Carl Schmitt im Kontext: Intellektuellenpolitik in der Weimarer Republik 9783050060453, 9783050059433

Carl Schmitt verfügt heute über eine so breite und stets wachsende internationale Leserschaft wie kein anderer deutscher

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Carl Schmitt im Kontext: Intellektuellenpolitik in der Weimarer Republik
 9783050060453, 9783050059433

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Stefan Breuer Carl Schmitt im Kontext

Stefan Breuer

Carl Schmitt im Kontext Intellektuellenpolitik in der Weimarer Republik

Akademie Verlag

Abbildung auf dem Cover: Carl Schmitt. ca. 1928, © Carl-Schmitt-Gesellschaft e. V.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2012 Ein Wissenschaftsverlag der Oldenbourg Gruppe www.akademie-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Frank Hermenau, Kassel Druck und Bindung: Beltz Bad Langensalza Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. ISBN 978-3-05-005943-3 E-Book 978-3-05-006045-3

Inhaltsverzeichnis

I.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II.

Münchner Eröffnung: Vom „metaphysischen Hokuspokus“ zum „konservativen Gott“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

III. Die Revolution gewinnen. Carl Schmitt und die andere Sieyes-Linie . . . . . 45 IV. Begriffe des Politischen. Carl Schmitt und Max Weber . . . . . . . . . . . . . 81 V.

Den Adler des Zeus nähren: Carl Schmitt im Dialog mit Otto Kirchheimer, Ernst Fraenkel und Franz Neumann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

VI. Von der nationalen Demokratie zum totalen Staat . . . . . . . . . . . . . . . 143 VII. Schmittianische Interventionen I: Der Ring . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 VIII. Schmittianische Interventionen II: Das Deutsche Volkstum . . . . . . . . . . 199 IX. Carl Schmitt und die Generation des Unbedingten . . . . . . . . . . . . . . . 233 X.

Ein später Schüler Spenglers? Carl Schmitt und die „Raumrevolution“ . . . . 257

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . a. Archive . . . . . . . . . . . b. Schriften von Carl Schmitt . c. Briefwechsel . . . . . . . . d. Sekundärliteratur . . . . . .

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Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299

I

Einleitung

Carl Schmitt verfügt heute über eine so breite und stets wachsende internationale Leserschaft wie kein anderer deutscher Staatsrechtslehrer des vergangenen Jahrhunderts. Das dürfte nicht zum wenigsten an seinem ausgeprägten Sensorium für die neuralgischen Punkte des staatsrechtlichen Diskurses der Moderne liegen: für die Krise des modernen Staates kontinentaleuropäischer Prägung; für die Dekomposition des klassischen juristischen Rationalismus; für die Brüchigkeit der Normalität und die ewige Wiederkehr der Ausnahme; für die ‚Enthegung‘ und Irregularisierung des Krieges; für den antagonistischen Charakter bestimmter Interessenlagen, die in zentralen Fragen nur ein EntwederOder und allenfalls dilatorische Formelkompromisse zulassen; für die Widersprüche moderner Massendemokratien, die die Grenzen zwischen Staat und Gesellschaft zum Verschwimmen bringen und sich zugleich schwertun, der Verselbständigung exekutivischer Apparate entgegenzusteuern; für die aggressiven Dimensionen, die prima facie auf Frieden, Verständigung und „Emanzipation“ gerichtete Ideen entfalten können; endlich für die Probleme einer Massenkommunikation, die sich durch Unberechenbarkeit, Ruhelosigkeit und Unabschließbarkeit auszeichnet.1 Verstärkt wird die Anziehungskraft durch die ungewöhnliche Art, wie Schmitts Werk sich präsentiert – als eine Mischung aus konträren und letztlich inkompatiblen Typen des Denkens und des Wissens, deren einer in der Sphäre der Begriffe, der logischen Deduktion und der diskursiven Erörterung sich bewegt, deren anderer in der Welt der Bilder, der Symbole, der mythischen Narration.2 Das breite Bildungsreservoir, aus dem dieses Werk schöpft, die Evokation religiöser und esoterischer Traditionen, die Neigung zur Chiffrierung, dies alles stimuliert immer neue Versuche, den verborgenen Kern, das Kohärenz und Kontinuität stiftende arcanum herauszufinden. Und so reißen denn 1

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Zu dieser anhaltenden Aktualität Schmittscher Themen vgl. etwa Vesting, Erosionen staatlicher Herrschaft; Die permanente Revolution; Balke, Die Signatur des Feindes. Beide Autoren arbeiten allerdings auch sehr genau die shortcomings heraus, denen Schmitts Behandlung dieser Themen unterliegt. Vgl. Sombart, Jugend in Berlin, S. 257 f.

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auch seit Jahrzehnten die Vorschläge nicht ab, wo dieses zu finden sei: in der politischen Theologie, die entweder im neopaganen oder im katholischen Sinn verstanden werden kann; im okkasionellen Dezisionismus; im politischen Existenzialismus oder Expressionismus; in der Verteidigung der bürgerlichen Gesellschaftsordnung; im fundamentalistischen Antimodernismus; im Etatismus, Nationalismus, Antisemitismus oder gar, arcanum arcanorum, der Bisexualität.3 Der hermeneutische Zugriff hat bedeutende Leistungen hervorgebracht, deren Qualität niemand geringschätzen wird, der sich daran macht, einen Weg durch das Werk Carl Schmitts zu finden. Aber zum einen heben sich diese Deutungen wechselseitig auf, und zum andern ist nicht zu übersehen, wo ihre methodische Schwäche liegt. Hermeneutik mag angemessen sein, wenn es um die Entschlüsselung eines einzigen Textes geht. Sie wird problematisch, wenn sie auf ein Lebenswerk angewendet wird, das sich über mehr als sechs Jahrzehnte erstreckt und dabei immer wieder Akzentverlagerungen, Neuorientierungen und Revisionen erfahren hat, für die der jeweilige historische Kontext alles andere irrelevant war. Das muß nicht bedeuten, daß in ihm bestimmte leitende Gesichtspunkte oder Fragestellungen fehlen, die eine gewisse Kontinuität verbürgen. Aber diese können nur a posteriori ermittelt und nicht a priori unterstellt werden, wie dies für ein Vorgehen typisch ist, das das Textcorpus isoliert und der zeitlichen Folge seiner Bestandteile keine Bedeutung beimißt. In diesem Buch wird es deshalb nicht darum gehen, einen der vermeintlichen Schlüssel zum Werk zu bestätigen oder gar die Liste derselben um einen weiteren zu bereichern. Anstatt dem objektiv gültigen Sinn nachzuforschen, beschränke ich mich auf den subjektiv gemeinten Sinn, und das in strikt historischer und kontextbezogener Einstellung. Dies erscheint besonders für einen Autor wie Schmitt angemessen, der sich nicht nur als Staatsrechtler, Philosoph oder Theologe verstanden hat, sondern auch als politischer Akteur; und der unmißverständlich klar gemacht hat, worin für ihn das spezifisch Politische besteht: in der Fähigkeit, Freund und Feind unterscheiden zu können. Selbst wenn man sich dieses Verständnis des Politischen nicht zueigen macht, ist doch entscheidend, daß es für Schmitt von essentieller Bedeutung gewesen ist. Sein politisches Denken und Handeln ist durch intensive Freundschaften und Feindschaften markiert, im direkten Sinne mit zahlreichen herausragenden Zeitgenossen aus Wissenschaft und Politik, im übertragenen Sinne aber auch mit vielen Repräsentanten der Ideengeschichte, mit denen Schmitt ein kontinuierliches Geistergespräch geführt hat. Auch seine persönliche Lebensgestaltung war durch eine derartige Permanenz und Dichte der Kommunikation geprägt, daß kaum nachvollziehbar ist, wie dieser Autor auch noch die Zeit gefunden hat, ein wissenschaftliches Werk von solchem Umfang und solcher Qualität zu verfassen. Ein Blick in die Tagebücher aus der Endphase der Weimarer Republik genügt, um zu sehen, daß so etwas wie interaktionsfreie Nachmittage oder Abende in Schmitts Alltag schlechterdings nicht vorkamen. Vieles davon mag eher für den Biographen von 3

Ich verzichte auf bibliographische Angaben. Sie würden mehrere Seiten füllen. Gute Zwischenbilanzen finden sich im Vorwort zu den Neuauflagen von Hasso Hofmanns Buch Legitimität gegen Legalität, das sich nicht nur wegen seiner Sachkenntnis, sondern auch wegen seiner Bemühung um eine chronologische Darstellung als Standardwerk behauptet hat, ferner bei Caldwell, Controversies over Carl Schmitt.

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Interesse sein, doch wäre es methodisch unhaltbar, darin nur historische Quisquilien zu sehen. Carl Schmitt, dieser Eindruck wird von vielen Zeitzeugen bestätigt, war „ein großer Dialektiker“, der seine Wirkung nicht zuletzt im Seminar entfaltete: „Er liebte sehr den Widerspruch und versuchte die Argumente zu zerpflücken.“4 Dieser Aspekt erschließt sich am besten in Studien, die Schmitt im Kontext zeigen: im Dialog mit Gestalten, an denen er sich abgearbeitet hat, in der Auseinandersetzung mit Weggefährten, Schülern und Gegnern. Ein solches Vorgehen fordert natürlich ebenfalls seinen Preis: aus der einen großen Erzählung wird ein Kaleidoskop, der Wald tritt hinter den Bäumen zurück. Um ihn dennoch nicht ganz aus den Augen zu verlieren, habe ich mich für eine Beschränkung in zeitlicher und sachlicher Hinsicht entschieden. Als Untersuchungszeitraum wurde die Weimarer Republik gewählt, mit jeweils einem kurzen Ausblick auf die Vor- und Nachgeschichte. Sachlich konzentriert sich das Buch auf Intellektuellenpolitik, auf die Versuche Schmitts und einiger seiner Schüler, außerhalb des Feldes, in dem sie über professionelle Expertise verfügten – dem universitären bzw. wissenschaftlichen Feld – zu politischem Einfluß und Macht bzw. Herrschaft zu gelangen, indem sie als Organisatoren politischer Öffentlichkeit in der zeitgenössischen Publizistik auftraten, bisweilen aber auch Funktionen politischer Beratung in Expertengremien wahrnahmen. Während eine Begrenzung des Untersuchungszeitraums zu den Freiheiten gehört, die einem Autor normalerweise zugebilligt werden, dürfte die Entscheidung, Carl Schmitts Wirken unter der Überschrift „Intellektuellenpolitik“ zu erörtern, nicht unwidersprochen bleiben. Als Ulrich Herbert im Rahmen einer Tagung über dieses Thema Schmitts Großraumtheorie und die von ihr ausgelöste Diskussion innerhalb des NS-Regimes ins Visier nahm,5 handelte er sich den harschen Protest Kurt Sontheimers ein, der es für „unannehmbar“ hielt, „die geistigen Beweihräucherer des NS-Staates und seiner Ideologie als Intellektuelle zu bezeichnen und die ‚Prinzipien des völkischen Radikalismus‘, die sie in der Debatte mit Schmitt vertraten, als eine intellektuelle Position zu deuten.“ Die „Propagandisten und Apologeten des Völkermords und der rassischen Reinheit des deutschen Volkes“ gehörten nach Sontheimer nicht zu den Intellektuellen. „Denn ein Rest an Humanität muß dem Intellektuellen innewohnen, wenn der Begriff nicht völlig entwertet werden soll.“6 Die Frage, ob Carl Schmitt und seine Schüler zu den Propagandisten und Apologeten des Völkermords gehörten, bezieht sich auf eine Phase, die außerhalb des hier gewählten Untersuchungszeitraums liegt und muß daher an dieser Stelle unbeantwortet bleiben.7 Davon unabhängig ist die Frage nach der Tauglichkeit des von Sontheimer verwendeten Intellektuellenbegriffs, der sich offensichtlich an dem lange Zeit in 4

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Rudolf Jestaedt an Piet Tommissen, Brief vom 19.4.1993, in: Becker, Briefe, S. 117. Jestaedt hörte im Wintersemester 1940/41 bei Schmitt in Berlin. Vgl. auch Carl Schmitt – Briefwechsel mit einem seiner Schüler (1995), S. 219. Auch Ernst Rudolf Huber würdigt ausdrücklich Schmitts „Freude an der streitbaren Diskussion“: Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Brief vom 7.7.1948, Nachl. Huber, N 1505, 198. Vgl. Herbert, Intellektuelle im „Dritten Reich“. Kurt Sontheimer, Geist und Mandat. Einige Überlegungen dazu bei Balke, Die Signatur des Feindes, S. 140 ff.

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Frankreich dominierenden Typus des „universellen Intellektuellen“ orientiert, „der der Macht, dem Despotismus, den Mißbräuchen, der Arroganz des Reichtums die Universalität der Gerechtigkeit und Gleichheit eines idealen Gesetzes entgegensetzte.“8 Obwohl eine derartige Einengung sich auf prominente Befürworter wie Pierre Bourdieu und Jürgen Habermas berufen kann,9 hat sie doch zwei Nachteile: sie koppelt den Begriff des Intellektuellen an ein Werturteil und ist damit normativ, nicht analytisch; und sie definiert ihn durch Abgrenzung von einem Gegentypus, dem Experten, der seine symbolischen Leistungen und sein Wissen den „Herrschenden“ zur Verfügung stellt.10 Die neuere Forschung folgt diesen Vorgaben denn auch überwiegend nicht. Sie knüpft eher an den analytischen Wissenschaftsbegriff Max Webers an und bezieht in den Begriff des Intellektuellen alle diejenigen ein, „welche die ‚circulation des idées‘ betreiben, in kreativ prägender wie auch in medienverteilender Funktion“,11 also etwa auch den gerade für die deutsche Entwicklung prägenden Typus des „Gelehrten-Intellektuellen“, der sich im „Dreieck aus wissenschaftlicher, publizistischer und politischer Aktivität“ bewegt.12 Ein solcher Gelehrten-Intellektueller aber ist Carl Schmitt gewesen: vor 1933 in kritischer Funktion, anschließend affirmativ-apologetisch, nach 1945 wieder in kritischer Distanz. Daß er dabei durchweg von rechts argumentierte und in den idées générales ideologische Waffen sah, mag ihn in den Augen seiner politischen Gegner disqualifizieren. Vom Standpunkt einer analytischen Wissenschaft ist dies ebensowenig ein Grund, ihn aus dem Kreis der Intellektuellen auszuschließen, wie Schmitts 1933 unternommener Versuch, sich selbst davon auszunehmen und die Intellektuellen in toto aus dem deutschen Volk und dem deutschen Geist zu verbannen.13 Es geht also, noch einmal, um subjektiven, nicht um objektiven Sinn; und hierbei wiederum vornehmlich um solchen, der sich im politischen Feld artikuliert hat, was immer zugleich heißt: im Streit, in der Konfrontation. Entsprechend verfolgt das Buch zunächst Schmitts Weg in die Politik, seine Abstoßung von der fundamentalistischen Antipolitik eines Theodor Däubler und seine Positionsbestimmung im Spannungsfeld von Revo8

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Foucault, Dispositive der Macht, S. 47. Foucault sieht diesen Typus seit dem Zweiten Weltkrieg durch einen neuen Typ abgelöst, den „spezifischen Intellektuellen“. In dessen Begriff wird dann zwar die Expertenrolle hineingenommen, doch bleibt er auch jetzt noch auf die Funktion der Kritik festgelegt, was im Lichte der Soziologie Max Webers zu eng ist. Auch die Erstellung von Legitimitätslegenden ist eine genuine Aufgabe von Intellektuellen. Thomas Hertfelder spricht deshalb mit Recht von „Teilhabe an der Macht“ und schlägt dafür den Begriff des „Mandats“ vor, der demjenigen der Kritik gleichrangig zur Seite stehe: vgl. Hertfelder, Kritik und Mandat, S. 21. Vgl. Bourdieu, Die Intellektuellen und die Macht, S. 41 ff.; Habermas, Eine Art Schadensabwicklung, S. 29. Vgl. Schwingel, Pierre Bourdieu, S. 132. Das gilt auch noch für manche flexibleren Definitionen, die vom Universalismus absehen. So ist nach Stefan Collini eine wesentliche Voraussetzung für die Rolle des Intellektuellen das „attainment of a level of achievement in an activity which is esteemed for the non-instrumental, creative, analytical of scholarly capacities it involves“: Collini, Absent Minds, S. 52 (Hervorh. von mir, S. B.). Hübinger, Die politischen Rollen europäischer Intellektueller, S. 36 (im Anschluß an Formulierungen von Jean François Sirinelli). Hübinger, Gelehrte, Politik und Öffentlichkeit, S. 231. Schmitt, Die deutschen Intellektuellen, in: Westdeutscher Beobachter, Nr. 126 vom 31.5.1933. Zum Thema noch: Blanke, Carl Schmitt – Ein intellektueller Antiintellektueller.

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lution und Gegenrevolution (Kapitel 1–3), um sich dann den Verfassungskämpfen in der Endphase der Weimarer Republik zuzuwenden (Kapitel 4–8). Der politischen Polarisierung der Zeit gemäß liegt die Aufmerksamkeit dabei auf den Extrempolen des Spektrums, wodurch manche anderen Bezüge wie etwa das Verhältnis zum politischen Katholizismus zu kurz kommen. Da dieses sich indes in den Verfassungskämpfen kaum niedergeschlagen hat, im übrigen auch bereits ausgiebig erörtert wurde,14 erschien es mir gerechtfertigt, diesen Punkt knapp zu halten und mich statt dessen auf andere, noch nicht oder weniger bekannte Verbindungen zu konzentrieren. Dieses Buch wäre nicht möglich gewesen ohne die im Vergleich zu den 80er und 90er Jahren erheblich erweiterte Quellenbasis, die den Herausgebern der Tagebücher und Briefschaften Carl Schmitts zu danken ist. Weiterer Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verschiedener Archive, insbesondere des Bundesarchivs Koblenz und des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen, in denen sich die Nachlässe von Ernst Rudolf Huber und Carl Schmitt befinden. Professor Jürgen Becker (München) ist für die großzügige Genehmigung zur Benutzung des Schmitt-Nachlasses zu danken, Gerd Giesler (Berlin) für eine Reihe wertvoller Hinweise und Einblick in die in Vorbereitung befindlichen Tagebücher Schmitts aus den Jahren 1921 bis 1924, Armin Gliem (Leipzig) für Unterstützung bei der Literaturbeschaffung zu Wilhelm Grewe, Christa Schill (Eisenach) für die Entzifferung der Briefe von Ernst Rudolf Huber an Tula Simons, Ina Schmidt (Haffkrug) für ihre Hilfe bei den Archivrecherchen. Zur Zitierweise: Carl Schmitts Schriften werden überwiegend nach jüngeren Ausgaben zitiert. Sie sind über das Erscheinungsdatum im Literaturverzeichnis leicht erschließbar. Bei Aufsätzen, die später in Sammelbände aufgenommen wurden, wird jeweils das Ersterscheinungsdatum mitgenannt. Zur Entlastung des Literaturverzeichnisses werden Aufsätze aus der zeitgenössischen politischen Publizistik nur in den Fußnoten ausgewiesen.

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Vgl. etwa Galli, Carl Schmitt; Wacker (Hrsg.), Die eigentlich katholische Verschärfung; Koenen, Der Fall Carl Schmitt; Hürten, Der katholische Carl Schmitt; Dahlheimer, Carl Schmitt und der deutsche Katholizismus.

II Münchner Eröffnung: Vom „metaphysischen Hokuspokus“ zum „konservativen Gott“

Fast sieben Jahre, vom Februar 1915 bis Oktober 1921, hat Carl Schmitt in München verbracht. Es waren prägende Jahre, vor allem, was das Verhältnis zur Politik betraf. Hier erlebte er, wenn auch fern der Front, den Krieg, hier, nun wesentlich hautnäher, Revolution und Gegenrevolution. Hier wurde er schließlich zum politischen Denker. Seine akademischen Qualifikationsarbeiten hatten sich mit rechtstheoretischen Fragen befaßt und Politik explizit ausgeschlossen, auch und gerade dort, wo es um Recht und Macht oder die Wesensbestimmung des Staates ging. Seine einschlägige Studie über den „Wert des Staates“ bezeichnete Schmitt als eine „prinzipielle, nicht politische Untersuchung, der es auf die philosophische Erkenntnis, nicht auf Parteiziele und –zwecke ankommt“.1 Nicht weniger außen vor blieb die Politik in den nichtjuristischen Gelegenheitsarbeiten wie den Schattenrissen, die primär literarische bzw. satirische Zwecke verfolgten.2 Erst mit der im Sommer 1918 abgeschlossenen Politischen Romantik betrat er explizit das politische Feld. Auch wenn dieses Buch noch ein Produkt des Kaiserreichs war, bildete es doch sein Entréebillet für die Weimarer Republik und beschäftigte ihn noch in deren ersten Jahren. 1920 folgte ein Aufsatz über die politische Theorie der Romantik in der Historischen Zeitschrift, 1925 eine zweite, erheblich überarbeitete Auflage des Buches. Man muß in ihm nicht gerade, wie Nicolaus Sombart, den „Männlichkeitsnachweis“ sehen, der Schmitt legitimiert habe, sich ernsthaft mit Politik zu beschäftigen.3 Daß es jedoch einen Einschnitt in seiner Entwicklung bedeutete, ist sicherlich richtig. Was aber genau hat ihn dahin gebracht? 1. Carl Schmitt kam nach München in einer Phase seiner Entwicklung, die von Unentschiedenheit und Zerrissenheit geprägt war. In seiner ersten größeren Monographie nach der 1 2 3

Schmitt, Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen (2004), S. 45. Vgl. Villinger, Carl Schmitts Kulturkritik der Moderne. Vgl. Sombart, Die deutschen Männer und ihre Feinde, S. 122.

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Doktorarbeit hatte er sich weit vom Prinzip der Geschlossenheit und Lückenlosigkeit der Rechtsordnung entfernt, das zu den zentralen Dogmen des Positivismus zählte. Zugleich hatte er dies jedoch ausdrücklich auf die Rechtsanwendung beschränkt und davon die wissenschaftliche Verarbeitung des Rechts unterschieden.4 Mit Blick auf die „Theorie des geltenden Rechts, die bei einer Nichtbeachtung alles dessen, was nicht aus dem Gesetz begrifflich zu deduzieren ist, ihrem Wesen nach mit der Methode einer Praxis nichts zu tun haben kann“,5 schloß er sich der neukantianischen Rechtslehre an, die das Recht als autonomes, von aller bloßen Faktizität, aber auch von Moral und Ethik strikt geschiedenes Normensystem verstand, als eine Welt von ‚vollendeter Geschlossenheit‘.6 Den Übergang vom Sollen ins Sein konnte das Recht allerdings nicht selbst bewerkstelligen. Es bedurfte vielmehr der Vermittlung des Staates, der „als Übergangspunkt der einen Welt zur andern“ fungieren sollte.7 Vom Recht her empfange er seine Aufgabe und seine Autorität, von der Faktizität die Mittel, diese Aufgabe zu erfüllen: Macht, Gewalt, Zwang.8 Infolge dieser Beziehung seien sowohl das Recht als auch der Staat durch einen „Dualismus“ charakterisiert: auf der einen Seite das originäre, nichtstaatliche, „abstrakte Recht“ und der „ideale“, nur durch das Recht determinierte Staat (Rechtsstaat); auf der anderen das „staatliche Recht“ und der reale, durch Macht bestimmte Staat.9 Ähnlich zerrissen stellte sich das Individuum dar. Soweit der Staat als Erscheinung des Rechtsgedankens gefaßt werde, entbehre es der Autonomie, sei es belanglos, ersetzbar und auswechselbar, der „zufällige Träger der allein wesentlichen Aufgabe, der bestimmten Funktion, die es zu erfüllen hat“.10 Soweit der Staat jedoch Machtkomplex sei, könne das Individuum „in vieldeutiger Unklarheit als Träger berechtigter Forderungen“ auftreten, die sich gegen den Staat richteten und diesen als „ein Mittel für materielle Zwecke“ betrachteten – eine Konstellation, die im Zeitalter der Mechanisierung und des dadurch bedingten Aufstiegs des „Zweckmenschentums“ zur Regel zu werden drohe.11 4 5 6

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Vgl. Korioth, Erschütterungen des staatsrechtlichen Positivismus, S. 215 ff., 220. Schmitt, Gesetz und Urteil, S. 56 f.; vgl. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 32 f. Vgl. Schmitt, Der Wert des Staates (2004), Inhaltsverzeichnis. Es überrascht deshalb nicht, daß dieses Buch in der Kelsen-Schule positiv aufgenommen und noch nach Jahren gegen Schmitts spätere Schriften ausgespielt wurde: vgl. Mehring, Carl Schmitt, S. 27,33, 65; Kraft-Fuchs, Prinzipielle Bemerkungen. – Informativ zur neukantianischen Rechtslehre: Dreier, Rechtslehre, S. 56 ff.; Kersting, Neukantianische Rechtsbegründung. Maßgeblich für diese Sichtweise dürften die Einflüsse gewesen sein, die Schmitt während des Studiums in Straßburg (1908–1910) erfahren hat. Auch wenn er in der Abgrenzung des Rechts von der Ethik durchaus eigene Akzente setzte, lassen doch sowohl die Dissertation als auch die Habilitationsschrift eine Abhängigkeit von neukantianischen Positionen erkennen, insbesondere von Rickert (vgl. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 58 f.). Darüber hinaus hat Schmitt Werke von Radbruch, Kelsen, Stammler und Cohen extensiv exzerpiert und kommentiert, wie die Beilage zum Tagebuch von 1912 belegt: Tagebücher (2003); dort über Stammlers Theorie der Rechtswissenschaft, S. 73 ff. Vgl. Schmitt, Der Wert des Staates (2004), S. 56. Vgl. ebd., S. 59. Vgl. ebd., S. 77. Vgl. ebd., S. 101, 89, 87. Ebd., S. 99. Vgl. dazu auch Schmitts Besprechung von Walther Rathenaus Kritik der Zeit (in: Die Rheinlande. Monatsschrift für deutsche Kunst und Dichtung, Bd. 22, 1912, S. 323–324) mit ihrer Diagnose, daß sich im Zuge der Mechanisierung der Weltwirtschaft ganze Zweige der Staatsver-

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Wenn freilich die Macht der Individuen mit derjenigen des Staates zusammenpralle, sei nicht nur mit einer Instrumentalisierung des Staates zu rechnen, sondern ebenso sehr mit einer „Vernichtung des Individuums“ durch den Staat.12 Man kann nicht sagen, daß Schmitt sich über die damit gesetzten Spannungsverhältnisse hinreichend Rechenschaft abgelegt hätte. Dafür war sein Idealismus noch zu groß. Zwischen dem Kosmos des ideellen Geltensollens und der empirischen Welt mochte ein Hiatus klaffen, doch war dieser mitnichten unüberbrückbar. In „Zeiten der Unmittelbarkeit“ war die „Hingabe des Einzelnen an die Idee etwas den Menschen Selbstverständliches“, weshalb es nicht erst des Staates bedurfte, um dem Recht Anerkennung zu verschaffen. In „Zeiten der Mittelbarkeit“ hingegen, zu denen Schmitt auch die Gegenwart rechnete, wurde dem Menschen wohl „das Mittel zum Wesen, der Staat zum Wichtigsten“, doch bestand auch jetzt noch die Chance, der Idee zum Sieg zu verhelfen, indem nämlich der Staat zum „Rechtsstaat“ sublimiert werde, der ganz in der „Verwirklichung des Rechts“ aufgehe.13 Ob Unmittelbarkeit oder Mittelbarkeit: in jedem Falle gelangte der junge Schmitt zu einem beruhigenden Ergebnis. Könne man in Zeiten der Unmittelbarkeit gewiß sein, „daß alle Gewässer, die imposanten Ströme wie die kleinen Bäche, schließlich im Meere enden, um in dessen Unendlichkeit ihre Ruhe zu finden“, so könne der „Advokat der Mittelbarkeit“ immerhin darauf verweisen, daß „die Quelle, die weit vom Meere entspringt und ihren Weg durch Hindernisse suchen muß, zum majestätischen Strome werden kann“.14 Daß die Hindernisse den Lauf hemmen könnten, war in dieser Metaphorik nicht vorgesehen. In schroffem Gegensatz hierzu stehen die privaten Zeugnisse, in denen Schmitt seinen Seelenzustand dokumentierte. Was dabei vor allem ins Auge springt, ist die Intensität, mit der sich Schmitt jenen „innerweltlichen Mächten des Lebens“ hingab, deren Wesen, mit den Worten seines Zeitgenossen und zukünftigen Lehrers Max Weber ausgedrückt, „von Grund aus arationalen oder antirationalen Charakters ist.“15 Dazu gehörte, wie beinahe jede Seite der Tagebücher lehrt, die Erotik, genauer: die Erotomanie, die Fi-

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waltung in reine Geschäftsbetriebe verwandelten. In den gleichzeitig verfaßten Schattenrissen ist Rathenau zwar Gegenstand einer ätzenden Satire (vgl. Villinger, Carl Schmitts Kulturkritik der Moderne, S. 18 ff., 78 ff., 191 ff.), doch sollte man darüber nicht übersehen, daß Schmitt Rathenaus Darstellung der Zeit zwar einen fehlenden Wertmaßstab, zugleich aber eine ‚großartige Eleganz‘ und eine ‚erstaunliche Spannweite des Horizonts‘ bescheinigt (Schmitt, Kritik der Zeit, S. 324). Die Satire dürfte auf Rathenaus Weigerung zurückgehen, sich für das Werk Theodor Däublers einzusetzen: vgl. Buddensieg, Industriekultur, S. 85. Wie ambivalent Schmitts Einstellung war, wird aus Tagebuchnotizen des Jahres 1922 deutlich, die die Ermordung Rathenaus und den Suizid seiner Mörder kommentieren. Als er am 24.6. die Nachricht vom Attentat liest, notiert er: „Entsetzlicher Schreck. Angst, das Gefühl fürs Schicksal. Also das war sein Schicksal, so sollte er sterben, dieser gebildet, schöne, überlegen-schwache Mensch. Entsetzlich.“ Knapp vier Wochen später, am 18.7., heißt es: „Zu Hause etwas Bakunin, gegessen, immer beherrscht und ergriffen, die Mörder Rathenaus haben Selbstmord begangen, sie haben vorher gerufen: Hoch Ehrhardt. Es hat doch Stil und Größe. Inzwischen bin ich ganz auf ihrer Seite, die armen Kerls, die monatelang von der Polizei gehetzt wurden“ (Schmitt, Tagebücher 1921 bis 1924). Schmitt, Der Wert des Staates (2004), S. 107. Ebd. Ebd., S. 108. Weber, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Konfuzianismus und Taoismus, S. 499.

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xierung auf den erotischen Rausch und den Selbstgenuß der eigenen sexuellen Potenz, die Schmitt immer neue Sensationen suchen und ihm jede längere Beziehung früher oder später als Gefängnis erscheinen ließ. Dazu gehörten ferner die Erscheinungen der ästhetischen Sphäre, die aus den gleichen Motiven gesucht und in ähnlicher Weise konsumiert wurden: als Rauschmittel, Medien zur Aufhebung des principium individuationis. In der Musik zeigte sich dies in einem Faible für die Romantiker und vor allem für Richard Wagner, dessen Werk schon Nietzsche als „berauschendes und zugleich benebelndes Narkotikum“ zuerst gefeiert, später verworfen hat;16 in der Literatur in einer Präferenz für Lyrik: für einen Parnassien wie Leconte de Lisle, an dessen Poemen sich Schmitt „berauscht“,17 für Georg Trakl, dessen Gedichte aus dem Brenner er von seiner Frau abschreiben läßt;18 und vor allem für Theodor Däubler, den Verfasser des 1910 in drei voluminösen Bänden erschienenen Werkes Das Nordlicht, den Schmitt 1912 durch die Vermittlung seiner Studienfreunde Franz Kluxen und Fritz Eisler auch persönlich kennenlernte.19 Däublers Buch präsentierte sich zwar als Epos und wurde von Schmitt auch so aufgenommen, zeigte sich aber bei näherer Betrachtung eher als „eine Zusammenordnung zahlloser Einzelgedichte (…), die nicht nach einem bestimmten Entwurf, als Teile eines Ganzen entstanden sind“. Ihr Autor, so ist mit Recht festgestellt worden, schrieb nicht aus der „Überschau eines Epikers, der die Totalität seines Weltbildes in abgemessenen Schritten entfaltet“, er artikulierte „sich vielmehr mit der Spontaneität eines Lyrikers, immer hingerissen von der momentanen Gemütsbewegung.“20 Schmitt selbst sah dies imgrunde auch so, wenn er am Nordlicht vor allem die Musikalität der Sprache hervorhob, die Fähigkeit, „durch die absolute Musik eines Wortes, die Farben der Vokale und Konsonanten einen bestimmten Ausdruck zu erreichen, mit einer solchen Gewalt, dass daneben alle Versuche dieser Art, die von Rimbaud nicht ausgenommen, wie unsichere Ahnungen oder kleinliche Spielereien dastehn.“21

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Vgl. Nietzsche, Die Geburt der Tragödie, S. 17. Schmitts Jugendbriefe (2000) an seine Schwester sind voller Wagner-Bezüge. Mit einem seiner frühen Aufsätze hat es Schmitt 1912 sogar bis ins Allerheiligste des Wagnerismus gebracht: vgl. Richard Wagner und eine neue ‚Lehre vom Wahn‘, in: Bayreuther Blätter 35, S. 239–241. Dazu näher Mehring, „eine rein interne jüdische Angelegenheit“. Schmitt, Tagebücher (2003), S. 113. Eintrag vom 28.10.1913. Vgl. Schmitt, Die Militärzeit (2005), S. 74. Eintrag vom 26.5.1915. Vgl. Carl Schmitt an Auguste Schmitt, Briefe vom 19.1., 20.6. und 20.7.1912, in: Schmitt, Jugendbriefe (2000), S. 127 f., 153, 156. Theodor Däubler wurde 1876 in Triest geboren. Nach der mit dem Abitur abgeschlossenen schulischen Ausbildung lebte er als freier Schriftsteller, oft unter prekären finanziellen Verhältnissen, u. a. in Wien und Paris sowie immer wieder in Italien. Durch die Vermittlung seines Freundes Moeller van den Bruck gelang es ihm 1910, das Nordlicht im Georg Müller Verlag herauszubringen. Während des Ersten Weltkriegs hielt er sich in Dresden und Berlin auf; zeitweise war er als Kunstreferent beim Berliner Börsen-Kurier beschäftigt. 1920/21 entstand in Genf die sogen. Genfer Ausgabe des Nordlichts. Anschließend verbrachte Däubler vier Jahre in Griechenland. 1926 kehrte er nach Deutschland zurück, wo er 1934 starb. Vgl. die Zeittafel in Rietzschel, Theodor Däubler. Rietzschel, Theodor Däubler, S. 68. Schmitt, Theodor Däubler, der Dichter des Nordlichts, in: Tagebücher (2003), S. 350. (Es handelt sich um einen vor 1914 entstandenen Text, der aus dem Nachlaß veröffentlicht wurde).

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Was Schmitt an Däubler anzog, war eine Kombination unterschiedlicher Faktoren. Auf der persönlichen Ebene scheint er zumindest zeitweise Däubler als Charismatiker wahrgenommen zu haben, wie dies im übrigen auch für andere galt, insbesondere Bildhauer und Maler wie Ernst Barlach, Otto Dix und George Grosz, die von der rein physischen Präsenz dieses Kolosses nicht weniger überwältigt waren als von dessen Glossolalie.22 Für den jungen Schmitt und seinen Freundeskreis bot sich hier die Chance, durch die Unterstützung eines verkannten Genies symbolisches Kapital zu akkumulieren, während Däubler seinerseits dankbar die Anerkennung und Bewunderung aufnahm, die man ihm hier entgegenbrachte. Schon kurz nach der ersten Fühlungnahme kam er gleich auf sechs Wochen nach Düsseldorf zu einem Besuch bei Schmitt und reiste zusammen mit ihm und dem Kunstmäzen Albert Kollmann durch das Rheinland und das Elsaß.23 In den beiden folgenden Jahren kam es zu weiteren längeren Begegnungen: im Juni 1913 in Düsseldorf und im Dezember 1914 in Berlin, als Schmitt dort die zweite Staatsprüfung absolvierte.24 In der Zwischenzeit gingen häufig Karten und Briefe hin und her. Seiner Schwester gegenüber schwärmte Schmitt von Däubler als dem ‚größten Dichter der Gegenwart‘ und sicherte sich damit gleich selbst ein Stück dieses Glanzes.25 Im Tagebuch war vom „edlen, großartigen Däubler“ die Rede und von der Verwunderung darüber, daß das Publikum von heute nicht wisse, „welche sensationelle Sache es ist, sich in das Nordlicht von Däubler hineinzulesen.“26 Auf der sachlichen Ebene bot das Nordlicht eine Bestätigung für die Überzeugung, daß der Dualismus von Sollen und Sein, Geist und Welt, nicht das letzte Wort war, daß begründete Aussicht auf einen „Sieg des Geistes, die Ueberwindung aller Relativität, die Erringung der Transzendenz“ bestand.27 Das war für Schmitt offenbar so wichtig, daß er die problematischen Seiten des Werkes nicht wahrnahm: seine eklatanten literarischen Schwächen, den ‚neomythischen‘ Duktus des Ganzen, und nicht zuletzt seine Affinität zum „metaphysischen Hokuspokus“, an der selbst so wohlwollende Interpreten wie Friedhelm Kemp Anstoß genommen haben.28 Jedenfalls ließ er keine Gelegenheit 22

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So berichtet Paul Adams von einem späteren Besuch Däublers in Schmitts Bonner Freundeskreis: „Wenn man Däublers Dichtungen von ihm selbst sehr eindrucksvoll lesen hört, kommt man in einen Wirbel hinein und wird ganz wirr und irre. Jegliche Ordnung ist verkehrt: Natur und Geist und Leib und Seele, alles ist verwirrt. Keine Grenze, keine Ordnung bleibt mehr. Ich habe immer Vergil Bucolica gelesen in den Tagen, um Ruhe zu bekommen. Welche Humanität und wahre Ordnung in einem Verse Vergils wie diesem: Si canimus silvas, silvae sint consula dignae. Dafür gebe ich den ganzen Däubler trotz seiner Genialität.“ (Paul Adams an Erik Peterson, Brief vom 7.3.1927, in: Nichtweiß, „Die Zeit ist aus den Fugen“, S. 71). Ähnliche Zeugnisse bei Rietzschel, Theodor Däubler, S. 288. Vgl. Carl Schmitt an Auguste Schmitt, Brief vom 19.8.1912, in: Schmitt, Jugendbriefe (2000), S. 157; Rietzschel, Theodor Däubler, S. 385; Schmitt, Tagebücher (2003), S. 4. Vgl. Schmitt, Tagebücher (2003), S. 8 f., 276 ff. Carl Schmitt an Auguste Schmitt, Brief vom 19.8.1912, in: Schmitt, Jugendbriefe (2000), S. 157. Schmitt, Tagebücher (2003), S. 280, 293. Einträge vom 24.12.1914 und 9.1.1915. Schmitt, Theodor Däubler, der Dichter des Nordlichts, in: Tagebücher (2003), S. 356. Kemp, Italiens Städte und Landschaften in Theodor Däublers Dichtung, S. 28. Zum Begriff des „Neomythos“ vgl. Hauser, Kritik der neomythischen Vernunft. – Obwohl hier nicht der Ort für eine ausführlichere Auseinandersetzung ist, möchte ich doch meine Verwunderung über die Hyperbeln nicht unterdrücken, mit denen Schmitt Däublers Werk zeitlebens bedacht hat. Da auch Nicolaus

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aus, für Däubler die Reklametrommel zu rühren und streute selbst in den eher trockenen rechtsphilosophischen Diskurs über den Wert des Staates mit größtem Ernst Worte aus dem Nordlicht ein, als handele es sich um Faust oder Don Carlos.29 Wenn Schmitt darüber hinaus Däublers ‚ekstatische Kraft‘ würdigte und ihn als „großen Mystiker“ bezeichnete, „in dem die größte Zeit des deutschen Mystizismus wieder aufgegangen zu sein scheint“,30 dann gab er damit Auskunft über die dritte a- oder antirationale Macht, der er in dieser Phase seinen Tribut zollte. Die frühen Tagebücher zeugen von einer intensiven Lektüre mystischer Literatur, von Meister Eckhart und Johannes Tauler über die Mystiker der Reformationszeit bis zu Angelus Silesius.31 Sie belegen außerdem ein auffallendes Interesse an Zeugnissen heterodoxer Spiritualität, die zwar sachlich von Mystik zu scheiden sind, zu ihr gleichwohl in flüssigen Übergängen stehen: an Astrologen wie Nostradamus, Okkultisten wie Agrippa von Nettesheim, Theosophen wie Swedenborg.32 Auch der Mithraskult fand wiederholt seine Aufmerksamkeit.33 Im Oktober 1913 las Schmitt in Ignaz von Döllingers Beiträgen zur Sektengeschichte des Mittelalters (1890) über gnostische Sekten und freute sich, ‚seinen‘ Dualismus wiederzufinden.34 Im Dezember folgten die Abschnitte über Gnostik in Harnacks Dogmengeschichte, die ‚große

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Sombart das Nordlicht für die „bedeutendste literarische Leistung der wilhelminischen Epoche“ erklärt hat (Die deutschen Männer und ihre Feinde, S. 129), muß es einfach gesagt werden: Das Nordlicht ist eine monströse Schwarte und sein Autor das männliche Gegenstück zu Friederike Kempner. Wer Verse zu Papier bringt wie „Wuzelwesen, Glast des Hirnes, / Voll von AlbErklammrungshang, / Hopsen in des Zielgestirnes / Rundgeträumten Schweifungsschwang“ (Das Nordlicht, Bd. 1, S. 535), wer auf „Keuschheitskelche“ „Friedens-Elche“ reimt (ebd., S. 465) und den Darm vom „Dampfgepfauche“ dröhnen läßt (ebd., S. 545), mag sich seinen Lorbeer redlich verdient haben, aber nur in der Sparte unfreiwillige Komik. Selbst wenn man in Rechnung stellt, daß Schmitts Begeisterung sich vor allem auf Däublers sprachschöpferische Leistung bezogen hat, wird man doch sagen müssen, daß es Inhalte gibt, die jede formale Qualität torpedieren. Sein ästhetisches Urteilsvermögen hat ihn jedenfalls gegenüber Däubler weitgehend im Stich gelassen. Vgl. Schmitt, Der Wert des Staates (2004), S. 9, 36, 85, 92. Schmitt, Theodor Däubler, der Dichter des Nordlichts, in: Tagebücher (2003), S. 352, 362. Vgl. zu Meister Eckhart Schmitt, Tagebücher (2003), S. 188, 192, 200 (Einträge vom 30.8., 4.9. und 16.9. 1914); zu Tauler S. 134 (2.1.1913); zu den Mystikern der Reformationszeit S. 294 (9.1.1915); zu Angelus Silesius S. 34 (31.12.1912). Vgl. zu Nostradamus ebd., S. 25, 182 (21.10.1912, 19.8.1914); zu Agrippa S. 101 (29.9.1913); zu Swedenborg S. 159 (22.6.1914). Okkultistische Neigungen sind auch für Schmitts unmittelbares soziales Umfeld belegt. Theodor Däubler pflegte regelmäßig zu spiritistischen Sitzungen zu gehen: vgl. Rietzschel, Theodor Däubler, S. 183, und auch Schmitts erste Frau soll 1920 oder 1921 an einer Séance teilgenommen haben: vgl. Kennedy, Carl Schmitt und Hugo Ball, S. 151. Im noch unveröffentlichten Tagebuch von 1922 heißt es unter Samstag, 10. 6.: „Morgens plötzlich todmüde, wieder ins Bett, überzeugt, dass Carita schwarze Magie treibt.“ Im Herbst desselben Jahres, an anderer Stelle: „Oft glaube ich, daß die Dame schwarze Magie treibt und mir alle Dämonen der Melancholie ins Haus schickt.“ Als er eines Abends bemerkt, daß seine Uhr zu einem bestimmten Zeitpunkt stehengeblieben ist, notiert er: „Das Gefühl okkulter Zusammenhänge beherrschte mich, das Gefühl, in der Hand geheimnisvoller Wesen und Kräfte zu sein“ (Schmitt, Tagebücher 1921 bis 1924). Vgl. Schmitt, Tagebücher (2003), S. 124, 294 (9.12.1913; 9.1.1915). Vgl. ebd., S. 103 (3.10.1913). Zum Einfluß gnostischer Denkfiguren auf Schmitt grundlegend: Groh, „Der boshafte Schöpfer dieser Welt hat es so eingerichtet (…)“.

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Begeisterung‘ auslösten.35 Als er erfuhr, daß die Bogomilen, eine Art Vorläufer der Katharer, in Kroatien aktiv waren, jenem von Schmitt mythisch besetzten „Illyrien“, notierte er: „Seit Monaten habe ich das gewusst, ohne es jemals gelesen zu haben. Aufgeregt.“36 Einiges an dieser Lektüre kann dem Pensum zugerechnet werden, das von der Arbeit an einem Essay über Däublers Nordlicht diktiert wurde, an dem Schmitt noch in der Vorkriegszeit schrieb. Aber erstens war die Lektüre unübersehbar identifikatorisch; und zweitens stellt sich die Frage, warum Schmitt sich gerade auf dieses Werk, und noch dazu so obsessiv, warf. Das Buch von Meister Eckhart schlug Schmitt „immer an Stellen auf, die mir nahe gingen“.37 Zur Schrift eines Astrologen aus dem Jahre 1897, die den Weltkrieg vorhersagte und ihm eine Dauer bis 1932 prophezeite, vermerkte er: „Schreckliche Angst vor diesen astrologischen Verzweiflungsperspektiven.“38 Anläßlich der Bekanntschaft mit einem Benediktiner führte er dessen nach konventionellen Maßstäben unhöfliches Benehmen auf die instinktive Abneigung zurück, die der Kleriker gegen den Gnostiker, also ihn: Schmitt, empfinde.39 Im gleichen Tagebucheintrag hielt er seinen Haß gegen seinen Leib fest – ebenfalls ein Merkmal der Gnosis. Wie den Gnostikern erschien ihm das Körperliche und Leibliche als Feind, als Kerker, in dem der Geist eingeschlossen ist; wie den Gnostikern die Welt als Hölle, die von einem boshaften Wesen geschaffen worden sei.40 „Wie hasse ich diese Zeit und dieses Land und diese Menschen“, lautete das gnostische Bekenntnis, das er im April 1915 seinem Tagebuch anvertraute.41 Wenngleich er sich davon in seiner Lebensführung nur sehr bedingt beeinflussen ließ, die regelmäßige Opfer an den Altären der Aphrodite und des Bakchos einschloß, näherte er doch seine Ansichten über Staat und Recht stark den Vorstellungen Marcions an, die diese Einrichtungen dem bösen Schöpfergott zuschrieben, welcher den Menschen schwach und verführbar geschaffen und einem Gesetz unterworfen hatte, das aufgrund seines formalen Charakters nur dazu angetan war, die Sünde zu vermehren.42 Hier dürfte auch eine der Wurzeln des ‚jüdischen Komplexes‘ liegen, der Schmitts No35 36 37 38 39 40 41 42

Vgl. ebd., S. 127 (14.12.1913). Ebd., S. 307 (29.1.1915). Ebd., S. 200 (16.9.1914). Ebd., S. 270 (10.12.1914). Ebd., S. 166 (10.7.1914). Ebd., S. 26 (25.10.1912); S. 168 (17.7.1914); S. 159 (22.6.1914). Zu diesen Motiven in der Gnosis vgl. Jonas, Gnosis und spätantiker Geist, Bd. 1, S. 5; Rudolph, Die Gnosis, S. 68 ff., 128, 212 u. ö. Schmitt, Die Militärzeit (2005), S. 55 (29.4.1915). Vgl. ebd., S. 29, 35 (16.3. und 28.3.1915). Schmitts Enthusiasmus für Marcion ist auch durch die Erinnerungen von Richard Seewald belegt. Vgl. die Auszüge ebd., S. 525 f. Seine diesbezüglichen Kenntnisse dürfte er aus der Dogmengeschichte Harnacks bezogen haben, die 1909/10 in vierter Auflage vorlag. 1920 hat Harnack seine Marcion-Studien zu einem Buch erweitert, das diesem Häretiker eine zentrale Rolle in der Geschichte des Christentums zuwies. Der Katholizismus sei nicht nur gegen Marcion erbaut worden, so die These, sondern habe vielmehr Grundlegendes von ihm übernommen (Harnack, Marcion, S. IV, 246). In diesem Buch findet sich übrigens auch die Charakterisierung der Kirche als „complexio oppositorum“, die Schmitt einige Jahre später für seine eigene Darstellung in Anspruch genommen hat: vgl. ebd., S. 7; Schmitt, Römischer Katholizismus (1925), S. 10. Nach einer Mitteilung von Gerd Giesler verschenkte Schmitt noch in den 1960/70er Jahren mehrfach den Nachdruck von Harnacks Werk.

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tizen von Anfang an durchzieht, galt doch der Schöpfergott des Alten Testaments den Gnostikern als ebenso böse und verächtlich wie die von ihm geschaffene Welt, was auch auf diejenigen abfärben mußte, die an ihn glaubten.43 Der enge Zusammenhang, den Schmitt in seiner Däublerrezeption zwischen Mystik und Gnosis herstellte, scheint allerdings darauf hin zu deuten, daß eher die außerweltliche, weltflüchtige Mystik gemeint war als die innerweltliche, so daß hier eine andere Macht ins Spiel käme als im Falle von Erotik und Kunst. Tatsächlich läßt sich ein Bohemien wie Däubler, der jede geregelte Tätigkeit ebenso mied wie die Rollenzumutungen der bürgerlichen Lebensform, der ohne festen Wohnsitz war und zeitlebens von Reisewut getrieben wurde, nicht eben einem Typus zuordnen, dessen zentrale Merkmale der Quietismus und das demutsvolle Sichschicken in die gegebenen Ordnungen sind, in welchen der genuine Mystiker „sozusagen inkognito lebt, wie die ‚Stillen im Lande‘ es zu aller Zeit getan haben, weil Gott es nun einmal so gefügt hat, daß wir darin leben müssen.“44 Weit eher steht seine gnostische Auslegung der Mystik für „Weltfremdheit“, der das All, die Natur, als mißraten erscheint, der auch die menschlichen Hervorbringungen auf kulturellem Gebiet für sich genommen als sinnlos und mißglückt gelten und allenfalls insofern Zuwendung verdienen, als sich durch sie hindurch die „Bewußtseinserfahrung der Vergeistigung“, die Bewegung hin zum Nordlicht, vollzieht45 – eine Sichtweise, die sich auch Schmitt zu eigen macht, wenn er notiert: „Wir sind im Körperlichen und Leiblichen eingeschlossen. Aber wenn es an irgendeinem Punkt gelingt, den Schein des Ewigen zu empfangen, dann wird aus der Diatonie körperlicher und psychischer Leiden Kunst. Dazu gehört aber die Form, die Gruppierung; alles Irdische ist unharmonisch. Die biologische Zweckmäßigkeit ist keine Harmonie, sondern eine traurige Kunst.“46 Max Webers Typologie der Mystik ist für eine Einordnung Däublers und Schmitts jedoch nur bedingt geeignet, weil sie sich auf das religiöse Feld bezieht. Bei der Renaissance der Mystik um 1900 handelt es sich indes in nicht geringem Maß um ein Übertragungsphänomen, das zu Analogiebildungen im literarisch-künstlerischen Feld geführt hat und nicht zuletzt auch die Signatur einer bestimmten Verlagspolitik trug.47 Literaturwissenschaftler, die sich mit diesem Phänomen beschäftigt haben, sprechen von ‚Lebensmystik‘ (Rasch) oder ‚Neomystik‘ (Spörl), worunter sie ein Erfahrungsmuster verstehen, das der mystischen unio strukturell gleicht, ohne auf einen persönlichen Gott oder einen anderen transzendenten Gegenstand bezogen zu sein. Zu den zentralen Merkmalen dieses Erfahrungsmusters rechnet man dabei auf literarisch-künstlerischer Ebene: die Substituierung Gottes durch unpersönliche Vorstellungen vom ‚Leben‘, der Natur oder einer kosmischen ‚Kraft‘ (etwa der ‚Sonnenkraft‘ bei Däubler); den unbezweifel43

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Vgl. Schmitt, Tagebücher (2003), S. 226 (13.10.1914) sowie die Hinweise des Herausgebers auf S. 127. Zum ‚jüdischen Komplex‘ im Frühwerk vgl. Gross, Carl Schmitt und die Juden, S. 396 ff. Generell zu Schmitts Antisemitismus neben diesem Buch auch Meuter, Blut oder Boden? Zur Judenfeindschaft Marcions vgl. Harnack, Marcion, S. 29 ff.; allgemein auch Brumlik, Die Gnostiker. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Religiöse Gemeinschaften, S. 329. Zu Webers Mystikbegriff vgl. Krech, Mystik. Vgl. Keller, Theodor Däublers gnostische Spekulation, S. 100. Schmitt, Tagebücher (2003), S. 26 (25.10.1912). Vgl. Baßler und Châtellier (Hrsg.), Mystique, mysticisme et modernité en Allemagne autour de 1900. Darin speziell Ulbricht, Durch ‚deutsche Religion‘ zu ‚neuer Renaissance‘.

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baren Wahrheits- und Erkenntnischarakter; die Einheit und Nähe stiftende Funktion; die Gegenstellung zur rationalen und empirischen Erkenntnis und zur Alltags- und Wissenschaftssprache; die Problematik des adäquaten künstlerischen Ausdrucks sowie transitorische Augenblickshaftigkeit, Affektivität und Eindringlichkeit.48 Auch Schmitt war sich über diese Besonderheit der „Neomystik“ durchaus im klaren, legte er doch selbst größten Wert auf die Feststellung, daß die von Däubler verkündete „Erlösung des Göttlichen aus den Ketten der Materie“ im Medium der Kunst geschah, also fiktionalen Charakter trug.49 Bei aller Reflexivität, die die „intellektuelle Leistung des Nordlichts“ als mit derjenigen Schellings oder Hegels durchaus vergleichbar erscheinen lasse, sei doch „überall die künstlerische Betrachtung das Primäre“.50 Es handele sich nicht um eine „Gedankenlyrik“, sondern um „ein durch und durch episches Kunstwerk auch da, wo es ganz in der philosophischen oder mystischen Deutung der Welt aufzugehn scheint.“51 Auf sozialer Ebene kann sich diese Neomystik in Strategien und Praktiken artikulieren, wie sie schon bei den chiliastischen Zuspitzungen der religiösen Mystik anzutreffen, aber auch für den modernen Fundamentalismus linker wie rechter Provenienz typisch sind: negativ in der Ablehnung der staatlichen und wirtschaftlichen Ordnungen, speziell in der modernen Gestalt des Nationalstaates und des Kapitalismus; positiv in einer Präferenz für holistische, die ausdifferenzierten Funktionsbereiche wieder verschmelzenden Muster. Für Däubler hat man nicht nur ein theokratisches Staatsverständnis nachgewiesen, das auf „Wiederherstellung der vormodernen Einheit von Religion, Kunst und Wissenschaft“ zielt, sondern auch eine Verurteilung des Luxus, der Kapitalakkumulation und der massenindustriellen Produktion.52 Den gleichen antiinstitutionellen und antistrukturellen Affekt findet man beim frühen Schmitt, wenn er dem realen Staat eine „brüllende Position der Durchschnittlichkeit, der Mittelmäßigkeit“ attestiert, den Kapitalismus als „die Herrschaft des Mittels“ beschreibt, die „hilflos an sich selbst zugrunde (geht), weil uns alle Zwecke fehlen“, die katholische Kirche für ein einziges Lügengebäude erklärt und mitunter sogar den Krieg begrüßt, weil er mit dem ganzen empörenden Schauspiel aufräume.53 Nimmt man all dies zusammen, so hat man es mit einer Konstellation zu tun, wie sie Schmitts Generationsgenosse Karl Löwith im Rückgriff auf den jungen Hegel als „Entzweiung“ charakterisiert hat, als „nicht mehr Zusammenstimmen des innern und äußern, des privaten und öffentlichen Lebens“.54 Auf der einen Seite ein hochgetriebener Normativismus, der von der Lückenlosigkeit und Geschlossenheit des Rechts überzeugt ist und die restlose „Einordnung“, ja „Umschmelzung des Einzelnen“ dekretiert, seine vollständige Heteronomie;55 auf der anderen Seite eine Haltung, die wesentliche 48 49 50 51 52 53 54 55

Vgl. Spörl, Gottlose Mystik, S. 26. Vgl. auch Rasch, Zur deutschen Literatur seit der Jahrhundertwende, S. 22. Schmitt, Theodor Däubler, der Dichter des Nordlichts, in: Tagebücher (2003), S. 353. Ebd., S. 356, 355. Ebd., S. 359. Vgl. Werner, Delos und Athos, S. 170 ff. Vgl. Schmitt, Tagebücher (2003), S. 38 (8.11.1912); S. 64 (Anhang zum Tagebuch vom 16. Oktober bis 29. Dezember 1912); S. 267 (5.12.1914); S. 245 f. (8.11.1914). Löwith, Von Hegel zu Nietzsche, S. 214. Vgl. Schmitt, Der Wert des Staates (2004), S. 92, 94, 101.

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Merkmale des von Arnold Gehlen herausgearbeiteten Idealtypus des „neuen Subjektivismus“ aufweist: die „Tendenz zur Herabsetzung des Realkontaktes, zur zunehmenden Weltfremdheit bei zunehmender Beherrschung der Materie und zur Entwicklung phantastischer und exzessiver Leitideen, Gesinnungen und Gruppengefühle.“56 Gehlen hat darin eine Komplementärerscheinung technisch hochentwickelter, den Einzelnen von vielen Aufgaben entlastenden Ordnungen gesehen. Ob und wie der daraus resultierende Zwiespalt für den Einzelnen zu bewältigen ist, hat er nicht gesagt. Am Beispiel Carl Schmitts läßt sich verfolgen, daß er nicht stabilisierbar ist. 2. München war nicht die Stadt seiner Wahl. 1908 hatte Schmitt dort ein Sommersemester studiert, sich aber nicht sehr wohl gefühlt und noch im gleichen Jahr den Wechsel nach Straßburg vollzogen.57 Als Anfang 1915 jedoch die Einberufung drohte, nahm er dankbar die Hilfe seines Doktorvaters Friedrich van Calker in Anspruch, der in München als Major beim Bayerischen Leibregiment diente und ihm eine Verwendung in der Militärverwaltung in Aussicht stellte. Nach kurzer Grundausbildung wurde er schon im März ins Stellvertretende Generalkommando versetzt, wo er bis 1919 als Referent tätig war, u. a. für die Überwachung der Friedensbewegung.58 Aber wenn er auch nicht aus freien Stücken nach München kam, so hätte er doch keine Stadt wählen können, die besser seinem inneren Zustand entsprochen hätte. Zwar war die bayerische Hauptstadt mit ihren fünfhunderttausend Einwohnern kein Pionier des modernen industriellen Kapitalismus. In puncto administrativer Rationalisierung konnte sie indes durchaus mit Berlin mithalten, war doch der moderne bürokratische Staat, auf den sich Schmitts Buch über den Wert des Staates bezog, weniger ein preußisches Produkt als „eine ‚Schöpfung‘ des süddeutschen, insbesondere des bayerischen Reformabsolutismus in den beiden Jahrzehnten nach 1800.“59 Hier war das neue Beamtenrecht geschaffen worden, das die Basis für jenen „Ausbau des Rechtsstaates“ bildete, der „in erster Linie auf die ‚Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns zielte“;60 hier jener bürokratische Apparat entstanden, dem hundert Jahre später die Soziologie bescheinigte, sich zu einer ‚lebenden Maschine‘ entwickelt zu haben, welche als ‚geronnener‘, d. h. objektiver Geist die Handlungsspielräume des Individuums festlegte.61 56

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Gehlen, Die Seele im technischen Zeitalter, S. 69. Gehlens Formel läßt sich übrigens auf einen anderen Leipziger zurückverfolgen: auf Karl Lamprecht, der mit dem Sturm und Drang die Epoche des „Subjektivismus“ angebrochen sah und deren aktuelle Periode als „neuidealistisch“ bezeichnet wissen wollte. Vgl. Lamprecht, Deutsche Geschichte der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart, Bd. 2, S. 28 f., 35 f. Wie sich den Schattenrissen entnehmen läßt, war Lamprechts Sicht des ‚Jahrhunderts der Reizsamkeit‘ Schmitt durchaus geläufig: vgl. Villinger, Carl Schmitts Kulturkritik der Moderne, S. 99. Vgl. Mehring, Carl Schmitt, S. 24 f. Vgl. ebd., S. 76 ff., 110. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Erster Band 1700–1815, S. 386. Ebd., S. 387. Vgl. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1917/18), in: Weber 1984, S. 464.

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Gleichzeitig war München neben Berlin und Wien der dritte Hauptort der kulturellen Moderne und damit eines der Zentren des ‚neuen Subjektivismus‘.62 Dessen Manifestationen kann man sich allerdings nicht heterogen genug vorstellen. Avantgardistisch ging es vor allem in der Malerei zu, wo sich zunächst die Neue Künstlervereinigung München mit Kandinsky, Jawlensky, Münter, Marc und Kubin, später der „Blaue Reiter“ der radikalen Moderne verschrieben hatte, bemerkenswerterweise in engem Kontakt mit dem in München sehr präsenten okkultistisch-theosophischen Milieu.63 Weniger im Gedächtnis geblieben ist die Erneuerung christlicher Kunst, die in Karl Caspar und der Neuen Münchener Sezession ihre Vorkämpfer und in Konrad Weiß einen Fürsprecher fand64 – letzterer bekanntlich der von Schmitt nach Däubler meistgeschätzte Dichter, von dem er aber noch in seiner Münchner Zeit kaum Notiz genommen zu haben scheint. In der Architektur dagegen blieb es bei der kurzen ‚Revolution‘ des Jugendstils, während ansonsten „ein mildes Amalgam aus verschiedenen Historismen (herrschte), wobei der Renaissance-Adaption in München eindeutig der Vorzug gegeben wurde.“65 Auch in der Literatur dominierte mit den Brüdern Mann, Frank Wedekind, Otto Julius Bierbaum und anderen eher die moderate Moderne, wozu auch die allerdings immer nur intermittierend in München anwesenden Lyriker Stefan George und Rainer Maria Rilke gerechnet werden können. Immerhin bot eine Zeitschrift wie der Simplicissimus dem Antiwilhelminismus und Antiklerikalismus ein Forum, das von zahlreichen Schriftstellern gern wahrgenommen wurde.66 Erwähnt werden müssen darüber hinaus die in München ansässigen Verlage: allen voran Georg Müller, der 1910 das Wagnis einging, Däublers Nordlicht in drei Bänden herauszubringen und sechs Jahre später Schmitts Studie über dieses Werk nachschob; Albert Langen, der der skandinavischen Moderne den Weg nach Deutschland öffnete, oder Reinhard Piper, der mit seiner Dostojewski-Ausgabe nicht nur einen von Schmitt geschätzten Autor förderte, sondern auch dem Däubler-Freund Moeller van den Bruck, der die Ausgabe betreute, zur Publizität verhalf.67 Nicht vergessen werden sollte die soziale Infrastruktur, die München der kulturellen Moderne bot. Dazu gehörten Lokalitäten wie der Giesinger Weinbauer oder das Café Stefanie sowie die zwei Dutzend weiteren, in denen Carl Schmitt häufig verkehrte,68 gehörten aber auch die großbürgerlichen Salons wie derjenige der Bechsteins, der Bruckmanns oder der Schnitzlers, in denen sich die Crème de la Crème des Kunst-, Literatur- und Wissenschaftsbetriebs die Klinke in die Hand gab.69 So empfingen etwa 62 63 64 65 66 67 68 69

Vgl. Kiesel, Geschichte der literarischen Moderne, S. 27; dazu auch Schmitz, Die Münchner Moderne; Ross, Bohemiens und Belle Epoque. Vgl. Loers und Witzmann, Münchens okkultistisches Netzwerk. Allgemein zu dieser Thematik auch Türcke, Der okkultistische Untergrund der Avantgarde. Vgl. Schuster, „München leuchtete“. Zu Konrad Weiß vgl. die Hinweise in Schmitt, Ex Captivitate Salus (1987), S. 51 f. Ferner Kühlmann, Im Schatten des Leviathan. Vgl. Kolbe, Heller Zauber. Thomas Mann in München 1894–1933, S. 43. Vgl. Rösch, Simplicissimus. Vgl. Garstka, Arthur Moeller van den Bruck und die erste deutsche Gesamtausgabe der Werke Dostojewskijs im Piper Verlag 1906–1919. Vgl. die Liste im Anhang zum Tagebuch von 1915, in: Schmitt, Die Militärzeit (2005), S. 536 f. Zum Salon Bruckmann vgl. Martynkewicz, Salon Deutschland. Mit Lily und Georg von Schnitzler verband Schmitt seit seiner Münchner Zeit eine lebenslange Freundschaft, die sich auch in

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die Bruckmanns in ihrer herrschaftlichen Villa am Karolinenplatz Zelebritäten wie Hugo von Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke und Stefan George, Rudolf Kassner, Thomas Mann und Houston Stewart Chamberlain. In den Kriegsjahren gehörte Else Bruckmann zu den treibenden Kräften der „Kriegshilfe für geistige Berufe“, die in Not geratene Künstler unterstützte und darüber hinaus durch ein umfassendes Kulturprogramm zur geistigen Erneuerung beitragen sollte. Besondere Berühmtheit erlangten dabei die Vorträge, die Norbert von Hellingrath, ein Mitglied des George-Kreises und überdies der Neffe Else Bruckmanns, im Februar und April 1915 über Hölderlin hielt sowie die Séancen Alfred Schulers „Über die biologischen Voraussetzungen des Imperium Romanum“.70 An beiden Ereignissen hat Schmitt ausweislich seines Tagebuchs nicht teilgenommen, doch ist immerhin denkbar, daß er sich die Wiederholung von Schulers Zyklus Ende 1917/Anfang 1918 nicht entgehen ließ. Hellingraths Wiederentdeckung Hölderlins hat er in späteren Notaten die Reverenz erwiesen,71 und wie sehr ihn die Gedankenwelt von Schuler und Klages beschäftigte, ist, wenn auch ebenfalls nur für ein späteres Datum, durch die Erinnerung von Nicolaus Sombart und den Briefwechsel mit Jünger belegt.72 Militärverwaltung und Boheme: Carl Schmitt hatte an beiden Milieus Anteil, am einen gezwungenermaßen, am andern freiwillig. Als besonders belastend erwies sich dabei der Alltag in der Militärverwaltung, weil Schmitt hier die Erfahrung machen mußte, was die von ihm als Ideal gepriesene „Vernichtung des Einzelnen“ durch den Staat realiter bedeutete, nämlich die seelische und potentiell auch physische Opferung, die nun auch ihm selbst drohte.73 „Wie grauenhaft ist der Staat“, hieß es am 16.3.1915, und eine Woche später, als ihm die Versetzung zum Generalkommando mitgeteilt wurde: „Ich kann es eigentlich nicht annehmen. Ich habe nichts mit dem Staat und dieser ganzen Gesellschaft zu tun; ich müsste vielmehr sagen, dass mir alles gleich ist und dass ich keinen Verwaltungsposten annehme.“74 Das tat er dann lieber doch nicht, pflegte aber seine

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einem umfangreichen Briefwechsel niedergeschlagen hat. Vgl. Lily von Schnitzler – Carl Schmitt. Briefwechsel 1919 bis 1977 (2011). In diesem Fall entwickelte sich die Beziehung bemerkenswerterweise über das Interesse an Astrologie, das Schmitt mit Lily von Schnitzler teilte: vgl. ebd., S. 123, 130. Vgl. Martynkewicz, Salon Deutschland, S. 246 ff., 258, 300, 307 ff. Vgl. den Eintrag vom 18.5.1948: „,Jugend ohne Goethe‘ (Max Kommerell), das war für uns seit 1910 in concreto Jugend mit Hölderlin, d. h. der Übergang vom optimistisch-ironisch-neutralisierenden Genialismus zum pessimistisch-aktiven-tragischen Genialismus. Es blieb aber im genialistischen Rahmen, ja vertiefte ihn noch in unendliche Tiefen. Norbert von Hellingrath ist wichtiger als Stefan George und Rilke.“ (Schmitt, Glossarium [1991], S. 152). Vgl. auch den Eintrag vom 2.8.1948, S. 185. Vgl. Carl Schmitt an Ernst Jünger, Brief vom 17.9.1941, in dem Schmitt über seine Lektüre der von Ludwig Klages besorgten Ausgabe von Schulers Fragmenten und Vorträgen aus dem Nachlaß (1940) schreibt, sie sei „wichtig für die okkulten Quellen heutiger Symbole und Formeln“ (Briefwechsel 1999, S. 130; vgl. auch ebd., S. 140). Sombart, Jugend in Berlin, S. 271 ff., berichtet von einer nachgerade erregten Reaktion Schmitts auf dieses Buch, belastet die insgesamt recht spärliche Informationslage allerdings mit Deutungen, die nicht anders als spekulativ bezeichnet werden können. Vgl. Schmitt, Die Militärzeit (2005), S. 24 (Eintrag vom 11.3.1915). Ebd., S. 28, 32.

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„Wut über die Preußen, den Militarismus“ weiter und träumte davon, „die ostentativsten Befehlsverweigerungen“ zu begehen.75 Seine „Wut auf das Militär, diesen ‚menschenunwürdigen‘ und ‚bestialischen‘ Zwang“ schlug allerdings nur zu oft in Angst um: in Angst vor der Nachmusterung, „Angst vor dem Sog des Preußentums“, „Angst vor dem Staat“, „Angst vor der Willkür“, Angst vor dem Militärregime.76 Zwar geht vieles davon auf das Konto des Krieges und der dadurch bedingten Steigerung des bürokratischen Zwangs. Gleichwohl ist nicht zu übersehen, daß Schmitts Kritik sich nicht auf eine spezifische Situation beschränkte, sondern auf Grundsätzliches zielte, auf den „Utilitarismus, mit dem der Staat dem Einzelnen gegenübersteht und ihn kaputt macht für elende und gleichgültige Zwecke.“77 „Wäre doch erst Friede!“ notierte er am 5.8.1915. „Aber das bedeutet nur, dass die Leine, an der der Staat einen hält, ein kleines Stückchen länger wird. Weiter nichts.“78 Auch ein möglicher Frieden werde nichts daran ändern, daß dem Militarismus auf lange Sicht die Zukunft gehören werde. „Es wird immer schlimmer werden. Die ganze arme Erde wird diesem furchtbaren System unterworfen werden. Keine Freude und keine Fröhlichkeit mehr. Entsetzlich. Es ist aus.“79 Zu diesen düsteren Perspektiven, die ihn häufig an Suizid denken ließen,80 bot die Partizipation am Bohemeleben nur bedingt einen gewissen Ausgleich. Das Tagebuch von 1915 dokumentiert regelmäßige Besuche in den einschlägigen Restaurants und Cafés, allerdings unter auffälliger Vermeidung des damals wichtigsten Treffpunktes, des Café Stefanie, wo mit Erich Mühsam, Franz Jung, Otto Gross, Johannes R. Becher und anderen die Anarchistenszene Schwabings verkehrte.81 Schmitts Bezugspersonen waren eher Maler wie Hugo Troendle, Wilhelm Nowak und Otto Th. W. Stein, der zu den Mitbegründern der Münchener Neuen Sezession gehörte und mit Däublers Schwester Helene verheiratet war.82 Schmitt konnte hier seinen ästhetischen Interessen nachgehen, fühlte sich indessen zugleich von dieser Szene abgestoßen, wie seine häufigen Ausfälle gegen das „Literatengesindel“, „diese hässlichen, eitlen Affen“ und ihren „LiteraturDreck“ zeigen.83 Nach einem Besuch im Atelier des Malers Walter Einbeck notierte er: „Die Maler sind immer die Amoralischsten. Wenn ich sehe, dass jemand kein Verhältnis zur Moral hat, wird mir ganz Angst ‚und flau‘.“84 Schmitts Methode, mit dieser Problematik fertig zu werden, war die Flucht aus der Zeit, ins Imaginaire. Im Mai 1915 nahm er sich seinen Essay über das Nordlicht wieder vor, den er zuvor vergeblich in Zeitschriften unterzubringen versucht hatte, und entschied

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Ebd., S. 77 (Eintrag vom 3.6.1915). Ebd., S. 97 (21.7.1915); S. 87 (27.6.1915); S. 108 (9.8.1915); S. 134 (22.9.1915); S. 135 (24.9. 1915). Ebd., S. 106 (8.8.1915). Ebd., S. 104. Ebd., S. 131 (18.9.1915). Vgl. z. B. ebd., S. 107, 112, 122, 125, 141, 144, 152. Vgl. Carl Schmitt an Hansjörg Viesel, Brief vom 1.4.1973, in: Viesel, Jawohl der Schmitt (1988), S. 9. Vgl. auch Jung, Der Weg nach unten, S. 68 ff. Vgl. die biographischen Informationen in Schmitt, Die Militärzeit (2005), S. 26. Vgl. ebd., S. 26 (13.3.1915); S. 69 (17.5.1915); S. 76 (31.5.1915). Ebd., S. 76 (31.5.1915).

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sich, ihn zu einem kleinen Buch zu erweitern.85 Die Arbeit beschäftigte ihn einige Wochen und brachte eine gewisse Beruhigung. Ende Juni war ein erster Entwurf fertig, am 23.7. die endgültige Fassung.86 Gegenüber dem Essay – und übrigens auch gegenüber der bis dahin dominierenden Däubler-Deutung durch Moeller van den Bruck87 – setzte er drei neue Akzente. Er elaborierte, erstens, weit stärker die zeitkritischen Züge des Nordlichts, die sich gegen wesentliche Merkmale der Moderne richteten: die für sie typische Verselbständigung der Mittel gegenüber den Zwecken, die Säkularisierung der „wichtigsten und letzten Dinge“, die Hypostasierung der Organisation und des Rationalismus, die Verwandlung der Erde in eine „knirschende Maschine“. Was dem gegenwärtigen Zeitalter die Signatur gab, war der „Betrieb“, „der Betrieb als das großartig funktionierende Mittel zu irgendeinem kläglichen oder sinnlosen Zweck“, „der Betrieb, der den Einzelnen so vernichtet, daß er seine Aufhebung nicht einmal fühlt“.88 Dadurch seien wohl ungeheure materielle Reichtümer geschaffen worden, die Menschen selbst aber arme Teufel geworden, denen Glaube und Begeisterungsfähigkeit abhanden gekommen seien. Schmitt griff auf die biblische Erzählung vom Turmbau zu Babel zurück, um die Hybris dieses modernen mechanistischen Geistes zu charakterisieren; und er beschwor gleich im Anschluß daran das johanneische Bild vom Antichristen als „eine Prophezeiung, die sich nunmehr erfüllt“: „Seine geheimnisvolle Macht liegt in der Nachahmung Gottes. Gott hat die Welt erschaffen, er macht sie nach; Christus wird als Sohn der Jungfrau geboren, vom Antichrist sagen ältere Autoren das gleiche. Der unheimliche Zauberer schafft die Welt um, verändert das Antlitz der Erde und macht die Natur sich untertan. Sie dient ihm; wofür ist gleichgültig, für irgendeine Befriedigung künstlicher Bedürfnisse, für Behagen und Komfort. Die Menschen, die sich von ihm täuschen lassen, sehen nur den fabelhaften Effekt; die Natur scheint überwunden, das Zeitalter der Sekurität bricht an; für alles ist gesorgt, eine kluge Voraussicht und Planmäßigkeit ersetzt die Vorsehung; die Vorsehung ‚macht‘ er, wie irgendeine Institution (…) Der fabelhafte Erfolg ist gleichfalls unwiderleglich: große Städte, Luxusdampfer und Hygiene; aus dem Kerker der Seele ist ein behaglicher Sommersitz geworden.“89 Zweitens betonte Schmitt nun stärker die Momente, die das Nordlicht von einem gnostischen Fundamentalismus absetzten. Zwar seien in ihm „so starke Elemente einer apokalyptischen Stimmung enthalten (…), daß es wohl eine religiöse Epidemie hervorrufen 85 86 87

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Ebd., S. 66 (10.5.1915). Vgl. ebd., S. 87, 97. Vgl. Moeller van den Bruck, Die Deutschen, Bd. V: Gestaltende Deutsche, S. 298 ff. 1921 ist Moeller noch einmal auf dieses Thema zurückgekommen, in dem von Schmitt als bedeutend eingestuften Essay: Theodor Däubler und die Idee des Nordlichtes, in: Deutsche Rundschau 47, 1921, S. 20–34. Näher zu den Unterschieden Nienhaus, Die ‚Kompensation des Zeitalters der Geistlosigkeit‘. Zu den weltanschaulichen Wurzeln dieser Unterschiede vgl. meine Studien: Religion und Mystik bei Moeller van den Bruck, S. 294 f.; Moeller van den Bruck und Italien, S. 431 ff. Schmitt, Theodor Däublers „Nordlicht“ (1991), S. 59. Ebd., S. 62 ff.

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könnte wie das Lied ‚media in vita‘ im Mittelalter zur Zeit des schwarzen Todes.“90 Im Unterschied zu den gnostischen und mystischen Strömungen vermeide Däubler es jedoch, „die Welt restlos als Werk des Teufels zu erklären, in der ewig die Geistlosigkeit über den Geist triumphieren wird.“91 Nur äußerlich fange das Nordlicht mit der Neuschaffung der Erde an, „in Wahrheit aber mit nichts als mit dem Glauben, daß alles gut sei und einen Sinn habe. Das Un-kantische, das Nach-kantische und Vor-sokratische liegt in dem Glauben daran, daß die Natur gut und auch der Mensch ‚von Natur gut‘ sei.“92 Mit diesem Glaubensbekenntnis stelle Däubler sich in die Tradition eines nicht mehr gnostisch verstandenen Christentums, eines Glaubens, wie er dem Okzident und nicht dem Orient eigentümlich sei. Seine Verneinung des „innersten Wesen(s) der Zeit“ schließe sowohl deren zentrale Einrichtungen als auch den an ihnen geübten Zweifel ein. Sie werde darüber hinaus auch nicht im Namen einer verklärten Vergangenheit oder der ‚Natur‘ geübt, sondern im Namen der zukünftigen Versöhnung durch den Geist – eine Konstellation, die in der Zeitkritik wesentliche Züge des Fundamentalismus bewahrt, diesen jedoch zugleich abschwächt und transformiert: abschwächt, indem die gnostische Weltablehnung zur Zeitablehnung ermäßigt wird; transformiert, indem die abgelehnten Momente indirekt doch wieder insofern eine Rechtfertigung erfahren, als sie zu unvermeidbaren Stufen in einem Entwicklungsprozeß umgedeutet werden, an dessen Ende die Versöhnung steht. Eine derartige Denkbewegung kann weder als Fundamentalismus im religiösen Sinne noch als ‚moderner Fundamentalismus‘ verstanden werden. Sie steht vielmehr, wie an anderer Stelle am Beispiel Nietzsches gezeigt,93 für eine gerade in Deutschland nicht seltene „Transformation des Fundamentalismus“, welche antimoderne Elemente in eine „übermoderne“ Gesamtkonstruktion einbaut, die auf eine Selbstüberwindung der Moderne setzt: „Es ist schwer zu glauben, daß irgendein Mensch den Dualismus, die Folge der Selbstzerreißung unserer Gegenwart, tiefer empfunden hätte, oder irgend jemand so elementar vor ihrer Häßlichkeit erschrocken wäre, wie der Dichter, der jene Eisnacht heraufbeschworen hat, die dem Erscheinen des Nordlichts vorhergeht. Aber es bleibt nicht bei dem Dualismus. Die schreckliche Nacht ist notwendig, um das irdische Licht und die irdische Sonne zum Geist zu drängen. Der Geist besiegt den Zweifel; die letzte Negation ergibt die Überwindung aller Relativität, die Transzendenz.“94 90

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Ebd., S. 65. Auch Ruth Groh sieht die zweite Däubler-Studie durch eine Distanzierung von gnostischen Denkfiguren bestimmt, will in dieser aber nicht Schmitts letztes Wort sehen. Vielmehr bleibe der gnostische Dualismus der ‚heimliche Motor‘, der Schmitts Projekt auch in den folgenden Phasen seines Denkweges antreibe; gnostische Grundüberzeugungen bildeten insbesondere „das häretische Unterfutter der autoritären Staatstheorie“ (Groh, Schöpfer, S. 365; vgl. auch S. 381). Diese Frage ließe sich nur durch eine Ausweitung des Untersuchungszeitraums auf den ganzen Schmitt diskutieren und muß deshalb hier ausgeklammert bleiben. Schmitts politische Positionen in der Weimarer Republik sind auch ohne diesen Zusammenhang analysierbar. Schmitt, Theodor Däublers „Nordlicht“ (1991), S. 63. Ebd., S. 53. Vgl. meine Studie: Moderner Fundamentalismus, S. 214 ff. Schmitt, Theodor Däublers „Nordlicht“ (1991), S. 70. Man kann bezweifeln, ob diese Deutung dem Nordlicht gerecht wird. Denn bei Däubler vollzieht sich der Fortschritt des Geistes im Be-

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Neu war schließlich, drittens, die Entschiedenheit, mit der Schmitt das Nordlicht in die Tradition der Romantik stellte und es damit zu einem primär ästhetischen Phänomen machte. Wohl herrsche in der künstlerischen Gestaltung „eine ungewöhnliche Traditionslosigkeit und Originalität. Inhaltlich aber liegen die Wurzeln des Werkes in der Romantik.“95 Romantisch sei die Vorstellung eines „allgemeinen Dualismus der sichtbaren Welt“, der aus dem Verlust des göttlichen Zentrums resultiere; romantisch das Bild von der Ellipse, deren beide Brennpunkte das Zentrum des Kreises wieder zu erreichen suchten; romantisch die Reihenfolge der Farben in den Inkarnationen des Ich; romantisch die gesamte natur- und geschichtsphilosophische Anlage, die auf Hegel und Schelling als ihre Ahnen verweise – „wie denn überhaupt die deutsche Romantik, von der es neulich hieß, daß sie überwunden werden müsse, ein unermeßliches Reservoir ist, in dem alles, was heute nicht platt exakt denkt, seine geistige Quelle hat: ‚schöpferische Entwicklung‘, ‚Abstraktion und Einfühlung‘, alles das nehmen Romantiker sorglos vorweg.“96 Das ist zwar nicht ganz gerecht, weil Schmitt selbst auf französische Wurzeln der Idee des Nordlichts verweist und auch andere Autoren ähnliche Affinitäten hervorheben, etwa zu Proudhon oder zu Victor Hugo;97 doch kommt es hier nicht auf die nationalen Ausprägungen der Romantik an, sondern auf diese selbst und ihre Beziehung zum Nordlicht. Deren Bedeutung aber steht für Schmitt 1915 fest, sehr im Unterschied zu seinem Vorkriegsaufsatz, und ebenfalls im Gegensatz zu Moeller van den Brucks Deutung, der die Romantik unter der Überschrift „Verschwärmte Deutsche“ abhandelte und in ihr nur „Schwäche und Künstlichkeit“ zu entdecken vermochte.98 Es gehört zu den Usancen einer psychologischen Deutung, Schmitts alsbald einsetzende Distanzierung von der Romantik als bloße Verdrängung seiner eigenen romantischen Neigungen darzustellen.99 Biographisch gesehen mag dies zutreffen, war Schmitt doch

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wußtsein seiner Freiheit gerade nicht wie in der idealistischen Philosophie durch eine Stufenfolge von Objektivationen hindurch, sondern lediglich als eine Art Seelenwanderung durch Raum und Zeit, die nach jeder Inkarnation mit dem Sturz in den „Ararat“ endet, also mit Auslöschung, so daß stets von neuem begonnen werden muß. Eine kumulative Geschichte ist unter diesen Bedingungen nicht möglich. Ebd., S. 17. Ebd., S. 13, 12; vgl. auch S. 34. Vgl. ebd., S. 15: „Was namentlich das Nordlicht anlangt, so scheint es auf romantische Naturen einen besonders starken Eindruck zu machen. Die beiden Helden von Flauberts Bouvard et Pécuchet haben sich mit ihm beschäftigt, und der Romantiker der Nationalökonomie Charles Fourier hat seine neue, verklärte Welt in ursächlichen Zusammenhang mit der Entstehung des Nordlichtes, der couronne boréale, gebracht.“ Die Nähe zu Proudhon und Hugo betonen Keller, Theodor Däublers gnostische Spekulation, S. 101 und Kemp, Italiens Städte und Landschaften, S. 30. Vgl. Moeller van den Bruck: Die Deutschen, Bd. III: Verschwärmte Deutsche, S. 167. Zuletzt in diesem Sinne Mehring, Überwindung des Ästhetizismus? Dieses Deutungsmuster findet sich schon 1924 bei Hugo Ball: „Der Todfeind der Romantik, als der Schmitt sich gelegentlich erweist, bekämpft in ihr die irrationale Gefahr seines eigenen schöpferischen Fonds“ (Carl Schmitts Politische Theologie, S. 101). Das muß freilich weit mehr auf Ball selbst bezogen werden, der während des Krieges noch stark zwischen dem ästhetischen und dem ethischen Heilsweg schwankte und die Romantik eher schützen als bekämpfen wollte, weil sie den Zusammenhang mit den älteren christlichen Idealen niemals preisgegeben habe. Vgl. Hugo Ball, Flucht aus der Zeit, S. 179.

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gelegentlich selber „ganz bange vor meiner Romantik und meiner Zerfahrenheit“.100 Es ist aber insofern nicht zureichend, als Schmitt sich ja nicht nur von sich selbst distanziert hat, sondern von einer ganzen, sowohl intellektuell als politisch durchaus wirkungsmächtigen Zeitströmung. Die Renaissance der Romantik stand seit der Jahrhundertwende auf der Tagesordnung.101 Hatten schon in den 90er Jahren Autoren wie Hermann Bahr und Heinrich Mann eine „neue Romantik“ aufziehen sehen und Ricarda Huch mit ihrem einflußreichen Werk die Wiederentdeckung der alten eingeleitet,102 so setzte nach der Jahrhundertwende eine wahre Flut von Arbeiten ein, die Julius Petersen rückblickend zu der Feststellung veranlaßte, daß „die heutige Literaturgeschichte beinahe mit Romantikforschung gleichgesetzt werden kann“.103 Zumal der Diederichs-Verlag, der sich bereits für die Mystiker eingesetzt hatte, engagierte sich in dieser Richtung und widmete der Romantik eine eigene Sparte im Programm, so daß es für Schmitt nahelag, sein Manuskript dorthin zu schicken.104 Während des Krieges wollte der Bruckmann-Verlag nachziehen und suchte Ludwig Klages als Herausgeber einer Romantikerreihe zu gewinnen.105 In der Poschingerstraße arbeitete derweil Thomas Mann am Abschluß seiner Betrachtungen, die explizit als Manifest einer unpolitischen Romantik gedacht waren.106 Politische Dimensionen aber gewann die Romantikrenaissance nicht zuletzt durch das Interesse, das der zeitgenössische Anarchismus an ihr zeigte. Stellvertretend sei hier nur Gustav Landauer (1870–1919) genannt, der im November 1918 auf Bitten des neuen bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner nach München kam, auf Vorschlag Kurt Eisners in den revolutionären Arbeiterrat kooptiert wurde und in der ersten Räteregierung (nicht aber mehr in der zweiten, kommunistisch geführten) das Kulturressort übernahm.107 Schon als Mitbegründer der Neuen Freien Volksbühne (1892) hatte er sich für eine Abkehr vom Naturalismus und eine Hinwendung zu dem eingesetzt, „das man bald Mystik und Neuromantik, bald Dekadenz und Ästhetentum nannte“ –: Maeterlinck, Hofmannsthal, Strindberg.108 Um die Jahrhundertwende hatte er an den Beiträgen zu einer Kritik der Sprache mitgearbeitet, deren Hauptverfasser, Fritz Mauthner, in Schmitts Schattenrissen satirisch aufs Korn genommen wurde.109 Kurz darauf gehörte er zu den 100 101 102

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Schmitt, Tagebücher (2003), S. 297 (12.1.1915). Vgl. Roques, Die umstrittene Romantik, S. 105 ff. Vgl. Lichtblau, Die neuromantische Bewegung um 1900, in: Lichtblau 2002, S. 85 ff. Zu Huchs Romantikbüchern (1899/1902) vgl. Bohrer, Die Kritik der Romantik, S. 276 ff.; Fick, Sinnenwelt und Weltseele, S. 21 ff. Auch Schmitt bezieht sich auf Huchs Werk: vgl. Theodor Däublers „Nordlicht“ (1991), S. 15. Petersen, Die Wesensbestimmung der deutschen Romantik, S. 2. Vgl. im Verlagskatalog von 1904, Gruppe VI: Deutsche Romantik und ältere Literatur. Dazu näher Lichtblau, Transformationen, S. 92 ff. – Das von Schmitt am 3.8.1915 abgesandte Manuskript wurde allerdings vom Diederichs-Verlag bereits nach einer Woche kommentarlos retourniert: vgl. Schmitt, Die Militärzeit (2005), S. 102, 110. Vgl. den Briefwechsel von 1917/18 zwischen Else Bruckmann und Ludwig Klages, in: Schröder, Ludwig Klages, S. 735 ff. Vgl. Mann, Betrachtungen eines Unpolitischen, S. 108. Vgl. Linse, Gustav Landauer und die Revolutionszeit 1918/19. Landauer, Die Neue Freie Volksbühne (1905), in: Landauer 1997, S. 121. Vgl. Villinger, Carl Schmitts Kulturkritik der Moderne, S. 49 f., 285 ff. Zum Verhältnis Mauthner/ Landauer vgl. Spörl, Gottlose Mystik, S. 41 ff, 75 ff., 86 ff.

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Mitbegründern der „Neuen Gemeinschaft“ in Berlin-Friedrichshagen, wo er Martin Buber und Erich Mühsam kennenlernte,110 übertrug Meister Eckharts Mystische Schriften und feierte die Romantik als „eine tief aufwühlende und gestaltende Revolution des Gefühls und der Gesellschaft“, die als deutsches Pendant zur politischen Revolution in Frankreich zu verstehen sei.111 Ab 1909 leitete er für den „Sozialistischen Bund“ die Zeitschrift Der Sozialist, die neben den einschlägigen Schriften Proudhons und Kropotkins auch Texte der Romantiker brachte.112 Während des Krieges warb er wiederholt in Vorträgen für eine neue Rezeption der Romantik.113 Wenn Landauer immer wieder die staatliche Zwangsorganisation attackierte, die die Menschen niederdrücke und knechte,114 dann entsprach dies der Stimmungslage Schmitts während des Krieges so weit, daß es schwerfällt, irgendeinen Unterschied zu sehen. Weitere Übereinstimmungen bestanden in der Ablehnung der „Waren- und Handelsgesellschaft“ und des „Philistertums“,115 im Antiindividualismus, der sich bei Landauer in der These von der „Nichtigkeit des Konkretums, des isolierten Individuums“ artikulierte,116 und in der hohen Bedeutung, die der Kunst als Vehikel eines „neuen Mythos“ zugewiesen wurde.117 Vollends entsprach dem anarchistischen Credo der von Schmitt am Nordlicht gerühmte Glaube an die Güte des Menschen und der Natur, an die Sinnhaftigkeit des Ganzen.118 Was Schmitt dann allerdings vom Anarchismus trennte, war die Begründung, die dieser Glaube bei ihm erhielt. Während Landauer sich in seiner Kritik am Staat und an der Kultur auf die „Gesellschaft“ stützte, die bei ihm als eine „Form der Vergemeinschaftung“ erschien,119 stand dieses Fundament Schmitt nicht zur Verfügung. Seine Ablehnung galt dem Staat und „dieser ganzen Gesellschaft“,120 betraf das Politische und das Soziale, das bei ihm mitunter auch das „Soziologische“ hieß, jedenfalls von den gleichen Prinzipien des Utilitarismus und Relativismus beherrscht und deshalb verdammenswert erschien. Nichts erregte Schmitts Ekel mehr als das „sklavische Hinblicken auf andere, die Abhängigkeit von der Meinung anderer; das ad alterum“;121 nichts mehr seine Wut als der allgemeine Relativismus, der alles mit allem in Beziehung setzte und dadurch mittelbar machte. „Die Sprache des täglichen Lebens“, hieß es im Däubler-Buch, „wird beherrscht durch 110 111 112 113 114 115 116 117

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Vgl. Kauffeldt und Cepl-Kaufmann, Berlin-Friedrichshagen. Landauer, Buchbesprechung zu einer Briefauswahl Schleiermachers (1906), in: Landauer 1997, S. 125 f. Vgl. Kauffeldt, Die Idee eines „Neuen Bundes“ (Gustav Landauer), S. 150. Vgl. ebd., S. 168 ff.; Landauer, Die deutsche Romantik in Literatur, Musik und Kunst (1915), in: Landauer 1997, S. 229 f. Vgl. nur Landauer, Der Anarchismus und die Gebildeten (1897), in: Landauer 1997, S. 49 f. Landauer, Durch Absonderung zur Gemeinschaft (1901), in: Landauer 1997, S. 98. Landauer, Skepsis und Mystik, S. 12. Vgl. Kauffeldt, Die Idee eines „Neuen Bundes“, S. 144. Die „Kraft zum Bild“, die „unbeirrte geradezu mythenbildende Kraft der Phantasie“, gehört zu denjenigen Aspekten des Nordlichts, die Schmitt am meisten beeindruckt haben: vgl. Theodor Däublers „Nordlicht“ (1991), S. 25. Von diesem Glauben hat sich Schmitt später freilich distanziert: vgl. etwa Der Begriff des Politischen (1979), S. 59 ff. Vgl. Despoix, Ethiken der Entzauberung, S. 79. Schmitt, Die Militärzeit (2005), S. 32 (23.3.1915). Ebd., S. 173 (28.12.1915).

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den Zweck: sich einem andern verständlich zu machen, eine Gemeinschaft mit ihm herzustellen, die durch eine utilitaristische Absicht ihren Sinn erhält. Das Soziologische der Sprache, die Beziehung ad alterum, der praktische Zweck ist das, was sie häßlich macht“,122 sie überdies auch als irgendwie „jüdisch“ kontaminiert erscheinen läßt: „Der Poet; kommt nicht aus für sich, muss ‚es‘ anderen zeigen. Wird erst glücklich, wenn andere ihn bewundern. Ein schönes ad alterum; der Poet: Die Soziologie als jüdische Wissenschaft.“123 Sich dem verweigert und eine eigene, rein künstlerische Sprache geschaffen zu haben, wird als Däublers große Leistung vorgestellt, als „vielleicht das Kühnste und Sensationellste, was in der Geschichte irgendeiner Kunst je erlebt wurde.“ Das Nordlicht erscheint in dieser Perspektive als die Begründung eines neuen Glaubens, eines Glaubens, „der sich nicht auf die andern Menschen stützt, kein soziologisches Phänomen, nichts ad alterum, vielmehr etwas, das einsam macht, aber dafür die Welt schenkt.“124 3. Carl Schmitt war mit dem romantischen Anarchismus auch auf unmittelbar persönliche Weise konfrontiert. Bei seiner Tätigkeit bei der Militärverwaltung, zu deren Aufgabenbereich die Überwachung der feindlichen Propaganda und die Zensur gehörten, stieß er hin und wieder auf brisante Korrespondenzen, wie etwa eine Karte an Erich Mühsam, in der Däubler erwähnt wurde, oder auf pazifistische Veröffentlichungen aus dem Kreis Wilhelm Herzogs, zu dem auch Gustav Landauer gehörte.125 Eine weitere Beziehung ergab sich über Däubler, der mit Landauer durch die gemeinsame Mitgliedschaft im Forte-Kreis verbunden war, einem in der Vorkriegszeit in Potsdam ins Leben gerufenen Freundschaftszirkel, der vage kosmopolitische, ‚überstaatliche‘ und pazifistische Ziele verfolgte, allerdings schon in den ersten Kriegsmonaten auseinanderbrach.126 Auch wenn Däubler selbst eher theokratische Ambitionen hatte, verknüpfte er in der Ideenwelt des Nordlichts libertär-anarchistische Traditionen mit der symbolistischen Dichtung und avancierte darüber hinaus durch sein Eintreten für die futuristische und expressionistische Malerei zur „Galionsfigur der Avantgarde, der Kreise um Franz Pfemferts Aktion und Herwarth Waldens Sturm“.127 Als er im Oktober 1915 für mehrere Wochen nach 122 123 124 125 126 127

Schmitt, Theodor Däublers „Nordlicht“ (1991), S. 43. Schmitt, Tagebücher (2003), S. 312 (7.2.1915). Ein besonders heftiger Ausbruch antisemitischer Ressentiments findet sich einige Wochen zuvor, im Eintrag zum 8.11.1914: vgl. ebd., S. 245. Schmitt, Theodor Däublers „Nordlicht“ (1991), S. 43, 53. Vgl. Schmitt, Die Militärzeit (2005), S. 44 (9.4.1915); Dokument 34, S. 562. Vgl. Holste, Der Forte-Kreis; Faber und Holste (Hrsg.), Der Potsdamer Forte-Kreis. Vgl. Keller, Theodor Däublers gnostische Spekulation, S. 113; Rietzschel, Theodor Däubler, S. 165. In einem 1920 in der Zeitschrift Tribüne der Kunst und der Zeit veröffentlichten Text hat Däubler Einblick in seine politischen Präferenzen gegeben: „Meiner Ansicht nach leiden die Menschen, die ganz nach links orientiert sind, an einem: sie überschätzen die Menschheit! Lieber sind sie mir aber in ihrer oft harmlosen Vertrauensseligkeit als die Menschen der Rechten, die wohl oft echt kirchlich gesinnt bleiben, aber trotzdem nicht an Gott, das heißt an die Erfüllung seiner Verheißungen glauben können. Leider sind sie aber die besseren Menschenkenner und behalten daher im Augenblick fast immer recht.“ Zit. n. Däubler, Kritische Ausgabe. Apparatband, S. 90.

