat mir große Ehre erwiesen, indem er mich mit sich vergoldet hat. Keine Vergoldung aus Gold ist so fein wie die, welche mich durchstrahlt. Und ich werde weiter danach streben, dass ich durch ihn vergoldet werde, und niemals mehr werde ich mich darüber beklagen. Nun liebe ich und werde immer lieben. Wen? Ja, das ist eine gute Frage!

75

76 990

995

1000

1005

1010

1015

1020

1025

Text und Übersetzung

Celui que Amors me comande, Car ja autre m’amor n’avra. Cui chaut, quant il ne le savra, Se je meïsme ne li di ? Que ferai je, se ne le pri ? Qui de la chose a desirrier, Bien la doit requerre et proiier. Comant ? Proierai le je donques ? Nenil. Por quoi ? Ce n’avint onques, Que fame tel forsan feïst, Que d’amor home requeïst, Se plus d’autre ne fu desvee. Bien seroie fole provee, Se je disoie de ma boche Chose, qui tornast a reproche. Quant par ma boche le savroit, Je cuit que plus vil m’an avroit, Si me reprocheroit sovant, Que proiié l’an avroie avant. Ja ne soit amors si vilainne, Que je pri cestui premerainne, Des qu’avoir m’an devroit plus vil. Ha, Des ! comant le savra il, Puis que je ne l’an ferai cert ? Ancor n’ai je gueires sofert, Por quoi tant demanter me doive. Tant antandrai qu’il s’aparçoive, Se ja s’an doit aparcevoir. Bien le savra, ce cuit, de voir, S’il onques d’amors s’antremist Ou se par parole an aprist. Aprist ? Or ai je dit oiseuse. Amors n’est pas si gracïeuse, Que par parole an soit nus sages, S’avuec n’i est li buens usages. Par moi meïsme le sai bien ; Car onques n’an poi savoir rien Par losange ne par parole, S’an ai mout esté a escole Et par maintes foiz losangiee ;

990–1029 990

995

1000

1005

1010

1015

1020

1025

Den, zu dem Amor mir rät, denn kein anderer wird meine Liebe erlangen. Wen kümmert es, dass er es nicht erfahren wird, außer wenn ich selbst es ihm sage? Was werde ich tun, wenn nicht um ihn werben? Wenn jemand etwas begehrt, muss er darum bitten und danach verlangen. Wie das? Werde ich ihn etwa bitten? Niemals. Warum? Es ist noch nie vorgekommen, dass eine Frau so töricht gewesen wäre, von einem Mann Liebe zu erbitten, es sei denn, sie hätte den Verstand verloren. Ich wäre wirklich vollkommen von Sinnen, wenn ich etwas sagte, wofür man mich tadeln würde. Denn wenn er es durch meinen Mund erführe, würde er mich, glaube ich, verachten und mir oft vorwerfen, dass ich zuerst um ihn geworben habe. Die Liebe darf sich nicht so ehrlos sein, dass ich es bin, die zuerst um ihn wirbt, denn dann müsste er mich sehr verachten. Oh Gott! Wie soll er es dann aber erfahren, da ich es ihm gewiss nicht sagen werde? Noch habe ich nicht so viel gelitten, dass ich derart klagen müsste. Ich werde solange warten, bis er es wahrnimmt, wenn er es wahrnehmen kann. Er wird es gewiss merken, glaube ich, wirklich, wenn er jemals etwas über die Liebe erfahren hat oder durch Worte darüber belehrt wurde. Belehrt? Da habe ich etwas Albernes gesagt. Die Liebe ist nicht so entgegenkommend, dass man durch Worte etwas über sie lernen kann, es sei denn, sie sind mit guten Praktiken verbunden. Das weiß ich durch mich selbst, denn ich konnte niemals etwas durch Worte und schöne Reden über sie lernen, obwohl ich intensiven Unterricht erhalten habe und oftmals umschmeichelt worden bin.

77

78 1030

1035

1040

1045

1050

1055

1060

1065

Text und Übersetzung

Mes toz jorz m’an sui estrangiee, Si le me fet chier conparer ; Qu’or an sai plus que bués d’arer. Mes d’une chose me despoir, Que cil n’ama onques espoir ; Et s’il n’aimme ne n’a amé, Donc ai je an la mer semé, Ou semance ne puet reprandre ; Si n’i a plus que de l’antandre Et del sofrir tant que je voie, Se jel porrai metre an la voie Par sanblant et par moz coverz. Tant ferai que il sera cerz De m’amor, se requerre l’ose. Donc n’i a il plus de la chose, Mes que je l’aim et soe sui. S’il ne m’aimme, j’amerai lui. » Einsi se plaint et cil et cele, Et li uns vers l’autre se cele, S’ont la nuit mal et le jor pis. An tel dolor ont, ce m’est vis, An Bretaingne lonc tans esté, Tant que vint a la fin d’esté. Tot droit a l’antree d’oitovre Vindrent message de vers Dovre, De Londres et de Cantorbire, Au roi unes noveles dire, Qui li ont troblé son corage. Ce li ont conté le message, Que trop puet an Bretaingne ester ; Que cil li voldra contrester, Cui sa terre avoit comandee, Et s’avoit ja grant ost mandee De sa jant et de ses amis, Si s’estoit dedanz Londres mis Por la cité contretenir, Quel ore qu’il deüst venir. Quant li rois oï la novele,

1030–1067 1030

1035

1040

1045

1050

1055

1060

1065

79

Aber ich habe mich zu Amor stets auf Distanz gehalten, und nun lässt er es mich teuer zu stehen kommen, denn jetzt weiß ich nicht mehr davon als das Rind vom Pflügen. Aber eine Sache bringt mich zur Verzweiflung, dass Alexander vielleicht niemals geliebt hat, und wenn er nicht liebt und niemals geliebt hat, dann habe ich in das Meer gesät, in dem der Samen nicht aufgehen kann. So bleibt nichts als abzuwarten und es zu ertragen, bis ich sehe, ob ich ihn mit Zeichen und verschlüsselter Rede auf die Spur bringen kann. Solange werde ich das tun, bis er meiner Liebe sicher sein kann, wenn er dann um sie zu bitten wagt. Nun gibt es also nichts weiter zu sagen, als dass ich ihn liebe und die Seine bin. Und wenn er mich nicht liebt, werde ich ihn trotzdem lieben.“ So klagt er, und so klagt sie, und jeder verhehlt es vor dem anderen, unglücklich sind sie in der Nacht und noch unglücklicher am Tag. Von diesem Leid, so glaube ich, ist ihr Aufenthalt in der Bretagne bestimmt gewesen, bis schließlich das Ende des Sommers kam. Gleich Anfang Oktober kamen Boten aus London und Canterbury über Dover, um dem König Nachrichten zu überbringen, die ihm das Herz betrübten. Sie haben ihm die Botschaft überbracht, dass sein Aufenthalt in der Bretagne zu lange währen könnte, weil der, dem er sein Land anvertraut hatte, sich gegen ihn erheben wollte, und dass er bereits ein großes Heer aus seinen Vasallen und Freunden aufgeboten und sich in London verschanzt hätte, um die Stadt zu verteidigen, wann immer Artus kommen würde. Als der König diese Nachricht hörte,

80

1070

1075

1080

1085

1090

1095

1100

1105

Text und Übersetzung

Trestoz ses barons an apele Iriez et plains de mautalant. Por ce que miauz les antalant de confondre le traïtor, Dit que toz li blasmes est lor De son tribol et de sa guerre ; Car par aus bailla il sa terre Et mist an la main au felon, Qui est pire de Guenelon. N’i a un seul, qui bien n’otroit Que li rois a reison et droit ; Car ce li conseillierent il ; Mes cil an iert mis a essil, Et sache bien de verité, Que au chastel ne an cité Ne porra garantir son cors, Qu’a force ne l’an traient fors. Einsi le roi tuit asseürent Et afïent formant et jurent, Que le traïtor li randront Ou ja mes terre ne tandront. Et li rois par tote Bretaingne Fait criër, que nus n’i remaingne, Qui puisse armes porter an ost, Que aprés lui ne vaingne tost. Tote Bretaingne est esmeüe : Onques tes oz ne fu veüe Con li rois Artus assanbla. A l’esmovoir des nes sanbla, Qu’an la mer fust trestoz li mondes ; Car n’i paroient nes les ondes, Si estoient des nes covertes. Ceste chose sera a certes, Qu’an la mer sanble por la noise, Que tote Bretaingne s’an voise. Ja sont outre les nes passees, Et les janz, qui sont amassees, Se vont lojant par le rivage. Alixandre vint an corage,

1068–1106

1070

1075

1080

1085

1090

1095

1100

1105

81

ruft er, erzürnt und voller Unwillen, alle seine Vasallen herbei. Und um sie in ihrem Eifer zu bestärken, den Verräter zu vernichten, sagt er, dass sie allen Tadel für dieses Ungemach und diesen Krieg verdienen, weil er auf ihren Rat dem Verräter, der schlimmer sei als Genelun, sein Land anvertraut und es in seine Hand gelegt habe. Da ist keiner, der nicht bereitwillig zugibt, dass der König vollkommen Recht hat, denn das hatten sie ihm geraten. Aber der Verräter wird aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden, und er soll gewiss sein, dass keine Burg und keine Stadt ihm soviel Sicherheit bieten können, dass sie ihn nicht gewaltsam herausholen würden. So beruhigen sie alle den König, und beteuern sehr und schwören, dass sie ihm den Verräter ausliefern oder auf ihre Lehen verzichten werden. Und der König lässt in der gesamten Bretagne verkünden, dass niemand zögern solle, der waffenfähig sei, sich ihm sogleich anzuschließen. Die gesamte Bretagne ist in Bewegung. Niemals sah man eine so große Armee, wie sie der König Artus versammelte. Bei der Abfahrt der Schiffe schien es, als ob die ganze Welt auf dem Meer wäre, denn man sah keine Wellen mehr, so sehr waren sie von Schiffen bedeckt. An dem Lärm gemessen, der auf dem Meer herrscht, scheint es gewiss zu sein, dass die gesamte Bretagne unterwegs ist. Schon haben die Schiffe das Meer überquert, und die Leute, aus denen das Heer besteht, schlagen an der Küste ihr Lager auf. Alexander kam es in den Sinn,

82

1110

1115

1120

1125

1130

1135

1140

1145

Text und Übersetzung

Que il aille le roi proiier Que il le face chevalier ; Car se ja mes doit los aquerre, Il l’aquerra an ceste guerre. Ses conpaignons avuec lui prant, Si con sa volantez l’esprant De feire ce qu’a anpansé. Au tref le roi an sont alé : Devant son tref seoit li rois. Quant il voit venir les Grezois, Ses a devant lui apelez. « Seignor ! », fet il, « ne me celez, Ques besoinz vos amena ça ? » Alixandres por toz parla, Se li a dit son desirrier : « Venuz vos sui », fet il, « proiier, Si con mon seignor proiier doi, Por mes conpaignons et por moi, Que vos nos façoiz chevaliers. » Li rois respont : « Mout volantiers, Ne ja respiz n’an sera pris Puis que vos m’an avez requis. » Lors comande a porter li rois A doze chevaliers hernois : Fet est ce que li rois comande. Chascuns le suen hernois demande, Et an baille a chascun le suen, Beles armes et cheval buen : Chascuns a le suen hernois pris, Tuit li doze furent d’un pris, Armes et robes et cheval ; Mes autant valut par igal Li hernois au cors Alixandre, Qui le vossist prisier ou vandre, Con tuit li autre doze firent. Droit sor la mer se desvestirent, Si se laverent et beignierent ; Car il ne vostrent ne deignierent, Que l’an lor chaufast autre estuve. De la mer firent baing et cuve.

1107–1146

1110

1115

1120

1125

1130

1135

1140

1145

zum König zu gehen und ihn zu bitten, ihn zum Ritter zu schlagen, denn wenn er jemals Ruhm erlangen kann, dann wird es in diesem Krieg sein. Seine Gefährten nimmt er mit sich, von dem Verlangen getrieben, seinen Plan auszuführen. Sie sind zum Zelt des Königs gegangen und trafen ihn vor seinem Zelt sitzend an. Als er die Griechen kommen sieht, hat er sie zu sich gerufen. „Meine Herren,“ sagt er, „verbergt es mir nicht, welche Angelegenheit führt Euch hierher?“ Alexander sprach für alle und hat ihm seinen Wunsch vorgetragen. „Ich bin gekommen,“ sagt er, „um Euch zu bitten, wie ich meinen Herrn bitten soll, für meine Gefährten und für mich, dass Ihr uns zu Rittern schlagt.“ Der König antwortet: „Sehr gern, und es wird ohne Aufschub geschehen, weil Ihr mich darum gebeten habt.“ Da befiehlt der König, Rüstzeug für zwölf Ritter herbeizuschaffen. Schon ist getan, was der König befiehlt. Jeder verlangt nach seinem Rüstzeug und jedem wird das seine gegeben, prächtige Waffen und ein gutes Pferd. Jeder hat sein Rüstzeug genommen, Waffen, Kleider und Pferd, alle zwölf waren von gleichem Wert. Aber das Rüstzeug Alexanders war genauso viel wert – wenn einer es hätte schätzen oder verkaufen wollen –, wie alle anderen zwölf zusammen. Unmittelbar am Meer entkleideten sie sich, sie wuschen und badeten sich, denn sie wollten und duldeten es nicht, dass man für sie ein anderes Bad warm macht; das Meer benutzten sie als Bottich und Wanne.

83

84

1150

1155

1160

1165

1170

1175

1180

1185

Text und Übersetzung

La reïne la chose set, Qui Alixandre pas ne het, Ainz l’aimme mout et loe et prise. Feire li viaut un grant servise ; Mout est plus granz, qu’ele ne cuide. Trestoz ses escrins cerche et vuide Tant qu’une chemise an a treite De soie blanche mout bien feite, Mout deliëe et mout sotil. Es costures n’avoit nul fil, Ne fust d’or ou d’arjant au mains. Au cosdre avoit mises ses mains Soredamors de leus an leus, S’avoit antrecosu par leus Lez l’or de son chief un chevol Et as deus manches et au col, Por savoir et por esprover, Se ja porroit home trover, Qui l’un de l’autre devisast, Tant cleremant i avisast ; Car autant ou plus que li ors Estoit li chevos clers et sors. La reïne prant la chemise, Si l’a Alixandre tramise. He, Des ! con grant joie an eüst Alixandres, se il seüst, Que la reïne li anvoie ! Mout an reüst cele grant joie, Qui son chevol i avoit mis, S’ele seüst que ses amis La deüst avoir ne porter. Mout s’an poïst reconforter ; Car ele n’amast mie tant De ses chevos le remenant Con celui qu’Alixandres ot. Mes cil ne cele ne le sot : C’est granz enuis, quant il nel sevent. — Au port, ou li vaslet se levent, Vint li messages la reïne, Les vaslez trueve an la marine,

1147–1186

1150

1155

1160

1165

1170

1175

1180

1185

Das erfährt die Königin, die Alexander nicht hasst, vielmehr liebt sie ihn sehr und lobt und schätzt ihn. Sie möchte ihm ein schönes Geschenk machen, und es ist viel schöner, als sie ahnt. Sie durchsucht und leert alle ihre Schränke, bis sie ein sehr fein genähtes Hemd aus weißer Seide gefunden hat, das sehr zart und elegant ist. An den Nähten war kein Faden, der nicht aus Gold oder wenigstens aus Silber gewesen wäre. Hier und da hatte Soredamor beim Nähen Hand angelegt und an einigen Stellen außer dem Gold eines ihrer Haare hineingewirkt, in beide Ärmel und in den Kragen, um herauszufinden und zu prüfen, ob sich ein Mann finden würde, der das eine von dem anderen unterscheiden könnte, wenn er genau hinschaute. Denn genauso oder mehr noch als das Gold, glänzte und stach das Haar hervor. Die Königin nimmt das Hemd und hat es Alexander geschickt. Oh Gott! Wie sehr hätte Alexander sich gefreut, wenn er gewusst hätte, was die Königin ihm schickt! Und auch die hätte sich sehr gefreut, die ihr Haar dort eingenäht hatte, wenn sie gewusst hätte, dass ihr Freund es erhalten und tragen würde. Großen Trost hätte sie dadurch finden können, denn ihr war das Haar, das sie selbst hatte, nicht so lieb wie das, welches Alexander von ihr besaß. Aber weder er noch sie weiß es. Es ist sehr schade, dass sie es nicht wissen. Zum Hafen, wo die Knappen sich waschen, kam der Bote der Königin. Er findet die Knappen am Strand

85

86

1190

1195

1200

1205

1210

1215

1220

1225

Text und Übersetzung

S’a la chemise presantee Celui cui ele mout agree, Et por ce plus chiere la tint, Que de vers la reïne vint. Mes s’il seüst le soreplus, Ancor l’amast il assez plus ; Car an eschange n’an preïst Tot le monde, einçois an feïst Saintüeire, si con je cuit, Si l’aorast et jor et nuit. Alixandres plus ne demore, Qu’il ne se veste an icele ore. Quant vestuz fu et atornez, Au tref le roi est retornez et tuit si conpaignon ansanble. La reïne, si con moi sanble, Fu au tref venue seoir, Por ce qu’ele voloit veoir Les noviaus chevaliers venir. Por biaus les pooit an tenir ; Mes de toz li plus biaus estoit Alixandres au cors adroit. Chevalier sont, a tant m’an tes. — Del roi parlerai des or mes Et de l’ost, qui a Londres vint. Li plus des janz a lui se tint, Ancontre lui an ra grant masse. Li cuens Angrés ses janz amasse, Quanque vers lui an pot torner Par prometre ne par doner. Quant il ot sa jant assanblee, Par nuit s’an foï an anblee ; Car de plusors estoit haïz, Si redotoit estre traïz; Mes einçois que il s’an foïst, Quanquë il pot a Londres prist De vitaille, d’or et d’arjant, Si departi tot a sa jant. Au roi sont les noveles dites,

1187–1225

1190

1195

1200

1205

1210

1215

1220

1225

und hat das Hemd Alexander überreicht, dem es sehr gefällt und der es umso höher schätzte, als er es von der Königin erhalten hatte. Und wenn er das übrige auch gewusst hätte, hätte er es noch mehr geliebt und die ganze Welt dafür nicht eingetauscht, vielmehr hätte er daraus, wie ich glaube, eine Reliquie gemacht und sie Tag und Nacht angebetet. Alexander zögert nicht, sich sogleich anzukleiden. Als er angekleidet und bereit war, ist er mit allen seinen Gefährten zum Zelt des Königs zurückgekehrt. Die Königin war, wie mir scheint, ins Zelt gekommen und hatte sich dort niedergelassen, weil sie die neuen Ritter kommen sehen wollte. Sie sahen wirklich sehr schön aus, aber der Schönste von allen war Alexander mit seinem wohl geformten Körper. Sie sind nun Ritter, und so schweige ich jetzt darüber. Ich werde nun vom König erzählen und von dem Heer, das nach London kam. Die größte Zahl der Leute war auf seiner Seite, aber eine große Masse war auch gegen ihn. Graf Angres sammelt seine Leute, die er mit Versprechungen und Geschenken auf seine Seite bringen konnte. Als er seine Leute gesammelt hatte, floh er heimlich in der Nacht, denn von vielen wurde er gehasst, und er fürchtete, verraten zu werden. Aber bevor er floh, raubte er in London alles, was er konnte, Lebensmittel, Gold und Silber, und verteilte alles an seine Leute. Dem König wird die Nachricht überbracht,

87

88

1230

1235

1240

1245

1250

1255

1260

Text und Übersetzung

Que foïz s’an est li traïtres, Avuec lui tote la bataille, Et que tant avoit de vitaille Et d’avoir pris an la cité, Qu’apovri et deserité Sont li borjois et confondu. Et li rois a tant respondu, Que ja reançon ne prandra, Del traïtor, ainz le pandra, Se prandre ne baillier le puet. Maintenant tote l’oz s’esmuet Tant qu’il vindrent a Guinesores. A cel jor, comant qu’il soit ores, Qui le chastel vossist deffandre, Ne fust mie legiers a prandre ; Car li traïtres le ferma, Des que la traïson soscha, De trebles murs et de fossez, Et s’avoit les murs adossez De peus aguz par de derriere, Qu’il ne cheïssent par perriere. Au fermer avoit mis grant cost, Tot juing et juignet et aost, A feire murs et roilleïz Et fossez et ponz torneïz, Tranchiees et barres et lices Et portes de fer coleïces Et grant tor de pierre quarree. Onques n’i ot porte fermee Ne por peor ne por assaut. Li chastiaus sist an un pui haut Et par dessoz li cort Tamise. Sor la riviere est l’oz assise, Ne cel jor ne lor lut antandre S’a logier non et as trez tandre. L’oz s’est sor Tamise logiee : Tote la pree est herbergiee Des paveillons verz et vermauz. Es colors se fiert li solauz,

1226–1264

1230

1235

1240

1245

1250

1255

1260

dass der Verräter mit seinem ganzen Heer die Flucht ergriffen hat und dass er so viel Lebensmittel und Güter in der Stadt geraubt hatte, dass die Bürger verarmt, ausgeplündert und ruiniert sind. Und darauf hat der König geantwortet, dass er niemals von dem Verräter Lösegeld nehmen, sondern ihn hängen werde, wenn er ihn ergreifen und in seine Gewalt bringen könne. Nun setzt sich die Armee in Bewegung, bis sie nach Winchester gelangte. Wie immer es heute auch sein mag, damals war es keineswegs leicht, die Burg einzunehmen, wenn einer entschlossen war, sie zu verteidigen. Denn der Verräter hatte sie befestigen lassen, als er den Verrat zu planen begann, mit dreifachen Mauern und Gräben, und er hatte die Mauern im Inneren mit spitzen Pfählen abstützen lassen, damit sie unter den Steinwürfen nicht zusammenbrechen sollten. In die Befestigung hatte er große Kosten investiert. den ganzen Juni, Juli und August über, um Mauern und Barrikaden und Wassergräben und Drehbrücken zu errichten, Gräben und Barrieren und Schranken und Falltüren aus Eisen und ein großes Tor aus Quadersteinen. Niemals wurde das Tor aus Angst oder auch wegen eines Angriffs geschlossen. Die Burg lag auf einem großen Hügel und zu seinen Füßen floss die Themse. Am Ufer des Flusses hat sich die Armee niedergelassen, und an diesem Tag waren sie nur damit beschäftigt, Unterkünfte zu bauen und Zelte zu errichten. Das Heer hat sein Lager an der Themse aufgeschlagen, die gesamte Wiese ist bedeckt mit grünen und dunkelroten Pavillons. Die Sonne wirft ihre Strahlen auf die Farben,

89

90 1265

1270

1275

1280

1285

1290

1295

1300

Text und Übersetzung

S’an reflanboie la riviere Plus d’une grant liue pleniere. Cil del chastel par le gravier Fuerent venu esbaneiier, Solemant les lances es poinz, Les escuz devant les piz joinz ; Que plus d’armes n’i aporterent. A çaus defors sanblant mostrerent Que gueires ne les redotoient, Quant desarmé venu estoient. — Alixandres de l’autre part Des chevaliers se prist esgart, Qui devant aus vont çanbelant. D’assanbler a aus a talant, S’an apele ses conpaignons L’un aprés l’autre par lor nons. Premiers Cornix qu’il ama mout, Aprés Licoridés, l’estout, Et puis Nabunal de Micenes Et Acorionde d’Athenes Et Ferolin de Salenique Et Calcedor de vers Aufrique, Parmenidés et Francagel, Torin, le fort, et Pinabel, Neriüs et Neriolis. « Seignor ! », fet il, « talanz m’est pris, Que de l’escu et de la lance Aille a çaus feire une acointance, Qui devant nos behorder vienent. Bien voi que por mauvés nos tienent Et po nos prisent, ce m’est vis, Quant behorder devant noz vis Sont ci venu tuit desarmé. De novel somes adobé : Ancor n’avomes fet estrainne A chevalier ne a quintainne. Trop avons noz lances premieres Longuemant gardees antieres. Nostre escu por quoi furent fet ? Ancor ne sont troé ne fret.

1265–1304 1265

1270

1275

1280

1285

1290

1295

1300

91

und davon erglänzt der Fluss über mehr als eine gute Meile weit. Die aus der Burg waren gekommen, um im Sand spazieren zu gehen, nur mit den Lanzen in den Fäusten und den Schilden an die Brust gedrückt, ohne weitere Waffen mit sich zu führen. Denen draußen zeigten sie damit, dass sie sich nicht vor ihnen fürchteten, weil sie unbewaffnet gekommen waren. Auf der anderen Seite bemerkte Alexander die Ritter, die vor ihnen ihre Kampfspiele aufführten. Er hat Lust, sie anzugreifen, und ruft seine Gefährten einen nach dem anderen beim Namen: zuerst Cornix, den er sehr liebte, dann den tapferen Licorides, und dann Nabunal aus Mykene und Acorionde aus Athen und Ferolin aus Saloniki und Calcedor aus Afrika. Parminedes und Francagel, Torin den Starken und Pinabel, Nerius und Neriolis. „Meine Herren“, sagt er, „ich habe den Wunsch, dass diejenigen, die vor uns ihre Kampfspiele treiben, mit dem Schild und der Lanze Bekanntschaft machen. Ich sehe wohl, dass sie uns für feige halten und uns geringschätzen, wie mir scheint, weil sie vor unseren Augen ihre Kampfspiele treiben, ohne gerüstet zu sein. Wir sind gerade zu Rittern geschlagen worden, und bislang haben wir weder einem Ritter noch einer Stechpuppe eine Gabe darbringen können. Zu lange haben wir unsere ersten Lanzen intakt gehalten. Und wozu wurden unsere Schilde gemacht? Bislang sind sie weder durchlöchert noch zerbrochen.

92 1305

1310

1315

1320

1325

1330

1335

1340

Text und Übersetzung

C’est uns avoirs qui rien ne vaut, S’an estor non ou an assaut. Passons le gué, ses assaillons ! » Tuit dïent : « Ne vos an faillons. » Ce dit chascuns : « Se Des me saut, Nest vostre amis qui ci vos faut. » Maintenant les espees çaingnent, Lor chevaus çainglent et estraingnent, Montent et pranent lor escuz. Quant il orent as cos panduz Les escuz et les lances prises De colors paintes par devises, El gué tuit an un frois s’esleissent : Et cil de la les lances beissent, Ses vont isnelemant ferir ; Mes cil lor sorent bien merir, Qui nes espargnent ne refusent Ne por aus plain pié ne reüsent, Ainz fiert chascuns si bien le suen, Qu’il n’i a chevalier si buen, N’estuisse vuidier les arçons. Nes tindrent mie por garçons, Por mauvés ne por esperduz. N’ont pas lor premiers cos perduz, Que treze an ont deschevalez. Jusqu’an l’ost est li bruiz alez De lor cos et del chapleïz. Par tans fust buens li fereïz, Se cil les osassent atandre. Par l’ost corent les armes prandre, Si se fierent an l’eve a bruie : Et cil se metent a la fuie, Qui lor remenance n’i voient. Et li Gre aprés les convoient Ferant de lances et d’espees. Assez i ot testes coupees ; [Mes d’aus n’i ot un seul plaiié. Cel jor se sont bien essaiié ;] Mes Alixandres ot le pris, Qui par son cors leiiez et pris

1305–1344 1305

1310

1315

1320

1325

1330

1335

1340

Das ist ein Besitz, der zu nichts anderem taugt als zum Kampf und zum Angriff. Überqueren wir die Furt, greifen wir sie an!“ Und alle sagen: „Wir sind bereit!“ Und jeder sagt: „Bei Gott, wer nicht mitmacht, ist nicht Euer Freund.“ Nun gürten sie die Schwerter um, sie legen ihren Pferden die Sattelgurte an, sitzen auf und nehmen ihre Schilde. Nachdem sie sich die Schilde um den Hals gelegt und die Lanzen genommen hatten, die sich durch ihre Farben unterschieden, stürmten sie alle auf einmal über die Furt. Und die auf der anderen Seite senken die Lanzen und beeilen sich, auf sie einzuschlagen, aber die Griechen konnten es ihnen gut heimzahlen, sie schonen sie nicht und weichen ihnen nicht aus und schenken ihnen keinen Fußbreit Boden. Vielmehr schlägt jeder den Gegner so heftig, dass es keinen noch so tüchtigen Ritter gibt, der nicht aus dem Sattel gehoben worden wäre. Aber sie hielten sie keineswegs für kleine Kinder oder für feige und ängstlich. Sie haben schon mit den ersten Schlägen nicht daneben getroffen und dreizehn aus dem Sattel geworfen. Bis zum Heer ist die Nachricht von diesem Hauen und Stechen gedrungen. Es wäre ein guter Kampf gewesen, wenn die von der anderen Seite es gewagt hätten, standzuhalten. Im Lager eilen sie nun zu den Waffen, und lärmend stürzen sie sich in das Wasser. Und die Gegner machen sich auf die Flucht, weil sie sehen, dass ihnen nichts anderes übrig bleibt. Und die Griechen begleiten sie mit Lanzen- und Schwertschlägen. Da hatten sie vielen den Kopf abgeschlagen [aber sie selbst hatten nicht einen einzigen Verwundeten, und sie hatten sich an diesem Tag gut bewährt]. Aber Alexander gewann den höchsten Ruhm, indem er allein vier Ritter

93

94 1345

1350

1355

1360

1365

1370

1375

1380

Text und Übersetzung

Quatre chevaliers an amainne. Et li mort gisent an l’arainne Qu’assez i ot de decolez, Et de plaiiez et d’afolez. Alixandres par corteisie Sa premiere chevalerie Done et presante la reïne. Ni viaut que d’aus eüst seisine Li rois, car toz les feïst pandre. La reïne les a fet prandre Et ses fist garder an prison Come retez de traïson. Par l’ost parolent des Grezois, Tuit dïent que mout est cortois Alixandres et bien apris Des chevaliers qu’il avoit pris, Quant au roi nes avoit randuz ; Qu’il les eüst ars ou panduz. Mes li rois ne s’an jeue pas : A la reïne eneslepas Mande, que a lui parler vaingne Ne ses traïtors ne retaingne ; Car a randre li covandra, Ou outre son gre les tandra. La reïne est au roi venue, S’ont antr’aus parole tenue Des traïtors si come il durent, Et tuit li Grezois remés furent El tref la reïne as puceles. Mout parolent li doze a eles ; Mes Alixandres mot ne dist. Soredamors garde s’an prist, Qui pres de lui se fu assise. A sa meissele a sa main mise Et sanble que mout soit pansis. Einsi ont mout longuement sis Tant qu’a son braz et a son col Vit Soredamors le chevol, Dont ele ot la costure feite.

1345–1383 1345

1350

1355

1360

1365

1370

1375

1380

gefangen und gebunden wegführt. Und die Toten liegen im Sand, viele davon enthauptet und verwundet und verstümmelt. Aus Höflichkeit offeriert und schenkt Alexander den Gewinn seiner ersten Rittertat der Königin. Er will nicht, dass die Gefangenen in die Gewalt des Königs gelangen, denn der würde sie alle aufhängen lassen. Die Königin hat sie ergreifen und wegen Anklage auf Verrat ins Gefängnis bringen lassen. In der Armee redet man über die Griechen, alle sagen, dass Alexander sehr höfisch und klug sei, weil er die gefangenen Ritter dem König nicht ausgeliefert hatte, der sie verbrannt oder aufgehängt hätte. Aber der König versteht keinen Spaß. Sofort lässt er nach der Königin schicken, damit sie ihm Rede und Antwort steht und die Verräter nicht bei sich behält, denn sie wird sie ihm ausliefern müssen oder sie gegen seinen Willen behalten. Die Königin ist zum König gekommen, und sie haben in aller Form über die Gefangenen verhandelt. Und alle Griechen waren im Zelt der Königin bei den Mädchen geblieben. Während die zwölf munter mit ihnen plaudern, sagte Alexander kein Wort. Das bemerkte Soredamor, die nahe bei ihm saß. Sie hat die Hand an die Wange gelegt und scheint sehr in Gedanken versunken. So haben sie lange dort gesessen, bis Soredamor an seinen Ärmeln und seinem Kragen das Haar erblickte, das sie in das Hemd eingenäht hatte.

95

96 1385

1390

1395

1400

1405

1410

1415

1420

Text und Übersetzung

Un po plus pres de lui s’est treite; Car ore a aucune acheison, Don metre le puet a reison ; Mes ainz se panse, an quel meniere Ele l’aresnera premiere Et ques li premiers moz sera, Se par son non l’apelera ; S’an prant consoil a li meïmes: « Que dirai je », fet ele, « primes? Apelerai le par son non Ou par ’ami’ ? Ami ? Je non. Comant donc ? Par son non l’apele ! Des ! ja’st la parole si bele Et tant douce d’ami nomer. Se je l’osoie ami clamer — Osoie ? Qui le me chalonge ? Ce que je cuit dire mançonge. Mançonge ? Ne sai que sera ; Mes se je mant, moi pesera. Por ce fet bien a consantir, Que je n’an querroie mantir. Des ! ja ne mantiroit il mie, S’il me clamoit sa douce amie ! Et gié mantiroie de lui ? Bien devriiens voir dire andui ; Mes se je mant, suens iert li torz. Et por quoi m’est ses nons si forz, Que je li vuel sorenon metre ? Ce m’est avis, trop i a letre, S’aresteroie tost an mi. Mes se je l’apeloie ami, Cest non diroie je bien tot. Por ce qu’a l’autre faillir dot, Voldroie avoir de mon sanc mis, Qu’il eüst non ‚mes douz amis‘. » An cest panser tant se sejorne, Que la reïne s’an retorne Del roi, qui mandee l’avoit. Alixandres venir la voit,

1384–1422

1385

1390

1395

1400

1405

1410

1415

1420

97

Sie ist ein wenig näher an ihn herangerückt, denn nun hat sie einen Vorwand, um ihn anzusprechen. Aber vorher überlegt sie, wie sie ihn als erste anreden, was sie als erstes sagen und ob sie ihn mit seinem Namen anreden soll. Darüber geht sie mit sich selbst zu Rate. „Was werde ich zuerst sagen“, sagt sie zu sich, „werde ich ihn bei seinem Namen nennen oder Freund sagen? ‚Freund?‘ Ich nicht! ‚Wie denn?‘ Ich spreche ihn mit seinem Namen an. ‚Gott! Aber Freund ist ein so schönes Wort und so sanft auszusprechen!‘ Und wenn ich es wagen würde, ihn Freund zu nennen? ‚Es wagen würde? Was hindert mich daran?‘ Dass ich glaube, etwas Falsches zu sagen. ‚Etwas Falsches?‘ Ich weiß es ja nicht, aber wenn ich etwas Falsches sage, wird es mich betrüben. Deshalb ist es am besten einzugestehen, dass ich nichts Falsches sagen möchte. Gott! Er würde ja überhaupt nichts Falsches behaupten, wenn er mich seine süße Freundin nennen würde. Und würde ich etwas Falsches behaupten, wenn ich es zu ihm sagte? Wir sollten beide die Wahrheit sagen, aber wenn ich etwas Falsches sage, ist es seine Schuld. Und warum ist sein Name so schwierig für mich, dass ich ihm einen anderen geben will? Weil er, wie mir scheint, zu viele Buchstaben hat und ich genau in der Mitte stecken bliebe. Aber wenn ich ihn Freund nennen würde, könnte ich diesen Namen ganz leicht aussprechen. Da ich fürchte, bei dem anderen zu versagen, würde ich mein Blut dafür geben, wenn er einfach ‚mein liebster Freund‘ hieße.“ Diesem Gedanken hängt sie nach, bis die Königin vom König zurückkehrt, der nach ihr hatte schicken lassen. Alexander sieht sie kommen,

98

1425

1430

1435

1440

1445

1450

1455

1460

Text und Übersetzung

Contre li vet, si li demande, Que li rois a feire comande De ses prisons et qu’il an iert. « Amis ! », fet ele, « il me requiert, Que je li rande a sa devise, Si l’an les feire sa justise. De ce s’est il mout correciez, Que je ne li ai ja bailliez ; Si m’estuet, que je li anvoi ; Qu’autre delivrance n’i voi. » — Einsi ont celui jor passé, Et l’andemain sont amassé Li buen chevalier, li leal, Devant le paveillon real, Por droit et por jugemant dire, A quel painne et a quel martire Li quatre traïtor morroient. Li un jugent qu’escorchié soient, Li autre qu’an les pande ou arde. Et li rois meïsmes esgarde, Qu’an doit traïtor traïner. Lors les comande a amener : Amené sont, leiier les fet Et dit qu’il ne seront detret, Tant qu’antor le chastel seront, Si que cil dedanz les verront. Quant remese fu la parole, Li rois Alixandre aparole, Si l’apele son ami chier. « Amis ! » fet il, « mout vos vi hier Bel assaillir et bel deffandre. Le guerredon vos an vuel randre : De cinc çanz chevaliers galois Vostre bataille vos acrois Et de mil serjanz de la terre. Quant j’avrai finee ma guerre, Avuec ce que vos ai doné, Ferai de vos roi coroné Del meillor reaume de Gales.

1423–1461

1425

1430

1435

1440

1445

1450

1455

1460

99

er geht ihr entgegen und fragt sie, was der König mit seinen Gefangenen zu tun befiehlt und was mit ihnen geschehen soll. „Freund,“ sagt sie, „er verlangt von mir, dass ich sie seiner Entscheidung ausliefere und ihn sein Recht walten lasse. Er ist sehr erzürnt gewesen, dass ich sie ihm nicht schon übergeben habe; ich muss sie ihm schicken, ich sehe keine andere Möglichkeit.“ So haben sie diesen Tag verbracht, und am nächsten Tag haben sich die tapferen und treuen Ritter vor dem königlichen Pavillon versammelt, um Recht und Urteil zu sprechen, durch welche Pein und Marter die vier Verräter sterben sollten. Einige sagen, dass sie bei lebendigem Leibe gehäutet werden sollen, andere, dass man sie aufhängen und verbrennen solle. Und der König selbst ist der Meinung, dass man Verräter schleifen müsse. Dann befiehlt er, sie herbeizubringen. Sie werden herbeigebracht, er lässt sie fesseln und erklärt, dass sie nicht gevierteilt werden würden, bevor man sie um die Burg herum geführt habe, damit die drinnen sie sehen können. Nach dieser Rede wendet sich der König an Alexander und nennt ihn seinen lieben Freund. „Freund,“ sagt er, „ich sah Euch gestern bei Angriff und Verteidigung glänzen und möchte Euch dafür belohnen: Ich verstärke Eure Truppe mit fünfhundert walisischen Rittern und mit tausend Soldaten aus diesem Land. Wenn ich den Krieg beendet habe, werde ich Euch darüber hinaus zum König des besten Reiches von Wales krönen.

100

1465

1470

1475

1480

1485

1490

1495

Text und Übersetzung

Bors et chastiaus, citez et sales Vos i donrai an atandue Jusqu’a tant que vos iert randue La terre, que tient vostre pere, Don vos devez estre anperere. » Alixandres de cest otroi Mercie buenemant le roi, Et si conpaignon l’an mercïent. Tuit li baron de la cort dïent, Qu’an Alixandre est bien assise L’enors, que li rois li devise. Quant Alixandres voit ses janz, Ses conpaignons et ses serjanz, Tes con li rois li vost doner, Lors comancent gresles soner Et buisines par tote l’ost. Buen ne mauvés ne vos an ost, Que chascuns ses armes ne praingne, Cil de Gales et de Bretaingne, Et d’Escoce et de Cornoaille ; Car de par tot sanz nule faille Fu an l’ost granz force creüe. Et Tamise fu descreüe ; Qu’il n’ot pleü de tot esté, Ainz ot tel secheresce esté, Que li peisson i furent mort Et les nes fandues au port, Si pooit an passer a gué La, ou l’eve avoit plus de le. Outre Tamise est l’oz alee : Li un porpranent la valee Et li autre montent l’angarde. Cil del chastel s’an pranent garde Et voient venir la mervoille De l’ost, qui defors s’aparoille Por le chastel confondre et prandre, Si se ratornent del deffandre ; Mes ainz que nul assaut i et,

1462–1499

1465

1470

1475

1480

1485

1490

1495

Burgen und Schlösser, Städte und Paläste werde ich Euch geben, bis Ihr das Land erhaltet, über das Euer Vater herrscht und in dem Ihr Kaiser sein werdet.“ Für dieses Geschenk bedankt Alexander sich in aller Form, und auch seine Gefährten bedanken sich dafür. Alle Herren am Hof sagen, dass Alexander der Ehre würdig ist, die der König ihm zugesprochen hat. Als Alexander seine Leute, seine Gefährten und seine Soldaten sieht, die der König ihm zu schenken geruhte, da ertönen im ganzen Heer Hörner und Trompeten. Ob tapfer oder feige, jeder ohne Ausnahme ergreift seine Waffen: die Männer aus Wales und aus Britannien und aus Schottland und aus Cornwall, denn von allen Seiten war dem Heer wahrhaftig große Kraft zugewachsen. Und der Wasserstand der Themse hatte abgenommen, denn es hatte den ganzen Sommer über nicht geregnet, vielmehr hatte solche Trockenheit geherrscht, dass die Fische darin gestorben und die Schiffe im Hafen zerborsten waren, und man konnte den Fluss wie eine Furt selbst dort überqueren, wo er am breitesten gewesen war. Das Heer hat die Themse überquert, einige besetzen das Tal andere nehmen Stellung auf dem Hügel. Die in der Burg bemerken sie, und als sie das Staunen erweckende Heer kommen sehen, das sich draußen rüstet, um die Burg zu zerstören und einzunehmen, rüsten sie sich zur Gegenwehr. Aber bevor es zum ersten Angriff kommt,

101

102 1500

1505

1510

1515

1520

1525

1530

1535

Text und Übersetzung

Li rois antor le chastel fet Traïner a quatre chevaus Les traïtors parmi les vaus Et par tertres et par larriz. Li cuens Angrés est mout marriz, Quant anviron son chastel voit Traïner çaus que chiers avoit. Et li autre mout s’an esmaient, Mes por esmai que il an aient, N’ont nul talant que il se randent. Mestiers lor est qu’il se deffandent ; Car bien mostre li rois a toz Son mautalant et son corroz, Et bien voient, s’il les tenoit, Qu’a honte morir les feroit. Quant li quatre traïné furent Et li manbre par le chanp jurent, Lors ancomance li assauz ; Mes toz est perduz li travauz, Qu’assez lor loist lancier et treire, Einçois que rien i puissent feire ; Et neporquant bien s’i essaient, Espessemant lancent et traient Quarriaus et javeloz et darz. Granz escrois font de totes parz Les arbalestes et les fondes, Saietes et pierres reondes Volent autressi mesle mesle Con fet la pluie avuec la gresle. Einsi tote jor se travaillent : Cil deffandent et cil assaillent, Tant que la nuiz les an depart. Et li rois de la soe part Fet an l’ost criër et savoir, Quel don devra de lui avoir Cil, par cui li chastiaus iert pris : Une cope de mout chier pris Li donra de quinze mars d’or, La plus riche de son tresor.

1500–1538 1500

1505

1510

1515

1520

1525

1530

1535

lässt der König die Verräter von vier Pferden um die Burg herum durch die Täler und über Hügel und Felder schleifen. Der Graf Angres ist sehr betrübt, als er sieht, wie um seine Burg herum die Leute geschleift werden, die ihm teuer waren. Und auch die anderen erschrecken sehr darüber, doch bei allem Schrecken, den sie empfinden, sind sie keineswegs gewillt, sich zu ergeben. Sie haben allen Grund, sich zu verteidigen, denn der König zeigt allen deutlich seinen Unwillen und seinen Zorn, und sie sehen wohl, dass er sie eines schmachvollen Todes sterben ließe, wenn er sie gefangen nehmen würde. Als die vier geschleift worden waren und die Glieder auf dem Feld herumlagen, da beginnt der Angriff. Aber alle ihre Mühe ist verloren, sie können noch so viel werfen und schleudern, ihre Anstrengungen bleiben ohne Erfolg. Und trotzdem schlagen sie sich gut, sie werfen und schleudern in dichter Folge Bolzen und Wurfspieße und Pfeile. Überall ist der Lärm von Armbrust und Schleuder zu hören, Pfeile und runde Steine fliegen in so dichter Folge wie Regen mit Hagel gemischt. So mühen sie sich den ganzen Tag ab: Die einen verteidigen sich, die anderen greifen an, bis die Nacht sie voneinander trennt. Und der König selbst lässt im Heer ausrufen und kundtun, welchen Lohn der von ihm erhalten soll, der die Burg einnehmen wird: Einen kostbaren Pokal im Wert von fünfzehn Goldmark wird er ihm geben, den wertvollsten aus seinem Schatz,

103

104 1540

1545

1550

1555

1560

1565

1570

1575

Text und Übersetzung

Mout iert buene et riche la cope : Et qui a voir dire n’açope, Plus la devroit l’an tenir chiere Por l’uevre que por la matiere. Mout est buene la cope d’uevre ; Et qui la verité descuevre, Miauz que l’uevre ne que li ors Valoient les pierres defors. S’il est serjanz, la cope avra, Par cui li chastiaus pris sera. Et s’il est pris par chevalier, Ja ne savra querre loiier Avuec la cope, qu’il ne l’et, Se el monde trover se let. Quant ceste chose fu criëe, N’ot pas sa costume obliëe Alixandres, qui chascun soir Aloit la reïne veoir. A cel soir i refu alez, Assis se furent lez a lez Antre Alixandre et la reïne. Devant aus prochiene veisine Soredamors sole seoit, Qui si volantiers l’esgardoit, Qu’an pareïs ne vossist estre. La reïne par la main destre Tint Alixandre et remira Le fil d’or, qui mout anpira, Et li chevos anbelissoit, Que que li fils d’or palissoit ; Si li sovint par avanture, Que feite avoit cele costure Soredamors et si s’an rist. Alixandres garde s’an prist Et li prie, s’il fet a dire, Que li die, qui la fet rire. La reïne au dire se tarde Et vers Soredamors regarde, Si l’a devant li apelee.

1539–1577

1540

1545

1550

1555

1560

1565

1570

1575

sehr schön und kostbar wird der Pokal sein. Und wer die Wahrheit nicht verhehlen will, sollte ihn mehr wegen der kunstvollen Arbeit loben als wegen des Materials. Sehr schön ist die Gestaltung und Form des Pokals. Doch um die ganze Wahrheit zu sagen: Mehr noch als die kunstvolle Gestaltung und das Gold waren die Steine daran wert. Wenn es ein Soldat ist, der die Burg stürmt, soll er den Pokal erhalten, und wenn sie durch einen Ritter eingenommen wird, wird dieser, mit dem Pokal in seinem Besitz, sein Glück niemals vergeblich suchen, sofern es sich auf Erden finden lässt. Als dies bekannt gemacht wurde, hatte Alexander seine Gewohnheit nicht vergessen, wie jeden Abend die Königin aufzusuchen. An diesem Abend war er wieder zu ihr gegangen. Sie hatten nebeneinander Platz genommen, Alexander und die Königin. In ihrer Nähe saß für sich allein Soredamor, die ihn so gern anschaute, dass sie es nicht gegen das Paradies eingetauscht hätte. Die Königin hielt Alexander bei der rechten Hand und betrachtete den Goldfaden, der ziemlich an Glanz verlor. Und das Haar wurde schöner, während der Goldfaden verblasste. Da kam es ihr zufällig in den Sinn, dass Soredamor dieses Hemd genäht hatte, und sie lächelte darüber. Alexander bemerkte es, und er bittet sie, wenn es erlaubt sei, ihm zu sagen, worüber sie gelächelt habe. Die Königin zögert mit der Antwort und richtet ihren Blick auf Soredamor; sie hat sie zu sich gerufen.

105

106

1580

1585

1590

1595

1600

1605

1610

1615

Text und Übersetzung

Cele i est volantiers alee, Si s’agenoille devant li. Alixandre mout abeli, Quant si pres la vit aprochier, Que il la poïst atochier ; Mes il n’a tant de hardemant, Qu’il l’ost regarder solemant, Ainz li est toz li sans failliz Si que pres an est amuïz. Et cele rest si esbaïe, Que de ses iauz n’a nule aïe, Ainz met an terre son esgart, Si qu’ele nel tient autre part. La reïne mout se mervoille, Or la voit pale et or vermoille Et note bien an son corage La contenance et le visage De chascun et d’andeus ansanble. Bien aparçoit et voir li sanble Par les muances des colors, Que ce sont accidant d’amors ; Mes ne lor an viaut feire angoisse : Ne fet sanblant qu’ele conoisse Rien nule de quanqu’ele voit. Bien fist ce que feire devoit ; Que chiere ne sanblant n’an fist Fors tant qu’a la pucele dist : « Dameisele !, regardez ça Et dites, nel nos celez ja, Ou la chemise fu cosue, Que cist chevaliers a vestue, [Et se vos an antremeïstes Ne del vostre rien i meïstes ? »] La pucele a del dire honte, Neporquant volantiers li conte; Car bien viaut, que le voir an oie Cil qui de l’oïr a tel joie, Quant ele li conte et devise La feiture de la chemise, Que a grant painne se retarde,

1578–1617

1580

1585

1590

1595

1600

1605

1610

1615

107

Soredamor ist bereitwillig zu ihr gekommen und kniet vor ihr nieder. Alexander freut sich sehr, als er sie sich ihm so dicht nähern sah, dass er sie hätte berühren können. Aber er hat nicht einmal den Mut, sie auch nur anzusehen, vielmehr versagt ihm der Verstand, so dass es ihm nahezu die Sprache verschlägt. Und sie ist auch so aus der Fassung gebracht, dass sie nicht weiß wohin mit ihren Augen, als dass sie den Blick zu Boden senkt und nirgendwo anders hin. Die Königin wundert sich sehr darüber, sie bleich und wieder rot werden zu sehen, und sie bemerkt wohl in ihrem Herzen die Miene und das Verhalten jedes einzelnen und beider zusammen. Sie nimmt es wohl wahr und es erscheint ihr aufgrund der wechselnden Gesichtsfarbe offensichtlich, dass dies die Symptome der Liebe sind. Aber sie will sie nicht in Verlegenheit bringen, und so verhält sie sich so, als ob sie nichts von dem bemerke, was sie sieht. Sie handelte vorbildlich, so wie sie handeln sollte, indem sie weder durch Miene noch Gestik etwas verriet, sondern zu dem Mädchen nur sagte: „Mademoiselle, seht her und sagt, verschweigt es nicht, wo dieses Hemd genäht wurde, das dieser Ritter trägt [und ob Ihr daran beteiligt wart oder etwas von Euch hineingewirkt habt]?“ Das Mädchen schämt sich zu sprechen, trotzdem erzählt es alles bereitwillig, denn Soredamor möchte gern, dass Alexander die Wahrheit erfährt, der sich sehr freut, ihr zuzuhören, als sie erzählt und berichtet, wie sie das Hemd genäht hat, so dass er sich, als er das Haar betrachtet,

108

1620

1625

1630

1635

1640

1645

1650

1655

Text und Übersetzung

La ou il le chevol esgarde, Que il ne l’aore et ancline. Si conpaignon et la reïne, Qui leanz ierent avuec lui, Li font grant mal et grant enui ; Car por aus let qu’il ne l’atoche Et a ses iauz et a sa boche, Ou mout volantiers le meïst, S’il ne cuidast qu’an le veïst. Liez est, quant de s’amie a tant ; Mes il ne cuide ne n’atant, Que ja mes autre bien an et. Ses desirriers doter le fet ; Neporquant quant il est an eise, Plus de çant mile foiz le beise, [Quant de la reïne est tornez. Or li est vis que buer fu nez.] Mout an fet tote nuit grant joie, Mes bien se garde qu’an nel voie. Quant il est couchiez an son lit, A ce, ou n’a point de delit, Se delite an vain et solace, Tote nuit la chemise anbrace, Et quant il le chevol remire, De tot le mont cuide estre sire. Bien fet amors de sage fol, Quant cil fet joie d’un chevol Et si se delite et deduit ; Mes il changera cest deduit Ainz l’aube clere et le soloil. Li traïtor sont a consoil, Qu’il porront feire et devenir. Lonc tans porront contretenir Le chastel, c’est chose certainne, Se au deffandre metent painne ; Mes tant sevent de fier corage Le roi, qu’an trestot son aage, Tant qu’il l’et pris, n’an tornera ; Adonc morir les covandra. Et se il le chastel li randent,

1618–1657

1620

1625

1630

1635

1640

1645

1650

1655

nur mit großer Mühe davor zurückhalten kann, es anzubeten und vor ihm niederzuknien. Die Gesellschaft seiner Gefährten und der Königin verdrießen ihn sehr und sind ihm lästig; denn ihretwegen unterlässt er es, das Haar mit seinen Augen und seinem Mund zu berühren, was er überaus gern getan hätte, wenn er nicht gedacht hätte, dass man es beobachten würde. Er freut sich, weil er soviel von seiner Freundin in Besitz hat, aber er glaubt und erwartet nicht, jemals weiteres Gut von ihr zu erhalten; sein Verlangen lässt ihn daran zweifeln. Dennoch, als er allein ist, küsst er das Haar mehr als hunderttausendmal [nachdem er die Königin verlassen hat, und es scheint ihm, dass er unter einem glücklichen Stern geboren wurde]. Während der ganzen Nacht ist er voller Freude, aber er achtet sehr darauf, dass man ihn nicht beobachtet. Als er in seinem Bett liegt, hat er seine Lust an dem, wo keine Lust ist, und er ergötzt und tröstet sich an nichts, die ganze Nacht über drückt er das Hemd an sich, und wenn er das Haar betrachtet, glaubt er, Herr über die ganze Welt zu sein. Amor macht aus einem Klugen wohl einen Narren, wenn er sich über ein einziges Haar freut und sich daran vergnügt und ergötzt. Aber er wird ein anderes Vergnügen kennenlernen, bevor der Morgen dämmert und die Sonne aufgeht. Die Verräter beraten darüber, was sie tun können und was aus ihnen werden soll. Sie können die Burg lange verteidigen, das ist gewiss, wenn sie sich bei der Verteidigung ins Zeug legen. Aber sie wissen, dass der König ein so tapferes Herz hat, dass er in seinem ganzen Leben nicht abziehen wird, bis er die Burg eingenommen hat. Dann werden sie sterben müssen. Aber wenn sie ihm die Burg übergeben,

109

110

1660

1665

1670

1675

1680

1685

1690

1695

Text und Übersetzung

Por ce nule merci n’atandent. Einsi l’une et l’autre partie Lor est mauveisemant partie ; [Car il n’i ont nul reconfort Et ci et la voient la mort.] Mes a ce lor consauz repeire, Que demain ainz que jorz apeire, Istront del chastel a celee, Si troveront l’ost desarmee Et les chevaliers andormiz, Qui ancor girront an lor liz. Einçois qu’il soient esveillié, Atorné ne apareillié, Avront tel ocision feite, Que toz jorz mes sera retreite La bataille de cele nuit. A cel consoil se tienent tuit Li traïtor par desperance, Car an lor vies n’ont fiance. Desperance, comant qu’il aille, Les anhardist de la bataille ; Qu’il ne voient lor garison Fors que de mort ou de prison. Tes garisons n’est mie sainne, Ne au foïr n’a mestier painne, N’il ne voient, ou se poïssent Garantir, se il s’an foïssent ; Car la mers et lor anemi Lor sont antor et il anmi. A lor consoil plus ne sejornent : Maintenant s’arment et atornent, Si s’an issent devers galerne Par une anciiene posterne, [De cele part ou il cuidoient Que cil de l’ost mains se dotoient.] Serré et rangié s’an issirent : De lor janz cinc batailles firent, S’ot deus mile serjanz sanz faille Bien apareilliez de bataille Et mil chevaliers an chascune.

1658–1697

1660

1665

1670

1675

1680

1685

1690

1695

haben sie auch keine Gnade zu erwarten. So ist die eine wie die andere Möglichkeit schlecht für sie [denn sie finden darin keinen Trost und sehen hier und da den Tod]. Aber ihre Beratung läuft darauf hinaus, dass sie am nächsten Morgen, bevor der Tag erscheint, die Burg heimlich verlassen, um das Heer unbewaffnet und die Ritter noch in ihren Betten schlafend zu finden. Bevor sie aufgewacht und gerüstet und bereit sind, werden sie ein solches Massaker angerichtet haben, dass man für alle Zeit über die Schlacht in dieser Nacht berichten wird. Diesem Plan stimmen alle Verräter aus Verzweiflung zu, denn sie vertrauen nicht darauf, lebend davon zu kommen. Aber die Verzweiflung macht sie kühn im Kampf, wie immer es ausgehen mag, denn sie sehen kein anderes Heil für sich als Tod oder Kerker. Ein solche Aussicht ist keineswegs verlockend, und eine Flucht wäre unnütz, weil sie nicht sehen, wo sie nach der Flucht Schutz finden könnten. Denn das Meer und ihre Feinde sind um sie herum und sie mittendrin. So verweilen sie nicht länger bei der Beratung, sondern bewaffnen und rüsten sich sofort und machen durch eine alte Hintertür einen Ausbruch nach Nordwesten [an der Seite, von der sie glaubten, dass die Armee am wenigsten darauf gefasst wäre], in gedrängten Reihen brachen sie aus und teilten ihre Leute in fünf Kompanien ein, in jeder waren gewiss zweitausend gut für den Kampf gerüstete Soldaten und tausend Ritter.

111

112

1700

1705

1710

1715

1720

1725

1730

1735

Text und Übersetzung

Cele nuit estoile ne lune N’orent el ciel lor rais mostrez ; Mes ainz qu’il venissent as trez, Comança la lune a lever, Et je cuit que por aus grever Leva ainz qu’ele ne soloit, Et Des qui nuire lor voloit Anlumina la nuit oscure ; Car il n’avoit de lor ost cure, Ainz les haoit por lor pechié, Dont il estoient antechié ; Car traïtor et traïson Het Des plus qu’autre mesprison ; Si comança la lune a luire Por ce qu’ele lor deüst nuire. Mout lor est la lune nuisanz, Qui luist sor les escuz luisanz, Et li hiaume mout lor renuisent, Qui contre la lune reluisent ; Car les eschargueites les voient, Qui l’ost eschargueitier devoient, Si s’escrïent par tote l’ost : « Sus, chevalier ! sus, levez tost ! Prenez voz armes, armez vos ! Vez ci les traïtors sor nos. » Par tote l’ost as armes saillent, D’armer se painnent et travaillent, Si come a tel besoing estuet, N’onques uns seus d’aus ne se muet Tant qu’a leisir furent armé Et tuit sor lor chevaus monté. Que qu’il s’arment, et cil esploitent, Qui la bataille mout covoitent, Por ce que sorprandre les puissent Einsi que desarmez les truissent ; Et font venir par cinc parties Lor janz qu’il orent departies. Li un delez le bois se tindrent, Li autre la riviere vindrent,

1698–1736

1700

1705

1710

1715

1720

1725

1730

1735

Und in dieser Nacht hatten weder Sterne noch Mond ihre Strahlen gezeigt. Aber bevor sie zu den Zelten kamen, begann der Mond zu scheinen, und ich glaube, dass er früher als gewöhnlich schien, um sie zu behindern. Und Gott, der ihnen schaden wollte, erleuchtete die dunkle Nacht, denn er kümmerte sich nicht um das Heer, vielmehr hasste er sie für ihre Schuld, die sie auf sich geladen hatten. Denn Verrat und Verräter hasst Gott mehr als jede andere Missetat. So begann der Mond zu scheinen, um ihnen zu schaden. Sehr hat ihnen der Mond geschadet, der ihre glänzenden Schilde beleuchtet, und die Helme schaden ihnen auch, weil sie ebenfalls im Schein des Mondes leuchten, denn die Wächter sehen sie, die das Heer bewachen sollten. Und sie rufen durch das ganze Lager: „Auf, ihr Ritter! Auf! Steht schnell auf! Ergreift eure Waffen, bewaffnet euch! Da sind die Verräter, die uns angreifen!“ Im ganzen Heer stürmen sie zu den Waffen und bemühen sich nach Kräften, sich zu rüsten, wie es in einem solchen Notfall sein muss, aber keiner von ihnen rührt sich von der Stelle, bis alle voll gerüstet auf ihre Pferde gestiegen waren. Während sie sich bewaffnen, beeilen sich die Gegner, die sehr kampfbegierig sind, damit sie die anderen überraschen und unbewaffnet antreffen können. Und sie lassen ihre Leute, die sie in fünf Kompanien aufgeteilt hatten, von verschiedenen Seiten kommen. Die einen stellten sich am Wald auf, die anderen gingen zum Fluss,

113

114

1740

1745

1750

1755

1760

1765

1770

1775

Text und Übersetzung

Li tierz se mistrent an l’igal, Et li quart furent an un val, Et la quinte bataille broche Lez la tranchiee d’une roche ; Qu’il se cuidoient de randon Parmi les trez metre a bandon. Mes il n’i ont trovee pas La voie sainne ne le pas ; Car li real lor contredïent, Qui mout fieremant les desfïent Et la traïson lor reprochent. As fers des lances s’antraprochent, [Si que les esclicent et fraingnent ; As espees s’antraconpaingnent, Si s’antrabatent et adantent, Li un les autres acravantent,] Et aussi fieremant ou plus Corent li un as autres sus, Con li lion a proie corent, Qui quanqu’il ataingnent devorent. D’anbedeus parz por verité I ot mout grant mortalité A cele premiere anvaïe; Mes as traïtors croist aïe, Qui mout fieremant se deffandent Et chieremant lor vies vandent, Quant plus ne pueent retenir. De quatre parz voient venir Lor batailles por aus secorre. Et li real lor leissent corre, Tant con pueent esperoner. Sor les escuz lor vont doner Tes cos que avuec les navrez An ont plus de cinc çanz versez. Li Grezois nes espargnent mie : Alixandres pas ne s’oblie ; Car de bien feire se travaille. El plus espés de la bataille Vet einsi ferir un gloton, Que ne li valut un boton

1737–1776

1740

1745

1750

1755

1760

1765

1770

1775

die dritten nahmen in der Ebene Position, während die vierten in ein Tal ritten und die fünfte Truppe an einem Felseinschnitt entlang sprengt. Sie glaubten, die Zelte mit Ungestüm und ungehindert überfallen zu können. Aber sie haben dort keinen freien Weg oder eine freie Passage gefunden, denn die Königlichen treten ihnen entgegen und fordern sie mächtig heraus und werfen ihnen Verrat vor. Sie nähern sich mit den Spitzen der Lanzen [so dass sie brechen und in Stücke zerspringen, sie treffen mit den Schwertern aufeinander, kämpfen miteinander und schlagen sich gegenseitig zu Boden]. Und sie stürmen so wild oder noch wilder aufeinander los als Löwen, die sich, wo immer sie können, auf ihre Beute stürzen und sie verschlingen. Auf beiden Seiten gab es zweifellos sehr viele Tote bei diesem ersten Angriff. Aber Hilfe wächst den Verrätern zu, die sich sehr tapfer verteidigen und ihr Leben teuer verkaufen, als sie sich nicht mehr halten können. Von vier Seiten sehen sie, wie ihre Truppen ihnen zur Hilfe kommen. Und die Königlichen sprengen gegen sie an, so schnell sie können. Auf ihre Schilde hauen sie derart ein, dass sie, von den Verwundeten abgesehen, mehr als fünfhundert Ritter aus dem Sattel geworfen haben. Die Griechen verschonen sie nicht: Alexander ist durchaus nicht untätig und bemüht sich, seine Sache gut zu machen. Im dichtesten Kampfgedränge schlägt er so auf einen Schurken ein, dass diesem Schild und Rüstung

115

116

1780

1785

1790

1795

1800

1805

1810

1815

Text und Übersetzung

Ne li escuz ne li haubers, Qu’a terre ne l’an port anvers. Quant a celui a triue prise, A un autre ofre son servise, Ou pas ne le gaste ne pert ; Si felenessemant le sert, Que l’ame fors del cors li oste, Et li ostés remest sanz oste. Aprés cez deus au tierz s’acointe : Un chevalier mout noble et cointe Fiert si par anbedeus les flans, Que d’autre part an saut li sans, Et l’ame prant congié au cors ; Que cil l’a espiree fors. Mout an ocist, mout an afole ; Car aussi con foudres qui vole, Anvaïst toz çaus qu’il requiert. Cui de lance ou d’espee fiert, Nel garantist broingne ne targe. Si conpaignon resont mout large De sanc et de cervele espandre ; Bien i sevent lor cos despandre. Et li real tant an essartent, Qu’il les deronpent et departent Come vils janz et esgarees. Tant gist des morz par cez arees, Et tant a duré li estorz, Qu’einçois grant piece qu’il fust jorz, Fu si la bataille derote, Que cinc liues dura la rote Des morz contreval la riviere. Li cuens Angrés let sa baniere An la bataille, si s’an anble, Et de ses conpaignons ansanble An a set avuec lui menez. Vers son chastel est retornez Par une si coverte voie, Qu’il ne cuide que nus le voie ; Mes Alixandres l’aparçoit, Qui de l’ost foïr les an voit,

1777–1816

1780

1785

1790

1795

1800

1805

1810

1815

nichts nützten und er ihn rücklings auf den Boden geworfen hat. Als er so mit ihm Waffenstillstand gemacht hat, bietet er seinen Dienst einem anderen an, ohne Zeit zu vergeuden oder zu verlieren. So grausam ist er ihm zu Diensten, dass er ihm die Seele aus dem Leib jagt und das Gasthaus ohne Gast zurückbleibt. Nach diesen beiden wendet er sich dem Dritten zu, einem sehr edlen und höfischen Ritter durchbohrt er beide Seiten so, dass auf der anderen Seite Blut herausspritzt und die Seele Abschied vom Leibe nimmt während der Leib sie aushaucht. Viele tötete er, viele richtete er übel zu, denn wie der Blitz fliegt er und fällt er über alle her, die er angreift. Wen er mit Lanze oder Schwert schlägt, den schützt weder Panzer noch Schild. Auch seine Gefährten sind sehr freigebig, indem sie Blut und Hirn verspritzen, sie verstehen es gut, Schläge auszuteilen. Und die Königlichen metzeln viele nieder und zersprengen die Gegner und lösen sie wie führerloses niederes Volk auf. So viele Tote liegen auf den Äckern und so lange hat der Kampf gedauert, dass die Armee lange vor Tagesanbruch bereits so zersprengt war, dass sich die Schar der Toten über fünf Meilen weit am Fluss entlang erstreckte. Graf Angres lässt sein Banner im Kampf und stiehlt sich davon, und von seinen Gefährten hat er nur sieben mit sich genommen. Zu seiner Burg ist er zurückgekehrt, auf einem geheimen Weg, im Glauben, dass ihn niemand sehen werde. Aber Alexander bemerkt es und sieht sie aus dem Heer flüchten,

117

118

1820

1825

1830

1835

1840

1845

1850

1855

Text und Übersetzung

Et panse, s’il s’an puet anbler, Qu’il ira a aus assanbler, Si que nus ne savra s’alee; Mes ainz qu’il fust an la valee, Vit aprés lui tote une sante Chevaliers venir jusqu’a trante, Don li sis estoient Grezois Et li vint et quatre Galois ; Que tant que venist au besoing, Le cuidoient siure de loing. Quant Alixandres les parçut, Por aus atandre s’arestut Et prant garde, quel part cil tornent, Qui vers le chastel s’an retornent, Tant que dedanz les vit antrer. Lors se comance a porpanser D’un hardemant mout perilleus Et d’un vice mout merveilleus. Et quant ot tot son pansé fet, Vers ses conpaignons se retret, Si lor a reconté et dit : « Seignor ! », fet il, « sanz contredit, Se vos volez m’amor avoir, Ou face folie ou savoir, Creantez moi ma volanté. » Et cil li ont acreanté, Que ja ne li seront contreire De chose que il vuelle feire. « Chanjons », fet il, « noz conoissances, Prenons des escuz et des lances As traïtor qu’ocis avons. Einsi vers le chastel irons ; Si cuideront li traïtor Dedanz, que nos soiiens des lor, Et ques que soient les dessertes, Les portes nos seront overtes. Savez, ques nos les lor randrons ? Ou morz ou vis toz les prandrons, Se Damedés le nos consant. Et se nus de vos se repant,

1817–1856

1820

1825

1830

1835

1840

1845

1850

1855

und er denkt, dass er sie angreifen wird, wenn er heimlich fortreiten kann, ohne dass jemand dies erfährt. Aber bevor er das Tal erreicht hatte, sah er hinter sich auf einem Pfad etwa dreißig Ritter kommen, von denen sechs Griechen und vierundzwanzig Waliser waren. Für den Fall, dass er Hilfe brauchte, wollten sie ihm mit einigem Abstand folgen. Als Alexander ihrer gewahr wurde, hielt er an, um auf sie zu warten. Zugleich achtet er darauf, welchen Weg diejenigen nehmen, die in die Burg zurückkehren, bis er sie hineingelangen sah. Da fasst er den Plan für eine sehr gefährliche Heldentat und eine wunderbare List. Und als er diesen Plan gefasst hatte, wendet er sich an seine Gefährten, und hat ihnen Folgendes gesagt und geboten: „Ihr Herren,“ sagt er, „keine Widerrede: Wenn euch an meinem Wohlwollen liegt, dann gesteht mir zu, was ich will, mag es nun klug oder dumm sein, was ich tue.“ Und sie haben ihm versprochen, dass sie sich niemals einer Sache widersetzen werden, die er tun wolle. „Lasst uns,“ sagt er, „die Erkennungszeichen tauschen, lasst uns Schilde und Lanzen der Verräter nehmen, die wir getötet haben. So werden wir zur Burg gehen und die Verräter darin werden denken, dass wir zu den Ihren gehören, und welchen Lohn auch immer sie dafür bekommen: Die Türen werden uns geöffnet werden. Wisst ihr, was wir ihnen dafür geben? Wir werden sie tot oder lebendig ergreifen, wenn Gott es uns zugesteht. Und wenn einer von euch Angst hat,

119

120

Text und Übersetzung

Sachoiz qu’an trestot mon aage Ne l’amerai de buen corage. »

1860

1865

1870

1875

1880

1885

1890

1895

Tuit li otroient son pleisir : Les escuz as morz vont seisir, Si s’an vienent a tel ator. Et as deffanses de la tor Les janz del chastel monté furent, Qui les escuz bien reconurent Et cuident que de lor janz soient ; Car de l’aguet ne s’apansoient, Qui dessoz les escuz se cuevre. Li portiers la porte lor oevre, Si les a dedanz receüz. De c’est gabez et deceüz, Que de rien ne les areisone ; Ne nus de çaus mot ne li sone, Ainz vont outre mu et teisant, Tel sanblant de dolor feisant, Qu’aprés aus lor lances traïnent Et dessoz les escuz s’anclinent, Si qu’il sanble que mout se duelent, Et vont, quel part qu’il onques vuelent, Tant que les trois murs ont passez. La sus truevent serjanz assez Et chevaliers avuec le conte, Don ne vos sai dire le conte ; Mes desarmé estoient tuit Fors que tant solemant li huit, Qui de l’ost repeirié estoient, Et cil meïsme s’aprestoient De lor armeüres oster, Mes trop se pooient haster ; Car cil ne se celerent plus, Qui sor aus sont venu la sus, Ainz leissent corre les destriers, Tuit s’afichent sor les estriers, Ses anvaïssent et requierent Si qu’a mort trante et un an fierent, Einçois que desfiëz les aient.

1857–1895

werde ich ihm gewiss, solange ich lebe, niemals mehr gewogen sein.“

1860

1865

1870

1875

1880

1885

1890

1895

Alle gestehen ihm seinen Willen zu. Sie holen die Schilde der Toten und kehren mit dieser Ausrüstung zurück. Und die Leute in der Burg waren auf die Zinnen des Turms gestiegen und erkannten die Schilde wohl, und sie glauben, dass es ihre Leute seien, denn von dem Hinterhalt ahnten sie nichts, der sich unter den Schilden verbirgt. Der Pförtner öffnet ihnen die Tür und hat sie eingelassen. Er wird getäuscht und betrogen, da er sie mit keinem Wort anredet, und keiner von ihnen ihm gegenüber einen Ton verlauten lässt, vielmehr gehen sie stumm und schweigend vorbei und tun so, als ob sie von Leid beschwert wären, indem sie ihre Lanzen hinter sich herziehen und gebeugt unter ihren Schilden gehen, so dass es scheint, als ob sie sehr bekümmert wären. So gelangen sie, wohin sie wollen, bis sie die drei Mauern passiert haben. Oben treffen sie auf einige Soldaten und Ritter, deren Zahl ich euch nicht nennen kann, und auf den Grafen. Aber sie waren alle unbewaffnet, außer acht von ihnen, die gerade vom Kampf zurückgekehrt waren, und selbst diese machten sich daran, ihre Rüstungen abzulegen. Doch es könnte sein, dass sie sich allzu sehr beeilen, denn die anderen verbargen sich nicht länger, sondern sind über sie hergefallen und geben, fest in den Steigbügeln sitzend, den Rossen die Sporen und überfallen sie und greifen sie an, so dass sie einunddreißig totschlagen, ohne dass sie die Gegner zuvor gewarnt hätten.

121

122

1900

1905

1910

1915

1920

1925

1930

1935

Text und Übersetzung

Li traïtor mout s’an esmaient, Si s’escrïent : « Traï, traï ! », Mes cil ne sont pas esbaï ; Car tant con desarmez les truevent, Lor espees bien i espruevent, Neïs trois ont il si charmez De çaus qu’il troverent armez, Qu’il n’an i ont que cinc leissiez. Li cuens Angrés s’est esleissiez Et va dessor son escu d’or Veant toz ferir Calcedor Si que par terre mort le ruie. Alixandre mout an enuie, Quant son conpaignon voit ocis, Par po que il n’anrage vis ; De mautalant li sans li troble, Mes force et hardemanz li doble, Et va ferir de tel angoisse Le conte, que sa lance froisse ; Car volantiers, se il pooit, La mort son ami vangeroit. Mes de grant force estoit li cuens Et chevaliers hardiz et buens, Qu’el siecle nul meillor n’eüst, Se fel et traïtre ne fust. Cil li reva tel cop doner, Que sa lance fet arçoner Si que tote s’esclice et fant ; Mes li escuz ne se desmant, Ne li uns l’autre rien n’esloche Ne plus que feïst une roche ; Car mout ierent anbedui fort ; Mes ce que li cuens avoit tort, Le grieve formant et anpire. Li uns dessor l’autre s’aïre, S’ont andui lor espees treites, Quant il orent les lances freites. N’i eüst mes nul recovrier, Se longuemant cil dui ovrier Vossissent l’estor maintenir ;

1896–1935

1900

1905

1910

1915

1920

1925

1930

1935

Die Verräter sind sehr erschrocken darüber und schreien: „Verrat, Verrat!“ Aber die Eindringlinge sind nicht überrascht, und da sie die Leute unbewaffnet finden, probieren sie ihre Schwerter kräftig aus. Drei von denen, die bewaffnet waren, haben sie sogar so übel zugerichtet, dass nur fünf am Leben blieben. Graf Angres stürzt eilig los und schlägt Calcedor vor aller Augen so heftig auf seinen goldenen Schild, dass dieser tot zu Boden fällt. Alexander ist sehr bekümmert darüber, seinen Gefährten erschlagen zu sehen; fast hätte er zu toben begonnen, vor Zorn kocht ihm das Blut, aber seine Kraft und Kühnheit verdoppeln sich und er schlägt den Grafen mit einer solchen Wucht, dass seine Lanze bricht. Denn er möchte, wenn er kann, gern den Tod seines Freundes rächen. Aber der Graf verfügte über große Kraft, er war ein guter und tapferer Ritter, wie es niemals einen besseren hätte geben können, wenn er nicht ein gemeiner Verräter gewesen wäre. Der versetzt ihm seinerseits einen solchen Schlag, unter dem sich seine Lanze biegt, so dass sie birst und in Stücke bricht; doch der Schild hält stand. Der eine kann den anderen so wenig wie einen Berg von der Stelle bewegen. denn beide waren sehr stark. Aber dass der Graf im Unrecht war, schadet ihm sehr und schwächt ihn. Voller Zorn aufeinander haben beide ihre Schwerter gezogen, als ihre Lanzen zerbrochen waren. So schlimm wäre es weitergegangen, wenn diese beiden Handwerker ihren Kampf lange hätten fortsetzen können.

123

124

1940

1945

1950

1955

1960

1965

1970

Text und Übersetzung

Maintenant covenist morir, Le quel que soit, a la parclose. Mes li cuens remenoir n’i ose, Qu’antor lui voit sa jant ocise, Qui desarmee fu sosprise. Et cil fieremant les anchaucent, Qui les reoingnent et estaucent Et detranchent et escervelent Et traïtor le conte apelent. Quant s’ot nomer de traïson, Vers sa tor fuit a garison, Et ses janz avuec lui s’an fuient ; Et lor anemi les conduient, Qui fieremant aprés s’esleissent, Un seul d’aus eschaper n’an leissent De trestoz çaus que il ataingnent. Tant an ocïent et estaingnent, Que ne cuit pas, que plus de set An soient venu a recet. Quant an la tor furent antré, A l’antree sont aresté ; Car cil qui venoient aprés, Les orent seüz si de pres, Que lor janz fust dedanz antree, Se delivre lor fust l’antree. Li traïtor bien se deffandent, Qui secors de lor jant atandent, Qui s’armoient el borc aval ; Mes par le consoil Nabunal, Un Grezois qui mout estoit sages, Fu contretenuz li passages, Si que a tans venir n’i porent; Car trop assez demoré orent Par mauvestié et par peresce. La sus an cele forteresce N’avoit antree qu’une sole ; Se il estopent cele gole, N’avront garde, que sor aus vaingne Force, de quoi maus lor avaingne.

1936–1974

1940

1945

1950

1955

1960

1965

1970

125

Doch einer, wer auch immer, musste jetzt sterben. Nun wagt der Graf nicht länger standzuhalten, als er um sich herum seine Leute erschlagen sieht, die unbewaffnet überrascht worden waren. Und die anderen verfolgen sie ohne Erbarmen, sie zerschneiden und verstümmeln sie, zerteilen ihre Leiber und hauen ihnen die Schädel ein und bezeichnen den Grafen als Verräter. Als dieser hört, dass er des Verrats beschuldigt wird, flieht er, um sich zu retten, in seinen Turm, und seine Leute fliehen mit ihm. Und ihre Feinde begleiten sie und setzen ihnen ohne Erbarmen nach, nicht einen einzigen von denen, die sie erreichen, lassen sie fliehen. So vielen löschen sie das Leben aus und töten sie, dass ich nicht glaube, dass mehr als sieben sich retten konnten. Als die Fliehenden in den Turm gelangt waren, sind sie am Eingang stehen geblieben, denn die anderen, die unmittelbar hinterher kamen, waren ihnen so dicht gefolgt, dass sie sich auch hineingedrängt hätten, wenn ihnen freier Zutritt gewährt worden wäre. Die Verräter verteidigen sich tapfer und erwarten Hilfe von ihren Leuten, die sich unten in der Burg bewaffneten. Aber auf den Rat Nabunals, eines sehr klugen Griechen, wurde der Weg versperrt, so dass sie nicht rechtzeitig kommen konnten, denn zu lange hatten sie, sei es aus Feigheit oder Trägheit, gezögert. Da oben in dieser Feste gab es nur einen einzigen Zugang. Wenn sie diese Öffnung schließen, werden sie nicht fürchten müssen, von irgendeiner Macht überfallen zu werden, durch die ihnen Schlimmes widerfahren könnte.

126 1975

1980

1985

1990

1995

2000

2005

2010

Text und Übersetzung

Nabunal lor dit et enorte, Que li vint aillent a la porte ; Car tost s’i porroient anbatre Por anvaïr et por conbatre Tes janz qui les damageroient, Se force et pooir an avoient. Li vint la porte fermer aillent, Li dis devant la tor assaillent, Que li cuens dedanz ne s’ancloe. Fet est ce que Nabunal loe : Li dis remainnent an l’estor Devant l’antree de la tor, Et li vint a la porte vont. Par po que trop demoré n’ont ; Car venir voient une jaude De conbatre anflamee et chaude, Ou mout avoit arbalestiers Et serjanz de divers mestiers, Qui portoient diverses armes. Li un aportoient jusarmes, Et li autre haches denoises, Lances et espees turquoises, Quarriaus et darz et javeloz. Ja fust trop grevains li escoz, Que leissier lor i covenist, Se ceste janz sor aus venist; Mes il n’i vindrent mie a tans. Par le consoil et par le sans Nabunal les adevancirent Et defors remenoir les firent. Quant cil voient qu’il sont forclos, Si se remainnent a repos ; Car par assaut, ce voient bien, N’i porroient forfeire rien. Lors comance uns diaus et uns criz De fames et d’anfanz petiz, de veillarz et de jovanciaus, Si granz que, s’il tonast es ciaus, Cil del chastel rien n’an oïssent. Li Grezois mout s’an esjoïssent ;

1975–2014 1975

1980

1985

1990

1995

2000

2005

2010

Nabunal sagt und rät ihnen, dass zwanzig zu dem Tor gehen sollen, durch das bald Leute hereinstürzen könnten, um sie zu überfallen und um gegen sie zu kämpfen, die ihnen schaden würden, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten. Zwanzig sollten das Tor verteidigen und zehn sollten den Angriff vor dem Turm führen und verhindern, dass sich der Graf darin einschließt. Gemacht wird, wozu Nabunal rät: Zehn bleiben für den Kampf vor dem Eingang des Turms und zwanzig gehen zum Tor. Beinahe haben sie zu lange gebraucht, denn sie sehen eine Truppe kommen, die darauf brennt, den Kampf aufzunehmen. Viele Armbrustschützen waren darunter und Soldaten diverser Waffengattungen mit unterschiedlichen Waffen. Die einen hatten Hiebwaffen, die anderen dänische Äxte, Lanzen und türkische Schwerter, Quadersteine und Pfeile und Wurfspieße. Die Griechen hätten eine gewaltige Zeche zu zahlen gehabt, wenn diese Leute sie überfallen hätten, aber sie kamen nicht zur rechten Zeit. Aufgrund des klugen Rats von Nabunal kamen die Griechen ihnen zuvor und zwangen sie, draußen zu bleiben. Als die anderen sehen, dass sie ausgeschlossen sind, bewahren sie Ruhe, denn mit einem Angriff, das sehen sie wohl, könnten sie nichts ausrichten. Da erhebt sich ein so großes Klagen und Jammern von Frauen und kleinen Kindern, von alten und jungen Leuten, dass, selbst wenn es gedonnert hätte, die da drinnen es nicht hätten hören können. Die Griechen freuten sich sehr darüber,

127

128 2015

2020

2025

2030

2035

2040

2045

2050

Text und Übersetzung

Car or sevent tuit de seür, Que ja li cuens par nul eür N’eschapera, que pris ne soit. Les quatre d’aus font a esploit As deffanses des murs monter Tant solemant por esgarder, Que cil defors de nule part Par nul angin ne par nule art El chastel sor aus ne n’anbatent. Avuec les dis qui se conbatent An sont li seze retorné. Ja fu cleremant ajorné Et ja orent tant fet li dis, Que an la tor se furent mis ; Et li cuens atot une hache Se fu mis delez une estache, Ou mout fieremant se deffant. Cui il consiut, par mi le fant. Et ses janz pres de lui se rangent, Au derriien jornel se vangent Si bien, que de rien ne se faingnent. Les janz Alixandre se plaingnent, Que d’aus n’i avoit mes que treze, Qui ore estoient dis et seze. Par po qu’Alixandres n’anrage, Quant de sa jant voit tel damage, Qui si est morte et afeblie ; Mes au vangier pas ne s’oblie : Une esparre longue et pesant A lez lui trovee an presant, S’an va si ferir un gloton, Que ne li valut un boton Ne li escuz ne li haubers, Qu’a terre ne le port anvers. Aprés celui le conte anchauce, Por bien ferir l’esparre hauce, Si li done tel esparree De l’esparre qui fu quarree, Que la hache li chiet des mains ; Se fu si estordiz et vains

2015–2054 2015

2020

2025

2030

2035

2040

2045

2050

denn nun wissen sie mit Sicherheit, dass der Graf keine Chance zur Flucht hat und gefangen genommen werden wird. Vier von ihnen steigen eilig zu den Zinnen hinauf, um darauf zu achten, dass die da draußen sie nicht irgendwie durch eine List oder eine Strategie in der Burg überfallen. Zu den zehn Männern, die kämpfen, sind die übrigen sechzehn zurückgekehrt. Es war schon heller Tag geworden und die zehn hatten so gut gekämpft, dass sie in den Turm eingedrungen waren. Und der Graf hatte sich, eine Axt in der Hand, an einen Pfeiler gelehnt, wo er sich erbittert verteidigt. Wen er trifft, den spaltet er mittendurch. Und seine Leute halten sich dicht an ihn, im letzten Kampf des Tages rächen sie sich so, dass sie in keiner Weise zaudern. Die Leute Alexanders haben Grund zur Klage, denn sie sind nur noch dreizehn von ehemals sechzehn Rittern. Fast wäre Alexander rasend geworden, als er sieht, welchen Verlust seine Leute erlitten haben, die tot und geschwächt sind, aber er versäumt nicht, sich zu rächen. Einen langen und schweren Balken hat er neben sich in unmittelbarer Reichweite gefunden, damit schlägt er einen Schurken, so dass ihm Schild und Rüstung überhaupt nichts nützten, und er ihn rücklings zu Boden wirft. Nach diesem verfolgt er den Grafen, und um kräftig zuzuschlagen, hebt er den Balken hoch und versetzt ihm einen solchen Schlag mit dem viereckigen Balken, dass ihm die Axt aus der Hand fällt und er so betäubt und geschwächt war,

129

130 2055

2060

2065

2070

2075

2080

2085

2090

Text und Übersetzung

Que, s’au mur ne se retenist, N’eüst pié, qui le sostenist. A cest cop la bataille faut. Vers le conte Alixandres saut, Sel prant si qu’il ne se remuet. Des autres plus parler n’estuet ; Car de legier furent aquis, Puis qu’il virent lor seignor pris. Toz les pranent avuec le conte, Si les an mainnent a grant honte Si come il desservi l’avoient. De tot ice mot ne savoient Lor janz, qui estoient defors ; Mes lor escuz antre les cors Orent trovez la matinee, Quant la bataille fu finee ; Si feisoient un duel mout fort Por lor seignor li Gre a tort. Por son escu qu’il reconoissent, Trestuit de duel feire s’angoissent, Si se pasment sor son escu Et dïent que trop ont vescu. Cornix et Neriüs se pasment, Au revenir lor vies blasment, Et Torins et Acoriondes ; Des iauz lor coroient a ondes Les lermes jusque sor les piz. Vie et joie lor est despiz. Et Parmenidés dessor toz A ses chevos detrez et roz. Cist cinc font duel de lor seignor Si grant qu’il ne pueent greignor. Mes por neant se desconfortent, An leu de lui un autre an portent, S’an cuident lor seignor porter. Mout les refont desconforter Li autre escu, por quoi il croient Que li cors lor conpaignons soient ; Si se pasment sus et demantent :

2055–2093 2055

2060

2065

2070

2075

2080

2085

2090

dass er sich nicht hätte auf den Beinen halten können, wenn er sich nicht an der Mauer festgehalten hätte. Mit diesem Schlag endet der Kampf. Alexander springt auf den Grafen zu und packt ihn, so dass er sich nicht rühren kann. Es ist nicht nötig, über die anderen noch etwas zu sagen, denn sie wurden leicht bezwungen, weil sie sahen, dass ihr Herr gefangen war. Sie nehmen alle zusammen mit dem Grafen gefangen und führen sie mit großer Schande fort, wie sie es verdient hatten. Von all dem wussten die Leute draußen nichts, aber sie hatten am Morgen nach dem Kampf die Schilde zwischen den Toten gefunden. Die Griechen erhoben große Klage um ihren Herrn, aber zu Unrecht. Weil sie seinen Schild erkennen, werden alle von heftiger Trauer ergriffen, sie fallen über seinem Schild in Ohnmacht und sagen, sie wollen nicht länger leben. Zuerst werden Cornix und Nerius ohnmächtig, und als sie wieder zu sich kommen, verwünschen sie ihr Leben, dann Torins und Acoriondes. In Strömen laufen ihnen die Tränen von den Augen auf die Brust, Leben und Freude sind ihnen gleichgültig. Und mehr als alle anderen rauft Parmenides sich das Haar und reißt es aus. Diese fünf trauern so sehr um ihren Herrn, dass ihr Kummer nicht größer sein könnte. Aber sie trauern ohne Grund, es ist ein anderer, den sie forttragen, als sie ihren Herrn fortzutragen meinen. Auch die anderen Schilde sind ihnen Anlass zur Trauer, weil sie glauben, dass darunter die toten Leiber ihrer Gefährten liegen. So fallen sie in Ohnmacht und klagen,

131

132 2095

2100

2105

2110

2115

2120

2125

2130

Text und Übersetzung

Mes trestuit li escu lor mantent ; Que des lor n’i ot qu’un ocis, Qui avoit non Neriolis. Celui voiremant an eüssent Porté, se le voir an seüssent. Mes aussi sont an grant enui Des autres come de celui, Ses ont toz aportez et pris. De toz fors d’un i ont mespris ; Mes tot aussi con cil qui songe, Qui por verité croit mançonge, Les feisoient li escu croire, Que ceste mançonge fust voire. Par les escuz sont deceü. — Atot les cors sont esmeü, Si s’an vienent jusqu’a lor tantes, Ou mout avoit de janz dolantes ; Mes au duel que li Gre feisoient, Trestuit li autre s’amassoient. A lor duel ot grant aünee. Or cuide et croit, que mar fust nee Soredamors, qui ot le cri Et la plainte de son ami. De l’angoisse et de la dolor Pert le memoire et la color, Et ce la grieve mout et blesce, Qu’ele n’ose de sa destresce Demostrer sanblant an apert ; An son cuer a son duel covert. Et se nus garde s’an preïst, A sa contenance veïst, Que grant destresce avoit el cors Au sanblant, qui paroit defors ; Mes tant avoit chascuns a feire A la soe dolor retreire, Que il ne li chaloit d’autrui. Chascuns pleignoit le suen enui ; Car lor paranz et lor amis Truevent afolez et maumis, Don la riviere estoit coverte.

2094–2133

2095

2100

2105

2110

2115

2120

2125

2130

aber alle Schilde täuschen sie, denn unter den Ihren gab es nur einen Toten, und der hieß Neriolis. Den hätten sie zu Recht fortgetragen, wenn sie die Wahrheit gekannt hätten. Aber sie empfinden ebenso große Trauer um die anderen wie um ihn und haben alle aufgehoben und fortgetragen. Bei allen außer einem haben sie sich geirrt. Doch ebenso wie einer Trugbilder für wahr hält, wenn er träumt, ließen die Schilde sie glauben, dass der Irrtum wahr sei. Durch die Schilde wurden sie getäuscht. Mit den Toten haben sie sich auf den Weg gemacht und sind zu ihren Zelten gelangt, wo viele Leute trauerten. Doch in die Klage der Griechen stimmten alle anderen ein. Um sie gab es einen großen Auflauf. Nun denkt und glaubt Soredamor, als sie das Geschrei und die Klage um ihren Freund hört, dass sie unter einem unglücklichen Stern geboren wurde. In ihrer Verzweiflung und ihrem Schmerz verliert sie das Bewusstsein und die Farbe, und es bekümmert und beschwert sie sehr, dass sie ihr Leid nicht in aller Offenheit zu zeigen wagt. Sie hat ihren Schmerz in ihrem Herzen verborgen. Und wenn einer sie beobachtet hätte, hätte er an ihrem äußeren Gebaren ablesen können, dass ein großer Schmerz sie in ihrem Leibe quälte. Aber jeder war so sehr damit beschäftigt, seinen eigenen Schmerz auszudrücken, dass er sich nicht um andere kümmerte. Jeder beklagte seinen Verlust, denn ihre Verwandten und ihre Freunde finden sie in Stücke geschlagen und übel zugerichtet, das Flussufer war bedeckt von ihnen.

133

134 2135

2140

2145

2150

2155

2160

2165

2170

Text und Übersetzung

Chascuns pleignoit la soe perte, Qui li est pesanz et amere. La plore li fiz sor le pere, Et ça li pere sor le fil, Sor son cosin se pasme cil, Et cil autre sor son neveu; Einsi plaingnent an chascun leu Peres et freres et paranz. Mes dessor toz est aparanz Li diaus, que li Grezois feisoient, Qui grant joie atandre pooient ; Que a joie tornera tost Li plus granz diaus de tote l’ost. Li Gre defors grant duel demainnent, Et cil, qui sont dedanz, se painnent, Comant il lor facent savoir Ce, don porront grant joie avoir. Lor prisons desarment et lïent, Et cil lor requierent et prïent, Que maintenant les chiés an praingnent ; Mes cil ne vuelent ne ne daingnent , Ainz dïent qu’il les garderont Tant que au roi les bailleront, Qui si lor randra les merites, Que lor dessertes seront quites. Quant desarmez les orent toz, Por mostrer a lor janz dessoz, Les ont as deffanses montez. Mout lor desplest ceste bontez ; Quant lor seignor pris et liié Virent, ne furent mie lié. Alixandres del mur amont Jure De et les sainz del mont, Que ja un seul n’an leira vivre, Que toz nes ocie a delivre, Se tuit au roi ne se vont randre Einçois que il les puisse prandre. « Alez », fet il, « je vos comant, A mon seignor seüremant,

2134–2172

2135

2140

2145

2150

2155

2160

2165

2170

Jeder klagte über den eigenen Verlust, der für ihn schwer und bitter ist. Da beweint der Sohn den Vater, und dort der Vater den Sohn, einer fällt über seinem Cousin in Ohnmacht, ein anderer über seinem Neffen. So beklagen überall Väter und Brüder und Verwandte ihren Verlust. Aber sichtlich größer als bei allen anderen ist die Trauer der Griechen, obwohl sie eine große Freude erwarten konnten, denn bald wird sich das größte Leid des ganzen Heeres in Freude verkehren. Die Griechen draußen zeigen ihre große Trauer, während die drinnen sich bemühen, ihnen die Nachricht zu überbringen, die ihnen große Freude bereiten wird. Sie entwaffnen und fesseln die Gefangenen, die sie inständig bitten, sie auf der Stelle zu enthaupten. Aber sie wollen es nicht und missachten ihren Wunsch, und sie sagen, dass sie die Gefangenen bewachen werden, bis sie diese dem König ausgeliefert haben, der sie belohnen werde, wie sie es verdient haben. Nachdem sie alle entwaffnet hatten, haben sie die Gefangenen, um sie denen unten vorzuführen, nach oben auf die Zinnen gebracht. Dieser Gunsterweis missfiel ihnen sehr. Als sie ihren Herrn gefangen und gefesselt sahen, waren sie durchaus nicht froh. Oben auf der Mauer schwört Alexander Gott und allen Heiligen, dass er nicht einen Einzigen am Leben lassen, sondern sie alle unverzüglich töten und ausliefern werde, wenn sie sich nicht alle dem König ergeben würden, bevor dieser sie gefangen nehmen könne. „Geht,“, sagt er, „ich befehle es, ohne Furcht zu meinem Herrn

135

136

2175

2180

2185

2190

2195

2200

2205

2210

Text und Übersetzung

Si vos metez an sa merci ! Nus fors le conte que voi ci, De vos n’i a mort desservie. Ja n’i perdroiz manbre ne vie, Se an sa merci vos metez. Se de mort ne vos rachatez Solemant par merci criër, Mout petit vos poez fiër An voz vies ne an voz cors. Issiez tuit desarmé la fors Ancontre mon seignor le roi Et si li dites de par moi Qu’Alixandres vos i anvoie. Ne perdroiz mie vostre voie ; Car tot son mautalant et s’ire Vos pardonra li rois mes sire, Tant est il douz et de bon’ eire. Et s’antremant le volez feire, A morir vos i covandra, Que ja pitiez ne l’an prandra. » Tuit ansanble cest consoil croient, Jusqu’au tref le roi ne recroient, Si li sont tuit au pié cheü. Ja est par tote l’ost seü Ce qu’il li ont dit et conté. Li rois monte et tuit sont monté, Si vienent au chastel poignant ; Que plus ne le vont porloignant. Alixandres ist del chastel Contre le roi, cui mout fu bel, Si li a le conte randu. Et li rois n’a plus atandu, Que lués n’an face sa justise ; Mes mout loe Alixandre et prise, Et tuit li autre le conjoent, Qui formant le prisent et loent. N’i a nul, qui joie ne maint. Por la joie li diaus remaint, Que il demenoient einçois ;

2173–2211

2175

2180

2185

2190

2195

2200

2205

2210

und ergebt euch in seine Gnade. Niemand von euch, außer dem Grafen hier, hat den Tod verdient. Ihr werdet kein Körperteil oder das Leben verlieren, wenn ihr euch in seine Gnade ergebt. Wenn ihr euch vor dem Tod bewahren wollt, bleibt euch nichts, als Gnade zu erflehen, sonst könnt ihr kaum für Leib und Leben hoffen. Geht alle ohne Waffen nach draußen zu meinem Herrn, dem König, und sagt ihm, dass ich, Alexander, euch dorthin schicke. Ihr werdet diesen Gang nicht umsonst tun, denn mein Herr, der König, wird euch all seinen Ärger und seinen Zorn verzeihen, weil er so gnädig und freundlich ist. Wenn ihr aber etwas anderes tun wollt, werdet ihr sterben müssen, und er wird kein Erbarmen kennen.“ Alle vertrauen auf diesen Rat, sie gehen sofort zum Zelt des Königs und fallen ihm allesamt zu Füßen. Schon weiß man im ganzen Heer, was sie gesagt und berichtet haben. Der König sitzt auf und alle anderen auch, sie reiten im Galopp zur Burg, ohne jede Verzögerung. Alexander verlässt die Burg, um dem König entgegen zu gehen, der sehr erfreut ist, und um ihm den Grafen zu übergeben. Und der König hat nicht lange gewartet, um ihn angemessen zu bestrafen. Aber er lobt und rühmt Alexander sehr, und alle anderen feiern ihn und rühmen und loben ihn in den höchsten Tönen. Es gibt da niemanden, der sich nicht freut. Durch die Freude wird das Leid vertrieben, das sie eben noch beherrschte.

137

138

2215

2220

2225

2230

2235

2240

2245

2250

Text und Übersetzung

Mes a la joie des Grezois Ne se puet nule joie prandre. Li rois li fet la cope randre De quinze mars, qui mout fu riche, Et si li dit bien et afiche, Qu’il n’a nule chose tant chiere, Se il fet tant qu’il la requiere, Fors la corone et la reïne, Que il ne l’an face seisine. Alixandres de ceste chose Son desirrier dire nen ose, Et bien set qu’il n’i faudroit mie, Se il li requeroit s’amie ; Mes tant crient, qu’il ne despleüst Celi, qui grant joie an eüst, Que miauz se viaut sanz li doloir, Que il l’eüst sanz son voloir. Por ce respit quiert et demande, Qu’il ne viaut feire sa demande Tant qu’il an sache son pleisir ; Mes a la cope d’or seisir N’a respit n’atandue quise. La cope prant et par franchise Prie mon seignor Gauvain tant Que de lui cele cope prant ; Mes a mout grant painne l’a prise. — Quant Soredamors a aprise D’Alixandre voire novele, Mout li plot et mout li fu bele. Quant ele sot que il est vis, Tel joie an a, qu’il li est vis, Que ja mes n’et pesance une ore ; Mes trop, ce li sanble, demore, Que il ne vient si come il siaut. Par tans avra ce qu’ele viaut ; Car anbedui par contançon Sont d’une chose an cusançon. Mout estoit Alixandre tart, Que solemant d’un douz regart

2212–2250

2215

2220

2225

2230

2235

2240

2245

2250

Aber mit dem Jubel der Griechen kann sich die Freude der anderen nicht vergleichen. Der König lässt Alexander den kostbaren Pokal im Wert von fünfzehn Mark übergeben, und er sagt und versichert ihm wiederholt, dass es nichts gäbe, so kostbar es auch sein mag, das er ihm nicht geben würde, wenn er danach verlangen sollte, außer der Krone und der Königin. Alexander wagt nicht zu sagen, was sein Herz begehrt, obwohl er weiß, dass er den König nicht erfolglos um seine Freundin bitten würde. Aber er fürchtet so sehr, der zu missfallen, die darüber sehr beglückt gewesen wäre, dass es ihm lieber ist, ohne sie Leid zu erdulden, als sie zu bekommen, ohne dass sie es wollte. Daher bittet und ersucht er um Aufschub, denn er will nicht um sie bitten, bis er in Erfahrung gebracht hat, was sie möchte. Aber um den Goldpokal zu nehmen, hat er weder um Aufschub gebeten noch gewartet. Er ergreift den Pokal und in seinem Großmut bittet er Herrn Gauvain sehr, den Pokal von ihm als Geschenk anzunehmen, aber der hat ihn nur sehr zögernd entgegen genommen. – Als Soredamor die Wahrheit über Alexander vernommen hat, war ihr das sehr lieb und angenehm. Als sie erfahren hat, dass er am Leben ist, freut sie sich so sehr, dass es ihr erscheint, als ob sie niemals wieder Kummer haben würde. Aber es dauert, wie ihr scheint, zu lange, dass er wie gewohnt kommt. Schon bald wird sie haben, wonach sie verlangt, denn beide brennen um die Wette nach ein und derselben Sache. Sehr verlangt Alexander danach, dass seine Augen sich nur mit

139

140

2255

2260

2265

2270

2275

2280

2285

Text und Übersetzung

De li poïst ses iauz repestre. Grant piece a, que il vossist estre Au tref la reïne venuz, Se aillors ne fust detenuz. Li demorers mout li desplot ; Au plus tost que il onques pot Vint a la reïne an son tre. La reïne l’a ancontré, Qui de son panser mout savoit Sanz ce que dit ne li avoit, Mes bien s’an iere aparceüe. A l’antrer del tref le salue Et de lui conjoïr se painne, Bien set, ques acheisons le mainne. Por tant qu’an gre servir le viaut, Lez lui Soredamors aquiaut, Et furent li troi solemant Loing des autres a parlemant. La reïne primes comance, Qui de rien n’estoit an dotance, Qu’il ne s’amassent anbedui, Cil celi et cele celui. Bien le cuide de fi savoir Et set, que ne pooit avoir Soredamors meillor ami. Antr’aus deus fu assise an mi, Si lor comance une reison, Qui vint an leu et an seison. « Alixandre ! », fet la reïne, « Amors est pire que haïne, Qui son ami grieve et confont. Amant ne sevent, que il font, Quant li uns vers l’autre se cuevre. An amor a mout greveuse oevre : A l’asseoir del fondemant Qui ne comance hardemant, A painne an puet venir a chief. L’an dit que il n’i a si grief A trespasser come le suel.

2251–2289

2255

2260

2265

2270

2275

2280

2285

einem zärtlichen Blick an ihr weiden könnten. Lange schon hätte er im Zelt der Königin sein wollen, wenn er nicht andernorts aufgehalten worden wäre. Die Verzögerung missfiel ihm sehr; so schnell er nur konnte kam er in das Zelt der Königin. Die Königin ist ihm entgegen getreten, sie wusste wohl, was er auf dem Herzen hatte, ohne dass er es ihr gesagt hätte, denn sie hatte es genau beobachtet. Am Eingang des Zeltes begrüßt sie ihn und sie bemüht sich sehr, ihn willkommen zu heißen, denn sie weiß schon, was ihn zu ihr führt. Da sie ihm einen Gefallen zu tun wünscht, ruft sie Soredamor zu sich, und so konnten die drei, etwas entfernt von den anderen, miteinander plaudern. Die Königin ergreift zuerst das Wort, sie hatte überhaupt keinen Zweifel daran, dass beide sich liebten, er sie und sie ihn. Sie glaubt es mit Sicherheit zu wissen und ist überzeugt, dass Soredamor keinen besseren Freund haben könnte. Sie setzte sich zwischen beiden in die Mitte und begann, ihnen eine Rede zu halten, die gut zu der Zeit und Gelegenheit passte. „Alexander,“ sagt die Königin, „Liebe ist schlimmer als Hass, weil sie ihren Freund verwundet und quält. Liebende wissen nicht, was sie tun, wenn sie sich einander gegenüber verstellen. Die Liebe ist ein schwieriges Geschäft; wenn man nicht kühn daran geht, das Fundament dafür zu legen, kann man kaum ans Ziel gelangen. Man sagt, es gebe nichts Schwierigeres, als die Schwelle zu übertreten.

141

142 2290

2295

2300

2305

2310

2315

2320

2325

Text und Übersetzung

D’amor andotriner vos vuel; Car bien sai qu’amors vos afole. Por ce vos ai mis a escole, Et gardez ne m’an celez rien, Qu’aparceüe m’an sui bien As contenances de chascun, Que de deus cuers avez fet un. Ja vers moi ne vos an celez ! De ce trop folemant ovrez, Que chascuns son panser ne dit, Qu’au celer li uns l’autre ocit : D’amor omecide seroiz. Or vos lo que ja ne queroiz Force ne volanté d’amor. Par mariage et par enor Vos antraconpaigniez ansanble. Einsi porra, si con moi sanble, Vostre amors longuemant durer. Je vos os bien asseürer, Se vos an avez buen corage, J’assanblerai le mariage. » Quant la reïne ot dit son buen, Alixandres redist le suen. « Dame ! », fet il, « je ne m’escus De rien, que vos me metez sus, Ainz otroi bien quanque vos dites. Ja d’amor ne quier estre quites, Que toz jorz n’i aie m’antante. Ce me plest mout et atalante, Vostre merci, que dit m’avez. Quant vos ma volanté savez, Ne sai, que plus le vos celasse. Mout a grant piece, se j’osasse, L’eüsse je reconeü ; Car mout m’a li celers neü. Mes puet cel estre an nul androit Ceste pucele ne voldroit, Que fusse suens et ele moie. S’ele de li rien ne m’otroie,

2290–2328 2290

2295

2300

2305

2310

2315

2320

2325

Ich will euch über die Liebe belehren, denn ich weiß wohl, dass Liebe euch quält. Deshalb habe ich euch in die Schule genommen, und hütet euch, mir etwas zu verbergen, denn ich habe an dem Gebaren eines jeden von euch wohl bemerkt, dass ihr aus zwei Herzen eines gemacht habt. Mir gegenüber sollt ihr es nicht verschweigen! Es ist doch zu dumm von euch, dass keiner sagt, was er denkt, denn durch das Verschweigen tötet der eine den anderen, und ihr werdet aus Liebe zu Mördern. Nun rate ich euch, dass ihr nicht mit Gewalt liebt oder flüchtige Lust in der Liebe sucht. Ihr werdet euch durch Heirat und in Ehren verbinden. So wird, wie mir scheint, eure Liebe lange währen können. Ich kann euch wohl versichern, dass ich eure Heirat arrangieren werde, wenn ihr es von Herzen wollt.“ Als die Königin gesagt hatte, was sie empfand, sagte auch Alexander, was er dachte. „Madame,“ sagt er, „ich bestreite nichts von dem, was Ihr mir vorhaltet, vielmehr gebe ich alles zu, was Ihr sagt. Ich will niemals ohne Liebe sein, sondern mich stets um sie bemühen. Es ist mir sehr lieb und angenehm, was Ihr in Eurer Güte gesagt habt. Da Ihr mein Begehren kennt, weiß ich nicht, warum ich es Euch länger verschweigen sollte. Schon lange hätte ich mich dazu bekannt, wenn ich es gewagt hätte, denn das Schweigen hat mich sehr gequält. Aber es könnte aus irgendeinem Grund sein, dass dieses Mädchen nicht wünschte, dass ich der Ihre werde und sie die Meine wird. Aber auch wenn sie mir von sich gar nichts übereignen mag,

143

144 2330

2335

2340

2345

2350

2355

2360

2365

Text und Übersetzung

Totes voies m’otroi a li. » A cest mot cele tressailli, Qui cest presant pas ne refuse. Le voloir de son cuer ancuse Et par parole et par sanblant ; Car a lui s’otroie an tranblant, Et dit que ja n’an metra fors Ne volanté ne cuer ne cors, Que tote ne soit anterine Au commandemant la reïne Et que tot son pleisir ne face. La reïne andeus les anbrace Et fet a l’un de l’autre don. An riant dit : « Je t’abandon, Alixandre, le cors t’amie. Bien sai qu’au cuer ne fauz tu mie. Qui qu’an face chiere ne groing, L’un de vos deus a l’autre doing. Tien tu le tuen et tu la toe ! » Cele a le suen et cil la soe, Cil li tote et cele lui tot. — A Guinesores sanz redot Furent au los et a l’otroi Mon seignor Gauvain et le roi Le jor feites les esposailles. De la richesce et des vitailles Et de la joie et del deduit Ne savroit nus dire, ce cuit, Tant qu’as noces plus n’an eüst. Por tant qu’as plusors despleüst, Ne vuel parole user ne perdre, Qu’a miauz dire me vuel aerdre. A Guinesores a un jor Ot Alixandres tant d’enor Et tant de joie con lui plot. Trois joies et trois enors ot : L’une fu del chastel qu’il prist, L’autre de ce que li promist Li rois Artus qu’il li donroit,

2329–2367

2330

2335

2340

2345

2350

2355

2360

2365

werde ich in jedem Fall mich ihr übereignen.“ Bei diesen Worten erzitterte sie, die dieses Geschenk durchaus nicht von sich weist. Was ihr Herz begehrt, verrät sie in Wort und Gebaren, denn zitternd gibt sie sich ihm hin und sagt, dass sie niemals zulassen werde, dass ihr Wille, Herz und Leib nicht vollkommen dem Befehl der Königin ergeben sind und nicht alles tun, was sie wünscht. Die Königin umarmt sie beide und macht einen dem anderen zum Geschenk. Lächelnd sagt sie: „In deine Obhut, Alexander, übergebe ich den Leib deiner Freundin, denn das Herz, das weiß ich wohl, gehört dir schon. Wer immer dazu gute oder böse Miene macht, jeden von euch beiden schenke ich dem anderen. Nimm du den Deinen und du die Deine!“ Nun hat sie den Ihren ganz und er hat die Seine ganz. – Ohne Zweifel wurde an diesem Tag die Hochzeit in Windsor mit dem Einverständnis und der Erlaubnis von Herrn Gauvain und dem König gefeiert. Die Pracht und die Speisen und die Freude und das Vergnügen bei dieser Hochzeit könnte niemand, glaube ich, schildern, ohne etwas zu vergessen oder auszulassen. Weil es vielen missfallen würde, will ich darüber kein Wort verlieren oder verschwenden, sondern mich bemühen, etwas Besseres zu erzählen. In Windsor wurde Alexander an einem Tag soviel Ehre und soviel Freude zuteil, wie er es nur wünschen konnte. Dreifache Freude und dreifache Ehre erlangte er: Eine bestand in der Einnahme der Burg, eine andere darin, dass König Artus versprochen hatte, ihm

145

146

2370

2375

2380

2385

2390

2395

2400

2405

Text und Übersetzung

Quant sa guerre finee avroit, Le meillor reaume de Gales : Le jor le fist roi an ses sales. La graindre joie fu la tierce De ce que s’amie fu fierce De l’eschaquier, dont il fu rois. Ainz que fussent passé cinc mois, Soredamors se trova plainne De semance d’ome et de grainne, Si la porta jusqu’a son terme. Tant fu la semance an son germe Que li fruiz vint a sa nature. D’anfant plus bele creature Ne pot estre n’avant n’aprés. L’anfant apelerent Cligés. — — — Nez est Cligés, an cui memoire Fu mise an romanz ceste estoire. De lui et de son vasselage, Quant il iert venuz an aage, Que il devra an pris monter, M’orroiz assez dire et conter. Mes antretrant an Grece avint Qu’a sa fin l’anperere vint, Qui Costantinoble tenoit. Morz fu ; morir le covenoit, Qu’il ne pot le terme passer ; Mes ainz sa mort fist amasser Toz les hauz barons de sa terre, Por Alixandre anveiier querre, Son fil, qui an Bretaingne estoit, Ou mout volantiers s’arestoit. De Grece muevent li message, Par mer acuellent lor veage, Si les i prant une tormante Qui lor nef et lor jant tormante. An la mer furent tuit noiié Fors un felon, un renoiié, Qui amoit Alis, le menor, Plus qu’Alixandre, le greignor.

2368–2406

2370

2375

2380

2385

2390

2395

2400

2405

das beste Königreich von Wales zu geben, wenn er den Krieg beendet hätte: am selben Tag machte er ihn in seinem Schloss zum König. Die größte Freude aber war die dritte, dass seine Freundin Königin wurde in dem Schachspiel, in dem er König war. Bevor fünf Monate vergangen waren, war Soredamor schwanger von einem männlichen Samen und trug ihn bis ans Ende aus. So lange keimte der Samen, bis die Frucht reif war. Ein schöneres Geschöpf als dieses Kind kann es weder zuvor noch später gegeben haben. Das Kind nannten sie Cligès. – – – Nun ist Cligès geboren, zu dessen Gedenken diese Geschichte in der Volkssprache gedichtet wurde. Wenn er das Alter erreicht hat, dass er seinen Ruhm mehren muss, werdet ihr mich über ihn und seine Tapferkeit reden und erzählen hören. Währenddessen geschah es, dass der Kaiser, der über Konstantinopel herrschte, seinem Ende entgegen ging. Er starb, er musste sterben, er konnte dem gesetzten Zeitpunkt nicht entgehen. Aber vor seinem Tod ließ er alle hohen Herren seines Landes versammeln und schickte sie aus, um seinen Sohn Alexander zu holen, der sich in Britannien aufhielt, wo es ihm sehr gut gefiel. Die Boten reisen aus Griechenland ab, sie beginnen ihre Reise über das Meer, aber dort werden sie von einem Sturm überrascht, der ihr Schiff und ihre Leute in Seenot bringt. Alle ertranken im Meer, mit Ausnahme eines treulosen Schurken, der Alis, dem jüngeren Sohn, mehr ergeben war als Alexander, dem älteren.

147

148

2410

2415

2420

2425

2430

2435

2440

2445

Text und Übersetzung

Quant il fu de mer eschapez, An Grece s’an est retornez Et dit qu’il avoient esté Trestuit an la mer tanpesté, Quant de Bretaingne revenoient Et lor seignor an amenoient ; N’an iere eschapez mes que il De la tormante et del peril. Cil fu creüz de sa mançonge : Sanz contredit et sanz chalonge Pranent Alis, si le coronent, L’anpire de Grece li donent. Mes ne tarda mie granmant Qu’Alixandres certainnemant Sot qu’anperere estoit Alis. Au roi Artu a congié pris, Qu’il ne voldra mie sanz guerre A son frere leissier sa terre. Li rois de rien ne l’an destorbe, Einçois li dit, que si grant torbe An maint avuec lui de Galois, D’Escoz et de Cornoalois, Que ses frere atandre ne l’ost, Quant assanblee verra l’ost. Alixandres, se lui pleüst, Grant force menee an eüst ; Mes n’a soing de sa jant confondre, Se ses frere li viaut respondre, Que il li face son creante. Chevaliers an mena quarante Et Soredamors et son fil, Icez deus leissier ne vost il ; Car mout feisoient a amer. A Sorham se mistrent an mer Au congié de tote la cort, Buen vant orent, la nes s’an cort Assez plus tost que cers qui fuit. Ainz que passast li mois, ce cuit, Pristrent devant Athenes port, Une cité mout riche et fort.

2407–2446

2410

2415

2420

2425

2430

2435

2440

2445

Als er dem Meer entronnen war, ist er nach Griechenland zurückgekehrt, und er behauptet, sie wären alle im Meer umgekommen, als sie aus Britannien zurückkamen und ihren Herrn mit sich führten, niemand hätte den Sturm und die Gefahr überlebt außer ihm selbst. Diese Lüge wurde ihm geglaubt. Ohne Widerspruch und ohne Gegenrede nehmen sie Alis, krönen ihn und übergeben ihm das Kaiserreich Griechenland. Aber es dauerte nicht lange, bis Alexander zweifelsfrei wusste, dass Alis Kaiser geworden war. Er bat den König um Abschied, weil er sein Land seinem Bruder nicht kampflos überlassen wollte. Der König hindert ihn in keiner Weise daran, vielmehr schlägt er ihm vor, eine so große Schar von Walisern, Schotten und Leuten aus Cornwall mitzunehmen, dass sein Bruder ihm nicht standzuhalten wagte, wenn er die gesammelte Armee sehen werde. Wenn Alexander es gewollt hätte, dann hätte er eine große Truppe mitnehmen können, aber er möchte den eigenen Leuten nicht schaden, sofern sein Bruder ihm verspricht, seinen Willen zu erfüllen. Er nahm vierzig Ritter mit sich und Soredamor und seinen Sohn, diese beiden wollte er nicht zurücklassen, denn sie waren ihm sehr lieb. In Shoreham schifften sie sich nach dem Abschied vom gesamten Hofstaat ein. Sie hatten guten Wind, schneller als ein fliehender Hirsch fliegt das Schiff davon. Bevor ein Monat vergangen war, glaube ich, liefen sie in den Hafen von Athen ein, einer sehr reichen und mächtigen Stadt.

149

150

2450

2455

2460

2465

2470

2475

2480

2485

Text und Übersetzung

L’anperere por verité Iere a sejor an la cité, Et s’i avoit grant assanblee Des hauz barons de la contree. Tantost con furent arivé, Alixandres un suen privé Anvoie an la cité savoir, Se recet i porroit avoir Ou s’il li voldront contredire, Qu’il ne soit lor droituriers sire. De ceste chose fu messages Uns chevaliers cortois et sages, Qu’an apeloit Acorionde, Riches d’avoir et de faconde, Et s’estoit mout bien del païs ; Car d’Athenes estoit naïs. An la cité d’ancesserie Avoient mout grant seignorie Toz jorz si ancessor eüe. Quant il ot la chose seüe, Qu’an la vile estoit l’anperere, De par Alixandre, son frere, Li va chalangier la corone, Ne ce mie ne li pardone, Qu’il l’a tenue contre droit. El palés est venuz tot droit Et trueve assez, qui le conjot, Mes ne respont ne ne dit mot A nul home, qui le conjoie, Einçois atant tant que il oie, Quel volanté et quel corage Il ont vers lor droit seignorage. Jusqu’a l’anpereor ne fine, Il nel salue ne l’ancline Ne anpereor ne l’apele. « Alis ! », fet il, « une novele De par Alixandre t’aport, Qui la defors est a cest port. Antant que tes frere te mande :

2447–2485

2450

2455

2460

2465

2470

2475

2480

2485

Der Kaiser residierte tatsächlich gerade in der Stadt und hatte dort eine große Versammlung der hohen Herren des Landes einberufen. Sobald sie angekommen waren, schickt Alexander einen seiner Vertrauten in die Stadt um herauszufinden, ob man ihn freundlich empfangen würde oder ob sie bestreiten wollten, dass er ihr rechter Herr sei. Mit dieser Mission wurde ein höfischer und kluger Ritter betraut, der Acorionde hieß und reich an Besitz und Redegabe war; er stammte aus dem Land, denn er war in Athen geboren. In der Stadt waren seine Vorfahren von alters her stets sehr große Herren gewesen. Als er erfahren hatte, dass der Kaiser sich in der Stadt aufhielt, macht er ihm im Namen seines Bruders Alexander die Krone streitig, und wirft ihm öffentlich vor, dass er sie widerrechtlich erhalten hat. Geradewegs in den Palast ist er gegangen, er trifft auf viele, die ihn willkommen heißen, aber er antwortet nicht und sagt zu keinem, der ihn freudig begrüßt, ein Wort, vielmehr wartet er, bis er hört, was sie wollen und wie sie zu ihrem rechtmäßigen Herrn stehen. Ohne Zögern begibt er sich zum Kaiser, er begrüßt ihn nicht und verneigt sich nicht vor ihm und redet ihn nicht mit ‚Kaiser‘ an. „Alis,“ sagt er, „ich bringe dir eine Nachricht von Alexander, der da draußen im Hafen ist. Höre, was dein Bruder dir ausrichten lässt.

151

152

2490

2495

2500

2505

2510

2515

2520

Text und Übersetzung

La soe chose te demande, Ne rien contre reison ne quiert. Soe doit estrë, et soe iert Costantinoble que tu tiens. Ce ne seroit reisons ne biens, Qu’antre vos deus eüst descorde. Par mon consoil a lui t’acorde, Si li rant la corone an pes ; Car bien est droiz que tu li les. » Alis respont : « Biaus douz amis ! De folie t’ies antremis, Qui cest message as aporté. De rien ne m’as reconforté, Car bien sai que mes frere est morz. Ce me seroit granz reconforz, S’il estoit vis et jel savoie. Ja nel crerrai tant que jel voie. Morz est piece a, ce poise moi. Rien que tu dies, je ne croi. Et s’il es vis, por quoi ne vient ? Ja redoter ne li covient, Que assez terre ne li doingne. Fos est, se il de moi s’esloingne, Et s’il me sert, ja n’an iert pire. De la corone et de l’anpire N’iert ja nus contre moi tenanz. » Cil ot que n’est pas avenanz La response l’anpereor. Ne leisse por nule peor Que son talant ne li responde: « Alis « , fet il, « Des me confonde, Se la chose remaint einsi. De par ton frere te desfi, Et de par lui si con je doi Semoing toz çaus que je ci voi, Que toi leissent et a lui vaingnent. Reisons est que a lui se taingnent, De lui doivent lor seignor feire. Qui leaus est, et or i peire. »

2486–2524

2490

2495

2500

2505

2510

2515

2520

Er verlangt von dir, was ihm gehört, und er begehrt nichts, was gegen das Recht wäre. Konstantinopel, über das du herrschst, muss ihm gehören und wird ihm gehören. Es wäre nicht gut und vernünftig, wenn unter euch beiden Streit herrschte. Ich rate dir, dich mit ihm auszusöhnen, übergib ihm die Krone in Frieden, denn es ist wohl recht, dass du sie ihm überlässt.“ Alis antwortet: „Lieber edler Freund, du musst den Verstand verloren haben, mir diese Botschaft zu überbringen. Du hast mich in keiner Weise getröstet, denn ich weiß wohl, dass mein Bruder tot ist. Es wäre aber ein großer Trost für mich, wenn er am Leben wäre und ich es wüsste. Doch werde ich es nicht glauben, bis ich ihn sehe. Leider ist er schon lange tot. Nichts von dem, was du sagst, glaube ich. Und wenn er lebt, warum kommt er nicht her? Er hat nicht zu befürchten, dass ich ihm zu wenig Land gebe. Er ist nicht klug, wenn er sich von mir fernhält, und wenn er mir dient, wird es nicht zu seinem Schaden sein. Die Krone und das Reich aber wird niemand gegen meinen Willen bekommen.“ Der Bote begreift, dass die Antwort des Kaisers unannehmbar ist. Er hat keine Angst, ihm geradeheraus die Meinung zu sagen. „Alis,“ sagt er, „Gott möge mich vernichten, wenn es hierbei bleiben sollte. Im Namen deines Bruders fordere ich dich heraus und in seinem Namen rate ich, wie es meine Pflicht ist, allen, die ich hier sehe, dich zu verlassen und zu ihm zu gehen. Es entspricht dem Recht, dass sie zu ihm halten, ihn müssen sie zu ihrem Herrn machen. Wer treu ist, das wird sich nun zeigen.“

153

154 2525

2530

2535

2540

2545

2550

2555

2560

Text und Übersetzung

A cest mot de la cort se part, Et l’anperere d’autre part Apele çaus, ou plus se fie. De son frere qui le desfie Lor quiert consoil et viaut savoir, S’il puet an aus fiance avoir, Que ses frere a ceste anvaïe N’et par aus force ne aïe. Einsi viaut esprover chascun, Mes il n’an i trueve nes un, Qui de la guerre a lui se taingne, Ainz li dïent qu’il li sovaingne De la guerre qu’Etioclés Prist ancontre Polinicés, Qui estoit ses frere germains, S’ocist li uns l’autre a ses mains. « Autel puet de vos avenir, Se volez guerre maintenir, Et confondue an iert la terre. » Por ce loent tel pes a querre, Qui soit resnable et droituriere, Et li uns l’autre ne sorquiere. Ore ot Alis, se il ne fet A son frere resnable plet, Que tuit li baron li faudront, Et dist que ja plet ne voldront, Qu’il ne face par avenant ; Mes il met an son covenant, Que la corone li remaingne, Comant que li afeires praingne. Por feire pes ferme et estable, Alis par un suen conestable Mande Alixandre, qu’a lui vaingne Et tote la terre maintaingne, Mes que tant li face d’enor, Qu’il et le non d’anpereor Et la corone avoir li lest : Einsi puet estre, se lui plest, Antr’aus deus ceste acorde feite.

2525–2563 2525

2530

2535

2540

2545

2550

2555

2560

155

Mit diesen Worten verlässt er den Hof, und der Kaiser seinerseits ruft diejenigen zu sich, denen er am meisten vertraut. Wegen seines Bruders, der ihn herausfordert, bittet er sie um Rat und will wissen, ob er ihnen vertrauen kann, damit sein Bruder mit seiner Forderung von ihnen weder Unterstützung noch Hilfe erlangt. So will er jeden prüfen, aber er findet nicht einen unter ihnen, der in diesem Streit zu ihm halten will, vielmehr sagen sie ihm, dass er sich an den Krieg erinnern möge, den Eteokles gegen Polyneikes führte, seinen leiblichen Bruder, und wie der eine den anderen mit den eigenen Händen tötete. „Das Gleiche kann Euch widerfahren, und wenn Ihr Krieg führen wollt, wird das Land dadurch zerstört werden.“ Deshalb raten sie ihm, Frieden anzustreben, der vernünftig und rechtmäßig ist, ohne dass der eine an den anderen übertriebene Forderungen stellt. Da versteht Alis, dass alle Vasallen sich ihm entziehen werden, wenn er mit seinem Bruder keinen vernünftigen Vertrag schließt, und so erklärte er, dass er den Vertrag, wie sie es wünschen, bereitwillig schließen werde. Aber er macht zur Bedingung, dass er, wie immer die Angelegenheit ausgehe, die Krone behalten darf. Um den Frieden zu sichern und zu stabilisieren, lässt Alis durch einen seiner Beamten Alexander ausrichten, dass er zu ihm kommen und die Regierung des Landes übernehmen möge, nur möge er ihm soviel Ehre erweisen, ihm den Kaisertitel und die Krone zu lassen. So könne, wenn er einverstanden sei, unter ihnen beiden Frieden geschlossen werden.

156 2565

2570

2575

2580

2585

2590

2595

2600

Text und Übersetzung

Quant ceste chose fu retreite Et Alixandre recontee, Avuec lui est sa janz montee, Si sont a Athenes venu. A joie furent receü ; Mes Alixandre ne plest mie, Que ses frere et la seignorie De l’anpire et de la corone, Se sa fiance ne li done, Que ja fame n’esposera, Mes aprés lui Cligés sera De Costantinoble anperere. Einsi sont acordé li frere. Alixandres li eschevist Et cil li otroie et plevist, Que ja an trestot son aage N’avra fame par mariage. Acordé sont, ami remainnent. Li baron grant joie demainnent : Alis por anpereor tienent, Mes devant Alixandre vienent Li grant afeire et li petit. Fet est quanque comande et dit, Et po fet an, se par lui non. Alis n’i a mes que le non, Que anpereres est clamez ; Mes cil est serviz et amez, Et qui ne le sert par amor, Feire li estuet par peor. Par l’une et par l’autre justise Tote la terre a sa devise. Mes cele qu’an apele Mort, N’espargne home foible ne fort, Que toz ne les ocie et tut. Alixandre morir estut ; Qu’uns maus le mist an sa prison, Don ne pot avoir garison ; Mes ainz que morz le sospreïst, Son fil manda et si li dist : « Biaus fiz Cligés ! ja ne savras

2564–2603

2565

2570

2575

2580

2585

2590

2595

2600

Als Alexander diese Nachricht mitgeteilt und berichtet wurde, sind seine Leute mit ihm hinaufgegangen und nach Athen gekommen, wo sie freudig empfangen wurden. Aber Alexander ist es gar nicht recht, dass sein Bruder die Herrschaft über das Reich und die Krone haben soll, sofern er ihm nicht verspricht, dass er niemals eine Frau nehmen und Cligès ihm als Kaiser von Konstantinopel nachfolgen werde. Auf diese Weise haben sich die Brüder geeinigt. Alexander sprach ihm den Eid vor, und Alis sicherte es ihm zu und schwor, dass er sich in seinem ganzen Leben niemals mit einer Frau ehelich verbinden werde. Sie haben sich geeinigt und bleiben Freunde. Die Vasallen sind voller Freude, sie nennen Alis Kaiser, aber die Regierungsgeschäfte, ob bedeutend oder nicht, führt Alexander. Was immer er befiehlt und sagt, wird getan, und so gut wie nichts geschieht, ohne dass er es veranlasst. Alis hat nur den Namen des Kaisers, aber Alexander gelten Dienst und Liebe, und wer ihm nicht aus Liebe dient, muss es aus Furcht tun. Auf diese und andere Weise herrscht er nach seinem Willen über das ganze Land. Aber der, den man Tod nennt, verschont weder den Schwachen noch den Starken, vielmehr tötet er alle und löscht sie aus. Alexander musste sterben, weil eine Krankheit ihn bezwungen hatte, von der er nicht genesen konnte. Aber bevor der Tod ihn überraschte, ließ er seinen Sohn holen und sagte zu ihm: „Lieber Sohn Cligès, du wirst niemals erfahren,

157

158 2605

2610

2615

2620

2625

2630

2635

2640

Text und Übersetzung

Conoistre, con bien tu avras De proesce ne de vertu, Se a la cort le roi Artu Ne te vas esprover einçois Et as Bretons et as François. Se avanture la te mainne, Einsi te contien et damainne, Que tu n’i soies coneüz Jusqu’a tant qu’as plus esleüz De la cort esprovez te soies. De ce te lo que tu me croies, Et se leus vient, ja peor n’aies, Que a ton oncle ne t’essaies, Mon seignor Gauvain ; ce te pri, Que tu nel metes an obli. » Aprés cest amonestemant Ne vesqui gueires longuemant. Soredamors tel duel an ot, Que aprés lui vivre ne pot; De duel fu morte avueques lui. Alis et Cligés anbedui An firent duel si come il durent, Mes de duel feire se recrurent ; [Car toz diaus covient trespasser, Totes choses covient lasser.] Mauvés est diaus a maintenir, Que nus biens n’an puet avenir. A neant est li diaus venuz, Et l’anperere s’est tenuz Lonc tans aprés de fame prandre ; Qu’a leauté voloit antandre. Mes il n’a cort an tot le monde, Qui de mauvés consoil soit monde. Par les mauvés consauz qu’il croient, Li baron sovant se desvoient Si que leauté ne maintienent. Sovant a l’anpereor vienent Si home, qui consoil li donent, De fame prandre le semonent,

2604–2642

2605

2610

2615

2620

2625

2630

2635

2640

was du an Tapferkeit und und Tüchtigkeit vermagst, bevor du dich nicht bei den Briten und Franzosen am Hof von König Artus erprobt hast. Wenn dich das Geschick dorthin führt, verhalte dich und handle so, dass man dich dort nicht erkennt, bis du dich im Kampf mit den Besten am Hof bewährt hast. In dieser Sache rate ich dir, mir zu glauben, und wenn du dorthin kommst, sollst du keine Angst haben, dich mit deinem Onkel zu messen, mit Herrn Gauvain; ich bitte dich darum, dass du dies nicht vergisst.“ Nach dieser Ermahnung lebte er nicht mehr lange. Soredamor empfand darüber solche Trauer, dass sie ohne ihn nicht leben konnte und ihm aus Kummer ins Grab folgte. Alis und Cligès trauerten beide, wie es sich gehörte, aber ihre Trauer nahm schließlich ein Ende [denn jede Trauer muss einmal aufhören, und alle Dinge müssen vergehen]. Es ist falsch, fortwährend zu trauern, denn daraus kann nichts Gutes entstehen. So ist die Trauer vergangen, und lange Zeit danach hat der Kaiser keine Anstalten gemacht, eine Frau zu nehmen, denn er wollte sein Wort halten. Aber es gibt auf der ganzen Welt keinen Hof, der von schlechtem Rat frei ist. Weil sie schlechten Ratschlägen folgen, kommen die Fürsten oft vom rechten Wege ab und bewahren ihre Treue nicht. So kommen oft Vasallen zum Kaiser, um ihm zu raten und ihn zu drängen, eine Frau zu nehmen,

159

160

2645

2650

2655

2660

2665

2670

2675

2680

Text und Übersetzung

Si li enortent et angressent Et chascun jor tant l’an anpressent, Que par lor grant angresseté L’ont de sa fiance jeté, Et lor voloir lor acreante ; Mes il dit que mout l’estuet jante Et bele et sage et riche et noble, Qui dame iert de Costantinoble. Lors li dïent si conseillier, Qu’il se vuelent apareillier, Si iront an tiësche terre La fille l’anpereor querre. Celi li loent que il praingne ; Car l’anperere d’Alemaingne Est mout riches et mout puissanz Et sa fille est tant avenanz, Qu’onques an la crestiienté N’ot pucele de sa biauté. L’anperere tot lor otroie, Et cil se metent a la voie Si come janz bien atornees. Chevauchié ont par lor jornees Tant que l’anpereor troverent A Reneborc, si li roverent, Que il sa fille, la greignor, Lor donast a oés lor seignor. Mout fu liez de cest mandemant Li anperere et lieemant Lor a otreiiee sa fille ; Car de neant ne s’an aville Ne de rien s’enor n’apetise. Mes il dit qu’il l’avoit promise Au duc de Seissoingne a doner, Si ne l’an porroient mener, Se l’anperere n’i venoit Et se grant force n’amenoit, Que li dus ne li poïst feire Enui n’anconbrier au repeire.

2643–2680

2645

2650

2655

2660

2665

2670

2675

2680

sie fordern ihn dazu auf und bestürmen ihn, und jeden Tag setzen sie ihm so zu, bis sie ihn mit ihrem Drängen zum Bruch des Eides bewegen und er sich ihrem Willen beugt. Aber er verlangt, dass die Frau sehr vornehm und schön und klug und reich und edel sein müsse, die Herrscherin über Konstantinopel werden soll. Da erklären ihm die Ratgeber, dass sie sich bereit machen wollen, um nach Deutschland zu reisen und um die Tochter des Kaisers zu werben. Sie raten ihm, sie zur Frau zu nehmen, denn der Kaiser von Deutschland ist sehr reich und mächtig, und seine Tochter ist so hübsch, dass es nirgendwo in der Christenheit ein Mädchen von vergleichbarer Schönheit gab. Der Kaiser gesteht ihnen alles zu, und sie machen sich mit allem gut gerüstet auf den Weg. Sie reiten Etappe für Etappe, bis sie in Regensburg auf den Kaiser trafen und ihn baten, dass er dem Kaiser seine ältere Tochter zur Frau geben möge. Der Kaiser war sehr froh über diese Botschaft, und freudig hat er ihnen seine Tochter zugestanden, denn in keiner Weise setzt er sich dadurch herab und in keiner Weise mindert er dadurch seine Ehre. Aber er erklärt, dass er sie bereits dem Herzog von Sachsen versprochen hätte. Sie könnten sie nur mit sich nehmen, wenn der Kaiser mit einem großen Heer käme, so dass der Herzog ihm bei der Rückreise weder Schaden noch Unrecht zufügen könnte.

161

162

2685

2690

2695

2700

2705

2710

2715

Text und Übersetzung

Quant li message ont antandu, Que l’anperere a respondu, Congié pranent, si s’an revont. A lor seignor revenu sont, Si li ont la response dite. Et l’anperere a jant eslite, Chevaliers d’armes esprovez, Les meillors que il a trovez, Et prant avuec lui son neveu, Por cui il avoit fet cest veu Que ja n’avroit fame an sa vie ; Mes cest veu ne tandra il mie, Se venir puet jusqu’a Coloingne. A un jor de Grece s’esloingne Et vers Alemaingne s’aproche, Que por blasme ne por reproche Fame a prandre ne leissera, Mes s’enors an abeissera. Jusqu’a Coloingne ne s’areste, Ou l’anperere a une feste D’Alemaingne ot sa cort tenue. Quant a Coloingne fu venue La conpaignie des Grezois, Tant i ot Gres et tant Tiois, Qu’il an estut fors de la vile Logier plus se seissante mile. Granz fu l’assanblee des janz Et mout par fu la joie granz, Que li dui anpereor firent, Qui mout volantiers s’antrevirent. El palés qui mout estoit lons, Fu l’assanblee des barons, Et l’anperere maintenant Manda sa fille, l’avenant. La pucele ne tarda pas, El palés vint eneslepas Et fu si bele et si bien feite, Con Des meïsmes l’avoit feite, Cui mout i plot a traveillier

2681–2719

2685

2690

2695

2700

2705

2710

2715

Als die Boten vernommen haben, was der Kaiser geantwortet hat, nehmen sie Abschied und reisen zurück. Sie sind zu ihrem Herrn zurückgekehrt und haben ihm die Antwort überbracht. Und der Kaiser hat Leute ausgewählt, im Kampf bewährte Ritter, die besten, die er gefunden hat, und er nimmt seinen Neffen mit sich, in dessen Interesse er den Eid abgelegt hatte, niemals in seinem Leben eine Frau zu nehmen. Aber diesen Eid wird er keineswegs halten, wenn er bis nach Köln gelangen kann. Am vereinbarten Tag verlässt er Griechenland und macht sich auf den Weg nach Deutschland, denn er wird es nicht unterlassen, eine Frau zu nehmen, so sehr man ihn auch tadelt und schmäht und seine Ehre dadurch vermindert wird. Er reist geradewegs nach Köln, wo der Kaiser von Deutschland an einem Festtag Hof gehalten hat. Als die Gesellschaft der Griechen in Köln angelangt war, befanden sich dort so viele Griechen und Deutsche, dass man über sechzigtausend außerhalb der Stadt unterbringen musste. Groß war die versammelte Menge, und sehr groß war die Freude der beiden Kaiser, die sich sehr gern begegneten. Als die Herren sich in dem großen Burgsaal versammelt hatten, ließ der Kaiser seine hübsche Tochter holen. Die junge Dame zögerte nicht, sie kam sofort in den Saal und war so schön und so wohl gestaltet, als ob Gott selbst sie erschaffen und großes Vergnügen daran gehabt hätte, an ihr zu feilen,

163

164

Text und Übersetzung

2720

Por feire jant esmerveillier. Onques Des, qui la façona, Parole a home ne dona, Qui de biauté dire seüst Tant qu’an cesti plus n’an eüst.

2725

Fenice ot la pucele a non, Et ne fu mie sanz reison; Car si con Fenix, li oisiaus, Est sor toz autres li plus biaus, N’estre n’an puet que uns ansanble : Aussi Fenice, ce me sanble, N’ot de biauté nule paroille. Ce fu miracles et mervoille, Qu’onques a sa paroille ovrer Ne pot Nature recovrer. Por ce que j’an diroie mains, Ne braz ne cors ne chief ne mains Ne vuel par parole descrivre ; Car se mil anz avoie a vivre, Et chascun jor doblast mes sans, Si perdroie je tot mon tans, Einçois que le voir an deïsse. Bien sai, se m’an antremeïsse, Que tot mon san i espuisasse Et tote ma painne i gastasse ; Que ce seroit painne gastee. — Tant s’est la pucele hastee Que el palés an est venue Chief descovert et face nue, Et la luors de sa biauté Rant el palés plus grant clarté, Ne feïssent quatre escharboncle. Devant l’anpereor, son oncle, Estoit Cligés desafublez. Un po fu li jorz enublez ; Mes tant estoient bel andui Antre la pucele et celui, Qu’uns rais de lor biauté issoit, Don li palés resplandissoit

2730

2735

2740

2745

2750

2755

2720–2758 2720

um die Leute in Erstaunen zu versetzen. Niemals verlieh Gott, der sie geformt hatte, einem Menschen die Wortgewalt, um ihre Schönheit zu beschreiben, ohne dass diese nicht noch größer gewesen wäre.

2725

Fenice hieß das Mädchen, und das durchaus nicht ohne Grund, denn wie der Vogel Phönix alle anderen an Schönheit überstrahlt, so dass es jeweils nur einen geben kann, war Fenice, wie mir scheint, von unvergleichlicher Schönheit. Sie war ein Zauberwerk und Wunder, denn niemals wieder konnte die Natur etwas Vergleichbares hervorbringen. Weil ich nicht alles vollkommen beschreiben könnte, will ich weder Arme, Leib, Haupt noch Hände mit Worten beschreiben, denn selbst wenn ich tausend Jahre zu leben hätte und mein Verstand sich jedes Jahr verdoppelte, würde ich doch nur alle meine Zeit verlieren, ohne die Wahrheit sagen zu können. Wenn ich das unternehmen würde, weiß ich wohl, dass sich all meine Kunst erschöpfen und ich all meine Mühe verschwenden würde, denn die Mühe wäre vergeblich. – So sehr hat sich die junge Dame beeilt, dass sie mit unbedecktem Kopf und unverhülltem Gesicht in den Saal gekommen ist, und der Glanz ihrer Schönheit lässt den Saal heller erstrahlen, als es vier Karfunkelsteine getan hätten. Cligès stand ohne Mantel vor dem Kaiser, seinem Onkel. An diesem Tag war der Himmel etwas bedeckt, aber beide waren so schön, das Mädchen und er, dass von ihrer Schönheit ein Leuchten ausging, von dem der Saal ebenso

2730

2735

2740

2745

2750

2755

165

166 2760

2765

2770

2775

2780

2785

2790

2795

Text und Übersetzung

Tot autressi con li solauz Reluist au main clers et vermauz. Por la biauté Cligés retreire Vuel une descripcion feire, Don mout briés sera li passages. An la flor estoit ses aages, Car pres avoit ja de quinze anz. Plus estoit biaus et avenanz Que Narcissus, qui dessoz l’orme Vit an la fontainne sa forme, Si l’ama tant, quant il la vit, Qu’il an fu morz si come an dit, Por tant qu’il ne la pot avoir. Mout ot biauté et po savoir ; Mes Cligés an ot plus grant masse, Tant con fins ors le cuivre passe Et plus que je ne di ancor. Si chevol sanbloient fin or Et sa face rose novele. Nes ot bien fet et boche bele, Et fu de si grant estature Con miauz le sot feire Nature ; Que an lui mist trestot a un Ce que par parz done a chascun. An lui fu Nature si large Que trestot mist an une charge, Si li dona quanqu’ele pot. Ce fu Cligés, qui an lui ot San et biauté, largesce et force. Cist ot le fust atot l’escorce, Cist sot plus d’escremie et d’arc Que Tristanz, li niés le roi Marc, Et plus d’oisiaus et plus de chiens ; An Cligés ne failli nus biens. Cligés si biaus come il estoit, Devant son oncle an piez estoit, Et cil qui ne le conoissoient, De lui esgarder s’angoissoient.

2759–2796

2760

2765

2770

2775

2780

2785

2790

2795

erstrahlte wie die Sonne klar und rot am Morgen erstrahlt. Um die Schönheit Cligès’ zu schildern, will ich eine Beschreibung geben, die ganz kurz ausfallen wird. Er stand in der Blüte seines Alters, denn er war schon fast fünfzehn Jahre alt. Er war schöner und vollkommener als Narziss, der in der Quelle unter der Ulme sein Spiegelbild sah, in das er sich so sehr verliebte, als er es erblickte, dass er starb, wie man berichtet, weil er es nicht besitzen konnte. Narziss war sehr schön und hatte wenig Verstand, aber Cligès besaß viel mehr davon, so wie feines Gold Kupfer an Wert übertrifft und noch mehr als ich sage. Sein Haar glich feinem Gold und sein Antlitz einer frischen Rose. Er hatte eine fein geschnittene Nase und einen schönen Mund, und er war von stattlicher Gestalt, geformt nach dem besten Modell, über das die Natur verfügte, denn sie hatte alles in einem vereint, wovon sie sonst jedem nur einen Teil schenkt. Mit ihm war die Natur so verschwenderisch, dass sie ihm, was sie nur konnte, alles auf einmal schenkte. Das war Cligès, der in sich Klugheit und Schönheit, Freigebigkeit und Kraft vereinte. Er hatte das Holz und die Rinde; er verstand mehr vom Fechten und Bogenschießen als Tristan, der Neffe König Markes, auch mehr von Vögeln und Hunden. Cligès fehlte es an keinem Wert. Cligès stand, schön wie er war, aufrecht vor seinem Onkel, und die ihn nicht kannten, drängten sich, ihn zu sehen.

167

168

2800

2805

2810

2815

2820

2825

2830

2835

Text und Übersetzung

Et autressi cil s’an rangoissent, Qui la pucele ne conoissent ; A mervoille l’esgardent tuit. Mes Cligés par amor conduit Vers li ses iauz covertemant Et ramainne si sagemant, Que a l’aler ne au venir Ne l’an puet an por fol tenir. Mout deboneiremant l’esgarde ; Mes de ce ne se prant il garde, Que la pucele a droit li change ; Par buene amor, non par losange, Ses iauz li baille et prant les suens. Mout li sanble cist changes buens, Et miaudre assez li sanblast estre, Se seüst auques de son estre. Mes n’an set plus que bel le voit, Et s’ele rien amer devoit Por biauté que an lui veïst, N’est droiz qu’aillors son cuer meïst. Ses iauz et son cuer i a mis Et cil li ra le suen promis. Promis ? Mes doné quitemant. Doné ? Non a, par foi, je mant, Car nus son cuer doner ne puet. Autremant dire le m’estuet. Ne dirai pas si con cil dïent, Qui an un cors deus cuers alïent ; Qu’il n’est voirs n’estre ne le sanble, Qu’an un cors et deus cuers ansanble ; Et s’il pooient assanbler, Ne porroit il voir ressanbler. Mes se vos i plest a antandre, Bien vos savrai la reison randre, Comant dui cuer a un se tienent Sanz ce qu’ansanble ne parvienent. Seul de tant se tienent a un, Que la volantez de chascun De l’un an l’autre se trespasse, Si vuelent une chose a masse,

2797–2836

2800

2805

2810

2815

2820

2825

2830

2835

169

Und auch diejenigen drängten sich, die das Mädchen nicht kannten. Alle betrachten sie wie ein Wunder. Aber Cligès lässt heimlich verliebte Blicke zu ihr schweifen und lenkt sie vorsichtig wieder zurück, damit man ihn wegen dieses Hin und Her nicht für verrückt hält. Sehr zärtlich schaut er sie an, aber er bemerkt nicht, dass sie es ihm gleichtut. Aus wahrer Liebe, nicht um zu schmeicheln, vertraut sie ihm ihre Blicke an und nimmt die seinen in ihre Obhut. Dieser Tausch erscheint ihr sehr gut, aber besser noch wäre es ihr erschienen, wenn sie etwas über ihn gewusst hätte. Aber sie weiß nicht mehr als dass sie ihn schön findet, und dass, sofern sie jemanden seiner Schönheit wegen lieben sollte, es nicht recht wäre, wenn sie ihr Herz einem anderen schenkte. Ihre Augen und ihr Herz hat sie ihm anvertraut, und er hat ihr auch das seine versprochen. Versprochen? Nein, vollkommen geschenkt! Geschenkt? Nein, wirklich nicht, ich lüge, denn niemand kann sein Herz verschenken. Ich muss es anders sagen. Ich werde es nicht so ausdrücken, wie jene, die behaupten, dass sich zwei Herzen in einem Leib vereinigen, denn es ist nicht wahr und hat auch nicht den Anschein davon, dass zwei Herzen in einem Leib zusammen sind; und selbst wenn sie sich vereinigen könnten, würde es niemals wahr erscheinen. Aber wenn ihr bereitwillig zuhört, kann ich euch erklären, warum zwei Herzen wie eins erscheinen, ohne eins zu sein. Denn nur insofern werden sie eins, als das Begehren eines jeden von dem einen auf den anderen übergeht und sie gemeinsam dasselbe begehren.

170

Text und Übersetzung

2870

Et por tant qu’une chose vuelent, I a de tes, qui dire suelent, Que chascuns a les cuers andeus ; Mes uns cuers n’est pas an deus leus. Bien puet estre li voloirs uns, Et s’a adés son cuer chascuns, Aussi con maint home divers Pueent ou chancenete ou vers Chanter a une concordance ; Si vos pruis par ceste sanblance, Qu’uns cors ne puet deus cuers avoir Por autrui volanté savoir, Ne poruec que li autre set Quanque cil aimme et quanqu’il het : Ne plus que les voiz, qui s’assanblent Si qu’une chose sole sanblent, Et si ne pueent estre a un, Ne puet cors avoir cuer que un. Mes ci ne m’a mestier demore, Qu’autre besoingne me cort sore. De la pucele et de Cligés M’estuet parler des ore mes, Et s’orroiz del duc de Seissoingne, Qui a anveiié a Coloingne Un suen neveu, vaslet mout juevre, Qui a l’anpereor descuevre, Que ses oncles, li dus, li mande, Qu’a lui triues ne pes n’atande, Se sa fille ne li anvoie, Et cil ne se fit an la voie, Qui avuec lui mener l’an cuide, Qu’il ne la trovera pas vuide, Ainz li iert mout bien deffandue, Se cele ne li est randue.

2875

Bien fist li vaslez son message Tot sanz orguel et sanz outrage ; Mes ne trueve respondeor Ne chevalier n’anpereor. Quant il vit que tuit se teisoient

2840

2845

2850

2855

2860

2865

2837–2875

171

2870

Und weil sie beide dasselbe wollen, gibt es manche, die zu sagen pflegen, dass jeder im Besitz beider Herzen ist. Aber ein Herz kann nicht an zwei Orten sein. Das Begehren kann zwar eins werden, aber jeder behält sein eigenes Herz, so wie viele verschiedene Menschen ein Lied oder eine Melodie im Einklang singen können. Durch diesen Vergleich beweise ich euch, dass ein Leib nicht zwei Herzen besitzen muss, um das Begehren des anderen zu kennen, und dass der eine dennoch weiß, was der andere alles liebt oder hasst. So wenig wie Stimmen, die sich vereinen, so dass sie wie eine erscheinen, und doch nicht nur einem gehören können, kann der Leib mehr als ein Herz haben. Aber dabei muss ich nicht weiter verweilen, denn ich habe eine dringlichere Aufgabe. Von der jungen Dame und von Cligès muss ich jetzt weiter erzählen, und ihr werdet vom Herzog von Sachsen hören, der einen seiner Neffen nach Köln geschickt hat, einen sehr jungen Knappen, der dem Kaiser erklärt, dass sein Onkel, der Herzog, ihm ausrichten lasse, dass er von ihm weder Waffenstillstand noch Frieden erwarten dürfe, wenn er ihm nicht seine Tochter schickt, und dass jemand, der die Absicht habe, sie mit sich zu nehmen, bei der Rückreise auf der Hut sein solle, denn er werde keine freie Bahn haben, sondern den Weg gut verteidigt finden, wenn das Mädchen ihm nicht ausgeliefert werde.

2875

Der Knappe richtete seine Botschaft gut aus, ganz ohne Hochmut und Überheblichkeit, aber er bekommt keine Antwort, weder von den Rittern noch vom Kaiser. Als er sah, dass alle schwiegen

2840

2845

2850

2855

2860

2865

172

2880

2885

2890

2895

2900

2905

2910

2915

Text und Übersetzung

Et que par desdaing le feisoient, De cort se part par desfiance. Mes jovenetez et anfance Li firent Cligés anhatir De behorder au departir … Por behorder es chevaus montent, D’andeus parz a trois çanz se content, Si furent par igal de nonbre. Toz li palés vuide et desconbre, Que n’i remest ne cil ne cele Ne chevaliers ne dameisele, Que tuit n’aillent monter as estres, As batailles et as fenestres, Por veoir et por esgarder Çaus qui devoient behorder. Nes la pucele i est montee, Cele qu’amors avoit dontee Et a sa volanté conquise. A une fenestre est assise, Ou mout se delite a seoir Por tant que d’iluec puet veoir Celui, qu’an son cuer a repost, Ne n’a talant qu’ele l’an ost ; Car ja n’amera se lui non. Mes ne set, comant il a non, Ne qui il est ne de quel jant, N’a demander ne li est jant, Si li tarde que ele an oie Chose, de quoi ses cuers s’esjoie. Par la fenestre esgarde fors Les escuz, ou reluist li ors, Et çaus qui a lor cos les portent, Qui au behorder se deportent ; Mes son panser et son esgart A trestot mis a une part ; Qu’a nule autre rien n’est pansive. A Cligés esgarder estrive, Sel siut as iauz, quel part qu’il aille. Et cil por li se retravaille De behorder apertemant

2876–2915

2880

2885

2890

2895

2900

2905

2910

2915

und dass sie es aus Geringschätzung taten, verlässt er den Hof mit trotziger Miene. Aber Jugend und Unbesonnenheit trieben ihn dazu, Cligès beim Weggang zum Kampf herauszufordern. Um zu kämpfen, besteigen sie die Pferde, auf beiden Seiten zählen sie dreihundert; so waren sie gleich an der Zahl. Der ganze Saal leert sich vollständig, keiner ist zurückgeblieben, weder Ritter noch Hofdame, vielmehr steigen alle hinauf zu den Galerien, zu den Zinnen und zu den Fenstern, um die zu sehen und ihnen zuzuschauen, die kämpfen sollten. Auch die junge Dame ist hinaufgestiegen, die Amor bezwungen und seinem Willen unterworfen hatte. An ein Fenster hat sie sich gesetzt, wo sie sehr gern sitzt, weil sie von dort aus den sehen kann, den sie in ihrem Herz verschlossen hat und nicht wieder herausnehmen möchte, denn sie wird niemals jemanden lieben außer ihn. Aber sie weiß nicht, wie er heißt, noch wer er ist oder welchem Geschlecht er angehört, und es schickt sich nicht für sie, danach zu fragen, und so ist sie ungeduldig, etwas zu hören, das ihr Herz erfreut. Sie betrachtet vom Fenster aus die Schilde draußen, auf denen das Gold glänzt, und die Ritter, die sie um ihren Hals tragen und die sich an den Kämpfen ergötzen. Aber ihre Gedanken und ihre Blicke hat sie ganz auf einen Punkt konzentriert; an nichts anderes denkt sie. Sie bemüht sich darum, Cligès zu sehen; wo immer er hingeht, verfolgt sie ihn mit den Blicken. Und er seinerseits ist bemüht, sich vor aller Augen im Kampf auszuzeichnen,

173

174

2920

2925

2930

2935

2940

2945

2950

2955

Text und Übersetzung

Por ce qu’ele oie solemant, Que il est preuz et bien adroiz ; Car totes voies sera droiz, Qu’ele le prist por sa proesce. Vers le neveu le duc s’adresce, Qui mout aloit lances brisant Et les Grezois desconfisant ; Mes Cligés, cui formant enuie, Es estriers s’afiche et apuie, Sel va ferir toz esleissiez Si que maugré suen a leissiez Les arçons de la sele vuiz ; Au relever fu granz li bruiz. Li vaslez relieve, si monte, Qui cuide bien vangier sa honte; Mes tes cuide, se il li loist, Vangier sa honte, qui l’acroist. Li vaslez vers Cligés s’esleisse, Et cil vers lui sa lance beisse, Ses va si duremant requerre, Que de rechief le porte a terre. Ore a cil sa honte doblee, S’an est tote sa janz troblee, Qui bien voient, que par enor Ne partiront mes de l’estor ; Car d’aus n’i a nul si vaillant, Se Cligés le vient ateignant, Qu’es arçons devant lui remaingne ; S’an sont mout lié cil d’Alemaingne Et cil de Grece, quant il voient, Que li lor les Sesnes convoient, Qui s’an vont come desconfit. Et cil le chacent par afit Tant qu’a une eve les ataingnent ; Assez an i plongent et baingnent. Cligés el plus parfont del gué A le neveu le duc versé Et tant des autres avuec lui, Qu’a lor honte et a lor enui S’an vont fuiant dolant et morne.

2916–2955

2920

2925

2930

2935

2940

2945

2950

2955

nur damit sie hört, dass er tapfer und geschickt ist. Denn in jedem Fall wird es gut sein, wenn sie ihn wegen seiner Tapferkeit schätzt. Gegen den Neffen des Herzogs wendet er sich, der dabei war, Lanze um Lanze zu brechen und die Griechen zu besiegen. Aber Cligès, der sich sehr darüber ärgert, stemmt und stützt sich in die Steigbügel und versetzt ihm im Sturm einen solchen Schlag, dass er wider Willen den Sattel freimachen muss. Als er sich aufrichtete, war der Tumult groß. Der Knappe erhebt sich und sitzt wieder auf, er ist sicher, dass er seine Schmach rächen wird. Aber manch einer, der die Gelegenheit zu haben glaubt, seine Schmach zu rächen, vermehrt sie nur. Der Knappe stürmt auf Cligès los, und der wiederum senkt vor ihm die Lanze und greift ihn so heftig an, dass er ihn erneut zu Boden wirft. Nun hat er seine Schmach verdoppelt, und alle seine Leute sind darüber bestürzt, da sie wohl sehen, dass sie das Schlachtfeld nicht mehr mit Ehren verlassen werden. Denn unter ihnen ist niemand so stark, dass er sich im Sattel halten kann, wenn Cligès ihn angreift. Die aus Deutschland und aus Griechenland freuen sich sehr, als sie sehen, wie die Ihren die Sachsen vertreiben, die sich besiegt zurückziehen. Und die Griechen jagen ihnen mit Spott hinterher, bis sie die Gegner an einem Wasser einholen, in das sie viele von ihnen eintauchen und baden. An der tiefsten Stelle der Furt hat Cligès den Neffen des Herzogs und viele andere vom Pferd geworfen, so dass sie zu ihrer Schande und ihrem Ärger traurig und betrübt fliehen.

175

176

2960

2965

2970

2975

2980

2985

2990

2995

Text und Übersetzung

Et Cligés a joie retorne, Qui de deus parz le pris an porte, Et vint tot droit a une porte, Qui veisine estoit a l’estage, Ou cele estoit, qui le passage A l’antrer de la porte prant D’un douz regart, et cil li rant ; Car des iauz se sont ancontré. Einsi a li uns l’autre outré ; Mes n’i a Tiois n’Alemant, Qui sache parler solemant, Qui ne die : « Des ! qui est cist, An cui si granz biautez florist ? Des ! don li est si tost venu, Que si grant pris a retenu ? » Einsi demande cil et cil : « Qui est cist anfes, qui est il ? », Tant que par tote la cité An set l’an ja la verité Et le suen non et le son pere Et le covant, que l’anperere Li avoit fet et otreiié ; S’est ja tant dit et popleiié, Que nes icele dire l’ot, Qui an son cuer grant joie an ot Por ce qu’or ne puet ele mie Dire, qu’Amors l’et escharnie, Ne de rien ne se puet clamer ; Car le plus bel li fet amer, Le plus cortois et le plus preu, Que l’an poïst trover nul leu ; Mes par force avoir li estuet Celui, qui pleisir ne li puet, S’an est angoisseuse et destroite ; Car de celui qu’ele covoite Ne se set a cui conseillier, S’an panser non et an veillier. Et cez deus choses si l’ataingnent, Que mout la palissent et taingnent, Si qu’an le voit tot an apert

2956–2995

2960

2965

2970

2975

2980

2985

2990

2995

177

Und Cligès kommt freudig zurück, weil er zweifachen Ruhm davonträgt, und er gelangte geradewegs zu einem Tor in der Nähe des Platzes, wo die junge Dame saß, die am Eingang des Tores mit einem zärtlichen Blick von ihm Zoll nimmt, den er ihr zurückzahlt, denn ihre Blicke haben sich getroffen, Auf diese Weise hat einer den anderen überwunden. Kein Deutscher ist da, ob vom Norden oder Süden, der sprechen kann und der nicht sagte: „Gott, wer ist der, in dem so große Schönheit blüht? Gott! Wie ist es so schnell gekommen, dass er so großen Ruhm erworben hat?“ So fragt dieser und jener: – „Wer ist dieser junge Mann, wer ist er?“ – bis sich in der ganzen Stadt bald die Wahrheit herumgesprochen hat, wie er und sein Vater heißen und welches Versprechen der Kaiser ihm gegeben und eidlich bestätigt hatte. So oft wird es gesagt und öffentlich verbreitet, dass es auch der jungen Dame zu Ohren kommt, die sich in ihrem Herzen sehr freute, weil sie nun durchaus nicht sagen kann, dass Amor seinen Spott mit ihr getrieben hätte, oder weil sie einen Grund hätte, sich zu beklagen. Denn Amor hat bewirkt, dass sie den schönsten, den höfischsten und tapfersten liebt, den man auf der ganzen Welt finden könnte. Aber sie ist gezwungen, den zu heiraten, der ihr nicht gefallen kann, und so ist sie in Not und Bedrängnis. Denn sie weiß nicht, bei wem sie wegen des Mannes, den sie begehrt, Rat suchen soll, außer dass sie darüber nachdenkt und schlaflose Nächte verbringt. Und dies greift sie so an, dass ihr Teint bleich und grau wird und man an dem Schwinden ihrer Farbe

178

3000

3005

3010

3015

3020

3025

3030

Text und Übersetzung

A la color que ele pert, Qu’ele n’a pas, quanqu’ele viaut ; Que mains jeue qu’ele ne siaut Et mains rit et mains s’esbanoie ; Mes bien le cele et bien le noie, Se nus li demande qu’ele a. — Sa mestre avoit non Thessala, Qui l’avoit norrie d’anfance, Si savoit mout de nigromance. Por ce fu Thessala clamee, Qu’ele fu de Thessaille nee, Ou sont feites les deablies, Anseigniees et establies ; Car charmes et charaies font Les fames qui del païs sont. Thessala voit tainte et palie, Celi qu’Amors a an baillie, Si l’a a consoil aresniee : « Des! », fet ele, « estes vos fesniee, Ma douce dameisele chiere, Qui si avez tainte la chiere ? Mout me mervoil que vos avez. Dites le moi, se vos savez, An quel leu cist maus vos tient plus ; Car se garir vos an doit nus, A moi vos an poez atandre, Car bien vos savrai santé randre. Je sai bien garir d’idropique, Si sai garir de l’artetique, De quinancie et de cuerpous ; Tant sai d’orine et tant de pous, Que ja mar avroiz autre mire ; Si sai, se je l’osoie dire, D’anchantemanz et de charaies Bien esprovees et veraies Plus qu’onques Medea ne sot ; N’onques mes ne vos an dis mot, Si vos ai jusque ci norrie ; Mes ne m’an ancusez vos mie ;

2996–3034

3000

3005

3010

3015

3020

3025

3030

ganz offenkundig sehen kann, dass es ihr an etwas mangelt, das sie begehrt. Sie spielt weniger als gewöhnlich, und sie lacht kaum und ist weniger vergnügt, aber sie verbirgt es gut und leugnet es ab, wenn irgendeiner sie fragt, was sie hat. Ihre Erzieherin hieß Thessala, die sie von Kind an aufgezogen hatte und die viel von der schwarzen Kunst verstand. Sie wurde Thessala genannt, weil sie in Thessalien geboren worden war, wo Teufelswerk praktiziert, unterrichtet und erfunden wird, denn die Frauen, die aus diesem Land kommen, betreiben Magie und Zauberei. Thessala sieht, wie krank und blass sie ist, die Amor in seiner Macht hat, und spricht sie im Vertrauen an. „Gott!“ sagt sie, „seid Ihr verzaubert, mein liebes teures Fräulein, weil Ihr so aschfahl ausseht? Ich wundere mich sehr, was Ihr habt. Sagt es mir, wenn Ihr wisst, an welcher Stelle es Euch am meisten wehtut, denn wenn irgendjemand Euch heilen kann, könnt Ihr auf mich vertrauen, da ich Euch sicher wieder gesund machen kann. Ich kann die Wassersucht heilen, und die Arthritis, die Halsentzündung und das Asthma, ich kenne mich so gut mit dem Urin und dem Pulsschlag aus, dass ein anderer Arzt für Euch ein Unglück wäre. Ich verstehe, wenn ich es so sagen darf, mehr von gut bewährter und wahrer Zauberei und Magie als Medea jemals verstand. Niemals habe ich Euch davon erzählt, obwohl ich Euch doch ein Leben lang aufgezogen habe. Aber Ihr dürft mich deshalb nicht tadeln,

179

180 3035

3040

3045

3050

3055

3060

3065

3070

Text und Übersetzung

Car ja rien ne vos an deïsse, Se certainnemant ne veïsse, Que tes maus vos a anvaïe, Que mestier avez de m’aïe. Dameisele ! vostre malage Me dites, si feroiz que sage, Einçois que il plus vos sospraingne. Por ce que de vos garde praingne, M’a a vos l’anperere mise, Et je m’an sui si antremise, Que mout vos ai gardee sainne. Ore avrai perdue ma painne, Se de cest mal ne vos respas. Gardez nel me celez vos pas, Se ce est maus ou autre chose. » La pucele apertemant n’ose Descovrir sa volanté tote, Por ce que formant se redote, Qu’ele ne li blast et deslot. Et por ce qu’ele antant et ot, Que mout se vante et mout se prise, Que d’anchantemant est aprise, De charaies et de poisons, Li dira, ques est s’acheisons, Por quoi a pale et taint le vis ; Mes ainz li avra covant mis, Qu’ele toz jorz l’an celera Ne ja ne li desloera. « Mestre ! », fet ele, « sanz mantir Nul mal ne cuidoie santir, Mes je le cuiderai par tans. Ce solemant que gié i pans Me fet grant mal et si m’esmaie. Mes comant set, qui ne l’essaie, Que puet estre ne maus ne biens ? De toz maus est divers li miens ; Car se voir dire vos an vuel, Mout m’abelist et mout m’an duel, Si me delit an ma meseise.

3035–3073 3035

3040

3045

3050

3055

3060

3065

3070

181

denn ich hätte Euch niemals etwas davon gesagt, wenn es nicht so offensichtlich für mich wäre, dass Euch eine Krankheit befallen hat, bei der Ihr meine Hilfe braucht. Mein Fräulein! Sagt mir, was Euch fehlt, bevor es noch schlimmer wird, das wäre klug von Euch. Der Kaiser hat Euch in meine Obhut gegeben, damit ich acht auf Euch gebe, und ich habe mich immer darum bemüht, Euch vollkommen gesund zu bewahren. Wenn ich Euch nicht von dieser Krankheit heile, wird meine Mühe vergeblich gewesen sein. Hütet Euch, mir zu verheimlichen, ob es eine Krankheit ist oder etwas anderes.“ Die junge Dame wagt nicht, ihr ganzes Verlangen zu enthüllen, weil sie sehr fürchtet, dass die Erzieherin sie tadelt und ihr Vorhaltungen macht. Aber als sie vernimmt und hört, wie sehr diese sich preist und sich rühmt, dass sie sich mit Zauberei und Magie und Zaubertränken auskennt, wird sie ihr den Grund dafür nennen, warum sie so blass und krank aussieht. Aber zuvor wird sie ihr das Versprechen abnehmen, dass sie immer darüber schweigen und ihr nicht davon abraten wird. „Meisterin,“ sagt sie, „ich glaubte wirklich, keinen Schmerz zu spüren, aber bald werde ich es nicht mehr glauben. Denn wenn ich nur daran denke, tut er mir sehr weh und quält mich. Aber wie kann jemand, der keine Erfahrung hat, wissen, was krank oder gesund ist? Meine Krankheit unterscheidet sich, um die Wahrheit zu sagen, von allen anderen, denn sie ist mir sehr angenehm und bekümmert mich zugleich sehr, sie erfreut mich in meinem Leid.