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München kam, um Schmitt bei den Vertragsverhandlungen mit dem Georg Müller Verlag für sein Buch zu unterstützen, hielt er mit Berichten über seine politische Tätigkeit nicht hinter dem Berg und versetzte Schmitt mit seinen „anarchistischen Reden und seinem wüsten Aussehen“ in Angst und Schrecken.128 Wie es scheint, war diese letzte längere Begegnung der Zenit in dieser Beziehung und der endgültige Anstoß für Schmitt, sich von allem zu lösen, was er bis dahin mit der Däubler-Welt bzw. seiner Wahrnehmung derselben verbunden hatte. Schon vor dem Besuch notierte er: „Dass Däubler kommt, bedeutet nichts Gutes.“ Nach dem ersten Abend hieß es: „Er benimmt sich wie ein hysterisches Weib, ich kann ihn kaum noch ansehen.“ Beim Treffen mit Georg Müller am folgenden Tag erschien Däubler Schmitt „entsetzlich (ein quatschendes Weib)“, tags darauf: „Däubler ist eine schwere Last.“ „Däubler schimpfte laut auf die Preußen und die Österreicher. Mir ist das grässlich, ich halte es kaum aus und werde sehr nervös.“ Was er von den Futuristen Italiens oder seinen politischen Beziehungen zu erzählen wußte, stieß auf wenig Interesse, löste vielmehr die Befürchtung aus, für Däublers Ansichten in Haftung genommen zu werden. Hin und wieder ließ sich Schmitt zwar von Däubler erneut beeindrucken, doch überwog insgesamt die Abneigung, die sich bald zu wahren Ausbrüchen von Haß und Wut steigerte. „Schreckliche Wut über Däubler“, heißt es am 9. November und gleich danach: „Wut über Däubler, das Schwein. Dieser Riesenparasit. Angst vor seinem Schicksal, vor seinem Brüllen, vor seinem Fressen.“ Als er am 14. November endlich seine Abreise ankündigte, kommentierte Schmitt: „Ich atme erleichtert auf.“129 Die Beziehung brach damit nicht ab, man wechselte weiterhin Briefe und traf sich auch gelegentlich.130 Auf Schmitts Seite war jedoch die Entzauberung vollkommen. Als Däubler nach dem Ersten Weltkrieg den Wunsch nach einer Neuauflage seines Essays äußerte, lehnte er dies ab, die verbliebenen Exemplare ließ er einstampfen.131 Erst nach dem Zweiten Weltkrieg notierte er in seinem Tagebuch, das Nordlicht begegne ihm „mit großer Gewalt von Neuem.“132 Zu diesem Zeitpunkt war Däubler schon lange nicht mehr am Leben. Das Fiasko dieser Begegnung war für Schmitt von nachhaltiger Bedeutung, löste es doch den Impuls aus, hinsichtlich der Aufhebung der Entzweiung nicht länger auf Kunst, Mythos oder Glauben zu vertrauen, sondern stärkere Mächte ausfindig zu machen, die auch eine institutionelle Basis besaßen. Da Schmitt seine Distanz gegenüber dem Staat, 128 129 130

131 132

Vgl. Schmitt, Die Militärzeit (2005), S. 142 ff. (7.10.; 9.10, 14.10.1915). Vgl. ebd., S. 142–155. Die noch unveröffentlichten Tagebücher Schmitts aus den Jahren 1921 bis 1924 enthalten zwei Briefentwürfe vom 23.2.1923 und vom 25.6.1924, von denen sich der zweite auf Däublers Sang an Mailand bezieht („wie groß und erhaben“). Von einem dieser Treffen berichtet ein Mitglied des Bonner Freundeskreises, der Journalist Paul Adams, in einem Brief an Erik Peterson. Däubler sei zu Besuch in Bonn gewesen und habe von seinem neuen Buch ‚Gnostische Visionen‘ gesprochen, was Schmitt mit einem ganz betretenen Gesicht kommentiert habe. Immerhin: „Schmitt und er umarmten sich im Bruderkuß. Ich hatte das Gefühl eines Freimaurerritus. Auf jeden Fall war die Szene sehr verschieden von dem christlichen Bruderkuß.“ Paul Adams an Erik Peterson, Brief vom 7.3.1927, in: Nichtweiß, „Die Zeit ist aus den Fugen“, S. 70 f. Vgl. Mehring, Carl Schmitt, S. 86. Vgl. Schmitt, Glossarium (1991), S. 171 (Eintrag vom 28.6.1948). Vgl. aber bereits die von 1946 datierenden Ausführungen zu Däubler in: Ex Captivitate Salus (1987), S. 45 ff.

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der noch bis 1918 Krieg führte und mit Einberufung zum Fronteinsatz drohte, beibehielt, zugleich aber auch wenig Sympathien gegenüber der parlamentarischen Opposition hegte, lag es nahe, sich wieder mehr der Kirche zuzuwenden, von der er durch sein katholisches Herkunftsmilieu geprägt war, zu der er allerdings zeitweise auch ein durchaus distanziertes und kritisches Verhältnis unterhalten hatte, wie seine Tagebucheintragungen belegen.133 Diese Wiederentdeckung der Kirche zeigte sich erstmals in Schmitts Beteiligung an der 1917 von Franz Blei und Jakob Hegner herausgegebenen Zeitschrift Summa, die sich die Versöhnung von Kirche und sozialer Demokratie zum Programm gemacht hatte, dabei freilich zur Kirche als Amts- bzw. Staatskirche ein durchaus distanziertes Verhältnis unterhielt.134 Von den drei Texten, die Schmitt zu diesem schon nach einem Jahr wieder abgebrochenen Unternehmen beigesteuert hat, war zwar nur der mittlere über „Die Sichtbarkeit der Kirche“ einschlägig, während der erste, „Recht und Macht“, ein Wiederabdruck eines Kapitels aus Der Wert des Staates war, der zweite, „Die Buribunken“, eine Satire. Der mittlere Beitrag nahm indes eine wichtige Weichenstellung vor, revidierte Schmitt doch in ihm sowohl seine antipolitische bzw. antistaatliche als auch seine antisoziale Einstellung, indem er der Kirche die Leistung zuschrieb, eine „Revolution in der Weltgeschichte“ herbeigeführt zu haben. Diese bestehe einmal darin, der weltlichen Obrigkeit eine neue Grundlage untergeschoben zu haben, die aus der staatlichen Anerkennung des Christentums resultiere; sodann und vor allem in der neuen Qualität, welche Christus dem einzelnen Menschen wie der menschlichen Gemeinschaft verliehen habe. Mittels der von Christus gestifteten Kirche halte Gott den Menschen in der Welt, und zwar so, daß „sein Verhältnis ad se ipsum (…) nicht möglich (sei) ohne ein Verhältnis ad alterum. Denn in der Welt sein, heißt mit andern sein, alle Sichtbarkeit liegt für seine geistige Bedeutung darin, daß sich eine Gemeinschaft konstituiert. Erhalten deren Glieder ihre Würde unmittelbar von Gott und können sie deshalb von der Gemeinschaft nicht vernichtet werden, aber doch nur durch die Gemeinschaft zu Gott zurückgelangen, so entsteht eine sichtbare Kirche. Der Mensch ist nicht allein in der Welt, Gott steht ihm bei, darum kann die Welt ihn nicht vernichten, aber er ist auch im ursprünglichen Sinne nicht allein in der Welt, das heißt, er bleibt in der Gemeinschaft andrer Menschen, darum bleibt er auch in seinem Verhältnis zu Gott in der Gemeinschaft und der durch sie bedingten Mittelbarkeit.“135 Auf diesem Verständnis der Kirche als einer durch die Menschwerdung Gottes vermittelten „Veranstaltung zur Geltendmachung des Unsichtbaren im Sichtbaren“ baute Schmitts einige Jahre später entfaltete Lehre von der Repräsentation als eines 133

134 135

Vgl. neben der weiter oben angeführten Passage etwa Schmitt, Tagebücher (2003), S. 231 (21.10.1910). Reinhard Mehring urteilt denn auch für diese Zeit: „Als frommgläubiger Christ erscheint er kaum“ (Carl Schmitt, S. 76). Franz Blei hielt ihn für einen ‚gottlosen Klerikalen‘ (Franz Blei an Carl Schmitt, Brief vom 7.12.1921, in: Blei, Briefe an Carl Schmitt, Nr. 10); Wilhelm Stapel urteilte über ihn: „Er ist Katholik, aber ohne Glauben, wie mir scheint.“ (Wilhelm Stapel an E. G. Kolbenheyer, Brief vom 11.6.1933, in: Lokatis, Wilhelm Stapel und Carl Schmitt [1996], S. 48 f.). Vgl. Dücker, „Es lebe der Kommunismus und die katholische Kirche“, S. 54 ff. Zur Summa vgl. Caronello, Max Scheler und Carl Schmitt. Schmitt, Die Sichtbarkeit der Kirche (1917). Zitiert nach Schmitt, Die Militärzeit (2005), S. 445– 452, 447 f.

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konsequent von oben nach unten verlaufenden Vorgangs auf, der „ein unsichtbares Sein durch ein öffentlich anwesendes Sein sichtbar“ mache und dabei stets eine „personale Würde“ voraussetze: „sowohl bei dem Repräsentierten wie bei dem Repräsentanten wie auch bei demjenigen, vor dem repräsentiert wird.“136 Die „Sichtbarkeit der Kirche“ ist neben dem sechs Jahre später publizierten Essay über den römischen Katholizismus der wichtigste Beleg für die These, „daß der Katholizismus entscheidenden Einfluß auf Carl Schmitt ausgeübt hat, und zwar in jeder Phase seines Denkens.“137 Dem ist insoweit zuzustimmen, als dieser Text ein Plädoyer für die Institution Kirche als diejenige Form des „hierokratischen Verbandes“ (Max Weber) ist, die auf Anstaltsgnade und Anstaltsgehorsam beruht und die darüber hinaus durch einen spezifisch christlichen Inhalt legitimiert wird, nämlich das Petrusbekenntnis und das darauf begründete Petrusamt mit all seinen Vollmachten.138 Zu diesen Vollmachten gehört jedoch auch, und erst dies macht das eigentlich Katholische aus, die Letztverfügung über die Lehre, welche auf dem Glauben basiert, „daß Gott die Gemeinde der Welthauptstadt nicht werde irren lassen“, woraus „das unfehlbare Lehramt ihres Bischofs“ entstand.139 Exakt in diesem Punkt meldet Schmitt einen Vorbehalt an. Weil die Sichtbarkeit der Kirche nicht ein für allemal gegeben sei, vielmehr „immer eine Aufgabe“ bleibe, „durch deren Erfüllung die konkrete Kirche sich erst zur sichtbaren Kirche macht, die aber unvollkommen erfüllt sein kann“, sei „nie der Kritik des Einzelnen die Grundlage entzogen.“ Auch in der Kirche gelte der Satz, „daß man Gott mehr gehorchen muß als den Menschen, und der Vorbehalt, der damit in die Macht jedes Einzelnen gelegt wird, ist so unaustilgbar und sublim, daß er sogar der unfehlbaren Instanz gegenüber Geltung behält.“ Immerhin könne Gott es „in den Zeiten äußerster Verwirrung“ zulassen, daß der Antichrist Papst wird, woraus sich die „religiöse Möglichkeit des Protestantismus“ ergebe.140 Gewiß: nur die Möglichkeit und nicht auch schon deren Realisierung, da nichts die Spaltung der Kirche rechtfertigt. Unverkennbar aber ist, daß Schmitt hier mit Blick auf die Kirche eben jene Trennung zwischen öffentlicher Sphäre und moralischem Innenraum affirmiert, die ihm zwanzig Jahre später mit Blick auf den Staat als der „Todeskeim“ erscheinen wird, „der den mächtigen Leviathan von innen her zerstört und den sterblichen Gott zur Strecke gebracht hat.“141 Daß ein Denken „grundsätzlich katholischen Charakters“ sei,142 das auch die „Möglichkeit des Protestantismus“ enthält, heißt den Gedanken von der „complexio oppositorum“ doch sehr strapazieren. Schmitt selbst muß diese Problematik bewußt gewesen sein, machte er sich doch in seinem nächsten größeren Projekt daran, einen jener Triebe zu zerstören, die nach Ansicht der von ihm geschätzten Autoren der französischen Gegenrevolution aus der 136 137 138

139 140 141 142

Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 209; Parlamentarismus (1979), S. 44. Vgl. auch Römischer Katholizismus, S. 35 f. Eichhorn, Es wird regiert, S. 48. Ähnlich Kröger, Bemerkungen. Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft5 , S. 29; Wirtschaft und Gesellschaft. Religiöse Gemeinschaften, S. 343 ff. Näher dazu Tyrell, Katholizismus und katholische Kirche. Zur Bedeutung des Petrusamts vgl. auch Eichhorn, Es wird regiert, S. 53. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Religiöse Gemeinschaften, S. 213. Schmitt, Die Sichtbarkeit der Kirche (1917), in: Die Militärzeit (2005), S. 450. Schmitt, Der Leviathan (1982), S. 86. Eichhorn, Es wird regiert, S. 50.

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Reformation entsprungen waren.143 Dieser Aufgabe widmete er den Essay über Politische Romantik, an dem er bis zum Sommer 1918 arbeitete. Hatte er sich noch in der Nordlicht-Studie vor allem für die Aspekte interessiert, die sich zur Kompensation einer als defizitär dargestellten Gegenwart eigneten, so traten derartige Zusammenhänge in der neuen Arbeit gänzlich zurück. Die doch bei Adam Müller, bei Arnim oder bei Eichendorff unstreitig vorhandenen Ansätze einer Modernitätskritik144 wurden rigoros beiseitegeschoben und von einer Polemik verdrängt, die vom Interesse bestimmt war, die romantische Position als substanzlos und illegitim zu entlarven und damit zugleich zu bannen. Die destruktive Intention manifestierte sich in zahlreichen absprechenden Urteilen. Den Romantikern wurde eine „innere(r) Unwahrhaftigkeit“ bescheinigt, die sich aus dem Widerspruch ergebe, produktiv sein zu wollen ohne zugleich aktiv zu sein.145 Sie wurden als sozial und geistig ohne jeden Halt dargestellt, als Menschen ohne Moral und Verantwortungsgefühl.146 Sklaven ihrer eigenen Affekte, seien sie unfähig gewesen, diese auch nur künstlerisch zu gestalten.147 Vielmehr hätten sie sich auf das bloße Erleben beschränkt, auf den Genuß der Stimmung, die irgendein beliebiger Gegenstand in ihnen ausgelöst habe.148 Erst recht habe ihnen die Kraft gemangelt, „ihr geistiges Wesen in einem philosophischen System (…) zu objektivieren.“149 Alles, was sie zustande gebracht hätten, sei eine „allgemeine(n) Vertauschung und Vermengung der Begriffe“, eine „ungeheuerliche(n) Promiskuität der Worte“, in der sich jeder „seine Welt gestalten und jedes Wort zum Gefäß unendlicher Möglichkeiten machen (kann)“.150 Die Swedenborgsche Hölle, in der sich Schmitt noch vor wenigen Jahren selbst gefangen gesehen hatte: hier kehrte sie wieder, als erklärbares und damit nicht länger beunruhigendes Resultat der spezifisch romantischen Stellung zur Welt: „Der Wille zur Realität endete im Willen zum Schein. Sie hatten nach der Wirklichkeit der Welt gegriffen, nach der ganzen Welt auf einmal, der Totalität des Kosmos. Statt dessen erhielten sie Projektionen und Resorptionen, Elongaturen und Abbreviaturen, den Punkt, den Kreis, die Ellipse, die Kugel, einen beseelten, d. h. subjektivierten ludus globi. Sie erreichten es, daß sie der Realität der Dinge entglitten, dafür waren ihnen nun auch die Dinge entglitten, und wenn man sie in ihren Schriften, ihren Briefen und Tagebüchern mit der Handhabung des Universums beschäftigt sieht, erinnern sie einen manchmal an die Verdammten in der Swedenborgischen Hölle der Allzulistigen: sie sit-

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Vgl. Schmitt, Politische Romantik (1982), S. 11. Vgl. auch die entsprechenden Hinweise bei Lorenz, De Bonald, S. 32 (zu de Bonald), S. 90 (Comte), S. 191 (Maurras). Ganz in diesem Sinne heißt es in einer Notiz vom April 1924, „daß die Romantik die Vollendung des Protestantismus ist“ (Schmitt, Tagebücher 1921 bis 1924). Vgl. etwa Groh, Die Gesellschaftskritik der Politischen Romantik. Vgl. Schmitt, Politische Romantik (1919), S. 161. Ebd., S. 105. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 89 ff. Ebd., S. 161. Ebd., S. 72 f.

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M E zen in einer engen Tonne, sehen über sich wunderbare geometrische Figuren, die sie für die Welt halten, und glauben, sie hätten diese Welt zu regieren.“151

Die für den Romantiker typische Haltlosigkeit, seine „innere Widerstandslosigkeit gegen den jeweilig nächsten und stärksten Eindruck“, war nach Schmitt weder psychologisch noch soziologisch begründet. Sie folgte vielmehr zwingend aus dem Zusammenhang der geistigen Situation der Zeit, wie er nicht erst seit 1800, sondern bereits seit den Anfängen der modernen Geistesgeschichte gegeben war – nach Schmitts Überzeugung (wie schon nach derjenigen des deutschen Idealismus): seit Descartes.152 Mit dessen Philosophie habe die Erschütterung des alten ontologischen Denkens begonnen, sei der Mensch statt an die Realität der Außenwelt an sein Denken, an einen subjektiven und internen Vorgang verwiesen worden. Denken und Sein, Begriff und Realität, Subjekt und Objekt seien auseinandergebrochen und seitdem nicht wieder zusammengebracht worden, auch durch die Bemühungen des Idealismus nicht.153 Das dadurch aufgetretene Problem der Vermittlung sei von Descartes und mehr noch von den an ihn anschließenden Systemen (Geulincx, Malebranche) mit der Denkfigur des „Occasionalismus“ gelöst worden, der die wahre Ursache jedes einzelnen psychischen und physischen Vorgangs in Gott als dem eigentlichen und streng genommen einzigen Handelnden gefunden, jeden außerhalb Gottes liegenden Grund hingegen für einen bloß occasionellen Anlaß erklärt habe.154 In Wahrheit sei dadurch der Dualismus zwischen res cogitans und res extensa nicht wirklich bewältigt worden. Vielmehr sei er lediglich illusorisch gemacht worden, indem das Denken in ein umfassendes Drittes ausweiche, eine vermeintlich höhere Realität, „in deren Kraft der Gegensatz von Leib und Seele ins Wesenlose verschwindet.“155 Die Romantik habe diese Denkfigur beerbt, allerdings zugleich säkularisiert, indem sie Gott durch das genialische Subjekt ersetzt habe.156 In diesem Sinn war die Romantik nicht nur eine weitere Form des Subjektivismus, wie ihn etwa bereits die Antike in Gestalt der Sophistik kannte, sondern „subjektivierter Occasionalismus“:157 subjektivistisch in ihrer Aufhebung aller Gegenständlichkeit und ihrem Anspruch, daß das Erleben des Subjekts das allein Entscheidende sei; occasionalistisch in ihrem beständigen „Entweichen von einem Gebiet in das andre, zu dem fremden, ‚höhern‘ Dritten“, das in unterschiedlichster Gestalt auftreten konnte: als Gemeinschaft, als Staat, als Ich, als Geschichte.158 151 152

153 154 155 156 157 158

Ebd., S. 74. Vgl. ebd., S. 47. „René Descartes“, heißt es schon in Hegels Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, „ist in der Tat der wahrhafte Anfänger der modernen Philosophie, insofern sie das Denken zum Prinzip macht. (…) Die Wirkung dieses Menschen auf sein Zeitalter und die neue Zeit kann nicht ausgebreitet genug vorgestellt werden. Er ist so ein Heros, der die Sache wieder einmal ganz von vorne angefangen und den Boden der Philosophie erst von neuem konstituiert hat, auf den sie nun erst nach dem Verlauf von tausend Jahren zurückgekehrt ist.“ (S. 123). Vgl. auch Schelling, Zur Geschichte der neueren Philosophie, S. 286 ff. Vgl. Schmitt, Politische Romantik (1919), S. 48. Vgl. ebd., S. 78 f. Ebd., S. 80. Vgl. ebd., S. 89. Ebd., S. 161. Ebd., S. 141.

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Ob diese Einschätzung in den von Schmitt herangezogenen Fällen tatsächlich zutrifft, muß hier dahingestellt bleiben.159 Die von ihm herausgearbeiteten Merkmale – die Fixierung auf Erlebnisse und Stimmungen, das Ausweichen in hyperreale Sphären – machen immerhin plausibel, weshalb ihm „politische Romantik“ einerseits als eine contradictio in adiecto erschien, andererseits aber auch wieder nicht. Aus der Neigung, vor dem Dualismus, dem „Kampf der Gottheiten“, einfach auszuweichen, leitete er die generelle Unfähigkeit des Romantikers ab, „aus freiem Entschluß eine bedeutende politische Idee festzuhalten“, ja überhaupt politische Entscheidungen zu treffen, die stets auf ein „Entweder-Oder“ im Sinne Kierkegaards hinausliefen.160 Da aber „eine ungestörte Beschäftigung mit der eignen Stimmung“ „nur in einer geregelten bürgerlichen Ordnung“ möglich war, folgte aus denselben Gründen ein „Quietismus“, eine „absolute Passivität“, die zwar prima facie un- oder antipolitisch sein mochte und vom Politischen ins Religiöse gravitierte, im Resultat aber zumindest indirekt politische Effekte hatte, indem sie einen „absolute(n) Gouvernementalismus“ begründete.161 Juste Milieu und ‚romantische Anarchie‘162 lagen in dieser Perspektive sehr dicht beieinander. Schmitts Deutung der politischen Romantik lief in der Summe auf eine so scharfe Absage hinaus, daß es nicht angeht, ihn auf Umwegen doch wieder dem romantischen Bewußtsein zuzuschlagen.163 In dieser Hinsicht ist dem Widerspruch Karl Heinz Bohrers gegen Habermas Recht zu geben.164 Wenn Bohrer nun aber aus Schmitts Text einen „Soupçon gegen eine seit der romantischen Epoche stattgehabte Ausdifferenzierung des Ästhetischen“ herausliest und ihm die Absicht unterstellt, in fundamentalistischer Manier die vormoderne Ontologie wiederherstellen zu wollen,165 dann ist dem ebenfalls zu widersprechen. Die Auflösung der vormodernen Ordnung wird in der Politischen Romantik als Faktum dargestellt, ganz ohne den klagenden Unterton, mit dem etwa die fast zeitgleich erschienene Theorie des Romans von Georg Lukács den damit verbundenen Verlust der Lebensimmanenz des Sinnes und der extensiven Totalität begleitete.166 159

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Begründete Zweifel daran meldet mit Blick auf Adam Müller André Schlüter an: vgl. Der politische Gehalt von Carl Schmitts Politischer Romantik, S. 121. Auch Kondylis, Konservativismus, S. 383, sieht Müller in deutlicher Distanz zum Subjektivismus der Romantik. Schmitt, Politische Romantik (1919), S. 57, 47. Zum Einfluß Kierkegaards auf Schmitt vgl. weiter unten. Die Formel vom „Kampf der Gottheiten“ dürfte unmittelbar auf Max Weber zurückgehen, der sie in leicht modifizierter Form (‚Kampf der Götter der einzelnen Ordnungen und Werte‘) im November 1917 in seinem Münchner Vortrag über „Wissenschaft als Beruf“ verwendet hat, seinerseits zurückgreifend auf John Stuart Mills Essays on Religion (1874): vgl. Weber, Wissenschaft als Beruf, in: Weber 1992, S. 100. Näher dazu: Tyrell, „Kampf der Götter“. Schmitt hat diesen Vortrag gehört: vgl. Mehring, Carl Schmitt, S. 118. Schmitt, Politische Romantik (1919), S. 91, 161 f. Ebd., S. 72. Das war schon bei den Zeitgenossen eine beliebte Strategie: vgl. den Bericht der Frankfurter Zeitung vom 6.2.1932 über einen Vortrag Hermann Hellers über „Die gegenwärtige Erneuerung der romantischen Staatstheorien“ vor der Frankfurter Gruppe der Kant-Gesellschaft, in dem Schmitt mit Othmar Spann in einen Topf geworfen wird. Vgl. Bohrer, Die Kritik der Romantik, S. 310; Habermas, Eine Art Schadensabwicklung, S. 111. Bohrer, Die Kritik der Romantik, S. 294, 292. Vgl. Georg Lukács: Die Theorie des Romans, 32, 47. Das Buch erschien erstmals 1920, entstand aber bereits 1914/15.

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Schmitts Kritik richtete sich nicht gegen das Auseinandertreten von Denken und Sein, wie dies etwa für Schellings Distanzierung von Descartes charakteristisch ist.167 Sie wendete sich vielmehr gegen die in seinen Augen unzureichende Vermittlung, wie sie zunächst philosophisch vom Occasionalismus, später ästhetisch von der Romantik prätendiert wurde. Sie richtete sich auch nicht gegen die ästhetischen Qualitäten, die dem romantischen Occasionalismus mit seiner Negation jeglicher causa, jeder berechenbaren Ursächlichkeit oder Bindung an eine Norm zukommen konnten, auch wenn Schmitt im Vorwort zur zweiten Auflage seiner Schrift die „schönsten Leistungen“ der romantischen Kunst in der „Intimität des Gemüts“ lokalisierte und ihr die Fähigkeit zur Repräsentation, zum „großen Stil“ absprach.168 Nicht die Differenzierung von Wertsphären und Lebensordnungen stand zur Kritik, sondern ganz im Gegenteil die Negation dieser Differenzierung durch die „Expansion des Ästhetischen“, durch die „Verabsolutierung der Kunst“, ihre Übertragung in andere Handlungsfelder wie Politik, Recht, Moral oder Wissenschaft.169 Denn das war nach Schmitt zu erwarten, wenn diese Felder ästhetisiert bzw. „romantisiert“ wurden: eine Verkennung der durch den Differenzierungsprozeß entstandenen „neue(n) diesseitige(n) Realitäten“, ein mangelndes Verständnis „sowohl für die Grenzen der Wirksamkeit des Staates wie für die Grenzen des Einzelnen“, die in letzter Konsequenz auf die „Entwirklichung der Welt in eine Konstruktion“ hinauslief.170 Indem Schmitt es zur Aufgabe erklärte, die Eigenlogik der verschiedenen Handlungsfelder vor einer Kontamination mit dem Ästhetischen zu schützen, ergriff er Partei für die Moderne und gegen die Gebildeten unter ihren Verächtern. Es ging nicht um Wiederverschmelzung der auseinandergetretenen Ordnungen, sei es in progressiv-utopischer oder in regressiver Perspektive, sondern um Sicherung der „neue(n) Ontologie“, um „Anerkennung der neuen Realität“ in der doppelten Gestalt, in welcher sie sich seit dem 18. Jahrhundert präsentierte: als „Gesellschaft“ und als „Geschichte“.171 Es ging aber zugleich um eine Zurückweisung der Form, die diese beiden „Demiurgen“ im Medium des romantischen Bewußtseins annahmen. Aus der Gesellschaft werde dadurch nämlich ein revolutionärer Gott, „der alle sozialen und politischen Schranken beseitigt und allgemeine Brüderlichkeit der ganzen Menschheit proklamiert“; aus der Geschichte ein „Zustand ewigen Werdens und nie sich vollendender Möglichkeiten“, an dem gemessen jedes hic et nunc leer und wertlos erscheint.172 Gegenüber diesen Verzerrungen bestand Schmitt auf einer anderen, wie er meinte: realitätsgerechteren Gestaltung der Moderne. Ansätze dazu glaubte er vor allem bei den 167

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Vgl. Schelling, Zur Geschichte der neueren Philosophie, S. 310: „Den allgemeinsten, aber zugleich schlimmsten Einfluß übte die Philosophie des Cartesius aus, indem sie das schlechterdings Zusammengehörige gegenseitig sich Erklärende und Voraussetzende, Materie und Geist, absolut auseinander riß und so den großen allgemeinen Organismus des Lebens zerstörte, und mit dem niederen zugleich den höheren einer todten bloß mechanischen Ansicht preisgab, die nahezu bis auf die letzte Zeit in allen Theilen des menschlichen Wissens und selbst in der Religion die herrschende blieb.“ Vgl. Schmitt, Politische Romantik (1982), S. 21, 20. Ebd., S. 20 f. Vgl. Rocques, Die umstrittene Romantik, S. 113 f. Schmitt, Politische Romantik (1919), S. 49, 112, 70. Ebd., S. 49, 51. Ebd., S. 53, 60.

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Theoretikern der Restauration zu erkennen: Burke, de Bonald, de Maistre, zu denen später noch Donoso Cortes hinzukam. Diese würden zwar häufig der Romantik zugerechnet, seien aber insofern durch Welten von ihr getrennt, als sie sich im „Kampf der Gottheiten“ von vornherein für den zweiten Demiurgen, die Geschichte, entschieden hätten. Indem sie diese als Dauer, als „longum tempus“ deuteten, was wiederum nur durch den Bezug auf die Religion möglich gewesen sei,173 hätten sie die Voraussetzung geschaffen, um den anderen Gott, die Gemeinschaft, zu zähmen. Durch ihr Werk und nicht zuletzt auch durch dasjenige ihrer Nachfahren, „der politisch tätigen Royalisten der dritten Republik“, die der Romantik entschieden den Kampf angesagt hätten, habe er sich in einen „konservative(n) Gott“ verwandelt, „der restauriert, was der andere revolutioniert hat.“174 So sei es gelungen, „die allgemeine menschliche Gemeinschaft zum historisch konkretisierten Volk“ zu konstituieren, „das durch diese Begrenzung zu einer soziologischen und historischen Realität wird und die Fähigkeit erhält, ein besonderes Recht und eine besondere Sprache als Äußerung seines individuellen Nationalgeistes zu produzieren.“175 Die Nation im Sinn eines individualisierten Volkes, „einer dauernden, über Generationen sich erstreckenden Gemeinschaft“, wie auch das „neue historische Gefühl“, das „erwachende Nationalgefühl“, seien deshalb entgegen der verbreiteten Meinung nicht der Romantik oder der Revolution zuzurechnen, sondern der Restauration,176 worunter jedoch nach Schmitt nicht einfach eine Rückkehr zur Vormoderne zu verstehen ist, sondern eine alternative Moderne – mit einem anderen, nicht von Schmitt stammenden Ausdruck: eine „Gegenmoderne“.177 Als geistesgeschichtliche Rekonstruktion enthält diese Darstellung manche Fragwürdigkeiten. So ist zu Recht moniert worden, daß die Entdeckung der Geschichte als eines Ensembles überindividueller Kräfte eine Leistung der Aufklärung und insofern keineswegs das konservative Gegenstück zur revolutionären Vergöttlichung der Gemeinschaft gewesen ist.178 Auch sind die moderne Nation und der auf ihr basierende Nationalismus alles andere als Hervorbringungen des Konservatismus, wie Schmitt selbst schon bald, in seiner Studie über Die Diktatur, erkennen mußte.179 Die Konservativen akkommodierten sich zwar nach einigem Zögern der mit der Revolution aufkommenden Nationsidee, scheiterten aber mit ihren Bemühungen, sie ihrer Sprengkraft in bezug auf ihr Sozialmodell der alteuropäischen societas civilis zu entschärfen. „Ja, noch mehr: die an den Absichten der geschichtlich handelnden Personen vorbeiführende Logik der langfristigen Entwicklung brachte es mit sich, daß von allen Elementen, die die Auflösung der societas civilis und die Herausbildung der modernen Staatlichkeit in die Welt setzte, der Nationalismus dasjenige gewesen ist, das ins konservative Lager am tiefsten eindrang, um es zu spalten bzw. politisch-ideologisch umzugestalten, worunter freilich die 173 174

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Vgl. ebd., S. 54. Ebd., S. 162, 53. Mit den Royalisten der Dritten Republik dürfte vor allem Charles Maurras gemeint sein, der den „Romantisme“ immer wieder als „anarchisme littéraire“ bezeichnet hat: vgl. Lorenz, De Bonald, S. 198 f. Schmitt, Politische Romantik (1919), S. 53. Ebd., S. 55, 115; vgl. auch S.62. Vgl. Beck, Die Erfindung des Politischen, S. 99 ff. Vgl. Kondylis, Konservativismus, S. 351. Vgl. weiter unten, S. 60 f.

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konservative Identität am schwersten leiden mußte.“180 Daß dieser Widerstreit zwischen Konservatismus und Nationalismus zu Lasten des ersteren gelöst wurde, dafür ist nicht zuletzt die Denkentwicklung Carl Schmitts ein Beispiel. 4. Bevor diese Entwicklung weiter verfolgt werden kann, ist indes eine kurze Zwischenbetrachtung erforderlich, um das bisher Gesagte zu resümieren und eine Weichenstellung für das Kommende vorzunehmen. Dabei kann an einen Text angeknüpft werden, den Schmitt vier Jahre nach der Politischen Romantik vorgelegt hat, als er bereits nicht mehr in München, sondern in Bonn war. In diesem Text setzte er insofern einen neuen Akzent, als er den Romantikern im Nachhinein zubilligte, ihre Positionen und Begriffe nicht gänzlich willkürlich entwickelt zu haben. „Ihr Ausgangspunkt ist tatsächlich eine gegebene Spaltung und Entzweiung, eine Antithetik, die eine Synthese braucht oder eine Polarität, die einen ‚Indifferenzpunkt‘ hat, ein Zustand problematischer Zerrissenheit und tiefster Unentschiedenheit, dem keine andere Entwicklung möglich ist, als sich selbst zu negieren, um, negierend, zu Positionen zu gelangen.“181 Diese Beschreibung läßt sich nicht nur auf die Romantiker, sondern auch auf Schmitts eigene Denkbewegung beziehen. Diese setzte ein mit der Konstruktion einer schroffen Antithetik von Sollen und Sein und fand eine höhere Ebene, in der dieser Gegensatz aufgehoben war, in der Kunst, speziell im Werk Theodor Däublers. Die intensive Rezeption gnostischer Denkfiguren führte dann zu einer Steigerung des Dualismus in kosmologische und welthistorische Dimensionen, der gegenüber die versöhnende Kraft der Kunst nicht mehr ausreichte. „Das Letzte und Entscheidende kann nicht ‚gemacht‘ werden“, lautete deshalb die These der zweiten Däubler-Studie, in der Schmitt konsequent den Schritt zum soteriologischen Mythos vollzog, genauer: zu einer Form der Fremderlösung. Das „Nordlicht“ sollte danach nicht aus eigener Kraft errungen werden, sondern „Offenbarung, Geschenk, Gnade“ sein. In diesem Sinn sollte es „die Negation der letzten und universalsten aller Negationen“ darstellen.182 Mit der Politischen Romantik verlagerte sich die Aufmerksamkeit auf einen neuen Dualismus, dessen letzte Wurzel im Verhältnis von res cogitans und res extensa ausgemacht wurde. Dagegen wurde als das höhere Dritte die Kirche ins Spiel gebracht, die als „complexio oppositorum“ alle Gegensätze umfasse und „Marcions Entweder-Oder (…) mit einem Sowohl-Als auch beantworte(t)“.183 Das aber heißt nichts anderes, als daß auch noch die mit der Kirche gegebene Synthese dem ‚subjektivierten Occasionalismus‘ zugerechnet werden muß. Gewiß, Schmitts Texte zwischen 1917 und 1924 sind voller Bewunderung für die katholische Kirche, jenen „Wunderbau christlicher Ordnung und Disziplin, dogmatischer Klarheit und präziser Moral.“184 Sie preisen ihre „besondere Rationalität“, die, als spezifisch juridische, dem 180 181 182 183 184

Kondylis, Konservativismus, S. 294. Schmitt, Römischer Katholizismus (1925), S. 13 f. Schmitt, Theodor Däublers „Nordlicht“ (1991), S. 56, 55, 65. Schmitt, Römischer Katholizismus (1925), S. 11. Schmitt, Vorwort zur 2. Auflage, in: Politische Romantik (1982), S. 9.

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Rationalismus des ökonomischen und technischen Denkens überlegen sei, und würdigen ihre „Kraft zur Repräsentation“, die allein wirkliche Autorität verbürge.185 Sie leiten überdies eine bis 1929 anhaltende Phase ein, die durch rege publizistische Aktivität in Medien des katholischen Milieus bestimmt ist: im Hochland, im Abendland sowie in der mit dem letzteren verbundenen Kölner Volkszeitung.186 Wer daraus jedoch ableiten wollte, daß Schmitts Werk sich aus einer „katholischen Grundstellung“ entfaltet habe, die ihren Schlüsseltext in Römischer Katholizismus und politische Form besitze,187 übergeht nicht nur die in der Politischen Romantik entwickelte Kritik an allen Denkmustern, die vor dem Entweder-Oder auf ein höheres Drittes ausweichen. Er übersieht auch, daß Schmitt für die Gegenwart wie die unmittelbare Zukunft expressis verbis die Untauglichkeit des Sowohl-Als auch behauptete und der Kirche anriet, diesem ihrem Prinzip nicht zu folgen, jedenfalls nicht in the short run. Heute – 1923 – stelle sich nämlich nicht weniger als die Wahl zwischen westeuropäischer Zivilisation und Barbarentum, das sich intern in der Gestalt des modernen Proletariats, extern in derjenigen des Russentums präsentiere; und vor dieser Wahl könne auch die Kirche nicht ausweichen. Wohl garantiere ihr Prinzip der „complexio“ der Kirche das Überleben, so daß letztlich kein Anlaß zur Sorge bestehe. „Aber es gibt trotzdem eine unvermeidliche Entscheidung des gegenwärtigen Tages, der aktuellen Lage und jeder einzelnen Generation. Hier muß die Kirche, auch wenn sie sich für keine der kämpfenden Parteien erklären kann, doch tatsächlich auf einer Seite stehen, so wie sie zum Beispiel in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts auf der gegenrevolutionären Seite stand.“188 Handlungsanleitungen waren demnach nicht den alten Kirchenvätern zu entnehmen, denen seinerzeit die Überwindung der gnostischen Vereindeutigungen gelungen war. Handlungsanleitend war vielmehr erneut das marcionitische „Entweder-Oder“, die „große Alternative (…), die keine Vermittlung mehr zuläßt“, die „keine Synthese und kein ‚höheres Drittes‘ kennt“.189 Dies für die Moderne mit aller Schärfe herausgestellt zu haben, war nach Schmitt das Verdienst Kierkegaards, des „einzige(n) Großen“ unter den Romantikern und „innerlichste(n) aller Christen“, dem deshalb kein geringerer 185 186

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Vgl. Schmitt, Römischer Katholizismus (1925), S. 19, 26; Colliot-Thélène, Carl Schmitt versus Max Weber. Das seit 1903 erscheinende Hochland war mit bis zu 10 000 Exemplaren eine der auflagenstärksten Zeitschriften des deutschen Katholizismus (vgl. van Dülmen, Katholischer Konservatismus, S. 254; Dirsch, Das ‚Hochland‘). In ihm veröffentlichte Schmitt zwischen 1924 und 1929 sechs Aufsätze. Das 1925 von dem Bonner Romanisten Hermann Platz gegründete Abendland hatte einen stärker intellektuell orientierten Adressatenkreis. Von Mai 1927 bis Juni 1928 lag die Schriftleitung in den Händen von Schmitts Doktorand Werner Becker, der dort auch zahlreiche Texte veröffentlichte. Von Schmitt erschienen hier nur zwei Aufsätze, sechs weitere dagegen in der Kölner Volkszeitung, deren Redaktion im gleichen Haus untergebracht war und mit Waldemar Gurian ebenfalls ein Redaktionsmitglied hatte, das Schmitt eng verbunden war. Vgl. Koenen, Der Fall Carl Schmitt, S. 33 ff., 47, 53. Näher zum Abendland: Müller und Plichta, Zwischen Rhein und Donau, S. 22 ff. Einen umfassenden Überblick über Schmitts Beiträge und die Resonanz in der katholischen Publizistik gibt Dahlheimer, Carl Schmitt und der deutsche Katholizismus. So neben den o.g. Arbeiten von Eichhorn und Kröger noch Mehring, Pathetisches Denken. Schmitt, Römischer Katholizismus (1925), S. 52. Schmitt, Politische Theologie (1979), S. 69, 71.

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Titel als der eines „neuen Kirchenvater(s)“ zuzuerkennen sei.190 Wiewohl er sich dessen antisozialen, „jede als solche wertvolle menschliche Gemeinschaft“ negierenden Zug nicht zu eigen machen wollte,191 avancierte der dänische Protestant in seiner Darstellung doch zum Wiedergänger Marcions, der seiner Zeit unerbittlich vor Augen stellte, daß es nur die Wahl gab zwischen dem Allgemeinen, das bei ihm noch mit dem Ethischen zusammenfiel, und dem Zufälligen, Unmittelbaren, Momentanen und Diskontinuierlichen, wie es durch das Ästhetische repräsentiert wurde.192 Für Schmitt hatte sich seitdem die Konstellation etwas verschoben, das Allgemeine war jetzt identisch mit der westeuropäischen Bildung, dem rationalen Recht und beider Garanten: dem Staat als dem Träger des Entscheidungsmonopols, der Gegenpol hingegen mit der Romantik, dem „Satanismus“ und dem „atheistisch-anarchistischen Sozialismus“.193 Der Zwang zur Entscheidung für eine der beiden Alternativen aber bestand weiterhin, und mit ihm eine Konstellation, in der die katholische Kirche nur als ein hinzutretender Faktor in Betracht kam, nicht als das eigentliche „Subjekt der Entscheidung“.194 Mochte die Kirche auch in vielem das Vorbild abgegeben haben, in der Gegenwart bestimmte nicht sie das Gesetz des Handelns, sondern der Staat als „Status in einem absoluten Sinne“, welcher „alle anderen Statusverhältnisse, insbesondere Stände und Kirche (absorbiert)“.195 Insofern sich die Kirche dem entzog, stellte Schmitt sie schon 1930 in eine Reihe mit anderen pluralistischen Machtgruppen wie Parteien, Interessenverbände und Konzerne, die den Staat schwächten und relativierten.196 So war es denn auch folgerichtig, wenn Schmitt 1933 sich nicht vom römisch-katholischen Begriff von

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Vgl. Schmitt, Politische Romantik (1919), S. 58; Die Sichtbarkeit der Kirche (1917), in: Die Militärzeit (2005), S. 449; Vorbemerkung des Herausgebers zu den Schriften von Johann Arnold Kanne (1919), ebd., S. 475. Vgl. auch die Referenz in Politische Theologie (1979), S. 22, die freilich nur von einem nicht namentlich genannten „protestantische(n) Theologen“ spricht, „der bewiesen hat, welcher vitalen Intensität die theologische Reflexion auch im 19. Jahrhundert fähig sein kann“. Das folgende Zitat stammt jedoch von Kierkegaard, wie H. Hofmann nachgewiesen hat: Legitimität gegen Legalität, S. 66 f. Die Hochschätzung Kierkegaards hat sich durchgehalten. Noch 1948 erklärte Schmitt ihn zum „père de l’église invisible, qui reste le père et le grand maître et la source authentique de tout existentialisme; et l’existentialisme de Kierkegaard est encore plus profondément chrétien que celui de Heidegger est athéiste“ (Glossarium [1991], S. 80, Eintrag vom 11.1.1948). – Zum Einfluß Kierkegaards, der in Schmitts Münchner Zeit in katholischen Kreisen nicht weniger präsent war als in protestantischen, vgl. Nichtweiß, Erik Peterson, S. 99 ff.; speziell mit Bezug auf die Politische Romantik: Schmidt, Ironie und Kenosis. Schmitt, Politische Romantik (1919), S. 58. Vgl. etwa Kierkegaard, Entweder – Oder, S. 791 f., 817, 822 u. ö. Vgl. Schmitt, Politische Theologie (1979), S. 80. Vgl. ebd., S. 46. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 49. Entsprechend zu relativieren ist die spätere Selbsteinstufung Schmitts als „Katholik nicht nur dem Bekenntnis, sondern auch der geschichtlichen Herkunft, wenn ich so sagen darf, der Rasse nach“ (Glossarium [1991], S. 131, Eintrag vom 20.4.1948). Die hier in Anspruch genommene Eigenschaft machte sich in den verschiedenen Phasen von Schmitts langem Leben sehr unterschiedlich geltend und konnte zeitweise völlig in den Hintergrund treten, so insbesondere zwischen 1933 und 1945. Vgl. Schmitt, Staatsethik und pluralistischer Staat (1930), S. 31.

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Führung Abhilfe erhoffte, sondern auf denjenigen setzte, der zu dieser Zeit von der NSDAP verkündet wurde.197 Welch geringes Gewicht Schmitt der Kirche als der Verkörperung des Sowohl-Als auch zuschrieb, mag man im übrigen auch an dem weit größeren Interesse ablesen, das er zeitlebens häretischen und heterodoxen Strömungen entgegenbrachte. Während er die Vertreter des zeitgenössischen katholischen Naturrechts ignorierte, unterhielt er stets rege Beziehungen zu Autoren, die man mit Recht als „Häretiker der Moderne“ (WolfDaniel Hartwich) bezeichnet hat. Das gilt etwa für Franz Blei (1871–1942), den Herausgeber der Summa, der eine gnostisch-revolutionäre Auslegung des Christentums vertrat und von einem Propheten träumte, der die Christen aus den Katakomben heraus- und einer neuen brüderlichen Gemeinschaft entgegenführen sollte, in der Katholizismus und Kommunismus zwei Seiten einer Medaille bilden würden;198 für den Züricher Dadaisten Hugo Ball (1886–1927), der sich für Bakunin nicht weniger begeisterte als für die Asketen und Heiligen des Christentums und der in seinem Spätwerk wie in seiner franziskanisch geprägten Spiritualität und Lebensführung zu einem integralistischen Fundamentalismus fand;199 und nicht zuletzt für Schmitts Kollegen der Bonner Jahre, den Kirchenhistoriker und Theologen Erik Peterson (1890–1960), der sich wohl vor allem deshalb immer wieder mit der Gnosis befaßte, „weil er selbst durch einen bestimmten Zug seines Wesens und gerade in der Nachfolge Kierkegaards die Verführungskraft der Gnosis gut nachzuempfinden vermochte.“200 Mutatis mutandis liegt hier auch die Wurzel für die anhaltende Faszination, die Vertreter antistruktureller Positionen im politischen Feld auf Schmitt ausgeübt haben. Man denke an Otto Gross (1877–1920), den Verfasser einer Studie über „Die kommunistische Grundidee in der Paradiessymbolik“, auf

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Vgl. Schmitt, Staat, Bewegung, Volk (1933), S. 41. Vgl. Hartwich, Häretiker der Moderne, S. 92 ff. Mit Blei unterhielt Schmitt von 1917 bis 1933 einen Briefwechsel, von dem leider nur die eine Hälfte erhalten geblieben ist: vgl. Blei, Briefe an Carl Schmitt. Die Beziehung brach über der unterschiedlichen Stellungnahme zum Nationalsozialismus auseinander. 1936 erschien Bleis kritische Abrechnung „Der Fall Carl Schmitt“. Vgl. Wacker, Die Zweideutigkeit der katholischen Verschärfung, S. 142. Der Schriftsteller und Dramaturg Hugo Ball vertrat in seinen frühen Arbeiten eine ähnliche Mischung von Theokratie und Anarchismus wie Theodor Däubler. Als engagierter Beobachter der anarcho-revolutionären Szene kannte er auch Gustav Landauer und arbeitete während seines Schweizer Exils (ab 1915) an einem Bakunin-Brevier, das freilich zu seinen Lebzeiten nicht mehr veröffentlicht wurde (vgl. Berg, Avantgarde und Anarchismus sowie das Nachwort von Schlichting zu Ball, Michael Bakunin, S. 453 ff.). Zu einer ersten Begegnung mit Schmitt kam es wohl 1919 oder 1920 in München, zu einer weiteren 1924, nachdem Ball zum Katholizismus (re-) konvertiert war und im Hochland einen Aufsatz über Schmitt veröffentlicht hatte – einen Text, von dem Schmitt später meinte, er habe in seinem ganzen Leben keinen zweiten von ähnlicher Großartigkeit und Brillanz erhalten (vgl. Ball, Carl Schmitts Politische Theologie; Schickel, Gespräche mit Carl Schmitt, S. 33). Der Briefwechsel (Wacker 1996) brach allerdings schon nach kurzer Zeit wieder ab. Zu den Gründen des Zerwürfnisses, bei dem Waldemar Gurian eine Rolle spielte, vgl. Mehring, Carl Schmitt, S. 181. Das Verhältnis Ball-Schmitt erörtern u. a.: Kennedy, Carl Schmitt und Hugo Ball; Nienhaus, Politische Theologie und intellektuelle Toleranz, S. 189 ff.; Hartwich, Häretiker der Moderne. Nichtweiß, Erik Peterson, S. 170; vgl. ebd., S. 331. Zur Freundschaft mit Schmitt vgl. ebd., S. 727 ff. und dies., Apokalyptische Verfassungslehren.

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den Schmitt in der Politischen Theologie aufmerksam machte;201 an die lange, wie immer auch spannungsvolle Freundschaft mit dem ‚preußischen Anarchisten‘ Ernst Jünger, die just in der Phase entstand, in der dieser seinem Nihilismus am meisten die Zügel schießen ließ und das Chaos zur unabdingbaren Voraussetzung einer neuen Ordnung erklärte.202 Auf Anarchisten wie Proudhon und Bakunin kam Schmitt immer wieder zu sprechen, sachlich zweifellos ablehnend, immer aber beeindruckt und respektvoll, besonders wenn es um antiuniversalistische Positionen ging.203 Max Stirner geisterte nach 1945 als imaginärer Gesprächspartner durch seine täglichen Aufzeichnungen,204 und selbst Däubler, zu dem er lange auf Abstand gegangen war, wurde ihm seitdem wieder wichtig.205 Ein Nachhall findet sich noch in der unüberhörbaren Sympathie, die in den späten Ausführungen über den autochthonen, „tellurischen“ Partisanen als Träger des irregulären Krieges mitschwingt.206 Man sieht, Paul Adams hatte nicht ganz unrecht, wenn er Erik Peterson noch 1927 in einem Brief berichtete: „Die Gnosis Schmitts verrät sich immer noch.“207

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Vgl. Schmitt, Politische Theologie (1979), S. 71. Dieser Hinweis auf den seinerzeit wenig bekannten Otto Groß verstrickte Schmitt noch in den 70er Jahren in einen Briefwechsel mit dem Kopf des Westberliner Anarchistenblattes 883, Hansjörg Viesel: vgl. Viesel, Jawohl der Schmitt. Der (freilich erheblich überschätzten) Beziehung Schmitts zu Otto Groß widmet Sombart ein ganzes Kapitel: vgl. Die deutschen Männer und ihre Feinde, S. 102 ff. Vgl. nur Jünger, „Nationalismus“ und Nationalismus (1929), in: Jünger 2001, S. 505 ff. Zur Figur des „preußischen Anarchisten“, „der, allein mit dem kategorischen Imperativ des Herzens bewaffnet und nur ihm verantwortlich, das Chaos der Gewalten nach den Grundmaßen neuer Ordnungen durchstreift“, vgl. Jünger, Das abenteuerliche Herz. Erste Fassung (1929), S. 153. Dort auch einiges über die Höherschätzung, die der Anarchismus im Vergleich zum Kommunismus bei Jünger genoß: vgl. ebd., S. 140 ff. Vgl. Schmitt, Politische Theologie (1979), S. 71, 80 ff.; Parlamentarismus (1979), S. 79 f.; Römischer Katholizismus und politische Form (1925), S. 49 ff.; Der Begriff des Politischen (1979), S. 55; Ex Captivitate Salus (1987), S. 49; Positionen und Begriffe (1988), S. 82, 118, 143; Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft (1943/44), in: Schmitt 1973, S. 418; Nehmen / Teilen / Weiden (1953), ebd., S. 498; Glossarium (1991), S. 5, 291. Das Verhältnis zu Bakunin ist Gegenstand bei Motschenbacher, Der Katechon, S. 79 ff. Vgl. Schmitt, Ex Captivitate Salus (1987), S. 80 ff. sowie zahlreiche Eintragungen in: Glossarium (1991). Näher zu den Stirner-Bezügen: Meuter, Der Katechon, S. 421 ff. Vgl. Schmitt, Ex Captivitate Salus (1987), S. 45 ff. sowie Glossarium (1991). Vgl. Schmitt, Theorie des Partisanen (1975). Paul Adams an Erik Peterson, Brief vom 6.9.1927, in: Nichtweiß, „Die Zeit ist aus den Fugen“, S. 75.

III Die Revolution gewinnen. Carl Schmitt und die andere Sieyes-Linie

Carl Schmitt wird gern als „Theoretiker der Gegenrevolution“ apostrophiert.1 Und dafür bietet er ja auch einige Anhaltspunkte. Noch bevor er im April 1919 durch die Münchner Räterepublik persönlichen Anschauungsunterricht in Sachen Revolution erhielt, stand sein Urteil in dieser Frage fest. Die Revolution war die Apotheose einer Gemeinschaft, die „alle sozialen und politischen Schranken“ beseitigte, die „allgemeine Brüderlichkeit der ganzen Menschheit“ proklamierte und die Perspektive einer „willkürlichen Herrschaft über die Geschichte“ eröffnete.2 Darin bestand die Botschaft des jakobinischen Konvents von 1793, darin die Essenz des Hegelianismus mit seiner Erhebung des Volksgeistes zum Medium des Weltgeistes, darin endlich auch der Kern des Marxismus, in welchem „das Volk in der Gestalt des Proletariats wieder als der Träger der wahren, revolutionären Bewegung“ erschien.3 War dem Marxismus dabei immerhin aufgrund seiner Herkunft aus der Hegelschen Dialektik noch ein rationalistischer Zug zuzubilligen, trat mit Sorel, dem Anarchosyndikalismus und dem darauf beruhenden Bolschewismus eine neue Gestalt des revolutionären Bewußtseins auf, die sich durch irrationalistische Gewaltpolitik und Atheismus auszeichnete und damit eine „blutige Entscheidungsschlacht“, einen „katastrophalen Endkampf“ heraufbeschwor.4 Und wo Schmitt selbst in dieser Auseinandersetzung seinen Platz sah, darüber konnte angesichts seiner lebhaften Bemühungen um die „Staatsphilosophie der Gegenrevolution“ kein Zweifel sein.5 1

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Vgl. Seifert, Theoretiker der Gegenrevolution; Neumann, Der Staat im Bürgerkrieg, S. 39 ff.; Scheer, Die aufgeschobene Theokratie, S. 444; Gross, Carl Schmitt und die Juden, S. 142 ff.; Mehring, Pathetisches Denken, S. 79 ff.; Carl Schmitt, S. 102. Vgl. Schmitt, Politische Romantik (1919), S. 53. Ebd., S. 56. Vgl. Schmitt, Die Diktatur (1978), S. 147; Parlamentarismus (1979), S. 77 ff.; Politische Theologie (1979), S. 75; Donoso Cortés in Berlin (1927), in: Schmitt 1988, S. 81. Vgl. Schmitt, Die Staatsphilosophie der Gegenrevolution (1922); Politische Theologie (1979), S. 67 ff.

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Der Begriff der Gegenrevolution hat freilich den Nachteil, daß in ihn leicht mehr und anderes hineingelesen werden kann, als im konkreten Kontext gemeint ist. Was zunächst die Faktenlage angeht, war die Gegenrevolution in Deutschland 1919/20 mit den Kräften identisch, die sich in den Freikorps gesammelt und im Alldeutschen Verband, den Resten der Vaterlandspartei sowie dem agrarischen Milieu Ostelbiens ihren Rückhalt hatten. Ihre Aktivitäten kulminierten im März 1920 im Putschversuch, der vom Gründer der Vaterlandspartei, Wolfgang Kapp, der Marinebrigade Ehrhardt und dem Kreis um den ehemaligen Diktator Deutschlands, Erich Ludendorff, getragen wurde. Daß Schmitt zu diesen, mehr oder weniger auf ein Militärregime zusteuernden Kräften irgendwelche Verbindungen gepflegt hätte, ist nicht bekannt und im Hinblick auf seine Vorgeschichte auch wenig wahrscheinlich.6 Seine Tagebücher der Jahre 1914 und 1915 lassen jegliche Kriegsbegeisterung vermissen und zeigen einen Autor, der weder den „Ideen von 1914“ huldigt noch an der Kriegszieldebatte teilnimmt.7 „Besser, dieser Krieg wird verloren als gewonnen“, heißt es schon kurz nach Kriegsausbruch.8 Die Erfahrungen während der Münchner Räterepublik nahmen ihn dann zwar so stark mit, daß er um Urlaub ersuchen mußte, doch übertrug er seinen Haß auf Anarchisten und Kommunisten nicht auf die Revolution schlechthin. Der Sturz der Dynastien ließ ihn kalt, der Wechsel von der konstitutionellen Monarchie zur Republik fand keinen Widerspruch, ganz im Gegenteil: im Unterschied zu vielen liberalen Staatsrechtlern, die gerade das demokratische Element der neuen Ordnung eher noch als fremdartig empfanden, vermochte Schmitt „mühelos Anschluß an die Idee der Volkssouveränität und die demokratische Verfassung zu finden“ und diese „zum strukturbildenden Zentrum“ zu machen, dem sich alle institutionellen Elemente unterzuordnen hätten.9 Die Studie über Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus konstatierte nüchtern den „Siegeszug der Demokratie“ und die unbestrittene Anerkennung, der sich das demokratische Prinzip allgemein erfreue.10 Noch weiter ging er in einem Text, an dem er allerdings nur als verdeckter CoAutor beteiligt war: der Doktorarbeit von Kathleen Murray, seiner Geliebten während des Greifswalder Semesters 1921/22. Die Signatur der Epoche, hieß es dort im Anschluß an Taine und Guizot, sei die Demokratie, deren „unwiderstehlichen Lauf“ man nicht aufhalten, allenfalls in einem konservativen Sinne regulieren könne, wie dies in England erreicht worden sei.11 Man vergleiche damit nur Maurras, für den die traditionelle absolutistische Monarchie die Conditio sine qua non sozialer und politischer Ordnung war, die Demokratie dagegen ein Synonym für Krankheit und Tod.12 Oder de Maistre, bei dem es hieß: „Die Demokratie besitzt einen leuchtenden Moment, aber es 6

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In den Inhaltsverzeichnissen von Deutschlands Erneuerung, dem wichtigsten Organ der Alldeutschen, taucht der Name Carl Schmitt denn auch während der ganzen Weimarer Republik nicht auf, weder als Verfasser noch als Gegenstand von Erörterungen. Vgl. Eichhorn, Mathias: Es wird regiert! S. 176 ff. Schmitt, Tagebücher (2003), S. 175 (Eintrag vom 3.8.1914). Vgl. Preuß, Carl Schmitt, S. 150. Schmitt, Parlamentarismus (1979), S. 30, 39. Vgl. Murray, Taine und die englische Romantik, S. 55 f. Zur Beteiligung von Schmitt an dieser Schrift vgl. Mehring, Carl Schmitt, S. 131 ff. Vgl. Maurras, Mes idées politiques, S. 283, 164.

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ist nur ein Moment und man muß ihn teuer bezahlen.“13 Auch zu dem im Deutschland der Kriegszeit dominierenden Ideengefüge des radikalen rechten Korporativismus mit seiner schroffen antidemokratischen Rhetorik bestehen keine Verbindungen.14 Viel eher deckte sich Schmitts Einstellung mit der Haltung, die sein Mitstreiter in Sachen Theodor Däubler, Moeller van den Bruck, einnahm.15 Wenige Tage nach dem Scheitern des Kapp-Putsches veröffentlichte Moeller im Gewissen einen Artikel unter der Überschrift: „Wir wollen die Revolution gewinnen“,16 in dem er die „Gegenrevolution von 1920“ als einen „Fehlgriff des Willens“ bezeichnete, dem es an neuen politischen Ideen gefehlt habe. Sei schon die Revolution ein Fehlgriff gewesen, indem sie die deutsche Demokratie in das Prokrustesbett des Liberalismus und des Parlamentarismus gezwängt habe, so sei es die Gegenrevolution nicht minder, indem sie sich gegenüber der Demokratie bloß negatorisch verhalte. Worauf es vielmehr ankomme, sei, wie Moeller an anderer Stelle ausführte, die „Nationalisierung eben dieser Demokratie“, die in der Revolution eine unzureichende Gestalt angenommen habe, eine Form, in der das deutsche Volk weder sich selbst achten, noch von anderen geachtet werden könne .17 Grosso modo war dies auch die Einstellung, die Carl Schmitt für angemessen hielt. Wenn Moeller dann allerdings in der Demokratie keine Staatsform sehen wollte, sondern lediglich „die Anteilnahme des Volkes am Staate“, welche auch unter einer Monarchie möglich sei,18 wenn er weiterhin unter deren Nationalisierung vor allem eine Germanisierung verstand, die durch eine Wendung dorthin zu erreichen sei, „wo der Mensch im Menschen und der Deutsche im Deutschen unverdorben geblieben ist: an das Volk selbst, an die Wurzelcharaktere in diesem Volke, das auch in seinem Staate vor allem Wurzelformen verwirklicht sehen will“,19 dann war dies für Schmitt nicht nur deswegen unannehmbar, weil es in eine hinterwäldlerische teutomanische Richtung wies, für die

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De Maistre, Von der Souveränität, S. 126. Näher zu dieser Strömung: Bruendel, Volksgemeinschaft oder Volksstaat, S. 275 ff. Mit dem Publizisten Moeller van den Bruck (1876–1925), der das Nordlicht im Georg Müller Verlag durchgesetzt hatte, war Schmitt mindestens zweimal zusammengetroffen: im Dezember 1914 in Berlin und im August 1915 in München. Schmitts Urteil über Moeller, der während der Kriegsjahre bei der Auslandsabteilung der OHL beschäftigt war und anschließend zum führenden Kopf des „Ring-Kreises“ wurde, war stark schwankend, wie nicht selten bei ihm. Hieß es 1914 noch: „ein entsetzlich dummer und bornierter Mensch“ (Tagebücher [2003], S. 278), so einige Monate später: „Mit Moeller van den Bruck gut unterhalten“ (Die Militärzeit [2005], S. 110). Im Briefwechsel mit Mohler bezeichnete er Moeller als „mir ganz wesensfremd“, erklärte aber dessen Aufsatz über Däublers Nordlicht für sehr wichtig. 1936/37 habe er der Witwe Moellers eine Rente des preussischen Staates verschafft: Carl Schmitt an Armin Mohler, Briefe vom 1.12.1950 und 11.4.1966, in: Mohler, Briefwechsel, S. 91, 372. Näher zu Leben und Werk jetzt Schlüter, Moeller van den Bruck; Kemper, Das „Gewissen“ 1919–1925, S. 61 ff. Moeller van den Bruck: Wir wollen die Revolution gewinnen, in: Gewissen 2, Nr. 12, 31.3.1920. Moeller van den Bruck, Das dritte Reich, S. 118, 105. Vgl. ebd., S. 107, 118. Zu Moellers Demokratiebegriff: Goeldel, ‚Revolution‘, ‚Sozialismus‘ und ‚Demokratie‘, S. 44. Vgl. dagegen Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 223: „Demokratie ist eine dem Prinzip der Identität (…) entsprechende Staatsform.“ Moeller van den Bruck, Das dritte Reich, S. 121.

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er als „Römer“ wenig übrig hatte,20 sondern auch und vor allem deshalb, weil damit die Revolution auf andere Weise wieder umgangen wurde. Die Revolution gewinnen: das war nach seiner Überzeugung nur demjenigen möglich, der sich mit ihr auf Augenhöhe befand, der sie durchschaute und die Drehachse kannte, von der aus sich ihre Kraft in eine andere Richtung lenken ließ. Dazu bedurfte es nicht des verklärenden Rückblicks auf die germanische „Volksgemeinschaft“ oder die mittelalterlichen Genossenschaften, in denen Moeller van den Bruck (in übrigens durchaus nationalliberaler Tradition) die Wurzeln der deutschen Demokratie erkennen wollte.21 Es bedurfte vielmehr der eingehenden Auseinandersetzung mit jener großen Revolution, die allererst jener „folgenreichsten und kennzeichnendsten Doktrin der nationalen Souveränität“ zum Durchbruch verholfen hatte, auf der der moderne demokratische Staat beruhte: der Französischen Revolution von 1789.22 Dieser Aufgabe widmete sich Schmitt in seiner zweiten großen Monographie der Münchner Jahre, der Studie über Die Diktatur.23 Weit mehr, als sein Titel ahnen ließ, zielte das Buch auf eine erste Exemplifizierung der These, die erst einige Jahre später in der Politischen Theologie ihre pointierte Formulierung fand: daß alle modernen politischen Begriffe säkularisierte theologische Begriffe seien. Es begann mit diversen Exkursionen in die frühneuzeitlichen Auffassungen über die kommissarische Diktatur von Macchiavelli über die Monarchomachen bis zu Bodin, befaßte sich dann in historischer Perspektive mit der Praxis der fürstlichen Kommissare des 16. und 17. Jahrhunderts, um schließlich zum Begriff der souveränen Diktatur in Theorie und Praxis der Großen Französischen Revolution zu kommen, in drei längeren Kapiteln, die Schmitt selbst in der Vorbemerkung als die Quintessenz seines Buches herausstellte.24 Im Mittelpunkt dieser Darstellung standen Autoren wie Mably und natürlich Rousseau, der in Schmitts Denken immer eine wichtige Rolle spielte. Noch wichtiger aber war ein anderer, um 1919/20 weitgehend in Vergessenheit geratener Protagonist der bürgerlichen Revolution, der ihr mit seinem Traktat über den Dritten Stand die eigentliche Legitimationsgrundlage geliefert hatte: der Abbé Sieyes. Bei ihm fand Schmitt die Unterscheidung von pouvoir constituant und pouvoirs constitués, die ihm für das moderne Verfassungsrecht von entscheidender Bedeutung zu sein schien; bei ihm die Grundlegung einer Theorie der souveränen Diktatur, in der das Prinzip der modernen Revolution ausgesprochen war. Als Schmitt sich einige Jahre danach an die Ausarbeitung einer eigenen Verfassungslehre machte, kam er erneut auf Sieyes zurück.25 Drei Jahre später verteidigte er den „erstaunlichen Verfassungskonstrukteur“ gegen die ungerech20

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Vgl. dazu den oft zitierten Bericht Ernst Niekischs über seine erste Begegnung mit Carl Schmitt im Jahre 1930: „Als Carl Schmitt mein Zimmer betrat, waren seine ersten Worte: ‚Meine Welt ist nicht die Ihrige. Ich bin Römer nach Herkunft, Tradition und Recht.“ Niekisch, Gewagtes Leben, S. 242. Vgl. Moeller van den Bruck, Das dritte Reich, S. 111 f. Baker, Souveränität, S. 1340. Vgl. Schmitt, Die Diktatur (1978). Das Manuskript wurde im Sommer 1920 abgeschlossen und ging im Oktober 1920 in den Druck (Mehring, Carl Schmitt, S. 118, 120). Eine zweite Auflage erschien 1927. Zu Schmitts Diktaturbegriff vgl. Hamacher, Carl Schmitts Theorie der Diktatur. Vgl. Schmitt, Die Diktatur (1978), S. XVIII. Vgl. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 77 ff., 92, 203, 237, 243.

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te Beurteilung durch Jellinek und präsentierte die 1795 von Sieyes ins Spiel gebrachte Idee einer „jurie constitutionnaire“ als Vorläufer seiner eigenen Lehre vom „Hüter der Verfassung“.26 Noch 1932, in Legalität und Legitimität, erinnerte er mit deutlicher Zustimmung an „die Formel des großen Verfassungskonstrukteurs Sieyès: Autorität von oben, Vertrauen von unten“.27 Kein Zweifel, in Sieyes sah Carl Schmitt, der jedes Buch auf einen Schlüsselsatz abzuklopfen pflegte, einen maître penseur, in dessen Werken sich das Zauberwort finden ließ, auf das die moderne Revolution hörte. Die Revolution gewinnen, das hieß demgemäß: Sieyes lesen und so zu wenden, daß daraus eine andere Revolution resultierte. Mit Blick auf Hans Freyer hat der späte Schmitt einmal von der ‚anderen Hegellinie‘ gesprochen, für die Freyers Werk stehe.28 Seine eigene kontinuierliche Beschäftigung mit Sieyes läßt sich als Bemühung um eine ‚andere Sieyeslinie‘ verstehen. Um ihr folgen zu können, bedarf es zunächst einer Rekapitulation der wichtigsten Ideen von Sieyes. 1. Emmanuel Joseph Sieyes wurde 1748 in Fréjus geboren.29 Nach einer Ausbildung zum Priester wurde er 1775 Sekretär des Bischofs von Tréguier und drei Jahre später Generalvikar des Bischofs von Chartres. Während der sogenannten „Pré-Révolution“ (Jean Egret) vertrat er den Klerus der Diözese Chartres auf der Provinzialversammlung des Orléanais, wurde dann aber nicht vom ersten, sondern vom dritten Stand als Abgeordneter 26

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Vgl. Schmitt, Der Hüter der Verfassung (1969), S. 134, vgl. ebd., S. 9, 34; Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung (1929), in: Schmitt 1973, S. 63. Näher zur „jurie constitutionnaire“: Robbers, Verfassungsgerichtsbarkeit. Vgl. Schmitt, Legalität und Legitimität (1932), in: Schmitt 1973, S. 340 f. Vgl. Schmitt, Die andere Hegel-Linie. Hans Freyer zum 70. Geburtstag, in: Christ und Welt 10, Nr. 30 vom 25.7.1957. – Schmitt kannte Freyer seit der Tagung der Kant-Gesellschaft in Halle 1930. In seinem Vortrag nahm Freyer Bezug auf Schmitts Bestimmung des Politischen über die Gebietskonzeption und das Freund-Feind-Verhältnis und bescheinigte ihr „Treffsicherheit“ und „Gegenwartsgültigkeit“ (Freyer, Ethische Normen und Politik, S. 108, 105), was Schmitt erfreut registrierte (Tagebücher 1930 bis 1934 [2010], S. 44, Eintrag vom 13.7.1930). Weniger erfreut dürfte er darüber gewesen sein, daß Freyer dieses Verhältnis als „Wertgegensatz“ deutete und Schmitts Definition unterstellte, sie setze „offensichtlich und mit vollem Bewußtsein“ einen „geistigen Gehalt, den es zu vertreten gelte“, voraus. Politik sei die „geschichtliche Verwirklichung eines Kulturgehalts“, der Staat habe seinen „Sinn in der geschichtlichen Vertretung eines geistigen Wertganzen.“ (Freyer, Ethische Normen und Politik, S. 105). Wie sehr solche Formeln in der Tradition des deutschen Idealismus standen, entging Schmitt nicht. Der Aufnahme einer Gelehrtenfreundschaft hat diese Differenz allerdings nicht im Weg gestanden. Ein Jahr später war Schmitt in Freyers soziologischem Seminar zu Gast und wurde auch später mehrmals von ihm eingeladen (vgl. die Hinweise bei Mehring, Carl Schmitt, S. 233 f., 412, 415, 477 f., 489 u. ö.). In der Revolution von rechts übernahm Freyer die Gegenwartsdiagnosen aus dem Hüter der Verfassung (der Staat als Selbstorganisation der in sich pluralistischen Gesellschaft), wofür Schmitt sich im Gegenzug die Freyersche Formel zu eigen machte, derzufolge nicht die Planenden herrschen, sondern die Herrschenden planen sollten. Vgl. Freyer, Revolution von rechts, S. 60; Herrschaft und Planung, S. 22; Schmitt, Machtpositionen des modernen Staates (1933), in: Schmitt 1973, S. 371. Die Schreibweise des Namens schwankt notorisch. Ich halte mich an die vom Eigentümer bevorzugte. Vgl. den Hinweis der Herausgeber in: Sieyes 1975, S. 7.

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zu den Generalständen entsandt. Zwei seiner wichtigsten Schriften entstanden noch während der „Pré-Révolution“: der Essai sur les privilèges (November 1788) und Qu’est-ce que le Tiers-Etat? (Januar 1789). Im Mittelpunkt dieser Schriften stand die Krise des Ancien Régime, die sich auf zahlreichen Feldern kundtat: als Kollaps der Staatsfinanzen, als Legitimitätsverlust der Monarchie, als zunehmende Polarisierung der Stände. Sieyes reflektierte diese Entwicklung mit dem gleichen Theorem wie alle bürgerlichen Naturrechtsdenker seit Hobbes: der Lehre vom Naturzustand bzw. Kriegszustand.30 Nach seiner Ansicht hatte die Natur den Menschen sowohl mit einer Reihe von Bedürfnissen ausgestattet als auch mit den Mitteln, diese zu befriedigen. Zugleich hatte sie ihm die Möglichkeit offengelassen, seine Mitmenschen entweder als gegenseitige Hindernisse zu betrachten oder als Mittel zum gegenseitigen Nutzen. Aus der ersten Möglichkeit entstand der Kriegszustand, in dem sich die Menschen ständig bekämpften und bestenfalls instabile Beziehungen entwickelten, die auf Macht beruhten. Aus der zweiten Möglichkeit entsprangen gesellschaftliche Vereinigungen, die auf das Recht gegründet waren und einem gemeinsamen Ziel dienten: dem Glück und der Wohlfahrt aller. Obwohl die Natur dem Menschen die Wahl offen ließ, war es nach Sieyes evident, daß allein die zweite Möglichkeit im Einklang mit der natürlichen Ordnung stand: denn nur sie erlaubte eine Verwirklichung der ursprünglichen Bestimmung des Menschen als eines freien und von der Vernunft geleiteten Wesens, wohingegen die Beziehungen, deren Ursprung allein die Macht ist, „verwerflich und rechtswidrig“ waren.31 Sieyes ließ keinen Zweifel daran, daß er die Gesellschaft seiner Zeit zum ersten Typus rechnete. Die französische Gesellschaft hatte sich seit der „langen Nacht des finsteren Mittelalters“ von der wahren und natürlichen Ordnung entfernt und sich dem Privileg und der Macht überantwortet. Anstelle der gemeinsamen Arbeit für das Glück hatte sie das Sonderrecht einiger Individuen gesetzt; anstelle der gleichen Rechte und Pflichten die Ausnahme vor dem Gesetz; anstelle der Vernunft die Geistessklaverei und die Verwilderung der Sitten. Die Existenz einer Privilegiertenklasse aber war eine Geißel für die gesamte Nation, „eine schreckliche Krankheit (…), die den Körper eines Unglücklichen bei lebendigem Leibe verzehrt“.32 Unter ihrer Herrschaft wurde das Talent verfolgt und die Tugend lächerlich gemacht; das Ansehen, das dem Fleiß und der Arbeit gebührte, wurde durch die Anerkennung der Mittelmäßigkeit, der Niedertracht und des Verbrechens verdrängt. Die unersättliche Herrschsucht der Privilegierten führte im Verein mit ihrer ebenso unerschöpflichen Geldgier zur Zerstörung der besten Kräfte der Volkswirtschaft.33 30

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Ich verwende im folgenden einige Abschnitt aus meiner Studie: Nationalstaat und pouvoir constituant bei Sieyes und Carl Schmitt. Was dort zu Schmitt steht, sähe ich allerdings heute lieber ungeschrieben. – Zur politischen Philosophie von Sieyes seither: Forsyth, Reason and Revolution; Eberhard Schmitt, Sieyes; Bredin, Sieyès; Hafen, Sieyes; Baker, Sieyes; Riklin, Sieyes und die Französische Revolution. Sieyes, Einleitung zur Verfassung. Anerkennung und erklärende Darstellung der Menschen- und Bürgerrechte (1789; i. f. kurz: Menschenrechte), in: Sieyes 1975, S. 242 f. Sieyes, Was ist der Dritte Stand (1789), in: Sieyes 1975, S. 190. Sieyes, Versuch über die Privilegien (1788), in: Sieyes 1975, S. 97, 108.

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Das im 18. Jahrhundert so beliebte Thema von der verfolgten Unschuld wurde von Sieyes zur leidenschaftlichen Anprangerung einer Klasse gesteigert, die das Volk völlig enterbt und ihm alles geraubt habe. Während es unermüdlich für die Vermehrung des Reichtums der Nation arbeitete, betätigte sich der Adel als ein „gefräßiges Schmarotzerglied“, das den Lebenssaft des Volkes in sich hineinschlang, ohne irgendeine Gegenleistung zu erbringen. Solange dieser Zustand andauerte, war eine stabile und dauerhafte gesellschaftliche Organisation unmöglich. Denn wenn der Adel auch stark war, so schuf er damit doch nur eine Tatsache, keine Verpflichtung. Anstatt die Schwachen in eine auf gegenseitigen Rechten und Pflichten beruhende Ordnung einzugliedern, erweckte er in ihnen stets aufs neue „die natürliche und unzerstörbare Pflicht, die Unterdrückung abzuschütteln“.34 Eine auf dem Privileg beruhende Ordnung war keine wirkliche Ordnung, sie war der mehr oder weniger verschleierte Kriegszustand, wie ihn der von Sieyes geschätzte Hobbes beschrieben hatte.35 Das einzig taugliche Mittel, um diesen Zustand zu beenden, war nach Sieyes die Schaffung einer dem Naturgesetz entsprechenden Verfassung. Das große Naturgesetz, das allen positiven Gesetzen zugrundeliegen sollte, lautete: „tue dem andern kein Unrecht“. Unrecht aber bestand primär darin, die Freiheit und das Eigentum des andern anzugreifen. Gegenüber allen Theorien, die das Recht der Macht oder der Eroberung proklamierten, postulierte Sieyes, „daß Freiheit und Eigentum vor allem dagewesen sind; daß die Menschen beim gesellschaftlichen Zusammenschluß nichts anderes beabsichtigen konnten, als ihre Rechte gegen die Angriffe der Bösen zu sichern und zugleich im Schutz dieser Sicherheit ihre moralischen und physischen Fähigkeiten tatkräftiger und glückbringender zu entfalten“; und daß deshalb das im Gesellschaftszustand um alle Errungenschaften eines neuen Gewerbefleißes bereicherte Eigentum der Bevölkerung ganz allein gehört „und niemals als Geschenk einer fremden Macht zu betrachten ist“.36 Mit dieser These knüpfte Sieyes offensichtlich an eine Auffassung an, wie sie in systematischer Form erstmals von John Locke formuliert worden war. Wie bei Locke war bei Sieyes der Mensch von Natur aus Eigentümer seiner Person, wie bei Locke verfügte er über das Recht, über seine Mittel zu disponieren. Aus diesem „Urrecht“ leitete sich das Eigentum der Person an ihren Handlungen und ihrer Arbeit ab sowie an den Gegenständen, die das Resultat dieser Arbeit waren.37 Damit war nicht gesagt, daß alle Menschen über das gleiche Quantum an Eigentum verfügten, denn die Natur hatte Starke und Schwache, Geschickte und weniger Geschickte hervorgebracht und dadurch 34 35 36 37

Ebd., S. 96, 109; Menschenrechte (1789), in: Sieyes 1975, S. 244. Zum Einfluß von Hobbes auf Sieyes vgl. Forsyth, Reason and Revolution, S. 67; Hafen, Sieyes, S. 35 ff. Sieyes, Versuch über die Privilegien (1788), in: Sieyes 1975, S. 93 f. VgI. Sieyes, Menschenrechte (1789), in: Sieyes 1975, S. 246. Den Einfluß Lockes auf Sieyes behandeln Zweig, Die Lehre vom Pouvoir Constituant, S. 119; Zapperi, Einleitung, in Sieyes, Qu’est-ce que le Tiers état, S. 48; Hafen, Sieyes, S. 51 f., 105, 125 u. ö.; Asbach, Kontraktualismus, S. 123 f., 127 f. Die Behauptung von Merkel (Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes, S. 187), daß es bei Sieyes nicht wie bei Locke Rechte schon im Naturzustand gebe, sondern erst nach dem Eintritt in den Gesellschaftszustand, ist mit Sieyes´ Ausführungen über die Arten des Eigentums nicht zu vereinbaren: vgI. Sieyes, Menschenrechte, S. 246. In der Tendenz auch Maus, Transformation, S. 119, die Sieyes in diesem Punkt zu stark an Rousseau annähert.

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eine ungleiche Verteilung der Güter ermöglicht. Eine ungleiche Verteilung der natürlichen Rechte auf Freiheit, Eigentum und Sicherheit folgte nach Sieyes daraus jedoch nicht. Diese Rechte seien unveräußerlich und vorgesellschaftlich; weit davon entfernt, durch die Gesellschaft erst genährt zu werden, würden sie von dieser gleichsam nur bestätigt und mit einem wirksamen Schutz versehen; sie seien keine Folge des sozialen Zusammenschlusses, sondern umgekehrt Ziel und Zweck, an dem sich jeder soziale Zusammenschluß messen lassen müsse. Wie Locke gelangte Sieyes zu dem Schluß, daß alles, was die Eigenschaft des Eigentums habe, vor dem Gesetz gleichermaßen heilig sei.38 Um die fundamentale Bedeutung dieses Heiligtums und seiner verschiedenen Konnexrechte herauszustellen, ging Sieyes indes noch einen Schritt weiter als Locke und entwickelte einen Kanon der Menschen- und Bürgerrechte, der als „unentbehrliche Einleitung“ der zu entwerfenden Verfassung vorangehen und das Ziel aufzeigen sollte, „das alle politischen Verfassungen unterschiedslos zu erreichen suchen müssen“.39 Ausgehend von der Grundannahme eines „wesenhaft freien Willen“ forderte Sieyes in Art. III den Schutz der körperlichen Existenz dieses Willens, den freien Gebrauch seiner persönlichen Fähigkeiten (IV), seiner Gedanken und Gesinnungen (V), seiner Arbeitskraft, seines Besitzes und seiner Bewegungsfreiheit (VI–VIII). Auf diesen Einzelwillen als das Alpha und Omega der gesellschaftlichen Vereinigung sollten die verschiedenen Bestimmungen bezogen sein, die die Beziehungen der Gesellschaftsmitglieder regelten: die Gleichheit vor dem Gesetz, Schutz vor der Exekutive, Trennung der öffentlichen Gewalten, Allgemeinheit des Gesetzes.40 Nur eine gesellschaftliche Vereinigung, die sich auf diese Prinzipien stützte, war nach Sieyes eine rechtmäßige Vereinigung; und die Rechteerklärung der Nationalversammlung spitzte diesen Gedanken noch zu, indem sie statuierte, daß eine jede Gesellschaft, in der weder die Gewährleistung der Rechte gesichert noch die Trennung der Gewalten festgelegt sei, keine Verfassung habe (Art. 16).41 Neben dieser natur- bzw. vernunftrechtlichen Argumentationskette findet sich bei Sieyes jedoch eine zweite Linie, die nicht um die Einzelwillen kreiste, sondern um ein Kollektivsubjekt: die Nation.42 Deren Bestimmung fiel uneindeutig aus. Auf der einen Seite sollte es sich um eine bloße Vereinigung (association) handeln und nicht um eine Körperschaft (un corps) – im Unterschied zur Regierung, die eine von der Nation geschaffene Körperschaft bilde und keine Vereinigung.43 Auf der anderen Seite 38 39 40 41

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Sieyes, Überblick über die Ausführungsmittel, die den Repräsentanten Frankreichs 1789 zur Verfügung stehen (1788; i. f. kurz: Überblick), in: Sieyes 1975, S. 51. Sieyes, Menschenrechte (1789), in: Sieyes 1975, S. 242; Thiele, Volkssouveränität und Freiheitsrechte, S. 14 ff. Sieyes, Menschenrechte (1789), in: Sieyes 1975, S. 253 ff. Zur entsprechenden Diskussion in der Nationalversammlung vgl. Gauchet, Die Erklärung der Menschenrechte. Zur Gewaltenteilung bei Sieyes vgl. Thiele, Volkssouveränität – Menschenrechte – Gewaltenteilung; Volkssouveränität, S. 24 ff.; Zwei komplexe Modelle der Gewaltenteilung, S. 223 ff.; Lembcke und Weber, Arbeitsteilung und Gewaltenteilung, S. 153 ff.; Eberl, Der Vater der Gewaltentrennung, S. 201 ff. Zur Rolle der Nation bei Sieyes vgl. Pasquino, Le concept de nation; Hafen, Sieyes, S. 71 ff.; Asbach, Kontraktualismus, S. 136; Weiß, Die zwei Körper des Publikums, S. 174 ff. Vgl. Sieyes, Menschenrechte (1789), in: Sieyes 1975, S. 250; Écrits politiques, S. 87.

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gab Sieyes auf die Frage, was eine Nation sei, die Antwort: „Eine Körperschaft von Gesellschaftern, die unter einem gemeinschaftlichen Gesetz leben und durch dieselbe gesetzgebende Versammlung repräsentiert werden usw.“44 Schon im Naturzustand, also vor jeder Verfassung, könne durch den gesellschaftlichen Zusammenschluß „ein wollendes und handelndes Ganzes“ entstehen, „ein künstlich geschaffener Körper“, welcher gemeinschaftlichen Willen, Handlungsfähigkeit und Stärke besitzen sollte.45 Daß dieses Ganze aus Teilen zusammengesetzt sei, ändere nichts daran, daß es mehr sei als die Summe seiner Teile. „Frankreich“, hieß es in kategorischem Ton, „ist keine Ansammlung von Staaten; es ist ein aus zusammengehörigen Teilen bestehendes einheitliches Ganzes.“46 Mit dieser Bestimmung wechselte Sieyes von dem bisher favorisierten „Diskurs der Rechte“, der den sozialen und politischen Institutionen eine „heilige“, nur um den Preis des Legitimitätsverlustes zu überschreitende Grenze zog, zu einem neuen Diskurs, einem „Diskurs des Willens“, der die Nation als souveränes Makrosubjekt verstand, das über seine Umwelt nach Belieben verfügte.47 „Eine Nation“, schrieb Sieyes, „ist von jeder Form unabhängig; und auf welche Weise sie auch will, die bloße Äußerung ihres Willens genügt, um gleichsam angesichts der Quelle und des obersten Herrn jedes positiven Rechts alles positive Recht außer Kraft zu setzen“.48 Weder die Monarchie noch die Aristokratie, weder die Ständeordnung noch die Gliederung der Gesellschaft in Korporationen und Assoziationen seien dem Willen der Nation entzogen. Sie seien kontingent und vor dem souveränen pouvoir constituant – dem verfassungsgebenden Subjekt – gleichsam stets nur ein Provisorium.49 Die Nation könne und dürfe sich nicht die Fesseln einer bestimmten Verfassungsform auferlegen, sie könne niemals das Recht verlieren, eine Verfassung zu ändern, wenn dies ihr Interesse gebiete. „Es steht der Nation jederzeit frei, ihre Verfassung zu reformieren“, konstatierte Sieyes; und im Art. XXXII seines Entwurfs einer Rechteerklärung erhob er dieses Postulat sogar zum kollektiven Grundrecht. „Ein Volk hat beständig das Recht, seine Verfassung zu überprüfen und zu

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Sieyes, Was ist der Dritte Stand (1789), in: Sieyes 1975, S. 124. „Das hieß unausgesprochen sagen“, kommentiert Marcel Gauchet diesen Satz, „daß die Repräsentanten der sichtbare, verletzliche und sterbliche Leib des unsichtbaren und immerwährenden Körpers der Nation geworden sind, der mystischen Person, die Stimme und Hände nur durch die Gewählten hatten, die ihr greifbare Gestalt verliehen.“ (Gauchet, Menschenrechte, S. 54). Zu dieser Denkfigur, die unter anderen im Werk von Hobbes einen Vorläufer hat, vgl. Kelly, Carl Schmitt’s Theory of Representation, S. 127 ff. Sieyes, Was ist der Dritte Stand (1789), in: Sieyes 1975, S. 165; Empfehlung Sr. Hoheit des Herzogs von Orléans an seine Vertreter in den Bailliagen (1789), in: Sieyes 1975, S. 214. Rede des Abbé Sieyes über die Frage des königlichen Vetos usw. (1789; i.f. kurz: Rede), in: Sieyes 1975, S. 264. Vgl. auch ebd., S. 267: „Frankreich ist und muß sein ein einziges Ganzes, das in allen seinen Teilen einer gemeinschaftlichen Gesetzgebung und Verwaltung untersteht.“ Zu diesen beiden Diskursen aufschlußreich: Baker, Sieyes, S. 530 f. Sieyes, Was ist der Dritte Stand (1789), in: Sieyes 1975, S. 169. Die Unterscheidung zwischen der verfassunggebenden und der von der Verfassung gegebenen Gewalt findet sich erstmals bei Sieyes, Überblick (1788), in: Sieyes 1975, S. 54.

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erneuern. Es wäre sogar gut, feste Zeitpunkte zu bestimmen, zu denen diese Revision, aus welcher Notwendigkeit auch immer, stattfinden soll“.50 Das Volk habe dieses Recht, weil die Nation im Hinblick auf ihre verfassungsgebende Gewalt niemals den Naturzustand verlasse. Gewiß sei, wenn einmal eine Verfassung entworfen und verabschiedet sei, der Naturzustand für die Einzelwillen beendet: für sie gelte, daß sie mit Abschluß des Gesellschaftsvertrages ihre natürliche Durchsetzungsgewalt an die Gesellschaft bzw. die von der Verfassung bestimmten Institutionen verlören und fortan zu unbedingter Unterwerfung unter das Gesetz verpflichtet seien. Wer im Namen des Gesetzes vor Gericht geladen oder verhaftet werde, müsse sofort gehorchen. „Durch Widerstand macht er sich schuldig“.51 Für die Nation aber gelte diese Unterwerfung nicht. Als Bedingung der Möglichkeit aller Gesetzgebung stehe sie außerhalb und über der bloßen Legalität, sie sei der Ursprung von allem, das Unbedingte schlechthin. Wo sie spreche, hätten die pouvoirs constitués zu schweigen. Um gesetzlich zu sein, brauche sie nichts weiter als ihre bloße Existenz, sie müsse nur in Erscheinung treten, um sich sofortige Geltung zu verschaffen. „Man muß sich die Nationen auf der Erde als Individuen ohne gesellschaftliche Bindung oder, wie man sagt, als im Naturzustand befindlich vorstellen. Die Ausübung ihres Willens ist frei und unabhängig von allen gesetzlichen Formen. Da er sich im Naturzustand befindet, braucht ihr Wille zu seiner vollen Wirkung nur die natürlichen Merkmale eines Willens. Auf welche Art und Weise eine Nation auch will, allein die Tatsache, daß sie will, ist ausreichend; dazu sind alle Formen gut, und ihr Wille ist immer das höchste Gesetz.“52 Dieses Konzept, das die Souveränität des nationalen Willens deklariert, wird mitunter als Utopie vorgestellt, als Antizipation des Vereins rationaler und aufgeklärter Bürger, der sein eigenes Schicksal in die Hände nimmt.53 Tatsächlich weist es jedoch ebenso sehr in die Vergangenheit wie in die Zukunft. Sein Kern, die Idee einer absoluten Souveränität im Unterschied zur bloß relativen der mittelalterlichen Herrschaftsordnung macht, wie Panajotis Kondylis nachgewiesen hat, „einen Bestandteil oder einen Aspekt eines weltanschaulichen Komplexes aus(…), welcher im Grundriß bereits im Laufe des 16. Jh.s multidimensional in Erscheinung trat.“54 Hatte schon Bodin in der Entbundenheit 50 51 52 53 54

Vgl. Sieyes, Was ist der Dritte Stand (1789), in: Sieyes 1975, S. 172; Menschenrechte (1789), ebd., S. 257. Sieyes, Menschenrechte (1789), ebd., S. 255. Sieyes, Was ist der Dritte Stand (1789), ebd., S. 168 f. Vgl. etwa Maus, Transformation. Kondylis, Konservativismus, S. 78. Ob und in welchem Maße sich die Genealogie dieser Vorstellung noch weiter zurückverlängern läßt, etwa in den theologisch-ekklesiologischen Diskurs des Mittelalters, wie dies die berühmte Eingangsformel aus dem dritten Kapitel der Politischen Theologie nahelegt (1979, S. 49; vgl. auch Böckenförde, Verfassunggebende Gewalt, S. 95), kann hier nicht breiter erörtert werden. Folgt man Kondylis, teilt auch dieser Diskurs die Prämissen der alteuropäischen Sozialphilosophie und damit den traditionellen Souveränitätsbegriff. Auf der anderen Seite hat man beachtliche Homologien zwischen der Argumentation von Sieyes und derjenigen von Malebranche nachgewiesen, eines Oratorianers, der die augustinisch-scotistische Lehre von der schrankenlosen Freiheit Gottes reaktualisiert hat: vgl. Frank, The General Will beyond

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vom positiven Gesetz das wichtigste Merkmal des souveränen Herrschers gesehen, so bauten die Theoretiker des Absolutismus dies in der Folgezeit zur Doktrin einer vollständigen Machbarkeit und Fungibilität des Rechts aus, die lediglich in der Insuffizienz der zur Verfügung stehenden Machtmittel des Zentrums eine Grenze fand.55 So zwingend war diese Vorstellung, daß sich selbst die Opposition, die sich im 18. Jahrhundert mit dem klassischen Republikanismus gegen den absolutistischen Verwaltungsstaat und die mit ihm verbundene besitzindividualistische Sozialordnung herausbildete, ihr nicht zu entziehen vermochte.56 In diesem Idiom, das seinen Ausdruck in den Werken von Rousseau, Mably sowie einiger anderer, heute vergessener Autoren fand,57 stand der „Wille gegen den Willen“, genauer: der allgemeine, die Freiheit der Bürger begründende Wille der Nation gegen den partikularen Willen des Despotismus, welchen letzteren zu durchkreuzen und unwirksam zu machen Aufgabe aller tugendhaften Bürger und einer wachsamen Öffentlichkeit war.58 Auch wenn sich dieser Diskurs explizit am Vorbild des antiken Stadtstaates orientierte, war er doch faktisch weit mehr von dem geprägt, was er kritisierte. Bildete die Nation noch für Ludwig XIV. keine Körperschaft in Frankreich und ging vollkommen in der Person des Königs auf,59 so ließ der klassische Republikanismus und in seinem Gefolge auch Sieyes die Nation geradewegs in die Rechte des Königs einrücken und übertrug ihr die bis dahin von der Krone monopolisierten Funktionen der gesetzgebenden und ausführenden Gewalt.60 Das Bild der souveränen Nation, das er entwarf, war, wie François Furet zutreffend bemerkt hat, ein Abziehbild der souveränen Macht der Könige, Fortsetzung und Steigerung jener absoluten und ungeteilten Macht, die schon unter der Monarchie auf die Schaffung einer einheitlichen und homogenen Gesellschaft drängte.61

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Rousseau. Immerhin wäre man mit Malebranche schon im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert – und im übrigen, was keine kleine Ironie wäre, beim Begründer des in der Politischen Romantik übel beleumundeten „Occasionalismus“. Dazu näher meine Studie: Sozialgeschichte des Naturrechts, S. 160 ff. Vgl. Baker, Transformations of Classical Republicanism in Eighteenth-Century France; Bell, The Cult of the Nation, S. 125 ff.; Monnier, Républicanisme, patriotisme et Révolution française; Edelstein, The Terror of Natural Right; Hammersley, The English Republican Tradition and EighteenthCentury France. Zu Rousseau und dessen Einfluß auf die Französische Revolution und speziell auf Sieyes vgl. Manin, Rousseau, S. 1325; Baker, Sieyes, S. 536 f.; zu Mably: Wright, A Classical Republican in Eighteenth-Century France. Vgl. Baker, Sieyes, S. 531; Transformations, S. 33. Vgl. Nora, Nation, S. 1223. VgI. Zweig, Die Lehre vom Pouvoir Constituant, S. 134 f.; Eberhard Schmitt, Repräsentation und Revolution, S. 279. Vgl. Furet, 1789, S. 51. Daß die Idee der Volkssouveränität als Fortsetzung und Steigerung des geschichtlich mit dem Absolutismus verbundenen Anspruchs auf voluntaristische Gestaltung des politischen und sozialen Gefüges verstanden werden muß, gehört seit dem späten 18. Jahrhundert zum Standardarsenal des Konservativismus: vgl. Kondylis, Konservativismus, S. 227 ff. Auch die von Lepsius herausgearbeitete Differenzierungsfeindlichkeit, die die Volkssouveränität vom normativen Demokratieprinzip unterscheidet, dürfte hierin ihre Wurzeln haben: vgl. Lepsius, Staatstheorie und Demokratiebegriff, S. 372.

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Kein Wunder, daß Sieyes sich mit Nachdruck für eine rationale Organisation der Verwaltung einsetzte, „die von einem gemeinsamen Mittelpunkt ausgeht und sich gleichförmig bis in die entlegensten Tiefen des Reiches erstreckt“;62 kein Wunder auch, daß er mit ebenso großem Nachdruck die Aufhebung aller regionalen und lokalen Privilegien und Exemtionen forderte, um eine direkte und ungehinderte Realisierung des Nationalwillens zu ermöglichen; kein Wunder schließlich, daß er die Ächtung und Exklusion des Heterogenen propagierte, des „inneren Feindes“, der die nationale Gemeinschaft störte: der Privilegierten, dieser „Algerier von Frankreich“, die mitsamt ihren zahlreichen Handlangern in die „fränkischen Wälder“ zurückgejagt werden sollten.63 Noch erschien die potestas absoluta des Nationalwillens nur erst in ihrem Binnenaspekt, in der Forderung nach Reinigung und Homogenisierung der Nation. Der Satz jedoch, daß die Nation den Naturzustand nie verläßt, verweist bereits auf ihren zweiten, nach außen gerichteten Aspekt, der sich im ius belli et pacis manifestiert und schon kurze Zeit nach dem Ausbruch der Revolution seinen aggressiven und expansiven Grundzug offenbarte, auch und gerade bei Sieyes, der sich für eine Ausdehnung Frankreichs bis zu seinen ‚natürlichen Grenzen‘ einsetzte und den absoluten Vorrang der Interessen seines Landes vor den Interessen aller anderen Staaten postulierte.64 Wenn man unter „Nationalismus“ ein Nationalbewußtsein versteht, das der Nation „ein sehr hohes ontisches und sittliches Gewicht, ja ein Dignitätsübergewicht gegenüber allen anderen sozialen Gebilden zumindest innerweltlicher Zielsetzung“ zuschreibt und dies mit der Behauptung verbin62

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Sieyes, Rede (1789), in: Sieyes 1975, S. 265. Wie Sieyes´ gleichzeitiges Eintreten für starke und autonome ‚communes‘ zeigt, ist dies allerdings nicht mit der Forderung nach Zentralisierung und Bürokratisierung gleichzusetzen: vgl. Hafen, Sieyes, S. 250 ff. Sieyes, Was ist der Dritte Stand (1789), in: Sieyes 1975, S. 136 ff., 126. In der ersten Fassung meines Textes stand statt „Ächtung und Exklusion“: „Ausscheidung und Vernichtung“. Ulrich Thiele hat mit Recht moniert, daß von Vernichtung bei Sieyes nicht die Rede sei. Nicht zuzustimmen vermag ich allerdings seiner Behauptung, Sieyes habe lediglich für den Ausschluß der privilegierten Stände aus der verfassunggebenden Versammlung plädiert, woraus sich im Hinblick auf die Verteilung staatsbürgerlicher Rechte im konstituierten Zustand „nicht das geringste“ ergebe: Thiele, Advokative Volkssouveränität, S. 203. Das mag zwar insofern zutreffen, als Sieyes den Privilegierten die Möglichkeit einer „Rückkehr in die wahre Nation“ einräumt, wenn „sie es nur wollen und sich von ihren ungerechten Vorrechten trennen“. Auf der anderen Seite heißt es jedoch ohne jede Einschränkung: „Es kann kein Zweifel bestehen, daß solche Leute auch die Eigenschaften als Staatsbürger verwirkt haben und noch viel eher von dem Recht, zu wählen oder gewählt zu werden, ausgeschlossen werden müssen als ein Ausländer“ (Was ist der Dritte Stand [1789], in: Sieyes 1975, S. 194 f., 191). Auch die Identifizierung mit einer Krankheit kann für die Adligen nichts anderes bedeuten als: Internierung oder Vertreibung. Sieyes, schreibt Hafen, „war zwar kein Anhänger der Guillotine, aber er förderte und legitimierte den Hass gegen den Adel, ja erklärte ihn fast zu einer patriotischen Tugend“ (Sieyes, S. 85). Vgl. Hafen, Sieyes, S. 87. Unter der Federführung von Sieyes wurde 1795 ein Friedensvertrag mit Holland geschlossen, der neben Gebietsabtretungen und Kontributionen auch die Stationierung französischer Truppen vorsah und das Land unter französische Kontrolle stellte: vgl. ebd., S. 88. Zu Sieyes´ Nationalismus vgl. auch van Deusen, Sieyes. Nach Pierre Nora verbinden sich Innen- und Außenaspekt in dem, was er das „Sieyes-Theorem“ nennt: die Territorialisierung der Nation führt auch in psychologischer Hinsicht zu einer Verwurzelung in Erde und Boden, mit der das Problem des „Fremden“ entsteht und sich das verstärkt und vertieft, „was die Nation an aggressivem Potential freisetzen konnte“: Nora, Nation, S. 1227.