182 3075

3080

3085

3090

3095

3100

3105

3110

Text und Übersetzung

Et se maus puet estre, qui pleise, Mes enuiz est ma volantez Et ma dolors est ma santez. Ne sai donc, de quoi je me plaingne ; Car rien ne sai, don maus me vaingne, Se de ma volanté ne vient. Mes voloirs est maus se devient, Mes tant ai d’eise an mon voloir, Que doucemant me fet doloir, Et tant de joie an mon enui, Que doucemant malade sui. Thessala mestre ! car me dites, Cist maus don n’est il ipocrites, Qui douz me sanble et si m’angoisse ? Ne ne sai, comant je conoisse, Se c’est anfermetez ou non. Mestre ! car m’an dites le non Et la meniere et la nature ! Mes sachiez bien, que je n’ai cure De garir an nule meniere ; Car mout an ai l’angoisse chiere. » Thessala, qui mout estoit sage D’Amor et de tot son usage, Set et antant par sa parole, Que d’amor est ce qui l’afole ; Por ce que douz l’apele et claimme, Est certainne chose qu’ele aimme ; Car tuit autre mal sont amer Fors seul celui qui vient d’amer ; Mes cil retorne s’amertume An douçor et an soatume Et sovant retorne a contreire. Mes cele qui bien sot l’afeire, Li respont : « Ja ne dotez rien, De vostre mal vos dirai bien La nature et le non ansanble. Vos m’avez dit, si con moi sanble, Que la dolors, que vos santez, Vos sanble estre joie et santez : De tel nature est maus d’amor ;

3074–3113

3075

3080

3085

3090

3095

3100

3105

3110

Und wenn es eine Krankheit geben kann, die angenehm ist, dann ist mein Kummer mein Begehren und mein Schmerz meine Heilung. Ich weiß also nicht, worüber ich klage, denn ich weiß nicht, woher der Schmerz rührt, es sei denn, dass er von meinem Begehren kommt. Mein Begehren ist vielleicht die Krankheit, aber ich fühle mich ganz wohl mit meinem Begehren, weil es mir so süßen Kummer bereitet, und soviel Freude in meinem Leid, dass ich auf süße Weise krank bin. Meisterin Thessala! Sagt mir doch, ist diese Krankheit, die mir so süß erscheint und mich so in Not bringt, nicht eine Scheinkrankheit? Ich weiß nicht, wie ich in Erfahrung bringen kann, ob es eine Krankheit ist oder nicht. Meisterin! Sagt mir doch, wie sie heißt und wirkt und welcher Natur sie ist! Doch Ihr müsst wissen, dass mir nicht daran liegt, in irgendeiner Weise gesund zu werden, denn dieses Leid ist mir sehr lieb.“ Thessala, Expertin in Sachen Liebe und ihren Praktiken, hört und merkt an dem, was sie sagt, dass es die Liebe ist, die sie quält. Weil sie das Leid als süß bezeichnet, ist es ein sicherer Beweis, dass sie verliebt ist, denn alles andere Leid ist nur bitter, außer dem allein, das durch die Liebe kommt. Denn die Liebe verkehrt ihre Bitterkeit in Süße und in Genuss und oft wiederum ins Gegenteil. Aber die Erzieherin, die sich genau in der Sache auskannte, antwortet ihr: „Fürchtet nichts, ich werde Euch gern erklären, worin die Natur Eurer Krankheit besteht und welchen Namen sie hat. Ihr habt mir gesagt, glaube ich, dass der Schmerz, den Ihr spürt, Euch wie Freude und Wohlbefinden erscheint. Von solcher Natur ist der Liebeskummer,

183

184 3115

3120

3125

3130

3135

3140

3145

3150

Text und Übersetzung

Que il i a joie et douçor. Donc amez vos, je le vos pruis, Car douçor an nul mal ne truis S’an amor non tant solemant. Tuit autre mal comunemant Sont toz jorz felon et orrible, Mes amors est douce et peisible. Vos amez, tote an sui certainne : Ne vos an taing pas a vilainne ; Mes ce tandrai a vilenie, Se par anfance ou par folie Vostre corage me celez. » « Mestre ! voir de neant parlez ; Qu’ainz serai certainne et seüre, Que vos ja par nule avanture N’an parleroiz a rien vivant. » « Dameisele ! certes li vant An parleront einçois que gié, Se vos ne m’an donez congié, Et sor ce vos fiancerai, Que je vos an avancerai Si que certainnemant savroiz, Que par moi vostre joie avroiz. » « Mestre ! donc m’avriiez garie ; Mes l’anperere me marie, Don mout sui iriee et dolante, Por ce que cil qui m’atalante Est niés celui que prandre doi. Et se cil a joie de moi, Donc ai gié la moie perdue, Ne n’i a mes nule atandue. Miauz voldroie estre desmanbree, Que de nos deus fust remanbree L’amors d’Iseut et de Tristan, Don tantes folies dit l’an, Que honte m’est a reconter. Je ne me porroie acorder A la vie, qu’Iseuz mena. Amors an li trop vilena ; Car ses cors fu a deus rantiers

3114–3153

3115

3120

3125

3130

3135

3140

3145

3150

denn darin liegt Freude und Süße. Also seid Ihr verliebt, ich beweise es Euch, denn in keinem Leiden finde ich Süßes, außer in der Liebe. Alle anderen Krankheiten sind im Allgemeinen stets tückisch und schrecklich, nur die Liebe ist süß und sanft. Ihr seid verliebt, da bin ich vollkommen sicher, und ich tadle Euch durchaus nicht dafür, aber ich werde es missbilligen, wenn Ihr so kindisch und töricht seid, mir zu verschweigen, wie es um Euer Herz bestellt ist.“ „Meisterin, was immer Ihr sagt, ist vergeblich, wenn ich zuvor nicht sicher und gewiss bin, dass Ihr, was auch geschehen mag, zu keiner lebenden Seele darüber sprechen werdet.“ „Mein Fräulein, die Winde werden es gewiss eher verbreiten als ich, sofern Ihr mir nicht die Erlaubnis dazu erteilt. Und überdies verspreche ich Euch, Euch zu unterstützen, so dass Ihr sicher sein könnt, mit meiner Hilfe Euer Glück zu erlangen.“ „Meisterin, dann hättet Ihr mich geheilt. Aber der Kaiser verheiratet mich, worüber ich sehr betrübt und traurig bin, denn der, der mir gefällt, ist der Neffe dessen, den ich heiraten soll. Und wenn der Kaiser seine Freude an mir hat, dann habe ich die meine verloren. Lieber wollte ich in Stücke gerissen werden, als dass durch uns beide die Erinnerung an die Liebe Isoldes und Tristans wachgerufen würde, über die man soviele Torheiten erzählt, dass ich mich schäme, davon zu erzählen. Ich könnte mich nicht mit einem Leben abfinden, wie es Isolde führte. Die Liebe wurde durch sie zu sehr herabgesetzt, denn ihr Leib hatte zwei Besitzer,

185

186 3155

3160

3165

3170

3175

3180

3185

3190

Text und Übersetzung

Et ses cuers fu a l’un antiers. Einsi tote sa vie usa, Qu’onques les deus ne refusa. Ceste amors ne fu pas resnable ; Mes la moie est toz jorz estable, Ne de mon cors ne de mon cuer N’iert feite partie a nul fuer. Ja voir mes cors n’iert garceniers, Ja n’i avra deus parceniers. Qui a le cuer, si et le cors, Toz les autres an met defors. Mes ce ne puis je pas savoir, Comant puisse le cors avoir Cil, a cui mes cuers s’abandone, Quant mes peres autrui me done, Ne je ne li os contredire. Et quant il iert de mon cors sire, S’il an fet chose, que ne vuelle, N’est pas droiz, que autre i acuelle. Ne cil ne puet fame esposer Sanz sa fiance trespasser, Ainz avra, s’il ne li fet tort, Cligés l’anpire aprés sa mort. Mes se vos tant saviiez d’art, Que ja cil an moi n’eüst part, Cui je sui donee et plevie, Mout m’avriiez an gre servie. Mestre ! car i metez antante, Que cil sa fiance ne mante, Qui au pere Cligés plevi, Si come il li ot eschevi, Que ja n’avroit fame esposee. Sa fiance sera faussee, Car adés m’esposera il. Mes je n’ai pas Cligés si vil, Qu’ainz ne vossisse estre anterree, Que ja par moi perdist danree De l’enor, qui soe doit estre. Ja de moi ne puisse anfes nestre, Par quoi il soit deseritez.

3154–3193

3155

3160

3165

3170

3175

3180

3185

3190

obwohl ihr Herz nur einem gehörte. So verbrachte sie ihr ganzes Leben, ohne sich je einem der beiden zu verweigern. Das war keine vernünftige Liebe. Dagegen wird die meine für immer so stabil sein, dass mein Leib und mein Herz unter keinen Umständen jemals getrennt werden. Niemals wird sich mein Leib erniedrigen, niemals wird es zwei Teilhaber an ihm geben. Wer das Herz hat, der soll auch den Leib haben und alle anderen ausschließen. Aber ich kann nicht sehen, wie der, dem sich mein Herz ergeben hat, auch den Leib haben könnte, wenn mein Vater mich einem anderen gibt und ich ihm nicht zu widersprechen wage. Und wenn dieser andere nun Herr über meinen Leib sein wird und damit etwas gegen meinen Willen tut, ist es nicht recht, wenn ich mich mit einem anderen einlasse. Doch er kann keine Frau heiraten, ohne sein gegebenes Wort zu brechen, vielmehr wird das Reich, wenn man ihm nicht Unrecht tut, nach seinem Tod an Cligès fallen. Aber wenn Ihr irgendeine Kunst wüsstet, so dass der, dem ich gegeben und versprochen bin, niemals die Ehe mit mir vollziehen könnte, würdet Ihr mir einen großen Dienst erweisen. Meisterin, verhindert mit allen Mitteln, dass der niemals seinen Eid bricht, der Cligès’ Vater schwor, niemals zu heiraten, wie dieser es ihm vorgesprochen hatte. Sein Versprechen wird aber gebrochen werden, denn bald wird er mich heiraten. Doch Cligès ist mir so lieb, dass ich lieber begraben sein wollte, als dass er um meinetwillen auch nur einen Pfennig von dem Besitz verlieren sollte, der ihm zukommt. Niemals soll ein Kind von mir geboren werden, durch das er enterbt würde.

187

188 3195

3200

3205

3210

3215

3220

3225

3230

Text und Übersetzung

Mestre ! or vos an antremetez Por ce que toz jorz vostre soie. » Lors li dit sa mestre et otroie, Que tant fera conjuremanz Et poisons et anchantemanz, Que ja de cest anpereor Mar avra garde ne peor, [Des qu’il avra beü del boivre Que ele i donra a boivre ;] Et si girront ansanble andui ; Mes ja tant n’iert ansanble o lui, Qu’aussi n’i puisse estre a seür, Con s’antre aus deus avoit un mur ; « Mes seul de tant ne vos enuit, S’a vos par songe se deduit ; Car quant il dormira formant, Avra de vos joie en dormant Et cuidera tot antreset, Que an veillant sa joie an et, Ne ja rien n’an tandra a songe, Ne a fantosme n’a mançonge. Einsi a vos se deduira, Qu’an dormant veillier cuidera. » La pucele aimme et loe et prise Ceste bonté et cest servise. An buene esperance la met Sa mestre, qui ce li promet Et si li fiance a tenir ; Que par ce cuidera venir A sa joie, que qu’il li tart, Que ja tant n’iert de male part Cligés, s’il set que ele l’aint Et que tel vie por lui maint Con de garder son pucelage Por lui garder son eritage, Qu’il aucune pitié n’an et, S’a buene nature retret Et s’il est tes come estre doit. La pucele sa mestre croit

3194–3232

3195

3200

3205

3210

3215

3220

3225

3230

Meisterin, nun tut Euer Bestes, auf dass ich Euch für immer verpflichtet sein möge.“ Da verspricht die Erzieherin ihr, mit Beschwörungen und Wundertränken und Zauberei ihre ganze Kunst aufzubieten, so dass sie vor dem Kaiser weder Angst noch Furcht zu haben braucht, [sobald er von dem Trank getrunken habe, den sie ihm zu trinken geben werde], selbst wenn sie beide nebeneinander liegen. Denn niemals werde sie mit ihm zusammen sein, ohne dessen gewiss sein zu können, dass es zwischen ihnen beiden eine Mauer gibt. „Aber es soll Euch nicht stören, wenn er sich im Traum an Euch vergnügt; denn wenn er tief schläft, wird er sich im Schlaf an Euch erfreuen, und er wird vollkommen überzeugt davon sein, dass er im Wachen sein Vergnügen hat, denn nichts davon wird er für einen Traum, für ein Phantasma oder eine Lüge halten. So wird er sein Vergnügen an Euch haben, indem er im Schlaf wach zu sein glaubt.“ Die junge Dame liebt und lobt und schätzt diese Hilfe und diesen Dienst. Die Erzieherin, die ihr dies verspricht, und gelobt, Wort zu halten, schenkt ihr wieder Hoffnung. Deshalb glaubt sie, wie lange es auch dauern mag, am Ende ihr Glück zu erlangen, denn Cligès wird nicht so schlecht geraten sein, – wenn er erfährt, dass sie ihn liebt und seinetwegen ein solches Leben führt, um mit ihrer Jungfernschaft seine Erbschaft zu bewahren –, dass er nicht Erbarmen mit ihr hat, sofern er von edler Natur ist und so, wie er sein soll. Die junge Dame glaubt ihrer Meisterin,

189

190

3235

3240

3245

3250

3255

3260

3265

3270

Text und Übersetzung

Et mout s’i fie et asseüre. L’une a l’autre fiance et jure, Que cist consauz iert si teüz, Que ja n’iert an avant seüz. Einsi la parole est finee : Et quant vint a la matinee, L’anperere sa fille mande. Cele vient, quant il le comande. Que vos iroie je contant ? Lor afeire ont aprochié tant Li dui anpereor ansanble, Que li mariages assanble Et la joie et palés comance. Mes n’i vuel feire demorance A parler de chascune chose. A Thessala, qui ne repose De poisons feire et atanprer, Vuel ma parole retorner. Thessala trible sa poison, Especes i met a foison Por adoucir et atanprer. Bien la fet batre et destanprer, Et cole tant que tote est clere, Ne rien n’i a egre n’amere ; Car les especes qui i sont, Douce et de buene odor la font. Quant la poisons fu atornee, S’ot li jorz feite sa jornee Et por soper furent assises Les tables, et les napes mises ; Mes le soper met an respit. Thessala covient qu’ele espit, Par quel angin, par quel message Ele anveiera son bevrage. Au mangier furent tuit assis, Mes orent eü plus de sis, Et Cligés son oncle servoit. Thessala, qui servir le voit, Panse que son servise pert,

3233–3271

3235

3240

3245

3250

3255

3260

3265

3270

sie vertraut ihr sehr und ist sich ihrer sicher. Die eine versichert und schwört der anderen, diesen Plan geheim zu halten, damit er nicht bekannt wird. So endet die Unterredung. Und als der Morgen kam, lässt der Kaiser seine Tochter holen. Sie kommt, wie er es gebietet. Was soll ich euch schon darüber erzählen? Die beiden Kaiser haben die Bedingungen zur gemeinsamen Zufriedenheit ausgehandelt, so dass die Heirat zustande kommt und das Fest im Palast beginnt. Aber ich will nicht dabei verweilen und von jeder Einzelheit sprechen. Auf Thessala will ich wieder zu sprechen kommen, die unentwegt dabei ist, das Getränk zuzubereiten und zu mischen. Thessala braut ihren Trank und tut eine Menge Kräuter hinein, um seinen Geschmack angenehm und ausgewogen zu machen. Sie schlägt ihn heftig und rührt und seiht ihn so lange, bis er ganz klar ist und nichts Herbes und Bitteres mehr zu schmecken ist; denn die Kräuter, die darin sind, geben ihm einen sanften und angenehmen Geschmack. Als der Trank fertig war, neigte sich der Tag seinem Ende zu, und für das Abendessen wurden die Tische aufgestellt und die Tischtücher aufgelegt. Aber das Abendessen übergehe ich jetzt. Thessala muss erkunden, durch welche List und durch welchen Boten sie ihren Trank servieren lassen kann. Sie saßen alle bei Tisch und hatten schon mehr als sechs Gänge genossen. Und Cligès bediente seinen Onkel. Thessala denkt, als sie dies sieht, dass ihm sein Dienst nichts einbringt

191

192

3275

3280

3285

3290

3295

3300

3305

3310

Text und Übersetzung

Qu’a son deseritemant sert, Si l’an enuie mout et poise. Puis s’apanse come cortoise, Que del boivre servir fera Celui, cui joie et preuz sera. Por Cligés mande Thessala, Et cil maintenant i ala, Si li a quis et demandé, Por quoi ele l’avoit mandé. « Amis ! », fet ele, « a cest mangier Vuel l’anpereor losangier D’un boivre qu’il avra mout chier, Ne au soper ne au couchier Ne vuel qu’anuit mes d’autre boive. Je cuit que mout pleisir li doive, Qu’onques de si buen ne gosta, Ne nus boivres tant ne costa. Et gardez bien, ce vos acoint, Que nus autre n’an boive point Por ce que trop an i a po. Et ce meïsmes vos relo, Que ja ne sache, dont il vint ; Mes que par avanture avint, Qu’antre les presanz le trovastes Et por ce que vos l’esprovastes Et santistes au vant de l’er Des buenes especes le fler, Et por ce que cler le veïstes, Le vin an sa cope meïstes ; Se par avanture l’anquiert, Sachiez que a tant pes an iert. Mes por chose que j’aie dite, N’i aiiez ja male sospite ; Car li boivres est nez et sains Et de buenes especes plains, Et puet cel estre an aucun tans Vos fera lié, si con je pans. » Quant cil ot, que biens l’an vandra, La poison prant, si s’an reva ; Car ne set qu’il i et nul mal.

3272–3311

3275

3280

3285

3290

3295

3300

3305

3310

und er damit seine eigene Enterbung befördert; das betrübt und bekümmert sie sehr. Da kommt sie auf einen vortrefflichen Einfall, dass sie nämlich den Trank durch jenen servieren lassen wird, dem daraus Freude und Ehre erwachsen werden. Thessala lässt nach Cligès schicken, er kam auf der Stelle herbei und hat sie gefragt, warum sie ihn habe rufen lassen. „Freund“, sagt sie, „zu diesem Mahl will ich dem Kaiser einen Tropfen kredenzen, den er sehr schätzen wird. Ich will nicht, dass er heute Abend, weder beim Abendessen noch vor dem Schlafengehen, etwas anderes trinkt. Ich glaube, dass der Trunk ihm sehr schmecken wird und er niemals von einem so guten und so kostbaren Getränk gekostet hat. Und gebt gut acht darauf, das rate ich Euch, dass niemand anders davon trinkt, denn es gibt nur wenig davon. Und ich rate Euch auch, dass er nicht erfährt, woher der Trank kam, sondern dass Ihr ihn zufällig unter den Geschenken fandet. Und weil Ihr ihn probiert und in der Luft das Aroma der guten Kräuter gerochen habt und weil Ihr saht, dass er kristallklar war, habt Ihr ihm den Wein in seinen Pokal geschenkt. Wenn er vielleicht danach fragen sollte, wird er mit dieser Antwort gewiss zufrieden sein. Aber Ihr dürft, nach dem, was ich gesagt habe, nichts Böses vermuten, denn der Trank ist rein und gesund und voller guter Kräuter, und er kann Euch, wie ich glaube, eines Tages glücklich machen.“ Als Cligès hört, dass es ihm Gutes bringen kann, nimmt er den Trank und geht zurück, denn er weiß nicht, dass etwas Schädliches darin ist.

193

194

3315

3320

3325

3330

3335

3340

3345

3350

Text und Übersetzung

An une cope de cristal L’a devant l’anpereor mise. L’anperere a la cope prise, Qui an son neveu mout se croit. De la poison un grant tret boit Et maintenant la force sant, Qui del chief el cuer li desçant Et del cuer li remonte el chief: Si le cerche de chief an chief. Tot le cerche sanz rien grever. Et quant vint as tables oster, S’ot l’anperere tant beü Del boivre qui li ot pleü, Que ja mes n’an sera delivres. Chasque nuit iert an dormant ivres, Et sel fera tant traveillier Qu’an dormant cuidera veillier. Ore est l’anperere gabez. Mout ot evesques et abez Au lit seignier et beneïr. Quant ore fu d’aler gesir, L’anperere, si come il dut, Avuec sa fame la nuit jut. ’Si come il dut’, ai je manti, Qu’il ne la beisa ne santi ; Mes an un lit jurent ansanble : La pucele de primes tranble, Car mout se dote et mout s’esmaie, Que la poisons ne soit veraie. Mes ele l’a si anchanté, Que ja mes n’avra volanté De li ne d’autre, s’il ne dort. Mes lors an avra tel deport, Con l’an puet an sonjant avoir, Et si tandra le songe a voir. Neporquant cele le ressoingne, Premieremant de lui s’esloingne, Ne cil aprochier ne la puet ; Car maintenant dormir l’estuet.

3312–3350

3315

3320

3325

3330

3335

3340

3345

3350

In einem Pokal aus Kristall hat er ihn vor den Kaiser gestellt. Der Kaiser, der seinem Neffen sehr vertraut, hat den Pokal ergriffen. Von dem Trank nimmt er einen großen Schluck und fühlt sogleich die Kraft, die ihm vom Kopf ins Herz hinab dringt und vom Herzen wieder hinauf in den Kopf steigt und ihn von oben bis unten durchdringt. Sie durchdringt ihn vollkommen, ohne etwas zu beschädigen. Und als der Augenblick kam, dass die Tafel aufgehoben wurde, hatte der Kaiser soviel von dem Trank, der ihm so gut geschmeckt hatte, getrunken, dass er niemals mehr von seiner Wirkung frei sein wird. Jede Nacht wird er in seinem Schlaf trunken sein, und er wird so auf ihn wirken, dass er im Schlaf glauben wird, er sei wach. Nun ist der Kaiser betrogen worden. Viele Bischöfe und Äbte waren da, um das Hochzeitsbett zu segnen und Gott zu befehlen. Als es Zeit war, schlafen zu gehen, lag der Kaiser in dieser Nacht, wie er sollte, bei seiner Frau. Wie er sollte? Da habe ich etwas Falsches gesagt, denn weder küsste noch umarmte er sie. Doch sie lagen zusammen in einem Bett. Zuerst zittert das Mädchen, denn es ängstigt sich und fürchtet sehr, dass der Trank ohne Wirkung bleiben könne. Aber der hat den Kaiser so verzaubert, dass dieser weder sie noch eine andere Frau jemals begehren wird, es sei denn im Schlaf. Aber dann wird er soviel Lust empfinden, wie man sie im Traum empfinden kann, und er wird den Traum für die Wirklichkeit halten. Trotzdem ist sie auf der Hut und hält sich zunächst von ihm fern, damit er sich ihr nicht nähern kann, aber da überfällt ihn der Schlaf.

195

196

3355

3360

3365

3370

3375

3380

3385

3390

Text und Übersetzung

Et dort et songe et veillier cuide, S’est an grant painne et an estuide De la pucele losangier. Et cele mainne grant dangier Et se deffant come pucele : Et cil la prie et si l’apele Mout soavet sa douce amie, Tenir la cuide, n’an tient mie ; Mes de neant et an grant eise : Neant anbrace et neant beise, Neant tient et neant acole, Neant voit, a neant parole, A neant tance, a neant luite. Mout fu bien la poisons confite, Qui si le travaille et demainne. De neant est an si grant painne, Car por voir cuide et si s’an prise, Qu’il et la forteresce prise. Einsi le cuide, einsi le croit, Et de neant lasse et recroit. — A une foiz vos ai tot dit, Qu’onques n’an ot autre delit. Einsi l’estovra demener Toz jorz mes, s’il l’an puet mener ; Mes ainz qu’a sauveté la taingne, Cuit que granz anconbriers li vaingne ; Car quant il s’an retornera, Li dus pas ne sejornera, Cui ele fu primes donee. Grant force a li dus assanblee, S’a totes les marches garnies, Et a la cort sont ses espies, Qui li font savoir chascun jor Tot son afeire et son ator Et conbien il sejorneront Et quant il s’an retorneront, Par ques leus et par ques trespas. L’anperere ne tarda pas Aprés les noces longuemant, De Coloingne part lieemant,

3351–3390

3355

3360

3365

3370

3375

3380

3385

3390

Und er schläft und träumt und glaubt, wach zu sein, er gibt sich große Mühe und strengt sich an, sie für sich einzunehmen, während sie sich heftig sträubt und ihre Jungfräulichkeit verteidigt. Und er umwirbt sie und nennt sie sanft seine süße Freundin, er glaubt, sie zu besitzen, und besitzt doch nichts von ihr. Aber in dem Nichts besteht sein Glück, nichts küsst er und mit niemandem vereinigt er sich, nichts besitzt er und niemanden umarmt er, nichts sieht er und zu niemandem spricht er, gegen nichts kämpft und mit niemandem streitet er sich. Sehr gut war der Trank zubereitet, weil er ihn so plagt und eine solche Wirkung hat. Um nichts müht er sich ab, aber er hält es für wahr und ist überzeugt, die Festung eingenommen zu haben. Das meint er und das glaubt er, und um nichts wird er müde und matt. Damit habe ich euch ein für allemal gesagt, dass er niemals anders befriedigt wurde. Auf diese Weise wird er fortan sein Leben führen müssen, wenn es ihm gelingt, sie mit sich zu nehmen. Aber bevor er sie in Sicherheit gebracht hat, wird ihm, glaube ich, ein großes Hindernis entgegenstehen, denn wenn er sich auf die Rückreise begibt, wird der Herzog, dem sie zuerst versprochen worden war, nicht tatenlos zusehen. Ein großes Heer hat der Herzog zusammengezogen und an allen Grenzen postiert, und am Hof hat er seine Spione, die ihm jeden Tag von den Geschäften und Vorbereitungen der Griechen Bericht geben, von der Dauer ihres Aufenthalts und dem Zeitpunkt ihrer Rückkehr und ihrer Reiseroute. Nach der Hochzeit zögerte der Kaiser nicht lange. Zufrieden reist er aus Köln ab,

197

198

Text und Übersetzung

Et l’anperere d’Alemaingne Le conduit a mout grant conpaingne Por ce que mout crient et ressoingne La force le duc de Seissoingne. 3395

3400

3405

3410

3415

3420

3425

Li dui anpereor cheminent, Jusque outre Reneborc ne finent, Et furent par une vespree Logié sor Dunoe an la pree. Li Grezois furent an lor trez Delez Noire Forest es prez. De l’autre part logié estoient Li Sesne qui les esgardoient. Li niés le duc an une angarde Remest toz seus por prandre garde, S’il porroit fiere nul gueaing Sor çaus de la ne nul mehaing. La ou il iere an son esgart, Vit Cligés chevauchier soi quart De vaslez qui se deportoient, Qui lances et escuz portoient Por behorder et por deduire. Ja lor voldra grever et nuire Li niés le duc, s’il onques puet. Atot cinc conpaignons s’esmuet, Si se sont mis a recelee Lez le bois an une valee Si qu’onques li Grezois nes virent, Tant que de la valee issirent Et que li niés le duc s’adresce, Si fiert Cligés si qu’il le blesce Un petitet devers l’eschine. Cligés se beisse, si s’ancline Si que la lance outre s’an passe ; Neporquant un petit le quasse. Quant Cligés sant qu’il est bleciez, Vers le vaslet s’est adreciez, Sel va ferir de tel randon, Que parmi le cuer a bandon

3391–3428

und der deutsche Kaiser gibt ihm mit großem Gefolge das Geleit, weil er die Gewalt des Herzogs von Sachsen sehr fürchtet und deshalb in Sorge ist. 3395

3400

3405

3410

3415

3420

3425

Die beiden Kaiser reisen ohne Aufenthalt bis jenseits von Regensburg, und eines Abends schlugen sie an den Ufern der Donau auf einer Wiese ihr Lager auf. Die Griechen befanden sich in ihren Zelten auf den Wiesen am Rande des Schwarzwalds. Auf der anderen Seite war das Lager der Sachsen, die sie beobachteten. Der Neffe des Herzogs blieb ganz allein auf einem Hügel, um auszukundschaften, ob er einen Vorteil gegenüber den Gegnern gewinnen und ihnen Schaden zufügen könnte. Von seinem Späherposten aus sah er Cligès zu Pferde kommen, wie er sich mit drei Knappen, die Lanzen und Schilde trugen, vergnügte und sich die Zeit mit Kampfspielen vertrieb. Da möchte der Neffe des Herzogs, wenn er irgend kann, ihnen Verluste beibringen und ihnen schaden. Mit fünf Gefährten bricht er auf, und sie haben sich in einem Tal in der Nähe des Waldes versteckt, so dass die Griechen sie nicht sehen konnten, bis sie aus dem Tal herauskamen. Und der Neffe des Herzogs stürmt auf Cligès zu und versetzt ihm einen Schlag, so dass er ihn ein wenig am Rücken verletzt. Cligès beugt sich nach vorn und neigt den Kopf, so dass die Lanze über ihn hinweg gleitet, aber dennoch hat sie ihn leicht verwundet. Als Cligès spürt, dass er verletzt ist, stürzt er auf den Knappen und schlägt ihn mit solcher Wucht, dass er ihm seine Lanze mitten

199

200 3430

3435

3440

3445

3450

3455

3460

3465

Text und Übersetzung

Li met sa lance, mort le ruie. Lors se metent tuit a la fuie Li Sesne qui mout le redotent, Parmi la forest se desrotent. Et Cligés qui ne set l’aguet, Hardemant et folie fet, Qui de ses conpaignons se part, Si les anchauce cele part, Ou la force le duc estoit, Et ja tote l’oz s’aprestoit De feire as Gres une anvaïe. Toz seus les chace sanz aïe : Et li vaslet tuit esperdu De lor seignor qu’il ont perdu, Vienent devant le duc corant, Si li recontent an plorant Le damage de son neveu. Li dus ne le tient mie a jeu ; Mes De et toz ses sainz an jure, Que joie ne buene avanture An tote sa vie n’avra Tant con celui vivant savra, Qui son neveu li a ocis, Et dit que mout iert ses amis Et mout le reconfortera, Qui le chief l’an aportera. Lors s’est uns chevaliers vantez Que par lui li iert presantez Li chiés Cligés, se il l’atant. — Cligés les vaslez chace tant Que sor les Sesnes s’anbati ; Et cil le voit, qui s’anhati Qu’il an aporteroit la teste. Lors s’an va, que plus n’i areste. Et Cligés s’est el retor mis Por esloignier ses anemis, Si revint la toz esleissiez, Ou ses conpaignons ot leissiez ; Mes il n’an i a nul trové, Qu’as trez s’an furent retorné

3429–3468

3430

3435

3440

3445

3450

3455

3460

3465

ins Herz stößt und ihn tot zu Boden wirft. Da machen sich alle Sachsen in großer Furcht vor ihm auf die Flucht und zerstreuen sich im Wald. Und Cligès, der nichts von dem Hinterhalt weiß, handelt kühn und leichtfertig zugleich, indem er sich von seinen Gefährten entfernt und die Gegner bis dorthin verfolgt, wo die Truppe des Herzogs stand und das ganze Heer schon im Begriff war, einen Angriff auf die Griechen zu starten. Ganz allein verfolgt er sie, ohne Beistand. Und die Knappen, ganz bestürzt darüber, dass sie ihren Herrn verloren haben, eilen zum Herzog und berichten ihm unter Tränen vom Unglück seines Neffen. Der Herzog findet das gar nicht zum Scherzen, vielmehr schwört er bei Gott und allen seinen Heiligen, dass er in seinem ganzen Leben nicht mehr froh und glücklich sein will, solange er den am Leben weiß, der ihm seinen Neffen getötet hat, und er erklärt, dass derjenige, der ihm den Kopf des Mörders bringen wird, ihm sehr lieb sein und ihm großen Trost verschaffen werde. Da hat sich ein Ritter gerühmt, dass er ihm Cligès’ Kopf präsentieren werde, wenn dieser sich ihm stellt. – Währenddessen jagt Cligès den Knappen hinterher, bis er auf die Sachsen gestoßen ist. Und der, welcher sich gerühmt hatte, dem Herzog seinen Kopf zu bringen, sieht ihn. Unverzüglich sprengt er auf ihn los. Und Cligès hat sich zurückgezogen, um seinen Feinden zu entkommen. Eilig kehrte er dahin zurück, wo er seine Gefährten zurückgelassen hatte, aber er hat dort keinen von ihnen gefunden, denn alle waren zu den Zelten zurückgekehrt,

201

202 3470

3475

3480

3485

3490

3495

3500

3505

Text und Übersetzung

Por lor avanture conter. Et l’anperere fist monter Gres et Tiois comunemant. Par tote l’ost isnelemant S’arment et montent li baron. Et cil a tant a esperon Totes voies Cligés chacié, Toz armez, son hiaume lacié … Quant Cligés le voit seul venir, Qui ains ne vost apartenir A recreant n’a cuer failli. … De parole l’a assailli Li chevaliers premieremant, Garçon l’apele estoutemant ; Que ne pot celer son corage. « Garz ! », fet il, « ça leiras le gage De mon seignor que tu as mort. Se ta teste avuec moi n’an port, Donc ne me pris un faus besant. Au duc an vuel feire presant ; Car autre gage n’an prandrai. Por son neveu tant li randrai, S’an avra bien eü l’eschange. » Cligés ot, que cil le leidange Come fos et mal afeitiez. « Vassaus ! », fet il, « or vos gueitiez ! Car ma teste vos chaloing gié, Ne l’avroiz mie sanz congié. » A tant li uns l’autre requiert. Cil a failli, et Cligés fiert Si fort, que lui et son destrier Fist tot an un mont trebuchier. Li destriers chiet sor lui anvers Si roidemant, que an travers L’une des janbes li peçoie. Cligés sor l’erbe qui verdoie Desçant a pié, si le desarme ; Quant desarmé l’ot, si s’an arme, Et la teste li a coupee De la soe meïsme espee.

3469–3508

3470

3475

3480

3485

3490

3495

3500

3505

um zu erzählen, was sie erlebt hatten. Und der Kaiser veranlasste alle gleichermaßen, Deutsche wie Griechen, die Pferde zu besteigen. Im gesamten Heer bewaffnen sich die Herren in aller Eile und sitzen auf. Unterdessen hat der Ritter seinem Pferd die Sporen gegeben und Cligès in voller Rüstung und mit aufgebundenem Helm verfolgt. Und Cligès, der niemals zu den Feigen und Verzagten zählen wollte, sieht ihn allein kommen. Da hat ihn der Ritter zuerst mit Worten angegriffen und nennt ihn unverschämterweise ‚Knecht‘, denn er konnte seine Wut nicht verbergen. „Knecht,“ sagt er, „du wirst das Pfand für meinen Herrn bezahlen, den du getötet hast. Wenn ich deinen Kopf nicht erlange, dann bin ich keinen falschen Byzantiner wert. Dem Herzog will ich ihn zum Geschenk machen, denn ein anderes Pfand nehme ich nicht. Im Tausch für seinen Neffen werde ich ihm soviel zurückgeben, dass er Gewinn machen wird.“ Cligès hört, wie er ihn beleidigt, als ob er dumm und unerzogen wäre. „Vasall,“ sagt er, „nehmt Euch in acht! Denn ich mache Euch meinen Kopf streitig, Ihr werdet ihn nicht ohne meine Zustimmung erhalten.“ Sogleich fordert der eine den anderen heraus. Der andere trifft daneben, während Cligès so kräftig zuschlägt, dass er Ross und Reiter auf einmal zu Fall brachte. Das Pferd ist so unsanft auf den Reiter gestürzt, dass es ihm ein Bein bricht. Cligès steigt in das grüne Gras hinab und entwaffnet ihn. Und als er dies getan hatte, legt er die Rüstung des Toten an und hat ihm mit dessen eigenem Schwert den Kopf abgeschlagen.

203

204 3510

3515

3520

3525

3530

3535

3540

3545

Text und Übersetzung

Quant la teste li ot tranchiee, An son la lance l’a fichiee Et dit qu’il an fera servise Au duc, cui il avoit promise La soe teste a presanter, S’an estor le puet ancontrer. N’ot pas bien an son chief assis Cligés le hiaume et l’escu pris, Non pas le suen, mes le celui Qui s’estoit conbatuz a lui, Et remontez estoit lors primes Sor le destrier celui meïmes, Et leisse le suen estraiier, Por les Grezois feire esmaiier : Quant il vit plus de çant banieres Et batailles granz et plenieres De Gres et de Tiois meslees. Ja comanceront les meslees Mout felenesses et crüés Antre les Sesnes et les Gres. Lués que Cligés venir les voit, Vers les Sesnes s’an va tot droit, Et cil de lui chacier s’angoissent, Qui por les armes nel conoissent, Et ses oncles s’an desconforte, Qui voit la teste qu’il an porte, Ne n’est mervoille, s’il s’an dote. Tote l’oz aprés lui s’arote : Et Cligés se fet tant chacier Por la meslee comancier, Que li Sesne venir le voient ; Mes les armes toz les desvoient, Dont il est armez et garniz. Gabez les a et escharniz ; Car li dus et trestuit li autre, Si come il vint lance sor fautre, Dïent : « Nostre chevaliers vient ! An son la lance que il tient Aporte la teste Cligés, Et li Gre le sivent aprés.

3509–3548

3510

3515

3520

3525

3530

3535

3540

3545

Als er ihm den Kopf abgeschlagen hatte, hat er diesen auf die Spitze der Lanze gespießt und gesagt, er werde ihn dem Herzog präsentieren, dem der Ritter seinen Kopf versprochen hatte, wenn er die Möglichkeit habe, gegen ihn zu kämpfen. Kaum hatte Cligès den Helm auf dem Kopf festgebunden und den Schild genommen, – nicht etwa den seinen, sondern den des Ritters, der gegen ihn gekämpft hatte –, und kaum hatte er das Pferd dieses Ritters bestiegen und das seine herrenlos laufen lassen, um die Griechen zu erschrecken, als er große und gewaltige Schlachtreihen mit mehr als hundert Bannern heranrücken sah, die aus Griechen und Deutschen bestanden. Gleich werden die grausamen und erbitterten Kämpfe zwischen den Sachsen und Griechen beginnen. Sobald Cligès seine Leute kommen sieht, reitet er geradewegs auf die Sachsen zu, und die Seinen jagen ihm mit aller Kraft nach, weil sie ihn wegen der Waffen nicht erkennen. Und beim Anblick des Kopfes, den er mit sich fortführt, ist sein Onkel untröstlich. Kein Wunder, dass er sich fürchtet. Das ganze Heer ist hinter ihm her, und Cligès lässt sich jagen, um den Kampf vom Zaun zu brechen und damit die Sachsen ihn sehen kommen. Aber seine Waffen führen alle in die Irre, mit denen er gerüstet und ausgestattet ist. Er hat sie verspottet und an der Nase herumgeführt, denn der Herzog und alle anderen sagen, als er, die Lanze im Anschlag, heransprengte: „Da kommt unser Ritter! Auf der Spitze der Lanze, die er hält, bringt er Cligès’ Kopf, und die Griechen jagen hinter ihm her.

205

206 3550

3555

3560

3565

3570

3575

3580

3585

Text und Übersetzung

Or as chevaus por lui secorre ! » Lors leissent tuit les chevaus corre, Et Cligés vers les Sesnes point, Dessoz l’escu se clot et joint, Lance droite, la teste an son. N’ot mie mains cuer d’un lion, Mes n’estoit plus d’un autre forz. D’anbes parz cuident qu’il soit morz Et Sesne et Gre et Alemant, S’an sont cil lié et cil dolant ; Mes par tans iert li voirs seüz. Car Cligés ne s’est plus teüz : Criant s’esleisse vers un Sesne, Sel fiert de la lance de fresne Atot la teste anmi le piz Si que les estriers a guerpiz, Et crie an haut : « Baron ! ferez ! Je sui Cligés que vos querez. Or ça, franc chevalier hardi ! Ne n’i et nul acoardi ; Car nostre est la premiere joste ! Coarz hon de tel mes ne goste. » L’anperere mout s’esjoï, Quant son neveu Cligés oï, Qui si les semont et enorte ; Mout s’an esbaudist et conforte. Et li dus est mout esbaïz ; Qu’or set il bien qu’il est traïz, Se la soe force n’est graindre ; Ses janz fet serrer et estraindre. Et li Gre serré et rangié Ne se sont pas d’aus estrangié ; Car maintenant brochent et poingnent. Des deus parz les lances esloingnent, Si s’antrecontrent et reçoivent Si come a tel ost feire doivent. As premeraines acointances Percent escuz et froissent lances, Tranchent çaingles, ronpent estrier,

3549–3587

3550

3555

3560

3565

3570

3575

3580

3585

Los, auf die Pferde, lasst uns ihm helfen!“ Da geben sie alle den Pferden die Sporen, und Cligès sprengt gegen die Sachsen an, dicht unter den Schild gepresst, mit erhobener Lanze, den Kopf auf der Spitze. Er hatte nicht weniger Mut als ein Löwe, obwohl er nicht stärker als andere war. Auf beiden Seiten glauben sie, er sei tot, und unter den Sachsen, Griechen und Deutschen haben sich einige darüber gefreut und andere sind betrübt, aber bald wird die Wahrheit bekannt sein. Denn Cligès hat nicht länger geschwiegen, mit einem Kriegsschrei wirft er sich auf einen Sachsen und stößt ihm die Eschenlanze mitsamt dem Kopf mitten durch die Brust, so dass der Ritter aus dem Sattel gefallen ist, und ruft laut: „Ihr Herren! Zum Kampf! Ich bin Cligès, den ihr sucht! Los, ihr edlen und kühnen Ritter! Hier darf es keinen Feigling geben, denn der erste Lanzenkampf gehört uns! Nur einem Feigling schmeckt dieses Gericht nicht!“ Der Kaiser freute sich sehr, als er hörte, wie sein Neffe Cligès sie anfeuert und ermahnt; er war sehr angetan und erleichtert. Aber der Herzog ist sehr überrascht, denn nun weiß er wohl, dass er verloren ist, wenn er nicht über ein stärkeres Heer verfügt. Er lässt seine Leute in dichten Reihen zusammenziehen. Und die Griechen machen es ebenso und sind ihnen nicht ausgewichen, vielmehr sprengen sie mit den Pferden auf sie los. Auf beiden Seiten senken sie die Lanzen, treffen aufeinander und begegnen sich, wie es in einem solchen Kampf sein muss. Bei den ersten Treffen durchbohren sie die Schilde und zersplittern die Lanzen, zerhauen die Sattelgurte, zerbrechen die Sättel;

207

208

3590

3595

3600

3605

3610

3615

3620

3625

Text und Übersetzung

Vuit an remainnent li destrier De çaus qui chieent an la place. Mes comant que chascuns le face, Cligés et li dus s’antrevienent, Les lances esloigniees tienent Et fierent de si grant vertu Li uns l’autre sor son escu, Que les lances volent an clices, Qui forz estoient et feitices. Cligés iere a cheval adroiz : An la sele remest toz droiz, Qu’il ne bronche ne ne chancele. Li dus a guerpie la sele Et maugré suen les arçons vuide. Cligés prandre et mener l’an cuide Et mout s’an travaille et esforce ; Mes n’est mie soe la force. Car li Sesne estoient antor, Qui le rescoent par estor. Cligés neporquant sanz mehaing Part de l’estor atot gueaing ; Car le destrier au duc an mainne, Qui plus estoit blans que n’est lainne Et valoit a oés un prodome L’avoir Oteviien de Rome : Li destriers estoit arabois. Grant joie an font Gre et Tiois, Quant Cligés voient sus monté, Qui la valor et la bonté De l’arabi veü avoient ; Mes d’un aguet ne se gardoient, Ne ja ne s’an aparcevront Tant que grant perte i recevront. Une espie est au duc venue, Don granz joie li est creüe. « Dus ! », fet l’espie, « n’a remés An totes les tantes as Gres Home, qui se puisse deffandre. Or puez feire la fille prandre

3588–3626

3590

3595

3600

3605

3610

3615

3620

3625

die Pferde derer, die zu Boden fallen, bleiben ohne Reiter. Doch was immer um sie herum geschieht, Cligès und der Herzog gehen mit gesenkten Lanzen aufeinander los, und der eine schlägt dem anderen mit solcher Kraft auf den Schild dass die Lanzen in Stücke springen, obwohl sie stark und von bester Qualität waren. Cligès bewegte sich geschickt auf dem Pferd, ganz gerade hielt er sich im Sattel, ohne zu straucheln oder zu schwanken. Der Herzog aber hat den Sattel verlassen und den Sattelbogen wider Willen frei gemacht. Cligès bemüht sich und strengt sich sehr an, um ihn zu ergreifen und fortzuführen, aber es fehlt ihm dazu an Kraft. Denn die Sachsen waren um ihn herum und befreien den Herzog im Kampf. Cligès geht dennoch ohne Schaden und mit einer Beute aus dem Kampf hervor, denn er nimmt das Pferd des Herzogs mit, das weißer war als Wolle und für einen Edelmann einen so hohen Wert hatte wie der gesamte Reichtum Oktavians in Rom. Das Pferd war ein Araber. Die Griechen und Deutschen jubeln, als sie Cligès heranreiten sehen, denn sie hatten den Wert und die Qualität des Arabers erkannt. Aber sie waren nicht auf der Hut vor einem Hinterhalt, und sie werden nichts davon bemerken, bis sie großen Schaden erlitten haben. Ein Spion ist zum Herzog gekommen und hat diesem große Freude bereitet. „Herzog,“ sagt er, „in allen Zelten der Griechen ist kein einziger Mensch geblieben, der sich verteidigen könnte. Nun kannst du die Tochter des Kaisers

209

210

3630

3635

3640

3645

3650

3655

3660

3665

Text und Übersetzung

L’anpereor, se tu me croiz, Tant con les Gres antandre voiz A l’estor et a la bataille. Çant de tes chevaliers me baille Et je lor baillerai t’amie. Par une viez voie anhermie Les conduirai si sagemant, Que de Tiois ne d’Alemant Ne seront veü n’ancontré, Tant que la pucele an son tré Porront prandre et mener si quite Que ja ne lor iert contredite. » De ceste chose est liez li dus. Çant chevaliers senez et plus Avuec l’espie a anveiiez, Et cil les a si aveiiez, Que la pucele an mainnent prise, Ne n’i ot pas grant force mise ; Car de legier mener l’an porent. Quant des trez esloigniee l’orent, Par doze d’aus l’an anveiierent, Ne gueires ne les conveiierent. Li doze an mainnent la pucele, Li autre ont dite la novele Au duc, que bien ont esploitié. Li dus n’avoit d’el coveitié, Si prant triues tot main a main As Grezois jusqu’a l’andemain. Triues ont prises et donees. Les janz le duc sont retornees, Et li Grezois sanz nule atante Repeirent chascuns a sa tante; Mes Cligés seus an une angarde Remest, que nus ne s’an prist garde, Tant que les doze qui venoient Vit et celi qu’il an menoient Tot le grant cors et les galos. Cligés qui viaut aquerre los Vers aus s’esleisse eneslepas ; Car por neant ne fuient pas,

3627–3666

3630

3635

3640

3645

3650

3655

3660

3665

rauben, wenn du auf meinen Rat hörst, während sich die Griechen im Kampf tummeln. Gib mir hundert deiner Ritter und ich werde deine Freundin in ihre Gewalt bringen. Ich werde die Männer auf einem alten, abgelegenen Weg so umsichtig führen, dass sie auf keinen Deutschen treffen oder von einem wahrgenommen werden, bis sie das Mädchen in seinem Zelt ergriffen und es einfach, ohne Gegenwehr, mitgenommen haben.“ Darüber ist der Herzog erfreut. Mehr als hundert erfahrene Ritter hat er zu dem Spion geschickt, und der hat sie so geleitet, dass sie das Mädchen gefangen mit sich nehmen, ohne große Gewalt anzuwenden, denn sie konnten es leicht entführen. Als sie die junge Dame aus dem Lager gebracht hatten, schickten sie diese mit nur zwölf von ihnen weiter und begleiteten sie nicht länger. Während die zwölf Männer das Mädchen fortführen, haben die anderen dem Herzog die Nachricht von ihrem Erfolg übermittelt. Nichts anderes hatte der Herzog begehrt, und so verabredet er mit den Griechen unverzüglich bis zum nächsten Morgen einen Waffenstillstand. Der Waffenstillstand ist vereinbart und beschlossen. Die Leute des Herzogs sind zurückgekehrt, und auch die Griechen kehren ohne zu säumen in ihre Zelte zurück. Nur Cligès blieb allein auf einer Anhöhe zurück, ohne dass es jemand merkte, bis er die zwölf Ritter, die das Mädchen mit sich führten, in höchster Eile herangaloppieren sah. Cligès, der Ruhm erwerben will, sprengt augenblicklich auf sie zu, denn er denkt und sein Herz sagt es ihm,

211

212

3670

3675

3680

3685

3690

3695

3700

3705

Text und Übersetzung

Ce se panse et li cuers li dit. Tot maintenant que il les vit, S’esleisse aprés, et cil le voient, Qui folie cuident et croient. « Li dus nos siut », chascuns le dit, « Contratandons le un petit, Qui est toz seus partiz de l’ost Et si vient aprés nos mout tost. » N’i a un seul qui ce ne cuit. Contre lui vuelent aler tuit, Mes seus i viaut chascuns aler. Cligés covient a avaler Un grant val antre deus montaingnes. Ja mes d’aus ne seüst ansaingnes, Se cil contre lui ne venissent Ou s’il ne le contratandissent. Li sis li vienent a l’ancontre, Mes an lui avront male ancontre. Avuec la pucele remainnent Li autre, qui soef la mainnent Le petit pas et l’anbleüre. Et li sis vont grant aleüre Poignant adés parmi le val. Cil qui ot plus isnel cheval Vint devant toz criant an haut : « Dus de Seissoingne ! Des te saut ! Dus ! recovree avons t’amie. Or n’an manront li Grezois mie, Car ja t’iert bailliee et randue. » Quant la parole a antandue Cligés, que cil li vet criant, N’an ot mie son cuer riant, Ainz est mervoille qu’il n’anrage. Onques nule beste sauvage, Lieparz ne tigre ne lions, S’ele voit prandre ses feons, Ne fu si ardanz n’anragiee, Ne de conbatre acoragiee, Con fu Cligés, cui il ne chaut De vivre, s’a s’amie faut.

3667–3706

3670

3675

3680

3685

3690

3695

3700

3705

dass sie nicht ohne Grund fliehen. Kaum hatte er sie gesehen, jagt er hinterher und sie sehen ihn, aber was sie denken und glauben, ist Unsinn. „Der Herzog folgt uns,“ sagt jeder, „lasst uns ein wenig auf ihn warten, er hat das Heer ganz allein verlassen und beeilt sich, uns einzuholen.“ Kein einziger von ihnen zweifelt daran. Alle wollen ihm entgegenreiten, aber jeder will dies für sich allein tun. Cligès muss durch ein großes Tal zwischen zwei Bergen reiten. Er hätte ihre Spur verloren, wenn sie ihm nicht entgegengekommen wären oder ihn nicht erwartet hätten. Sechs sind es, die ihm entgegen eilen, aber er wird ihnen einen üblen Empfang bereiten. Die anderen bleiben bei der jungen Dame und führen sie gemächlich und langsam im Passgang mit sich, während die sechs in aller Eile durch das Tal galoppieren. Und der, welcher das schnellste Pferd hatte, ritt allen voran und rief mit lauter Stimme: „Herzog von Sachsen! Gott schütze dich! Herzog, wir haben deine Freundin zurück erlangt, nun werden die Griechen sie nicht mit sich nehmen, denn sie wird dir anvertraut und in deine Hände gegeben.“ Als Cligès diese Worte gehört hat, die der Ritter ihm entgegenruft, war sein Herz alles andere als fröhlich, und es ist ein Wunder, dass er nicht zu toben beginnt. Niemals sah man ein wildes Tier, eine Leopardin, Tigerin oder Löwin, der man ihre Jungen raubt, so wutentbrannt und so mit Zorn erfüllt und so kampfbegierig wie es Cligès war, dem das Leben gleichgültig ist, wenn er seine Freundin verliert.

213

214

3710

3715

3720

3725

3730

3735

3740

3745

Text und Übersetzung

Miauz viaut morir, que il ne l’et. Mout a grant ire an son deshet, Et mout grant hardemant li done. L’arabi broche et esperone Et va dessor la targe painte Au Sesne doner une anpainte De tel vertu, que sanz mantir Li fist la lance au cuer santir. Cist a Cligés asseüré. Plus d’un grant arpant mesuré A l’arabi point et brochié, Einçois que l’autre et aprochié ; Car tuit venoient desroté. Por l’un n’a l’autre redoté, Car seul a seul joste a chascun ; Ses ancontre par un et un, Ne li uns n’a de l’autre aïe. Au secont fet une anvaïe, Qui li cuidoit de son contreire Noveles dire et joie feire, Si con li premiers avoit fet ; Mes Cligés n’a cure de plet Ne de sa parole escoter. Sa lance el cors li va boter, Qu’au retreire li sans an vole, Si li tot l’ame et la parole. Aprés les deus au tierz s’acople, Qui mout le cuide trover sople Et lié fiere de son enui. A esperon vint contre lui ; Mes ainz que mot dire li loise, Cligés de sa lance une toise Parmi le cors li a colee. Au quart redone tel colee, Qu’anmi le chanp pasmé le leisse. Aprés le quart au quint s’esleisse, Et puis au siste aprés le quint. De çaus nus ne s’an contretint, Que toz nes lest teisanz et muz. Mains an a les autres cremuz

3707–3746

3710

3715

3720

3725

3730

3735

3740

3745

Lieber will er sterben als auf sie verzichten. Große Wut hat er wegen seines Unglücks, und sie verleiht ihm große Kühnheit. Er treibt den Araber an und gibt ihm die Sporen und schlägt mit solcher Kraft auf den bunten Schild des Sachsen, dass er ihm die Lanze wahrhaftig direkt im Herzen spüren ließ. Das hat Cligès Befriedigung verschafft. Mehr als einen Morgen weit ist er den Araber geritten und hat ihm die Sporen gegeben, bevor er sich dem nächsten näherte, denn alle kamen einzeln. Wegen des einen hat er den anderen nicht gefürchtet, denn er kämpft gegen jeden allein. Der Reihe nach kämpft er gegen sie, so dass einer dem anderen nicht zur Hilfe kommen kann. Er stürmt auf den zweiten Gegner los, der meinte, ihn mit der Nachricht zu erfreuen, die ihm Leid verschafft, so wie es der erste gemeint hatte. Aber Cligès denkt nicht daran, seinen Worten zuzuhören. Seine Lanze stößt er ihm in den Leib, so dass das Blut spritzt, als er sie wieder herauszieht, und er ihm Geist und Sprache raubt. Nach diesen beiden stößt er auf den dritten, der erwartet, freundlich empfangen zu werden und Cligès mit dem zu erfreuen, das ihn betrübt. Im Galopp sprengt er auf ihn zu, aber bevor er ihm ein Wort zu sprechen erlaubt, hat Cligès ihm seine Lanze einen Klafter weit in den Leib gerammt. Auch dem vierten versetzt er einen solchen Schlag, dass er mitten auf dem Feld ohnmächtig liegen bleibt. Nach dem vierten sprengt er auf den fünften los, und nach dem fünften auf den sechsten. Keiner von ihnen hielt ihm stand, er hat sie alle zum Schweigen gebracht und stumm gemacht. Deshalb hat er die anderen weniger gefürchtet

215

216

Text und Übersetzung

Et plus hardïemant requis. Puis n’ot il garde de cez sis.

3750

3755

3760

3765

3770

3775

3780

3785

Quant de cez fu asseürez, De honte et de maleürtez Va presant feire au remenant, Qui la pucele an vont menant. Atainz les a, si les assaut Come los, qui a proie saut Fameilleus et esjeünez. Or li est vis que buer fu nez, Quant il puet feire apertemant Chevalerie et hardemant Devant celi qui le fet vivre. Ore est morz, s’il ne la delivre, Et cele rest autressi morte, Qui por lui mout se desconforte ; Mes nel set si pres de li. Un poindre qui li abeli A fet Cligés, lance sor fautre, Si fiert un Sesne et puis un autre, Si qu’anbedeus a un seul poindre Les a fet a la terre joindre Et sa lance de fresne froisse. Et cil chieent par tel angoisse, Qu’il n’ont pooir de relever Por lui mal feire ne grever ; Car des cors furent anpirié. Li autre quatre tuit irié Vont Cligés ferir tuit ansanble, Mes il ne bronche ne ne tranble Ne ne li ont sele tolue. L’espee d’acier esmolue Fors del fuerre isnelemant sache Et por ce que buen gre l’an sache Cele qui a s’amor s’atant, Vet ancontre un Sesne batant, Sel fiert de l’espee esmolue, Si qu’il li a del bu tolue La teste et del col la meitié;

3747–3785

217

und sie noch kühner herausgefordert, denn um die sechs brauchte er sich nicht mehr zu kümmern.

3750

3755

3760

3765

3770

3775

3780

3785

Als er vor ihnen sicher war, beschenkt er die übrigen, die das Mädchen mit sich führen, mit Schande und Unglück. Er hat sie erreicht und greift sie an wie ein Wolf, der sich ausgehungert und gierig auf seine Beute stürzt. Da sieht er sein Glück gekommen, denn er kann vor der, die ihm sein Leben bedeutet, öffentlich seine Tapferkeit und Kühnheit demonstrieren. Er stirbt, wenn er sie nicht befreit, und sie stirbt ebenfalls aus Angst um ihn, obwohl sie nicht weiß, dass er ihr so nahe ist. Mit eingelegter Lanze hat Cligès einen Angriff unternommen, mit dem er sehr zufrieden ist, denn er schlägt damit zuerst einen Sachsen und dann einen weiteren, so dass er sie beide mit einem Schlag zu Boden geworfen hat, auch wenn seine Eschenlanze bricht. Und der Aufprall bringt sie in solche Not, dass sie keine Kraft haben, um sich wieder zu erheben und ihm zu schaden oder ihn zu verwunden, denn ihre Leiber waren übel zugerichtet. Voller Wut machen sich die übrigen vier alle gemeinsam daran, gegen Cligès zu kämpfen, aber er schwankt und wankt nicht und sie haben ihn nicht aus dem Sattel geworfen. Schnell zieht er das scharfe Schwert aus der Scheide; um der zu gefallen, die auf seine Liebe hofft, wendet er sich im Kampf einem Sachsen zu und schlägt ihn mit dem scharfen Schwert, so dass er ihm den Kopf und den halben Hals vom Rumpf abgetrennt hat;

218

3790

3795

3800

3805

3810

3815

3820

Text und Übersetzung

Onques n’an ot autre pitié. Fenice qui l’esgarde et voit, Ne set pas que ce Cligés soit. Ele voldroit que ce fust il ; Mes por ce qu’il i a peril Dit qu’ele ne le voldroit mie. De deus parz li est buene amie ; Car sa mort crient et s’enor viaut. Et Cligés a l’espee aquiaut Les trois, qui fier estor li randent, Son escu li troent et fandent ; Mes n’ont pooir de lui baillier Ne de son hauberc desmaillier. Et quanque Cligés d’aus ataint, Devant son cop riens ne remaint, Que tot ne porfande et deronpe ; S’est plus tornanz que n’est la tronpe, Que la corgiee mainne et chace. Proesce et amors qui l’anlace Le fet hardi et conbatant. Les Sesnes a traveilliez tant Que toz les a morz et conquis, Çaus afolez et çaus ocis, Mes un an leissa eschaper Por ce qu’il ierent per a per, Et por ce que par lui seüst Li dus sa perte et duel eüst. Mes ainz que cil de lui partist, Pria Cligés tant qu’il li dist Son non, et cil le rala dire Au duc, qui mout an ot grant ire. Ore ot li dus sa mescheance, S’an ot grant duel et grant pesance. Et Cligés Fenice an ramainne, Qui d’amor le travaille et painne ; Mes s’or ne prant a li confesse, Lonc tans li iert amors angresse Et celi, s’ele se retest, Que ne die ce que li plest ;

3786–3824

3790

3795

3800

3805

3810

3815

3820

anderes Erbarmen hatte er nicht mit ihm. Fenice, die ihn anschaut und betrachtet, weiß nicht, dass es Cligès ist. Sie hätte gewünscht, er wäre es, aber weil die Lage gefährlich war, sagt sie sich, dass sie es nicht wünschte. In zweierlei Hinsicht ist sie ihm eine gute Freundin, denn sie fürchtet seinen Tod und wünscht seinen Ruhm. Und mit dem Schwert greift Cligès die drei an, die ihm heftigen Widerstand leisten, sie durchlöchern und zerspalten seinen Schild, aber sie können ihn nicht in ihre Gewalt bekommen oder sein Panzerhemd zerhauen. Und was immer Cligès von ihnen trifft, hält seinen Schlägen nicht stand, vielmehr spaltet er alles durch und durch und zerhaut es. Er dreht sich schneller als ein Kreisel, der mit der Peitsche angetrieben und geschlagen wird. Tapferkeit und Liebe, die ihn in ihren Banden hat, machen ihn kühn und tapfer. Den Sachsen hat er so zugesetzt, dass sie alle tot und besiegt sind, die einen verwundet, die anderen erschlagen. Nur einen hat er entkommen lassen, weil er im Kampf ebenbürtig war und damit der Herzog von seinem Verlust erfahren und sich darüber grämen sollte. Aber bevor der Ritter davon ritt, bat er Cligès, ihm seinen Namen zu sagen, und dann hat er diesen Namen dem Herzog genannt, der darüber sehr wütend war. Da erfährt der Herzog von seinem Unglück, das ihn sehr bekümmerte und schmerzte. Und Cligès führt Fenice zurück, die ihn mit Liebe quält und plagt, doch wenn er sich jetzt nicht entschließt, es ihr zu offenbaren, wird ihm die Liebe lange zu schaffen machen, und auch ihr, wenn sie weiter schweigt und nicht sagt, was sie begehrt.

219

220 3825

3830

3835

3840

3845

3850

3855

3860

Text und Übersetzung

Qu’or puet chascuns an audiance Dire a l’autre sa conciance. Mes tant criement le refuser, Qu’il n’osent lor cuers ancuser. Cil crient que cele le refust, Cele ancusee se refust, S’ele ne dotast la refuse. Et neporquant des iauz ancuse Li uns a l’autre son panser, S’il s’an seüssent apanser. Des iauz parolent par esgart ; Mes des langues sont si coart, Que de l’amor qui les justise N’osent parler an nule guise. Se cele comancier ne l’ose, N’est mervoille ; car sinple chose Doit estre pucele et coarde. Mes cil qu’atant et por quoi tarde, Qui por li est par tot hardiz, S’est vers li sole acoardiz ? Des ! ceste crieme don li vient, Qu’une pucele sole crient, Foible et coarde, sinple et coie ? A ce me sanble que je voie Les chiens foïr devant le lievre Et la tortre chacier le bievre, L’aignel le lo, le colon l’egle. Einsi fuit li vilains sa megle, Dont il vit et dont il s’ahane. Einsi fuit li faucons por l’ane Et li girfauz por le heiron, Et li gros luz por le veiron, Et le lion chace li cers, Si vont les choses a anvers. Mes volantez au moi s’aüne, Que je die reison aucune, Por quoi avient as fins amanz, Que sans lor faut et hardemanz A dire ce qu’il ont an pans, Quant il ont eise et leu et tans.

3825–3864 3825

3830

3835

3840

3845

3850

3855

3860

Denn nun kann jeder im Vertrauen dem anderen seine Gefühle offenbaren. Aber so sehr befürchten sie, zurückgewiesen zu werden, dass sie ihre Empfindungen nicht zu offenbaren wagen. Er fürchtet, dass sie ihn zurückweist, und sie hätte sich offenbart, wenn sie nicht Angst gehabt hätte, abgewiesen zu werden. Und dennoch offenbart jeder dem anderen mit den Augen, was er empfindet – wenn sie dies nur verstanden hätten! Mit den Augen sprechen sie durch Blicke, aber was Worte angeht, sind sie so feige, dass sie über die Liebe, die sie beherrscht, in keiner Weise zu sprechen wagen. Wenn sie nun nicht den Anfang zu machen wagt, ist das kein Wunder, denn ein Mädchen muss einfach und schüchtern sein. Aber er, worauf wartet er und warum zögert er, der um ihretwillen allen gegenüber so tapfer ist und nur in ihrer Gegenwart so verzagt? Gott! Woher kommt nur diese Angst, dass er ein schwaches, schüchternes, unbedarftes und stummes Mädchen fürchtet? Es scheint mir, als ob ich Hunde vor einem Hasen fliehen sehe und den Fisch den Biber jagen, das Lamm den Wolf, die Taube den Adler! So flieht der Bauer vor seiner Hacke, von der er lebt, indem er sich mit ihr abmüht, so flieht der Falke vor der Ente und der Geier vor dem Reiher, und der dicke Hecht vor der Elritze, und so jagt der Hirsch den Löwen. Das ist eine verkehrte Welt. Aber jetzt habe ich große Lust zu erklären, wie es kommt, dass wahren Liebenden der Mut und Verstand fehlt, um das auszusprechen, was sie empfinden, obwohl sie Zeit und Gelegenheit dazu haben.

221

222 3865

3870

3875

3880

3885

3890

3895

3900

Text und Übersetzung

Vos qui d’Amor vos feites sage, Qui les costumes et l’usage De sa cort maintenez a foi, N’onques ne faussastes sa loi, Que qu’il vos an deüst cheoir, Dites moi, se l’an puet veoir Rien, qui por amor abelisse, Que l’an n’an tressaille et palisse. Ja de ce n’iert contre moi nus, Que je ne l’an rande conclus; Car qui n’an palist et tressaut, Cui sans et memoires n’an faut, An larrecin porchace et quiert Ce que par droit ne li afiert. Serjanz qui son seignor ne dote, Ne doit remenoir an sa rote Ne ne doit feire son servise. Seignor ne crient, qui ne le prise, Et qui nel prise, ne l’a chier, Ainz se painne de lui trichier Et de la soe chose anbler. De peor doit serjanz tranbler, Quant ses sire l’apele ou mande. Et qui a Amor se comande, Son mestre et son seignor an fet, S’est droiz qu’an reverance l’et Et mout le crieme et mout l’enort, S’il viaut bien estre de sa cort. Amors sanz crieme et sanz peor Est feus sanz flame et sanz chalor, Jorz sanz soloil, bresche sanz miel, Estez sanz flor, iverz sanz giel, Ciaus sanz lune, livres sanz letre. Einsi le vuel a neant metre, Que la, ou crieme s’an dessoivre, Ne fet amors a ramantoivre. Qui amer viaut, doter l’estuet, Ou se ce non, amer ne puet ; Mes seul celi qu’il aimme dot Et por li soit hardiz par tot.

3865–3904 3865

3870

3875

3880

3885

3890

3895

3900

Ihr, die Amor kennt und die Sitten und den Brauch seines Hofes treu bewahrt und niemals gegen sein Gesetz verstoßen habt, was immer euch daraus entstehen mag, sagt mir, ob man ein Geschöpf, das einem lieb ist, anschauen kann, ohne zu zittern und zu erbleichen. Niemand wird mir darin widersprechen, ohne dass ich ihn nicht widerlege. Denn wenn einer nicht erbleicht und erzittert, sondern Verstand und Bewusstsein bewahrt, dann sucht er durch Diebstahl zu erlangen, was ihm von Rechts wegen nicht zukommt. Ein Diener, der seinen Herrn nicht fürchtet, soll nicht in seinem Gefolge oder Dienst bleiben. Wer seinen Herrn nicht fürchtet, achtet ihn nicht, und wer ihn nicht achtet, liebt ihn nicht, sondern trachtet danach, ihn zu betrügen und etwas von seinem Besitz zu stehlen. Ein Diener muss vor Furcht erbeben, wenn sein Herr nach ihm ruft oder schicken lässt. Und wenn einer sich in den Dienst Amors begibt und ihn zu seinem Herrn und Meister macht, dann ist es nur recht – wenn er an seinem Hof bleiben möchte –, dass er ihm Ehrerbietung erweist, ihn sehr fürchtet und ihn sehr ehrt. Ohne Furcht und Angst ist die Liebe eine Flamme ohne Feuer und ohne Wärme, ein Tag ohne Sonne, eine Wabe ohne Honig, ein Sommer ohne Blumen, ein Winter ohne Eis, ein Himmel ohne Mond, ein Buch ohne Buchstaben. Auf diese Weise will ich beweisen, dass eine Liebe, bei der die Furcht fehlt, nicht der Erwähnung wert ist. Wer lieben will, muss sich vor ihr fürchten, und wer dies nicht tut, kann nicht lieben. Aber er soll nur die fürchten, die er liebt, und sonst um ihretwillen überall kühn sein.

223

224 3905

3910

3915

3920

3925

3930

3935

3940

Text und Übersetzung

Donc ne faut ne ne mesprant mie Cligés, s’il redote s’amie. Mes por ce ne leissast il pas, Qu’il ne l’eüst eneslepas D’amors aresniee et requise, Comant que la chose fust prise, S’ele ne fust fame son oncle. Por ce sa plaie li reoncle Et plus li grieve et plus li diaut, Qu’il n’ose dire ce qu’il viaut. — Einsi vers lor jant s’an revienent Et, se de rien parole tienent, N’i ot chose, don lor chaussist. Chascuns sor un blanc cheval sist Et chevauchierent a esploit Vers l’ost, ou mout grant duel avoit. Par tote l’ost de duel forsanent ; Mes a nul voir dire n’assanent, Qu’il dïent que Cligés est morz ; De c’est li diaus mout granz et forz. Et por Fenice se resmaient, Ne cuident que ja mes la raient ; S’est por celi et por celui Tote l’oz an mout grant’ enui. Mes cil ne tarderont mes gueires, Si changera toz li afeires ; Car ja sont an l’ost retorné, S’ont le duel a joie torné. Joie revient et diaus s’an fuit. A l’ancontre lor vienent tuit, Si que tote l’oz i assanble. Li dui anpereor ansanble, Quant il oïrent la novele De Cligés et de la pucele, Ancontre vont a mout grant joie ; Mes a chascun est tart qu’il oie, Comant Cligés avoit trovee L’anpererriz et recovree. Cligés lor conte, et cil qui l’öent

3905–3943 3905

3910

3915

3920

3925

3930

3935

3940

So macht also Cligès nichts falsch und geht nicht in die Irre, wenn er sich vor seiner Freundin fürchtet. Aber er hätte es nicht unterlassen, sie sofort um ihre Liebe zu bitten und um sie zu werben, wie immer dies auch aufgenommen worden wäre, wenn sie nicht die Frau seines Onkels gewesen wäre. Darum schwärt seine Wunde weiter und schmerzt ihn und tut ihm noch stärker weh, weil er nicht zu sagen wagt, was er begehrt. So kehren sie zu ihren Leuten zurück, und wenn sie über etwas sprechen, dann nicht über das, was sie bewegte. Jeder saß auf einem weißen Pferd, und sie ritten eilig zum Heer, in dem große Trauer herrschte. Im ganzen Heer sind sie außer sich vor Trauer, aber sie kennen die Wahrheit nicht, wenn sie sagen, dass Cligès tot ist, und deshalb ist die Trauer heftig und stark. Und auch um Fenice sind sie in großer Sorge, denn sie glauben nicht, sie zurückgewinnen zu können. Um sie und um ihn herrscht im gesamten Heer sehr großes Leid. Aber die beiden werden nicht auf sich warten lassen, und alles wird sich ändern, denn schon sind sie zum Heer zurückgekehrt und haben das Leid in Freude verkehrt. Die Freude kehrt zurück und das Leid entschwindet. Alle kommen ihnen entgegen und das ganze Heer versammelt sich. Als die beiden Kaiser die Neuigkeit über Cligès und das Mädchen vernommen hatten, gehen sie ihnen mit großer Freude entgegen. Und jeder kann kaum erwarten zu hören, wie Cligès die Kaiserin gefunden und befreit hatte. Cligès erzählt es ihnen, und die Zuhörer

225

226 3945

3950

3955

3960

3965

3970

3975

3980

Text und Übersetzung

Mout s’an mervoillent et mout loent Sa proesce et son vasselage ; Mes d’autre part li dus anrage, Qui jure et afiche et propose, Que seul a seul, se Cligés ose, Iert antr’aus deus bataille prise, Si la fera par tel devise, Que, se Cligés vaint la bataille, L’anperere seürs s’an aille Et la pucele quite an maint ; Et s’il ocit Cligés ou vaint, Qui maint damage li a fet, Por ce triues ne pes n’i et, Qu’aprés chascuns son miauz ne face. Ceste chose li dus porchace, Et fet par un suen druguemant Qui gre savoit et alemant, As deus anpereors savoir, Qu’einsi viaut la bataille avoir. Li messagiers fet son message An l’un et an l’autre langage Si bien que l’antandirent tuit. Tote l’oz an fremist et bruit Et dïent que ja De ne place, Que Cligés la bataille face ; Et andui li anpereor An sont an mout grant esfreor ; Mes Cligés as piez lor an chiet Et prie lor que ne lor griet, Mes, s’ains fist rien qui lor pleüst, Que il ceste bataille eüst An guerredon et an merite. Et s’ele li est contredite, Ja mes n’iert a son oncle un jor Ne por son buen ne por s’enor. L’anperere qui tant avoit Son neveu chier come il devoit, Par la main contre mont l’an lieve Et dist : « Biaus niés ! formant me grieve

3944–3982

3945

3950

3955

3960

3965

3970

3975

3980

sind sehr erstaunt und loben seine Tapferkeit und Kühnheit sehr. Doch auf der anderen Seite tobt der Herzog vor Wut und schwört und versichert und kündigt an, dass er Mann gegen Mann mit Cligès kämpfen wolle, wenn dieser sich trauen würde, und zwar unter der Bedingung, dass, wenn Cligès im Kampf siegen werde, der Kaiser ungehindert fortgehen und das Mädchen mit sich nehmen könne. Wenn er aber Cligès, der ihm großen Schaden zugefügt habe, besiegt oder tötet, solle es weder Waffenstillstand noch Frieden geben und jede Partei das Beste daraus für sich machen. Das ist das Ziel, das der Herzog verfolgt, und er lässt durch einen seiner Dolmetscher, der Griechisch und Deutsch konnte, beide Kaiser von seinen Kampfbedingungen in Kenntnis setzen. Der Bote überbringt seine Botschaft in der einen wie der anderen Sprache so gut, dass alle sie verstanden. Das ganze Heer ist in Aufruhr und Alarm, und sie sagen, Gott möge es verhindern, dass Cligès den Kampf aufnimmt. Und beide Kaiser sind darüber äußerst erschrocken, aber Cligès fällt ihnen zu Füßen und bittet sie, sich nicht zu beunruhigen, sondern ihm diesen Kampf, wenn er ihnen jemals einen Dienst erwiesen habe, als Lohn und Verdienst zuzugestehen. Wenn er ihm aber verweigert werde, werde er keinen Tag mehr nach dem Vorteil und der Ehre seines Onkels streben. Der Kaiser, dem sein Neffe so lieb war, wie es sich schickte, erhebt ihn mit der Hand und sagte zu ihm: „Lieber Neffe, es bekümmert mich sehr,

227

228

3985

3990

3995

4000

4005

4010

4015

4020

Text und Übersetzung

Ce que tant vos sai conbatant ; Qu’aprés joie duel an atant. Lié m’avez fet, nel puis noiier, Mes mout me grieve a otreiier, Qu’a la bataille vos anvoi, Por ce que trop anfant vos voi. Et tant vos resai de fier cuer, Que je n’os desdire a nul fuer Rien, qui vos pleise a demander ; Que solemant por comander Seroit il fet, ce sachiez bien ; Mes se proiiere i valoit rien, Ja cest fes n’anchargeriiez. » « Sire, de neant pleideiiez », Fet Cligés ; « que, Des me confonde, Je n’an prandroie tot le monde, Que la bataille ne feïsse. Ne sai, por quoi vos i queïsse Lonc respit ne longue demore. » L’anperere de pitié plore, Et Cligés replore de joie, Quant la bataille li otroie. La ot ploree mainte lerme, Ne n’i ot pris respit ne terme : Einçois qu’il fust ore de prime, Par le suen message meïme Fu la bataille au duc mandee Si come il l’avoit demandee. Li dus, qui cuide et croit et panse Que Cligés n’et vers lui deffanse, Que tost mort et conquis ne l’et, Isnelemant armer se fet. Cligés, cui la bataille tarde, De tot ce ne cuide avoir garde, Que bien vers lui ne se deffande. L’anpereor armes demande Et viaut que chevalier le face. Et l’anperere por sa grace Li done armes, et cil les prant,

3983–4021

3985

3990

3995

4000

4005

4010

4015

4020

dass Ihr so kampfbegierig seid, denn nach der Freude kommt das Leid. Ihr habt mir Freude bereitet, ich kann es nicht leugnen, aber die Erlaubnis, Euch in den Kampf zu schicken, erfüllt mich mit Sorge, weil Ihr mir noch zu jung erscheint. Und ich weiß, dass Euer Herz so tapfer ist, dass ich Euch um keinen Preis einen Wunsch abzuschlagen wage. Dass Ihr nur zu gebieten braucht, um etwas zu erlangen, das wisst Ihr wohl. Doch wenn meine Bitte irgendein Gewicht haben kann, dann würdet Ihr Euch nicht mit dieser Last beschweren.“ „Herr, Ihr redet umsonst,“ antwortet Cligès, „Gott möge mich vernichten, wenn ich für diesen Kampf nicht auf die ganze Welt verzichten würde. Ich weiß nicht, warum ich Euch um langen Aufschub und um längeres Zögern ersuchen sollte.“ Der Kaiser weint aus Mitleid, und Cligès weint vor Freude, als er ihm den Kampf zugesteht. Manche Träne wurde da vergossen, aber man zögerte und verweilte nicht. Noch vor sechs Uhr am nächsten Morgen wurde dem Herzog durch seinen eigenen Boten angekündigt, dass der Kampf so stattfinden werde, wie er es verlangt hatte. Der Herzog, der denkt und zuversichtlich ist, dass Cligès sich gegen ihn nicht behaupten kann und er ihn rasch getötet und besiegt haben wird, lässt sich in aller Eile wappnen. Cligès, der ungeduldig den Kampf erwartet, glaubt seinerseits, nicht auf der Hut sein zu müssen und sich gut gegen ihn behaupten zu können. Er erbittet vom Kaiser Waffen und möchte, dass er ihn zum Ritter schlägt. Und der Kaiser beschenkt ihn großzügig mit Waffen, und Cligès nimmt sie,

229

230

4025

4030

4035

4040

4045

4050

4055

4060

Text und Übersetzung

Cui li cuers de bataille esprant, Et mout la desirre et covoite. De lui armer mout tost s’esploite : Quant armez fu de chief an chief, L’anperere, cui mout fu grief, Li va l’espee çaindre au flanc. Cligés dessor l’arabi blanc S’an monte armez de totes armes, A son col pant par les enarmes Un escu d’un os d’olifant, Tel qui ne brise ne ne fant, Ne n’i ot color ne painture : Tote fu blanche l’armeüre, Et li destriers et li hernois Fu toz plus blans que nule nois. Cligés et li dus sont armé, S’a li uns a l’autre mandé, Qu’a la mivoie assanbleront Et d’anbes parz lor janz seront Tuit sanz espees et sanz lances, Par seiremanz et par fiances, Que ja tant hardi n’i avra, Tant con la bataille durra, Qui s’ost movoir por nul afeire Ne plus qu’il s’oseroit l’uel treire. Par cest covant sont assanblé, S’a a chascun mout tart sanblé, Qu’avoir cuide chascuns la gloire Et la joie de la victoire. Mes ainz que cop feru i et, L’anpererriz mener s’i fet, Qui por Cligés est trespansee ; Mes de ce s’est bien apansee, Que s’il i muert, ele i morra. Ja conforz eidier n’i porra, Qu’avuec lui morir ne se lest ; Car sanz lui vie ne li plest. — Quant el chanp furent tuit venu, Haut et bas, juevrë et chenu,

4022–4060

4025

4030

4035

4040

4045

4050

4055

4060

weil er den Kampf brennend begehrt und ersehnt. Man beeilt sich eifrig, ihn zu rüsten. Als er von oben bis unten gewappnet war, gürtet der Kaiser, der sehr bekümmert war, ihm das Schwert um. In voller Rüstung steigt Cligès auf den weißen Araber, an dem Riemen an seinem Hals hängt ein Schild aus Elefantenknochen, einer, der nicht zerbricht und in Stücke geht. Darauf war keine Farbe oder Malerei, die Rüstung war ganz weiß, und das Pferd und der Panzer waren weißer als Schnee. Cligès und der Herzog sind gewappnet, und beide haben sich darauf verständigt, dass sie sich auf halbem Wege begegnen und auf beiden Seiten alle Leute ohne Schwert und ohne Lanze sein werden; es wird beeidet und beschworen, dass kein Mann so verwegen sein wird, sich unter welchen Umständen auch immer zu rühren, so wenig, wie er es wagen würde, sich ein Auge auszustechen, solange der Kampf dauern wird. Nach dieser Übereinkunft haben sie sich versammelt, und jedem ist die Zeit sehr lang erschienen, denn jeder hofft, den Ruhm und die Freude des Sieges davonzutragen. Aber bevor ein Schlag ausgeteilt war, lässt sich die Kaiserin dorthin führen, die um Cligès in großer Sorge ist. Aber sie ist fest entschlossen, dass, wenn er dort stirbt, sie ebenfalls dort sterben wird. Denn kein Trost wird sie daran hindern können, sich mit ihm im Tod zu vereinigen, denn ohne ihn will sie nicht leben. Als alle auf das Feld gekommen waren – hoch und nieder, jung und alt –,

231

232

4065

4070

4075

4080

4085

4090

4095

Text und Übersetzung

Et les gardes i furent mises, Lors ont andui les lances prises, Si s’antrevienent sanz feintise, Si que chascuns a lance brise Et des chevaus a terre vienent, Si que es seles ne se tienent Mes tost resont an piez drecié ; Car de rien ne furent blecié ; Si s’antrevienent sanz delai. As espees notent un lai Sor les hiaumes qui retantissent, Si que lor janz s’an esbaïssent, Et sanble a çaus qui les esgardent, Que li hiaume espraingnent et ardent. Et quant les espees ressaillent, Estanceles ardanz an saillent Aussi come de fer qui fume, Que li fevres bat sor l’anclume, Quant il le tret de la favarge. Mout sont andui li vassal large De cos doner a grant planté, S’a chascuns buene volanté De tost randre ce qu’il acroit, Ne cil ne cil ne s’an recroit, Que tot sanz conte et sanz mesure Ne rande chetel et usure Li uns a l’autre sanz respit. Mes le duc vient a grant despit Et mout an est iriez et chauz, Quant il as premerains assauz N’avoit Cligés conquis et mort. Un grant cop merveilleus et fort Li done tel, que a ses piez Est d’un genoil agenoilliez. Por le cop don Cligés cheï, L’anperere mout s’esbaï, N’onques mains esperduz ne fu, Que se il fust dessoz l’escu. Lors ne se puet mie tenir,

4061–4099

4065

4070

4075

4080

4085

4090

4095

und die Wächter ihre Positionen eingenommen hatten, da haben beide die Lanzen genommen und stürmen alles andere als geruhsam aufeinander los, so dass jeder die Lanze zerbricht und die Pferde zu Boden gehen und sie sich nicht im Sattel halten können. Aber gleich stehen sie wieder auf den Füßen, denn sie waren nicht verletzt, und schon wieder gehen sie aufeinander los. Mit den Schwertern spielen sie eine Melodie auf den Helmen, die davon widerhallen, so dass ihre Leute staunten, und es den Zuschauern erscheint, als ob die Helme Feuer fangen und brennen. Und als die Schwerter wieder losschlagen, sprühen feurige Funken wie bei einem glühenden Eisen, das der Schmied auf dem Amboss schlägt, nachdem er es aus der Glut gezogen hat. Beide Ritter sind sehr freigebig im Austeilen von zahllosen Schlägen, denn jeder will gern schnell zurückzahlen, was er erhält; beide werden nicht müde, weder der eine noch der andere, Kapital und Zinsen unverzüglich ohne Rechnung und ohne Maß zurückzuerstatten. Aber es verdrießt den Herzog sehr, und er ist sehr zornig und ergrimmt, weil er Cligès beim ersten Angriff nicht besiegt und getötet hatte. Einen erstaunlich großen und heftigen Schlag hat er ihm versetzt, so dass er zu seinen Füßen auf ein Knie gefallen ist. Über den Schlag, der Cligès zu Fall brachte, war der Kaiser sehr erschrocken; er wäre nicht weniger bestürzt gewesen, wenn er selbst unter dem Schild gewesen wäre. Da kann Fenice nicht mehr an sich halten,

233

234 4100

4105

4110

4115

4120

4125

4130

4135

Text und Übersetzung

Que qu’il l’an deüst avenir, Fenice, tant fu esbaïe, Qu’ele ne criast : « Des ! aïe ! » Au plus haut que ele onques pot. Mes ele ne cria qu’un mot ; Qu’erranmant li failli la voiz Et si cheï pasmee an croiz, Si qu’el vis s’est un po bleciee. Dui haut baron l’on redreciee, Si l’ont tant an piez sostenue Qu’ele est an son san revenue. Mes onques nus qui la veïst, Quel sanblant que ele feïst, Ne sot, por qu’ele se pasma. Onques nus hon ne l’an blasma, Einçois l’an ont loee tuit ; Car n’i a un seul qui ne cuit, Qu’autel feïst ele de lui, Se il fust an leu de celui ; Mes de tot ce neant n’i a. Cligés, quant Fenice cria, L’oï mout bien et antandi. La voiz force et cuer li randi, Si ressaut sus isnelemant Et vint au duc irieemant, Si le requiert et anvaïst, Si que li dus s’an esbaïst ; Car plus le trueve bateillant, Fort et legier et conbatant, Que il n’avoit fet, ce li sanble, Quant il vindrent premiers ansanble. Et por ce qu’il crient son assaut, Li dist : « Vaslez ! se Des me saut, Mout te voi corageus et preu. Mes se ne fust por mon neveu, Que je n’obliërai ja mes, Volantiers feïsse a toi pes Et la querele te laissasse, Que ja mes plus ne m’an meslasse. »

4100–4138 4100

4105

4110

4115

4120

4125

4130

4135

so sehr war sie erschrocken, welche Folgen es auch immer für sie haben sollte, dass sie, so laut sie nur konnte, rief: „Gott! Zur Hilfe!“ Aber nur diesen Schrei brachte sie heraus, danach versagte ihr die Stimme, und sie fiel in Ohnmacht, die Arme zum Kreuz ausgebreitet, wobei sie sich das Gesicht ein wenig verletzt hat. Zwei Fürsten haben sie wieder aufgerichtet und sie gestützt, bis sie wieder zu Bewusstsein gekommen ist. Aber keiner von denen, der sie sah, bemerkte trotz dieser Zeichen, warum sie ohnmächtig geworden war. Keiner tadelte sie dafür, vielmehr haben sie alle gelobt, denn keiner zweifelt daran, dass sie dasselbe für ihn getan hätte, wenn er an der Stelle Cligès’ gewesen wäre, aber all das ist überhaupt nicht wahr. Als Fenice ihren Schrei ausstieß, hörte und vernahm Cligès ihn sehr wohl. Die Stimme gab ihm Kraft und Mut zurück, er richtet sich auf der Stelle auf und stürzte sich wütend auf den Herzog, er fordert ihn heraus und fällt über ihn her, so dass der Herzog erstaunt ist, denn er findet ihn kämpferischer, stärker, gewandter und aggressiver, als er es, wie ihm scheint, bei ihrem ersten Zusammenstoß gewesen war. Und weil er seinen Angriff fürchtet, sagte er zu ihm: „Ritter! Gott helfe mir! Ich sehe, wie tapfer und tüchtig du bist. Und wenn es nicht um meinen Neffen ginge, den ich niemals vergessen werde, würde ich gern Frieden mit dir schließen und dir den Kampf erlassen und mich da nicht mehr einmischen.“

235

236 4140

4145

4150

4155

4160

4165

4170

4175

Text und Übersetzung

« Dus ! », fet Cligés, « que vos an plest ? Don ne covient que son droit lest Cil qui recovrer ne le puet ? De deus maus, quant feire l’estuet, Doit l’an le mains mauvés eslire. Quant a moi prist tançon et ire Vostre niés, ne fist pas savoir. Tot autel, ce poez savoir, Ferai de vos, se j’onques puis, Se buene pes an vos ne truis. » Li dus, cui sanble que Cligés Creissoit an force tot adés, Panse que miauz li vient assez, Ainz qu’il par soit del tot lassez, Que anmi son chemin recroie. Neporquant pas ne li otroie La verité tot an apert, Ainz dit : « Vaslez ! jant et apert Te voi mout et de grant corage. Mes trop par ies de juene aage : Por ce me pans et sai de fi, Que, se je te vainc et oci, Ja los ne pris n’i aquerroie, Ne ja prodome ne verroie, Oiant cui regehir deüsse, Que a toi conbatuz me fusse ; Qu’enor te feroie et moi honte. Mes se tu sez que enors monte, Granz enors te sera toz jorz Ce que solemant deus estorz T’ies anvers moi contretenuz. Or m’est cuers et talanz venuz, Que la querele te guerpisse Ne que a toi plus ne chanpisse. » « Dus ! », fet Cligés, « ne vos i vaut ! Oiant toz le diroiz an haut, Ne ja n’iert dit ne reconté, Que vos m’aiiez feite bonté, Ne que de moi aiiez merci. Oiant trestoz çaus qui sont ci

4139–4178

4140

4145

4150

4155

4160

4165

4170

4175

237

„Herzog,“ sagt Cligès, „was meint Ihr damit? Muss einer nicht auf sein Recht verzichten, wenn er es nicht erlangen kann? Von zwei Übeln muss man, wenn es nicht anders geht, das weniger Schlechte wählen. Euer Neffe handelte nicht klug, als er Kampf und Streit mit mir suchte. Genauso, dessen könnt Ihr sicher sein, werde ich mit Euch verfahren, sofern ich kann und Ihr meine Friedensbedingungen nicht akzeptiert.“ Der Herzog, dem es erscheint, als ob Cligès immer mehr an Kraft gewinnt, denkt, dass es wohl besser für ihn ist, auf halbem Wege aufzugeben, bevor er vollkommen erschöpft ist. Dennoch gesteht er ihm die Niederlage nicht in aller Offenheit ein, sondern sagt: „Knappe, ich finde, dass du höfisch, gewandt und sehr tapfer bist, aber du bist noch sehr jung, deshalb bin ich mir sicher, dass ich weder Ruhm noch Lob erwerbe, wenn ich dich besiege oder töte, und ich kenne keinen Ehrenmann, dem ich vor aller Ohren zu gestehen wagte, dass ich gegen dich gekämpft hätte. Denn damit würde ich dir Ehre erweisen und mir Schande bereiten. Aber wenn du weißt, was Ehre bedeutet, hast du für immer großen Ruhm erworben, weil du dich in zwei Angriffen gegen mich behauptet hast. Nun habe ich den Wunsch und den Willen, dir den Kampf zu erlassen und nicht mehr gegen dich zu kämpfen.“ „Herzog,“ sagt Cligès, „das gilt nicht! Das werdet Ihr laut vor aller Ohren sagen, damit man nicht behauptet und erzählt, dass Ihr mir eine Gnade erwiesen oder Erbarmen mit mir gehabt habt. Ihr werdet es laut vor allen, die hier sind,

238 4180

4185

4190

4195

4200

4205

4210

4215

Text und Übersetzung

Le vos covandra recorder, S’a moi vos volez acorder. » Li dus oiant toz le recorde. Einsi ont fet pes et acorde ; Mes comant que li plez soit pris, Cligés ot l’enor et le pris, Et li Gre mout grant joie an orent. Mes li Sesne rire n’an porent ; Car bien orent trestuit veü Lor seignor las et recreü, Ne ne fet pas a demander, Que, s’il le poïst amander, Ja ceste acorde ne fust feite, Ainz eüst Cligés l’ame treite Del cors, se il le poïst feire. Li dus an Seissoingne repeire Dolanz et maz et vergondeus ; Car de ses homes n’i a deus, Qui nel taingnent por mescheant, Por failli et por recreant. Li Sesne o tote lor vergoingne S’an sont retorné an Seissoingne. Et li Grezois plus ne sejornent, Vers Costantinoble retornent A grant joie et a grant leesce ; Car bien lor a par sa proesce Cligés aquitee la voie. Or ne les siut plus ne convoie Li anperere d’Alemaingne. Au congié de la jant grifaingne Et de sa fille et de Cligés Et de l’anpereor aprés Est an Alemaingne remés. Et li anperere des Gres S’an va mout bauz et mout heitiez. — Cligés, li preuz, li afeitiez, Panse au comandemant son pere. Se ses oncles, li anperere, Le congié li viaut otreiier, Requerre l’ira et proiier,

4179–4218

4180

4185

4190

4195

4200

4205

4210

4215

erklären müssen, wenn Ihr Euch mit mir versöhnen wollt.“ So gibt der Herzog vor aller Ohren die Erklärung ab. Da haben sie Frieden geschlossen und sich geeinigt, und wie immer die Übereinkunft getroffen wurde, Cligès hatte die Ehre und den Ruhm, und die Griechen freuten sich sehr darüber. Aber den Sachsen war nicht zum Lachen zumute, denn sie hatten alle gesehen, wie ihr Herr erschöpft und mutlos war, und es ist keine Frage, dass dieser Frieden, wenn er die Wahl gehabt hätte, nicht geschlossen worden wäre, vielmehr hätte er, wenn er es gekonnt hätte, Cligès die Seele aus dem Leib gejagt. Der Herzog von Sachsen zieht sich traurig und niedergeschlagen und voll Scham zurück, denn es gibt nicht zwei seiner Leute, die ihn nicht für einen Pechvogel, für verzagt und geschlagen halten. So sind die Sachsen, beschämt wie sie waren, nach Sachsen zurückgekehrt. Und auch die Griechen bleiben nicht länger und kehren mit Jubel und großer Freude nach Konstantinopel zurück, denn Cligès hat ihnen mit seiner Tapferkeit den Weg frei gemacht. Der Kaiser von Deutschland folgt ihnen und begleitet sie nun nicht länger. Nachdem er Abschied von den Griechen, von seiner Tochter und Cligès und schließlich vom Kaiser genommen hat, ist er in Deutschland zurückgeblieben. Und der Kaiser der Griechen reist froh und vergnügt weiter. – Cligès, tapfer und wohlerzogen, denkt an das Gebot seines Vaters. Wenn sein Onkel, der Kaiser, ihm erlauben wird fortzugehen, wird er ihn bitten,

239

240 4220

4225

4230

4235

4240

4245

4250

4255

Text und Übersetzung

Qu’an Bretaingne le lest aler A son oncle, le roi, parler ; Car conoistre et veoir le viaut. Devant l’anpereor s’aquiaut Et si li prie, se lui plest, Que an Bretaingne aler le lest Veoir son oncle et ses amis. Mout doucemant l’an a requis ; Mes ses oncles l’an escondit, Quant ot sa requeste et son dit Trestote oïe et escotee. « Biaus niés ! », fet il, « pas ne m’agree Ce que partir volez de moi. Ja cest congié ne cest otroi Ne vos donrai qu’il ne me griet ; Car mout me plest et mout me siet, Que vos soiiez conpainz et sire Avuec moi de tot mon anpire. » Or n’ot pas chose, qui li siee Cligés, quant ses oncles li viee Ce qu’il li demande et requiert, Et dist : « Biaus sire ! a moi n’afiert, Ne tant preuz ne sages ne sui, Que avuec vos n’avuec autrui Ceste conpaignie reçoive, Que anpire maintenir doive ; Trop sui anfes et petit sai. Por ce toche an l’or a l’essai, Qu’an viaut savoir, se il est fins. Aussi vuel je, ce est la fins, Moi essaiier et esprover La ou je cuit l’essai trover. An Bretaingne, se je sui preuz, Me porrai tochier a la queuz Et a l’essai fin et verai, Ou ma proesce esproverai. An Bretaingne sont li prodome, Qu’enors et proesce renome. Et qui viaut enor gueaignier,

4219–4257

4220

4225

4230

4235

4240

4245

4250

4255

241

dass er ihn nach Britannien reisen lässt, damit er mit seinem Onkel, dem König, sprechen kann, denn er möchte ihn sehen und kennenlernen. Er begibt sich zum Kaiser und bittet ihn, wenn es ihm recht sei, ihn nach Britannien reisen zu lassen, damit er seinen Onkel und seine Verwandten besuchen kann. Sehr höflich hat er ihn darum gebeten, aber sein Onkel hat es ihm abgeschlagen, nachdem er seine Bitte und seine Rede angehört hatte. „Lieber Neffe,“ sagt er, „es gefällt mir nicht, dass Ihr mich verlassen wollt. Diese Erlaubnis werde ich Euch nicht geben, ohne dass es mich bekümmert. Denn ich möchte gern und es ist mir sehr recht, wenn Ihr mit mir gemeinsam Teilhaber und Herr über mein gesamtes Reich werdet.“ Cligès missfällt es zu vernehmen, dass sein Onkel ihm versagt, worum er ihn bittet und ersucht hat. Und er sagte: „Lieber Herr, es kommt mir nicht zu, denn ich bin nicht so tapfer und so klug, um mit Euch oder einem anderen gemeinsam das Reich zu regieren. Ich bin noch zu jung und unerfahren. Man unterwirft Gold einer Probe, wenn man wissen will, ob es rein ist. Ebenso will ich, das ist mein Ziel, mich dort bewähren und erproben, wo ich den Prüfstein zu finden glaube. In Britannien werde ich mich, wenn ich tapfer bin, an dem Stein messen und mich einer echten, außerordentlichen Probe unterziehen können, durch die ich meinen Wert beweisen werde. In Britannien sind die Edelleute wegen ihrer Ehre und Tapferkeit berühmt. Und wer Ruhm erlangen will,

242

4260

4265

4270

4275

4280

4285

4290

4295

Text und Übersetzung

A çaus se doit aconpaignier ; Qu’enor i a et si gueaingne, Qui a prodome s’aconpaingne. Por ce le congié vos demant, Et sachiez bien certainnemant, Que, se vos ne m’i anveiiez Et le don ne m’an otreiiez, Que j’irai sanz vostre congié. » « Biaus niés ! einçois le vos doing gié, Quant je vos voi de tel meniere, Que par force ne par proiiere Ne vos porroie retenir. Or vos doint Des del revenir Corage et volanté par tans, Des que proiiere ne deffans Ne force n’i avroit mestier. D’or et d’arjant plus d’un sestier Vuel, que vos an façoiz porter, Et chevaus por vos deporter Vos donrai tot a vostre eslite. » N’ot pas bien sa parole dite, Quant Cligés li a ancliné. Tot quanque li a destiné Li anpereres et promis, Li fu devant maintenant mis. Cligés, tant con lui plot et sist, D’avoir et de conpaignons prist ; Mes a oés le suen cors demainne Quatre chevaus divers an mainne, Un blanc, un sor, un fauve, un noir. Mes trespassé vos dui avoir Ce qu’a trespasser ne fet mie. Cligés a Fenice, s’amie, Va congié prandre et demander ; Qu’a De la voldra comander. Devant li vient, si s’agenoille Plorant si que des lermes moille Tot son blïaut et son ermine, Et vers terre ses iauz ancline ;

4258–4296

4260

4265

4270

4275

4280

4285

4290

4295

sollte ihre Gesellschaft suchen, denn dort ist der Ruhm, und es ist ein Gewinn, wenn man sich in die Gesellschaft eines Edelmannes begibt. Darum bitte ich Euch um die Erlaubnis, fortgehen zu dürfen, und ich versichere Euch mit Bestimmtheit, dass ich auch ohne Eure Erlaubnis fortgehen werde, wenn Ihr mich nicht dorthin schickt und mir die Erlaubnis verweigert.“ „Edler Neffe, ich gebe sie Euch lieber, da ich sehe, dass Ihr fest entschlossen seid und ich Euch weder durch Gewalt noch durch Bitten zurückhalten könnte. Da nun weder Bitte noch Verbot oder Gewalt etwas nützen, möge Gott Euch den Wunsch und das Verlangen schenken, bald zurückzukehren. Ich will, dass Ihr mehr als ein Hohlmaß Gold und Silber mitnehmt, und ich werde Euch zu Eurem Vergnügen Pferde ganz nach Eurer Wahl schenken.“ Kaum hatte er seine Rede beendet, da hat Cligès sich vor ihm verneigt. Alles, was der Kaiser ihm zugebilligt und versprochen hatte, wurde sogleich vor ihn gebracht. Cligès nahm soviel Geld und Gefährten, wie er wollte und es ihm genehm war, und zu seinem eigenen Gebrauch nimmt er vier verschiedene Pferde mit: ein weißes, ein goldfarbenes, ein fahlrotes, ein schwarzes. Aber ich muss euch etwas unterschlagen haben, was nicht unterschlagen werden darf. Cligès geht zu Fenice, seiner Freundin, um sie um die Erlaubnis zu bitten, fortgehen zu dürfen; und er möchte sie Gott anbefehlen. Er tritt vor sie und kniet nieder und weint so sehr, dass sein Gewand mitsamt dem Hermelin von seinen Tränen durchnässt wird, und er senkt seine Augen zu Boden,

243

244

4300

4305

4310

4315

4320

4325

4330

4335

Text und Übersetzung

Que de droit esgarder ne l’ose, Aussi come d’aucune chose Et vers li mespris et forfet, Si sanble que vergoingne an et. Et Fenice, qui le regarde Come peoreuse et coarde, Ne set, ques afeires le mainne, Se li a dit a quelque painne : « Amis, biaus sire ! levez sus ! Seez lez moi, ne plorez plus Et dites moi vostre pleisir. » « Dame ! que dire ? que teisir ? Congié vos quier. » — « Congié ? De quoi ? » « Dame ! an Bretaingne aler an doi. » « Donc me dites, por quel besoigne, Einçois que le congié vos doingne. » « Dame ! mes pere me pria, Quant il morut et devia, Que por rien nule ne leissasse Qu’an Bretaingne ne m’an alasse, Tantost con chevaliers seroie. Por rien nule je ne voldroie Son comandemant trespasser. Ne m’estovra gueires lasser Por aler de ci jusque la. Jusqu’an Grece mout grant voie a, Et se je an Grece an aloie, Trop me seroit longue la voie De Costantinoble an Bretaingne. Mes droiz est, qu’a vos congié praingne Come a celi cui je sui toz. » Mout ot fet sospirs et sangloz Au partir celez et coverz ; Qu’ains nus n’ot tant les iauz overz Ne tant n’i oï cleremant, Qu’aparcevoir certainnemant D’oïr ne de veoir seüst, Que antre aus deus amor eüst. Cligés, ja soit ce qu’il li poist, S’an part tantost come il li loist.

4297–4336

4300

4305

4310

4315

4320

4325

4330

4335

245

denn er wagt nicht, sie direkt anzuschauen, als ob er ihr irgendetwas angetan oder ein Unrecht an ihr begangen hätte, so sehr erscheint er von Scham erfüllt. Und Fenice, die ihn angstvoll und verzagt ansieht und nicht weiß, was ihn zu ihr führt, hat mit einiger Mühe zu ihm gesagt: „Freund, edler Herr, erhebt Euch! Setzt Euch zu mir, hört auf zu weinen und sagt mir, was Ihr wünscht.“ „Madame! Was sagen? Was verschweigen? Ich bitte Euch um die Erlaubnis fortzugehen.“ „Fortgehen? Wieso?“ „Madame, ich muss nach Britannien reisen.“ „Bevor ich Euch die Erlaubnis gebe, sagt mir, aus welchem Grund.“ „Madame, mein Vater bat mich, als er starb und aus dem Leben schied, dass ich es auf keinen Fall unterlassen sollte, nach Britannien zu reisen, sobald ich Ritter geworden wäre. Um nichts auf der Welt möchte ich gegen sein Gebot verstoßen. Ich darf nicht länger zögern, von hier dorthin zu reisen, denn bis nach Griechenland ist der Weg sehr lang, und wenn ich dorthin reiste, wäre mir der Weg von Konstantinopel bis nach Britannien zu weit. Aber es ist recht, dass ich Euch um Erlaubnis bitte, da ich ganz der Eure bin.“ Versteckt und offen wurde beim Abschied sehr geschluchzt und geseufzt. Aber niemand hielt die Augen so weit auf oder hatte die Ohren so gespitzt, dass er durch Hören oder Sehen sich davon hätte überzeugen können, dass die beiden sich liebten. Cligès reist trotz seines Kummers ab, sobald es ihm erlaubt wird.

246

4340

4345

4350

4355

4360

4365

4370

4375

Text und Übersetzung

Pansis s’an va, pansis remaint Li anperere et autre maint, Mes Fenice est sor toz pansive : Ele ne trueve fonz ne rive El panser, dont ele est anplie, Tant li abonde et mouteplie. Pansive est an Grece venue : La fu a grant enor tenue Come dame et anpererriz ; Mes ses cuers et ses esperiz Est a Cligés, quel part qu’il tort, Ne ja ne quiert qu’a li retort Ses cuers, se cil ne li raporte, Qui muert del mal, dont il l’a morte. Et s’il garist, ele garra, Ne ja cil ne le conparra, Que cele aussi ne le conpert. An sa color ses maus apert, Car mout est palie et changiee. Mout est de sa face estrangiee La colors fresche et clere et pure, Que assisse i avoit Nature. Sovant plore, sovant sospire : Mout li est po de son anpire Et de la richesce qu’ele a. L’ore que Cligés s’an ala, Et le congié qu’il prist a li, Come il chanja, come il pali, Les lermes et la contenance A toz jorz an sa remanbrance ; Qu’aussi vint devant li plorer, Con s’il la deüst aorer, Hunbles et sinples a genouz. Tot ce li est pleisant et douz A recorder et a retreire. Aprés por buene boche feire Met sor sa langue an leu d’espece Un douz mot, que por tote Grece Ne voldroit que cil qui le dist, An celui san qu’ele le prist

4337–4376

4340

4345

4350

4355

4360

4365

4370

4375

247

In Gedanken versunken reist er ab, in Gedanken versunken bleibt der Kaiser und manch anderer zurück. Vor allem aber Fenice ist in Gedanken versunken, sie findet weder Grund noch Ufer in den Gedanken, von denen sie erfüllt ist, so reichlich sind sie und vervielfältigen sie sich. Noch immer in Gedanken versunken ist sie in Griechenland angelangt, wo ihr große Ehre als Herrscherin und Kaiserin erwiesen wurde. Aber ihr Herz und ihre Seele gehören Cligès, wohin auch immer er sich wenden mag, und sie wünscht nicht, dass ihr Herz jemals zu ihr zurückkehrt, wenn derjenige es ihr nicht zurückbringt, der an demselben Kummer vergeht, mit dem er sie getötet hat. Und wenn er Heilung finden sollte, wird auch sie geheilt werden, und er wird für nichts bezahlen, wofür nicht auch sie bezahlt. Ihr Kummer wird an ihrem Aussehen sichtbar, denn sie ist sehr blass und verändert. Von ihrem Antlitz ist der frische, strahlende und reine Teint gewichen, mit dem die Natur es versehen hatte. Oft weint und seufzt sie, nichts macht sie sich aus ihrem Imperium und dem großen Reichtum, den sie besitzt. Den Augenblick, als Cligès fortging und Abschied von ihr nahm, wie verändert und wie blass er war, seine Tränen und seine Miene, behält sie für immer in Erinnerung; wie er kam und vor ihr weinte, als ob er sie anbeten müsste, demütig und schüchtern kniend. All dies ist ihr lieb und angenehm, sich daran zu erinnern und daran zu denken. Dann legt sie, um sich eine Gaumenfreude zu bereiten, statt eines Gewürzes ein süßes Wort auf ihre Zunge, von dem sie um ganz Griechenland nicht wollte, dass der, der es gesagt hatte, es nicht so gemeint hätte,

248

4380

4385

4390

4395

4400

4405

4410

4415

Text und Übersetzung

I eüst pansee feintié ; Qu’ele ne vit d’autre deintié, Ne autre chose ne li plest. Cist seus moz la sostient et pest Et tot son mal li assoage. D’autre mes ne d’autre bevrage Ne se quiert pestre n’abevrer ; Car quant ce vint au dessevrer, Dist Cligés qu’il estoit ’toz suens.’ Cist moz li est si douz et buens, Que de la langue au cuer li toche, Sel met el cuer et an la boche Por ce que plus an soit seüre. Dessoz nule autre serreüre N’ose cest tresor estoiier. Nel porroit si bien aloiier An autre leu come an son cuer. Ja nel metra fors a nul fuer, Tant crient larrons et robeors ; Mes de neant li vient peors Et por neant crient les escobles ; Car cist avoirs n’est mie mobles, Ainz est aussi come edefiz, Qui ne puet estre desconfiz Ne par deluge ne par feu, Ne ja ne se movra d’un leu. Mes ele n’an est pas certainne : Por ce met cusançon et painne A ancerchier et a aprandre, A quoi ele se porra prandre ; Qu’an plusors menieres l’espont. A li sole opose et respont, Et fet tel oposicion : « Cligés par quel antancion ’Je sui toz vostre’ me deïst, S’amors dire ne li feïst ? De quoi le puis je justisier, Por quoi tant me doie prisier, Que dame me face de lui ? N’est il plus biaus que je ne sui

4377–4416

4380

4385

4390

4395

4400

4405

4410

4415

wie sie es verstand. Von keiner anderen Leckerei lebt sie und nichts anderes sagt ihr zu. Dieses Wort allein erhält und nährt sie und lindert all ihren Kummer. An keiner anderen Speise will sie sich laben und sich an keinem anderen Getränk ergötzen. Denn als sie Abschied nahmen, hatte Cligès gesagt, dass er ‚ganz der Ihre‘ wäre. Dieses Wort ist ihr so süß und angenehm, dass es ihr von der Zunge ins Herz geht. Sie legt das Wort in Herz und Mund, um seiner umso gewisser zu sein. Hinter keinem anderen Schloss wagt sie diesen Schatz zu verbergen; an keinem Ort hätte sie ihn besser verwahren können als in ihrem Herz. Um keinen Preis wird sie ihn herausholen, so sehr fürchtet sie Diebe und Räuber. Aber ihre Furcht ist grundlos und ohne Grund fürchtet sie die Gabelweihen, denn dieser Schatz ist überhaupt nicht beweglich, er ist vielmehr wie ein Gebäude, das weder durch eine Sintflut noch durch Feuer zerstört werden kann und sich niemals von der Stelle bewegen wird. Aber sie ist sich dessen nicht sicher, darum verwendet sie Mühe und Sorge darauf, herauszufinden und zu erfahren, woran sie sich halten kann, denn auf mehrfache Weise deutet sie die Worte aus. Sie bringt Einwände vor und entkräftet sie in einem. So erhebt sie folgenden Einspruch: „Mit welcher Absicht hätte Cligès ‚Ich bin ganz der Eure‘ sagen sollen, wenn nicht aus Liebe? Welche Macht könnte ich über ihn haben, dass er mich so hoch schätzen und zu seiner Herrin machen sollte? Ist er nicht schöner

249

250

4420

4425

4430

4435

4440

4445

4450

4455

Text und Übersetzung

Et mout plus jantis hon de moi ? Nule rien fors amor n’i voi, Qui cest don me poïst franchir. Par moi, qui ne li puis ganchir, Proverai que, s’il ne m’amast, Ja por miens toz ne se clamast : Ne plus que je soe ne fusse Tote, ne dire nel deüsse, S’amors ne m’eüst a lui mise, Ne redeüst an nule guise Cligés dire qu’il fust toz miens, S’amors ne l’a an ses liiens. Car s’il ne m’aimme, il ne me dote. Amors, qui me done a lui tote, Espoir le me redone tot ; Mes ce me resmaie de bot, Que c’est une parole usee, Si repuis tost estre amusee ; Car tes i a, qui par losange Dïent nes a la jant estrange : ’Je sui toz vostre et quanque j’ai’, Si sont plus jeingleor que jai. Donc ne me sai a quoi tenir ; Car ce porroit tost avenir, Qu’il le dist por moi losangier. Mes je li vi color changier Et plorer mout piteusemant. Les lermes au mien jugemant Et la chiere honteuse et mate Ne vindrent mie de barate ; N’i ot barat ne tricherie. Li oel ne m’an mantirent mie, Don je vi les lermes cheoir. Assez i poi sanblanz veoir D’amor, se je neant an sai. Oïl ! tant que mar le pansai. Mar l’ai apris et retenu ; Car trop m’an est mesavenu. Mesavenu ? Voire, par foi ! Morte sui, quant celui ne voi,

4417–4456

4420

4425

4430

4435

4440

4445

4450

4455

und edlerer Herkunft als ich? Außer Amor kenne ich niemanden, der mir dieses Geschenk machen könnte. Ich, die ich Amors Macht nicht entkommen kann, werde beweisen, dass er sich nicht ganz als der Meine bezeichnet hätte, wenn er mich nicht liebte. Ebenso wenig wie ich sagen dürfte, dass ich ganz die Seine bin, wenn Amor mich ihm nicht gegeben hätte, hätte auch Cligès auf keinen Fall sagen dürfen, dass er ganz der Meine sei, wenn Amor ihn nicht in seinen Banden hätte. Denn wenn er mich nicht liebt, fürchtet er mich nicht. Ich hoffe, dass Amor, der mich ihm ganz schenkt, ihn mir im Gegenzug auch ganz schenkt. Aber es beunruhigt mich sehr, dass es sich um eine geläufige Redewendung handelt und ich mich auch vollkommen täuschen könnte. Denn es gibt manche, die aus Schmeichelei selbst zu Fremden sagen: ‚Ich bin ganz der Ihre mit allem, was ich besitze‘, das sind größere Schwätzer als Eichelhäher. So weiß ich nicht, woran ich mich halten soll, denn es könnte wohl sein, dass er es nur sagte, um mir zu schmeicheln. Aber ich sah, wie er blass wurde und so kläglich weinte. Nach meinem Eindruck waren die Tränen und die traurige und schamvolle Miene keineswegs vorgetäuscht, da war kein Schwindel oder Betrug. Die Augen, aus denen ich Tränen fließen sah, haben mich gewiss nicht betrogen. Da konnte ich genug Zeichen der Liebe sehen, sofern ich etwas davon verstehe. Ach, zu meinem Unheil habe ich daran gedacht! Zu meinem Unheil habe ich es bemerkt und behalten, denn zuviel Kummer habe ich deshalb erfahren. Kummer? Ja, wirklich! Ich sterbe, wenn ich den nicht sehe,

251

252

4460

4465

4470

4475

4480

4485

4490

4495

Text und Übersetzung

Qui de mon cuer m’a desrobee, Tant m’a losangiee et lobee. Par sa lobe et par sa losange Mes cuers de son ostel s’estrange Ne ne viaut o moi remenoir, Tant het mon estre et mon menoir. Par foi ! donc m’a il maubaillie, Qui mon cuer a an sa baillie. Qui me desrobe et tot le mien, Ne m’aimme pas, je le sai bien. Jel sai ? Por quoi ploroit il dons ? Por quoi ? Ne fu mie an pardons, Qu’assez i ot reison por quoi. N’an doi neant prandre sor moi ; Car de jant, qu’an aint et conoisse, Se part an a mout grant angoisse. Quant il leissa sa conoissance, S’il an ot enui et pesance, Et s’il plora, ne m’an mervoil. Mes qui li dona cest consoil, Qu’an Bretaingne alast demorer, Ne me poïst miauz acorer. Acorez est, qui le cuer pert. Mal doit avoir, qui le dessert ; Mes je ne le desservi onques. Ha, dolante ! por quoi m’a donques Cligés morte sanz nul forfet ? Mes de neant le met an plet ; Car je n’i ai nule reison. Ja Cligés an nule seison Ne m’esloignast, ce sai je bien, Se ses cuers fust parauz au mien. Ses parauz, je cuit, n’est il mie. Et se li miens prist conpaignie Au suen, ne ja n’an partira, Ja sanz le mien li suens n’ira ; Car li miens le siut an anblee : Tel conpaignie ont assanblee. Mes a la verité retreire, Il sont mout divers et contreire.

4457–4496

4460

4465

4470

4475

4480

4485

4490

4495

253

der mir mit seinem Schmeicheln und seinen schönen Worten das Herz geraubt hat. Um seiner schönen Worte und seines Schmeichelns willen hat mein Herz seine Wohnung verlassen und will nicht zu mir zurückkehren, so sehr hasst es mich und mein Haus. Wirklich, der hat mir übel mitgespielt, der mein Herz in seinem Besitz hat. Wer es mir und allen meinen Besitz raubt, kann mich nicht lieben, das weiß ich wohl. Weiß ich das? Warum weinte er dann aber? Warum? Das war keineswegs einfach nur so, denn es gab Gründe genug dafür. Nur darf ich es keineswegs auf mich beziehen, denn man nimmt von Leuten, die man liebt und kennt, mit großem Schmerz Abschied, und so wundert es mich nicht, dass er traurig und bekümmert war und weinte, als er die verließ, die ihm vertraut waren. Aber der, welcher ihm den Rat gab, nach Britannien zu reisen, hätte mich nicht schlimmer treffen können. Tödlich getroffen ist, wer sein Herz verliert. Wer dies verdient, dem soll Übles geschehen; ich aber habe es nicht verdient. Oh, ich Unglückliche, warum nur hat Cligès mich getötet, ohne dass ich ein Unrecht begangen hätte? Aber ich klage ihn zu Unrecht an, ich habe keinen Grund dazu. Denn ich weiß wohl, dass er sich niemals von mir entfernt hätte, wenn sein Herz dem meinen gliche. Aber es ist, glaube ich, überhaupt nicht gleich. Und wenn meines sich dem seinen zugesellt hat, wird es sich niemals von ihm trennen, denn das seine wird ohne das meine nicht fortgehen, weil das meine ihm heimlich folgt, solch eine Gemeinschaft haben sie gebildet. Aber um die Wahrheit zu sagen, sie sind sehr verschieden und gegensätzlich.

254

4500

4505

4510

4515

4520

4525

4530

4535

Text und Übersetzung

Comant sont contreire et divers ? Li suens est sire, et li miens sers, Et li sers maleoit gre suen Doit feire a son seignor son buen Et leissier toz autres afeires. Mes moi que chaut ? Lui n’an est gueires De mon cuer ne de mon servise. Mout me grieve ceste devise, Que li uns est sire des deus. Por quoi ne puet li miens toz seus Autretant con li suens par lui ? Si fussent d’un pooir andui. Pris est mes cuers ; qu’il ne se puet Movoir, se li suens ne se muet. Et se li suens oirre ou sejorne, Li miens tote voie s’atorne De lui siure et d’aler aprés. Des ! que ne sont li cors si pres, Que je par aucune meniere Ramenasse mon cuer arriere ! Ramenasse ? Fole mauveise, Si l’osteroie de son eise, Einsi le porroie tuër. La soit ! ja nel quier remuër, Ainz vuel qu’a son seignor remaingne Tant que de lui pitiez li praingne ; Qu’einçois devra il la que ci De son serjant avoir merci, Por ce qu’il sont an terre estrange. S’il set bien servir de losange, Si come an doit servir a cort, Riches sera ainz qu’il s’an tort. Qui viaut de son seignor bien estre Et delez lui seoir a destre, Si come ore est us et costume, Del chief li doit oster la plume, Nes lors quant il n’an i a point. Mes ci a un mout mauvés point : Quant il l’aplaingne par defors, Et se il a dedanz le cors

4497–4536

4500

4505

4510

4515

4520

4525

4530

4535

Wieso sind sie gegensätzlich und verschieden? Seines ist Herr, meines Sklave, und der Sklave muss auch gegen seinen Willen für das Wohl seines Herrn sorgen und alles andere unterlassen. Aber was geht mich das an? Er macht sich nichts aus meinem Herzen und meinem Dienst. Diese ungleiche Verteilung ist mir sehr leid, dass eines der beiden Herr über beide ist. Warum ist das meine nicht ebenso unabhängig wie das seine? Beide hätten dann die gleiche Macht. Mein Herz ist gefangen, so dass es sich nicht bewegen kann, wenn sich seines nicht bewegt. Und wenn seines herumwandert oder irgendwo Halt macht, ist meines stets bereit, ihm zu folgen und hinterher zu laufen. Gott! Warum sind unsere Körper sich nicht so nahe, dass ich auf irgendeine Weise mein Herz zurücknehmen könnte! Zurücknehmen? Schlecht und dumm wäre ich, wenn ich es seinem Glück entreißen würde, ebenso könnte ich es töten. Es soll dort bleiben! Ich will es nicht bewegen, vielmehr will ich, dass es bei seinem Herrn bleibt, bis dieser Erbarmen mit ihm hat. Denn eher dort als hier sollte er mit seinem Diener Erbarmen haben, weil sie beide in der Fremde sind. Wenn es sich gut auf die Kunst des Schmeichelns versteht, mit der man am Hof zu Diensten sein muss, wird es reich sein, wenn es zurückkehrt. Wer sich mit seinem Herrn gutstellen und zu seiner Rechten neben ihm sitzen will, so wie es heute Brauch und Sitte ist, der muss ihm die Feder aus dem Haar entfernen, auch wenn dort gar keine ist. Aber dabei ist eines sehr ärgerlich, denn wenn einer seinem Herrn äußerlich schmeichelt und dieser im Inneren

255

256

4540

4545

4550

4555

4560

4565

4570

4575

Text und Übersetzung

Ne mauvestié ne vilenie, Ja n’iert tant cortois, qu’il li die, Ainz li fet cuidier et antandre, Qu’a lui ne se porroit nus prandre De proesce ne de savoir, Si cuide cil qu’il die voir. Mal se conoist, qui autrui croit De chose qui an lui ne soit ; Car quant il est fel et anrievres, Mauvés et coarz come lievres, Chiches et fos et contrefez Et vilains an diz et an fez, Le prise par devant et loe Tes qui detrés li fet la moe ; Mes einsi le loe oiant lui, Quant il an parole a autrui, Et si fet quainses, que il n’ot De quanque antre aus deus dïent mot ; Mes, s’il cuidoit qu’il ne l’oïst, Ja ne diroit, don cil joïst. Et se ses sire viaut mantir, Il est toz prez del consantir, Et quanqu’il dit, por voir afiche, Ja n’an avra la langue chiche. Qui les corz et les seignors onge, Servir le covient de mançonge. Autel covient que mes cuers face, S’avoir viaut de son seignor grace ; Loberre soit et losangiers. Mes Cligés est tes chevaliers, Si biaus, si frans et si leaus, Que ja n’iert mançongiers ne faus Mes cuers, tant le sache loer ; Qu’an lui n’a rien a amander. Por ce vuel que mes cuers le serve ; Car li vilains dit an sa verve : ’Qui a prodome se comande, Mauvés est, s’antor lui n’amande’. » Einsi travaille amors Fenice.

4537–4575

4540

4545

4550

4555

4560

4565

4570

4575

257

schlecht und gemein ist, wird er niemals so ehrlich sein, es ihm zu sagen, sondern er wird ihn glauben und hören lassen, dass niemand ihm an Klugheit und Tapferkeit das Wasser reichen könne. Und der Herr glaubt, dass er die Wahrheit sagt. Der kennt sich selbst schlecht, der anderen etwas glaubt, über das er gar nicht verfügt. Denn wenn ein Herr untreu und halsstarrig und schlecht ist und feige wie ein Hase, geizig und dumm und hässlich und gemein in Tat und Wort, schneidet manch einer, der ihn öffentlich lobt und ihm schmeichelt, hinter seinem Rücken Grimassen. In seiner Gegenwart lobt er ihn, wenn er zu einem anderen über ihn spricht, und tut dabei so, als ob er meint, der Herr höre nicht, worüber sie beide sich unterhalten. Wenn er aber glauben würde, dass er es nicht hörte, würde er nicht sagen, was dem Herrn gefällt. Und wenn es seinem Herrn gefällt zu lügen, ist er schnell bereit, ihm zuzustimmen, und was immer er sagt, als wahr zu bestätigen, ohne mit Worten zu geizen. Wer an Höfen und mit Herren Umgang pflegt, der muss mit Lügen zu Diensten sein. Das muss auch mein Herz tun, wenn es das Wohlwollen seines Herrn erlangen will. Ein Schönredner und Schmeichler soll es sein! Aber Cligès ist ein so schöner, edler und treuer Ritter, dass mein Herz niemals falsch und lügnerisch sein wird, so sehr es ihn auch loben mag, denn nichts gibt es an ihm auszusetzen. Darum möchte ich, dass mein Herz ihm dient, denn der gemeine Mann sagt in seinem Sprichwort: ‚Wer sich in den Dienst eines Edelmannes begibt, ist schlecht, wenn er in seiner Gesellschaft nicht besser wird.‘“ So quält Amor Fenice.

258

4580

4585

4590

4595

4600

4605

4610

4615

Text und Übersetzung

Mes cist travauz li est delice, Qu’ele ne puet estre lassee. — — — Et Cligés a la mer passee, S’est a Galinguefort venuz. La s’est richemant contenuz A bel ostel a grant despanse ; Mes toz jorz a Fenice panse, N’onques ne l’antroblie une ore. La ou il sejorne et demore, Ont tant anquis et demandé Sa janz, cui il l’ot comandé, Que dit et reconté lor fu, Que li baron le roi Artu Et li cors meïsmes le roi Avoient anpris un tornoi Es plains devant Ossenefort, Qui pres est de Galinguefort. Einsi iere anpris li estorz, Qu’il devoit durer quatre jorz. Mes ainz porra mout sejorner Cligés a son cors atorner, Se riens li faut andemantiers ; Car plus de quinze jorz antiers Avoit jusqu’au tornoiemant. A Londres fet isnelemant Trois de ses escuiiers aler, Si lor comande a achater Trois peire d’armes desparoilles, Unes noires, autres vermoilles, Les tierces verz, et au repeire Comande que chascune peire Soit coverte de toile nueve ; Que, s’aucuns el chemin les trueve, Ne sache, de quel taint seront Les armes qu’il aporteront. Li escuiier maintenant muevent, A Londres vienent et si truevent Apareillié quanquë il quierent. Tost orent fet, tost repeirierent : Revenu sont plus tost qu’il porent.

4576–4615

4580

4585

4590

4595

4600

4605

4610

4615

Aber diese Qual ist ihr eine Lust, von der sie nicht genug bekommen kann. – – – Und Cligès hat das Meer überquert und ist nach Wallingford gelangt. Da hat er in einem schönen Quartier mit großem Aufwand prächtig Hof gehalten. Aber er denkt die ganze Zeit an Fenice, keinen Augenblick kommt sie ihm aus dem Sinn. Während er in seinem Quartier bleibt, haben seine Leute, denen er dies befohlen hatte, so lange gefragt und geforscht, bis ihnen erzählt und berichtet wurde, dass König Artus’ Ritter und der König selbst in Person auf der Ebene vor Oxford nahe Wallingford ein Turnier verabredet hätten. Es war geplant, dass der Kampf vier Tage dauern sollte. Doch Cligès wird vorher genug Zeit haben, um sich zu rüsten, wenn ihm dafür irgendetwas fehlen sollte, denn es waren noch mehr als volle fünfzehn Tage bis zum Turnier. Drei seiner Knappen schickt er eilends nach London und befiehlt ihnen, drei verschiedene Sätze von Rüstungen zu kaufen, eine schwarz, die andere rot, die dritte grün, und er befiehlt ihnen, bei der Rückkehr jeden Satz mit neuem Leinentuch zu bedecken, damit, wenn ihnen jemand auf dem Weg begegnete, er nicht erfahren sollte, welche Farbe die Rüstungen haben, die sie bringen. Die Knappen reiten auf der Stelle los, sie kommen nach London und finden alles vorrätig, was sie suchen. Bald hatten sie es erledigt, bald kehrten sie zurück. So schnell sie konnten, sind sie zurückgekommen.

259

260

4620

4625

4630

4635

4640

4645

4650

Text und Übersetzung

Les armes qu’aportees orent Mostrent Cligés qui mout les loe. Avuec celes que sor Dunoe Li anperere li dona, Quant a chevalier l’adoba, Les a fet repondre et celer. Qui ci me voldroit demander, Por quel chose il les fist repondre, Ne l’an voldroie pas respondre ; Car bien vos iert dit et conté, Quant es chevaus seront monté Tuit li haut baron de la terre, Qui i vandront por los aquerre. Au jor qui fu nomez et pris, Assanblent li baron de pris. Li rois Artus atot les suens, Qu’esleüz ot antre les buens, Devers Ossenefort se tint. Devers Galinguefort s’an vint Li plus de la chevalerie. Ne cuidiez pas que je vos die, Por feire demorer mon conte : Cil roi i furent et cil conte Et cil et cil et cil i furent. Quant li baron assanbler durent, Si con costume iere a cel tans, S’an vint toz seus antre deus rans Uns chevaliers de grant vertu Des conpaignons le roi Artu Por le tornoi ancomancier. Mes nus ne s’an ose avancier, Qui por joster contre lui vaingne. N’i a nul, qui coiz ne se taingne. Et si a de tes qui demandent : « Cil chevalier por quoi atandent, Que des rans ne s’an part aucuns ? Adés comancera li uns. » Et li autre dïent ancontre : « Don ne veez vos, quel ancontre

4616–4654

4620

4625

4630

4635

4640

4645

4650

Die Rüstungen, die sie gebracht hatten, zeigen sie Cligès, der sie sehr lobt. Zusammen mit der, die ihm der Kaiser geschenkt hatte, als er ihn an der Donau zum Ritter schlug, hat er sie verborgen und versteckt. Wenn einer mich jetzt fragen möchte, warum er sie verstecken ließ, dem möchte ich nicht antworten, denn es wird euch schon alles noch erzählt und berichtet, wenn die hohen Herren des Landes, die dorthin kommen, alle zu Pferde sitzen, um Ruhm zu erwerben. An dem Tag, der festgesetzt und ausgewählt worden war, versammeln sich die berühmten Herren. König Artus bezog mit den Seinen, die er unter den Besten ausgewählt hatte, auf Seiten Oxfords Stellung, während der Großteil der Ritterschaft auf Seiten Wallingfords war. Glaubt nur nicht, dass ich euch sage, um die Geschichte zu verlängern, dass der und jener König und der und jener Graf und der und der und der da war. Als es Zeit war, dass die Herren sich versammelten, wie es zu jener Zeit Brauch war, da sprengte ganz allein zwischen zwei Reihen einer der tapfersten Ritter König Artus’ hervor, um das Turnier zu beginnen. Aber niemand von den Gegnern wagt sich zu nähern, um mit ihm die Lanzen zu brechen. Niemand ist da, der sich rührt. Und die einen fragen: „Worauf warten diese Ritter, warum tritt keiner aus den Reihen? Jetzt wird doch einer den Anfang machen.“ Und die anderen dagegen sagen: „Seht ihr denn nicht, welchen Gegner

261

262 4655

4660

4665

4670

4675

4680

4685

4690

Text und Übersetzung

Nos ont anveiié cil de la ? Bien sache, qui seü ne l’a, Que des quatre meillors qu’an sache Est cist l’une paroille estache. » « Qui est il donc ? » — « Si nel veez ? C’est Sagremors, li Desreez. » « C’est il ? » — « Voire ! sanz nule dote. » Cligés qui ce ot et escote Sist sor Morel, s’ot armeüre Plus noire que more meüre: Noire fu s’armeüre tote. Del ranc as autres se desrote Et point Morel qui se desroie, Ne n’i a un seul qui le voie, Qui ne die li uns a l’autre : « Cist s’an va bien lance sor fautre, Ci a chevalier mout adroit, Mout porte ses armes a droit, Bien li siet li escuz au col. Mes an le puet tenir por fol De la joste qu’il a anprise Vers un des meillors a devise, Que l’an sache an tot cest païs. Mes qui est il ? Dont est naïs ? Qui le conoist ? » — « Ne gié. » — « Ne gié. » « Mes n’a mie sor lui negié ; Ainz est plus s’armeüre noire, Que chape a moine n’a provoire. » Einsi antandent au parler : Et cil leissent chevaus aler, Que plus ne se vont atardant ; Car mout sont angrés et ardant De l’assanbler et de la joste. Cligés fiert si qu’il li ajoste L’escu au braz, le braz au cors. Toz estanduz chiet Sagremors, Et Cligés va sanz mesprison, Si li fet fiancier prison : Sagremors prison li fiance. Maintenant li estorz comance,

4655–4694 4655

4660

4665

4670

4675

4680

4685

4690

263

die da drüben uns geschickt haben? Wer es nicht weiß, soll wissen, dass er eine wahre Säule unter den besten vier Rittern ist, die es gibt.“ „Wer ist es denn?“ – „Seht ihr es nicht? Es ist Sagremor, der Ungestüme.“ „Wirklich?“ „Ja klar, kein Zweifel.“ Cligès hört und vernimmt es; er saß auf seinem Pferd Morel in einer Rüstung, die schwärzer war als eine reife Maulbeere, denn seine ganze Rüstung war schwarz. Er taucht auf aus den Reihen der anderen, gibt Morel die Sporen und stürmt los, und es gibt keinen einzigen, der ihn sieht und nicht zu dem anderen sagt: „Der macht eine gute Figur mit der eingelegten Lanze, das ist ein sehr geschickter Ritter, er trägt seine Waffen in rechter Weise, und der Schild am Hals sitzt tadellos. Aber er muss wohl verrückt sein, weil er aus freiem Antrieb den Kampf gegen einen der besten aufgenommen hat, den man im ganzen Land kennt. Aber wer ist es? Woher stammt er? Wer kennt ihn?“ – „Ich nicht.“ – „Ich auch nicht.“ „Aber es ist nicht gerade Schnee auf ihn gefallen, vielmehr ist seine Rüstung schwärzer als die Kutte eines Mönchs oder eines Priesters.“ So plaudern sie miteinander, während die beiden nicht länger zögern wollen und den Pferden die Sporen geben, denn sie sind ungeduldig und brennen darauf, aufeinander zu treffen und die Lanzen zu brechen. Cligès schlägt so zu, dass er dem Ritter den Schild gegen den Arm presst und den Arm gegen den Körper, worauf Sagremor der Länge nach hinfällt. Und Cligès fordert ihn den Regeln entsprechend auf, ihm Sicherheit zu schwören: Sagremor schwört ihm Sicherheit. Nun beginnt der allgemeine Kampf,

264 4695

4700

4705

4710

4715

4720

4725

4730

Text und Übersetzung

Si s’antrevienent qui ainz ainz. Cligés s’est an l’estor anpainz Et va querant joste et ancontre. Chevalier devant lui n’ancontre, Que il ne le praingne ou abate. D’anbedeus parz le pris achate ; Car la ou il muet au joster, Tot le tornoi fet arester. Ne cil n’est pas sanz grant proesce, Qui por joster vers lui s’adresce ; Ainz a plus los de lui atandre, Que d’un autre chevalier prandre. Et se Cligés l’an mainne pris, De ce solemant a grant pris, Qu’a joster atandre l’osa. Cligés le pris et le los a De trestot le tornoiemant. A l’avesprer celeemant Est repeiriez a son ostel, Por ce que nus ne d’un ne d’el A parole ne le meïst. Et por ce que, se nus feïst L’ostel as noires armes querre, An une chanbre les anserre, Que l’an ne les truisse ne voie ; Et fet a l’uis devers la voie Les armes verz metre an presant, Si les verront li trespassant. Et se nus le demande et quiert, Ne savra, ou ses ostés iert, Quant nule ansaingne ne verra Del noir escu que il querra. Einsi Cligés est an la vile, Si se cele par itel guile. Et cil qui si prison estoient, De chief an chief la vile aloient Demandant le noir chevalier ; Mes nus ne lor sot anseignier. Et meïsmes li rois Artus

4695–4733 4695

4700

4705

4710

4715

4720

4725

4730

und um die Wette stürmen sie aufeinander los. Cligès hat sich in den Kampf gestürzt und sucht Gegner für den Lanzenkampf. Auf keinen Ritter trifft er, den er nicht gefangen nimmt oder niederwirft. Auf beiden Seiten erwirbt er Ruhm, denn wo immer er sich im Lanzenkampf bewegt, ist der Kampf schnell beendet. Und wer gegen ihn zum Kampf antritt, ist wahrhaftig nicht feige, vielmehr kann er dadurch größeren Ruhm erlangen, als wenn er einen anderen Ritter gefangen nimmt. Und wenn Cligès ihn gefangen fortführt, hat er schon deshalb Ruhm erlangt, weil er es wagte, den Lanzenkampf gegen ihn aufzunehmen. Cligès gewinnt das Lob und den Ruhm des gesamten Turniers. Am Abend ist er heimlich in sein Quartier zurückgekehrt, damit keiner von ihnen ihn nach diesem oder jenem fragte. Und für den Fall, dass irgendeiner in dem Quartier nach der schwarzen Rüstung forschen ließ, versteckt er sie in einem Zimmer, damit man sie nicht findet oder sieht. Und an der Tür, die zur Straße führt, hat er die grüne Rüstung ausgebreitet, damit die Passanten sie sehen können. Und wenn jemand fragt oder nachforscht, wird er nicht erfahren, wo er wohnt, denn er wird keine Spur von der schwarzen Rüstung finden, nach der er sucht. So bleibt Cligès in der Stadt und verbirgt sich mit dieser List. Und die Ritter, die er gefangen genommen hatte, liefen von einem Ende der Stadt zum anderen und fragten nach dem schwarzen Ritter, aber keiner konnte ihnen Auskunft geben. Und selbst König Artus

265

266 4735

4740

4745

4750

4755

4760

4765

4770

Text und Übersetzung

L’anvoie querre sus et jus ; Mes tuit dïent : « Nos nel veïmes Puis que nos del tornoi partimes, Ne ne savomes qu’il devint. » Vaslet le quierent plus de vint, Que li rois i a anveiiez ; Mes Cligés s’est si desveiiez, Qu’il n’an truevent nuel antresaingne. Li rois Artus de ce se saingne, Quant reconté li fu et dit, Qu’an ne trueve grant ne petit, Qui sache anseignier son repeire, Ne plus que s’il fust a Ceseire Ou a Tolete ou a Candie. « Par foi ! », fet il, « ne sai qu’an die, Mes a grant mervoille me vient. Ce fu fantosmes se devient, Qui antre nos a conversé. Maint chevalier a hui versé Et des meillors les foiz an porte, Qui ne verront oan sa porte Ne son païs ne sa contree, S’avra chascuns sa foi outree. » Einsi dist li rois son pleisir, Dont il se poïst bien teisir. Mout ont parlé li baron tuit Del noir chevalier cele nuit ; Qu’onques d’el parole ne tindrent. L’andemain as armes revindrent Tuit sanz semonse et sanz proiiere. Por feire la joste premiere Est Lanceloz del Lac sailliz, Qui n’est mie de cuer failliz ; Lance droite la joste atant. A tant ez vos Cligés batant Plus vert que n’est erbe de pre, Sor un fauve destre comé. La ou Cligés point sor le fauve, N’i a ne chevelu ne chauve,

4734–4772

4735

4740

4745

4750

4755

4760

4765

4770

lässt überall nach ihm suchen, doch alle sagen: „Wir haben ihn nicht gesehen, seit wir vom Turnier fortgingen, wir wissen nicht, wo er geblieben ist.“ Mehr als zwanzig Knappen suchen ihn, die der König ausgeschickt hat, aber Cligès hat sich so versteckt, dass sie keine Spur von ihm finden. König Artus bekreuzigt sich, als ihm berichtet und gesagt wurde, dass weder Groß noch Klein Auskunft über seinen Verbleib zu geben wisse, nicht anders, als wenn er in Cäsarea oder in Toledo oder in Kandia wäre. „Wirklich,“ sagt er, „ich weiß nicht, was man dazu sagen soll, aber mir kommt das sehr verwunderlich vor. Vielleicht war es ein Trugbild, das in unserer Mitte erschienen ist. Viele Ritter hat er heute aus dem Sattel geworfen und den besten ein Sicherheitsversprechen abgenommen, die jetzt weder seine Haustür noch sein Land oder seinen Aufenthaltsort finden werden, so dass keiner sein Versprechen halten kann.“ So sprach der König, wie es ihm beliebte, worüber er ebenso gut hätte schweigen können. In dieser Nacht haben alle Herren viel über den schwarzen Ritter gesprochen, von nichts anderem war die Rede. Am nächsten Morgen kehrten sie zu ihren Waffen zurück, ohne dass sie dazu ermahnt oder darum gebeten wurden. Um den ersten Lanzenkampf auszufechten, ist Lancelot vom See herangesprengt, der wahrlich kein verzagtes Herz hat, mit erhobener Lanze wartet er auf den Kampf. Aber da galoppiert im Sturm Cligès, grüner als das Gras auf der Wiese, auf einem fahlroten Pferd mit prächtiger Mähne herbei. Wo immer Cligès auf dem Pferd heransprengt, gibt es niemanden, ob mit vollem Haar oder mit Glatze,

267

268

4775

4780

4785

4790

4795

4800

4805

4810

Text und Übersetzung

Qui a mervoilles ne l’esgart, Et de l’une et de l’autre part Dïent : « Cist est an toz androiz Assez plus janz et plus adroiz De celui d’ier as noires armes, Tant con pins est plus biaus que charmes, Et li loriers plus del seü. Mes ancor n’avons nos seü, Qui cil d’ier fu ; mes de cestui Savrons nos, qui il iert, ancui. Qui le conoist, si le nos die. » Chascuns dit : « Je nel conois mie, N’onques nel vi au mien cuidier. Mes plus est biaus de celui d’ier Et plus de Lancelot del Lac. Se cist estoit armez d’un sac, Et Lanceloz d’arjant et d’or, Si seroit cist plus biaus ancor. » Einsi tuit a Cligés se tienent : Et cil poingnent, si s’antrevienent, Quanqu’il pueent esperoner. Cligés li va tel cop doner Sor l’escu d’or au lion paint, Que jus de la sele l’anpaint, Et vint sor lui por la foi prandre. Lanceloz ne se pot deffandre, Si li a prison fianciee. Lors est la noise comanciee Et li bruiz et li frois des lances. An Cligés ont tuit lor fiances Cil qui sont devers sa partie ; Car cui il fiert par anhatie, Ja n’iert tant forz, ne li covaingne Que del cheval a terre vaingne. Cligés cel jor si bien le fist Et tant an abati et prist, Que deus tanz a as suens pleü Et deus tanz i a los eü, Que l’autre jor devant n’i ot. A l’avesprer plus tost qu’il pot

4773–4812

4775

4780

4785

4790

4795

4800

4805

4810

der ihn nicht mit Verwunderung betrachtet, und auf der einen wie auf der anderen Seite sagen sie zueinander: „Dieser Ritter ist in jeder Hinsicht noch eleganter und gewandter, als gestern der mit der schwarzen Rüstung, so wie die Fichte schöner ist als die Weißbuche und der Lorbeerbaum schöner als der Holunderbaum. Doch noch wissen wir nicht, wer der gestrige Sieger war. Aber von diesem werden wir noch heute erfahren, wer er ist. Wer ihn kennt, soll es uns sagen.“ Jeder sagt: „Ich kenne ihn überhaupt nicht und habe ihn, soweit ich weiß, niemals gesehen. Aber er ist schöner als der von gestern und als Lancelot vom See. Selbst wenn er mit einem Sack gerüstet wäre und Lancelot mit Silber und Gold, wäre er trotzdem schöner.“ So nehmen alle Partei für Cligès. Beide sprengen aufeinander los und greifen sich an, so schnell sie nur können. Da verpasst Cligès Lancelot einen solchen Schlag auf den goldenen, mit dem Löwen bemalten Schild, dass er ihn aus dem Sattel stößt und ihn zwingt, ihm Sicherheit zu geloben. Lancelot blieb keine andere Wahl, und so hat er ihm Sicherheit gelobt. Da hat das Getöse begonnen und der Lärm der klirrenden Lanzen. Alle, die auf Cligès’ Seite sind, setzen ihre Zuversicht in ihn, denn, wen immer er im Kampf trifft, der kann es nicht verhindern, so stark er auch sein mag, vom Pferd zu Boden geworfen zu werden. Cligès machte es an diesem Tag so gut und brachte so viele zu Fall und nahm sie gefangen, dass er von den Seinen doppelt so hoch geschätzt wurde und doppelt soviel Ruhm erlangte als am Tag zuvor. Am Abend ist er, so schnell er konnte,

269

270

4815

4820

4825

4830

4835

4840

4845

4850

Text und Übersetzung

Est repeiriez a son repeire Et fet isnelemant fors treire L’escu vermoil et l’autre ator. Les armes qu’il porta le jor Comande que soient repostes : Repostes les a bien li ostes. Assez le ront cele nuit quis Li chevalier qu’il avoit pris ; Mes nule novele n’an öent. As ostés le prisent et loent Li plusor qui parole an tienent. L’andemain as armes revienent Li chevalier delivre et fort. Del ranc devers Ossenefort Part uns vassaus de grant renon, Percevaus, li Galois, ot non. Lués que Cligés le vit movoir Et de son non oï le voir, Que Perceval l’oï nomer, Mout desirre a lui assanbler. Del ranc est issuz demanois Sor un destrier sor, espanois, Et s’armeüre fu vermoille. Lors l’esgardent a grant mervoille Trestuit plus qu’onques mes ne firent, Et dïent qu’onques mes ne virent Nul chevalier si avenant. Et cil poingnent tot maintenant, Que demoree n’i ot point. Et li uns et li autre point Tant qu’es escuz granz cos se donent. Les lances ploient et arçonent, Qui cortes et grosses estoient. Veant toz çaus qui les veoient A Cligés feru Perceval Si qu’il l’abat jus del cheval Et prison fiancier li fet Sanz grant bataille et sanz granz plet. Quant Percevaus ot fiancié, Lors ont le tornoi comancié,

4813–4852

4815

4820

4825

4830

4835

4840

4845

4850

in seine Unterkunft zurückgekehrt und lässt schnell den roten Schild und die andere Rüstung herausholen. Er ordnet an, die Rüstung, die er am Tag getragen hat, zu verbergen; der Wirt hat sie gut versteckt. Erneut haben die Ritter, die er gefangen hatte, ihn in dieser Nacht gesucht, aber sie bringen nichts über ihn in Erfahrung. In den Unterkünften preisen und loben ihn sehr viele, wenn sie über ihn reden. Am nächsten Morgen kehren die Ritter flink und stark zu den Waffen zurück. Aus dem Heer von der Oxforder Seite sprengt ein berühmter Knappe hervor, sein Name war Perceval, der Waliser. Sobald Cligès ihn sich nähern sah und sich seines Namens vergewissert hatte, indem er ihn Perceval nennen hörte, ist er sehr begierig, gegen ihn zu kämpfen. Sofort hat er in roter Rüstung auf einem goldfarbenen spanischen Pferd die Reihen verlassen. Da betrachten ihn alle mit größerer Verwunderung als je zuvor und sagen, dass sie niemals einen so vollkommenen Ritter gesehen haben. Und da sprengen sie augenblicklich ohne jede Verzögerung aufeinander los. Der eine galoppiert auf den anderen zu, bis wuchtige Schläge auf die Schilde prallen. Die Lanzen biegen sich wie Bögen, obwohl sie kurz und dick waren. Vor den Augen aller, die zuschauen, hat Cligès Perceval einen Schlag versetzt, mit dem er ihn vom Pferd zu Boden wirft. Ohne großen Kampf und ohne große Diskussion lässt er ihn Sicherheit schwören. Nachdem Perceval Sicherheit geschworen hatte, haben sie das Turnier begonnen

271

272

4855

4860

4865

4870

4875

4880

4885

4890

Text und Übersetzung

Si s’antrevienent tuit ansanble. Cligés a chevalier n’assanble, Qu’a terre nel face cheoir. An cest jor nel pot l’an veoir Une sole ore fors d’estor. Aussi come sor une tor Fierent chascuns sor lui par soi. N’i fierent pas ne dui ne troi ; Qu’adonc n’estoit us ne costume. De son escu a fet anclume ; Car tuit i forgent et martelent, Si li fandent et esquartelent ; Mes nus n’i fiert, qu’il ne li soille Si qu’estrier et sele li toille, Ne nus qui n’an vossist mantir, Ne poïst dire au departir, Que tot n’eüst le jor veincu Li chevaliers au roge escu. Et li meillor et li plus cointe Voldroient estre si acointe ; Mes ne puet pas estre si tost, Qu’il s’an est partiz an repost, Quant esconsé vit le soloil, Et s’a fet son escu vermoil Et tot l’autre hernois oster, Et fet les blanches aporter, Dont il fu noviaus chevaliers ; Et les armes et li destriers Furent mises a l’uis devant. Mes or se vont aparcevant [Li plusor qui le ramantoivent, Bien dïent et bien s’aparçoivent], Que par un seul ont tuit esté Desconfit et desbareté ; Mes chascun jor se desfigure Et de cheval et d’armeüre, Si sanble autrui que lui meïmes ; Aparceü s’an sont or primes. Et mes sire Gauvains a dit, Que mes tel josteor ne vit,

4853–4892

4855

4860

4865

4870

4875

4880

4885

4890

und sich alle in den Kampf gestürzt. Cligès trifft auf keinen Ritter, den er nicht zu Boden zwingen würde. An diesem Tag konnte man ihn keine Sekunde fern von dem Getümmel sehen. Wie auf einen Turm schlagen alle auf ihn ein, einer nach dem anderen natürlich, nicht zu zweit oder zu dritt, denn das war damals nicht Brauch und Sitte. Aus seinem Schild hat er einen Amboss gemacht, denn alle schmieden und behämmern und zerspalten und zerhauen ihn, aber niemand schlägt darauf, der es ihm nicht bezahlt, indem er ihn aus dem Sattel und dem Sattelbogen wirft, und jeder, wenn er nicht lügen wollte, musste am Ende sagen, dass der Ritter mit dem roten Schild an diesem Tag über alle den Sieg davongetragen hätte. Und die Besten und Klügsten möchten mit ihm bekannt werden, aber das kann nicht so leicht geschehen, weil er heimlich fortgegangen ist, als er die Sonne untergehen sah. Und er hat seinen roten Schild und die ganze andere Ausrüstung fortschaffen und die weiße Rüstung herbeibringen lassen, mit der er zum Ritter geschlagen worden war. Und Rüstung und Pferd wurden vor die Tür gestellt. Aber nun werden sie sich klar darüber [die meisten, wenn sie ihn erwähnten, sagen es und bemerken es wohl], dass sie durch einen einzigen allein besiegt und in die Flucht geschlagen worden sind. Nur hat er sich jeden Tag mitsamt Pferd und Rüstung verkleidet, so dass er ein anderer zu sein scheint als er selbst. Das haben sie endlich bemerkt. Und Herr Gauvain hat gesagt, dass er niemals einen solchen Lanzenkämpfer gesehen habe

273

274

4895

4900

4905

4910

4915

4920

4925

4930

Text und Übersetzung

Et por ce qu’il voldroit avoir S’acointance et son non savoir, Dit qu’il iert l’andemain premiers A l’assanblier des chevaliers. Mes il ne se vante de rien ; Ainz dit qu’il panse et cuide bien, Que tot le miauz et les vantances Avra cil au ferir des lances ; Mes a l’espee, puet cel estre, Ne sera il mie ses mestre ; Qu’onques n’an pot mestre trover. Or se voldra il esprover Demain au chevalier estrange, Qui chascun jor ses armes change Et cheval et hernois remue. Par tans sera de mainte mue, S’einsi chascun jor par costume Oste et remet novele plume. Einsi ostoit et remetoit, Et l’andemain revenir voit Cligés plus blanc que flor de lis, L’escu par les enarmes pris, Sor l’arabi blanc sejorné, Si con la nuit ot atorné. Gauvains, li preuz, li alosez, N’est gueires el chanp reposez, Ainz point et broche, si s’avance Et de quanquë il puet s’ajance De bel joster, se trueve a cui. Par tans seront el chanp andui ; Que Cligés n’ot d’arester cure, Qui antandu ot la murmure De çaus qui dïent : « C’est Gauvains, Qui n’est a pié n’a cheval vains. C’est cil, a cui nus ne se prant. » Cligés qui la parole antant, Anmi le chanp vers lui s’eslance, Li uns et li autre s’avance, Si s’antrevienent d’un eslais Plus tost que cers qui ot les glais

4893–4932

4895

4900

4905

4910

4915

4920

4925

4930

275

und dass er ihn deshalb kennenlernen und seinen Namen erfahren wolle. Er sagt, dass er am nächsten Morgen der erste im Ritterkampf sein werde. Aber er rühmt sich in keiner Weise, vielmehr denkt und glaubt er, dass der andere im Lanzenbrechen am besten ist und den Ruhm gewinnen wird, aber im Schwerterkampf kann es sein, dass er nicht die Oberhand behält, denn bislang hatte Gauvain darin noch keinen Meister gefunden. Nun möchte er sich morgen mit dem fremden Ritter messen, der jeden Tag seine Rüstung wechselt und mit einem neuen Pferd und einem neuen Panzer kommt. Wenn er weiter jeden Tag der Gewohnheit folgt, seine Federn zu verlieren und neue zu bekommen, wird er sich bald ein weiteres Mal mausern. Und genauso war es, denn am nächsten Morgen sah Gauvain Cligès weißer als eine Lilie zurückkehren, den Schild fest am Riemen haltend, auf dem ausgeruhten weißen Araber, so wie er es in der Nacht vorbereitet hatte. Der tapfere und berühmte Gauvain hat sich keine Sekunde auf dem Platz ausgeruht, vielmehr sprengt und galoppiert er schnell heran, und strengt sich nach allen Kräften an, im Lanzenkampf Ruhm zu gewinnen, sofern er einen Gegner findet. Bald werden beide auf dem Kampfplatz sein, denn Cligès ist durchaus nicht geneigt sich zurückzuhalten. Er hatte das Gemurmel der Leute gehört, die sagen: „Das ist Gauvain, der weder zu Fuß noch zu Pferde schwach ist. Mit ihm kann niemand es aufnehmen.“ Während Cligès diese Worte hört, sprengt er mitten auf den Platz auf ihn zu. Der eine nähert sich dem anderen, schneller als ein Hirsch, der das Gebell der Hunde hört, die hinter ihm kläffen,

276

4935

4940

4945

4950

4955

4960

4965

4970

Text und Übersetzung

Des chiens, qui aprés lui glatissent. Les lances es escuz flatissent, Et li cop donent tes esfrois, Que totes jusques es quamois Esclicent et fandent et froissent, Et li arçon deriers esloissent, Et ronpent çaingles et peitral. A terre vienent par igal, S’ont treites les espees nues. Anviron sont les janz venues Por la bataille regarder. Por departir et acorder Vint li rois Artus devant toz ; Mes mout orent einçois deroz Les blans haubers et desmailliez, Et porfanduz et detailliez Les escuz, et les hiaumes frez, Que parole fust de la pez. Quant li rois esgardez les ot Une piece tant con lui plot, Et maint des autres, qui disoient Que de neant mains ne prisoient Le blanc chevalier tot de plain D’armes, que mon seignor Gauvain, N’ancor ne savoient a dire, Li ques fust miaudre, li ques pire, Ne li ques l’autre outrer deüst, Se tant conbatre lor leüst, Que la bataille fust outree ; Mes ne plest le roi ne agree Que plus an facent qu’il ont fet. Por departir avant se tret, Si lor dist : « Traiiez vos an sus ! Mar i avra cop feru plus. Mes feites pes, soiiez ami ! Biaus niés Gauvains ! je vos an pri ; Que sanz querele et sanz haïne N’afiert bataille n’anhatine A nul prodome a maintenir.

4933–4971

4935

4940

4945

4950

4955

4960

4965

4970

fallen sie mit einem Satz übereinander her. Die Lanzen treffen heftig auf die Schilde und die Schläge haben eine solche Wucht, dass sie ganz bis zum Ende des Lanzenschafts zersplittern und gespalten werden und in Stücke fliegen und die Sattelbögen hinten nicht standhalten und die Sattel- und Brustgurte des Pferdes zerreißen. Beide fallen gleichzeitig zu Boden und haben ihre blanken Schwerter gezogen. Die Leute haben sich um sie versammelt, um dem Kampf zuzuschauen. König Artus kam allen voran herbei, um sie zu trennen und zu versöhnen, aber sie hatten die hellen Panzer bereits zerstochen und zerbrochen, und die Schilde waren durch und durch gespalten und durchlöchert und die Helme zerhauen, bevor von Frieden die Rede war. Als der König sie eine Weile nach seinem Belieben betrachtet hatte, und viele andere auch, die sagten, dass sie die Taten des weißen Ritters in ganz und gar keiner Weise geringer schätzten als die des Herrn Gauvain, wussten sie noch nicht zu sagen, welcher besser oder schlechter wäre oder wer den anderen besiegen würde, wenn man ihnen erlaubte, den Kampf bis zu Ende zu führen. Aber dem König gefällt es nicht und er lässt es nicht zu, dass sie den Kampf fortsetzen. So tritt er heran, um sie zu trennen, und sagt zu ihnen: „Hört auf! Ein einziger weiterer Schlag wird Unheil bringen. Macht nun Frieden, werdet Freunde! Lieber Neffe Gauvain, ich bitte Euch darum; es schickt sich nicht für einen Edelmann, einen Kampf oder Konflikt fortzusetzen, wenn es keinen Streit oder Hass gibt.