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det, „daß eben primär die jeweilige Dignität der Nation über die soziale Dignität ihrer Angehörigen, d. h. ihre nach der wahren Seinsordnung gegebene Würde, ihren Wert als soziale Wesen entscheide“, dann muß Sieyes zu den Begründern des französischen Nationalismus gerechnet werden.65 Allerdings handelte es sich dabei, wie sogleich hinzuzufügen ist, um einen Nationalismus liberaler Art, sollten doch Nationalwille und individualistische Naturbasis nicht gleichrangig nebeneinanderstehen, sondern in einem hierarchischen Verhältnis, bei dem das Moment der Vermittlung eindeutig von der individualistischen Naturbasis vorgegeben wurde. Denn was, fragte Sieyes, ist eigentlich der Wille einer Nation? Und er gab selbst die Antwort: „Er ist das Ergebnis der Einzelwillen, wie die Nation eine Vereinigung von Einzelpersonen ist.“66 Während die Individuen real gegeben waren und unabhängig von der Existenz anderer über bestimmte essentielle Eigenschaften verfügten, war der Nationalwille nur ideal gesetzt. Er hatte keine Existenz für sich, sondern mußte in einem komplizierten mehrstufigen Verfahren erst sichtbar und anwesend gemacht werden. Sein Sein bedurfte der Vor- und Darstellung: der Repräsentation. Die Nation konnte nur eine Stimme haben, nämlich die ihrer Vertreter.67 Diese Repräsentation des Nationalwillens aber hing nach Sieyes von unverzichtbaren Voraussetzungen ab. Das, was durch Stellvertreter in der verfassungsgebenden (bzw. in der einfachen gesetzgebenden) Versammlung repräsentiert wurde, durften weder die Einzelinteressen noch die Gruppeninteressen sein, die mehrere Individuen gemeinsam hatten. Repräsentiert werden konnte und durfte nur das gemeinschaftliche Interesse, das bei allen Staatsbürgern das gleiche war.68 Nur dann nämlich, wenn die privaten Interessen ausgeschaltet waren und allein über die gemeinschaftlichen Aufgaben gehandelt wurde, war gewährleistet, daß sich im Meinungswettstreit innerhalb des Parlaments die richtige Auffassung durchsetzte, d. h. „dasjenige Interesse, das die meisten Abstimmenden gemeinsam haben“ und das nach Sieyes mit dem Nationalinteresse identisch war. Wie in der ökonomischen Theorie des Liberalismus das allgemeine Wohl aus der Konkurrenz der Privateigentümer resultierte, so sollte auch auf politischem Gebiet das Gemeininteresse aus dem öffentlichen Wettkampf der individuellen Meinungen hervorgehen. Diskussion und wechselseitige Aufklärung sollten es bewirken, daß sich die nützlichen von den schädlichen Auffassungen schieden, sich weiterentwickelten und ausglichen, bis 65

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Ich greife hier zurück auf die Definition von Estel, Nation und nationale Identität, S. 39 ff. Vgl. dazu auch meine Studie: Nationalismus und Faschismus, S. 21 ff. Diese Komponente wird unterbelichtet, wenn man an Sieyes nur die liberalen Züge betont. Das gilt etwa für Forsyth, Reason and Revolution, S. 216; Pasquino, Le republicanisme constitutionnel de E. Sieyès; Sa’adah, The Shaping of Liberal Politics in Revolutionary France, S. 108, aber auch für die Deutung von Thiele, Advokative Volkssouveränität. Sieyes, Was ist der Dritte Stand (1789), in: Sieyes 1975, S. 186; vgl. auch Menschenrechte (1789), ebd., S. 263; Überblick (1788), ebd., S. 28, 29,32. Vgl. Sieyes, Rede (1789), in: Sieyes 1975, S. 269; Menschenrechte (1789), ebd., S. 251. Zum Repräsentationsbegriff bei Sieyes vgl. neben den Arbeiten von Zweig und Eberhard Schmitt noch: Löwenstein, Volk und Parlament, S. 10 ff.; Roels, Le concept de répresentation politique; Clavreul, Sieyès et la genèse de la représentation moderne, S. 45–56; Asbach, Kontraktualismus, S. 129 ff.; Weiß, Die zwei Körper des Publikums, S. 162 ff. Vgl. Sieyes, Was ist der Dritte Stand (1789), in: Sieyes 1975, S. 188 f.

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sie sich gewandelt und versöhnt und zu einer einzigen Meinung verschmolzen hätten: „so wie sich im physischen Universum eine einzige und viel mächtigere Bewegung aus einer Vielzahl gegensätzlicher Kräfte bildet“.69 Um diesen Ausgleichungsprozeß zu erleichtern, schlug Sieyes vor, die Konkurrenz dadurch zu begrenzen, daß aus ihr von vorneherein neben Frauen, Kindern und Ausländern alle Gesellschaftsmitglieder ausgeschlossen wurden, die nichts zur öffentlichen Gewalt beitrugen. Diese Ausgrenzung sollte an den passiven Bürgerrechten nichts ändern, die den genannten Gruppen den Schutz ihrer Person, ihres Eigentums, ihrer Freiheit usw. garantierten. Sie sollte jedoch aus der aktiven Arbeit an der Formierung des Nationalwillens alle diejenigen herausfiltern, die weder genug Bildung noch genug Muße besaßen, um sich unmittelbar mit den Gesetzen zu befassen; daß es sich dabei um „die weitaus größte Zahl unserer Mitbürger“ handelte, deren Dasein durch ihre Funktion als bloße „Arbeitsmaschinen“ bestimmt wurde, ließ Sieyes durchaus nicht im unklaren.70 Auch wenn man konzedieren kann, daß es Sieyes in erster Linie um die Etablierung einer „aristocratie d’intelligence“ gegangen sein mag und nicht um die einer „aristocratie d’argent“, so lief sein Vorschlag doch mangels anderer Kriterien auf das letztere hinaus.71 „Alle können die Vorteile der Gesellschaft genießen, aber allein diejenigen, die zur öffentlichen Gewalt etwas beitragen, sind gleichsam die eigentlichen Aktionäre des großen gesellschaftlichen Unternehmens. Sie allein sind die wahren Aktivbürger, die wahren Glieder der Gesellschaftsverbindung“.72 Die einzige hierfür angemessene Verfassung konnte nicht die Demokratie sein, die auf der unmittelbaren Mitwirkung aller an der Bildung des nationalen Willens beruhte, sondern die „repräsentative Regierungsform“.73 „In einem Lande, das keine Demokratie ist (und Frankreich dürfte schwerlich eine sein) kann das Volk – ich wiederhole es – nicht anders als durch Stellvertreter sprechen und handeln“,74 mochte es sich dabei um die einfache Gesetzgebung oder um die Verfassungsgesetzgebung handeln. Der für Sieyes charakteristische Nationsbegriff erweist sich von hier aus gesehen als zusammengesetzt. Nach der einen Seite haben wir es mit dem zu tun, was in der neueren Nationalismusforschung als individualistisch-territorialer Nationsbegriff firmiert:75 eine Nation aus atomisierten und isolierten Einzelnen, die ihren Zusammenhang primär über den Verkauf ihrer Waren bzw. ihrer Arbeitskraft erfuhren und nur sekundär über ein Gemeinsamkeitsgefühl und –bewußtsein, das sich als Nationalgefühl und -bewußtsein manifestierte. Nach der anderen Seite verschrieb sich Sieyes jedoch auch bereits einem holistisch-territorialen Verständnis, wie es bald darauf von den Jakobinern, denen auch Sieyes zeitweilig angehörte, zur Grundlage eines expansiven und aggressiven Nationalismus erhoben wurde. Die Spannung zwischen diesen beiden Konzepten war für den Abbé noch nicht sichtbar. Für ihn formierte sich der Nationalwille noch ganz selbst69 70 71 72 73 74 75

Sieyes, Überblick (1788), in: Sieyes 1975, S. 60. Sieyes, Rede (1789), in: Sieyes 1975, S. 266 f. Vgl. Roels, Le concept de répresentation, S. 132; Weiß, Die zwei Körper des Publikums, S. 172 f. Sieyes, Menschenrechte (1789), in: Sieyes 1975, S. 251. Sieyes, Rede (1789), in: Sieyes 1975, S. 266 f. Ebd., S. 269. Vgl. Smith, National Identity, S. 82 ff.; Greenfeld, Nationalism, S. 9 ff.

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verständlich aus der Interaktion und Diskussion der Individualwillen, denen zugetraut wurde, ihren je partikularen Horizont in Richtung auf das ihnen Gemeinsame zu transzendieren, auch wenn die Bestimmung, daß der Nationalwille weder wie bei Rousseau volonté générale noch auch nur volonté de tous, sondern einfach der Wille der Mehrheit der Repräsentanten war, in praxi auf eine bloße Summierung von Partikularitäten hinauslaufen mußte.76 Es sei unmöglich, meinte Sieyes, sich eine rechtmäßige gesellschaftliche Vereinigung vorzustellen, deren Zweck nicht die Sicherung der Gemeinschaft als einer Vereinigung von Einzelnen ist.77 Die ressentimentgeladene Unerbittlichkeit indes, mit der er gleichzeitig die Entfernung aller Fremdkörper aus dem politischen Körper der Nation forderte, die nachgerade theologischen Attribute, mit denen er den pouvoir constituant ausstattete,78 kündigten bereits die Möglichkeit einer dérapage (Furet/Richet) an, eines Ausgleitens der bürgerlichen Revolution, in deren Gefolge der Nationalwille aus dem Geflecht der Vermittlungen und Beschränkungen herausgelöst wurde und eine Spirale der Homogenisierung in Gang kam, die keine immanenten Stoppregeln kannte. Beschränkte sich diese Homogenisierung anfangs auf die politisch-rechtliche Ebene, so kam mit der Dechristianisierung bald auch die religiös-weltanschauliche Ebene hinzu, der die sprachlich-kulturelle und, mit der Intervention der Sansculotten, auch die soziale Homogenisierung folgte: der Ausschluß der Reichen und Müßiggänger, schließlich all jener, deren Tugend aus irgendeinem Grund in Zweifel gezogen wurde. Am Ende umfaßte „die Kategorie des ‚Aristokraten‘ immer mehr Personen und deren Pendant, die ‚Nation‘ oder das ‚Volk‘, immer weniger Personen. Verdächtigungen, Säuberungen, Aufrufe zur revolutionären Justiz gegenüber den Feinden der Nation ließen die Liste der Verdächtigen immer länger werden.“79 Dieser Vorgang war weder zwangsläufig noch irreversibel. Sieyes selbst gehörte zu den ersten, die nach der Terreur für institutionelle Vorkehrungen eintraten, um ihm Einhalt zu gebieten.80 Als Möglichkeit war er indes mit dem Nationalstaat gesetzt und begleitet dessen Entwicklung bis heute. 2. Für Anhänger des Ancien Régime wie Joseph de Maistre war die Revolution „etwas Teuflisches, das sie von allem unterscheidet, was man bisher erlebt hat und noch erleben wird.“81 Unter ihren Urhebern die Schlimmsten waren die Philosophen, und unter diesen der Schuldigste: Sieyes.82 Sein Vergehen bestand darin, einem der größten Irrtümer des Jahrhunderts das Wort geredet zu haben: der Vorstellung, „daß die Staatsverfassung der Völker ein rein menschliches Werk sei; daß man eine Verfassung machen könne, wie 76

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Vgl. Sieyes, Menschenrechte (1789), in: Sieyes 1975, S. 252. Das übersieht Böckenförde, Verfassunggebende Gewalt, S. 108, wenn er den Nationalwillen bei Sieyes mit der volonté générale im Sinne Rousseaus gleichsetzt. Vgl. Sieyes, Was ist der Dritte Stand (1789), in: Sieyes 1975,S. 186. Vgl. Böckenförde, Die verfassunggebende Gewalt des Volkes, S. 95. Baker, Souveränität, S. 1348. Vgl. Hafen, Sieyes, S. 197 ff.; Thiele, Advokative Volkssouveränität, S. 254 ff. De Maistre, Betrachtungen (1796), S. 76. Vgl. de Maistre, Von der Souveränität (1794), S. 70.

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ein Uhrmacher eine Uhr anfertigt.“83 Verfassungen und Institutionen waren aus dieser Sicht nicht etwas, das man machte. Vielmehr handelte es sich um etwas immer schon Bestehendes, das Werk einer übermenschlichen Macht, das durch menschliche Aktivität allenfalls moduliert oder zerstört werden konnte.84 Wer sich darüber hinwegsetzen zu können glaubte und den Anspruch erhob, im Sinne des neuzeitlichen Souveränitätsgedankens gänzlich neue, präzedenzlose Normen und Institutionen zu schaffen, wie dies Rousseau, Thomas Payne und Sieyes prätendierten, usurpierte damit die Rolle Gottes und seines irdischen Stellvertreters, des Papstes, und geriet unweigerlich in die Sphäre des Dämonischen.85 So sehr Carl Schmitt im allgemeinen um den Schulterschluß mit dem von de Maistre und anderen vertretenen „gegenrevolutionären Konservatismus“ bemüht war86 –: in diesem zentralen Punkt hat er ihm die Gefolgschaft verweigert. Die Schrift über die Diktatur schilderte die Entstehung des modernen Staates und der ihr korrespondierenden Lehre von der Staatsraison aus einer ‚politischen Sachtechnik‘, ohne auch nur den Hauch eines Interesses an den Strukturen der alteuropäischen societas civilis zu zeigen, deren Verteidigung der gegenrevolutionäre Konservatismus auf seine Fahnen geschrieben hatte. Das Ancien Régime wurde vielmehr als ein von Stände- und Klassenkämpfen zerrissenes Gebilde präsentiert, in welches erst mit der Etablierung eines „Entscheidungsmonopols“ eine gewisse Ordnung gekommen sei.87 An den die Französische Revolution vorbereitenden Doktrinen von Mably und Rousseau bemängelte Schmitt zwar einen Individualismus, der so weit getrieben sei, daß er am Ende in Terrorismus umschlage,88 jedoch bezeichnenderweise nicht das, woran sich die Gegenrevolutionäre stießen: den „Diskurs des Willens“, den Voluntarismus. Dieser wurde wohl in seinem Erscheinungsmodus als fürstliche Souveränität deutlich höher geschätzt als in der Gestalt der Volkssouveränität, an der Schmitt den Transzendenzbezug vermißte.89 Der moderne Souveränitätsbegriff als solcher aber, der beiden zugrundelag, wurde akzeptiert, mehr noch: er wurde auch den gegenrevolutionären Schriftstellern untergeschoben, die sich in Schmitts Perspektive nur darin von ihrem revolutionären Pendant unterschieden, daß sie der Souveränität 83 84 85

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Ebd., S. 25. Vgl. de Maistre, Über den schöpferischen Urgrund der Staatsverfassungen (1809), S. 135. Vgl. de Maistre, Von der Souveränität (1794), S. 41, 66, 70. Für de Maistre ist Souveränität untrennbar verbunden mit der Infallibilität des Papstes. Zur daraus folgenden Ablehnung der modernen Souveränitätsidee vgl. Kondylis, Konservativismus, S. 226 ff. Das gilt auch für de Bonald, dessen Bindung der Souveränität an die volonté générale auf den ersten Blick in eine andere Richtung zu weisen scheint. Die Präzisierung, souverän sei nur derjenige Wille, der die Erhaltung der Gesellschaft intendiere, ist nämlich nicht auf die moderne Gesellschaft, sondern auf diejenige des Ancien Régime zu beziehen. Vgl. Lorenz, De Bonald, S. 39. Notabene: im allgemeinen. Im besonderen war Schmitt kein unkritischer Leser der französischen Theokraten. So heißt es im Tagebuch vom 15. 6. 22: „Fronleichnam. Bis 8 Uhr im Bett, etwas müde, wunderbar gefrühstückt; ein schöner Vormittag, habe behaglich herumgekramt und nachgedacht, de Maistre gelesen, manchmal entzückt, oft enttäuscht. So kann man heute nicht mehr schreiben“ (Schmitt, Tagebücher 1921 bis 1924). Zum Begriff des gegenrevolutionären Konservatismus vgl. Kondylis, Konservativismus, S. 25 ff., 207 ff. Vgl. Schmitt, Die Diktatur (1978), S. 18; Politische Theologie (1979), S. 20. Vgl. Schmitt, Die Diktatur (1978), S. 117. Vgl. Schmitt, Politische Theologie (1979), S. 63.

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ihren personalistischen und dezisionistischen Charakter zurückgaben.90 Ihr Verdienst sei es, die „letzte Konsequenz“ aus dem wissenschaftlichen Naturrecht gezogen und den modernen Staat als „ein Werk des Rationalismus“ erkannt zu haben, das durch eine souveräne, aber nicht mehr auf Individualismus und Rationalismus basierende Diktatur überwunden werden müsse.91 Während der gegenrevolutionäre Konservatismus der Neuzeit pauschal die Anerkennung verweigerte, verhielt sich Schmitt völlig anders. Anstatt die modernen Naturrechtslehren in toto zu verwerfen, stellte er sich vielmehr auf deren Boden, um hier, und nicht in einer überholten Gestalt des Weltgeistes, die Kräfte zu gewinnen, die geeignet waren, den Prozeß in eine andere Richtung zu lenken. Gleich im ersten Kapitel der Diktaturschrift verwahrte er sich dagegen, das neuzeitliche Naturrecht als eine Einheit zu sehen und postulierte statt dessen eine fundamentale Spaltung, die es in „zwei völlig verschiedene Systeme“ trenne: auf der einen Seite ein Naturrecht, das auf der Annahme beruhe, „daß ein Recht mit bestimmtem Inhalt als vorstaatliches Recht besteht“, auf der anderen ein solches, welchem „mit größter Klarheit der Satz zugrunde liegt, daß es vor dem Staate und außerhalb des Staates kein Recht gibt und der Wert des Staates gerade darin liegt, daß er das Recht schafft“.92 Was sich hier auf den ersten Blick wie eine Reformulierung des Gegensatzes von vormodernem und modernem Souveränitätsbegriff liest, war jedoch nichts dergleichen. Die erste Variante wurde nämlich von Schmitt nicht auf die societas civilis bezogen, sondern auf das christliche Naturrecht und das von ihm begründete Individualitätskonzept, das im puritanischen Christentum seine höchste Steigerung erfahren habe.93 Dabei handele es sich um ein Naturrecht, „in welchem der Einzelne eine unabhängig von jeder sozialen Organisation und Form konkret existierende Realität, daher das prinzipiell Unbegrenzte gegenüber dem Staat als dem prinzipiell Begrenzten“ sei: das „Gerechtigkeitsnaturrecht“, dem jeder Einzelne als „ein über jede rationale Ableitung und Erklärung und daher über jede Begrenzung und Zuweisung, über jede Rationierung seines Wertes erhabener Träger der unsterblichen, von Gott geschaffenen und erlösten Seele“ gelte. Auf der Gegenseite stehe das „wissenschaftliche“ bzw. „naturwissenschaftliche“ Naturrecht, welches diese Beziehung umkehre, indem es aus dem Wirbel der Atome eine „die Einzelheit verschlingende Einheit“, den „Leviathan“ entstehen lasse. Die erstgenannte Variante sah Schmitt ideengeschichtlich vor allem durch Locke repräsentiert, die zweite Variante durch Hobbes und Spinoza, die unter dem Einfluß des mathema90

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Vgl. die Kritik von Kondylis, Konservativismus, S. 230; Jurisprudenz, Ausnahmezustand und Entscheidung, S. 351 f. Im Lichte dieser Kritik, die selbst einen Dezisionismus, allerdings einen solchen deskriptiver Art, vertritt, erscheint der vieldiskutierte Dezisionismus Schmitts als präskriptiver oder normativer Dezisionismus, der nicht bloß registriert, „daß sich jedes Subjekt ohnehin entscheiden muß“, sondern dem Subjekt eine ‚echte‘ Entscheidung als ‚richtige‘ Wahl zwischen feststehenden Alternativen empfiehlt: vgl. ebd., S. 355. Dieser präskriptive Dezisionismus verbindet sich bei Schmitt überdies mit einer ausgeprägten „Entscheidungsromantik“, die auf der Gegenüberstellung von Entscheidungssituation und Alltag basiert und damit überspielt, daß auch dem Alltag eine Entscheidung zugrundeliegt. Vgl. Kondylis, Macht und Entscheidung, S. 41. Schmitt, Die Diktatur (1978), S. 23, 147. Ebd., S. 21 f. Vgl. ebd., S. 118.

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tisch-naturwissenschaftlichen Denkens von allem konkret Inhaltlichen abstrahiert und dadurch auch das Individuum seiner konkreten Individualität beraubt hätten. Sei im Gerechtigkeitsnaturrecht der Staat das prinzipiell Begrenzte, der Einzelne das substanziell Gegebene, so werde im wissenschaftlichen Naturrecht „das Ganze, der Leviathan, (…) zum substanziellen Träger allen Rechts.“94 Schmitt machte aus seiner Sympathie für die wissenschaftliche Linie keinen Hehl, formulierte aber zugleich einen Vorbehalt, der sich sowohl gegen den für sie charakteristischen Rationalismus als auch den immer noch individualistischen Ausgangspunkt richtete.95 Diese Schwächen seien erst, wenn auch ebenfalls noch nicht vollständig, in der französischen Staatslehre des 18. Jahrhunderts überwunden worden: ansatzweise bereits in Rousseaus Konzept der volonté générale, „deren Träger kein Einzelner, sondern die umfassende Einheit ist“;96 in gesteigerter Form aber erst bei Sieyes, dem gleich in doppelter Hinsicht eine herausragende Bedeutung attestiert wird: als Vollendung und Höhepunkt der von Hobbes und Spinoza inaugurierten Linie; und als deren Umpolung. Was bei Spinoza als Verhältnis der natura naturans zur natura naturata erscheine, werde von Sieyes in vollkommener systematischer und methodischer Analogie als Verhältnis von pouvoir constituant zu pouvoir constitué vorgestellt, jedoch nicht mehr in der für diese Traditionslinie typischen Weise eines mechanistischen Rationalismus, sondern, wie tendenziell bereits bei Spinoza, in einem anderen, nichtrationalistischen Sinne, der sich nicht so sehr auf den Staat schlechthin beziehe, als vielmehr auf den für moderne Staatlichkeit grundlegenden Begriff der Nation: „Das Volk, die Nation, die Urkraft alles staatlichen Wesens, konstituiert immer neue Organe. Aus dem unendlichen, unfaßbaren Abgrund ihrer Macht entstehen immer neue Formen, die sie jederzeit zerbrechen kann und in denen sich ihre Macht niemals definitiv abgrenzt. Sie kann beliebig wollen, der Inhalt 94

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Ebd., S. 118 f. Vorarbeiten zu diesen Gedanken finden sich in den Vorlesungen zur Geschichte der politischen Lehrmeinungen, die Schmitt 1919/20 an der Münchner Handelshochschule gehalten hat. Die Hobbes und Spinoza betreffenden Passagen sind abgedruckt in Schmittiana VII (Drei Inedita, 2001). Schmitts Verhältnis zu Hobbes ist u. a. Gegenstand bei: Rumpf, Carl Schmitt und Thomas Hobbes; Maschke, Die Zweideutigkeit der ‚Entscheidung‘; Meuter, Die zwei Gesichter des Leviathan; McCormick, Carl Schmitt’s Critique of Liberalism, S. 249 ff.; Branco, Die Sichtbarkeit des Politischen. Zu Spinoza: Heerich und Lauermann, Der Gegensatz Hobbes-Spinoza bei Carl Schmitt; Walther, Carl Schmitt contra Baruch Spinoza. Vgl. Schmitt, Die Diktatur (1978), S. 23, 32. Ebd., S. 120. Formulierungen wie diese liegen dem Vorwurf zugrunde, Schmitt sei ein verkappter Rousseauist, der wie sein Vorbild die volonté générale der volonté de tous übergeordnet habe (Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 228). Aber das trifft die Sache nicht. Die volonté générale bezieht sich bei Rousseau auf einen Zustand, in dem Allgemeininteresse und Einzelinteressen zusammenfallen, so daß es der Repräsentation nicht bedarf; wohingegen bei Schmitt etwas ganz Formales gemeint ist: das Vorhandensein einer politischen Einheit als solcher. „Die Idee der Repräsentation beruht darauf, daß ein als politische Einheit existierendes Volk gegenüber dem natürlichen Dasein einer irgendwie zusammenlebenden Menschengruppe eine höhere und gesteigerte, intensivere Art Sein hat.“ (Verfassungslehre [1970], S. 210). Zu den beträchtlichen Unterschieden zwischen Schmitt und Rousseau vgl. Thiele, Advokative Volkssouveränität, S. 117 ff.

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ihres Wollens hat immer denselben rechtlichen Wert wie der Inhalt einer Verfassungsbestimmung. Sie kann daher beliebig eingreifen mit Gesetzgebung, Rechtspflege oder bloß tatsächlichen Akten. Sie wird der unbeschränkte und unbeschränkbare Inhaber der jura dominationis, die aber nicht einmal auf den Notfall beschränkt zu sein brauchen. Sie konstituiert niemals sich selbst, sondern immer nur einen Andern. Ihre Beziehung zu dem konstituierten Organ ist daher keine gegenseitige Rechtsbeziehung. Die Nation ist immer im Naturzustande, lautet ein berühmter Ausspruch von Sieyès“.97 Daß die Nation nach Sieyes ihre verfassunggebende Gewalt nicht unmittelbar ausüben konnte, sondern nur durch die Vermittlung einer repräsentativen Versammlung, ist Carl Schmitt nicht entgangen.98 Er sah darin jedoch einen Selbstwiderspruch, der durch die weitere Entwicklung der Revolution aufgelöst wurde. Mochte der Nationalwille auch erst durch Repräsentanten sichtbar gemacht werden, so änderte dies doch nichts an der „unbedingte(n) im prägnanten Sinne des Wortes kommissarische(n) Abhängigkeit des Repräsentanten von diesem Willen“, der durch „Allmacht“, Unmittelbarkeit und Formlosigkeit gekennzeichnet sei.99 „Der Wille kann unklar sein. Er muß es sogar sein, wenn der pouvoir constituant wirklich unkonstituierbar ist. Diese Konsequenz, die Sieyès ausgesprochen hat, weist schon auf die dem Rationalismus völlig entgegengesetzte Philosophie des 19. Jahrhunderts, in der Gott als ein ‚objektiv Unklares‘ das Zentrum der Welt ist, wie der formlose aber immer neue Formen produzierende pouvoir constituant das Zentrum des staatlichen Lebens. Aber die Abhängigkeit des politischen Funktionärs, der im Namen des Volkes auftritt, hört nicht auf, unbedingt zu sein. Noch mehr als Rousseau hat Sieyès betont, daß alle staatliche Organtätigkeit nur kommissarischer Natur ist und die staatliche Substanz, die Nation, jederzeit in der Unmittelbarkeit ihrer Machtfülle auftreten kann.“100 Mit der Rezeption dieser Ideen eröffnete sich Schmitt gleich mehrere Möglichkeiten. Die Anerkennung des pouvoir constituant erlaubte die Anerkennung der mit der Revolution zum Durchbruch gelangten legalen Herrschaft als eines legitimen Vorgangs, damit eines politischen Handelns, das sich durch Entbindung von traditionalen Normen und Freisetzung einer relativen Beliebigkeit auszeichnete. Sie erlaubte zugleich eine Distanzierung von allen Kräften, die lediglich auf Restauration des Status quo ante aus waren, wie dies etwa für die Verfassungspolitik der DNVP galt.101 Des weiteren ließ sich der dem pouvoir constituant zugeschriebene Vorrang zu einer Begrenzung des Handlungsspielraums der pouvoir constitués nutzen, insbesondere desjenigen des

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Vgl. Schmitt, Die Diktatur (1978), S. 142 f. Vgl. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 80. Schmitt, Die Diktatur (1978), S. 143, 145. Ebd., S. 144. Vgl. Trippe, Konservative Verfassungspolitik. Das Werk des wichtigsten verfassungspolitischen Sprechers der DNVP, Axel von Freytagh-Loringhovens Schrift über Die Weimarer Verfassung in Lehre und Wirklichkeit (1924), wurde von Schmitt weitgehend ignoriert. Eine kurze (negative) Bezugnahme findet sich in Schmitts Beitrag über „Die Stellvertretung des Reichspräsidenten“ (1933), in: Schmitt 1973, S. 355.

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einfachen Gesetzgebers.102 Die von der verfassunggebenden Gewalt geschaffenen Institutionen und Strukturen waren danach zwar nicht schlechterdings sakrosankt, da sie im Prinzip als änderbar galten. Sie sollten aber nicht (oder jedenfalls nicht: in toto) im Wege der verfassungsändernden Gesetzgebung durch die pouvoirs constitués änderbar sein, wie dies in Art. 76 der Weimarer Verfassung geregelt war und von Kommentatoren wie Anschütz oder Thoma bekräftigt wurde.103 Für eine Änderung dessen, was ihm als Kern der Verfassung erschien – die Qualität des Deutschen Reichs als eine „konstitutionelle Demokratie, d. h. als ein bürgerlicher Rechtsstaat in der politischen Form einer demokratischen Republik, mit bundesstaatlicher Struktur“104 – kam nach Schmitt einzig eine Reaktivierung des pouvoir constituant in Frage: in der Form eine Reverenz vor der demokratischen Tradition, die die Verfassung einer regelmäßigen Revision durch einen Konvent oder eine andere entsprechende Versammlung hatte unterziehen wollen,105 in der Sache freilich im Vergleich zum geltenden Recht eine Heraufsetzung der Schwelle für Verfassungsänderungen, war doch eine Zweidrittelmehrheit in Einzelfragen leichter herzustellen als die Einberufung eines neuen pouvoir constituant, dem die gesamte Verfassung und damit die staatliche Ordnung zur Disposition gestanden hätte. Das aber hieß nichts anderes, als unter prinzipieller Anerkennung der Revolution deren dynamische 102 103

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Vgl. Maus, Bürgerliche Rechtstheorie, S. 116. Anschütz, der schon im Kaiserreich die Idee einer verfassunggebenden Gewalt als dem deutschen Staatsrecht fremd zurückgewiesen hatte, verstand Art. 76 WRV als „schrankenlose Änderungsklausel, gewissermaßen als Passepartout, der die Tür zu jedweder, auch vollständig anders gearteten staatlichen Ordnung öffnen konnte, ohne daß sich an der Etikettierung (‚Weimarer Verfassung‘) etwas änderte“ (Dreier, Gerhard Anschütz, S. 39). Ähnlich Thoma, Die juristische Bedeutung der grundrechtlichen Sätze der deutschen Reichsverfassung im allgemeinen [1929], in: Thoma 2008, S. 216 f. Der dort an Carl Schmitt geäußerten Kritik ist allerdings entgegenzuhalten, daß sie die quasi transzendentale Bedingung der Rechtssetzung – die Verfassung – auf die gleiche Ebene wie die Rechtssetzung selbst rückt und damit die eigentümliche Qualität des pouvoir constituant als eines „Grenzbegriffs des Verfassungsrechts“ (Böckenförde) verfehlt. Ganz unzutreffend sind Thomas weitere Einwände gegen Schmitt: er verzichte darauf, einen „Katalog der Unantastbarkeiten“ aufzustellen und könne auch kein Vorbild für seine Behauptung nennen, daß nur Verfassungsgesetze und nicht die Verfassung selbst zur Disposition der zur Verfassungsänderung kompetenten Legislativorgane stünden. In Wahrheit listet die Verfassungslehre die als unantastbar angesehenen politischen Fundamentalentscheidungen exakt auf (vgl. die folgende Anmerkung), die sich im übrigen weitgehend mit den in Art. 79,3 GG garantierten decken. Und was das Vorbild betrifft, so hatte Schmitt durchaus ein solches – in Sieyes. Die Grundgesetze, die Organisation und Aufgaben von Legislative und Exekutive regelten, heißt es in Was ist der Dritte Stand?, sollten für diese Einrichtungen, „die durch sie bestehen und handeln, unantastbar“ sein. „Beide Teile der Verfassung sind das Werk der verfassungsgebenden Gewalt, nicht aber der von der Verfassung gesetzten Gewalt. Keine übertragene Gewalt, welcher Art sie auch sei, kann an den Bedingungen ihrer Übertragung irgend etwas ändern“ (Sieyes 1975, S. 167). Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 24. So hatte etwa Jefferson jeder Generation das Recht einräumen wollen, sich selbst die Staatsform zu wählen, ‚von der sie sich die beste Beförderung ihres Glückes verspreche‘. Der im Februar 1793 von Condorcet für die Gironde eingebrachte Verfassungsentwurf sah mindestens alle zwanzig Jahre die Einberufung eines Nationalkonvents vor, darüber hinaus jedesmal dann, wenn die Mehrheit der Bürger dies für notwendig halte. Vgl. Arendt, Über die Revolution, S. 301; Aulard, Politische Geschichte der Französischen Revolution, Bd. I, S. 223.

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Kraft für die Gewinnung einer neuen, wie immer auch begrenzten Statik zu nutzen – eine Strategie, die exakt dem entsprach, was bei Moeller van den Bruck „konservative Revolution“ hieß, freilich entgegen dieser Bezeichnung weder mit dem vorrevolutionären noch dem gegenrevolutionären Konservatismus irgendetwas zu tun hatte und insofern mißverständlich war. Moeller selbst relativierte denn auch seine Formel, indem er als Kern der „konservativ-revolutionären Gegenbewegung“ den „Nationalismus“ identifizierte, genauer: jenen Nationalismus, der einem „Ruck nach rechts“ entsprang.106 Schmitts Interventionen der frühen 20er Jahre können als Versuch verstanden werden, diese Linie mit zwingenderen Argumenten zu begründen, als sie Moeller van den Bruck zu Gebote standen. Vom doppelten Nationsbegriff der Französischen Revolution übernahm Schmitt die holistische Komponente und reicherte sie mit ethnischen Momenten an, wie dies etwa auch im liberalen und demokratischen Nationalismus der Zeit nicht unüblich war.107 Das noch in der Diktaturschrift relativ unspezifische Verständnis von Volk und Nation konkretisierte er schon wenig später dahingehend, daß sich im „Nationalgefühl“ diverse Elemente verbänden, die bei den Völkern auf höchst verschiedenartige Weise wirksam seien: „die mehr naturhaften Vorstellungen von Rasse und Abstammung, ein anscheinend mehr für kelto-romanische Stämme typischer ‚terrisme‘; dann Sprache, Tradition, Bewußtsein gemeinsamer Kultur und Bildung, Bewußtsein einer Schicksalsgemeinschaft, eine Empfindlichkeit für das Verschiedensein an sich“.108 Die Verfassungslehre von 1928 faßte dies etwas genauer, wenn sie unter ‚Volk‘ „nur eine irgendwie ethnisch oder kulturell zusammengehörige, aber nicht notwendig politisch existierende Verbindung von Menschen“ verstand, unter ‚Nation‘ dagegen „das Volk als politisch-aktionsfähige Einheit mit dem Bewußtsein seiner politischen Besonderheit und dem Willen zur politischen Existenz“.109 Zur Entstehung eines solchen individualisierten Sonderbewußtseins, das aus einem Volk eine Nation mache, könnten verschiedene Faktoren beitragen: die Gemeinsamkeit der Sprache, der geschichtlichen Schicksale und Erinnerungen, der politischen Ziele und Hoffnungen und nicht zuletzt: der Bildung, der Schmitt im Unterschied zum Besitz erhebliche Bedeutung für die Entstehung einer Nationalrepräsentation zuschreibt.110 So wichtig diese Faktoren indes auch seien, 106 107

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Vgl. Moeller van den Bruck: Das dritte Reich, S. 234; Konservative Umkehr, S. 439. Im Sinne der oben erwähnten Typologie von Greenfeld müßte man demgemäß von einem „holistisch-ethnischen“ Nationsbegriff sprechen. Auch Ulrich K. Preuß (Weimarer Republik, S. 181 ff.) stuft Schmitts Nationsverständnis als „ethnisch“ ein, rückt dies allerdings, einem verbreiteten Reflex folgend, in einen zu großen Gegensatz zum „Ordnungsmodell liberal-demokratischer Normierungen“ und tendenziell in die Nähe völkischer Konzeptionen. Schon ein oberflächlicher Blick in die Geschichte lehrt indes, daß auch die liberal-demokratischen Normierungen nicht ausschließlich universalistischer Natur waren und vielfältige sprachliche, kulturelle und geschichtliche Implikationen enthielten. So war bspw. für Schmitts Kritiker Hans Kelsen „eine kulturell relativ homogene Gesellschaft, insbesondere gleiche Sprache“ eine unabdingbare Voraussetzung der Willensbildung (Kelsen, Problem des Parlamentarismus, S. 37). Daß eine Aufladung des Nationsbegriffs im ethnisch-kulturellen Sinne für sich genommen noch kein Indiz für „völkische“ Positionen ist, zeigt für die Weimarer Debatte Göthel, Demokratie und Volkstum, S. 32 f., 75 u. ö. Schmitt, Parlamentarismus (1979), S. 88. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 79. Vgl. ebd., S. 231. Auf S. 311 heißt es: „Auch der Begriff der Nation ist ein Bildungsbegriff. Nur ein gebildetes Volk im Sinne von Qualitäten wie menschlicher Wille und menschlichem Selbst-

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ausschlaggebend seien die folgenden: „Gemeinsamkeit des geschichtlichen Lebens, bewußter Wille zu dieser Gemeinsamkeit, große Ereignisse und Ziele.“111 Von Sieyes erbte Schmitt jedoch nicht nur das holistische Verständnis der Nation, sondern auch den Nationalismus. In der Diktaturschrift nur implizit enthalten, wurde er explizit in den Schlußpassagen der Parlamentarismuskritik, die Sorels Apologie für Lenin zu der Behauptung verdichteten, „daß die Energie des Nationalen größer ist als die des Klassenkampfmythus“ bzw. „daß der stärkere Mythus im Nationalen liegt“. Als Beispiele hierfür nannte Schmitt die revolutionären Kriege des französischen Volkes, die spanischen und deutschen Erhebungen gegen Napoleon, den irischen Freiheitskampf und die faschistische Bewegung in Italien, die ihm als wichtigstes zeitgenössisches „Beispiel für die irrationale Kraft des nationalen Mythus“ erschien. Mussolini zitierend, der unmittelbar vor dem Marsch auf Rom die Parole ausgab, den Mythus von der großen Nation zu verwirklichen, schrieb Schmitt: „Wie damals, im 16. Jahrhundert, hat wieder ein Italiener das Prinzip der politischen Wirklichkeit ausgesprochen. Die geistesgeschichtliche Bedeutung dieses Beispiels ist deshalb besonders groß, weil der nationale Enthusiasmus auf italienischem Boden bisher eine demokratische und parlamentarisch-konstitutionelle Tradition hatte und ganz von der Ideologie des angelsächsischen Liberalismus beherrscht zu sein schien.“112 Nationalismus ist eine Erscheinung mit einer inneren und einer äußeren Seite. Nach innen geht es um Homogenisierung, mindestens im Sinne einer Sicherstellung der Priorität des Nationalbewußtseins gegenüber allen anderen Loyalitätsbeziehungen; nach außen nicht nur um Souveränität, sondern stets auch um Überlegenheit und Hegemonie gegenüber anderen Nationen. Beiden Aspekten hat Schmitt Rechnung getragen, allerdings auf

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bewußtsein ist eine Nation; nicht aber ein völlig bildungsloses und daher auch geschichtsloses Volk.“ Ebd., S. 231. Nur am Rande sei darauf hingewiesen, daß diese Aufzählung sowohl Merkmale des „objektiven“ wie des „subjektiven“ Nationsbegriffs enthält, wie sie in einer zeitgenössischen, an Max Weber wie an Schmitt angelehnten Abhandlung über die verschiedenen Nationsbegriffe entwickelt sind: vgl. Ziegler, Die moderne Nation (zu Ziegler vgl. weiter unten S. 155 ff.). Dem wird weder ein Verständnis gerecht, das Schmitts Nationsvorstellung als „substanzialistisch“, „völkisch“ oder gar „rassistisch“ bezeichnet, noch eine Deutung im rein artifiziellen Sinne, wie sie zumal bei Literaturwissenschaftlern verbreitet ist. Hier begegnet man im übrigen auch überzogenen Koppelungen, die Nation immer schon in Richtung Rassismus gravitieren sehen. Vgl. in diesem Sinne die sonst anregende, auch auf Ziegler rekurrierende Studie von Friedrich Balke mit ihrem Fazit, „daß es unmöglich ist, die ‚nationale Homogenität‘ ohne Bezugnahme auf den Diskurs der Rassisierung zu definieren, und daß umgekehrt die effektive (staats)rassistische politische Praxis sich stets im Zeichen konsequenter Verwirklichung einer ‚nationalen Demokratie‘ begreifen wird.“ (Die Figur des Fremden bei Carl Schmitt und Georg Simmel, S. 57). Hier werden offensichtlich Möglichkeit und Notwendigkeit miteinander verwechselt. Schmitt, Parlamentarismus (1979), S. 88 f. Die hier anklingende Bewunderung für Mussolini hat Schmitt lange begleitet. Der Bonner Kirchenhistoriker Wilhelm Neuß erinnerte sich später an ein Gespräch, in dem Schmitt ihm gesagt habe, „daß seiner Ansicht nach Mussolini der Mann sei, dessen Leben das Wertvollste sei für die europäische Menschheit“ (zit. n. Tommissen, Bausteine, S. 92). Nach der Erinnerung Ernst Rudolf Hubers reagierte Schmitt 1926 auf ein gescheitertes Attentat auf Mussolini mit Besorgnis und nannte dessen mögliche Ermordung „das größte denkbare Unglück im politischen Bereich.“ (Huber, Carl Schmitt in der Reichskrise, S. 106).

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eine Weise, die gewissen Schwankungen unterlag. In der Anfangsphase der Republik, die durch bürgerkriegsartige Zustände bestimmt war, betonte er vor allem die Homogenisierung, in aggressiver Frontstellung gegen die anti- bzw. internationalen Kräfte wie den atheistischen Sozialismus und Anarchismus, die nötigenfalls in „einer blutigen, definitiven, vernichtenden Entscheidungsschlacht“ niederzuwerfen seien.113 Ziel war dabei allerdings nicht eine Parteinahme im Klassenkampf zugunsten der Gegenseite, sondern die Stärkung der Gesamtheit, der Nation, wie Schmitt in einem späteren Beitrag über den italienischen Faschismus klarmachte. Dessen „Hauptleistung“ sollte gerade in der „große(n) Steigerung des staatsbürgerlichen und nationalen Selbstbewußtseins bei der Masse der Italiener“ bestehen sowie in der Fähigkeit des Regimes, „die Würde des Staates und der nationalen Einheit gegenüber dem Pluralismus ökonomischer Interessen zu halten und durchzusetzen“.114 Offensichtlich erschien Schmitt der Faschismus als eine Fortsetzung des Risorgimento-Nationalismus, der im Spannungsfeld von Revolution und Konterrevolution eindeutig dem revolutionären Pol zuzurechnen ist.115 Nur so ist es erklärlich, weshalb er am Ende seiner Schrift über den Römischen Katholizismus seiner Kirche ein Bündnis mit Mazzini empfahl.116 In den Jahren der Stabilisierung traten hinsichtlich der Binnenperspektive des Nationalismus die normativen und appellativen Züge zurück und wichen einer stärker deskriptiven Betrachtungsweise. Dafür wurde die Außenseite stärker akzentuiert. Von der Rede, die Schmitt im April 1925 zur Jahrtausendfeier der Rheinlande in Köln hielt, bis zum Königsberger Vortrag von 1932 über „Völkerrechtliche Formen des modernen Imperialismus“117 zog sich eine Serie von Interventionen, die sich gegen die Aushöhlung des Selbstbestimmungsrechts „im Zusammenhang der modernen Methoden imperialistischer Unterwerfung und Ausbeutung fremder Staaten“ richteten und gegenüber der propagandistischen Ausnutzung moralischer und juristischer Begriffe durch die Hegemonialmächte an die Einsicht von Sieyes erinnerten, daß die Völker noch immer ‚untereinander im Naturzustand‘ leben.118 Für Schmitt endete dieser Naturzustand indes nicht mit der Etablierung der Souveränität und der Errichtung eines Systems völkerrechtlicher Verträge. Erschien es ihm schon 1925 unerträglich, daß ein Volk mit abnehmender Geburtenzahl wie das französische mit Waffengewalt die Herrschaft über ein „unbewaffnetes stark wachsendes Volk“ wie das deutsche behaupten wollte, „dessen Industrie vergebens einen Ausweg sucht“,119 so steigerte er sich in den folgenden Jahren zu einer Rhetorik, die weit über eine Reklamierung des nationalen Selbstbestimmungsrechts hinausging und denjenigen seiner Kritiker Recht gab, die ihm eine Adaption an „das Vokabularium jeder nationalistisch-imperialistischen Staatslehre“ 113 114 115 116 117 118 119

Vgl. Schmitt, Parlamentarismus (1979), S. 81, 87. Schmitt, Wesen und Werden des faschistischen Staates, in: Schmitt 1988, S. 110, 112, 114. Vgl. Vossler, Mazzinis politisches Denken; Kohn, Propheten des Nationalismus, S. 91 ff.; Haddock, State and Nation in Mazzini’s Political Thought. Vgl. Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form (1925), S. 53. Vgl. Schmitt, Die Rheinlande als Objekt internationaler Politik (1925), in: Schmitt 1988, S. 26 ff.; Völkerrechtliche Formen des modernen Imperialismus (1932), ebd., S. 162 ff. Schmitt, Völkerrechtliche Probleme im Rheingebiet (1928), in: Schmitt 1988, S. 103, 108. Schmitt, Der Status quo und der Friede (1925), in: Schmitt 1988, S. 39.

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vorwarfen.120 Das Kennzeichen der gegenwärtigen geschichtlichen Epoche, so Schmitt 1928, bestehe darin, „daß alle überlieferten politischen Größen sich vollständig umgruppieren und eine Neubildung von Staaten und Staatensystemen in ungeheuer erweiterten Dimensionen eintritt“121 – eine Auffassung ganz auf der Linie der Prognosen Oswald Spenglers, der die faustische Kultur in das „Zeitalter der Riesenkämpfe“, das Zeitalter der „kämpfenden Staaten“ eingetreten sah, aus dem irgendwann das Imperium mundi hervorgehen werde.122 Und schon damals formulierte Schmitt jenes Argument, aus dem er zehn Jahre später seine Großraumdoktrin entwickeln sollte: die moderne Technik mache „manche politischen Gruppierungen und Grenzen der früheren Zeit illusorisch“, sie mache die Erde kleiner und zwinge infolgedessen die Staaten und Staatensysteme, größer zu werden, wenn sie nicht zum Objekt imperialistischer Kontrolle werden wollten. „In diesem gewaltigen Umwandlungsprozeß gehen wahrscheinlich viele schwache Staaten unter. Einige Riesenkomplexe werden übrigbleiben und vielleicht die nach menschlicher Berechnung zu erwartende Zeit eines ungeahnten, auf völlig neuen technischen Möglichkeiten beruhenden Menschenglücks genießen.“ Das Deutsche Reich sei in seinem gegenwärtigen Bestand zu klein, „um ohne weiteres eine der überlebenden Weltmächte zu sein, andrerseits aber nicht klein und peripher genug, um wie ein kleines Volk in dem politischen System eines andern unterzukommen oder sich einfach aus der Weltgeschichte zu verdrücken.“123 Angesichts einer solchen Lagebeschreibung verwundert es nicht, daß Schmitt nicht lange danach in der durch Hitlers Expansionspolitik deutlich erweiterten territorialen und demographischen Basis die Chance für sein Land sah, doch noch zu einer dieser Weltmächte zu werden. In diesem Punkt war es freilich weniger der Sieyes der Jahre 1788/89, auf den sich die ‚andere Sieyeslinie‘ berufen konnte, als vielmehr der Sieyes der Jahre 1799 ff. 3. Noch weiter ab von Sieyes´ ursprünglichen Konzeptionen führten die beiden anderen Modifikationen, die Schmitt am gedanklichen Erbe des „großen Verfassungskonstrukteurs“ vornahm. Die eine betraf die von Sieyes vorgeschlagene Ermittlung des Nationalwillens mithilfe des Repräsentativsystems bzw. des Parlamentarismus, dessen geistige Grundlagen im 20. Jahrhundert massiv an Evidenz einzubüßen schienen. Nicht daß Schmitt die Idee einer „institutionelle(n) Mediatisierung der Volkssouveränität“, wie sie der Französischen wie schon der Amerikanischen Revolution zugrundelag,124 schlechterdings verworfen oder gar den Parlamentarismus für tot erklärt hätte, wie ihm dies Richard Thoma vorwarf.125 Die erste Fassung der Parlamentarismusschrift von 1923 ließ sich, bei aller dort bereits geübten Kritik, noch durchaus als eine Bilanz lesen,

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Kraft-Fuchs, Prinzipielle Bemerkungen, S. 540. Schmitt, Der Völkerbund und Europa (1928), in: Schmitt 1988, S. 89. Spengler, Untergang des Abendlandes, Bd. 2, S. 1081. Schmitt, Völkerrechtliche Probleme im Rheingebiet (1928), in: Schmitt 1988, S. 107. Haller, Repräsentation, S. 818. Vgl. Thoma, Zur Ideologie des Parlamentarismus und der Diktatur (1925), in: Thoma 2008, S. 162.

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die zu Reformvorschlägen stimulieren sollte.126 Und obschon sie für den ‚relativen Rationalismus‘ der liberalen Ära angesichts des Aufkommens kontradiktorischer Gegensätze die Zeit ablaufen sah und freundliche Worte für den Faschismus fand, mündete sie doch nicht gleich in eine Empfehlung an das Bürgertum, den autoritären Staat nach faschistischem Muster zu bejahen.127 Die auf der äußersten Rechten wie auf der äußersten Linken zu verzeichnende Neigung zu irrationalistischen Doktrinen unmittelbarer Gewaltanwendung wurde vielmehr von Schmitt als große Gefahr dargestellt, als Rückfall in den politischen Polytheismus, als drohende Beseitigung der letzten, „wenigstens in einigen Resten noch bestehende(n) Zusammengehörigkeiten“.128 In seiner Antikritik zu Thoma, die der zweiten Auflage als Vorwort vorangestellt wurde, erklärte es Schmitt für „interessante und zum Teil auch richtige Erwägungen“, „daß der heutige parlamentarische Betrieb das kleinere Übel ist, daß er immer noch besser sein wird als Bolschewismus und Diktatur, daß es unabsehbare Folgen haben würde, wenn man ihn beseitigt, daß er ‚sozial-technisch‘ eine ganz praktische Sache ist“.129 Wenn Schmitt von hier aus gesehen einigen Grund hatte, die Verdächtigung Thomas zurückzuweisen, er strebe unausgesprochen „ein Bündnis des nationalen Diktators mit der katholischen Kirche“ an,130 waren und blieben seine Einlassungen zum Thema Parlamentarismus doch von einer unübersehbaren Ambivalenz, die daher rührte, daß er beständig zwischen dem normativen und dem empirisch-historischen Register hin und her wechselte. Auf normativer Ebene sah er sich auf eine Verfassung verpflichtet, die aus einer Mischung verschiedener politischer Formprinzipien bestand – dem Formprinzip der Repräsentation, das in der Einrichtung des präsidialen Staatsoberhauptes und im Parlament seinen Ausdruck gefunden hatte; und dem Formprinzip der Demokratie, das sich in den verfassungsgesetzlich geregelten Befugnissen des Volkes in bezug auf Wahlen und Sachabstimmungen äußerte.131 Nach dem Buchstaben der Verfassung, das hob Schmitt noch in Legalität und Legitimität hervor, war die Weimarer Republik ein „parlamentarischer Gesetzgebungsstaat“, dessen zentrale Institution über alle Machtmittel verfügte, die nötig waren, um sich in Konflikten mit anderen Repräsentanten des Volkswillens (wie etwa dem Reichspräsidenten) durchzusetzen.132 Daß Schmitt den ‚verfaßten‘, institutionalisierten Aspekt der Volkssouveränität vernachlässigt und Volkssouveränität mit der verfassunggebenden Gewalt des Volkes identifiziert habe, läßt sich deshalb so nicht sagen.133 126

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Vgl. Schmitt, Parlamentarismus (1923), S. 418. Diese Fassung unterscheidet sich in einigen Partien von der 2. Aufl. von 1926, die allen späteren Auflagen zugrundeliegt. Wegen der leichteren Zugänglichkeit der letzteren wird im folgenden nach dieser zitiert (1979, S. 30) So aber Lenk, Parlamentarismuskritik, S. 18. Schmitt, Parlamentarismus (1923), S. 473. Schmitt, Der Gegensatz von Parlamentarismus und moderner Massendemokratie (1926), in: Schmitt 1988, S. 54. Vgl. Thoma, Zur Ideologie des Parlamentarismus und der Diktatur (1925), in: Thoma 2008, S. 167; Schmitt, Parlamentarismus (1979), Vorbemerkung, S. 5. Vgl. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 202, 238 ff. Vgl. Schmitt, Legalität und Legitimität (1932), in: Schmitt 1973, S. 337. Vgl. Maus, Transformation, S. 114. Ähnlich meine eigene frühere Einschätzung in: Nationalstaat und pouvoir constituant.

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Ebenso unverkennbar ist jedoch, daß Schmitt im Parlamentarismus keine Institution sah, die eine große Zukunft vor sich hatte. Liberaler Parlamentarismus und moderne Massendemokratie erschienen ihm auf die Dauer als inkompatibel, beruhte der erstere doch soziologisch gesehen auf aristokratischen bzw. oligarchischen Grundlagen, die mit fortschreitender Demokratisierung nicht mehr perpetuierbar waren.134 Der Aufstieg und die Verfestigung von Massenparteien mit gewaltigen Propagandaapparaten, der wachsende Einfluß der Wirtschaft auf die Politik, die Beteiligung der Volksvertretung an der Regierung – dies alles führte in seinen Augen dazu, daß der Parlamentarismus verfiel „und das ganze System von Rede-, Versammlungs- und Preßfreiheit, öffentlichen Sitzungen, parlamentarischen Immunitäten und Privilegien seine ratio“ verlor. Waren aber „Öffentlichkeit und Diskussion in der tatsächlichen Wirklichkeit des parlamentarischen Betriebes zu einer leeren und nichtigen Formalität geworden“, so mußte auch das Parlament, wie es sich im 19. Jahrhundert, insbesondere unter der von Schmitt hochgeschätzten Julimonarchie, entwickelt hatte, „seine bisherige Grundlage und seinen Sinn“ verlieren.“135 Es mochte dann noch eine Zeitlang „als ein leerer Apparat, kraft einer bloß mechanischen Beharrung mole sua“ aufrechtstehen,136 doch war es nur noch eine quaestio facti, ob sich die von ihm ausgeübten Funktionen nicht auch anders erledigen ließen. „Wird das Parlament aus einer Institution von evidenter Wahrheit zu einem bloß praktisch-technischen Mittel, so braucht nur in irgendeinem Verfahren, nicht einmal notwendigerweise durch eine offen sich exponierende Diktatur, via facti gezeigt zu werden, daß es auch anders geht, und das Parlament ist dann erledigt.“137 Die andere Modifikation betraf die Neubewertung der Demokratie, die von Sieyes wie schon zuvor von Rousseau als ein für Großstaaten gänzlich unpraktikables Verfahren der Willensbildung eingestuft worden war. Angesichts der Tatsache jedoch, daß sich sämtliche revolutionären Kräfte der Neuzeit, von den Levellern über die Jakobiner bis hin zu Sozialdemokraten und Kommunisten, auf sie beriefen, glaubte auch Schmitt auf die „merkwürdige Evidenz demokratischer Ideen“ nicht verzichten zu dürfen.138 Der Kern des demokratischen Prinzips bestand in seinen Augen in der „Behauptung einer Identität von Gesetz und Volkswillen“, die zwar realiter nie völlig zu erreichen war, gleichwohl ein bestimmtes „Bestreben“ beschrieb, mithilfe von „Identifikationen“ eine wie immer auch approximative „Identität von Regierenden und Regierten, Herrscher und Beherrschten“ zu erreichen.139 Das war am leichtesten in kleineren Verbänden in Form der unmittelbaren Demokratie bzw. Versammlungsdemokratie möglich, in der das Volk seinen Willen per acclamationem zum Ausdruck brachte, doch bedeutete dies keines134 135

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Vgl. Schmitt, Parlamentarismus (1979), Vorbemerkung, S. 21; Verfassungslehre (1970), S. 217 ff. Schmitt, Parlamentarismus (1979), S. 62 f. Zu Schmitts Hochschätzung der Julimonarchie vgl. seinen Brief an Waldemar Gurian vom 6.2.1925: „Ich halte übrigens (…) die Zeit Louis Philipps für ebenso ideal wie die von 1800–1830. Denken Sie nur an Chopin, die Sand, Musset, den jungen Hugo, Liszt und dies ganze Theater. Immerhin, wer kennt das in Deutschland. Wir haben ja immer eigentlich nur National-Liberalismus gehabt und Richard Wagner gehört dahin.“ Sammlung Tommissen, RW 579–477; jetzt in: Gurian-Schmitt, Briefwechsel (2011), S. 75. Schmitt, Parlamentarismus (1979), S. 30. Schmitt, Der Gegensatz (1926), S. 58 f. Schmitt, Parlamentarismus (1979), S. 32. Ebd., S. 35.

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wegs, daß Demokratie nicht auch für größere Verbände geeignet war. Die modernen Revolutionen, darunter nicht zuletzt auch die deutsche Revolution von 1918/19, waren nach Schmitt ein schlagendes Beispiel dafür, daß auch in einem Großstaat „das Volk als politisch handlungsfähige Einheit in seiner bewußten Identität mit sich selbst“ aktiv werden und in die Rolle des pouvoir constituant eintreten konnte.140 Möglich war dies, weil und insofern auch hier sich der Volkswille unmittelbar äußern konnte, wenn auch nicht mehr in der „natürlichen Form“ wie in der Versammlungsdemokratie, sondern in Gestalt der öffentlichen Meinung als der „moderne(n) Art der Akklamation.“141 Nicht einmal artikuliert werden mußte diese öffentliche Meinung, genügte doch nach Schmitts Überzeugung auch der tacit consent, wie er „durch selbstverständliches, unwidersprochenes Dasein“ zum Ausdruck komme.142 Daß dies ein ganz unzulängliches, weil keinerlei Verfahren zur Willensermittlung benennendes Verständnis von Demokratie ist, bedarf keiner umständlichen Erläuterungen. Schmitt selbst hat sich Begründungslasten denn auch weitgehend erspart und ist gleich dazu übergegangen, die in seinen Augen „dialektische“ Natur der Demokratie zu demonstrieren, ihre eigentümliche Neigung, selbst in ihr Anderes (was nicht heißt: in ihr Gegenteil) umzuschlagen.143 Wenn „in keinem Falle der absolut einstimmige Wille aller (auch der unmündige(n) Staatsbürger“ erreicht werden könne, mache es „eigentlich gar keinen Unterschied, ob man den Willen der Mehrheit oder den Willen der Minderheit mit dem Willen des Volkes identifiziert“.144 Da die echten Demokraten nicht selten in der Minderheit seien, stünden sie, einmal zur politischen Macht gelangt, vor der Aufgabe, das Volk durch richtige Erziehung dahin zu bringen, „daß es seinen eigenen Willen richtig erkennt, richtig bildet und richtig äußert.“ In der Konsequenz dieser Erziehungslehre aber liege „die Diktatur, die Suspendierung der Demokratie im Namen der wahren, erst noch zu schaffenden Demokratie.“ Das hebe die Demokratie zwar theoretisch nicht auf, zeige aber, „daß Diktatur nicht der Gegensatz zu Demokratie ist. Auch während einer solchen vom Diktator beherrschten Übergangszeit kann die demokratische Identität herrschen und der Wille des Volkes allein maßgebend sein.“145 Mit Blick auf diese Gedankengänge hat schon die zeitgenössische Kritik mit Recht von einer „Begriffserweichung“ gesprochen, in deren Konsequenz eine Unterscheidung zwischen demokratischen und nicht demokratischen Staatsformen nicht mehr möglich sei.146 Dieser Eindruck bestätigt sich nicht nur mit Blick auf die Bedenkenlosigkeit, mit der Schmitt den europäischen Kolonialregimen bescheinigte, Demokratien zu sein, obwohl hier selbst nach seinen eigenen Kriterien von einer „Identität von Regierenden und Regierten“ nicht einmal ansatzweise die Rede sein konnte.147 Er bestätigt sich auch, 140 141 142 143 144 145 146 147

Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 63, 78, 23. Ebd., S. 83, 246. Schmitt, Der Gegensatz (1926), S. 65. Von einer „Dialektik der Demokratie“ ist explizit die Rede im Anschluß an Lorenz von Stein: vgl. Schmitt, Parlamentarismus (1979), S. 37. Ebd., S. 35. Ebd., S. 37. Vgl. Kraft-Fuchs, Prinzipielle Bemerkungen, S. 517. Vgl. Schmitt, Der Gegensatz von Parlamentarismus und moderner Massendemokratie (1926), in: Schmitt 1988, S. 60, 63. Das hierfür zur Begründung herangezogene Argument, das auf eine

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wenn man die Entwicklung der Ansichten verfolgt, die er über eine Bewegung hegte, die im demokratischen Lager begann, um schließlich in die Diktatur zu münden: den italienischen Faschismus.148 Anfangs würdigte er den Faschismus wohl als diejenige Form des nationalen Mythus, die am besten geeignet sei, den Klassenkampfmythus aus dem Feld zu schlagen, wies jedoch zugleich darauf hin, daß der Faschismus anscheinend keinen Wert darauf lege, ‚demokratisch‘ zu sein, ja seine Durchschlagskraft recht eigentlich der entschiedenen Abkoppelung des „nationale(n) Enthusiasmus“ von der „demokratische(n) und parlamentarisch-konstitutionelle(n) Tradition“ des Risorgimento verdankte.149 Dieser Einschätzung folgte fünf Jahre später noch die Verfassungslehre, wenn sie den Faschismus (wie auch den Bolschewismus) als Beispiel für eine aristokratische oder oligarchische Form der verfassunggebenden Gewalt behandelte – also für eine Erscheinung, die dem politischen Formprinzip der Repräsentation zuzurechnen war, nicht demjenigen der Identität, wie es für die Demokratie typisch war.150 Schon in seiner Antikritik zu Thomas Besprechung der Parlamentarismusschrift deutete Schmitt indes an, daß Faschismus wie Bolschewismus „wie jede Diktatur zwar antiliberal, aber nicht notwendig antidemokratisch“ seien, gebe es doch in der Geschichte der Demokratie „manche Diktaturen, Cäsarismen und andere Beispiele auffälliger, für die liberalen Traditionen des letzten Jahrhunderts ungewöhnlicher Methoden, den Willen des Volkes zu bilden und eine Homogenität zu schaffen.“151 Vertieft wurde diese Ansicht in der ausführlichen Besprechung, die Schmitt drei Jahre später dem Buch Erwin von Beckeraths über Wesen und Werden des faschistischen Staates zuteil werden ließ.152 Während Beckerath, bei aller Sympathie für den Faschismus, doch am antidemokratischen Charakter von dessen Staatstheorie keinen Zweifel ließ und statt dessen die „Verwandtschaft mit dem Absolutismus des 17. und 18. Jahrhunderts“ betonte,153 warf Schmitt ihm eine Sichtweise vor, die Demokratie zu stark mit Liberalismus und Parlamentarismus identifiziere und dadurch außerstande sei, den genuin demokratischen Grundzug des Faschismus zu erfassen:

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Gleichsetzung der Kolonialregime mit der antiken, die Sklaven ausschließenden Polisdemokratie hinausläuft, setzt sich darüber hinweg, daß die Kolonialbevölkerung zumindest z. Zt. Schmitts nicht aus Sklaven, sondern aus Schutzbefohlenen bestand, deren „Zivilisierung“ zu den wie immer auch fadenscheinigen Legitimationslegenden des Kolonialismus gehörte. Dieser andere Status drückte sich in der von Schmitt erwähnten Formel aus, wonach die Kolonien staatsrechtlich Ausland, völkerrechtlich Inland seien, womit zumindest völkerrechtlich die Zugehörigkeit der Beherrschten zum politischen Verband anerkannt war. Sklaven dagegen galten niemals in diesem Sinne als Zugehörige. Über sie konnte folglich auch keine Herrschaft ausgeübt werden. Zum folgenden näher: Schieder, Das italienische Experiment; Carl Schmitt und Italien. Vgl. Schmitt, Parlamentarismus (1979), S. 39, 89. Vgl. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 81. Schmitt, Der Gegensatz von Parlamentarismus und moderner Massendemokratie (1926), in: Schmitt 1988, S. 65. Die Besprechung erschien in Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reiche 53, 1929 und wurde später aufgenommen in Schmitt 1988, S. 109 ff. Zu Beckeraths Buch vgl. Petersen, Der italienische Faschismus aus der Sicht der Weimarer Republik, S. 324 ff.; Schieder, Faschismus für Deutschland. Beckerath, Wesen und Werden des faschistischen Staates, S. 149 f.

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„Daß der Faschismus auf Wahlen verzichtet und den ganzen ‚elezionismo‘ haßt und verachtet, ist nicht etwa undemokratisch, sondern antiliberal und entspringt der richtigen Erkenntnis, daß die heutigen Methoden geheimer Einzelwahl alles Staatliche und Politische durch eine völlige Privatisierung gefährden, das Volk als Einheit ganz aus der Öffentlichkeit verdrängen (der Souverän verschwindet in der Wahlzelle) und die staatliche Willensbildung zu einer Summierung geheimer und privater Einzelwillen, das heißt in Wahrheit unkontrollierbarer Massenwünsche und –ressentiments herabwürdigen.“154 Auch das faschistische Wahlgesetz von 1928, das den Wählern nur die Möglichkeit gebe, zu einer von der Regierung vorgelegten Kandidatenliste Ja oder Nein zu sagen, sei nur unter liberalen Prämissen undemokratisch, führe vielmehr in Wahrheit zum Plebiszit. „Ein Plebiszit ist aber nichts Undemokratisches. Darüber kommt auch die radikalste und unmittelbarste Demokratie nicht hinweg, daß das Volk nur akklamieren oder nur Ja oder Nein sagen kann; und angesichts der unentrinnbaren Abhängigkeit von Fragestellung und Vorschlagslisten ist es eben politisch und infolgedessen auch demokratisch gedacht, Fragestellung und Vorschlagslisten von der Regierung ausgehen zu lassen und nicht anonymen Cliquen und Interessentengruppen anheimzugeben, die sie in tiefstem Geheimnis fabrizieren und aus einem undurchsichtigen und unverantwortlichen Dunkel heraus einer teils parteimäßig organisierten, teils hilflos schwankenden Masse von geheim abstimmenden Einzelnen unterbreiten. Wie die Dinge heute liegen, ist in keinem Land der Kampf um den Staat und das Politische ein Kampf gegen eine echte Demokratie“.155 Mit dieser Deutung lag Schmitt gleich doppelt quer: sowohl zu der zu diesem Zeitpunkt erreichten Selbstklärung des italienischen Faschismus als auch zu der Einschätzung der Mehrheit der zeitgenössischen Beobachter in Deutschland. Was zunächst den Faschismus selbst betrifft, so wies er in seinen Anfängen durchaus demokratische Züge auf, die auf den Einfluß des Futurismus und des Neosyndikalismus zurückzuführen waren.156 Im Programm von San Sepolcro (1919) finden sich Forderungen nach dem allgemeinen Wahlrecht, dem Frauenstimmrecht und der Verhältniswahl sowie der Beteiligung der Arbeitervertreter an der technischen Leitung der Betriebe.157 Selbst Mussolini, obwohl seiner Herkunft aus dem blanquistischen Flügel der sozialistischen Partei nach alles andere als ein Demokrat, verkündete kurz darauf den Anbruch einer ‚Periode der Massenpolitik oder der demokratischen Hypertrophie‘ und wies den Fasci di combattimento die Aufgabe zu, die Massen ‚in Richtung der politischen und der wirtschaftlichen Demokratie‘ zu lenken.158 Die paramilitärischen squadre, die ab 1920 154 155 156

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Schmitt, Wesen und Werden des faschistischen Staates (1929), in: Schmitt 1988, S. 110 f. Ebd. Zu den demokratischen Elementen des Futurismus vgl. etwa Marinetti, Democrazia futurista (1919), in: Marinetti 1998, S. 345 ff.; ferner das Manifest der Partei des italienischen Futurismus vom 11.2.1918, zit. n. Schmidt-Bergmann, Futurismus, S. 178 ff.; Berghaus, Futurism and Politics, S. 130 Für den Neosyndikalismus, insbesondere Alceste de Ambris, vgl. Perfetti, Fiumanesimo, sindacalismo e fascismo, S. 19. Vgl. Tasca, Glauben, gehorchen, kämpfen, S. 61. Mussolini, Popolo d’Italia vom 18.3.1919. Zit. n. ebd., S. 39.

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aus dem Boden schossen und fortan das Erscheinungsbild des Faschismus prägten, beruhten auf freiwilliger Zugehörigkeit und wählten ihre Führer selbst, so daß sie von einem ihrer besten Kenner Max Webers Idealtypus der „Führerdemokratie“ zugeordnet werden.159 Noch auf dem Gründungskongreß der faschistischen Partei im November 1921 forderte der Führer des an D’Annunzio orientierten Flügels, Dino Grandi, daß der Faschismus zum Künder einer neuen nationalen Demokratie werden solle, einer syndikalistischen Demokratie, welche die Massen dem nationalen Staat zuführen werde. „Der Staat muß sich als große und mächtige Institution von Syndikaten formieren. Wir begreifen die Demokratie nicht als Mittel, sondern als Ziel.“160 Mit dieser Forderung trat Grandi, der spätere Außenminister des faschistischen Italien, in bewußte Opposition zu seinem Parteiführer, der inzwischen anderen Sinnes geworden war und explizit erklärt hatte, die Demokratie könne nur Mittel sein, niemals Ziel.161 Bekanntlich war es dann aber Mussolini, der sich durchsetzte und sowohl der Partei als auch dem paramilitärischen Apparat eine strikt hierarchische Ordnung verschrieb.162 Acht Monate vor der Übernahme der politischen Macht verkündete er der Welt, was der Faschismus von ihr zu erwarten hatte. Die Demokratie habe alle ihre Forderungen verwirklicht, jetzt beginne der Prozeß, der dem ‚Jahrhundert der Demokratie‘ gemacht werde. Die demokratische Gerechtigkeit des allgemeinen Wahlrechts habe sich als die schreiendste Ungerechtigkeit erwiesen, die Regierung aller als die Abwesenheit jeder Regierung. Das ‚Jahrhundert der Massen, der Zahl, der Majoritäten‘ gehe nunmehr zu Ende und werde von einem neuen, ‚antidemokratischen Jahrhundert‘ abgelöst. In ihm seien die Massen nicht länger die Träger, sondern nur das Instrument der Geschichte, die von neuen, im Entstehen begriffenen Aristokratien bestimmt werde.163 Noch pointierter hieß es in einem Artikel vom 17. September 1922: „Die Lebensphilosophie der Demokratie ist wesentlich politisch, die des Faschismus ist vorwiegend kriegerisch.“164 Daß ein auf solche Prinzipien gegründetes Regime begrifflich als Diktatur zu klassifizieren und als Gegensatz zur Demokratie zu verstehen war, war auch die Ansicht der meisten zeitgenössischen Beobachter in Deutschland. Das gilt für Vertreter der Linken, die sich auf publizistischer Ebene in Blättern wie dem sozialdemokratischen Vorwärts oder der kommunistischen Roten Fahne artikulierten, auf wissenschaftlicher Ebene etwa in Werken wie Europa und Faschismus, das Hermann Heller 1929 als Frucht eines längeren Italienaufenthaltes vorlegte.165 Es gilt für namhafte Repräsentanten der liberalen Presse wie die Frankfurter Zeitung, deren Korrespondenten den Faschismus als 159 160 161 162 163 164

165

Vgl. Reichardt, Faschistische Kampfbünde, S. 400, 405. Zit. n. Tasca, Glauben, gehorchen, kämpfen, S. 197. Vgl. Gentile, Storia del partito fascista, S. 348. Vgl. Tasca, Glauben, gehorchen, kämpfen, S. 197. Vgl. Nolte, Der Faschismus in seiner Epoche, S. 325. Benito Mussolini: Da che parte va il mondo? In: Opera omnia, Bd. 17, Firenze 1956, S. 66–72. Zit. n. Tasca, Glauben, gehorchen, kämpfen, S. 278. Wenn es die Umstände erforderten, konnte Mussolini freilich auch wieder zurückrudern und das faschistische Regime als „una democrazia accentrata, organizzata, autoritaria“ bezeichnen (La Tribuna, 14.12.1926, zit. n. Leibholz, Zu den Problemen des fascistischen Verfassungsrechts, S. 61). Der Akzent lag hier freilich so unverkennbar auf den Beiworten, daß er niemand mehr damit zu täuschen vermochte. Vgl. Lönne, Faschismus als Herausforderung; Heller, Europa und der Faschismus (1929), in: Heller 1971, S. 531. Zur Kritik an Schmitt vgl. ebd., S. 541.

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‚reaktionäres Gewaltsystem‘ brandmarkten,166 wie auch für liberale Befürworter einer autoritären Demokratie wie Alfred Weber oder Ludwig Mises, die der Person Mussolinis durchaus gewisse Sympathien entgegenbrachten (Weber) oder gar im Faschismus einen „Notbehelf des Augenblicks“ sahen (Mises), gleichwohl nicht im Unklaren ließen, daß der Faschismus für Gewaltpolitik und Diktatur, „Prätorianercäsarismus“ (Weber) stand, nicht für Demokratie.167 Es gilt für weite Teile der katholischen Publizistik (zumindest bis zu den Lateranverträgen)168 und erstaunlicherweise sogar für den alldeutschen Flügel der deutschen Rechten, der nach 1928 in der Deutschnationalen Partei den Ton angab.169 Auch in der bündischen Rechten, die sich in vielem auf Carl Schmitt bezog, folgte man dessen Zuordnung des Faschismus zur Demokratie nicht. Albrecht Erich Günther und Wilhelm Grewe, von denen noch ausführlich die Rede sein wird, wollten zwar nicht von einer Diktatur sprechen, sahen aber im Faschismus wie im Bolschewismus Ansätze zur verfassunggebenden Gewalt einer aristokratischen Minderheit, wenngleich noch keineswegs in der nötigen Konsequenz.170 Ernst Wilhelm Eschmann, Tat-Redakteur und Mitglied der Deutschen Freischar, erklärte die Staatstheorie des Faschismus für ‚nachdemokratisch‘, auf das Prinzip der ‚Staatssouveränität‘ statt auf dasjenige der Volkssouveränität gegründet. Zwar leite sich auch die Staatssouveränität aus der volonté générale ab, doch finde diese „ihre Verwirklichung nicht durch eine, in einem irgendwie geregelten Stimmprozeß entstandene Mehrheit, sondern durch die ‚Elite‘, die schöpferisch tätige, durch ein stummes Plebiszit zur Herrschaft erhobene, Minderheit“.171 Eschmann war ein Schüler von Schmitts späterem Kollegen in Berlin, Rudolf Smend, der den Faschismus wegen seiner „eigentümlichen Integrationsleistung“ bewunderte, sich allerdings nicht näher festlegte, ob diese mehr am Pol der Demokratie oder an

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Vgl. Funk, Das faschistische Italien im Urteil der Frankfurter Zeitung, S. 285, 266, 274 u. ö. Vgl. Alfred Weber, Die Krise des modernen Staatsgedankens in Europa, S. 121 f.; Demm, Ein Liberaler, S. 303; Von der Weimarer Republik zur Bundesrepublik, S. 185; Mises, Liberalismus, S. 42 ff. Auch Alfred Webers Fakultätskollege Willy Hellpach, der 1925 als Kandidat der DDP für das Amt des Reichspräsidenten angetreten war, ließ keinen Zweifel daran, daß der Faschismus auf die Seite von Autokratie und Despotie gehörte, nicht auf die Seite der Demokratie. So in einem Vortrag auf der Tagung der Kant-Gesellschaft 1930 in Halle, auf der auch Carl Schmitt über „Staatsethik und pluralistischer Staat“ sprach: Hellpach, Partei und Weltanschauung, S. 92 ff. Vgl. Lönne, Il fascismo italiano; Bohn, Das Verhältnis zwischen katholischer Kirche und faschistischem Staat, S. 70, 87 ff.; Kogon, Die Idee des christlichen Ständestaates, in: Kogon 1999, S. 84–145; Mirgeler, Albert: Die politische Leistung des Faschismus, in: Der Ring 3, 1930, H. 2, S. 35–36; H. 3, S. 55–57; H. 4, S. 75–76. Vgl. aus dem Kreis um Hugenberg: Bernhard, Das System Mussolini, S. 69, 77 f.; Der Staatsgedanke des Faschismus, S. 18, 25 u. ö.; Hans Meydenbauer: Faschistischer Fortschritt, in: Preußische Jahrbücher Bd. 202, November 1925, S. 271–275. Vgl. Wilhelm Grewe: Deutschlands politische Form, in: Deutsches Volkstum 34.1, 1932, S. 425431, 427 f. Zu Günthers Deutung vgl. weiter unten S. 206. Eschmann, Der faschistische Staat in Italien, S. 21. Zu Eschmanns Faschismusdeutung vgl. mit weiteren bibliographischen Angaben: Plöger, Soziologie in totalitären Zeiten, S. 279 ff. Zu weiteren Stimmen aus der bündischen Rechten vgl. Bach und Breuer, Faschismus als Bewegung und Regime, S. 157 ff.

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dem der Diktatur zu verorten sei.172 Deutlicher in dieser Hinsicht äußerte sich mit Gerhard Leibholz ein anderer Schüler Smends, der 1928 seine Antrittsvorlesung in Berlin über die ‚Probleme des fascistischen Verfassungsrechts‘ hielt und sich dabei neben der Smendschen Integrationslehre auch der Kategorien von Schmitts gerade erschienener Verfassungslehre bediente.173 Leibholz sah den Faschismus bestimmt durch ‚autoritäre Repräsentation‘, die zugleich souveräne Repräsentation sei. Der Volkswille sei hier identisch mit dem Willen des „funktionell die Nation allein repräsentierenden Regierungschefs“, der allerdings Wert auf eine plebiszitäre Fundierung seiner Herrschaft lege. Durch diese „Volksgebundenheit“ erhalte die autoritäre Repräsentation zwar einen „demokratischen Einschlag“, durch den sie sich von einer monokratischen Tyrannis unterscheide. Dennoch sei der Repräsentant, nicht das repräsentierte Volk souverän. „Daher ist der Fascismus in seiner cäsaristisch repräsentativen Gestalt trotz seines plebiszitären Fundamentes nicht eine Demokratie. Denn dieser ist das Prinzip der Volkssouveränität, d. h. der Souveränität des Volkes als politisch ideeller Einheit, als Ausdruck des substantiell gewendeten Freiheitsprinzips wesensmäßig immanent.“174 Widerspruch kam endlich auch noch von einem Autor, an dessen Zustimmung Schmitt vermutlich viel gelegen gewesen wäre, schätzte er diesen doch nicht nur als Experten für Italien, sondern auch als Parteisoziologen, dessen Werk über die oligarchischen Tendenzen der modernen Parteien den Rückstand der deutschen Forschung auf diesem Gebiet kompensierte.175 Zwar traf sich Michels mit Schmitt in der Verharmlosung der faschistischen Gewalt, die überhaupt an weiten Teilen der damaligen öffentlichen Meinung fast unbemerkt vorübergegangen zu sein scheint.176 Immerhin war es nicht dieser Faktor, der Michels’ Sympathie für den Faschismus begründete, sondern die Fähigkeit Mussolinis, den Bürgerkrieg zu beenden. Sein Philofaschismus, der ihn 1928 sogar in die faschistische Partei führte, entsprang nicht wie bei Carl Schmitt „aus einer tieferliegenden Leitidee von der identitären und damit in der Konsequenz totalitären Demokratie“, vielmehr aus einer skeptischen Beurteilung der zeitgenössischen Verfallsformen der Demokratie, die sich in Parteienstreit und permanenter Instabilität erschöpften und deshalb zunächst der ordnungsstiftenden Kraft einer Diktatur bedürftig erschienen, wie sie der fascismo 172

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Vgl. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht (1928), S. 141, 163, 175. Zu Smends Affinitäten zum Faschismus vgl. Anter, Hermeneutische Staats- und Verfassungslehre, S. 83. Zu Eschmanns Verhältnis zu Smend vgl. Ernst Wilhelm Eschmann: Moderne Soziologen III: Rudolf Smend, in: Die Tat 23, H. 2, Mai 1931, S. 139–152, 146; Der faschistische Staat in Italien, Breslau 1930, S. 19. Vgl. Benöhr, Das faschistische Verfassungsrecht Italiens aus der Sicht von Gerhard Leibholz, S. 73 ff. Leibholz, Zu den Problemen des fascistischen Verfassungsrechts, S. 22 f. Fünf Jahre später hieß es dann freilich, der Faschismus habe die Intention, „in Zukunft ein zwar antiliberales, aber doch demokratisches Staatsbild von total-autoritärer Prägung herauszustellen“: Gerhard Leibholz, Die Auflösung der liberalen Demokratie, S. 79. Vgl. Schmitt, Der Gegensatz von Parlamentarismus und moderner Massendemokratie (1926), in: Schmitt 1988, S. 57. Vgl. dazu auch den Briefwechsel zwischen Schmitt und Michels in den Jahren 1923–1926, den Piet Tommissen transkribiert und kommentiert hat: Tommissen, Robert(o) Michels. Vgl. Michels, Der Aufstieg des Fascismus in Italien, S. 88; Petersen, Das Problem der Gewalt, S. 338 f.

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governo versprach.177 Zudem hielt Michels Zentralismus und Diktatur für Conditiones sine qua non für die erfolgreiche Durchführung einer Politik des demographischen Imperialismus, die für das Italien des 20. Jahrhunderts unvermeidbar sei.178 Das hinderte ihn allerdings nicht, den Abstand hervorzuheben, der zwischen einer solchen Politik und dem klassischen Verständnis von Demokratie bestand. In der Besprechung eines Artikels von Beckerath, der unter dem Eindruck von Schmitts Kritik sein Urteil über den antidemokratischen Charakter des Faschismus revidiert hatte,179 schrieb Michels: „Wenn dann Beckerath, unter Rückgriff auf Schmitt und andere, sich nicht scheut, das faschistische System für die Demokratie in Anspruch zu nehmen, scheint er mir jedoch dem Begriff Demokratie Gewalt anzutun, dem eine jahrhundertealte Geschichte eine eindeutig andere Bedeutung gegeben hat.“180 Bei diesen ‚anderen‘, die Michels hier neben Schmitt erwähnte, konnte es sich freilich nicht um viele handeln, war Schmitts Position in dieser Frage doch nahezu singulär. In die Nähe seiner Auffassung kamen allenfalls frühe Beobachter wie Eugen Rosenstock, der im Hochland den Faschismus als die vom Volk erstrebte höhere Einheit von nationaler Demokratie und Papsttum feierte,181 oder Johann W. Mannhardt, der das demokratische Element des Faschismus in dem Grundgedanken sah, „daß an der das Leben des einzelnen erhöhenden Liebe der Mutter Italia und zur Mutter Italia jeder gleichen Anteil habe, daß vor dem eigenen Volke als Gesamtheit jeder gleich sei, jeder die gleichen Pflichten habe“.182 Beide Autoren verstanden jedoch den Faschismus eher als ein mixtum compositum, das neben demokratischen auch autoritäre bzw. aristokratische Elemente enthielt: im Falle Rosenstocks das Papsttum, im Falle Mannhardts die männerbündisch strukturierte Elite. In dieselbe Richtung ging die Deutung des in Italien lebenden deutschen Philosophen Georg Mehlis, für den der Faschismus eine „aristokratische Demokratie (war), die man im besten Sinne auch als Diktatur bezeichnen kann“,183 oder die Darstellung Kurt Singers, der den faschistischen Staat als eine durch Akklamation legitimierte Gewaltherrschaft beschrieb, in der sich monarchische, aristokratische und demokratische Elemente verbunden hätten.184 Im übrigen war es durchaus nicht immer anerkennend gemeint, wenn am Faschismus demokratische Züge ausgemacht wurden. So bemängelte Karl Anton Prinz Rohan, der sich in seiner Europäischen Revue darum bemühte, den Faschismus dem übrigen Europa als eine zivilisierte und höchst zukunftsträchtige Erscheinungsform des modernen Lebensgefühls zu präsentieren, ausgerechnet 177 178 179 180 181 182 183 184

Genett, Der Fremde im Kriege, S. 764 f. Vgl. Michels, Italien von heute, S. 215. Vgl. Beckerath, Fascismus, S. 136. Zit. n. Genett, Der Fremde im Kriege, S. 775. Vgl. Eugen Rosenstock: Das Wesen des Fascismus, in: Hochland 20.2, 1923, S. 225–234, 225. Mannhardt, Der Faschismus, S. 344. Mehlis, Die Idee Mussolinis und der Sinn des Faschismus, S. 81. Singer, Die geistesgeschichtliche Bedeutung des italienischen Faschismus, S. 372 f. Der Georgianer Kurt Singer war Herausgeber des Hamburger Wirtschaftsdienstes, in dem auch Schmitt einmal vertreten war: 1924 mit einer Besprechung der Metaphysischen Staatslehre von T. L. Hobhouse (in: Wirtschaftsdienst 9, 1924, S. 986 f.). Im Tagebuch von 1930 sind zwei Begegnungen mit Singer vermerkt, bei denen es jedesmal um Plato ging. Vgl. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 [2010], S. 19, 56.

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den Umstand, daß der faschistische Begriff der Nation „nicht ganz nachdemokratisch“ sei, womit der überschießende Nationalismus gemeint war.185 Rohan mußte wohl nicht zufällig vier Jahre warten, bis Carl Schmitt seiner intensiven Werbung nachgab und der Europäischen Revue einen Artikel zur Verfügung stellte.186 Wenn hier etwas ausführlicher auf das „italienische Experiment“ und dessen Bedeutung für Carl Schmitt eingegangen wurde, so nicht in der Absicht, aus Schmitt einen Faschisten der ersten Stunde zu machen, der das italienische Regime am liebsten schon 1923 auf Deutschland übertragen hätte. Von dem, was das Spezifische des Faschismus ausmachte – seiner Organisation als Partei, seiner charismatischen Herrschaftsstruktur, seiner Tendenz zu Gewalt, Klientelismus und Patronage187 – wußte er kaum etwas zu sagen und hob statt dessen vor allem die nationalistischen Züge hervor, was gerade für Italien, wo der Rechtsnationalismus als eine eigene, erst nach der Machtübernahme mit dem Faschismus verschmolzene Strömung auftrat, nur sehr begrenzt zutrifft.188 Immerhin ist bemerkenswert, daß Schmitt bereit war, eine Massenpartei mit paramilitärischem Flügel, die nicht über den Weg von Wahlen und Abstimmungen, sondern über den der Pression, der Terrorisierung des politischen Gegners zur Macht strebte, als demokratisch zu klassifizieren, was ein bezeichnendes Licht sowohl auf sein Demokratieverständnis als auch auf die ideengeschichtliche Tradition wirft, aus der er schöpfte. Gewiß erfuhr diese Tradition insofern eine Umdeutung, als ihre liberale Komponente, der ganze Komplex der repräsentativen Regierung, stark abgeschwächt wurde. Dies geschah jedoch nicht zugunsten vormoderner Formen fürstlicher bzw. monarchischer Souveränität, sondern zugunsten der mit der modernen Nation gleichgesetzten Volkssouveränität, die auf Konzentration aller Macht in einer einzigen, die Repräsentation des Ganzen prätendierenden Instanz drängte und sich dabei immer entschiedener aller Hemmungen und Gegengewichte, ja selbst aller diskursiven Vermittlungen entledigte. Hält man sich vor Augen, daß diese Entwicklung in gewisser Weise schon von Sieyes selbst antizipiert wurde, der nicht bloß der geistige Kopf der Verfassung von 1791 war, vielmehr auch der Urheber des Verfassungsprojekts von 1799, das auf die Etablierung eines autoritären, wenngleich immer noch durch ein ausgetüfteltes System der Gewaltentei185 186

187 188

Rohan, Fascismus und Europa (1926), in: Rohan 1930, S. 30–31, 31. Vgl. Hoepke, Die deutsche Rechte und der italienische Faschismus, S. 43 ff. Vgl. Schmitt, Die europäische Kultur im Zwischenstadium der Neutralisierung, in: Europäische Revue 5, 1929, H. 8, S. 517–530. Vgl. dazu auch den ab 1925 geführten Briefwechsel zwischen Rohan und Schmitt, Sammlung Tommissen RW 579–290. Schmitts Tagebuch weist zahlreiche Treffen mit Rohan auf, meist aus gesellschaftlichem Anlaß. Charakteristisch für das Verhältnis ist der Eintrag vom 9.11.1931: „Abends im Restaurant Csardas, Rohan getroffen. Nett unterhalten, aber ich fühlte doch den Feudalen (oder eingebildeten Feudalen), der mich benutzen will, sich als Herrenmensch fühlt usw. Wie dumm, mir das auch noch zu sagen. Ernüchtert nach Hause.“ (Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 [2010], S. 143). Zu der von 1925 bis 1944 erscheinenden und bis 1936 von Rohan geleiteten Europäischen Revue, die mit einer Auflage von knapp unter 4.000 Exemplaren erschien, vgl. Paul, Konservative Milieus und die „Europäische Revue“. Schmitt hat in ihr noch zwei weitere Aufsätze veröffentlicht: Die Wendung zum totalen Staat (7, 1931, H. 4, S. 241–250); Weiterentwicklung des totalen Staates in Deutschland (9, 1933, H. 2, S. 65–70). Zu diesen Merkmalen ausführlicher: Bach und Breuer, Faschismus als Bewegung und Regime, S. 17 ff. Vgl. ebd., S. 52 ff.

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lung temperierten Systems zielte,189 dann muß man nur ein einziges Wort austauschen, um Horkheimers Statement aus dem Jahr 1939 plausibel erscheinen zu lassen: „Die Ordnung, die 1789 als fortschrittliche ihren Weg antrat, trug von Beginn an die Tendenz zum autoritären Staat in sich.“190

189 190

Vgl. Hafen, Sieyes, S. 225 ff.; Thiele, Advokative Volkssouveränität, S. 397 ff. Horkheimer, Die Juden und Europa, S. 324. Im Original steht anstelle des ‚autoritären Staates‘ das Wort „Nationalsozialismus“. Aber diese allzu konkretistische Formel hat Horkheimer schon bald selbst zugunsten des ‚autoritären Staates‘ korrigiert.

IV Begriffe des Politischen. Carl Schmitt und Max Weber

Nationalismus und Demokratie: diese Kombination trat Carl Schmitt noch in seiner Münchner Zeit in der Person Max Webers entgegen. 1895 hatte dieser in seiner Freiburger Antrittsrede das Programm eines ‚ökonomischen Nationalismus‘ verkündet, das um die Forderung kreiste, „die dauernden ökonomischen und politischen Machtinteressen der Nation über alle anderen Erwägungen zu stellen.“1 Auch später wollte er seine eigene Nation in der Reihe der ‚Herrenvölker‘ sehen, welchen allein das Recht zukommen solle, ‚Weltpolitik‘ zu treiben.2 Im Weltkrieg gehörte er zwar zu den Moderaten und trat für die Parlamentarisierung der Regierung und die Demokratisierung des (preußischen) Wahlrechts ein, jedoch nicht zuletzt deswegen, weil ihm das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht als Bürge dafür galt, daß die demokratischen Parteien zu „Träger(n) des Nationalismus“ wurden.3 Die Verhandlungen in Versailles setzten dann noch einmal einen Strom nationalistischer Rhetorik frei.4 Carl Schmitt, der ihn in München in unterschiedlichen Foren kennenlernte, erinnerte sich später: „Ich habe Max Weber damals persönlich erlebt und war sogar Mitglied seines Dozenten-Seminars Winter 1919/20: Ein Revanchist, das Radikalste von allem Revanchismus gegenüber Versailles, was ich je erlebt habe – wenigstens an starken Redensarten, neben denen auch Scheidemanns ‚verdorrte Hand‘ harmlos klingt.“5 1 2 3 4 5

Weber, Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik (1895), in: Weber 1993, S. 565. Weber, Wahlrecht und Demokratie in Deutschland (1917), in: Weber 1984, S. 396; Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1917/18), ebd., S. 594. Vgl. Weber, Wahlrecht und Demokratie in Deutschland (1917), in: Weber 1984, S. 349. Vgl. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, S. 335 ff. Carl Schmitt an Heinz Friedrich, Brief vom 21.8.1976, zit. n. Tommissen, Bausteine, S. 79. Vgl. auch Carl Schmitt im Gespräch (2010), S. 50. Im November 1917 hörte Schmitt Webers Vortrag „Wissenschaft als Beruf“ mit seiner berühmten Beschwörung des „Kampfes der Götter der einzelnen Ordnungen und Werte“, die in der Politischen Romantik deutliche Spuren hinterlassen hat. Im Januar 1919 besuchte er den Vortrag über „Politik als Beruf“ sowie im Wintersemester 1919/20 die Vorlesung über Wirtschafts- und Sozialgeschichte; ein Blatt mit Notizen, die er sich damals gemacht hat, ist in der Neuausgabe dieser Vorlesung abgedruckt: vgl. Weber, Abriß, S. 531 ff. Seine

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Carl Schmitt und Max Weber verband vieles. Auf einer allgemeineren Ebene standen beide für einen präskriptiven Dezisionismus, der sich bei Weber allerdings auf die politisch-moralischen Entscheidungen beschränkte und je länger, desto entschiedener von der Wissenschaft getrennt wurde. In politicis teilten sie die schroffe Ablehnung der Versailler Nachkriegsordnung, die Befürwortung einer Mischverfassung mit parlamentarischen und plebiszitären Elementen, die Unterscheidung von Liberalismus und Demokratie und nicht zuletzt eine Akzentuierung der Demokratie im nationalen oder gar nationalistischen Sinne. Kritikern wie Rudolf Smend, die am Verfassungswerk von Weimar, an dem neben Hugo Preuß bekanntlich auch Max Weber beteiligt war, eine angemessene Berücksichtigung des Problems der Integration vermißten, hielt Schmitt später entgegen, „daß der erste (organisatorische) Hauptteil der Weimarer Verfassung mit seiner Ausbalancierung von parlamentarischer und plebiszitärer Demokratie den besten Integrationsmodus einführte, den man finden konnte, wenn man sich nun einmal für die Demokratie entscheiden wollte.“ Überhaupt dürfe man nicht übersehen, daß Preuß wie Weber „stets die Gesinnung einer nationalen Demokratie zur notwendigen Voraussetzung“ gemacht hätten.6 Von hier aus lag und liegt es nahe, in Carl Schmitt einen Erben und Fortführer Max Webers zu sehen und beide Autoren in eine für Deutschland typische Traditionslinie nationalistischer und machtstaatlicher Verzerrungen der Demokratie zu rücken.7 Daß Max Weber zu den „Ahnherrn“ von Schmitts Denkens gehörte oder gar derjenige gewesen sei, der vielleicht den tiefgreifendsten Einfluß auf ihn gehabt habe, ist dennoch zuviel gesagt.8 Schon ein oberflächlicher Blick auf die Passagen, in denen Schmitt näher auf Max Weber eingeht, zeigt ein auffälliges Bemühen, sich von ihm zu distanzieren, ihn als einen Autor erscheinen zu lassen, der einer vergangenen Epoche des Weltgeistes angehört. Das bezog sich auf Webers Formel vom Betriebscharakter des modernen Staates, die Politik auf Wirtschaft reduziere,9 seinen Bürokratiebegriff, der „durchaus polemisch in der Situation des deutschen Vorkriegsstaates“ stehe und das Berufsbeamtentum als etwas ‚Unpolitisch-Technisches‘ in einen „unrichtigen Gegensatz zum Parlament“ bringe,10 seine anachronistische Auffassung des Parlamentarismus

6 7 8 9 10

Berufung an die Münchner Handelshochschule zum 1.9.1919 ermöglichte ihm darüber hinaus die Teilnahme an Webers Dozentenseminar. In einem Brief an Karl Vossler vom Februar 1920 berichtete Weber über die Runde, die er jeden Samstag in seinem Arbeitszimmer im Staatsrechtlichen Seminar um sich versammelte. „Mit dabei sind [Karl] Rot[h]enbücher, [Melchior] Palyi, [Konrad] Cosack, [Carl] Schmitt, [Friedrich] Clausing, gelegentlich: [Theodor] Kroyer.“ Denkbar ist, wenn auch nicht im einzelnen zu belegen, daß die jüngeren Kollegen dieses Seminars zusätzlich an der Vorlesung über „Staatssoziologie“ teilnahmen, die Weber im Sommersemester 1920 bis zu seiner tödlichen Erkrankung im Juni hielt. Vgl. dazu die Einleitung des Herausgebers zu Weber, Allgemeine Staatslehre und Politik, S. 50. Über Max Weber in München vgl. die Studie gleichen Titels von M. R. Lepsius. Schmitt, Hugo Preuß (1930), S. 28. Vgl. in diesem Sinne nur Löwith, Max Weber und seine Nachfolger (1939/40), in: Löwith 1988; Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik. So aber Mehring, Carl Schmitt, S. 533; McCormick, Carl Schmitt’s Critique of Liberalism, S. 8. Vgl. Schmitt, Politische Theologie (1979), S. 82; Parlamentarismus (1979), S. 33. Schmitt, Legalität und Legitimität (1932), in: Schmitt 1973, S. 271 f.