277

278

4975

4980

4985

4990

4995

5000

5005

5010

Text und Übersetzung

Mes s’a ma cort voloit venir Cist chevaliers o nos deduire, Ne li devroit grever ne nuire. Proiiez l’an, niés ! » — « Volantiers, sire ! » Cligés ne s’an quiert escondire, Bien otroie qu’il i ira, Quant li tornois departira ; Qu’ore a bien le comandemant Son pere fet outreemant. Et li rois dit, que il n’a cure De tornoiemant qui trop dure ; Bien le pueent a tant leissier. Departi sont li chevalier, Car li rois le viaut et comande. Cligés por tot son hernois mande ; Que le roi sivre li covient. Plus tost qu’il puet a la cort vient, Mes bien fu atornez einçois, Vestuz a guise de François. Maintenant qu’il vint a la cort, Chascuns a l’ancontre li cort, Que uns ne autre n’i areste, Ainz an font tel joie et tel feste, Come il onques porent greignor ; Et tuit cil l’apelent seignor, Qu’il avoit pris au torneiier ; Mes il le viaut a toz noiier Et dit que trestuit quite soient De lor foiz, s’il cuident et croient, Que ce fust il, que les preïst. N’i a un seul qui ne deïst : « Ce fustes vos, bien le savons ! Vostre acointance chiere avons Et mout vos devriiens amer Et prisier et seignor clamer, Qu’a vos n’est nus de nos parauz. Tot autressi con li solauz Estaint les estoiles menues, Que la clartez n’an pert es nues, La ou li rai del soloil neissent :

4972–5011

4975

4980

4985

4990

4995

5000

5005

5010

279

Aber wenn dieser Ritter an meinen Hof kommen und sich mit uns vergnügen wollte, würde es nicht zu seinem Leid und Schaden sein. Bittet ihn darum, Neffe!“ – „Sehr gern, Herr!“ Cligès will sich nicht verweigern, er sagt gern zu, dass er dorthin kommen werde, wenn das Turnier zu Ende sei. Denn nun hat er den Wunsch seines Vaters mehr als genug erfüllt. Und der König sagt, dass es ihm nicht gefällt, wenn ein Turnier sich ewig hinzieht; sie können es jetzt wohl beenden. Da sind die Ritter fortgegangen, weil der König es wünscht und befiehlt. Cligès lässt nach allen seinen Rüstungen schicken, denn er muss dem König folgen. So schnell er kann, eilt er zum Hof, aber vorher hatte er sich schön herausgeputzt und nach französischer Mode gekleidet. Als er an den Hof kam, läuft jeder ihm entgegen, weder der eine noch der andere bleibt an seinem Platz, vielmehr feiern sie ihn und zeigen so große Freude, wie sie größer nicht sein könnte. Und alle, die er im Turnier gefangen hatte, nennen ihn Herr, aber er will es allen untersagen, und er sagt, dass sie alle frei von dem Versprechen sein sollen, sofern sie meinen und glauben, dass er es war, der sie gefangen nahm. Da war nicht einer, der nicht sagte: „Das wart Ihr, wir wissen es wohl! Eure Bekanntschaft ist uns lieb, und wir müssen Euch lieben und schätzen und Herr nennen, weil keiner von uns es mit Euch aufnehmen kann. Genau wie die Sonne das Licht der kleinen Sterne auslöscht, so dass es sich in den Wolken verliert, wenn die Strahlen der Sonne aufgehen,

280

5015

5020

5025

5030

5035

5040

5045

5050

Text und Übersetzung

Aussi estaingnent et abeissent Noz proesces devant les voz ; Si soloient estre les noz Mout renomees par le monde. » Cligés ne set qu’il lor responde ; Que plus le loent tuit ansanble Qu’il ne devroient, ce li sanble ; Mes bel li est et s’an a honte ; Li sans an la face li monte Si que tot vergoignier le voient. Parmi la sale le convoient, Si l’ont devant le roi conduit ; Mes la parole leissent tuit De lui loer et losangier. Ja fu droite ore de mangier, Si corurent les tables metre Cil qui s’an durent antremetre. Les tables ont el palés mises : Li un ont les toailles prises, Et li autre les bacins tienent, Qui donent l’eve a çaus qui vienent. Tuit ont lavé, tuit sont assis. Et li rois a par la main pris Cligés, si l’assist devant lui ; Que mout voldra savoir ancui De son estre, s’il onques puet. Del mangier a parler n’estuet ; Qu’aussi furent li mes plenier Con s’an eüst buef a denier. Quant toz lor mes orent eüz, Lors ne s’est plus li rois teüz. « Amis ! », fet il, « aprandre vuel, Se vos leissastes par orguel, Qu’a ma cort venir ne deignastes Tantost qu’an cest païs antrastes, Et por quoi si vos estrangiez Des janz et voz armes changiez ; Et vostre non me raprenez, Et de ques janz vos estes nez. »

5012–5050

5015

5020

5025

5030

5035

5040

5045

5050

so wird unsere Tapferkeit durch Euch ausgelöscht und schwindet dahin, obwohl wir in der ganzen Welt als sehr berühmte Ritter zu gelten pflegten.“ Cligès weiß nicht, was er ihnen antworten soll; es scheint ihm, als ob sie alle zusammen ihn mehr lobten, als sie sollten. Er freut sich darüber, aber er schämt sich auch, und das Blut steigt ihm ins Gesicht, so dass sie sehen, wie er ganz rot wird. Sie begleiten ihn durch den Saal und haben ihn vor den König geführt, aber sie hören auf, ihn zu loben und ihm zu schmeicheln. Es war gerade die richtige Zeit um zu essen, und so beeilten sich die, deren Pflicht es war, die Tische aufzustellen. Die Tische haben sie im großen Saal aufgestellt, die einen halten die Handtücher bereit, die anderen die Becken, und sie reichen den Gästen das Wasser. Alle haben sich die Hände gewaschen und Platz genommen. Und der König hat Cligès bei der Hand gefasst und ihn sich gegenüber gesetzt, denn er möchte gern, wenn es möglich ist, Näheres über ihn erfahren. Über das Essen braucht man keine Worte zu verlieren, denn so reichlich waren die Speisen, als ob man ein Rind für einen Pfennig hätte kaufen können. Als alle Gänge serviert worden waren, hat der König nicht länger geschwiegen. „Freund,“ sagt er, „ich möchte wissen, ob Ihr es aus Stolz unterließt, an meinen Hof zu kommen, sobald Ihr in diesem Land angelangt seid, und warum Ihr Euch von den Leuten ferngehalten und Eure Rüstungen gewechselt habt. Und sagt mir auch Euren Namen und aus welchem Geschlecht Ihr stammt.“

281

282

5055

5060

5065

5070

5075

5080

5085

5090

Text und Übersetzung

Cligés respont : « Ja celé n’iert. » Tot quanque li rois li requiert Li a dit et reconeü. Et quant li rois l’a coneü, Lors l’acole, lors li fet joie, Ne n’i a nul, qui nel conjoie. Et mes sire Gauvains le sot, Qui sor toz l’acole et conjot. Tuit le conjoent et acolent Et tuit cil qui de lui parolent, Dïent que mout est biaus et preuz. Plus que nul de toz ses neveuz L’aimme li rois et plus l’enore. Cligés avuec le roi demore Jusqu’au novelemant d’esté, S’a par tote Bretaingne esté Et par France et par Normandie, S’a fet mainte chevalerie Tant que bien s’i est essaiiez ; Mes l’amors dont il est plaiiez Ne li aliege n’assoage. La volantez de son corage Toz jorz an un panser le tient : De Fenice li ressovient, Qui loing de lui son cuer travaille. Talanz li prant que il s’an raille ; Que trop a fet grant consirree De veoir la plus desirree, Qu’onques nus poïst desirrer. Ne s’an voldra plus consirrer : De l’aler an Grece s’atorne, Congié a pris, si s’an retorne. Mout an pesa, si con je croi, Mon seignor Gauvain et le roi, Quant plus nel pueent retenir. Tart li est qu’il puisse venir A celi qu’il aimme et covoite, Et par terre et par mer esploite, Si li est mout longue la voie : Tant li est tart que celi voie :

5051–5090

5055

5060

5065

5070

5075

5080

5085

5090

Cligès antwortet: „Ich werde es nicht verschweigen.“ Er hat dem König alles gesagt und berichtet, wonach dieser ihn fragt. Und als der König erfahren hat, wer er ist, da umarmt er ihn und freut sich, und es gibt niemanden, der seine Freude nicht teilt. Und Herr Gauvain erfuhr es, der ihn besonders herzlich umarmt und begrüßt. Alle begrüßen und umarmen ihn, und alle, die über ihn sprechen, sagen, dass er sehr schön und tapfer ist. Der König liebt und ehrt ihn mehr als alle seine anderen Neffen. Cligès hält sich beim König bis zum Beginn des Sommers auf, währenddessen ist er durch ganz Britannien, durch Frankreich und die Normandie gereist und hat manche Rittertat vollbracht, so dass er seinen Wert dabei gut erprobt hat. Aber die Liebe, die ihn verwundet hat, lässt ihm weder Linderung noch Erleichterung zuteil werden. Das Verlangen seines Herzens beschäftigt ihn unaufhörlich in Gedanken. Er erinnert sich an Fenice, die fern von ihm sein Herz quält. Ihn ergreift der Wunsch zurückzukehren, denn zu lange hat er den Anblick der Geliebten entbehren müssen, die so sehr begehrt wurde wie niemals eine andere. Er möchte ihren Anblick nicht länger entbehren: Für die Reise nach Griechenland macht er sich bereit, er hat Abschied genommen und kehrt zurück. Es hat, wie ich glaube, Herrn Gauvain und den König sehr bekümmert, dass sie ihn nicht zurückhalten können. Ungeduldig ist er, zu der zu gelangen, die er liebt und begehrt, und eilig reist er über Land und Meer, doch der Weg erscheint ihm sehr lang; so ungeduldig ist er, die zu sehen,

283

284

5095

5100

5105

5110

5115

5120

5125

Text und Übersetzung

Qui son cuer li fortret et tot. Mes bien li rant et bien li sot Et bien li restore sa tote, Quant ele li redone a sote Le suen, qu’ele n’aimme pas mains; Mes il n’an est mie certains, N’onques n’i ot plet ne covant, Si se demante duremant. Et cele aussi se redemante, Cui s’amors ocit et tormante, Ne riens qu’ele puisse veoir Ne li puet pleisir ne seoir Puis cele ore qu’ele nel vit. Nes ne set ele, se il vit, Don granz dolors au cuer li toche. Mes Cligés chascun jor aproche Et de ce li est bien cheü, Que sanz tormante a vant eü, S’a pris a joie et a deport Devant Costantinoble port. An la cité vint la novele : S’ele fu l’anpereor bele Et l’anpererriz çant tanz plus, De ce mar dotera ja nus. Cligés, il et sa conpaignie, Sont repeirié an Grifonie Droit au port de Costantinoble. Tuit li plus riche et li plus noble Li vienent au port a l’ancontre. Et quant l’anperere l’ancontre, Qui devant toz i fu alez, Et l’anpererriz lez a lez, Devant toz le cort acoler Li anperere et saluër. Et quant Fenice le salue, Li uns por l’autre color mue, Et mervoille est, come il se tienent La ou pres a pres s’antrevienent, Qu’il ne s’antracolent et beisent

5091–5129

5095

5100

5105

5110

5115

5120

5125

285

die sein Herz geraubt und gestohlen hat. Aber sie gibt es ihm zurück und bezahlt ihn gut und ersetzt ihm den Raub vollständig, indem sie ihm als Bezahlung das ihre gibt, denn sie liebt ihn nicht weniger. Doch er ist sich dessen durchaus nicht sicher, denn niemals hatte es eine Unterhaltung oder Übereinkunft gegeben, und so beklagt er sich heftig. Und auch sie beklagt sich; sie verzehrt sich in Liebe nach ihm und quält sich; nichts, was immer sie erblicken mochte, kann ihr gefallen oder recht sein, seit dem Augenblick, da sie ihn zuletzt sah. Sie weiß nicht einmal, ob er lebt, und das verursacht ihr im Herzen großen Kummer. Aber Cligès kommt mit jedem Tag näher und hat Glück, dass er ohne Sturm mit günstigem Wind freudig und vergnügt im Hafen von Konstantinopel eingelaufen ist. Die Nachricht erreichte die Stadt und der Kaiser war froh darüber, die Kaiserin aber hundertmal mehr, daran soll ja niemand zweifeln. Cligès und seine Begleiter sind nach Griechenland zurückgekehrt, direkt in den Hafen von Konstantinopel. Die Mächtigsten und die Edelsten gehen zum Hafen, um ihn zu empfangen. Und als der Kaiser, der an der Spitze aller, mit der Kaiserin an seiner Seite, zu seiner Begrüßung gekommen war, da läuft er vor allen auf ihn zu, um ihn zu umarmen und zu begrüßen. Und als Fenice ihn begrüßt, wird der eine wegen des anderen bleich und rot, und es ist wirklich ein Wunder, dass sie es sich versagen – obwohl sie so dicht nebeneinander stehen –, sich zu umarmen und zu küssen

286 5130

5135

5140

5145

5150

5155

5160

5165

Text und Übersetzung

De tes beisiers come amor pleisent ; Mes folie fust et forsans. Les janz acorrent de toz sans, Qui a lui veoir se deduient. Parmi la vile le conduient Tuit, qui a pié, qui a cheval, Jusqu’au palés anperial. De la joie qui la fu feite N’iert ja ci parole retreite Ne de l’enor ne del servise ; Mes chascuns a sa painne mise A feire quanqu’il cuide et croit Que Cligés pleise et bel li soit. Et ses oncles li abandone Tot quanqu’il a, fors la corone. Bien viaut qu’il praingne a son pleisir, Quanqu’il voldra de lui seisir, Ou soit de terre ou de tresor ; Mes il n’a soing d’arjant ne d’or, Quant son panser descovrir n’ose A celi, por cui ne repose, Et s’a bien eise et leu del dire, S’il ne dotast de l’escondire ; Que tote jor la puet veoir Et seul a seul lez li seoir Sanz contredit et sanz deffanse ; Que nus mal n’i antant ne panse. Grant piece aprés que il revint, Un jor seus an la chanbre vint Celi qui n’iert pas s’anemie, Et bien sachiez, ne li fu mie Li huis a l’ancontre fermez. Delez li se fu acotez, Et tuit se furent tret an sus Si que pres d’aus ne se sist nus, Qui lor paroles antandist. Fenice a parole le mist De Bretaingne premieremant, Del san et de l’afeitemant

5130–5168 5130

5135

5140

5145

5150

5155

5160

5165

mit Küssen, wie sie Amor gefallen. Aber das wäre wahnwitzig und töricht gewesen. Die Leute strömen aus allen Richtungen herbei, um sich an seinem Anblick zu erfreuen. Sie begleiten ihn durch die Stadt, manche zu Fuß, manche zu Pferde, bis zum kaiserlichen Palast. Von der Freude, die dort herrschte, oder der Ehre und den Annehmlichkeiten, wird hier nicht weiter die Rede sein; aber jeder hat sich Mühe gegeben, das zu tun, was seiner Meinung nach Cligès lieb und angenehm ist. Und sein Onkel überlässt ihm all seinen Besitz, außer der Krone. Er will gern, dass er nimmt, was ihm gefällt, alles, was er von ihm haben möchte, ob Land oder Schatz. Aber Cligès macht sich nichts aus Gold und Silber. Er wagt nicht, derjenigen, die ihm keine Ruhe lässt, seine Gefühle zu offenbaren, obwohl er gute Gelegenheit hat, dies zu tun, aber er fürchtet, von ihr zurückgewiesen zu werden. Er kann sie jeden Tag sehen und allein mit ihr zusammensitzen, ohne Hindernis und ohne Verbot, denn niemand ahnt oder denkt dabei etwas Böses. Lange nachdem er zurückgekehrt war, kam er eines Tages allein in das Zimmer jener Dame, die nicht seine Feindin war, und bei der, da könnt ihr sicher sein, bei seinem Kommen die Tür gewiss nicht verschlossen wurde. Neben ihr hatte er sich niedergelassen, und alle anderen hatten sich zurückgezogen, so dass niemand in ihrer Nähe saß, der ihre Worte hörte. Zuerst hat Fenice ihn aufgefordert, von Britannien zu erzählen, dann erkundigt sie sich bei ihm nach der

287

288 5170

5175

5180

5185

5190

5195

5200

5205

Text und Übersetzung

Mon seignor Gauvain li anquiert, Tant que es paroles se fiert De ce dont ele se cremoit. Demanda li, se il amoit Dame ne pucele el païs. A ce ne fu mie restis Cligés ne lanz de ce respondre, Isnelemant li sot espondre, Des que ele l’an apela : « Dame ! », fet il, « j’amai de la, Mes n’amai rien qui de la fust. Aussi come escorce sanz fust Fu mes cors sanz cuer an Bretaingne. Puis que je parti d’Alemaingne, Ne soi, que mes cuers se devint, Mes que ça aprés vos s’an vint. Ça fu mes cuers et la mes cors. N’estoie pas de Grece fors, Que mes cuers i estoit venuz, Por cui je sui ça revenuz ; Mes il ne vient ne ne repeire, Ne je nel puis a moi retreire Ne je ne quier ne je ne puis. Et vos comant a esté puis Qu’an cest païs fustes venue ? Quel joie i avez puis eüe ? Plest vos la janz, plest vos la terre ? Je ne vos doi de plus anquerre Fors tant, se li païs vos plest. » « Ainz ne me plot, mes or me nest Une joie et une pleisance. Por Pavie ne por Pleisance, Sachiez, ne la voldroie perdre, Que mon cuer n’an puis desaerdre, Ne je ne l’an ferai ja force. An moi n’a rien fors que l’escorce, Que sanz cuer vif et sanz cuer sui. Onques an Bretaingne ne fui, Et si a mes cuers sanz moi fet An Bretaingne ne sai quel plet. »

5169–5208

5170

5175

5180

5185

5190

5195

5200

5205

Klugheit und Bildung des Herrn Gauvain, bevor sie es wagt, das anzusprechen, was ihr auf der Seele brennt. Sie hat ihn gefragt, ob er dort in dem Land eine Dame oder ein Mädchen geliebt habe. Durchaus nicht widerwillig oder langsam war Cligès mit seiner Antwort, denn er hatte sie schon bereit, als sie ihn fragte. „Madame“, sagt er, „ich habe dort geliebt, aber ich habe niemanden geliebt, der von dort gewesen wäre. So wie Rinde ohne Holz war mein Leib ohne Herz in Britannien. Seit ich aus Deutschland abgereist bin, weiß ich nicht, wo mein Herz geblieben ist, nur soviel, dass es Euch folgte. Mein Herz war hier und mein Leib dort. Ich war wirklich nicht aus Griechenland fort, weil mein Herz hierher gegangen war, um dessentwillen ich jetzt zurückgekommen bin. Aber es kommt nicht und kehrt nicht zu mir zurück, und ich kann es nicht zurückerlangen. Ich will und kann es auch gar nicht. Und Ihr, wie ist es Euch ergangen, seit Ihr in dieses Land gekommen seid? Worüber habt Ihr Euch seither gefreut? Gefallen Euch die Leute, gefällt Euch das Land? Aber ich sollte Euch nichts weiter fragen als das: ob Euch dieses Land gefällt.“ „Bislang gefiel es mir nicht, aber jetzt beginne ich, Freude und Gefallen daran zu haben. Weder für Pavia noch für Piacenza, da könnt Ihr sicher sein, möchte ich es verlieren, denn mein Herz kann sich nicht davon trennen, und ich werde ihm gewiss keine Gewalt antun. An mir ist nichts als Rinde, ich lebe und existiere ohne Herz. Niemals bin ich in Britannien gewesen, und doch hat mein Herz ohne mich in Britannien ich weiß nicht welchen Handel getrieben.“

289

290 5210

5215

5220

5225

5230

5235

5240

5245

Text und Übersetzung

« Dame ! quant fu vostre cuers la ? Dites moi, quant il i ala, An quel tans et an quel seison, Se c’est chose, que par reison Puissiez dire moi ne autrui. Fu il i lors, quant gié i fui ? » « Oïl, mes ne le coneüstes. Tant il fu il, con vos i fustes, Et avuec vos s’an departi.» « Des ! je ne l’i soi ne ne vi. Des ! que nel soi ! Se l’i seüsse, Certes, dame, je li eüsse Buene conpaignie portee. » « Mout m’eüssiez reconfortee ; Et bien le redeüssiez feire, Que je fusse mout de bon’ eire A vostre cuer, se lui pleüst A venir la ou me seüst. » « Dame ! certes, a vos vint il. » « A moi ? Ne vint pas en essil, Qu’aussi ala li miens a vos. » « Dame ! donc sont ci avuec nos Andui li cuer, si con vos dites ; Que li miens est vostre toz quites. » « Amis, et vos ravez le mien, Si nos antravenomes bien. Et sachiez bien, se Des me gart, Qu’ains vostre oncles n’ot an moi part, Que moi ne plot ne lui le lut. Onques ancor ne me conut Si come Adanz conut sa fame. A tort sui apelee dame; Mes bien sai, qui dame m’apele, Ne set que je soie pucele. Neïs vostre oncles nel set mie, Qui beü a de l’andormie, Et veillier cuide, quant il dort, Si li sanble que son deport Et de moi tot a sa devise Aussi come antre ses braz gise ;

5209–5248

5210

5215

5220

5225

5230

5235

5240

5245

291

„Madame! Wann war Euer Herz da? Sagt mir, wann es dorthin ging, zu welcher Zeit und in welchem Augenblick, wenn es erlaubt ist, dass Ihr es mir oder jemand anderem sagen könnt. War es dort, als ich da war?“ „Ja, aber Ihr habt es nicht bemerkt. Es war solange da wie Ihr, und mit Euch ist es wieder fortgegangen.“ „Gott! Ich wusste und sah nichts davon. Gott! Wieso wusste ich nichts davon? Wenn ich es gewusst hätte, dann hätte ich ihm, Madame, gewiss gute Gesellschaft geleistet.“ „Ihr hättet mich sehr getröstet und Ihr hättet es auch wirklich tun sollen, denn ich wäre sehr freundlich zu Eurem Herzen gewesen, wenn es ihm gefallen hätte, dorthin zu kommen, wo ich – wie es wusste – war.“ „Madame! Gewiss ist es zu Euch gegangen.“ „Zu mir? Dann kam es nicht in fremdes Land, denn ebenso ging das meine zu Euch.“ „Madame! Dann sind also unsere beiden Herzen hier bei uns, wie Ihr sagt, denn das meine gehört ohne Vorbehalt ganz Euch.“ „Freund, und Ihr habt auch das meine, und so passen wir bestens zueinander. Und Ihr könnt sicher sein, so Gott mich bewahre, dass Euer Onkel niemals etwas von mir erlangt hat, das mir nicht gefiel oder das ich ihm nicht erlaubte. Niemals hat er mich erkannt wie Adam seine Frau erkannte. Zu Unrecht nennt man mich Frau, aber ich weiß wohl, dass, wer mich Frau nennt, nicht weiß, dass ich noch Jungfrau bin. Selbst Euer Onkel weiß es nicht, weil er den Schlaftrank getrunken hat und glaubt, wach zu sein, wenn er schläft, und es ihm erscheint, als ob er ganz nach seinem Wunsch sein Vergnügen mit mir hat und ich in seinen Armen liege,

292 5250

5255

5260

5265

5270

5275

5280

5285

Text und Übersetzung

Mes bien l’an ai mis au defors. Vostre est mes cuers, vostre est mes cors, Ne ja nus par mon essanpleire N’aprandra vilenie a feire ; Car quant mes cuers an vos se mist, Le cors vos dona et promist Si que autre part n’i avra. Amors por vos si me navra, Que ja mes ne cuidai garir Ne plus que la mers puet tarir. Se je vos aim et vos m’amez, Ja n’an seroiz Tristanz clamez, Ne je n’an serai ja Iseuz; Car puis ne seroit l’amors preuz. Mes une promesse vos faz Que ja de moi n’avroiz solaz Autre, que vos ore an avez, Se apanser ne vos savez, Comant je puisse estrë anblee De vostre oncle et de s’assanblee, Si que ja mes ne me retruisse, Ne vos ne moi blasmer ne puisse Ne ja ne s’an sache a quoi prandre. Anuit vos i covient antandre, Et demain dire me savroiz Le miauz, que pansé an avroiz, Et gié aussi i panserai. Demain, quant levee serai, Venez matin a moi parler, Si dira chascuns son panser, Et ferons a oevre venir Celui que miauz voldrons tenir. » Quant Cligés ot sa volanté, Si li a tot acreanté Et dit que mout sera bien fet. Liee la leisse et liez s’an vet, Et voille chascuns an son lit La nuit et est an grant delit De panser ce que miauz li sanble.

5249–5287

5250

5255

5260

5265

5270

5275

5280

5285

aber in Wirklichkeit habe ich ihn auf Distanz gehalten. Euch gehört mein Herz, Euch gehört mein Leib, und niemand soll durch mein Beispiel lernen, Gemeinheiten zu begehen. Denn als mein Herz sich Euch ergab, schenkte es Euch den Leib und versprach, dass kein anderer Teil daran haben werde. Um Euretwillen hat Amor mich so verwundet, dass ich niemals zu genesen glaube, so wenig wie das Meer austrocknen kann. Wenn ich Euch liebe und Ihr mich liebt, dann sollt Ihr deshalb nicht Tristan genannt werden und ich nicht Isolde, denn dann hätte die Liebe keinen Wert. Aber ich kann Euch versprechen, dass Ihr in keiner anderen Weise Trost bei mir finden werdet als jetzt, wenn Ihr nicht Mittel und Wege findet, wie ich Eurem Onkel und seiner Gesellschaft entzogen werden könnte, so dass er mich niemals wiederfindet und er weder Euch noch mich tadeln kann und nicht weiß, woran er sich halten soll. Heute Nacht müsst Ihr darüber nachdenken und mir morgen sagen, welches der beste Plan ist, der Euch eingefallen ist. Und ich werde auch darüber nachdenken. Morgen, wenn ich aufgestanden bin, kommt früh zur Beratung zu mir, dann wird jeder sagen, was er denkt, und wir werden das ausführen, was wir für das Beste halten.“ Als Cligès hört, was sie möchte, hat er ihr in allem zugestimmt und gesagt, dass ihr Plan sehr gut wäre. Sie bleibt froh zurück, und froh geht er davon, und jeder liegt in der Nacht wach in seinem Bett und hat Vergnügen daran, über den besten Plan nachzudenken.

293

294

5290

5295

5300

5305

5310

5315

5320

5325

Text und Übersetzung

L’andemain revienent ansanble Maintenant qu’il furent levé, Et furent a consoil privé, Si come il lor estoit mestiers. Cligés dit et conte premiers Ce que pansé avoit la nuit : « Dame ! », fet il, « je pans et cuit Que miauz feire ne porriiens Que s’an Bretaingne an aliiens : La ai pansé que vos an maingne. Or gardez qu’an vos ne remaingne ! Qu’onques ne fu a si grant joie Elainne receüe a Troie, Quant Paris l’i ot amenee, Qu’ancor ne soit graindre menee Par tote la terre le roi, Mon oncle, de vos et de moi. Et se ce bien ne vos agree, Dites moi la vostre pansee ; Car je sui prez, que qu’an avaingne, Que a vostre panse me taingne. » Cele respont : « Et je dirai : Ja avuec vos einsi n’irai ; Car lors seroit par tot le monde Aussi come d’Iseut la blonde Et de Tristan de nos parlé, Quant nos an seriiens alé ; Et ci et la, totes et tuit Blasmeroient nostre deduit. Nus ne crerroit ne devroit croire La chose si come ele est voire. De vostre oncle qui crerroit dons, Que je li sui si an pardons Pucele estorse et eschapee ? Por trop baude et por estapee Me tandroit l’an et vos por fol. Mes le comandemant saint Pol Fet buen garder et retenir : Qui chastes ne se viaut tenir, Sainz Pos a feire li ansaingne

5288–5327

5290

5295

5300

5305

5310

5315

5320

5325

Am nächsten Morgen treffen sie sich wieder, sobald sie aufgestanden waren, und hielten heimlich Rat, denn anders war es ihnen nicht möglich. Zuerst spricht Cligès und berichtet, was er über Nacht gedacht hatte. „Madame“, sagt er, „ich denke und glaube, dass wir nichts Besseres tun könnten, als nach Britannien zu gehen; ich habe gedacht, Euch dorthin zu bringen. Gebt acht, dass es nicht an Euch scheitert! Denn so groß die Freude auch gewesen sein mag, mit der Helena in Troja empfangen wurde, als Paris sie dorthin entführt hatte, so wird doch über Eure und meine Ankunft im ganzen Reich des Königs, meines Onkels, noch größere Freude herrschen. Und wenn Ihr nicht damit einverstanden seid, sagt mir, was Ihr denkt, denn was auch geschehen mag, ich bin bereit, mich an das zu halten, was Ihr denkt.“ Sie antwortet: „Und ich sage Euch, dass ich niemals so mit Euch fortgehen werde, denn wenn wir das täten, würde man in der ganzen Welt über uns wie über die blonde Isolde und Tristan reden. Und hier und da würden Frauen wie Männer unsere Liebe verurteilen. Niemand würde glauben oder könnte darauf kommen, wie es in Wahrheit um die Sache steht. Wer würde denn glauben, dass ich Eurem Onkel unberührt entflohen und entkommen bin? Für allzu leichtfertig und offenherzig würde man mich halten und Euch für dumm. Aber es ist gut, das Gebot des heiligen Paulus zu achten und zu bewahren: Wer nicht keusch bleiben will, den lehrt der heilige Paulus,

295

296

5330

5335

5340

5345

5350

5355

5360

5365

Text und Übersetzung

Si sagemant, que il n’an praingne Ne cri ne blasme ne reproche. Buen estoper fet male boche, Et de ce, s’il ne vos est grief, Cuit je mout bien venir a chief ; Que je me voldrai feire morte, Si con mes pansers le m’aporte ; Malade me ferai par tans. Et vos resoiiez an espans De porveoir ma sepouture. An ce metez antante et cure, Que feite soit an tel meniere Et la sepouture et la biere, Que je n’i muire ne estaingne, Ne ja nus garde ne s’an praingne La nuit, quant vos m’an voldroiz treire. Et si me querez tel repeire, Ou ja nus fors vos ne me voie ; Ne ja nus rien ne me porvoie, Don j’aie mestier ne besoing, Fors vos, cui je m’otroi et doing. Ja mes an trestote ma vie Ne quier d’autre home estre servie. Mes sire et mes serjanz seroiz, Buen m’iert quanque vos me feroiz, Ne ja mes ne serai d’anpire Dame, se vos n’an estes sire. Uns povres leus, oscurs et sales, M’iert plus clers que totes cez sales, Quant vos seroiz ansanble o moi. Se je vos ai et je vos voi, Dame serai de toz les biens, Et toz li mondes sera miens. Et se la chose est par san feite, Ja ne sera an mal retreite, Ne nus n’an porra ja mesdire ; Qu’an cuidera par tot l’anpire Que je soie an terre porrie. Et Thessala qui m’a norrie, Ma mestre, an cui je mout me croi,

5328–5367

5330

5335

5340

5345

5350

5355

5360

5365

bedacht zu handeln, damit er sich weder einer Anklage noch einem Tadel oder Vorwurf aussetzt. Übelrednern muss man den Mund stopfen, und das kann ich, wenn Ihr einverstanden seid, wohl sehr gut bewerkstelligen. Denn ich möchte mich tot stellen, das ist mir in den Sinn gekommen; bald werde ich so tun, als ob ich krank sei. Und Ihr sollt Euch darum kümmern, mir ein Grab zu verschaffen. Dabei müsst Ihr darauf achten, dass Sarg und Bahre so beschaffen sind, dass ich darin weder sterbe noch ersticke und es niemand bemerkt, wenn Ihr mich nachts herausholt. Und Ihr sollt mir eine Bleibe suchen, wo keiner außer Euch mich sehen kann, und keiner soll mich mit dem, was ich brauche und benötige, versorgen, außer Euch, dem ich mich hingebe und schenke. Niemals in meinem ganzen Leben möchte ich von einem anderen Mann bedient werden. Mein Herr und mein Diener werdet Ihr sein, und was immer Ihr mit mir tut, wird mir angenehm sein, niemals werde ich Herrin in einem Kaiserreich sein, in dem Ihr nicht Herr seid. Irgendein elender, dunkler und schmutziger Ort wird mir strahlender als alle diese Prunkräume erscheinen, wenn Ihr bei mir seid. Wenn ich Euch besitze und sehe, werde ich Herrin über unendliche Reichtümer sein und die ganze Welt wird mir gehören. Und wenn man den Plan mit Umsicht ausführt, wird man niemals etwas Schlechtes oder Nachteiliges sagen können. Vielmehr wird man im ganzen Kaiserreich glauben, dass ich in der Erde verwese. Und Thessala, die mich aufgezogen hat, meine Meisterin, die mein volles Vertrauen besitzt,

297

298

5370

5375

5380

5385

5390

5395

5400

5405

Text und Übersetzung

M’i eidera par buene foi ; Qu’ele est mout sage et mout m’i fi. » Et Cligés, quant s’amie oï, Respont : « Dame ! se il puet estre Et vos cuidiez que vostre mestre Vos an doie a droit conseillier, N’i a que de l’apareillier Et del feire hastivemant ; Mes se nel feisons sagemant, Alé somes sanz recovrier. An ceste vile a un ovrier, Qui mervoilles taille et deboisse : N’est terre, ou l’an ne le conoisse Par les oevres, que il a feites Et deboissiees et portreites. Jehanz a non, si est mes sers, Nus mestiers n’est, tant soit divers, Se Jehanz i voloit antandre, Que a lui se poïst nus prandre ; Car vers lui sont il tuit novice Come anfes qui est a norrice. As soes oevres contrefeire Ont apris quanqu’il sevent feire Cil d’Antioche et cil de Rome, Ne l’an ne set plus leal home. Mes or le voldrai esprover, Et se je i puis foi trover, Lui et toz ses oirs franchirai Ne ja vers lui ne ganchirai, Que nostre consoil ne li die, Se il le me jure et afie, Que leaumant m’an eidera Ne ja ne m’an descoverra. » Cele respont ; « Or soit einsi. » Cligés fors de la chanbre issi Par son congié, si s’an ala. Et cele mande Thessala, Sa mestre, qu’ele ot amenee De la terre, ou ele fu nee.

5368–5406

5370

5375

5380

5385

5390

5395

5400

5405

299

wird mir in aller Treue beistehen, denn sie ist sehr klug und ich verlasse mich ganz auf sie.“ Und Cligès, als er seine Freundin angehört hatte, antwortet: „Madame! Wenn das möglich ist und Ihr glaubt, dass Eure Erzieherin Euch guten Rat geben kann, muss man ihn nur ins Werk setzen und dies schnell. Doch wenn wir nicht mit Umsicht vorgehen, sind wir verloren. In dieser Stadt lebt ein Handwerker, der wunderbar schnitzen und meißeln kann; es gibt kein Land, in dem man ihn nicht aufgrund der Skulpturen kennt, die er geschaffen und geschnitzt und gestaltet hat. Er heißt Johann und ist mein Leibeigener, und es gibt kein Kunstwerk, welcher Art es auch sein mag, dass, wenn Johann es ausführen wollte, es keiner mit ihm aufnehmen könnte. Denn im Vergleich mit ihm sind alle anderen Lehrlinge, wie Kinder an der Brust ihrer Amme. Durch die Nachahmung seiner Werke haben die Künstler aus Antiochien und Rom alles gelernt, was sie können. Und zudem gibt es keinen treueren Menschen. Doch nun werde ich ihn auf die Probe stellen, und wenn es sich erweist, dass er mir treu ist, werde ich ihm und allen seinen Nachkommen die Freiheit schenken, und ich werde es nicht unterlassen, ihm von unserem Plan zu erzählen, wenn er mir schwört und versichert, dass er mich treu unterstützen und mich nicht verraten wird.“ Sie antwortet: „So soll es sein.“ Cligès verließ mit ihrer Erlaubnis das Zimmer und ging fort. Und sie lässt nach Thessala schicken, ihrer Erzieherin, die sie aus dem Land mitgebracht hatte, in dem sie geboren worden war.

300

5410

5415

5420

5425

5430

5435

5440

5445

Text und Übersetzung

Et Thessala vint eneslore, Qu’ele ne tarde ne demore ; Mes ne set, por qu’ele la mande. A privé consoil li demande, Que ele viaut et que li plest. Cele ne li cele ne test De son panser nes une rien. « Mestre ! », fet ele, « je sai bien Que ja chose que je vos die, N’iert an avant par vos oïe ; Car mout vos ai bien esprovee Et mout vos ai sage trovee. Tant m’avez fet que je vos aim. De toz mes maus a vos me claim Ne je n’an praing aillors consoil. Vos savez bien, por quoi je voil Et que je pans et que je vuel. Rien ne pueent veoir mi oel Fors une chose qui me pleise Mes je n’an avrai bien ne eise S’einçois mout chier ne le conper. Et si ai je trové mon per ; Car se jel vuel, il me reviaut, Se je me duel, il se rediaut De ma dolor et de m’angoisse. Or m’estuet que je vos conoisse Un panser et un parlemant, A quoi nos dui tant solemant Nos somes pris et acordé. » Lors li a dit et recordé, Qu’ele se viaut malade faindre, Et dit que tant se voldra plaindre, Qu’a la fin morte se fera, Et Cligés la nuit l’anblera, Si seront mes toz jorz ansanble. An autre guise, ce li sanble, Ne li porroit avoir duree. Mes s’ele estoit asseüree Que ele l’an vossist eidier, Aussi come par soheidier

5407–5446

5410

5415

5420

5425

5430

5435

5440

5445

Und Thessala kam sofort herbei, ohne zu säumen und zu zögern, aber sie weiß nicht, warum sie nach ihr schickt. Im Vertrauen fragt sie Fenice, was sie wünscht und begehrt. Diese verbirgt und verschweigt ihr nicht das Geringste von dem, was sie denkt. „Meisterin“, sagt sie, „ich weiß wohl, dass Ihr das, was immer ich Euch sage, nicht weitertragen werdet, denn ich habe Euch lange erprobt und weiß, wie außerordentlich klug Ihr seid. Ich liebe Euch, weil Ihr soviel für mich getan habt. Über allen Kummer beklage ich mich bei Euch und frage keinen anderen um Rat. Ihr wisst wohl, warum ich nachts wach liege und was ich denke und möchte. Nichts können meine Augen erblicken, das mir gefällt, außer einem einzigen Wesen, aber ich werde keine Freude und kein Vergnügen daran haben, wenn ich es vorher nicht sehr teuer bezahle. Doch habe ich einen gefunden, der mir gleicht, denn was ich begehre, begehrt auch er, und wenn ich Kummer habe, ist er auch bekümmert mit meinem Leid und meiner Sorge. Nun muss ich Euch von einer Verabredung und einem Plan in Kenntnis setzen, den wir beide ganz allein im Einvernehmen gefasst haben.“ Da hat sie ihr gesagt und erklärt, dass sie sich krank stellen wird, und sie sagt, dass sie so sehr klagen will, bis sie schließlich am Ende ihren Tod vortäuschen und Cligès sie in der Nacht entführen wird. Dann werden sie immer zusammen sein können. Auf andere Weise, so scheint ihr, könnte sie nicht länger leben. Aber wenn sie die Gewissheit hätte, dass Thessala ihr dabei helfen wollte, würde diese Angelegenheit

301

302

5450

5455

5460

5465

5470

5475

5480

5485

Text und Übersetzung

Seroit feite ceste besoingne ; « Mes trop me demore et esloingne Ma joie et ma buene avanture. » A tant sa mestre l’asseüre, Qu’ele l’an eidera del tot, Ja n’an et crieme ne redot, Et dit que tel painne i metra Des qu’ele s’an antremetra, Que ja n’iert mes hon qui la voie, Que tot certainnemant ne croie Que l’ame soit del cors sevree, Quant ele l’avra abevree D’un boivre qui la fera froide, Descoloree et pale et roide Et sanz parole et sanz alainne, Si iert trestote vive et sainne, Ne bien ne mal ne santira Ne ja rien ne li grevera D’un jor ne d’une nuit antiere N’an sepouture ne an biere. Quant Fenice l’ot antandu, Si li a dit et respondu : « Mestre ! an vostre garde me met, De moi sor vos ne m’antremet. Je sui a vos, pansez de moi, Et dites as janz que ci voi, Que ci n’et nul qui ne s’an voise. Malade sui, si me font noise. » Cele lor dit come afeitiee : « Seignor ! ma dame est desheitiee, Si viaut que tuit vos an voisiez ; Que trop parlez et trop noisiez, Et la noise li est mauveise. Ele n’avra repos ne eise Tant con seroiz an ceste chanbre. Onques mes, dont il me remanbre, N’ot mal, don tant l’oïsse plaindre, Tant est ses maus plus forz et graindre. Alez vos an, ne vos enuit. »

5447–5485

5450

5455

5460

5465

5470

5475

5480

5485

nach Wunsch geregelt werden. „Denn meine Freude und mein Glück lassen zu lange auf sich warten und sind mir zu fern.“ Da versichert die Erzieherin ihr, dass sie in allem ihre Unterstützung haben werde und sie sich nicht fürchten oder beunruhigen solle. Und sie sagt, dass sie sich soviel Mühe geben werde, sobald sie sich damit befasst, dass keiner, der Fenice sähe, nicht vollkommen sicher sein würde, dass die Seele den Leib verlassen habe, sobald sie den Trank getrunken habe, der sie kalt, farblos, bleich und hässlich erscheinen lassen werde, ohne Stimme und ohne Atem, obwohl sie vollkommen lebendig und gesund sein und weder Gutes noch Schlechtes empfinden werde. Nichts werde ihr einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang Leid zufügen können, weder im Sarg noch auf der Bahre. Als Fenice das gehört hatte, hat sie ihr Folgendes geantwortet: „Meisterin, ich vertraue mich Euch an, ich übergebe Euch die Verantwortung für mich. Ich gehöre Euch, tragt Sorge für mich, und sagt den Leuten, die ich hier sehe, dass sie alle fortgehen sollen. Ich bin krank und sie stören mich.“ Und höflich sagt Thessala zu ihnen: „Ihr Herren! Der Kaiserin ist nicht wohl, und sie wünscht, dass ihr euch alle zurückzieht, denn ihr redet zuviel und macht zuviel Lärm, und der Lärm ist nicht gut für sie. Sie wird keine Ruhe und Entspannung finden, solange ihr in diesem Zimmer bleibt. Noch niemals hatte sie, soweit ich mich erinnere, eine Krankheit, über die ich sie so sehr klagen hörte, daher muss der Schmerz unvergleichlich groß und heftig sein. Zieht euch zurück, nehmt es nicht übel.“

303

304

5490

5495

5500

5505

5510

5515

5520

5525

Text und Übersetzung

Cil s’an vont isnelemant tuit, Lors que cele l’ot comandé. Et Cligés a Jehan mandé A son ostel isnelemant, Se li a dit priveemant : « Jehanz ! sez tu que je vuel dire ? Tu es mes sers, je sui tes sire, Et je te puis doner ou vandre Et ton cors et ton avoir prandre Come la chose qui est moie. Mes s’an toi croire me pooie D’un mien afeire que je pans, A toz jorz mes seroies frans Et li oir qui de toi nestront. » Jehanz tot maintenant respont, Qui mout desirre la franchise. « Sire ! », fet il, « tot a devise N’est chose que je ne feïsse, Mes que por tant franc me veïsse Et ma fame et mes anfanz quites. Vostre comandemant me dites, Ne ja n’iert chose si grevainne, Que ja me soit travauz ne painne, Ne ja ne me grevera rien. Et sanz ce, maleoit gre mien, Le me covandra il a feire Et guerpir tot le mien afeire.» « Voire, Jehanz ! mes c’est tes chose, Que ma boche dire ne l’ose, Se tu ne me plevis et jures Et del tot ne m’an asseüres, Que tu a foi m’an eideras Ne ja m’an descoverras. » « Volantiers, sire ! », fet Jehanz, « Ja n’an soiiez vos mescreanz ! Que ce vos jur je et plevis, Que ja tant con je soie vis, Ne dirai chose, que je cuit, Qui vos griet ne qui vos enuit. » « Ha, Jehanz ! nes por moi ocire

5486–5525

5490

5495

5500

5505

5510

5515

5520

5525

305

Alle beeilen sich fortzugehen, sobald sie dies befohlen hatte. Und Cligès hat Johann schnell aus seiner Wohnstätte holen lassen und im Vertrauen zu ihm gesagt: „Johann! Weißt du, was ich sagen möchte? Du bist mein Leibeigener, ich bin dein Herr, und ich kann dich verschenken oder verkaufen und über deinen Leib und deinen Besitz verfügen, als ob sie mein Eigen wären. Aber wenn ich dir in einer Angelegenheit, die ich im Sinn habe, vertrauen könnte, wärest du für immer frei, auch deine Erben, die von dir abstammen.“ Johann, der die Freiheit sehr begehrt, antwortet ihm auf der Stelle: „Herr“, sagt er, „es gibt nichts, das ich nicht liebend gern tun würde, wenn ich dafür die Freiheit für mich und für meine Frau und Kinder erlange. Sagt mir, was Ihr wünscht, es gibt keine schwere Aufgabe, so mühevoll und hart sie auch für mich sein mag, die ich nicht erfüllen werde. Und im übrigen werde ich, selbst wenn es mir widerstreben sollte, die Aufgabe vollenden und meine eigenen Angelegenheiten hintanstellen müssen.“ „Ja, Johann! Aber es geht um eine Sache, von der ich kaum zu sprechen wage, wenn du mir nicht schwörst und beeidest und in jeder Hinsicht versicherst, dass du mir treu helfen und mich niemals verraten wirst.“ „Sehr gern, Herr“, erwidert Johann, „daran dürft Ihr nicht zweifeln. Denn ich schwöre Euch und verbürge mich dafür, dass ich, solange ich lebe, nichts sagen werde, was Euch meines Wissens kränken oder schaden könnte.“ „Ach, Johann! Selbst wenn man mich töten würde,

306

5530

5535

5540

5545

5550

5555

5560

Text und Übersetzung

N’est hon, cui je l’osasse dire, Ce don consoil querre te vuel, Ainz me leiroie treire l’uel. Miauz voldroie que m’oceïsses, Que a nul autre le deïsses : Mes tant te truis leal et sage, Que je te dirai mon corage. Bien feras, ce cuit, mon pleisir Et de l’eidier et del teisir. » « Voire, sire ! se Des m’aït ! » A tant Cligés li conte et dit L’avanture tot an apert. Et quant il li a descovert Le voir, si con vos le savez, Qui oï dire le m’avez, Lors dit Jehanz, qu’il l’asseüre De bien feire la sepouture Au miauz qu’il s’an savra pener, Et dit qu’il le voldra mener Veoir une soe meison, Et ce qu’onques mes ne vit hon Ne fame ne anfes qu’il et, Mosterra li, que il a fet, Se lui plest que avuec lui aille La ou il oevre et paint et taille Tot seul a seul sanz plus de jant. Le plus bel leu et le plus jant Li mosterra, qu’il veïst onques. Cligés respont: « Alons i donques ! » Dessoz la vile an un destor Avoit Jehanz feite une tor, S’i ot par mout grant san pené. La a Cligés o lui mené, Si le mainne par les estages, Qui estoient paint a images Beles et bien anluminees. Les chanbres et les cheminees Li mostre, et sus et jus le mainne. Cligés voit la meison soltainne,

5526–5564

5530

5535

5540

5545

5550

5555

5560

gibt es keinen Menschen, dem ich zu sagen wagte, worum ich dich um Rat bitten will, eher würde ich mir ein Auge ausreißen lassen. Lieber möchte ich, dass du mich tötest, als dass du einem anderen davon erzählst. Aber ich halte dich für so treu und klug, dass ich dir mein Herz offenbaren werde. Du wirst, glaube ich, meinen Willen erfüllen, indem du mir hilfst und verschwiegen bist.“ „Gewiss, Herr, so wahr mir Gott helfe!“ Da erzählt und legt Cligès ihm alles offen dar. Und als er ihm die Wahrheit offenbart hatte, die ihr ja kennt, weil ich sie euch erzählt habe, da sagt Johann und sichert ihm zu, dass er all seine Kunst darauf verwenden werde, um das Grabmal schön zu gestalten. Und er sagt, dass er ihn zu einem Haus führen möchte, das ihm gehöre, damit er es sich anschauen könne, und dass es bislang weder ein Mann noch eine Frau noch ein Kind gesehen habe, und er werde ihm zeigen, was er geschaffen habe, wenn es ihm recht sei, mit ihm allein und ohne Begleitung dorthin zu gehen, wo er arbeitet und malt und schnitzt. Er werde ihm den schönsten und angenehmsten Ort zeigen, den er je gesehen habe. Und Cligès antwortet: „Gehen wir also dorthin!“ Unterhalb der Stadt an einer abseits gelegenen Stelle hatte Johann einen Turm gebaut und sehr große Kunst darauf verwandt. Dorthin hat er Cligès gebracht, und er führt ihn durch die Räume, die mit herrlichen und schön gemalten Bildern ausgeschmückt waren. Er zeigt ihm Kammern und Kamine und führt ihn hinauf und hinunter. Cligès sieht, dass sich das Haus in einsamer Lage befindet

307

308 5565

5570

5575

5580

5585

5590

5595

5600

Text und Übersetzung

Que nus n’i maint ne ne converse. D’une chanbre an autre traverse, Tant que tot cuide avoir veü, Si li a mout la torz pleü Et dit que mout par estoit bele. Bien i sera la dameisele Toz les jorz que ele vivra ; Que ja nus hon ne l’i savra. « Non voir, sire, ja n’iert seüe ! Mes cuidiez vos avoir veüe Tote ma tor et mes deduiz ? Ancore i a de tes reduiz, Que nus hon ne porroit trover. Et se vos i loist esprover Au miauz que vos savroiz cerchier, Ja tant n’i porroiz reverchier, Ne tant sotis n’estes et sages, Que plus trovoiz ici estages, Se je ne vos mostre et ansaing. Sachiez, ci ne faillent li baing Ne chose qu’a dame covaingne, Dont il me manbre ne sovaingne. La dame iert ci mout aeisiee. Par dessoz terre est esleisiee Ceste torz, si con vos verroiz, Ne ja huis trover n’i porroiz Ne antree de nule part. Par tel angin et par tel art Est fez li huis de pierre dure, Que ja n’i troveroiz jointure. » « Ore oi mervoilles », fet Cligés ; « Alez avant, j’irai aprés ; Que tot ce m’est tart que je voie ». Lors s’est Jehanz mis a la voie, Si mainne Cligés par la main Jusqu’a un huis poli et plain, Qui toz est painz et colorez. Au mur s’est Jehanz arestez Et tint Cligés par la main destre. « Sire ! », fet il, « huis ne fenestre

5565–5604 5565

5570

5575

5580

5585

5590

5595

5600

309

und niemand dort wohnt oder verkehrt. Von einem Raum geht er in den anderen, bis er glaubt, alles gesehen zu haben. Der Turm hat ihm sehr gefallen, und er sagt, dass er wirklich sehr schön sei. Die junge Dame wird sich wohlfühlen, solange sie dort bleiben wird, und kein Mensch wird sie da vermuten. „Nein, wirklich, Herr! Sie wird niemals entdeckt werden. Aber glaubt Ihr denn, den ganzen Turm und die Bequemlichkeiten, die er bietet, schon gesehen zu haben? Es gibt hier noch Verstecke, die niemand finden könnte. Und wenn Ihr Lust habt auszuprobieren, wie gut Ihr zu suchen versteht, so könntet Ihr noch so viel suchen und werdet doch nicht schlau und klug genug sein, um hier weitere Räume zu finden, wenn ich sie Euch nicht zeige oder Euch nicht darauf hinweise. Wisst, dass selbst Baderäume nicht fehlen oder etwas anderes, das eine adlige Dame braucht, soweit ich weiß und mich erinnere. Die Dame wird es hier sehr angenehm haben. Unter der Erde verbreitert sich, wie Ihr sehen werdet, dieser Turm, und nirgendwo könntet Ihr hier eine Tür oder einen Eingang finden. Denn die Tür ist aus hartem Stein mit solchem Geschick und solcher Kunst gemacht, dass Ihr dort keine Nahtstelle finden würdet.“ „Das klingt wunderbar“, sagt Cligès, „geht voraus, ich werde Euch folgen, denn ich bin ungeduldig, es zu sehen.“ Da hat sich Johann auf den Weg gemacht und Cligès an der Hand zu einer glatten und ebenen Tür geführt, die ganz mit bunten Bildern bemalt ist. An der Mauer ist Johann stehen geblieben und hielt Cligès an der rechten Hand. „Herr“, sagt er, „niemand kann in dieser Mauer

310 5605

5610

5615

5620

5625

5630

5635

5640

Text und Übersetzung

N’est nus qui an cest mur veïst, Et cuidiez vos qu’an le poïst An nule guise trespasser Sanz anpirier et sanz quasser ? » Cligés respont que il nel croit Ne ja nel crerra, s’il nel voit. Lors dit Jehanz qu’il le verra Et l’uis del mur li overra. Jehanz qui avoit feite l’uevre, L’uis del mur li desserre et oevre Si qu’il nel blesce ne ne quasse, Et li uns avant l’autre passe, Et desçandent par une viz Jusqu’a un estage voltiz, Ou Jehanz ses oevres feisoit, Quant riens a feire li pleisoit. « Sire ! », fet il, « ci ou nos somes, N’ot onques de trestoz les homes Que Des formast, mes que nos deus ; Et s’est si aeisiez li leus Con vos verroiz jusqu’a ne gueires. Ci lo que soit vostre repeires Et vostre amie i soit reposte. Tes ostés est buens a tel oste, Qu’il i a chanbres et estuves Et l’eve chaude par les cuves, Qui vient par conduit dessoz terre. Qui voldroit leu aeisié querre Por s’amie metre et celer, Mout li covandroit loing aller, Ainz qu’il trovast si delitable. Mout le tandroiz a covenable, Quant vos avroiz par tot esté. » Lors li a Jehanz tot mostré, Beles chanbres et voltes paintes, Et si li a mostrees maintes De ses oevres qui mout li plorent. Quant tote la tor veüe orent, Lors dist Cligés : « Jehanz amis ! Vos et trestoz voz oirs franchis,

5605–5644 5605

5610

5615

5620

5625

5630

5635

5640

Tür oder Fenster sehen. Und glaubt Ihr, dass man sie in irgendeiner Weise durchschreiten könnte, ohne sie zu beschädigen oder einzureißen?“ Cligès antwortet, dass er es nicht glaube und es auch nicht glauben werde, wenn er es nicht sähe. Da sagt Johann, dass er es sehen und er ihm die Tür in der Mauer öffnen werde. Johann, der dieses Kunstwerk geschaffen hatte, schließt die Tür in der Mauer auf und öffnet sie, ohne etwas zu versehren oder zu zerbrechen, und einer nach dem anderen geht hindurch, und sie steigen über eine Wendeltreppe in das Gewölbe hinunter, das Johann als Arbeitsraum diente, wenn er Lust hatte, etwas zu anzufertigen. „Herr“, sagt er, „hier, wo wir sind, ist von allen Menschen, die Gott erschuf, bislang außer uns beiden niemand gewesen, und der Ort ist sehr angenehm, wie Ihr gleich sehen werdet. Ich rate Euch, ihn als Fluchtort zu wählen und Eure Freundin hier zu verstecken. Diese Bleibe passt zu einem solchen Gast, weil es hier heizbare Räume und Bäder und warmes Wasser in den Wannen gibt, das durch unterirdische Leitungen fließt. Wer immer einen angenehmen Ort suchen sollte, um seine Freundin dort einzuquartieren und zu verbergen, müsste weit gehen, um einen so vergnüglichen zu finden. Wenn Ihr alles gesehen habt, werdet ihr ihn sehr angemessen finden.“ Dann hat Johann ihm alles gezeigt, schöne Zimmer und bemalte Gewölbe, und er hat ihm auch viele seiner Werke gezeigt, die Cligès sehr gefielen. Als sie den ganzen Turm besichtigt hatten, sagte Cligès: „Johann, Freund, ich lasse Euch und alle Eure Nachkommen frei,

311

312 5645

5650

5655

5660

5665

5670

5675

5680

Text und Übersetzung

Et je sui vostre par la gole. Ceanz vuel que soit tote sole M’amie, et ja nel sache nus Fors moi et vos et li sanz plus. » Jehanz respont : « Vostre merci ! Ore avons assez esté ci, N’i avons ore plus que feire, Si nos metomes au repeire. » « Bien avez dit, » Cligés respont, « Alons nos an ! » Lors s’an revont, Si sont issu fors de la tor. An la vile öent au retor, Que li uns a l’autre consoille : « Vos ne savez, con grant mervoille De ma dame l’anpererriz ! Santé li doint sainz Esperiz, A la jantil dame et la sage ; Qu’ele gist de mout grant malage. » Quant Cligés antant la murmure, A la cort vint grant aleüre ; Mes n’i ot joie ne deduit ; Que triste et mat estoient tuit Por l’anpererriz qui se faint ; Que li maus dont ele se plaint, Ne li grieve ne ne li diaut ; S’a dit a toz, qu’ele ne viaut Que nus hon an sa chanbre vaingne Tant con ses maus si fort la taingne, Don li cuers li diaut et li chiés, Se n’est l’anperere ou ses niés ; Qu’a çaus ne le viaut contredire ; Mes li anperere, ses sire, N’i vaingne, ne l’an chaudra il. An grant painne et an grant peril Por Cligés metre l’i covient ; Mes ce li poise qu’il ne vient ; Que rien fors lui veoir ne quiert. Cligés par tans devant li iert, Tant que li avra reconté

5645–5683 5645

5650

5655

5660

5665

5670

5675

5680

und ich garantiere es Euch bei meinem Leben. Ich möchte, dass meine Freundin hier ganz allein lebt und dass niemand sonst es weiß außer mir und Euch und ihr.“ Johann erwidert: „Ich danke Euch! Nun sind wir aber lange genug hier geblieben, und da wir jetzt nichts mehr hier zu tun haben, machen wir uns also auf den Rückweg.“ „Ihr habt recht“, antwortet Cligès, „gehen wir!“ Da gehen sie zurück und haben den Turm verlassen. Bei der Rückkehr in die Stadt hören sie, wie einer dem anderen zuflüstert: „Wisst Ihr schon das Unglaubliche von unserer Herrin, der Kaiserin? Der heilige Geist möge sie gesund machen, die kluge und feine Dame, denn sie liegt mit einem schweren Leiden darnieder.“ Als Cligès das Gemurmel hört, begab er sich mit großer Eile an den Hof. Aber da war weder Freude noch Heiterkeit, denn alle waren traurig und niedergeschlagen wegen der Kaiserin, die sich krank stellt, denn der Schmerz, über den sie klagt, quält sie nicht und tut ihr nicht weh. Zu allen hat sie gesagt, dass sie nicht wünscht, dass irgendjemand in ihr Zimmer kommt, so lange der Schmerz sie so heftig quält, der ihr das Herz und den Kopf durchbohrt, es sei denn der Kaiser oder sein Neffe, denn die will sie nicht abweisen. Aber wenn der Kaiser, ihr Herr und Ehemann, nicht kommt, wird sie sich nichts daraus machen. In große Gefahr und in große Not muss sie sich wegen Cligès begeben, aber es bekümmert sie, dass er nicht kommt, denn niemanden außer ihn wünscht sie zu sehen. Cligès wird bald bei ihr sein und ihr berichtet haben,

313

314 5685

5690

5695

5700

5705

5710

5715

5720

Text und Übersetzung

Ce qu’il a veü et trové. Devant li vient, si li a dit ; Mes mout i demora petit ; Car Fenice, por ce qu’an cuit Que ce que li plest li enuit, A dit an haut : « Fuiiez, fuiiez ! Trop me grevez, trop m’enuiiez ; Que tant sui de mal agrevee, Ja n’an serai sainne levee. » Cligés cui ce mout atalante, S’an vet feisant chiere dolante ; Qu’ains si dolante ne veïstes. Mout pert estre par defors tristes ; Mes ses cuers est liez par dedanz, Qui a sa joie est atandanz. L’anpererriz sanz mal qu’ele et Se plaint et malade se fet ; Et l’anperere qui la croit De duel feire ne se recroit, Et mires querre li anvoie ; Mes ele ne viaut qu’an la voie, Ne ne leisse a li adeser. Ce puet l’anpereor peser, Qu’ele dit que ja n’i avra Mire fors un qui li savra Legieremant doner santé, Quant lui vandra a volanté. Cil la fera morir ou vivre, An celui se met a delivre De sa santé et de sa vie. De De cuident que ele die, Mes mout a autre antancion ; Qu’ele n’antant s’a Cligés non. C’est ses des qui la puet garir Et qui la puet feire morir. Einsi l’anpererriz se garde, Que nus mires ne s’an prant garde, N’ele ne viaut mangier ne boivre,

5684–5721

5685

5690

5695

5700

5705

5710

5715

5720

was er gesehen und gefunden hat. Da kommt er zu ihr und hat es ihr gesagt. Aber er blieb nur sehr kurz da, und damit man glauben soll, dass ihr lästig sei, was ihr gefällt, hat Fenice mit lauter Stimme gerufen: „Geht fort, geht fort! Eure Gegenwart strengt mich zu sehr an, denn ich bin so schwer krank, dass ich niemals wieder gesund werde.“ Cligès, den das sehr erfreut, geht mit trauriger Miene fort, so traurig, wie ihr niemals jemanden saht. Nach außen erscheint er sehr traurig, aber im Inneren ist sein Herz in Erwartung seines Glücks fröhlich. Die Kaiserin klagt und stellt sich krank, ohne dass ihr wirklich etwas fehlt. Und der Kaiser, der ihr glaubt, hört nicht auf zu klagen und lässt einen Arzt für sie holen. Aber sie will sich nicht untersuchen und berühren lassen. Der Kaiser hat allen Grund zur Betrübnis, wenn sie sagt, dass sie keinen Arzt akzeptieren werde außer einem, der sie leicht gesund machen könne, wenn er dies wolle. Durch ihn allein wird sie leben oder sterben, und in seine Hände legt sie ohne Vorbehalt ihre Gesundheit und ihr Leben. Die Leute meinen, dass sie von Gott redet, aber sie hat etwas ganz anderes im Sinn, denn sie denkt nur an Cligès. Das ist ihr Gott, der sie heilen und sie sterben lassen kann. So achtet die Kaiserin darauf, dass kein Arzt bemerkt, dass sie nicht essen und trinken will,

315

316

5725

5730

5735

5740

5745

5750

5755

5760

Text und Übersetzung

Por l’anpereor miauz deçoivre, Tant que tote est et pale et perse. Et sa mestre antor li converse, Qui par mout merveilleuse guile Cercha tant par tote la vile Celeemant, que nus nel sot, Qu’une malade fame i ot De mortel mal sanz garison. Por miauz feire la traïson, L’aloit revisiter sovant Et si li metoit an covant, Qu’ele la garroit de son mal, Et chascun jor un orinal Li portoit por veoir s’orine, Tant qu’ele vit, que medecine Ja mes eidier ne li porroit Et cel jor meïsme morroit. Icele orine a aportee, Si l’a estroitemant gardee Tant que l’anperere leva. Maintenant devant lui s’an va, Si li dist : « Se vos comandez, Sire ! toz voz mires mandez, Que ma dame a s’orine feite, Qui de cest mal mout se desheite, Si viaut que li mire la voient, Mes que de devant li ne soient. » Li mire vindrent an la sale, L’orine voient pesme et pale, Si dist chascuns ce que li sanble, Tant que tuit s’acordent ansanble, Que ja mes ne respassera Ne ja none nes ne verra, Et se tant vit, lors au plus tart An prandra Des l’ame a sa part. Ce ont a consoil murmuré. Puis lor a dit et conjuré L’anperere, que voir an dïent. Cil respondent qu’il ne se fïent De neant an son respasser,

5722–5761

5725

5730

5735

5740

5745

5750

5755

5760

um den Kaiser besser zu täuschen, bis sie ganz bleich und aschgrau ist. Und um sie herum bleibt ihre Erzieherin, die mit einem wunderbaren Plan heimlich so lange in der ganzen Stadt suchte, ohne dass jemand davon wusste, bis sie dort eine kranke Frau mit einer tödlichen, unheilbaren Krankheit fand. Um die Täuschung perfekt zu machen, ging sie die Frau immer wieder besuchen und versprach ihr, sie von ihrer Krankheit zu heilen. Und jeden Tag brachte sie ein Harnglas mit, um ihren Harn zu untersuchen, bis sie sah, dass ihr keine Medizin mehr helfen konnte und sie am gleichen Tag sterben würde. Dieses Harnglas hat sie mitgenommen und es streng bewacht, bis der Kaiser aufstand. Da geht sie zu ihm und sagte: „Gebt den Befehl, Herr, lasst alle Eure Ärzte kommen, denn unsere Herrin, die sehr unter dieser Krankheit leidet, hat Harn gelassen; sie wünscht, dass die Ärzte ihn untersuchen, aber nicht in ihrer Gegenwart erscheinen.“ Die Ärzte kamen in den Saal, sie sehen, wie schlecht und weiß der Harn ist, und jeder gab seinen Kommentar ab, bis alle darin übereinstimmen, dass sie niemals genesen und kaum bis drei Uhr nachmittags leben werde. Und wenn sie solange lebte, werde Gott spätestens dann ihre Seele zu sich nehmen. Das haben sie in ihrer Beratung gemurmelt. Dann hat der Kaiser sie gebeten und beschworen, ihm die Wahrheit zu sagen. Sie antworten, dass sie in keiner Weise an ihre Genesung glauben,

317

318

5765

5770

5775

5780

5785

5790

5795

5800

Text und Übersetzung

N’ele ne puet none passer, Que einçois n’et l’ame randue. Quant la parole a antandue L’anperere, a painne se tient, Que pasmez a terre ne vient, Et maint des autres qui l’oïrent. Ains nule janz tel duel ne firent, Con lors ot par tot le palés. La parole del duel vos les, S’orroiz que Thessala porchace, Qui la poison destanpre et brace. Destanpree l’a et batue ; Car de loing se fu porveüe De tot, quanquë ele savoit Qu’a la poison mestier avoit. Un petit ainz ore de none La poison a boivre li done. Aussi tost come l’ot beüe, Li fu troblee la veüe, Et ot le vis si pale et blanc, Con s’ele eüst perdu le sanc, Ne pié ne main ne remeüst, Qui vive escorchier la deüst, Ne se crolle ne ne dit mot, Et s’antant ele bien et ot Le duel, que l’anperere mainne Et le cri, don la sale est plainne. Et par tote la vile crïent Les janz qui plorent et qui dïent : « Des ! quel enui et quel contreire Nos a fet la morz de put’ eire ! Morz coveiteuse, morz anglove ! Morz est pire que nule love, Qui ne puet estre saolee. Onques mes si male golee Ne poïs tu doner au monde ! Morz, qu’as tu fet ? Des te confonde, Qui as tote biauté estainte ! La meillor chose et la miauz painte As ocise, s’ele durast,

5762–5801

5765

5770

5775

5780

5785

5790

5795

5800

319

dass sie drei Uhr nachmittags nicht überleben und vorher den Geist aufgeben werde. Als der Kaiser diese Worte gehört hat, wäre er beinahe ohnmächtig zu Boden gefallen, und vielen anderen, die sie hörten, erging es ebenso. Niemals zuvor gab es unter Menschen eine solche Trauer, die sich mit der vergleichen ließe, die den Palast erfüllte. Aber ich werde euch nicht weiter von der Trauer erzählen. Hört lieber, was Thessala treibt, die den Trank mischt und braut. Gemischt und geschlagen hat sie ihn, denn schon lange hatte sie sich alles besorgt, was sie, wie sie wusste, für den Trank brauchen würde. Kurz vor drei Uhr nachmittags gibt sie ihn Fenice zu trinken. Sobald diese ihn getrunken hatte, trübte sich ihre Sicht, und ihr Gesicht wurde blass und bleich, als ob das Blut aus ihren Adern gewichen wäre, und hätte man ihr auch bei lebendigem Leib die Haut abgezogen, weder Hand noch Fuß hätte sie gerührt. Sie rührt sich nicht und sagt keinen Ton. Und doch hört sie wohl und vernimmt die Klage, die der Kaiser erhebt, und das Geschrei, das den Saal erfüllt. Und in der ganzen Stadt schreien und weinen die Leute und sagen: „Gott! Welch einen Kummer und welch einen Schaden hat uns der gemeine Tod zugefügt! Der gierige Tod, der unersättliche Tod! Der Tod ist schlimmer als eine Wölfin, die nicht satt werden kann. Niemals konntest du der Welt einen grausameren Fraß bieten, Tod, was hast du getan? Gott soll dich zunichte machen, weil du alle Schönheit ausgelöscht hast! Das liebenswerteste und hübscheste Geschöpf, das Gott je erschuf, wenn es hätte

320

5805

5810

5815

5820

5825

5830

5835

5840

Text und Übersetzung

Qu’onques Des a feire andurast. Trop est Des de grant paciance, Quant il te suefre avoir puissance Des soes choses depecier. Or te deüst Des correcier Et giter fors de ta baillie ; Que trop as fet grant sorsaillie Et grant orguel et grant outrage. » Einsi toz li pueples anrage, Tordent lor poinz, batent lor paumes, Et li clerc i lisent lor saumes, Qui prïent por la buene dame, Que Des merci li face a l’ame. Antre les lermes et les criz, Si con tesmoingne li escriz, Sont venu troi fisiciien De Salerne, mout anciien, Ou lonc tans avoient esté. Por le grant duel sont aresté, Si demandent et si anquierent, Don li cri et les lermes ierent, Por quoi s’afolent et confondent. Et cil lor dïent et respondent : « Des ! seignor, don ne savez vos ? De ce devroit ansanble o nos Toz li mondes desver a tire, S’il savoit le grant duel et l’ire Et le damage et la grant perte, Qu’ui cest jor nos est aoverte. Des ! dont estes vos donc venu, Quant ne savez, qu’est avenu Ore androit an ceste cité ? Nos vos dirons la verité, Que aconpaignier vos volons Au duel, de quoi nos nos dolons. Ne savez de la mort destroite, Qui tot desirre et tot covoite Et an toz leus le miauz agueite, Con grant folie ele a hui feite,

5802–5840

5805

5810

5815

5820

5825

5830

5835

5840

weiter leben können, hast du getötet. Gott hat zu große Nachsicht mit dir, da er es duldet, dass du die Macht hast, seine Geschöpfe zu vernichten. Nun sollte Gott dir zürnen und dich aus deinem Machtbereich entfernen, denn in deinem großen Übermut und Stolz hast du einen zu großen Frevel begangen.“ So erhitzen sich alle Leute, ringen die Fäuste, schlagen die Hände zusammen, und die Geistlichen lesen ihre Psalmen, sie beten für die gute Kaiserin, dass Gott ihrer Seele gnädig sei. Während man so weinte und schrie, sind, wie es die Quelle bezeugt, drei ziemlich alte Ärzte aus Salerno gekommen, wo sie lange Zeit gelebt hatten; wegen der großen Trauer haben sie Halt gemacht, und sie fragen und erkundigen sich nach dem Grund für das Geschrei und die Tränen und warum sie so verzweifelt klagen. Und man sagt und antwortet ihnen: „Gott! Ihr Herren, wisst ihr es denn nicht? Die ganze Welt sollte mit uns außer sich sein, wenn sie von dem großen Kummer und der Erregung und dem Schaden und dem großen Verlust wüsste, der uns am heutigen Tage zugefügt worden ist. Gott! Woher seid ihr denn gekommen, dass ihr nicht wisst, was soeben in dieser Stadt geschehen ist? Wir werden euch die Wahrheit sagen, denn wir wollen, dass Ihr den Schmerz, der uns so bekümmert, teilt. Wisst Ihr denn nicht, welche Wahnsinnstat der grausame Tod, der nach allem verlangt und alles begehrt und an allen Orten den Besten auflauert, heute begangen hat,

321

322

5845

5850

5855

5860

5865

5870

5875

5880

Text und Übersetzung

Si come ele an est costumiere ? D’une clarté, d’une lumiere Avoit Des le monde alumé. Ce que morz a acostumé, Ne puet muër qu’ele ne face. Toz jorz a son pooir esface Le miauz que ele puet trover. Or viaut son pooir esprover, S’a plus de bien pris an un cors, Qu’ele n’an a leissié defors. S’ele eüst tot le monde pris, N’eüst ele mie fet pis, Mes que vive leissast et sainne Ceste proie que ele an mainne. Biauté, corteisie et savoir Et quanque dame puisse avoir, Qu’apartenir doie a bonté, Nos a tolu et mesconté La morz, qui toz biens a periz An ma dame, l’anpererriz. Einsi nos a la morz tuëz. » « Ha, Des ! », font li mire, « tu hez Ceste cité, bien le savomes, Quant nos pieç’a venu n’i somes. Se nos fussiens venu des hier, Bien se poïst la morz prisier, Se a force rien nos tossist. » « Seignor ! ma dame ne vossist Por rien, que vos la veïssiez Ne qu’a li painne meïssiez. De buens mires assez i ot; Mes onques ma dame ne plot, Que uns ne autre la veïst, Qui de son mal s’antremeïst. » « Non ? » — « Par ma foi, ce ne fist mon. » Lors lor sovint de Salemon, Que sa fame tant le haï, Qu’an guise de mort le traï. Espoir autel a ceste fet ; Mes s’il pooient par nul plet

5841–5880

5845

5850

5855

5860

5865

5870

5875

5880

so wie es seine Gewohnheit ist? Gott hatte die Welt mit einer Klarheit, einem strahlenden Licht erleuchtet, aber der Tod kann nichts anderes tun, als nach seiner Gewohnheit handeln. Jeden Tag löscht er mit seiner Macht das Beste aus, das er finden kann. Nun will er seine Macht demonstrieren, indem er mit einem einzigen Leib mehr Gutes geraubt als übriggelassen hat. Und wenn er die ganze Welt hinweggerafft hätte, wäre es nicht so schlimm gewesen, wenn er nur die lebendig und gesund gelassen hätte, die er als Beute mit sich fortnimmt. Schönheit, höfisches Benehmen und Klugheit und durch welche Vorzüge auch immer eine Dame sich auszeichnen kann, hat uns der Tod betrügerisch geraubt, indem er mit unserer Herrin, der Kaiserin, alles Gute vernichtet hat. So hat der Tod uns um unser Leben gebracht.“ „Oh Gott,“ sagen die Ärzte, „du musst diese Stadt hassen, wir wissen es wohl, denn sonst wären wir früher hierher gekommen. Wenn wir schon gestern gekommen wären, hätte sich der Tod wohl rühmen können, sofern er uns etwas gewaltsam entrissen hätte.“ „Herr, die Kaiserin hätte um nichts gewollt, dass ihr sie untersuchtet oder euch irgendwelche Mühe um sie machtet. Gute Ärzte gab es reichlich, aber der Kaiserin war es nicht recht, dass irgendeiner sie untersuchte und ihre Krankheit erforschte.“ „Nein?“ „Nein, das wollte sie gewiss nicht.“ Da kam ihnen Salomon in den Sinn, den seine Frau so sehr hasste, dass sie ihn betrog, indem sie sich tot stellte. Vielleicht hat diese es genauso gemacht. Doch wenn es ihnen irgendwie

323

324

5885

5890

5895

5900

5905

5910

5915

Text und Übersetzung

Tant feire, que il la santissent, N’est hon nez, por cui an mantissent, Se barat i pueent veoir, Que il n’an dïent tot le voir. Vers la cort s’an vont maintenant, Ou l’an n’oïst pas De tonant, Tel noise et tel cri i avoit. Li mestre d’aus qui plus savoit, S’est jusqu’a la biere aprochiez. Nus ne li dit : « Mar i tochiez ! », Ne nus arriere ne l’an oste. Et sor le piz et sor la coste Li met sa main et sant sanz dote, Qu’ele a el cors la vie tote ; Bien le set et bien l’aparçoit. L’anpereor devant lui voit, Qui de duel s’afole et ocit. A voiz s’escrie, si li dit : « Anperere ! conforte toi ! Je sai certainnemant et voi Que ceste dame n’est pas morte. Leisse ton duel, si te conforte ! Se je vive ne la te rant, Ou tu m’oci ou tu me pant ! » Maintenant apeise et acoise Par le palés tote la noise, Et l’anperere dit au mire, Qu’or li loist comander et dire Sa volanté tot a delivre. S’il fet l’anpererriz revivre, Sor lui iert sire et comanderre ; Mes panduz sera come lerre, Se il li a manti de rien. Et cil li dist : « Je l’otroi bien, Ne ja de moi n’aiiez merci, S’a vos parler ne la faz ci. Tot sanz panser et sanz cuidier Feites moi cest palés vuidier, Que uns ne autre n’i remaingne.

5881–5919

5885

5890

5895

5900

5905

5910

5915

gelingen könnte, sie zu befühlen, dann gibt es niemanden auf der Welt, für den sie lügen oder nicht die ganze Wahrheit sagen werden, wenn sie den Betrug aufdecken können. Da begeben sie sich an den Hof, wo soviel Lärm und Geschrei war, dass man den Donner Gottes nicht hätte hören können. Der Meister unter ihnen, der über das größte Wissen verfügte, hat sich der Totenbahre genähert. Keiner hat zu ihm gesagt ‚Hände weg!‘ oder ihn zurückgehalten. Und er legt seine Hand auf ihre Brust und ihre Lenden und fühlt mit Gewissheit, dass in ihrem Leib das Leben pulst, er weiß es wohl und bemerkt es genau. Als er den Kaiser vor sich sieht, der vor Trauer vergeht und außer sich ist, schreit er laut und sagt zu ihm: „Kaiser, tröste dich, ich sehe und weiß genau, dass diese Dame nicht tot ist. Lass ab von deinem Schmerz und tröste dich! Wenn ich sie dir nicht lebend zurückgebe, kannst du mich töten oder aufhängen.“ Da ebbt der ganze Lärm im Saal ab und verstummt, und der Kaiser erklärt dem Arzt, dass er ihm nun erlaube, ungehindert ganz nach seinem Belieben zu befehlen und zu verfahren. Wenn er die Kaiserin zum Leben erwecke, werde er ihn zum Herrn und Gebieter über sich machen; wenn er ihn aber in irgendeiner Weise belogen habe, werde er wie ein Dieb gehängt werden. Und der Arzt antwortete ihm: „Ich bin damit einverstanden, dass Ihr keine Gnade mit mir habt, wenn ich sie hier vor Euch nicht zum Sprechen bringe. Lasst diesen Palast ohne weiteres Nachdenken und Überlegen leeren, so dass keine Menschenseele darin bleibt.

325

326 5920

5925

5930

5935

5940

5945

5950

5955

Text und Übersetzung

Le mal qui la dame mehaingne M’estuet veoir priveemant. Cist dui mire tant solemant Avuec moi ceanz remandront, Qui de ma conpaignie sont, Et tuit li autre fors s’an issent. » Ceste chose contredeïssent Cligés, Jehanz et Thessala ; Mes tuit cil qui estoient la, Lor poïssent a mal torner, S’il le vossissent trestorner. Por ce se teisent et si loent Ce que as autres loer öent, Si sont fors del palés issu. Et li troi mire ont descosu Le süeire a la dame a force, Qu’onques n’i ot coutel ne force ; Puis li dïent : « Dame ! n’aiiez Peor ne ne vos esmaiiez, Mes parlez tot seüremant ! Nos savons bien certainnemant, Que tote estes sainne et heitiee. Or soiiez sage et afeitiee Ne de rien ne vos desperez ; Que, ce consoil nos requerez, Tuit troi vos asseürerons, Qu’a noz pooirs vos eiderons, Ou soit de bien ou soit de mal. Mout seromes vers vos leal Et del celer et de l’eidier. Ne nos feites longues pleidier ! Des que vos metons a devise Nostre pooir, nostre servise, Nel devez mie refuser. » Einsi la cuident amuser Et deçoivre, mes rien ne vaut ; Qu’ele n’a soing ne ne li chaut Del servise qu’il li prometent ; De grant oiseuse s’antremetent. Et quant li fisiciien voient,

5920–5959 5920

5925

5930

5935

5940

5945

5950

5955

Ich muss die Krankheit, welche die Kaiserin quält, unter Ausschluss der Öffentlichkeit untersuchen. Nur diese beiden Ärzte, die in meiner Begleitung sind, werden hier bei mir bleiben, und alle anderen sollen hinausgehen.“ Diesem Befehl hätten Johann, Cligès und Thessala sich widersetzt, aber alle anderen, die dort waren, hätten es ihnen übel auslegen können, wenn sie dies getan hätten. Deshalb schweigen sie und loben das, was sie andere loben hören. So haben sie den Palast verlassen. Und die drei Ärzte haben das Leichentuch der Dame gewaltsam aufgerissen, ohne Messer oder Schere zu benutzen. Dann sagen sie zu ihr: „Herrin, habt keine Angst und erschreckt Euch nicht, sondern sprecht ganz ohne Furcht zu uns. Wir wissen sehr wohl, dass Ihr vollkommen gesund und zufrieden seid. Nun seid vernünftig und brav und verzweifelt nicht. Denn wenn Ihr uns um Rat fragt, versichern wir Euch alle drei, dass wir Euch nach Kräften helfen werden, ob im Guten oder im Bösen. Wir werden Euch treu ergeben sein, Euer Geheimnis bewahren und Euch helfen. Lasst uns nicht länger reden! Da wir Euch unser Können und unseren Dienst zur Verfügung stellen, dürft Ihr ihn nicht zurückweisen.“ So glauben sie, dass sie die Kaiserin betrügen und täuschen können, aber es nützt nichts. Denn sie macht sich nichts aus dem Dienst, den sie versprechen, er ist ihr gleichgültig. Ihre Mühe ist vollkommen vergeblich. Und als die Ärzte sehen,

327

328 5960

5965

5970

5975

5980

5985

5990

5995

Text und Übersetzung

Que vers li rien n’esploiteroient Por losange ne por proiiere, Lors la metent fors de la biere, Si la fierent et si la batent. Mes de folie se debatent ; Que por ce parole n’an traient. Lors la manacent et esmaient Et dïent, s’ele ne parole, Mout se tandra ancui por fole ; Qu’il feront de li tel mervoille, Qu’ains ne fu feite sa paroille De nul cors de fame cheitive. « Bien savons que vos estes vive, Ne parler a nos ne deigniez. Bien savons que vos vos feigniez, Si traïssiez l’anpereor. N’aiiez mie de nos peor ! Mes se nus vos a correciee, Ainz que plus vos aiiens bleciee, Vostre folie descovrez, Que trop vilainnemant ovrez ; Et nos vos serons an aïe, Soit de savoir ou de folie. » Ne puet estre, rien ne lor vaut. Lors li redonent un assaut Parmi le dos de lor coroies, S’an perent contreval le roies, Et tant li batent sa char tandre, Que il an font le sanc espandre. Quant des coroies l’ont batue, Tant que li ont sa char ronpue, Et li sans contre val l’an cort, Qui parmi les plaies li sort, Ne por ce n’i pueent rien feire Ne sospir ne parole treire, N’ele ne se crolle ne muet : Lors dïent que il lor estuet Feu et plonc querre, sel frondront Et es paumes li giteront

5960–5998 5960

5965

5970

5975

5980

5985

5990

5995

dass sie weder durch Schmeicheln noch durch Bitten etwas ausrichten können, nehmen sie die Kaiserin aus der Totenbahre heraus und hauen und schlagen sie. Aber ihre Mühe ist umsonst, denn kein Wort pressen sie damit aus ihr heraus. Da drohen sie ihr und schüchtern sie ein, indem sie zu ihr sagen, dass sie ihre Torheit heute noch bereuen werde, wenn sie nicht spricht, denn sie werden ihr schreckliche Qualen zufügen, wie sie noch nie dem Leib einer schwachen Frau zugefügt wurden. „Wir wissen genau, dass Ihr lebt und dass Ihr nicht mit uns sprechen wollt. Wir wissen genau, dass Ihr Euch verstellt und den Kaiser täuscht. Habt keine Angst vor uns! Aber wenn jemand Euren Zorn erregt hat, dann gesteht, bevor wir Euch noch mehr verwunden, Eure Torheit ein, denn Euer Handeln ist sehr verwerflich, und wir werden Euch helfen, ob es nun klug ist oder dumm.“ Aber es ist umsonst, es nützt ihnen nichts. Da schlagen sie erneut mit den Riemen auf den Rücken, so dass von oben bis unten Striemen darauf erscheinen, und so sehr schlagen sie ihre zarte Haut, bis das Blut fließt. Obwohl sie Fenice mit den Riemen geschlagen und ihre Haut zerfetzt haben, so dass das Blut, das ihr aus den Wunden fließt, herabläuft, können sie nichts erreichen und weder Seufzer noch Ton aus ihr herauspressen oder sie dazu veranlassen, sich irgendwie zu rühren. Da sagen sie, dass sie nicht umhin können, Feuer und Blei zu holen; eher werden sie es schmelzen und ihr in die Hände gießen,

329

330 6000

6005

6010

6015

6020

6025

6030

6035

Text und Übersetzung

Einçois que parler ne la facent. Feu et plonc quierent et porchacent, Le feu alument, le plonc fondent. Einsi afolent et confondent La dame li felon ribaut, Que le plonc tot boillant et chaut, Si come il l’ont del feu osté, Li ont anz es paumes colé. N’ancor ne lor est pas assez De ce que li plons est passez Parmi les paumes d’outre an outre, Ainz dïent li cuivert avoutre, Que, s’ele ne parole tost, Ja androit la metront an rost Tant qu’ele iert tote greïlliee. Cele se test ne ne lor viee Sa char a batre n’a maumetre. Ja la voloient au feu metre Por rostir et por greïllier, Quant des dames plus d’un milier, Qui devant le palés estoient, Vienent a la porte et si voient Par un petit d’antroverture L’angoisse et la male avanture, Que cil feisoient a la dame, Qui au charbon et a la flame Li feisoient sofrir martire. Por l’uis brisier et desconfire Aportent coigniees et mauz. Granz fu la noise et li assauz A la porte brisier et fraindre. S’or pueent les mires ataindre, Ja lor sera sanz atandue Tote lor desserte randue. Les dames antrent el palés, Totes ansanble a un eslés, Et Thessala est an la presse, Qui de rien nule n’est angresse Fors qu’a sa dame soit venue. Au feu la trueve tote nue,

5999–6038

6000

6005

6010

6015

6020

6025

6030

6035

als sie nicht zum Sprechen zu bringen. Feuer und Blei holen und besorgen sie, sie zünden das Feuer an, sie schmelzen das Blei. Auf diese Weise richten die treulosen Schurken die Kaiserin übel zu und quälen sie, indem sie das kochende und heiße Blei geradewegs vom Feuer genommen und in ihre Hände gegossen haben. Aber es ist ihnen noch nicht genug, dass das Blei vollständig über ihre Hände geflossen ist, vielmehr sagen die ruchlosen Schurken, dass sie die Kaiserin, wenn sie nicht sofort spricht, sogleich auf den Rost legen und sie solange grillen werden, bis sie gar ist. Sie aber schweigt und hindert sie nicht, ihren Leib zu schlagen und zu quälen. Schon wollen sie die Kaiserin auf das Feuer legen, um sie zu braten und zu grillen, da gelangen mehr als tausend Damen, die sich vor dem Palast aufhielten, zur Tür und sehen durch ein kleines Loch die Pein und die Qual, welche die Ärzte der Kaiserin zufügten, indem sie ihr mit Kohle und Flamme ein Martyrium bereiteten. Sie schaffen Hammer und Äxte herbei, um die Tür einzuschlagen und zu zertrümmern. Gewaltig waren der Lärm und die Schläge, als sie die Tür einbrachen und in Stücke schlugen. Wenn sie nun die Ärzte ergreifen können, werden diese nicht lange warten müssen, um den verdienten Lohn zu bekommen. Die Damen dringen alle mit einem Sprung in den Palast ein, und Thessala, die auch in dem Gedränge ist, hat nichts anderes im Sinn, als zu ihrer Herrin zu gelangen. Sie findet sie ganz nackt auf dem Rost,

331

332 6040

6045

6050

6055

6060

6065

6070

6075

Text und Übersetzung

Mout anpiriee et mout maumise. Arriere an la biere l’a mise Et dessoz la paile coverte. Et les dames vont lor desserte As trois mires doner et randre, N’i vostrent mander ne atandre Anpereor ne seneschal. Par les fenestres contre val Les ont anmi la cort lanciez, Si qu’a toz trois ont depeciez Cos et costez et braz et james ; Ains miauz ne firent nules dames. Ore ont eü mout leidemant Li troi mire lor paiemant, Que les dames lor ont paiiez ; Mes Cligés est mout esmaiiez Et grant duel a, quant il ot dire La grant angoisse et le martire, Que s’amie a por lui sofert. A bien po que le san ne pert ; Car il crient mout, et si a droit, Que morte ou afolee soit Par le tormant, que fet li ont Li troi mire qui mort an sont, Si s’an despoire et desconforte. Et Thessala vient, qui aporte Un mout precïeus oignemant, Dont ele a oint mout doucemant Le cors et le plaies celi. La ou l’an la ranseveli, An un blanc paile de Sulie L’ont les dames resevelie ; Mes le vis descovert li leissent. Onques la nuit lor cri n’abeissent Ne ne cessent ne fin ne pranent. Par tote la vile forsanent Et haut et bas et povre et riche, Si sanble que chascuns s’afiche, Qu’il veintra toz de feire duel,

6039–6077

6040

6045

6050

6055

6060

6065

6070

6075

schwer verletzt und übel zugerichtet. Sie hat sie zurück auf die Totenbahre gelegt und sie mit dem Leichentuch bedeckt, während die Frauen den drei Ärzten ihren Lohn geben und sie auszahlen; dazu wollten sie weder den Kaiser noch seinen Seneschall holen oder auf sie warten. Sie haben sie durch die Fenster mitten in den Hof hinunter geworfen, so dass allen dreien Hals und Rippen und Arme und Beine gebrochen sind. Niemals haben Frauen eine bessere Tat vollbracht. So sind die drei Ärzte von den Damen mit einem sehr schlechten Lohn bezahlt worden. Aber Cligès ist sehr erschrocken und in größter Sorge, als er von der großen Not und dem Martyrium hört, das seine Freundin um seinetwillen erduldet hat. Beinahe hätte er den Verstand verloren, denn er fürchtet sehr – und das zu Recht –, dass sie durch die Folter, der sie die drei Ärzte unterworfen haben, die dadurch zu Tode gekommen sind, gestorben oder übel zugerichtet ist. Verzweifelt und untröstlich ist er. Und Thessala kommt mit einer sehr kostbaren Salbe, mit der sie den Leib und die Wunden Fenices ganz sanft eingerieben hat. Erneut hat man sie eingehüllt, und die Frauen haben sie in weiße Seide aus Syrien gewickelt, nur das Gesicht lassen sie frei. Die ganze Nacht über wird ihr Klagegeschrei nicht geringer und hört nicht auf und nimmt kein Ende. In der ganzen Stadt sind alle außer sich, Hoch und Nieder, Arm und Reich, es scheint, als ob jeder darum bemüht ist und nicht damit aufhören wird,

333

334

6080

6085

6090

6095

6100

6105

6110

6115

Text und Übersetzung

Ne ja nel leissera son vuel. Tote nuit est li diaus mout granz. L’andemain vint a cort Jehanz, Et li anperere le mande, Si li dit et prie et comande : « Jehanz ! s’onques feïs buene oevre, Ore i met ton san et descuevre An une sepouture ovrer, Tel que l’an ne puisse trover Si bele ne si bien portreite. » Et Jehanz qui l’avoit ja feite, Dit qu’il an a apareilliee Une mout bele et bien tailliee ; Mes onques n’ot antancion, Qu’an i meïst se cors saint non, Quant il la comança a feire. « Or soit an leu de saintüeire L’anpererriz dedanz anclose ; Qu’ele est, ce cuit, mout sainte chose. » « Bien avez dit », fet l’anperere ; « Au mostier mon seignor saint Pere Iert anfoïe la defors, Ou l’an anfuet les autres cors ; Car einçois que ele morist, Le me pria bien et requist, Que je la la feïsse metre. Or vos an alez antremetre, S’asseez vostre sepouture, Si con reisons est et droiture, El plus bel leu del cemetire. » Jehanz respont : « Volantiers, sire ! » Tot maintenant Jehanz s’an torne, La sepouture bien atorne Et de ce fist que bien apris : Un lit de plume a dedanz mis Por la pierre qui estoit dure, Et plus ancor por la froidure, Et por ce que soef li oelle, Espandi sus et flor et fuelle. Mes por ce le fist ancor plus,

6078–6117

6080

6085

6090

6095

6100

6105

6110

6115

alle anderen im Klagen zu übertreffen. Die ganze Nacht über herrscht große Trauer. Am nächsten Tag kam Johann an den Hof, und der Kaiser lässt ihn holen und sagt und bittet und befiehlt: „Johann, wenn du jemals ein gutes Kunstwerk geschaffen hast, dann wende jetzt deine ganze Kunst auf, um ein Grabmal herzustellen, das an Schönheit und Kunst nicht seinesgleichen findet.“ Und Johann, der es schon fertig hatte, sagt, dass er ein sehr schönes und sehr fein geschnitztes vorrätig habe, aber dass er es mit der Vorstellung anzufertigen begonnen habe, dass man nur einen heiligen Leib hineinlegen würde. „So soll nun die Kaiserin dort wie in einem Reliquienschrein eingeschlossen werden, denn sie ist, glaube ich, ein sehr heiliges Geschöpf.“ „Da habt Ihr Recht“, sagt der Kaiser, „sie wird draußen in der Kirche des heiligen Peter bestattet, wo man auch die anderen Toten begräbt, denn bevor sie starb, bat sie mich und wünschte, dass ich sie dort bestatten ließe. Nun kümmert Euch darum und stellt Euer Grabmal an der schönsten Stelle des Friedhofs auf, wie es vernünftig und recht ist.“ Johann erwidert: „Gern, Herr!“ Sogleich kehrt er zurück und richtet das Grabmal mit großer Kunst schön her. Ein Federbett hat er hineingelegt, weil der Stein hart war, aber mehr noch wegen der Kälte. Und damit es sanft duftet, streute er Blüten und Blätter auf den Boden. Aber er tat dies vor allem,

335

336

6120

6125

6130

6135

6140

6145

6150

6155

Text und Übersetzung

Que la coute ne veïst nus, Qu’il avoit an la fosse mise. Ja ot an fet tot le servise As eglises et as paroches, Et sonoient adés les cloches Si con l’an doit feire por mort. Le cors comandent qu’an an port, S’iert an la sepouture mis, Don Jehanz s’est tant antremis, Qui mout l’a feite riche et noble. An trestote Costantinoble N’a remés ne petit ne grant, Qui n’aut aprés le cors plorant, Si maudïent la mort et blasment. Chevalier et vaslet se pasment, Et les dames et les puceles Batent lor piz et lor memeles, S’ont a la mort prise tançon. « Morz ! », fet chascune, « reançon De ma dame que ne preïs ? Certes, petit gueaing feïs, Et a nostre oés sont granz les pertes. » Et Cligés refet duel a certes, Tel qu’il s’an afole et confont Plus que tuit li autre ne font, Et mervoille est, qu’il ne s’ocit ; Mes ancor le met an respit Tant que l’ore et li termes vaingne, Qu’il la desfuée et que la taingne, Et sache s’ele est vive ou non. Sor la fosse sont li baron Qui le cors i couchent et metent ; Mes sor Jehan ne s’antremetent De la sepouture asseoir, Et si n’i porent il veoir, Ainz sont trestuit pasmé cheü, S’a Jehanz buen leisir eü De feire tot ce que li sist. La sepouture si assist Que nule autre chose n’i ot ;

6118–6157

6120

6125

6130

6135

6140

6145

6150

6155

damit niemand das Federbett sah, das er in die Gruft gelegt hatte. Da hatte man schon die Messe in den Kirchen und Gemeinden zelebriert, und die Glocken läuteten, wie es bei Todesfällen üblich ist. Man ordnet an, den Leichnam fortzutragen, er wird in das Grabmal gelegt, auf das Johann all seine Kunst verwandt hat, so dass es sehr prächtig und edel geworden ist. In ganz Konstantinopel ist niemand, weder Groß noch Klein, der nicht weinend der Toten folgt und den Tod nicht verwünscht und anklagt. Ritter und Knappen fallen in Ohnmacht, und die Damen und Mädchen schlagen sich auf Brüste und Busen, so sehr haben sie mit dem Tod gehadert. „Tod!“, sagt jede, „warum nahmst du kein Lösegeld für meine Herrin? Sicher war dein Gewinn gering, für uns aber ist der Verlust groß.“ Und auch Cligès trauert aufrichtig, mehr als die anderen vergeht er vor Kummer und quält sich, und es ist ein Wunder, dass er sich nicht tötet. Aber er schiebt es noch auf, bis die Stunde und der Zeitpunkt kommen, dass er sie ausgegraben im Arm hält und weiß, ob sie lebt oder nicht. An der Gruft stehen die Herren, die den Leichnam dort hineinlegen, aber sie überlassen es Johann, das Grabmal herzurichten, und sie konnten nichts sehen, weil sie alle in Ohnmacht gefallen sind, so dass Johann es in aller Ruhe herrichten konnte, wie er wollte. Das Grabmal richtete er so her, dass nichts anderes darin war,

337

338

6160

6165

6170

6175

6180

6185

6190

6195

Text und Übersetzung

Bien la seele et joint et clot. Adonc se poïst bien prisier, Qui sanz maumetre et sanz brisier Oster ne desjoindre seüst Rien que Jehanz mise i eüst. Fenice est an la sepouture, Tant que vint a la nuit oscure ; Mes trante chevalier la gardent, Et s’i a dis cierges qui ardent, Qui feisoient grant lumineire. Enuiié furent de mal treire Li chevalier et recreü, S’ont la nuit mangié et beü Tant que tuit dormirent ansanble. A la nuit de la cort s’an anble Cligés et de tote la jant. N’i ot chevalier ne serjant, Qui onques seüst qu’il devint. Ne fina jusqu’a Jehan vint, Qui de quanqu’il puet le consoille. Unes armes li aparoille, Qui ja mestier ne li avront. Au cemetire andui s’an vont Armé a coite d’esperon ; Mes clos estoit tot anviron Li cemetires de haut mur, S’i cuidoient estre a seür Li chevalier, qui se dormoient Et la porte fermee avoient Par dedanz, que nus n’i antrast. Cligés ne voit, comant i past ; Que par la porte antrer ne puet, Et totes voies li estuet ; Qu’amors li enorte et semont. Au mur se prant et monte a mont, Car mout estoit forz et legiers. La dedanz estoit uns vergiers, S’i avoit arbres a planté. Pres del mur an ot un planté

6158–6196

6160

6165

6170

6175

6180

6185

6190

6195

339

er versiegelt und verschließt es und fügt es sorgfältig zusammen. Wenn einer gewusst hätte, wie er das Kunstwerk, das Johann errichtet hatte, auseinandernehmen oder etwas herausnehmen könnte, ohne etwas zu zerbrechen oder zu beschädigen, hätte er wohl stolz sein können. Fenice bleibt im Sarg, bis es dunkel geworden ist, aber dreißig Ritter halten Wache und zehn Kerzen brennen, die hellen Glanz verbreiteten. Die Ritter waren erschöpft und müde von der Anstrengung, und so haben sie zur Nacht gegessen und getrunken, bis sie alle zusammen einschliefen. In der Nacht stiehlt sich Cligès vom Hof und von allen Leuten fort. Kein Ritter oder Diener erfuhr je, wo er war. So schnell wie möglich eilte er zu Johann, der ihn so gut er kann berät. Waffen hat er für ihn bereit, die sie jedoch nicht brauchen werden. Bewaffnet und im Galopp reiten beide zum Friedhof. Aber der Friedhof war von einer hohen Mauer umgeben, so glaubten die Ritter, die dort eingeschlafen waren und die Tür von innen verschlossen hatten, sicher zu sein, dass niemand hineinkäme. Cligès sieht nicht, wie er die Mauer passieren soll, denn durch die Tür kann er nicht gehen, aber er muss irgendwie hinein, denn die Liebe mahnt und drängt ihn. Er klimmt die Mauer empor und klettert hinauf, denn er war sehr stark und gelenkig. Im Inneren war ein Park, in dem Bäume gepflanzt waren. Einer davon stand nahe der Mauer,

340

6200

6205

6210

6215

6220

6225

6230

6235

Text und Übersetzung

Einsi que au mur se tenoit. Ore a Cligés ce qu’il voloit, Car par cel arbre jus se mist. La premiere chose qu’il fist, Ala Jehan la porte ovrir. Les chevaliers voient dormir, S’ont tot le lumineire estaint, Que nule clartez n’i remaint. Et Jehanz maintenant descuevre La fosse et la sepouture oevre, Si que de rien ne la maumet. Cligés an la fosse se met, S’an a s’amie fors portee, Qui mout est mate et amortee, Si l’acole et beise et anbrace. Ne set, se joie ou duel an face ; Que ne se remue ne muet. Et Jehanz au plus tost qu’il puet A la sepouture reclose, Si qu’il ne pert a nule chose, Que l’an i eüst point tochié. De la tor se sont aprochié Au plus tost que il onques porent. Quant dedanz la tor mise l’orent Es chanbres qui soz terre estoient, Adonc la dessevelissoient ; Et Cligés, qui rien ne savoit De la poison que ele avoit Dedanz le cors, qui la fet mue Et tient qu’ele ne se remue, Por ce cuide qu’ele soit morte, Si s’an despoire et desconforte Et sospire formant et plore. Mes par tans iert venue l’ore, Que la poisons perdra sa force. Et mout se travaille et esforce Fenice qui l’ot demanter, Qu’ele le puisse conforter Ou de parole ou de regart. A po que li cuers ne li part

6197–6236

6200

6205

6210

6215

6220

6225

6230

6235

so dass er sie berührte. Nun hat Cligès, was er wollte, denn über diesen Baum ließ er sich herab. Das erste, was er dann tat, war, Johann die Tür zu öffnen. Sie sehen die Ritter schlafen und haben alle Kerzen gelöscht, so dass es ganz finster wurde. Und jetzt öffnet Johann die Gruft und schließt den Sarg auf, ohne daran im geringsten etwas zu beschädigen. Cligès begibt sich in die Gruft und hat seine Freundin herausgetragen, die sehr niedergeschlagen und tödlich geschwächt ist; er umarmt und küsst und drückt sie an sich. Er weiß nicht, ob er sich freuen oder darüber weinen soll, dass sie sich nicht rührt und bewegt. Und Johann hat so schnell er konnte das Grabmal wieder verschlossen, so dass man nicht sieht, dass man dort irgendetwas angerührt hatte. So schnell sie konnten, sind sie zu dem Turm geritten. Als sie Fenice in den Turm gebracht hatten, in die unterirdischen Räume, haben sie sie aus den Leichentüchern gewickelt. Und da Cligès nichts von dem Trank in ihrem Körper wusste, der sie bewegungslos macht und sie daran hindert, sich zu rühren, glaubt er, dass sie tot sei und ist verzweifelt und untröstlich und weint und schluchzt heftig. Aber bald wird der Augenblick gekommen sein, an dem der Trank seine Wirkung verliert. Und Fenice, die ihn klagen hört, strengt sich mächtig an und bemüht sich, ihn mit einem Wort oder einem Blick zu trösten. Das Leid, über das sie ihn klagen hört,

341

342

6240

6245

6250

6255

6260

6265

6270

6275

Text und Übersetzung

Del duel, qu’ele ot que il demainne. « Ha, morz ! », fet il, « come ies vilainne, Quant tu espargnes et respites Les vils choses et les despites ! Celes lez tu durer et vivre ! Morz ! ies tu forsenee ou ivre, Qui m’amie as morte sanz moi ? Ce est mervoille que je voi : M’amie est morte, et je sui vis ! Ha, douce amie ! vostre amis Por quoi vit et morte vos voit ? Or porroit l’an dire par droit, Que morte estes an mon servise Et que vos ai morte et ocise. Amie ! donc sui je la morz Qui vos a morte ; n’est ce torz ? Que ma vie vos ai tolue Et s’ai la vostre retenue. Don n’estoit moie, douce amie, Vostre santez et vostre vie ? Et don n’estoit vostre la moie ? Car nule rien fors vos n’amoie : Une chose estiiens andui. Ore ai je fet ce que je dui, Que vostre ame gart an mon cors, Et la moie est del vostre fors, Et l’une a l’autre, ou qu’ele fust, Conpaignie feire deüst, Ne riens nes deüst departir. » A tant cele giete un sospir Et dit foiblemant et an bas : « Amis, amis ! je ne sui pas Del tot morte, mes po an faut. De ma vie mes ne me chaut ! Je me cuidai gaber et faindre : Mes or m’estuet a certes plaindre, Que la morz n’a soing de mon gap. Mervoille iert, se vive an eschap ; Car mout m’ont li mire bleciee, Ma char ronpue et depeciee.

6237–6276

6240

6245

6250

6255

6260

6265

6270

6275

hätte ihr fast das Herz gebrochen. „Ha, Tod,“ sagt er, „wie gemein du bist, dass du die schlechten und verächtlichen Kreaturen verschonst und nicht beachtest! Die lässt du bleiben und leben! Tod! Bist du wahnsinnig oder betrunken, dass du meine Freundin getötet hast und nicht auch mich? Es ist ein Wunder, das ich sehe: Meine Geliebte ist tot und ich bin am Leben! Oh, süße Geliebte, warum lebt Euer Geliebter und warum seid Ihr vor seinen Augen tot? Nun könnte man zu Recht sagen, dass Ihr in meinem Dienst gestorben seid und ich Euch getötet und umgebracht habe. Geliebte! Also bin ich der Tod, der Euch getötet hat! Ist es nicht ungerecht, dass ich Euch mein eigenes Leben geraubt und das Eure in mir bewahrt habe? Denn gehörten, süße Geliebte, Eure Gesundheit und Euer Leben nicht mir? Und gehörte das meine nicht Euch? Denn niemand anders als Euch liebte ich, und wir beide waren eins. Nun habe ich getan, was ich tun musste, denn ich bewahre Eure Seele in meinem Leibe, während die meine den Euren verlassen hat. Doch die eine hätte der anderen, wo immer sie war, Gesellschaft leisten müssen, und nichts hätte sie trennen dürfen.“ Da stößt Fenice einen Seufzer aus und sagt mit schwacher und leiser Stimme: „Geliebter, Geliebter, ich bin nicht ganz tot, aber es fehlt wenig daran. Mein Leben zählt für mich nicht mehr viel. Ich dachte zu scherzen und mich zu verstellen, aber nun bin ich wirklich zu beklagen, denn der Tod ist nicht dazu aufgelegt, mit mir zu scherzen. Es wird ein Wunder sein, wenn ich lebend davonkomme, denn die Ärzte haben mich schwer verwundet, meine Haut geschunden und aufgerissen.

343

344

6280

6285

6290

6295

6300

6305

6310

6315

Text und Übersetzung

Et neporquant s’il poïst estre, Que ceanz fust o moi ma mestre, Ele me feroit tote sainne, Se rien i pooit valoir painne. » « Amie ! donc ne vos enuit ! », Fet Cligés, « car ancore anuit La vos amanrai je ceanz. » « Amis ! ainz i ira Jehanz. » Jehanz i va, si l’a tant quise Qu’il la trova, si li devise, Comant il viaut qu’ele s’an vaingne, Ja essoines ne la detaingne ; Car Fenice et Cligés la mandent An une tor, ou il l’atandent ; Que Fenice est mout maubaillie, S’estuet qu’ele vaingne garnie D’oignemanz et de leitüeires, Et sache, ne vivra mes gueires, S’isnelemant ne la secort. Thessala tot maintenant cort Et prant oignemant et antret Et leitüeire qu’ele ot fet, Si s’est a Jehan assanblee. De la vile issent a celee Tant qu’a la tor vienent tot droit. Quant Fenice sa mestre voit, Lors cuide estre tote garie, Tant l’aimme et croit et tant s’i fie. Et Cligés l’acole et salue Et dist : « Bien soiiez vos venue, Mestre ! que je mout aim et pris. Mestre ! por De, que vos est vis Del mal a ceste dameisele ? Que vos an sanble ? Garra ele ? » « Oïl, sire ! n’an dotez pas Que je mout bien ne la respas. Ja n’iert passee la quinzainne, Que je si ne la face sainne, Qu’onques ne fu nule foiiee Plus sainne ne plus anveisiee. »

6277–6316

6280

6285

6290

6295

6300

6305

6310

6315

Und dennoch, wenn es möglich wäre, dass meine Meisterin zu mir käme, würde sie mich vollkommen gesund machen, sofern eine Behandlung überhaupt nützen kann.“ „Geliebte, beunruhigt Euch nicht,“ sagt Cligès, „denn noch heute Nacht werde ich sie hierher bringen.“ „Geliebter! Lieber soll Johann gehen.“ So macht Johann sich auf den Weg und hat solange gesucht, bis er sie fand, und er teilt ihr mit, weshalb er möchte, dass sie mitkommt und kein Hindernis sie davon abhalten soll, denn Fenice und Cligès rufen sie zu sich in einen Turm, wo sie auf sie warten; Fenice sei schwer misshandelt worden, so dass sie mit Salben und Arzneien versehen kommen und wissen solle, dass Fenice nicht mehr lange leben werde, wenn sie ihr nicht schnell hilft. Sofort packt Thessala eilig Salben und Wundpflaster und Arzneien zusammen, die sie hergestellt hatte, und ist zu Johann zurückgekehrt. Heimlich verlassen sie die Stadt und gelangen geradewegs zu dem Turm. Als Fenice ihre Meisterin erblickt, glaubt sie schon ganz gesund zu sein, so sehr liebt sie Thessala und glaubt und vertraut ihr. Und Cligès umarmt und begrüßt sie und sagte: „Seid herzlich willkommen, verehrte, geliebte Meisterin, Meisterin, bei Gott, was sagt Ihr zum Zustand dieser jungen Dame? Was meint Ihr? Wird sie gesund werden?“ „Ja, Herr, zweifelt nicht daran, dass ich sie vollkommen heilen werde. Nicht vierzehn Tage werden vergehen und ich habe sie gesund gemacht, gesünder und munterer als sie je war.“

345

346

6320

6325

6330

6335

6340

6345

6350

6355

Text und Übersetzung

Thessala panse a li garir, Et Jehanz vet la tor garnir De tot quanquë il i covient. Cligés an la tor vet et vient Hardiemant, tot a veüe, Qu’un ostor i a mis an mue, Si dit que il le vet veoir, Ne nus ne puet aparcevoir, Qu’il i aut por nule acheison, Se por l’ostor solemant non. Mout i demore nuit et jor. A Jehan fet garder la tor, Que nus n’i antre, qu’il ne vuelle. Fenice n’a mal, don se duelle ; Que bien l’a Thessala garie. S’or fust Cligés dus d’Aumarie Ou de Marroc ou de Tudele, Nel prisast il une cenele Anvers la joie que il a. Certes, de rien ne s’avilla Amors, quant il les mist ansanble ; Car a l’un et a l’autre sanble, Quant li uns l’autre acole et beise, Que de lor joie et de lor eise Soit toz li mondes amandez. Ne ja plus ne m’an demandez : Mes n’est chose que li uns vuelle, Que li autre ne s’i acuelle. Einsi est lor voloirs comuns, Con s’il dui ne fussent que uns. Tot cel an et de l’autre assez Deus mois et plus, ce croi, passez A Fenice an la tor esté Jusqu’au novelemant d’esté. Quant flors et fuelles d’arbres issent, Et cil oiselet s’esjoïssent, Qui font lor joie an lor latin, Avint que Fenice un matin Oï chanter le rossignol.

6317–6355

6320

6325

6330

6335

6340

6345

6350

6355

Thessala macht sich daran, Fenice zu heilen, und Johann beginnt den Turm mit allem zu versehen, was sie brauchen. Cligès geht vor aller Augen kühn im Turm ein und aus und sagt, er habe dort einen Jagdfalken zur Mauser gebracht, den er besucht, so dass niemand bemerkt, dass er aus einem anderen Grunde dorthin geht als wegen des Jagdfalkens. Tag und Nacht hält er sich in dem Turm auf und lässt ihn von Johann bewachen, damit niemand ihn gegen seinen Willen betritt. Fenice hat nicht mehr über Schmerzen zu klagen, denn Thessala hat sie vollkommen geheilt. Wäre Cligès nun Herzog von Almeria oder Marokko oder Tudela gewesen, dann wäre ihm dies im Vergleich mit der Freude, die er jetzt erfährt, soviel wert gewesen wie eine Weißdornbeere. Gewiss hat Amor sich in keiner Weise herabgewürdigt, als er diese beiden vereinte, denn dem einen wie dem anderen erscheint es, wenn sie einander umarmen und küssen, als ob die ganze Welt durch ihre Freude und ihr Glück besser werden würde. Nun fragt mich nicht weiter danach. Doch es gibt nichts, was der eine möchte, das der andere nicht ebenso will. So ist ihr Wille gleich, als ob sie beide eins wären. Das ganze Jahr über und noch weitere zwei Monate oder mehr hat Fenice, glaube ich, in dem Turm verbracht, bis der Sommer kam. Als die Blüten und Blätter an den Bäumen sprießen und die Vögelchen sich erfreuen und sich an ihrem Gesang ergötzen, da geschah es eines morgens, dass Fenice die Nachtigall singen hörte.

347

348

6360

6365

6370

6375

6380

6385

6390

Text und Übersetzung

L’un braz au flanc et l’autre au col, La tenoit Cligés doucemant, Et ele lui tot ansemant, Si li a dit : « Biaus amis chiers ! Grant bien me feïst uns vergiers, Ou je me poïsse deduire. Ne vi lune ne soloil luire, Plus a de quinze mois antiers. S’estre poïst, mout volantiers M’an istroie la fors au jor, Qu’anclose sui an ceste tor. Se ci pres avoit un vergier, Ou je m’alasse esbanoiier, Mout me feroit grant bien sovant. » Lors li met Cligés an covant, Qu’a Jehan consoil an querra Tot maintenant qu’il le verra. Et maintenant est avenu Qu’es vos Jehan leanz venu, Qui sovant venir i soloit. De ce que Fenice voloit L’a Cligés a parole mis. « Tot est apareillié et quis », Fet Jehanz, « quanqu’ele comande. De ce qu’ele viaut et demande Est ceste torz bien aeisiee. » Lors se fet Fenice mout liee Et dit a Jehan qu’il l’i maint. Cil dit que an lui ne remaint. Lors va Jehanz ovrir un huis Tel que ne vos sai ne ne puis La façon dire ne retreire. Nus fors Jehan nel seüst feire, Ne ja nus dire ne seüst, Que huis ne fenestre i eüst, Tant con li huis n’estoit overz ; Si estoit celez et coverz. Quant Fenice vit l’uis ovrir Et le soloil leanz ferir,

6356–6394

6360

6365

6370

6375

6380

6385

6390

Cligès hatte zärtlich einen Arm um ihre Hüfte, den anderen um ihren Hals gelegt, und sie hielt ihn ganz genauso umfangen. Und sie hat zu ihm gesagt: „Lieber teurer Freund, ein Garten, in dem ich spazieren gehen könnte, würde mir sehr gut tun. Denn seit mehr als fünfzehn Monaten sah ich von Mond oder Sonne keinen Strahl. Wenn es möglich wäre, würde ich sehr gern am Tag nach draußen gehen, denn ich bin in diesem Turm eingeschlossen. Wenn es hier in der Nähe einen Garten gäbe, in dem ich herumspazieren könnte, würde mir das oft sehr gut tun.“ Da verspricht Cligès ihr, Johann um Rat zu fragen, sobald er ihn sehen werde. Und da hat es sich gefügt, dass Johann, der oft dorthin zu kommen pflegte, gerade fröhlich daherkommt. Cligès hat mit ihm über Fenices Wunsch gesprochen. „Alles, was sie verlangt,“ sagt er, „ist schon bereit und vorhanden. Denn der Turm ist mit dem, was sie wünscht und begehrt, wohl versehen.“ Da freut sich Fenice sehr und bittet Johann, sie dorthin zu führen. Und er sagt, er werde nicht damit zögern. Dann öffnet er eine Tür, deren Beschaffenheit ich euch nicht erklären und beschreiben kann. Niemand außer Johann könnte das, und niemand hätte sagen können, dass es dort Tür oder Fenster gab, solange die Tür nicht geöffnet war, so versteckt und geheim war sie. Als Fenice sah, wie die Tür sich öffnete und die Sonne, die sie lange nicht gesehen hatte,

349

350 6395

6400

6405

6410

6415

6420

6425

6430

Text und Übersetzung

Qu’ele n’avoit pieç’a veü, De joie a tot le sanc meü, Et dit qu’or ne quiert ele plus, Des qu’issir puet fors del reclus, N’aillors ne se quiert herbergier. Par l’uis est antree el vergier, Qui mout li plest et atalante. Anmi le vergier ot une ante De flors chargiee et bien foillue, Et par dessus iere estandue. Einsi estoient li raim duit, Que vers terre pandoient tuit, Et pres jusqu’a terre beissoient, Fors la cime dont il neissoient : La cime aloit contre mont droite. Fenice autre leu ne covoite. Et dessoz l’ante est li praiaus Mout delitables et mout biaus, Ne ja n’iert li solauz tant hauz A midi, quant il est plus chauz, Que ja rais i puisse passer ; Si le sot Jehanz conpasser Et les branches mener et duire. La se va Fenice deduire, Et an sor jor i fet son lit ; La sont a joie et a delit. Et li vergiers est clos antor De haut mur qui tient a la tor, Si que riens nule n’i antrast, Se par son la tor n’i montast. Ore est Fenice mout a eise : N’est riens nule qui li despleise, Ne ne li faut riens qu’ele vuelle, Quant soz la flor et soz la fuelle Son ami li loist anbracier. — Au tans que l’an va giboiier De l’esprevier et del brachet, Qui quiert l’aloe et le machet, Et la quaille et la perdriz trace,

6395–6433 6395

6400

6405

6410

6415

6420

6425

6430

den Raum mit ihrem Licht durchflutete, geriet ihr Blut vor Freude in Wallung, und sie sagt, dass sie nun nichts weiter verlangt, da sie das Verlies verlassen kann, und dass sie keine andere Unterkunft wünscht. Durch die Tür ist sie in den Garten getreten, der ihr sehr gefällt und sie erfreut. Mitten im Garten stand ein gepfropfter Baum, der mit Blüten und vielen Blättern beladen war und oben breit auslud. Der Baum war so gezüchtet, dass die Zweige alle nach unten hingen und sich fast bis zur Erde neigten, außer dem Gipfel, aus dem sie hervorgingen: Der Gipfel wuchs gerade nach oben. Keinen anderen Ort begehrt Fenice. Und unter dem Baum ist das Gras sehr angenehm und erfrischend, und niemals wird die Sonne mittags so hoch stehen, wenn sie am heißesten ist, dass ein Strahl ihn durchdringen könnte. Johann verstand sich auf die Kunst, die Zweige zu richten und zu lenken und zu führen. Dort vergnügt Fenice sich, und über Tag macht sie dort ihr Bett auf, da haben die Liebenden ihre Freude und Lust. Und der Garten ist rundum von einer hohen Mauer umschlossen, die an den Turm grenzt, so dass niemand eindringen konnte, es sei denn, er wäre oben durch den Turm gestiegen. Nun fühlt Fenice sich sehr wohl, nichts gibt es, das ihr missfällt, und es fehlt ihr nichts an dem, was sie begehrt, wenn sie ihrem Geliebten unter Blüten und Blättern erlaubt, sie zu umarmen. In jener Zeit, in der man mit Sperbern und Hunden auf die Jagd geht und die Lerche und den Sperling verfolgt und der Wachtel und dem Feldhuhn auflauert,

351

352 6435

6440

6445

6450

6455

6460

6465

6470

Text und Übersetzung

Avint qu’uns chevaliers de Trace, Bachelers, juenes, anveisiez, De chevalerie prisiez, Fu un jor an gibiers alez Vers cele tor tot lez a lez ; Bertranz ot non li chevaliers. Essorez fu ses espreviers, Qu’a une aloete ot failli. Or se tandra por maubailli Bertranz, s’il pert son esprevier. Dessoz la tor an un vergier Le vit desçandre et asseoir, Et ce li plot mout a veoir ; Qu’or ne le cuide il mie perdre. Tantost s’an vet au mur aerdre Et fet tant que outre s’an passe. Soz l’ante vit dormir a masse Fenice et Cligés nu a nu. « Des ! », fet il, « que m’est avenu ! Ques mervoille est ce que je voi ? N’est ce Cligés ? Oïl, par foi. N’est ce l’anpererriz ansanble ? Nenil, mes ele la ressanble, Qu’ains riens autre si ne sanbla. Tel nes, tel boche, tel front a, Con l’anpererriz, ma dame, ot. Onques miauz Nature ne sot Feire deus choses d’un sanblant. An cesti ne voi je neant, Que an ma dame ne veïsse. S’ele fust vive, je deïsse, Veraiemant que ce fust ele. » A tant une poire destele, Si chiet Fenice lez l’oroille. Cele tressaut et si s’esvoille Et voit Bertran, si crie fort : « Amis, amis ! nos somes mort ! Vez ci Bertran ! S’il vos eschape, Cheü somes an male trape. Il dira qu’il nos a veüz. »

6434–6473

6435

6440

6445

6450

6455

6460

6465

6470

geschah es, dass ein Ritter aus Thrazien, ein junger, munterer Edelknabe, geschätzt für seine ritterliche Tüchtigkeit, eines Tages ganz in der Nähe des Turms auf die Jagd gegangen war. Bertrand hieß der Ritter. Sein Sperber war ihm entflogen, nachdem er eine Lerche verfehlt hatte. Nun wird sich Bertrand für einen Pechvogel halten, wenn er seinen Sperber verliert. Unter dem Turm sah er ihn in einen Garten fliegen und sich dort niederlassen, und es erfreute ihn sehr, dies zu sehen, weil er nun glaubt, ihn nicht zu verlieren. Sogleich erklimmt er die Mauer und es gelingt ihm, sie zu übersteigen. Unter dem Baum sah er Fenice und Cligès nackt zusammen schlafen. „Gott!“ sagt er, „wie geschieht mir? Welches Wunder sehe ich da? Ist das nicht Cligès? Ja, tatsächlich! Und ist bei ihm nicht die Kaiserin? Nein, aber sie ähnelt ihr wie keine andere. Nase, Mund und Stirn sehen genauso aus wie bei der Kaiserin, unserer Herrin. Niemals konnte die Natur besser zwei Menschen so gleich erschaffen. Nichts sehe ich an dieser Frau, das ich nicht auch an unserer Herrin gesehen hätte. Wenn sie noch lebte, würde ich wirklich sagen, dass sie es ist.“ In diesem Augenblick fällt eine Birne neben Fenices Ohr herab. Sie zuckt zusammen und erwacht und sieht Bertrand und ruft laut: „Geliebter, Geliebter, wir sind verloren, seht hier Bertrand! Wenn er Euch entwischt, sind wir in der Falle. Er wird erzählen, dass er uns gesehen hat.“

353

354 6475

6480

6485

6490

6495

6500

6505

6510

Text und Übersetzung

Lors s’est Bertranz aparceüz, Que c’est l’anpererriz sanz faille. Mestiers li est, que il s’an aille ; Car Cligés avoit aportee El vergier avuec lui s’espee, Si l’avoit devant le lit mise. Il saut sus, s’a l’espee prise, Et Bertranz fuit isnelemant. Plus tost qu’il pot au mur se prant, Et ja estoit outre a bien pres, Quant Cligés est venuz aprés Et maintenant hauce l’espee, Sel fiert si qu’il li a copee La janbe dessoz le genoil Aussi come un raim de fenoil. Neporquant s’an est eschapez Bertranz maumis et esclopez, Et ses janz d’autre part le pranent, Qui de duel et d’ire forsanent, Quant il le voient afolé, Si ont anquis et demandé, Qui est, qui ce li avoit fet. « Ne me metez », fet il, « an plet, Mes sor mon cheval me montez ! Ja cist afeires n’iert contez Jusque devant l’anpereor. Ne doit mie estre sanz peor Qui ce m’a fet, et non est il, Que pres est de mortel peril. » Lors l’ont mis sor son palefroi, Si l’an mainnent a grant esfroi Lor duel faisant parmi la vile. Aprés aus vont plus de vint mile, Qui le sivent jusqu’a la cort. Et toz li pueples i acort, Et un et autre, qui ainz ainz. Ja s’est Bertranz clamez et plainz Oiant toz a l’anpereor, Mes an le tient por jeingleor De ce qu’il dit qu’il a veüe

6474–6513

6475

6480

6485

6490

6495

6500

6505

6510

Da hat Bertrand gemerkt, dass sie ohne jeden Zweifel die Kaiserin ist. Er muss nun schleunigst verschwinden, denn Cligès hatte sein Schwert in den Garten mitgebracht und es vor das Bett gelegt. Nun springt er auf und hat das Schwert ergriffen, während Bertrand sich eilends davonmacht. So schnell er konnte, erklimmt er die Mauer und schon hatte er sie fast genommen, als Cligès ihn eingeholt hat, das Schwert erhebt und ihm mit einem Schlag das Bein unter dem Knie wie einen Fenchelzweig durchtrennt. Dennoch ist Bertrand, obwohl übel zugerichtet und verstümmelt, entkommen, und auf der anderen Seite empfangen ihn seine Leute, die vor Zorn und Leid außer sich sind, als sie sehen, wie verstümmelt er ist. Da haben sie ihn gefragt und sich erkundigt, wer es gewesen sei, der ihn so zugerichtet habe. „Fragt mich jetzt nicht,“ sagt er, „sondern setzt mich aufs Pferd! Diese Geschichte wird erst vor dem Kaiser erzählt werden. Der mir das angetan hat, wird durchaus nicht ohne Furcht sein, ganz gewiss nicht, denn er ist in Todesgefahr.“ Da haben sie ihn auf sein Pferd gesetzt und führen ihn mit großem Schrecken und Trauerbekundungen durch die Stadt. Mehr als zwanzigtausend laufen hinter ihnen her und folgen ihnen bis zum Hof. Und das ganze Volk strömt herbei, einer wie der andere um die Wette. Schon hat Bertrand seine Klage dem Kaiser vor aller Ohren vorgetragen, aber man hält ihn für einen Lügner, weil er sagt, er habe die Kaiserin

355

356 6515

6520

6525

6530

6535

6540

6545

6550

Text und Übersetzung

L’anpererriz trestote nue. La vile an est tote esbolie ; Li un le tienent a folie, Ceste novele quant il öent, Li autre consoillent et loent L’anpereor, qu’a la tor voise. Mout est granz li bruiz et la noise Des janz, qui aprés lui s’esmuevent. Mes an la tor neant ne truevent ; Que Fenice et Cligés s’an vont, Et Thessala menee an ont, Qui les conforte et asseüre Et dit que, se par avanture Voient janz aprés aus venir, Qui vaingnent por aus retenir, Por neant peor an avroient ; Que ja ne les aprocheroient, Por mal ne por anconbrier feire, De tant loing, con l’an porroit treire D’une fort arbaleste a tor. Et l’anperere est an la tor, Si fet Jehan querre et mander ; Liier le comande et bander, Et dit que il le fera pandre Ou ardoir et vanter la çandre. Por la honte qu’il a soferte, Randue l’an iert la desserte, (Mes ce iert desserte sanz preu), Que an sa tor a son neveu Avuec sa fame receté. « Par foi ! vos dites verité », Fet Jehanz, « ja n’an mantirai, Par le voir outre m’an irai, Et se je ai de rien mespris, Bien est droiz que je soie pris. Mes por ce me vuel escuser, Que sers ne doit rien refuser, Que ses droiz sire li comant. Ce set l’an bien certainnemant, Que je sui suens et la torz soe. »

6514–6553

6515

6520

6525

6530

6535

6540

6545

6550

ganz nackt gesehen. Die Stadt ist in heller Aufregung, manche halten die Nachricht, die sie hören, für Unsinn, andere raten und empfehlen dem Kaiser, sich zu dem Turm zu begeben. Groß ist der Lärm und der Tumult unter den Leuten, die sich hinter ihm in Bewegung setzen. Aber im Turm finden sie nichts, denn Fenice und Cligès sind fort und haben Thessala mitgenommen, die sie tröstet und beruhigt und sagt, dass sie, wenn sie zufällig Leute sehen, die sie verfolgen und festnehmen wollen, keine Angst vor ihnen zu haben brauchen, denn niemals würden sie sich nähern können, um ihnen Leid und Schaden zuzufügen, als soweit, wie man mit einer starken Armbrust schießen kann. Und der Kaiser ist nun in dem Turm und lässt nach Johann schicken und suchen. Er befiehlt, ihn zu binden und zu fesseln, und sagt, dass er ihn aufhängen oder verbrennen und die Asche im Wind verstreuen lassen werde. Für die Schande, die ihm widerfahren sei, werde er seinen Lohn erhalten – aber dieser Lohn werde nicht angenehm sein –, weil er seinen Neffen mit seiner Frau in seinem Turm verborgen habe. „Wirklich, was Ihr sagt, ist wahr,“ sagt Johann, „ich werde nicht lügen, sondern geradewegs die Wahrheit sagen, und wenn ich etwas Schlechtes getan habe, dann ist es nur Recht, wenn man mich gefangen nimmt. Aber ich möchte zu meiner Verteidigung sagen, dass ein Leibeigener nichts verweigern darf, was sein rechtmäßiger Herr ihm befiehlt. Und man weiß ja wohl zweifelsfrei, dass ich ihm gehöre und der Turm auch.“

357

358 6555

6560

6565

6570

6575

6580

6585

6590

Text und Übersetzung

« Non est, Jehanz ! einçois est toe. » « Moie, sire ? Voire, aprés lui, Ne je meïsmes miens ne sui Ne je n’ai chose qui soit moie, Se tant non, come il le m’otroie. Et se vos tant voliiez dire, Que vers vos et mespris mes sire, Je sui prez que je l’an deffande Sanz ce que il nel me comande. Mes ce me done hardemant De dire tot seüremant Ma volanté et ma gorgiee, Tel con je l’ai feite et forgiee, Que bien sai que morir m’estuet. Or soit einsi come estre puet ! Car se je muir por mon seignor, Ne morrai pas a desenor, Que bien est seüz sanz dotance Li seiremanz et la fiance, Que vos plevistes vostre frere, Qu’aprés vos seroit anperere Cligés qui s’an vet an essil. Et se De plest, ancor l’iert il ! Et de ce feites a reprandre, Que fame ne deviiez prandre ; Mes totes voies la preïstes Et vers Cligés vos mesfeïstes, N’il n’est de rien vers vos mesfez. Et se je sui par vos desfez, Que je muire por lui a tort, S’il vit, il vangera ma mort. Or feites au miauz que porroiz, Que, se je muir, vos i morroiz. » L’anperere d’ire tressue, Quant la parole a antandue Et l’afit que Jehanz li dit. « Jehanz ! », fet il, « tant de respit Avras, que tes sire iert trovez, Qui mauveisemant s’est provez

6554–6592

6555

6560

6565

6570

6575

6580

6585

6590

„Nein, Johann! Er gehört dir!“ „Mir, Herr? Gewiss, aber erst nach ihm, ich gehöre mir selbst nicht und habe nichts, was mir gehört, außer dem, was er mir zugesteht. Aber wenn Ihr damit sagen wollt, dass mein Herr Euch ein Unrecht angetan hat, bin ich bereit, ihn zu verteidigen, ohne dass er es mir befiehlt. Aber es macht mich kühn, frei heraus zu sagen, was ich denke und empfinde, wie ich es gemacht und geplant habe, denn ich weiß wohl, dass ich sterben muss. Komme also, was wolle! Denn wenn ich für meinen Herrn sterbe, werde ich nicht in Schande sterben, denn gewiss sind der Schwur und der Eid bekannt, den Ihr Eurem Bruder geschworen habt, nach dem Cligès, der auf dem Weg ins Exil ist, Euch als Kaiser nachfolgen sollte, und der, so Gott will, auch Kaiser werden wird. Und Ihr müsst Euch vorhalten lassen, dass Ihr nicht hättet heiraten dürfen. Dennoch nahmt Ihr eine Frau und fügtet Cligès Unrecht zu, der sich Euch gegenüber in keiner Weise schuldig gemacht hat. Und wenn ich um seinetwillen getötet werde und zu Unrecht für ihn sterbe, wird er meinen Tod rächen, wenn er am Leben bleibt. Nun handelt, so gut Ihr könnt, denn wenn ich sterbe, werdet auch Ihr sterben.“ Der Kaiser bebt vor Zorn, als er diese herausfordernde Rede Johanns gehört hat. „Johann!“ sagt er, „du erhältst so lange Aufschub, bis dein Herr gefunden wird, der sich mir als treulos erwiesen hat,

359

360

6595

6600

6605

6610

6615

6620

6625

6630

Text und Übersetzung

Vers moi qui mout l’avoie chier, Ne ne li pansoie a trichier ; Mes an prison seras tenuz. Se tu sez qu’il est devenuz, Di le moi tost, jel te comant. » « Jel vos dirai ? Et je comant Feroie si grant felonie ? Por treire fors del cors la vie, Certes ne vos anseigneroie Mon seignor, se je le savoie ; Anteimes ce, se Des me gart, Que je ne sai dire, quel part Il sont alé, ne plus que vos. Mes de neant estes jalos ! Ne criem pas tant vostre corroz, Que bien ne vos die oiant toz, Comant vos estes deceüz, Et si n’an serai ja creüz. Par un boivre que vos beüstes, Angigniez et deceüz fustes La nuit, quant vos noces feïstes. Onques puis, se vos ne dormistes Et an sonjant ne vos avint, Nus joies de li ne vos vint, Mes la nuit songier vos feisoit, Et li songes tant vos pleisoit, Con s’an veillant vos avenist, Que antre ses braz vos tenist, N’autre biens ne vos an venoit. Ses cuers a Cligés se tenoit Tant que por lui morte se fist, Si me crut tant qu’il le me dist Et si la mist an ma meison, Dont il est sire par reison. Ne vos an devez a moi prandre ! L’an me deüst ardoir ou pandre, Se je mon seignor ancusasse Et sa volanté refusasse. » Quant l’anperere ot ramantoivre La poison, qui li plot a boivre,

6593–6632

6595

6600

6605

6610

6615

6620

6625

6630

obwohl ich ihn sehr schätzte und nicht daran dachte, ihn zu betrügen. Aber du wirst im Gefängnis festgehalten werden. Wenn du weißt, wo er ist, sage es mir sofort, ich befehle es dir.“ „Ich es Euch sagen? Wie könnte ich einen so großen Verrat begehen? Selbst wenn man mir das Leben aus dem Leib reißen würde, so würde ich Euch gewiss nicht sagen, wo mein Herr ist, sofern ich es wüsste. Aber ich kann, so Gott mich behüte, genauso wenig wie Ihr sagen, in welche Richtung sie geflohen sind. Aber Ihr habt keinen Grund zur Eifersucht! Ich fürchte Euren Zorn nicht so sehr, dass ich Euch nicht vor aller Ohren zu sagen wagte, wie Ihr getäuscht worden seid, auch wenn man mir nicht glauben wird. Mit einem Trank, den Ihr in der Hochzeitsnacht getrunken habt, wurdet Ihr überlistet und getäuscht. Niemals habt Ihr Euch seither, außer im Schlaf und im Traum, an Eurer Frau vergnügt, vielmehr ließ der Trank Euch in der Nacht dies nur träumen, und der Traum war Euch so angenehm, dass es Euch erschien, als ob sie Euch im Wachzustand in ihren Armen hielte. Mehr ist Euch nicht von ihr zuteil geworden. Ihr Herz war Cligès ergeben, so dass sie sich für ihn tot stellte, und er vertraute mir so sehr, dass er es mir offenbarte und sie in mein Haus brachte, dessen rechtmäßiger Herr er ist. Ihr dürft mich dafür nicht verantwortlich machen! Eher müsste man mich verbrennen oder aufhängen, bevor ich meinen Herrn verraten oder mich weigern würde, seinen Willen zu tun.“ Als der Kaiser an den Trank erinnert wird, den er gern getrunken hat

361

362

6635

6640

6645

6650

6655

6660

6665

6670

Text und Übersetzung

Par quoi Thessala le deçut, Lores a primes s’aparçut, Qu’onques de sa fame n’avoit Eü joie, bien le savoit, Se il ne li avint par songe ; Mes c’estoit joie de mançonge. Et dit que s’il n’an prant vanjance De la honte et de la viltance, Que li traïtre li a feite, Qui sa fame li a fortreite, Ja mes n’avra joie an sa vie. « Or tost », fet il, « jusqu’a Pavie Et de ça jusqu’an Alemaingne Chastiaus ne vile n’i remaingne Ne citez, ou il ne soit quis. Qui andeus les amanra pris, Plus l’avrai que nul home chier. Or del bien feire et del cerchier Et sus et jus et pres et loing ! » Lors s’esmuevent a grant besoing, S’ont an cerchier tot le jor mis ; mes il i ot de tes amis, Qui einçois, se il les trovoient, Jusqu’a recet les conduiroient, Qu’il les ramenassent arriere. Trestote la quinzainne antiere Les ont chaciez a quelque painne. Mes Thessala qui les an mainne, Les conduit si seüremant Par art et par anchantemant, Que il n’ont crieme ne peor De tot l’esforz l’anpereor, N’an vile n’an cité ne gisent, S’ont quanque vuelent et devisent, Autressi ou miauz qu’il ne suelent ; Que Thessala quanquë il vuelent Lor aporte et quiert et porchace, Ne nus ne les siut mes ne chace ; Que tuit se sont mis au retor. Mes Cligés n’est mie a sejor :

6633–6672

6635

6640

6645

6650

6655

6660

6665

6670

und mit dem Thessala ihn überlistete, wurde er sich erstmals klar darüber, dass er mit seiner Frau niemals ein Vergnügen genossen hatte, und er wusste nun, dass ihm dies nur im Traum geschehen war, und das war ein illusorisches Vergnügen. Und er sagt, dass er niemals mehr Freude in seinem Leben haben werde, wenn er sich nicht für die Schande und die Gemeinheit rächt, die der Verräter ihm angetan hat, indem er ihm die Frau weggenommen habe. „Schnell,“ sagt er, „auf dass von Pavia bis hin nach Deutschland jede Burg, jede Stadt, jeder Ort nach ihm durchforscht werde. Wer mir die beiden gefangen bringt, den werde ich lieber als alle anderen haben. Und nun viel Erfolg bei der Suche, oben und unten, nah und fern!“ Da setzen sie sich eifrig in Bewegung und haben den ganzen Tag mit der Suche verbracht. Aber Cligès hatte Freunde, die sie lieber in ein Versteck brachten, wenn sie die beiden fanden, als sie zurückzubringen. Volle vierzehn Tage hat man sie mit beträchtlicher Mühe gejagt, aber Thessala, die sie führt, sorgt mit ihrer Kunst und ihrem Zauber für ihre Sicherheit, so dass sie keine Angst und Furcht vor der gesammelten Heeresmacht des Kaisers haben. Weder in Städten noch in befestigten Orten bleiben sie, und dennoch haben sie alles, was sie wollen und begehren, genauso viel oder sogar mehr als gewöhnlich, denn Thessala bringt und besorgt ihnen alles, was sie wünschen. Und niemand mehr verfolgt oder jagt sie, denn alle haben sich auf den Rückweg gemacht. Aber Cligès verliert keine Zeit,

363

364

6675

6680

6685

6690

6695

6700

6705

6710

Text und Übersetzung

Au roi Artu, son oncle, an va. Tant le quist, que il le trova, S’a fet a lui plainte et clamor De son oncle, l’anpereor, Qui por son deseritemant Avoit prise desleaumant Fame, que prandre ne devoit ; Qu’a son pere plevi avoit, Que ja n’avroit fame an sa vie. Et li rois dit que a navie Devant Costaninoble ira Et de chevaliers anplira Mil nes et de serjanz trois mile, Tes que citez ne bors ne vile Ne chastiaus, tant soit forz ne hauz, Ne porra sofrir lor assauz. Et Cligés n’a pas oblïé, Que lors n’et le roi mercïé De s’aïe, qu’il li otroie. Li rois querre et semondre anvoie Toz les hauz barons de sa terre Et fet apareillier et querre Nes et dromonz, buces et barges. D’escuz, de lances et de targes Et d’armeüre a chevalier Fet çant nes anplir et chargier. Por ostoiier fet aparoil Li rois si grant, qu’ains le paroil N’ot nes Cesar ne Alixandres. Tote Eingleterre et totes Flandres, Normandie, France et Bretaingne, Et toz çaus jusqu’as Porz d’Espaingne A fet semondre et amasser. Ja devoient la mer passer, Quant de Grece vindrent message, Qui respitierent le passage Et le roi et ses janz retindrent. Avuec les messages qui vindrent, Fu Jehanz qui bien fist a croire ; Que de chose, qui ne fust voire

6673–6712

6675

6680

6685

6690

6695

6700

6705

6710

er begibt sich auf die Suche nach König Artus, seinem Onkel, bis er ihn gefunden und Beschwerde und Klage gegen seinen Onkel, den Kaiser, geführt hat, der, um ihn zu enterben, in treuloser Weise eine Frau geheiratet hatte, was er nicht gedurft hätte, weil er seinem Vater geschworen hatte, niemals in seinem Leben zu heiraten. Und der König sagt, er werde mit seiner Flotte nach Konstantinopel fahren und tausend Schiffe mit Rittern und weitere dreitausend mit Soldaten füllen, so dass weder Burg noch Stadt oder Schloss, so stark und groß sie auch sein mögen, ihrem Angriff werden standhalten können. Und Cligès hat nicht vergessen, dem König für seine Hilfe, die er ihm gewährt, zu danken. Der König schickt nach allen hohen Fürsten seines Landes und ruft sie zusammen, und er lässt Kriegsschiffe und Galeeren, Barken und Boote holen und bereitmachen. Mit Schilden, Lanzen und Bannern und Ritterrüstungen lässt er hundert Schiffe füllen und beladen. Der König betreibt einen größeren Aufwand bei der Vorbereitung des Krieges als Caesar oder Alexander. Ganz England und Flandern, die Normandie, Frankreich und Britannien, und alle, bis hin zu den Pyrenäenpässen, hat er aufgeboten und sich sammeln lassen. Schon sollten sie das Meer überqueren, da kamen Boten aus Griechenland, welche die Überfahrt verzögerten und den König und seine Leute zurückhielten. Unter den Boten, die kamen, war Johann, der sehr glaubwürdig war, denn eine Nachricht, die nicht wahr war

365

366

6715

6720

6725

6730

6735

6740

6745

6750

Text und Übersetzung

Et que il de fi ne seüst, Tesmoinz ne messages ne fust. Li message haut home estoient De Grece, qui Cligés queroient. Tant le quistrent et demanderent, Qu’a la cort le roi le troverent, Si li ont dit : « Des vos saut, sire ! De par toz çaus de vostre anpire Grece vos est abandonee Et Costantinoble donee Por le droit que vos i avez. Morz est — mes vos ne le savez — Vostre oncles del duel, que il ot Por ce que trover ne vos pot. Tel duel ot que le san chanja : Onques puis ne but ne manja, Si morut come forsenez. Biaus sire! or vos an revenez ! Car tuit vostre baron vos mandent. Mout vos desirrent et demandent, Qu’anpereor vos vuelent feire. » Tes i ot, qui de cest afeire Furent lié, et si ot de tes, Qui esloingnassent lor ostés Volantiers et mout lor pleüst, Que l’oz vers Grece s’esmeüst. Mes remese est del tot la voie ; Car li rois sa jant an anvoie, Si se depart l’oz et retorne. Et Cligés se haste et atorne, Qu’an Grece s’an viaut retorner ; N’a cure de plus sejorner. Atornez s’est, congié a pris Au roi et a toz ses amis, Fenice an mainne, si s’an vont. Ne finent tant qu’an Grece sont, Ou a grant joie le reçoivent Si con lor seignor feire doivent, Et s’amie a fame li donent ; Andeus ansanble les coronent.

6713–6752

6715

6720

6725

6730

6735

6740

6745

6750

oder was er nicht mit Sicherheit wusste, würde er nicht bezeugen oder als Bote überbringen. Bei den Boten handelte es sich um hohe Fürsten aus Griechenland, die nach Cligès suchten. So lange suchten und forschten sie nach ihm, bis sie ihn am Hof des Königs fanden und zu ihm gesagt haben: „Gott schütze Euch, Herr! Im Namen aller Fürsten Eures Reiches wird Euch aufgrund der Rechte, die Ihr daran habt, Griechenland übereignet und Konstantinopel übergeben. Euer Onkel ist, Ihr wisst es nur nicht, aus Schmerz darüber gestorben, dass er Euch nicht ergreifen konnte. So sehr schmerzte es ihn, dass er den Verstand verlor und nicht mehr trank und aß und wie im Wahnsinn starb. Edler Herr, kehrt nun zurück! Denn alle Eure Herren rufen Euch. Sie verlangen und rufen sehr nach Euch, denn sie wollen Euch zum Kaiser machen.“ Einige waren froh über diese Nachricht, doch andere hätten ihre Unterkünfte gern verlassen und sehr gewünscht, dass das Heer nach Griechenland gezogen wäre. Aber die Heerfahrt wird vollkommen abgesagt, denn der König schickt seine Leute fort; so löst sich das Heer auf und jeder kehrt zurück. Und Cligès beeilt sich und macht sich bereit, um nach Griechenland zurückzukehren; er hat kein Interesse an einem weiteren Aufenthalt. Er hat sich gerüstet und vom König und allen seinen Freunden Abschied genommen, Fenice führt er mit sich, sie reisen davon. Ohne Aufenthalt reisen sie bis nach Griechenland, wo die Griechen sie mit Jubel empfangen, wie sie es ihrem Herrn schuldig sind, und sie geben ihm seine Freundin zur Frau und krönen beide gemeinsam.

367

368

6755

6760

6765

6770

6775

6780

Text und Übersetzung

De s’amie a feite sa fame, Mes il l’apele amie et dame, Ne por ce ne pert ele mie, Que il ne l’aint come s’amie, Et ele lui tot autressi, Con l’an doit feire son ami. Et chascun jor lor amors crut, N’onques cil celi ne mescrut Ne querela de nule chose. Onques ne fu tenue anclose, Si come ont puis esté tenues Celes qu’aprés li sont venues ; Qu’ains puis n’i ot anpereor, N’eüst de sa fame peor, Qu’ele le deüst decevoir, Se il oï ramantevoir, Comant Fenice Alis deçut Primes par la poison qu’il but Et puis par l’autre traïson. Por quoi aussi come an prison Est gardee an Costantinoble, Ja n’iert tant riche ne tant noble, L’anpererriz, ques qu’ele soit ; Que l’anperere ne la croit Tant con de cesti li ramanbre. Toz jorz la fet garder an chanbre Plus por peor que por le hasle, Ne ja avuec li n’avra masle, Qui ne soit chastrez an anfance. De çaus n’est crieme ne dotance, Qu’amors les lit an son liien. Ci fenist l’uevre C r e s t i i e n.

6753–6784

6755

6760

6765

6770

6775

6780

Aus seiner Geliebten hat er seine Frau gemacht, aber er nennt sie weiter Geliebte und Herrin, und sie verliert nichts dadurch, dass er sie wie seine Geliebte liebt und sie ihn ganz ebenso, wie man seinen Geliebten lieben soll. Und jeden Tag wuchs ihre Liebe, und niemals misstraute einer dem anderen oder machte ihm irgendwelche Vorwürfe. Niemals wurde Fenice eingesperrt, so wie später die Frauen, die ihre Nachfolgerinnen waren. Denn seitdem gab es keinen Kaiser mehr, der nicht befürchtet hätte, dass seine Frau ihn betrügen würde, wenn er die Geschichte hörte, wie Fenice Alis betrogen hatte, zuerst mit dem Trank und dann durch die andere List. Daher wird jede Kaiserin, so reich und edel sie sein und aus welchem Geschlecht sie auch stammen mag, in Konstantinopel wie in einem Gefängnis bewacht, denn der Kaiser glaubt ihr nicht, sobald er an die Geschichte von Fenice denkt. Immer lässt er sie in ihrem Zimmer bewachen, mehr aus Angst vor ihrer Untreue als wegen der Sonnenbräune, und niemals wird ein Mann zu ihr gelassen, wenn er nicht als Kind kastriert wurde. Von ihnen ist nicht zu befürchten, dass die Liebe sie in ihren Bann schlägt. Hier endet Chrétiens Werk.

369

Kommentar

371

Kommentar Siglen der Handschriften und Fragmente A (B.N. fr. 794 ‚copie Guiot‘) – B (B.N. fr. 1450) – C (B.N. fr. 12560) – M (B. Municipale de Tours 942) – P (B.N. fr. 375) – R (B.N. fr. 1420) – S B.N. fr. 1374 *um 1250 – T (Torino, Biblioteca Nazionale di Torino L. I. 13) – I (Institut de France 6138) – N (Fragmente d’Annonnay, entdeckt 1933) – O (Oxford, Bodleian Library Oriental Michael 569) – F (Biblioteca Riccardiana, Florence 2756) 1–44 Prolog. Was später in der Zeit des Buchdrucks „Paratexte“ (Genette 1989) – also Begleittexte eines literarischen Werks wie Klappentexte, Einleitungen, Umschlag etc. – leisteten, erfüllten im Mittelalter Prologe. Sie führten in das Werk ein und modellierten die Erwartungshaltung der Rezipienten. Das Mittelalter war noch weitgehend einer Kultur der Mündlichkeit verpflichtet und Dichtungen waren in der Regel nicht für die stille Lektüre gedacht, sondern für den Vortrag in einem geselligen und gesellschaftlichen Rahmen; bereits die Versform macht deutlich, dass der Text zur Performanz im mündlichen Vortrag bestimmt war. In den Prologen ging es folglich darum, die Aufmerksamkeit und das Interesse weniger von lesenden, als von hörenden Rezipienten zu wecken. Die traditionelle Rhetorik stellte hierfür eine Reihe von Regeln bereit. So wurde beispielsweise empfohlen, Interesse an der Dichtung durch die Behauptung zu erzeugen, sie behandle einen Gegenstand von allgemeiner, also jeden einzelnen betreffenden Bedeutung, oder aber auch durch die Erklärung des Autors, er berichte von etwas, das ihm selbst widerfahren sei oder das er von Augenzeugen gehört habe. Häufig finden sich in Prologen auch Hinweise auf Gönner oder Auftraggeber oder auf die Umstände, unter denen der Autor zu seiner Geschichte kam oder wie sie überliefert wurde (vgl. V.18 ff.). Im Unterschied zu den Prologen anderer Werke Chrétiens enthält der Prolog zum Cligès keinen Hinweis auf einen Gönner oder Auftraggeber. Besonders signifikant erscheint es außerdem, dass der Autor sich nicht über seinen sozialen Status definiert, sondern ausschließlich über die Tätigkeit des Dichtens und Übersetzens: „Chrétien opens his romance by calling attention to himself as a literary creator“ (Haidu 1968, 26). Die Forschung hat dieses self fashioning nicht nur als Ausdruck des literarischen Selbstbewusstseins Chrétiens gewertet, sondern auch als programmatischen Hinweis auf die Poetologie des Cligès. Demnach klingt mit dem Thema des ‚Übersetzens‘ bereits das translatio-Thema (V.30–35) an, das nicht nur auf den Transfer von politischer Macht und Wissen zu beziehen ist, sondern auch auf die neue volkssprachliche, literarische Kultur in Frankreich und den Prozess der Transformation mündlicher Dichtungen in die Schriftform. So konnte plausibel gemacht werden, dass der Translations-Topos gleichsam als metafiktionaler Kommentar das Programm des Romans vorgibt (vgl. Haidu 1968, 25f. und besonders Freeman 1985 sowie Hausmann 1997). Ein ähnliches Zeugnis für das literarische

372

Kommentar

Selbstbewusstsein des Dichters liefert der Prolog zu dem Roman Erec et Enide, in dem Chrétien (Crestiiens) erklärt, die Geschichte, die er erzählt, werde in Erinnerung bleiben, so lange die Christenheit (crestiantez) bestehen werde (Ausgabe von Wendelin Foerster, Halle 1934, V.24–26). 1–7 Dieses ‚Werkverzeichnis‘ spielt für die Chronologie der Dichtungen Chrétiens eine wichtige Rolle. Da Chrétien hier nur Erec et Enide erwähnt, wird dieser als sein ‚Erstlingswerk‘ angesehen, das vermutlich in den achtziger Jahren des 12. Jahrhunderts von Hartmann von Aue bearbeitet und ins Deutsche übertragen wurde. Der Cligès gilt als sein zweiter Roman. Bearbeitungen der Geschichten aus Ovids Metamorphosen und des Tristan-Stoffs von Chrétien sind nicht erhalten. Mutmaßungen über den Charakter dieser Werke bleiben daher bloße Spekulation. Nicht auszuschließen ist auch, dass es sich bei der Liste der ‚verlorenen‘ Werke um einen ‚fiktionalen‘ Scherz handelt, der auf den Themenkomplex Täuschungen, Verstellungen, Lügen und Illusionen vorausweist, der im Cligès facettenreich durchgespielt wird (Dragonetti 1980, 19). 2 f. Welche Werke mit den comandemanz d’Ovide bezeichnet werden, ist umstritten. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Ars amatoria Ovids gemeint ist, aber es könnte sich auch um einen allgemeineren Hinweis auf andere einschlägige Werke des römischen Dichters handeln (neben der Ars amatoria also auf die Amores und die Remedia amoris). Übersetzungen oder Bearbeitungen dieser Dichtungen von Chrétien sind nicht erhalten. 4 Der Schulterbiss stammt aus Ovids Metamorphosen (VI, 403–411). Erzählt wird hier die Geschichte von Pelops, einem Sohn des Tantalus. Um die Allwissenheit der Götter zu prüfen, setzt Tantalus ihnen seinen Sohn als Mahl vor. Die Götter weigern sich daran zu rühren, aber Ceres, die Göttin des Ackerbaus, verspeist, in Gedanken verloren, Pelops’ linke Schulter. Die Götter fügen dessen zerstückelten Körper wieder zusammen und ersetzen das fehlende Schulterstück durch Elfenbein. Eine Bearbeitung Chrétiens ist nicht erhalten. 5 In der Forschung ist darüber spekuliert worden, ob es sich bei der Bearbeitung des Tristan-Stoffs um eine Kurzerzählung oder um einen Roman gehandelt haben könnte. Eine Bearbeitung des Stoffs durch Chrétien ist nicht erhalten; überliefert ist lediglich ein Lied von ihm, in dem sich das lyrische Ich von der Tristanliebe distanziert. Auch in Chrétiens narrativen Dichtungen finden sich auffallend viele kritische Äußerungen gegenüber dem Tristan-Stoff; so heißt es bereits in Erec et Enide über Tristan, dass er niemals gelacht habe (Ausgabe von Wendelin Foerster, Halle 31934, V.1713 Tristanz qui onques ne rist). Die ältere Forschung hat diese Distanzierungen häufig mit der persönlichen Überzeugung des Autors gleichgesetzt; inzwischen ist jedoch die Frage nach der poetologischen Funktion der Tristan-Referenzen in den Vordergrund getreten. So artikuliert sich in der Kritik ein deutlicher Überbietungsanspruch gegenüber der Bearbeitung des Tristan-Stoffs (vermutlich eher in Gestalt der höfischen Fassung des Thomas d’Angleterre als gegenüber der von Béroul). Der Geltungsanspruch der

Kommentar

373

Tristan-Referenzen wird im übrigen durch die allgegenwärtige Ironisierungstechnik Chrétiens unterlaufen. 6 Für das mittelalterliche (West)Europa war Griechenland die Bezeichnung für das byzantinische Reich mit dem Zentrum Konstantinopel. Die eigenständige religiöse Entwicklung der Ostkirche infolge der Teilung des römischen Reiches führte im Mittelalter zu vielfältigen Spannungen mit der Westkirche. Daneben aber bestanden in der weltlichen Politik durchgehend diplomatische Kontakte; die Haltung des Westens gegenüber dem Osten schwankte dabei zwischen Bewunderung wegen des Reichtums und der hoch entwickelten Technik sowie Misstrauen und Ablehnung der ‚Griechen‘, die als verräterisch und arrogant galten. Wiederholt wurden Geschehnisse in Byzanz und Beziehungen zwischen Ost und West als historischer Resonanzboden für den Cligès in Anschlag gebracht, insbesondere geplante oder tatsächliche Heiratsallianzen zwischen Byzantinern und Deutschen (Foerster 1910, Settegast 1908, Fourrier 1960, Kinoshita 1996). 6 f. Es handelt sich um die Geschichte von Philomena (oder Philomela), die ebenfalls aus Ovids Metamorphosen stammt (VIII, 441–670): Der König von Athen, Pandian, hat zwei Töchter, Progne und Philomena. Progne, die ältere, heiratet Tereus, den König von Thrakien, und zieht mit ihr fort. Nach einiger Zeit möchte Progne ihre Schwester wiedersehen und Tereus macht sich auf den Weg, um sie zu holen. Er verliebt sich in sie, vergewaltigt sie und schneidet ihr die Zunge ab, damit das Verbrechen geheim bleibt. Nach Thrakien zurückgekehrt, behauptet er, Philomena sei tot. Philomena aber schreibt die Geschichte ihres Unglücks auf einen Wandteppich, und es gelingt ihr, der Schwester die Botschaft zukommen zu lassen. Progne holt Philomena heimlich zu sich und versteckt sie. Um Rache zu nehmen, setzt sie ihrem Mann das Fleisch ihres gemeinsamen Sohnes als Mahl vor. Nach dem Mahl verwandelt Tereus sich in einen Wiedehopf, Progne in eine Schwalbe und Philomena in eine Nachtigall. Die Übersetzung Chrétiens ist nicht erhalten, aber es existiert eine altfranzösische Übersetzung im Ovide moralisé, hg. von Ch. de Boer, Paris 1909 (entstanden um 1400). 10 Die Figur des sagenhaften Königs Artus, der in früheren mittelalterlichen Texten als Feldherr und Eroberer gezeichnet wurde, entwickelt sich allmählich zu einer Vorbildgestalt und steht im Zentrum des höfischen Gesellschaftsentwurfs, den Chrétien und andere Dichter der Zeit in ihren Dichtungen zur Diskussion stellen. So erscheint Artus in der Vorgeschichte des Cligès als Inbegriff eines vom Helden erstrebten (und auch von seinem Erzähler propagierten) Ritterideals (vgl. V.68 ff., V.116 ff., V.144 ff.); Artus wird als der beste König bezeichnet, den es jemals gab und geben wird (V.310 f.). Doch auch dieses ideale Bild bleibt von einer Ironisierung nicht verschont. So wirft die Episode mit den Gefangenen, die Alexander der Königin schenkt und die der König für sich fordert, um sie einer strengen Bestrafung zu unterwerfen, ein zweifelhaftes Licht auf die von ihm geübte Rechtsprechung (V.1349–1371, V.1419–1432), und der Erzähler scheut sich

374

Kommentar

nicht, über Artus zu spotten (V.4757 f.). In den späteren Artusromanen Chrétiens wird das Bild des vorbildlichen Königs und seines Hofes zwar weiterhin propagiert, aber zunehmend auch problematisiert. 17 Bretaingne erscheint in dem Roman als Bezeichnung sowohl für England als auch für die Bretagne (erstmals V.423). 18–23 Die Bibliothek der Kirche von St. Pierre in Beauvais (etwa 76 km nordöstlich von Paris) soll berühmt gewesen sein; die Bischöfe von Beauvais waren von den Grafen von Beauvais abhängig (Foerster 1910, XV). Die Kirche St. Pierre, die spätere Kathedrale der Stadt, brannte 1180 ab (Walter 1994, 1137). Fourrier (1960, 159) vermutet eine Chronik als Quelle, Ciggaar (1995, 273) einen (lateinischen) Bericht über das Ereignis. – Chrétien hat im Cligès nachweislich jedoch verschiedene Quellen benutzt, so dass die Berufung auf eine (einzige) Quelle als Fiktion gelten muss. Der Hinweis auf eine ‚historische‘ Quelle dient folglich dazu, einen Wahrheitsanspruch für das fiktionale Werk zu behaupten. Entsprechend dieser Strategie wird die ‚Wahrheit‘ eines Werks nicht etwa durch dessen Autor, sondern durch das Alter der Überlieferung verbürgt (vgl. V.24ff.). 18 Auf die Polysemie von trover („erfinden“, „entdecken“, „komponieren“, „hervorbringen“), einem Schlüsselwort der Troubadourlyrik, macht Over (1995, 102) aufmerksam. 30–35 Das Konzept der translatio geht auf ein antikes Denkmuster zurück und wurde im Mittelalter mit der Lehre von den vier Weltreichen verbunden. Danach ist die politische Zentralmacht auf Grund des Sittenverfalls jeweils von einer Kultur zur nächsten ‚gewandert‘. Der Gedanke der Wanderung der politischen Macht (translatio imperii) wird hier um den Gedanken der translatio studii (oder translatio artium) erweitert (vgl. dazu Worstbrock 1965). Zu den verschiedenen Deutungen der Antike im Prolog des Cligès vgl. Lyons (1980/81). 32 Chrétien geht „mit der Verlagerung auch der clergie in die Antike an dem geistlichen Begriff der clergie“ vorbei (Köhler 1970, 40). 41–44 Diese Aussage des Erzählers scheint der Berufung auf Ovid als gleichsam kanonischen antiken Autor und zur Bedeutung der antiken Überlieferung für das Wissen der Gegenwart über die Vergangenheit zu widersprechen. Sie steht zudem in Gegensatz zu der Bedeutung, welche die Rezeption antiker Werke im Mittelalter tatsächlich im Unterricht hatte. Dennoch ist es überzogen, aus diesen Versen eine „anti-humanistische“ Haltung Chrétiens herauszulesen (Curtius 1948, 389). Die Deutung der Verse 43f. bereitet Schwierigkeiten: Ist die Rede der Griechen und Römer, d. h. ihre lebendige Stimme ‚verstummt‘ oder aber spricht man nicht mehr über sie? Vgl. die Übersetzungen „Ihr Wort ist zurückgeblieben, und die lebendige Glut ist erloschen“ Curtius (1948); „ … their fame is passed, and their glowing ash is dead“ (Comfort); „ … tout propos sur eux ont cessé, et elle est éteinte, leur vive braise“ (Micha); „Talk of them is over; their burning coals are spent“ (Staines); „On a cessé de parler d’eux, elle est éteinte, leur vive braise“ (Méla/Collet).

Kommentar

375

52–56 Der Altersunterschied zwischen den beiden Kaisersöhnen unterstreicht den Rechtsanspruch des Älteren auf die Herrschaftsnachfolge im Sinne der Primogenitur. 57–64 Rhetorische Figur der annominatio (Alixandre – Alis – Tantalis): „On notera les affinités et entrecroisements onomastiques de tous ces noms“ (Walter 1994, 1139). Im Cligès hat das Spiel mit der Bedeutung von Eigennamen eine besondere Bedeutung. So ist es kein Zufall, dass der Vater und der Großvater (V.59) des Helden Cligès den Namen des griechischen Welteroberers tragen, der sprichwörtlich für seine Freigebigkeit war (vgl. dazu das Lob der Freigebigkeit durch Kaiser Alexander, V.192–217). Wie die Logik der translatio studii folgt diese Namensgebung offenbar einer Logik der Überbietung: der Glanz der antiken Kultur wird durch die ‚neue‘ Kultur übertroffen. Denn der Romanheld Alexander entspricht dem Typus des Welteroberers keineswegs eins zu eins, er steht vielmehr eher für das neue Bild eines höfischen, von der Affektkultur der Zeit geprägten Ritters und Herrschers. Noch mehr wird sein Sohn Cligès, Frucht des griechischen und britischen Erbes, dieses Bild repräsentieren. Das Spiel mit den Namen setzt sich fort: Alis ist eine Kurzform von Alixandre (Bianchini 2002, 196) und erscheint auch als Bestandteil des Namens der Kaiserin (TantAlis). 60 Kenner von Ovids Metamorphosen werden sich an dem Spiel mit dem ähnlichen Klang des Namens Tantalis mit dem Namen Tantalus erfreut haben, an den mit der Erwähnung der Geschichte vom Schulterbiss gerade (V.4) erinnert worden war. Zu weiteren Deutungen des Namens Tantalis vgl. Bianchini (2002, 196 f.). 64–77 Das hier propagierte Ideal verlangt von einem ritterlichen Helden die Bereitschaft, sich aus seinem angestammten Herrschaftsbereich zu entfernen und sich in der Fremde zu erproben (vgl. auch V.138 f.). Implizit ist der Gedanke des Tugendadels, der in Konkurrenz steht zu dem im mittelalterlichen Feudaladel verbreiteten Konzept des Geblütsadels (vgl. dazu Borck 1978). 78–269 Die Abschiedsszene bietet ein Beispiel für die ritualisierte soziale Interaktion in der höfischen Kultur des Mittelalters. Die Funktion solcher Rituale bestand darin, Normen für ein angemessenes Verhalten zu modellieren und zu bestätigen. Wie ein Vasall seinen Herrn nicht ohne Erlaubnis verlassen darf, so darf sich auch ein Sohn von seinem Vater nicht formlos entfernen. Und so wie der Sohn beim Abschied soziale Regeln einhalten muss, so auch der Vater: Er soll die Liebe zu seinem Sohn nicht höher gewichten als die Ehre, nach der dieser strebt (vgl. V.95 ff.). 80 Das Herrschaftsgebiet von König Artus umfasst mit Cornwall auch das Reich König Markes (vgl. auch V.1478–83 und V.2425–30). 86 biaus „schön“ ist im Mittelalter nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine soziale, eng mit Adel (und Liebe) konnotierte Kategorie. Deshalb kann das Adjektiv auch mit „edel“ oder (in der Anrede) mit „lieb“ übersetzt werden.

376

Kommentar

92–101 Das ‚Blankoversprechen‘ (Walter 1994, 1139 „le motif du don en blanc“) bringt den Kaiser in eine prekäre Situation, weil er etwas verspricht, ohne zu wissen, worum es sich handelt, und er als König sein Wort nicht brechen darf (V.175 ff.). Es handelt sich dabei um ein wiederkehrendes Motiv in der Literatur des Mittelalters und in den Dichtungen Chrétiens (in der Forschung bezeichnet als rush boon oder don contraignant, vgl. dazu Frappier 1969, S. 7–46). 113 servise ‚Dienst‘ bestimmt als soziales Verhaltenskonzept im Mittelalter nahezu alle Lebensbereiche. In der religiösen Sphäre wurde die monastische Lebensform als Dienst (militia Christi) verstanden, im Lehnswesen die durch Vergabe eines Lehens begründete Verpflichtung eines Vasallen zu bestimmten Leistungen seinem Lehnsherrn gegenüber. Im Zuge der kirchlichen Reform- und der Gottesfriedensbewegung, die im 10. Jahrhundert einsetzte, wurde ein neues, von christlichen Normen geprägtes Ritter- und Herrscherbild entwickelt, das sich am Konzept der militia Christi orientierte und in dem der Dienstgedanke zur Leitvorstellung eines sich allmählich konstituierenden, neuen kulturellen Selbstverständnisses des Adels wurde. Leitend war der Gedanke, dass Adel nicht allein durch die Geburt, sondern mehr noch durch Dienst erworben werden sollte (vgl. V.64ff. den Kommentar zum Konzept des Tugendadels) bzw. dass Herrschaft durch Dienst legitimiert wird. Auf dieser Basis bildete sich auch das Konzept des Frauendienstes aus. An der Propagierung des neuen Ritterideals und seiner kritischen Reflexion in der Literatur der Zeit hat Chrétien einen nicht unbedeutenden Anteil. 115 Die Ritterwürde war ursprünglich nicht vererbbar, sondern musste erworben werden. Ritter wurde man (nach einer Lehrzeit als Knappe) durch die Schwertleite, am Ende des 12. Jahrhunderts durch den Ritterschlag und mit der Verleihung des Rittergürtels. Mit diesem Ritual wurde die Lehns- und in einigen Regionen auch die Heiratsfähigkeit eines jungen Adligen begründet. Zum Ritterbegriff vgl. Borst 1976, Bumke 1997. 122–34 Der Vater glaubt, den Sohn zum Bleiben bewegen zu können, indem er ihm anbietet, die Macht in Griechenland zu übernehmen und ihn zum Ritter zu schlagen. Dieses Missverständnis des Kaisers erlaubt es, die Motive Alexanders im Sinne des Konzepts des Tugendadels umso klarer zu profilieren. 126 Geiz steht in diametralem Gegensatz zur Freigebigkeit, der feudaladligen Kardinaltugend (V.192 ff.). 135–68 Einige Interpreten kritisieren das Verhalten Alexanders dem Vater gegenüber als jugendliche Anmaßung; so wirft nach Haidu (1968, 52) die schroffe Reaktion auf das Angebot des Vaters ein Licht auf den fragwürdigen „character“ Alexanders. Eine moralisierende und psychologisierende Deutung verfehlt jedoch die historische Spezifik der Figurendarstellung. Alexander bekräftigt hier die Auffassung, dass ein Ritter seinen Wert außerhalb des angestammten Machtbereichs erproben soll (vgl. V.64 ff.). 139 f. Wörtlich „dass er in einem anderen Land als dem eigenen tapfer oder feige sein wird“.

Kommentar

377

153 Zum Begriff der Courtoisie vgl. Stierle (1994). 154–60 Die Passage exponiert mit dem Gegensatz von los (Ruhm) und repos (Bequemlichkeit, Ausruhen, Ruhe, Entspannung) eine zentrale Wertvorstellung der von Chrétien in Erec et Enide propagierten ritterlichen Ethik. Danach muss ein Mann Mühsal und Gefahr (V.168 painne et travail) auf sich nehmen, wenn er in der Welt bestehen will. Im Cligès wird diese Vorstellung zwar thematisch nicht näher entfaltet, aber dennoch, so Heyworth (2002), Gegenstand einer ironischen Verhandlung zwischen dem Erzähler und seinem Publikum. Demnach werden die Rezipienten durch die spezifische Art der Formulierung auf die spätere Ironisierung dieses Gegensatzes (in der Begegnung des Protagonisten mit dem Herzog von Sachsen) vorbereitet. 169–76 joie e pesance Gemischte Gefühlslagen, bei denen eine negative und eine angenehme Empfindung sich verbinden, kommen im Cligès häufig vor. 175–78 Vgl. dazu den Kommentar zu V.92 ff. 192–217 Freigebigkeit steht im Zentrum feudaladlig-höfischer Werte. Hier erscheint sie – nicht Geburt oder Besitz – als geradezu konstitutiv für den Adel, vgl. Köhler (1962, 45–72). Fourrier (1960, 163 f.) sieht im Lob der Freigebigkeit ein Indiz dafür, dass der Cligès am Hof von Champagne entstanden sei, da der Graf Heinrich von Champagne, der Gatte der späteren Gönnerin Chrétiens, Marie, den Beinamen „der Freigebige“ trug. 192 Der Wechsel der Anrede vom „Ihr“ zum „Du“ ist ein häufig gebrauchtes Stilmittel, durch das ein dynamisches Element in die Kommunikation hineinkommt. Vertrautheit wird mit einem „Du“ nicht notwendigerweise signalisiert. Der Gebrauch dieses Stilmittels bedürfte einer näheren Untersuchung. 201 prodome „homme qu’on estime à cause de ses hautes qualités; homme de bon rang social“ (Luttrell/Gregory 371). Zur Frage, inwieweit das Konzept des Tugendadels den Gebrauch des Wortes prodome in Chrétiens Werken bestimmt, vgl. Köhler (1970, 129 ff.). 208 Bezeichnend ist, wie die Freigebigkeit durch den Vergleich mit einer erblühenden Rose gleichsam naturalisiert wird. Robertson (1972, 420) deutet den Vergleich als Hinweis auf die Vergänglichkeit von weltlichem Ruhm. 220 Die Rolle der Kaiserin Tantalis beim Abschied erschöpft sich im wiederholten Hinweis des Erzählers auf ihren Kummer (V.241, V.248 f.), den sie über die Abreise ihres Sohnes empfindet. 235 Der Wechsel des Tempus von der Vergangenheit zur Gegenwart („historisches Präsens“) ist ein von Chrétien häufig gebrauchtes Stilmittel, das der Dynamisierung der Narration dient. Die Übersetzung behält den Tempuswechsel deshalb grundsätzlich bei. 237 Die Ungeduld und die Freude Alexanders über den Aufbruch kontrastiert mit dem Kummer der Eltern.

378

Kommentar

256–269 Ritualisiertes Moment beim Abschiednehmen, das sich in der mittelalterlichen Literatur häufiger findet: Wie in einem tableau vivant verfolgen die Zurückbleibenden die Fortreisenden mit ihren Blicken, solange sie können. 257–67 Die Manuskripte haben entweder den Singular del vaslet oder den Plural des vaslez; teilweise findet sich ein Wechsel auch innerhalb eines Manuskripts (Luttrell/Gregory, Kommentar zur Stelle). 264–67 Rhetorische Figur der annominatio mit Wortformen von enui. 270 f. Charakteristisch für den Cligès sind die ‚realistischen‘ Zeitangaben, vgl. Fourrier (1960, 154). 273 Luttrell (1996) stützt die durch fast alle Handschriften bezeugte (und von Foerster bevorzugte) Lesart Hantone und führt den Nachweis, dass die Lesart von Poirion (1994) Sozhantone unzutreffend ist, da sie auf einem Missverständnis der Präposition soz bzw. desoz beruht. Die Griechen nehmen demnach nicht Quartier in Southampton selbst, sondern verbringen die Nacht auf dem Schiff unterhalb von Southampton, von wo aus sie am nächsten Morgen nach Winchester reisen. 274 Zeitliche Angaben in nicht chronologischer Folge bilden ein von Chrétien häufiger gebrauchtes Stilmittel. 276–85 Motiv der Seekrankheit. 289–304 In dieser Passage häufen sich genaue zeitliche und topographische Angaben (Fourrier 1960, 154; vgl. auch V.270, V.274). 314–38 Wie der Abschied ist auch die Begrüßung durch ritualisierte höfische Formen gekennzeichnet (Ablegen der Mäntel, Niederknien, formvollendete Anrede). 319 Das Verstummen der Barone ist Ausdruck der Wirkung, welche die schönen jungen Männer auf sie ausüben. Vgl. ähnlich die Wirkung Enites auf die Ritter der Tafelrunde, als sie erstmals am Artushof erscheint, in Hartmanns von Aue Erec (Ausgabe A. Leitzmann/L. Wolff/Ch. Cormeau/K. Gärtner, Tübingen 61985, V.1736–40). 321–24 Körperliche Schönheit erscheint hier explizit als Ausweis adliger Herkunft. 327–29 In der mittelalterlichen Literatur wird häufiger hervorgehoben, dass die Gefährten eines fürstlichen Protagonisten und dieser selbst gleich gekleidet sind. So ist es auch bei der Schwertleite des Helden im Tristan Gottfrieds, wo allerdings trotz der äußeren Gleichheit die besonderen höfischen Qualitäten Tristans gegenüber den Knappen hervorgehoben werden (Ausgabe Friedrich Ranke/ Rüdiger Krohn; Stuttgart 1980 [u. ö.] V.5000–11). 330 Die Zahl zwölf ist symbolträchtig, da sie im religiösen Diskurs verankert und auch in der epischen Tradition eingebürgert ist. Diese Zusammenhänge spielen hier jedoch keine Rolle, sie werden lediglich anzitiert (vgl. auch V.1130).

Kommentar

379

331 Die Publikumsadresse verweist auf die mündliche Vortragssituation. 340 f. Mit der Betonung der sprachlichen Gewandtheit Alexanders wird weniger das Moment der chevalerie als das der clergie akzentuiert. 342–46 Der Konditionalsatz verleiht dem schmeichelhaften Lob des Königs durch Alexander einen virtuellen Charakter. 367 Der König wechselt bei der Ansprache Alexanders unvermittelt vom „Ihr“ zum „du“. Vermutlich signalisiert dieser Wechsel eine Annäherung des Königs. 370 Es wird betont, dass Alexander christlich getauft ist, weil er aus Griechenland kommt. 394 Gauvain ist der Neffe von König Artus und hat in den Romanen Chrétiens die Stellung des ‚besten Ritters‘ am Artushof inne, an dem sich die anderen Ritter messen. 399 borjois bezeichnet den Bewohner einer Burg oder einer Stadt; moderne Vorstellungen von „Bürger“ oder „Bürgerlichkeit“ sind dabei fernzuhalten. 418–21 Die Darstellung der Beziehung zwischen Alexander und Artus hat idealtypischen Charakter und steht im Kontrast zu der späteren Schilderung der konfliktreichen Beziehung zwischen Artus und seinem Stellvertreter, dem verräterischen Grafen Angres von Windsor. 421 Die erste Erwähnung der Königin erfolgt eher beiläufig. Einen Eigennamen erhält sie im Cligès nicht. 424–34 Der Fürstenrat (conseil des barons) ist fester Bestandteil der Interaktion zwischen dem Herrscher und seinen Vasallen in der Literatur des Mittelalters (vgl. Köhler 1978). Herrschaft wurde weder autokratisch gedacht noch praktiziert; die Vasallen hatten vielmehr das Recht (und die Pflicht) zur Mitsprache. 431 Angres wird etymologisch auf lat. ingressum „heftig“, „wild“, „ungestüm“ „grausam“ zurückgeführt (Bianchini 2002, 202). 435 Wörtlich „Nachdem dieser das Reich in der Hand hatte“. 445 Soredamor ist die Schwester Gauvains (V.466) und folglich die Nichte von König Artus. Wenn sie hier als Typus einer spröden und stolzen Schönen gezeichnet wird, die sich der Herrschaft Amors bislang zu entziehen wusste, so steht das in ironischem Widerspruch zu ihrem ‚sprechenden‘ Namen (V.980 „die durch Amor Vergoldete“), dessen Bedeutung sie allerdings erst zu entdecken scheint, nachdem sie sich verliebt hat. Der Name „Blonde d’amour“ verweist im übrigen auf die Heldin des Tristan, auf Yseut la blonde (Fourrier 1960, 125). 456 Die Vorstellung von Amor als personifizierter männlicher Gestalt, die mit Köcher und Pfeil versehen ist und nach eigenem Recht handelt (V.456ff.), ist antiker Herkunft. Nach Ansicht der Forschung ist Chrétien bei der Darstellung des Liebesaffekts im Cligès vor allem durch Ovid beeinflusst (Faral 1913, Guyer 1921, Robertson 1955, Hanning 1981/82). Die Liebe ist nicht nur im Inneren

380

Kommentar

des Menschen lokalisiert, sondern wirkt auch von außen auf sein Inneres ein (vgl. auch V.573 ff.). 458 Der Liebesaffekt Soredamors erscheint als Rache Amors für ihre Sprödigkeit. 462 f. Im Mittelalter haben die körperlichen Symptome, welche die Liebe ‚lesbar‘ machen, topischen Charakter. 466 f. Die Stelle macht deutlich, dass Gauvain als männlicher Verwandter für den Schutz Soredamors zuständig ist, aber auch die soziale Kontrolle über sie ausübt. 470 f. Mit der Vorstellung, dass ein Liebender durch die Liebe ‚aufgeheizt‘ wird wie in einem ‚heißen Bad‘, wird die Intensität der körperlichen Empfindung betont; vgl. auch V. 597 ff. die Metaphorik des Feuers und des Verbrennens für den Liebesaffekt. 474–507 Nach einer im Mittelalter verbreiteten Auffassung spielen die Augen bei der Entstehung der Liebe eine zentrale Rolle: Das Auge nimmt das Bild einer Person oder eines Gegenstandes auf und leitet es weiter ins Herz, wo die Liebe entsteht (vgl. auch V.593 ff.). Signifikant ist, wie der Diskurs über die Liebe auf den Bereich des Rechts (Motiv des Verrats, Anklage, Missetat, Unrecht usw.) und des Kriegs (Kampf gegen Amor, gegen die Ohnmacht) zurückgreift; ähnlich auch bei der Inszenierung der Liebe zwischen Cligès und Fenice (V.3865ff.). Thematisiert wird vor allem die Furcht vor dem Verstoß gegen Normen, die Gefahr des Verlusts der Kontrolle über das Schauen, wodurch das Begehren entsteht. Charakteristisch für den Diskurs über die Liebe ist die Ambivalenz des Empfindens. 475–523 Erster ‚innerer Monolog‘ Soredamors. 478–80 Rhetorische Figur der annominatio mit Wortformen von grever („betrüben“, „bekümmern“). 500 Zur Rolle der Augen als ‚Nachrichtenübermittler‘ vgl. den Kommentar zu V. 690 ff. 505–14 Mittelalterliche ‚Psychologie‘: Die Zergliederung der Person in Ich, Herz und Augen veranschaulicht den inneren Konflikt (vgl. ähnlich V.754 ff.). 510 volante ist ein Schlüsselwort in Chrétiens Emotionsvokabular. Die Bedeutung schwankt zwischen „freier Wille“, „Begehren“, „Liebesempfinden“ (vgl. Walter 1994, S. 1149). 511 Over (1995, 110) verweist auf die verschiedenen Bedeutungen von fol „dumm“ „verrückt“, „schlecht erzogen“ „wahnsinnig“, „wahnwitzig“ und foler „täuschen“, „verwunden“. 530 f. Die exclamatio des Erzählers dient der Steigerung der emotionalen Anteilnahme an Soredamor, die im Unterschied zu den Rezipienten nichts über die Gefühle Alexanders für sie weiß.