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als eines Mittels der Führerauslese und Elitenbildung,11 seine Parteisoziologie, die den geschlossenen Charakter moderner Parteien verfehle,12 seine angebliche Deutung des Politischen vom Staat her13 und so fort. Dort, wo Schmitt Anlaß gehabt hätte, sich auf Weber zu beziehen, etwa bei der Entfaltung des Demokratiebegriffs oder bei der Erörterung der Stellung des Reichspräsidenten in der Weimarer Verfassung, blieb Weber unerwähnt, als der „größte Soziologe“ galt Schmitt keineswegs Weber, sondern – Auguste Comte.14 Die Schrift über den römischen Katholizismus rechnete Weber zu den „deutsche(n) Professoren liberaler Provenienz“,15 und das war bei Schmitt nicht gerade ein Kompliment. Als nach dem Zweiten Weltkrieg Stimmen laut wurden, die ihn als bloßen „Max-Weber-Epigone(n)“ einstuften, hat Schmitt sich indigniert dagegen verwahrt,16 und tatsächlich scheint es naheliegender zu sein, seine Denkbewegung als den Versuch zu deuten, aus dem Schatten Max Webers herauszutreten und dessen Werk zu unterminieren.17 Eine genauere Begründung dieser Deutung steht freilich noch aus, weil dazu auch der Gegenstand ausgeleuchtet werden muß, der den Schatten geworfen hat.18 Das soll im folgenden wenigstens selektiv versucht werden. 1. Im Dezember 1922, zweieinhalb Jahre nach Max Webers Tod, erschien bei Duncker & Humblot eine zweibändige Erinnerungsgabe für Max Weber, die von Melchior Palyi, dem Mitherausgeber von Wirtschaft und Gesellschaft, initiiert und betreut worden war. Palyi, der an der Münchner Handelshochschule lehrte, hatte auch seinen Kollegen Carl Schmitt zu einem Beitrag eingeladen, der unter dem Titel „Soziologie des Souveränitätsbegriffes und politische Theologie“ im zweiten Band plaziert wurde, neben Texten

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Vgl. Schmitt, Der Gegensatz von Parlamentarismus und Massendemokratie (1926), in: Schmitt 1988, S. 8, 12. Vgl. Schmitt, Hugo Preuß (1930), S. 33; Hüter der Verfassung (1969), S. 84. Vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1927), S. 2. Vgl. Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form (1925), S. 27. Ebd., S. 8. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1979), S. 14. Das hat ihn freilich nicht gehindert, sich in anderem Zusammenhang als den einzig wahren Schüler Webers zu bezeichnen. „Io mi considero l’unico vero allievo di Weber“: so 1982 im Gespräch mit Angelo Bolaffi. Vgl. Bolaffi, Storia di un incontro, S. 278. Vgl. in diesem Sinne Bolz, Auszug aus der entzauberten Welt, S. 53; Engelbrekt, What Carl Schmitt Picked Up in Weber’s Seminar. Das Buch von Gary Ulmen, Politischer Mehrwert, leistet dies nur sehr bedingt: vgl. meine Besprechung in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 44, 1992, S. 797–798. Die Studie von Mehring, Politische Ethik in Max Webers ‚Politik als Beruf‘ und Carl Schmitts ‚Der Begriff des Politischen‘, beschränkt sich, wie der Titel schon sagt, auf einen engeren Problemkreis, als er im folgenden interessiert. Helmut F. Spinner, Rebellion statt Rezeption, verstellt sich weitere Einsichten mit der zu steilen These, bei Schmitt gehe die Tendenz „klar in Richtung Nichtrezeption“ (S. 253). Weiterführend dagegen, wenn auch unter anderen Gesichtspunkten als den hier verfolgten: Colliot-Thélène, Carl Schmitt versus Max Weber.

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von Richard Thoma, Carl Brinkmann, Karl Löwenstein und Carl Landauer.19 Dem Anlaß entsprechend präsentierte sich Schmitt darin als Autor, der in wesentlichen Punkten von Max Weber inspiriert war. Er wandte sich kritisch gegen Kelsen, der kurz zuvor Max Weber attackiert hatte,20 und warf ihm vor, mit seiner schroffen Disjunktion von Jurisprudenz und Soziologie das erkenntniserweiternde Potential zu ignorieren, welches die Soziologie auch und gerade für den „juristischen Begriff“ besitze.21 Daß er dabei vor allem die Soziologie Max Webers vor Augen hatte, zeigt die folgende, in der Buchversion gestrichene Passage, in der es heißt: „Das ungeheure soziologische Material der Schriften Max Webers für die juristische Begriffsbildung zu verwerten, ist bisher noch nicht versucht worden.“22 Von besonderer Bedeutung erschienen ihm dabei Webers Beiträge zur Klärung des Formbegriffs, die, wenn auch noch nicht entschieden genug, in die Richtung einer Überwindung der neukantianischen Trennung von Form und Inhalt gingen, hin zu einem Verständnis von „Form im substanziellen Sinne“;23 seine Ansätze zu einer „Soziologie juristischer Begriffe“, die es ermöglichten, „die Differenzierung der sachlichen Rechtsgebiete auf die Herausbildung geschulter Rechtskundiger, beamteter Träger der Rechtspflege oder Rechtshonoratioren“ zurückzuführen,24 sowie nicht zuletzt seine Unterscheidung von Typen der „Legitimität“.25 Auch in anderen Punkten läßt sich unschwer der Nachhall Weberscher Begriffe in Schmitts Denken ausmachen: etwa wenn Souveränität ganz im Sinne der Definition des Idealtypus als eines „rein idealen Grenzbegriffes“ vorgestellt wird,26 oder wenn die Unterscheidung zwischen Normallage und Ausnahmezustand mit derjenigen zwischen alltäglichen und außeralltäglichen Verhältnissen zusammengebracht wird, die für die Webersche Herrschaftssoziologie zentral ist.27 Bei näherem Hinsehen erkennt man freilich rasch, daß man es überwiegend mit Höflichkeitsfloskeln zu tun hat, denen in kaum einem Punkt eine wirkliche Gefolgschaft in der Sache entspricht. Die drei Formbegriffe, die Schmitt aus Webers Rechtssoziologie destillierte – Form als transzendentale Bedingung juristischer Erkenntnis, als routinemäßige Regelmäßigkeit und als technische Form28 –, genügten in keiner Variante Schmitts eigener Vorstellung von einer „Form im Sinne einer Lebensgestaltung“, die „jeder Feststellung und Entscheidung mit rechtslogischer Notwendigkeit ein konstitutives Element“ attribuieren und damit die Grenze zwischen der Ebene der Wirklichkeit

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Vgl. Schmitt, Soziologie des Souveränitätsbegriffs (1923). Der Text ist weitgehend, jedoch nicht vollständig identisch mit den Kapiteln I–III der Politischen Theologie, die bereits im März 1922 veröffentlicht worden war. Vgl. Kelsen, Der soziologische und der juristische Staatsbegriff (1920), S. 156 ff. Vgl. Schmitt, Soziologie des Souveränitätsbegriffs (1923), S. 13. Ebd., S. 12. Vgl. ebd., S. 18 f., 21 f. Ebd., S. 31. Vgl. ebd., S. 35. Vgl. ebd., S. 5; Weber, Die ‚Objektivität‘ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis (1904), in: Weber 1973, S. 194. Schmitt, Soziologie des Souveränitätsbegriffs (1923), S. 9. Vgl. ebd., S. 22.

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und der Ebene der Wissenschaft überspringen sollte.29 Die Weber zugeschriebene Methode der Begriffssoziologie, die ein begriffliches Resultat auf eine bestimmte soziale Trägerschicht zurückführe, wurde als Erklärung aus dem Milieu oder gar der Psychologie abgetan, die in ihrer konsequentesten Manier in den Bereich der schöngeistigen Literatur gehöre.30 Ihr wurde eine ganz andere „Soziologie von Begriffen“ entgegengestellt, die nach Übereinstimmungen zwischen dem „metaphysische(n) Bild, das sich ein bestimmtes Zeitalter von der Welt macht“, und der Form seiner politischen Organisation suchte, dabei freilich über einige geistesgeschichtliche Isomorphien im Stil Oswald Spenglers nicht hinausgelangte und gerade in soziologischer Hinsicht unergiebig blieb.31 Wie groß der Abstand war, der Schmitt von Weber trennte, zeigt sich schon im völlig unterschiedlichen Verständnis des Rechts und seiner Beziehung zur sozialen Umwelt. Obwohl er von der neukantianischen Trennung von Sein und Sollen inzwischen nichts mehr wissen wollte und die Geltung des Rechts von einer außernormativen „Entscheidung“ abhängig machte,32 hielt Schmitt diese Voraussetzung doch nicht durch und nahm für sich in Anspruch, den Ausnahmezustand und damit die Bedingung der Möglichkeit der Geltung des Rechts als Jurist erfassen zu wollen: „durch die Präzisierung des juristisch Wesentlichen“.33 Damit verstrickte er sich nicht nur in sachliche Widersprüche, sondern erwies sich zugleich als Vertreter einer typischen Fachideologie, wie dies am klarsten von Panajotis Kondylis herausgearbeitet worden ist: „Wer an die Jurisprudenz die Aufgabe stellt, die Wirklichkeit der Entscheidung in ihrer Autonomie gegenüber der Fiktion der Regel kognitiv zu erfassen, der verlangt im Grunde, daß die Juristen selbst die Entscheidungen treffen. Denn werden sie von jemand anderem getroffen, so kann der Jurist nichts mehr tun, als sie zu registrieren – […] es sei denn, der Jurist ist in seiner Eigenschaft als Jurist mit dem Souverän identisch.“34 Mit wesentlich größerer Klarheit und Konsequenz hat sich Max Weber in dieser Frage geäußert. Weber unterscheidet zwischen der juristischen bzw. rechtsdogmatischen Auffassung, welche die das Recht ausmachenden Bestimmungen auf ihren „richtigen Sinn“ hin untersucht und sie „in ein logisch in sich widerspruchsloses System“ zu bringen trachtet, und der sozialökonomischen bzw. soziologischen Betrachtungsweise, die sich mit der empirischen Geltung der Rechtsordnung beschäftigt. Bedeute der Sinn des Wortes „Rechtsordnung“ im einen Fall „einen Kosmos logisch als ‚richtig‘ erschließbarer Normen“, so im andern Fall „einen Komplex von faktischen Bestimmungsgründen realen menschlichen Handelns“, der sich nur in empirischer Einstellung: durch Beobachtung und Beschreibung, erschließen lasse.35 Die Unterscheidung zwischen Normalität und Ausnahme, zwischen Alltag und Außerkraftsetzung desselben, verbleibt danach keineswegs wie von Schmitt verschiedentlich unterstellt, „im Rahmen des Juristischen“ 29 30 31 32 33 34 35

Ebd., S. 18. Vgl. Kondylis, Jurisprudenz, S. 335. Vgl. Schmitt, Soziologie des Souveränitätsbegriffs (1923), S. 31. Ebd., S. 32. Vgl. Walther, Gott und Staat, S. 253. Die Parallele zu Spengler ist etwa an folgenden Stellen evident: Der Untergang des Abendlandes, Bd. 1, S. 8, 66. Vgl. Schmitt, Soziologie des Souveränitätsbegriffs (1923), S. 7, 9. Schmitt, Soziologie des Souveränitätsbegriffs (1923), S. 13. Kondylis, Jurisprudenz, S. 339. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Recht, S. 193.

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bzw. der „immanenten Geltung“ des Rechts.36 Sie fällt vielmehr in die Sphäre der empirischen Geltung, in der die an einer Ordnung Beteiligten ihr Handeln sinnhaft an dieser orientieren.37 Eine Ordnung gilt nach Weber nicht deshalb, weil ein Souverän ein „Entscheidungsmonopol“ etabliert hat.38 Sie gilt weil und solange, wie die Vergesellschafteten im Durchschnitt ihr eigenes Handeln „den gleichartigen Erwartungen anderer gemäß einrichten“. Sobald sich freilich die Auffassung verbreitet, daß sich kaum jemand mehr an die vereinbarten Spielregeln hält und die Verletzung derselben ohne Konsequenzen bleibt, kann von einer empirischen Geltung der Ordnung nicht mehr die Rede sein, „und besteht also auch die betreffende Vergesellschaftung nicht mehr. Sie besteht so lange und insoweit, als ein an ihren Ordnungen irgendwie dem durchschnittlich gemeinten Sinn nach orientiertes Handeln noch in einem praktisch relevanten Umfang abläuft. Dies aber ist ein flüssiger Tatbestand.“39 2. Während Schmitt insofern hinter Max Weber zurückfällt, als er einer Normwissenschaft die Bestimmung über empirische Sachverhalte zuweist, scheint er in einer anderen Hinsicht gegenüber Weber im Vorteil zu sein. Die Chance der empirischen Geltung einer Rechtsordnung erhöht sich nach Weber in dem Maße, in dem sie sich nicht nur auf rein innerlich wirkende Garantien stützt – affektuelle, wertrationale oder religiöse Motive –, sondern auch „äußerlich garantiert ist durch die Chance [des] (physischen oder psychischen) Zwanges durch ein auf Erzwingung der Innehaltung oder Ahndung der Verletzung gerichtetes Handeln eines eigens darauf eingestellten Stabes von Menschen.“40 Dieser muß durchaus nicht in der Form eines Staates organisiert sein, erreicht jedoch in dieser ein Höchstmaß an Wirkung, weil hier die Zwangsgewalt für die Durchführung der Ordnungen zu einem Monopol verdichtet ist.41 Ausgerechnet diese zentrale Institution aber, so Schmitts Vorwurf, habe Weber verfehlt. Einmal aus juristischer Sicht, weil das Wesen der staatlichen Souveränität „richtigerweise nicht als Zwangs- oder Herrschaftsmonopol, sondern als Entscheidungsmonopol juristisch zu definieren ist“.42 Dann aber auch soziologisch gesehen, weil für Weber „das individuelle Verhalten das im sozialen Geschehen allein Reale“ sei, mit der unvermeidlichen Folge, daß der Staat danach „überhaupt kein soziales, sondern ein ‚Gedankengebilde‘“ sei.43 Sein eigenes Staatsverständnis dagegen stattet Schmitt mit den kräftigsten Attributen aus. „Staat ist seinem Wortsinn und seiner geschichtlichen Erscheinung nach ein besonders gearteter Zustand eines Volkes, und zwar der im entscheidenden Fall maßgebende Zustand und deshalb, gegenüber den 36 37 38 39 40 41 42 43

Schmitt, Soziologie des Souveränitätsbegriffs (1923), S. 9. Vgl. Weber, Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie (1913), in: Weber 1973, S. 444 f. (im folgenden kurz: Kategorien); Weber, Wirtschaft und Gesellschaft5 , S. 16. Schmitt, Soziologie des Souveränitätsbegriffs (1923), S. 10. Weber, Kategorien, in: Weber 1973, S. 444 f. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft5 , S. 17. Vgl. ebd., S. 29. Schmitt, Soziologie des Souveränitätsbegriffs (1923), S. 10. Schmitt, Der Begriff der modernen Demokratie in seinem Verhältnis zum Staatsbegriff (1924), in: Schmitt 1988, S. 20.

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vielen denkbaren individuellen und kollektiven Status, der Status schlechthin.“44 Als diejenige Instanz, die über das „Monopol des Politischen“ verfügt, teilt er zugleich dessen Merkmal, „den äußersten Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung, einer Assoziation oder Dissoziation“ zu markieren und sich durch „seinsmäßige Sachlichkeit und Selbständigkeit“, durch „konkrete Existenzialität“ auszuzeichnen.45 Tatsächlich finden sich bei Max Weber Äußerungen, die auf ein extrem nominalistisches Staatsverständnis schließen lassen. Für die soziologische Betrachtung, heißt es schon im Kategorienaufsatz, stehe „hinter dem Worte ‚Staat‘ – wenn sie es überhaupt verwendet – nur ein Ablauf von menschlichem Handeln besonderer Art“.46 Und noch forcierter postulieren die „Soziologischen Grundbegriffe“ für die verstehende Deutung des Handelns durch die Soziologie eine Betrachtungsweise, die Kollektivgebilde wie den Staat lediglich als „Abläufe und Zusammenhänge spezifischen Handelns einzelner Menschen“ zu behandeln habe, „da diese allein für uns verständliche Träger von sinnhaft orientiertem Handeln sind.“47 „Die soziale Beziehung besteht, auch wenn es sich um sogenannte ‚soziale Gebilde‘, wie ‚Staat‘, ‚Kirche‘, ‚Genossenschaft‘, ‚Ehe‘ usw. handelt, ausschließlich und lediglich in der Chance, daß ein seinem Sinngehalt nach in angebbarer Art aufeinander eingestelltes Handeln stattfand, stattfindet oder stattfinden wird. Dies ist immer festzuhalten, um eine ‚substantielle‘ Auffassung dieser Begriffe zu vermeiden. Ein ‚Staat‘ hört z. B. soziologisch zu ‚existieren‘ dann auf, sobald die Chance, daß bestimmte Arten von sinnhaft orientiertem sozialen Handeln ablaufen, geschwunden ist. Diese Chance kann eine sehr große oder eine verschwindend geringe sein. In dem Sinn und Maße, als sie tatsächlich (schätzungsweise) bestand oder besteht, bestand oder besteht auch die betreffende soziale Beziehung. Ein anderer klarer Sinn ist mit der Aussage: daß z. B. ein bestimmter ‚Staat‘ noch oder nicht mehr ‚existiere‘, schlechthin nicht zu verbinden.“48

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Schmitt, Der Begriff des Politischen (1979), S. 20. Ebd., S. 23, 28 f. Weber, Kategorien, in: Weber 1973, S. 440. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft5 , S. 17. Ebd., S. 13. Dieser Sichtweise begegnete Schmitt auch bei Richard Thoma, mit dem er sich Mitte der 20er Jahre eine kleine publizistische Fehde über den Demokratiebegriff lieferte. So heißt es in Thomas Beitrag zur Max-Weber-Gedächtnisschrift von 1923: „Der Staat ist nur ein Gedankengebilde und gerade nicht ein soziales Gebilde“. Die Soziologie müsse sich klar machen, „daß Staat ein ideelles ‚Kollektivgebilde‘ ist und jedenfalls so, wie er normativ gedacht ist, soziologisch nicht real existiert.“ Thoma: Der Begriff der modernen Demokratie in seinem Verhältnis zum Staatsbegriff (1923), in: Thoma 2008, S. 109, 111. Vgl. dazu auch Schmitts 1924 unter dem gleichen Titel im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik erschienene Kritik, in: Schmitt 1988, S. 19 ff. Thoma wiederum antwortete 1925 an gleicher Stelle auf Schmitts Parlamentarismuskritik, worauf Schmitt wiederum 1926 im Hochland replizierte (Der Gegensatz von Parlamentarismus und moderner Massendemokratie, in: Schmitt 1988, S. 52 ff.). Trotz dieser Differenzen wurde Schmitt mit dem Beitrag über „Grundrechte und Grundpflichten“ in dem von Thoma und Anschütz herausgegebenen Handbuch des Deutschen Staatsrechts (1932) betraut.

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Schmitts Einwendungen zielen auf einen Punkt, der bis heute zu den Standardargumenten gegen Weber zielt: dessen Neigung zu einem „eliminativen Reduktionismus“, der sämtliche Makrophänomene auf Mikrophänomene zurückführt, ja bisweilen sogar die Ansicht zu vertreten scheint, daß es Makrophänomene streng genommen gar nicht gibt.49 Daß manche Äußerungen Webers auf dieser Linie liegen, soll hier nicht bestritten werden. Gleichwohl enthält sein Werk auch eine nicht minder ausgeprägte antireduktionistische Tendenz, die mit der Eigenlogik von „Ordnungen“ rechnet und darüber hinaus kausale Wirkungen stark „emergenter“ Makrophänomene wie Normen, Weltbilder und Institutionen kennt, welche ihrerseits nicht aus Einzelhandlungen ableitbar sind.50 Das macht ihn noch nicht zu einem wie immer auch „moderaten Holisten“.51 Wohl aber zum Verfechter einer Soziologie, die zwar mit der Einzelhandlung einsetzt, mit den Typen der Handlungskoordinierung aber sogleich zu emergenten Phänomenen übergeht und insofern als „individualistisch-strukturalistisch“ gelten kann.52 Im übrigen ist die „strukturalistische“ oder, wenn man so will, „institutionalistische“ Seite auch Carl Schmitt nicht verborgen geblieben, macht er Weber doch an anderer Stelle gerade zum Vorwurf, den Staat einseitig als „große(n) Betrieb“ zu fassen und auf diese Weise das Politische im Technisch-Organisatorischen und Ökonomischen aufgehen zu lassen.53 3. Die berühmte Eingangsformel zum Begriff des Politischen – „Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus“54 – wurde von Schmitt denn auch nicht allein gegen die herrschende Meinung der Staatsrechtslehre ins Feld geführt, die „politisch“ und „staatlich“ miteinander identifizierte.55 Sie diente auch der Abgrenzung gegen Max Weber, dem Schmitt unterstellte, er habe das Politische über das Streben nach Macht definiert und darunter meistens staatliche Macht verstanden.56 Dagegen setzte Schmitt die These von der „seinsmäßige(n) Sachlichkeit und Selbständigkeit des Politischen“, welche auch und gerade gegenüber dem Staat geltend zu machen sei.57 Faßte er diese Selbständigkeit in der ersten Version seines Essays noch ganz dem soziologischen Differenzierungsparadigma entsprechend als „eigenes Gebiet neben andern, relativ selbständigen Gebieten menschlichen Denkens und Handelns, neben dem Moralischen, Aesthetischen, Oekonomischen usw.“,58 was ihm „als ein – im Prinzip liberales – Plädoyer 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58

Vgl. in diesem Sinne Heintz, Emergenz und Reduktion. Vgl. Allerbeck, Zur formalen Struktur einiger Kategorien der verstehenden Soziologie, S. 674; Greve, Max Weber und die Emergenz. So aber Albert, Moderater methodologischer Holismus, S. 410. Vgl. Schluchter, Handlungs- und Strukturtheorie nach Max Weber; Die Entzauberung der Welt, S. 28 f., 125 ff. Vgl. Schmitt, Politische Theologie (1979), S. 22; Parlamentarismus (1979), S. 33. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1927), S. 1; (1979), S. 20. Vgl. etwa Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 180: „,Politisch‘ heißt ‚staatlich‘; im Begriff des Politischen hat man bereits den Begriff des Staates gedacht“. Vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1979), S. 21. Ebd., S. 28. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1927), S. 3.

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für die endliche Anerkennung der relativen Autonomie des Politischen“ ausgelegt werden konnte, so korrigierte er unter dem Eindruck diverser Kritiken – vielleicht aber auch mancher problematischen Rezeption – in der zweiten Version alle Passagen, die in diese Richtung wiesen und definierte das Politische neu als Intensitätsphänomen, das potentiell auf alle Sachgebiete durchzuschlagen vermochte.59 Die spezifisch politische Unterscheidung, die auf keine andere Unterscheidung zurückgeführt werden könne, sei „die Unterscheidung von Freund und Feind“. Ihr komme der Sinn zu, „den äußersten Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung, einer Assoziation oder Dissoziation zu bezeichnen“, und zwar ohne daß gleichzeitig andere Unterscheidungen zur Geltung kommen müßten, seien sie moralischer, ästhetischer oder ökonomischer Natur.60 Politisch, das sei jede „wenigstens eventuell, d. h. der realen Möglichkeit nach kämpfende Gesamtheit von Menschen, die einer ebensolchen Gesamtheit gegenübersteht“ und diese als „Feind“ perzipiert, sei „Kampf im Sinne einer seinsmäßigen Ursprünglichkeit“, die ihren „realen Sinn dadurch (erhält), daß sie insbesondere auf die reale Möglichkeit der physischen Tötung Bezug“ hat.61 Das mußte, wie Schmitt mehrfach betonte, nicht den Krieg in Permanenz bedeuten. Wohl aber mußte Krieg, der „bewaffnete(r) Kampf zwischen organisierten politischen Einheiten“, „als reale Möglichkeit vorhanden bleiben, solange der Begriff des Feindes seinen Sinn hat.“62 Und obschon Schmitt nicht den Kampf als solchen bejahte und nicht „bellizistisch“ argumentierte,63 schrieb er ihm doch insofern eine anthropologisch-sozialontologische Qualität zu, als es das offenbar für unvermeidlich gehaltene Scheitern der Streitvermeidung sein sollte, das die Menschen von einem Zentralgebiet ihres Daseins zum nächsten trieb.64 59

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Gangl, In den Fängen des Liberalismus, S. 82 f. Wie Gangl zu zeigen vermag, war für diese Revision weniger der Dialog mit Leo Strauss maßgeblich, der erst 1931/32 einsetzte, als vielmehr die Reaktion auf Kritiker wie Hermann Heller, Rudolf Smend und Helmuth Plessner (vgl. ebd., S. 83 ff. sowie ders., „Das Politische ist das Totale“). Ein weiterer möglicher Anstoß könnte Gangl zufolge von Hans Morgenthau ausgegangen sein, der 1929, wenn auch zunächst ohne direkten Bezug auf Schmitt, den Begriff des Politischen modal bestimmte, als „Intensität“, als „eine Färbung, die allen Substanzen anhaften kann“: Morgenthau, Die internationale Rechtspflege, S. 69, 67. In seiner 1933 im Exil erschienenen Schrift La notion du ‚politique‘ et la théorie des différends internationaux hat Morgenthau diese Bestimmung aufgenommen und zu einer Kritik an Schmitt ausgebaut. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1979), S. 26 f. Zur zentralen Stellung der Kategorie Feindschaft bei Schmitt vgl. Hofmann, Feindschaft. Ebd., S. 29, 33. Ebd., S. 33. Anders Löwith, Der okkasionelle Dezisionismus von C. Schmitt (1935), in: Löwith 1984, S. 47. Kritisch zu dieser Deutung Meier, Carl Schmitt, S. 73 f.; Kaufmann, Recht ohne Regel? S. 51. Vgl. Schmitt, Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen (1929), in: Der Begriff des Politischen (1979), S. 89: „Aber es gehört zur Dialektik einer solchen Entwicklung, daß man gerade durch die Verlagerung des Zentralgebietes stets ein neues Kampfgebiet schafft. Auf dem neuen, zunächst für neutral gehaltenen Felde entfaltet sich sofort mit neuer Intensität der Gegensatz der Menschen und Interessen, und zwar um so stärker, je fester man das neue Sachgebiet in Besitz nimmt. Immer wandert die europäische Menschheit aus einem Kampfgebiet in neutrales Gebiet, immer wird das neu gewonnene neutrale Gebiet sofort wieder Kampfgebiet und wird es notwendig, neue neutrale Sphären zu suchen.“

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Kritikern, die Carl Schmitt in die Max-Weber-Nachfolge rücken, um auf diese Weise beide zu treffen, ist nicht entgangen, daß sich bei Weber Formulierungen finden, die recht ähnlich klingen.65 Schon die Freiburger Antrittsvorlesung polemisierte gegen den Eudämonismus und behauptete, daß nur „im harten Kampf des Menschen mit dem Menschen der Ellenbogenraum im irdischen Dasein“ gewonnen werde. Nicht Frieden und Menschenglück habe man den Nachfahren mit auf den Weg zu geben, „sondern den ewigen Kampf um die Erhaltung und Emporzüchtung unserer nationalen Art.“66 Bei den Verhandlungen des Achten Evangelisch-sozialen Kongresses von 1897 schmetterte er seinem Kontrahenten Karl Oldenberg gar das Wort vom „Evangelium des Kampfes“ entgegen, dem sich zu stellen die „ökonomisch unvermeidliche Aufgabe wie des einzelnen so der Gesamtheit“ sei.67 In den Weltkriegsschriften erklärte er „Kampf, Werbung von Bundesgenossen aller Art und von freiwilliger Gefolgschaft“ zum „Wesen aller Politik“ und postulierte, „daß für die politische Führerschaft jedenfalls nur Persönlichkeiten geschult sind, welche im politischen Kampf ausgelesen sind, weil alle Politik dem Wesen nach Kampf ist.“68 Der Vortrag über „Wissenschaft als Beruf“ kulminierte in der Beschwörung des „Kampfes der Götter der einzelnen Ordnungen und Werte“,69 und noch die „Soziologischen Grundbegriffe“ widmeten dem „Kampf“ einen eigenen Paragraphen, noch vor „Vergemeinschaftung“ und „Vergesellschaftung“. Immer wieder haben sich deshalb Stimmen erhoben, die den Schlüssel zu Webers Soziologie im Weltbild von Darwin und Nietzsche lokalisieren und seinem Werk nachgerade eine „Kriegszentrierung“ bescheinigen.70 Diese Kritik geht freilich darüber hinweg, daß Weber seine anfängliche und gerade in der Antrittsrede vorherrschende Neigung, wertende Stellungnahmen im wissenschaftlichen Kontext abzugeben, seit der Jahrhundertwende gezügelt und immer strikter das Postulat der Werturteilsfreiheit vertreten hat – wohlgemerkt: im wissenschaftlichen Kontext. Wenn er in „Wissenschaft als Beruf“ vom „ewigen Kampf“ sprach, dann bezog sich dies nur auf die Werte und die daraus resultierenden Kollisionen sittlicher Pflichten71 – Kollisionen, die als solche unvermeidlich und letztlich ‚unaustragbar‘ waren, damit aber zugleich eine ständige Aufforderung darstellten, nach Ebenen zu suchen, auf denen der Antagonismus der Werte, zwar nicht ausgeschaltet, wohl aber vorübergehend sistiert werden konnte, worin etwa die Leistung der Wissenschaft, aber auch auf ganz andere Weise die des Rechts oder der parlamentarischen Politik bestehen sollte.72 65 66 67 68 69 70 71 72

Vgl. Detlef Lehnert, in: Mehring, Kommentar, S. 76. Weber, Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik (1895), in: Weber 1993, S. 558, 560. Weber, [Diskussionsbeiträge zum Vortrag von Karl Oldenberg: „Über Deutschland als Industriestaat“], ebd., S. 638. Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1917/18), in: Weber 1984, S. 482, 537. Weber, Wissenschaft als Beruf, in: Weber 1992, S. 100. Vgl. in diesem Sinn etwa Fleischmann, De Weber à Nietzsche; Aron, Max Weber und die Machtpolitik; Zängle, Max Webers Staatstheorie, S. 28 ff.; Heins, Max Weber zur Einführung, S. 54. Vgl. Tyrell, „Kampf der Götter“; Antagonismus der Werte. Das berührt sich mit aktuellen Plädoyers für eine Auffassung demokratischer Politik, die deren wichtigste Aufgabe in der Umwandlung des Antagonismus in „Agonismus“ sieht, in eine Form des Konfliktaustrags, die den Antagonismus nicht aufhebt, aber ihn daran hindert, den politischen

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In den „Soziologischen Grundbegriffen“ ging es Weber mitnichten darum, „alle zentralen Kategorien, die zur ‚Welt‘ gehören, auf ‚Kampf‘ zurückzuführen“.73 Er konstruierte vielmehr Idealtypen für die Analyse sozialer Beziehungen, unter denen derjenige des Kampfes nur einer neben anderen wie „Vergemeinschaftung“ und „Vergesellschaftung“ war. Wohin eine soziale Beziehung tendierte, galt ihm als eine Frage, die nicht auf kategorialer Ebene, sondern allein in empirischer Einstellung zu entscheiden war. Zwar kannte Weber auch hier die durch den offenen oder latenten „Existenzkampf menschlicher Individuen oder Typen um Lebens- oder Ueberlebenschancen“ bewirkte „Auslese“, die weiter in „soziale Auslese“ und „biologische Auslese“ untergliedert wurde, doch bezog sich dies auf den ohne sinnhafte Absicht geführten Kampf, mithin auf eine Dimension, die außerhalb des Gesichtskreises einer subjektiv sinnverstehenden Soziologie lag; und nur für diese Dimension galt, daß „der Kampf tatsächlich, nach aller bisherigen Erfahrung, […] prinzipiell unausschaltbar [ist].“74 Weiterhin schied Weber „von dem Kampf der Einzelnen um Lebens- und Ueberlebenschancen“ ausdrücklich den Kampf und die Auslese „sozialer Beziehungen“. Im sozialen Feld könne man Begriffe wie Kampf und Auslese nur auf metaphorische Weise verwenden, habe man es doch bei ‚Beziehungen‘ stets mit Handlungen bestimmten Sinngehalts zu tun. ‚Auslese‘ oder ‚Kampf‘ bedeute hier nur: „daß eine bestimmte Art von Handeln durch eine andere, sei es der gleichen oder anderer Menschen, im Lauf der Zeit verdrängt wird.“ Dies sei auf verschiedene Weise möglich: als Folge bewußter Störungen oder Beeinflussungen oder als ungewollter Nebeneffekt sozialer Handlungen in dem Sinne, „daß bestimmte konkrete, oder bestimmt geartete, Beziehungen (d. h. stets: das betreffende Handeln) eine abnehmende Chance haben, fortzubestehen oder neu zu entstehen.“ Wenn man auch unter diesen Bedingungen noch von Auslese reden wolle, was jedermann unbenommen sei, müsse man sich dabei doch bewußt sein, „daß diese sog. ‚Auslese‘ mit der Auslese der Menschentypen weder im sozialen noch im biologischen Sinn etwas zu tun hat, daß in jedem einzelnen Fall nach dem Grunde zu fragen ist, der die Verschiebung der Chancen für die eine oder die andere Form des sozialen Handelns und der sozialen Beziehungen bewirkt, oder eine soziale Beziehung gesprengt, oder ihr die Fortexistenz gegenüber andern gestattet hat, und daß diese Gründe so mannigfaltig sind, daß

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Verband zu zerstören: vgl. Mouffe, Über das Politische, S. 30, 69 u. ö. An manchen Stellen ist auch Carl Schmitt dieser Auffassung nahegekommen, etwa in der dritten Fassung des „Begriffs des Politischen“, die die Möglichkeit eines „agonalen“, „die gemeinsame Einheit bejahende(n) Wettstreit(s)“ einräumt, das Potential dieses Gedankens allerdings sogleich wieder verschenkt, indem das Agonale auf ein nicht- oder vorpolitisches Handeln reduziert wird, das den Kampf zum Selbstzweck erhebt: vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1933), S. 10, 15, 17. Auf ein agonales Weltbild in diesem Sinne hat man auch Max Weber festzulegen versucht: so etwa Johannes Winckelmann, der mit Carl Schmitt in regem Austausch stand und sich in seiner Weber-Interpretation von der Annahme einer Kongruenz mit den Kategorien Schmitts leiten ließ: vgl. Winckelmann, Max Webers Verständnis von Mensch und Gesellschaft, S. 240 f. Der Nachlaß Carl Schmitts enthält 116 Briefe und 10 Postkarten Winckelmanns an Schmitt und 3 Briefe von Schmitt: vgl. RW 265–18057 ff. und RW 265–13733 ff. Zängle, Max Webers Staatstheorie, S. 38. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft5 , S. 20 f.

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B  P ein einheitlicher Ausdruck dafür unpassend erscheint. Es besteht dabei stets die Gefahr: unkontrollierte Wertungen in die empirische Forschung zu tragen und vor allem: Apologie des im Einzelfall oft rein individuell bedingten, also in diesem Sinn des Wortes: ‚zufälligen‘, Erfolges zu treiben. Die letzten Jahre brachten und bringen davon mehr als zuviel. Denn das oft durch rein konkrete Gründe bedingte Ausgeschaltetwerden einer (konkreten oder qualitativ spezifizierten) sozialen Beziehung beweist ja an sich noch nicht einmal etwas gegen ihre generelle ‚Angepaßtheit‘.“75

Deutlicher kann man die Distanz zu sozialdarwinistischen Vorstellungen kaum formulieren. 4. Mit diesen Hinweisen ist indes nur erst gesichert, daß Weber den Menschen keineswegs prinzipiell und bloß auf Kampf angelegt auffaßte, vielmehr im Kampf lediglich eine, darüber hinaus ausschaltbare Form sozialer Beziehungen gesehen hat, die als Möglichkeit neben anderen existiert. Da jedoch auch Schmitt es für denkbar hielt, Kampf und Streit für eine gewisse Zeit durch „Neutralisierung“ stillzustellen, ist die Frage nach der Schnittmenge zwischen beiden Konzeptionen des Politischen noch nicht vom Tisch. Denn das, was sich durch die Freund-Feind-Unterscheidung konstituierte, die „politische Gemeinschaft“,76 wurde von Schmitt explizit in Anlehnung an den Sprachgebrauch der zeitgenössischen Soziologie formuliert und fand nicht nur terminologisch, sondern auch sachlich Parallelen im Werk Max Webers.77 Schon in seinen Vorkriegstexten bestimmte dieser das politische Gemeinschaftshandeln durch Macht und Herrschaft und betonte, daß es „wenigstens normalerweise, den Zwang durch Gefährdung und Vernichtung von Leben und Bewegungsfreiheit sowohl Außenstehender wie der Beteiligten selbst einschließt.“ Und wie schon dies, könnte auch das Folgende durchaus bei Carl Schmitt stehen: „Es ist der Ernst des Todes, den eventuell für die Gemeinschaftsinteressen zu bestehen, dem Einzelnen hier zugemutet wird. Er trägt der politischen Gemeinschaft ihr spezifisches Pathos ein. Er stiftet auch ihre dauernden Gefühlsgrundlagen. Gemeinsame politische Schicksale, d. h. in erster Linie gemeinsame politische Kämpfe auf Leben und Tod, knüpfen Erinnerungsgemeinschaften, welche oft stärker wirken als Bande der Kultur-, Sprach- oder Abstammungsgemeinschaft. Sie sind es, welche – wie wir sehen werden – dem ‚Nationalitätsbewußtsein‘ erst die letzte entscheidende Note geben.“78 Über solchen Parallelen gilt es jedoch die Differenzen nicht zu übersehen. Zunächst ist zu beachten, daß Weber die politische Gemeinschaft keineswegs, wie Schmitt behaup75 76 77 78

Ebd., S. 21. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1979), S. 45. Vgl. Pasquino, Bemerkungen zum „Kriterium des Politischen“, S. 390 ff. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Gemeinschaften, S. 206.

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tet, vom Staat her definiert, sondern genau umgekehrt, den Staat von der politischen Gemeinschaft bzw. vom politischen Verband ableitet. In den „Soziologischen Grundbegriffen“ entwickelt Weber zunächst den Begriff des politischen Verbandes als einer Form des Herrschaftsverbandes, die dadurch bestimmt ist, daß der „Bestand und die Geltung seiner Ordnungen innerhalb eines angebbaren geographischen Gebiets kontinuierlich durch Anwendung und Androhung physischen Zwangs seitens des Verwaltungsstabes garantiert werden.“ Zum Staat wird ein politischer Verband dann, wenn zwei weitere Merkmale hinzutreten: der Charakter des „Anstaltsbetriebs“ und die Monopolisierung des legitimen physischen Zwangs.79 Die nach Schmitt für das Politische charakteristische Freund-Feind-Beziehung kommt in Webers Systematik dagegen viel früher ins Spiel, bei der Behandlung der sozialen Beziehungen bzw. des Gemeinschaftshandelns schlechthin. Feindschaft taucht dort in Gestalt der Kategorie des „Kampfes“ auf, der sowohl gewaltsam als auch nicht gewaltsam sein kann; Freundschaft in Gestalt von „Vergemeinschaftung“ als einer sozialen Beziehung, die auf „subjektiv gefühlter (affektueller oder traditionaler) Zusammengehörigkeit der Beteiligten beruht“.80 Freundschaft und Feindschaft, Assoziation und Dissoziation sind von da aus gesehen (wie auch aus der Perspektive anderer zeitgenössischer Soziologen81 ) soziale Beziehungen ebenso elementarer wie allgemeiner Art, unabhängig von der Zahl der jeweils Beteiligten und daher ebenso auf eine Kleingruppe zu beziehen wie auf ein ganzes Volk. Als allgemeine Kategorien sind sie gewiß spezifizierungsfähig und können entsprechend auch für den politischen Verband geltend gemacht werden. Weil sie dann aber erst durch den politischen Verband ihren spezifischen Inhalt erhalten, können sie nicht ihrerseits zu Kriterien des Politischen erhoben werden, wie Schmitt dies vorschlägt. Auch die von Schmitt bemühte Intensität hilft hier nicht weiter, da eine persönliche Freundschaft oder Feindschaft oft wesentlich intensiver sein kann als die freundlich-feindliche Beziehung zwischen abstrakten Kollektiven. Nicht einmal die gewaltsame Auseinandersetzung ist ein auszeichnendes Merkmal des Politischen, wie jeder Blick auf die durchaus nicht alle angehenden und verpflichtenden Fehden des Mittelalters oder die privaten Kriege der Gegenwart zwischen Hooligans oder Gangs belegt.82 Schmitt selbst hat seine – im übrigen schon rein sprachgeschichtlich unhaltbare – Behauptung eines essentiellen Unterschiedes zwischen privatem und öffentlichem Feind später relativiert, als er den eigentlichen Ursprung der Feindschaft auf elementarster Ebene, im Verhältnis zum Bruder, lokalisierte.83 79 80 81

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Weber, Wirtschaft und Gesellschaft5 , S. 29. Ebd., S. 20 f. Vgl. dazu, wenngleich mit anderer Akzentuierung als bei Weber, das Kapitel „Der Streit“, in: Simmel, Soziologie, S. 186 ff. Hieran anschließend auch die 1924 in erster Auflage erschienene Beziehungslehre Leopold von Wieses, die die Kategorien Freundschaft und Feindschaft als Manifestationen der elementaren Muster von Assoziation und Dissoziation auffaßt: vgl. Wiese, System der allgemeinen Soziologie, S. 241 f. Darauf sowie auf noch ältere Vorläufer wie z. B. Ratzenhofer macht Portinaro aufmerksam: vgl. Zur Freund-Feind-Theorie, S. 37 ff. Vgl. dazu die differenzierenden Überlegungen im Anschluß an eine Auseinandersetzung mit Otto Brunner und Carl Schmitt bei Kortüm, ‚Wissenschaft im Doppelpaß‘?, S. 609 ff. Vgl. Schmitt, Ex Captivitate Salus, S. 89. Daß sich die von Schmitt behauptete Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Feind weder im Griechischen noch im Lateinischen findet

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Während die politische Gemeinschaft bei Schmitt erst durch die öffentliche Feindschaft und die mit ihr gegebene „reale Möglichkeit des Kampfes“ bzw. der „physischen Tötung“ gestiftet wird (was, nebenbei bemerkt, die Definition in einen Zirkelschluß verstrickt, läßt sich doch öffentliche Feindschaft nicht ohne den Begriff des Politischen bestimmen, der durch das Freund-Feind-Verhältnis erklärt werden soll), hat sie bei Weber eine andere Wurzel, die durch „Ordnung“ und „Gebietsherrschaft“ bezeichnet wird und (legitime) physische Gewalt nur in der Form eines Mittels für vorgegebene Zwecke kennt.84 Daß sie auch bei ihm als „eine Gemeinschaft bis zum Tode“ erscheint, ist keine Aussage über den Normalfall, sondern über eine extreme Grenzsituation: „die Außeralltäglichkeit der Kriegsbrüderlichkeit und des Kriegstodes“.85 Nirgends ist bei Weber damit der Anspruch verbunden, das Politische allein von dieser Grenzsituation her zu definieren und es damit gewissermaßen zu punktualisieren, wie Schmitt dies tut, der immer dann, wenn er die „Sphäre des Politischen“ näher umzirkeln soll, nur einen „Punkt“ zu benennen vermag: den „Punkt des Politischen“.86 Auch wenn die Ausnahmesituation länger anhält und die sozialen Beziehungen in einschneidender Weise bestimmt: für Weber ist und bleibt sie doch „außeralltäglich“ und muß irgendwann wieder dem Alltag weichen, allein schon aus der Notwendigkeit der „Anpassung an die Bedingungen der Wirtschaft als der kontinuierlich wirkenden Alltagsmacht“.87 Die Webersche Herrschaftssoziologie kennt deshalb neben einer Dimension des Politischen, die aus außeralltäglichen Lagen erwächst und eo ipso als „charismatisch“ vorgestellt werden muß, eine weitere, alltägliche, die mit der Sphäre der traditionalen oder der rationalen Herrschaft zusammenfällt. Hinzu kommt ein anderer Unterschied. Bei Schmitt ist die politische Gemeinschaft eine nicht weiter dekomponierbare Größe: „die Gruppierung, die sich an dem Ernstfall orientiert“.88 Bei Weber muß sie dagegen, wie andere Gemeinschaften auch, als Ergebnis eines „Gemeinschaftshandelns“ gedacht werden, von welchem es kategorisch heißt, es sei stets „ein entweder 1. historisch beobachtetes oder 2. ein theoretisch, als objektiv ‚möglich‘ oder ‚wahrscheinlich‘ konstruiertes Sichverhalten von Einzelnen zum aktuellen oder zum vorgestellten potentiellen Sichverhalten anderer Einzelner.“89

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und auch im Neuen Testament keinen Anhalt hat, zeigen Palaver, Die mythischen Quellen des Politischen, S. 52 und Wilfried Nippel, in: Mehring, Kommentar, S. 62 ff. Insofern berührt sich dies mit der von anderen, „sozialontologischen“ Prämissen ausgehenden Konzeption von Kondylis (Das Politische und der Mensch, S. 209), der das Politische als jene soziale Beziehung bestimmt, „die sich das Soziale als zu ordnendes und zusammenzuhaltendes Ganzes zum Gegenstand macht.“ Vgl. dort auch die analoge Argumentation gegen Schmitt, „daß die Unterscheidung zwischen Freund und Feind nicht spezifisch zum Politischen gehört und daher auch nicht seinen Begriff definieren kann, obwohl Freundschaft und Feindschaft vom Politischen ebensowenig wie von der sozialen Beziehung überhaupt wegzudenken sind.“ Weber, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Konfuzianismus und Taoismus, S. 492 f. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1979), S. 50, 54, 60, 62, 76. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft5 , S. 148. Zur Reduktion des Politischen auf die Ausnahme vgl. auch die Ausführungen von Volker Gerhardt, in: Mehring, Kommentar, S. 205 ff. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1979), S. 39. Vgl. auch Leo Strauss, Anmerkungen, hier zit. n. dem Abdruck in Meier, Carl Schmitt, S. 110. Den antiindividualistischen Zug dieser Begriffsbildung hebt mit Recht hervor: Adam, Rekonstruktion des Politischen, S. 68. Weber, Kategorien, in: Weber 1973, S. 442.

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Schließt bei Schmitt die politische Gemeinschaft alles „bloß Gesellschaftlich-Assoziative“ aus, also jegliche Form von zweck- oder wertrationalem Handeln,90 so gilt dies nach Weber gerade nicht. Wie die religiöse oder ethnische Gemeinschaft, muß auch die politische Gemeinschaft als eine Beziehungsform gedacht werden, die sowohl „Vergesellschaftung“ als auch „Einverständnis-Gemeinschaft“ sein kann.91 Nach der letzteren Seite handelt es sich um einen Komplex von Gemeinschaftshandeln, das „ohne eine zweckrational vereinbarte Ordnung“ abläuft, aber so, „als ob eine solche stattgefunden hätte“, mit einem Grad der Verbindlichkeit, durch welchen sich das „Einverständnishandeln“ vom bloß faktischen Zusammenwirken unterscheidet.92 Nach der ersteren Seite hat man es hingegen mit einem „Gesellschaftshandeln“ zu tun, das sich an einer zweckrational vereinbarten Ordnung orientiert, aber auch, wie es in einer späteren Bestimmung heißt, wertrational ausgerichtet sein kann.93 Zwar dominiert, je weiter man zurückgeht, das Einverständnishandeln in der politischen Gemeinschaft, doch schließt dies schon unter primitiven Bedingungen Gesellschaftshandeln nicht aus. „Und umgekehrt pflegt fast jeder Vergesellschaftung ein über den Umkreis ihrer rationalen Zwecke hinaus übergreifendes (‚vergesellschaftungsbedingtes‘) Einverständnishandeln zwischen den Vergesellschafteten zu entspringen. Jeder Kegelklub hat für das Verhalten der Teilnehmer zueinander ‚konventionelle‘ Konsequenzen, d. h. er stiftet außerhalb der Vergesellschaftung liegendes, an ‚Einverständnis‘ orientiertes Gemeinschaftshandeln.“94 Und damit sind dann doch Bestimmungen angesprochen, die wesentlich mehr beinhalten als eine Definition, die unter der politischen Gemeinschaft lediglich die „seinsmäßige(n) Behauptung der eigenen Existenzform gegenüber einer ebenso seinsmäßigen Verneinung dieser Form“, unter Abzug aller Zwecke, Ideen und Normen verstehen will.95 Es ist deshalb nicht Max Weber, von dem her sich Schmitts Begriff des Politischen entschlüsselt. Wesentlich näher liegt dieser am Werk eines anderen zeitgenössischen Soziologen, dessen Werk Schmitt stets mit Respekt zitiert: Ferdinand Tönnies.96 Zwar fällt 90 91 92 93 94

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Schmitt, Der Begriff des Politischen (1979), S. 45. Vgl. Maus, Transformation, S. 115. Vgl. Weber, Kategorien, in: Weber 1973, S. 464. Ebd., S. 452, 458. Vgl. ebd., S. 442 ff.; Weber, Wirtschaft und Gesellschaft5 , S. 21. Weber, Kategorien, in: Weber 1973, S. 461. Nur am Rande sei vermerkt, daß Weber die Äquivokation, die im Begriff des „Gemeinschaftshandelns“ als einer sowohl „Gesellschaftshandeln“ wie „Einverständnishandeln“ umschließenden Kategorie liegt, später aufgelöst hat. In den „Soziologischen Grundbegriffen“ tritt an die Stelle des „Gemeinschaftshandelns“ das „soziale Handeln“, im Falle des Sichverhaltens mehrerer die „soziale Beziehung“, die als „Kampf“, „Vergemeinschaftung“ oder „Vergesellschaftung“ gestaltet sein kann. Entsprechend ist dann auch nicht mehr von politischer Gemeinschaft die Rede, sondern vom politischen Verband, der in allen Modalitäten der sozialen Beziehung auftreten kann. Zu den Veränderungen von Webers Terminologie erhellend Lichtblau, ,Vergemeinschaftung‘ und ‚Vergesellschaftung‘ bei Max Weber. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1979), S. 50. Vgl. Adam, Rekonstruktion des Politischen, S. 64; Gangl, Zwischen Historismus und Rationalismus, S. 106 ff.; In den Fängen des Liberalismus, S. 93 ff. Tönnies ist der einzige Soziologe, dessen Leitunterscheidung Schmitt zum Gegenstand einer eigenen Untersuchung gemacht hat: vgl. Der Gegensatz von Gemeinschaft und Gesellschaft (1960). Von Schmitts Verehrung für Tönnies zeugt auch die zwischen 1926 und 1930 zwischen beiden geführte Korrespondenz: vgl. Nachl.

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an der entscheidenden Stelle, an der Schmitt die politische Gemeinschaft von der Gesellschaft abgrenzt, nicht dessen Name, sondern derjenige von Emil Lederer, der mit einem Satz aus seinem Beitrag Zur Soziologie des Weltkrieges zitiert wird.97 Doch hatte sich Lederer seinerseits auf Tönnies berufen, was von diesem auch dankbar notiert worden war.98 Im Unterschied zu Weber, für den Vergesellschaftung und Vergemeinschaftung nur Idealtypen waren, denen reale soziale Beziehungen gleichzeitig entsprechen konnten, setzte Tönnies sein Begriffspaar auch und vor allem zur Bezeichnung der zeitlichen Abfolge divergenter Sozialgebilde ein, die in unterschiedlichen Beschaffenheiten des menschlichen Willens wurzelten. Willensdispositionen, deren Zweck aufs Ganze um seiner selbst willen zielten, bezeichnete Tönnies als „Wesenwillen“, solche dagegen, die sich auf andere, äußere Zwecke richteten, als „Kürwillen“. Im Falle des Wesenwillens sollte das Ganze vor den Teilen existieren und einen „Organismus“ bilden: Gemeinschaft. Im Falle des Kürwillens sollte das Ganze erst aus dem Zusammenwirken der Teile hervorgehen, wie bei einem anorganischen Aggregat oder mechanischen Artefakt: Gesellschaft.99 Man kann nun einwenden, daß in Schmitts Verständnis der politischen Gemeinschaft die Feindbestimmung dominiert, und zwar – ab der zweiten Fassung des Begriffs des Politischen – nicht nur die des äußeren, sondern auch die des inneren Feindes.100 Tönnies dagegen definiert die Gemeinschaft in erster Linie durch Verwandtschaft, Nachbarschaft und Freundschaft und erst in zweiter Linie und nur im Außenbezug über die „Wahrnehmung von Freund und Feind“, während ihm das Auftauchen innerer Feindseligkeiten als Indiz für den Umschlag von Gemeinschaft in Gesellschaft gilt.101 Das ist zweifellos eine wichtige Differenz, wie auch in anderen Punkten, insonderheit hinsichtlich der Un-

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Schmitt, RWN 260–437. Zur Rezeption von Tönnies´ Leitunterscheidung in der Rechtswissenschaft aufschlußreich: Lepsius, Gegensatzaufhebende Begriffsbildung, S. 51 ff. „Wir können sagen, daß sich am Tage der Mobilisierung die Gesellschaft, die bis dahin bestand, in eine Gemeinschaft umformte“: Lederer, Zur Soziologie des Weltkrieges, S. 120 f. Was Schmitt freilich übergeht, ist, daß sich der ganze folgende Text um den Nachweis des ideologischen Charakters dieser Umformung bemüht. Vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1979), S. 45. – Lederer, der in den 20er Jahren das von Max Weber und Werner Sombart gegründete Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik leitete, hat, wie seine im Nachl. Schmitt erhaltenen Briefe zeigen (RW 265–8663 ff.), immer wieder um Beiträge Schmitts geworben und auch für ausführliche Besprechungen gesorgt. Vgl. dort von Schmitt: Der Begriff der modernen Demokratie in seinem Verhältnis zum Staatsbegriff, 51 (1924); Zu Friedrich Meineckes „Idee der Staatsräson“, 56 (1926); Der Begriff des Politischen, 58 (1927), S. 1–33. An wichtigen Besprechungen erschienen: Richard Thoma, Zur Ideologie des Parlamentarismus und der Diktatur (1925); Carl Brinkmann, Carl Schmitts Politische Romantik (1925); Albert Hensel, Staatslehre und Verfassung (1929); Leo Strauss, Anmerkungen zu Carl Schmitts „Begriff des Politischen“ (1932); Otto Kirchheimer und Nathan Leites, Bemerkungen zu Carl Schmitts Legalität und Legitimität (1933). Vgl. Tönnies, Menschheit und Volk (1918), in: Tönnies 2008, S. 459. Vgl. Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft, S. 4; Zur Einleitung in die Soziologie (1899), in: Tönnies 1925, S. 65 f. Zu den Unterschieden der verschiedenen Fassungen unter diesem Aspekt bereits Leo Strauss, Anmerkungen, S. 102 sowie vertiefend Meier, Carl Schmitt, S. 28 ff. Vgl. Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft, S. 12 ff., 191, 143, 211.

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umkehrbarkeit der Aufeinanderfolge von Gemeinschaft und Gesellschaft,102 Tönnies und Schmitt nicht auf einen Nenner zu bringen sind, um vom Offensichtlichsten: den diametral unterschiedlichen politischen Optionen, zu schweigen.103 Aber: so wenig Tönnies für jenen „sozialen Radikalismus“ in Haftung genommen werden kann, der in der Weimarer Republik aus der Gemeinschaft ein Idol machte und es gegen Gesellschaft und die mit ihr verbundene Individualisierung ausspielte,104 so unübersehbar ist doch, daß die von ihm, wenn nicht begründete, so doch maßgeblich mitvertretene holistische Sichtweise sozialer Gebilde vom Typus Gemeinschaft die Grundlage abgegeben hat, auf der Schmitt seinen Begriff der politischen Gemeinschaft profilieren konnte. Schmitt transformiert zwar in ein Nebeneinander, was bei Tönnies ein Nacheinander ist, und macht darüber hinaus aus einer (bisweilen) typologisch gemeinten Unterscheidung vollends eine solche der Sozialontologie. Hält man sich jedoch vor Augen, wie häufig Tönnies die selbstgesteckten Grenzen überschritten und den Gemeinschaftsbegriff ethisiert und politisiert hat, um während des Ersten Weltkriegs dem wilhelminischen Staat einen gemeinschaftlichen Charakter zu attestieren,105 dann wird deutlich, daß beide Konzeptionen keineswegs durch einen Hiatus voneinander getrennt waren. 5. Wieder mehr zu Max Weber als zu Tönnies schien Schmitt indes in der Frage des inneren Aufbaus der politischen Gemeinschaft zu neigen. Denn Tönnies sah diesen zwar wie Weber vor allem durch Herrschaftsverhältnisse geprägt, kannte aber nicht das Problem der Legitimität, das aus der Instabilität asymmetrischer, durch Befehl und Gehorsam charakterisierter Beziehungen entsteht. Herrschaft unter gemeinschaftlichen Bedingungen war für ihn stets eine Abbildung der „Herrschaft des Ganzen über seine Teile“ und zeigte sich in Sitte und Gewohnheit; auf andere Art selbstverständlich war die gesellschaftliche Herrschaft, die als durch wechselseitige Interessen bedingt vorgestellt wurde.106 Bei Weber dagegen war eine Herrschaft, die „rein durch Interessenlage, also durch zweckrationale Erwägungen von Vorteilen und Nachteilen seitens des Gehorchenden“, bedingt ist, genauso labil wie eine solche, die „durch bloße ‚Sitte‘, die dumpfe Gewöhnung an das eingelebte Handeln“, begründet war.107 Aussicht auf größere Stabilität bestand allein, soweit sich Herrschende wie Beherrschte über bestimmte Geltungsgründe einig waren, die mit dem „Prestige der Vorbildlichkeit oder Verbindlichkeit“ ausgestat102 103 104 105

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Vgl. Tönnies, Einführung in die Soziologie, S. 14. Vgl. dazu Schlüter-Knauer, Die kontroverse Demokratie. Vgl. Plessner, Grenzen der Gemeinschaft. Zum Gemeinschaftsradikalismus vgl. auch meine Studie: „Gemeinschaft“ in der „deutschen Soziologie“. Vgl. etwa Tönnies, Die Sozialpolitik nach dem Kriege (1915), in: Tönnies 2000, S. 576; Der englische Staat und der deutsche Staat (1917), in: Tönnies 2008; Gemeinschaft und Gesellschaft, Vorrede zur 3. Aufl. 1919, in: Tönnies 1925, S. 58 ff. Ausführlicher dazu meine Studie: Von Tönnies zu Weber, in: Breuer 2006, S. 275 ff. Vgl. Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft, S. 160, 188. Rudolf Heberles Versuch, Max Webers Typen der legitimen Herrschaft in Gemeinschaft und Gesellschaft hineinzulesen, überzieht deshalb den Text: vgl. Heberle, Zur Theorie der Herrschaftsverhältnisse bei Tönnies. Weber, Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft (1922), in: Weber 2005, S. 717.

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tet waren und dadurch garantierten, „daß die Gehorchenden aus dem Grunde gehorchen, weil sie die Herrschaftsbeziehung als für sich ‚verbindlich‘ auch subjektiv ansehen.“108 Solche Geltungsgründe konnten auf alltägliche Situationen bezogen sein – Normallagen in der Terminologie Schmitts – und einen Glauben an die Legalität gesatzter Ordnungen oder an die Heiligkeit von jeher geltender Traditionen stiften (legale bzw. traditionale Herrschaft). Sie konnten aber auch auf eine als außeralltäglich geltende Qualität einer Persönlichkeit referieren, von der man sich die Wiederherstellung der Normallage erhoffte, was freilich unter Umständen eine völlige „Neuorientierung aller Einstellungen zu allen einzelnen Lebensformen und zur ‚Welt‘ überhaupt“ einschließen konnte: charismatische Herrschaft.109 In jedem Fall handelte es sich um Typisierungen subjektiv gemeinten Sinns, die der Forschung Maßstäbe an die Hand geben sollten, um Nähe oder Abstand empirisch vorfindlicher Erscheinungen vom theoretisch konstruierten Typus zu ermitteln. Urteile über den objektiven Sinn, wie sie für den herkömmlichen Diskurs über Legitimität üblich sind – Urteile „über die richtige Staatsform und die gerechte Ausübung von staatlicher Herrschaft“110 – waren dagegen nicht Sache der Soziologie, sondern der dogmatischen Disziplinen wie der Sozialphilosophie oder der Jurisprudenz.111 Eben dies aber war die Perspektive, unter der Carl Schmitt die Sache anging. Sieht man von früheren, eher beiläufigen Erwähnungen ab,112 dann wurde Legitimität bei ihm erstmals im völkerrechtlichen Zusammenhang Gegenstand ausführlicher Erörterungen. In „Der Status quo und der Friede“ definierte er Legitimität als ein „rechtliches Prinzip“, das einen Rechtszustand garantierte, nicht etwas bloß Faktisches; und das diese Garantie zugleich mit der Vorstellung verband, daß es sich dabei um einen „als normal“ empfundenen Zustand handele.113 Die hieran anschließende längere Abhandlung über Die Kernfrage des Völkerbundes elaborierte diese Auffassung, indem sie Legitimität als Bezeichnung für rechtliche Prinzipien und Regeln deutete, nach denen bestimmte Aktionen zulässig bzw. der normalen Situation angemessen seien.114 Solche Prinzipien waren etwa die Vorstellung vom europäischen Gleichgewicht, das Nationalitätsprinzip, die Idee einer allgemeinen Menschheitsdemokratie und das Selbstbestimmungsrecht der Völker.115 Im Staats- und Verfassungsrecht machte Schmitt dagegen nur „zwei Arten der Legitimität“ aus: „die dynastische und die demokratische. Wo der Gesichtspunkt der Autorität überwiegt, wird die verfassunggebende Gewalt des Königs anerkannt sein, wo der demokratische Gesichtspunkt der maiestas populi herrscht, wird die Geltung der Verfassung auf dem Willen des Volkes beruhen.“116

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Weber, Wirtschaft und Gesellschaft5 , S. 16; Kategorien, in: Weber 1973, S. 470. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft5 , S. 124, 142. Würtenberger, Legitimität, Legalität, S. 679; vgl. auch vom gleichen Verfasser: Die Legitimität staatlicher Herrschaft. Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft5 , S. 2; Die ‚Objektivität‘ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis (1904), in: Weber 1973, S. 157, 151. Vgl. Schmitt, Politische Theologie (1979), S. 83; Parlamentarismus (1979), S. 39. Schmitt, Der Status quo und der Friede (1925), in: Schmitt 1988, S. 41. Vgl. Schmitt: Die Kernfrage des Völkerbundes (1926), S. 56, 69. Vgl. ebd., S. 56 ff. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 88.

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Man könnte nun argumentieren, jeder weitere Vergleich zwischen Schmitt und Weber sei müßig, weil beide sich auf unterschiedlichen Ebenen bewegen: der eine auf der empirischen, der andere auf der dogmatischen. Schmitt selbst hat diese Möglichkeit jedoch insofern versperrt, als er hinsichtlich der Legitimität der Verfassung ausdrücklich auf „geschichtliche(n) Gründe“ rekurriert und damit in den Bereich übergreift, der nach Weber zu den „empirischen Wissenschaften vom Handeln“ zählt.117 Nimmt man diesen Anspruch ernst und vergleicht nur die für die Verfassung vorgebrachten Vorschläge mit der Typologie Webers, dann fallen folgende Unterschiede auf. Erstens: Legitimität ist bei Schmitt zunächst wesentlich normativ gedacht118 und damit deutlich enger gefaßt als bei Weber, der unter den Geltungsgründen legitimer Ordnung auch affektuelle und traditionale Gründe aufführt, die beide „an der Grenze und oft jenseits dessen (stehen), was bewußt ‚sinnhaft‘ orientiert ist“.119 Zweitens: Legitimität wird von Schmitt eng an Normalität gerückt,120 so eng, daß die Sphäre der Ausnahme, des Außeralltäglichen, per definitionem aus dem Bereich des Legitimen herausfällt. Webers Begriff der charismatischen Herrschaft als einer Form legitimer Herrschaft ist deshalb für Schmitt nicht denkbar und kommt entsprechend weder in der Verfassungslehre noch irgendwo sonst in seinem Schrifttum vor 1945 vor.121 Drittens: Schmitt depotenziert den Weberschen Begriff von Legitimität, indem er wesentliche Merkmale aus dessen Typologie auf ein anderes Konto umbucht: dasjenige der „Repräsentation“. Dazu gehört das die Legitimitätsgeltung schlechthin auszeichnende „Prestige der Vorbildlichkeit oder Verbindlichkeit“, gehört aus dem Bereich der traditionalen Herrschaft der Glaube an die „Heiligkeit von jeher geltender Traditionen“, gehört aus dem Bereich der charismatischen Herrschaft der Glaube „an die Heiligkeit oder die Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person und der durch sie offenbarten oder geschaffenen Ordnungen“, gehört endlich auch jenes Residuum, das aus der Veralltäglichung charismatischer Herrschaft folgt: die Überzeugung von der „erbcharismatischen oder amtscharismatischen ständischen Ehre der Appropriierten, des Herrn wie des Verwaltungsstabs, in der Art des Herren-Prestiges also.“122 All diese Merkmale haben nach Schmitt nichts mit Legitimität zu tun, sondern gehören zur Repräsentation, die hiervon nachdrücklich zu unterscheiden sei: „Legitimität und Repräsentation sind zwei völlig verschiedene Begriffe. Legitimität für sich allein begründet weder Autorität noch Potestas noch Repräsentation. In der Zeit ihrer intensivsten politischen Existenz nannte sich die Monarchie absolut: das bedeutete legibus solutus, also gerade den Ver117 118 119 120 121

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Ebd.; Weber, Wirtschaft und Gesellschaft5 , S. 1 f. Vgl. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 212. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft5 , S. 19, 12. Vgl. Schmitt, Die Kernfrage des Völkerbundes (1926), S. 42. Erst nach 1945 finden sich einige Reflexionen zum Charisma, die eine Verbindung zum Begriff des absoluten Führers und zur Rolle Hitlers herstellen, allerdings neben Max Weber auch auf Rudolph Sohm rekurrieren: vgl. Schmitt, Glossarium (1991), S. 9 und 199 (Einträge vom 4.9.1947 und 18.9.1948). Vgl. auch den Nachtrag von 1957 zu Legalität und Legitimität sowie Das Problem der Legalität (1950), beide in: Schmitt 1973, S. 347 und 349. Ferner: Politische Theologie II (1970), S. 51 f. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft5 , S. 124, 146.

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B  P zicht auf die Legitimität. Der Versuch des 19. Jahrhunderts, die Monarchie auf der Grundlage der Legitimität zu restaurieren, war nur ein Versuch, einen status quo juristisch zu stabilisieren. Weil die politische Kraft zu lebendigen Formen der Repräsentation fehlte, suchte man sich normativ zu sichern und übertrug wesentlich privatrechtliche Begriffe (Besitz, Eigentum, Familie, Erbrecht) auf das politische Leben. Was von dem Formprinzip der Monarchie noch geschichtlich lebendig war, lag nicht in der Legitimität. Das Beispiel der politisch stärksten Monarchie, des preußischen Königtums, ist hier deutlich genug. Eine nichts wie ‚legitime‘ Monarchie ist schon deshalb politisch und geschichtlich tot.“123

Das aber heißt: was von Weber her gesehen erst durch Legitimität geleistet wird und nur auf empirischem Wege festgestellt werden kann – die Stabilisierung einer faktisch bestehenden Herrschaftsordnung –, ist nach Schmitt schon im Wesen der Repräsentation gesetzt.124 Einer expliziten Ausformulierung von Geltungsgründen bedarf es daher nicht, ist doch ein Herrschaftsverhältnis, wie es in Gestalt einer politischen Gemeinschaft oder eines Staates vorliegt, „einer Rechtfertigung, Rechtmäßigkeit, Legitimität usw. so wenig fähig, wie in der Sphäre des Privatrechts der einzelne lebende Mensch seine Existenz normativ begründen müßte oder könnte.“125 Genau besehen ist das Auftauchen von Legitimitätslegenden sogar ein Indiz dafür, daß es mit auctoritas und potestas schon nicht mehr zum besten steht. Eine Herrschaftssoziologie im Weberschen Sinne ist daher recht eigentlich überflüssig; wie überhaupt Soziologie sich bei Schmitt mehr oder weniger in Metaphysik auflöst. Wenn nämlich das „metaphysische Bild, das sich ein bestimmtes Zeitalter von der Welt macht, (…) dieselbe Struktur wie das (hat), was ihr als Form ihrer politischen Organisation ohne weiteres einleuchtet“,126 dann genügt es, sich dieses Bildes zu versichern, um Bescheid zu wissen. Nachforschungen über den Grad der Anerkennung, die dieses Bild bei den Akteuren genießt, vermögen diesem Wissen nichts Substantielles hinzuzufügen. Insoweit kann dem Traum, den Schmitt am 15. September 1915 in seinem Tagebuch festhielt, eine aufschlußreiche Bedeutung zugeschrieben werden. „Traum: Ich schrieb eine Abhandlung; Begründung des Antrages beim Generalkommando, am Grab der Soziologie eine Leichenrede halten zu dürfen.“127 Wie wenig sicher er sich gleichwohl seiner Sache war, läßt sich daran erkennen, daß er sein Verständnis von Legitimität noch mindestens zweimal revidiert hat. Schon in Legalität und Legitimität kassierte er die Zuordnung von Legitimität zur Ebene der Prinzipien, Normen und Regeln und definierte sie statt dessen als Äußerungsform „eines wirklich vorhandenen rechtmäßigen Willens“, deren Sinn nicht in einer Normierung 123 124

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Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 212. Das zweite politische Formprinzip, das Schmitt neben der Repräsentation kennt, dasjenige der Identität, kann hier vernachlässigt werden. Die Durchführung dieses Prinzips ist gleichbedeutend mit der Tendenz zu einem „Minimum von Regierung und persönlicher Führung“ und läßt damit einen Bedarf für Rechtfertigungen noch weniger entstehen als im Fall der Repräsentation: vgl. ebd., S. 214. Ebd., S. 89. Schmitt, Politische Theologie (1979), S. 59 f. Schmitt, Die Militärzeit 1915 bis 1919 (2005), S. 128.

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liege, sondern in einer „Entscheidung durch einen Willen“, handele es sich dabei um denjenigen eines Monarchen oder eines Volkes.128 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Deutung wieder rückgängig gemacht und Legitimität von voluntas auf ratio zurückgebucht. In einem Aufsatz, der im Kern auf seine Verteidigung gegen die 1947 in Nürnberg gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurückging, rückte er die „geschichtliche Legitimität“ eng an das „substanzhafte Recht“ und sah beides aufs schönste in der mittelalterlichen Kirche vereinigt. Erst die Abspaltung einer „rein formalistisch-funktionalen Legalität“, die der neuzeitlichen, industriell-technischen Entwicklung entsprochen habe, habe den juristischen Positivismus ermöglicht und zugleich neue, nicht minder depravierte Formen einer materialen Legitimität gezeitigt, wie sie sich etwa im Kommunismus manifestierten.129 Damit hatte er nun zwar eine neue Waffe in der Hand, um seinen Kampf gegen den Positivismus fortzusetzen. Von einem anderen als metaphysischen Verständnis von Legitimität war er jedoch genauso weit entfernt wie zuvor. 6. Die Diskussion über das Verhältnis Weber/Schmitt hat sich auf diese Differenzen nicht eingelassen. Zu naheliegend war es, die Übereinstimmungen zu skandalisieren, die zwischen Webers ominösem Begriff der „Führer-Demokratie“, seinem Einfluß auf die Installierung eines volksgewählten Reichspräsidenten und der Praxis der Präsidialkabinette der ausgehenden Weimarer Republik zu bestehen schienen, als deren Theoretiker wiederum Carl Schmitt als „gelehriger Schüler Max Webers“ galt und gilt.130 Daß Weber die Demokratie im Kontext charismatischer Herrschaft plazierte, die Rolle der „Akklamation“ betonte und an der plebiszitären Demokratie vor allem den „emotionale(n) Charakter der Hingabe und des Vertrauens zum Führer“ hervorhob,131 erschien vielen als „Freibrief für die formal massendemagogisch begabtesten Führer“ und als Beitrag, „das deutsche Volk zur Akklamation eines Führers, und insofern auch Adolf Hitlers, innerlich willig zu machen“.132 Die Frage nach den verfassungspolitischen Kontinuitäten zwischen Weber und Schmitt schlechterdings für abwegig zu erklären, wie dies Karl Löwenstein in seiner Antikritik zu Mommsen getan hat, fördert die Sache nicht.133 Mit seiner idealtypischen Trennung zwischen Parlamentarismus und Demokratie konnte sich Schmitt durchaus auf Max Weber berufen, für den „der klassische Boden für den Bestand der parlamentarischen Herrschaft eine Aristokratie oder Plutokratie zu sein pflegte“, weit entfernt von aller demokratischen Gleichheit der Rechte.134 Übereinstimmung bestand weiterhin 128 129 130 131 132 133 134

Schmitt, Legalität und Legitimität (1932), in: Schmitt 1973, S. 266, 339. Schmitt, Das Problem der Legalität (1950), in: Schmitt 1973, S. 445, 448. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, S. 407. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Herrschaft, S. 497 ff.; Wirtschaft und Gesellschaft5 , S. 157. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, S. 412 f., 437. Vgl. Löwenstein, Max Weber als „Ahnherr“ des plebiszitären Führerstaats. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft5 , S. 174. Das war übrigens auch die Ansicht von Tönnies. Vgl. Demokratie und Parlamentarismus (1927), in: Tönnies 1929, S. 40 ff. Selbst Hans Kelsen, für den der Parlamentarismus die einzig mögliche reale Form war, „in der die Demokratie innerhalb der sozialen Wirklichkeit von heute erfüllt werden kann“, hatte im Unterschied zur heute beliebten

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in der Überzeugung, daß die für das nachrevolutionäre Deutschland angemessenste Verfassung eine Mischverfassung war, die direktdemokratische, repräsentative und bundesstaatliche Elemente miteinander kombinierte. Schließlich hielten sowohl Weber als auch Schmitt bewußt davon Abstand, hinsichtlich der Entwicklung des Kräftegleichgewichts zwischen diesen Elementen allzu viel präjudizieren zu wollen. Webers Ausführungen über das Verhältnis zwischen plebiszitären und parlamentarischen Komponenten waren so vage gehalten, daß sie ebenso sehr mit einem „präsidentiellparlamentarischen System“ wie mit einem „parlamentarisch-präsidentiellen“ System vereinbar waren, also sowohl mit einem System, bei dem der Präsident die Regierung ernennt und entläßt als auch mit einem solchen, in dem er nur einen sehr beschränkten oder gar keinen Einfluß auf die Zusammensetzung der Regierung hat.135 Schmitt wiederum erkannte innerhalb des „parlamentarischen Systems“ der Weimarer Verfassung vier Untersysteme – das Parlamentssystem im engeren Sinne, das Premierminister- bzw. Kanzler-System, das Kabinettssystem und das präsidentielle System – und hielt alle vier für gleich möglich, wenn auch natürlich nicht zur gleichen Zeit.136 Die Konstruktion habe „den großen Vorteil, daß, wenn das eine System versagt, das andere von selber einspringen kann.“ „Wir stehen alle“, fügte er 1930 hinzu, „unter dem Eindruck der Möglichkeit eines nicht mehrheitsfähigen, nicht aktionsfähigen Parlaments; wir würden leicht zu außerverfassungsmäßigen Prozeduren getrieben, wenn nicht dieses überaus kluge System der Weimarer Verfassung verschiedene Möglichkeiten böte und in den Machtmitteln und Zuständigkeiten des Reichspräsidenten ein echtes Gegengewicht und eine echte Gegenmöglichkeit schaffte.“137 Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, daß das Maximum, das hier herausgelesen werden kann, „eine Option für eine Art Gaullismus“ ist.138 Ein echtes Gegengewicht: das sollte der volksgewählte Präsident auch nach Max Weber sein. Denn wie Schmitt befürchtete Weber, daß das Parlament, nicht zuletzt dank des Verhältniswahlrechts, zu einem Forum für die Vertretung vorwiegend ökonomischer Interessen werden könnte, einem „Banausenparlament, unfähig, in irgend einem Sinne eine Auslesestätte politischer Führer darzustellen“. Zusammen mit den partikularistischen und regionalistischen Tendenzen erschien ihm diese Gefahr groß genug, um „ein auf dem demokratischen Volkswillen ruhendes Gegengewicht“ für unerläßlich zu halten, „einen selbstgewählten Vertrauensmann der Massen, dem diese so lange sich unterordnen, als er ihr Vertrauen besitzt.“ „Man schränke die Macht des volksgewählten Präsidenten ein wie immer und sorge dafür, daß er nur in zeitweilig unlösbaren Krisenfällen (durch suspensives Veto und Berufung von Beamtenministerien), im übrigen nur durch Anrufung des Referendums in die Reichsmaschine eingreifen kann. Aber man gebe ihm durch die Volkswahl einen eigenen Boden unter die Füße. Sonst wankt in je-

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‚gegensatzaufhebenden Begriffsbildung‘ (Oliver Lepsius) noch ein klares Bewußtsein davon, daß Demokratie und Parlamentarismus nicht identisch sind: vgl. Das Problem des Parlamentarismus, S. 5. Siehe dazu die Typologie von Shugart und Carey, Presidents and Assemblies, S. 23 ff. sowie meine Ausführungen in: Max Webers tragische Soziologie, S. 112 ff., 318 ff. Vgl. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 340 ff. Schmitt, Die Weimarer Verfassung (1930), S. 28. Hofmann, Feindschaft – Grundbegriff des Politischen? S. 214.

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dem Fall einer Parlamentskrise – und bei mindestens vier bis fünf Parteien wird eine solche nicht zu den Seltenheiten gehören – der ganze Reichsbau“.139 Das entsprach bis in die Formulierungen hinein der Ansicht Schmitts, nach der sich die Parlamente immer mehr in Interessentenausschüsse verwandelten und damit den Wunsch der darin nicht mehr angemessen repräsentierten Massen weckten, eine unmittelbar von ihrem Vertrauen getragene politische Führung und Leitung zu suchen.140 Genau diesem Wunsch kam das präsidentielle System entgegen, war der Reichspräsident doch „in der Idee als ein Mann gedacht, der über die Schranken und den Rahmen von Parteiorganisationen und Parteibürokratie hinweg das Vertrauen des ganzen Volkes auf sich vereinigt, nicht als Parteimann, sondern als der Vertrauensmann des ganzen Volkes.“141 Freilich: wenn zwei dasselbe sagen, muß es noch nicht dasselbe bedeuten. Auffällig ist bereits, daß Schmitt in seiner Verfassungslehre Weber nicht als Kronzeugen für das präsidentielle System anführt, sondern als einen solchen für das Premierminister- bzw. Kanzler-System, ja mit keinem Wort auf den wie immer auch bescheidenen Einfluß eingeht, den Weber auf die Einführung eines volksgewählten Reichspräsidenten gehabt hat.142 Tatsächlich verstand er dieses Amt auch völlig anders als Weber, nämlich nicht als „Palladium der echten Demokratie“,143 sondern als Institutionalisierung des politischen Formprinzips der „Repräsentation“, das demjenigen der Demokratie – der „Identität“ – polar entgegengesetzt war.144 Zwar kam auch bei diesem Amt das demokratische Prinzip in der Volkswahl des Amtsinhabers zur Geltung. Aber: „Daß das ganze Volk in unmittelbarer Wahl den Reichspräsidenten bestimmt, soll der Idee nach eine Repräsentation schaffen“, die auf der Vorstellung beruht, „daß die politische Einheit des Volkes als solche niemals in realer Identität anwesend sein kann und daher immer durch Menschen persönlich repräsentiert werden muß.“145 Im strikten Unterschied zu jeder Form der 139 140 141 142

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Weber, Der Reichspräsident (1919), in: Weber 1988, S. 220 ff. Vgl. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 314 f. Ebd., S. 350. Ebd., S. 341, 347. Auch in allen anderen Zusammenhängen, in denen Schmitt während der Weimarer Republik die Stellung und die Rechte des Reichspräsidenten behandelt, rekurriert er zwar auf Preuß oder Naumann, nicht jedoch auf Weber: vgl. Die Diktatur des Reichspräsidenten nach Art. 48 der Weimarer Verfassung (1924), in: Schmitt, Die Diktatur (1978), S. 213 ff.; Reichspräsident und Weimarer Verfassung (1924), in: Schmitt 1995, S. 24 ff.; Das Ausführungsgesetz zu Art. 48 der Reichsverfassung (1926), ebd., S. 38 ff.; Der Hüter der Verfassung (1969), S. 138 f.; Legalität und Legitimität (1932), in: Schmitt 1973, S. 319 ff. – Gegenüber der auch bei Schmitts Herausgeber Maschke zu beobachtenden Tendenz, den Einfluß Webers hinsichtlich der Einführung des Reichspräsidenten hoch anzusetzen, vgl. die stark relativierenden Ausführungen von Mommsen, der in diesem Punkt zu Recht den Einfluß von Hugo Preuß höher veranschlagt: vgl. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, S. 377. Weber, Der Reichspräsident (1919), in: Weber 1988, S. 224. Vgl. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 235: „In der reinen Demokratie gibt es nur die Identität des wirklich anwesenden Volkes mit sich selbst, also keine Repräsentation.“ Ebenso S. 265: „Die Konsequenz des demokratischen Prinzips geht auf ein Minimum von Repräsentation.“ Man kann daher nicht sagen, Schmitt habe der Konstruktion des Reichspräsidenten „eine schlechthin gegen das Repräsentationsprinzip überhaupt gerichtete Tendenz“ gegeben. So aber Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, S. 409. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 268, 205.

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Interessenvertretung stand Repräsentation nach Schmitt für eine Strukturform, die die Eigenschaft besaß, „ein unsichtbares Sein durch ein öffentlich anwesendes Sein sichtbar (zu) machen und (zu) vergegenwärtigen“,146 und dies stets durch eine Person: „eine autoritäre Person oder eine Idee, die sich, sobald sie repräsentiert wird, ebenfalls personifiziert.“147 Bei diesem unsichtbaren Sein, das offenkundig die raumzeitliche Faktizität transzendiert,148 handelte es sich nicht um das Volk, das als solches nicht repräsentiert werden konnte, sondern um „die politische Einheit als Ganzes“, um eine „gesteigerte Art Sein, die einer Heraushebung in das öffentliche Sein, einer Existenz, fähig“ und am ehesten mit Worten wie „Größe, Hoheit, Majestät, Ruhm, Würde und Ehre“ zu umschreiben war.149 Sein Rang beruhte darauf, „daß ein als politische Einheit existierendes Volk gegenüber dem natürlichen Dasein einer irgendwie zusammenlebenden Menschengruppe eine höhere und gesteigerte, intensivere Art Sein hat“, „die über eine räumlich zusammengebrachte Versammlung und über den Augenblick der Versammlung erhaben ist.“150 In idealer Weise kam dies in der Institution der Monarchie zum Ausdruck, die den Herrscher als „eine Analogie zu Gott“ erscheinen ließ.151 Doch auch nachdem diese Institution infolge von Revolutionen und Thronwechseln in ihrer Autorität erschüttert war, blieb das Repräsentationsprinzip insofern in Geltung, als nicht wenige republikanische Verfassungen an der „Konstruktion eines selbständigen Chefs der Exekutive“ festhielten, der repräsentativen Charakter besitzen sollte. Der so konzipierte Staatspräsident war „der republikanisierte Monarch der parlamentarischen Monarchie“,152 dessen zeitgenössische Erscheinungsform in Deutschland: der Reichspräsident der Weimarer Verfassung. Der Reichspräsident, heißt es in der Verfassungslehre, trete nach Art. 179 Abs. 1 sowie weiterer Gesetze in die Befugnisse des Kaisers ein. Dies sei zwar keine Rechtsnachfolge 146 147

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Ebd., S. 209. Schmitt, Römischer Katholizismus (1925), S. 29. Vgl. auch Speth, Der Mythos des Staates bei Carl Schmitt, S. 131: „Für Schmitt ist Repräsentation im Unterschied zu Interessenvertretung geprägt durch Transzendenz, Formbewußtsein und Personalität.“ Vgl. Meuter, Zum Begriff der Transzendenz bei Carl Schmitt, S. 487. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 262, 210. Bei Forsthoff findet sich die Variante „Ehre, Würde, Treue, Redlichkeit und Verantwortung“ (Der totale Staat1 , S. 13). An anderer Stelle kommt noch die „Transzendenz“ hinzu, ohne die Autorität nicht möglich sei (S. 30). Aufschlußreich auch der Hinweis, der Staat könne nicht darauf verzichten, „eine unmittelbare Beziehung zur Metaphysik und zur Weltanschauung überhaupt zu haben und im Rahmen seiner Möglichkeiten, nicht im Sinne geistloser Züchtung oder mechanischer Oktroyierung, sondern missionarisch für die Erweckung einer neuen, metaphysisch fundierten Staatsgesinnung tätig zu sein“ (ebd., S. 32). Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 210, 206. Man beachte die Vokabel „erhaben“, deren Bedeutungshorizont nicht nur in die Theologie, sondern auch in die Ästhetik hineinreicht. Vgl. Adam, Rekonstruktion des Politischen, S. 69, 86, 95. Zur politischen Ästhetik bei Schmitt vgl. auch Balke, Zur politischen Anthropologie Carl Schmitts; ferner Thiele, Advokative Volkssouveränität, 489 ff. Dort auch weitere erhellende Gesichtspunkte zu der insgesamt für Schmitt typischen Substitution des liberalen Repräsentationsbegriffs durch einen entprozedualisierten ‚politisch-theologischen‘ Repräsentationsbegriff. Das relativiert, nebenbei bemerkt, den häufig gegenüber erhobenen Vorwurf des Naturalismus erheblich. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 282. Ebd., S. 291.

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im strengen und auch nicht im mittelbaren Sinne, denn die Rechtsgrundlage sei nicht die gleiche. „Aber in diesem Einrücken in gleichartige Befugnisse, in der Übernahme einer Gesamtposition zeigt sich, wie sehr die Stellung des Reichspräsidenten der eines monarchischen Chefs der Exekutive analog ist.“153 Vergleicht man dies mit Weber, dann muß zunächst auf die unterschiedliche Anlage des Repräsentationskonzepts hingewiesen werden. Bei Schmitt ist Repräsentation „eher statisch gedacht“, „nicht als Vorgang, als Prozeß, durch den Einheit und gemeinsames Bewußtsein aktualisiert und auch hergestellt wird“, sondern als Abbildung von etwas bereits Vorhandenem.154 Dieses bereits Vorhandene ist nicht unbedingt im theologischen Sinne zu verstehen, obwohl manche Formulierungen, mit denen Schmitt das Phänomen „Repräsentation“ umschreibt, an eine katholische Messe oder gar an eine spiritistische Sitzung denken lassen.155 Es ist jedoch unverkennbar transzendenter, metaphysischer Natur, wie dies etwa für die platonischen Ideen gilt. In diese Richtung deutet die Behauptung, daß die Regierung, Medium der Repräsentation par excellence, „das geistige Prinzip der politischen Existenz darstellt und konkretisiert“, geht auch die Annahme, daß das Parlament, solange es ebenfalls repräsentative Bedeutung hat, der privilegierte Ort sei, wo „die vernünftige Wahrheit und die gerechte Norm“ ‚gefunden‘ wird, „die vernünftige, von der Idee der Gerechtigkeit beherrschte, generelle Norm“.156 Wenn das vormoderne Verständnis von Repräsentation sich vom modernen dadurch unterscheidet, daß jenes „eine bereits feststehende, vorgegebene, materiale, homogene, durch Autorität und Tradition vorweg stabilisierte Einheit gleichsam nur vorstellt, abbildet, greifbar und handlungsfähig macht“, wohingegen dieses „eher den Prozeß der Hervorbringung einer Einheit als Ergebnis der Aufnahme partikularer, heterogener und auch widerstreitender Willensmomente meint“,157 dann gehört Carl Schmitts Verständnis auf die Seite des ersteren. Weber dagegen plaziert Repräsentation in einem handlungstheoretischen Bezugsrahmen. Der Begriff taucht zwar erst in der Herrschaftssoziologie auf,158 knüpft aber explizit an § 11 der „Soziologischen Grundbegriffe“ an, der für geschlossene soziale Beziehungen zwei unterschiedliche Formen der Zurechnung sozialen Handelns postuliert: die Form der „Solidarität“, bei welcher das Handeln jedes einzelnen an der Beziehung Beteiligten a conto aller Beteiligter geht; und die Form der „Vertretungsmacht“, bei der das Handeln bestimmter Beteiligter – „Vertreter“ – den 153 154

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Ebd., S. 268, 292. Böckenförde, Begriff des Politischen, S. 297. Im weiteren Verlauf seiner Darlegungen meint Böckenförde freilich bei Schmitt auch die Einsicht zu erkennen, „daß die politische Einheit des Volkes selbst nicht von Natur da ist, sondern erst bewirkt werden muß“, was dem Repräsentationsbegriff eine handlungsbezogene Dimension hinzufüge und Schmitt näher an Smend heranrücke (ebd., S. 298). Der Text der Verfassungslehre stützt diese Deutung nicht. Zu Schmitts Repräsentationsbegriff vgl. noch Hofmann, Legitimität, S. 150 ff. Vgl. die oben zitierte Definition: „Repräsentieren heißt, ein unsichtbares Sein durch ein öffentlich anwesendes Sein sichtbar machen und vergegenwärtigen.“ (Verfassungslehre [1970], S. 209). Ebd., S. 212, 315. Dreier, Demokratische Repräsentation, S. 455; vgl. auch Lepsius, Staatstheorie und Demokratiebegriff, S. 376, 396. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft5 , S. 171 ff.

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anderen Beteiligten – „Vertretenen“ – zugerechnet wird. Diese letztere Tatbestand, so Weber, bestehe „typisch bei Zweckvereinen und gesatzten Verbänden“.159 In diesem Sinne einer „Vertretungsmacht“ besage Repräsentation: „daß das Handeln bestimmter Verbandszugehöriger (Vertreter) den übrigen zugerechnet wird oder von ihnen gegen sich als ‚legitim‘ geschehen und für sie verbindlich gelten gelassen werden soll und tatsächlich wird.“160 Entsprechend werden hier von den Repräsentanten keine Ideen gefunden oder abgebildet, sondern kontingente Beschlüsse gefaßt, Regeln oder Gesetze verabschiedet und den Repräsentierten zugerechnet, als ob diese selbst sie gefaßt oder konstruiert hätten.161 Die Gegenwart sah Weber neben der Sonderform einer „Repräsentation durch Interessenvertreter“162 durch den Widerstreit zwischen der „freien Repräsentation“ und einer Reihe von entgegenwirkenden Kräften und Tendenzen bestimmt, die sich aus der Entwicklung von Massenparteien, der zunehmenden Bürokratisierung und dem Aufkommen der „plebiszitären Demokratie“ ergaben. Bedeutete die freie Repräsentation, wie sie in den modernen Parlamenten ihren institutionellen Ausdruck gefunden hatte, daß der gewählte Abgeordnete an keine Instruktion seiner Wähler gebunden, mithin „Herr derselben, nicht: ihr ‚Diener‘“ war, so wurde dies mit wachsender Mediatisierung des Wählerwillens durch bürokratisierte Parteien dahingehend modifiziert, daß der Abgeordnete „aus einem ‚Herrn‘ des Wählers“ ein „Diener der Führer der Parteimaschine“ wurde.163 Dieser wurde jedoch seinerseits von jenem Vorgang erfaßt, den Weber unter 159 160 161

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Ebd., S. 25. Ebd., S. 171. Das ‚als ob‘ verweist auf den fiktiven Charakter der mit dem Repräsentationsprinzip verbundenen Zurechnung. Daß etwa im Parlament oder wo sonst immer je so etwas gefunden werden könnte wie „der echte Gesamtwille des Volkes als eine ‚volonté générale‘“ (Schmitt, Verfassungslehre [1970], S. 315), war für Weber ausgeschlossen. Bezeichnend ist seine Reaktion auf einen Artikel von Robert Michels, dem er zwar bedeutende kritische Qualitäten bescheinigte, jedoch nicht ohne hinzuzufügen: „Aber – ach wie viel Resignation werden Sie noch über Sich ergehen lassen müssen! Solche Begriffe wie ‚Wille des Volkes‘, ‚wahrer Wille des Volkes‘ u. s. w. existieren für mich schon lange nicht mehr. Sie sind Fiktionen. Es ist grade so, als ob man von einem ‚Willen der Stiefelconsumenten‘ reden wollte, der für die Art, wie der Schuster seine Technik einrichten sollte, maßgebend sein müsse.“ Max Weber an Robert Michels, Brief vom 4.8.1908, in: Weber 1990, S. 615. In der Weimarer Staatsrechtsdebatte hat vor allem Hans Kelsen diese Einsicht aufgenommen und die Repräsentation nachgerade als „eine Verfälschung des demokratischen Gedankens“ bezeichnet. Allerdings relativierte er dies durch den Hinweis auf die faktische Unvermeidlichkeit der Arbeitsteilung und die legitimierende Funktion, die die „Fiktion des Repräsentativsystems“ im Prozeß der Demokratisierung ausgeübt habe: vgl. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 61 f., 73 f.; Parlamentarismus, S. 8 ff.; Dreier, Rechtslehre, S. 256. Darin war er dann doch wieder nicht so weit entfernt von Schmitt, der sich schon früh die Auffassungen der „Philosophie des Als ob“ (Hans Vaihinger) zu eigen gemacht hatte und der Fiktion einen erkenntnisfördernden Charakter zuschrieb: Juristische Fiktionen (1913). Über Schmitts Verhältnis zu Kelsen vgl. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 44 ff.; Dreier, Kelsens Demokratietheorie, S. 89 ff.; Dyzenhaus, Legality and Legitimacy; Diner und Stolleis, Hans Kelsen and Carl Schmitt; Neumann, Theologie als staatsrechtswissenschaftliches Argument. Zu der in diesem Punkt besonders intensiven Diskussion in Italien vgl. den Überblick bei Staff, Staatsdenken, S. 131 ff. Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft5 , S. 174 ff. Ebd., S. 172.

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dem Titel „Die herrschaftsfremde Umdeutung des Charisma“ erörtert. Dort geht es um Herrschaftsformen, die nicht wie die genuine charismatische Herrschaft auf einem „autoritär gedeutete(n) (…) Legitimitätsprinzip“ beruhen, sondern auf dessen Umdeutung in einem antiautoritären, Herrschaft minimisierenden Sinne, der sich aus der „zunehmende(n) Rationalisierung der Verbandsbeziehungen“ ergibt. Sobald diese einen bestimmten Grad erreicht habe, so Webers Annahme, liege es nahe, daß die Anerkennung durch die Beherrschten „statt als Folge der Legitimität, als Legitimitätsgrund angesehen wird (demokratische Legitimität), die (etwaige) Designation durch den Verwaltungsstab als ‚Vorwahl‘, durch den Vorgänger als ‚Vorschlag‘, die Anerkennung der Gemeinde selbst als ‚Wahl. Der kraft Eigencharisma legitime Herr wird dann zu einem Herrn von Gnaden der Beherrschten, den diese (formal) frei nach Belieben wählen und setzen, eventuell auch: absetzen, – wie ja der Verlust des Charisma und seiner Bewährung den Verlust der genuinen Legitimität nach sich gezogen hatte. Der Herr ist nun der frei gewählte Führer.“164 Als Fluchtpunkt dieser, wie man unterstreichen muß: idealtypischen Sequenz bezeichnet Weber die legale Herrschaft, wie auch in bezug auf die Wirtschaft gilt: „Die antiautoritäre Umdeutung des Charisma führt normalerweise in die Bahn der Rationalität.“165 So entfernt diese Konstruktion insgesamt von Schmitt ist, so nah scheinen sich beide in der Kennzeichnung der von Weber als „Übergangstypus“ qualifizierten „plebiszitäre(n) Herrschaft“ bzw. „plebiszitäre(n) Demokratie“ als einer Form zu kommen, bei welcher „der Herr sich als Vertrauensmann der Massen legitimiert fühlt und als solcher anerkannt ist.“ Von ihr heißt es genauer, sie sei „ihrem genuinen Sinn nach eine Art der charismatischen Herrschaft, die sich unter der Form einer vom Willen der Beherrschten abgeleiteten und nur durch ihn fortbestehenden Legitimität verbirgt“. Als charismatische Herrschaft ist die plebiszitäre Demokratie autoritär, d. h. sie „ruht in der Tat gänzlich auf der durch Bewährung bedingten Anerkennung durch die Beherrschten, die freilich dem charismatisch Qualifizierten und deshalb Legitimen gegenüber pflichtmäßig ist.“166 Das entspricht in Schmitts Systematik dem Prinzip der Repräsentation, allerdings mit der Einschränkung, daß dieses mehr der traditionalen und allenfalls erb- oder amtscharismatischen als der genuin-charismatischen Herrschaft in der Fassung Max Webers nahesteht.167 Unter dem Gesichtspunkt der Form dagegen ist die plebiszitäre Demokratie antiautoritär, beruht sie doch auf dem „freien Vertrauen der Beherrschten“. „Der Führer (Demagoge) herrscht tatsächlich kraft der Anhänglichkeit und des Vertrauens seiner politischen Gefolgschaft zu seiner Person als solcher.“ Zum Ausdruck gebracht wird dieses Vertrauen in der Regel mittels „der plebiszitären Anerkennung durch das souveräne 164 165 166 167

Ebd., S. 156. Ebd., S. 157. Ebd., S. 156. „Das gesteigerte Sein des Volkes“, bemerkt Erich Voegelin, „dieses wertvolle Sein, das repräsentiert wird, ist etwas vom Repräsentierenden schon Vorgefundenes; etwas, das er sich wohl zu eigen machen, das er in sich verleiblichen kann, das aber doch nicht aus seinem Charisma fließt.“ Dort auch der Hinweis auf die Affinitäten dieses Konzepts zu Webers Sicht des Amtscharisma: Voegelin, Verfassungslehre, S. 193. Zu den amtscharismatischen Zügen von Schmitts Repräsentationsbegriff außerdem Meuter, Gerechtigkeitsstaat, S. 103 ff., 109.

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Volk“.168 Das wiederum scheint sich mit Schmitts Auffassung von der „plebiszitären Legitimität des vom deutschen Volk gewählten Reichspräsidenten“ zu decken.169 In Wirtschaft und Gesellschaft ist jedoch mit dem Plebiszit kein Modus der Führerauslese gemeint, sondern eine Form, in der sich Zustimmung zu Prätendenten artikuliert, die bereits in einer Herrschaftsposition sind. Plebiszite konstituieren keine Regierungen, sie organisieren vielmehr Antworten auf Fragen, die von bestehenden Regierungen gestellt werden. „Das Plebiszit ist keine ‚Wahl‘“, schreibt Weber mit Blick auf den Bonapartismus, der das historische Vorbild für diesen Typus abgegeben hat, „sondern erstmalige oder (beim Plebiszit von 1870) erneute Anerkennung eines Prätendenten als persönlich qualifizierten, charismatischen Herrschers.“170 Die plebiszitäre Demokratie steht daher typologisch näher am Pol der autoritären Herrschaft, wohingegen republikanische Verfassungen, die die Volkswahl des Staatspräsidenten vorsehen, ein erhebliches Stück näher zum Pol der herrschaftsfremden Umdeutung des Charisma stehen, zu dem also, was bei Weber „demokratische Legitimität“ heißt. Wesensmerkmal der Demokratie aber, und speziell der „modernen Massendemokratie“, ist eine mindestens relative „Nivellierung der ökonomischen und sozialen Unterschiede in ihrer Bedeutsamkeit für die Innehabung der Verwaltungsfunktionen“, und, wie man hinzufügen darf, der Herrschaftsfunktionen: ist doch bei konsequenter Durchführung des Wahlprinzips der Gewählte „formell ebenso wie in der unmittelbaren Demokratie Beauftragter und also der Diener seiner Wähler, nicht ihr gekürter ‚Herr‘“, womit „der Struktur nach die charismatische Grundlage völlig verlassen“ ist.171 Das hat im Prinzip auch Schmitt so gesehen, sich aber zu wenig Rechenschaft über die grundstürzenden Folgen abgelegt, die daraus im Hinblick auf Repräsentation resultieren. Erich Voegelin hat sie in seiner Besprechung der Verfassungslehre deutlich herausgearbeitet: „Das, was bei aller qualitativen Verschiedenheit in einer Demokratie fehlt, ist der Glaube an das lebendige Bild des Staates in einem Menschen, der Glaube an die Verleiblichung des Volkes in einem lebenden Sinnbild, das unter Umständen vergöttlicht wird, der Glaube an die gestalthafte Verselbständigung der Herrschaft in einer Person. Der demokratische Herrscher ist auch bei der größten qualitativen Verschiedenheit nur einer aus dem Volke, ein beliebiger, der herrscht, nicht ein Bild.“172 Max Weber hat in seinen Beiträgen zur Weimarer Verfassungsdebatte dieser Lage eher Rechnung getragen als Schmitt. Nicht nur fehlt bei ihm jede Bezugnahme auf eine repräsentative Dimension in jenem von Schmitt anvisierten metaphysisch-theologischen Sinne, auch das persönliche Charisma wird keineswegs als Conditio sine qua non vorgestellt – allein schon deshalb nicht, weil Weber dafür 1918/19 weit und breit keinen geeigneten Träger sah.173 Der Präsident sollte „Ventil“ für die aufgestauten Emotionen und Bedürfnisse der vom Krieg und seinen Folgen aufgewühlten Massen sein.174 Er 168 169 170 171 172 173 174

Weber, Wirtschaft und Gesellschaft5 , S. 156. Schmitt, Legalität und Legitimität (1932), in: Schmitt 1973, S. 273. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Herrschaft, S. 499; vgl. auch S. 504. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Herrschaft, S. 201, 501 f. Voegelin, Verfassungslehre, S. 104. Vgl. Weber, Deutschlands künftige Staatsform (1918/19), in: Weber 1988, S. 128 f. Vgl. Weber, Politik als Beruf (1919), in: Weber 1992, S. 225.