Kommentar

381

532–38 Die Gegenseitigkeit der Liebe erscheint als eine Art Rechtsgrundsatz Amors und das beiderseitige Wissen der Liebenden darüber als Grundlage ihrer Legitimation. 541 Die Stelle variiert das zentrale Thema der Täuschung, indem sie deutlich macht, dass die ‚Lesbarkeit‘ des Liebesaffekts keineswegs so selbstverständlich ist, wie es an anderen Stellen des Romans suggeriert wird (vgl. etwa V.462 f.). Da die Wahrnehmung der Königin gestört ist, erliegt sie hier einer Täuschung (vgl. aber V.1591 ff.). 545–57 Das Wortspiel mit den Bedeutungen von afz. amer („lieben“, „bitter“), l’amer („das Bittere“, „das Lieben“) und la mer („das Meer“) findet sich ähnlich in Gottfrieds Tristan (nach dem Genuss des Minnetranks durch die Liebenden, Ausgabe Friedrich Ranke/Rüdiger Krohn, Stuttgart 1980 [u. ö.] V.11986 ff.) und in Thomas’ Bearbeitung des Tristan-Stoffs. – Zum Motiv der Seekrankheit vgl. V.276 ff. 560–63 Inkongruenz mit komischem Potential: Das Meer wird anthropomorphisiert und in die Position eines der Anklage unterworfenen Rechtssubjekts versetzt. 566–69 Idealtypische Stilisierung einer Lehnsbeziehung zwischen dem Herrscher und seinen Vasallen. 570–72 Mit der Erzählerintervention und der Publikumsadresse wird eine Situation der Mündlichkeit fingiert, wie sie in der Regel der Vortragssituation im Mittelalter entsprach. 584 f. Erneut wird die Liebesbeziehung nach dem Muster eines Rechtsverhältnisses stilisiert. 588–91 Es entspricht ovidianischer ‚Psychologie‘, dass die Liebe umso mehr wächst, je mehr Widerstände sich ihrer Verwirklichung entgegensetzen. Zur Rolle der Augen bei der Entstehung der Liebe vgl. den Kommentar zu V.474 ff. und V.690ff. 597–605 Metaphern aus dem Bildbereich des Feuers und des Verbrennens für die Wirkung von Liebesblicken; hierzu gehört auch das Bild der unter der Asche glühenden Kohle für das Liebesbegehren, das kontrolliert und verborgen werden muss. 602 Scham ist eine zentrale, auf der Schnittstelle zwischen subjektiver Erfahrung und gesellschaftlicher Normierung angesiedelte Empfindung, deren verschiedene Formen und Funktionen in der höfischen Literatur bislang noch nicht erforscht sind. 609–13 Eine weitere Facette des zentralen Themas der Verstellung ist das Motiv der Täuschung: Die Liebenden müssen ihre wahren Gefühle vor den Leuten verbergen. 621 Schlaflosigkeit gehört zu den klassischen Symptomen der Verliebtheit in ovidianischer Tradition.

382

Kommentar

626–872 ‚Innerer Monolog‘ Alexanders. Nach Haidu (1968, 70 f.) besteht er aus zwei Teilen: Der erste Teil umfasst vier Metaphern und deren Analysen, bei denen Alexander auf medizinische, höfische, scholastische und ritterlich-kriegerische Bildvorstellungen rekurriert, um seine Gefühle zu erklären, der zweite konzentriert sich auf die Elaboration der Pfeil-Metapher (ab V.770). Der Monolog Alexanders übertrifft an Länge beide Monologe Soredamors (Frappier 1968, 119). 628–36 Die Frage, ob die Gefühle verborgen oder offenbart werden dürfen bzw. müssen, spielt in den Liebesmonologen der höfischen Literatur eine zentrale Rolle (vgl. dazu auch V.992 ff.; V.2324ff.; V.3821 ff.; V.4308). 637–60 Das Motiv ‚Liebe als Krankheit‘ verweist auf den Einfluss Ovids und wird bereits im Roman d’Eneas (Éd. J.-J. Salverda de Grave. 2 Bde. Paris 1925 und 1929) ironisch verwendet. Konstitutiv für diese Metapher ist ein Paradox: Der ‚Arzt‘, der die ‚Krankheit‘ heilen kann, ist zugleich ihr Verursacher. 658 anpleidier] apleidier C, essaier („versuchen“) SR, assaijer T, acointier („bekannt machen“, „angreifen“) P. 682–88 Der Gedanke, dass die Liebe lehr- und lernbar ist, verbindet sich mit der Vorstellung von Amor als Magister und Schulmeister. 690 Hier nimmt der Monolog den Charakter eines Dialogs an, indem sich die Rede Alexanders in zwei ‚Stimmen‘ bzw. zwei Positionen spaltet. 690–749 Die Reflexionen Alexanders nehmen, da er eine Redefigur wörtlich nimmt, komische Züge an. Das Spiel mit der wörtlichen und übertragenen Bedeutung von Schlägen, Wunden und von Pfeilen Amors, die durch die Augen geschossen werden, ohne dass diese verletzt werden, ist Anlass für die Veranschaulichung einer Theorie der optischen Wahrnehmung und einer Theorie über die Entstehung der Liebe. Der Pfeil verletzt die Augen deshalb nicht, weil sie die Botschaft, die er transportiert, nicht hören und nicht verstehen können. Die Funktion der Augen beschränkt sich mithin auf die der ‚Nachrichtenübermittlung‘, auf die eines ‚Senders‘. Sie erscheinen als transparente, passive Eingänge zum Herzen mit der Fähigkeit, Bilder zu transmittieren, die ohne eine äußere Lichtquelle nicht aufgenommen und reflektiert werden können (Stewart 2003). Über ein eigenes kreatives Gestaltungspotential verfügen die Augen zwar nicht, aber als ‚Spiegel‘ nehmen sie eine Mittlerposition ein, die beträchtliche Spielräume der Interpretation für die Bilder eröffnet, die sie übermitteln. Der Veranschaulichung des Wahrnehmungsvorgangs dienen auch das Bild der Laterne mit der brennenden Kerze (V.716 ff.) und das Bild vom Glas (V.725 ff.), das vom Sonnenstrahl durchdrungen wird, ohne zerbrochen zu werden. Chrétien verwendet dabei ein an der Bibelexegese geschultes Verfahren und schreibt damit dem Liebesaffekt eine spirituelle Dimension zu. Luttrell (1995) sieht in der hier entfalteten Wahrnehmungstheorie eine Synthese von neuplatonischen und aristotelischen Konzepten und macht zugleich darauf aufmerksam, dass sich auch an anderen Stellen des Romans Spuren dieser Theorie finden (vgl. V.5584ff.).

Kommentar

383

690–7001 Zaddy (1973, 172) verweist auf eine Parallele im Roman d’Eneas (Éd. J.-J. Salverda de Grave, 2 Bde. Paris 1925 und 1929, V.8962–79). 715 Luttrell (1995, 3) macht auf der Basis von Studien zu mittelalterlichen Wahrnehmungstheorien plausibel, warum es sich bei der (von Foerster favorisierten lectio difficilior) Li feus (nach S) um eine falsche Lesart handelt, welcher die Lesart Li sans vorzuziehen sei. Demnach ist es nicht ein Feuer, welches das Herz entflammt, sondern „the sense [of vision]“, also die Einbildungskraft. 716–24 Die Vorstellung von den ‚Augen als Fenster des Herzens‘ ist in der mittelalterlichen Theologie geläufig. Nach Stewart (2003, 43) verwendet Chrétien die Laternenmetapher nicht, um den Vorgang des Sehens zu erläutern, sondern um zu erklären, warum die Flamme des Herzens durch die Augen sichtbar ist, ohne sie zu verletzen. 726–28 Das Bild vom Glas, das der Sonnenstrahl durchdringen kann, ohne es zu beschädigen, ist eine traditionelle Metapher für die jungfräuliche Geburt bzw. die Inkarnation. Die theologischen Konnotationen treten hier zurück, da Chrétien das Bild zur Beschreibung der entstehenden Liebe verwendet: „La naissance de l’amour, n’est-ce pas dans le héros l’incarnation d’une image idéale, celle de Sorédamors […]?“ (Gros 1991, 219 f.). Haidu (1968, 71) stellt in Frage, dass die Metapher in dem literarischen Kontext angemessen gebraucht wird („the questionable literary appropriateness of equating the birth of love in a man of Alexander’s character with the presence of the Holy Ghost in the Virgin Mary“) und vermutet ironische Verwendung. Stewart (2003, 40) verweist auf den Effeminierungseffekt, der durch den Vorgang des Durchdringens bewirkt wird. 729–31 Übersetzung Stewart (2003, 40): „Yet a piece of glass will never be so bright as to enable one to see, unless a stronger light strikes its surface.“ – Chrétien folgt der Theorie seiner Zeit, nach der das Auge nur Gegenstände und Farben wahrnehmen kann, auf die Licht fällt (Cline 1971/72, 265f.). Zur Bedeutung der Lichtmetaphorik allgemein vgl. Wolfzettel (1998). 732–49 Haidu (1968, 70) vertritt die Auffassung, dass Alexander „confuses the allegory by combining the image of the glass door (the eye) with the image of a mirror, in which the heart looks both itself and the outside world …“ Dagegen betont Cline (1971/72, 264f.), dass die Spiegelmetapher gemäß zeitgenössischer Theorien der Wahrnehmung die „two-way operation“ des Auges beschreibt, „that is, the eye’s outward reflection of the heart and the inward reflection of the outside world“. Das Auge erscheint dabei in einer doppelten Bewegung als Mittler zwischen außen und innen. Nach Stewart (2003, 42f.) folgt Chrétien eher der aristotelischen Theorie der optischen Wahrnehmung, indem er diese im Herzen und nicht in den Augen lokalisiere; Alexander erscheine folglich eher als passiver Rezeptor. – Zur Spiegelmetapher vgl. auch Paoli (1991, 235): „ … l’œil est le miroir du cœur. La relation s’enrichit alors de deux comparaisons: le cœur est semblable à la lanterne qui n’éclaire tant que la chandelle brûle; et l’œil, tel le verre, ne récèle aucune source lumineuse en soi, mais a la vertu de laisser passer la lumière.“

384

Kommentar

742–49 Variante des Motivs der Täuschung: Spiegelbilder können Trugbilder sein. Nach Stewart (2003, 44f.) sieht sich Alexander, anders als Soredamor, als Opfer der Liebe. 748 aonbrer „verdunkeln“, „verstecken“, „schützen“, aber auch „s’incarner dans le sein de la vierge“ (Walter 1990, 1143); ähnlich Luttrell (1995, 748) 750–69 Die Zergliederung der Person in Ich, Herz und Augen reflektiert, ähnlich wie im Monolog Soredamors, den Konflikt des Liebenden. Das Verhältnis zwischen dem Ich und seinen Wahrnehmungsorganen wird im folgenden nach dem Muster eines Dienstverhältnisses modelliert, einer sozialen und rechtlichen Beziehung wie zwischen einem Lehnsherrn und seinen Vasallen. Diese Analogiesetzung vermittelt die Vorstellung, dass die Sinne wie eine soziale Hierarchie konstruiert sind, die Alexander unter Kontrolle haben sollte. Der Gedanke, dass er als ‚Herr‘ irgendwie defizient sein könnte, liegt den Überlegungen jedoch fern (Stewart 2003, 45f.). 770 Chrétien entwickelt hier eine ingeniöse Variante der Beschreibung weiblicher Schönheit (Zaddy 1973, 173). Dabei scheint ein unvermittelter Perspektivenwechsel bzw. eine Überblendung von Figuren- und Erzählerrede (mit Unsagbarkeitstopos) stattzufinden (vgl. auch den Kommentar zu V.807). „Souvent, en rhéteur et en précieux, Chrétien parle à la place de son personnage. Il lui arrive même d’en oublier l’existence …“ (Frappier 1968, 119). Einige Interpreten gehen jedoch nicht von einer ‚Selbstvergessenheit‘ des Erzählers aus, sondern sehen in dem Verstoß gegen den ‚Fiktionskontrakt‘ einen bewussten Akt, der markiert, dass die Darstellung nicht auf Mimesis angelegt ist, sondern als Ausdruck einer autoreferentiellen Ästhetik verstanden werden soll (Haidu 1978, 453). 778–84 Kerbe und Federn: Die Federn stehen als Metapher für das blonde Haar Soredamors, die zu Zöpfen gebunden sind (V.790–92). Diese Referenz bleibt zunächst unklar; daher handelt es sich nach Haidu (1968, 30) um ein Beispiel für die rhetorische Figur der aenigma. 807 Beginn der descriptio von Soredamors Antlitz. Alexander „is a young man in love, and so desirous of physical possession that he quite forgets the distinction between the metaphorical and the literal levels to launch into a description of the arrow’s forehead, eyes, mouth, nose, teeth, chin and ears“ (Haidu 1968, 30). 829 Zur Auffassung der Natur (hier ähnlich wie V.907 als Personifikation) im Mittelalter vgl. Curtius (1948, 116–137). Die Vorstellung, dass neben Gott die Natur einen Anteil am Schöpfungsprozess hat, wird mit der Schule von Chartres in Verbindung gebracht (Laurie 1986). Als Schöpferin weiblicher Schönheit erscheint die Natur auch bei der Beschreibung von Fenices Schönheit (V.2732 ff.). Den topischen Charakter dieses Gedankens betont Luttrell (1973). 836 f. Die Erzählerintervention stellt eine Variante des Unsagbarkeitstopos dar („Es ist nicht erstaunlich, wenn ich etwas vergesse“).

Kommentar

385

839 Kristall (vgl. auch V.3312) wurde im Mittelalter zu den Edelsteinen gerechnet (Gontero 2002, 241). 842–845 Obwohl der Sinn der Stelle sich durchaus erschließt, erweist sich eine genaue Übersetzung als schwierig: „Between the border of her gown and the buckle at the parted throat, I saw her bosom left exposed and whiter than newfallen snow“ (Comfort); „Ce que j’ai vu de la poitrine découverte, depuis la naissance du cou jusque la fermeture de l’agrafe, est plus blanc que neige fraîchement tombée“ (Micha); „And what I saw of her bare bosom, from the base of her neck to the brooch fastening her chemise, was more white than new-fallen snow“ (Staines); „Tout ce qui, de la naissance du cou jusqu’à l’agrafe, se laisse entrevoir de sa gorge nue, je le vis sans voile plus blanc que n’est la neige fraîche“ (Méla/Collet). 846–49 Die Beschreibung und Identifikation der Teile von Soredamors Körper mit den Teilen des Pfeils folgt der rhetorischen Figur der effectio; der Liebespfeil ist das Bild der Geliebten, das durch die Augen in Alexanders Herz gelangt ist (Stewart 2003, 46f.). Referent für die gesamte Beschreibung ist der kleine Teil des Pfeils, der zu sehen ist, wenn der Pfeil im Köcher steckt. Mit dem Motiv des verborgenen oder verhüllten Teils des Pfeils wird die sexuelle Bedeutung der Metapher betont. 862–67 Die Beziehung zwischen dem Liebenden und Amor erscheint als Vasallitätsverhältnis, angereichert durch die Bildfelder Macht und Kampf. Am Ende steht die Kapitulation Alexanders vor Amor. 873 Haidu (1968, 48) vermutet, dass mit diesem Vers eine Ironisierung der Klage Alexanders verbunden ist, und verweist auf die doppelte Bedeutung von gran „quantitativ groß“ und „qualitativ groß“. Versuche, Verfahren der Ironisierung in mittelalterlichen Texten zu definieren, stoßen hier auf Grenzen. Die Interpretation hat gleichwohl Zustimmung gefunden (z. B. Heyworth 2002). 874–1046 Die Beschreibung der Verliebtheit und die Klagen der Liebenden sind parallel angelegt, aber dennoch sind Unterschiede zu verzeichnen, die sich nicht allein ästhetischen Strategien verdanken. Während Alexander seinen Zustand mit einer Krankheit identifiziert, die er nicht verschuldet hat, beschreibt Soredamor sich als bekümmert und traurig (Stewart 2003, 47 f.). 901 f. Schönheit erscheint hier nicht vorrangig als soziale, sondern als ästhetische und erotische Kategorie. 906 Salomon gilt als Exempel der Weisheit, aber auch als Opfer weiblicher List und Untreue. Zeugnis dafür legt ein im Mittelalter verbreiteter Stoff ab, der im Deutschen durch die aus dem 15. Jahrhundert stammende Dichtung Salman und Morolf (Hg. von Alfred Karnein, Tübingen 1979) vertreten ist; vgl. auch die Erwähnung Salomons V.5876–78. 910–14 Die Vorstellung, dass eine Frau von Gott die Möglichkeit erhalten sollte, alle Vorzüge des Geliebten zu vernichten, erscheint wie eine Inversion des in der

386

Kommentar

höfischen Kultur verbreiteten Gedankens, nach dem Frauen zur Vervollkommnung des Mannes beitragen. 933–36 Wiederaufnahme der Metapher ‚Liebe als Krieg‘ mit der Vorstellung, dass der Liebende in einem Vasallitätsverhältnis zu Amor steht (vgl. V.862ff.). 946–52 Die Auffassung, dass Liebe als ‚Unterrichtsfach‘ gelehrt und gelernt werden kann (vgl. V.682ff.), wird durch die Erklärung Soredamors, dass sie nichts mehr lernen müsse, relativiert. 950 Das Konzept des Dienstes (vgl. den Kommentar zu V.114 ff.) bestimmt auch den Bereich der Liebe und die Ordnung der Geschlechter. 953–60 Haidu (1968, 51) erklärt, dass die Akzeptanz des höfischen Liebescodes Soredamor zu absurden Überlegungen führe, indem sie erwägt, ob sie wegen des einen alle Männer lieben solle. Damit verkennt er den Gesellschaftsbezug des Liebescodes, auf den die Stelle verweist und der die Konzeptualisierung der Liebe in den volkssprachlichen Literaturen des Mittelalters seit den Troubadours prägt. Entsprechend kommentiert Laurie (1989, 71) die Stelle: „ … love thus becomes a socially improving experience“. Allerdings besteht eine Spannung zwischen dem Gesellschaftsbezug und der Forderung nach der Bindung an einen einzigen Geliebten, und diese Spannung wird in den Überlegungen Soredamors manifest. 962–987 Zur Namensgebung und -bedeutung vgl. Bianchini (2002, S. 186 ff.). Wie in anderen Fällen im Cligès ruft der Name eine Bedeutung auf, die gegenläufig zu bestimmten Zügen ist, die der Figur zugeschrieben werden. Bei ihrer Einführung wird über Soredamor gesagt: Qui desdeigneuse estoit d’amors (V.446). Vgl. dazu (allerdings mit einer problematischen Tendenz zur Psychologisierung) Over (1995, 107): „After struggling […] the desdaingeuse gives in completely, to the point of parsing her name as a signifier of love.“ 966 Die Editionen Micha und Luttrell/Gregory folgen der Redaktion Guiot, die als einzige Handschrift folgende Variante aufweist: Qu’amors doi an mon non trover („denn in meinem Namen muss ich die Liebe finden“). 972 Die Edition Micha 1968 folgt der Redaktion Guiot, die als einzige Handschrift folgende Variante aufweist: Qu’an mon non a de la color („denn in meinem Namen ist Farbe“). 975 f. droit non ist in Chrétiens Werken die Bezeichnung für den Taufnamen (Bianchini 2002, 183). Der Akt der Identitätskonstitution erfolgt hier über das Aussprechen des Namens und dessen Deutung; es handelt sich also um einen performativen Akt par excellence. 992–1049 Die Frage, ob die Gefühle dem Geliebten offenbart oder verschwiegen werden sollen, beherrscht die gesamte Passage und spielt auch in Alexanders innerem Monolog eine zentrale Rolle, vgl. auch V.628ff. 997–1020 Hier zeigt sich besonders deutlich, welche Bedeutung die Ordnung der Geschlechter bei der Interaktion unter den Liebenden hat. In der Sicht So-

Kommentar

387

redamors darf eine Frau nicht ‚den ersten Schritt tun‘ oder in der Rolle der Werbenden auftreten. 1023 f. Mit Worten allein ist Wissen über die Liebe nicht zu vermitteln; praktische Erfahrungen sind unverzichtbar. 1032 Der Vergleich ‚soviel von etwas verstehen wie das Rind vom Pflügen‘ bezieht sich wohl auf die mangelnde Kenntnis bzw. das mangelnde Bewusstsein von dem eigenen Tun (das zugleich als harte Arbeit gekennzeichnet ist). Haidu (1968, 37) fragt nach dem Grad an ‚Selbstironie‘, der mit dem Gebrauch einer auf den bäuerlichen Erfahrungsbereich verweisenden Redewendung in einem höfischen Kontext verbunden war und ob die Redewendung als Mittel der Figurenzeichnung oder als Kommunikation mit dem Publikum diente. 1036 f. Mit der Redewendung ‚etwas ins Meer säen, wo der Samen nicht aufgehen kann‘ wählt Chrétien erneut einen Vergleich aus der Natur. Soredamor spricht damit ihre Befürchtung aus, dass Alexander ‚von Natur aus‘ nicht dafür disponiert sein könnte, sich in sie zu verlieben. 1040 f. Nonverbale Elemente der Kommunikation und die Technik der verschlüsselten Rede werden von Soredamor strategisch eingesetzt, damit sie sich durch ein offenes Geständnis keine Blöße gibt. 1053 Derartige Zeitangaben „ajoutent à la vraisemblance“ (Fourrier 1960, 155). 1058–2248 Die vielfach als ‚realistisch‘ gewertete Episode des Verrats durch den rebellischen Grafen Angres gehört gattungstypologisch in die epische Tradition der chansons de geste, in deren Zentrum das labile Machtverhältnis zwischen König und Vasall in einer Lehnsbeziehung steht. In der Forschung wird vermutet, dass der Mordred-Verrat in Waces Le roman de Brut (Éd. Ivor Arnold. 2 Bde. Paris 1938 und 1940, V.13010–274) Chrétien als Modell gedient hat. Das Motiv des Ehebruchs fehlt freilich: Mordred, der Neffe Artus’, fungiert bei Wace nicht nur als ungetreuer Stellvertreter des Königs, sondern auch als ungetreuer Beschützer der Königin. 1070–79 Die Stelle weist zurück auf den Fürstenrat vor der Abreise Artus’ in die Bretagne (V.424 ff.). 1075 Genelun ist eine Figur aus der Chanson de Roland (bzw. dem deutschen Rolandslied), ein Herzog und Vasall Karls des Großen, der als Verräter gezeichnet und mit dem ‚Erzverräter‘ Judas verglichen wird. 1096–1102 Mit dem Bild des mit Schiffen bedeckten Meeres und der Schilderung des Lärms bei der Abreise greift Chrétien in das Register der Superlative. 1106 Erst jetzt denkt Alexander an seinen Wunsch, von Artus zum Ritter geschlagen zu werden (vgl. dazu V.115 ff., V.348ff.). 1130 Zur Symbolik der Zahl zwölf vgl. den Kommentar zu V.330. 1135–46 Die eigentliche Zeremonie des Ritterschlags wird ebenso wenig geschildert wie im Tristan Gottfrieds von Straßburg. Ein Relikt findet sich lediglich in

388

Kommentar

dem Bad, das Alexander und seine Gefährten im Meer nehmen (V.1142 ff.). Welche Funktion die Reinigung im Bad hatte, die in mittelalterlichen Quellen gelegentlich als Teil der Ritterweihe erscheint, ist umstritten. Die Annahme, dass es sich bei dem Bad Alexanders und seiner Gefährten um ein Reinigungsritual mit religiösem Charakter handelt, wird von Lyons (1973), der Bezüge der Szene zum Roman d’Alexandre nachweist, in Frage gestellt. Nach Lyons ist ein die Griechen charakterisierender Zug, dass sie den Luxus eines warmen Bades verschmähen, das sie am Hof hätten nehmen können. 1148 f. Haidu (1968, 42) interpretiert diese Verse als Beispiel für die rhetorische Figur der litotes und schreibt ihnen eine ironische Valenz zu. 1153–1183 Das weiße Seidenhemd mit dem Haar Soredamors ist symbolisch aufgeladen und erlangt den Status einer Quasi-Reliquie (vgl. Komm. zu V.1191 ff.). Es steht gleichsam als Verheißung für Soredamor selbst: Die Königin macht es Alexander zum Geschenk, bevor er zum Ritter geschlagen wird; es weist auf die ‚Gabe‘ voraus, welche die Königin den Liebenden machen wird, indem sie beide einander ‚schenkt‘ (V.2340–47), vgl. dazu Bianchini (2002, 184). 1161 Vermutlich spielt Chrétien mit dem Motiv des Goldhaars auf die frühhöfische Version des Tristan von Béroul an, der Eilhart mit seiner Bearbeitung folgt. Da beide Texte nur fragmentarisch erhalten sind, lässt sich die entsprechende Stelle nur aus jüngeren Bearbeitungen rekonstruieren. Demnach beobachtet Marke zwei Schwalben, die sich um ein Frauenhaar streiten; er erklärt, einzig und allein die Besitzerin dieses Haares – Isolde – zur Frau nehmen zu wollen. Gottfried von Straßburg macht sich über die Unwahrscheinlichkeit lustig, dass eine Schwalbe ein Frauenhaar von Irland nach Cornwall gebracht haben soll, um es dort für den Bau eines Nestes zu verwenden (Ausgabe Friedrich Ranke/Rüdiger Krohn, Stuttgart 1980 [u. ö.] V.8601–8628). 1171–1196 Die exclamatio des Erzählers dient dazu, das Publikum emotional in das Geschehen zu involvieren. Zugleich wird die Differenz zwischen dem wechselseitigen Unwissen der Liebenden über ihre Zuneigung zueinander und dem Wissen der Rezipienten darüber im Sinne der Ironie betont. 1191–1196 Die Überblendung des Liebesdiskurses mit religiösen Obertönen wird besonders darin deutlich, dass Hemd und Haar in der Sicht Alexanders den quasi-religiösen Status von Reliquien erlangen (vgl. dazu auch V.1618–45). Noch stärker ausgebaut ist das Motiv des Haares der Geliebten als Quasi-Reliquie in Chrétiens Lancelot (Ausgabe Wendelin Foerster, Halle 1899, V.1469–1490): Der Held findet bei der Verfolgung der entführten Guenièvre ihren Kamm, entfernt behutsam die daran haftenden Haare und behandelt sie wie Reliquien, die ihn von allen Übeln heilen bzw. vor ihnen bewahren können. 1202–08 Der Erzähler hebt den gut gebauten Körper Alexanders hervor und betont im gleichen Zuge die besondere Anteilnahme der Königin an seinem rite de passage zum Ritter.

Kommentar

389

1209 Mit dieser Erzählerintervention wird die Episode des Ritterschlags erzählerisch ‚erledigt‘. 1230 Zu der Bezeichnung borjois vgl. den Kommentar zu V.399. Mit der unrechtmäßigen Ausplünderung der Bürger durch einen feudalen Usurpator kommt ein sozialkritisches Moment ins Spiel. Durch Artus, der in der Rolle des rechtmäßigen Herrschers erscheint und als Garant von Ordnung und Recht auftritt, wird es jedoch neutralisiert. 1247–57 Die genauen Hinweise auf die Kosten und die Zeit, die für die Befestigungsarbeiten nötig waren, gelten als Elemente des „Courant réaliste“ (Fourrier 1960, 155). 1264–66 Der hier entfaltete Zusammenhang zwischen dem Licht, das von den Sonnenstrahlen ausgeht, den Farben der Zelte und dem Erglänzen des Flusses verweist zurück auf die Wahrnehmungstheorie, die Alexander in seinem ‚innerem Monolog‘ entwickelt (vgl. den Kommentar zu V.690 ff. und 729 ff.). 1280–89 Solchen Aufzählungen steht der Erzähler sonst gelegentlich mit kritischer Distanz gegenüber (V.4636ff.) – Die Namen der Gefährten Alexanders sind in der Überlieferung verändert worden. Zu ihrer ursprünglichen Form vgl. den Kommentar zur Stelle in der Ausgabe Luttrell/Gregory. 1300 quintainne bezeichnet eine Art Puppe, die als Zielscheibe in Übungen zum Lanzenkampf verwendet wurde. 1340–48 Die grausamen Details in den Kampfschilderungen (vgl. auch V.1515 f.) erinnern an ältere epische Traditionen, wie sie der Antikenroman repräsentiert. 1341 f. Die Auslassung der Verse in ASMP wird auf ein doppelt auftretendes Mes zurückgeführt (Luttrell/Gregory, Kommentar zur Stelle). 1349–53 Alexander zeichnet sich durch besondere Höflichkeit aus, indem er die Gefangenen der Königin übergibt; er fürchtet, dass Artus’ Rache an ihnen zu grausam sein wird. Sein Verhalten findet auch die Zustimmung der anderen. Allerdings erleiden die Gefangenen ein noch schlimmeres Schicksal, als befürchtet, indem sie schließlich geschleift und ihre Glieder zerrissen werden. Die idealtypischen Züge, die Artus zu Beginn des Romans zugeschrieben werden, erscheinen dadurch zurückgenommen. Alexanders Gabe führt zu einer vorübergehenden Trübung des Verhältnisses zwischen König und Königin, ohne dass Alexander selbst dafür verantwortlich gemacht wird. Der Konflikt wird gelöst, indem die Königin auf die Forderung des Königs eingeht und ihm die Gefangenen ausliefert (V.1426–32). Die latente Spannung zwischen Alexander und Artus wird nicht weiter thematisiert oder kommentiert. 1378 In der Kultur des Mittelalters verbreitete, rituelle Geste des Nachdenkens und des Sehnens, das auf etwas Fernes, Unerreichtes, Fehlendes gerichtet ist. 1390–1418 Erneutes Spiel mit dem Namen, hier auf die Phonetik bezogen. Tatsächlich ist es einfacher, ami statt Alexander auszusprechen; das Spiel mit der Phonetik lässt sich ins Deutsche nicht adäquat übertragen.

390

Kommentar

1400–19 mantir („lügen“, „sein Wort brechen“, „die Unwahrheit oder etwas Falsches sagen“) ist hier offensichtlich nicht mit der Vorstellung verbunden, jemanden täuschen oder betrügen zu wollen. Soredamor scheut sich, Alexander als ami anzusprechen, weil sie befürchtet, dass er diese Anrede als Liebeserklärung auffassen könnte und ihre Gefühle nicht erwidern würde (Haidu 1968, 46f.). Nach den langwierigen Überlegungen Fenices, ob sie es wagen darf, Alexander ami zu nennen oder nicht, wirkt es wie ein Kontrapunkt, dass die Königin ihn unbekümmert mit ami anredet. ami bezeichnet jedoch nicht nur den Geliebten und Freund, sondern auch den politisch Verbündeten; so spricht Artus Alexander mit ami an (vgl. V.1452). 1429 Der Zorn des Königs ist im Mittelalter nicht nur Zeichen von Unbeherrschtheit, er kann auch Ausdruck von kalkuliertem bzw. gerechtem Herrscherhandeln sein (vgl. auch V.1512). 1433–48 Vasallen haben im politischen System des Mittelalters das Recht und die Pflicht, ihren Herrn bei politischen Entscheidungen zu beraten. Allerdings setzt hier der König seine Auffassung durch. 1443 Schleifen bzw. das Zerreißen der Glieder erscheint in mittelalterlichen Quellen häufig als Strafe für Verrat. So wird Genelun im Rolandslied (Ausgabe Dieter Kartschoke, Frankfurt M. 1970, V.9009–14) mit Händen und Füßen an die Schweife ungezähmter Pferde gebunden, die seinen Körper durch ein Dornengestrüpp schleifen und ihn zerreißen. Im Cligès werden die Verräter von vier Pferden geschleift (V.1500ff.). 1446 Micha und Luttrell/Gregory folgen der Lesart der Handschriften SPBC, die keine Negation haben. Zu übersetzen wäre demnach: „ … er sagt, dass sie um die ganze Burg herum geschleift werden, vor den Augen derer, die sich darin befinden.“ Diese Lesart wird durch eine spätere Stelle gestützt (V.1500 ff.). 1452–66 Paradigmatisch wird an dieser Stelle vorgeführt, wie das Muster Dienst und Lohn die Interaktion zwischen König und Ritter bestimmt. 1483 f. Das Wortspiel mit croistre und descroistre (‚wachsen‘ und ‚abnehmen‘) kann im Deutschen nicht adäquat wiedergegeben werden. Indem verschiedene Dinge – die Stärke des Heeres und der niedrige Wasserstand der Themse – in einen Zusammenhang gerückt werden, entsteht eine Diskrepanz mit komischem Wirkungspotential. – Der Hinweis auf den niedrigen Wasserstand der Themse gilt als Element des „Courant réaliste“ (Fourrier 1960) im Cligès. Der Zustand der Natur kennzeichnet die isolierte und ausweglose Situation des Usurpators, der mit dem ausgetrockneten Fluss den natürlichen Schutz, mit den Fischen Nahrungsmittel und mit den Schiffen Transportmittel verloren hat. 1528 Erneut bedient Chrétien sich eines Naturbildes (Regen durchmischt mit Hagel), um das Kampfgeschehen zu veranschaulichen.

Kommentar

391

1536–52 Der Pokal, den Artus dem Bezwinger des Rebellen verspricht, ist nicht nur ein exquisiter Kunstgegenstand, sondern auch ein Glücksbringer. Seine Beschreibung und die Hervorhebung seiner kunstvollen Gestaltung gelten als Teil des autoreflexiven Diskurses in der Dichtung. Dementsprechend sieht Gontero (2002, 241) in der Passage ein „manifeste poétique“, wobei die Steine an dem Pokal für die Stilfiguren des ornatus facilis stünden. 1553–57 Die Beziehung zwischen der Königin und Alexander wird wie schon zuvor (V.1202 ff.) als besonders vertraut geschildert. 1563 Die Bemerkung, dass Soredamor den Anblick Alexanders nicht gegen das Paradies eingetauscht hätte, wirft ein Licht auf den Stellenwert, das der Geschlechterliebe im Cligès gegenüber dem Religiösen zugeschrieben wird. Mit der (ironischen) Überhöhung der weltlichen Liebe steht der Roman in der Literatur der Zeit keineswegs isoliert da. So sagt der Held in Aucassin et Nicolette, Chantefable du XIIIe siècle (Éd. Mario Roques, Paris 1954, S. 6): En paradis qu’ai je a faire? Je n’i quier entrer, mais que j’aie Nicolete ma tresdouce amie que j’aim tant; c’en paradis ne vont fors tex gens con je vous dirai. Il i vont ci viel prestre et cil viel clop et cil manke qui tote jor et tote nuit cropent devant ces autex et en ces viés creutes, et cil a ces viés capes ereses et a ces viés tatereles vestues, qui sont nu et decauc et estrumelé, qui mœurent de faim et de soi et de froit et de mesaises; icil vont en paradis: aveuc ciax n’ai jou que faire. Mais en infer voil jou aller, car en infer vont li bel clerc, et li bel cevalier qui sont mort as tornois et as rices gueres …(„Was soll ich denn im Paradies? Ich möchte dort nicht hinein, aber ich möchte Nicolette, meine süße Freundin bekommen, die ich so sehr liebe. Denn ins Paradies kommen nur die, welche ich Euch nennen will: die alten Priester und die alten Lahmen und Einäugigen, die den ganzen Tag und die ganze Nacht vor den Altären und den alten Krypten hocken und mit alten Lappen bekleidet sind und alten zerrissenen Kutten, die nackt und barfuß sind und keine Hosen anhaben, und die vor Hunger und Durst, vor Kälte und Kummer sterben. Die kommen ins Paradies, mit denen habe ich nichts zu schaffen. Aber in die Hölle will ich gehen, denn in die Hölle kommen die klugen Leute und schönen Ritter, die im Turnier oder im schlimmen Krieg gefallen sind …“) 1580–82 Die Möglichkeit, dass er Soredamor berühren könnte, erfreut Alexander, aber blockiert ihn zugleich, so dass er sie nicht einmal anzusehen wagt. 1591–98 Die Königin fungiert erneut in der Rolle der Beobachterin der Liebenden (vgl. V.541 ff.), sie trifft jetzt aber die richtige Diagnose. 1599–1603 Die Diskretion der Königin aus Rücksichtnahme gegenüber den Liebenden erscheint als noble Geste höfischer Kultur. Auch diese Geste ist Teil des im Cligès zentralen und breit gefächerten Themas des Verstellens und Täuschens. 1609 f. Die nur in MBCRT überlieferten Verse stehen nach Luttrell/Gregory (Kommentar zur Stelle) im Widerspruch zu dem Bemühen der Königin um Diskretion gegenüber den Liebenden.

392

Kommentar

1617–42 Zur Bedeutung des Haars als eine Art Reliquie vgl. den Kommentar zu V.1191 ff. 1633 f. Ohne dieses nur in MBCRT überlieferten Reimpaars ist der Gedankengang nach Luttrell/Gregory (Kommentar zur Stelle) konsequenter. 1637–45 Die Darstellung der imaginären Lust und der Selbsttäuschung Alexanders weist auf das Thema der „erotic illusion“ (Haidu 1968, 84f.) voraus, das im zweiten Teil des Romans voll entfaltet wird (V.3204ff.; V.3541 ff.). 1646 Verrat und Kampf als „anderes Vergnügen“; zu dieser Form der Ironie im Cligès vgl. den Kommentar zu V.1779 ff. 1661 f. Die nur in MBCRT überlieferten Verse sind nach Luttrell/Gregory (Kommentar zur Stelle) überflüssig, weil sie einen bereits ausgesprochenen Gedanken variieren. 1677–80 Die Verzweiflung über die dilemmatische Situation steigert die Kühnheit der Rebellen (vgl. auch V.1910–14). 1691 f. Die nur in BCRT überlieferten Verse sind nach Luttrell/Gregory (Kommentar zur Stelle) überflüssig. 1701–12 Die Position des Verräters wird überdeutlich verurteilt, indem der Erzähler nicht nur Gott, sondern auch die Natur – der Mond wirft ‚Licht‘ auf den Verrat – als ‚Rechtshelfer‘ gegen den Verrat bemüht. Nach Shirt (1982, 19 f.), hebt der Text auch an anderen Stellen die Sträflichkeit des Verrats mit Nachdruck hervor; parallel dazu wird der Eidbruch Alis’ wiederholt als Rechtsbruch thematisiert (vgl. 3182 ff., 6675 ff.) 1711–18 Rhetorische Figur der paranomasia mit Wortformen von luire und nuire (Haidu 1968, 60). 1749–52 Die Verse fehlen in AS, sie finden sich lediglich in MP (BRT haben nur 49 f.). Luttrell/Gregory (Kommentar zur Stelle) halten sie für überflüssig, weil sie nur Topoi von Kampfbeschreibungen enthalten. 1753–56 Vergleich aus dem Bereich der Natur: Die Kämpfenden werden mit Löwen verglichen, die auf der Jagd nach Beute sind. 1763 Die syntaktische Zuordnung des Verses ist umstritten. Während Foerster ihn mit dem Vorangehenden verbindet, setzen Micha und Méla-Collet einen Punkt davor und schlagen es dem Folgenden zu: „Und als sie sich schon nicht mehr halten können, sehen sie …“ 1776 Formelhafte Redewendung, wörtlich „war ihm keinen Knopf wert“, „nützte ihm soviel wie ein Knopf “ (vgl. V.2047). 1779–1811 Haidu (1978, 447) beschreibt es als eine Form von Ironie, wenn Termini aus dem Bereich freundschaftlicher höfischer Interaktion verwendet werden, um einen Kampf zu beschreiben, der den Tod des Gegners zum Ziel hat. Die Ironie bei der Schilderung der grausamen Details des Kampfes nimmt sarkastische Züge an (V.1779 „Waffenstillstand machen“ für „besiegen“; V.1780

Kommentar

393

„Dienst anbieten“ für „erschlagen“, 1796 f. „Freigebig mit dem Blutverspritzen sein“). 1782–84 Beispiel für die in den chansons de geste häufig auftretende und auch von Chrétien wiederholt gebrauchte rhetorische Figur der allegoria. Sie basiert hier auf einer metonymischen Beziehung, mit der zugleich eine chiastische Inversion vollzogen wird (zwischen Inhalt und Behälter bzw. zwischen Behälter und Inhalt; Haidu 1968, 27). Die Metapher von Haus und Bewohner (bzw. Gasthaus und Gast) zur Kennzeichnung des Verhältnisses von Leib und Seele ist im Mittelalter geläufig. 1789 f. Die Vorstellung, dass beim Tod die Seele vom Leib Abschied nimmt, während er sie aushaucht, ist heute fremd geworden. Die Übersetzungen machen dies deutlich: „ … and his expiring soul takes leave of the body“ (Comfort); „ … que l’âme, rendue dans un souffle, prend congé du corps“ (Micha); „ … and the soul, breathing its last, took leave of his body“ (Staines); „ … et l’âme prend congé du corps au moment où il expire“ (Méla/Collet). 1792 Erneut dient der Vergleich mit einem Naturereignis der Veranschaulichung des Kampfgeschehens: Alexander trifft die Gegner wie ein Blitz. 1838–44 Mit der Forderung an die Herren, ihm in keiner Weise zu widersprechen, setzt Alexander das Recht und die Verpflichtung des Vasallen, dem Herrn durch Rat zu dienen, außer Kraft. 1845–61 Mit dem Motiv der Täuschung durch Verkleidung wird die Arbitrarität von Zeichen explizit thematisch. 1870–79 Das Motiv der Verstellung ist in dieser Passage zu einer förmlichen performance gesteigert, da die Eindringlinge nicht nur die Rüstungen der Gegner tragen, sondern auch ihr vermeintliches Leid körperlich zur Schau stellen. 1881 f. Die Erzählerintervention mit der Publikumsadresse stellt eine Variante des Unsagbarkeitstopos dar. 1910–12 Der Zorn über den Tod des Gefährten lässt Alexanders Blut in Wallung geraten und steigert seine Kampfbereitschaft und Kühnheit. 1928 f. Das Unrecht, das der Graf Angres begangen hat, wirkt sich nach dieser Darstellung auf gleichsam ‚natürliche‘ Weise auf seine körperliche Verfassung aus und schwächt seine Kampfstärke. 1934 Durch die Bezeichnung der Ritter als ovrier („Handwerker“ bzw. „Arbeiter“) wird eine ironische Brechung erzeugt, die einer heroischen Überhöhung des Kampfes entgegensteht. 1964 Ein Nabunal (aus Mykene) wird als Begleiter Alexanders bereits zuvor erwähnt (V.1283). 1995 Äxte gehören nicht zu den höfischen Waffen (Bumke 1986, 210–40). Später (V.2030) scheint das unhöfische Attribut den defizienten Status des Grafen zu markieren. Allerdings sind auch die Damen, die im zweiten Teil des Romans in

394

Kommentar

Konstantinopel in den Palast eindringen, um Fenice zu befreien, mit Äxten bewaffnet (V.6026f.). 2010–13 Erneut greift Chrétien mit dem Vergleich auf ein Naturereignis zurück, um hier die Intensität und Stärke des Klagegeschreis hyperbolisch zu veranschaulichen (selbst ein Donnern wäre nicht zu hören gewesen). 2030 Vgl. den Kommentar zu Anm. 1995. 2039–42 Der Erzähler hebt hervor, dass Alexander, obwohl ihn der Verlust seiner Leute mit maßlosem Zorn erfüllt, die Rache nicht vergisst. 2042 pas ne s’oblie wörtlich: „vergisst sich nicht“, d. h. er zögert nicht, er konzentriert sich auf die Rache. 2047 Formelhafte Redewendung, vgl. V.1776. 2055f. Der Sinn der Verse ist erschließbar, aber die Übersetzungen variieren beträchtlich: „ … that he could not have stood up unless he had leaned against the wall“ (Comfort); „ … s’il ne s’était appuyé au mur, ses jambes ne l’auraient plus porté“ (Micha); „ … had he not been leaning against the wall, his feet would have failed to support him“ (Staines); „ … s’il ne s’était retenu au mur, ses jambes ne le portaient plus“ (Méla/Collet). 2071–2112 Die kollektive Klage der Ritter enthält rituelle Trauergesten (Tränen, Ohnmacht, Haare raufen und ausreißen), die für Inszenierungen von Trauer in der Literatur des Mittelalters charakteristisch sind. Zwischen den exzessiven körpersprachlichen Traueräußerungen der Gefährten Alexanders und der wiederholt durch den Erzähler in Erinnerung gerufenen Tatsache, dass diese Trauer auf Irrtum und Täuschung beruht, besteht eine komische Diskrepanz. Lloyd (1984) deutet den exzessiven Ausdruck von Trauer als Ironisierung traditioneller Trauerdarstellungen, wie sie vor allem in den Antikenromanen vorkommen. 2096 Die Nennung des Namens Neriolis erfolgt unvermittelt, bislang war nur von einem Toten namens Calcedor die Rede (V.1904ff.). 2103–07 In der Literatur des Mittelalters wird Träumen oft ein Wahrheitsgehalt zugesprochen; nicht selten deuten sie auf Künftiges voraus. Hier dagegen erscheint Träumen als trügerisch und wird mit der falschen Deutung von Zeichen verglichen. 2114–2126 Von der kollektiven Klage abgehoben ist die Schilderung von Soredamors Schmerz über den vermeintlichen Tod Alexanders. Die körpersprachlichen Ausdrucksformen der Trauer ähneln denen der Gefährten Alexanders, sie sind aber weniger exzessiv, weil Soredamor ihren Kummer nicht offen zeigen darf. Damit wird das zentrale Thema des Verstellens und Verbergens um eine weitere Facette reicher. Allerdings hätte, wie der Erzähler betont, ein aufmerksamer Beobachter die Zeichen der Trauer an Soredamors Körper sehr wohl lesen können. Zur Lesbarkeit von Körperzeichen vgl. den Kommentar zu V.462 ff. und V.541.

Kommentar

395

2127–2141 Jeder ist mit seiner eigenen Trauer beschäftigt und nimmt die des anderen nicht wahr. Gegenüber der kollektiven Klage von Alexanders Gefährten erscheint die Trauer infolgedessen in kleine familiale Einheiten zersplittert. 2145 f. Der Hinweis auf den plötzlichen Umschlag von Freude in Leid (vgl. auch V.2210 f.) und umgekehrt kennzeichnet das Wirken der Fortuna, er dient hier jedoch als eine Vorausdeutung des Erzählers. 2160 Wenn die Gefangenen den Blicken der Gefährten ausgesetzt werden, dient das sowohl ihrer Demütigung als auch der Abschreckung der Gegner. 2162 Die Übersetzungen von bonté geben die Ironie in unterschiedlicher Nuancierung wieder: „privilege“ (Comfort); „attention“ (Micha); „kindness“ (Staines); „faveur“ (Méla/Collet). 2171–2193 Alexander zeichnet von Artus das Bild eines Königs, der nicht nur darauf aus ist, Rache zu üben und die Übeltäter zu bestrafen, sondern der vor allem dazu bereit ist, Gnade walten zu lassen. Damit wird die bereits in der Episode mit den Gefangenen (V.1349ff.) latente Spannung zwischen Alexander und Artus im Blick auf das Herrschaftshandeln erneut virulent. Es kommt jedoch zu keinem Konflikt, weil Artus sich dem von Alexander entworfenen Bild entsprechend verhält. 2214–2220 Bei der Übergabe des Pokals verspricht Artus, Alexander jeden Wunsch zu erfüllen; ausdrücklich davon ausgenommen werden jedoch die Krone und die Königin. Damit wird der spätere Konflikt zwischen Alis und Alexander um die Herrschaft über Byzanz mit der Teilung der Herrschaftsfunktionen (V.2552 ff.) präludiert (Shirt 1977). Vgl. auch die Regelung bei der Rückkehr von Cligès an den Hof von Konstantinopel (V.5143 f.). 2221–31 Die Haltung Alexanders ist signifikant für den Diskurs über Liebe und Ehe im Cligès. Mit Blick auf die feudale Heiratspraxis, in der die individuelle Neigung der Partner zueinander keine ausschlaggebende Rolle spielte, hat es programmatischen Charakter, dass Alexander vor einer möglichen Verbindung mit Soredamor erkunden will, ob auch sie ihm zugeneigt ist (vgl. dazu auch V.2325 ff.) 2225 f. Pointierte antithetische Fügung, die für den Stil Chrétiens charakteristisch ist. 2229–2237 Zwischen dem Zögern Alexanders, sein Verlangen nach Soredamor zu äußern, und seinem spontanen Zugriff auf den Pokal besteht eine Spannung mit komischem Wirkungspotential. Die Szene ist zudem außerordentlich sinnträchtig, denn Alexander reicht den Pokal als Geschenk an Gauvain weiter, der seinerseits zögert, ihn anzunehmen. Im Text wird dieses Zögern nicht explizit erklärt. Haidu (1968, 69) vermutet, dass es als unhöfisch gegolten habe, eine Gabe des Königs weiterzuverschenken, und erklärt das Zögern Gauvains als Reaktion auf den angeblichen faux pas Alexanders. Für eine solche Wertung bietet der Text allerdings keinen Anhalt. Vielmehr handelt Alexander offensichtlich nach der

396

Kommentar

Logik des Schenkens, nach dem die Annahme einer Gabe den Nehmenden zu einer Gegengabe verpflichtet. Da Gauvain der Bruder Soredamors ist und die Rolle des potentiellen Brautgebers innehat, besteht kein Zweifel daran, welche Gegengabe Alexander sich erhofft, und das könnte die Logik von Gauvains Zögern erklären. 2244–48 Die Gestaltung der Zeit im Cligès bedürfte einer gründlichen Untersuchung nicht nur im Blick auf die Tempuswechsel, sondern auch auf die vielen Momente, in denen von Ungeduld, Verzögern oder Warten die Rede ist. 2250f. Zur Rolle der Augen bzw. von Blicken bei der Darstellung der Liebe vgl. V.474 ff. 2267 f. Die Herstellung einer (eingeschränkten) Nichtöffentlichkeit ist Voraussetzung für die Aussprache unter den Liebenden. 2269–2278 Die Königin übernimmt nun, nachdem sie bereits als Vertraute fungiert hat, die Rolle der Vermittlerin zwischen den Liebenden. 2282f. Variante des zentralen Motivs der Verstellung: Nach der von der Königin vorgetragenen Liebeslehre sollen Liebende ihre Gefühle voreinander nicht verbergen oder sich verstellen. 2284–2289 Durch die Bauwerk-Metapher wird die Liebe als eine Art Handwerk oder Kunst charakterisiert. 2290–92 Die Vorstellung von der Lehr- und Lernbarkeit von Liebe (vgl. V.682 ff. und V.946 ff.) wird um die einer ‚Schule der Liebe‘ erweitert. 2296 Die Aussage der Königin, die Liebenden hätten aus zwei Herzen eines gemacht, widerspricht den (späteren) Erklärungen des Erzählers, nach denen eine solche Vereinigung unmöglich ist (V.2820ff.). 2302f. Zu dieser schwer übersetzbaren Stelle vgl. bereits Foerster (Anmerkung zur Stelle in der kleinen Ausgabe). Übersetzungen: „Now I counsel you to exercise no tyranny, and to seek no passing gratification in your love“ (Comfort); „Je vous conseille de ne jamais chercher ni complaisance ni résistance à l’amour“ (Micha); „Now I advise you never to resort or yield to the willfulness of loving“ (Staines); „N’allez pas, je vous en prie, rechercher un amour de violence et de passion“ (Méla/Collet). – Der Rat der Königin richtet sich gegen eine Liebe, die nicht im Einklang mit der Ehe und der Ehre steht (Luttrell/Gregory, Kommentar zur Stelle). Nach Fourrier (1960, 129) ist die Aussage auf die Tristanliebe bezogen. 2304–07 Mit dem Plädoyer der Königin für eine rechtmäßige Ehe der beiden Liebenden wird der Ehediskurs weitergeführt, der in den Romanen Chrétiens eine große Rolle spielt und gelegentlich in Spannung zu einem Diskurs über eine ‚illegitime‘ Liebe außerhalb der Ehe tritt. Hintergrund dieser Spannung sind die kontroversen Auffassungen, die seit dem 12. Jahrhundert über die Ehe vertreten wurden und die von großer politischer Bedeutung waren. Während Ehen im Feudaladel traditionell aus dynastischen, politischen und ökono-

Kommentar

397

mischen Gründen geschlossen wurden und die Gültigkeit der Ehe von ihrem Vollzug abhängig war, entwickelte sich in der Kirche die Auffassung, nach der die Gültigkeit der Ehe durch die Zustimmung der Ehepartner (consensus facit matrimonium) begründet wurde (vgl. die Einleitung). Die Ehe zwischen Soredamor und Alexander ist ganz offensichtlich nicht politisch motiviert; ausschlaggebend ist das Begehren der Liebenden, das durch die Königin in legale Bahnen gelenkt wird. Mit Blick auf zeitgenössische historische und literarische Kontexte ist es ungewöhnlich, dass Alexander als zukünftiger Kaiser von Griechenland sich weder mit seinem Vater noch mit seinen Vasallen über die geplante Eheschließung berät. Das Einverständnis Gauvains und des Königs, welche die Interessen Soredamors vertreten (V.2350 ff.), erscheint als bloße Formalität. Entsprechend beharrt Alexander programmatisch auf dem ‚Konsens‘ Soredamors (V.2325 ff.). 2324 Alexander bezeichnet es als Qual, dass er nicht über die Liebe zu Soredamor hat reden dürfen. 2325 f. Alexander will Soredamor nicht ohne deren Einverständnis heiraten, vgl. den Kommentar zu V.2221 ff. 2330–2334 Zum Motiv der ‚Lesbarkeit der Gefühle‘ am Körper vgl. den Kommentar zu V.462 f. 2341–46 Die Königin macht die beiden einander zum Geschenk. Alexander besitzt zwar schon das Herz Soredamors, nicht aber ihren Leib; indem die Königin ihm diesen ‚übereignet‘, fungiert sie als Brautgeberin. 2350–53 Vgl. den Kommentar zu V.2304ff. 2354–60 Erzähler-Intervention mit Unsagbarkeitstopos. 2361–2373 Die Bedeutung von joie („Freude“) und enor („Ehre“) wird durch eine dreigliedrige Redefigur hervorgehoben. Höhepunkt ist der Erwerb Soredamors. 2371–73 Die Vorstellung ‚Liebe als Spiel‘ ist in der mittelalterlichen Literatur geläufig. Das Schachspiel als Metapher für die Liebe ist ebenfalls verbreitet. 2372 fierce bedeutete ursprünglich „Wesir“ und nahm dann die Bedeutung von „Königin“ als terminus technicus des Schachspiels an (Walter 1994, 1150). 2382 Mit Blick auf die besondere Rolle, die im Cligès dem Spiel mit Namen und ihren Bedeutungen zukommt, ist es auffallend, dass Chrétien den Rezipienten eine Erklärung für den Namen seines Protagonisten vorenthält. Dennoch hat man nach einer verschlüsselten Bedeutung auch des Namens Cligès gesucht. So ist er als „anagramme de clergie“ gedeutet worden (Méla 11, A.20), orientalischen Ursprung vermuten dagegen H. und R. Kahane (1961). Walter (1990, 11 f.) entschlüsselt den Namen als „clé j’ai“ (Ich habe den Schlüssel) und bezieht ihn auf die Eingangsverse des Prologs: Durch den Anklang an den Namen des Patrons der Kirche von St. Pierre in Beauvais werde der Protagonist in die Nähe des biblischen Schlüsselträgers Petrus gerückt. Zu weiteren Deutungen des Namens vgl. Bianchini (2002, 207–10), die in diesem Zusammenhang daran erinnert,

398

Kommentar

dass der Name Cligès ursprünglich „con l’accento acuto“ (also: Cligés) gesprochen wurde und der accent grave erst von der modernen Philologie eingeführt wurde. 2383 f. Insbesondere die Wendung Fu mise an romanz (wörtlich: „ … wurde in der Volkssprache verfasst“ oder „gedichtet“ bzw. in sie übertragen) ist voraussetzungsreich, weil sie auf die historische Situation der Mehrsprachigkeit zwischen den (weitgehend mündlich tradierten) Volkssprachen der Ungelehrten und dem (überwiegend schriftgebundenen) Latein als Sprache der Gebildeten Bezug nimmt. Alle diese Aspekte sind in einer modernen Übertragung schwer zu erfassen, vgl. die Übersetzungen: „ … in whose honour this story has been put in the Romance tongue“ (Comfort); „en souvenir de qui cette histoire fu mise en roman“ (Micha); „in whose memory this story has been translated“ (Staines); „en souvenir de qui fut mise par écrit cette histoire“ (Méla/Collet). 2387 Der Erzähler wendet sich wieder direkt an seine Rezipienten, um ihre Erwartung zu steuern: Sie werden die Geschichte des Protagonisten zu gegebener Zeit hören. 2401 f. Das Motiv des Seesturms wird in Liebes- und Abenteuerromanen häufig genutzt, um erzählerisch eine Wende herbeizuführen; meist werden die Liebenden dadurch für lange Zeit getrennt. 2407–2415 Das Motiv der Verstellung und Täuschung erscheint hier in einer negativen Variante, als Lüge und Verrat. 2425–2433 Artus ergreift ohne Zögern Partei für Alexander. Das Angebot des Königs dient als Anlass, um Alexander als verantwortungsvollen Herrscher, als „guten Herrn“, zu kennzeichnen, der bemüht ist, Schaden von seinen Leuten fernzuhalten. 2440 Shoreham ist der Name einer Stadt in Sussex. 2443 Vergleich aus dem Bereich der Natur: Zum Bild eines fliehenden Hirschen als Metapher für Schnelligkeit vgl. auch V.4931. 2461 f. Das Verständnis des Verses E s’estoit mout bien del pais variiert: „he was a native of the country [too, having been born in Athens]“ (Comfort); „et il était bien du pays [puisque natif d’Athènes]“ (Micha); „a man […] highly esteemed [because he was a native of Athens]“ (Staines); „et qui était là le bienvenu [car il était natif d’Athènes]“ (Méla/Collet). 2479–2481 Die form- und respektlose Begrüßung des Kaisers durch Alexanders Boten ist wesentlicher Teil der Botschaft; durch sie wird das gewünschte Machtverhältnis performativ antizipiert (vgl. ähnlich V.2873 f.). 2510 f. Zum Motiv der Trennung von Krone und Herrschaft vgl. V.2214 ff.; V.2552ff.; V.5143 f. 2514 Die Unerschrockenheit des Boten unterstreicht die Rechtmäßigkeit seiner Position.

Kommentar

399

2522 reison bezeichnet neben „Recht“ auch „Vernunft“. 2528–32 Motiv des Vasallenrats (vgl. V.1070 ff.): Vorgeführt wird hier, unter welchen Umständen die Vasallen Einfluss auf die Entscheidung des Herrschers nehmen können. 2536–40 Eteokles und Polyneikes, die Söhne des Ödipus und der Jokaste, töteten sich gegenseitig im Streit um die politische Vorherrschaft. Die Geschichte war im mittelalterlichen Frankreich durch den Roman de Thèbes bekannt, auf den Chrétien nach Blumenfeld-Kosinski (1985) hier referiert. 2552–60 Zum Motiv der Trennung von Krone und Herrschaft vgl. V.2214 ff. 2570 f. Die Stelle scheint in Widerspruch zu der späteren Aussage zu stehen, dass nicht Alis, sondern Alexander die Herrschaft über das Reich übernimmt (V.2582ff.). Mit dem Terminus seignorie ist jedoch vermutlich nur die Titularherrschaft Alis’ gemeint. 2577–80 Mit dem Eid, den Alis leistet, wird der Konflikt geschürt, der den zweiten Teil des Romans beherrscht. 2590–92 In der engen Verbindung von Dienst und Liebe tritt die politische Bedeutung von amor deutlich zutage. 2595–2600 Der Einschnitt erfolgt narrativ unvermittelt. – Da der Tod im Altfranzösischen ein Femininum ist, haben die Reflexionen des Erzählers einen besonderen Effekt, der im Deutschen nicht reproduziert werden kann. 2599 Wörtlich: „weil eine Krankheit ihn ins Gefängnis gesteckt hatte“. 2603–13 Das Vermächtnis Alexanders an Cligès fasst das Programm der ritterlichen Ethik zusammen, das er selbst realisiert hat: Im Zentrum steht die Forderung, sich an einem angesehenen Hof unerkannt zu bewähren. Damit wird der Gedanke des Tugendadels wieder aufgenommen (vgl. V.64 ff.). 2621–23 Das Motiv, dass die Frau ihrem toten Mann nachstirbt, ist in der Literatur des Mittelalters verbreitet, vgl. zum Beispiel den Tod Blanscheflurs im Tristan oder den Tod Herzeloydes und Sigunes in Wolframs Parzival. Die Funktionen des Motivs sind im einzelnen unterschiedlich, betont wird aber in jedem Fall die Einheit des Paares. 2624 Nach den ‚realistischen‘ Berechnungen von Noble (1970) besteht zwischen Alis und Cligès ein Altersunterschied von höchstens zwei Jahren, weil Alis geboren wird, als Alexander bereits alt genug ist, um Ritter zu werden. 2627 f. Nur in BCRT überliefert, vgl. dazu den Kommentar von Luttrell/Gregory: „Le texte peut bien se passer du dicton moralisant figurant dans les deux vers …“ 2629 f. Zum pragmatischen Umgang mit Tod und Trauer vgl. auch Chrétien de Troyes, Yvain (Ausgabe von Wendelin Foerster, Halle 41912, V.2164–69), und Hartmann von Aue, Iwein (Ausgabe G.F. Benecke, K. Lachmann, L. Wolff, Berlin 1968), V.2435–37.

400

Kommentar

2635–39 Kritik an schlechten Ratgebern ist ein Topos der Hofkritik in der Literatur des Mittelalters. 2640–50 Das Motiv des Versprechens nicht zu heiraten sowie der Bruch dieses Versprechens finden sich auch im Tristan (Ausgabe Friedrich Ranke/Rüdiger Krohn, Stuttgart 1980 [u. ö.] V.5232–61; 5785–91, 8350–57). Alis verhält sich ähnlich passiv wie Marke. 2651–66 Im Gegensatz zu der Verbindung zwischen Soredamor und Alexander ist die geplante Ehe zwischen Alis und Fenice nicht durch persönliche Zuneigung, sondern politisch motiviert. 2668 Von einer jüngeren Tochter ist weder zuvor noch später die Rede. 2674–80 Nicht nur der griechische, auch der deutsche Kaiser hat ein Versprechen gegeben, das einer Eheverbindung seiner Tochter mit Alis entgegensteht und das gebrochen wird. 2689–98 Der Erzähler betont nachdrücklich, dass Alis’ Verhalten gesellschaftlich missbilligt wird und zur Minderung seiner Ehre führt. Von einer Reaktion Cligès’ auf den Heiratsplan seines Onkels ist keine Rede. 2699–701 Nach Fourrier (1960, 157) wird hier auf ein historisches Ereignis angespielt: Im Juni 1171 empfing der deutsche Kaiser Friedrich Barbarossa Boten des byzantinischen Kaisers Manuel Comnenus, um über eine Heirat zwischen der Tochter Manuels, Maria, und seinem Sohn Friedrich zu verhandeln. 2718–24 Die Berufung auf Gott als Schöpfer weiblicher Schönheit ist topisch, sie erlangt hier jedoch eine besondere Note, indem die Vorstellung evoziert wird, Gott könne selbst Vergnügen an seiner Schöpfung gehabt haben und darum bemüht gewesen sein, Erstaunen bei denjenigen zu erzeugen, die sein ‚Kunstwerk‘ betrachten. Der Erzähler setzt sich selbst in Bezug zu diesem Schöpfergott, indem er die eigene Unzulänglichkeit mit der göttlichen Schaffenskraft kontrastiert. Die Stelle gilt als Element des autoreflexiven Diskurses des Romans. 2725–31 Das Spiel mit dem Namen setzt sich fort: Namenspate der deutschen Prinzessin ist der Vogel Phönix. Das tertium comparationis liegt in der unvergleichlichen Schönheit, die beide auszeichnet. Chrétien verschweigt allerdings eine andere Bedeutung, die sich mit dem Namen des Vogels verbindet und die auf Fenices (vermeintlichen) Tod und ihre ‚Auferstehung‘ vorausweist. Nach Ovid, Metamorphosen XV, 391–407, zeichnet sich der (bei ihm männliche) mythische Vogel durch die Eigenart aus, dass er sich, nach einem langen Leben von 500 Jahren, im Sterben selbst neu erzeugt. Diese Vorstellung wurde im Mittelalter mit dem Gedanken verknüpft, dass der Phönix sich selbst im Feuer verbrennt, um aus der Asche neu hervorzugehen (vgl. Der Physiologus, übertragen und erläutert von Otto Seel, Zürich und München 31976, S. 8 f.), und christlich umgedeutet. Als Sinnbild von Tod und Auferstehung wurde der Phönix zum Christus-Symbol. Zu weiteren Bedeutungen und Verwendungen des Namens vgl. Bianchini (2002, S. 188–190).

Kommentar

401

2732–34 Zum Topos von der Natur als Schöpferin weiblicher Schönheit vgl. den Kommentar zu V.829ff. 2735 Wörtlich „weil ich weniger (als notwendig) sagen würde“, Variante des Unfähigkeitstopos (vgl. ähnlich V.2718 ff.). 2752 f. Nach Haidu (1968, 65) verweist die Stelle zurück auf die Geste des Mantelablegens im ersten Teil des Romans (V.314 ff.). 2754–60 Motiv des Leuchtens und Strahlens; durch den topischen Vergleich der Frauenschönheit mit der Sonne (oder dem Mond) erhält diese eine kosmische Dimension. 2762 descripcion ist ein terminus technicus aus der Rhetorik. 2765 Die Erwähnung des Alters des Helden erfolgt unvermittelt. Historisch bemerkenswert ist, dass das Alter von fünfzehn Jahren als flor („Blüte“) gilt. Im Roman de Brut (Éd. Ivor Arnold, 2 Bde. Paris 1938 und 1940, V.47174) wird Artus mit fünfzehn zum König gekrönt. 2766–77 Nach Ovid, Metamorphosen III, 341–510, verliebt Narziss sich in sein eigenes Bild und geht an seinem unerfüllbaren Begehren zugrunde. Nach dem Tod verwandelt er sich in eine Narzisse. Im Mittelalter galt Narziss als Exempel für ‚falsche‘ Liebe bzw. für die Liebe zur vergänglichen Welt. In der Forschung ist vermutet worden, dass Cligès und seine Liebe durch den Vergleich mit Narziss negativiert werden sollen: „Perhaps Chrétien intended his lovers to look a little foolish and reinforced this intention by referring to Narcissus“ (Robertson Jr. 1955, 37). Chase (1988, 172 f.) sieht in Narziss ein Spiegelbild Cligès’, sein „monstrous double“. – Der Erzähler hebt jedoch die Überlegenheit Cligès’ über den mythischen Helden hervor. Grundlegend zum Spiegel- und NarzissMotiv in der Literatur des Mittelalters Frederick Goldin: The Mirror of Narcissus in the Courtly Love Lyric. New York 1967. 2776–2792 Die Beschreibung von Cligès’ Körper ist mit erneuten Hinweisen auf die Schöpferkraft der Natur verknüpft (vgl. V.2732 ff.). 2788 Das heißt: Er war nicht nur außen, sondern auch innen vollkommen. 2789–91 Explizite Anspielung auf den Tristan mit der Behauptung der Überlegenheit Cligès’ über Tristan. 2795–2799 Das besondere Charisma des Paares wird in der Reaktion der Gesellschaft gespiegelt. 2800–2810 Die Liebe zwischen Cligès und Fenice entsteht unvermittelt. Blicke als Medien der nonverbalen Kommunikation spielen jedoch erneut eine entscheidende Rolle. 2814–16 Auch hier erscheint Schönheit eher als ästhetische denn als soziale Kategorie (vgl. den Kommentar zu V.86). 2820–54 Digression des Erzählers mit Publikums-Adresse, die möglicherweise gegen die Verschmelzungsrhetorik in Tristan gerichtet ist: Der Erzähler nimmt die

402

Kommentar

topische Vorstellung, nach der zwei Herzen sich in einem Leib vereinigen, beim Wort und erklärt sie für ‚unrealistisch‘: Wenn es so erscheint, als ob die Herzen eins wären, dann sei das ein Effekt wechselseitigen Begehrens; tatsächlich blieben sie getrennt – genauso wie verschiedene Stimmen beim Singen einer Melodie nur wie eine einzige erscheinen, obwohl sie in Wahrheit verschieden bleiben. 2844 chancenete und vers sind nach Walter (1994, 1153) synonym; eine Differenzierung zwischen canso („Lied“) und vers (entspricht etwa dem deutschen Sangspruch) vollzieht sich in der romanischen Lyrik des Mittelalters erst allmählich. 2873 f. Das unhöfliche und formlose Verhalten des Kaisers und seines Hofes dem Boten des Herzogs gegenüber ist Teil der Botschaft; das gewünschte Machtverhältnis wird dadurch performativ antizipiert (vgl. ähnlich Alexanders Bote vor Alis, V.2479 ff.). 2897 Celui qui son cuer a repost, Ne n’a talant qu’ele l’an ost („der ihr Herz geraubt hat und nicht möchte, dass sie es wieder fortnimmt“) lesen Micha, Luttrell/ Gregory und Méla/Collet mit der Handschrift von Guiot. 2909–13 Zur Rolle von Blicken als Teil der nonverbalen Kommunikation unter Liebenden vgl. V.474 ff. 2960–63 Die Metapher des Wegezolls rückt den Diskurs über die Liebe in den Bereich von Handel und Geldwirtschaft. 2965–70 Die charismatische Wirkung des Helden spiegelt sich in der Bewunderung der Leute (vgl. ähnlich V.2795 ff.). 2976 f. Mit der Erinnerung an das Versprechen, das Alis Cligès’ Vater gegeben hatte, wird der drohende Eidbruch explizit bewusst gemacht. 2987 f. Die Verse unterstreichen den politischen Charakter der Heirat und den Umstand, dass Fenice gegen ihren Willen zur Ehe gezwungen wird. 3000f. Motiv der Verstellung: Fenice verbirgt ihre wahren Gefühle, weil diese dem Plan des Vaters entgegenstehen, sie mit Alis zu verheiraten. 3002–10 Erneutes Spiel mit dem Namen (vgl. dazu Bianchini (2002, 203f.). Nach Hanning (1981/82, 42) stammt die Vorstellung von Thessalien als Land der Hexen und Zauberer aus der Antike; Thessalien war auch das Land, in dem Medea (vgl. V.3031) nach ihrer Verbannung ihre Zauberkünste ausübte (Walter 1990, 17 f.). Im Mittelalter wurde zwar zwischen einer gottgewollten weißen und einer teuflischen schwarzen Magie unterschieden, aber die Grenzen waren unscharf. Die Tatsache, dass die Erzieherin Fenices sich in der Schwarzen Kunst auskennt, wird im Text nicht problematisiert. Thessala ist vielmehr als Sympathieträgerin gekennzeichnet, die ihre Kunst und ihr verborgenes Wissen selbstlos in den Dienst der Liebenden stellt. Als die Idee eines „homme de théâtre“ bezeichnet Frappier (1968, 120) die Konzeptualisierung der Figur. 3016 Beginn des erneuten Spiels mit dem Motiv ‚Liebe als Krankheit‘ (vgl. den Kommentar zu V.637 ff.), das im Verlauf des Dialogs zwischen Thessala und Fenice elaboriert wird (V.3048ff.).

Kommentar

403

3025 quinancie „Bräune“ (Foerster), „inflammation de la gorge“ (Luttrell/ Gregory). Noch im 17. Jahrhundert bezeichnet l’esquinancie „‚une humeur venteuse et suffocation de sang‘ qui se traduit par de la fièvre et une inflammation de la langue et de la gorge“ (Walter 1994, 1154). 3031 Die Geschichte Medeas und ihrer Zauberkünste war dem Mittelalter vor allem durch Ovids Metamorphosen (VII, 9–424) und den Trojastoff (den Roman de Troie und seine Bearbeitungen) bekannt. 3060–62 Fenice versucht, sich bereits im Vorfeld gegenüber Thessala nach Möglichkeit abzusichern, ähnlich verfährt Cligès später gegenüber Johann. 3070–3105 Die pointierte Verbindung von gegensätzlichen Empfindungen gemäß der rhetorischen Figur des Oxymorons beherrscht die Passage. Aufgenommen und variiert wird dabei das Spiel mit der Doppelbedeutung von amer ‚bitter‘ und ‚lieben‘ (V.3100 f.) und mit dem Motiv ‚Liebe als Krankheit‘ (vgl. den Kommentar zu V.637 ff.). Als Differenzkriterium gegenüber anderen ‚Krankheiten‘ wird die Ambivalenz des Gefühlszustands angeführt (vgl. V.3118 ff.). 3114 Rhetorische Figur des Oxymoron, ähnlich im Roman d’Eneas (Éd. J.-J. Salverda de Grave, 2 Bde. Paris 1925 und 1968, V.7954–60). 3130 Thessala beteuert ihre Verschwiegenheit mit dem Verweis auf die Winde, die zwar Töne erzeugen, aber keine Wörter artikulieren können. 3138–95 In der Rede Fenices wird das Konzept einer politisch motivierten Heirat gegen das Konzept einer ‚Liebesheirat‘ ausgespielt. 3147–3195 Der zentrale Punkt der Kritik Fenices an der Liebe Tristans und Isoldes ist nicht der Tatbestand des Ehebruchs, sondern der Umstand, dass Isolde ihren Leib mit zwei Männern teilte (vgl. auch V.5311ff.), obwohl sie nur einen liebte. Diese Dissoziation von Herz und Leib wird im Tristan nicht problematisiert; entscheidend ist hier vielmehr, dass zwischen den Liebenden durch den Minnetrank eine exklusive Bindung entstanden ist, die von der körperlichen Beziehung Isoldes zu Marke nicht tangiert wird. Fenice dagegen will ihre Unberührtheit wahren, bis eine Vereinigung mit Cligès möglich ist (McCracken 1993, 53f.), weil in ihrer Sicht die körperliche Vereinigung rechtlich bindend ist und eine weitere Beziehung ausschließt (V.3170–73). – In der älteren Forschung ist die Kritik Fenices an der Tristanliebe vielfach mit dem moralischen Standpunkt Chrétiens und seinem Eintreten für die Institution der Ehe gleichgesetzt worden. Tatsächlich aber wird die Ehe von Chrétien auch im Cligès durchaus nicht glorifiziert. In der Sicht Fenices ist die Ehe an das Konzept der genealogischen Herrschernachfolge gebunden und deshalb mit feudalen Praktiken kompatibel (V.3192f., V.3226ff.). 3162 parcenier bezeichnet jemanden, der einen Besitz mit einem anderen teilt; ähnlich weigert sich Lavine im Roman d’Eneas, ihren Leib mit zwei Männern zu teilen (Éd. J.-J. Salverda de Grave, 2 Bde. Paris 1925 und 1968, V. 8301–04). 3153 f. Zu den mit dem Reim rantiers und antiers assoziierbaren Vorstellungen vgl. Rubey (1988, 82).

404

Kommentar

3168 f. Fenice sieht sich als Opfer väterlicher Autorität, gegen die sie sich nicht aufzulehnen wagt; in der Folge zeigt sie jedoch, dass sie es sehr wohl versteht, ihren Willen durchzusetzen. 3173 f. Der Treuebruch Alis’ fungiert zunehmend als Legitimation gegenüber der List, welche Fenice anwendet, um sich ihm zu entziehen. 3188–93 Die Überlegungen Fenices zeigen, dass sie mit ihrer List überkommene Macht- und Ordnungsmuster keineswegs grundlegend in Frage stellt, sondern sie reformuliert (vgl. Kommentar zu V.3147 ff.). 3190 danree bezeichnet den Wert eines denier („Pfennig“). 3201 f. Die nur in PBCRT überlieferten Verse sind nach Luttrell/Gregory (Kommentar zur Stelle) überflüssig, weil sie den Gedankengang stören. 3204–16 Motiv der „erotic illusion“ (vgl. den Kommentar zu V.1637 ff.). Ähnlich wie der Trank Thessalas funktioniert das Zauberkissen, das die Fee Viviane Merlin im Roman de Merlin unterschiebt (Walter 1994, 1156). 3225–28 Zur Bedeutung des genealogischen Denkens vgl. den Kommentar zu V.3147 ff. 3241–50 Erzähler-Intervention mit Publikumsadresse: Für die Politik scheint sich der Erzähler weniger zu interessieren als für die Figur, die mit ihren magischen Praktiken das Geschehen lenkt und den Interessen der Liebenden dient (vgl. auch V.3263ff.). Als Herrin über die Macht des Imaginären weist Thessala über sich selbst hinaus auf den Bereich der Fiktion und die Rolle des Erzählers. 3263 Erzähler-Intervention: „Das Abendessen übergehe ich jetzt.“ – Luttrell/ Gregory setzen mit Foerster am Versende einen Punkt; Comfort dagegen stellt in seiner Übersetzung einen Zusammenhang mit dem nächsten Vers her: „But Thessala delays the supper, because she must discover by what device …“. 3269–76 Durch den Treubruch Alis’ wird die Relation von Dienst und Lohn gestört und somit ein zentrales soziales Interaktionsprinzip der feudalen Ordnung verletzt. Thessala stellt diese Ordnung mit ihren magischen Fähigkeiten wieder her; eine besondere Pointe liegt dabei darin, dass sie den ‚Betrogenen‘ als Überbringer des Tranks für den ‚Betrüger‘ einsetzt. 3281–3308 Nach (Haidu 1968, 32f.) handelt es sich hier um eine Variante der im Cligès häufiger auftretenden „dramatic irony“, deren Adressat nicht eine Figur im Text ist, sondern das Publikum, das – anders als Cligès – das Wissen Thessalas teilt. 3312 Kristall wurde im Mittelalter den Edelsteinen zugerechnet (vgl. Kommentar zu V.839). 3314 f. Variante des Themas Täuschung: das Motiv des trügerischen Vertrauens. 3321 Die Vorstellung, dass etwas durchdrungen wird, ohne beschädigt zu werden, weist zurück auf die Theorie der Wahrnehmung, die in Alexanders Monolog entwickelt wird (V.690ff.).

Kommentar

405

3325–28 Die Wirkung des Tranks ist unbegrenzt wie die Wirkung des Minnetranks in den höfischen Bearbeitungen des Tristanstoffs. 3329 Mit dem Genuss des magischen Tranks durch den Kaiser erreicht die Thematik des Täuschens und Betrügens ihren Höhepunkt. 3330 f. Die Segnung des Brautbetts erscheint als Teil der im 12. Jahrhundert noch nicht sehr ausdifferenzierten Hochzeitszeremonie. Durch dieses Ritual sollte Böses von dem Ort fern gehalten werden. 3333–35 Die Wendung si com il dut bezieht sich nicht nur auf das Recht, sondern auch auf die Pflicht des Ehemanns, das Bett mit seiner Ehefrau zu teilen und mit ihr zu schlafen. 3341–70 Motiv der illusionären Lust im Traum, der „erotic illusion“ (vgl. den Kommentar zu V.1637 ff.). Das Motiv der „unsichtbaren Geliebten“ findet sich bereits in der Antike; Zambon (1995) bringt es mit dem mittelalterlichen Gespenster- und Dämonenglauben in Verbindung. 3359–70 Die rhetorische Figur der Anapher verleiht der Passage über das neant, über die illusionäre Lust, besonderen Nachdruck. Zambon (1995) vermutet, dass Chrétien auf das Lied über das ‚Nichts‘ des Troubadours Guillaume d’Aquitaine anspielt (Éd. N. Pasero, Modena 1973, Nr. IV, Farai un vers de dreit nien). 3371 Mit dieser Publikumsadresse ist das Thema des illusorischen Liebeslebens von Alis für den Erzähler erledigt. 3373 f. Die Stelle unterstreicht ironisch die Diskrepanz zwischen der mühevollen Werbung um die deutsche Prinzessin und dem ‚Gewinn‘, den Alis daraus zieht. 3403 f. Motiv des auf einem Hügel zurückbleibenden einsamen Kundschafters bzw. Beobachters (vgl. V.3659f.). 3434 f. Der Kommentar des Erzählers lässt eine leichte Distanz zu Cligès’ Verhalten erkennen. 3450–61 Eingeführt wird hier das Motiv der ‚Kopfnahme‘, das die Episode beherrscht und eine bizarre Wende nimmt: Dem Neffen des Herzogs wird es nicht gelingen, seinem Herrn die begehrte Trophäe zu überbringen, vielmehr wird er selbst von Cligès getötet, der ihm den Kopf abschlägt und diesen auf die Spitze seiner Lanze spießt. Mit dieser solcherart mit dem Kopf des Herausforderers bestückten Lanze tötet Cligès dann einen weiteren Gegner (V.3509ff). 3482–86 garcon (bzw. 3484 garz) bezeichnet einen Bediensteten von niederem Rang und dient hier als Schimpfwort. Die Absicht, den Gegner zu beleidigen, drückt sich auch in der unhöfischen Anrede tu aus. 3487 besant („Byzantiner“) ist die Bezeichnung für eine Münze aus Gold, die ursprünglich in Byzanz geschlagen wurde. 3494–96 Im Unterschied zu seinem Angreifer (vgl. V.3484ff.) wahrt Cligès die Form, indem er ihn mit der höflichen Anrede vos anspricht.

406

Kommentar

3506f. Mit dem Raub der Rüstung und der Verkleidung wird ein Motiv aus dem ersten Teil des Romans wieder aufgenommen (V.1845ff.). Auch hier bedingt die Verkleidung ein Verkennen auf beiden Seiten. 3509f. Walter (1994, 1157) verweist auf die in der Antike und bei den Kelten verbreitete Sitte, sich den Kopf des Gegners als Trophäe anzueignen, um sich mit ihm die Kraft und Seele des Getöteten ‚einzuverleiben‘. Das Motiv begegnet auch in anderen Dichtungen des Mittelalters, zum Beispiel im ProsaLancelot. 3522 Cligès macht es offenbar Vergnügen, die eigenen Leute zu erschrecken. 3554 lion MSP, Sanson ABCRT, „Samson“ (bzw. „Simson“), ist eine biblische Figur, die über übermenschliche Stärke verfügte. 3570 Ironie, die durch die Übertragung einer Metapher aus dem Bereich des Essens auf den Bereich des Kampfes erzeugt wird. 3612 Oktavian (68 v. Chr.–14 n. Chr.), Cäsars Adoptivsohn, wurde im Jahr 27 erster römischer Kaiser und trug dann den Titel Caesar Augustus. 3626 Die Anrede tu lässt das Verhältnis des Spions zu seinem Herrn vertraut erscheinen. 3631 Wörtlich „ … in ihre Hand geben“. 3634 Tiois ist eine Bezeichnung für (das) Niederdeutsche. 3659f. Wiederaufnahme des Motivs des allein auf einem Hügel zurückbleibenden Beobachters – hier ist es nicht ein Vertreter der feindlichen Partei (V.3403f.), sondern Cligès. Beispiel für die auch sonst in der Erzählweise Chrétiens manifeste Tendenz zu Doppelungen und Spiegelungen. 3700 Die Intensität von Cligès’ Zorn wird veranschaulicht, indem sein Einsatz im Kampf mit der Reaktion von wilden Raubtierweibchen auf den Raub ihres Jungen verglichen wird. 3708 f. ire („Wut“, „Zorn“) steigert die Kühnheit des Helden. 3716 un arpant ist ein Längen- und Flächenmaß, ein „Morgen“, der ursprünglich etwa 18 Ar (Luttrell/Gregory) umfasste. 3725 f. Antithetisch zugespitzte ironische Formulierung, in der sich die Spannung zwischen Wissen und Nicht-Wissen bzw. Sich-Täuschen ausdrückt, ähnlich V.3734 f. 3754 f. Der Vergleich des kämpfenden Cligès mit einem ausgehungerten Wolf unterstreicht die Brutalität des Konflikts. 3786 Wenn es als Erbarmen mit dem Gegner gilt, diesem den Kopf abzuschlagen, nimmt die Ironie sarkastische Züge an. 3802f. Das Bild, nach dem Cligès sich schneller als ein Kreisel dreht, der von der Peitsche geschlagen wird, hebt sich von den vorherigen Tiervergleichen ab und verschiebt den Diskurs über den Kampf in Richtung eines Spiels.

Kommentar

407

3804 f. Dass die Liebe die Kampfeskraft und Kühnheit des Mannes steigert, ist eine in der höfischen Literatur gängige Vorstellungen. 3821–38 Das Motiv, dass die Liebenden ihre Liebe voreinander verbergen und unter Qualen schweigen (vgl. den Kommentar zu V.628ff.), ist hier zugespitzt, da Fenice und Cligès eine äußerst günstige Gelegenheit haben, um sich ihre Liebe zu gestehen. Die nonverbale Kommunikation durch den Austausch von Blicken funktioniert nicht, weil die Liebenden die Zeichen nicht zu deuten verstehen. 3826 Der Terminus conciance tritt im gesamten Werk Chrétiens nur an dieser Stelle auf. Frappier (1968, 121, A.1) schreibt ihm „le sens purement psychologique de ‚sentiment intérieur‘, ‚connaissance intérieure‘“ zu. 3834 seüssent ASP, osassent CTR [osent BM] „wenn sie es nur gewagt hätten“. 3839–41 Der Erzähler belehrt über ‚richtiges‘ genderspezifisches Verhalten: Ein Mädchen – sinple chose (wörtlich „einfaches, bescheidenes Ding“) – darf nicht den ersten Schritt tun. 3848–3858 Die Erzähler-Intervention mit der Reihung von Adynata, von Bildern, die auf der Umkehr der Relation von Beute und Jäger beruhen und so eine ‚verkehrte Welt‘ beschwören (Curtius 1948, 106 f.), markiert die Angst eines Mannes vor einem Mädchen als ‚unnatürlich‘. 3850 Von der Feststellung ausgehend, dass Biber nicht Fische fressen, sondern sich von Baumrinde ernähren, versucht Zaddy (1991), die Bedeutung von bievre zu erklären. Nach seinen Recherchen ist im Mittelalter die Vorstellung belegt, dass Biber Fische fangen; neben dem heute als Biber bekannten Tier trug aber auch ein fischfressendes gänseähnliches Tier den gleichen Namen. Luttrell/ Gregory geben in ihrem Glossar als Übersetzung nfrz. castor an; demnach könnte auch eine (Fisch)Otter gemeint sein. 3865–3905 Erzähler-Intervention mit Publikumsadresse. Erläutert wird erneut die Vorstellung, dass es in der Liebe Regeln gibt, die gelernt werden können, aber die Liebeslehre zielt hier darauf ab, die ‚unnatürliche‘ Furcht Cligès vor Fenice zu erklären und zu verteidigen (vgl. V.3905). 3875–78 Die Vorstellung von einer ‚richtigen‘ oder ‚rechten‘ Liebe, die an der körperlichen Symptomatik des Erbleichens und Zitterns zu erkennen ist, wird kontrastiert mit einer unrechten bzw. illegitimen, als ‚Diebstahl‘ verurteilten Liebe. 3879–92 serjanz „Diener“, „(einfacher) Soldat“. Erneut zeigt sich hier, wie stark die Konzeption der Liebe von dem gesellschaftlichen Modell der Interaktion zwischen Herr und Vasall geprägt ist und mit dem Hofdienst assoziiert wird. 3893–97 Männliche Furcht passt weder in heroisch noch höfisch geprägte Männerbilder (vgl. V.3848ff.). Die Metaphernkette dient der Naturalisierung des Gedankens, dass die Liebe – bezogen ist die Passage nur auf Männer – mit Furcht verbunden sein soll. Ausdrücklich klar gestellt wird, dass dies nur gegenüber einer geliebten Frau erlaubt und geboten ist (V.3903f.).

408

Kommentar

3907–11 Cligès’ Schüchternheit wird nicht zuletzt dadurch erklärt, dass er den Status von Fenice als Ehefrau seines Onkels respektiert. 3918 Weiß galt im Mittelalter als Symbol der Reinheit und Vollkommenheit (vgl. den Kommentar zu V. 4600ff.). 3921–33 Motiv der Täuschung und der grundlosen Trauer (vgl. V.2571 ff.). 3946–57 Der Plan des Herzogs soll dem kollektiven Kampf der beiden Heere ein Ende machen und den Konflikt durch einen Zweikampf lösen. 3959 druguemant („Dolmetscher“) wird hergeleitet aus ital. drogomanno (aus arab. turdjuman „Betrug“). – Das Problem der Verständigung zwischen den Griechen und Deutschen kommt eher beiläufig zur Sprache. 3979 f. Trotz des beabsichtigten Eidbruchs bleibt die affektive Bindung des Onkels an den Neffen bestehen. 4000f. Die ungewöhnliche Schroffheit dieser Worte markiert die Ungeduld und Entschlossenheit Cligès’. 4002f. Pointierter Kontrast in der Motivation des Weinens, ähnlich beim Abschied Alexanders von den Eltern (V.237). 4011–17 Auffallend ist die Parallelisierung der Erwartungshaltung der Gegner, möglicherweise signalisiert sie eine ironische Distanz des Erzählers zu seinen Fguren. 4018 f. Cligès’ wird auf eigenen Wunsch von seinem Onkel Alis zum Ritter geschlagen. 4031 f. Durch magische oder kostbare Gegenstände wie dem unzerbrechlichen Schild aus Elefantenknochen wird die Materialität der höfischen Kultur auratisiert. 4034 Zur Symbolik der Farbe Weiß vgl. den Kommentar zu V.4600ff. 4054–58 Die Entschlossenheit Fenices, Cligès in den Tod zu folgen, falls er sterben sollte, wird erneut bekräftigt (vgl. V.3760 ff.). Zum Motiv, dass eine Frau dem geliebten Mann nachstirbt, vgl. V.2621 ff. 4070–72 Mit der Beschreibung des Kampfes als musikalische Performance werden zwei verschiedene Vorstellungs- und Bildbereiche miteinander verbunden, so dass eine ironische Brechung erzeugt wird (Haidu 1978, 447). Diese rhetorische Figur basiert auf der Umkehr des in Kommentar zu V. 1782 ff. beschriebenen Verfahrens. 4075–79 Der Vergleich der Ritter, die mit dem Schwert aufeinander einschlagen, mit dem Schmied, der glühendes Eisen auf dem Amboss schlägt, macht Anleihen bei einem weiteren Bildbereich, um eine Vorstellung von der Härte des Kampfes zu vermitteln, der damit zugleich als eine Art Handwerk erscheint.

Kommentar

409

4080–88 Mit der Beschreibung des Kampfes als kaufmännisches Handeln werden zwei verschiedene soziale Register und Handlungsmuster in ein Spannungsverhältnis gesetzt, so dass ein humoristischer Effekt entsteht (Haidu 1968, 27 f.). 4089 chauz Wörtlich: „heiß“, „erhitzt“. 4094 f. Knien war im Mittelalter eine symbolische Geste der Ergebung bzw. Unterwerfung, die sowohl im kirchlichen als auch im weltlichen Bereich Geltung hatte. Wie Cligès im Kampf zu Fall gebracht und vorübergehend ‚auf die Knie gezwungen‘ wird, ist nicht klar. Vgl. die Übersetzungen: „ … that he falls at his feet upon his knee“ (Comfort); „ … que Cligès, un genou à terre, tombe à ses pieds“ (Micha); „ … that Cliges fell on one knee at his feet“ (Staines); „ … qu’à ses pieds Cligès a mis un genou à terre“ (Méla/Collet); „et Cligès mit un genou à terre“ (Poirion). 4099–4113 Fenice gibt einen Beweis für die Unbedingtheit ihrer Liebe, indem sie riskiert, dass ihre Gefühle für Cligès entdeckt werden, doch glücklicherweise ist niemand da, der die Zeichen richtig zu lesen versteht. Zum Motiv des Schreis bzw. der weiblichen Stimme, die dem Ritter im Kampf Kraft und Mut zurückgibt (V.4122), vgl. Chrétiens Erec et Enide (Ausgabe Wendelin Foerster, Halle 21934, V.4844–63) und Hartmanns Erec (Ausgabe A. Leitzmann, L. Wolff, Ch. Cormeau, K. Gärtner, Tübingen 61985, V.6587–6616). 4106 Rituelle Geste: Frauen fallen in der höfischen Literatur häufiger mit in Kreuzstellung ausgebreiteten Armen in Ohnmacht, vgl. etwa Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur (Ausgabe von Karl Bartsch, Wien 1871 [Nachdruck Berlin 1970], V. 6804–07). 4114–19 Motiv der Selbst-Täuschung: Ironischerweise ist es männliche Eitelkeit, die dazu führt, dass Fenices Verhalten falsch gedeutet wird und sie unbehelligt bleibt. 4133–38 Auch in dieser Passage dient der wechselnde Gebrauch von Anredeformen (mit ‚du‘ bzw. ‚Ihr‘) zur Charakterisierung der Figuren und ihrer Relation zueinander. Der in Bedrängnis geratene Herzog spricht Cligès mit ‚du‘ an, um seine vermeintliche Überlegenheit durch Worte zu behaupten und die ihm drohende Niederlage zu verschleiern. Cligès dagegen wahrt die höfliche Anredeform vos (V.4139). 4148 Wörtlich „wenn ich keinen guten Frieden mit Euch schließe“. 4162 prodome Vgl. den Kommentar zu V.201. 4173–80 Cligès beharrt auf dem öffentlichen Eingeständnis der Niederlage. 4190–93 Motiv der Täuschung und Verstellung: Der Frieden verdeckt den weiter bestehenden Hass des Herzogs. 4204 f. Die Rolle von Cligès’ als eigentlichem Helden des Geschehens (und damit sein Rechtsanspruch auf die befreite Braut) wird besonders hervorgehoben.

410

Kommentar

4216–82 Motiv des congié : Die Abschiedsszene verweist in vielen Zügen zurück auf den ersten Teil des Romans (V.78 ff.). 4232 f. Bereits vor dem Kampf Cligès’ gegen den Herzog verhält Alis sich ähnlich ablehnend dem Wunsch seines Neffen gegenüber (V.3986f.). 4235 f. Parallele zur Vorgeschichte: Der Vater Alexanders versucht ebenfalls, den Sohn zurückzuhalten, indem er ihm die Teilhabe an der Herrschaft verspricht, und die Reaktion Cligès’ auf das Angebot von Alis gleicht der des Vaters. Wie dieser repräsentiert er ein ritterliches Heldenbild, das vom Konzept des Tugendadels geprägt ist. 4252 la queuz „Prüfstein“; „whetstone“ (Comfort); „pierre de touche“ (Micha; Poirion); „touchstone“ (Staines); „l’essai de la pierre fine et vraie“ (Méla). 4255 prodome Vgl. den Kommentar zu V.201. 4261–65 Die Entschlossenheit Cligès’, den Kaiser auch ohne dessen Erlaubnis zu verlassen, weist auf die Entschlossenheit seines Vaters in einer parallelen Situation zurück (V.86–91). 4274 sestier ist die Bezeichnung für eine historische Maßeinheit, mit der Korn gemessen wurde. 4286f. Motiv der Verkleidung: Cligès bereitet seine Verkleidung auf dem Turnier von Oxford von langer Hand vor. 4288f. Der Erzähler nimmt erneut die direkte Kommunikation mit seinen Rezipienten auf und spielt mit seiner Erzählerrolle. 4293–4300 Die Emotionsdarstellung in dieser Passage erinnert an die Liebesszenen in der Vorgeschichte. Die höfische Affektkultur billigt auch dem Mann den Ausdruck von Gefühlen zu bzw. verlangt diese sogar von ihm. So begegnet Cligès der Geliebten mit Ehrerbietung, Demut, Scham und Schüchternheit. Vgl. dazu auch die Abschiedsszene in der Erinnerung Fenices (V.4362ff.). 4295 Hermelin ist der Name für eine Marderart bzw. deren Pelz. Das (bis auf die schwarze Schwanzspitze) schneeweiße und sehr weiche Winterfell gehörte neben dem Zobel zu den wertvollsten Pelzarten und war im Mittelalter der Verbrämung von Fürstengewändern vorbehalten (vgl. Brüggen 1989, 59–62). 4308 Das Motiv ‚Reden oder Schweigens‘ erscheint durch die kurze Antwort Cligès’ extrem zugespitzt. 4320–25 Cligès kehrt nicht mit dem Kaiser und seinem Gefolge nach Konstantinopel zurück, sondern begibt sich, unmittelbar nachdem der deutsche Kaiser Abschied genommen hat, nach Britannien. Die Begründung ist pragmatisch und entspricht dem „Courant réaliste“ (Fourrier 1960) im Cligès: Der Weg nach England ist von Deutschland aus kürzer als von Byzanz. 4326f. Die Deutung der Wendung „ganz der Eure“ ist nur für Fenice ein Problem; für die Rezipienten ist klar, dass es sich um eine verschlüsselte Liebes-

Kommentar

411

erklärung handelt. Nach Haidu (1968, 32) handelt es sich um die Form einer „dramatic irony“ (vgl. den Kommentar zu V.3281). 4330–34 Der Hinweis darauf, dass die beiden unbeobachtet bleiben, lenkt die Aufmerksamkeit auf die – aus der Sicht der Gesellschaft – Illegitimität ihrer Liebe. 4337–45 Im Zentrum der Passage steht mit dem Terminus panser (und seinen verschiedenen Ableitungen) ein Schlüsselmotiv der zeitgenössischen höfischen Liebeslyrik; panser bezeichnet hier das gedankenversunkene Nachsinnen, das insbesondere für den Zustand des Verliebtseins charakteristisch ist und sowohl Denken als auch Empfindungen umfasst. An dem panser haben neben Cligès und Fenice auch Alis und andere teil, wenngleich in je unterschiedlicher Weise. Am Beispiel Fenices wird das Motiv metaphorisch näher entfaltet. 4346 esperit bezeichnet nicht nur den Geist, sondern auch das Gefühl; für die vorliegende Textstelle dürfte daher die Übersetzung „Seele“ im nicht-religiösen Sinn passend sein. 4346–49 Motiv des Herzenstauschs. 4351 Zum Motiv ‚Liebe als Krankheit‘ vgl. den Kommentar zu V.637 ff. 4352 f. Als Metaphernspender für die Beschreibung der Interaktion unter den Liebenden dient erneut der Bereich des Handels und der Geldwirtschaft (vgl. V.2960 f.). 4354–58 Zum Motiv der Lesbarkeit der Gefühle vgl. den Kommentar zu V.462 ff. 4361–83 Enders (1992) hat anhand von Fenices Räsonnieren exemplarisch gezeigt, wie Chrétien die rhetorische Kunst der Erinnerung, die ars memorativa, als System psychologischer Erforschung nutzt und die Figuren mit einer „mnemonic identity“ ausstattet. In dem ‚Findungsprozess‘, den Fenice in ihren Gedanken durchläuft, wird nach Enders zugleich der Prozess der literarischen Produktion reflektiert sowie beides in Analogie gesetzt. Dem rhetorischen System entsprechend rekapituliert Fenice zunächst die (nonverbalen) Ausdrucksformen, durch die Cligès bei ihrem Abschied Gefühle kommuniziert hat, und versucht dann, sie zu deuten. 4372–4383 Auf Beispiele für den Zusammenhang von Erinnern im Kontext von Essen, Trinken und Lust in der mittelalterlichen Rhetorik verweist Enders (1992, 18 f.). Die Analogie von Wort und Speise ist vor allem im religiösen Kontext verbreitet. 4397 „Gabelweihe“ ist eine volkstümliche Bezeichnung für den Rotmilan aufgrund seines langen, tief gegabelten Schwanzes. Im mittelalterlichen Frankreich galt die Vogelart offenbar als diebisch. 4410–4574 Der „débat intérieur“ (Frappier 1968, 119 f.) Fenices ist nach rhetorischen Mustern und nach dem Modell der zeitgenössischen scholastischen Disputation gestaltet, die als Mittel der Wahrheitsfindung diente. So wägt sie ver-

412

Kommentar

schiedene Deutungen ab, prüft Argumente für und gegen eine Interpretation und wägt sie gegeneinander ab. Walter (1994, 1159) sieht in dieser Darstellung eine Parodie auf mittelalterliche Schulübungen, während Enders (1992, 8ff.) die Meinung vertritt, dass Chrétien bei der Präsentation des Konflikts in einem „divided self “ das scholastische Muster dramatisiert und eine literarische Psychologie neu erfindet, indem er rhetorische Konzepte bei der Darstellung des Prozesses der Selbsterkenntnis und des literarischen Schaffens ausbeutet (vgl. dazu auch den Kommentar zu Anm. V. 4361). 4429 Der Akzent liegt auf dem Gedanken, dass die Furcht des Mannes als Zeichen seiner Liebe anzusehen ist. Anders Comfort: „For if he loves me not, at least he does not fear me.“ 4438 Der Eichelhäher verfügt neben seinem schrillen, rätschenden Warnruf über ein breites Register an Tönen; vermutlich ist er deshalb in Frankreich zum Sinnbild für Schwatzhaftigkeit geworden. 4442–51 In der Sicht Fenices sind nonverbale, körperliche Ausdrucksformen von Gefühlen (Bleichwerden, Tränen) Zeichen ihrer Echtheit. 4458–66 Motiv des Herzensraubs: Der Körper erscheint als ‚Haus‘ oder ‚Wohnung‘ des Herzens. 4486–96 Im Motiv der Herzensähnlichkeit wird das Thema der Einheit und Verschiedenheit der Herzen von Liebenden variiert (vgl. den Kommentar zu V.2820). 4497–4564 Der Bereich der sozialen Interaktion zwischen Herr und Sklave bzw. Diener an einem Hof fungiert erneut als Metaphernspender für die Modellierung der Liebesbeziehung als ein hierarchisches Verhältnis, in dem der sozial Niederstehende auf Lüge, Betrug und Schmeichelei angewiesen ist, um seinem ‚Herrn‘ zu gefallen. Das naheliegende Verständnis dieser Passage als Hofkritik hält Haidu (1968, 78) für unangemessen. 4572 Anspielung auf die Sammlung Proverbes du vilain, die 1175 in einer ersten Redaktion erschien. Vgl. Joseph Morawski (Éd.): Proverbes français antérieurs au XVe siècle. Paris 1925 (Nr. 544: De prodome doit len amender). 4573 prodome Vgl. den Kommentar zu V.201. 4576 f. Erneut wird die Ambivalenz des Liebesaffekts in der rhetorischen Figur eines Oxymorons zum Ausdruck gebracht. 4579 Wallingford ist eine englische Stadt, die an der Themse liegt. 4580f. Wiederaufnahme des Motivs der Freigebigkeit, die im ersten Teil des Romans als feudale Kardinaltugend gepriesen wird (V.192 ff.). 4591–4599 Die Angaben über den Ort, die Dauer des Turniers und die Zeit, die bis zu seinem Beginn bleibt, gelten als Teil des „Courant réaliste“ in dem Roman (Fourrier 1960, 155). 4600–5015 Zum Motiv des mehrfachen Wechsels der Rüstung durch einen unbekannten Ritter in höfischen Dichtungen des Mittelalters vgl. die Studie von

Kommentar

413

Jessie L. Weston: The Three Days Tournament. A Study in Romance and Folklore, London 1902. – Die Darstellung im Cligès stellt insofern eine Besonderheit dar, als es sich nicht wie gewöhnlich um drei, sondern um vier verschiedene Rüstungen handelt, die der Held sukzessive anlegt. Die Interpreten haben daher wiederholt auf den Symbolwert hingewiesen, welcher der Zahl vier bereits in der antiken Philosophie zugeschrieben wurde, wo sie für die Vollkommenheit schlechthin stand. So beschworen die Pythagoräer sie als „die Quelle und Wurzel der ewigen Physis [Natur], vgl. Klibansky/Panofsky/Saxl: Saturn und Melancholie (1998, 40f.). Interpreten des Cligès (Ribard 1983, Walter 1990, Stanesco 1995) haben verfolgt, wie diese Vorstellung im Christentum umgedeutet wurde. Die Zahl vier galt demnach als Symbol „du révélé“ (vier Flüsse des Paradieses, vier Arme am Kreuz, vier Evangelisten, vier Weltreiche, vier Pferde der Apokalypse). Außerdem wurde eine Korrespondenz zwischen den vier Elementen und den christlichen Tugenden hergestellt. Im spirituellen Sinn stand das Evangelium des Matthäus für die Erde, das des Markus für das Wasser, das des Lukas für die Luft und das des Johannes für das Feuer. Farben konnten im Mittelalter ebenfalls eine symbolische Bedeutung haben. Diese Bedeutung erschöpfte sich nicht in einer ästhetischen, sie erfüllte auch eine sinnstiftende Funktion, weil durch Farben Ordnungsmuster beschworen, hierarchische Strukturen geschaffen, Assoziationen geweckt, Gegensätze und Korrespondenzen erzeugt werden konnten. „Les couleurs de Cligés sont les quatre couleurs fondamentales, dont les deux extrémités de l’échelle chromatique. Le déguisement va donc jusqu’à l’antithèse chromatique: du noir, négation de toutes les couleurs, à son contraire, le blanc, la somme symbolique de toutes les couleurs“ (Stanesco 1995, 401; vgl. auch Ribard 1983 und Walter 1990). Die verschiedenen Rüstungen schwarz, grün, rot und weiß stehen demnach für einen stufenweisen Aufstieg; jeden Tag erklimmt Cligès eine neue Stufe des irdischen Lebens, wobei Weiß als symbolische Summe aller Farben das Ende der Prüfungen markiert. – Im Cligès korrespondieren die Farben auch mit den traditionellen Farben der vier Elemente: schwarz steht für die Erde, grün für das Wasser, rot für das Feuer, weiß für die Luft. Am ersten Tag kämpft Cligès in schwarzer Rüstung gegen Sagremor, einer mit der Erde verknüpften „personnage saturnien“ (V.4654–4660), am zweiten in grüner Rüstung gegen den mit dem Wasser verbundenen Lancelot du Lac (V.4764–70), am dritten in roter Rüstung gegen Perceval, den „roten Ritter“ (V.4829–35), am vierten in weißer Rüstung gegen Gauvain, seinen Onkel, der ihm als einziger ebenbürtig erscheint (V.4951–61). 4618–20 Die weiße Rüstung erhielt Cligès von Kaiser Alis, als dieser ihn zum Ritter schlug (vgl. V.4018 f.). 4622–29 Der Erzähler treibt sein Spiel mit den Rezipienten, wie Cligès sein Versteckspiel mit dem Artushof, indem er an ihre Geduld appelliert. 4636–39 Der Erzähler treibt sein doppeltes Spiel mit dem Publikum weiter: Während an anderer Stelle den Rezipienten Aufzählungen nicht erspart bleiben, werden sie ihnen an dieser Stelle verweigert.

414

Kommentar

4663–65 Zur Bedeutung der schwarzen Rüstung vgl. den Kommentar zu V.4600ff. Die Erwähnung des Namens Morel für das Pferd, das Cligès am ersten Tag reitet, erfolgt unvermittelt. Nach Walter (1994, 1160) handelt es sich um einen traditionellen Namen für ein Pferd mit schwarzer Decke, es könnte aber auch ein Wortspiel mit meüre (V.4664) „Maulbeere“ vorliegen. 4660 Sagremor, der Ungestüme, tritt in den Romanen Chrétiens und seiner Bearbeiter mehrfach als Artusritter der ‚dritten‘ Kategorie auf. 4680–82 Weiß galt im kosmologisch orientierten Denken des Mittelalters im allgemeinen ästhetisch als „somme symbolique de toutes les couleurs“ (Stanesco 1995, 401), zugleich aber auch moralisch als Zeichen der Reinheit; schwarz hingegen als ästhetischer und moralischer Gegenpol. Chrétien spielt erneut mit den Möglichkeiten ästhetischer Wirkung und mit moralischen Sinnzuschreibungen (vgl. den Kommentar zu V. 4600), so dass Absolutheitsansprüche beider Rezeptionsmöglichkeiten ad absurdum geführt werden. 4692f. fiancier prison ist ein terminus technicus der ritterlichen Kampfsprache, mit dem der Besiegte sich zum Gefangenen des Siegers erklärt (‚Sicherheit versprechen‘) und schwört, ihn nicht mehr anzugreifen. 4721 Zur Bedeutung der grünen Rüstung vgl. den Kommentar zu V.4600ff. 4742–46 Motiv der Täuschung: Cligès führt den König an der Nase herum; Artus hält den unbekannten Ritter für ein Gespenst und bekreuzigt sich. 4746 f. Cäsarea ist eine Stadt in Palästina, Toledo eine Stadt in Kastilien, Kandia bezeichnet das heutige Heraklion in Griechenland. 4753 Zum ritterlichen Ritual des ‚Sicherheit-Versprechens‘ vgl. den Kommentar zu V. 4692 f. 4757 f. Der Erzähler macht sich über König Artus lustig. 4765 Lancelot du Lac ist der Held von Chrétiens unvollendet gebliebenem Roman Lancelot ou Le chevalier de la charrette, der vermutlich nach dem Cligès entstanden ist. 4770–72 Die Vorstellung von einer prachtvollen Pferdemähne, von welcher der Erzähler gerade gesprochen hat, scheint in diesen Versen nachzuwirken, in denen die Menschen danach eingeteilt werden, ob sie Haare haben oder nicht. 4795 Lancelot hat hier einen goldenen, mit Löwen bemalten Schild; sein traditionelles Wappen besteht allerdings aus Silber „à trois bandes de gueules“ (Walter 1994, 1161). 4814 f. Zur Bedeutung der roten Rüstung vgl. den Kommentar zu V.4600ff. 4828 Perceval, der Waliser, auch der rote Ritter genannt, ist der Held von Chrétiens letztem, unvollendet gebliebenen Roman Perceval ou Li contes du graal. 4862f. Zur Vorstellung, dass ein Schild wie ein Amboss behauen wird, vgl. den Kommentar zu V.4075 ff.

Kommentar

415

4878 f. Zur Bedeutung der weißen Rüstung vgl. den Kommentar zu V.3918 und V.4600 ff. 4883 f. Nicht in AM. Luttrell/Gregory erklären die Auslassung dadurch, dass die Verse 1882 und 1884 mit dem gleichen Verb enden und in beiden Fällen auf die folgenden Verse bezogen werden können. 4891–4903 Zur Rolle Gauvains in den Romanen Chrétiens vgl. den Kommentar zu V.394. 4909–11 Zum Bild der Mauser als Metapher im Themenkomplex Transformation, Täuschung, Verkleidung und Transformation vgl. den Kommentar zu V.6322f. 4931 f. Zum Bild des fliehenden Hirschen vgl. V.2443. 4936 quamois bezeichnet den mit Wildleder bedeckten Lanzenteil, der in der Hand gehalten wird (Walter 1994, 1161). 4965 dist ist eine Präteritalform, die hier dem modernen Wortgebrauch angepasst mit dem Präsens übersetzt ist. 4969 prodome Vgl. den Kommentar zu V.201. 5008–15 Der Vergleich mit der Sonne ist als Element eines hyperbolischen Lobes von Frauen topisch (vgl. den Kommentar zu V.2754 f.); hier wird er durch Männer einem Mann gezollt. Cligès’ Scham über das Lob hebt seine Bescheidenheit hervor. Zur Rolle der Lichtsymbolik im Cligès generell vgl. Wolfzettel 1998. 5040 denier (aus lat. denarius) Seit dem 11. Jahrhundert belegte Bezeichnung für eine Münze von wechselndem, aber geringem Wert. Foerster schlägt als Übersetzung „Heller“ vor. 5070 Zum Motiv ‚Liebe als Krankheit‘ vgl. V.637 ff. 5075 son cuer Das Personalpronomen wird meist auf Fenice bezogen: „ … who far from him suffered in anguish“ (Staines); „qui se tourmente loin de lui“ (Micha); „ … dont le coeur loin de lui se tourmente“ (Méla/Collet); ähnlich auch Walter (1994, 1162), der in dem Vers eine Anspielung auf das Konzept der amor de lonh („Fernliebe“) des Troubadours Jaufre Rudel sieht. – Möglich ist aber auch der Bezug des Pronomens auf Cligès: „ … who from afar afflicts his heart“ (Comfort). 5083 f. Der Erzählerkommentar ersetzt die Schilderung des Abschiedsrituals. 5091–95 Metapher des Herzraubs; Bilder aus der Welt des Kapitals, des Bezahlens, dienen der Veranschaulichung des Liebesdiskurses (vgl. auch V.2960ff. und V.4352 f.). 5123 f. Li anperere wird aufgefasst als Subjekt in der Übersetzung „In public view, the emperor rushed to welcome and embrace him“ (Staines). In den meisten anderen Übersetzungen aber bleibt das Subjekt des Satzes unbestimmt. 5143 f. Zum Motiv der Teilung von Besitz und Krone vgl. den Kommentar zu V.2214.

416

Kommentar

5149 Zum Motiv des panser vgl. den Kommentar zu V.4337 ff. 5160 f. Die Publikumsadresse hat hier einen anzüglichen Unterton. 5162–65 Um ein intimes Gespräch führen zu können, müssen sich die Liebenden einen eigenen Raum schaffen, in dem sie sich der gesellschaftlichen Kontrolle entziehen können. 5180–90 Cligès eröffnet sein Liebesgeständnis mit einer Redewendung, welche die Trennung von Leib und Herz als ‚unnatürlich‘ erscheinen lässt, aber zugleich eine metaphorische Lesart nahelegt. Fenice greift die Redewendung auf (V.5204 f.) und signalisiert damit, dass sie den Sinn verstanden hat. – Variation des Motivs des Herzenstauschs: Die Herzen verselbständigen sich und handeln wie Personen. 5200f. Das Bild, das Chrétien vom Reich des deutschen Kaisers zeichnet, umfasst entsprechend der zeitgenössischen Realität auch Teile Italiens (Fourrier 1960, 156). 5235–49 Die Passage ist mit Blick auf die Frage, ob die Ehe zwischen Alis und Fenice nach zeitgenössischer Auffassung rechtsgültig gewesen ist, von zentraler Bedeutung. Nach Auffassung des einflussreichen Kirchenkanonikers Gratian (um 1140) wäre die Ehe zwischen Alis und Fenice ungültig, weil sie nicht vollzogen wurde und Fenice ihre Jungfräulichkeit bewahren konnte; auf diese Auffassung stützt sich Walter (1994, 1169) mit der Meinung, dass Fenice keinen Ehebruch begehe. Andere Theologen wie etwa Petrus Lombardus vertraten dagegen die Meinung, dass eine rechtmäßige Ehe bereits mit dem Ehevertrag bzw. dem -versprechen (consensus) konstituiert wurde (Shirt 1982, Burch 2000). Ein Konsens Fenices im Sinne kirchlicher Ehelehren liegt bei der Eheschließung allerdings nicht vor (vgl. hierzu auch die Einleitung). 5250ff. Die enge Verbindung von Herz und Leib wird in diesem Abschnitt erneut – gegen die Tristanliebe – betont. 5256–58 Variante des Motivs der Liebeswunde, welche die Maßlosigkeit des Liebesaffekts unterstreicht. 5259–62 Die Verse mit der Tristan-Referenz finden sich nicht in SBT. 5298 Übersetzung Luttrell/Gregory: „que cela n’échoue pas à cause de votre opposition“. 5299–5304 Walter (1994, 1163) verweist auf die Darstellung der Ankunft Helenas in Troja im Roman de Troie. Eine ironische Pointe dieses Vergleichs liegt darin, dass die Entführung Helenas durch Paris den trojanischen Krieg auslöste und zum Untergang Trojas führte. Diese negativen Folgen der Entführung blendet Cligès aus (Haidu 1968, 56). 5311–16 Zu Fenices Kritik an der Liebe zwischen Tristan und Isolde vgl. den Kommentar zu V.3147 ff.

Kommentar

417

5320 f. Die Wendung an pardons wird unterschiedlich aufgefasst. Die Bedeutung nfrz. indemne „unberührt“, „ohne Schaden“ (Luttrell/Gregory) ist dem Vorschlag „vergeblich“ (Foerster) vorzuziehen. 5324–29 Die Berufung auf Paulus ist irreführend, denn Paulus rät nicht, Vorsicht walten zu lassen, wenn man nicht keusch leben will; er empfiehlt vielmehr, dass diejenigen heiraten sollten, die sich nicht beherrschen können (1. Kor. 7,8). 5351 Fenice entwirft ein Partnerschaftsmodell, in dem der Mann ‚Eheherr‘ und zugleich Liebender im Sinne des Frauendienst-Konzepts sein soll. 5378 Un mestre ai que j’en vuel proier AN („Ich habe einen ‚Meister‘, an den ich mich wenden will“): Luttrell/Gregory (Kommentar zur Stelle) verwerfen diese Lesart wegen des unreinen Reims als „moins bonne“; Walter (1994) übernimmt sie. 5378–91 Der ovrier, den Chrétien beschreibt, ist ein ungewöhnlich vielseitiger Künstler: Er ist Maler, Skulpteur, Architekt und Gartengestalter. Zugleich erscheint er als Vorbild für Künstler in Vorderasien und Rom, die durch Nachahmung von ihm gelernt haben. Dabei klingt der Gedanke der translatio studii an (vgl. V.30 ff.). Auffallend ist der Kontrast, den Chrétien zwischen der weltweit bekannten Meisterschaft Johanns und seinem sozialen Status als Leibeigener konstruiert. Das Lob der Kunstleistung enthält implizit eine Distanzierung vom Konzept des Geblütsadels, nach dem das Recht auf eine gehobene soziale Stellung nicht primär durch Leistungen, sondern durch die Geburt erworben wird. Die Ausführungen über Johann und seine Kunst werden in der Forschung als künstlerische Selbstreflexionen verstanden. Payen (1982, 66f.) sieht in der positiven Gestaltung der Künstlerfigur einen Beleg für die Wertschätzung, die Künstler und Techniker in der feudalen Adelsgesellschaft genossen haben. 5383 Der Name Jehan ist nach Walter (1990, 15) assoziationsreich; mit ihm verbinden sich in seiner Sicht politische und kulturelle Wunschvorstellungen, die der Westen vor dem 4. Kreuzzug über den Orient entwickelt hatte. Tatsächlich ist der Assoziationshorizont, der mit dem Namen eröffnet wird, vielfältig; als ‚Namenspatrone‘ kommen unter anderem biblische Gestalten (Johannes der Täufer, Johannes der Evangelist) und der Priesterkönig Johannes in Betracht. Nach Bianchini (2002, 204–6) wird mit dem Namen auf die Rolle des Retters angespielt, die Johann den Liebenden gegenüber übernimmt. 5389–92 Die Vorstellung, dass die byzantinische Kunst für den Westen Vorbildcharakter hatte, deckt sich mit Befunden der Kunstgeschichte aus dem 11. und 12. Jahrhundert (Walter 1994, 1164). 5395 Historische Belege für die Freilassung als Lohn für Künstler gibt Walter (1994, 1164). 5404–06 Zur Figur der Thessala vgl. den Kommentar zu V.302ff. 5428–31 Der Gleichklang der Gefühle der Liebenden steht in scharfem Kontrast zu der Beziehung Fenices zu ihrem Ehemann.

418

Kommentar

5470 Implizit ist die Vorstellung, dass Fenice selbst nichts mehr unternehmen wird (und kann). 5492–95 Die soziale Hierarchie zwischen dem Herrn und seinem Leibeigenen wird in der Folge gleichsam umgekehrt, denn Cligès ist auf die Hilfe des kunstfertigen Johann angewiesen. 5539f. Der Erzähler bringt sich dem Publikum in Erinnerung und betont en passant die ‚Wahrheit‘ seiner Geschichte. 5555–5655 Der Turm mit den unterirdischen Räumen und Verstecken, mit unsichtbaren Türen, Kaminen, Baderäumen und fließendem warmen Wasser ist ein Staunen erweckendes architektonisches Wunder. Wunderwerke dieser Art werden auch in anderen Romanen als charakteristisch für die Kultur des Orients beschrieben, zum Beispiel der Turm in Konrad Flecks Flore et Blanscheflur (Hg. von Emil Sommer Quedlinburg und Leipzig 1846, V.4162–4362). Die Beschreibung des Turms gilt als Teil der künstlerischen Selbstreflexion im Cligès. 5614 f. Die Vorstellung, dass man in einen Raum eindringen kann, ohne etwas zu zerstören, verweist zurück auf die im Monolog Alexanders entfaltete Theorie über die Entstehung der Liebe und die Wahrnehmung (vgl. den Kommentar zu V.690 ff. und V.726 ff.). 5645 gole wörtlich „Maul“, „Kehle“; par la gole „je le garantis absolument“ (Luttrell/Gregory). 5686–98 Variante des zentralen Themas Täuschung und Verstellung: Die Diskrepanz zwischen innen und außen, zwischen wahr und falsch, wird den Rezipienten in der Episode von der ‚lebenden Toten‘ besonders deutlich vor Augen geführt. 5706–18 Die Passage zeigt exemplarisch, wie in den weltlichen Liebesdiskurs eine religiöse Dimension eingespielt wird, die auch im Geschehen um Fenices ‚Tod‘ und ‚Auferstehung‘ präsent bleibt. 5754 none bezeichnet die neunte Stunde am Tage, also drei Uhr nachmittags; mögliche Anspielung auf den Tod Christi, der in der neunten Stunde am Kreuz starb (Owen 1970). 5763 l’ame randre wörtlich „[Gott] die Seele zurückgeben“. Vorausgesetzt ist die Vorstellung, dass Gott den Menschen das Leben als ‚Leihgabe‘ überlassen hat, das sie ihm mit dem Tod wieder zurückgeben. 5770 f. Erzählerkommentar mit Publikumsadresse: Der Erzähler will nicht die Trauer beschreiben, sondern erzählen, wie Thessala den Trank braut, mit dem Alis ‚stillgestellt‘ wird. Die Forschung betont die Gemeinsamkeiten zwischen Thessalas Fähigkeit, die Wirklichkeit mit ihrer Kunst außer Kraft zu setzen, und der Tätigkeit des Erzählers. 5791–5809 Die Passage bietet ein weiteres Beispiel für die „dramatic irony“ (Haidu 1968, 32f.; vgl. dazu den Kommentar zu V.3281): Die Tatsache, dass die Rezipienten wissen, dass Fenice nicht wirklich tot ist, verhindert eine Identifika-

Kommentar

419

tion mit den Trauernden. Die elaborierte Rhetorik der Reden über den grausamen Tod (vgl. auch 5825–60 und 6238–65) verleiht der Trauerszene darüber hinaus einen theatralen Charakter. 5793–97 Die Vorstellung, dass der Tod einem gefräßigen Tier gleicht, erinnert an das mittelalterliche Bild vom Hölleneingang als einem Schlund oder Rachen. 5806–09 Die Frage, warum Gott es in seiner Güte zulassen kann, dass der Tod dem Leben der Menschen ein Ende setzt, ist in Reflexionen über den Tod in der mittelalterlichen Literatur ebenso topisch wie die Klage, dass der Tod vor allem tugendhafte und unschuldige Menschen vorzeitig dahinrafft. 5816 Chrétien erinnert daran, dass er eine schriftliche Quelle benutzt haben will (vgl. V.18 ff.). 5818 Salerno war im Mittelalter ein Zentrum der Medizinwissenschaft, in der griechische, arabische und jüdische Traditionen zusammengeführt wurden. 5842 f. Zur Lichtsymbolik im Cligès vgl. Wolfzettel 1998. 5862–67 Diese Rede charakterisiert die Ärzte als überheblich. 5876–79 Die Ärzte gelangen sofort „à la conclusion intertextuelle correcte“ (Haidu 1978, 461). Die Bibel weiß von Salomon als betrogenem Ehemann nichts; es heißt dort von ihm, dass er fremde Frauen besonders liebte und siebenhundert Ehefrauen höchsten Ranges sowie dreihundert Konkubinen hatte, die sich von ihm abwandten. Im Mittelalter ist die Vorstellung verbreitet, dass er eine Ehefrau hatte, die sich vier Tage lang in seinem eigenen Palast tot stellte (Walter 1994, 1166). Zur Geschichte Salomons als Exempel für den Weisen, der von seiner Ehefrau betrogen wird, vgl. Paris (1880 und 1912, S. 313 ff.). 5899–5904 Der Arzt scheint den Kaiser zu Beginn der Unterredung zu duzen, um sich ihm gegenüber als Autorität zu empfehlen. Als er über die Konsequenzen bei einem Misserfolg spricht, geht er jedoch zum förmlichen „Ihr“ über (V.5914 ff.). 5963–6015 Die Torturen, die Fenice ertragen muss, haben manche Interpreten wegen „the multiplicity of realistic detail“ irritiert (Haidu 1968, 95), tatsächlich aber folgt die Darstellung einem literarischen Muster, durch welches das Geschehen erneut mit einer religiösen Dimension überblendet wird: Die ‚Behandlung‘ Fenices durch die Ärzte hat den Charakter eines Martyriums, wie es in seinerzeit populären Heiligenlegenden beschrieben wird, und es wird explizit auch als solches bezeichnet (V.6025). Das Martyrium Fenices weist Ähnlichkeiten insbesondere mit dem des heiligen Laurentius in den Legenda aurea auf, der ebenfalls ausgepeitscht und auf ein Feuerrost gelegt wurde. Durch das Martyrium erlangt Fenice gleichsam den Status einer Heiligen (Owen 1970). Entsprechend ist der Sarkophag, in den sie gelegt wird, eigentlich für eine Heilige bestimmt gewesen (V.6091–96). 6018–50 Die in der älteren Forschung geäußerte Vermutung, dass sich die Schilderung der Intervention durch tausend Frauen auf ein Ereignis in der byzantini-

420

Kommentar

schen Geschichte bezieht (Settegast 1908), ist neuerdings wieder aufgegriffen worden (Ciggaar 1995). Die Episode verweist demnach auf einen Aufstand adliger Frauen zugunsten der byzantinischen Kaiserin Zoé, die 1042 von ihrem Ehemann aus dem Amt vertrieben werden sollte. 6060 f. Es ist nicht ohne Ironie, dass die Folterer, die den Tod ihres Opfers billigend in Kauf nehmen, selbst zu Opfern werden. 6091–96 Variante der „dramatic irony“ (vgl. den Kommentar zu V.3281 ff.). Die Rezipienten wissen im Unterschied zum Kaiser, dass Fenice durchaus nicht ‚heilig‘ ist. – Die Möglichkeit, dass die Ironie hier den Charakter einer Blasphemie annimmt, hat Köhler (1970, 162, A.2) ausgeschlossen, indem er vermutet, dass Chrétien die „christlich-moralische Fragwürdigkeit“ von Fenices Handeln habe verwischen wollen und ihr deshalb die „Würde einer Heiligen“ verliehen habe: „Chrestien ist es zweifellos ernst damit; alles andere wäre nicht Ironie, sondern eine für ihn unverständliche Frivolität.“ 6098 f. In der Bibliothek der Kirche von St Pierre will der Erzähler die Quelle für seinen Roman gefunden haben (V.20 f.); die Peterskirche, in der Fenice bestattet wird, liegt jedoch nicht in Beauvais, sondern in Konstantinopel. 6143 Nach Ansicht der Forschung hat Chrétien sich bei der Darstellung der Liebesbeziehung an der Geschichte von Pyramus und Thisbe (Ovid, Metamorphosen IV, 55–161) orientiert. Der Selbstmordgedanke ist nach Lyons (1950, 171) jedoch nicht bei Ovid vorgegeben. 6158–6213 Einige Züge bei der Bestattung und Befreiung Fenices aus dem Grab erinnern an die Bestattung und Auferstehung Christi (Owen 1970): Auch das Grabmal Christi wird versiegelt und bewacht, um zu verhindern, dass sein Leib von den Jüngern geraubt wird (nach Mt. 27,64–66). 6159–63 Das Motiv des Eindringens, ohne etwas zu beschädigen, verweist auf die Liebes- und Wahrnehmungstheorie zurück, die im Monolog Alexanders entfaltet wird (V.690ff. und 726 ff.). 6194 f. Der Park im Inneren der Friedhofsmauer macht den Ort zu einem locus amoenus besonderer Art. 6223–65 Das Verwirrspiel geht soweit, dass Cligès selbst nicht mehr zwischen Schein und Sein zu unterscheiden vermag. Da er von dem Trank, den Thessala Fenice eingegeben hat, nichts weiß, wird auch er einer Prüfung unterzogen. Der vermeintliche Tod Fenices bietet ihm Anlass für eine Totenklage, in der die Authentizität seiner Gefühle für Fenice und der Gedanke der Einheit von Herz bzw. Seele und Leib (6258ff.) erneut hervorgehoben werden. 6273 Wörtlich: „denn dem Tod ist mein Scherz gleichgültig“, „er macht sich nichts aus meinem Scherz“. 6320–25 Der Falke ist im Mittelalter eine gängige Metapher für den Geliebten oder die Geliebte. Seit der Antike kann der Falke auch für aggressive männliche Sexualität stehen (McGrady 1986, 148).

Kommentar

421

6322 f. Die Mauser als Bild für eine Transformation gehört in das Register der Täuschung und Verkleidung; es verweist auf die Verkleidungen Cligès’ beim Turnier von Oxford (V.4871) und auf Fenices ‚Auferstehung‘ vom Tode. 6333 Tudela ist eine Stadt in Navarra, Almeria eine Stadt in Andalusien. 6335 une cenele dient als Bezeichnung für einen Gegenstand von geringem Wert und wird unterschiedlich übersetzt: „Beere einer Stechpalme“ (Foerster), „holly berry“ (Comfort), „hawthorn berry“ (Staines) „une prune“ (Méla/ Collet), „fruit de l’aubépine“ (Luttrell/Gregory). 6342 Nach Haidu (1978, 450) gehört diese Äußerung des Erzählers („Fragt mich nicht weiter danach“) zum „discours d’interruption“; sie fungiert als Mittel der ästhetischen Distanznahme. 6343–46 Die Übereinstimmung im Willen der Liebenden entspricht dem Postulat des Konsenses im Sinne kirchlicher Ehelehren (vgl. dazu die Einleitung und den Kommentar zu V.5235). 6347–69 Der Aufenthalt Fenices im Turm erscheint wie eine Gefangenschaft mit Lichtentzug. Die genauen Zeitangaben über seine Dauer entsprechen dem „Courant réaliste“ (Fourrier 1960) in dem Roman. 6385–92 Variante des Unfähigkeitstopos und zugleich ironisches Spiel des Erzählers mit seinem Publikum und seiner Rolle. 6393–6424 Die Phase, in der Fenice in der Dunkelheit lebte, und damit die Zeit der Prüfung, ist beendet. Bezeichnenderweise ist die Natur, die sich ihr in der strahlenden Sonne darbietet, nicht wildwüchsig, sondern kunstvoll bearbeitet. 6402–09 Das Assoziationsfeld, das mit der Schilderung des Baumes eröffnet wird, lotet Polak (1972) aus. Vgl. auch Walter (1990). 6430–6519 Die Episode der Entdeckung durch einen entflogenen Jagdvogel folgt einem geläufigen narrativen Muster, wie es ähnlich beispielsweise in Konrads von Würzburg Engelhard (Hg. von Paul Gereke, Halle S. 1912, V.3202–3356) begegnet. Zu Varianten dieses Musters in späteren, vor allem spanischen Dichtungen vgl. McGrady (1986). 6439 Bertran ist kein byzantinischer Name. Er stammt vermutlich aus der Gattung der Chansons de geste; ein Neffe des Helden Guillaume d’Orange trägt diesen Namen in Le charroi de Nîmes. Chanson de geste du XIIe siècle Ed. par Duncan Mc Millan, Paris 21978, V.597 ff. 6460 f. Zur Natur als Schöpferin der Frauenschönheit vgl. den Kommentar zu V.829 ff. 6466 f. Birne und Birnbaum sind im Mittelalter geläufige erotische Symbole (McCrady 1986, 149; Polak 1972). 6477–79 Hier könnte erneut eine Anspielung auf den Tristan vorliegen; in der Minnegrotte liegt das Schwert zwischen den Liebenden, als Marke sie durch ein Fenster sieht.

422

Kommentar

6524–33 Thessala rettet die Liebenden erneut mit ihrer Zauberkunst, hier mit der Fähigkeit, Bedrohliches unsichtbar machen zu können. 6544–6630 Johann steht nicht nur exemplarisch für einen treuen, seinem Herrn vorbehaltlos ergebenen Diener, der unfrei ist; hier ist er auch derjenige, der die Wahrheit an den Tag bringt, indem er den Kaiser über den Betrug aufklärt. 6549–82 Die Passage fehlt in A. Sie umfasst 34 Verse, die in dem Manuskript von Tours, der ältesten Handschrift, ein Blatt füllen. Der Schreiber hat offenbar eine Seite übersprungen (Luttrell/Gregory, Kommentar zur Stelle). 6590–94 Shirt (1982, 81), sieht in dem Vorwurf des Verrats, den Alis gegen Cligès erhebt, „supreme irony“, weil er selbst es ist, der sich des Verrats schuldig gemacht hat (vgl. auch V.6639–43). 6701 Artus wird in Bezug zu den Welteroberern Caesar und Alexander gesetzt. Die großen Vorbereitungen für den Kriegszug stehen jedoch in ironischem Kontrast zu dem Umstand, dass es (wie schon in der Vorgeschichte) gar nicht zu einer kriegerischen Handlung kommt. 6710–14 Die Bezüge zwischen der Figur Johanns und des Erzählers (vgl. Kommentar zu V.5378) legen die Annahme nahe, dass der Erzähler die Glaubwürdigkeit Johanns betont, um die eigene Rolle ironisch zu spiegeln. 6753–62 Es ist signifikant für die im Cligès propagierte Vereinbarkeit von Liebe und Ehe, dass die Empfindungen der Eheleute sich im Gleichklang befinden. Selbstverständlich aber muss die Liebe durch die Ehe legalisiert werden. 6762–78 Der Wunsch Fenices, im Unterschied zu Isolde nicht zu einem schlechten Beispiel zu werden, wird durch diesen Schluss unterlaufen.

Namenverzeichnis

423

Namenverzeichnis Acorionde 1284. 2079. 2459. Grieche, Begleiter Alexanders. Adan, N. Adanz 5239. Adam, nach der Bibel der erste Mensch. Alemaingne 2656. 2695. 2701. 2944. 3391. 4207. 4211. 5182. 6645. Deutschland. Alemant 2965. 3557. 3634. Süddeutscher. Alis 58. 62. 2405. 2417. 2421. 2495. 2516. 2547. 2556. 2624. 6769. Der jüngere Bruder Alexanders, später Kaiser von Konstantinopel. Alixandre 57. 64. 83. 237. 246. 339. 370. 373. 388. 418. 443. 465. 575. 616. 873. 1106. 1120. 1139. 1148. 1170. 1172. 1181. 1197. 1208. 1275. 1343. 1349. 1359. 1375. 1422. 1450. 1467. 1471. 1473. 1555. 1559. 1565. 1572. 1580. 1772. 1815. 1827. 1908. 2036. 2039. 2058. 2165. 2185. 2201. 2206. 2221. 2239. 2249. 2279. 2312. 2343. 2362. 2396. 2406. 2420. 2431. 2452. 2468. 2483. 2557. 2565. 2569. 2577. 2584. 2598. Alexander, Vater des Cligès. Alixandre 59. Kaiser von Konstantinopel und Vater Alexanders und Alis’. Alixandre 6701. Alexander der Große von Mazedonien. Angleterre s. Eingleterre. Angrés, Engrés 431. 1214. 1504. 1808. 1904. Graf Angrès von Windsor, Vasall von Artus. Antioche 800. 5391. Antiochien in Syrien. Artu, Nom. Artus 10. 69. 119. 145. 422. 436. 570. 1095. 2367. 2422. 2606. 4588. 4631. 4644. 4733. 4742. 4945. 6673. König Artus.

Athenes 1284. 2445. 2462. 2567. Stadt Athen. Aufrique 1286. Afrika. Aumarie 6332. Almeria in Andalusien. Bertran, N. Bertranz 6439. 6443. 6469. 6471. 6474. 6490. 6510. Bertrand, ein thrazischer Ritter. Biauvez 21. Beauvais (Oise). Bretaingne 17. 77. 80. 114. 1480. 2397. 2411. 4219. 4224. 4251. 4255. 4310. 4316. 4325. 4477. 5066. 5167. 5181. 5206. 5208. 5296. Britannien (England); 423. 438. 1051. 1059. 1089. 1093. 1102. 6703. Bretagne (Armorika). Breton 2608. Brite; 440. 567. Bretone. Calcedor 1286. 1906. Grieche, Begleiter Alexanders. Candie 4747. Kandia. Cantorbire 1055. Canterbury. Cesar 6701. Gajus Julius Cäsar. Ceseire 4746. Cäsarea, Seestadt in Palästina. Cligés 2382. 2383. 2574. 2603. 2624. 2753. 2761. 2773. 2786. 2792. 2793. 2800. 2857. 2879. 2912. 2923. 2933. 2942. 2951. 2956. 3176. 3183. 3188. 3225. 3269. 3277. 3408. 3420. 3422. 3425. 3433. 3457. 3458. 3463. 3475. 3477. 3492. 3498. 3504. 3516. 3529. 3537. 3547. 3551. 3560. 3566. 3572. 3591. 3597. 3602. 3607. 3615. 3659. 3664. 3678. 3697. 3705. 3715. 3728. 3738. 3765. 3775. 3788. 3794. 3799. 3814. 3819. 3906. 3923. 3938. 3941. 3948. 3951. 3954. 3968. 3971. 3997. 4003. 4012. 4015. 4028. 4037. 4053. 4091. 4095. 4120. 4139. 4149. 4173.

424

Namenverzeichnis

4184. 4192. 4205. 4209. 4214. 4238. 4279. 4283. 4290. 4335. 4347. 4362. 4385. 4410. 4427. 4483. 4486. 4566. 4578. 4596. 4617. 4662. 4688. 4691. 4696. 4707. 4710. 4727. 4740. 4768. 4771. 4791. 4794. 4802. 4807. 4829. 4847. 4854. 4913. 4923. 4928. 4976. 4986. 5016. 5035. 5051. 5064. 5106. 5115. 5142. 5175. 5281. 5292. 5370. 5402. 5440. 5488. 5536. 5554. 5558. 5564. 5595. 5599. 5603. 5609. 5643. 5653. 5663. 5679. 5682. 5693. 5716. 5927. 6054. 6140. 6173. 6188. 6198. 6208. 6223. 6282. 6289. 6305. 6320. 6332. 6357. 6370. 6377. 6451. 6454. 6477. 6484. 6523. 6575. 6580. 6622. 6672. 6689. 6716. 6742. Cligès, Sohn Alexanders. Coloingne 2693. 2699. 2702. 2860. 3390. Köln am Rhein. Cornix 1281. 2077. Grieche, Begleiter Alexanders. Cornoaille 80. 1481. Cornwall. Cornoalois 2428. Bewohner von Cornwall. Costantinoble, Constantinoble 49. 125. 403. 2391. 2489. 2575. 2650. 4202. 4325. 5110. 5117. 6128. 6683. 6722. 6773. Konstantinopel. Crestiien 23. 45. 6784. Chrétien de Troyes. Dovre 1054. Dover am Kanal. Dunoe 3398. 4618. Donau. Eingleterre, Engleterre, Angleterre 16. 290. 6702. England. Elainne 5300. Helene, Gemahlin des Menelaos. Engrés s. Angrés. Escoce 1481. Schottland. Escot 2428. Schotte. Espaingne 6704. Spanien. Etioclés 2537. Eteokles, Bruder des Poly-

neikes, bekannt durch den thebanischen Krieg. Fenice 2725. 2730. 3787. 3819. 3925. 4101. 4120. 4290. 4301. 4339. 4575. 4582. 5074. 5125. 5166. 5467. 5687. 6163. 6233. 6289. 6291. 6302. 6330. 6349. 6354. 6376. 6382. 6393. 6410. 6418. 6425. 6451. 6467. 6523. 6747. 6769. Geliebte des Cligès. Fenix 2727. Der Vogel Phönix. Ferolin 1285. Grieche, Begleiter Alexanders. Flandres 6702. Flandern. Forest in Noire Forest 3400. Schwarzwald. Francagel 1287. Grieche, Begleiter Alexanders. France 35. 38. 5067. 6703. Frankreich. François 2608. 4990. Franzose. Gales 1461. 1480. 2369. Wales. Galinguefort 4579. 4592. 4634. Wallingford. Galois 1824. 2427. 4828. Bewohner von Wales. Gauvain 394. 397. 467. 2235. 2352. 2617. 4891. 4917. 4925. 4956. 4968. 5057. 5084. 5169. Neffe des Artus. Gre, Greu 305. 1338. 2072. 2111. 2147. 2704. 3439. 3471. 3525. 3528. 3548. 3557. 3579. 3614. 3624. 3628. 4185. 4212. Grieche. Grece 9. 16. 31. 49. 130. 366. 367. 2389. 2399. 2408. 2418. 2694. 2945. 4322. 4323. 4343. 4374:. 5081. 5186. 6707. 6716. 6721. 6738. 6743. 6748. Griechenland. Grezois, Grejois, Gregois 41. 385. 400. 1116. 1357. 1372. 1771. 1823. 1965. 2014. 2143. 2212. 2703. 2922. 3399. 3417. 3522. 3654. 3657. 3694. 4201. Grieche. Grifonie 5116. Griechenland.

Namenverzeichnis

425

Guenelon 1076. Ganelon, der Verräter Rolands. Guincestre 291. 302. Winchester. Guinesores 421. 1237. 2350. 2361. Windsor.

Neriolis 1289. 2096. Grieche, Begleiter Alexanders. Neriüs 1289. 2077. Grieche, Begleiter Alexanders. Normandie 5067. 6703. Normandie.

Hantone 273. 287. 300. Southampton.

Ossenefort 4591. 4633. 4826. Oxford. Oteviien 3612. Oktavian, Adoptivsohn Caesars, erster römischer Kaiser. Ovide 2. Publius Ovidius Naso.

Jehan (oder Johan) 5383. 5385. 5488. 5491. 5513. 5519. 5525. 5541. 5556. 5598. 5602. 5611. 5613. 5619. 5638. 5643. 5649. 5927. 6080. 6083. 6088. 6108. 6109. 6126. 6150. 6154. 6162. 6176. 6201. 6205. 6214. 6284. 6285. 6299. 6318. 6328. 6371. 6374. 6379. 6383. 6385. 6388. 6416. 6535. 6545. 6554. 6589. 6590. 6711. Johann, Bildhauer, Cligès’ Leibeigener. Iseut, N. Iseuz 5. 3147. 3151. 5261. 5312. Isolde, Geliebte Tristans. Lancelot (del Lac) 4765. [4767.] 4787. 4789. 4798. Artusritter, zentrale Figur in einem verbreiteten mittelalterlichen Erzählstoff. Licoridés 1282. Grieche, Begleiter Alexanders. Londres 1055. 1064. 1211. 1222. 4600. 4612. London. Marc 5. 2790. Marke, Onkel Tristans. Marroc 6333. Marokko. Medea 3031. Medea, Tochter des Königs Aietes, bekannt als Zauberin (Iason und das goldene Vlies). Micenes 1283. Mykene, Stadt in Argolis. Morel 4663. 4667. Rappe, Pferd des Cligès. Nabunal 1283. 1964. 1975. 1984. 2003. Grieche, Begleiter des Alexander. Narcissus 2767. Narcissus, Figur aus Ovids Metamorphosen.

Paris 5301. Sohn des Priamus, Entführer Helenas. Parmenidés 1287. 2083. Grieche, Begleiter Alexanders. Pavie 5200. 6644. Pavia. Perceval (le Galois) 4828. 4831. 4847. 4851. Artusritter. Pere 6098. Apostel Peter. Pinabel 1288. Grieche, Begleiter Alexanders. Pleisance 5200. Piacenza. Pol 5324. 5327. Apostel Paul. Polinicés 2538. Polyneikes, s. Etioclés. Port d’Espaigne 6704. Die Pyrenäenpässe. Reneborc 2666. 3396. Regensburg. Romain 41. Römer. Rome 33. 3612. 5391. Rom. Sagremor, Seigremor (le Desreé) 4660. 4690. 4693. Artusritter. Salemon 906. 5876. König Salomon (als betrogener Ehemann). Salenique 1285. Saloniki. Salerne 5818. Salerno. Sanson 3554. Samson bzw. Simson, wegen ihrer Stärke bekannte biblische Figur. Sesne, Saisne 2946. 3402. 3431. 3459. 3528. 3530. 3539. 3551. 3557. 3561. 3605. 3712. 3766. 3782. 3806. 4186. 4199. Sachse.

426

Namenverzeichnis

Seissoingne 2675. 2859. 3394. 3692. 4194. 4200. Sachsenland. Soredamors 445. 564. 963 (Wortspiel mit S.). 979. 1159. 1376. 1382. 1561. 1571. 1576. 2115. 2238. 2266. 2275. 2375. 2437. 2621. Soredamor, Geliebte und Gattin Alexanders, Mutter des Cligès, Schwester Gauvains. Sorham 2440. Shoreham. Sozhantone s. Hantone. Sulie 6069. Syrien. Tamise 1257. 1261. 1484. 1491. Themse. Tantalis 60. 61. Mutter Alexanders. Thessaille 3006. Thessalien. Thessala 3002. 3005. 3011. 3085. 3095. 3248. 3251. 3264. 3270. 3277. 5366.

5404. 5407. 5771. 5927. 6035. 6064. 6296. 6317. 6331. 6524. 6633. 6660. 6668. Zauberkundige Erzieherin der Fenice. Tiois 2704. 2965. 3471. 3525. 3614. 3634. Niederdeutscher. Tolete 4747. Toledo. Torin 1288. 2079. Grieche, Begleiter Alexanders. Trace 6434. Thrazien. Troie 5300. Troja. Tristan, N. Tristanz 2790. 3147. 5260. 5313. Held des gleichnamigen Romans. Tudele 6333:. Tudela. Yseut s. Iseut.

I. Ausgaben (zum Teil mit Übersetzungen)

427

Bibliographie I. Ausgaben (zum Teil mit Übersetzungen) Kristian von Troyes, Sämtliche erhaltene Werke nach allen bekannten Handschriften. I. Cligés. Textausgabe mit Variantenauswahl, Einleitung, Anmerkungen und vollständigem Glossar hg. von Wendelin Foerster. Halle a.d. S. 1884 [weitere Ausgaben 1888, 1901, 1910, 1921]. Les Romans de Chrétien de Troyes édités d’après la copie Guiot (BN Fr. 794). II. Cliges. Publ. par Alexandre Micha. Paris 1957 (Les Classiques Français du moyen âge 84). Chrétien de Troyes, Cligés. Ed. by Claude Luttrell and Stewart Gregory. Cambridge 1993 (Arthurian Studies 28). Chrétien de Troyes, Cligès. Edition critique du manuscrit B.N. fr. 12560, traduction et notes par Charles Méla und Olivier Collet. Paris 1994 (Le livre de poche, Lettres gothiques). Cligès. Texte établi, traduit, présenté et annoté par Philippe Walter. In: Chrétien de Troyes, Œuvres complètes. Édition publiée sous la direction de Daniel Poirion avec la collaboration d’Anne Berthelot, Sylvie Lefèvre, Karl D. Uitti et Philippe Walter. Paris 1994 (Bibliothèque de la Pléïade), S. 171–336, 1114–1170.

II. Übersetzungen Chrétien de Troyes, Cligés. In: Chrétien de Troyes, Arthurian Romances. Translated with an introduction by W.W. Comfort. London/New York 1914 (Everyman’s Library 698), S. 91–179. Chrétien de Troyes, Cligès. Roman traduit de l’ancien francais par Alexandre Micha. Paris 1957. Chrétien de Troyes, Cligés. In: Chrétien de Troyes, Arthurian Romances. Translated, with an introduction and notes by D.D.R. Owen, London 1987 [u. ö.] (Everyman’s Library), S. 93–184. Chrétien de Troyes, Cligés. In: Chrétien de Troyes, Arthurian Romances. Translated with an introduction and notes by William W. Kibler, London 1991 (Penguin Classics), S. 123–205. Chrétien de Troyes, Cliges. In: The Complete Romances of Chrétien de Troyes, translated with an introduction by David Staines. Indiana University Press 1990, S. 87–169. Cligès. Chrétien de Troyes. Translated from the Old French by Burton Ruffel. Afterword by Joseph J. Duggan. New Haven/London 1997. Chrétien de Troyes, Cligès. Een roman over liefde en list. Vertaald dor René Stuip. Hilversum 2003.

428

Bibliographie

III. Forschungsliteratur (in Auswahl) Bianchini, Simonetta: Interpretatio nominis e pronominatio nel Cligès de Chrétien de Troyes. In: Vox Romanica 612 (2002), S. 181–221. Blumenfeld-Kosinski, Renate: Chrétien de Troyes as a reader of the Romans Antiques. In: Philological Quarterly 64 (1985), S. 398–405. Borck, Karl Heinz: Adel, Tugend und Geblüt. Thesen und Beobachtungen zur Vorstellung des Tugendadels in der deutschen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts. In: Beiträge zur deutschen Sprache und Literatur Tübingen 100 (1978), 423–457. Borst, Arno (Hg.): Das Rittertum im Mittelalter. Darmstadt 21989. Brüggen, Elke: Kleidung und Mode in der höfischen Epik des 12. und 13. Jahrhunderts. Heidelberg 1989. Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. 2 Bde. München 112005. Burch, Sally L.: Amadis et Ydoine, Cligès, and the Impediment of Crime. In: Forum for Modern Language Studies 36 (2000), S. 185–195. Busby, Keith (u. a.): The Manuscripts of Chrétien de Troyes, Amsterdam/Atlanta 1993. Chandès, Gérard: Le serpent, la femme et l’épée. Recherches sur l’imagination symbolique d’un romancier médiéval: Chrétien de Troyes. Amsterdam 1986 (Faux titre 27). Chase, Carol J.: Double Bound: Secret Sharers in Cligés and the LancelotGraal. In: The Legacy of Chrétien de Troyes. Ed. by Norris J. Lacy u. a. Vol. II. Amsterdam 1988, S. 169–185. Ciggaar, Krijnie: Encore une fois Chrétien de Troyes et la „matière byzantine“: La révolution des femmes au palais de Constantinople. In: Cahiers de civilisation médiévale 38 (1995), S. 267–274. Cline, Ruth H.: Heart and Eyes. In: Romance Philology 25 (1971/72), 263–97. Curtius, Ernst Robert: Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter. Bern / München 1948 [u. ö.]. Discenza, Nicole Guenther: Dialectical Structure in Chrétien de Troyes’s Cligés. In: Romance Languages Annual 8 (1996), S. 21–25. Dragonetti, Roger: La vie de la lettre au moyen âge: Le conte du Graal. Paris 1980. Dunton-Downer, Leslie: The Horror of Culture. East West Incest in Chrétien de Troyes’s Cligès. In: New Literary History. A Jounal of Theory and Interpretation 28 (1997), S. 367–381. Enders, Jody: Memory and Psychology of the Interior Monologue in Chrétien’s Cligès. In: Rhetorica X,1 (1992), 5–23.

III. Forschungsliteratur (in Auswahl)

429

Faral, Edmond: Recherches sur les sources latines des contes et romans courtois du moyen âge. Paris 1913. Ferrante, Joan M.: Artist Figures in the Tristan Stories. In: Tristania 4 (1979), S. 25–35. Fourrier, Anthime: Le Courant réaliste dans le roman courtois en France au Moyen Âge. Paris 1960. Frappier, Jean: Chrétien de Troyes: L’Homme et l’œuvre. Paris 1968. Freeman, Michelle A.: Cligés. In: The Romances of Chrétien de Troyes. A Symposium. Hg. von Douglas Kelly. Lexington/Kentucky 1985, S. 89–131. Dies.: The Poetics of ‚Translatio studii‘ and ‚Conjointure‘. Chrétien de Troyes’s ‚Cligés‘. Lexington, KY. (French Forum) 1979. Genette, Gérard: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Frankfurt am Main / New York 1989. Goez, Werner: Translatio imperii. Ein Beitrag zur Geschichte des Geschichtsdenkens und der politischen Theorien im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Tübingen 1958. Gontero, Valérie: Les gemmes dans l’œuvre de Chrétien de Troyes. In: Cahiers de civilisation médiévale 45,1 (2002), S. 237–254. Grimbert, John Tasker: On Fenice’s Vain Attempts to Revise a Romantic Archetype and Chrétien’s Fabled Hostility to the Tristan Legend. In: Reassessing the Heroine in Medieval French Literature. Gainesville 2001, S. 87–106. Gregory, Steward / Luttrell, Claude: Les fragments d’Oxford du Cligés de Chrétien de Troyes. In: Romania 113 (1992/95), S. 320–348. Gros, Gérard: La semblance de la verrine. Description et interprétation d’une image mariale. In: Le Moyen Âge 97 (1991), 217–57. Guyer, Foster E.: The Influence of Ovid on Crestien de Troyes. In: The Romanic Review 12 (1921), S. 97–134. Haidu, Peter: Aesthetic Distance in Chrétien de Troyes: Irony and Comedy in Cligés and Perceval. Geneva 1968. Ders.: Au début du roman, l’ironie. In: Poétique. Revue de théorie et d’analyse littéraires 36 (1978), S. 443–466. Ders.: Narrative Structure in Floire et Blancheflor: A Comparison with Two Romances of Chrétien de Troyes. In: Romance Notes 14 (1972/73), S. 383– 86. van Hamel, A.G.: Cligés et Tristan. In: Romania 33 (1904), S. 465–489. Hanning, R.W.: Courtly Contexts for Urban cultus. Responses to Ovid in Chrétiens’s Cligès and Marie’s Guigemar. In: Symposium 35 (1981/82), S. 34–56. Hausmann, Frank-Rutger: Translatio militiae sive retranslatio – Chrétien de Troyes’ Cligés im Lichte eines altbekannten Topos. In: Kunst und Kommunikation. Betrachtungen zum Medium Sprache in der Romania. Hg. von Maria Lieber und Willi Hirdt. Tübingen 1997, S. 417–426.

430

Bibliographie

Hauvette, Henri: La Morte vivante. Paris 1931. Heyworth, Gregory: Love and Honor in Cligès. In: Romania 477/78 (2002), S. 99–117. Hofer, Stefan: Streitfragen zu Kristian: eine neue Datierung des Cligés und der übrigen Werke Kristians. In: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 60 (1937), S. 441–443, 835–843. Hunt, Tony: Tradition and Originality in the Prologues of Chrestien de Troyes. In: Forum for Modern Language Studies 8 (1972), S. 320–344. Kahane, Henry and Renée: L’énigme du nom de Cligés. In: Romania 82 (1961), 113–121. Kelly, Douglas (Hg.): The Romances of Chrétien de Troyes. Lexington. French Forum 1985. Ders.: „Translatio studii“. In: Philological Quarterly 57 (1978), S. 287–310. Kinoshita, Sharon: Poetics of Translatio: French-Byzantine Relations in Chrétien de Troyes’s Cligés. In: Exemplaria 8,2 (1996), S. 315–354. Klibansky, Raymond/Panofsky, Erwin/Saxl, Fritz: Saturn und Melancholie. Studien zur Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, der Religion und der Kunst. Frankfurt M. 31998 (stw 1010). Köhler, Erich: ‚Conseil des Barons‘ und ‚Jugement des Barons‘. Epische Fatalität und Feudalrecht im altfranzösischen ‚Rolandslied‘. In: Altfranzösische Epik. Hg. von Henning Krauß. Darmstadt 1978 (WdF 354), S. 368–412. Ders.: Ideal und Wirklichkeit in der höfischen Epik. Studien zur Form der frühen Artus- und Graldichtung. Tübingen 21970 (Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie 97). Ders.: Trobadorlyrik und höfischer Roman. Aufsätze zur französischen und provenzalischen Literatur des Mittelalters. Berlin 1962 (Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft 15). Lacy, Norris J.: Adaptation as Reception: The Burgundian Cligès. In: Fifteenth Century Studies 24 (1998), 198–207. Dies.: Cligès and Courtliness. In: Interpretations 15 (1984), 18–24. Dies.: The Craft of Chrétien de Troyes. An Essay on Narrative Art. Leiden 1980. Dies.: Form and Pattern in Cligès. In: Orbis Litterarum 25 (1970), 307–313. Laurie, Helen C.: Chrétien de Troyes and the love religion. In: Romanische Forschungen 101 (1989), 169–83. Dies.: The „Letters“ of Abelard and Heloise: a Source for Chrétien de Troyes? In: Studi Medievali 28,1 (1986), S. 123–146. Dies.: Two Studies in Chrétien de Troyes. Genève 1972. Legros, Huguette: Du verger royal au jardin d’amour. Mort et transfiguration du locus amoenus (d’après Tristan de Béroul et Cligès). C.U.E.R.M.A. 1990, 215–233. Levine, Robert: Repression in Cligès. In: Substance 15 (1976), 209–221.

III. Forschungsliteratur (in Auswahl)

431

Lloyd, Heather: Chrétien’s Use of the Conventions of Grief Depiction in a Passage from Cligés. In: Forum for Modern Language Studies 20 (1984), S. 317–322. Loomis, Roger Sherman: Arthurian Legends in Medieval Art. London 1938. Ders.: Arthurian Tradition and Chrétien de Troyes. New York, Columbia University Press 1948. Luttrell, Claude: The Figure of Nature in Chrétien de Troyes. In: Nottingham Medieval Studies XVII (1973), 3–16. Ders.: The Heart’s Mirror in Cligés. In: Arthurian Literature XIII. Hg. Von James P. Carley und Felicity Riddy. Cambridge 1995, 1–18. Ders.: Southampton dans le Cligés de Chrétien de Troyes. In: Romania 114 (1996), S. 231–34. Lyons, Faith: The chivalric bath in the Roman d’Alexandre and in Cligés. In: Mélanges de langue et littérature du moyen âge offerts à Taruo Sato. Nagoya, Centre d’études médiévales et romanes 1973, 85–90. Dies.: La fausse morte dans le Cligés de Chrétien de Troyes. In: Mélanges Mario Roques. Bd 1, Paris 1950, S. 167–177. Dies.: Interprétations critiques au XXe siècle du Prologue de Cligés: la translatio studii selon les historiens, les philosophes et les philologues. In: Œuvres et Critiques 5 (1980/81), S. 39–44. Maddox, Donald: The Arthurian Romances of Chrétien de Troyes. Once and future fictions. Cambridge University Press 1991. Ders.: Critical Trends and Recent Work on the Cligés of Chrétien de Troyes. In: Neuphilologische Mitteilungen 74 (1973), S. 740–741. Ders.: Kinship Alliances in Cligés. In: L’Esprit créateur 12 (1972), S. 3–12. Ders.: Pseudo-Historical Discourse in Fiction: Cligés. In: Essays in Early French Literature presented to Barbara M. Craig. Ed. By Norris J. Lac and Jerry C. Nash. French Literature Publications Company York, South Carolina 1982, S. 9–24. Ders.: Roman et manipulation au 12e siècle. In: Poétique 66 (1986), S. 179–190. Ders.: Structure and Sacring: The Systematic Kingdom in Chrétien’s Erec et Enide. Lexington, Ky. French Forum 1978, S. 155–163. Ders.: Trois sur deux: théories de bipartition et de tripartition des œuvres de Chrétien. In: Œuvres et critiques V (1980/81), S. 91–102. McCracken, Peggy: Feminist Approaches to the Body in Medieval Literature. Ed. by Linda Lomperis and Sarah Stanbury. Philadelphia 1993, 38–64. McGrady, Donald: The Hunter Loses His Falcon: Notes on a Motif from Cligés to La Celestina and Lope de Vega. In: Romania 107 (1986), 145–182. Ders.: Amadis et Ydoine. In: Grundriss der romanischen Literaturen des Mittelalters (GRLM), Teil 1, Heidelberg 1978, S. 454 f. Ders.: Cligés. In: GRLM Bd.1, S. 239–247. Micha, Alexandre: Prolégomènes à une édition de Cligès, Paris 1939 (Annales de l’Université de Lyon, 3e série, fasc.8).

432

Bibliographie

Micha, Alexandre: La tradition manuscrite des romans de Chrétien de Troyes, Genève nouvelle édition 1966 (Publications romanes et françaises 90). Ders.: Tristan et Cligès. In: Neophilologus 36 (1952), S. 1–10. Mohr, Wolfgang: Fénices Passion in Chrétiens von Troyes ‚Cligés‘. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 101 (1972), S. 104 f. Noble, Peter S.: Alis and the Problem of Time in Cligés. In: Medium Aevum 39 (1970), 28–31. Ders.: Love and Marriage in Chrétien de Troyes. Cardiff 1982. Nykrog, Per: Chrétien de Troyes. Romancier discutable. Genève 1996 (Publications romanes et françaises CCXIII). Over, Kristen-Lee: Narrative Treason and Sovereign Form in Chrétien de Troyes’s Cligés. In: Comitatus 26 (1995), S. 95–113. Owen, D.D.R.: Profanity and its Purpose in Chrétien’s Cligés and Lancelot. In: Forum for Modern Language Studies 6 (1970), S. 37–48. Paoli, Guy: La relation œil – cœur. Recherches sur la mystique amoureuse de Chrétien de Troyes dans Cligès. In: Le cœur au moyen âge. Senefiance, CUERMA. Aix-en-Provence 1991, S. 235–244. Paris, Gaston: ‚Cligés‘. In: Mélanges de littérature française du Moyen Âge. Publiés par M. Roques. Paris 1912, 229–327 [zuerst im Journal des Savants 1902]. Ders.: La femme de Salomon. In: Romania 9 (1880), 436–43. Payen, Jean-Charles : Le peuple dans les romans de Chrétien de Troyes (Sur l’idéologie de la littérature chevaleresque). In: europe. revue littéraire mensuelle 60 (1982), S. 61–76. Pelan, Margarete: L’influence du Brut de Wace sur les romanciers français de son temps. Geneva 1968. Poirion, Daniel: Cligès: le mythe de la résurgence. In: Résurgences, P.U.F. 1986, 153–164. Polak, Lucie: Cligés, Fénice et l’arbre d’amour. In: Romania 93 (1972), 304–16. Dies.: Chrétien de Troyes. Cligés. Valencia / London 1982. Ribard, Jacques: Le symbolisme des quatre éléments dans le tournoi d’Osenefort du Cligès de Chrétien. In: Les quatre éléments dans la culture médiévale. Göppingen 1983, S. 163–169. Robertson, D.W. Jr.: Chrétiens Cligés and the Ovidian Spirit. In: Comparative Literature 7 (1955), 32–42. Ders.: The Idea of Fame in Cligès. In: Studies in Philology 69 (1972), S. 414–433. Rubey, Daniel: The Troubled House of Oedipus and Chrétien’s Néo-Tristan: Rewriting the Mythologies of Desire. In: Psychoanalytic Review 75 (1988), 67–94. Rychner, Per: Chrétien de Troyes. Romancier discutable. Paris 1996 (Publications Romanes et Françaises 213).

III. Forschungsliteratur (in Auswahl)

433

Salinero, M a Jesús: Introducción a l’„imaginaire“ de Chrétien de Troyes: La feminidad causa de conflicto eroico en Erec, Cligès, Perceval. In: Cuadernos de investigación filológica XI, 1 und 2 (1985), S. 167–185. Settegast, F.: Byzantinisch-Geschichtliches im Cligès und Yvain. In: Zeitschrift für romanische Philologie 32 (1908), S. 400–422. Shirt, David J.: Cligés – A Twelfth-Century Matrimonial Case-Book? In: Forum for Modern Language Studies 18 (1982), S. 75–89. Ders.: Realism in Romance. In: Forum for Modern Language Studies 13 (1977), S. 368–380. Stablein, Patricia Harris: Transformation and Stasis in Cligés. In: An Arthurian Tapestry. Essays in Memory of Lewis Thorpe. Ed. by Kenneth Varty. Glasgow, French Department 1981, S. 151–159. Stanesco, Michel: Cligés, le chevalier coloré. In: L’Hostellerie de Pensée. Études sur l’art littéraire au Moyen Âge offertes à Daniel Poirion. Ed. par Eric Hicks et Manuela Python. Paris 1995, S. 391–402. Stewart, Dana E.: The Arrow of Love. Optics, Gender, and Subjectivity in Medieval Love Poetry. Lewisburg, Bucknell University Press / London: Associated University Press 2003. Stiennon, Jacques: Histoire de l’art et fiction poétique dans un épisode du Cligès de Chrétien de Troyes. In: Mélanges Rita Lejeune. Gembloux 1969, I, S. 659–708. Stierle, Karlheinz: Die literarische Erfindung eines höfischen Ideals. In: Poetica 26 (1994), S. 256–283. Susskind, Norman: Love and Laughter in the Roman Courtois. In: French Review 37 (1964), S. 651–657. Taylor, Jane-H. M.: The Significance of the Insignificant: Reading Reception in the Burgundian Erec and Cligès. In: Fifteenth Century Studies 24 (1998), S. 183–197. Uitti, Karl-D.: Chrétien de Troyes’s Cligés: Romance Translatio and History. In: Conjunctures. Medieval Studies in Honor of Douglas Kelly. Ed. by Keith Busby and Norris J. Lacy. Amsterdam / Atlanta 1994, S. 545–557. Vance, Eugene: Marvelous Signals: Poetics and sign theory in the Middle Ages. Lincoln, University of Nebraska Press 1986. Wagner, Robert Leon: ‚sorcier‘ et ‚magicien‘. Contribution à l’étude du vocabulaire de la magie. Paris 1939. Walter, Philippe: ‚L’or et l’essai‘. Hermétisme et tradition dans Cligès de Chrétien de Troyes. In: Razo. Cahiers d’Etudes médiévales de Nice 11 (1990), S. 9–24. Weston, Jessie L.: The Three Days Tournament. A Study in Romance and Folklore. London 1902.

434

Bibliographie

Wolfzettel, Friedrich: Cligès, Roman „épiphanique“. In: Miscellanea Mediaevalia. Mélanges Philippe Ménard, Bd. II. Paris 1998, S. 1489–1507. Ders.: Doppelweg und Biographie. In: Erzählstrukturen der Artusliteratur. Forschungsgeschichte und neue Ansätze. Hg. von F.W. unter Mitwirkung von Peter Ihring. Tübingen 1999, S. 19–141. Worstbrock, Franz-Josef: Translatio artium. Über die Herkunft und Entwicklung einer kulturhistorischen Theorie. In: Archiv für Kulturgeschichte 47 (1965), S. 1–22. Zaddy, Z. P.: Chrétien Studies. Problems of form and meaning in Erec, Yvain, Clgés and the Charrete. University of Glasgow Press 1973 [zu Cligès: S. 159–180]. Ders.: Les castors ichtyophages de Chrétien de Troyes. In: Le Moyen Age 97 (1991), S. 41–45. Zambon, Francesco: „Neant tient, a neant parole“. Il sogno erotico nel Cligès di Chrétien de Troyes. In: Geografia, storia e poetiche del fantastico. Ed. by Monica Farnetti. Florenz 1995, 72–82.