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sollte das verbreitete „Streben nach Sozialisierung“ aufgreifen und ihm gegen den zu erwartenden Widerstand zur Durchsetzung verhelfen, es freilich auch in geordnete Bahnen lenken.175 Er sollte Einheit in die Verwaltung bringen, den Gedanken der Reichseinheit angesichts des wachsenden Separatismus stärken und nicht zuletzt auch das zu erwartende Übergewicht Preußens im Reichsverband ausgleichen176 – alles Aufgaben, die funktional auf die Erhaltung des modernen Anstaltsstaates zielten, auf seine Anpassung an veränderte Umweltbedingungen. Als „Spitze der Verwaltung“, mithin: als mindestens teilweise bürokratisches Element, sollte der Präsident „gelegentlich“ persönlich eingreifen. Desgleichen sollte er einen gewissen „Einfluß auf die Gesetzgebung“ haben, jedoch ausschließlich mittels des Referendums.177 Auf Art. 48, aus dem die spätere Praxis und ihr schließlich folgend auch Carl Schmitt ein gesetzesvertretendes Verordnungsrecht des Präsidenten auch auf finanz- und wirtschaftspolitischem Gebiet abgeleitet hat, hat Weber keinen Einfluß genommen, ebenso wenig auf das in Art. 25 festgelegte Recht des Präsidenten zur Reichstagsauflösung, das dann zum eigentlichen Machtinstrument der Präsidialregierungen geworden ist.178 Max Weber mag mit dem Begriff der plebiszitären Demokratie einen herrschaftssoziologischen Typus bereitgestellt haben, der sich für die Analyse bonapartistischer und faschistischer Regime eignet. Eine Blaupause für die autoritäre Transformation der Weimarer Verfassung hat er damit nicht geliefert. Dafür sind andere, und übrigens nicht nur Carl Schmitt, verantwortlich zu machen.

175 176 177 178

Vgl. Weber, Deutschlands künftige Staatsform (1918/19), in: Weber 1988, S. 136; Beiträge zur Verfassungsfrage (1918), ebd., S. 82. Vgl. Weber, Der Reichspräsident (1919), ebd., S. 220 ff. Weber, Deutschlands künftige Staatsform (1918/19), in: Weber 1988, S. 87. Ersteres ist klar gesehen bei Mommsen, letzteres nicht. Vgl. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik, S. 403, 401. Eine ausführlichere Kritik an Mommsens Deutung habe ich an anderer Stelle gegeben: vgl. Breuer, Bürokratie und Charisma, S. 161 ff. Vgl. auch Egger, Herrschaft, Staat und Massendemokratie.

V Den Adler des Zeus nähren: Carl Schmitt im Dialog mit Otto Kirchheimer, Ernst Fraenkel und Franz Neumann

Wann eine Revolution beendet ist, ist nicht leicht zu entscheiden. Das Urteil wird nicht zum wenigsten davon abhängen, wie Revolution definiert wird. Hält man sich an die in Schmitts Diktaturschrift entwickelten Vorgaben, liegt es nahe, das Ende mit dem Abtreten des pouvoir constituant und der Übergabe der politischen Macht an die konstituierten Gewalten anzusetzen, gegebenenfalls auch erst mit der Ausschaltung eventuell auftretender konkurrierender Ansprüche auf den pouvoir constituant. Das erstere war in Deutschland endgültig mit der Auflösung der Nationalversammlung am 21. Mai 1920 der Fall. Das letztere hingegen erst Ende 1923, als mit dem Scheitern des kommunistischen Oktoberaufstands und des Hitler-Ludendorff-Putsches die Bürgerkriegslage beendet war und die Jahre der Stabilisierung begannen. Ein erstes Signal in diesem Sinne gab Schmitt auf der Tagung der Staatsrechtslehrer in Jena im April 1924.1 Noch deutlicher fiel zwei Jahre später sein Statement in einem Rechtsgutachten zur Frage der Fürstenenteignung aus: „Das Deutsche Reich ist heute wieder ein Verfassungsstaat. Was vorher, etwa im November 1918, als revolutionäre Maßnahme möglich war, kommt jetzt rechtlich nicht mehr in Betracht. Solange die Verfassung besteht, darf keine Verfassungspartei revolutionäre Maßnahmen, gleichgültig in welcher Form, treffen. (…) Heute herrscht nicht mehr der Revolutionszustand der Monate November 1918 bis Februar 1919; es besteht auch nicht mehr die souveräne Diktatur einer Verfassunggebenden Nationalversammlung. Seit fast sieben Jahren gilt in Deutschland die Weimarer Verfassung.“2 1

2

Vgl. Schmitt, Die Diktatur des Reichspräsidenten nach Art. 48 der Weimarer Verfassung (1924), in: Schmitt, Die Diktatur (1978), S. 238: „In dem Augenblick, in welchem die Versammlung ihr Werk vollendet hat und die Verfassung geltendes Recht wird, endet jene souveräne Diktatur, hört überhaupt rechtsstaatlich die Möglichkeit einer souveränen Diktatur auf. Mit einer rechtsstaatlichen Verfassung ist eine souveräne Diktatur eben unvereinbar.“ Schmitt, Unabhängigkeit der Richter (1926), S. 27.

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Von einer prinzipiellen Gegnerschaft gegen diese Verfassung, wie sie Schmitt gern unterstellt wird, konnte zu diesem Zeitpunkt keine Rede sein. In den Arbeiten, die in der 1927 abgeschlossenen Verfassungslehre kulminierten, konzentrierte er sich darauf, die Grundentscheidungen des Verfassungsgebers von 1919 herauszuarbeiten, die von der einfachen Gesetzgebung zu respektieren seien: die Verfassungsprinzipien der Demokratie, des Bundesstaates, der parlamentarisch-repräsentativen Form der Gesetzgebung und des bürgerlichen Rechtsstaates.3 Für den organisatorischen Teil, der ihm später als die Achillesferse der Verfassung erschien, war er sogar des Lobes voll. Speziell „die Regelung des parlamentarischen Problems mit ihrer Ausbalanzierung von drei Faktoren, Reichstag, Reichsregierung und Reichspräsident“, sei „ein überaus gut gelungenes und gut durchdachtes Stück einer Staatsorganisation.“4 Hinsichtlich der dem Präsidenten für den Ausnahmezustand zugedachten Befugnisse tendierte er zwar zu einer extensiven Interpretation, doch beschränkte er dies auf die exekutiven Kompetenzen und hielt Abstand zu Vorschlägen, sie auf Kosten der Legislative auszuweiten.5 Diese Einstellung hinderte Schmitt freilich nicht, das zu kritisieren, was ihm als Schwäche der Verfassung erschien. Namentlich der zweite Teil, den er in der Endphase der Republik zum substantiellen Kern stilisierte, erschien ihm zunächst als der eigentlich problematische Teil, weil hier sozialdemokratische, katholische, liberale und demokratische Gesichtspunkte auf widerspruchsvolle Weise zusammengefügt worden seien.6 Insbesondere bestehe eine Spannung zwischen dem Demokratieprinzip und dem Rechtsstaatsprinzip. Die beiden Leitideen des bürgerlichen Rechtsstaates, hieß es in einem Vortrag vom Januar 1928, die Freiheit des einzelnen und die Gewaltenteilung, seien beide unpolitisch, Formen, „die sich das Bürgertum zum Schutz vor dem Staat geschaffen hat“. Habe dies zur Kaiserzeit seinen guten Sinn gehabt, weil es die „Integration des Bürgertums in den monarchischen Staat“ gewährleistet habe, so sei die Situation inzwischen vollständig verändert. „Heute geht es darum, das Proletariat, eine nicht besitzende und nicht gebildete Masse, in eine politische Einheit zu integrieren. Für diese Aufgabe, die noch kaum ins Auge gefaßt worden ist, sind heute immer noch nur die Apparate und Maschinen zur Verfügung, die jener alten Aufgabe der Integrierung des gebildeten Bürgertums dienen. Die Verfassung ist ein solcher Apparat. Daher kommt uns alles so künstlich gemacht vor, daher dieses Gefühl der Leere, das man so leicht der Weimarer Verfassung gegenüber hat.“7 3 4 5

6 7

Vgl. Roth, Carl Schmitt – ein Verfassungsfreund? S. 147. Schmitt, Die Weimarer Verfassung (1930), S. 25. Vgl. Schmitt, Die Diktatur (1978), S. 202 f.; Die Diktatur des Reichspräsidenten nach Art. 48 der Weimarer Verfassung (1924), in: Schmitt, Die Diktatur (1978), S. 250; Reichspräsident und Weimarer Verfassung (1925), in: Schmitt 1995, S. 24 ff. Im übrigen sprach sich Schmitt für ein Ausführungsgesetz zu Art. 48 aus, das „eine detaillierte Ausführung der Voraussetzungen wie des Inhalts aller diktatorischen Befugnisse“ enthalten sollte. Vgl. Das Ausführungsgesetz zu Art. 48 der Reichsverfassung (1926), in: Schmitt 1995, S. 38 ff. sowie die Hinweise des Hrsg. ebd., S. 43. Vgl. Schmitt, Die Weimarer Verfassung (1930), S. 25. Schmitt, Der bürgerliche Rechtsstaat, in: Abendland. Deutsche Monatshefte für europäische Kultur, Politik und Wirtschaft 3, 1928/29, S. 201–203, S. 202. Zu den genaueren Umständen dieses Vortrags, der gleichzeitig im Abendland und den Schildgenossen erschien, vgl. Becker, Briefe an Carl Schmitt, S. 121.

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Diese Auffassung ist insofern erstaunlich, als die Verfassung im Hinblick auf die von Schmitt aufgeworfene Frage keineswegs leer und unbestimmt war. In Artikel 157 stellte sie die Arbeitskraft ausdrücklich unter den Schutz des Staates, verkündete in Artikel 163 gar ein „Recht auf Arbeit“ und erteilte einen Auftrag für ein einheitliches Arbeitsrecht außerhalb des BGB. Den Arbeitern und Angestellten eröffnete sie die Möglichkeit, „gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken“ und erkannte die „beiderseitigen Organisationen und ihre Vereinbarungen“ ausdrücklich an (Artikel 165). Artikel 151 postulierte: „Die Ordnung des Wirtschaftslebens muß den Grundsätzen der Gerechtigkeit mit dem Ziele der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle entsprechen.“ Auch wenn manches davon, wie z. B. die Schaffung eines einheitlichen Arbeitsrechts, auf dem Papier blieb, wurde doch auf vielen Gebieten die Grundlage für eine umfassende „Daseinsvorsorge“ geschaffen, wie Schmitts Schüler Forsthoff dies später nannte: in der Arbeitslosenfürsorge, dem Arbeitsschutz einschließlich des Mutterschutzes, in der Kriegsopferversorgung, im Sozialversicherungssystem, im Gesundheitswesen, im Wohnungsbau, im Mietrecht, in der Tarifpolitik. Anders als das Kaiserreich nahm der Weimarer Staat umfassende Kompetenzen zur Sozialgestaltung und zur Intervention in die Wirtschaftsordnung in Anspruch, mit der unvermeidlichen Folge, daß die Staatsquote bis 1932 auf das Doppelte der Vorkriegszeit stieg.8 Carl Schmitt war mit der Brechung dieser Entwicklung im Medium sozialdemokratischer und sozialistischer Rechts- und Staatstheorie direkt konfrontiert, zählten doch einige ihrer im Rückblick gesehen wichtigsten Protagonisten zu seinem unmittelbaren und mittelbaren Schülerkreis. Über seinen Doktoranden Otto Kirchheimer erhielt Schmitt Einblick in die Ideenwelt der radikaleren Gruppen in der deutschen Sozialdemokratie. Darüber hinaus vermittelte Kirchheimer ihm den Kontakt zu seinen Freunden Ernst Fraenkel und Franz L. Neumann, die als Anwälte mit arbeitsrechtlichem Schwerpunkt in Berlin tätig waren. Alle drei nahmen auf je individuelle Weise Schmittsche Konzepte auf und speisten sie in das weitgefächerte Netz der sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Publizistik ein. In der Auseinandersetzung mit dieser jüngeren Generation sozialistischer Juristen hat Carl Schmitt jene Konkretisierungen und Neujustierungen seiner Lehre vorgenommen, die ihm für die veränderte Lage angemessen erschienen. 1. Es empfiehlt sich, der Erörterung sachlicher Fragen einige knappe Informationen zum Lebensweg dieser sozialistischen Juristen und vor allem zur Entwicklung ihrer Beziehungen zu Carl Schmitt bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme vorzuschalten. Otto Kirchheimer wurde 1905 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Heilbronn geboren.9 Früh zur Vollwaise geworden, studierte er von 1924 bis 1926 in Münster, Köln und Berlin Jura, Philosophie, Geschichte und Soziologie (hauptsächlich bei Scheler) und 8 9

Vgl. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Vierter Band, S. 428 ff. Zur Biographie vgl. Herz und Hula, Otto Kirchheimer. Ferner die Skizze von Perels, Otto Kirchheimer.

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wechselte zum Wintersemester 1926/27 Bonn, wo er zwei Seminare und eine Vorlesung Schmitts besuchte. Zur gleichen Zeit war er Mitglied der Sozialistischen Studentenvereinigung sowie seit einem nicht genau bestimmbaren Datum auch der SPD, deren jungsozialistischem Flügel er angehörte.10 Mit seiner politischen Einstellung hielt er auch gegenüber Schmitt nicht hinter dem Berg, der seinem Schüler zwar „sehr große wissenschaftliche Begabung“ bescheinigte, zugleich aber in seinem Tagebuch notierte: „Kirchheimer mangelt jedes Nationalgefühl, grauenhaft.“11 Ende Dezember 1927 reichte Kirchheimer seine Doktorarbeit über die Staatslehre des Sozialismus und Bolschewismus ein, die von Schmitt mit „sehr gut“ bewertet wurde, obwohl ihm die dort ausgesprochene Würdigung der bolschewistischen Revolution als eines die Freundschaft aller Unterdrückten der Welt stiftenden Ereignisses einige Magenschmerzen bereitet haben muß.12 Das Gutachten würdigte „ausgezeichnete begriffliche Ausführungen, wie die Unterscheidung von Utopie und Mythus, die Integrierungsfunktion der Justiz usw.“, bemängelte aber auch ein „Übermaß nicht ausgeführter Einfälle“.13 Schon im folgenden Jahr erschienen Auszüge in der angesehenen Zeitschrift für Politik. Einen Teil seiner Referendarzeit verbrachte Kirchheimer in Erfurt, anschließend in Berlin, wo er auch als Lehrer an Gewerkschaftsschulen sowie in der Kanzlei seiner Freunde Fraenkel und Neumann tätig war. In diese Zeit fallen die meisten seiner politischen Interventionen, die durchweg in Organen der innerparteilichen Opposition der SPD erschienen.14 Mit Schmitt bestand weiterhin Kontakt, wie der Austausch von Manuskripten und Sonderdrucken, die Teilnahme Kirchheimers an Schmitts staatsrechtlichem Seminar an der Handelshochschule sowie zahlreiche in Schmitts Tagebuch festgehaltene Begegnungen zeigen.15 Öffentliche Kritik äußerte Kirchheimer erst ab 1932, doch blieb diese stets respektvoll und ließ an der Verpflichtung gegenüber seinem Lehrer keinen Zweifel. Schmitt seinerseits wies in seinen Texten mehrfach auf die Arbeiten seines „Meisterschülers“ (Reinhard Mehring) hin und entlehnte sogar den Titel Legalität und Legitimität der Überschrift eines kurz zuvor erschienenen Aufsatzes von Kirchheimer.16 10 11 12 13 14

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Vgl. Herz, Otto Kirchheimer, Leben und Werk, S. 13. Eintragung vom 25.2.1928, zit. n. Mehring, Otto Kirchheimers Bonner Promotionsakte, S. 8. Vgl. Otto Kirchheimer: Zur Staatslehre des Sozialismus und Bolschewismus (1928), in: Kirchheimer 1981, S. 43. Vgl. Mehring, Otto Kirchheimers Bonner Promotionsakte, S. 20. Dazu gehörte neben den Jungsozialistischen Blättern insbesondere der Klassenkampf , der u. a. von dem Austromarxisten Max Adler (1873–1937) herausgegeben wurde. Von Adler, der sich in seinen rechtspolitischen Darlegungen seinerseits auf Carl Schmitt bezog, insbesondere dessen Schrift Die Diktatur (vgl. Ananiadis, Carl Schmitt and Max Adler; Bavaj, Von links gegen Weimar, S. 205), hat Kirchheimer wesentliche Anregungen empfangen: vgl. z. B. Weimar – und was dann? Entstehung und Gegenwart der Weimarer Verfassung (1930), in: Kirchheimer 1964, S. 17. Zum Klassenkampf vgl. Rengstorf, Links-Opposition in der Weimarer SPD. Zum Einfluß auf Kirchheimer vgl. Schale, Otto Kirchheimer (2003), S. 283 f. Vgl. Volker Neumann, Verfassungstheorien politischer Antipoden, S. 239; Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 53, 60, 62, 64, 70, 97, 116, 128, 136 f., 146, 149, 154, 157, 159, 164, 181, 206 f., 210, 231, 355. Vgl. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung (1929), in: Schmitt 1973, S. 99; Hugo Preuß (1930), S. 34; Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung (1931), in: Schmitt 1973, S. 161 f., 168; Der Hüter der Verfassung (1969), S. 142; Grundrechte und

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Seine persönliche Einstellung blieb ambivalent, wie aus den Tagebüchern hervorgeht. An manchen Tagen notierte er: „nett unterhalten; mag ihn gern“; „Er ist klug und sympathisch“; „Kirchheimer sprach gut, schöne These“.17 Dann wieder hieß es: „Mit Kirchheimer durch den Tiergarten, scheußlicher Kerl“; „es hat keinen Zweck, mit ihm zu sprechen, er will einfach nichts sehen.“18 Wie Kirchheimer stammte auch Ernst Fraenkel aus einer jüdischen Familie.19 Geboren 1898 in Köln, mußte er nach dem Notabitur 1916 zur Armee und nahm an mehreren Einsätzen an der Westfront teil. Anfang 1919 begann er mit dem Studium der Rechtswissenschaft in Frankfurt, wo er zwei Jahre später Assistent von Hugo Sinzheimer wurde, des ersten Inhabers eines Lehrstuhls für Arbeitsrecht, der auch an der Weimarer Verfassung maßgeblich beteiligt war.20 In einer Gedenkrede hat Fraenkel seinen Lehrer später als den „Testamentsvollstrecker der sozialrechtlichen Gedankenwelt Otto von Gierkes“ bezeichnet und darauf hingewiesen, „daß die großen französischen und englischen Pluralisten der Zeit vor und nach 1914 von Gierkes Genossenschaftstheorie ausgegangen sind“ – eine Feststellung, der insofern Gewicht zukommt, als Carl Schmitt eben diesen Pluralismus für die Zerstörung der staatlichen Einheit der Weimarer Republik verantwortlich gemacht hat.21 Fraenkel unterrichtete an der von Sinzheimer gegründeten Akademie der Arbeit und trat noch 1921 in die SPD ein. Nach weiteren Stationen als Rechtsberater des Deutschen Metallarbeiterverbandes und Lehrer an einer Gewerkschaftsschule ließ er sich 1927 als Rechtsanwalt in Berlin nieder und vertrat seit 1931 zusammen mit Franz Neumann den Parteivorstand der SPD in den öffentlichrechtlichen Auseinandersetzungen, in die die Partei in dieser Zeit verwickelt wurde. In der Endphase der Weimarer Republik gehörte er außerdem wie Kirchheimer zum Mitarbeiterstab der 1924 von Rudolf Hilferding begründeten Theoriezeitschrift der SPD, Die Gesellschaft, in der ab 1928 unter der Leitung des Soziologen Albert Salomon auch jüngere Autoren wie Hannah Arendt, Walter Benjamin, Herbert Marcuse, Theodor Geiger, Eckart Kehr u. v. a. zu Wort kamen. Über Kirchheimer kam Fraenkel im Sommersemester 1931 in Schmitts staatsrechtliches Seminar an der Berliner Handelshochschule. In Schmitts Tagebuch aus dieser Zeit wird er zweimal erwähnt. Das erstemal am 7.5.1931: „Gut gearbeitet, am Nachmittag 68 Seminar, Vortrag Teitter über Hensels Grundrechte, Rechtsanwalt Fraenkel machte einen guten Eindruck.“ Das zweitemal am 23.7.1931, anläßlich einer erneuten Diskussion mit Fraenkel über Reformismus: „er war aber sehr schwach“.22 Dieser zuletzt festgehaltene Eindruck mag erklären, weshalb die Wege bald darauf auseinandergingen. Schmitt

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Grundpflichten (1932), in: Schmitt 1973, S. 182, 192, 195; Legalität und Legitimität (1932), ebd., S. 269; Kirchheimer, Legalität und Legitimität (1932), in: Kirchheimer 1967. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 97 (Eintragung vom 14.3.1931); S. 116 (13.6.1931); S. 128 (30.7.1931). Ebd., S. 210 (25.8.1932); S. 231 (6.11.1932). Biographische Angaben im folgenden nach Ladwig-Winters, Ernst Fraenkel. Vgl. Kubo, Hugo Sinzheimer. Ernst Fraenkel: Hugo Sinzheimer (1958), in: Fraenkel 1999, Bd. 1, S. 625, 628. Zu Schmitts Pluralismuskritik vgl. weiter unten. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 107, 126. Vgl. auch Ladwig-Winters, Ernst Fraenkel, S. 82.

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erwähnte wohl noch in Legalität und Legitimität Fraenkels kritische Erwägungen über das Verhältnis der Justiz zum Gesetz, doch blieb dies das einzige Zitat aus Fraenkels Texten in seinem Œuvre.23 Fraenkel seinerseits, der in seinen ersten Artikeln für die Gesellschaft ganz selbstverständlich mit Schmittschen Begriffen wie der kommissarischen Diktatur oder dem dilatorischen Formelkompromiß operiert und noch in Abschied von Weimar explizit auf seine Teilnahme an Schmitts Seminar verwiesen hatte, ging in Um die Verfassung deutlich auf Distanz, indem er Schmitts Gedankengänge in die Nähe des Verfassungsdenkens der Regierung Papen rückte.24 Franz L. Neumann wurde 1900 als Sohn einer assimilierten jüdischen Familie in Kattowitz geboren.25 Als Student nahm er an der Novemberrevolution teil und gründete 1919 zusammen mit Fraenkel und Leo Löwenthal eine sozialistische Studentengruppe. Wohl noch im gleichen Jahr trat er der SPD bei. Nach seiner Promotion in Frankfurt (1923) über ein strafrechtliches Thema absolvierte er seine Referendarzeit an verschiedenen Stationen und legte im Juli 1927 die Assessorprüfung ab. Gleichzeitig lehrte er an der Akademie der Arbeit und war Assistent von Hugo Sinzheimer an der Universität Frankfurt. Von 1927 bis 1933 hatte er mit Ernst Fraenkel eine gemeinsame Rechtsanwaltskanzlei in Berlin, in der Fraenkel die Interessen des Metallarbeiterverbandes, Neumann diejenigen der Deutschen Baugewerkschaft vertrat. Daneben lehrte Neumann seit 1928 an der Deutschen Hochschule für Politik. Nach dem Preußenschlag berief ihn der Vorstand der SPD zum Syndikus der Gesamtpartei. Bis 1933 erschienen von ihm fünf selbständige Schriften und Bücher, außerdem zahlreiche Beiträge in Gewerkschaftsorganen wie Die Arbeit oder Gewerkschaftszeitung sowie in der Marxistischen Tribüne und der Gesellschaft.26 In Berlin fand Neumann Zeit, neben seiner beruflichen Tätigkeit auch seinen wissenschaftlichen Interessen nachzugehen. So besuchte er an der Universität Veranstaltungen des ihm politisch nahestehenden Hermann Heller und an der Handelshochschule das staatsrechtliche Seminar Carl Schmitts, erstmals wohl im Wintersemester 1930.27 Mit Kirchheimer und Fraenkel nahm er auch im folgenden Semester an diesem Seminar teil. Schmitts Eindruck war zwiespältig, wie nicht selten bei diesem impulsiven Autor. Am 25.6.1931 notierte er in seinem Tagebuch: „Neumann hielt seinen Vortrag über Wirtschaftsverfassung sehr gut.“28 Zwei Wochen später dagegen hieß es: „Diskussion mit Neumann, der furchtbar versagte, daß es mir peinlich war.“29 Anfang August 1931 ließ er sich immerhin von Neumann und Fraenkel das Gewerkschaftshaus der Metallarbeiter 23 24

25 26 27 28 29

Vgl. Schmitt, Legalität und Legitimität (1932), in: Schmitt 1973, S. 332. Vgl. Fraenkel, Die Krise des Rechtsstaats und die Justiz (1931), in: Fraenkel 1999, Bd. 1, S. 447; Abschied von Weimar? (1932), ebd., S. 482; Um die Verfassung (1932), ebd., S. 499. Über das Verhältnis zu Schmitt vgl. Wildt, Eine spannungsvolle Beziehung. Zur Biographie vgl. Söllner, Franz L. Neumann; Neumann als Archetypus; Intelmann, Franz L. Neumann, S. 19 ff. Vgl. die von Wolfgang Luthardt zusammengestellte ausgewählte Bibliographie in Neumann 1978, S. 460–467. Vgl. Intelmann, Franz L. Neumann, S. 26; Mehring, Otto Kirchheimer und der Links-Schmittismus, S. 63; Carl Schmitt im Gespräch (2010), S. 68 f. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 119. Ebd., S. 122.

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zeigen, in dem die Kanzlei der beiden untergebracht war. Über das anschließende Gespräch beim Essen hielt er fest: „Unheimlich, Juden und Sozialisten.“30 Was er ihnen wissenschaftlich verdankte, etwa den Hinweis auf die Arbeiten Karl Renners, räumte er zwar freimütig ein, rückte sie aber aufgrund ihrer „kollektivistischen“ Ausdeutung der Grundrechte in die Nähe des „bolschewistischen Sozialismus“.31 Neumann seinerseits würdigte Schmitts Lehre als „geistreich“ und „fein“, verbarg jedoch die Differenzen nicht. Wäre Schmitts Auffassung hinsichtlich der sakrosankten Grundentscheidungen der Verfassung zutreffend, „so wäre eine Fortentwicklung über die Weimarer Verfassung hinaus – sei es zum Sozialismus hin, sei es zum rein bürgerlichen Rechtsstaat zurück – auf rechtsstaatlicher Basis nicht möglich. Carl Schmitts Lehre zwingt zur Revolution, wenn man eine Fortbildung der Verfassung wünscht.“32 Kritische Äußerungen zu Schmitt in schärferer Form finden sich indessen erst nach Neumanns Emigration. So heißt es 1933 in seiner ersten englischsprachigen Publikation: „Die meisten Professoren des Verfassungsrechts waren unerbittliche Gegner der parlamentarischen Demokratie. Der enorme Einfluß Carl Schmitts, der ohne Unterbrechung unter Ebert, Brüning, Papen, Schleicher und dann Hitler als Experte diente und der die Verfassung einzig unter ästhetischen Kriterien interpretierte, trug viel dazu bei, daß Freiheit, Parlament und die sogenannte ‚westliche Demokratie‘ in Mißkredit gerieten.“33 Ihrer größeren Nähe zum Parteivorstand der SPD und den Gewerkschaften entsprechend schätzten Neumann und Fraenkel die verfassungs- und sozialpolitischen Möglichkeiten der Linken deutlich optimistischer ein als Kirchheimer. Während der letztere auf einer allgemeineren Ebene die sozialdemokratische Theorie vom ‚doppelten Fortschritt‘ verwarf, nach der das Wachstum der kapitalistischen Wirtschaft mit einem Reifungsprozeß der Massen in Richtung Aufklärung und Humanität einherging, und in concreto die mangelnde Entscheidungskraft der deutschen Arbeiterbewegung beklagte, die die deutsche Revolution im Vergleich mit der russischen zu einer überaus halbherzigen Angelegenheit gemacht habe,34 witterte Neumann darin eher ‚kommunistische Ideengänge‘. Kirchheimers Schrift Weimar – und was dann? schien ihm die Bedeutung der Grundrechte zu bagatellisieren und die Tatsache zu verkennen, daß 1919 sehr wohl eine Entscheidung gefallen sei – die Entscheidung, wie es in Anlehnung an Heller hieß, für den „sozialen Rechtsstaat, d. h. für eine Ordnung, die auf den Rechtsinstituten von Freiheit und Eigentum aufbaut, diese aber ergänzt durch eine Arbeits- und Wirtschaftsverfassung, deren Ziel die Beteiligung der Arbeitnehmerschaft an der Führung der Wirtschaft und an der 30 31 32 33

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Vgl. ebd., S. 129. Vgl. Schmitt, Freiheitsrechte (1931), in: Schmitt 1973, S. 167 f.; Grundrechte (1932), ebd., S. 182, 196, 198. Neumann, Die soziale Bedeutung der Grundrechte in der Weimarer Verfassung (1930), in: Neumann 1978, S. 60. Neumann, Der Niedergang der deutschen Demokratie (1933). Zit. n. d. deutschen Übers. in Neumann 1978, S. 119. Die Entwicklung von Neumanns Verhältnis zu Schmitt nach 1933 erörtert Volker Neumann, Entzauberung des Rechts? Vgl. Kirchheimer, Zur Staatslehre des Sozialismus, in: Kirchheimer 1981, S. 39 f.; Weimar – und was dann? In: Kirchheimer 1964, S. 54.

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Selbstbestimmung ihres Arbeitsschicksals ist.“35 Diese Entscheidung des Verfassungsgebers herauszustellen, sei „die zentrale Aufgabe der sozialistischen Jurisprudenz“. Sie umzusetzen, „Aufgabe der sozialistischen Politik“.36 Ungeachtet solcher Differenzen, die im übrigen bald durch eine vorsichtige Annäherung Kirchheimers an die von Neumann vertretenen Positionen abgemildert wurden,37 war man sich doch in zwei zentralen Punkten einig: in dem grundsätzlichen Bestreben, die formelle Gleichheit vor dem Gesetz zur gleichen Chance vor dem Gesetz, zur ‚sozialen Gleichheit‘ fortzuentwickeln;38 und in der Überzeugung, daß für die Sozialdemokratie mit Blick auf diesen Zweck „die Weimarer Verfassung stets nur eine Etappe, niemals ein Ziel“ sein könne und deshalb gerade in ihren rechtsstaatlichen Aspekten nur einen „Übergangswert“ besaß.39 Dieses Stadium war unvermeidlich, weil „die eine Klasse nicht mehr stark genug, die andere noch nicht stark genug“ war, die ihr gemäße Ordnung als ausschließliche durchzusetzen.40 Seine „Vorläufigkeit“ aber ergab sich daraus, daß die „Werte“ der aufsteigenden Klasse über die rein politische Gleichberechtigung hinauszielten: auf „eine positive ökonomische und soziale Gleichheit“, die Freiheit und Eigentum nur soweit sichere, „als sie dem Aufstieg der Arbeiterschaft nicht entgegensteht.“41 Die proletarischen Schichten, die noch im 19. Jahrhundert an der Seite des Bürgertums gestanden hätten, strebten nunmehr danach, „über die nationale Demokratie hinaus die soziale Demokratie (zu) erkämpfen“;42 sie könnten deshalb „auf die Dauer mit keiner Verfassung der vorsozialistischen Gesellschaft ein ewiges Bündnis (…) eingehen“.43 Der für die Weimarer Verfassung typische „Versuch der Vereinigung bürgerlich-demokratischer Verfassungsprinzipien mit kollektivistisch-sozialistischen“ sei darum nur temporärer Natur, Ausdruck einer Gleichgewichtslage, die sich mit Notwendigkeit zugunsten der Hegemonie des Sozialismus ändern werde, je weiter die Entwicklung des Kapitalismus voranschreite.44 Die Verfassung selbst biete dafür beste Voraussetzungen, enthalte sie doch „keine Garantiefunktion für das kapitalistische

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Neumann, Koalitionsfreiheit und Reichsverfassung, S. 40 f. Zu den Differenzen zwischen Kirchheimer und Neumann vgl. auch Schale, Zwischen Engagement und Skepsis, S. 85 ff.; Thornhill 2000. Neumann, Die soziale Bedeutung der Grundrechte in der Weimarer Verfassung (1930), in: Neumann 1978, S. 74. Zur Kritik an Kirchheimer vgl. auch ebd., S. 57. Vgl. Volker Neumann, Kompromiß oder Entscheidung? S. 77. Am klarsten und entschiedensten hat Otto Kirchheimer diese die Zugehörigkeit zur politischen Linken begründende Orientierung in seiner Untersuchung über die Grenzen der Enteignung zum Ausdruck gebracht: vgl. Kirchheimer, Die Grenzen der Enteignung (1930), in: Kirchheimer 1972, S. 257. Vgl. dazu Söllner, Aufstieg und Niedergang, S. 298. Fraenkel, Abschied von Weimar? In: Fraenkel 1999, Bd. 1, S. 491; Kirchheimer, Bedeutungswandel des Parlamentarismus (1928), in: Kirchheimer 1981, S. 63. Kirchheimer, Bedeutungswandel des Parlamentarismus, in: Kirchheimer 1981, S. 63. Neumann, Die soziale Bedeutung der Grundrechte in der Weimarer Verfassung (1930), in: Neumann 1978, S. 62 f. Kirchheimer, Weimar – und was dann? In: Kirchheimer 1964, S. 15. Kirchheimer, Verfassungsreform und Sozialdemokratie (1933), in: Kirchheimer 1972, S. 82. Kirchheimer, Das Problem der Verfassung (1929), in: Kirchheimer 1981, S. 66. Zur Gleichgewichtslage vgl. Zur Staatslehre des Sozialismus (1928), in: Kirchheimer 1981, S. 35.

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Wirtschaftssystem“,45 sondern eröffne vielmehr die Möglichkeit, „unter Anerkennung des Privateigentums die Verwaltung des Privateigentums dem Privateigentümer zu entziehen“, ja sogar „privatwirtschaftliche Unternehmungen in Gemeineigentum zu verwandeln“.46 Auch wenn sich die tatsächliche soziale und wirtschaftliche Ungleichheit in dem geltend machte, was Kirchheimer die „Direktionssphäre“ nannte, eröffnete sich doch in der „Verteilungssphäre“ ein hinreichend großer Spielraum zur Erweiterung des Anteils „der vom kapitalistischen Wirtschaftssystem in irgendeiner Form abhängigen Bevölkerung am Sozialprodukt, der sich ausdrückt in Tarifverträgen, Bestimmungen über Sozialversicherung, Arbeitslosigkeit, Wohnungswesen, um nur die wichtigsten zu nennen.“47 Und zumindest in den ersten Jahren der Republik schien selbst nach dem skeptischen Urteil Kirchheimers auch das Bürgertum bereit, auf diesem Feld Kompromisse einzugehen, ja sogar dem Sozialismus den „Weg zur Staatsverantwortlichkeit“ freizugeben, auch wenn sich dies allzu oft auf einen „Anteil an der Ämterpatronage“ reduzierte.48 Was Kirchheimer als die für den Weimarer Parlamentarismus charakteristische „Methode des gegenseitigen Nachgebens“ bezeichnete, hieß bei Fraenkel „dialektische Demokratie“.49 Diese markierte für ihn die dritte Stufe in einer idealtypischen Sequenz, die gewisse Anklänge an Carl Schmitt aufwies.50 Die erste Stufe, die „absolutistische Demokratie“, sah er idealiter in der Lehre Rousseaus von der volonté générale ausgedrückt, realiter in den Bauerngemeinschaften der Schweizer Kantone umgesetzt.51 Im 19. Jahrhundert sei sie von der „relativistischen Demokratie“ abgelöst worden, deren soziale Basis der Konkurrenzkapitalismus gewesen sei. Dieser habe zwar auf einer Klassenspaltung beruht, die politische Einheit jedoch durch eine Beschränkung des Wahlrechts auf das besitzende und gebildete Bürgertum gesichert.52 Die Weimarer Republik habe mit dieser Voraussetzung gebrochen und die relativistische Demokratie durch die „dialektische Demokratie“ ersetzt, die die „Verschiedenheit in der Klassenlage der Staatsangehörigen“ berücksichtige.53 Als „Staatsform des aufgeklärten Hochkapitalismus“ habe sie die aus der klassenbedingten sozialen Ungleichheit resultierenden Gefahren erkannt und abgemildert, etwa indem sie die Arbeitskraft unter den Schutz des Reiches gestellt und die Sozialpflichtigkeit des Eigentums dekretiert 45 46 47 48

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Kirchheimer, Eigentumsgarantie in Reichsverfassung und Rechtsprechung (1930), in: Kirchheimer 1972, S. 17. Neumann, Die soziale Bedeutung der Grundrechte in der Weimarer Verfassung (1930), in: Neumann 1978, S. 73; vgl. Kirchheimer, Weimar – und was dann? In: Kirchheimer 1964, S. 35. Kirchheimer, Weimar – und was dann? In: Kirchheimer 1964, S. 42. Kirchheimer, Artikel 48 und die Wandlungen des Verfassungssystems. Auch ein Beitrag zum Verfassungstag (1930), in: Kirchheimer 1981, S. 93; Verfassungswirklichkeit und politische Zukunft der Arbeiterklasse. Zum Verfassungstag (1929), in: Kirchheimer 1981, S. 74. Kirchheimer, Artikel 48 (1930), in: Kirchheimer 1981, S. 93; Fraenkel, Um die Verfassung (1932), in: Fraenkel 1999, Bd. 1, S. 501. Zu den verschiedenen Erscheinungsformen bzw. Stadien der Demokratie bei Fraenkel vgl. die konzise Darstellung von Buchstein, Verfassung, Demokratie und Pluralismus, S. 246–275. Fraenkel, Um die Verfassung (1932), in: Fraenkel 1999, Bd. 1, S. 499. Ebd., S. 500. Ebd., S. 501.

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habe. Ihre charakteristische Erscheinungsform sei der Kompromiß, mit dessen Hilfe es gelungen sei, die wichtigsten Spannungen auszugleichen, die seit Gründung des Zweiten Deutschen Reiches bestimmend gewesen seien – neben der Spannung zwischen Kapital und Arbeit auch diejenige zwischen Preußen und den übrigen Ländern sowie zwischen protestantischem und katholischem Milieu.54 2. Eine Transformation der Weimarer Republik in dem von den sozialistischen Juristen erstrebten Sinne war für Carl Schmitt ausgeschlossen, jedenfalls dann, wenn sie auf legalem Wege vollzogen werden sollte. Der Verfassungsgeber von 1919 hatte aus seiner Sicht eine definitive Entscheidung getroffen: für den bürgerlichen Rechtsstaat und die Demokratie und gegen eine „sozialistische Revolutionierung nach Art einer Sowjetverfassung“.55 Zur Disposition stand diese Entscheidung nicht für den einfachen Gesetzgeber, sondern nur für einen neuen pouvoir constituant. Insofern hatte Franz Neumann nicht ganz unrecht mit seiner oben zitierten Bemerkung, Schmitts Lehre zwinge zur Revolution, wenn man eine Fortbildung der Verfassung wünsche. Mit dem Hinweis auf diesen Gegensatz ist jedoch die Frage noch nicht beantwortet, was eigentlich die sozialistischen Juristen dazu trieb, die Nähe von Carl Schmitt zu suchen. Sieht man von der Faszination durch die Persönlichkeit oder der Hoffnung auf eine Förderung der akademischen Karriere ab, dann kommen vor allem zwei Gründe in Frage. Der erste Grund war eher ideeller Natur und hatte mit dem für einen Staatsrechtslehrer ungewöhnlichen Interesse zu tun, das Schmitt der sozialistischen Theoriebildung und ihren Wurzeln in der Hegelschen Dialektik entgegenbrachte – ein Zusammenhang, der zur gleichen Zeit Gegenstand des wohl bedeutendsten marxistischen Werks des 20. Jahrhunderts, Georg Lukács’ Geschichte und Klassenbewußtsein, war. In Schmitts Frühwerk war Hegel der meistgenannte Autor56 und wurde auch später immer wieder herangezogen, so etwa in einem Rundfunkvortrag von 1931 oder in dem langen Einschub in der zweiten Fassung des Begriffs des Politischen, der mit Hegels ‚genialer Jugendschrift‘ über die Verfassung Deutschlands begann und in einen Ausblick auf Lenin und Lukács mündete.57 Von den vier Kapiteln der Parlamentarismusschrift waren zwei der Diktatur im marxistischen Denken und ihrer Fortbildung bei Sorel und im Bolschewismus gewidmet. Der zweite Grund war politisch und bestand in der beiden Seiten gemeinsamen Sorge, das in der Verfassung verankerte Spannungsverhältnis von Demokratie und bürgerlichliberaler Ordnung werde über kurz oder lang zuungunsten der ersteren ausschlagen. Der eingangs zitierte Vortrag Schmitts über den bürgerlichen Rechtsstaat kam immer wieder auf den un-, ja ‚antipolitischen‘ Charakter zurück, der dem bürgerlichen Beharren auf 54 55 56 57

Vgl. ebd., S. 502; Abschied von Weimar? (1932), in: Fraenkel 1999, Bd. 1, S. 484 f. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 30 f. Vgl. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 54. Vgl. Schmitt, Hegel und Marx (1931); Der Begriff des Politischen (1979), S. 62 f. Der Entwicklung von Schmitts „Hegelnahme“ gehen u. a. nach: Mehring, Pathetisches Denken; Kervégan, Hegel, Carl Schmitt. Le politique entre spéculation et positivité; Ottmann, Hegel und Carl Schmitt.

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der Freiheit des Einzelnen und der Gewaltenteilung eigne und den Schluß unausweichlich mache, daß damit kein Staat zu machen sei. Die Prinzipien des Rechtsstaates, hieß es dezidiert, „enthalten keine Formen des Staates, sondern Methoden der Organisation von Hemmungen des Staates“; der bürgerliche Rechtsstaat sei dementsprechend „keine Form des Staates und für sich keine Verfassung, sondern nur ein System von Kontrollen des Staates“.58 Soweit die Weimarer Republik politische Substanz besitze (was nach Schmitt angesichts der eingeschränkten Souveränität nur bedingt der Fall war), soweit sie als Staat angesprochen werden könne, verdanke sie dies ihrer Eigenschaft als Demokratie, die 1919 in der grundlegenden politischen Entscheidung des Volkes als des Trägers der verfassunggebenden Gewalt zum Ausdruck gekommen sei.59 Auch wenn die Weimarer Verfassung ein „Notbau“ sei, sei das Demokratische in ihr „doch stark genug hervorgehoben, so daß das Volk jederzeit die Möglichkeit hat, trotz aller Hemmungen und Ventile und hinter der Mauer, die von den Ideen des bürgerlichen Rechtsstaates her gebaut werden, seine politische Form zu finden.“60 Mit der unmittelbar hieran anschließenden Forderung konnten auch die sozialistischen Juristen einverstanden sein: „Es handelt sich für die Verfassungsentwicklung der nächsten Zeit darum, die Demokratie aus ihrer Verhüllung durch liberale Momente zu retten. Nur so, nicht durch ein liberales Desinteressement an den Fragen der Staatsform und Verfassung, kann die durch die neue Bedeutung des Proletariates geschaffene neue Situation politisch gemeistert und die politische Einheit des deutschen Staatsvolkes neu geschaffen werden.“61 Wenn Schmitt hier Demokratie und Liberalismus gegeneinander ausspielte, dann war dies gegenüber den sozialistischen Juristen zwar nicht im Demokratieverständnis, wohl aber in der Kritik des Parlamentarismus durchaus konsensfähig, zumindest bis 1932. Daß sich durch den Parlamentarismus „alle öffentlichen Angelegenheiten in Beute- und Kompromißobjekte von Parteien und Gefolgschaften“ verwandelten und die argumentierende Öffentlichkeit zu einer Fiktion geworden sei, die nur dazu diene, die Macht wirtschaftlicher Interessengruppen zu verschleiern,62 zählte seit geraumer Zeit zum Standardarsenal auch der linken Kritik.63 Ebenso gewiß konnte sich Schmitt der Zustimmung von Kirchheimer, Fraenkel und Neumann in seiner Ablehnung einer Juridifizierung der Politik sein, die sich in der Ausdehnung des richterlichen Prüfungsrechts und in der Forderung nach einer Funktionserweiterung des Staatsgerichtshofs manifestierte. Der Schwerpunkt des gegenwärtigen Staates lag auch für ihn eindeutig in der Gesetzgebung, so daß es nicht im Sinne der Verfassung sei, wenn „die Gerichte zu Aufsichtsinstanzen

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Schmitt, Der bürgerliche Rechtsstaat (1928/29), S. 201 f. Vgl. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 23 f. Schmitt, Der bürgerliche Rechtsstaat (1928/29), S. 202. Ebd. Schmitt, Der Gegensatz von Parlamentarismus und Massendemokratie (1926), in: Schmitt 1988, S. 55 f. Vgl. Bavaj, Von links gegen Weimar. Linkes antiparlamentarisches Denken in der Weimarer Republik.

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gegenüber der Legislative und der Regierung“ würden.64 In Anknüpfung an Kirchheimer hieß es sogar: „Der heutige europäische Staat mit seinen sozialen Gegensätzen und Interessenkämpfen, insbesondere der Industriestaat mit seiner ‚sozialen Gleichgewichtsstruktur‘ von Bürgertum und Arbeiterschaft, läßt sich nicht in Jurisdiktion auflösen, ohne daß er selber aufgelöst wird.“65 Und schließlich war Schmitt auch die Vorstellung nicht fremd, daß eine Kritik des politischen Liberalismus auch den wirtschaftlichen Liberalismus nicht als sakrosankt behandeln könne. Nur ein schwacher Staat, schrieb er 1929, sei „kapitalistischer Diener des Privateigentums“; jeder starke Staat dagegen zeige „seine eigentliche Stärke nicht gegenüber den Schwachen, sondern gegenüber den sozial und wirtschaftlich Starken.“66 Ein Staat hingegen, „der in einem ökonomischen Zeitalter darauf verzichtet, die ökonomischen Verhältnisse von sich aus richtig zu erkennen und zu leiten“, müsse sich in politicis für neutral erklären und damit seinen Anspruch auf Herrschaft aufgeben.67 Von hier aus gesehen sind alle Deutungen als verfehlt zu betrachten, die aus Schmitt einen grundsätzlichen Gegner der Verfassung machen und ihm eine Sicht zuschreiben, „die die Forderungen des Großkapitals – Abbau der Sozialleistungen und Aufbau eines Staatsinterventionismus zugunsten der Privatwirtschaft“ abbildete.68 Der Brennpunkt, an dem sich Schmitts Gegnerschaft zur Weimarer Republik und im weiteren auch zu den sozialistischen Juristen entzündete, lag nicht hier. Er lag vielmehr in den Gefahren für die politische Einheit, die aus Schmitts Sicht aus der Trias von Privatautonomie in der Wirtschaft, rechtsstaatlicher Organisation und Parlamentarismus erwuchsen. Für diese Trias fand er in den mittleren Jahren der Republik einen Oberbegriff, der auch die sozialistische Bewegung mit umfaßte, aber nur als einen, wie immer auch wichtigen Teil: den Pluralismus. In seinen Publikationen taucht dieses Phänomen, wenn ich recht sehe, erstmals 1927 im „Begriff des Politischen“ auf, der die sogenannte pluralistische Staatstheorie von Harold J. Laski als die „weitaus interessanteste(n) Staatslehre“ vorstellt, „die im letzten Jahrzehnt aufgestellt worden ist“. Ihr Kern bestehe darin, „die souveräne Einheit des Staates, d. h. die politische Einheit zu leugnen und immer wieder hervorzuheben, daß der einzelne Mensch in vielen verschiedenen sozialen Verbindungen lebt“, als „Mitglied einer Religionsgesellschaft, einer Gewerkschaft, eines Sportklubs und vieler anderer ‚Assoziationen‘, die ihn von Fall zu Fall verschieden stark bestimmen, ohne daß man von einer dieser Assoziationen sagen könnte, sie sei absolut maßgebend und souverän.“69 Die im gleichen Jahr abgeschlossene Verfassungslehre ging dem nicht weiter nach, und auch in dem 1928 in den Druck gegebenen, aber erst 1929 erschiene64

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Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung (1929), in: Schmitt 1973, S. 96. Ein generelles richterliches Prüfungsrecht wurde übrigens auch von Anschütz und Thoma verworfen, von ersterem freilich ab 1926 mit der Spezifizierung, es in der Hand des Staatsgerichtshofes zu monopolisieren: vgl. Dreier, Gerhard Anschütz, S. 40 ff. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung (1929), in: Schmitt 1973, S. 99. Schmitt, Wesen und Werden des faschistischen Staates (1929), in: Schmitt 1988, S. 113. Schmitt, Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen (1929), in: Schmitt, Der Begriff des Politischen (1979), S. 87. Volker Neumann, Der Staat im Bürgerkrieg, S. 107. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1927), S. 12. Vgl. aber auch schon im Brief an Rudolf Smend vom 14.9.1925: „Gott behüte uns vor der Restauration des Liberalismus, die im Anzug ist,

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nen Aufsatz über „Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung“ blieb es noch bei einer eher beiläufigen Erwähnung anläßlich der Ausdehnung des Begriffs der Verfassungsstreitigkeit durch den Staatsgerichtshof, als deren Konsequenz eine „Rückbildung zu ständischen Verhältnissen“ und einem „interessanten politischen Pluralismus“ behauptet wurde.70 Nicht viel tiefer bohrte der zweite, im März 1929 erschienene Aufsatz über den Hüter der Verfassung,71 so daß es erst in dem im Sommersemester 1929 auf der Tagung der Kant-Gesellschaft in Halle gehaltenen Vortrag über „Staatsethik und pluralistischer Staat“ war, daß dem Thema volle Aufmerksamkeit zuteil wurde.72 Der Vortrag nahm seinen Ausgang von der Beobachtung, daß in vielen Ländern der Gegenwart der Staat in Mißkredit geraten sei. Diese „Erschütterung des Staates“ sei auf empirisch-faktischer Ebene daran abzulesen, daß der Staat „tatsächlich in weitem Maße von den verschiedenen sozialen Gruppen abhängig (erscheint), bald als ein Opfer, bald als Ergebnis ihrer Abmachungen, ein Kompromißobjekt sozialer und wirtschaftlicher Machtgruppen, ein Agglomerat heterogener Faktoren, Parteien, Interessenverbände, Konzerne, Gewerkschaften, Kirchen usw., die sich untereinander verständigen.“73 Solcherart von sozialen Mächten in Regie genommen, sei „der Staat geschwächt und relativiert, ja überhaupt problematisch geworden, weil schwer zu erkennen ist, was ihm noch an selbständiger Bedeutung zukommt. Er scheint, wenn nicht geradezu der Diener oder das Instrument einer herrschenden Klasse oder Partei, so doch ein bloßes Produkt des Ausgleichs mehrerer kämpfender Gruppen geworden zu sein, bestenfalls ein pouvoir neutre et intermédiaire, ein neutraler Vermittler, eine Ausgleichsinstanz zwischen den miteinander kämpfenden Gruppen, eine Art clearing office, ein Schlichter, der sich jeder autoritären Entscheidung enthält, der völlig darauf verzichtet, die sozialen, wirtschaftlichen, religiösen Gegensätze zu beherrschen, der sie sogar ignoriert und offiziell nicht kennen darf.“74 Theoretisch reflektiert und zugleich aktiv vorangetrieben werde diese Depotenzierung des Staates durch moderne soziale Bewegungen und Ideenrichtungen wie den syndikalistischen Föderalismus in Frankreich, der bereits den Tod des Staates verkünde, oder die pluralistischen Lehren von Cole und Laski in England, die mit den Gewerkschaften verbunden seien.75 Mit ihrem Vordringen werde nicht nur dem Staat als Institution, son-

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und deren, in den Schafspelz des Pluralismus gekleideter Prophet Laski zu werden scheint.“ In: Mehring (Hrsg.), „Auf der gefahrenvollen Straße des öffentlichen Rechts“, S. 49. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung (1929), in: Schmitt 1973, S. 76. Vgl. Schmitt, Der Hüter der Verfassung (1929), S. 211. Dieser Vortrag ist auch in anderer Hinsicht bedeutsam, hat Schmitt doch in ihm erstmals seine Revision des Begriffs des Politischen öffentlich vorgestellt, mit der das Gebiets- oder Sphärenkonzept von 1927 durch ein Intensitätsmodell ersetzt wird: vgl. Schmitt, Staatsethik und pluralistischer Staat (1930), S. 36 f. Ebd., S. 31. Man beachte die Einreihung der Kirchen unter die pluralistischen Mächte. Von einer „potestas indirecta“, wie sie der mittelalterliche Katholizismus gegenüber dem Staat postuliert hat, ist dies denkbar weit entfernt. Vgl. dazu auch die Kontroverse mit Erik Peterson, der gegen Schmitt an den indirekten Eingriffsmöglichkeiten der Kirche festgehalten hat. Sie ist näher dargestellt bei Nichtweiß, Apokalyptische Verfassungslehren, S. 57 f. Schmitt, Staatsethik und pluralistischer Staat (1930), S. 31. Vgl. ebd., S. 30.

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dern auch jeglicher Staatsethik die Grundlage entzogen. „Wenn der ‚irdische Gott‘ von seinem Throne stürzt und das Reich der objektiven Vernunft und Sittlichkeit zu einem ‚magnum latrocinium‘ wird, dann schlachten die Parteien den mächtigen Leviathan und schneiden sich aus seinem Leibe jede ihr Stück Fleisch heraus.“76 Noch einmal zugespitzt hat Schmitt diese Diagnose zwei Jahre später in der Buchfassung des Hüters der Verfassung. Als Pluralismus galt ihm nunmehr das Aufkommen „festorganisierter, durch den Staat, d. h. sowohl durch verschiedene Gebiete des staatlichen Lebens, wie auch durch die territorialen Grenzen der Länder und die autonomen Gebietskörperschaften hindurchgehender, sozialer Machtkomplexe, die sich als solche der staatlichen Willensbildung bemächtigen, ohne aufzuhören, nur soziale (nicht-staatliche) Gebilde zu sein.“77 Infolge dieser Machtergreifung der Verbände, die sich vor allem über das Medium ihnen attachierter Parteien vollziehe, verwandle sich das Parlament aus dem „Schauplatz einer einheitsbildenden, freien Verhandlung freier Volksvertreter“ in einen „Schauplatz pluralistischer Aufteilung der organisierten gesellschaftlichen Mächte“, auf dem sich entweder gar kein politischer Wille mehr zu bilden vermöchte oder nur ein solcher, der mit der gerade dominierenden Interessenrichtung zusammenfalle.78 Durch das pluralistische System, das „oligarchisch und nicht demokratisch“ sei, werde das für die Demokratie essentielle Grundaxiom immer mehr zerstört, „daß der Staat eine unteilbare Einheit ist und der überstimmte Teil in Wirklichkeit nicht vergewaltigt und gezwungen, sondern nur zu seinem eigenen wirklichen Willen geführt werde.“79 Auch die aus dem 19. Jahrhundert überkommene Form des Staates als „Gesetzgebungsstaat“ werde ausgehöhlt, indem das pluralistische System zu einem „Pluralismus der Legalitätsbegriffe“ führe und den Staat in ein „Nebeneinander von Kompromissen und Verträgen“ verwandle, welche jederzeit aufgekündigt werden könnten.80 Da diese Tendenz durch weitere dissoziative Faktoren verstärkt werde – neben der „politische(n) Machterweiterung des Richters gegenüber dem Gesetzgeber“ erwähnt Schmitt den Föderalismus und die „Polykratie“: die Herausnahme rechtlich autonomer Träger der öffentlichen Wirtschaft aus dem Staat und ihre Verselbständigung gegenüber dem staatlichen Willen81 – drohe sich die Verfassung „aus einer politischen Entscheidung des Trägers der verfassunggebenden Gewalt in ein System vertraglich erworbener Rechte“ zu verwandeln, in deren Gefolge eine „Rückbildung zu ständischen Verhältnissen“ nicht mehr auszu-

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Ebd., S. 28 f. Schmitt, Der Hüter der Verfassung (1969), S. 71. Vgl. ebd., S. 89. Ebd., S. 145. Ebd., S. 90, 110, 142. Vgl. ebd., S. 71; Die Auflösung des Enteignungsbegriffs (1929), in: Schmitt 1973, S. 117. Das Konzept der „Polykratie“ wurde von dem mit Schmitt befreundeten Staatssekretär und späteren Minister Johannes Popitz in die politische Diskussion eingeführt: vgl. Bentin, Johannes Popitz und Carl Schmitt, S. 13 f.

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schließen sei.82 Am Ende dieser Entwicklung stehe die Zersplitterung der politischen Einheit, ein neuer „Feudal- und Ständestaat“, unter Umständen sogar der Bürgerkrieg.83 Es ist hier nicht der Ort, um in eine Diskussion über die Stichhaltigkeit dieser Diagnose einzutreten. Festzuhalten aber ist, daß es nicht primär das Interesse an der Verteidigung bürgerlicher Klassenpositionen war, das Schmitt umtrieb, sondern das Interesse an der Fortexistenz und Stabilität des 1919 gegründeten demokratischen Staates.84 „Wird die staatliche Einheit in der Wirklichkeit des sozialen Lebens problematisch“, heißt es im Vortrag vor der Kant-Gesellschaft, „so ergibt sich ein für jeden Staatsbürger unerträglicher Zustand, denn damit entfällt die normale Situation und die Voraussetzung jeder ethischen und jeder rechtlichen Norm. Dann erhält der Begriff der Staatsethik einen neuen Inhalt, und es ergibt sich eine neue Aufgabe, die Arbeit an der bewußten Herbeiführung jener Einheit, die Pflicht, daran mitzuwirken, daß ein Stück konkreter und realer Ordnung sich realisiert und die Situation wieder normal wird. Dann tritt neben die Pflicht des Staates, die in seiner Unterwerfung unter ethische Normen liegt, und neben die Pflichten gegenüber dem Staat eine weitere ganz anderes geartete staatsethische Pflicht, nämlich die Pflicht zum Staat.“85 Werde dieser Pflicht gefolgt, dann könne der Staat wieder stark und mächtig werden, „wie der mythische Adler des Zeus, der sich aus den Eingeweiden des Prometheus nährt.“86 Schmitt hat sich dieser selbstgestellten Aufgabe nicht entzogen und sich in der Folgezeit auf die Suche nach Einrichtungen und Organisationen begeben, „deren eigentlicher Sinn darin liegt, daß sie eine Gegenwirkung gegen die Methoden des pluralistischen Parteienstaates darstellen“.87 Im Hüter der Verfassung prüfte er nacheinander das Berufsbeamtentum, die Reichsbank, die Reichsbahn und den Reichsrat, um am Ende zu der Einsicht zu gelangen, nur eine einzige Institution sei wirklich geeignet, „den verfassungsmäßigen Gesetzgebungsstaat, dessen gesetzgebende Körperschaft pluralistisch zerteilt ist, gegenüber einem verfassungswidrigen Pluralismus zu retten“: der Reichspräsident.88 Hier und nirgends sonst schien ihm noch eine Instanz gegeben zu sein, die für die Grundentscheidungen von 1919 einstand; hier allein ein Kraftzentrum, das aufs engste mit der „Vorstellung des Ganzen der politischen Einheit verknüpft“ war.89 Viel82 83

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Schmitt, Der Hüter der Verfassung (1969), S. 54; Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung (1929), in: Schmitt 1973, S. 76. Vgl. Schmitt, Der Hüter der Verfassung (1969), S. 84, 110, 142. Die Ansicht, man steuere einem neuen Feudalismus entgegen, hat Schmitt vermutlich aus Diagnosen der mit ihm befreundeten Nationalökonomen Sombart und Brinkmann übernommen. Vgl. etwa Sombart, Wandlungen des Kapitalismus, S. 248; Brinkmann, Die Umformung der kapitalistischen Gesellschaft, S. 17 ff; Die Aristokratie im kapitalistischen Zeitalter, S. 34. Auch sein Kollege an der Handelshochschule, Moritz Julius Bonn, argumentierte in diese Richtung: vgl. seinen Aufsatz „Die neue Feudalität“ im Aprilheft 1930 der Neuen Rundschau sowie: Kapitalismus oder Feudalismus? Das wird in der neueren Forschung zu Recht betont von Kervégan, Carl Schmitt and ‚World Unity‘, S. 56 ff. und Dyzenhaus, Putting the State Back in Credit. Schmitt, Staatsethik und pluralistischer Staat (1930), S. 41 f. Ebd., S. 37. Schmitt, Der Hüter der Verfassung (1969), S. 100. Ebd., S. 131. Ebd., S. 157.

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leicht könne man daran zweifeln, ob es auf die Dauer möglich sein werde, das Amt des Reichspräsidenten dem parteipolitischen Betrieb zu entziehen, vielleicht werde auch diese Institution einmal das Schicksal der Monarchie teilen. Die Weimarer Verfassung aber habe ganz bewußt auf dieses Amt gesetzt und es mit plebiszitärer Legitimität ausgestattet. „Sie setzt das ganze deutsche Volk als eine Einheit voraus, die unmittelbar, nicht erst durch soziale Gruppenorganisationen vermittelt, handlungsfähig ist, die ihren Willen zum Ausdruck bringen kann und sich im entscheidenden Augenblick auch über die pluralistischen Zerteilungen hinweg zusammenfinden und Geltung verschaffen soll. Die Verfassung sucht insbesondere der Autorität des Reichspräsidenten die Möglichkeit zu geben, sich unmittelbar mit diesem politischen Gesamtwillen des deutschen Volkes zu verbinden und eben dadurch als Hüter und Wahrer der verfassungsmäßigen Einheit und Ganzheit des deutschen Volkes zu handeln. Darauf, daß dieser Versuch gelingt, gründen sich Bestand und Dauer des heutigen deutschen Staates.“90 3. Für die sozialistischen Juristen war der Pluralismus kein Grund zur Beunruhigung. Zwar beklagte Kirchheimer den „Verbandsabsolutismus von wirtschaftlichen Vereinigungen“, ordnete diesen aber nur dem Bürgertum zu;91 die damit verbundene Tendenz zum „Privilegienstaat“ erschien ihm nachgerade als begrüßenswert, führe doch „der wiedererwachte Feudalismus“ malgré lui dazu, „die Einheit zweier geschlossener Fronten – den feudalisierten Staat gegen die proletarisierte Gesellschaft – zu konstituieren.“92 Franz Neumann schien zunächst Schmitt zu folgen, wenn er im „System des Pluralismus“ einen Widerspruch zur Weimarer Verfassung sah, entwickelte dann aber das Modell einer Wirtschaftsverfassung, welches in Schmitts Augen nur geeignet sein konnte, den Pluralismus noch weiter zu steigern: sah es doch eine Art Machtteilung zwischen dem Staat, den Gewerkschaften und den Kartellen und Konzernen vor, die allesamt an der ‚demokratischen Marktkontrolle‘ partizipieren sollten.93 Denselben Effekt mußte aus dieser Sicht Fraenkels Konzept der „dialektischen“ bzw. „kollektiven Demokratie“ haben. Denn ungeachtet mancher Kritikpunkte, die Fraenkel vorzubringen hatte, erschien ihm der Aufstieg der Verbände und ihr Einfluß auf die sozialpolitische Gesetzgebung insgesamt als Fortschritt, und zwar nicht nur im Sinne des Sozialismus, sondern auch der Stabilität des Staates. „Die freiwillig gebildeten Organisationen“, hieß es 1929, „kristallisieren sich in stets verstärktem Maße zu Integrationsfaktoren des staatlichen Lebens heraus, sie sind funktionelle Integrationsmittel des Staates im Sinne Rudolf Smends geworden.“ Durch ihren weiteren Ausbau könne die sich ausbreitende Parlamentsverdrossenheit überwunden, die politische Partizipation gesteigert und in

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Ebd., S. 159. Kirchheimer, Die Verfassungslehre des Preußen-Konflikts (1932), in: Kirchheimer 1972, S. 43. Kirchheimer, Eigentumsgarantie in Reichsverfassung und Rechtsprechung (1930), in: Kirchheimer 1972, S. 23; Verfassungslehre des Preußen-Konflikts (1932), in: Kirchheimer 1972, S. 61. Neumann, Über die Voraussetzungen und den Rechtsbegriff einer Wirtschaftsverfassung (1931), in: Neumann 1978, S. 96 f.

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ein Mittel verwandelt werden, „die Demokratisierung der Verwaltung wirksam zu fördern.“94 War für Schmitt das Übergreifen der pluralistischen Gesellschaft über den Staat das Problem, so lag es für die sozialistischen Juristen genau umgekehrt in der Verselbständigung des Staates gegenüber der Gesellschaft. Für Neumann hatte das parlamentarische Regierungssystem „zu einer unerhörten Machtaneignung der Bürokratie, vor allem der Ministerialbürokratie geführt, weil das Parlament der Regierung weitgehende Ermächtigungen gewährte, weil die Stellung der Bürokratie unabhängig und stetig ist, weil die Regierung technisch immer komplizierter wird.“95 Für Kirchheimer war das Berufsbeamtentum aufgrund der Schwierigkeiten einer klassengespaltenen Demokratie in eine Schlüsselstellung gelangt und befand sich auf dem besten Weg, „sich als unmittelbarer, von jeder sozialen und politischen Konstellation unabhängiger Repräsentant der nationalen Ordnung zu etablieren“, ja zur „Macht im Reiche schlechthin“ zu werden.96 Für Fraenkel war der Übergang zum Präsidialregime gleichbedeutend mit dem Ende der dialektischen Demokratie. Die Unfähigkeit bzw. der Unwille der gesellschaftlichen und politischen Akteure, sich auf einen „dialektischen Prozeß“ einzulassen, „der unter Berücksichtigung der notwendigerweise antithetischen Parteimeinung zu einem synthetischen Staatswillen durchdringt“,97 habe zur Folge, daß sich das von der Verfassung vorgesehene Verhältnis der Gewalten umkehre. Innerhalb des Rechtssystems drohe aufgrund des Verzichts des Parlaments auf die Wahrnehmung seiner Gesetzgebungskompetenz und seiner Kontrollfunktionen ein „Absolutismus der Justizbürokratie“, der durch die „Aushöhlung des materiellen Gesetzesbegriffs“ und eine zunehmend undeutlicher werdende Unterscheidung zwischen Gesetz und Maßnahme verschärft werde.98 Das Ausbleiben positiver Kompromisse und der dem korrespondierende Rückzug auf negative Kompromisse, die durch Nichtausübung des parlamentarischen Vetorechts gegenüber präsidialen Notverordnungen zustande kämen, begünstigten außerdem einen „Absolutismus der Verwaltungsbürokratie (…), der – einmal vorhanden – nicht so rasch wieder beseitigt werden kann.“99 Eine Kursusdisposition von 1932 spricht von der „Gefahr des Bürokratieabsolutismus“, die sowohl die demokratischen Institutionen im Reich bedrohe als auch die in der Verfassung garantierten liberalen Freiheitsrechte. Ihren ideologischen Niederschlag finde diese Tendenz „a) in der Lehre vom ‚autoritären Staat‘, b) in der

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Fraenkel, Kollektive Demokratie (1929), in: Fraenkel 1999, Bd. 1, S. 352, 356. Neumann, Über die Voraussetzungen und den Rechtsbegriff einer Wirtschaftsverfassung (1931), in: Neumann 1978, S. 84. Kirchheimer, Legalität und Legitimität (1932), in: Kirchheimer 1967, S. 8, 26. Fraenkel, Um die Verfassung (1932), in: Fraenkel 1999, Bd. 1, S. 502. Vgl. Fraenkel, Die Krise des Rechtsstaats (1931), in: Fraenkel 1999, Bd. 1, S. 457, 453. Die Liste der Versäumnisse, die Fraenkel dem Parlament vorhielt, reichte von der Reichsreform über das Schul-, Straf-, Arbeits- und Aktienrecht bis zum Ausführungsgesetz zu Artikel 48. Im Gegensatz zu einer verbreiteten Ansicht müsse das Fazit lauten, „daß das Parlament nicht in gesetzgeberischen Aufgaben sich übernommen, sondern umgekehrt, daß das Parlament als Gesetzgebungsfaktor in den letzten 10 Jahren, soweit es sich um grundlegende Arbeiten handelt, im wesentlichen versagt hat.“ Vgl. ebd., S. 447. Ebd., S. 457.

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Hoffnung der monarchischen Bewegung auf Restauration, c) in bürgerlich-kleinbürgerlich(en) Tendenzen zum Faschismus.“100 Man hat in diesen Gedankengängen eine Abkehr vom begrifflichen Instrumentarium der Klassenkampflehre und eine Hinwendung zu Max Weber sehen wollen, in dessen politischer Soziologie zweifellos die Gefahren der Bürokratisierung eine herausragende Rolle spielen.101 Aber auf Weber wird in diesen Texten doch sehr selten und wenn, dann meist distanzierend Bezug genommen.102 Fraenkel, der Weber immerhin noch persönlich in einem Vortrag erlebt hatte, wollte es zwar offen lassen, „ob es 1919 ein Fehler war, dem Drängen Max Webers stattzugeben und den Reichspräsidenten aus der Volkswahl hervorgehen zu lassen“, mochte sich aber mit dem Weber zugeschriebenen politischen Ziel – der „cäsaristische(n) Staatsgestaltung“ – allenfalls aus taktischen Gründen und nur vorübergehend anfreunden.103 Kirchheimer sprach gar von einer spätliberalen Interpretation, die schon die reale Grundlage des parlamentarischen Systems des 19. Jahrhundert verfehlt und erst recht das Wesen der Weimarer Verfassung verkannt habe.104 Hinsichtlich der Chancen einer Demokratisierung der Verwaltung vertraten alle drei Autoren Vorstellungen, die Weber als jugendliche Naivität verbucht hätte.105 Die in ihren Texten dominierende Annahme einer „steigende(n) Tendenz zur Verselbständigung des bürokratischen Staats- und Heeresapparats“106 hat ihre Wurzel denn auch nicht in der politischen Soziologie Max Webers, sondern in den zeitgenössischen Imperialismustheorien, die eine gesetzmäßige Entwicklung vom Konkurrenz- über den Hoch- zum Spätkapitalismus behaupteten und den letzteren aufgrund seiner monopolistischen Struktur in ein reines Gewalt- und Herrschaftsverhältnis ausmünden sahen.107 Allerdings verbanden die sozialistischen Juristen diese Diagnose mit einem heterodoxen Argument, das sich auf die Marxschen Frankreichschriften stützte, von denen zu diesem Zeitpunkt auch andernorts, etwa in der Bonapartismustheorie des KPD-Dissidenten

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Fraenkel, Die Staatskrise und der Kampf um den Staat. Kursusdisposition (1932), in: Fraenkel 1999, Bd. 1, S. 514. Vgl. Brünneck, Leben und Werk von Ernst Fraenkel, S. 363. Vgl. etwa den sehr knappen Hinweis auf Webers Legitimitätsbegriff in Kirchheimers Legalität und Legitimität, dem dann aber nicht weiter nachgegangen wird (S. 7). Fraenkel, Verfassungsreform und Sozialdemokratie (1932), in: Fraenkel 1999, Bd. 1, S. 522. Vgl. Kirchheimer, Weimar – und was dann? In: Kirchheimer 1964, S. 28, 54. Vgl. neben der oben zitierten Äußerung von Fraenkel auch Kirchheimers Rekurs auf die Konzeption einer „primitiven Demokratie“, wie sie in Marxens Kommentar zur Pariser Kommune und Lenins Staat und Revolution zu finden sei: Marxismus, Diktatur und Organisationsform des Proletariats (1933), in: Kirchheimer 1972, S. 107 ff. Die Idee einer Rücknahme des Staates in die Gesellschaft ist schon in der Dissertation angedeutet, die die bolschewistische Herrschaft als souveräne Diktatur nicht des Staates, sondern der Klasse versteht: vgl. Zur Staatslehre des Sozialismus (1928), in: Kirchheimer 1981, S. 45, 51. Kirchheimer, Verfassungsreform und Sozialdemokratie (1933), in: Kirchheimer 1972, S. 94. Vgl. etwa Neumann, Über die Voraussetzungen und den Rechtsbegriff einer Wirtschaftsverfassung (1931), in: Neumann 1978, S. 76 ff.; Fraenkel, Die Staatskrise und der Kampf um den Staat (1932), in: Fraenkel 1999, Bd. 1, S. 512 ff. Zur Kritik dieser Sichtweise vgl. meine Studie: Die Krise der Revolutionstheorie, S. 55 ff.

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August Thalheimer, ausgiebig Gebrauch gemacht wurde.108 Habe unter der dialektischen Demokratie, so Fraenkel, noch ein gewisses Gleichgewicht, eine „Balance der Klassenkräfte“ bestanden,109 so fehle dem Spätkapitalismus zunehmend die Kraft, „die entwurzelten Zwischenschichten als abhängige Arbeitnehmer in den Produktionsprozeß einzuschalten.“ Bauern, Handwerker, Kleingewerbetreibende und Angestellte würden so zu einer „dritten Macht“, die den dialektischen Ausgleichungsprozeß zwischen Kapital und Lohnarbeit störe.110 Sofern es nicht gelinge, diese deklassierten Schichten durch Aufklärungsarbeit zu gewinnen, sei damit zu rechnen, daß sie sich dem extremen Nationalismus und Antisemitismus zuwendeten, wie sie vom Faschismus und seiner deutschen Variante, dem Nationalsozialismus, repräsentiert würden.111 Und das wiederum mache ein Szenario wahrscheinlich, wie es von Marx mit Blick auf Louis Napoleon beschrieben worden sei. In Zeiten verschärften Klassenkampfs sei die Bourgeoisie, um ihre soziale Existenz zu retten, bereit, ihre politische Existenz preiszugeben und sich der verselbständigten Macht der Exekutivgewalt zu unterwerfen, die sich ihrerseits auf Deklassierte aller Klassen stütze.112 So sah es auch Kirchheimer, wenn er, etwas spät, auf das Auftauchen selbständiger bewaffneter Privatarmeen aufmerksam machte, die sich aus dem Lumpenproletariat rekrutierten und zu bestimmten sozialen Gruppen hinzustießen, „um mit ihrer Hilfe und Unterstützung die Staatsmacht in ihren ausschließlichen Besitz zu nehmen. Die Tendenz ihrer Führerschichten geht dabei zunehmend nicht auf soziale Veränderung; vielmehr geschieht die Unterstützung bestimmter sozialer Gruppen lediglich mit der Berechnung, dadurch ihre politische Herrschaft zum Zweck der Ausbeutung des staatlichen Machtapparates zu stabilisieren.“113 Vor diesem Hintergrund geriet nun auch zunehmend Carl Schmitt ins Visier der Kritik, schien doch die von ihm angestrebte Stärkung der Stellung des Reichspräsidenten eine Entwicklung zu antizipieren, die auf eine immer weiter gehende „Ausschaltung der gesellschaftlichen, nicht vom Staat erfaßten Kräfte auf die Willensbildung des Staates“ hinauslief.114 Voll zur Entfaltung gelangte diese Kritik freilich erst im Herbst 1932, als das seit Juni amtierende Kabinett Papen immer stärker auf eine „Mischung von Cäsarismus und Ständestaat“ hinzusteuern schien.115 Während Kirchheimer den Inter-

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Vgl. Thalheimer, Über den Faschismus. Vgl. dazu auch Wippermann, Die Bonapartismustheorie von Marx und Engels. Vgl. Fraenkel, Die Krise des Rechtsstaats (1931), in: Fraenkel 1999, Bd. 1, S. 447. Zu dieser These bereits zuvor: Kirchheimer, Zur Staatslehre des Sozialismus (1928), in: Kirchheimer 1981, S. 35. Fraenkel, Um die Verfassung (1932), in: Fraenkel 1999, Bd. 1, S. 503. Vgl. Fraenkel, Antifaschistische Aufklärungsarbeit (1930), in: Fraenkel 1999, Bd. 1, S. 413 f. Vgl. die Rekurse auf Marx’ Schrift über den 18. Brumaire in Fraenkel, Um die Verfassung (1932), in: Fraenkel 1999, Bd. 1, S. 502, 504, 507 ff. Kirchheimer, Marxismus, Diktatur und Organisationsform des Proletariats (1933), in: Kirchheimer 1972, S. 104 f. Fraenkel, Die Krise des Rechtsstaates (1931), in: Fraenkel 1999, Bd. 1, S. 455. Kirchheimer, Verfassungsreaktion 1932 (1932), in: Kirchheimer 1972, S. 74 f. Vgl. auch Kirchheimer und Leites, Bemerkungen zu Carl Schmitts Legalität und Legitimität (1933), in: Kirchheimer 1981, S. 150 f.

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ventionen seines Lehrers zunächst noch eine gewisse Zurückhaltung bescheinigte,116 erklärte Fraenkel Schmitt zum Ideologen „der gegenwärtigen Regierung in ihrem Streben nach ‚autoritärer Demokratie‘ auf plebeszitärer (sic) Grundlage“ und stellte zugleich einen Zusammenhang zu den parallelen Bestrebungen des Faschismus her. Schmitts Kritik an der gegenwärtigen Verfassungslage knüpfe an die Lehre Rousseaus von der volonté générale an, deren auch nur annähernde Verwirklichung für die modernen Nationalstaaten eine Utopie sei, „zum mindesten solange, wie die Klassenspaltung besteht.“ An einer solchen „Utopie der absolutistischen Demokratie“ festzuhalten, sei gleichzeitig anachronistisch und ideologisch, mache es doch die Anerkennung gesellschaftlicher Pluralität und Ausdifferenzierung unmöglich und arbeite damit der Transformation der dialektischen in eine autoritäre Demokratie zu, wie sie ganz ähnlich auch von den Autoren der Tat propagiert werde.117 In dieselbe Kerbe schlug etwas später Otto Kirchheimer, der in einer gemeinsam mit Nathan Leites verfaßten Antwort auf Legalität und Legitimität Schmitt vorwarf, den für die moderne Gesellschaft charakteristischen „Trend zur Heterogenität im allgemeinen“ zu verkennen und sich an überholten Homogenitätsidealen zu orientieren, mit der Folge, daß Demokratie für die Gegenwart zu einer unmöglichen Vorstellung werde.118 Der Befund, Schmitts Ideen zielten auf eine autoritäre Umformung der Demokratie, entspricht den weiter oben im Anschluß an Max Weber gewonnenen Ergebnissen. Weniger überzeugend ist dagegen die Begründung dieses Befundes, die Schmitts Verständnis von Pluralismus und Homogenität nicht angemessen reflektiert. Die Weimarer Verfassung war für Schmitt, wie gesagt, durch die Entscheidung für den bürgerlichen oder liberalen Rechtsstaat sowie die politische Form der Demokratie charakterisiert.119 Zu den Prinzipien des ersteren zählte er die persönliche Freiheit, das Privateigentum, Vertrags-, Handels- und Gewerbefreiheit sowie zahlreiche weitere Grundrechte,120 aus deren Geltendmachung sich die für moderne Gesellschaften charakteristische soziale Differenzierung und der ihr entsprechende Pluralismus ergab. Daß ein Gemeinwesen 116 117

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Vgl. Kirchheimer, Verfassungsreaktion 1932, (1932), in: Kirchheimer 1972, S. 64. Fraenkel, Um die Verfassung (1932), in: Fraenkel 1999, Bd. 1, S. 499, 507. Auch später ist Fraenkel immer wieder auf dieses Argument zurückgekommen: vgl. Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 226 ff., 307 ff. Auf der Linie Fraenkels spricht Hubertus Buchstein von einem „Neo-Rousseauismus“ Schmitts: vgl. Von Max Adler zu Ernst Fraenkel, S. 544. Vgl. Kirchheimer und Leites, Bemerkungen zu Carl Schmitts Legalität und Legitimität (1933), in: Kirchheimer 1981, S. 120 ff. Noch kurz zuvor allerdings hatte Kirchheimer selbst, in Zuspitzung eines Arguments von Hermann Heller, die Ansicht vertreten, Demokratie sei nur unter der Voraussetzung einer sozialen Homogenität möglich, weil sonst jede Mehrheitsentscheidung eine Vergewaltigung der Überstimmten bedeute: vgl. Kirchheimer, Weimar – und was dann? In: Kirchheimer 1964, S. 17; vgl. Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität (1928), in: Heller 1971, Bd. 2, S. 427 ff. Das hat ihm zu Recht die Kritik eingetragen, er habe die unvollkommene Demokratie Weimars zugunsten der Idealvorstellung von einer „homogenen Gesellschaft und direkten Demokratie“ abgelehnt: vgl. Kennedy, Carl Schmitt und die ‚Frankfurter Schule‘, S. 416. Ähnlich Scheuerman, Between the Norm and the Exception, bei dem Kirchheimer allerdings in die Nähe des Faschismus rückt (S. 15, 35 ff.), was nun wiederum maßlos übertrieben ist. Vgl. dazu auch die besonneneren Ausführungen von Söllner, Jenseits von Carl Schmitt, S. 510. Vgl. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 35 f. Schmitt, Grundrechte und Grundpflichten (1932), in: Schmitt 1973, S. 186.

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sich in jeder Beziehung selbst genügt und jeder seiner Bewohner „jedem andern physisch, psychisch, moralisch und ökonomisch so ähnlich ist, daß eine Homogenität ohne Heterogenität vorliegt“, dies war nach Schmitt allenfalls „in primitiven Bauerndemokratien oder Kolonistenstaaten eine Zeitlang möglich“, jedoch selbst dort nicht auf Dauer.121 Für die industrialisierten Gesellschaften der Neuzeit dagegen rechnete Schmitt, dem die soziologischen Klassiker nicht unbekannt waren, mit dem, was bei Herbert Spencer als Entwicklung von inkohärenter Homogenität zu kohärenter Heterogenität figuriert.122 Und er rechnete ebenso selbstverständlich für diese Gesellschaften mit einem „Siegeszug der Demokratie“,123 so daß ihm nicht unterstellt werden kann, er sei von der „Unmöglichkeit der Demokratie in einer heterogenen Gesellschaft“ überzeugt gewesen.124 Wenn Schmitt dennoch von Homogenität sprach, so nicht im Sinne einer fiktiven Interessensolidarität, welche „die effektiv vorhandene, radikale Interessengegensätzlichkeit verhüllen soll, die sich in der Tatsache der politischen Parteien und der noch bedeutsameren, dahinter stehenden Tatsache des Klassengegensatzes äußert“, wie ihm dies von einem anderen Juristen mit sozialistischen Neigungen, Hans Kelsen, vorgeworfen wurde.125 Gemeint war, nicht anders als bei Hegel oder dem jungen Marx, eine Homogenität, die neben dieser Interessengegensätzlichkeit existierte, ohne diese aufzuheben; und die dies konnte, weil sie sich nicht auf die wirtschaftliche oder soziale Ordnung bezog, die von dieser Gegensätzlichkeit beherrscht wurde, sondern auf die politische Sphäre, die Sphäre des citoyen oder Staatsbürgers im Unterschied zu derjenigen des Bourgeois bzw. des Proletariers: „Der Staatsbürger in der Demokratie ist citoyen, nicht Privatmann oder Bourgeois.“126 Der Staatsbürgerstatus aber ergab sich nicht aus der Zugehörigkeit zur Menschheit, er folgte aus der „Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation“, aus der „nationalen Homogenität“, die sich als Nationalbewußtsein manifestierte und sehr wohl mit sozialer Heterogenität vereinbar war.127 Demokratie war unter diesen Bedingungen „nationale Demokratie“, bei der die Substanz der Gleichheit im Nationalen lag, 121 122

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Schmitt, Parlamentarismus (1979), S. 14. Vgl. Spencer, First Principles, § 145, S. 401. Auf Spencer rekurriert Schmitt, wenn auch eher allgemein, in seinem 1929 in Barcelona gehaltenen Vortrag „Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen“, den er der zweiten Fassung des Begriffs des Politischen beigefügt hat: vgl. Schmitt 1979, S. 88. Vgl. auch: Totaler Feind, totaler Krieg, totaler Staat, in: Schmitt 1988, S. 238. Geläufig war Schmitt das Paradigma von der sozialen Differenzierung auch durch seine frühe Beschäftigung mit Simmels Soziologie: vgl. Schmitt, Tagebücher (2003), S. 75 f. Schmitt, Parlamentarismus (1979), S. 30. Kirchheimer und Leites, Bemerkungen zu Carl Schmitts Legalität und Legitimität (1933), in: Kirchheimer 1981, S. 122. Kelsen, Hüter der Verfassung, S. 43. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 253. Vgl. Schmitt, Parlamentarismus (1979), S. 14; Staatsstreichpläne Bismarcks und Verfassungslehre (1929), in: Schmitt 1973, S. 30. Daß substantielle Gleichartigkeit bei Schmitt entgegen dem Wortsinn nicht als Substanzbegriff zu verstehen ist, ist richtig gesehen bei Maus, Rechtstheorie und politische Theorie, S. 114. Weniger überzeugend ist ihr Vorschlag, den Homogenitätsbegriff auf den Parlamentarismus zu beziehen und als „Abwesenheit oder Irrelevanz jedes Klassenantagonismus“ zu deuten (ebd., S. 118). Parlamentarismus ist Liberalismus; Homogenität dagegen Merkmal der Demokratie, und zwar durchaus auch der Massendemokratie, sofern sie als nationale Demokratie bestimmt ist.

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in der Zugehörigkeit zu einem „durch politisches Sonderbewußtsein individualisierte(n) Volk“.128 Und dieses politische Sonderbewußtsein wiederum wurde, in enger Anlehnung an Hugo Preuß, Max Weber und Friedrich Naumann, als „esprit de la nation“ definiert, als „die politische Bildung und Intelligenz, die man bei jedem Volk voraussetzen muß, das sich zu einer Nation gebildet hat.“129 Ohne diese Voraussetzung stand nicht nur die Existenz des Staates als solchen in Frage, sondern auch dessen Qualität als bürgerlicher Rechtsstaat: „Zu ihm gehört die bürgerliche Bildung und der Glaube an den niemals organisierbaren, niemals in einer beamtenmäßigen Kompetenz faßbaren, immer diffusen und trotzdem immer vorhandenen und immer wirksamen, die öffentliche Meinung im wesentlichen doch schließlich führenden Geist der Nation, für den, über die Mauern der Parteikasernen hinweg, mutige und unabhängige Menschen sich immer finden werden.“130 Schmitt war also nicht, wie seine sozialistischen Kritiker meinten, auf ein vormodernes, ‚absolutistisches‘ Verständnis von Demokratie fixiert, dessen Betonung in der Verfassungslage der späten Weimarer Republik nur die Folge haben konnte, „eine entfaltete

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Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 231. Schmitt, Hugo Preuß (1930), S. 22. Wie sehr sich Schmitt in diesem Vortrag Preuß und damit auch dessen Verfassungswerk annäherte, hat niemand anders anerkannt als Theodor Heuss, Gründungsmitglied der Deutschen Demokratischen Partei und für diese von 1924 bis 1928 und von 1930 bis 1933 Mitglied des Reichstages. Nach dem Vortrag dankte Heuss Schmitt brieflich „für die starken Anregungen (…), die in der Gliederung Ihres vorgestrigen Vortrages und in einer Reihe von Formulierungen enthalten waren“, insbesondere für den Hinweis auf die Notwendigkeit einer Integration des Proletariats in den historischen Staat, die schon Friedrich Naumann herausgestellt habe. Theodor Heuss an Carl Schmitt, Brief vom 20.1.1930, Nachl. Schmitt, RW 265–6042. Voll des Lobes war auch der wesentlich weiter links stehende Redakteur der sozialdemokratischen Gesellschaft, Albert Salomon, der den Vortrag „unter die großen Denkreden der deutschen Nation“ rechnete und Schmitt zum ‚einzigen großen Prosaist wissenschaftlichen Schrifttums neben Schumpeter‘ erklärte. „Was hier als Gehalt tradiert wird, als primum datum der geistigen Person Preuß, das ist ein wesenhaft Liberales, der Mut zu geistigen Entscheidungen und die Kraft zur Einsamkeit, um der geistigen Unabhängigkeit willen. In höchst eindringlicher Formulierung verbindet sich am Schluß der Rede Carl Schmitt dem Andenken an Preuß im Bekenntnis zur geistigen Freiheit in einer Epoche zunehmender Verzwecklichung und politischer Abhängigkeit der geistigen Leistungen.“ (Albert Salomon, in: Die Gesellschaft 8, 1931, S. 286). Ein Jahr später war davon freilich nicht mehr die Rede, als im gleichen Blatt ein Aufsatz erschien, der die Auffassungen Carl Schmitts überall dort präsent sah, „wo der Faschismus um geistige Läuterung ringt und sich gedankliche Grundlagen schaffen will.“ (Siegfried Marck: ‚Existenzphilosophische‘ und idealistische Grundlegung der Politik, in: Die Gesellschaft 9, 1932, S. 441–450, 441). Schmitt, Hugo Preuß (1930), S. 24. Man kann diese Formulierung wegen ihrer offenkundigen Anleihen bei Hegel kritisieren. Daß Schmitt sich einer Vorstellung von Homogenität verschrieben habe, die „nicht nur vorpolitisch, sondern auch vorkommunikativ gedacht werden muß“, wird man vor diesem Hintergrund jedoch kaum sagen können. Bildung, Geist, öffentliche Meinung: dies alles ist ohne Kommunikation nicht vorstellbar. So aber Preuß, Carl Schmitt, S. 156, der auch sonst dazu tendiert, Schmitts „Affekt gegen die innere Tendenz der modernen Gesellschaft zu Differenzierung und Partikularisierung“ zu übertreiben (S. 159).

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Demokratie zu liquidieren.“131 Sachlich zutreffender ist es, dieses Verständnis auf jene von Schmitt selbst so bezeichnete ‚andere Hegellinie‘ zu beziehen, wie sie nicht nur von Dilthey und Freyer, sondern etwa auch von Droysen oder Treitschke repräsentiert wurde, die keine Mühe hatten, beides zusammen zu denken: die Ausdifferenzierung einer auf Privatautonomie gegründeten bürgerlichen Gesellschaft und das alles durchdringende Fluidum eines ‚Volksgeistes‘, der von der gebildeten Elite artikuliert wurde.132 Auf dieser Linie bewegten sich große Teile des ‚Professorennationalismus‘ des 19. Jahrhunderts, bewegten sich aber auch die linksliberalen Demokraten, die durch Hugo Preuß maßgeblichen Einfluß auf die Weimarer Verfassung gewannen.133 „Demokratische Staatspolitik“, so Preuß 1920 mit Blick auf diejenigen, die ihr Klasseninteresse über jedes andere Interesse stellten, „kann nur nationale Politik sein, weil der Begriff der Demokratie untrennbar ist von dem Begriff der politisch organisierten Volksgesamtheit, der nationalen Solidarität. Daher ist in der Demokratie eine Partei nicht regierungsfähig, die sich das Bewußtsein der unbedingten Ueberordnung der nationalen Solidarität über jede mögliche andere Solidarität verdunkeln läßt.“134 Carl Schmitt sah das nicht anders. Wie Preuß ging auch er davon aus, daß es solche anderen Solidaritäten gab. Und wie Preuß bekannte auch er sich ausdrücklich zu einer Verfassung, die der gesellschaftlichen Heterogenität und Pluralität Rechnung trug und ihr die Möglichkeit einräumte, über das Parlament die politische Willensbildung zu bestimmen. Aber wie Preuß beharrte er darauf, daß diese Willensbildung sich nicht in einer bloßen Abbildung der sozialen Heterogenität erschöpfen durfte, sondern stets mit Blick auf die Wahrung jener nationalen Einheit und Homogenität zu erfolgen hatte, wie sie in der Präambel der Weimarer Verfassung benannt war; was denn auch den Möglichkeiten der Verfassungsänderung auf legalem Wege gewisse Grenzen setzte, wie Schmitt im Anschluß an Carl Bilfingers Rede über „Nationale Demokratie“ konstatierte.135 Daß ihm das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit dieser Verfassung in den letzten Monaten der Republik abhanden kam, hat deshalb nicht allein mit seinem autoritären Verständnis von Demokratie zu tun, sondern auch mit einer Entwicklung, in der aus sozialer Heterogenität eine politische Polarisierung wurde und der ‚unstreitige Sektor des politischen Lebens‘ im ‚streitigen Sektor‘ zu versinken drohte.136

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Kirchheimer, Verfassungsreaktion 1932 (1932), in: Kirchheimer 1972, S. 67. Vgl. immer noch Birtsch, Die Nation als sittliche Idee; Bußmann, Treitschke. Zum Professorennationalismus vgl. Jörg Echternkamp: Der Aufstieg des deutschen Nationalismus (1770–1840), Frankfurt und New York 1998; Gramley, Propheten des deutschen Nationalismus. Hugo Preuß: Nationale Demokratie, in: Berliner Tageblatt Nr. 454 vom 26.9.1920. Zit. n. dem Wiederabdruck in: Preuß 1964, S. 429–433, 432. Vgl. Carl Bilfinger, Nationale Demokratie, S. 17; Schmitt, Hugo Preuß (1930), S. 32, 34. Der in Halle lehrende Staatsrechtler Carl Bilfinger (1879–1958) war mit Schmitt befreundet. 1932 vertrat er gemeinsam mit ihm und Erwin Jacobi die Reichsregierung im Prozeß Preußen gegen das Reich. Zu dieser Unterscheidung vgl. Fraenkel, Um die Verfassung (1932), in: Fraenkel 1999, Bd. 1, S. 505.

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4. Mit den Hinweisen auf die Kritik, die Legalität und Legitimität bei Fraenkel und Kirchheimer gefunden hat, habe ich auf gedankliche Schritte vorgegriffen, die Schmitt erst nach dem Sturz Brünings und der Ernennung Papens zum Reichskanzler vollzogen hat. Die Schrift, die im Juni 1932 konzipiert und noch vor den beiden Großereignissen des Juli abgeschlossen wurde – dem Preußenschlag vom 20.7. und den Reichstagswahlen vom 31.7., die der NSDAP einen erdrutschartigen Wahlsieg bescherten –, wurde vielfach als Schützenhilfe für Papen und als ideologische Rechtfertigung des Staatsstreichs in Preußen verstanden.137 In der neueren Forschung findet sich darüber hinaus die Einschätzung, Schmitt habe in dieser Schrift die Grundlinien eines „neuen Herrschaftstypus“ entworfen, „der sich aus Elementen des Jurisdiktions-, des Regierungs- und Verwaltungsstaates zusammensetzt.“138 Mit solchen Formulierungen wird Schmitt jedoch mehr Klarheit und Eindeutigkeit zugeschrieben, als er zu diesem Zeitpunkt aufzubringen vermochte. Legalität und Legitimität war weniger die Blaupause für den kommenden „Neuen Staat“ als vielmehr ein Inspektionsgang durch ein Gebäude, dessen Stabilität zu ernsten Besorgnissen Anlaß gab. Was Schmitt dabei herausfand, war wenig ermutigend. Gedacht als ein parlamentarisch-demokratischer Gesetzgebungsstaat mit geschlossenem Legalitätssystem, enthielt die Weimarer Verfassung eine Reihe von Widersprüchen, die sie über kurz oder lang sprengen mußten. Sie setzte mit der „unteilbaren nationalen Gleichartigkeit“ etwas voraus, was keineswegs selbstverständlich war und sich mit dem Erstarken antinationaler Kräfte zunehmend verflüchtigte. Sie statuierte darüber hinaus Formen der Willensbildung, die mit dem Fortfall dieser Voraussetzung zur Vergewaltigung der Minderheit durch die Mehrheit führen mußten.139 Vor allem aber brach sie mit dem Prinzip, daß der parlamentarische Gesetzgebungsstaat „nur einen einzigen ordentlichen Gesetzgeber (kennt), der das Monopol der Schöpfung materiellen Rechts behalten muß.“140 Neben dem ordentlichen Gesetzgeber entdeckte Schmitt drei außerordentliche: den Gesetzgeber „ratione materiae“, der kraft der Unterscheidung von materiell-rechtlichen Gesetzen höherer und niederer Art den ordentlichen Gesetzgeber aus der Position zentraler Normierung verdränge; den Gesetzgeber „ratione supremitatis“, der sich auf die Legitimität der unmittelbaren plebiszitären Demokratie stütze und insbesondere im Volksgesetzgebungsverfahren nach Art. 73 Abs. 3 seinen Ausdruck finde; und den Gesetzgeber „ratione necessitatis“, den nach Art. 48 Abs. 2 Maßnahmen erlassenden Reichspräsidenten.141 Alle diese außerordentlichen Gesetzgeber konkurrierten mit dem ordentlichen 137

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Vgl. Muth, Carl Schmitt; Grimm, Verfassungserfüllung. Selbst Schmitts enger Mitarbeiter Ernst Rudolf Huber zeigte sich viele Jahre später überzeugt, daß Schmitt aktiven Anteil an der Vorplanung des Preußenschlags gehabt habe (Huber, Carl Schmitt in der Reichskrise, S. 38). Nach der neueren Forschung ist diese Annahme unbegründet: vgl. Seiberth, Legalität oder Legitimität? S. 144 sowie den Eintrag im Tagebuch vom 20.7.1932: „Traurig, daß ich nicht dabei war“: Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 201. Söllner, Aufstieg und Niedergang, S. 305. Vgl. Schmitt, Legalität und Legitimität (1932), in: Schmitt 1973, S. 284 ff. Ebd., S. 282. Vgl. ebd., S. 309, 312 f., 319.

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und gefährdeten „das folgerichtige Legalitätssystem des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates“ derart, daß es „in einer solchen Lage dem Ansturm seiner drei außerordentlichen Rivalen nicht standzuhalten vermag.“142 Mit einer solchen Verfassung, so das Fazit, sei der Bürgerkrieg nicht mehr zu verhindern, eine „Neugestaltung der Verfassung“ deshalb notwendig, ja unvermeidlich.143 In welche Richtung eine solche Neugestaltung zu erfolgen habe, ließ Schmitt nicht im Unklaren. Der Schwerpunkt des Umbaus habe nicht auf den politischen Formprinzipien zu liegen, wie sie im ersten Hauptteil der Weimarer Reichsverfassung ihren Niederschlag gefunden hätten, sondern auf dem „Versuch einer substanzhaften Ordnung“ im zweiten, „Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen“ überschriebenen Hauptteil. „Der Kern des zweiten Hauptteils der Weimarer Verfassung verdient, von Selbstwidersprüchen und Kompromißmängeln befreit und nach seiner inneren Folgerichtigkeit entwickelt zu werden. Gelingt das, so ist der Gedanke eines deutschen Verfassungswerkes gerettet.“144 Als am 25. September 1932 die Reichsregierung, vertreten durch das Reichswehrministerium bzw. die Berater Schleichers, auf Schmitt zukam und ihm die Federführung bei der Ausarbeitung einer neuen Verfassung antrug, zögerte dieser denn auch nicht und machte sich gleich an die Arbeit.145 Aus Schmitts Tagebuch geht hervor, weshalb aus diesem Unternehmen nichts wurde. Schon drei Tage später wurde Schmitt in die Reichskanzlei bestellt und erfuhr dort von Papen, dem noch amtierenden Kanzler, er habe sich mit dem Reichsinnenministerium in die Arbeit zu teilen, also mit Wilhelm Freiherrn von Gayl (1879–1945), der erst unlängst mit Plänen zur Verfassungsrevision hervorgetreten war, die letztlich auf eine „Restauration der Hohenzollernmonarchie (…) mit dem Reichspräsidenten Hindenburg als Platzhalter“ hinausliefen.146 Von solchen Plänen hielt Schmitt nichts. Er war wohl 142 143 144

145 146

Ebd., S. 335. Ebd., S. 343 f. Ebd., S. 344 f. Mit Blick auf das zu Beginn dieses Kapitels Gesagte verdient festgehalten zu werden, daß diese Begeisterung für den zweiten Hauptteil etwas überraschend kommt, hatte Schmitt ihn doch erst unlängst eher abschätzig als Sammelsurium mehrdeutiger Formeln abgetan, in dem „so viele Widersprüche verankert sind, daß man bei fast jedem wichtigen Gesetz behaupten kann, es sei verfassungswidrig.“ So Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung (1929), in: Schmitt 1973, S. 82; Die Weimarer Verfassung (1930), S. 34; Der Hüter der Verfassung (1969), S. 48. An anderer Stelle ging er so weit, anstatt des zweiten Teils den ersten zum Angelpunkt der Auslegung zu machen: „Der erste, organisatorische Hauptteil der Reichsverfassung muß der politisch entscheidende Teil bleiben. Er enthält eine mit vollem Bewußtsein getroffene Entscheidung gegen den politischen Aufbau des Reiches auf einer Wirtschaftsverfassung.“ (Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates [1930], in: Schmitt 1973, S. 43). Vgl. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 219; Pyta und Seiberth, Staatskrise, S. 603. Vgl. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 220; Pyta und Seiberth, Staatskrise, S. 604; Pyta, Verfassungsumbau, S. 191. Die Pläne von Gayls implizierten neben einer Änderung des Mißtrauensrechts des Reichstags u. a. die Einführung einer ersten Kammer, die sich aus Vertretern der Länder und der Wirtschaft sowie aus vom Reichspräsidenten ernannten Persönlichkeiten zusammensetzen sollte; die Einführung eines Pluralwahlrechts mit Zusatzstimmen für Familienernährer und Kriegsteilnehmer; die Heraufsetzung des Wahlalters; die Abschaffung des Listen- und Verhältniswahlrechts und die Einrichtung von Einmannwahlkreisen. Vgl. Hörster-Philipps, Konservative Politik, S. 327 ff.

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bereit, mit seiner juristischen Expertise den offenen Verfassungsbruch zu decken, wie seine Mitarbeit an der Notstandsplanung von Ende August 1932 zeigt,147 und er war auch bereit für einen radikalen Neustart, da er sonst kaum den Auftrag für den Entwurf einer neuen Verfassung übernommen hätte. Eine bloße Reform der bestehenden Verfassung aber war ihm zu wenig. Anstatt dafür in die Schlacht zu gehen und die Kräfte zu verbrauchen, erschien ihm eine Interimslösung besser, die an die noch einigermaßen funktionsfähigen Teile der bestehenden Ordnung anknüpfte und zunächst eine Sicherung der staatlichen Organisation unternahm, bevor man an eine neue Verfassung denken konnte.148 Schon 1930 hatte er sich in einem Vortrag vor dem Langnam-Verein gegen die Bestrebungen zu einer Verfassungs- oder Reichsreform ausgesprochen, die ihm zu summarisch und die Schwierigkeiten der heutigen Lage verkennend erschienen. Die verfassungsmäßigen Mittel, die der Regierung zu Gebote stünden, seien größer und wirksamer, als man sich dies bisher vorgestellt habe und sollten deshalb zunächst einmal vollständig ausgeschöpft werden.149 Zwei Jahre später – die Regierung hatte inzwischen ihren Auftrag für die neue Verfassung storniert150 – sprach Schmitt erneut vor dem LangnamVerein und erteilte der Forderung nach bloßer Reform eine weitere Absage. Das deutsche Volk habe „keinen Beruf zur Verfassungsgesetzgebung“, jedenfalls nicht in dem gegenwärtigen Sinn einer Verfassungsänderung nach den Modalitäten des parlamentarischen Gesetzgebungstaates, wie sie Art. 76 Abs. 1 der WRV vorsah.151 Das sei indes kein Fehler. Eine Verfassung sei schnell gemacht, „sie liegt, wenn es sein muß, in wenigen Minuten fertig auf dem Tisch. Aber wenn sie einmal da ist, so wird man sie nicht so leicht wieder los; sie ist dann nämlich eine Quelle der Legalität. (…) Wenn wir jetzt eine neue Legalität improvisieren und neben die bisherigen Einrichtungen der Weimarer Verfassung, die von ihren Urhebern für nicht mehr als einen Notbau gehalten wurde, neue Einrichtungen setzen, so schaffen wir neue Legalitäten, und damit neue Schutzwälle für verschiedenartige Interessen, die sofort hinter den neuen legalen Wällen Deckung neh-

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151

Vgl. Pyta und Seiberth, Staatskrise, S. 597. Nicht zu Unrecht sieht Ellen Kennedy in Carl Schmitt den „premier theorist of ‚interim regimes‘ and ‚transitional states‘“: Constitutional Failure, S. 172. Vgl. Carl Schmitt: Eine Warnung vor falschen Fragestellungen, in: Der Ring 3, 1930, S. 344–345. Das Tagebuch hält für den 2.11.1932 einen Besuch des Beraters von Schleicher, Eugen Ott, bei Schmitt fest: „um 5 kam Ott, sah nicht gut aus, er erzählte von Leipzig. Er soll für später die Verfassung machen, in Ruhe und ohne Gayl und das Reichsministerium des Innern.“ (Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 [2010], S. 229). Schmitt muß diese Entscheidung mit erheblicher Erleichterung aufgenommen haben, lassen doch die voranstehenden Eintragungen erkennen, wie schwer er sich mit dem Auftrag tat, einen mit den Ideen des Papen-Kreises kompatiblen Entwurf zustande zu bringen. „Die Verfassung kann im Wege der Gesetzgebung geändert werden. Jedoch kommen Beschlüsse des Reichstags auf Abänderung der Verfassung nur zustande, wenn zwei Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl anwesend sind und wenigstens zwei Drittel der Anwesenden zustimmen. Auch Beschlüsse des Reichsrats auf Abänderung der Verfassung bedürfen einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen.“ Zur Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der Verfassungsänderung gemäß der WRV vgl. Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, S. 145 ff.

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men werden.“152 Das Gebot der Stunde sei eben nicht Legalität, sondern Legitimität, wie sie im Rahmen der bestehenden, allesamt hinfälligen und denaturierten Verfassungseinrichtungen nur mehr von einer einzigen Instanz verkörpert werde: dem Reichspräsidenten als der „eine(n) letzte(n) Säule unserer verfassungsmäßigen Ordnung.“153 Auf deren Stärkung hätten sich alle noch verfügbaren Energien zu konzentrieren, um von dieser Basis aus dann die neue Ordnung anzugehen, die im wesentlichen die alte sein würde: die „Gegen-Verfassung“ des zweiten Hauptteils der Weimarer Verfassung, der von seinen Inkonsistenzen befreite bürgerliche Rechtsstaat. Was bei Schmitt hier noch zusammen gedacht war: die partielle Verwerfung der bestehenden Verfassung und das gleichzeitige Bestreben, staatliche Kontinuität bis zur Schaffung einer neuen Verfassung zu sichern, verteilte sich bei seinen sozialistischen Kritikern auf verschiedene Autoren und bei diesen z. T. auch noch auf verschiedene Phasen. Noch am größten war die Bereitschaft zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen bei Ernst Fraenkel. Er, der wie Kirchheimer und Neumann lange Zeit die Hauptgefahr im Bürokratie-Absolutismus gesehen und vor der Ausweitung der Präsidialgewalt gewarnt hatte, rückte im Herbst 1932 unter dem Eindruck der anhaltenden Wahlerfolge der Nationalsozialisten von dieser Einstellung ab und begann Überlegungen zu einer Verfassungsreform zu entwickeln, die die parlamentarische Demokratie durch eine Zeit hindurchführen sollten, in der „die Volkswahl nicht zur Bildung eines voll handlungsfähigen Parlaments führt.“154 Hatte er gegenüber Schmitts Ideen noch im Oktober 1932 eine überwiegend kritische Haltung eingenommen, so griff er im Dezember dessen Statement auf, daß die Verfassung einem mehrheitsfähigen Reichstag alle Rechte und Möglichkeiten biete, deren ein Parlament bedarf, um sich als den maßgebenden Faktor der staatlichen Willensbildung durchzusetzen, und verknüpfte dies mit der Frage, mit welchen Mitteln diese Potentialität in Aktualität verwandelt werden könne, anders gesagt: wie das aktionsfähige Parlament in seiner Aktivität zu steigern, das aktionsunfähige Parlament gegen sich selbst zu schützen sei.155 Auch seine Lösungsvorschläge lagen auf einer Linie, die von Schmitt nicht weit entfernt war. Hatte dieser in seiner Verfassungslehre den Art. 54 WRV, der die Regierung an das Vertrauen des Reichstags band, so ausgelegt, daß ein Mißtrauensbeschluß bei radikaler Verschiedenheit der das Votum tragenden Parteien reine Obstruktion sei, weshalb eine Pflicht zum Rücktritt nicht bestehen könne,156 so spitzte Fraenkel dies, nun allerdings ohne Schmitt zu erwähnen, zu der Forderung zu, „daß ein Parlament, das zur Approbation nicht fähig ist, das Recht zur Reprobation verwirkt.“ Entsprechend lautete sein Änderungsvorschlag für Art. 54, „einem Mißtrauensvotum des Parlaments gegen den Kanzler oder Minister nur dann die Rechtsfolge des Rücktrittszwanges zu verleihen, wenn die Volksvertretung 152

153 154 155 156

Carl Schmitt: Gesunde Wirtschaft im starken Staat, in: Mitteilungen des Vereins zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen 1932, Nr. 21, S. 13–32. Zit. n. dem Wiederabdruck unter dem Titel: Starker Staat und gesunde Wirtschaft, in: Volk und Reich 9, 1933, S. 81–94, 93. Ebd., S. 86. Fraenkel, Verfassungsreform und Sozialdemokratie (1932), in: Fraenkel 1999, Bd. 1, S. 525. Vgl. ebd., S. 521 f.; Schmitt, Hüter der Verfassung (1969), S. 131. Vgl. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 345.

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das Mißtrauensvotum mit dem positiven Vorschlag an den Präsidenten verbindet, eine namentlich präsentierte Persönlichkeit an Stelle des gestürzten Staatsfunktionärs zum Minister zu ernennen.“157 Außerdem sollte das Recht des Reichstags, die Außerkraftsetzung der nach Art. 48 Abs. 1 und 2 ergangenen Maßnahmen des Reichspräsidenten zu verlangen, dadurch eingeschränkt werden, daß der Präsident die Entscheidung über die Aufrechterhaltung einer Notverordnung dem Votum des Volkes unterbreiten sollte – Vorschläge, die in der Summe geeignet waren, die Kontrollrechte der Legislative gegenüber der Exekutive stark zu reduzieren, so daß nach ihrer Durchführung ein Präsidialregime vom Parlament nicht mehr viel zu befürchten gehabt hätte.158 Der Vorwurf indes, Fraenkel habe damit „die ersatzmonarchischen Anlagen Weimars zumindest willensevokatorisch (?) gestärkt und so gewissermaßen zusätzlichen Wind in die Segel der Demokratiefeinde geblasen“,159 setzt sich allzu leichtfertig über die Tatsache hinweg, daß die Demokratiefeinde eben nicht nur im Präsidentenpalais, sondern auch, und zwar in stattlicher Anzahl, im Reichstag saßen und sich anschickten, eine Koalition zu bilden, deren destruktives Potential dasjenige der Präsidialgewalt um ein Vielfaches überstieg, wie sich nur zu bald zeigen sollte. „Jede Aktivierung des Parlaments, jedes Pochen auf Wiederherstellung parlamentarischer Verhältnisse“, das hat Wolfram Pyta zu Recht herausgestellt, lief unter den im Herbst 1932 obwaltenden Bedingungen „letztlich darauf hinaus, der Hitler-Partei mit ihrer strategischen Mehrheit im Reichstag das Einfallstor zur Regierungsmacht zu öffnen.“160 Man wird Fraenkel zugestehen müssen, dies rechtzeitig erkannt zu haben. Daß er die Verwirklichung seiner Intentionen indes an eine Verfassungsreform band, die von den gleichen politischen Kräften abhängen würde, die die Krise allererst verursacht hatten, steht auf einem anderen Blatt und läßt Schmitt, der nicht auf Reform, sondern auf Oktroi setzte, in diesem Punkt als den größeren Realisten erscheinen. Es spricht nicht für die politische Urteilskraft Otto Kirchheimers, daß er in seiner Kritik an Fraenkels Vorschlägen diese Problematik gänzlich ausblendete. Statt dessen schnitt er sich die Dinge so zu, als bestünde nur die Wahl zwischen einer Präsidialdiktatur, die durch eine Verfassungsreform im Fraenkelschen Sinne gestärkt würde, und einer sozialistischen Demokratie, deren Chancen durch eine solche Reform gemindert würden. Kirchheimer empfahl eine Doppelstrategie, die auf juristischer Ebene auf Defensive, auf politisch-gesellschaftlicher Ebene dagegen auf Offensive setzte.161 Gegenüber den ver157

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Fraenkel, Verfassungsreform und Sozialdemokratie (1932), in: Fraenkel 1999, Bd. 1, S. 523. Das ist im Kern das sogenannte konstruktive Mißtrauensvotum, das später ins Grundgesetz Eingang gefunden hat (Art. 67 Abs. 2). Fraenkel hat dafür Urheberrechte reklamiert, was freilich insofern nicht zutrifft, als die Idee bereits bei Schmitt vorlag und etwa zeitgleich noch von einem anderen Staatsrechtler, Heinrich Herrfahrdt, formuliert wurde. Vgl. dazu Berthold, Das konstruktive Mißtrauensvotum; Burchardt, Der Staat der Ungeduldigen. Vgl. Berthold, Das konstruktive Mißtrauensvotum, S. 94. Burchardt, Der Staat der Ungeduldigen, S. 174. Pyta, Verfassungsumbau, S. 176. Vgl. Perels, Weimarer Demokratie und gesellschaftliche Machtverhältnisse, S. 59 f. Daß Perels’ allzu wohlwollende Deutung die Distanz zu gering veranschlagt, die bei Kirchheimer gegenüber der Weimarer Verfassung festzustellen ist, moniert mit Recht Intelmann, Franz L. Neumann, S. 119 ff.

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fassungsreaktionären Bestrebungen des Papen-Kreises rekurrierte er auf Schmitts Lehre von den grundlegenden Institutionen, die auch von der Präsidialgewalt nicht angetastet werden dürften und beharrte darauf, „jede staatsrechtliche Streitfrage auf der Basis der Weimarer Verfassung“, womöglich sogar vor dem Staatsgerichtshof, zu entscheiden.162 Gleichzeitig erklärte er jedoch eben diese Verfassung insofern für obsolet, als das Bürgertum längst jede Konzessionsbereitschaft gegenüber den arbeitenden Klassen aufgegeben habe und zur offenen Reaktion, ja zur „Verfassungsrevolution“ übergegangen sei.163 Mit dem Preußenschlag habe die Regierung gezeigt, daß sie auf einen „planmäßigen Vernichtungsprozeß“ sowohl der organisatorischen als auch der grundrechtlichen Prinzipien der Verfassung aus sei, woraus sich „notwendig eine veränderte Stellung der Arbeiterklasse zu staatlichen Dingen“ ergebe.164 Eine sichere Garantie für ein allseitig legales Verhalten sei damit nicht mehr gegeben, die Sozialdemokratie habe sich auf den „Zerfall einer zentralen Verfassungsvorstellung“ einzustellen.165 Die Verfassung reformieren zu wollen, sei in dieser Lage illusorisch. Alles, was auf diese Weise erreicht werde, sei eine weitere Verstärkung der Exekutive, eine „Legalisierung bürokratischer Herrschaftsmethoden“, an deren „Funktionieren schlechthin“ es „ein allgemeines Interesse (…) nicht geben (kann)“.166 Nicht dem Staat und dem Recht habe das primäre Engagement der Sozialdemokratie zu gelten, sondern der „Neuordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse selbst“. Dafür biete die Demokratie wohl „eine durchaus brauchbare Rechtsform, da hier der staatliche Wille dem souveränen Volk entspringt“, doch befinde man sich heute in einer Lage, in der „einzelne Gruppen nicht mehr geneigt sind, sich diesem Volkswillen zu unterwerfen, und damit die Voraussetzungen der Demokratie zerstören“. Eine Reform der Demokratie sei jetzt „ein unzulängliches Aushilfsmittel. Dann muß eben der Durchbruch neuer sozialer Formen erst wieder die Voraussetzung für die Demokratie überhaupt neu erschaffen.“167 Daß dieser Durchbruch in Gestalt eines „Bürgerkriegs“ erfolgen sollte, wurde von Kirchheimer allerdings erst gesagt, als die radikale Rechte bereits zum Terror gegen den politischen Gegner übergegangen war.168 Auch Franz Neumann, der von seinen ersten Arbeiten an für eine Bejahung des Staates durch den Sozialismus eingetreten war,169 gab 1932 die Weimarer Ordnung verloren. In einem ausführlichen Brief an Carl Schmitt, der ihm Legalität und Legitimität geschickt hatte, dankte er für die Sendung und teilte mit, das Buch „mit größter Spannung bereits zweimal gelesen“ zu haben. In der Kritik an der parlamentarischen Demokratie stimme er „restlos“ mit Schmitts Diagnose überein; seine eigene Aufgabe sehe er darin, diese „auch ökonomisch und soziologisch zu fundieren.“ Der Versuch, die Weimarer Republik auf den Kompromiß zwischen den beiden entscheidenden Freund/Feind162 163 164 165 166 167 168 169

Kirchheimer, Die Verfassungslehre des Preußen-Konflikts (1932), in: Kirchheimer 1972, S. 45 f., 48. Kirchheimer, Verfassungsreaktion 1932 (1932), in: Kirchheimer 1972, S. 64. Kirchheimer, Die Verfassungslehre des Preußen-Konflikts (1932), in: Kirchheimer 1972, S. 58. Kirchheimer, Verfassungsreform und Sozialdemokratie (1933), in: Kirchheimer 1972, S. 81 f. Ebd., S. 88, 83. Kirchheimer, Die Verfassungsreform (1932), in: Kirchheimer 1981, S. 112. Vgl. Kirchheimer, Marxismus, Diktatur und Organisationsform des Proletariats (1933), in: Kirchheimer 1972, S. 106. Vgl. Intelmann, Franz Neumann: Weimar, Nationalsozialismus – und was dann? S. 58 ff.

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Gruppierungen in Deutschland, Arbeit und Eigentum, zu gründen, habe mit einem „ungeheuerlichen Mißerfolg“ geeendet, der parlamentarische Gesetzgebungsstaat, auf den man sich geeinigt habe, sei „handlungsunfähig“. Wolle man nicht, wie die Regierung Papen dies anstrebte, die „scheinbar zwischen den Klassen stehende Staatsgewalt durch irgendwelche verfassungsrechtliche Einkleidungen (Ständestaat, Oberhaus, Wahlrechtsänderung) stabilisieren, so bleibt für die beiden kämpfenden Gruppen nur das Streben nach politischer Alleinherrschaft übrig, mit dem festen Willen, auch bei Aenderung der parlamentarischen Situation diese ihre Herrschaft nicht abzugeben. Das aber bedeutet das Ende des parlamentarischen Systems.“170 Ob es möglich sei, den Übergangszustand zwischen zwei Wirtschaftssystemen verfassungsrechtlich zu organisieren, war Neumann inzwischen zweifelhaft geworden. Schmitt freilich, das übersah Neumann ebenso wie Kirchheimer, wollte nur Teile der Verfassung und schon gar nicht den Staat aufgeben. Gewiß: was an staatlicher Ordnung noch blieb, wenn man die Grundrechte und die parlamentarisch-demokratische Form der Willensbildung abzog, war eine „Verfallsform der Verfassung“:171 ein autoritäres Regime, das sich auf die Kräfte des Beamtentums und des Militärs stützte und lediglich durch die auf Repräsentation basierende auctoritas des gewählten Präsidenten gedeckt wurde.172 Aber es war immer noch: ein Staat, ein „Gesamtzustand politischer Einheit und Ordnung“, in dem die Entscheidungsgewalt beim Souverän monopolisiert war,173 während sie sich nach dem 30. Januar 1933 zunächst in das von Fraenkel beschriebene dualistische System von Maßnahmen- und Normenstaat aufsplitterte,174 um bald darauf in jenes Oligopol aus Partei, Staatsbürokratie, Großindustrie und Armee überzugehen, dem Neumann aus guten Gründen die Bezeichnung „Staat“ nicht mehr zugestehen wollte.175 Man kann Kirchheimer & Co nicht vorwerfen, daß sie diese Entwicklung nicht vorhergesehen haben, war doch der Zivilisationsbruch, der sich mit dem NS-Regime vollzog, ein so präzedenzloses Ereignis, daß es jegliche politische Vorstellungskraft sprengte. Im Rückblick ist jedoch festzustellen, daß Schmitt 1932 auf das kleinere Übel gesetzt hat, während es für die sozialistischen Juristen mit dem Ende der Ära Brüning anscheinend nur mehr geringfügige Unterschiede zwischen Papen, Schleicher und Hitler gab. Das, was in mancher Hinsicht ihre Stärke war – das vom Marxismus übernommene Dogma, den Staat als „eine Einrichtung der Gesellschaft“ und alle politischen Kategorien als „Mittel“ oder gar „Waffe“ zu sehen, im politischen Kampf alle Energien auf das Erreichen der klassenlosen Gesellschaft als „Zustand eines Nicht-mehrStaat-Seins“ zu konzentrieren176 – schlug ihnen in diesem Punkt zur Schwäche aus, in170 171 172 173 174 175 176

Franz L. Neumann an Carl Schmitt, Brief vom 7.9.1932, Nachl. Schmitt, RW 265–10358. Preuß, Carl Schmitt, S. 161. Vgl. Schmitt, Legalität und Legitimität (1932), in: Schmitt 1973, S. 341. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 3; Politische Theologie (1979), S. 20. Vgl. Fraenkel, Das Dritte Reich als Doppelstaat (1937), in: Fraenkel 1999, Bd. 2; The Dual State (1941). Vgl. dazu meine Studie: Ernst Fraenkel und die Struktur faschistischer Herrschaft. Vgl. Neumann, Behemoth; vgl. dazu Bast, Totalitärer Pluralismus. Kirchheimer, Verfassungsreaktion 1932 (1932), in: Kirchheimer 1972, S. 70; Verfassungsreform und Sozialdemokratie (1933), in: Kirchheimer 1972, S. 79; Zur Staatslehre des Sozialismus (1928), in: Kirchheimer 1981, S. 34. Sehr deutlich wird dieses instrumentalistische Verständnis bei Kirchheimers Lehrmeister Max Adler, der die demokratische Republik deswegen bejaht, weil sie für das

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dem es sie veranlaßte, den Eigenwert staatlicher, auch bürokratischer Institutionen zu unterschätzen und sich für deren Erhaltung nur solange einzusetzen, wie sie den sozialistischen Interessen dienlich waren.177 Erst die Emigration öffnete ihnen die Augen und brachte sie dazu, jene gleichsam „negative Staatsrechtslehre“ des NS-Regimes zu entwerfen, in der heute mit Recht ihr bleibendes Verdienst gesehen wird.178

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Proletariat „eine unentbehrliche Waffe, ein gewaltiges Mittel“ darstelle, seine revolutionären Ziele zu verwirklichen: vgl. Max Adler: Politische oder soziale Demokratie (1926), zit. n. Bavaj, Von links gegen Weimar, S. 213. Vgl. in diesem Sinne besonders ausgeprägt: Kirchheimer, Verfassungsreform und Sozialdemokratie (1933), in: Kirchheimer 1972, S. 82 f., 91. Vgl. die Würdigung bei Dreier, Die deutsche Staatsrechtslehre in der Zeit des Nationalsozialismus, S. 61.

VI Von der nationalen Demokratie zum totalen Staat

Nach dem Hüter der Verfassung verschwand die „nationale Demokratie“ aus Schmitts Vokabular. Für die Gründe dafür hat man sich bislang wenig interessiert, schien doch für viele bereits die Voraussetzung, Schmitt könne irgendetwas mit Demokratie im Sinn gehabt haben, jenseits des Denkmöglichen zu liegen. Da jedoch hieran zumindest in dem Sinne kein Zweifel sein kann, daß Schmitt sich auf den Boden der Volkssouveränität gestellt, ja sein Denken wesentlich auf eine Mobilisierung der wie immer auch autoritär verstandenen Demokratie gegen den Liberalismus ausgerichtet hat, stellt sich die Frage nach den Motiven, die ihn zum Revirement seiner Begrifflichkeit veranlaßt haben. Nimmt man den zeitgenössischen Diskussionskontext in den Blick, dann fallen zwei Diskurse auf, die dafür in Frage kommen: eine Auslegung der „nationalen Demokratie“ in Richtung eines sozialen Nationalismus; und eine Kritik des Demokratiebegriffs, die diesen mit den im Hüter der Verfassung perhorreszierten Tendenzen zur Totalisierung der „Gesellschaft“ in Zusammenhang brachte. Der ersten Deutung begegnete Schmitt in der Zeitschrift Die Tat; der zweiten in den Arbeiten des Soziologen Heinz O. Ziegler. Beide Deutungen veranlaßten ihn 1932, das Konzept der „nationalen Demokratie“ aufzugeben und auf ein anderes Register umzuschalten, in dem der Staat wieder von zentraler Bedeutung war und der Demokratiebegriff in der Form der „Liberaldemokratie“ auf die Seite des Feindes rückte.1 1. Seinen Vortrag zur Reichsgründungsfeier, in dem er Hugo Preuß’ Glauben an die „nationale Demokratie“ beschwor, hielt Carl Schmitt am 18. Januar 1930 in der Berliner Handelshochschule.2 Unter den Zuhörern mögen auch einige Redakteure der Tat gewesen sein, war man doch dort schon im November 1929 auf Schmitts Parlamentarismuskritik aufmerksam geworden, die ihn als einen der ‚führenden deutschen Denker‘ erscheinen 1 2

Vgl. etwa Schmitt, Staat, Bewegung, Volk (1933), S. 22 ff. Vgl. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 6.

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ließ.3 Das 1909 gegründete Flaggschiff des Diederichs-Verlages war kurz zuvor einer Generalüberholung unterzogen worden, die sich in einer Verjüngung der Redaktion, einer Vereinheitlichung des Erscheinungsbildes, einem neuen, militanten Ton sowie einer entschiedenen Politisierung bemerkbar machte – Änderungen, die binnen kürzester Frist einen beachtlichen Auflagensprung auslösten.4 Der leitende Geist der neuen Redaktion, dem auch der erste Hinweis auf Schmitt zu verdanken war, war Hans Zehrer (1899– 1966). Noch 1917 als Freiwilliger im Kriegseinsatz an der Westfront, hatte er 1920 am Kapp-Putsch teilgenommen, anschließend bei Harnack, Sombart und Troeltsch studiert und 1923, ohne sein Studium abzuschließen, die Journalistenlaufbahn eingeschlagen, die ihn zunächst zur Vossischen Zeitung und im Herbst 1929 zur Tat führte. Ihm zur Seite standen Ferdinand Fried (1898–1967), der nach dem Studium der Nationalökonomie in Berlin bei Sombart und Sering zunächst als Wirtschaftsredakteur bei der Berliner Morgenpost gearbeitet hatte, sowie Ernst Wilhelm Eschmann (1904–1987), ein Assistent Alfred Webers in Heidelberg, bei dem er 1928 über die Sozialpolitik des Faschismus promovierte.5 Während man dem Urteil Reinhard Mehrings, Schmitt habe zum Tat-Kreis nur losere Kontakte gehabt, mit Bezug auf Zehrer, Fried und Eschmann durchaus zustimmen kann6 – die Tagebücher verzeichnen nur wenige Begegnungen – , gilt dies jedoch für zwei weitere Mitglieder dieses Kreises nicht: für den Pädagogen Horst Grueneberg und den Nationalökonomen Giselher Wirsing. Grueneberg, Jahrgang 1900, hatte 1918–1922 Philologie, Philosophie und Pädagogik in Berlin, u. a. bei Ernst Troeltsch studiert, infolge der Inflation jedoch das Studium abbrechen müssen. Nach zeitweiliger kaufmännischer Betätigung besuchte er die Handelshochschule in Berlin, wurde 1925 Diplom-Handelslehrer und lehrte seitdem an der Handelslehranstalt in Frankfurt/O., deren Direktor er 1930 wurde. Daneben entfaltete er eine rege publizistische Tätigkeit, die ihn außer mit der Tat mit zahlreichen Zeitschriften und Zeitungen in Verbindung brachte, darunter Die deutsche Schule, Volk im Werden, Heilige Ostmark sowie die Deutsche Zeitung und die Tägliche Rundschau.7 Mit Schmitt, als dessen Schüler er sich brieflich bekannte,8 korrespondierte er, tauschte Druckfahnen und fertige Artikel aus und traf ihn auch öfters persönlich, wie Schmitts Tagebüchern zu entnehmen ist.9 Der sieben Jahre jüngere Gi3 4

5 6 7 8 9

Vgl. Hans Zehrer: Der Weg in das Chaos, in: Die Tat 21, H. 8, November 1929, S. 563–577, 567 ff. Vgl. Sontheimer, Der Tatkreis; Fritzsche, Politische Romantik und Gegenrevolution; Faye, Totalitäre Sprachen, Bd. 1, S. 443 ff.; Hanke und Hübinger, Von der „Tat“-Gemeinde zum „Tat“-Kreis; Heidler, Der Verleger Eugen Diederichs und seine Welt, S. 833 ff.; Hübinger, Die Tat und der TatKreis. Nach den Untersuchungen von Heidler muß die oft kolportierte Auflagenhöhe von 30.000 Exemplaren auf ca. 8.500 Exemplare im Abonnement und 10.000 im freien Verkauf reduziert werden (S. 840) – immer noch eine beachtliche Zahl für eine Zeitschrift. Zur Biographie von Zehrer und Fried vgl. Demandt, Von Schleicher zu Springer; zu Eschmann: Plöger, Soziologie in totalitären Zeiten. Vgl. Mehring, Carl Schmitt, S. 270. Vgl. Pöhls, Die „Tägliche Rundschau“, S. 586 f. Vgl. Horst Grueneberg an Carl Schmitt, Brief vom 30.6.1930, Nachl. Schmitt, RW 265–5372. Vgl. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 84, 107, 116, 118, 151, 170, 244. Einige Briefe Gruenebergs haben sich im Nachl. Schmitt erhalten. Aus ihnen geht auch der spätere Lebensweg

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selher Wirsing war ein Schüler des in Heidelberg lehrenden, mit Schmitt befreundeten Nationalökonomen Carl Brinkmann,10 bei dem er 1931 mit einer Arbeit über „Zwischeneuropa und die deutsche Zukunft“ promovierte, die ein Jahr später in der Reihe der Tat-Schriften bei Diederichs erschien.11 Mit Schmitt dürfte er spätestens im Juni 1932 auf der Tagung des DHV in Lobeda Bekanntschaft geschlossen haben, wenn nicht schon früher im Rahmen der im Sommer/Frühherbst 1931 von Adolf Morsbach gegründeten „Politischen Arbeitsstelle“, einem informellen Kreis, der sich mit Fragen der Verfassungsreform befaßte.12 Auch mit Wirsing verzeichnet Schmitts Tagebuch eine Reihe von Begegnungen.13 Mit Wilhelm Daniels (1903–1977), war gar ein Doktorand von Carl Schmitt in der Tat vertreten, allerdings deutlich seltener als Grueneberg und Wirsing.14 Nach Zehrers eingangs erwähntem Introitus vom November 1929 setzte die SchmittRezeption der Tat mit drei Texten ein, die Horst Grueneberg zwischen Mai und August 1930, in den ersten Monaten der Regierung Brüning also, veröffentlichte. Der erste Beitrag, „Zur Theorie des Antiparlamentarismus“, wollte dem Parlamentarismus zwar noch nicht den Totenschein ausstellen, bot aber mit Smend, Schmitt und Leibholz gleich drei Ärzte auf, die den nahenden Exitus diagnostizierten. Aus Smends Verfassung und Verfassungsrecht griff Grueneberg die Passagen auf, die den idealen Staat – den Staat der allseitigen Integration – im (italienischen) Faschismus verwirklicht sahen – eine Auffassung, die sich der Autor in einer späteren Darstellung zumindest insofern zu eigen machte, als ihm das Regime Mussolinis immerhin als „Übergangserscheinung zur nationalen Demokratie“ legitimiert erschien.15 Von Leibholz kamen dessen Ausführungen zur Krise der Repräsentation zur Sprache, während von Schmitt vor allem die Verfassungslehre herangezogen wurde. Neben der Unterscheidung zwischen pouvoir constituant und pouvoir constitués interessierte sich Grueneberg dabei besonders für diejenigen Aspekte der Demokratie, die sie als mit einer Diktatur vereinbar erscheinen ließen, also insbesondere der Rekurs auf die Akklamation bzw. Herrschaft der öffentlichen Meinung.16 Auf diese erste Sichtung der staatsrechtlichen Debatte folgte ein Überblick über die verfassungspolitische Lage in den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Deutschland, der als allgemeine Tendenz in den modernen Demokratien einen „Zug zur Stärkung

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Gruenebergs hervor, der nach 1945 an die Universität Göttingen führte. Auf Vermittlung Werner Webers, eines weiteren Schülers von Schmitt, lehrte Grueneberg dort von 1953 bis 1971 Wirtschaftspädagogik, seit 1963 als Honorarprofessor. Vgl. Horst Grueneberg an Carl Schmitt, Brief vom 9.11.1975, Nachl. Schmitt, RW 265–5385. Zu Carl Brinkmann und seiner Freundschaft mit Schmitt vgl. Blomert, Intellektuelle im Aufbruch, S. 26 ff. Vgl. Pöpping, Giselher Wirsings ‚Zwischeneuropa‘. Vgl. Petzinna, Erziehung zum Lebensstil, S. 254 f., 261. Zur Tagung in Lobeda vgl. Koenen, Der Fall Carl Schmitt, S. 165 sowie in diesem Buch Kap. VI. Vgl. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 201 f., 204, 207, 214, 265 f. Die Briefe Wirsings im Nachl. Schmitt datieren erst ab 1937: vgl. RW 265–18325 ff. – Einiges zum Verhältnis zu Schmitt auch bei Blindow, Carl Schmitts Reichsordnung, S. 114 ff. Vgl. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 84. Vgl. Horst Grüneberg: Zur Theorie des Antiparlamentarismus, in: Die Tat 22, H. 2, Mai 1930, S. 115–123, 118. (In späteren Texten wird die Schreibweise des Namens auf Grueneberg umgestellt); Dictator ante portas! In: Die Tat 22, H.3, Juni 1930, S. 194–203, 201. Vgl. Grüneberg, Zur Theorie des Antiparlamentarismus, S. 120.

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der Exekutive ohne Aufgabe demokratischer Grundsätze“ ausmachte.17 Überall verschöben sich die Gewichte von der parlamentarischen Demokratie zur „Führerdemokratie“, zur „demokratischen Diktatur“, wie dies einige Jahre zuvor auch von Alfred Weber festgestellt worden war, der sicher nicht zum rechtsradikalen Lager gehörte.18 In einer impliziten Antwort auf Kirchheimers im gleichen Jahr erschienene Schrift Weimar – und was dann? schloß Grueneberg seinen Aufsatz mit der Formel „Demokratische Diktatur – was sonst?“ Was hier als alternativlose Entwicklung vorgestellt wurde, erhielt kurz vor den Septemberwahlen noch einmal eine ausführliche Begründung. Der Name Carl Schmitt fiel dabei zwar nicht, doch knüpfte die Argumentation unverkennbar an dessen Bestimmung der „nationalen Demokratie“ an,19 als deren Voraussetzung die „Gleichheit der Lebens- und Entwicklungsbedingungen für jedermann“ und als deren Ziel „die Entfaltung der nationalen Kulturgemeinschaft“ vorgestellt wurde, „die in der Wirtschaft die Grundlagen ihrer Existenz, im Staat ihre Organisation als Verband hat und in Religion und Philosophie, Kunst und Wissenschaft ihren geistigen Ausdruck findet“. Deutlich über Schmitt hinaus ging Grueneberg allerdings mit der These, daß man es mit einem dynamischen Prozeß zu tun habe, der sich auf mehreren Ebenen abspiele: als „Demokratisierung des Geistes“, welche bislang am weitesten fortgeschritten sei; als „Demokratisierung des Staates“, gegenwärtig „im vollen Fluß“; und nicht zuletzt als „Demokratisierung der Wirtschaft“, die sich noch im Anfangsstadium befinde.20 Zwar seien Sozialversicherung, Betriebsrat, Tarifhoheit und Arbeitsrecht Schritte in die richtige Richtung, doch seien dies nur erst „Vorpostengefechte“, „Selbstversicherungsversuche des Kapitalismus gegen die herandringende demokratische Springflut“.21 Was demnächst anstehe, sei die „Demokratisierung des Wohlstandes“, die nur erreicht werden könne, wenn es gelinge, die Autorität des demokratischen Staates gegenüber einer Wirtschaft durchzusetzen, „die ihre Risiken gern vom Staat mittragen läßt, aber im Einräumen finanzieller Zugeständnisse äußerst zurückhaltend sich gebärdet“.22 „Dem modernen Staat ist die schwere Aufgabe zugefallen, den kraftvollen, einheitlichen Aufbau der nationalen Demokratie gegenüber dem tiefsten Interessenkonflikt unserer Tage durchzusetzen, dem Kampf zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zwischen Besitz und Nichtbesitz. Gelingt dem heutigen Staat die Lösung dieser Aufgabe nicht, dann ist sein Schicksal besiegelt, dann wird aber auch der Fortgang der Demokratisierung in neue, noch ungewisse Bahnen gedrängt werden.“23 Daß für die Erfüllung dieser

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Vgl. Grueneberg, Dictator ante portas! S. 200. Vgl. Weber, Die Krise des modernen Staatsgedankens in Europa, S. 138 f. Näher zu dieser Konzeption und den gleichwohl bestehenden Differenzen zum Tat-Kreis vgl. Demm, Von der Weimarer Republik zur Bundesrepublik, S. 192 ff., 180. Horst Grueneberg: Warum Diktatur? In: Die Tat 22, H. 5, August 1930, S. 321–332, 323. Vgl. ebd. Daß in dem zuletzt genannten Punkt ein Dissens zu Schmitt bestand, hat Grueneberg im Briefwechsel hervorgehoben. Vgl. Horst Grueneberg an Carl Schmitt, Brief vom 30.6.1930, Nachl. Schmitt, RW 265–5372. Grueneberg: Warum Diktatur? S. 327. Ebd., S. 328. Ebd.

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Aufgabe der Rechtsstaat kein unüberwindliches Hindernis bot, glaubte Grueneberg den Schriften Carl Schmitts entnehmen zu können.24 Unmittelbar im Anschluß an Gruenebergs Artikelserie nahm Zehrer den Ball auf und bekräftigte die Forderung nach einer „vorübergehende(n) Diktatur“ als des einzigen Mittels, „die Demokratie vor dem endgültigen Untergang zu retten“ und die längst überfällige „Demokratisierung der Wirtschaft“ einzuleiten – ein Schritt, den unterlassen zu haben sein Hauptvorwurf an die Adresse Brünings war.25 Schon im Juniheft hatte er den Kanzler, dem als ehemaligen Gewerkschaftsführer er zunächst durchaus die Chance einer politischen Stabilisierung zubilligte, gemahnt, sich nicht vor den Karren der kapitalistischen Interessen spannen zu lassen. Die auch von Brüning angestrebte grundlegende Erneuerung der Staatsidee könne „nur immer auf Kosten der kapitalistischen Wirtschaft gehen“ und müsse entsprechend „antikapitalische und staatssozialistische Züge“ tragen.26 Wenn der Staat wieder Autorität genießen wolle, müsse er „eingreifen, Gerechtigkeit üben und die Oligarchie des Besitzes, der sich in immer weniger Händen zusammenballt, zerschlagen“. Er müsse „den großen, gerechten Ausgleich schaffen gegenüber der Plutokratie der Wirtschaft und des Geldes“, die „Zwingburgen des Kapitalismus“ schleifen und die „Besitzlosen und Abhängigen gegen die seelenlose Macht der Besitz-Oligarchie“ verteidigen, wie ihm dies bereits Spengler in Preußentum und Sozialismus ins Stammbuch geschrieben habe.27 Der Ausgang der Septemberwahlen, der der NSDAP den Gewinn von 107 Mandaten bescherte, ließ Zehrer einmal mehr auf Carl Schmitt zurückgreifen. Da der Reichstag arbeitsunfähig geworden sei und keine Zweidrittelmehrheit mehr zustande bringe, existiere eine verfassunggebende Gewalt nicht mehr; das Parlament sei nicht mehr in der Lage, die Staatsgewalt zu repräsentieren und müsse diese Funktion an jene Institutionen abgeben, „die allein noch die auctoritas und potestas des Staates verkörpern“, nämlich den Reichspräsidenten und die Reichswehr. Zehrer forderte sie auf, sich diese Notwendigkeit bewußt zu machen und sich „über das Parlament hinweg direkt mit dem Volk in Verbindung (zu) setzen und sich vorübergehend zu den Faktoren (zu) machen, die den wahren Volkswillen wirklich und ehrlich durchführen wollen.“ Geschehe dies, dann 24

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Vgl. Grüneberg, Zur Theorie des Antiparlamentarismus, S. 120. Auch in späteren Beiträgen ist Grueneberg immer wieder auf Schmitt zurückgekommen. 1931 griff er die im Hüter der Verfassung geübte Kritik an Pluralismus und Polykratie auf und bezeichnete das Buch als einen „Warn- und Sammelruf für alle diejenigen (…), denen die Einheit und Ganzheit des Deutschen Reiches Ziel ihres politischen Willens ist. Ist es doch der geheime Sinn aller Werke Carl Schmitts, den Sinn für politische Entscheidungen wachzuhalten, und in einer Zeit überschwenglicher Anbetung des bürgerlichen Rechtsstaatsideals, in der alle Freund-Feind-Gruppierungen in Rechtsverhältnisse umgedeutet werden, auf die Grenzen dieses Ideals hinzuweisen.“ (Mittelstandspolitik – Staatspolitik, in: Die Tat 23, H. 3, Juni 1931, S. 191–212, 203 f.). Einige Monate später feierte er die gerade erschienene Neufassung des Begriffs des Politischen als eine „Fibel des Antiliberalismus“ und den der Schrift beigegebenen Vortrag über „Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen“ als ein „Kabinettstück gesamtgeschichtlicher Deutung“ (Das neue Staatsbild II, in: Die Tat 23, H. 10, Januar 1932, S. 802–823, 803). Hans Zehrer: Zusammenbruch der bürgerlichen Parteien, in: Die Tat 22, H. 6, September 1930, S. 401–433, 403 f. Hans Zehrer: Die Etappe Brüning, in: Die Tat 22, H. 3, Juni 1930, S. 161–171, 168. Ebd., S. 165, 170 f.

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sei die Krise, die man durchlaufe, „eine Reinigungskrise, und aus den Trümmern der Radikalen hier und der privatkapitalistischen Trusts und Konzerne dort wird der neue autoritäre Staat entstehen, dessen auctoritas wie potestas neubegründet ist.“28 Nur vorübergehend schloß man sich allerdings dem von Schmitt in Anlehnung an Ernst Jüngers Wort von der „totalen Mobilmachung“ geprägten Begriff des „totalen Staates“ an.29 Am schnellsten war hier wiederum Grueneberg, der schon im Juni 1931 die erst im Aprilheft der Europäischen Rundschau von Schmitt skizzierte Stufenfolge vom absoluten über den neutralen zum totalen Staat adaptierte und die jüngere Generation der Mittelschicht aufforderte, sich zum „Kristallisationskern des totalen Staates“ zu machen.30 Drei Monate später zog Zehrer mit der Feststellung nach, man erlebe gegenwärtig erstmals in der Weltgeschichte das Ereignis einer „totalen Revolution“, deren Träger sozial nicht mehr abzugrenzen seien.31 Auch wenn die Ziele dieser Revolution – „soziale Gerechtigkeit“, „größere soziale Gleichheit“ – gegenwärtig noch nicht ins allgemeine Bewußtsein gedrungen seien, lägen die Mittel zu ihrer Vorbereitung doch auf der Hand: „die Enteignung des großen Besitzes zugunsten der besitzlosen Masse, die Überführung der über das mittlere Maß hinausgehenden privaten Produktionsmittel in die Hände des Staates“, die „Enteignung der großen Banken zugunsten des Staates“.32 Jene „liberalistischen Begriffe, wie Konkurrenz usw., die ja faktisch schon seit langem tot sind“, seien endlich über Bord zu werfen und durch eine „große(n) Planwirtschaft“ zu ersetzen, die durchaus auch den nationalstaatlichen Rahmen übersteigen könne, etwa in Form einer „deutsch-russische(n), auf gemeinsamen Bedingungen basierende(n) Planwirtschaft“.33 Schon bald darauf verschwand jedoch die Formel vom totalen Staat wieder aus dem Vokabular der Tat. In der Folge zog man es vor, vom ‚autoritären Staat‘ zu sprechen und diesen auch nicht mehr als Diktatur zu bezeichnen.34 Das hielt Zehrer jedoch nicht davon ab, in anderen Punkten auch weiterhin auf Carl Schmitt zu rekurrieren. Neben den Argumenten aus der Parlamentarismusschrift dienten ihm etwa die Ausführungen über die Action Française, Georges Sorel und den italienischen Faschismus als Schützenhilfe, die sich außer bei Schmitt selbst auch bei dessen Schüler Waldemar Gurian und dem Verfasser des von Schmitt hochgelobten Buches über

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Hans Zehrer: Die kalte Revolution, in: Die Tat 22, H. 7, Oktober 1930, S. 484–510, 510 f. Vgl. Jünger, Die Totale Mobilmachung (1930), in: Jünger 2001, S. 558 ff. Zur Begriffsgeschichte der Formel vom „totalen Staat“ vgl. mit den nötigen Abgrenzungen zum Totalitarismuskonzept: Bentin, Johannes Popitz und Carl Schmitt, S. 4, 105 ff. Ferner mit zahlreichen, wenn auch verstreuten Hinweisen: Faye, Theorie der Erzählung, S. 65 ff.; Totalitäre Sprachen. Vgl. Grueneberg, Mittelstandspolitik, S. 211 f. Schmitts Skizze erschien als Vorabdruck aus dem Hüter der Verfassung unter dem Titel „Die Wendung zum totalen Staat“, in: Europäische Revue 7, 1931, H. 4, S. 241–250. Der Aufsatz wurde von ihm 1940 in die Sammlung Positionen und Begriffe aufgenommen, dort allerdings falsch datiert auf Dezember 1931 (vgl. Schmitt 1988, S. 315). Der Hüter der Verfassung (Buchausgabe) erschien im Mai 1931. *** [Hans Zehrer]: Wohin treiben wir? In: Die Tat 23, H. 5, August 1931, S. 329–354, 341 ff. Ebd., 351, 348. Zehrer, Die kalte Revolution, S. 506; Deutschlands Weg aus der Einkreisung, in: Die Tat 22, H. 12, März 1931, S. 929–956, 954. Vgl. Pöhls, Tägliche Rundschau, S. 198; Fritzsche, Politische Romantik, S. 193.

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Wesen und Werden des faschistischen Staates, Erwin von Beckerath, fanden.35 Schmitts Diktum von der Überlegenheit des nationalen Mythus über die Klassenkampfdoktrin beeindruckte Zehrer so stark, daß er es gleich mehrfach wiederholte.36 Dasselbe gilt für die Unterscheidung von auctoritas und potestas, auf die er unmittelbar nach den Juliwahlen 1932 wieder zurück kam. In einer scharfen Kritik an der Regierung Papen, die durchaus auch als Kritik an der eigenen zuvor bezogenen Position zu lesen ist, machte er deutlich, daß auctoritas und potestas allein zur Bewältigung der Krise nicht ausreichten, vielmehr stets den Zusammenhang mit jener dritten Größe zu wahren hätten, der auch sie als der „eigentlich-schöpferische(n) Kraft und verfassunggebende(n) Gewalt“ letztlich entstammten: dem Volkswillen.37 Das war wie bei Schmitt kein Plädoyer für Wahlen und Abstimmungen, weil sich in diesen Verfahren Parteien und Verbände zur Geltung brachten, die den Volkswillen verzerrten und störten,38 aber immerhin die Forderung nach einer gewissen Rückkoppelung der Regierung an solche Gruppierungen, von denen Zehrer meinte, daß sie „den Volkswillen heute in strukturierterer Form repräsentiert(en)“: jene „dritte Front“, die ihm zunächst aus Protestantismus, Landschaften, Ständen und Bünden zu bestehen schien, etwas später dann „als die notwendige Verbindung zwischen NSDAP, Armee und Gewerkschaften“ galt.39 Wie sich der so verstandene Volkswille mit auctoritas und potestas in ein stabiles institutionelles Arrangement bringen ließ, wurde von Zehrer unter ausgiebiger Verwendung des in Schmitts Verfassungslehre dargestellten Schemas der Regierungsbildung im parlamentarischen System durchgespielt.40 Auch wenn es in der Begründung erhebliche Differenzen zu Schmitt gab, von denen noch zu sprechen sein wird – mit der Einschätzung, daß eine stabile Regierung ohne gravierende Verfassungsbrüche am ehesten von einem Kanzler Schleicher zu erwarten war, bewegte sich Die Tat durchaus auf einer Linie, wie sie auch von Schmitt verfolgt wurde. Immerhin gab es seit 1930 immer wieder Kontakte zwischen Schleicher und der Redaktion, in die bisweilen auch Gregor Straßer von der NSDAP einbezogen wurde.41 So schwierig sich das Verhältnis im einzelnen gestaltete und so oft der Taktiker Schleicher von der unverblümten Sprache der Tat kompromittiert wurde, so unverkennbar war doch, daß man im Streben nach einer außerparlamentarischen, auch Teile der Linken einbeziehenden Basis für die Regierungstätigkeit an einem Strang zog.42 Vom Reichswehrministerium und/oder von dem Schleicher nahestehenden Industriellen Otto Wolff kamen vermutlich auch die Gelder, die es dem Tat-Kreis ermöglichten, eine eigene Ta35 36 37 38 39 40 41

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Vgl. Hans Zehrer: Rechts oder Links? In: Die Tat 23, H. 7, Oktober 1931, S. 507–559, 510, 526 ff., 530. Zu Gurian vgl. Kap. IX. Vgl. Zehrer, Rechts oder Links? S. 545; Revolution oder Restauration? S. 373, 383, 385. Vgl. Zehrer, Revolution oder Restauration? S. 354. Vgl. Hans Zehrer: An der Wende! In: Die Tat 24, H. 6, September 1932, S. 433–451, 445; An der Wende der Innenpolitik, in: Die Tat 24, H. 10, Januar 1933, S. 822–828, 825. Hans Zehrer: Die dritte Front, in: Die Tat 24, H. 2, Mai 1932, S. 97–120, 103, 113; An der Wende! S. 445 f. Vgl. Zehrer, Revolution oder Restauration? S. 361 ff. mit Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 342. Vgl. Demant, Von Schleicher zu Springer, S. 85, 69 f., ferner die bei Kissenkoetter, Gregor Straßer und die NSDAP, Stuttgart 1978 zitierten Zeugnisse des Tat-Mitarbeiters Hellmuth Elbrechter und Heinrich Brünings (S. 204 ff.) sowie die dort gegebene Darstellung insgesamt (S. 127 ff.). Vgl. Nowak, Kurt von Schleicher, S. 1059 f., 1083.

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geszeitung – die Tägliche Rundschau – zu erwerben,43 die zwar mit einer Auflage von 10–15.000 Exemplaren nicht gerade ein Massenmedium war,44 gleichwohl in der Hauptstadt eine gewisse Resonanz besaß, die auch Carl Schmitt nicht verschmähte, ließ er hier doch einen Tag vor dem Preußen-Schlag einen Auszug aus Legalität und Legitimität erscheinen, der von der Redaktion mit einer Warnung vor einer möglichen Machtübernahme durch die Nationalsozialisten versehen wurde.45 Obwohl das Blatt nominell erst ab dem 1. September 1932 von Zehrer geleitet wurde, waren die Beziehungen zum TatKreis doch bereits seit Ende 1931 so eng, daß man von einer fließenden Übernahme gesprochen hat.46 Die große Beachtung, die Schmitts Verteidigung des Preußenschlags in der Täglichen Rundschau fand, ist von hier aus nicht überraschend, handelte es sich dabei doch um die einzige Maßnahme der Papenregierung, die im Tat-Kreis mit Zustimmung registriert wurde.47 Als sich Ende November der Machtwechsel von Papen zu Schleicher abzeichnete, begrüßte das Blatt dies mit warmen Worten.48 Eine Woche später verkündete Zehrer, mit dem General von Schleicher komme „der stärkste, klügste und jüngste Vertreter einer Generation ans Ruder, die heute noch die Schlüsselstellungen des öffentlichen Lebens besetzt hält.“49 Im Januarheft der Tat hieß es dann: „Mit dem General von Schleicher kommt ein Kanzler ans Ruder, der anscheinend wieder mit dem Volkswillen regieren will (…) Das ist umso entscheidender, als der General von Schleicher der letzte Mann einer Generation ist, die für eine sinnvolle Überleitung in das Neue in Frage kommt und man heute keinen mehr sieht, der ihn ablösen könnte. Scheitert dieser General, so werden wir höchstwahrscheinlich nach einer kurzen Periode wechselnder Versuche in 43

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Vgl. Demant, Von Schleicher zu Springer, S. 92 f.; Fritzsche, Politische Romantik und Gegenrevolution, S. 274 f. Skeptischer dagegen Pöhls, Die „Tägliche Rundschau“, S. 62 ff., 171, der die Quellen zum Ankauf der Zeitung als nicht sehr aussagekräftig beurteilt. Vgl. Pöhls, Die „Tägliche Rundschau“, S. 168. Die politisch dem Christlich-Sozialen Volksdienst nahestehende Zeitung gehörte bis dahin der „Volksdienst-Presse GmbH“, an der auch der DHV beteiligt war: vgl. ebd., S. 44 f. Vgl. Carl Schmitt: Der Mißbrauch der Legalität, in: Tägliche Rundschau 51, Nr. 137, 19.7.1932. Chefredakteur war zu diesem Zeitpunkt Hans Beyer (1908–1971), der damals noch zur Volkskonservativen Vereinigung gehörte, allerdings schon ein Jahr später in die SA und 1936 in die NSDAP eintrat und im SS/SD-Komplex Karriere machte. Zu ihm: Pöhls, Die „Tägliche Rundschau“, S. 45 ff.; Roth, Heydrichs Professor. Vgl. Pöhls, Die „Tägliche Rundschau“, S. 52 ff. Ebd., S. 341 ff. Vgl. Hans Zehrer: Die Liquidation des Parteienstaates, in: Tägliche Rundschau 51, Nr. 177, 30.7.1932. Die gleiche Nummer enthielt einen zweispaltigen Vorabbericht über Schmitts Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit der Bestellung eines Reichskommissars für das Land Preußen, der am 1.8. in der DJZ erschien. Ein späterer, mit dem Kürzel „A.G.“ gezeichneter Artikel schloß sich weitgehend Schmitts Argumentation vor dem Leipziger Staatsgerichtshof an: vgl. Zurück hinter Bismarck?“, in: Tägliche Rundschau 51, Nr. 241, 13.10.1932. Pöhls vermutet Zehrer hinter dem Kürzel: vgl. Pöhls, Die „Tägliche Rundschau“, S. 680 f. Auch Ernst Rudolf Hubers Ende 1932 erschienenes Buch Reichsgewalt und Staatsgerichtshof wurde zustimmend referiert, in diesem Fall von Hans Beyer: vgl. ebd., S. 432 ff. Allerdings wurde auch Schmitts Kritiker Otto Koellreutter Raum für seine Darlegungen gewährt: vgl. ebd., S. 431 f. Vgl. Kabinett Schleicher im Kommen, in: Tägliche Rundschau 51, Nr. 280, 27.11.1932. Hans Zehrer: Das Kabinett Schleicher, ebd., Nr. 286, 4.12.1932.

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einen Bürgerkrieg hereinrutschen, der den Bestand des Reiches entscheidend gefährden würde.“50 Alles in allem ist dies auf den ersten Blick kein geringes Maß an Übereinstimmung, und so nimmt es denn auch nicht wunder, daß Schmitt seinen Beifall nicht zurückhielt. So gratulierte er Zehrer (und damit zugleich sich selbst) zu der ‚sehr interessanten Anwendung‘, die seine Unterscheidung von auctoritas und potestas in dessen Artikel über „Die kalte Revolution“ gefunden habe.51 Noch deutlicher wurde er in einer brieflichen Stellungnahme, die vom Verlag zu Werbezwecken verwendet wurde. Er habe, hieß es dort, „die ‚Tat‘ seit etwa einem halben Jahr mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt, auch in einem staatsrechtlichen Seminar über einzelne Aufsätze referieren lassen“, und werde sie auch weiter heranziehen, da er sie „in ihrem gegenwärtigen Status für eine der wenigen Zeitschriften der Gegenwart halte, die weder Residuen der Vorkriegszeit noch Vehikel einer gegenstandslosen Fortschrittlichkeit sind, sondern eben aktuell und Aktion, nicht opinion.“52 Schmitt selbst hat damit einiges zu Deutungen beigetragen, die ihn und die Tat in der gemeinsamen Front eines „deutschen Antikapitalismus“ oder einer „konservativen Revolution“ vereint sehen.53 Bei näherer Betrachtung löst sich diese Front jedoch rasch auf. Was zunächst die Tat angeht, so beruhte ihre Schmittrezeption weitgehend auf Mißverständnissen und Fehldeutungen. Dazu gehört die Identifizierung der verfassunggebenden Gewalt mit der verfassungsändernden Mehrheit des Parlaments, die sich über die Unterscheidung von pouvoir constituant und pouvoirs constitués hinwegsetzt, gehört vor allem auch die Ableitung von auctoritas und potestas aus dem Volkswillen, die die beiden für Schmitt grundlegenden politischen Formprinzipien der Repräsentation und der Identität miteinander vermischt. Zehrers Bevorzugung der dynamischen Begründung des ‚autoritären Staates‘ gegenüber einer bloß statischen, wie sie für das Papen-Kabinett typisch sei,54 liegt weit eher auf der Linie der Verfassungslehre Rudolf Smends als derjenigen Carl Schmitts, hatte dieser sich doch ausdrücklich von Smends Betonung des fortwährenden dynamischen Prozesses der staatlichen Integration mit dem Argument abgesetzt, „daß es keinen Staat ohne statische Elemente gibt (…) Eine restlose Dynamisierung aller statischen Elemente würde nicht zur Integration, sondern zur Desintegration führen.“55 Nicht zufällig brachte die Tat einen Hauptartikel über Rudolf Smend, jedoch keinen

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Hans Zehrer: An der Wende der Innenpolitik?, in: Die Tat 24, H. 10, Januar 1933, S. 822–828, 822. Schmitt, Der Hüter der Verfassung (1969), S. 9. Carl Schmitt an den Eugen Diederichs Verlag, Brief nach dem 8. 10. 1930. Zit. n. Hanke und Hübinger, Von der „Tat“-Gemeinde zum „Tat“-Kreis, S. 324. Vgl. Hock, Deutscher Antikapitalismus, S. 21, 23; Maus, Rechtstheorie und politische Theorie, S. 141 ff.; von „proximity“ spricht auch Scheuerman, The End of Law, S. 287. Vgl. Zehrer, Revolution oder Restauration, S. 365 ff. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung (1929), in: Schmitt 1973, S. 68. Vgl. auch: Der Hüter der Verfassung (1929), S. 224 f. Zum spannungsvollen Verhältnis zwischen Schmitt und Smend aufschlußreich ist der kürzlich veröffentlichte Briefwechsel: Mehring, „Auf der gefahrenvollen Straße des öffentlichen Rechts“.

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über Schmitt.56 Wie man das Rangverhältnis zwischen beiden Staatsrechtslehrern sah, gab Horst Grueneberg zu erkennen, als er unter denjenigen, die die Grundlinien einer neuen Staatstheorie entwickelt hätten, Smend die erste Stelle zuwies.57 Schmitts Geringschätzung der Selbstverwaltung wollte er sich ebensowenig zu eigen machen wie dessen Ablehnung einer Wirtschaftsverfassung.58 Auch Zehrer signalisierte seine Distanz, indem er Schmitts Parlamentarismusschrift gleichrangig neben Hellers Ausführungen zur Krise der Demokratie stellte und anschließend beiden Autoren vorhielt, vor den letzten Konsequenzen ihres Denkens zurückzuschrecken.59 Noch weiter ging er im Mai 1932, als er Schmitt zusammen mit Othmar Spann dem katholischen Lager zurechnete und diesem vorwarf, als Stütze einer überholten, weil nicht hinreichend durch den Volkswillen legitimierten Form des autoritären Staates sowie der heutigen kapitalistischen Wirtschaftsform zu fungieren. Die von ihm eingeführten Begriffe, wie z. B. derjenige des totalen Staates, seien „katholische Argumente und Bestandteile katholischen Denkens.“ Ihnen wurde ein Protestantismus entgegengehalten, der weder der Obrigkeit noch der herrschenden Wirtschaftsform verbunden sei und deshalb heute seine „große Stunde“ erlebe.60 Was Carl Schmitt jenseits aller öffentlichen Bekundungen von den beiden leitenden Redakteuren der Tat hielt, vertraute er nur dem Tagebuch an. Unter dem 22.4.1932 heißt es dort: „Nachher Vorlesung, schnell umgekleidet und gegessen, zu Sombart, dort mit Zehrer und Fried; Föderalisten, gaben Bayern preis, schlechter Eindruck, Klüngel und Ästheten.“61 Tatsächlich hatte er aus seiner Sicht allen Anlaß zur Skepsis. Die Redakteure und Autoren der Tat waren stark von der Jugendbewegung beeinflußt und brachten von daher eine affirmative Einstellung zur Romantik mit, die dem Kritiker des subjektivierten Occasionalismus übel aufstoßen mußte.62 Auch das Kokettieren mit Krise

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Vgl. Ernst Wilhelm Eschmann: Moderne Soziologen III: Rudolf Smend, in: Die Tat 23, H. 2, Mai 1931, S. 139–152. Der Aufsatz stellte Smends Staatslehre allerdings „in eine Front mit anderen kritischen Bemühungen, wie denen von C. Schmitt, um die höchstwertigste und wirksamste herauszugreifen“ (S. 139). Grueneberg, Zur Theorie des Antiparlamentarismus, S. 116. Vgl. Grueneberg, Das neue Staatsbild II, S. 810, 820. Es dürfte Schmitt darüber hinaus wenig gefallen haben, daß Grueneberg Ansätze zu einer vorbildlichen Gestaltung des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft ausgerechnet bei Othmar Spann ausmachte, für den Schmitt nur Epitheta wie „dilettantisch“ und „pseudo-gelehrt“ übrig hatte: vgl. ebd., 820 ff.; Carl Schmitt an Ludwig Feuchtwanger, Brief vom 6.9.1928, in: Schmitt-Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 279. Vgl. Zehrer, Der Weg in das Chaos, S. 566 ff. Vgl. Zehrer, Die dritte Front, S. 110 f. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 189. Mit Werner Sombart weisen Schmitts Tagebücher dieser Zeit zahlreiche Begegnungen bei öffentlichen wie privaten Anlässen aus, die leicht über das Register zu erschließen sind. Sombart seinerseits hat sich häufig mit den Redakteuren der Tat getroffen und versucht, Carl Schmitt hinzuzuziehen: vgl. Lenger, Werner Sombart, S. 327, 353. Schmitt und Sombart waren überdies beide Mitglieder des Deutschen Kulturbundes und der Friedrich-List-Gesellschaft: vgl. Mehring, „Auf der gefahrenvollen Straße des öffentlichen Rechts“, S. 56. Vgl. etwa Hans Zehrer: Grundriß einer neuen Partei, in: Die Tat 21, H. 9, Dezember 1929, S. 641–661, 647; Hans Thomas (d. i. Hans Zehrer): Wohin rollt die Zeit? In: Die Tat 22, H. 2, Mai

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und Chaos, das Zehrers erste Beiträge grundierte, lag Schmitt durchaus fern.63 Die von Zehrer propagierte Idee einer neuen Partei, die sich aus Gewerkschaftsorganisationen, Bauern- und Jugendbünden, Angestellten, Mittelstand, freien Berufen, Teilen der Frontgeneration und der Presse rekrutieren sollte,64 kollidierte nicht nur mit Schmitts Kritik des Parteiwesens, sondern ebenso mit seiner Ablehnung des Pluralismus. Wenig übrig konnte Schmitt auch für die bisweilen unklar geäußerten Sympathien gegenüber Rußland oder sogar dem Bolschewismus haben,65 für die Erwartungen, die in die Verbindung eines national werdenden Kommunismus mit einem sozial werdenden Nationalismus gesetzt wurden,66 für die Behauptung, daß sich der Volksgeist in den Gewerkschaften und dem Nationalsozialismus artikuliere, die nur zueinander finden müßten, um den Volkswillen zu bilden,67 oder für die Forderung nach einer Reichsreform, die föderalistischen und (berufs)ständischen Ideen Rechnung tragen sollte.68 Was ihn jedoch am meisten von der Tat trennte, war deren wirtschafts- und sozialpolitisches Programm, das in mancher Hinsicht radikaler und auf jeden Fall konkreter war als die vagen Forderungen nach Wirtschaftsdemokratie, wie sie etwa Fraenkel oder Neumann erhoben. Auch wenn das, was Zehrer zunächst als „Staatssozialismus“, später als „deutschen Sozialismus“ präsentierte, eher ein Staatskapitalismus war, waren die vorgesehenen Eingriffe in das Wirtschaftsleben doch beachtlich. Sie umfaßten bei Zehrer die Einführung eines staatlichen Außenhandelsmonopols, die Sozialisierung der Banken, der Schiffahrt und des subventionierten Teils der Industrie, eine grundlegende Neuordnung des Kapitalbesitzes durch eine scharfe Vermögens- und Erbschaftssteuer sowie eine Aktienreform, bei Fried die Zerschlagung des Großgrundbesitzes, genossenschaftliche Durchorganisierung der Klein- und Mittelbauern, staatliche Aufsicht und Kontrolle über die gesamte Getreide- und Viehwirtschaft sowie eine Einschränkung oder Aufhebung der Gewerbefreiheit.69 Es ist von hier aus gesehen nicht überraschend, wenn die Tat sich mit solchen Auffassungen auch auf der Linken Beifall erwarb, obschon eher bei sol-

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1930, S. 81–88, 85. Zur Würdigung der Jugendbewegung als der ersten großen Gegenströmung zum Liberalismus vgl. Zehrer, Rechts oder Links? S. 534. Vgl. Zehrer, Der Weg in das Chaos, S. 568 f. Vgl. Zehrer, Grundriß einer neuen Partei, S. 655. Vgl. etwa Zehrers Kritik am Kampf der katholischen Kirche für einen europäischen Zusammenschluß gegen den Bolschewismus: „Dieser Kampf ist für Deutschland falsch, denn die deutsche Entwicklung trägt bewußt eigene und abseitige Züge. Wir werden niemals das Abendland romanisch empfinden, wir werden niemals den Kampf gegen den Bolschewismus mit jener leidenschaftlichen Ablehnung führen wie die Romanen. Im Gegenteil. Die Dunkelheit des Ostens liegt uns mindestens ebenso nahe, wenn nicht näher, wie die Helligkeit und Klarheit des Westens.“ (Zehrer, Die kalte Revolution, S. 498). Vgl. Zehrer, Rechts oder Links, S. 545 ff. Vgl. Zehrer, Revolution oder Restauration? S. 390. Vgl. Hans Zehrer: Der Sinn der Krise, in: Die Tat 23, H. 12, März 1932, S. 937–957, 955 f. Zum Föderalismus auch: Deutschlands Weg aus der Einkreisung, in: Die Tat 22, H. 12, März 1931, S. 929–956, 952. Berufsständische Ideen finden sich unter anderem bei Grueneberg, Das neue Staatsbild I, in: Die Tat 23, H. 9, Dezember 1931, S. 681–696, 690. Vgl. m. w. N.: Breuer, Die radikale Rechte, S. 192.

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chen Teilen der Linken, die von der „linken Linken“ gern als „rechte Linke“ oder als überhaupt nicht links eingestuft wurden und werden.70 Gewiß: dies machte die Zeitschrift nicht zu einem Organ der Linken. Denn die Betonung sozialer und wirtschaftlicher Gleichheit ging einher mit massiven politischen Ungleichheiten, wie sie sich aus dem Anspruch auf Repräsentation des Volkswillens durch eine Elite ergeben mußten. Sie war darüber hinaus in der Außenperspektive verbunden mit der Vision eines ‚bündischen Reiches‘, die auf eine deutsche Hegemonie in Mitteleuropa hinauslief.71 Mochte es in der Ausrichtung auf eine „Revolution von Rechts“72 auch Schnittmengen mit Carl Schmitt geben, war doch die Idee einer „Demokratisierung der Wirtschaft“ mit einer Verfassungslehre nicht zu vereinbaren, für die der demokratische Begriff der Gleichheit ein politischer Begriff war und nichts sonst.73 Gleichheit und Freiheit in anderen Handlungsfeldern, etwa auf dem Gebiet der vom bürgerlichen Recht geregelten Beziehungen, seien von der Politik bzw. vom Staat „nicht zu gewähren, sondern nur zu gewährleisten, zu sichern und zu wahren“, womit dem Bestreben nach Ausdehnung der staatlichen Kompetenzen in die Wirtschafts- und Sozialordnung eine Grenze gesetzt sei.74 „Privatrechtliche Gleichheit herrscht nach demokratischen Prinzipien nur in dem Sinne, daß die gleichen privatrechtlichen Gesetze für Alle gelten, dagegen nicht im Sinne ökonomischer Gleichheit des privaten Vermögens, Besitzes oder Einkommens. Die Demokratie als wesentlich politischer Begriff betrifft in ihren Folgerungen und Anwendungen zunächst nur das öffentliche Recht.“75 Das Wort „zunächst“ und vor allem die gleich nachgeschobene Einschränkung, wonach bei Störungen oder Gefährdungen der politischen Gleichheit „durch wirtschaftliche Ungleichheiten oder durch die soziale Macht privaten Besitzes“ die Ursachen „durch Gesetz oder Maßnahmen zu beseitigen“ seien, machen indes deutlich, daß Schmitts Lehre zu diesem Zeitpunkt nicht hinreichend gegen eine extensive Auslegung des Gleichheitsprinzips bzw. dessen Übertragung auf andere Ordnungen und Handlungsfelder profiliert war. Solange ihm diese Auslegung nur in der Version der sozialistischen Juristen entgegentrat, verstand sich diese Grenze gewissermaßen von selbst, legten diese doch größten Wert auf die Feststellung, daß die von ihnen angestrebte soziale Demokratie den Rahmen der nationalen Demokratie sprengte.76 Eine Auslegung dagegen, die danach trachtete, 70

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So hieß es etwa in den Neuen Blättern für den Sozialismus: „Die alte Zeitschrift ‚Die Tat‘ (Verlag Diederichs), neuerdings der Politik zugewandt, ist im allgemeinen lebendig, temperamentvoll, unabhängig geschrieben. Sie bekennt sich zu der Verbindung der sozialistischen mit der nationalen Idee und hat so manches mit uns gemeinsam.“ (Hans Muhle: Zwischen Sozialismus und Nationalsozialismus. Zur geistigen Krisis des jungen Bürgertums, in: Neue Blätter für den Sozialismus 2, 1931, S. 185–188, 185). Weitere Hinweise bei Vogt, Nationaler Sozialismus, S. 171. Zu den Neuen Blättern vgl. auch Schildt, National gestimmt. Vgl. Breuer, Anatomie, S. 103, 109 f. Vgl. Hans Zehrer: Die Revolution von Rechts, in: Die Tat 25, H. 1, April 1933, S. 1–16. Die Überschrift spielt auf das seinerzeit vieldiskutierte, im Hausverlag der Tat erschienene Buch gleichen Titels von Hans Freyer an (Jena 1931). Vgl. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 227. Schmitt, Grundrechte und Grundpflichten (1932), in: Schmitt 1973, S. 192. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 255 f. Vgl. Otto Kirchheimer: Weimar – und was dann? (1930), in: Kirchheimer 1964, S. 15.

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nur diesen Rahmen im Sinne größerer wirtschaftlicher und sozialer Gleichheit umzugestalten, konnte sich sehr viel leichter als conclusio aus den Prämissen von Schmitts Verfassungslehre präsentieren, und dies besonders dann, wenn deren Autor sich, wie geschehen, damit auch noch öffentlich solidarisierte. Wollte Schmitt nicht mit Auffassungen identifiziert werden, mit denen er nicht einverstanden sein konnte, war es unumgänglich, den Begriff der nationalen Demokratie zu überdenken. 2. Wichtige Anstöße in dieser Richtung erhielt Schmitt durch die Arbeiten des jungen Frankfurter Soziologen Heinz O. Ziegler, der sich häufiger in Berlin aufhielt und immer wieder das Gespräch mit Schmitt suchte.77 Geboren 1903 in Prag, hatte Ziegler nach dem Krieg in Heidelberg studiert und 1925 bei Alfred Weber mit einer Arbeit über die Auswirkungen des Verhältniswahlrechts promoviert.78 Möglicherweise weil Zieglers Einschätzung zu positiv ausfiel,79 vielleicht aber auch nur, weil Alfred Weber ihm auf absehbare Zeit keine Chance zur Habilitation bieten konnte, wechselte er nach Frankfurt zu Franz Oppenheimer, der eine erfahrungswissenschaftliche, nomothetische Soziologie favorisierte und dem westeuropäischen Positivismus näher stand als der deutschen historistischen Tradition.80 Ziegler nahm diese, durch die Zusammenarbeit mit dem Oppenheimer-Schüler Gottfried Salomon verstärkten Impulse auf und verdichtete sie 1927 in einer Studie zur Ideologienlehre, die der von Dilthey, Troeltsch und Mannheim gepflegten „historischen Kultursoziologie“ eine von Pareto und Scheler inspirierte „naturalistische, generalisierende“ Soziologie entgegensetzte.81 Noch im gleichen Jahr 77

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Schmitts Tagebuch verzeichnet eine Reihe von positiv konnotierten Begegnungen mit Ziegler zwischen Oktober 1931 und März 1933: vgl. Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 141, 157, 168 f., 172, 180, 190, 194, 225, 244, 260, 267, 268. Vgl. Ziegler, Wahlverfahren (1925). Die Arbeit liegt nur maschinenschriftlich vor und war mir nicht zugänglich. Sie dürfte aber weitgehend identisch mit dem Aufsatz sein, den Ziegler ein Jahr später in Alfred Webers Hauszeitschrift veröffentlicht hat: Vgl. Ziegler, Wahlverfahren (1926). Alfred Weber hatte sich zwar 1918 für das Listenwahlrecht ausgesprochen, rückte aber im Laufe der Weimarer Republik zunehmend davon wieder ab und befürwortete das Mehrheitswahlrecht: vgl. Demm, Ein Liberaler, S. 290 f. Ziegler kam dagegen zu dem Ergebnis, daß der Proporz geeignet sei, die Entwicklung in Richtung einer „unegalitären Führerdemokratie“ zu unterstützen, wie sie von Alfred Weber befürwortet wurde: vgl. Ziegler, Wahlverfahren (1926), S. 317. Zu diesem Konzept bei Weber und zu dessen Gutachten über Ziegler vgl. Demm, Von der Weimarer Republik zur Bundesrepublik, S. 200. Vgl. Kruse, Soziologie und „Gegenwartskrise“. Vgl. Ziegler, Ideologienlehre. Zu Gottfried Salomon(-Delatour) und seiner Zusammenarbeit mit Ziegler vgl. Wagner, Gottfried Salomon-Delatour, S. 83. Das war unausgesprochen natürlich auch eine Abgrenzung von Alfred Weber. Von einem Zerwürfnis wird man dennoch nicht reden können. Ziegler publizierte in Zeitschriften wie dem Archiv für Sozialwissenschaft und der Europäischen Revue, die Alfred Weber nahestanden, und war 1930 in einer Festgabe für Alfred Weber vertreten (Souveränität); Weber wiederum bewahrte ihm ein gutes Angedenken, wie ein Brief an Karl Jaspers bezeugt. Als es nach 1945 darum ging, Hochschulämter mit unbelasteten Personen zu besetzen, nannte Weber auch den Namen Zieglers, dessen Buch über die moderne Nation „unter dem Zeichen Max Weber’s und unausgesprochen unter dem meiner ‚Krise des modernen Staatsgedan-

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habilitierte er sich bei Oppenheimer mit einer Arbeit über „Nation und Demokratie“.82 Seine weitere Universitätskarriere geriet dann aber ins Stocken, als 1929 nicht Gottfried Salomon, sondern Karl Mannheim der Nachfolger Oppenheimers wurde.83 Während der folgenden Jahre, in denen Ziegler seine Habilitationsschrift zu einem Buch erweiterte, erschloß er sich das Werk Max Webers und Carl Schmitts. Von ersterem übernahm er die Methode, die Nationsidee als Legitimitätsvorstellung zu behandeln und den Prozeß ihres Verbindlichwerdens soziologisch zu untersuchen, wobei er allerdings Webers Theorem der Rationalisierung durch ein solches der Irrationalisierung ergänzen zu müssen meinte; von letzterem die Ablehnung der Romantik, die Parlamentarismuskritik, den Säkularisierungsgedanken, die Definition des Politischen über die Freund-FeindUnterscheidung sowie die Aufmerksamkeit für politische Mythen und Symbole. Das 1931 unter dem Titel Die moderne Nation erschienene Werk wurde von Rezensenten unterschiedlichster Couleur gelobt und wird auch heute noch herangezogen.84 Auch Carl Schmitt, der es gleich gelesen zu haben scheint, zollte ihm seinen Respekt, wenngleich die Nähe zu Oppenheimer für ihn alles andere als eine Empfehlung war.85 Hatte Ziegler sich in seiner Dissertation noch stark an Alfred Webers Konzept der „Führerdemokratie“ bzw. „autoritären Demokratie“ orientiert, das den politischen Einfluß der Massen auf die „Führerauslese“ beschränken wollte,86 so sah er schon bald

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kens‘“ stehe. Die Schrift sei zwar „zu stark getränkt von der Problematik 30/31 (C. Schmitt etc.); aber Sie werden sehen, daß sie gedanklich scharfsinnig und nicht ohne Originalität ist. Ich halte Ziegler für unsre Liste für einen ernsthaften Kandidaten.“ Alfred Weber an Karl Jaspers, Brief vom 14.1.1946, in: Weber, Ausgewählter Briefwechsel, 2. Halbbd., S. 608. Was Weber offenbar nicht wußte: Ziegler war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr am Leben. Er war 1939, nach einigen Jahren in Prag an der Deutschen Universität, nach England emigriert und hatte sich dort zur Royal Airforce gemeldet. Im Mai 1944 war er als Bomberpilot über Deutschland abgeschossen worden. Vgl. Wittebur, Die deutsche Soziologie im Exil, S. 57 f. sowie die Angaben des Herausgebers in Schmitt, Frieden oder Pazifismus? (2005), S. 623. Vgl. die Angaben im Vorwort von Ziegler, Die moderne Nation. Vgl. Wagner, Gottfried Salomon-Delatour, S. 75. Nicht zuletzt aus diesem Grund wird es Ziegler nach Berlin gezogen haben, boten hier doch die Deutsche Hochschule für Politik und das mit ihr in Kooperation stehende Institut für Grenz- und Auslandsstudien (Max Hildebert Boehm) für sein Interesse an der Nationsidee und ihren Auswirkungen auf die nationalen Minderheiten (vgl. Ziegler, Nationalitätenfrage) größere Chancen als in Frankfurt. Boehm hat Zieglers Moderne Nation zumindest in den kritischen Partien anerkannt, Ziegler sich dafür mit einer überschwenglichen Rezension bedankt: vgl. Boehm, Das eigenständige Volk, S. 33 ff., 345; Ziegler, M. H. Boehms Volks- und Staatstheorie, in: Europäische Revue 9, 1933, H.3, S. 182–184. Ausführliche Besprechungen erschienen u. a. im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik (69, 1933: Albert Salomon) und im Archiv des öffentlichen Rechts (21, 1932: Otto Koellreutter). Für die heutige Rezeption mag etwa die Untersuchung von Bernd Estel als Beispiel dienen (Nation und nationale Identität). Vgl. Carl Schmitt an Ludwig Feuchtwanger, Brief vom 10.11.1931, in: Schmitt-Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 366: „Heinz O. Ziegler, Privatdozent der Soziologie in Frankfurt a.M., wollte eine tschechische Ausgabe des Parlamentarismus veranlassen. Ich bin damit einverstanden. Ziegler hat ein sehr gutes Buch ‚Die andere Nation‘ (sic) soeben bei Mohr veröffentlicht.“ Zu Schmitts Einstellung gegenüber Oppenheimer vgl. die Diatribe im „Begriff des Politischen“ (1979), S. 75 f. Vgl. Demm, Von der Weimarer Republik zur Bundesrepublik, S. 192 ff. Wie dort zu Recht betont ist, muß Webers Konzept freilich mehr in die Nähe von Schumpeters Modell der Konkurrenz-

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darauf Europa seit der Französischen Revolution vom „Demokratismus“ geprägt, der aus der Verbindung mit der „Souveränerklärung“ der Nation resultiere.87 Zwar könne der Demokratismus auch die Form eines demokratischen Individualismus annehmen, wie er sich verfassungsgeschichtlich im Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts niedergeschlagen habe, doch schiebe sich gegenwärtig immer mehr eine andere, „kollektivistische“ Variante in den Vordergrund, die ihre theoretische Formulierung erstmals im 18. Jahrhundert bei Rousseau und Sieyes gefunden habe.88 Deren Lehren von der volonté générale und vom pouvoir constituant hätten sich einem „irrationalen Kollektivismus“ verschrieben, der nur oberflächlich betrachtet auf eine Einschränkung des Despotismus gezielt habe, in Wahrheit jedoch eine radikale Kollektivierung, Nationalisierung und Totalisierung der Herrschaft bedeute.89 Nach innen übernehme der moderne Nationsgedanke die vom Absolutismus eingeleitete Rangerhöhung des Staates, die eine „Legitimierung der Gemeinschaft zu ungunsten des Individuums“ impliziere: „Nicht Individualrechte, sondern die Souveränerklärung und Verallmächtigung einer politischen Gemeinschaft ist das Resultat auch dieses Prozesses.“90 Nach außen entspreche dem eine Abkehr von der Staatsräson und dem hierauf basierenden Völkerrecht sowie eine Hinwendung zum „unumschränkte(n) Geltungsanspruch des nationalen Selbstbestimmungsrechtes“, hinter dem sich letztlich imperialistische und machtpolitische Zielsetzungen verbergen würden.91 Ziegler verband diese Gedanken, die die Kritik des historischen Konservatismus an der neuzeitlichen Souveränitätsidee erneuerten, mit einer Gegenwartsdiagnose, die sich weitgehend mit derjenigen deckte, wie sie zur gleichen Zeit und gänzlich unabhängig hiervon in Schmitts Hüter der Verfassung vorgetragen wurde. Der vom „nationaldemokratischen Absolutismus“ vorangetriebene Prozeß der Herrschaftskollektivierung habe zur Folge, daß die „Gesellschaft“ nicht länger das „Objekt der ihr ordnend und entscheidend gegenüberstehenden Herrschaft“ sei, sondern zum „Subjekt der Herrschaftsordnung selbst“ werde.92 Im Zuge dieser Entwicklung werde die Gesellschaft zum Staat und hebe damit jene Trennung auf, wie sie der Absolutismus eingeleitet und die bür-

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demokratie bzw. der späteren Form der Kanzlerdemokratie gerückt werden, als in diejenige des Autoritarismus. Das wirft freilich umgekehrt auch ein Licht auf Schmitt, der sich zeitweise zustimmend auf Webers Arbeiten, insbesondere die Krise des modernen Staatsgedankens (1925) bezogen hat: vgl. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (1979), S. 21 f.; Staatsethik und pluralistischer Staat (1930), S. 28. Vgl. Ziegler, Nation und Politik, in: Europäische Revue 2, 1926, H. 6, S. 38–43, 41; Die moderne Nation, S. 96 f., 102. Vgl. Ziegler, Die moderne Nation, S. 96 f., 99 ff. Vgl. ebd., S. 7, 34. Ebd., S. 210. Ebd., S. 109 f., 117 f. Ebd., S. 105, 233. An anderer Stelle sprach Ziegler noch deutlicher von einer „Subjektivierung, insofern an die Stelle der Objektivität fixierter Normen die inhaltlich nicht festlegbare Willensallmacht der Nation tritt.“ Ohne die Politische Romantik zu erwähnen, aber unverkennbar auf deren Spuren, machte Ziegler darin eine „Romantisierung des politischen Bewußtseins“ aus und kritisierte den „demokratischen Geist“ als Subjektivismus und Relativismus – dies immerhin unter Verweis auf die Quellen, auf die auch Schmitt sich bezog: Maurras, Seillière u. a. (vgl. ebd., S. 266 ff., 271). Schon in seiner ersten Annäherung an das Thema hieß es: „Die Nation und ihr

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gerliche Revolution vollendet habe.93 Die Identifizierung von Souveränität und Nation führe zu einer Mediatisierung des Staates, seiner Funktionalisierung zu einem bloßen „Vollzugsorgan des als einheitlich angenommenen nationalen Willens“, die à la longue in die „Souveränität dieser Gesellschaft als Nation“ münde.94 Damit aber waren nach Ziegler zwei weitere Folgen verbunden. Da die angenommene Einheit des nationalen Willens zwar als Fiktion, als „idée force“, praktisch wirksam sei, gleichwohl nicht die ganze Realität erschöpfe, in der vielmehr mit einem differenzierungsbedingten „sozialen Pluralismus“ zu rechnen sei, sei eine „Freisetzung der gesellschaftlichen Interessenherrschaft“ unvermeidlich.95 Diese aber müsse eine „Bedeutungssteigerung der Vertretung“ bewirken, welche ihrerseits eine „Zurückdrängung und Mediatisierung der Regierungs- durch die Vertretungsfunktion“ nach sich ziehe.96 Dadurch würden die Entscheidungen anonymisiert und auf Instanzen übertragen, die nicht mehr persönliche Verantwortung trügen. Die Autorität der Regierung nehme ab, im gleichen Maße auch ihre Fähigkeit, die unterschiedlichen Interessen zu integrieren. Auf diese Weise könne die „Proklamation der Gesellschaft zum Staat die einheitliche Ordnung des Sozialen gefährden, kann gerade die Verwirklichung des national-demokratischen Prinzips die Einheit der Nation in Frage stellen.“97 Den einzigen Ausweg aus dieser Lage sah Ziegler in einem „neuen Konservatismus“.98 Was er über diesen zu sagen hatte, weist indes bei näherer Betrachtung so wenige Gemeinsamkeiten mit dem historischen Konservatismus mit seiner Bindung an die alteuropäische societas civilis und ihre Einheit von Staat und Gesellschaft auf, daß es angemessener erscheint, ihn der „Rechten des 20. Jh.s“ zuzuordnen.99 Ziegler empfahl, Nationidee und Volkssouveränitätsidee zu entkoppeln und die demokratische Souveränität der Nation durch diejenige des Staates zu ersetzen, wobei Staat in diesem Fall hieß: die unabhängige bzw. erst unabhängig zu machende Exekutive.100 Das Prinzip nationaler Selbstbestimmung stehe im Gegensatz zur „Möglichkeit einer autoritären Herrschaft, die die Dauer nationaler Existenz souverän organisiert. Der Staat als Regierung und Apparatur hat eine institutionelle Realität, ist auf die begrenzten und inhaltlich fixierbaren Faktoren von Macht und Recht bezogen, die Nation als solche dagegen eine unorganisierte und anonyme Größe, deren Anspruch gleichsam unlimitierbar ist und damit Kontinuität und Rationalität des Politischen aufzuheben tendieren kann. Der Staat als solcher ist der konkrete Träger der Politik, die staatliche Macht ist auch heute noch, wenn auch durch die nationaldemokratische Mediatisierung geschwächt, die einzige organisierte Instanz, die den gesellschaftlichen Antagonismus zur Einheit ordnen kann, als

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Selbstbestimmungsrecht als höchster politischer Wert – das ist der Sieg politischer Romantik“: Ziegler, Nation und Politik, S. 40. Vgl. Ziegler, Die moderne Nation, S. 278. Ziegler, Die westeuropäische Nationidee in ihrem Verhältnis zu ‚Staat‘ und ‚Volkstum‘, in: Der Ring 4, 1931, H. 4, Beil. I, S. 69–71, 70. Ebd.; vgl. Die moderne Nation, S. 245, 278. Ziegler, Die westeuropäische Nationsidee, S. 70. Ziegler, Die moderne Nation, S. 278. Ziegler, Nation und Politik, S. 42. Vgl. Kondylis, Konservativismus, S. 505, 489 f. Vgl. Ziegler, Die moderne Nation, S. 293

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staatliche Macht tritt die Nation anderen Nationen gegenüber, – diesem Staat und seiner Idee muß seine Selbständigkeit, seine Autonomie, seine eigene Raison und Legitimität wiedergegeben werden.“101 Als mögliches Vorbild erschien Ziegler der italienische Faschismus. Zwar habe dieser noch gewisse Schönheitsflecken, seien ihm doch, wie schon der Herrschaft Napoleons III., gewisse „demokratisch plebiszitäre Elemente“ eigen, wie er auch im Hinblick auf die von ihm vollzogene „Durchnationalisierung des Staates und (…) Etatisierung der Gesellschaft“ durchaus nicht aus dem kritisierten Trend herausfalle. Dennoch stelle er einen doppelten Fortschritt dar: einmal, indem er die Nation nicht länger im liberalen, „atomistischen“ Sinn verstehe, sondern als gegliederte Einheit, wodurch es möglich sei, die Klassenlage „in die Verbindlichkeit des Nationalen als oberster Gemeinschaftsform einzuordnen“; sodann, indem er die Nationsvorstellung von der Volkssouveränitätstheorie ablöse und die demokratische Souveränität der Nation durch die Souveränität des Staates ersetze. „Der Faschismus versucht also zumindest seine Nationidee aufzubauen auf einer positiven Organisation der Regierung und auf einer herrschaftlich kontrollierten Organisation der sozialen Differenzen zu einer Einheit, hat also zwei Aufgaben in Angriff genommen, die von der national-demokratischen Politik notwendigerweise ungelöst gelassen werden müssen. Dieser Strukturwandel kann eine neue Etappe in der Geschichte der Nationidee bedeuten.“ Es sei bezeichnend, daß dieser Versuch einer Neugestaltung von einer ‚jungen‘ Nation unternommen werde – ein Hoffnungssignal für Deutschland, das sich in einer ähnlichen Situation befinde und immerhin auch im Prozeß der Nationalisierung noch relativ jung sei.102 „Eine neue Etappe, ein neuer Inhalt der nationalitären Politik scheint sich anzudeuten und muß gefordert werden – Aufgabe der ‚jungen‘ Völker wird es sein, diese Nationidee des 20. Jahrhunderts der des 19. gegenüberzustellen.“103 Auf dieser Grundlage wäre es leicht gewesen, zu einer Verständigung mit Carl Schmitt zu gelangen. Dieser hatte wohl in seinen Arbeiten über die Diktatur und die geistesgeschichtliche Lage des Parlamentarismus den Souveränitätsbegriff sehr eng an die moderne Nationsidee gekoppelt, doch sah er die Moderne ebenso durch einen „Absolutismus des Staats“ geprägt104 , der bei ihm je nach Kontext in negativem oder positivem Licht erscheinen konnte: ersteres, sofern es sich um eine unmittelbare Konsequenz liberaler, demokratischer oder sozialistischer Ideen handelte105 ; letzteres in jener spezifischen Erscheinungsform, welche die moderne Massendemokratie im italienischen Faschismus angenommen hatte, dem Schmitt bescheinigte, „mit Hilfe einer geschlossenen, ordensmäßigen Organisation“ eine Neugründung des Staates bewirkt zu haben.106 Auch wenn Schmitt in diesem Fall nicht von Absolutismus sprach, sondern nur von „Suprematie“, war doch klar, daß eben dies gemeint war. „Der faschistische Staat will mit antiker Ehrlichkeit wieder Staat sein, mit sichtbaren Machtträgern und Repräsentanten, nicht aber

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Ziegler, Die westeuropäische Nationsidee, S. 70. Ziegler, Die moderne Nation, S. 296 ff. Ebd., S. 305. Schmitt, Absolutismus (1926), in: Schmitt 1995, S. 97 ff. Vgl. ebd., S. 98. Schmitt, Wesen und Werden des faschistischen Staates (1929), in: Schmitt 1988, S. 112.

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Fassade und Antichambre unsichtbarer und unverantwortlicher Machthaber und Geldgeber.“107 Ziegler ging indes auf dieses Angebot nicht ein, sondern zog es statt dessen vor, diejenigen Implikationen seiner Überlegungen zu elaborieren, die eine Spitze gegen Schmitt enthielten. In einer 1932 erschienenen Broschüre schaltete er sich in die Diskussion über die von Ernst Jünger, der Tat und eben auch Carl Schmitt vertretene These ein, „daß die Herrschaftsentwicklung der Neuzeit unter dem Zeichen der immer totaleren Mobilmachung der Gesellschaft für den Staat steht.“108 Den Vertretern dieser These warf Ziegler eine zu affirmative Sicht jenes Vorgangs vor. Sie übersähen die „weitgehende Identität zwischen dieser Position und der ganzen nationaldemokratischen Entwicklung des letzten Jahrhunderts“, die seit der Französischen Revolution auf die „Gleichsetzung von Staat und Gesellschaft im Namen der Volkssouveränität“ hinauslaufe.109 Die von Schmitt und anderen betriebene „Entliberalisierung der politischen Begriffe“ sei gewiß verdienstvoll, beruhe aber auf dem gleichen „egalitären Kollektivismus“, wie er für die nationaldemokratische Vorstellungswelt charakteristisch sei.110 Deren Problematik – ihr „Atomismus“, ihr „alle gewachsenen sozialen und volkshaften Bindungsformen zerstörender Zentralismus und Unitarismus“ – werde von den Apologeten des totalen Staates „in keiner Weise analysiert und angegriffen“. Statt dessen werde mit der Gleichsetzung von Staat und Gesellschaft die „Souveränitäts- wie Nationsvorstellung der Nationaldemokratie übernommen und radikal akzentuiert.“111 Dies sei auch dann, und dann sogar ganz besonders, der Fall, wenn als „Mittel der Totalisierung“ nicht der Mechanismus des Parteienstaates ins Auge gefaßt werde, sondern die plebiszitäre Diktatur. Eine solche, „die bekanntlich immer die Regierungsform eines Ausnahmezustandes ist“, stelle weniger einen Gegensatz zu den letzten Voraussetzungen der Nationaldemokratie dar, als vielmehr deren Konsequenz.112 „Die diktatorische Überwindung des Parlamentarismus kann an sich eben noch auf der Ebene der westlichen Demokratie verbleiben und wenn auch die antiliberale und die antidemokratische Front in der Praxis oft als Einheit auftritt, – es liegt hinter dieser Gemeinsamkeit der Gegnerschaft zur parlamentarischen Demokratie eine letzte Alternative, die künftig von Bedeutung sein kann. Diktatur und totaler Staat können der Übergang zu neuen Formen der Herrschaftsgestaltung sein, sie bedeuten als solche vor allem die nichtliberale Verwirklichung der Nationaldemokratie.“113

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Ebd., S. 114. Im oben zitierten Artikel über Absolutismus rückt Schmitt den heidnisch-antiken Staat, „der den Menschen ganz erfaßt u. ein Privatleben eigentlich nicht kennt“, in die unmittelbare Nachbarschaft der modernen Lehren von der Staatsomnipotenz: vgl. Schmitt, Absolutismus (1926), in: Schmitt 1995, S. 99. Ziegler, Autoritärer oder totaler Staat, S. 6. Ebd., S. 7. Ebd., S. 14, 18. Ebd., S. 18. Ebd., S. 24. Ebd., S. 34.

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Im Ergebnis fiel Zieglers Stellungnahme zu dieser Position jedoch ambivalenter aus, als es diese Sätze vermuten lassen. Während er einerseits unterstrich, daß die Idee des totalen Staates „jedem echt konservativen Gestaltungswillen“ widerstritt,114 meinte er doch als Soziologe eine in diese Richtung weisende soziopolitische Dynamik zu erkennen, der man sich nicht gänzlich entziehen könne. Die eigentliche Lebensfrage des Staates des 20. Jahrhunderts sei „nicht mehr die Alternative: neutraler oder totaler Staat“. Diese Frage sei von der tatsächlichen Entwicklung bereits zugunsten des totalen Staates entschieden worden, weshalb allenfalls dort noch ein gewisser Spielraum bestehe, „wo das immanente Entwicklungsziel des zentralen und absoluten Staates der nationalen Mobilisierung noch nicht voll verwirklicht ist“ – bei den „jungen Völkern“ also.115 Mit Blick auf sie hielt Ziegler zwei Entwicklungspfade für denkbar: einen solchen, der in Richtung des bolschewistischen Staats- und Gesellschaftstypus weise, und einen anderen, der auf die „Organisation eines neuen Herrschaftstypus“ hinauslaufe. Durch eine „Aufhebung der plebiszitären Dynamik der Parteienkonkurrenz“ und eine „monopolistische Sperrung des Zugangs zur Politik“ könne ein „autoritäre(r) Staat“ geschaffen werden, der sich zu „Personalität, Unabhängigkeit, Autorität und Eigenverantwortung der Regierung“ bekenne, jedoch dort, wo es nötig und unvermeidlich sei, auch den Organisationsprinzipien des totalen Staates Rechnung trage – wiederum ähnlich wie in Italien, wo der faschistische Staat eine Kompromißlösung zwischen autoritärem und totalem Staat gefunden habe.116 Sei ein derartiger stato forte einmal etabliert, könne man auch über die unfruchtbare Gegnerschaft zum Liberalismus hinweggehen oder sogar dem dualistischen Prinzip des echten Konstitutionalismus eine „neue Bedeutung“ verleihen.117 Auf der persönlichen Ebene bewirkten diese Einlassungen Zieglers erhebliche atmosphärische Störungen im Verhältnis zu Carl Schmitt. Lauteten dessen Tagebuchkommentare zu den zwischen Herbst 1931 und Frühjahr 1932 stattgefundenen Begegnungen stets „sehr nett unterhalten“, so hieß es am 29.4.1932 nach der Lektüre von Zieglers neuester Schrift abfällig: „Die Broschüre von Ziegler über den totalen Staat; aber das sind alles keine nachhaltigen Dinge.“118 Bei späteren Treffen war die Unterhaltung dann zwar wieder „nett“, doch wurde Ziegler jetzt als „Salonjüdchen“ klassifiziert.119 Die Eintragung vom 12.12.1932 lautete: „um 5 kam Heinz Ziegler, sehr jüdisch, verstand Ernst Jünger nicht.“120 Auf der sachlichen Ebene aber blieben Zieglers Argumente nicht ohne Wirkung. Schon die zweite Fassung des Begriffs des Politischen, die im Herbst 1931 und mithin in Kenntnis von Zieglers Die moderne Nation abgeschlossen wurde,121 ließ einen entsprechenden Einfluß erkennen, der an zwei Einschüben über den Zusammenhang zwischen Demokratie und totalem Staat abzulesen ist. Im ersten Einschub wird der „potentiell jedes Gebiet ergreifende totale Staat der Identität von Staat 114 115 116 117 118 119 120 121

Ebd., S. 15. Ebd., S. 38. Ebd., S. 39, 29, 37. Ebd., S. 40. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 190. Ebd., S. 225. Ebd., S. 244. Vgl. Mehring, Carl Schmitt, S. 271 ff.

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und Gesellschaft“ auf die Tendenz der Demokratie zurückgeführt, „alle für das liberale 19. Jahrhundert typischen Unterscheidungen und Entpolitisierungen auf(zu)heben und mit dem Gegensatz Staat – Gesellschaft (= politisch gegen sozial) auch dessen der Situation des 19. Jahrhunderts entsprechende Gegenüberstellungen und Trennungen (zu) beseitigen.“ Im zweiten Einschub wird den Liberalen vorgeworfen, „sich mit den ganz unliberalen, weil wesentlich politischen und sogar zum totalen Staat führenden Kräften der Demokratie verbunden“ zu haben.122 In Legalität und Legitimität, abgeschlossen am 10.7.1932, stimmte Schmitt ausdrücklich der Erkenntnis zu, „daß in der Demokratie die Ursache des heutigen ‚totalen Staates‘, genauer der totalen Politisierung des gesamten menschlichen Daseins zu suchen ist, und daß es, wie Heinz O. Ziegler (Autoritärer oder totaler Staat, Tübingen 1932) darlegt, einer stabilen Autorität bedarf, um die notwendigen Entpolitisierungen vorzunehmen und, aus dem totalen Staat heraus, wieder freie Sphären und Lebensgebiete zu gewinnen.“123 Noch sechs Jahre später, als sein privater Antisemitismus längst Staatsdoktrin geworden war, erinnerte Schmitt öffentlich und unter namentlicher Nennung an den ins Exil vertriebenen Autor als einen „der interessantesten Publizisten der politischen Theorien“, der 1932 „eine auch heute noch lesenswerte Schrift ‚Autoritärer oder totaler Staat‘ veröffentlicht (habe), die damals gerade bei Liberaldemokraten großen Anklang fand und den Nachweis führte, daß die Demokratie notwendig zum totalen Staate gehört und nur ein autoritärer Staat imstande ist, der unaufhaltsamen demokratischen Tendenz zu dieser Totalität entgegenzutreten.“124 Jahrzehnte später vertrat Schmitt brieflich die Ansicht, der autoritäre Staat sei damals „die einzig mögliche Gegenposition gegen den totalen Staat“ gewesen, was „kaum bemerkt“ worden sei, „obwohl Heinz Ziegler in seiner Schrift ‚Autoritärer oder totaler Staat‘ 1932 die Alternative mit musterhafter Klarheit“ gestellt habe.125 Man kann diese Aussage in mancher Hinsicht als retrospektive Selbstdeutung gelten lassen. Denn in seinen Texten aus dem Jahr 1932 übernahm Schmitt nicht nur die von Ziegler hergestellte Filiation von Nationaldemokratie und totalem Staat, sondern auch die damit verbundenen negativen Konnotationen. So wie er sich heute in Deutschland darstelle, sei der totale Staat ein „Übergangsstadium“, das sich durch Entdifferenzierung, durch eine „allgemeine Vermischung“ auszeichne, deren Wurzel in der von Ziegler be122 123 124

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Schmitt, Begriff des Politischen“ (1979), S. 24, 68 f. Die kursiv hervorgehobenen Worte sind in der Fassung von 1927 nicht enthalten. Schmitt, Legalität und Legitimität (1932), in: Schmitt 1973, S. 340. Schmitt, Völkerrechtliche Neutralität und völkische Totalität (1938), in: Schmitt 1988, S. 255. Schmitt erwies damit Ziegler mehr Ehre als Forsthoff: vgl. weiter unten Anm. 151. Es liegt von hier aus nahe, in Schmitt auch den Verfasser einer in seinem Nachlaß befindlichen Auskunft zu sehen, die am 7.6.1933 an den Prager Studenten Heinrich Fröhlich erging, vermutlich den Anführer der örtlichen NS-Studentengruppe. Auf die Anfrage, was von Ziegler zu halten sei, der zu diesem Zeitpunkt einen Lehrauftrag an der Universität wahrnahm, teilte der Autor des Schreibens mit, er kenne Ziegler aus seinen Büchern und anderen Gesprächen. „Die Bücher sind klug und intelligent. Auch im Gespräch hatte ich von Herrn Dr. Ziegler einen guten Eindruck, sodaß ich ihn nicht mit den meisten seiner inzwischen amtsenthobenen Frankfurter Kollegen auf eine Stufe stellen möchte. Näheres über seine Herkunft, seine innere Einstellung und seine politische Zuverlässigkeit ist mir nicht bekannt.“ (Nicht namentlich gezeichnete Durchschrift, in: RW 265–16478). Carl Schmitt an Jean Pierre Faye, Brief vom 5.9.1960, zit. n. Mohler, Briefwechsel, S. 418.

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schriebenen Souveränitätsanmaßung der Gesellschaft lag. „Der heutige deutsche Staat“, hieß es im Herbst 1932 in einem Vortrag, „beruht auf einer sonderbaren Verbindung von totalem Staat und schwachem Staat. Wir haben eine Totalisierung in dem Sinne, daß alle Lebensgebiete politisiert worden sind. Aber wir haben nicht einen totalen Staat in einem bolschewistischen Sinne, der unserer Staatsvorstellung auch wohl kaum entspräche. Wir haben einen totalen Staat nicht einmal in einem faschistischen Sinne, der wieder eine andere Form dieses totalen Staates darstellt. Sondern wir haben eine durch eine Mehrheit von Parteien, wenn ich so sagen darf, mediatisierte und parzellierte totale Gesellschaft.“126 Das entsprach, bis in die Wortwahl hinein, Zieglers Darstellung, und auch der Ausweg, den Schmitt aus dieser Lage sah, schien weitgehend in die von Ziegler gewiesene Richtung einer Stärkung des autoritären Staates zu liegen, forderte er doch vor allem die Aufhebung jener „furchtbare(n) Verfilzung“, welche „die Verwirrung von Staat und Wirtschaft ebenso wie die Verwirrung von Staat und anderen nichtstaatlichen Sphären herbeigeführt“ und damit eine allgemeine „Schwäche des Staates“ bewirkt habe.127 Anzustreben sei, „daß der Staat wieder Staat wird und das, was nicht Staat ist, nicht mehr gezwungen wird, politisch zu sein, um nicht totgetreten zu werden. Es handelt sich darum, daß ein von den alles mediatisierenden totalen Parteien unabhängiger Staat, eine unabhängige Regierung, ein unabhängiges Beamtentum wieder imstande ist, die Geschäfte so zu führen, wie es im Interesse des Ganzen notwendig wird“.128 Gleichwohl fällt auf, daß Schmitt den auf diese Weise neu zu gestaltenden Staat auch weiterhin als ‚totalen Staat‘ und nicht als ‚autoritären Staat‘ bezeichnet wissen wollte. Zwar legte er Wert auf die Feststellung, daß es sich in diesem Fall um eine andere Erscheinungsform von Totalität handle: um eine ‚qualitative‘ im Unterschied zur bestehenden, bloß ‚quantitativen‘ Totalität.129 Dennoch bleibt klärungsbedürftig, warum Schmitt an einem Schlagwort festhielt, von dem er selbst einräumte, daß es zu zahlreichen Mißverständnissen geführt habe.130 Ich sehe dafür zwei Gründe. Zum einen war der Begriff des autoritären Staates publizistisch überbesetzt, beriefen sich auf ihn doch sowohl die Tat als auch der Kreis um Papen, die damit jeweils Unterschiedliches verbanden: Staatssozialismus und ‚Landschaftsföderalismus‘ im einen, ökonomischer Minimalstaat und ‚Staatenföderalismus‘ im anderen Fall.131 Hiergegen noch eine dritte Auslegung zu etablieren, die weder das eine noch das andere wollte, hätte kaum 126 127

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Schmitt, Konstruktive Verfassungsprobleme (1932), in: Schmitt 1995, S. 59. Schmitt, Starker Staat und gesunde Wirtschaft (1933), in: Volk und Reich 9, 1933, S. 81–94, 86. Dem scheint auf den ersten Blick zu widersprechen, daß sich Schmitt für eine staatliche Planung aussprach. Näher besehen reduzierte er jedoch Wirtschaftsplanung auf die „Wiederherstellung eines planlos funktionierenden Wirtschaftssystems“, in dem alles weitere einer Selbstverwaltung der Wirtschaft zu überlassen sei, die öffentlich, aber nicht staatlich sein sollte: vgl. ebd., S. 90; Schmitt, Machtpositionen des modernen Staates (1933), in: Schmitt 1973, S. 371. Schmitt, Konstruktive Verfassungsprobleme, in: Schmitt 1995, S. 60 f. Schmitt, Weiterentwicklung des totalen Staats in Deutschland (1933), in: Schmitt 1973, S. 360 f. Schmitt, Konstruktive Verfassungsprobleme, in: Schmitt 1995, S. 58. Zur Alternative von ‚Landschaftsföderalismus‘ und ‚Staatenföderalismus‘ vgl. Pöhls, Die „Tägliche Rundschau“, S. 404 ff. Zum Sprachgebrauch des Papen-Kreises vgl. die Hinweise bei Ishida, Jungkonservative, S. 235 f. Obwohl man hier gern von autoritärer oder autoritativer Staatsführung sprach, wurden für den Staat selbst meist andere Termini bevorzugt, so z. B. „essentieller Staat“

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Durchsetzungschancen gehabt. Zum andern wollte Schmitt ein Merkmal nicht aufgeben, das für Ziegler zum Kernbereich des totalen Staates gehörte: die „Organisation einer totalen Herrschaft über die Seelen“.132 Schmitt sprach etwas nüchterner von den modernen Techniken der Massenbeeinflussung wie Rundfunk und Film, hielt aber ebenfalls dafür, daß sich mit ihnen Möglichkeiten der „Massensuggestion“ in einer Intensität boten, „deren letzte Tragweite und Folgewirkung wir kaum ahnen, weil unser Wortschatz und unsere Phantasie noch tief im 19. Jahrhundert stecken.“133 Sobald sich der aus der Verflechtung mit gesellschaftlichen Interessen befreite, wieder rein politisch gewordene Staat diese Mittel aneigne, werde er zum totalen Staat in einem gänzlich neuen Sinne. Er werde „total im Sinne der Qualität und der Energie, so, wie sich der faschistische Staat einen ‚stato totalitario‘ nennt, womit er zunächst sagen will, daß die neuen Machtmittel ausschließlich dem Staat gehören und seiner Machtsteigerung dienen. Ein solcher Staat läßt in seinem Innern keinerlei staatsfeindliche, staatshemmende oder staatszerspaltende Kräfte aufkommen. Er denkt nicht daran, die neuen Machtmittel seinen eigenen Feinden und Zerstörern zu überliefern und seine Macht unter irgendwelchen Stichworten, Liberalismus, Rechtsstaat oder wie man es nennen will, untergraben zu lassen. Ein solcher Staat kann Freund und Feind unterscheiden.“134 Schmitt schrieb diese Sätze für die Europäische Revue, die erst unlängst, im November 1932, das zehnjährige Bestehen des faschistischen Regimes in Italien mit einem Sonderheft gefeiert hatte.135 Und er schrieb sie zu einem Zeitpunkt, als der Reichskanzler noch Kurt von Schleicher hieß und nicht Adolf Hitler.136 Sie waren also nicht als Regieanweisung für das nationalsozialistische Regime gedacht, dessen Etablierung vielmehr erschwert oder vielleicht sogar verhindert worden wäre, wenn sich Schleicher Schmitts Empfehlungen rechtzeitig zu eigen gemacht hätte. Andererseits sind sie aber auch nicht bloß als Plädoyer für die Schaffung eines ‚hoch bewaffneten Nachtwächterstaates‘ (Maschke) zu lesen, als Versuch, „die ‚dualistische‘ Staatskonstruktion des 19. Jahrhunderts unter veränderten historischen Bedingungen zu restaurieren.“137 Auch

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135 136 137

oder „Hoheitsstaat“: vgl. Walther Schotte, „Der totale Staat“, in: Der Ring 4, 1931, H. 23, S. 417; Der neue Staat, S. 45 ff.; Edgar Julius Jung, Sinndeutung der deutschen Revolution, S. 54. Ziegler, Autoritärer oder totaler Staat, S. 7. Schmitt, Weiterentwicklung des totalen Staats in Deutschland (1933), in: Schmitt 1973, S. 360 f.; Konstruktive Verfassungsprobleme, in: Schmitt 1995, S. 58 f. Schmitt, Weiterentwicklung des totalen Staats in Deutschland (1933), in: Schmitt 1973, S. 361. In der Durchsetzung einer neuen „Staatsgesinnung“ im Wege der Meinungskontrolle hat auch Forsthoff das essentielle Merkmal des totalen Staates gesehen. „Die Amtlichkeit und die Öffentlichkeit bezeichnen Bereiche, die allerdings dem obrigkeitlichen Zugriff unterliegen, und der Staat gäbe sich selbst auf, wenn er hier nicht rücksichtslos alles ausmerzen würde, was seine Autorität nicht anerkennt. Das heißt vor allem: Der individualistische Liberalismus darf in Deutschland nicht mehr das Vorrecht der Publizität genießen. Damit ist eine unauflösbare Bindung der staatlichen Beamten- und Pressepolitik bezeichnet.“ (Forsthoff, Der totale Staat1 , S. 32 f., Herv. i. O. gestr.). Wie fließend freilich auch hier die Begriffe sind, zeigt die Redewendung vom ‚autoritären totalen Staat‘, ebd. Vgl. Paul, Konservative Milieus, S. 534. Vgl. Schmitts Hinweise zum Wiederabdruck dieses Textes in: Schmitt 1973, S. 365. Das Heft erschien Anfang Februar 1933. Vgl. Maschke, Zum ‚Leviathan‘ von Carl Schmitt, S. 236; Maus, Bürgerliche Rechtstheorie, S. 153.

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wenn es Schmitts Absicht war, der massendemokratischen Aufhebung der Trennung von Staat und Gesellschaft entgegenzusteuern, war er doch Realist genug, um die Grenzen eines solchen Vorhabens zu erkennen. Was dem Staat nach der Seite der Wirtschaft an Interventionstiefe genommen werden sollte – und das war einiges, wenn man an die Pläne zur Senkung der Steuerlast, der Sozialabgaben und der Staatsausgaben denkt, die der mit Schmitt befreundete Minister Johannes Popitz ventilierte138 –, mußte ihm deshalb nach der Seite der medialen Kontrolle der Gesellschaft, der Fähigkeit zur „Bildung einer ‚öffentlichen‘, genauer: kollektiven Meinung“ wieder gegeben werden.139 In diesem Sinn war sein mehrfach bezeugtes Faible für Mussolini, den Meister der modernen fabbrica del consenso (Philip Cannistraro), keine persönliche Marotte, sondern Ausdruck der Überzeugung, daß der italienische Faschismus den Weg gewiesen habe, wie das spezifische Dilemma des modernen Staates zu lösen sei: nämlich „entweder auf die überlieferten liberalen Freiheitsbegriffe oder aber auf einen entscheidenden Teil seiner Macht, d. h. auf seine eigene politische Existenz (zu) verzichten.“140 Als er während seines Besuches in Rom im April 1936 von Mussolini in einem persönlichen Gespräch gefragt wurde, wo heute die weltgeschichtliche Residenz von Hegels Geist sei, ob in Rom, in Moskau oder Berlin, konnte er deshalb subjektiv wahrheitsgemäß antworten: „Dann muß ich natürlich sagen: in Rom!“141 3. Was bei alledem freilich offenblieb, war die Frage, welche Rolle dem Nationsbegriff noch zukam, wenn es nicht mehr um nationale Demokratie, sondern um den totalen Staat im qualitativen Sinne ging. Schmitt selbst gab darüber keine Auskunft, und so wundert es denn auch nicht, bei seinen Schülern auf erhebliche Unschärfen und Ambivalenzen in diesem Punkt zu stoßen. Symptomatisch hierfür war die Schrift Ernst Forsthoffs, die den totalen Staat im Titel führte.142 Diese erschien zwar erst nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten und liegt insofern außerhalb des hier gewählten Zeitrahmens, doch schließt sie sachlich so eng an die bisher dargestellte Debatte an, daß sie nicht ausgeklammert werden kann. Forsthoff deutete den totalen Staat als „Entgegensetzung gegen den liberalen Staat“, der idealiter zum Typus des ‚reinen Rechtsstaates‘ tendierte, zu einer bloßen „Rechts- und Ämterordnung“, die, als „Prototyp einer Gemeinschaft ohne Ehre und

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142

Vgl. Bentin, Johannes Popitz und Carl Schmitt, S. 26. Schmitt, Weiterentwicklung des totalen Staats in Deutschland (1933), in: Schmitt 1973, S. 360. Schmitt, Machtpositionen des modernen Staates (1933), in: Schmitt 1973, S. 368 f. Carl Schmitt an Jean Pierre Faye, Brief vom 5.9.1960. Zit. n. Mohler, Briefwechsel, S. 418. Subjektiv wahrheitsgemäß war diese Auskunft, weil Schmitt drei Jahre zuvor für Deutschland das Ende des Hegelschen Beamtenstaates erklärt und Hegel selbst den Totenschein ausgestellt hatte: vgl. Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, S. 31 f. Seine Antwort an Mussolini ist möglicherweise eine nachträgliche Erfindung, denn Huber, dem er von seinem Besuch berichtete, erwähnt nichts davon. Vgl. Ernst Rudolf Huber: Carl Schmitt in seiner Bonner Zeit, Typoskript, o.J., in: Nachl. Huber, N 1505, 289, S. 5. Vgl. Forsthoff, Der totale Staat1 . Zu Person und Werk Forsthoffs vgl. weiter unten S. 187 f.

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Würde“, stets in der Gefahr stand, sich in einen „Scheinstaat“ zu verwandeln.143 Wenn es dazu bislang nicht gekommen war, so nur deswegen, weil die neuzeitliche Staatsbildung nicht nur vom Liberalismus mit seinem Streben nach Entpolitisierung und Neutralisierung bestimmt war, sondern auch durch die „Gegengewichte nationalstaatlichen und demokratischen Gepräges“, wie sie sich am reinsten in der Französischen Revolution mit ihrer levée en masse zur Geltung gebracht hatten. In Abweichung vom Gliederungsschema, das Carl Schmitt zur gleichen Zeit vorlegte, schrieb Forsthoff: „Das moderne Volksheer war die konsequenteste und folgenreichste Vollstreckung des demokratischen Prinzips. Es offenbarte den militant-nationalen Charakter jeder wahren Demokratie, die damit in ihrer ungebrochenen Form denkbar weit entfernt ist von jeder liberalen, humanitären und pazifistischen Verweichlichung. In dem Nebeneinander von Volksheeresverfassung und liberalisiertem Apparaturstaat findet jene eigenartige, künstliche Verknüpfung der nationalen und liberalen Tendenzen ihren Ausdruck. Der Staat des 19. Jahrhunderts, der nach innen, liberalen Anforderungen entsprechend, auf ein Minimum von Herrschaft reduziert wurde, trat nach außen, als Nation, mit einem Expansionswillen von einer Weite der Ziele auf, wie man ihn bisher nicht erlebt hatte.“144 Verglichen mit Frankreich, wo in der demokratischen Revolution jene „Einheit des Willens und der Tat“ entstanden war, „als die sich ein Volk heute allein ehrenvoll zu behaupten vermag“,145 erschien Deutschland rückständig und weniger ehrenvoll. Hier hatte das 19. Jahrhundert dem Volk „eine wahrhaft nationale Volksverfassung vorenthalten“,146 woran auch Bismarcks Neugründung des Nationalstaates nichts zu ändern vermocht hatte. „Das deutsche Volk zur Nation zu prägen“ sei damit die große Aufgabe des 20. Jahrhunderts, das „den Nationen die ihnen gemäße, wirkliche Verfassung“ bringen werde – ein Gedanke, der seit den Vorkriegsarbeiten Moeller van den Brucks zu den Dauerthemen des „neuen Nationalismus“ gehörte.147 Durch eine Verlagerung des Schwerpunkts von der Außen- auf die Innenpolitik, insbesondere durch eine „unbedingte Abkehr von allen Methoden bürgerlicher Expansion“ und eine Konzentration auf die „Ausgleichung der Klassengegensätze zu neuen Formen der Staats- und Gemeinschaftsgestaltung“, werde es möglich, den Nationalstaat zu vollenden, ihn zum „nationalen Arbeitsstaat“ zu erweitern, in welchem jeder Einzelne total für die Nation in Pflicht genommen werde.148 Während Forsthoff mit diesen Überlegungen verschiedene, wenn auch nicht durchweg kompatible Gedanken aus dem Arsenal Carl Schmitts und des neuen Nationalismus, speziell Hans Freyers und Ernst Jüngers, zusammenfügte,149 war er doch zugleich von 143 144 145 146 147 148 149

Ebd., S. 7, 13. Ebd., S. 15. Bei Schmitt gehört das Heer in die Ordnungsreihe „Staat“: vgl. Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, S. 12. Bei Forsthoff hingegen in die Ordnungsreihe „Volk“. Forsthoff, Der totale Staat1 , S. 17. Ebd. Ebd., S. 18. Ebd., S. 19, 46, 42. Zum Rekurs auf Freyers Revolution von rechts vgl. ebd., S. 13. Von Jünger wird Der Arbeiter zitiert: ebd., S. 47. Jüngers Schrift verzichtet allerdings keineswegs auf „imperialistische Hybris“, wie Forsthoff dies einfordert.

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den Argumenten Zieglers nicht unbeeindruckt. So mochte es Frankreich zwar zu einer „Nationaldemokratie großen Stils“ gebracht haben, jedoch nur um den Preis einer „ungeheuren Nivellierung und Einebnung des volkstümlich Gewachsenen“, die als „Folge jedes konsequenten Demokratismus in Kauf genommen“ werden müsse. Gemessen hieran sei die stärkere Akzentuierung liberaler Prinzipien in Deutschland, wie sie auf theoretischer Ebene im Beharren auf Gewaltenteilung, Grundrechten und Föderalismus zum Ausdruck und auf praktischer Ebene in der Weimarer Verfassung zur Geltung gekommen sei, nachgerade als Vorzug zu werten, auch wenn man damit noch „den Ansatz zu einem spezifisch deutschen Staat“ verfehlt habe, „der sich dadurch auszeichnen muß, daß er aus dem Reichtum und der Fülle deutschen Wesens erwächst, der die gewordene volkliche Gliederung nicht sich selbst überläßt, sondern zur Grundlage seines Wirkens hat.“150 Forsthoffs Broschüre erschien zu einem Zeitpunkt, als man Autoren jüdischer Herkunft nicht mehr zu nennen brauchte.151 Das war ein Jahr zuvor noch nicht der Fall, als ein anderer Bonner Schüler Schmitts, Ernst Rudolf Huber, die Aufgabe übernahm, sich direkt mit Ziegler auseinanderzusetzen.152 In einem Aufsatz, der im zweiten Juliheft der weiter unten noch genauer vorzustellenden Zeitschrift Deutsches Volkstum erschien, hielt Huber Zieglers Buch über Die moderne Nation vor, sich mit einer soziologischen Darstellung begnügt zu haben, ohne die geschichtsphilosophische Frage nach dem Grund der unbedingten Geltung des Nationsbegriffes zu stellen. Seine Arbeit versande in methodologischen und formalen Feststellungen und versage insbesondere vor der Aufgabe einer historischen Differenzierung zwischen den beiden wichtigsten Nationsvorstellungen, die in Europa politisch relevant geworden seien: der „nation française“ und der „Deutschen Nation“. Auch wenn in Zieglers Werk hin und wieder eine Ahnung von dem zuletzt genannten Nationsbegriff durchschimmere, halte es sich doch im wesentlichen an die französische Version, die dem deutschen Verständnis entgegengesetzt, ja feindlich sei.153 Die „nation française“ sah Huber durch folgende Merkmale bestimmt. Sie war homogen und egalitär, da sie auf der völligen Zurückdrängung und Vernichtung aller föderativen, ständischen und dezentralen Kräfte beruhte. Sie war kollektivistisch, insofern sie 150 151

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Ebd., S. 24. Forsthoff zitierte zwar wörtlich aus Zieglers Schrift Autoritärer und totaler Staat (vgl. ebd., S. 25 mit Ziegler, S. 22), machte aber keine bibliographischen Angaben und sprach vom Verfasser nur als einem „modernen Soziologen“. Diese Verweigerung der Namensnennung läßt sich nicht bloß auf Opportunismus zurückführen. Der Totale Staat identifizierte „den Juden“ vielmehr als „Feind“, der „als solcher unschädlich gemacht werden (mußte)“ (ebd., S. 39). Erst Mitte der 30er Jahre ist Forsthoff von derart radikalantisemitischen Vorstellungen, wie sie sich auch bei Ernst Jünger, Wilhelm Stapel und Albrecht Erich Günther finden, abgerückt. So hat er etwa die Tagung des NSRechtswahrerbundes über „Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist“ als abstoßend empfunden und Schmitts Einladung zur Teilnahme brüsk ausgeschlagen. Auch seine 1934 einsetzende und bis in die Nachkriegszeit anhaltende Distanzierung von Schmitt hat hier eine ihrer Wurzeln. Vgl. Meinel, Der Jurist in der industriellen Gesellschaft, S. 228 ff. Zu Person und Werk vgl. weiter unten, S. 180 f. Vgl. Ernst Rudolf Huber: Die Deutsche Nation, in: Deutsches Volkstum 34.2, 1932, S. 564–571, 564 f.

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den anfangs noch in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte artikulierten liberalindividualistischen Anspruch durch den „revolutionären Demokratismus“ ersetzte. Und sie verband „Volkssouveränität nach innen und außen, Plebiszit und Levée en masse“. Von diesen Merkmalen, so Huber weiter, führe eine gerade Linie zur Idee des totalen Staates. Anders als Schmitt, der diesen als Folge einer Identifizierung von Staat und Gesellschaft verstanden hatte, machte Huber dafür mit Ziegler die Identifizierung von Staat und Nation im Gefolge der Französischen Revolution verantwortlich: „Denn die auf das Politische gewandte, die zur politischen Herrschaft strebende, die Staat werdende Gesellschaft ist die Nation. Der Begriff der Gesellschaft ist eine Vorstellung, die dem bürgerlichen Liberalismus unmittelbar zugehört und die, solange sie in diesem Rahmen bleibt, niemals politisch mobilisiert und aktiviert werden kann. Die politisch mobilisierte und aktivierte Gesellschaft hört auf, ‚Gesellschaft‘ zu sein, sie wird zur entscheidenden politischen Einheit, zur Nation. Nun ist der Weg frei für die von Schmitt so schlagend geschilderte Entwicklung: die zum Staat gewordene Nation ergreift alles, was das Zusammenleben der Menschen angeht; es gibt kein Gebiet mehr, demgegenüber der Staat neutral bleiben könnte; es gibt nichts mehr im Staate, was nicht wenigstens potenziell staatlich und politisch wäre; der Staat wird Wirtschaftsstaat und Kulturstaat und Wohlfahrtsstaat; er relativiert in sich Religion und Wissenschaft und Recht.“154 Mit dieser Wendung eröffnete sich Huber einen Weg, der Carl Schmitt versperrt war. Erklärte dieser die Entwicklung zum totalen Staat für irreversibel, so daß allenfalls noch die Wahl zwischen zwei verschiedenen Formen desselben blieb, sah Huber im deutschen Verständnis von Nation die Voraussetzung, um einen anderen Entwicklungspfad einzuschlagen. In der für Deutschland seit der frühen Neuzeit maßgeblichen Tradition sei die Nation nicht homogen und egalitär, sondern ständisch, landschaftlich und konfessionell gegliedert. Über ihr stehe darüber hinaus die Vorstellung vom „Reich“, so daß man es insgesamt mit einem Nationsbegriff zu tun habe, „der zwar politisches Einheitsbewußtsein bedeutet, aber keinen Herrschaftsanspruch enthält und keine Homogenität und Egalität verlangt.“155 Gemessen an den Maßstäben des „nationaldemokratischen Prinzips“ sei dieser „Pluralismus des deutschen Volkes“ eine „Lebensschwäche“. Wenn es jedoch gelinge, die pluralistischen Kräfte – die „Landschaften und Konfessionen, Berufsstände und Bünde“ – zum „Prinzip einer inneren Gliederung der Nation“ zu machen, dann könne die „innere Gegensätzlichkeit des deutschen Volkes (…) eine Stärke und ein Vorzug sein.“156 Huber schloß deshalb: „Nicht nationale Souveränität, sondern nationale Autonomie ist das Prinzip, durch welches der Begriff der Deutschen Nation bestimmt ist. Nicht die Einsetzung der Nation in die politische Herrschaft, sondern die Selbstverwaltung

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Ebd., S. 566. Ebd., S. 568. Ebd., S. 570.

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der gegliederten und dem Staate zugeordneten Nation bedeutet die sinnvolle Gestaltung des deutschen Nationalprinzips.“157 An diesen Überlegungen ist nicht nur der Abstand bemerkenswert, in dem sie sich zu Schmitts und Forsthoffs Skepsis im Hinblick auf die überkommene Gestalt der föderalen Struktur und der Selbstverwaltung befanden.158 Ebenso auffallend ist die partielle Nähe zu den Vorstellungen des Tat-Kreises, mit dessen Wortführern Huber die Herkunft aus der bündischen Jugend gemeinsam hatte, ist vor allem auch der Brückenschlag zu Ziegler, den Huber in diesem Teil seiner Ausführungen unternahm: räumte er doch ein, daß sich in dessen Buch über die moderne Nation „und stärker noch in seinem neueren Vortrag über ‚Autoritären oder totalen Staat‘ eine dem nationaldemokratischen Prinzip abgewandte Nationsvorstellung (zeige), die die Nation als die durch Selbstverwaltung zur realen Einheit zusammengeschlossene Pluralität der sozialen Kräfte auffaßt und danach strebt, den sozialen Pluralismus zur Grundlage der politischen Konzeption zu machen.“159 In der Summe bedeutete dies, wie Martin Jürgens richtig gesehen hat, ein Votum für Zieglers Konzept des autoritären Staates und damit implizit eine Absage an dasjenige des totalen Staates, wie es von Schmitt und Forsthoff favorisiert wurde.160 Dennoch sollte man den Unterschied nicht überspitzen. Einmal deswegen nicht, weil Schmitts totaler Staat im qualitativen Sinne vom Typus des autoritären Staates nicht um Welten getrennt ist, und weil auch Forsthoffs Version sich bei näherer Betrachtung als geringfügige Abwandlung des autoritären Staates erweist, was nicht zuletzt in der häufigen Ineinssetzung beider Begriffe zum Ausdruck kommt.161 Sodann aber auch deswegen nicht, weil Huber zwei Jahre später auf das Konzept des totalen Staates eingeschwenkt ist – bemerkenswerterweise zu einem Zeitpunkt, da wenigstens Schmitt schon wieder von ihm abzurücken begann.162 Wohl nicht zuletzt aus Schulsolidarität mit Forsthoff, dessen Totaler Staat heftige Kritik von parteioffizieller Seite erfahren hatte,163 veröffentlichte Huber 1934 im Aprilheft der inzwischen gleichgeschalteten Tat einen Beitrag, in dem er die Begriffsbildung verteidigte.164 In ihm erinnerte er zunächst an die Ableitung des Konzepts aus Ernst Jüngers Verständnis von totaler Mobilmachung und suchte dann der Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem er die Totalität des völkischen Staates von vier anderen Formen der Totalität unterschied: der absolutistischen Totalität, die zwar die Voraussetzungen politischer Macht und Wohlfahrt geschaffen habe, aber volksfremd geblieben sei; der Totalität des massendemokratischen Parteienstaates, die in Wahrheit eine „Scheintotalität“ sei, die Totalität der pluralistischen, staatszersetzenden 157 158 159 160 161 162 163 164

Ebd., S. 571 (Herv. i. O. gestr.). Für die Vorstellungen von Schmitt und Forsthoff in dieser Frage vgl. die Ausführungen von Meinel, Der Jurist in der industriellen Gesellschaft, S. 60 ff. Huber, Die Deutsche Nation, S. 570. Vgl. Jürgens, Staat und Reich bei Ernst Rudolf Huber, S. 130 f. Vgl. Storost, Staat und Verfassung bei Ernst Forsthoff, S. 62; Meinel, Der Jurist in der industriellen Gesellschaft, S. 88. Vgl. Meinel, Der Jurist in der industriellen Gesellschaft, S. 76. Vgl. weiter unten, S. 229. Vgl. Ernst Rudolf Huber: Die Totalität des völkischen Staates, in: Die Tat 26, H. 1, April 1934, S. 30–42.

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Gesellschaft; der bolschewistischen Totalität als der radikalen Konsequenz dieser totalen Parteiengesellschaft; und der faschistischen Totalität des nationalen Verwaltungsstaates, die sich durch den romanischen staatsnationalen Volksbegriff legitimiere und entsprechend nur Assimilation und Zentralismus kenne.165 Von diesen vier Arten der Totalität, die Huber zu Recht der Kritik ausgesetzt sah, sollte sich der totale völkische Staat grundlegend unterscheiden. Dessen Prinzip sei die Idee des „politischen Volkes“, wie sie zeitgleich von Hans Freyer ins Spiel gebracht worden war.166 Das politische Volk wiederum sollte vom „Führer“ repräsentiert werden, der von der Idee durchdrungen sein, aber auch dieser Idee erst die lebendige Form geben sollte: als verwirklichter Volksgeist und Volkswille, dessen Herrschaft ihre Maße in sich selbst trage und deshalb keiner äußeren Schranken bedürfe.167 Zur Realisierung dieser Herrschaft habe sich der Führer die „Bewegung“ geschaffen, eine „Auslese der politisch Besten und Tüchtigsten“, die die Form eines „politischen Orden(s)“ angenommen habe und den Anspruch erheben könne, „die auschließliche politische Organisation des völkischen Gesamtdaseins und den alleinigen staatstragenden Führungskern zu bilden.“168 Hubers Versuch, den für den Schmittianismus der ausgehenden Weimarer Republik zentralen Begriff des totalen Staates in das NS-Regime hinüberzuretten, kostete freilich seinen Preis. Daß das politische Volk als „Volksgeist und Volkswille im Sinne des deutschen Idealismus und der Romantik“ bestimmt wurde,169 bedeutete nicht weniger als die Verabschiedung von Schmitts Romantikkritik. Auch die Übernahme des Hegelschen Volksgeistbegriffes hatte ihre Tücken, hatte Schmitt doch erst kurz zuvor diesem Philosophen den Totenschein ausgestellt und noch einige Jahre vor sich, bis er bereit war, ihn wieder zu exhumieren.170 Vor allem aber mußte Huber nahezu alles über Bord werfen, womit er 1932 Fahrt aufgenommen hatte. Die Repräsentation des politischen Volkes durch die „alleinige und alldurchdringende staatstragende Elite“ rechtfertigte nicht nur die Beseitigung der Parteien, sondern auch die der „Gewerkschaften, Kulturvereine, Wehr- und Jugendbünde, die diesen Anspruch der politischen Ausschließlichkeit beeinträchtigen könnten.“ Sie legitimierte die Vernichtung „aller offenen oder getarnten politischen Gewalten“, darunter auch den Pluralismus von Landschaften und Konfessionen, den Huber noch zwei Jahre zuvor als auszeichnende Besonderheit des deutschen Nationsbegriffs gefeiert hatte. Und sie versah endlich auch die genossenschaftliche Selbstverwaltung mit dem entscheidenden Vorbehalt, daß sie nur dann weiter bestehen sollte, „sofern sie nur wahrhafte, nämlich der Führungsgewalt des Staates un-

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Vgl. ebd., S. 32 ff. Vgl. ebd., S. 35. Huber hatte sich bereits zuvor ausführlich mit Freyers Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft auseinandergesetzt: vgl. Friedrich Landeck (Pseudonym für Ernst Rudolf Huber): Staat und Gesellschaft, in: Deutsches Volkstum 34.1, 1932, S. 299–305. Einschlägig von Freyer: Der politische Begriff des Volkes; Volkwerdung, in: Volksspiegel 1, 1934, S. 3–9; Von der Volksbildung zur politischen Schulung, in: Die Erziehung 9, 1934, S. 1–12. Zur biographischen und politischen Einordnung vgl. Muller, The Other God that Failed. Vgl. Huber, Die Totalität des völkischen Staates, S. 37 f. Ebd., S. 38 f. Ebd., S. 35. Vgl. Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, S. 31.

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bedingt verantwortliche Selbstverwaltung ist“.171 Worüber zu entscheiden niemandem anderen oblag als dem Führer und seiner Gefolgschaft. Huber mochte noch so viele Nebelkerzen zünden und noch so sehr beteuern, daß nun endlich die massendemokratische Erniedrigung des Staates zum „instrumentalen Staat“ überwunden sei.172 In Wahrheit hatte er selbst einen Freibrief zur Instrumentalisierung des Staates ausgestellt, den bis zum äußersten auszuschöpfen der Führer und seine Bewegung nicht zögerten.

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Huber, Die Totalität des völkischen Staates, S. 39 f. Vgl. ebd., S. 33.

VII Schmittianische Interventionen I: Der Ring

Von „Schmittianern“ in jenem Sinn umfassender doktrinärer Gefolgschaft, in dem man auch von Kantianern oder Hegelianern spricht, war bislang nur implizit die Rede. Die Tat war, trotz vielfacher Schmitt-Bezüge, kein „schmittianisches“ Organ und ein Autor wie Ziegler durchaus unabhängig von Schmitt. Kirchheimer, Fraenkel und Neumann waren Sozialisten, was wohl die Assimilierung einzelner Bausteine aus Schmitts Werk erlaubte, nicht aber eine Rezeption des Ganzen, das seiner Grundtendenz nach jeder Verbindung mit linken Intentionen widerstreitet – wenn man unter „links“ mit Norberto Bobbio jene „Egalitarier“ versteht, „die, ohne zu verkennen, daß die Menschen ebenso gleich wie ungleich sind, eher dem größere Bedeutung beimessen, was sie gleich statt ungleich macht“.1 „Schmittianismus“ ist eher am entgegengesetzten Pol des politischideologischen Feldes angesiedelt, weshalb auch Etikette wie „Linksschmittianismus“ oder „Linksschmittismus“ mit einem Fragezeichen zu versehen sind.2 Der personelle Kern dessen, was als „Schmittianismus“ gelten kann, bildete sich in Schmitts Bonner Jahren in seinem gern als „legendär“ apostrophierten staatsrechtlichen Seminar. Aus der dort gepflegten, weit über das rein Fachliche hinausreichenden Geselligkeit entstanden enge, z. T. lebenslange Bindungen, sowohl zu Schmitt als dem Mittelpunkt des Seminars, als auch unter den einzelnen Teilnehmern desselben, wie etwa der umfangreiche Briefnachlaß Hubers belegt. Nicht jeder Doktorand Schmitts gehörte dazu, wohl aber promovierten alle Mitglieder des engeren Kreises bei Schmitt: Ernst 1 2

Bobbio, Rechts und Links, S. 78. Anders dagegen Bavaj, Otto Kirchheimers Parlamentarismuskritik; Iser und Strecker, Zerrissen zwischen Marxismus und Liberalismus? S. 13; Mehring, Otto Kirchheimer und der Links-Schmittismus. Der Sprachgebrauch in der Literatur ist schwankend. Nach Mohler identifizieren sich „Schmittianer“ mit Teilen des Werkes von Carl Schmitt oder auch mit diesem Werk als Ganzen, während als „Schmittisten“ diejenigen gelten sollen, „welche, ohne jede Identifikationslust, sich von außen kritisch mit C. S. befassen.“ (Mohler, Briefwechsel, S. 391). Mehring will als „Schmittianer“ diejenigen verstanden wissen, die personalisierend und mit apologetischer Tendenz nach dem ‚ganzen‘ Schmitt greifen; als „Schmittisten“ diejenigen, die nur bestimmte Aspekte rezipieren, allen voran den „Souveränitätsdiskurs“ (S. 60, 62).

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Forsthoff 1925, Ernst Rudolf Huber 1927, Karl Lohmann 1928. Zum weiteren Kreis oder zur Peripherie gehörten u. a. Werner Becker, Ernst Friesenhahn sowie Waldemar Gurian, der allerdings bei Scheler studiert und promoviert hat.3 Eine gewisse Sonderrolle nahm Werner Weber ein, der Schmitt 1930 als Assistent nach Berlin folgte und deshalb häufig in seiner Nähe war,4 Anfang 1931 jedoch als Referent in das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung übernommen wurde und sich deshalb mit publizistischen Aktivitäten zurückhalten mußte.5 1935 wurde er Schmitts Nachfolger an der Berliner Handelshochschule. Keine Schmittianer sensus strictu, aber wichtige Gesprächspartner und Freunde der Bonner Zeit waren die katholischen Theologen Karl Eschweiler und Erik Peterson, der Redakteur des Zentrumsblattes Germania, Paul Adams, und der lebenslange Freund Oberheid, von denen der letztere und der erstere starke NS-Affinitäten aufwiesen.6 Mit Schmitts Wechsel nach Berlin 1928 erweiterte sich das Netzwerk der Schmittianer noch einmal erheblich, z. T. durch neue, jüngere Studenten wie Wilhelm Grewe und Günther Krauß, besonders aber durch Publizisten, die durch Schmitts Schriften gewonnen wurden. Dazu zählten neben dem Tat-Autor Grueneberg: Karl Anton Prinz Rohan von der Europäischen Revue, Friedrich Vorwerk vom Ring, Albrecht Erich Günther vom Deutschen Volkstum, Hugo Fischer von den Blättern für deutsche Philosophie oder Ernst Niekisch vom Widerstand; besonders eng war der Umgang mit Ernst Jünger, der als Autor wie als Herausgeber in zahlreichen Blättern des soldatischen Nationalismus und der Bündischen Jugend vertreten war.7 Ende 1930, Anfang 1931 war die Fama Schmitts in 3 4

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Vgl. Mehring, Carl Schmitt, S. 177 f. In Schmitts Tagebüchern dieser Jahre sind zahlreiche, überwiegend positiv konnotierte Begegnungen festgehalten, die leicht über das Register zu erschließen sind: vgl. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010). Näheres zur Biographie Webers und seiner Beziehung zu Schmitt bei Mehring, Carl Schmitt, S. 228. Die einzige größere Arbeit dieser Jahre war die eng an Schmitt angelehnte Dissertation von 1928, die zwei Jahre später im Archiv des öffentlichen Rechts erschien: vgl. Weber, Parlamentarische Unvereinbarkeiten. Der Nachlaß Carl Schmitts enthält zahlreiche Briefe Webers aus dem Zeitraum von 1927 bis 1976, jedoch nur vier bis 1930, den Rest ab 1933: RW 265-17725-17799. Karl Eschweiler (1886–1936) bemühte sich ab 1928/29 als Professor für Systematische Theologie an der Staatlichen Akademie in Braunsberg um den Brückenschlag zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus (Berger, Karl Eschweiler, Sp. 354–355). Der evangelische Theologe Heinrich Oberheid (1895–1977) war von 1920 bis 1922 Mitglied des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes und trat 1928 in die NSDAP ein. In der NS-Zeit war er Stabschef des Führers der Deutschen Christen, Reichsbischof Müller (Faulenbach, Heinrich Josef Oberheid, Sp. 1070). Zu Rohan vgl. oben, S. 77 f.; zu Vorwerk, Günther und Niekisch im folgenden; zu Jünger und Schmitt den Briefwechsel zwischen beiden (1999). Der zum Kreis um Jünger gehörende Leipziger Philosoph Hugo Fischer (1897–1975) bezeichnete die Begegnung mit Schmitt brieflich als einen Einschnitt in seinem Leben (Hugo Fischer an Carl Schmitt, Brief vom 4.3.1931, Nachl. Schmitt, RW 265–3561). Noch exaltierter hieß es am 2.5.1931: „Wenn ich mich ehrlich entscheide, achte ich unter den mir bekannten gegenwärtigen Deutschen ausser Ihnen niemanden. Sie sind das einzige Zentrum eines ernstlichen Widerstandes“ (Nachl. Schmitt, RW 265–3563). Äußerungen wie diese sowie der Umfang des Briefwechsels – allein aus der Zeit zwischen 1930 und 1945 finden sich in Schmitts Nachlaß 57 Briefe und Karten Fischers – lassen eigentlich eine Rezeption Schmittscher Ideen erwarten, doch ist davon in den Schriften Fischers nichts zu erkennen: war dieser doch nicht nur durch Nietzsche geprägt, dem Schmitt nie sehr viel abzugewinnen vermochte,

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diesen Kreisen so groß, daß sich Ludwig Feuchtwanger, der seit der Politischen Romantik die bei Duncker und Humblot erschienenen Schriften Schmitts betreut hatte, zu einem Warnschuß veranlaßt sah. In einem Brief von Anfang Februar 1931 zeigte er sich höchst beunruhigt von seiner Lektüre des aktuellen Schrifttums rechtsradikaler Provenienz und bekundete den „tiefen Widerwillen“, den etwa die Auslassungen eines Ernst Jünger bei ihm erzeugten. Schmitt müsse doch unangenehm davon berührt sein, wie platt und naiv in der letzten Zeit das Gedankengut seiner Schriften „ausgemünzt und in schlimmster Weise popularisiert und verliterarisiert“ worden sei. Angesichts von Artikeln wie „Der Endkampf zwischen Autorität und Anarchie“ im Deutschen Volkstum oder Büchern wie Edgar Julius Jungs Die Herrschaft der Minderwertigen komme ihn, Feuchtwanger, das Grauen an, und auch Schmitt könne „nicht ganz wohl“ dabei sein, wenn er seine „in schärfster Präzision herausgearbeiteten und fundierten Termini verbeult und abgegriffen in den Zeitungen und Zeitschriften“ der „jetzt so ausgebreiteten radikalen Rechtskreise“ wiederfinde.8 Schmitts Reaktion dürfte kaum geeignet gewesen sei, Feuchtwanger zu beruhigen. In seiner Antwort, die sieben Wochen auf sich warten ließ, erklärte er die Kritik an Jünger für „hart“. Er, Carl Schmitt, wolle lieber noch warten. Jünger sei „ein Soldat“, und das sei „eine vielleicht nicht hohe, aber doch sehr solide Kategorie, über die sogar Christus gestaunt hat und die Worte sprach: tantam fidem non inveni in Israel“ – eine Bemerkung, die gegenüber dem engagierten Juden Feuchtwanger als Perfidie gelesen werden muß. Und was das Deutsche Volkstum angehe, so enthalte es Beiträge, zu denen die Neue Rundschau längst nicht mehr fähig sei.9 In die gleiche Richtung zielte wenig später der Hinweis, es seien in der Tat, im Widerstand und im Ring Besprechungen seiner Schriften erschienen, die nicht nur besser, sondern auch viel wirksamer seien als die in den Fachorganen.10 Entsprechend wenig überraschend war die Liste der Empfänger von Besprechungsexemplaren des Begriffs des Politischen, die Schmitt von Friedrich Vorwerk, dem Schriftleiter des Rings, zusammenstellen und dem Verlag zugehen ließ. Sie enthielt unter rund hundert Adressen von Redaktionen und Einzelpersonen mehr als ein Viertel, die der radikalen Rechten zuzurechnen waren.11

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sondern auch durch ein Verständnis, das den Nationalstaat als überholt sah und das Politische auf ein ‚objektives, metaphysisch bestimmtes Ethos“ verpflichten wollte (vgl. Hugo Fischer, Politik und Metaphysik, S. 276, 282; zu Person und Werk vgl. Tilitzki, Die deutsche Universitätsphilosophie, Bd. 1, S. 532 ff.). Immerhin hat Fischer in den von ihm herausgegebenen Blättern für deutsche Philosophie der Schmitt-Schule ein Forum verschafft. So enthielt etwa der 5. Jahrgang 1931/32 neben einem Aufsatz von Forsthoff über „Staatsrechtswissenschaft und Weltkrieg“ (S. 292–301) eine erste Gesamtdarstellung von Schmitts Ideen aus der Feder von Ernst Rudolf Huber: Verfassung und Verfassungswirklichkeit bei Carl Schmitt (S. 302–315). Die Besprechung der Verfassungslehre durch Karl Larenz im gleichen Jahrgang fiel allerdings überwiegend kritisch aus. Ludwig Feuchtwanger an Carl Schmitt, Brief vom 2.2.1931, in: Schmitt-Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 329. Vgl. Carl Schmitt an Ludwig Feuchtwanger, Brief vom 20.3.1931, ebd., S. 335. Vgl. Carl Schmitt an Ludwig Feuchtwanger, Brief vom 13.6.1931, ebd., S. 343. Dazu zählen etwa: Europäische Revue, Tat, Der Nahe Osten, Ständisches Leben, Der Vorstoß, Widerstand, Deutsches Volkstum, Deutsche Zeitung, Gral, Stahlhelm, Reichsreform, Baltische Monatshefte, Die Kommenden, Die junge Mannschaft, Stand und Staat, Jungnationale Stimmen, Volk

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Hatte Schmitt noch einige Jahre zuvor eine Einladung Karl Anton Rohans zur Mitarbeit an der Europäischen Revue mit der Begründung abgewiesen, mit der liberalen Epoche gehe auch die der Zeitschriften ihrem Ende entgegen,12 so war davon jetzt nicht mehr die Rede. Zwar blieb Schmitt weiterhin vorrangig auf fachwissenschaftliche Foren fixiert, doch erteilte er großzügig Nachdruckgenehmigungen und ermunterte vor allem die wachsende Schar seiner Schüler und Gefolgsleute, auf diesem Feld Flagge zu zeigen. Das geschah ab 1930 zunächst in der Zeitschrift Der Ring, und zwar in einer solchen Breite und Intensität, daß zeitgenössischen Beobachtern dieses Organ als „fast ganz von dem Geist Carl Schmitts getragen“ erschien.13 1. Der Ring war die Zeitschrift des im Dezember 1924 gegründeten Deutschen Herrenklubs oder genauer: seines zweiten Vorsitzenden Heinrich von Gleichen (1882–1959), der als Herausgeber die publizistische Linie bestimmte.14 Formal betrachtet war der Herrenklub eine Nachfolgeorganisation des Juniklubs, der sich 1919 in Berlin als überparteilicher Zusammenschluß gegen den Versailler Vertrag und die Weimarer Verfassung konstituiert und sich von Anfang an um eine reichsweite Vernetzung aller in diese Richtung drängenden Kräfte bemüht hatte, woher die Bezeichnung „Ring-Bewegung“ resultiert.15 In der inhaltlichen Zielsetzung markierte der Herrenklub allerdings einen Bruch mit der Vorgängerorganisation, trat doch infolge der Erkrankung des spiritus rector der letzteren, Moeller van den Brucks (1876–1925),16 der von diesem repräsentierte „neue Nationalismus“ in den Hintergrund. Seine Stelle wurde von einer Ideologie eingenommen, die von ihren Propagandisten gern als „Jungkonservatismus“ deklariert wurde,17 sich bei näherer Betrachtung indessen als eine Kombination von durchaus liberaler Wirtschaftsprogrammatik und neoaristokratischen Ambitionen enthüllt, die auf die Schaffung einer „aus adligen und bürgerlichen Teilgruppen neu komponierte(n) Führerschicht einander persönlich bekannter ‚Herren‘“ zielte: „unabhängig vom Parlament, ‚über‘ partikularen Interessen, Gewerkschaften, Verbänden und Parteien, v. a. aber: über den Massen ste-

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und Raum u. a. m. Die vollständige Liste ist abgedruckt in Schmitt-Feuchtwanger, Briefwechsel, S. 361 ff. Zur Urheberschaft Vorwerks vgl. ebd., S. 368. Vgl. Carl Schmitt an Karl Anton Rohan, Brief vom 8.7.1925. Zit. n. Koenen, Der Fall Carl Schmitt, S. 55. Erich Przywara: Deutsche Front, in: Stimmen der Zeit 124, 1933, S. 153–167, 165. Zit. n. Koenen, Der Fall Carl Schmitt, S. 105 f. Ähnlich hoch veranschlagt wird der Einfluß Carl Schmitts bei Ferdinand Muralt: Die ‚Ring‘-Bewegung, in: Hochland 29, 1931/32, H. 10, S. 289–299, 292 f.; Wilhelm von Schramm: Was ist der Herrenklub? Die Wirkung einer nationalen Gesellschaft, in: Münchener Neueste Nachrichten, Nr. 325 vom 29.11.1932. Gleichen war promovierter Jurist und während des Kriegs in verschiedenen Wirtschafts- und Propagandastellen der OHL aktiv. Seit 1915 leitete er den Bund deutscher Gelehrter und Künstler. Zu ihm: Kemper, Das „Gewissen“ 1919–1925, S. 444. Zu Juniklub und Ring-Bewegung vgl. Schwierskott, Arthur Moeller van den Bruck, S. 54 ff., 39 ff. Zu ihm näher meine Studie: Arthur Moeller van den Bruck, Politischer Publizist und Organisator des Neuen Nationalismus in Kaiserreich und Republik. Vgl. Heinrich von Gleichen: Jungkonservativ, in: Gewissen 6, 1924, Nr. 46.

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hend“.18 Als Zeitschrift fungierte noch bis 1929 das 1919 gegründete und bis 1923 von Moeller van den Bruck dominierte Gewissen,19 doch wurde dieses Anfang 1928 in die gekürzte Ausgabe eines neuen Organs umgewandelt, das den Titel Der Ring erhielt. Die Startauflage dieses wöchentlich erscheinenden Blattes lag bei 2.000 Exemplaren, nach anderen Angaben bei 3.000. Bis 1932 verdreifachte sich die Auflage, was zweifellos mit dem Umstand zusammenhing, daß der Herrenklub zu diesem Zeitpunkt mit Franz von Papen den Reichskanzler sowie etliche weitere Regierungsmitglieder stellte.20 Im Gewissen war Carl Schmitt nicht vertreten. Obwohl er Moeller van den Bruck persönlich kannte und dessen Däubler-Arbeiten schätzte, hatte er ein Engagement in diesem Kreis auffällig vermieden, wie er überhaupt in den frühen und mittleren Jahren der Republik eher die Fachöffentlichkeit ansteuerte und allenfalls mit katholischen Organen eine Ausnahme machte. Im Juniklub wiederum sah man keinen Anlaß, einem Staatsrechtslehrer aus der rheinischen Provinz besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Weder wurden Schmitts Bücher besprochen, noch gab es Artikel über ihn. Es blieb bei einigen gelegentlichen Hinweisen, die sich vor allem auf die Lehre vom Ausnahmezustand, den Souveränitätsbegriff und die Parlamentarismuskritik bezogen.21 Erst mit Schmitts Wechsel in die Reichshauptstadt änderte sich dies. Die Vorträge, die er dort hielt, die persönlichen Beziehungen, die er dort knüpfte, nicht zuletzt auch: das symbolische Kapital, über das er nunmehr als Autor einer Verfassungslehre verfügte, dies alles trug dazu bei, daß sich der Ring-Kreis für seine Ideen zu öffnen begann. Maßgeblichen Anteil daran hatten vor allem zwei Personen aus dem inner circle: Heinz Brauweiler und Friedrich Vorwerk. Brauweiler (1885–1976), ein promovierter Jurist und bis 1920 Mitglied des Zentrums, war der führende Vertreter des Ständekonzepts im Juni- wie im Herrenklub und überdies von 1926 bis 1930 Leiter der Politischen Abteilung des Stahlhelms in Berlin, wo er sich für eine Zusammenarbeit mit Brüning einsetzte, bis er aufgrund einer Intrige des Duesterberg-Flügels sein Amt aufgeben mußte.22 Auf Schmitt schon früh aufmerksam geworden, suchte er zunächst den brieflichen und seit 1929 auch den persönlichen Kontakt, der sich in zahlreichen, in Schmitts Tagebüchern festgehaltenen Begegnungen niederschlug.23 1929 und 1930 trat er in mehreren Artikeln im Ring für eine Verfassungsreform auf der Linie von Schmitts Vorstellungen 18

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Malinowski, Vom König zum Führer, S. 423. Zum Herrenklub und zur Ring-Bewegung außerdem Schoeps, Der Deutsche Herrenklub; Ishida, Jungkonservative in der Weimarer Republik; Petzinna, Erziehung zum deutschen Lebensstil. Näher zu dieser wichtigen Zeitschrift mit reichhaltigen Inhaltsanalysen und biographischen Informationen zu den Autoren: Kemper, Das „Gewissen“ 1919–1925. Vgl. Ishida, Jungkonservative in der Weimarer Republik, S. 60; Grunewald, Eine konservative Stimme in der deutschen Staatskrise, S. 484; Weißmann, Das ‚Gewissen‘ und der ‚Ring‘. Vgl. Heinz Brauweiler: Ausnahmezustand, in: Gewissen 5, 1923, Nr. 47; Staatsautorität, in: Gewissen 8, 1926, Nr. 28; o.V.: Programm? In: Gewissen 9, 1927, Nr. 6; Max Hildebert Boehm: Der Neutralismus als deutsche Gefahr, in: Gewissen 9, 1927, Nr. 43. Zu Brauweiler vgl. Petzinna, Erziehung zum deutschen Lebensstil, S. 54, 66, 89, 226; Kemper, Das „Gewissen“ 1919–1925, S. 443; Berghahn, Der Stahlhelm, S. 89, 147, 154 ff. Daß Brauweiler sich schon früh für Schmitts Arbeiten interessierte, geht aus dem oben erwähnten Aufsatz von 1923 hervor. Fünf Jahre später ließ Vorwerk Schmitt wissen, daß Brauweiler für den Ring an einem Artikel über „Legitimität“ arbeite, der sich auf die Verfassungslehre stütze: Friedrich Vorwerk an Carl Schmitt, Brief vom 9.10.1928, Nachl. Schmitt, RW 265–17379. Das älteste

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ein, die ihm vor allem auf eine „Befreiung der Staatsführung“ aus der Abhängigkeit vom Parlament hinauszulaufen schienen.24 Noch wichtiger war das Interesse, das Friedrich Vorwerk (1893–1969) an Schmitts Ideen zeigte, handelte es sich doch in diesem Fall um den Schriftleiter des Rings, auf dessen Schultern die Redaktionsarbeit ruhte. Vorwerk, der offenbar eine kommunistische Vergangenheit hatte – jedenfalls berichtete er Carl Schmitt in diesem Sinne25 – hatte bereits von Oktober 1927 bis Oktober 1928 das Gewissen redaktionell betreut und war seit dieser Zeit ein führendes Mitglied des Jungkonservativen Klubs, einer Juniorenvereinigung des Herrenklubs, der auch Schmitts Schüler Karl Lohmann und Ernst Forsthoff zeitweilig angehörten.26 Politisch tendierte er, wie einige andere führende Mitglieder des Herrenklubs (Max Hildebert Boehm, Georg Schröder, Edgar Julius Jung u. a.), zu den „Volkskonservativen“, einer Abspaltung von der DNVP, die den gouvernementalen Kurs der Jahre 1925 und 1926 und vor allem die Zusammenarbeit mit dem Zentrum fortsetzen wollte und dadurch in Gegensatz zu dem alldeutschen Flügel der Partei geraten war.27 Das brachte Vorwerk 1931, wie noch zu zeigen sein wird, in wachsende Konflikte mit seinem Herausgeber, der nach anfänglicher Reserve sowohl von den Volkskonservativen als auch von Brüning abrückte, doch waren die Gemeinsamkeiten zunächst groß genug, um Gleichen zu veranlassen, Vorwerk einen beachtlichen Spielraum in der Redaktionsarbeit zu gewähren. Aus den wenigen Texten, die er dort unter eigenem Namen

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erhalten gebliebene Schreiben Brauweilers an Schmitt, übrigens mit dem Briefkopf des Stahlhelms, datiert vom 16.4.1929. In ihm dankt der Absender für einen Sonderdruck des Aufsatzes über den „Hüter der Verfassung“. Er empfinde ihn als wichtige Ergänzung zur Verfassungslehre, der er so viele reiche Belehrung verdanke. Schmitts Intentionen berührten sich mit dem vom Stahlhelm vorbereiteten Volksbegehren zur Aufhebung des Artikels 54 und der dadurch herbeizuführenden Ausdehnung der Macht des Reichspräsidenten (Nachl. Schmitt, RW 265–2003). Vgl. Heinz Brauweiler: Lutherbund und Verfassungsreform, in: Der Ring 2, 1929, H. 30, S. 565– 566; Verfassungsrecht und Politik, in: Der Ring 2, 1929, H. 51, S. 987–988; Neutralisierende Mächte, in: Der Ring 3, 1930, H. 3, S. 44–45; Parlamentarische oder plebiszitäre Demokratie, in: Der Ring 3, 1930, H. 10, S. 183–184. Vgl. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 29. Über diesen Punkt wie über die ganze Vorgeschichte Vorwerks ließ sich nichts ermitteln. Auch über seinen weiteren Lebensweg gibt es nur bruchstückhafte Informationen. Aus den Recherchen von Piet Tommissen und den Briefnachlässen von Schmitt und Huber läßt sich rekonstruieren, daß er 1938 in Berlin einen eigenen Verlag gründete, den er um 1950 wiederbelebte. In ihm erschienen u. a. Bücher von Armin Mohler, Werner Weber, Albert Mirgeler, Friedrich Gogarten und Theodor Eschenburg. Die letzten Kriegsjahre verbrachte Vorwerk im Oldenburgischen, ging dann nach Törwang und Marquartstein in Oberbayern und anschließend nach Stuttgart, wo er im Evangelischen Verlagswerk Eugen Gerstenmaiers unterkam: vgl. Sammlung Tommissen, RW 579–704; Friedrich Vorwerk an Carl Schmitt, Briefe von 1928–1965, in: Nachl. Schmitt, RW 265–17378 ff.; Friedrich Vorwerk an Ernst Rudolf Huber, Nachl. Huber, N 1505, 854. Lohmann gehörte wie Vorwerk zum sogenannten Dreizehner-Ausschuß: vgl. Schwierskott, Arthur Moeller van den Bruck, S. 74 f. Forsthoffs Teilnahme ist nur durch ein Interview belegt, das er Jean-Pierre Faye 1966 gegeben hat: vgl. Faye, Totalitäre Sprachen, Bd. 2, S. 737. Näher zu beiden weiter unten. Zum Jungkonservativen Klub vgl. den Arbeitsbericht für 1927, in: Gewissen 10, 1928, Nr. 7; Schoeps, Der Deutsche Herrenklub, S. 41 f.; Ishida, Jungkonservative in der Weimarer Republik, S. 63 f.; Petzinna, Erziehung zum deutschen Lebensstil, S. 230 ff. Vgl. Jonas, Die Volkskonservativen, S. 20 f.

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publizierte sowie aus einigen anderen, nicht gezeichneten, die ihm mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zuzuordnen sind, lassen sich auch die Punkte erschließen, die ihn zu Carl Schmitt und dessen Kreis hinzogen: ein starkes Interesse an Fragen der politischen Theologie und ganz allgemein der Religionspolitik;28 ein nicht minder ausgeprägtes literarisches Interesse, insbesondere am Werk Theodor Däublers;29 und nicht zuletzt eine philofaschistische Einstellung, die dem Staate Mussolinis bescheinigte, es „weder in der Grundlegung noch in der Ausführung an einem Ethos (scil.: fehlen zu lassen), das zu dogmatischer Dezision hindrängt und aus dem römischen Geist nach Aeternisierung des Staatlichen geboren ist.“30 Wie sehr er sich Schmitts Denkweise bereits 1929 zu eigen gemacht hatte, zeigt die Leitfrage, mit der er einen Vortrag Karl Eschweilers in der Hochschule für Politik interpretierte: „Wo steht der Feind, wo steht der Freund?“31 Über Brauweiler und Vorwerk dürfte auch Heinrich von Gleichen (1882–1959) auf Schmitt aufmerksam geworden sein. Den letzten Anstoß dazu gab dessen im Februar 1929 in Schmollers Jahrbuch veröffentlichte Besprechung von Erwin von Beckeraths Wesen und Werden des faschistischen Staates, verfolgte doch auch Gleichen das italienische Experiment seit geraumer Zeit mit ähnlicher, wenngleich nicht unkritischer Sympathie.32 In einem ausführlichen Kommentar, der bereits im März erschien, würdigte Gleichen die Entschiedenheit, mit der Schmitt gegenüber Beckeraths vorwiegend ideologiebezogener Darstellung auf einer staatstheoretischen Unterscheidung beharre, die den Staat des europäischen Kontinents als ein in der Antike wurzelndes „klassisches Gebilde“ begreife, als „Souveränitäts-Staat“, welcher vom „Ausgleichs-Staat“ und „Interessen-Staat“ der Gegenwart weit entfernt sei. Zwar zeigte sich Gleichen nicht ganz befriedigt von Schmitts Rekurs auf das klassische Ideal, weil ein deutscher Staat stets auch „selbstgewachsene Formen“ aufweisen müsse, doch teilte er die Ansicht des Staatsrechtslehrers, „daß sowohl die Vorstellung einer Staatssouveränität wie auch die Zurückführung des Staatsethos auf seine klassischen 28

29

30 31 32

Vgl. o. V.: Katholizismus und Katholizität, in: Der Ring 2, 1929, H. 27, S. 516–17; Friedrich Vorwerk: Die Rede wider die pseudogeistlichen Mächte, in: Der Ring 2, 1929, H. 46, S. 902–904. Aus Vorwerks Feder dürften auch zwei Berichte über Vorträge Carl Schmitts stammen: vgl. o. V.: Carl Schmitt über ‚Die neutralen Größen im Verfassungsstaat‘, in: Der Ring 2, 1929, H. 27, S. 517–518 sowie o. V.: Zum Kapitel Staatsethik, in: Der Ring 3, 1930, H. 40, S. 701–702. Däubler war etwa am 8.5.1928 im Jungkonservativen Klub zu Gast und sprach dort über „Protestantismus und Dichtung“ (Gewissen 10, 1928, Nr. 19). Zwei Jahre später erschien von ihm: Der Florentiner, in: Der Ring 3, 1930, H. 7, S. 135–138. Im gleichen Heft besprach „F. V.“, also wohl Vorwerk, Däublers Prosabuch Der Fischzug (S. 140). O.V.: Katholizismus und Katholizität, S. 516. Vorwerk, Die Rede wider die pseudogeistlichen Mächte, S. 902. Vgl. Heinrich von Gleichen: Deutscher Faschismus? in: Gewissen 9, 1927, Nr. 19. Der Artikel attestierte der Bewegung Mussolinis den „Karakter (sic) eines genialen Experiments“, dessen Anfang durchaus gelungen sei. Ein „deutscher Faschismus“, wie er vor allem von der Frontkämpferbewegung zu erwarten sei, könne davon lernen, doch müsse beachtet werden, daß er sich nicht wie in Italien von einer persönlichen Diktatur aus organisieren lasse, „die auf Befehl wieder das alte Frontheer einberuft.“ Worauf es ankomme, sei die „Dreieinigkeit von Frontkämpferbewegung, nationalistischer Oberschicht und dem Symbol unseres geschichtlichen Erbes“ herzustellen. Wenn dies geschehen und die gegenwärtige Verfassung überwunden sei, „dann ist nicht ein deutscher Faschismus Wirklichkeit geworden, sondern ein deutscher Staat – das Reich.“

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Wurzel (sic) für uns richtunggebend bleiben und beides mit dem Weimarer Staat, dessen Wurzeln – nach Rathenau – auf den Staat von 1848 zurückzuführen sind, wenig zu tun hat.“ „Die Chancen zu einer ‚konservativen Revolution‘“, fuhr Gleichen fort, „werden sich dann zwangsläufig aus der praktischen Krisis dieses Staates ergeben, bei der sich das Auspendeln der sozialistischen Gleichgewichtsstruktur zwischen kapitalistischen Arbeitgebern und sozialistischen Arbeitnehmern, wie es den intellektuellen Führern beider Lager heute noch als Ideal vorschwebt, nicht mehr ermöglichen lassen wird. Dann ist das eigentliche Ende des pouvoir neutre, des Beamtenstaats, erreicht.“33 2. Wenn von diesem Zeitpunkt an im Ring der Name Carl Schmitt immer häufiger fiel, so war dies indes nicht so sehr auf dessen persönliches Engagement zurückzuführen – als Autor war er nur in Gestalt von Nachdrucken anderwärts erschienener Texte präsent34 –, als vielmehr auf den Einsatz seiner Schüler, die die ihnen dort gebotene Publikationsmöglichkeit extensiv nutzten. Bei weitem der produktivste und zugleich eigenständigste unter ihnen war Ernst Rudolf Huber (1903–1990).35 Seine Bibliographie weist für den Zeitraum von 1929 bis 1933 85 Publikationen im Ring auf, davon 35 Aufsätze und 50 Besprechungen, die meisten davon in den Jahren 1930 und 1931 und vielfach unter Pseudonymen, die in seiner Bibliographie aufgeschlüsselt sind.36 Huber stammte aus Oberstein und war stark protestantisch geprägt; zwischen dem 16. und 19. Lebensjahr war er in der Bündischen Jugend aktiv, in diesem Fall: dem Nerother Wandervogel, zu dessen Gründungsmitgliedern er gehörte.37 Da sein Vater, ein mittelständischer Kaufmann, während der Inflationsjahre in Existenznöte geriet, mußte er sein 1921 begonnenes Studium der Geschichte und Literaturwissenschaft zeitweilig unterbrechen, um im väterlichen Betrieb mitzuarbeiten. Zum Wintersemester 1922/23 konnte Huber an die 33 34

35

36

37

H. v. G.: „Wesen und Werden des faschistischen Staates“, in: Der Ring 2, 1929, H. 10, S. 193 f. Vgl. Carl Schmitt: Der bürgerliche Rechtsstaat, in: Der Ring 1, 1928, H. 22, S. 423–424 (zuerst erschienen in: Abendland 3, 1928/29, H. 3); Völkerrechtliche Probleme im Rheinland, in: Der Ring 1, 1928, H. 52, S. 1002–1003 (zuerst in: Rheinische Schicksalsfragen, Nr. 27/28). Zwei weitere Nachdrucke erschienen 1930: Die politische Lage der entmilitarisierten Rheinlande, in: Der Ring 3, 1930, H. 27, S. 475–476 (zuerst in: Abendland 5, 1930/31, H. 10); Eine Warnung vor falschen politischen Fragestellungen, in: Der Ring 3, 1930, H. 48, S. 844–845 (zuerst in: Mitteilungen des Vereins zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen 1930, H. 19). Die nachstehenden biographischen Angaben stützen sich auf Ernst Rudolf Huber: Lebensbericht (handschriftl. Ms., o. J.), Nachl. Huber, N 1505, 290; Carl Schmitt in seiner Bonner Zeit (Typoskript, o.J.), ebd., 289; Fragebogen zur Entnazifizierung vom 27.3.1946, ebd., 770. Aus der Sekundärliteratur: Walkenhaus, Konservatives Staatsdenken, S. 11 ff.; Maetschke, Ernst Rudolf Huber; Mehring, Carl Schmitt, S. 264 ff.; Jürgens, Staat und Reich bei Ernst Rudolf Huber, S. 5 ff. Vgl. Huber-Simons und Huber, Bibliographie, S. 389 ff. Unter den als Aufsätzen angeführten Publikationen befinden sich allerdings zahlreiche ausführlichere Besprechungen. 1933 ist im Ring nur mehr eine einzige Besprechung erschienen. Zum männerbündisch strukturierten und vom üblichen, zugleich nationalistischen und elitären Sendungsbewußtsein erfüllten Nerother Wandervogel vgl. Kindt, Dokumentation, S. 211 ff.; Krolle, „Bündische Umtriebe“.

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Universität zurückkehren, verlegte sich nun aber auf zukunftssicherere Fächer wie Nationalökonomie und Rechtswissenschaft. Seinem späteren Lebensbericht zufolge nahm er während seiner Münchner Semester regen Anteil an den politischen Geschehnissen und erlebte insbesondere den Hitler-Ludendorff-Putsch aus nächster Nähe mit – in welcher Rolle blieb offen.38 Im Sommersemester 1924 wechselte er von München nach Bonn und nahm dort ab Wintersemester 1924/25 an zwei staatsrechtlichen Seminaren Schmitts teil, von dem er bis dahin nur die kleineren Schriften kannte. Jahre später hob er hervor, daß Schmitts Wirkung auf seine Generation nicht nur durch die wissenschaftliche Qualität seiner Arbeiten bestimmt gewesen sei, sondern auch durch die entschiedene polemische Stellungnahme gegen Versailles und das am Rheinland begangene ‚Unrecht‘.39 Was die Begegnung mit Schmitt für ihn persönlich bedeutete, schilderte er so: „Ich erhielt durch Schmitt zugleich Zugang zum römisch-mediterranen Wesen und zur römischen Form. Ich war bis dahin in meinem geistigen Habitus sehr romantisch-deutsch, jugendbewegt, emotional und sentimental. Jetzt ging mir die Klarheit, die Helle, die Präzision des romanisch-mittelmeerischen Denkens auf; ohne diese Klärung, Härtung und Formung des Denkens wäre ich nicht geworden, was ich bin.“40 Im Januar 1926 schloß er das Jurastudium mit dem ersten Staatsexamen ab und promovierte noch im gleichen Jahr während der Referendarzeit bei Schmitt mit einer staatskirchenrechtlichen Arbeit über „Die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte in der Weimarer Verfassung“ (als Buch Tübingen 1927). Nach Schmitts Wechsel an die Berliner Handelshochschule (1928) blieb er in Bonn, wo er zunächst als wissenschaftliche Hilfskraft am Industrierechtlichen Seminar (Heinrich Göppert) tätig war, seit dem 1. Oktober 1930 als Assistent der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät. 1931 habilitierte er sich dort mit einer Arbeit über Fragen des Wirtschaftsverwaltungsrechts,41 mithin über ein Gebiet, das, wie schon das Thema der Doktorarbeit, von Schmitts Schwerpunkten durchaus entfernt war. Auch sein Interesse am Ring war insofern genuiner Natur, als er Mitglied eines ‚jungkonservativen Klubs‘ war, der Hoffnungen auf Brüning und Papen setzte, wenn auch mit erheblicher Skepsis.42 Mit Schmitt hielt er auch nach dessen Wechsel nach Berlin Kontakt. So besuchte er ihn dort im Oktober 1930 und im September 1931, traf ihn im Mai 1931 in Köln, las Korrektur für den Hüter der Verfassung und begleitete Schmitt zur Staatsrechtslehrertagung in Halle Ende Oktober 1931.43 Die beiden Schwerpunkte seiner akademischen Qualifikationsarbeiten lassen sich unschwer auch in Hubers Beiträgen zum Ring wiedererkennen. Knapp ein Drittel der 38 39 40 41 42 43

Vgl. Ernst Rudolf Huber, Lebensbericht, S. 7. Vgl. Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Brief vom 21.2.1940, Nachl. Huber, N 1505, 198. Huber, Lebensbericht, S. 9. Ernst Rudolf Huber: Wirtschaftsverwaltungsrecht. Institutionen des öffentlichen Arbeits- und Unternehmensrechts, Tübingen 1932. Vgl. Huber, Lebensbericht, S. 15 ff. Vgl. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 50, 138; 104 f., 111, 141; Huber, Carl Schmitt in der Reichskrise, S. 35.

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größeren Texte, die er zu diesem Sujet teils unter seinem eigenen Namen, teils anonym, teils unter dem Pseudonym Walter Esch veröffentlicht hat,44 befaßt sich mit Problemen des Staatskirchenrechts und der Theologie und ist von der Frage geleitet, ob und wie sich das in den christlichen Kirchen enthaltene Potential zur „Förderung einer konservativen Staatsgestaltung“ nutzen läßt. Speziell die auf Länderebene mit der katholischen Kirche geschlossenen Konkordate schienen Huber Ansatzpunkte für einen Ausgleich zu bieten, „der Staat und Kirche über die Bedürfnisse des Tages hinaus eint in dem gemeinsamen Streben, die weltlichen Zwecke neu mit dem großen geistigen Prinzip des Abendlandes zu verbinden.“45 Fragestellungen dieser Art zielten eher in Richtung der herkömmlichen protestantischen Version des „christlichen Staates“ und waren entsprechend entfernt von den Auffassungen Carl Schmitts, die am Themenkomplex der Politischen Theologie vor allem den Aspekt der Säkularisierung hervorhoben oder den möglichen Beitrag der (katholischen) Kirche zum Kampf gegen den Anarchismus/Bolschewismus.46 Ein weiteres gutes Drittel ging unter dem Pseudonym Friedrich Schreyer bzw. dem Kürzel „Fr. Schr.“ den Wandlungen der Wirtschaftsverfassung und den politischen Reaktionen darauf nach.47 Die Tendenz dieser Beiträge bestand in der Forderung nach einer „Verstärkung und Erneuerung der privatwirtschaftlichen Ordnung unter Ueberwindung der heutigen Auswüchse wie der heutigen Zersetzungserscheinungen“, allerdings nicht als Ziel an sich selbst, sondern als Mittel zur „Wiederherstellung und Erhaltung des

44

45 46 47

Vgl. Ernst Rudolf Huber: Staatsverträge mit den protestantischen Landeskirchen, in: Der Ring 2, 1929, H. 45, S. 868–872; Die politische Bedeutung des Konkordats, in: Der Ring 2, 1929, H. 48, S. 933–935; Evangelisches Kirchenrecht, in: Der Ring 3, 1930, H. 51, S. 900–903; Protestantismus und Sozialismus, in: Der Ring 4, 1931, H. 1, S. 10. Ohne Verfasserangabe: Geschichte und Dogma, in: Der Ring 3, 1930, H. 11, S. 216–217; Die Beilegung des Kulturkampfes in Preußen, in: Der Ring 3, 1930, H. 31, S. 553–554. Walter Esch: Kirche und Theologie, in: Der Ring 3, 1930, H. 19, S. 356–358; Religion und Politik, in: Der Ring 3, 1930, H. 28, S. 492–494; Johann Adam Möhler, in: Der Ring 4, 1931, H. 1, S. 11–12; Religiöse Besinnung, in: Der Ring 4, 1931, H. 52, S. 963. Huber, Die politische Bedeutung des Konkordats. Vgl. Walkenhaus, Konservatives Staatsdenken, S. 56. Vgl. Friedrich Schreyer: Demokratie und Wirtschaft, in: Der Ring 3, 1930, H. 18, S. 323–325; Politische Macht und ökonomisches Gesetz, in: Der Ring 3, 1930, H. 37, S. 635–637; Das Eigentum in der Reichsverfassung, in: Der Ring 3, 1930, H. 40, S. 692–694; Eine Auseinandersetzung mit einem Theoretiker des Sozialismus über Sozialpolitik, in: Der Ring 4, 1931, H. 9, S. 161– 163; Gewerkschaften, Betriebsräte und Faschismus, in: Der Ring 4, 1931, H. 31, S. 561–563; Nationalsozialismus und katholische Publizistik, in: Der Ring 4, 1931, H. 31, S. 567–568; Sozialistische Deutung und Kritik des Nationalsozialismus, in: Der Ring 4, 1931, H. 31, S. 568–569; Sozialrevolutionärer Nationalismus, in: Der Ring 4, 1931, H. 31, S. 569; Arbeits- und Wirtschaftsgerichtsbarkeit, in: Der Ring 4, 1931, H. 35, S. 662–664; „Planeuropa“, in: Der Ring 4, 1931, H. 39, S. 744; Das Prinzip der schiedsrichterlichen Führung, in: Der Ring 4, 1931, H. 49, S. 921–922; Kapitalismus, Sozialismus, Planwirtschaft, in: Der Ring 5, 1932, H. 9, S. 152–154; Wirtschaftskrise und Wissenschaft, in: Der Ring 5, 1932, H. 9, S. 154–155. Hinzuzufügen sind drei weitere thematisch einschlägige Beiträge: unter dem Pseudonym Manfred Wild: Die deutschen Tribute, in: Der Ring 3, 1930, H. 40, S. 699–700; o. V.: Die Reform des Schlichtungswesens, in: Der Ring 3, 1930, S. 745–746; Walther Esch: Reform des Schlichtungswesens, in: Der Ring 5, 1932, H. 9, S. 155.

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nationalen Lebensraumes“.48 Das Eigentum sollte zwar durch ‚christliche und konservative Weltgesinnung‘ gebunden sein, zugleich aber vor der in der Weimarer Republik in Gang gekommenen „schleichende(n) und kalte(n) Sozialisierung“ geschützt werden, was sich auch gegen die Ausdehnung einer „staatssozialistische(n) Organisation“ und deren Begleitideologie richtete, wie sie Huber unter anderem auch in den Gedankengängen seines Bonner Kommilitonen Otto Kirchheimer zum Enteignungsbegriff ausmachte.49 Besondere Kritik erfuhr dabei die einseitige Ausrichtung der Gewerkschaften auf den Klassenkampf, die in Hubers Augen zu einer Auflösung der Rechtsgemeinschaft, ja der Nation führen mußte.50 Zwar lehnte er die in einigen Kreisen der Rechten diskutierte Idee ab, die Gewerkschaften auszuschalten, indem man ein korporatives System schuf, das sich unmittelbar auf die Betriebsvertretungen stützte, doch zeigte er sich äußerst angetan von der im italienischen Faschismus entwickelten Lösung, die Gewerkschaften beizubehalten, sie jedoch zugleich durch Privilegierung der faschistischen Verbände an den Staat zu binden.51 Damit werde die Suprematie des Staates über die rein wirtschaftlichen Interessen gesichert und zugleich das Eliteprinzip verwirklicht, wie dies auch deutschen Traditionen entspreche. Überhaupt sei faszinierend, „wie sehr der italienische Faschismus aus deutschem Geistesgut und aus deutschen Formen entstanden ist und seine Uebernahme für Deutschland daher wiederum eine historische Umkehr bedeuten müßte.“52 Das kam, wie hier nicht noch einmal nachgewiesen werden muß, den Ansichten Carl Schmitts weit entgegen. Diese wurden denn auch von Huber in mehreren Beiträgen ausgiebig vorgestellt. So gab er einen mit vielen Zitaten geschmückten Bericht über Schmitts Vortrag in Barcelona, referierte über zwei weitere Vorträge, die sich mit dem Begriff des pouvoir neutre und mit Hugo Preuß befaßten, erörterte unter dem Pseudonym Manfred Wild mit „Repräsentation“ einen Grundbegriff der Verfassungslehre und rezensierte den Hüter der Verfassung.53 So sehr diese Texte die Abhängigkeit Hubers von Schmitt bezeugen, so deutlich ist doch auch das Bemühen, eigene Akzente zu setzen. Das geschah in Form von Ergänzungen, die zu den von Schmitt erwähnten neutralen Mächten die Reichswehr hinzufügten, oder von Relativierungen, die darauf aufmerksam machten, daß der Reichspräsident nicht nur als Hüter der Verfassung zu sehen war, sondern auch als Amtsträger, welcher seinerseits die Verfassung verletzen

48 49 50 51

52 53

Fr. Schr.: Neue Bücher, in: Der Ring 3, 1930, H. 40, S. 684 f. Vgl. Schreyer, Auseinandersetzung, S. 162; Das Eigentum in der Reichsverfassung, S. 692 ff. Vgl. Schreyer, Arbeits- und Wirtschaftsgerichtsbarkeit, S. 663. Vgl. Schreyer, Gewerkschaften, Betriebsräte und Faschismus, S. 562. Dieses Faible für den italienischen Faschismus, das er mit seinem Lehrer teilte, hat Huber noch bis in die Jahre des Zusammenbruchs bewahrt. „Mussolini hat als Erster den autoritären und totalitären Gedanken konzipiert und politisch durchgesetzt“, heißt es in den an der Jahreswende 1944/45 niedergeschriebenen ‚Straßburger Erinnerungen‘: Typoskript, Nachl. Huber, N 1505, 773, S. 83. Fr. Schr., Nationalsozialismus und katholische Publizistik, S. 568. Vgl. o.V.: Das Zeitalter der Technik, in: Der Ring 2, 1929, H. 51, S. 998–1001; Die neutralen Mächte im modernen Staat, in: Der Ring 2, 1929, H. 51, S. 1001–1002; Hugo Preuß, in: Der Ring 3, 1930, H. 31, S. 552; Manfred Wild: Repräsentation, in: Der Ring 3, 1930, H. 31, S. 545–547; Der Hüter der Verfassung, in: Der Ring 4, 1931, H. 18, S. 328–330.

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konnte.54 Es geschah aber auch in Form von versteckten Huldigungen an den Altären anderer Götter55 sowie, wenn nötig, in Gestalt eines beherzten Widerspruchs, beispielsweise gegen das Konzept einer ‚nationalen Demokratie‘, wie es von Schmitt in seiner Rede über Hugo Preuß entwickelt wurde. Lag für Schmitt die Bedingung der Möglichkeit einer solchen nationalen Demokratie in der Entkoppelung von Demokratie und Liberalismus, so verwies Huber dies in das „Reich der Begriffe“ und behauptete statt dessen „eine besondere Affinität der Demokratie“ zum Liberalismus.56 Demokratie sei Willensbildung nach dem Mehrheitsprinzip und darüber hinaus: Herrschaft auf Zeit, was den auf diese Weise hervorgebrachten Entscheidungen einen kontingenten und provisorischen Charakter verleihe. „Es gehört zum Wesen der Demokratie, daß jede Frage von Tag zu Tag neu entschieden werden kann.“57 Dies stehe jedoch im Gegensatz zu den Erfordernissen der Wirtschaft. Deren „Lebensgesetze“ verlangten, daß alle Maßnahmen, die ihre Entwicklung bestimmen, im Rahmen eines sinnvollen und rationalen Planes lägen: „Wirtschaft geschieht stets auf lange Sicht. Sie erträgt es nicht, ständig unter Entscheidungen provisorischen Charakters zu stehen, ständig fürchten zu müssen, daß aus unkontrollierbaren und unvorhersehbaren Motiven morgen umgestoßen wird, was heute maßgebend war, ständig von Erwägungen hin- und hergeleitet zu werden, die ohne Rücksicht auf die Prinzipien ökonomischer Entwicklung gestaltet sind. Wirtschaft erträgt keine Willkür und darum keine aktive und intensive Wirtschaftspolitik des demokratischen Staates. Denn Demokratie ist denkbar nicht ohne ständigen Wechsel des politischen Wollens; Wirtschaft ist nur möglich bei Kontinuität der Wirtschaftspolitik.“58 Da aber auch der demokratische Staat nicht ohne funktionierende Wirtschaft existieren könne, folge aus dieser Konstellation: der Liberalismus. Gewiß könne auch der demokratische Staat, wie jeder Staat, im Prinzip alles. Wolle er jedoch auf Dauer bestehen, so werde er „nur das Sachgemäße wollen dürfen“. Einzig sachgemäß aber sei in diesem Fall, da dem Staat „das Organ für die Sachgemäßheit einer Entscheidung“ fehle, das Nichthandeln, der Verzicht auf den regelnden und leitenden Eingriff in die Wirtschaft, die „Anpassung an die Lebensgesetze dieser Komplexe“. Wer die Demokratie bejahe, die Herrschaft der Mehrheit, bejahe damit „zugleich den wirtschaftlichen Liberalismus (…); die Wirtschaftsform der Demokratie ist der Liberalismus.“59 Eben diese Wirtschaftsform aber, so Huber weiter, habe heute aus äußeren wie inneren Umständen eine kritische Grenze erreicht. Die verschärfte Konkurrenz auf dem 54 55

56 57 58 59

Vgl. o.V., Die neutralen Mächte, S. 1002; Wild, Der Hüter der Verfassung, S. 330. So hieß es etwa zum Konkurrenzunternehmen von Schmitts Verfassungslehre, der auf phänomenologischen Prinzipien aufbauenden Arbeit Rudolf Smends über Verfassung und Verfassungsrecht (1928), „daß erst von dieser philosophischen Grundeinstellung aus die Deutung der Realität und der Idealität von Staat und Recht wirklich möglich ist.“ (Besprechung zu Karl Larenz, Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, in: Der Ring 4, 1941, H. 8, S. 141). Schreyer, Demokratie und Wirtschaft, S. 324, 323. Ebd., S. 324. Ebd. Ebd.

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Weltmarkt bedrohe das wirtschaftliche Fundament der nationalen Staaten, der Klassenkampf auf binnenwirtschaftlicher Ebene die nationale Einheit. Liberale Wirtschaftspolitik im Sinne von staatlicher Nichtintervention sei deshalb nicht mehr möglich, der aktive, eingreifende und regulierende Staat gefordert.60 Weil aber die Wirtschaftspolitik demokratischer Staaten stets unvermeidlich liberale Züge tragen müsse, mache dies auf politischer Ebene die Abkehr von der Demokratie zwingend erforderlich. Eine solche Abkehr war nach Huber indes nicht nur mit Blick auf die aktuelle Lage vonnöten. Sie folgte vielmehr aus der prinzipiellen Unangemessenheit des demokratischen Prinzips an die Erfordernisse politisch-staatlicher Gestaltung. Dieses Prinzip, das Huber im Anschluß an Schmitts Verfassungslehre als Prinzip der Identität bestimmte, sei im Gegensatz zu Schmitts Auffassung nicht als „schöpferisches und einigendes Prinzip der Staatsgestaltung“ zu sehen. „Denn Identität, das Eins-sein einer Sache mit sich selbst, ist das Gegenteil eines Formprinzips, bedeutet die natürliche Gegebenheit einer Sache und nicht ihre gestaltete und damit gesteigerte Form. Alle Identitätsvorstellungen sind formfeindlich und gestaltungsunfähig; insbesondere ist das Volk in seiner Identität mit sich selbst eine unformierte und unorganisierte Größe. Die Funktion der Identitätsvorstellungen für die Staatsgestaltung ist daher negativer Art. Die Identität ist das Gegenprinzip jeder Formgebung und jeder Organisation; sie bewirkt nicht die politische Geschlossenheit, sondern fördert die Auflösung der absoluten Staatlichkeit.“61 Letzteres sei zwar manchmal unvermeidlich und könne im Hinblick auf die Schaffung neuer und lebensvoller Formen durchaus fruchtbar sein, tauge aber nichts, wenn es um positive Gestaltung gehe. Dies sei allein über das zweite von Schmitt herausgestellte politische Formprinzip möglich: die Repräsentation. Huber beließ es nicht bei diesem Einwand, der sich immerhin gegen eine Grundunterscheidung der Schmittschen Verfassungslehre richtete. Er zog darüber hinaus die Darstellung des Übergangs von der absoluten über die konstitutionelle zur parlamentarischen Monarchie in Zweifel und warf Schmitt vor, sich nicht klar zwischen einer (katholisch-)fundamentalistischen, die repräsentative Funktion des modernen Staates bestreitenden Position und einer etatistischen Auffassung entschieden zu haben, die dem modernen Staat „die Möglichkeit einer wirklichen Repräsentation und damit einer Regeneration der staatlichen Formierung“ zuerkannte.62 Für Huber selbst kam nur das letztere in Frage. Die anzustrebende Regeneration schloß dabei für ihn ausdrücklich das Parlament ein, wenn nicht im Sinne eines Anteils an der Regierung, so doch in demjenigen eines Anteils an der Repräsentation des Staates, die nicht vom Reichspräsidenten allein wahrgenommen werden könne. Zwar sei angesichts der Korruption des heutigen Parlaments dessen vorübergehende Ausschaltung zu rechtfertigen, doch werde jede Verfassungsreform auf die Dauer „eine oberste ‚Repräsentativ-Versammlung‘ (auch in Form einer Doppelkammer) mit einem bestimmten Maß politischer Einflußrechte einrichten müssen.“ Gelänge es, das Parlament aus einer Vertretung von Einzel- und Gruppeninteressen wieder in einen echten „Repräsentanten der Nation“ zu verwandeln, erübrigten sich auch Experimente mit berufsständischen Einrichtungen, von denen nur zu erwarten 60 61 62

Vgl. Schreyer, Politische Macht und ökonomisches Gesetz, S. 635 f. Wild, Repräsentation, S. 545. Ebd., S. 546.

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sei, daß sie „an die Stelle einer verschleierten Interessenvertretung, wie es das Parlament ist, eine offene Interessenvertretung setzen.“63 Über die genauen Modalitäten, wie dem Parlament seine repräsentative Funktion zurückzugeben sei, gab der Text allerdings keine Auskunft.64 Die hier angedeutete eigenständige Linie behielt Huber auch in den folgenden Beiträgen bei, die sich auf Carl Schmitt bezogen. In seinem Bericht über den Hugo-PreußVortrag monierte er, daß der Referent die für Preuß typische „Negation des Souveränitätsbegriffs“ nicht klar genug zum Ausdruck gebracht habe. Preuß habe wohl die pluralistische Auflösung des Staates in eine Vielzahl gleichwertiger Verbände noch nicht durchgeführt, ihr aber das theoretische Fundament geliefert und so dazu beigetragen, „die Auffassung des Staates als einer Institution mit eigenem sittlichen Wert und geschichtlicher Sendung zu zerstören.“65 Der Kommentar zum Hüter der Verfassung fiel insgesamt positiver aus, doch wich Huber auch hier im entscheidenden Punkt ab. In hochpolitischen Verfassungskonflikten könne es „keinen eigentlichen und organisierten ‚Hüter der Verfassung‘ geben“, wie Schmitt dies mit seiner einseitig den Reichspräsidenten privilegierenden Darstellung nahelege. „Möglich ist nur, daß in einem solchen Konflikt ein Organ des Staates sich mit der Verfassung zu identifizieren vermag, sei es kraft seiner besonderen Autorität der Reichspräsident, sei es kraft einer entschlossenen und zielbewußten Führung die Reichsregierung, sei es ein willens- und handlungsfähiges Parlament, sei es schließlich das zu einem Volksentscheid oder zu Neuwahlen oder zur Absetzung des Reichspräsidenten aufgerufene Volk. Die Entscheidung über den Verfassungskonflikt fällt also in dem System gegenseitiger Hemmungen und Balancen, das die Reichsverfassung bietet, durch die politische Autorität, Führung, Handlungsfähigkeit oder Aktivierung eines verfassungsmäßigen Organs; sie ist, wie es der Natur des Konfliktes entspricht, eine politische Entscheidung, die jeder justizförmigen Organisation entbehrt.“66 Gegenüber den rein verfassungsrechtlichen Erwägungen, mit denen Schmitt zu diesem Zeitpunkt die Krise zu bewältigen hoffte, war dies eine deutlich politischere Auffassung, auch wenn hinsichtlich der konkreten Lösungen die Differenzen nicht sehr groß gewesen sein mögen. Ob Schmitt wußte, wer sich hinter dem Pseudonym Manfred Wild verbarg, ist seinen Tagebüchern nicht zu entnehmen. Daß Huber seine abweichenden Ansichten im persönlichen Austausch nicht unterdrückte, geht immerhin aus einer Tagebuchnotiz 63 64

65 66

Ebd., S. 547. Aufschlußreich ist allerdings die Auskunft, daß die „Totalität der Nation“ sowohl durch einen Einzelnen als auch durch eine „aktionsfähige Gruppe“ repräsentiert werden könne (ebd., S. 545). Verbindet man dies mit dem an anderer Stelle gegebenen Hinweis auf Hans Blüher (vgl. Schreyer, Demokratie und Wirtschaft, S. 323), so dürfte es keine Unterstellung sein, wenn man Huber in die Nähe bündischer Elitekonzepte rückt, wie sie etwa auch von A. E. Günther oder Wilhelm Grewe vertreten wurden (vgl. dazu weiter unten). Wie stark übrigens der Einfluß Blühers im bündischen Milieu war, dem Huber entstammte, zeigt der ab 1918 geführte Briefwechsel mit seinem Jugendfreund aus dem Wandervogel, Ferdinand Kurt Heller, in dem fleißig über Blühers Deutungen korrespondiert wird. Vgl. Nachl. Huber, N 1505, 724. O. V.: Hugo Preuß, S. 552. Wild, Der Hüter der Verfassung, S. 330. Zu den Differenzen mit Schmitt in diesem Punkt: Jürgens, Staat und Reich, S. 104 ff.

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vom 25.5.1931 hervor, in der Schmitt seinen Ärger über eine „dumme Korrektur“ Hubers festhielt, leider ohne Näheres dazu zu vermerken.67 Eine weitere Zuspitzung der Differenzen bog Huber wenige Monate später in einem Brief ab, in dem er auf Schmitts Neufassung des Begriffs des Politischen mit dem Eingeständnis reagierte, er empfinde „eine unmittelbare Übereinstimmung in einigen Grundkategorien“, die ihm deutlich gemacht habe, „wie sehr ich gerade in diesen Jahren, in denen ich äußerlich von Ihnen getrennt war, Ihr Schüler geworden bin.“68 Schmitt seinerseits registrierte die neu gewonnene Harmonie mit Erleichterung. „Trotz des zu späten Zubettgehens ziemlich munter, wunderschöner Brief von Huber über meinen ‚Begriff des Politischen‘ und meine ‚Verfassungslehre‘“.69 3. Weitaus spannungsfreier war bis 1934 Schmitts Verhältnis zu seinem zweiten bedeutenden Bonner Schüler, Ernst Forsthoff (1902–1974).70 Dessen Vater, der Pfarrer und Theologe Heinrich Forsthoff, gehörte zu den prominenteren Vertretern einer völkischen Auslegung des Protestantismus, der nach 1933 in der Glaubensgemeinschaft Deutscher Christen Karriere machte, aber auch schon in der Weimarer Republik für eine Reinigung der evangelischen Kirche von den Erscheinungen des Säkularismus, allen voran: der liberalen Theologie, eintrat. Durch ihn wurde sein Sohn früh mit der Volksnomostheologie Wilhelm Stapels und dessen Zeitschrift Deutsches Volkstum vertraut, über die er 1942 schrieb: „Vor zwanzig Jahren, im Wirbel der Inflationsjahre, lernte ich das ‚Deutsche Volkstum‘ kennen und ließ hinfort keine Zeile mehr ungelesen.“71 1932 waren Vater und Sohn mit je einem eigenen Beitrag in dem Sammelband vertreten, in dem der Hamburger Nationalismus Auskunft über die Erwartungen gab, die er an den Nationalsozialismus richtete.72 Ernst Forsthoff studierte dann zwar nicht Theologie, sondern Jura, doch gehörten kirchenpolitische Fragen zu dem Katalog von Themen, zu denen er 67

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Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 111. Wie ambivalent und von Konkurrenz durchdrungen das Verhältnis zumindest von Schmitts Seite war, zeigen die Tagebucheintragungen vom November 1932, als Huber für einige Wochen bei Schmitt zu Gast war, um im Auftrag des Reichswehrministeriums eine Kritik am Urteil des Leipziger RGH in Sachen Preußen gegen das Reich zu schreiben. Schmitt sprach zwar mit Huber Satz für Satz seines Manuskripts durch, reagierte aber mit deutlicher Depression darüber, daß Huber als Verfasser der Schrift firmierte: vgl. Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 241. In den der Veröffentlichung vorangehenden Eintragungen wird Huber als „klug und kalt“ bzw. als „kalt und berechnend“ beurteilt und Klage darüber geführt, daß andere seine, Schmitts, Bücher veröffentlichten (S. 234, 236). Das Manuskript erweckt dann zwar Begeisterung, doch heißt es schon zwei Tage später wieder: „Sprach mit Huber über sein Buch, er ist entsetzlich alt und Bourgeois, aber klug.“ (S. 238) Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Brief vom 20.10.1931, Nachl. Schmitt, RW 265–6252. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 148. Zur Biographie: Meinel, Der Jurist. Ernst Forsthoff an Wilhelm Stapel, Brief vom 23.9.1942. Zit. n. Meinel, Der Jurist, S. 20. Vgl. Heinrich Forsthoff: Protestantismus und Nationalsozialismus, in: Günther, Was wir vom Nationalsozialismus erwarten, S. 33–40; Friedrich Grüter (d. i. Ernst Forsthoff): Die Gliederung des Reiches, ebd., S. 81–89. Der Band wurde im Ring von Heinrich von Gleichen besprochen: vgl. Im Ringen um den autoritären Staat, in: Der Ring 5, 1932, H. 17, S. 276–278.

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sich bis weit in die 40er Jahre kontinuierlich äußerte – anfangs noch ganz auf der Linie seines Vaters, die auf eine Zentralisierung des Protestantismus in einer Deutschen Reichskirche zielte, ab 1935 dann in vorsichtiger Distanzierung von der kirchenfeindlichen Politik des Regimes.73 Zu Carl Schmitt kam er, nach vier Semestern in Freiburg und Marburg, im Sommersemester 1923 und war sofort überwältigt. Die Teilnahme an Schmitts öffentlichrechtlicher Übung, so bekannte er später mehrfach, sei für ihn ein „lebensentscheidendes Erlebnis“ geworden, in dem sich ihm erstmals der eigentliche Sinn des Rechtsstudiums und des spezifisch Juristischen, mehr noch: der „Geist des Rechts“, offenbart habe.74 Daß dieser Geist die Züge Carl Schmitts trug, zeigte bereits die Doktorarbeit über den Ausnahmezustand der Länder, mit der Forsthoff im Februar 1925 in Bonn promovierte, ging es doch hier um die Elaboration einer in der Politischen Theologie angerissenen These, wonach die staatliche Qualität der Länder wesentlich von der Selbständigkeit ihrer Diktaturgewalt abhänge.75 Seine beiden anschließenden fachwissenschaftlichen Monographien, die Habilitationsschrift über Die öffentliche Körperschaft im Bundesstaat (1931) und die kleinere Studie über Die Krise der Gemeindeverwaltung im heutigen Staat (1932), gelten, bei aller Selbständigkeit im einzelnen, im ganzen ebenfalls als „Applikationen von Schmitts Theorie des totalen Staates“.76 Der sachlichen Nähe entsprach zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht unbedingt auch eine Nähe persönlicher Art. Nach Schmitts Weggang nach Berlin blieb Forsthoff zunächst in Bonn, wechselte dann aber 1930 zur Habilitation nach Freiburg bei Marschall von Bieberstein. Hier blieb er bis zu seiner Berufung nach Frankfurt (1933) und entfaltete nicht nur eine eigenständige wissenschaftliche Tätigkeit, sondern auch politische Aktivitäten in der „Freiburger Politischen Gesellschaft“, für die er eine Reihe bekannter Vortragsredner gewann: neben Hjalmar Schacht, Hans von Seeckt und Otto Geßler auch Hendrik de Man, Gustav Steinbömer und vor allem Ernst Jünger, dessen Schrift über die totale Mobilmachung ihn tief beeindruckt hatte.77 Auch Carl Schmitt sprach dort am 22.6.1931 über den „Staat des 20. Jahrhunderts“.78 Obwohl Forsthoff seinen Lehrer mehrmals in Berlin besuchte – so war er u. a. unter den Zuhörern von dessen Vortrag über Hugo Preuß – erschwerte die räumliche Entfernung doch einen regelmäßigen Austausch, sehr im Unterschied zu Huber, der sich manchmal wochenlang in Berlin aufhielt. Von einer Koordination der politischen Initiativen ist deshalb nicht auszugehen, nicht 73 74

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Vgl. Meinel, Der Jurist, S. 23. Ernst Forsthoff in der Ansprache zum 65. Geburtstag von Carl Schmitt vom 11.7.1953, in: Briefwechsel Ernst Forsthoff – Carl Schmitt (2007), S. 397 f.; vgl. auch seine Briefe an Carl Schmitt vom 9.7.1963 und 9.7.1973, ebd., S. 191 f., 340 f. Vgl. Ernst Forsthoff: Der Ausnahmezustand der Länder, in: Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung und Wissenschaft 1923–1925, 1926, S. 138–194); Schmitt, Politische Theologie, S. 18; Meinel, Der Jurist, S. 39. Vgl. Forsthoff, Körperschaft; Gemeindeverwaltung; Meinel, Der Jurist, S. 43. Vgl. Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, Brief vom 21.12.1930, in: Briefwechsel Ernst Forsthoff – Carl Schmitt (2007), S. 35. Niedergeschlagen hat sich dies neben einem gleich vorzustellenden Beitrag im Ring noch in Forsthoffs bereits erwähntem Aufsatz über „Staatsrechtswissenschaft und Weltkrieg“. Vgl. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 118.

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einmal davon, daß Schmitt in jedem Fall wußte, wer sich hinter den diversen Pseudonymen verbarg, unter denen Forsthoff wie Huber publizierten. In einem Tagebucheintrag von März 1931 notiert Schmitt jedenfalls: „Um 7 Uhr Forsthoff, der von Freiburg erzählte, (…) freute mich, daß er der Grüter (ist), der im ‚Deutschen Volkstum‘ schrieb.“79 Wenn nicht direkt vom Verfasser, so mag Schmitt zumindest indirekt über Vorwerk erfahren haben, wer sich hinter Forsthoffs zweitem Pseudonym „Georg Holthausen“ verbarg. Unter diesem Namen erschienen im Ring in den Jahren 1930 und 1931 insgesamt elf Beiträge, zu denen noch ein weiterer unter dem Pseudonym „Rudolf Langenbach“ hinzugerechnet werden muß.80 Einige dieser Texte befaßten sich mit kirchenpolitischen Themen und waren insofern überraschend, als sie dem Protestantismus die katholische Kirche als leuchtendes Vorbild hinstellten, und dies nicht nur in institutioneller, sondern auch in nationaler Hinsicht, würdigte Forsthoff doch die wirksame Unterstützung, die wenigstens ein Teil der deutschen Minderheiten außerhalb der Reichsgrenzen bei ihr im Kampf um das Deutschtum gefunden habe.81 Andere Texte erörterten die geistesgeschichtlichen Grundlagen des modernen Staates, in durchweg enger Anlehnung an die Vorgaben seines Lehrers, etwa, wenn Forsthoff dessen Kritik an Meineckes Buch über die Idee der Staatsraison vertiefte oder auf die „theologischen Voraussetzungen der Politik“ einging.82 Eigenständige Ansätze finden sich dagegen in zwei weiteren Beiträgen, die eine Verbindung zwischen Schmitts Definition des Politischen und Ernst Jüngers Begriff der totalen Mobilmachung herstellten und damit möglicherweise auch erst Schmitts Aufmerksamkeit in diese Richtung lenkten.83 Habe Schmitt in seinem Aufsatz den Krieg in die Sphäre des Politischen hineingestellt, ja diesen erst zum „Mittelpunkt des Politischen“ gemacht, so bestehe die besondere Leistung Jüngers in der Herausarbeitung der Veränderungen, die sich aus der Erfahrung des eben abgeschlossenen Weltkrieges ergeben hätten. Diese beträfen zum einen den Zusammenbruch des Liberalismus und das darauf gegründete Verständnis, das die Politik „zu einer Provinz mit festen Grenzen“ erniedrigt und die politische Beteiligung auf die überkommene Form der Partei beschränkt habe, welche „den Menschen nur mit Maß und zeitweilig in Anspruch“ genommen habe. Infolge der totalen Mobilmachung, die durch den Weltkrieg zu einer unausweichlichen Notwendigkeit geworden sei, habe sich „die Basis des Politischen nach allen Richtun79 80

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Ebd., S. 99. Vgl. Rudolf Langenbach: Die Friedensfrage und die evangelische Kirche, in: Der Ring 3, 1930, H. 12, S. 236–237. Zur Zuordnung der Pseudonyme vgl. die Bibliographie in: Schnur, FS Ernst Forsthoff zum 70. Geburtstag, S. 501 f. Vgl. Georg Holthausen: Die katholische Kirche und die deutschen Minderheiten, in: Der Ring 3, 1930, H. 13, S. 246–247. Zum Vorbildcharakter in institutioneller Hinsicht vgl. Die geistigen Grundlagen der politischen Parteien, in: Der Ring 4, 1931, H. 4., S. 78–79. Vgl. Georg Holthausen: Politische Geschichtsschreibung ohne Staatsidee? In: Der Ring 3, 1930, H. 18, S. 335–336; „Die theologischen Voraussetzungen der Politik“, in: Der Ring 4, 1931, H. 48, S. 903–904. Vgl. Georg Holthausen: „Totale Mobilmachung“, in: Der Ring 4, 1931, H. 1, S. 4–5; Entpolitisierung oder totale Mobilmachung, in: Der Ring 4, 1931, H. 8, S. 132–133. Diese Aufsätze erschienen im Januar und Februar 1931, also gut ein Vierteljahr vor der Buchfassung des Hüters der Verfassung, in der Schmitt erstmals auf Jüngers Konzept rekurriert.

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gen“ verbreitert; seine Eingrenzung auf eine bestimmte Sphäre sei nicht mehr möglich, es erfasse „den ganzen Menschen in allen seinen Lebensäußerungen.“ Zum anderen sei die Form der politischen Führung berührt. Was sich in den letzten Kriegsjahren an der Front vollzogen habe – die Ablösung der herkömmlichen, auf professioneller Spezialisierung beruhenden Rangordnung und deren Ersetzung durch die neue Elite der Stoßtruppführer, die sich durch den Glauben an eine „politische Mission“ und durch den „Fanatismus der Hingabe“ auszeichneten –, werde sich über kurz oder lang auch außerhalb der militärischen Sphäre geltend machen. Die Rolle der Fachleute für Politik und parlamentarischen Betrieb sei ausgespielt, die „elementaren Qualitäten des Politischen, wie Verbundenheit mit dem Volkstum, Tapferkeit, Mut, persönliche Unanfechtbarkeit“, rückten in den Vordergrund. Auch die alten Parteien hätten keine Zukunft mehr, an ihre Stelle träten Verbände, deren Merkmal „die Abwendung von der Begrenzung und die Hinwendung zur alles, den ganzen Menschen umfassenden Organisation, die Beseitigung der typisch liberalen Abscheidung des privaten von dem öffentlichen Bereich im Dasein des Einzelnen“ sei.84 Forsthoff begrüßte diese Entwicklung grundsätzlich, wies sie doch über die bürgerlich-liberale Welt mit ihrer „fortgesetzten Zurückdrängung des Politischen“ und den damit zusammenhängenden Folgen hinaus: der „Abspaltung wichtiger sozialer Vorgänge von dem politischen Bereich“ und der Übersteigerung des Kapitalismus, die eine immer „verhängnisvollere, unkontrollierbarere und damit furchtbarere Verfügun(g)smacht über Einzelschicksale“ begründet habe. Gleichzeitig erschien ihm jedoch die aktuelle Tendenz zur Repolitisierung als problematisch, weil sie eine „nicht ernst genug zu nehmende Gefährdung des Staates als politischer Einheit“ impliziere. Im Anschluß an Schmitts Vortrag vor der Kantgesellschaft beschwor auch Forsthoff die „Gefahr des Pluralismus“, die aus dem Zusammenspiel politisierter sozialer Mächtegruppen erwachse, „deren Selbständigkeit der Liberalismus von ganz anderen Voraussetzungen aus geschaffen hatte und die sich dieser Selbständigkeit heute bedienen, um feste politische Position im Staate und gegen den Staat zu beziehen“, mit deutlicher Tendenz in Richtung einer „Auflockerung des Staates“, ja einer „Negation des Staates als politische Einheit.“85 Die Weimarer Verfassung, die mit ihrer Implementierung des liberalen „Demokratismus“ dies ermöglicht hatte, enthielt in Forsthoffs Augen jedoch auch das Gegenmittel. In den Artikeln 113 und 148 spreche sie das Volk nicht als eine Summe von Individuen an, als „Gesellschaftsvolk“ (Liermann), „sondern als eine durch eine eigene, volkstümliche Kultur individualisierte Einheit“, als „Gemeinschaftsvolk“. Diese „durch die Gemeinsamkeit des Schicksals, der Kultur, der Rasse, der Sprache verbundene Gemeinschaft“ verkörpere eine Kraft, die geeignet sei, „in den Dienst der staatlichen Gestaltung gestellt zu werden“. Als pouvoir constituant stehe es über dem Gesellschaftsvolk, das als bloß wählendes Volk als Staatsorgan im Rahmen der verfassungsmäßig umschriebenen Befugnisse agiere, mithin nur pouvoir constitué sei. In Gestalt der öffentlichen Meinung als der aktuellen Form der Akklamation sei es „unabhängig von den Normen der Verfassung als eine reale politische Macht vorhanden“; und wenn es diese gegenwärtig noch 84 85

Holthausen, „Totale Mobilmachung“, S. 5; vgl. Forsthoff, Staatsrechtswissenschaft und Weltkrieg, S. 295. Holthausen, Entpolitisierung, S. 133.

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nicht im vollen Umfang ausübe, so sei doch vielleicht „die Stunde des Gemeinschaftsvolkes nicht mehr fern.“86 Es versteht sich nach den dargelegten Prämissen von selbst, daß damit kein Akt der Willensbildung „from bottom up“ gemeint war, sondern lediglich eine kollektive Zustimmung zu denjenigen, die die „die Nation, das Politische, in beispielloser Intensität (repräsentierten)“.87 Forsthoff ließ nicht im Zweifel, wo diese Repräsentanten zu finden seien. Auch wenn über seine frühen politischen Zugehörigkeiten beim gegenwärtigen Stand der Forschung noch keine Klarheit besteht,88 lassen die publizierten Sympathiebekundungen für die radikale Rechte doch wenig Interpretationsspielraum. Sie betreffen die Freikorps der unmittelbaren Nachkriegszeit, denen bescheinigt wird, den „Typ des modernen politischen Führers“ hervorgebracht zu haben; den italienischen Faschismus, der die Jugend planmäßig politisiert habe; die bündische Bewegung in Deutschland und nicht zuletzt „die Nationalsozialistische Partei, die überhaupt als eine Bewegung in bündischer Form angesprochen werden muß.“89 Der jüngste Erfolg dieser Partei bei den Septemberwahlen 1930 habe seine eigentliche Ursache in den ganz neuen Formen der politischen Führung, die sie entwickelt habe, und nicht so sehr, wie meist angenommen, in der durch die wirtschaftliche Lage bedingten Radikalisierung der Gesinnung.90 Ebenso unverkennbar ist jedoch, daß diese Sympathieadressen in einem Rahmen ergingen, der dem Rechtsradikalismus eine klar begrenzte Funktion zuwies: die Gefährdungen für die politische Einheit zu beseitigen, die aus Liberalismus und Pluralismus erwuchsen, dem Gemeinschaftsvolk gegenüber dem Gesellschaftsvolk die Oberhand zu verschaffen und die erschütterte Autorität des Staates wiederherzustellen. Daß der Staat als solcher, insbesondere sein Monopol der legitimen physischen Gewaltsamkeit, nicht zur Disposition stand, machte Forsthoff im August 1931 in einem Beitrag deutlich, der sich dagegen aussprach, den eskalierenden innenpolitischen Auseinandersetzungen mit den herkömmlichen Mitteln der Rechtspflege begegnen zu wollen. Eine solche Praxis laufe auf eine „Unterhöhlung der Justiz“ hinaus, die in der „gegenwärtigen überaus gespannten Situation“ verhängnisvoll sei. Es sei deshalb vorzuziehen, die durch Art. 48 Abs. 2 eröffnete Möglichkeit zur Einrichtung von Sondergerichten wahrzunehmen, nicht nur, um auf diese Weise die Justiz vor weiteren Belastungen zu schützen, sondern auch, um zugleich klar zu machen, daß die anstehende „politische Befriedung des deutschen Volkes in einer exceptionellen Situation“ eine Aufgabe sei, die nur von genuin politischen Instanzen wahrgenommen werden könne.91 86

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Georg Holthausen: Der Volksbegriff der Weimarer Verfassung, in: Der Ring 4, 1931, H. 4, S. 67–68. Forsthoffs Bezugstext ist Liermann, Das deutsche Volk als Rechtsbegriff. Zu diesem Buch näher: Lepsius, Gegensatzaufhebende Begriffsbildung, S. 18 ff. Holthausen, „Totale Mobilmachung“, S. 4. Florian Meinel hält eine Mitgliedschaft des Schülers oder Studenten im Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund für möglich (Der Jurist, S. 16); Forsthoff selbst hat gegenüber Jean-Pierre Faye von einer Mitgliedschaft im Jungnationalen Bund gesprochen (Faye, Totalitäre Sprachen, Bd. 1, S. 351). Holthausen, „Totale Mobilmachung“, S. 5. Holthausen, Die geistigen Grundlagen der politischen Parteien, S. 78. Vgl. Georg Holthausen: Justiz, Politik und öffentliche Meinung, in: Der Ring 4, 1931, H. 35, S. 653–655, 655.

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4. Etwas später als Huber und Forsthoff, nämlich erst 1931, stießen zwei weitere Bonner Schüler zum Ring. Der eine, Ernst Friesenhahn (1901–1984) war allerdings inzwischen als Assistent zu Richard Thoma gewechselt und brach 1934 dauerhaft mit Schmitt, als er dessen Angebot zur Übernahme der Hauptschriftleitung der Deutschen Juristenzeitung zurückwies.92 Im Ring war er auch nur mit einem einzigen Text aus dem Themenkreis seiner Habilitationsschrift vertreten, in dem er, noch weitgehend auf der Linie Schmitts, dafür plädierte, die Erledigung von Verfassungsstreitigkeiten „dem Ringen der politischen Machtfaktoren um den Ausgleich ihrer Interessen (zu) überlassen“, anstatt sie vor ein Verfassungsgericht zu ziehen.93 Der andere Schmittianer war Karl Lohmann (1901–1996). Er hatte 1928 in Bonn über „Die Delegation der Gesetzgebungsgewalt im Verfassungsstaate“ promoviert und sich zeitweise bei den Deutschnationalen engagiert, bevor er 1930 wissenschaftlicher Mitarbeiter des sogen. Luther-Bundes wurde, des im Januar 1928 vom ehemaligen Reichskanzler Hans Luther gegründeten Bundes zur Erneuerung des Reiches (BER).94 Dieser Bund, dessen parteipolitische Basis von der DDP über die DVP bis zum Zentrum reichte und sich erheblicher Unterstützung aus Kreisen der Industrie und Großlandwirtschaft erfreute, strebte eine Senkung der Staatsausgaben sowie eine Stärkung der Reichsgewalt an, die durch die Beseitigung des Dualismus zwischen Preußen und dem Reich und eine entschiedenere Ausnutzung der Rechte des Reichspräsidenten erreicht werden sollte, ohne dabei allerdings den Rahmen der Verfassung zu verlassen.95 Auf Empfehlung Carl Schmitts, dessen Schriften bei den opinion leaders des Bundes hohes Ansehen genossen,96 wurde Lohmann Schriftleiter der monatlich unter dem Titel Reichsreform 92

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Vgl. Stolte, Ernst Friesenhahn, S. 195, 201 ff. Das Beharren auf Unabhängigkeit hatte sich bereits zwei Jahre zuvor in einem Brief angekündigt, den Friesenhahn kurz nach seiner Habilitation bei Thoma seinem einstigen Lehrer schrieb: „Das Bekenntnis zu Ihrer Schule und der Dank für diese Schulung sollen am Beginn meiner akademischen Lehrtätigkeit stehen, aber verbunden mit dem Willen zu freier kritischer Weiterarbeit.“ Ernst Friesenhahn an Carl Schmitt, Brief vom 20.5.1932, Nachl. Schmitt, RW 265–4506. Ernst Friesenhahn: Die Staatsgerichtsbarkeit, in: Der Ring 4, 1931, H. 35, S. 659–662, 662. Vgl. Lohmann, Gesetzgebungsgewalt; Der Kampf um die vermögensrechtliche Auseinandersetzung mit den vormals regierenden Fürstenhäusern-Sperrgesetz, in: Politische Praxis/Deutschnationale Volkspartei, Hamburg (Hanseatische Verlags-Anstalt) 1927, S. 100–107; Rechtsangelegenheiten, ebd., S. 147–154. Vgl. Gossweiler, Bund zur Erneuerung des Reiches. So enthält bereits die 1929 publizierte Denkschrift des BER über Die Rechte des Reichspräsidenten nach der Reichsverfassung zahlreiche Verweise auf Schmitt, geht allerdings über diesen insofern hinaus, als sie den Reichspräsidenten nicht bloß als „Hüter der Verfassung“ verstanden wissen will, sondern ihm eine „Führungsaufgabe“ zuweist (S. 79). Auf Schmitts Verfassungslehre, die er als „Meisterwerk“ bezeichnet, bezieht sich auch die Sammlung von Vorträgen, die Otto Geßler auf Einladung Schmitts im Wintersemester 1930/31 an der Berliner Handelshochschule hielt: vgl. Geßler, Die Träger der Reichsgewalt, besonders S. 54, 59, 78, 121. Geßler, der 1919 zu den Gründungsmitgliedern der DDP gehörte und von 1920 bis 1928 in verschiedenen Regierungen als Reichswehrminister amtierte, übernahm im Herbst 1931 die Leitung des BER. Schmitt war bei seinen Vorträgen häufig anwesend, bezeichnete sie indessen etwas herablassend als „rührend“. Vgl.

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erscheinenden Mitteilungen des BER, in denen er fortan keine Gelegenheit ausließ, auf Auffassungen des Schmitt-Kreises aufmerksam zu machen.97 Diese Rolle war es wohl auch, die ihm die Tür zum Ring auch 1932 noch offenhielt, als die anderen Schmittianer bereits zum Deutschen Volkstum gewechselt waren: denn die Führungsspitze des Herrenklubs hatte 1928 den Gründungsaufruf des Luther-Bundes unterzeichnet und dessen Aktivitäten stets unterstützt, da sie sich weitgehend mit den eigenen Zielen deckten.98 Sieht man von dem kurzen Bericht über einen Vortrag Gustav Steinbömers in der Hochschule für Politik ab,99 so lagen auch die Beiträge Lohmanns im Ring ganz auf dieser Linie. Sein Aufsatz über „Politik und Justiz“ griff Schmitts Kritik des Pluralismus auf und arbeitete die Bedeutung der ‚neutralen‘ Faktoren für die Aufrechterhaltung der politischen Einheit heraus, womit vor allem das Reichspräsidentenamt und die öffentlichrechtliche Gerichtsbarkeit gemeint waren.100 In einem weiteren Text kritisierte er die „allzu große Gesetzgebungsfreudigkeit des Reichsparlamentes“ und sprach sich gegen Vorschläge aus, die Justizhoheit der Länder auf das Reich zu übertragen. „Gerade die Justiz, dieser relativ ‚unpolitische‘ Teil der Staatshoheit, ist trefflich geeignet, in der Regie der Länder zu bleiben. Sie verleiht ihnen eine ganz besondere Würde, um nicht zu sagen staatliche Autorität, ohne jemals die Gefahr heraufzubeschwören, zu einem politischen Mittel zu werden, das etwa gegen die Einheit des Reiches eingesetzt werden könnte.“101 Besondere Aufmerksamkeit verdienen drei Artikel, die im August und September 1932 im Abstand von nur vier Wochen im Ring erschienen. Dabei handelte es sich zum einen um eine ausführliche Zusammenfassung von Schmitts Broschüre über Legalität und Legitimität,102 sodann um einen Auszug aus einem von Lohmann in Zusammen-

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Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 81, 84, 87–90, 92, 94 f. Mit Geßlers Vorgänger Hans Luther hatte Schmitt allerdings im November 1932 einen Zusammenstoß, als dieser in Schmitts Vortrag vor dem Langnam-Verein („Gesunde Wirtschaft im starken Staat“) einen „Freibrief für einen geistigen Defaitismus“ ausmachte und dem Redner vorhielt: „Gerade die Privatwirtschaft hat ein ungeheures Interesse daran, die Notwendigkeit der Rechtssicherheit auf der ganzen Linie zu betonen und keine irgendwie leicht geschürzte Auffassung des Rechts bei sich zuzulassen.“ Zit. n. dem Bericht in: Der deutsche Volkswirt. Zeitschrift für Politik und Wirtschaft 7, Nr. 8, 25.11.1925, S. 220. Vgl. Quaritsch, Positionen und Begriffe, S. 70 f.; Koenen, Der Fall Carl Schmitt, S. 151. In der Reichsreform besprach Lohmann Schmitts Hüter der Verfassung und den Begriff des Politischen (3, 1931, H. 6 und 11), Forsthoffs Habilitationsschrift (3, 1931, H. 12) und Hubers Reichsgewalt und Staatsgerichtshof (4, 1932, H. 12). Im November 1932 sorgte er darüber hinaus für einen Bericht über Schmitts Vortrag „Gesunde Wirtschaft im starken Staat“ (4, 1932, H. 11). Auch Arbeiten der ‚Hamburger Schule‘ wurden vorgestellt: A. E. Günthers Sammelband Was wir vom Nationalsozialismus erwarten und Gerhard Günthers Das werdende Reich (4, 1932, H. 5 und 12). Vgl. Petzinna, Erziehung zum Lebensstil, S. 227; Schoeps, Der Deutsche Herrenklub, S. 175 f. Vgl. Karl Lohmann: „Staat und Drama“, in: Der Ring 4, 1931, H. 11, S. 204–205. Vgl. Karl Lohmann: Politik und Justiz, in: Der Ring 4, 1931, H. 17, S. 296–297. Karl Lohmann: Soll die Justizhoheit der Länder auf das Reich übertragen werden? In: Der Ring 4, 1931, H. 35, S. 664–667, 667. Vgl. Karl Lohmann: Die Waffe der Legalität, in: Der Ring 5, 1932, H. 37, S. 608–611.

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arbeit mit Horst Michael verfaßten Buch,103 und schließlich um einen nur von Horst Michael verantworteten Beitrag, der in die gleiche Kerbe schlug.104 Über das Beziehungsgeflecht zwischen Lohmann, Michael und Schmitt wird an späterer Stelle noch genauer zu handeln sein. Hier soll es genügen, die Leitgedanken zusammenzufassen, die sich offensichtlich in vielem mit den Auffassungen des Herrenklubs deckten. Der Artikel Michaels war ein strategisch durchsichtiger Versuch, das Zentrum auf die Seite der Regierung Papen zu ziehen, indem nur solche parlamentarischen Mehrheiten als legitim hingestellt wurden, „die sich der Staatsordnung und der Volksgemeinschaft im Gewissen verpflichtet“ wüßten. Einer Legalität, die auf der rein formalen Addition von Stimmen beruhe, ohne zu berücksichtigen, daß diese unter Umständen auch aus den Reihen staatsfeindlicher Kräfte wie z. B. der KPD kämen, könne niemals gesetzgebende Kraft innewohnen, da sie den sittlichen Zweck der Gesetze verfehle: „dem gemeinen Wohl des Volkes und der Hoheit des Reiches zu dienen.“ Zwar sei dieser Rechtsgrund nicht explizit in der Verfassung verankert, doch sei er „in einem ungeschriebenen Gesetz enthalten, das auch das Verfassung zugrundeliegen“ müsse und an dem demgemäß „alle Beschlüsse der gesetzgebenden Körperschaften zu prüfen“ seien. Gerade dem Zentrum könne ein derartiges ungeschriebenes Gesetz nicht unbekannt sein, berufe es sich doch selbst stets auf das christliche Naturrecht, „das als Regel und vernünftige Norm aller Staatsgesetze gilt, als Quelle der Legitimität einer jeden sittlich verbindlichen Gesetzgebung“. Unter breiter Zitierung aus dem Matthäusevangelium und der Summa Theologica des Aquinaten hielt Michael dem Zentrum vor, sich in seinem Legalismus „mit den aufgeklärten Feinden des Staates“ gemein zu machen und so den Anspruch zu verspielen, „als die Partei des politischen Katholizismus anerkannt und geachtet zu werden. Und wenn das Zentrum sich auf das positive Recht der Weimarer Verfassung und ihren unpolitischen Individualismus beruft, so sagen wir dagegen: über dem geschriebenen Recht steht das Naturrecht, über der Legalität steht die Billigkeit (aequitas)“.105 Während diese Argumentation sich der Schmittschen Kritik am Legalismus bediente, um damit Zwecke zu verfolgen, die weit über die von Schmitt vorgetragenen hinausschossen – die Erneuerung des Reiches „nach den unwandelbaren Grundsätzen der christlichen Weltanschauung“106 – hielt sich Karl Lohmann enger an die Vorgaben sei103

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Vgl. Karl Lohmann: Der Reichspräsident ist Obrigkeit, in: Der Ring 5, 1932, H. 36, S. 596–597; Michael und Lohmann, Der Reichspräsident ist Obrigkeit! Das Buch ist eine eilige Zusammenstellung der von Lohmann und Michael im Ring publizierten Beiträge. Vgl. Horst Michael: Naturrecht, Legalität und das Zentrum, in: Der Ring 5, 1932, H. 33, S. 548–550. Schon zuvor war im Ring ein Auszug aus Michaels Berliner Doktorarbeit von 1929 erschienen, die im Jahr darauf unter dem Titel Bismarck, England und Europa als Buch herauskam: vgl. Bismarcks Werk als Vermächtnis, in: Der Ring 3, 1930, H. 20, S. 376–379. Das Schlußkapitel des Buches schickte Michael an Schmitt: vgl. Horst Michael an Carl Schmitt, Brief vom 18.5.1930, Nachl. Schmitt, RW 265–9484. Dort auch drei weitere Briefe aus dem Zeitraum bis 1932. Zur Reichspräsidentenwahl 1932 erschien: Hindenburg und die Nation, in: Der Ring 5, 1932, H. 10, S. 160–161. Michael, Naturrecht, S. 549. Ebd., S. 550. Der Protestant Michael richtete dieses Ansinnen übrigens nicht bloß an die Partei des politischen Katholizismus, sondern auch an seine eigene Kirche: vgl. seinen Offenen Brief an den Oberdomprediger Burghart unter dem Titel: Kennt die Evangelische Kirche die Obrigkeit des

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nes Lehrers. Er referierte Schmitts These, wonach die moderne Massendemokratie mit ihrem rein formalen Modus der Willensbildung qua Mehrheitsbeschluß zu einer Formalisierung auch der Legalität geführt habe, welche geeignet sei, deren Legitimität in Frage zu stellen; was nichts anderes besage, als „daß die Verfassung selbst die Keime der Zerstörung ihres Legalitätssystems in sich enthält.“107 In der gegenwärtigen Krise sei allerdings nicht einmal mehr die Willensbildung im Sinne der Verfassung gewährleistet; das politische Leben des Reiches biete „den Anblick eines Chaos.“ Der einzige noch funktionsfähige Teil der Verfassung sei der Reichspräsident, der infolge des Versagens aller anderen Staatsorgane immer mehr Aufgaben übernommen habe, darunter nicht zuletzt die der Gesetzgebung. So habe sich ein schleichender Verfassungswandel vollzogen, in dessen Verlauf die dem Präsidenten ursprünglich gezogenen Schranken immer dehnbarer geworden seien, bis zu dem Punkt, an dem man sich heute befinde: „Der Reichspräsident steht im Mittelpunkt des verfassungspolitischen Lebens. Er ist sozusagen die Verfassung selbst geworden, und für alles, was er tut, spricht eine praktisch nicht zu widerlegende Vermutung der Legitimität.“ Gebot der Stunde sei, daß der Reichspräsident sich dieser Lage stelle und vollen Gebrauch von seiner obrigkeitlichen Gewalt mache, um die „Existenz des Reiches durch die Stabilisierung einer echten Herrschaftsordnung“ zu sichern.108 Das könne zwar „im Zusammenspiel mit einer demokratischen plebiszitären Legitimität (scil.: geschehen), die, an die Stelle der parlamentarischen Legalität getreten, das Vertrauen des Volkes zu seiner höchsten Obrigkeit zum Ausdruck bringt“, doch sei sorgfältig zwischen dieser plebiszitären Legitimität und der Legitimität des Präsidenten zu unterscheiden. Denn diese letztere gründe sich nicht auf die Wahl durch das Volk, die immer nur die taktische Stellungnahme zu einer akuten politischen Situation ausdrücke, sondern auf die Autorität, welche „stets ein Ausfluß der Persönlichkeit und der Hoheit des Amtes“ sei – eines Amtes überdies, auf dem in diesem Fall nicht weniger als die „geschichtliche(n) Verpflichtung“ zur Wahrung der Einheit des Reiches laste.109 Die Beiträge von Lohmann und Michael erschienen freilich zu einem Zeitpunkt, als der Ring nicht mehr als Hausorgan des Schmittianismus gelten konnte. Die Weichen in dieser Richtung wurden schon 1931 gestellt, als Vorwerk sich immer stärker bei den Volkskonservativen engagierte und Gleichen im Gegenzug Walther Schotte die Funktion eines Mitherausgebers einräumte, wodurch sich der redaktionelle Spielraum Vorwerks erheblich verengte. Schotte (1886–?) war ein Schüler Jellineks, Hintzes und Diltheys. In den letzten Kriegsjahren war er Sekretär Friedrich Naumanns gewesen, danach von 1920 bis 1927 Herausgeber der Preußischen Jahrbücher und häufiger Autor im Deutschen Adelsblatt, wo er sich für jene Rolle qualifizierte, in der er 1932 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde: als führender Propagandist des „Neuen Staates“ Franz von Papens.110 Wie wenig die dabei verfolgten offen restaurativen Zielsetzungen mit

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Deutschen Reiches? In: Der Ring 5, 1932, H. 15, S. 245–246. Was hätte er wohl gesagt, wenn beide Kirchen gleichzeitig seinen Postulaten gefolgt wären? Lohmann, Die Waffe der Legalität, S. 609 f. Lohmann, Der Reichspräsident ist Obrigkeit, S. 597. Lohmann, Die Waffe der Legalität, S. 611; Der Reichspräsident ist Obrigkeit, S. 597. Vgl. Schoeps, Der Deutsche Herrenklub, S. 169. Weiteres zum Lebensweg bei Kemper, Das „Gewissen“ 1919–1925, S. 448.

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den Ideen Schmitts und seiner Schule harmonierten, machte Schotte bereits Mitte 1931 in einem Artikel deutlich, in dem er Schmitts Analysen zwar einen hohen Realitätsgehalt bescheinigte, ihnen jedoch zugleich unterstellte, lediglich den Status quo verteidigen zu wollen. Schmitts Konstruktion einer „Ausschaltung des Staates durch den Pluralismus der Gesellschaft in guten Zeiten, in schlechten Zeiten einer Ausschaltung der pluralistischen Gesellschaft durch den ‚Pouvoir neutre‘ (des Reichspräsidenten)“ sei näher besehen nichts anderes als „eine dialektisch glänzende Verteidigung der parlamentarischen Demokratie, also des politischen Systems unserer Zeit“ und faktisch geeignet, die Politik Brünings zu legitimieren.111 Anstatt dem Parlamentarismus mithilfe des Notstandsparagraphen der Verfassung immer wieder aus der Bredouille zu helfen, sei es erforderlich, die Axt an die Wurzel des Übels zu legen und die Befugnisse des Parlaments einzuschränken, am besten durch einen „neuen Konstitutionalismus, der die staatlichen Willensträger der Exekutive gleichberechtigt macht denen der Legislative.“112 Diese Kritik richtete sich nicht nur an die Adresse Schmitts. Sie galt indirekt auch dem Schriftleiter des Rings, der das Blatt in so großem Umfang für Schmitts Schüler geöffnet hatte und überdies dafür bekannt war, daß er sich um die Herstellung einer „BrüningFront der Jugend“ bemühte, wofür ihm die „Politische Arbeitsstelle“ Adolf Morsbachs als Koordinationszentrum diente.113 Da Vorwerk keine Anstalten machte, diesen Kurs zu revidieren und Schotte seinerseits immer häufiger in sein Ressort eingriff, häuften sich die Konflikte, bis Gleichen keinen anderen Weg mehr sah als den Vertrag mit Vorwerk zu lösen. Die Kündigung wurde zwar erst zum 31.3.1932 ausgesprochen, doch bat Vorwerk schon Ende 1931 um die sofortige Entbindung von seinen Aufgaben, da er keine Chance einer weiteren Zusammenarbeit mit Schotte sah.114 Passend zu diesem Schritt brachte der Ring im zweiten Januarheft 1932 einen Artikel Heinrich Rogges, der eine „staatstheoretische Warnung“ vor den Ideen Carl Schmitts aussprach, insbesondere vor seinem Begriff des Politischen. Schmitts Darlegungen seien vielleicht fruchtbar im Sinne einer Hypothese, „die in dunkle Hintergründe der Politik hineinleuchtet“, sie 111 112 113

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Walther Schotte: „Der totale Staat“, in: Der Ring 4, 1931, H. 23, S. 417–420, 418. Ebd., S. 419. Vgl. Friedrich Vorwerk an Cornelius von der Horst, Brief vom 9.11.1931, Nachl. Morsbach, NL 238, 10. Cornelius von der Horst war Schriftleiter der vom DHV getragenen Bundeszeitschrift der Fahrenden Gesellen, Stand und Staat. Adolf Morsbach (1890–1937) war seit 1926 Erster Geschäftsführer und Direktor in der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften und leitete außerdem seit 1927 den DAAD. Sein im Bundesarchiv Koblenz aufbewahrter Nachlaß enthält zahlreiche von Vorwerk gezeichnete Briefe aus den Jahren 1931 und 1932, die erkennen lassen, daß Vorwerk als eine Art Geschäftsführer der „Politischen Arbeitsstelle“ fungierte (Nachl. Morsbach, NL 238, 10). Zumindest an einem Treffen dieses „Morsbachkreises“ scheint auch Schmitt teilgenommen zu haben, wie der Tagebucheintrag vom 11.11.1931 belegt: vgl. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 143. Kurz nach dem Amtsantritt der Regierung Papen konstituierte sich in diesem Kreis ein Verfassungsausschuß, der sich mit den Fragen einer berufsständischen Vertretung und einer Reform des Reichsrates befaßte. An den Diskussionen waren u. a. Horst Michael, Karl Lohmann, Ernst Rudolf Huber und Albert Mirgeler beteiligt: vgl. Petzinna, Erziehung zum deutschen Lebensstil, S. 261. Vgl. Friedrich Vorwerk an Heinrich von Gleichen, Brief vom 30.12.1931, Nachl. Morsbach, NL 238, 10.

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gingen aber fehl und seien „gefährlich, insoweit sie darauf hinauslaufen, die Feindschaft als notwendiges Lebenselement von Staat und Politik darzustellen. Diese staatstheoretische Doktrin rechtfertigt eben die feindselige Bündnispolitik in Europa, der Deutschland zum Opfer gefallen ist; sie wirkt außenpolitisch in der Richtung, daß Deutschland nur noch hoffnungsloser in Isolierung verfällt. Sie hindert die ‚moralische Abrüstung‘ in der Außen- und Innenpolitik. Sie verführt zum Bürgerkrieg. Es ist insoweit politisch nötig, ihr staatstheoretisch entgegenzutreten.“115 Sachlich mochte diese Kritik einiges für sich haben. Zugleich zeigte sie jedoch, wie groß der Abstand inzwischen geworden war, der den Ring von Carl Schmitt trennte: erschien er doch nunmehr als ein Autor, der nicht nur dem System von Weimar, sondern auch demjenigen von Versailles die letzte Legitimitätsreserve bot. Es wundert nicht, daß Schmitt zwei Jahre später, nunmehr Preußischer Staatsrat mit Zugang zu den Machthabern, auf neuerliche Avancen Heinrichs von Gleichen, der ihm zu seiner „geschichtlich so bedeutungsvollen Mitarbeit am neuen Staat und seinem Recht“ gratulierte, kühl reagierte. Der Ring erhielt zwar das erbetene Foto für das Titelblatt von Heft 47, jedoch keinen Text aus der Feder Schmitts.116

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Heinrich Rogge: „Feindschaft“ als Lebenselement von Staat und Politik? Eine staatstheoretische Warnung, in: Der Ring 5, 1932, H. 2, S. 16–18, 16. Rogge (1886–1966) war Völkerrechtler und Mitglied der DVP. 1934 erschien sein Buch Nationale Friedenspolitik mit einem Vorwort Franz von Papens. Im Ring schrieb er vor allem zu Themen wie Adelsidee, Rassenlehre, deutschfranzösische Beziehungen und den Versailler Vertrag. Zur Person vgl. die Hinweise bei Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, S. 258, 386. Heinrich von Gleichen an Carl Schmitt, Brief vom 20.11.1934, Nachl. Schmitt, RW 265–5049; Der Ring 7, 1934, H. 47 vom 23.11.

VIII Schmittianische Interventionen II: Das Deutsche Volkstum

„Ob einmal die Geschichte des Jahres 1932 geschrieben wird? In ihm liegt der Schlüssel alles Späteren.“1 Als Ernst Forsthoff im Januar 1966 gefragt wurde, weshalb er und sein Kreis 1932 vom Ring zum Deutschen Volkstum gewechselt seien, machte er dafür eine neue Linie im Ring verantwortlich. Im Jungkonservativen Klub, dem er seinerzeit angehört habe, habe man Anstoß daran genommen, daß Heinrich von Gleichen die Spalten des Blattes mitunter an zahlungskräftige Kreise aus der Großindustrie verkauft habe. So sei im Mai 1932 der Artikel eines „gewissen Lange von der Deutschen Maschinen-Industrie“ erschienen, was für die ‚antikapitalistisch‘ eingestellte Mannschaft der ‚Jungen‘ Anlaß gewesen sei, mit dem Ring zu brechen.2 Diese Erinnerung sollte man indes nicht allzu wörtlich nehmen, allein schon deswegen nicht, weil Forsthoff 1931/32 in Freiburg lebte und nur selten Gelegenheit hatte, an den Klubsitzungen in Berlin teilzunehmen. Zwar gab es ein Heft, das auf der Titelseite ein Foto von Karl Lange trug und einen Artikel von Walther Schotte über„Konservative Handelspolitik“ enthielt, der über den von Lange mitbegründeten Deutschen Bund für freie Wirtschaftspolitik berichtete. Das Heft erschien jedoch schon am 27.3.1932 und überdies zu einem Zeitpunkt, als sich der Ring längst von Vorwerk und den von ihm akquirierten Autoren getrennt hatte.3 Vorwerk selbst hatte sich angesichts der wachsenden Querelen mit Schotte bereits seit Mitte 1931 um eine neue Zeitschrift bemüht, die an die von Adolf Morsbach geleitete „Politische Arbeitsstelle“ angebunden sein sollte, jenen lockeren verfassungspolitischen Diskussionskreis, dem u. a. Gustav Steinbömer, Hermann Ullmann und Frank Glatzel angehörten.4 Im Herbst 1931 hatte er ein entsprechendes 1 2 3

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Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Brief vom 7.2.1950. Nachl. Huber, N 1505, 198. Vgl. Faye, Totalitäre Sprachen, Bd. 2, S. 737 ff. Als das Lange-Heft erschien, waren allerdings die Weichen für den Wechsel zum Deutschen Volkstum bereits gestellt. Vgl. Der Ring 5, 1932, H. 22. Ein weiterer Artikel unter der Überschrift „Karl Lange, der Umstrittene“, gab Informationen zur Person. Lange gehörte übrigens auch zu den Mitgliedern des im März 1931 im Deutschen Herrenklub eingerichteten „Civil-Casinos“, das eine Art Klub im Klub darstellte: vgl. Ishida, Jungkonservative in der Weimarer Republik, S. 152 ff. Vgl. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 33 f.; Petzinna, Erziehung zum deutschen Lebensstil, S. 254 ff.

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Konzept, für das er bereits Zusagen von Ernst Jünger, Carl Schmitt, Ernst Forsthoff und Ernst Rudolf Huber erhalten hatte, der Hanseatischen Verlagsanstalt in Hamburg vorgelegt, dort aber zunächst keine Zustimmung gefunden, wohl weil man fürchtete, dem hauseigenen Deutschen Volkstum auf diese Weise Konkurrenz zu machen.5 Dessen Herausgeber, Wilhelm Stapel, wurde durch Vorwerks Angebot jedoch auf die Idee gebracht, eine Redaktionszweigstelle in Berlin zu eröffnen und diese der Leitung Vorwerks anzuvertrauen. Mithilfe von dessen Netzwerk in der Hauptstadt sollte das Deutsche Volkstum von monatlicher auf halbmonatliche Erscheinungsweise umgestellt und aktualisiert werden.6 Dazu kam es dann zwar erst zum 1. April 1932, doch verschickte Vorwerk schon Anfang Februar 1932 Schreiben mit dem Briefkopf des Hamburger Blattes.7 Damit begann, was man die Schmittianisierung des Deutschen Volkstums nennen könnte. 1. Das Deutsche Volkstum war eine Fortsetzung der seit 1898 in Hamburg erscheinenden Kulturzeitschrift Bühne und Welt, die 1916 von der Deutschnationalen Verlagsanstalt (ab 1920: Hanseatische Verlagsanstalt) erworben wurde.8 Diese wiederum war in finanzieller wie personeller Hinsicht aufs engste mit dem Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband (DHV) verbunden, der mit über 400 000 Mitgliedern (1931) der stärkste der drei Angestelltenverbände der Weimarer Republik war.9 Wiewohl dem erklärten Selbstverständnis nach überparteilich, unterhielt der DHV seit seiner Gründung enge Beziehungen zu Verbänden und Parteien des rechten Lagers, darunter seit 1931 insbesondere den Volkskonservativen. So gehörte Max Habermann, Mitglied im Dreierausschuß des DHV, zu dem im März 1931 gewählten „Führerring“ der Volkskonservativen Vereinigung, deren Etat sich übrigens zu zwei Fünfteln aus Zuwendungen des DHV speiste.10 In den beiden ersten Jahren seines Bestehens (1917/18) knüpfte das Deutsche Volkstum an den von Bühne und Welt eingeschlagenen völkisch-nationalistischen Kurs an, was sich an der Präsenz von Autoren wie Adolf Bartels, Houston Stewart Chamberlain, Artur Dinter, Dietrich Eckart, Wilhelm Kotzde, Ludwig Schemann und Ernst Wachler ablesen läßt. Die Entscheidung der Verbandsspitze des DHV, einen „Gewerkschaftskurs

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Vermutlich aus dem gleichen Grund hatten sich bereits im Sommer 1931 Bemühungen Zehrers um die Herstellung einer gemeinsamen publizistischen Front von Tat und Deutschen Volkstum zerschlagen: vgl. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 34. Gleichwohl zählte Zehrer noch ein Jahr später die Brüder Günther ausdrücklich zu jener Front, die im Gefolge Moeller van den Brucks an der Verbindung des Nationalen mit dem Sozialen arbeitete. Vgl. Hans Zehrer: Revolution oder Restauration? In: Die Tat 24, H. 5, August 1932, S. 353–393, 375. Vgl. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 34. Vgl. die im Nachl. Morsbach enthaltenen Briefe Friedrich Vorwerks, NL 238, 10. Vgl. Gerstner, Die Zeitschrift Deutsches Volkstum, S. 204. Gossler, Publizistik und konservative Revolution, S. 88 gibt fälschlich 1913 als Jahr des Erwerbs an. Vgl. Hamel, Völkischer Verband und nationale Gewerkschaft. Vgl. Jonas, Die Volkskonservativen, S. 103, 138.

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mit mäßiger Rechtsorientierung“ einzuschlagen,11 führte dann aber im Dezember 1918 dazu, den bisherigen Herausgeber, den Schriftsteller Wilhelm Kiefer, durch Wilhelm Stapel (1882–1954) zu ersetzen, der nicht nur in ideologischer Hinsicht dem DHV näher stand, sondern außerdem als gelernter Buchhändler und ehemaliger Redakteur des Kunstwarts über bessere Voraussetzungen zu verfügen schien, um das Blatt aus dem Auflagentief herauszuholen.12 Zwar hatte auch Stapel gewisse Affinitäten zum völkischen Lager, was er 1924 mit seiner Kandidatur für den Völkisch-Sozialen Block unter Beweis stellte (einer Vereinigung von Deutschvölkischer Freiheitspartei und NSDAP),13 doch überwog insgesamt die Orientierung am „neuen Nationalismus“ in der Version, wie sie von Moeller van den Bruck vertreten wurde.14 Unter der Ägide Stapels, der sich vertraglich freie Hand zugesichert hatte, änderte das Deutsche Volkstum sein Erscheinungsbild inhaltlich wie formal. Es verlor seinen Charakter als reine Verbandszeitschrift, verschloß sich den bekannteren Repräsentanten völkischer Parteien und Gesinnungsvereine und öffnete sich statt dessen Autoren, die aus den Kreisen um die Fichte-Gesellschaft und den Juniklub, der Bündischen Jugend und dem nationalprotestantischen Milieu kamen.15 Neben den „Großen Aufsätzen“, die nicht selten vom Herausgeber selbst stammten, gab es Rubriken wie „Bücherbriefe“, „Kleine Beiträge“ und „Zwiesprache“, die Polemiken und Interventionen zu Themen des Tages erlaubten. Die Einrichtung einer Berliner Redaktion und die Umstellung auf vierzehntägiges Erscheinen im April 1932 steigerten diesen Aktualitätsbezug noch einmal erheblich.16 Sieht man von der Einstufung des Deutschen Volkstums als „neokonservativ“ ab, so kann man dem Urteil Gary Starks durchaus beipflichten: „During the late 1920s and early 1930s, the Deutsches Volkstum attained a circulation of between 3000– 5000, making it among the most widely read of all neoconservative journals.“17 Daß Anfang der 30er Jahre die Ideen Carl Schmitts in das Blatt Eingang fanden, war allerdings nicht auf Wilhelm Stapel zurückzuführen, der gleich in doppelter Hinsicht entgegengesetzte Auffassungen vertrat: sozialpolitisch, indem er für starke nationale Gewerkschaften eintrat, wie sie mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund, einem Zusammenschluß des DHV mit den christlichen Gewerkschaften, gegeben waren; und religionspolitisch, war sein Ideal doch ein vom protestantischen Preußen geführtes „Imperium Teutonicum“, das in erheblicher Distanz zu den Bestrebungen des politischen

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Hamel, Völkischer Verband und nationale Gewerkschaft, S. 196. Wobei „mäßig“ in diesem Fall sowohl eine antisemitische als auch antisozialdemokratische und antifeministische Spitze einschloß: vgl. ebd., S. 177. Vgl. ebd., S. 192 ff. Vgl. Keßler, Wilhelm Stapel als politischer Publizist, S. 81 f. Vgl. dazu Breuer, Die radikale Rechte in Deutschland, S. 197 f. In dem von Moeller van den Bruck, Heinrich von Gleichen und Max Hildebert Boehm herausgegebenen Sammelwerk Die neue Front war auch Wilhelm Stapel mit einem Beitrag über „Volk und Volkstum“ vertreten: vgl. ebd., S. 80–89. Vgl. Gossler, Publizistik und konservative Revolution, S. 91 ff.; Gerstner, Die Zeitschrift Deutsches Volkstum, S. 207 f. Vgl. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 35. Stark, Entrepreneurs of Ideology, S. 49.

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Katholizismus stand.18 Carl Schmitt, der 1923 ein Buch über Römischer Katholizismus und politische Form veröffentlicht hatte und in seiner Parlamentarismuskritik den Einfluß der Verbände geißelte, war von da aus gesehen alles andere als ein idealer Bündnispartner, und so ist es nicht überraschend, wenn das Verhältnis „anfangs, zwischen 1931 und 1933, von starken Spannungen und Auseinandersetzungen um prinzipielle Fragen bestimmt“ war.19 Seinem Freund, dem Schriftsteller Erwin Guido Kolbenheyer, schrieb Stapel noch im September 1931 unter dem Eindruck des ersten persönlichen Zusammentreffens: „Schmitt ist eine glänzende Intelligenz, aber ein gefährlicher Bursche. Zutiefst Nihilist, der an nichts glaubt. (…) Schmitt wollte uns Protestanten den Gebrauch der Worte konservativ und Reich wegeskamotieren. Aber seine Argumente waren unecht. Der wahre Grund war, daß ihm diese Begriffe auf Seiten der Protestanten, der Ketzer, anstößig waren. Jetzt ist Schmitt dabei, den Begriff der Legitimität zu zersetzen.“20 Erst Anfang 1933 normalisierte sich das Verhältnis und nahm freundschaftliche Züge an, wozu zweifellos auch das starke Engagement der HAVA für das Werk Schmitts beigetragen haben wird.21 Die entscheidenden Impulse für die „Schmittianisierung“ des Deutschen Volkstums gingen von Albrecht Erich Günther (1893–1942) aus, der Stapel seit 1926 als Mitherausgeber zur Seite stand. Günther, ein Sohn der Schriftstellerin Agnes Günther, war von Beruf kaufmännischer Angestellter. Durch den Ersten Weltkrieg aus seiner Bahn geworfen, engagierte er sich anschließend im Hamburger Zeitfreiwilligenkorps der Bahrenfelder und bemühte sich um eine gemeinsame Front mit den Nationalkommunisten um Laufenberg und Wolffheim.22 Später konzentrierte er seine Aktivitäten auf die Jugendarbeit des DHV und den ‚Hamburger Nationalistenklub‘, der von Anfang an die Nähe zum ‚soldatischen Nationalismus‘ der Kreise um die Standarte und den Arminius 18 19

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Vgl. Wilhelm Stapel: Die beiden Fehlerquellen unserer Sozialpolitik, in: Deutsches Volkstum 31.2, 1929, S. 721–731; Preußen muß sein; Der christliche Staatsmann. Lokatis, Wilhelm Stapel und Carl Schmitt (1996), S. 36 f.; vgl. auch Gross, Carl Schmitt und die Juden, S. 98 ff. Sehr deutlich wird die Distanz etwa in den kritischen Bemerkungen, mit denen Schmitts Schüler Karl Lohmann Stapels Schrift Preußen muß sein bedachte (vgl. Karl Lohmann: „Preußen muß sein!“, in: Reichsreform. Mitteilungen des Bundes zur Erneuerung des Reiches 4, 1932, H. 9). Wilhelm Stapel an Erwin Guido Kolbenheyer, Brief vom 27.9.1931, in: Lokatis, Wilhelm Stapel und Carl Schmitt (1996), S. 42. Vgl. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 52 ff. Nach Angaben, die der Bruder Albrecht Erich Günthers, Gerhard Günther, gegenüber Jean Pierre Faye machte, reisten beide Brüder im Winter 1919/20 nach Berlin, um über Ernst Graf Reventlow eine Annäherung zwischen kommunistischen und nationalistischen Kreisen herzustellen, was jedoch von Reventlow abgelehnt wurde. Im August 1920 gründete „AEG“ mit Laufenberg die Hamburger Freie Vereinigung zum Studium des Kommunismus, der die militärische Leitung der aus einer Abspaltung von der KPD hervorgegangenen KAPD oblag; Günther fungierte als ihr Generalsekretär. Faye nennt ihn einen „Mann zwischen zwei Polen – eine Art nationalrevolutionärer Jungkonservativer“. Vgl. Faye, Totalitäre Sprachen, Bd. 1, S. 115 ff., 353.

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suchte.23 Günther selbst war in diesen zeitweilig von Ernst Jünger mitherausgegebenen Blättern vertreten und gewann seinerseits Jünger ab August 1926 als Autor für das Deutsche Volkstum.24 Jünger besprach 1927 Günthers Buch Totem und lud den Verfasser im Frühjahr 1929 zur Beteiligung an seinem Sammelband über Krieg und Krieger ein.25 Über Jünger, der seinerseits mit Schmitt seit etwa zwei Jahren in Kontakt stand, lernte er Ende 1930 den Berliner Staatsrechtslehrer auch persönlich kennen.26 Da Günther sich zu dieser Zeit stark mit Fragen der Strafrechtsreform befaßte,27 war auch eine fachliche Verbindung gegeben, so daß gute Voraussetzungen für eine Rezeption bestanden. Die eigentliche Brücke führte freilich weniger über das Recht als über die politische Theologie, rückte Günther doch den von ihm angesteuerten Konservatismus in eine Perspektive, die vor allem den Widerstand gegen die Säkularisation herausstellte.28 Am 26.12.1930 wandte er sich brieflich an Carl Schmitt mit der Bitte, ihm Arbeiten zu nennen, mittels deren er sich Einblick in die logische Struktur der katholischen Dogmatik verschaffen könne. Besonders interessierte er sich dafür, ob in der zeitgenössischen katholischen Theologie ähnlich wie in der protestantischen eine „Gegenbewegung gegen die moralistische Verbürgerlichung der Religion“ zu erkennen sei, „die (in unserem Sinne) ‚positivistisch‘ das Monumentale der dogmatischen Architektur in seiner konzes23

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Vgl. Albrecht Erich Günther: Die Nationalisten vom Holstenwall, in: Deutsches Volkstum 40.2, 1938, S. 810–820; Gerhard Günther: Albrecht Erich Günther zum Gedächtnis, in: Zeitschrift für Geopolitik 23, 1952, S. 645–648; Sieh, Der Hamburger Nationalistenklub, S. 39. Vgl. Albrecht Erich Günther: Verstraffung der Mannschaft, in: Der Stahlhelm. Beilage: Die Standarte Nr. 4, 24.1.1926; Schließt Euch zusammen IV, in: Standarte 1, 1926, Nr. 14; Der Nationalismus und die Gewerkschaften, in: Standarte 1, 1926, H. 22; Bismarck und die Patrioten, in: Standarte 2, 1927, H. 9; Arbeiterschaft und Staat, in: Standarte 3, 1928, H. 4; Nationalistische Schulung, in: Standarte 3, 1928, H. 6; Der Untergang der freien Wirtschaft, in: Standarte 3, 1928, H. 12; Nochmals „Untergang der freien Wirtschaft“, in: Standarte 3, 1928, H. 17; Der Nationalismus und die Intelligenz, in: Arminius 8, 1927, H. 27; Der Politiker ohne Grundsätze, in: Arminius 8, 1927, H. 31; Der Untergang der freien Wirtschaft, in: Standarte 3, 1928, H. 12. Von Ernst Jünger erschienen im Deutschen Volkstum neben Vorabdrucken: Groß-Stadt und Land, Deutsches Volkstum 28.2, 1926, S. 577–588; Die Geburt des Nationalismus aus dem Kriege, Deutsches Volkstum 31.2, 1929, S. 576–582; Untergang oder neue Ordnung? In: Deutsches Volkstum 35.1, 1933, S. 413–419. Die Besprechung ist wiederabgedruckt in Jünger 2001, S. 339–343. Günthers Beitrag lautete: Die Intelligenz und der Krieg, in: Jünger 1930, S. 69–100. Das Tagebuch Schmitts verzeichnet die erste Begegnung am 7.12.1930: „… um 7 Uhr kam Ernst Jünger mit Albrecht Günther, sehr interessanter Kerl, redete ununterbrochen, schwäbisch, dabei offenbar genial.“ (Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934, [2010], S. 66). Das Interesse Günthers an Schmitt wurde freilich nicht erst durch diese Begegnung geweckt, denn schon am 17.11.1930 berichtet Ernst Jünger Schmitt von „Ihrem wahrscheinlich begabtesten Schüler A. E. Günther, mit dem ich einen 24stündigen Disput hatte, während dessen Ihre Schriften vielfach citiert worden sind.“ (Ernst Jünger an Carl Schmitt, Brief vom 17.11.1930, in: Jünger – Schmitt: Briefe 1930– 1983, S. 8). Vgl. Albrecht Erich Günther: Reform oder Auflösung des Strafrechts? in: Widerstand 5, 1930, H. 8; Der Ursprung des Strafrechtes aus dem Imperium, in: Widerstand 5, 1930, H. 9; Recht und Gnade, in: Widerstand 5, 1930, H. 11. Albrecht Erich Günther: Die Krise des Konservatismus, in: Deutsches Volkstum 32.2, 1930, S. 900–905, 902.

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sionslosen Strenge wieder freilegt und aus dem ‚Pastörlichen‘ das ‚Priesterliche‘ wieder hervorhebt.“29 Schmitts Antwort ist nicht erhalten geblieben, doch muß sich ein intensiverer Austausch ergeben haben, denn schon im Januar 1931 brachte das Deutsche Volkstum eine Studie Günthers, die sich anheischig machte, dem „gebildeten Laien“ zu zeigen, daß Schmitts Denken nicht nur zur bloßen Wissensvermehrung förderlich sei, sondern „zur Herausbildung geistiger Entschiedenheit“. In ihr machte Günther deutlich, daß die Achse dieses Denkens in seiner Stellung zur Säkularisation zu sehen sei, in der Radikalität, mit der es gegen die Produkte dieser Säkularisation – den staatsrechtlichen Funktionalismus, den Liberalismus, den systematischen und metaphysischen Kompromiß – auf das „Moment der Dezision“ zurückgreife, auf die reine, „nicht räsonnierende und nicht diskutierende, sich nicht rechtfertigende Entscheidung“.30 An diese Vorstellung der Politischen Theologie schloß sich wenige Wochen später eine Präsentation von Schmitts Überlegungen zum Begriff des Politischen an, die in den Kommenden erschien, der von Ernst Jünger und Werner Laß herausgegebenen, von zahlreichen Bünden im Pflichtbezug gehaltenen Wochenschrift der Bündischen Jugend.31 Was Günther in Schmitts Text fand – übrigens noch der ersten Fassung desselben, die 1927 erschienen war –, war die Überzeugung, „daß das Politische ein eigener Lebensbereich ist, dessen Wesen sich nicht aus anderen Lebensbereichen, etwa dem Lebensbereich der Moral oder dem Lebensbereich der Wirtschaft ableiten, sondern nur in seiner Eigenart kennzeichnen läßt“, war des weiteren die Bestätigung seiner von Spengler übernommenen Überzeugung, daß Politik vor allem Außenpolitik war, zu der sich alle Innenpolitik in einem lediglich instrumentellen Verhältnis befand, und war schließlich und vor allem die Ausrichtung des Politischen auf die Unterscheidung von Freund und Feind und die Möglichkeit von Kampf und Krieg.32 Während Schmitts erste Fassung allerdings den Feind überwiegend jenseits der Grenzen ausmachte – das Wort „Bürgerkrieg“ fiel in seinem Text kein einziges Mal33 –, nahm Günther bereits die wesentliche Änderung der zweiten Fassung vorweg, indem er auf die Fähigkeit des Staates zur Bestimmung des inneren Feindes abstellte. Daß in der Novemberrevolution deutsche Matrosen englische Matrosen für ihre politischen Freunde im Kampf gegen einen gemeinsamen Feind hielten und auf meuternde Truppen nicht mehr geschossen wurde, „weil nicht mehr mit Sicherheit unterschieden wurde, ob sie als Feinde des bestehenden oder als Freunde des werdenden Staates betrachtet werden sollten“, dies sei ein deutliches Indiz dafür, daß das ausgehende Kaiserreich nicht mehr die Eigenschaften eines Staates besessen habe. Und wenn heute „die Republik in ihrem 29 30 31 32

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Albrecht Erich Günther an Carl Schmitt, Brief vom 26.12.1930, Nachl. Schmitt, RW 265–5417. Albrecht Erich Günther: Der Endkampf zwischen Autorität und Anarchie. Zu Carl Schmitts ‚Politischer Theologie‘, in: Deutsches Volkstum 33.1, 1931, S. 11–20, 12, 19. Näher hierzu Breuer und Schmidt. Albrecht Erich Günther: Das Wesen des Politischen, in: Die Kommenden 6, 1931, F. 17. Bei Spengler heißt es: „In jedem Falle aber ist der Staat die Form, welche die äußere Lage bestimmt, so daß die geschichtlichen Beziehungen zwischen Völkern stets politischer und nicht sozialer Natur sind. (…) Weltgeschichte ist Staatengeschichte und wird es immer sein. Die innere Verfassung einer Nation hat immer und überall den Zweck, für den äußeren Kampf, sei er militärischer, diplomatischer oder wirtschaftlicher Art, ‚in Verfassung‘ zu sein.“ (Spengler, Untergang, S. 1012 f.) Vgl. Meier, Carl Schmitt, S. 28 f.

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politischen Handeln sich daran orientieren müßte, daß im Falle eines Angriffes auf das Reichsgebiet ein Teil des Volkes den Feindcharakter des Angreifers wirksam verneinte – man denke sich etwa Rußland nach der Überwindung Polens als Angreifer unter der Losung der Weltrevolution – so könnte sie nicht als Staat gelten.“ Potentielle Feinde der politischen Einheit waren in diesem Sinne nach Günther nicht nur die Anhänger der „Internationale“, sondern auch die völkischen (hier im Sinne von ethnischen) Minderheiten, die „im Ernstfalle zu einer tödlichen Bedrohung“ werden könnten.34 Auch in seinen folgenden Schriften kam Günther immer wieder auf Schmitt zurück, so in seinem Beitrag auf der deutsch-französischen Arbeitswoche in Davos im April 1931, in dem er einmal mehr die Freund-Feind-Unterscheidung und die Ausrichtung auf den Ernstfall beschwor und dem bürgerlichen Rechtsstaat des Liberalismus die Qualität des Politischen absprach, weil er ein bloßes „System von Hemmungen und Kontrollen (sei), das immer eine zu hemmende und zu kontrollierende staatliche Initiative voraussetzt“.35 Ein anderes Mal hielt er der Konstruktion des liberalen Rechtsstaates, die mehr als die demokratische Tradition die Schöpfer der Weimarer Verfassung beeinflußt habe, die veraltete Vorstellung vor, „daß die Wahrheit als Kompromiß aus dem freien Wettbewerb der Meinungen hervorgehe“ – bekanntlich der zentrale Vorwurf in Schmitts Schrift über Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus.36 Schmitts Kritik des Parteienstaates im Hüter der Verfassung wurde ebenso mobilisiert wie die Unterscheidung von „potestas“ und „auctoritas“ aus der Verfassungslehre.37 Dem Hüter der Verfassung widmete Günther sogar eine eigene Studie, die in der von Ernst Niekisch herausgegebenen Zeitschrift Widerstand erschien, einem Blatt von stärker nationalrevolutionärem

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Vgl. Günther, Das Wesen des Politischen. Daß damit auch die Juden gemeint waren, machte Günther in einer späteren Intervention klar, in der er dafür eintrat, „auch den Juden, die in unserm Hoheitsgebiete leben, eine neue Ordnung (zu) schaffen“, deren Prinzip „jedenfalls nicht in der Fiktion einer formalistischen Gleichstellung“ zu suchen sei; was nichts anderes hieß, als die 1871 vollzogene Emanzipation rückgängig zu machen. Das war die Position des radikalen Antisemitismus, wie sie auch Günthers Freund Ernst Jünger zu dieser Zeit vertrat. Vgl. Albrecht Erich Günther: Die politische Seite der Judenfrage, in: Europäische Revue 8, 1932, H. 8, S. 489–497, 497; Ernst Jünger: Über Nationalismus und Judenfrage (1930), in: Jünger 2001, S. 587–592. Albrecht Erich Günther: Wandlungen der sozialen und politischen Weltanschauung des Mittelstandes, in: Der Ring 4, 1931, H. 22, S. 408–410, 410; vgl. auch: Die konservative Erneuerung in Deutschland, in: Die junge Mannschaft 1, 1931, H. 2 (August). Die Arbeitswoche fand im Anschluß an einen der Hochschulkurse in Davos statt, die von 1928–1931 von Gottfried SalomonDelatour veranstaltet wurden. 1931 waren unter den Teilnehmern neben Albrecht Erich Günther: Horst Grueneberg von der Tat, Friedrich Vorwerk vom Ring sowie der katholische Publizist Albert Mirgeler. Vgl. den Bericht „Dr. Mirgeler in Davos“, in: Nachl. Morsbach, NL 238, 10. Zu den Davoser Hochschulkursen, an denen auch Schmitt einmal teilgenommen hat (1928), vgl. Wagner, Gottfried Salomon-Delatour, S. 77 ff. Albrecht Erich Günther: Zwischen Kaiserreich und Diktatur. Der 18. Januar 1931, in: Die junge Mannschaft 1, 1931, H. 3 (September). Vgl. Albrecht Erich Günther: Übergang oder Umbildung der Republik, in: Deutsches Volkstum 33.2, 1931, S. 702–708.

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Zuschnitt als das Deutsche Volkstum, mit einer eigenen bündischen Basis aus den Resten des Bundes Oberland.38 So beeindruckt indes Günther von Schmitts Argumenten auch sein mochte: seine eigene politische Sozialisation war zu unterschiedlich verlaufen, um sich ohne Rest mit ihnen zu identifizieren. Wiewohl er die von Schmitt unter Rückgriff auf Jüngers Formel von der totalen Mobilmachung skizzierte Tendenz zum „totalen Staat“ für unvermeidlich hielt,39 wandte er doch ein, daß eine totale Diktatur (wie sie zu diesem Zeitpunkt allerdings nur erst von Jünger, nicht von Schmitt angestrebt wurde) kein hinreichendes Mittel sei, um den bevorstehenden „Endkampf zwischen Autorität und Anarchie“ zugunsten der ersteren zu entscheiden. Als eine rein existentielle Gewalt sei die Diktatur letztlich nur „potestas“, nicht „auctoritas“, rein faktische Macht, der gegenüber es an „Ehrfurcht“ und Zustimmung mangele.40 Andererseits sei die gegenwärtige Erscheinungsform der „auctoritas“ in Gestalt des Reichspräsidenten Hindenburg auf die Dauer nicht in der Lage, die drohende „Staatsauflösung“ zu verhindern,41 so daß neue Lösungsversuche des Dilemmas gefragt seien. Eine Chance in dieser Richtung sah Günther in den modernen rechten Massenbewegungen wie dem Faschismus und dem Nationalsozialismus. Während Schmitt zwar den Faschismus zeitweilig durchaus schätzte, in ihm aber auch eine Organisationsform sah, die eher für noch agrarische Länder geeignet war,42 stellte Günther die Begeisterung heraus, die der Faschismus bei der Jugend zu wecken vermocht habe. Auch die Gegner des Regimes, schrieb er 1931 nach einer Italienreise im Organ des DHV, könnten nicht bestreiten, „daß der Faschismus hier nicht mehr Diktatur ist, sondern die Einfügung der natürlichen Kräfte der Jugend in den Staat in vorbildlicher Weise gelöst hat (…) Wer Sinn für Jugend hat, kann nicht verkennen, daß der Faschismus, wie immer man sein System und seine Aussichten beurteilen mag, die beste Jugend des Landes für sich gewonnen hat.“43 In gleicher Weise bescheinigte Günther dem Nationalsozialismus, „die liberal-parlamentarische Entwicklung der Verfassung von Weimar einer entschiedenen 38

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Vgl. Albrecht Erich Günther: Wer ist der Hüter der Verfassung?, in: Widerstand 6, 1931, H. 6, S. 168–175. Zu Niekisch und Oberland vgl. Kuron, Freikorps und Bund Oberland, S. 207 ff.; Rätsch-Langejürgen, Das Prinzip Widerstand, S. 157 ff. Niekisch gehörte seit Oktober 1930 auch zu Schmitts näherem Bekanntenkreis: vgl. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 47. In einem Brief vom 10.10.1930 fragte er an, ob Schmitt für den Widerstand über „Das Recht des Widerstandes“ schreiben wolle (Nachl. Schmitt, RW 265–10392). Drei Jahre später publizierte er eine scharfe Kritik des Begriffs des Politischen, in: Widerstand 8, 1933, H. 12, S. 369–375. Über sein Verhältnis zu Schmitt vgl. auch den autobiographischen Bericht in Niekisch, Gewagtes Leben, S. 188 f., 241 ff. Vgl. Schmitt, Der Hüter der Verfassung (1969), S. 79. Auch in dem im August 1932 erschienenen Buch Gerhard Günthers fand diese Entwicklung ein Echo: vgl. Günther, Das werdende Reich, S. 196 ff. Dazu Faye, Totalitäre Sprachen, Bd. 1, S. 370 ff. Vgl. Günther, Der Endkampf zwischen Autorität und Anarchie, S. 19. Vgl. Günther, Wer ist der Hüter der Verfassung? S. 175. Vgl. Schmitt, Der Hüter der Verfassung (1969), S. 100. Albrecht Erich Günther: Begegnung mit dem Faschismus, in: Deutsche Handelswacht 38, 1931, Nr. 17 (25.11.). Zu Günthers Einschätzung des Faschismus vgl. auch seine Beiträge: Der Fascismus, in: Die junge Mannschaft 1, 1931, H. 5 (November); Der italienische Nationalismus, in: Die junge Mannschaft 1, 1931, H. 6 (Dezember); Wird der Faschismus bleiben? In: Deutsches Volkstum

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Korrektur nach der demokratischen Seite hin unterzogen“ zu haben, ja er verstieg sich sogar zu der Forderung, in ihm und seinem bewaffneten Arm, der SA, den gegenwärtigen Repräsentanten des „Volkes“ zu verstehen, das rechte Gegenstück zum Anspruch der Linken, den pouvoir constituant zu verkörpern.44 Auch wenn Günther sich gegen eine Regierungsübernahme der NSDAP aussprach, kam seine Forderung, die Regierung „sollte in steter Unterhandlung mit dem Volkstribunen stehen, der die Akklamation für die Regierung verweigern oder herbeiführen kann“,45 einer Regierungsbeteiligung doch sehr nahe, deutlich näher jedenfalls als Carl Schmitt, der zur gleichen Zeit fieberhaft an Lösungen arbeitete, wie die Regierung vom Parteieneinfluß unabhängig zu machen sei. Es liegt nahe, diese Differenz mit zwei Eigentümlichkeiten von Günthers Denken in Zusammenhang zu bringen: einer im bündischen Lager verbreiteten Selbstüberschätzung, die allein der in männerbündischen Formen organisierten nationalistischen Elite politische Führungsqualitäten zuwies und im Patriotismus, dem auch der Nationalsozialismus zugeschlagen wurde, nur eine ‚weibliche‘, der Lenkung bedürftige Energie zu erkennen vermochte;46 und der teils aus der eigenen Kriegserfahrung stammenden, teils von Spengler und Jünger übernommenen stärkeren Kriegszentrierung, die seinem Nationalismus eine deutlich aggressivere, imperialistische Note verlieh, eben daraus aber auch die Notwendigkeit ableitete, auch noch das letzte Quentchen an patriotischer Energie nutzbar zu machen. Schmitt dagegen, der den Krieg fernab der Front in der Verwaltung verbracht und im Militär nie etwas anderes gesehen hatte, als einen ‚menschenunwürdigen‘ und ‚bestialischen Zwang‘,47 begann seinen Kampf um den Begriff des Politischen aus der Defensive48 und profilierte sich zunächst eher als Kritiker des Imperialismus denn als Verfechter einer anderen Variante desselben. Daß der deutsche Nationalismus „Wille zum Reich“ sei und dafür alle ihm zu Gebote stehenden Mittel zu mobilisieren habe, dies war ein Gedanke, der bei Schmitt erst durch den Austausch mit Günther und Jünger in den Vordergrund trat, aber selbst noch in der zweiten Fassung des Begriffs des Politischen jener Zuspitzung ins Agonale entbehrte, wie sie für die bellizistischen neuen Nationalisten so charakteristisch war.49 Immerhin: die nötigen Ansätze waren da, so daß eine Zusammenarbeit nahe lag.

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34.1, 1932, S. 7–13. Eine zusammenfassende Einschätzung gibt Hoepke, Die deutsche Rechte und der italienische Faschismus, S. 25 ff. Albrecht Erich Günther: Die politischen Formen des Massenzeitalters, in: Die junge Mannschaft 1, 1931/ 1932, H. 10 (April). Albrecht Erich Günther: Sollen die Nationalsozialisten ‚regieren‘? In: Deutsches Volkstum 34.1, 1932, S. 381–385. Vgl. Albrecht Erich Günther: Das männerbündlerische Wesen der jungen Generation, in: Europäische Revue 8, 1932, H. 8, S. 504–510. Diese Akzentuierung des Männerbündischen war übrigens keineswegs erst eine Folge des Krieges, sondern prägte den DHV schon lange zuvor. Selbst nach den grundlegenden Veränderungen, die der Krieg im Geschlechterverhältnis ausgelöst hatte, wurde an dieser Position festgehalten. Im Mai 1919 lehnten Verwaltung und Aufsichtsrat des DHV den Beitritt zu einem Einheitsverband der Angestellten unter anderem mit der Begründung ab, daß man „eine Männerorganisation“ bleiben wolle, der neue Verband aber weibliche Angestellte aller Berufe aufzunehmen beabsichtige: vgl. Hamel, Völkischer Verband, S. 172. Vgl. Schmitt, Die Militärzeit 1915 bis 1919 (2005), S. 97; vgl. ebd., S. 77, 95, 130 f., 135. Vgl. Meier, Carl Schmitt, S. 26. Vgl. ebd., S. 73.

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2. Obwohl Günther mit seinem Aufsatz über die Politische Theologie vom Januar 1931 deutlich signalisiert hatte, wie groß das Interesse in Hamburg an den Ideen Carl Schmitts und seines Kreises war, dauerte es noch über ein Jahr, bis es zu einer intensiveren Zusammenarbeit kam. Einer förmlichen Einladung zu einem Beitrag für das Deutsche Volkstum, die Günther noch im März aussprach, kam Schmitt nur zögernd und auch nur mit einem Vorabdruck aus Legalität und Legitimität nach – sehr zum Verdruß von Günthers Mitherausgeber Stapel, der gar nicht erst gefragt worden war und Vorabdrucke nicht schätzte.50 Erst für das zweite Märzheft 1933 fand er sich zu einem Originalbeitrag bereit, der insofern dem Kommenden – dem Ermächtigungsgesetz und der anschließenden Gleichschaltung – präludierte, als er aus der gewaltigen Machtsteigerung des modernen Staates die Notwendigkeit einer „ebenso gewaltige(n) Zusammenfassung aller geistigen Kräfte des Volkes“ ableitete.51 Schneller reagierten dagegen die Schüler auf die neue Lage, die durch Vorwerks Wechsel vom Ring in die Berliner Schriftleitung des Deutschen Volkstums entstanden war. Forsthoff, der das Blatt bereits seit Anfang der 20er Jahre regelmäßig las, war schon im Märzheft 1932 mit zwei Beiträgen vertreten, wie schon im Ring, so auch jetzt wieder unter Pseudonym, so daß eine Zuordnung nur für Eingeweihte möglich war.52 Als Georg Holthausen verfaßte er eine Reihe von Miszellen, die zu Fragen der Rundfunkreform und der Strafrechtspflege Stellung nahmen,53 verteidigte die Justizkritik von rechts ausgerechnet gegen das Urteil des Sondergerichts von Beuthen, das die zur SA gehörenden Mörder des Kommunisten Potempa für schuldig befunden hatte,54 und begrüßte ein Buch von Wilhelm von Schramm über Radikale Politik mit „grundsätzliche(m), freudige(m) Einverständnis“.55 In seinen größeren Beiträgen widmete er sich der „Krisis des Staatsdenkens“ (März 1931), dem „Rechtsstaat in der Krise“ (erstes Aprilheft 1932) sowie „Presse, Rundfunk und Staat“ (erstes Maiheft 1932). Seine Verbindung zum Hamburger Netzwerk dokumentierte er außerdem noch auf andere Weise. Im März 1932 steuerte er, wie bereits erwähnt, einen Beitrag zu dem von A. 50

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Vgl. Albrecht Erich Günther an Carl Schmitt, Brief vom 2.3.1932. Nachl. Schmitt, RW 265–5418; Carl Schmitt: Legalität und gleiche Chance politischer Machtgewinnung, in: Deutsches Volkstum 34.2, 1932, S. 557–564; Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 39. Vgl. Carl Schmitt: Machtpositionen des modernen Staates, in: Deutsches Volkstum 35.1, 1933, S. 225–230, 230. Schmitt hat diesen Text später in seine Verfassungsrechtlichen Aufsätze (1973, S. 367 ff.) aufgenommen, ihn allerdings um die zeitbezogenen Passagen ab S. 228 gekürzt, ohne auf die Streichung hinzuweisen. Vgl. Friedrich Grüter: Krisis des Staatsdenkens, in: Deutsches Volkstum 33.1, 1931, S. 169–177; Neues staatsrechtliches Schrifttum, in: Deutsches Volkstum 33.1, 1931, S. 228–231. Georg Holthausen: Die Rundfunkreform, in: Deutsches Volkstum 34.2, 1932, S. 766 f.; G. H.: Die Sterilisationskriminalisten, ebd., S. 810–811. Georg Holthausen: Beuthen, in: Deutsches Volkstum 34.2, 1932, S. 767–768. Vgl. Georg Holthausen: Radikale Politik, in: Deutsches Volkstum 34.2, 1932, S. 811–812. Schramm, bis 1933 Feuilletonredakteur der Münchner Neuesten Nachrichten, war 1930 mit einem Beitrag zu dem von Ernst Jünger herausgegebenen Band Krieg und Krieger (Berlin 1930) hervorgetreten und kann dem revolutionären Rechtsnationalismus zugerechnet werden.

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E. Günther herausgegebenen Sammelwerk Was wir vom Nationalsozialismus erwarten bei, in dem er sich für einen Staat aussprach, der seine Autorität „auf alle die Sachgebiete, die der Liberalismus autonomisierte“, ausdehnen sollte.56 Zu erreichen sei dies durch eine Stärkung Preußens, sowohl im Wege einer territorialen Ausdehnung durch Inkorporation der kleineren norddeutschen Länder als auch durch „Wiederherstellung der hegemonialen Führung Preußens, durch die Errichtung neuer, der bismarckschen Verfassung entsprechender Identitäten zwischen der Reichsregierung und der preußischen Regierung“, wie dies einige Monate später durch den sogenannten Preußenschlag auch erreicht wurde.57 Vollends auf die Hamburger Linie schwenkte Forsthoff dann mit seiner ein Jahr später erschienenen Broschüre Der totale Staat ein, in der er nicht nur Stapels und Günthers Unterscheidung zwischen Herrschaftsordnung und Volksordnung aufgriff, sondern auch die besonders von Günther favorisierte Idee einer „zur staatlichen Führung privilegierten politischen Oberschicht“, die eine „Führerschicht in einem aristokratischen Sinne“ darstellen sollte, einen „wirklichen Stand(e), der sich aus der Bewährung in einem unerhört zähen, mit gewaltigen Opfern an Blut, Gut und Freiheit durchgeführten Kampf um Staat und Volk gebildet hat.“58 Ernst Rudolf Huber hielt dem Ring noch etwas länger die Treue, begann aber ab Mai 1932 ebenfalls das Deutsche Volkstum regelmäßig und in gewohnt starkem output mit Artikeln zu versorgen, nun hauptsächlich unter dem Namen Dr. Friedrich Landeck. In den fünfzehn Monaten von April 1932 bis zur endgültigen Etablierung der NS-Diktatur im Juli 1933 erschienen dort zehn Beiträge unter diesem Namen, ferner drei Texte unter den Pseudonymen Lothar Veeck und Konrad Fehling sowie fünf unter seinem wirklichen Namen, insgesamt also achtzehn Texte, von denen die Mehrzahl allerdings nur wenige Seiten umfaßte.59 Größere Beiträge waren: „Staat und Gesellschaft“, eine Würdigung von Hans Freyers Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft im zweiten Aprilheft 1932; „Die Deutsche Nation“ im zweiten Juliheft 1932; „Verfassung und Legalität“ im zweiten Septemberheft 1932; „Selbstverwaltung der Wirtschaft“ im ersten Novemberheft 1932; „Die Berufsverbände und der Staat“ im ersten Dezemberheft 1932; „Das Gesetz über die Berufsverbände“ im zweiten Aprilheft 1933 sowie „Die Kartelle und der Staat“ im ersten Juliheft 1933.60 In seinen kürzeren Interventionen kritisierte Huber den preußischen Staatsministerialerlaß vom 3. Juli 1930, der den Beamten die Zugehörigkeit zur NSDAP untersagte,61 monierte die mangelnde Bereitschaft Preußens zur Erhaltung der 56 57

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Vgl. Friedrich Grüter: Die Gliederung des Reiches, in: Günther (Hrsg.), Was wir vom Nationalsozialismus erwarten, S. 81–89, 83. Ebd., S. 84 f. , 87. Die Verteidigung dieser Aktion dürfte auch zu den Gegenständen des Vortrages über „Regierung und Volk“ gehört haben, den Forsthoff im Oktober 1932 in Vertretung Carl Schmitts vor der Berliner Ortsgruppe des DHV hielt: vgl. den Bericht in: Reichsreform. Mitteilungen des Bundes zur Erneuerung des Reiches e.V. 4, 1932, H. 10. Forsthoff, Der totale Staat1 , S. 33. Die Schrift erschien in der Hanseatischen Verlagsanstalt und wurde von Wilhelm Stapel besprochen, in: Deutsches Volkstum 35.2, 1933, S. 749–750. Vgl. Huber-Simons und Huber, Bibliographie der Veröffentlichungen von Ernst Rudolf Huber. Auch nach diesem Zeitpunkt hat Huber noch im Deutschen Volkstum publiziert, allerdings nur bis Ende 1934: insgesamt 5 Beiträge. Friedrich Landeck: Die politische Freiheit der Beamten, in: Deutsches Volkstum 34.1, 1932, S. 418–419. Ein Beleg für eine frühe nationalsozialistische Einstellung ist das freilich nicht. Noch

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in der Reichsverfassung garantierten Bekenntnisschule62 und besprach, mit bemerkenswerter Zustimmung, Texte des neuhegelianischen Philosophen Richard Kroner und des Berliner Soziologen Sigmund Neumann,63 aber auch von Autoren des Tat-Kreises wie Carl Rothe und Hans Zehrer.64 Auch persönlich knüpfte Huber engere Beziehungen zum Deutschen Volkstum. Als er im September und November 1932 jeweils für einige Wochen in Berlin war, stand er in beinahe täglichem Kontakt mit Friedrich Vorwerk und lernte auch A. E. Günther, Stapel und Benno Ziegler kennen, die dort mehrmals zu Besuch waren.65 Die Broschüre über das RGH-Urteil zum Preußenschlag, die er im Auftrag des Reichswehrministeriums verfaßte, sollte ursprünglich in der HAVA erscheinen, was sich nur infolge von Indiskretionen zerschlug, die den Reichspressechef, Erich Marcks jr., in Verbindung mit einer Glosse im Deutschen Volkstum brachten, welche scharfe Angriffe auf die Reichsregierung enthielt. Marcks, der nicht nur Hubers Aufenthalt in Berlin finanzierte, sondern auch eine Abnahmegarantie von 10.000 Exemplaren der Broschüre durch das Reichswehrministerium zugesagt hatte, brach daraufhin die Beziehungen zur HAVA ab, so daß die Arbeit schließlich im Stalling-Verlag erscheinen mußte.66

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kurz zuvor hatte Huber zum Artikel eines christlichen Gewerkschaftlers geschrieben, die Hinwendung eines beachtlichen Teils der Angestelltenschaft zur NSDAP sei ein Indiz für den „Mangel des Bewußtseins für die eigene Aufgabe, die weder mit einem politischen Umsturz noch mit einer ökonomischen Umwälzung irgendeine Beziehung hat.“ (Fr. Schr.: ‚Kulturvitalität im Angestelltenproblem‘, in: Der Ring 4, 1931, H. 9, S. 176). Friedrich Landeck: Die Bekenntnisschule in Preußen, in: Deutsches Volkstum 34.2, 1932, S. 454– 455. Friedrich Landeck: Kulturphilosophie und Politik, in: Deutsches Volkstum 34.2, 1932, S. 589– 590; Die deutschen Parteien, ebd., S. 590–591. Sowohl Kroner als auch Neumann waren nach 1933 antisemitischer Verfolgung ausgesetzt und emigrierten. Friedrich Landeck: Weltwirtschaftskrieg, in: Deutsches Volkstum 34.2, 1932, S. 633–634; Obrigkeit und Volk, ebd., S. 682–684. Hinzuzufügen sind noch zwei Sammelbesprechungen: Friedrich Landeck: Autarkie? in: Deutsches Volkstum 34.2, 1932, S. 634–635; Lothar Veeck: Präventivkrieg, in: Deutsches Volkstum 35.1, 1933, S. 82–83. Das geht aus den Briefen hervor, die Huber seiner späteren Ehefrau Tula Simons schrieb. Begegnungen mit Stapel und Ziegler sind für den 16. und 17.11.1932 verzeichnet, mit A. E. Günther für den 3. und 4.11. Zu Günther heißt es dort: „Ich glaube, wir haben uns verstanden, denn er stimmte mir zu, als ich ihm sagte, wie ich die Möglichkeiten der Revolution in Deutschland ansehe; es gehört zu ihrer Struktur das Zusammenwirken des drängenden elementaren Volkes und des Trägers eines Amtes, der den Haß auffangen und weiterleiten kann. Scharnhorst, Yorck, Roon, Bismarck sind sehr deutliche Beispiele. Es war ein Uhr, als ich am Donnerstag nach Hause kam, und obwohl ich nicht viel gesprochen hatte, war mir klar, daß ich mich seit langem nicht so gut mit einem Mann verstanden hatte.“ Ernst Rudolf Huber an Tula Simons, Brief vom 5.11.1932, Nachl. Huber, N 1505, 1072. Vgl. Ernst Rudolf Huber an Tula Simons, Briefe vom 5.11. und 18.11.1932, Nachl. Huber, N 1505, 1072. Mitschuld an diesem Debakel scheint übrigens Forsthoff gewesen zu sein, „der in Hamburg herumgelaufen ist, um zu erreichen, daß für diese wirklich belanglose Glosse eine besondere Propagandaaktion gemacht wird.“ (ebd.). Über diese Hintergründe seines Berlinaufenthaltes hat sich Huber in seinem späteren Bericht ausgeschwiegen: vgl. ders., Carl Schmitt in der Reichskrise der Weimarer Endzeit.

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Als dritter aus dem Bunde der Bonner Schüler tauchte ebenfalls im Mai 1932 Karl Lohmann im Deutschen Volkstum auf. Aus seiner Feder stammen vier kleinere Beiträge: eine Entgegnung auf einen Artikel von Erich Koch-Weser in der Vossischen Zeitung über die Präsidialgewalt; eine Kritik an der Begründung für die Reichstagsauflösung vom 4. Juni 1932; eine Glosse über einen Aufsatz von Charles Maurras in der Action Française und eine Zwischenbilanz zum Stand der Reichsreform.67 Auch er stand in dieser Zeit, wie Schmitts Tagebücher und Hubers Briefe belegen, in enger persönlicher Beziehung zur Berliner Redaktion des Deutschen Volkstums, wohnte Friedrich Vorwerk doch mit seiner Familie im gleichen Haus. Zehn Jahre jünger als die Bonner Schüler waren zwei spätere Erwerbungen, die 1932/33 im Deutschen Volkstum zu Wort kamen: Günther Krauß (1911–1989) und Wilhelm Grewe (1911–2000). Krauß, der aus Köln stammte, studierte seit 1929 an der Berliner Universität, nahm aber im Sommersemester 1931 an Schmitts Verfassungsrechtlichem Seminar an der Handelshochschule teil und referierte dort auch.68 Ab Wintersemester 1931/32 wechselte er nach Köln und besuchte außerdem in Bonn Übungen von Huber, obwohl er sich als Katholik mit diesem wie auch mit den anderen protestantischen Schülern Schmitts etwas schwer tat.69 Im Sommer 1933 traf er Schmitt des öfteren während dessen Kölner Semester. Danach folgte er Schmitt als Doktorand wieder nach Berlin und promovierte bei ihm im Januar 1935 mit einer Arbeit über Rudolph Sohm, die 1936 in der Hanseatischen Verlagsanstalt erschien.70 Von Vorwerk, dem so leicht kein Schmitt-Schüler entging, ließ er sich 1932 bewegen, im ersten Dezemberheft 1932 des Deutschen Volkstums eine längere Besprechung von Schmitts Begriff des Politischen („Die Ideologie des Widerstandes“) zu publizieren, die mit Rücksicht auf seine künftige Karriere unter Pseudonym erschien („Clemens Lang“).71 Zwar war ihm das Deutsche Volkstum insgesamt zu antikatholisch, doch ließ er sich deshalb nicht davon abhalten, dort weitere Texte abzuladen, darunter eine Abhandlung über Georges Bernanos’ Lebensbeschreibung des französischen Erzantisemiten Edouard Drumont, die sich alle Mühe gab, in puncto Antisemitismus nicht hinter dem Gegenstand zurückzubleiben.72 67

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Karl Lohmann: Nothelfer des Systems?, in: Deutsches Volkstum 34.1, 1932, S. 416–418; Reichstagsauflösung nach dem „Prinzip der Jeweiligkeit“, in: Deutsches Volkstum 34.2, 1932, S. 546–548; Föderalismus und Separatismus in Frankreich, in: Deutsches Volkstum 35.1, 1933, S. 81–82; Der Stand der Reichsreform, in: Deutsches Volkstum 35.1, 1933, S. 173–175. Vgl. Mehring, Carl Schmitt, S. 229; Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 117. Vgl. Günther Krauß an Carl Schmitt, Brief vom 31.7.1932, Nachl. Schmitt, RW 265–8237. Vgl. Mehring, Carl Schmitt, S. 363; Krauß, Der Rechtsbegriff des Rechts. Vgl. auch dessen „Erinnerungen an Carl Schmitt“. Vgl. Günther Krauß an Carl Schmitt, Brief vom 27.4.1932, Nachl. Schmitt, RW 265–8227. Krauß hat später lange bestritten, mit „Clemens Lang“ identisch zu sein. Sein Briefwechsel mit Schmitt läßt daran jedoch keinen Zweifel. Vgl. insbesondere Günther Krauß an Carl Schmitt, Brief vom 13.1.1935, Nachl. Schmitt, RW 265–8246. Vgl. Clemens Lang: Das jüdische Frankreich, in: Deutsches Volkstum 35.1, 1933, S. 370–375. Gleich eingangs hieß es dort: „Es genügt, den einfachen und klaren Sachverhalt zu sehen, daß das Volk der Juden und die christlichen Völker seinsmäßig verschieden sind. Ihre Gleichbehandlung ist daher weder gerecht noch vernünftig. Sofern die Juden bestrebt sind, diesen Zustand aufrecht-

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Noch als Gymnasiast kam der Hamburger Wilhelm Grewe mit den Ideen Carl Schmitts in Berührung, erstmals wohl durch eine Besprechung des Begriffs des Politischen, die er für die von ihm geleitete bündische Zeitschrift Die junge Mannschaft verfaßte.73 Grewe, von dem in anderem Zusammenhang noch genauer die Rede sein wird, gehörte in Hamburg zum Kreis um Albrecht Erich Günther, der ihn auf vielfache Weise protegierte. Ende 1930 legte er eine Arbeit des Primaners seinem Brief an Carl Schmitt bei und bat um dessen Urteil.74 1932 nahm er einen Beitrag des Studenten in seinen Band Was wir vom Nationalsozialismus erwarten auf, öffnete ihm das Deutsche Volkstum und vermittelte wohl auch eine erste persönliche Begegnung mit Schmitt,75 an die sich ein halbes Jahr später die Aufnahme in den Kreis anschloß: die Einladung zu der am 11./12.6.1932 vom DHV durchgeführten Tagung in Lobeda, an der aus Hamburg Max Habermann, Benno Ziegler, Wilhelm Stapel und A. E. Günther teilnahmen, aus dem Schmitt-Kreis neben Schmitt selbst Vorwerk, Huber, Forsthoff und Horst Michael.76 Die dort geknüpfte Verbindung sollte sich schon bald für Grewe auszahlen. 1933 machte ihn der frisch berufene Forsthoff in Frankfurt zu seinem Assistenten und nahm ihn später nach Hamburg und Königsberg mit.77 Inhaltlich waren seine frühen Texte durch das Bemühen bestimmt, eine Synthese zwischen den Positionen der ‚Hamburger Schule‘ (Ernst Jünger) und Carl Schmitts herzustellen und daraus eine Legitimation für den Führungsanspruch abzuleiten, wie er in den Kreisen der Bündischen Jugend endemisch war.78

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zuerhalten und auszunutzen, sind sie echte Feinde derjenigen Völker, die sie durch ihre Geldmacht beherrschen; ihre Herrschaft ist eine Fremdherrschaft.“ Den beiden Herausgebern des Deutschen Volkstums dürfte er damit aus der Seele gesprochen haben: vgl. Dupeux, Der Kulturantisemitismus von Wilhelm Stapel. Vgl. Wilhelm Grewe: Der Begriff des Politischen – Politik und Moral, in: Die junge Mannschaft 1, 1931/32, H. 6 (Dezember 1931). Vgl. Albrecht Erich Günther an Carl Schmitt, Brief vom 26.12.1930. Nachl. Schmitt, RW 265– 5417. Vgl. Wilhelm Grewe: Verfassungspolitische Aufgaben eines nationalsozialistischen Staates, in: Günther (Hrsg.), Was wir vom Nationalsozialismus erwarten, S. 90–99; Deutschlands politische Form, in: Deutsches Volkstum 34.1, 1932, S. 425–431. Ferner die Einträge vom 23.11. und 17.12.1931 in: Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 147, 157. Schmitt pflegte solche Kontakte zu Studenten gern, nicht nur, um Schüler zu akquirieren, sondern auch, um Informationen über seine Kollegen einzuholen. So mußte ihm Grewe ausführlich Rapport über die Vorlesung Smends erstatten. Vgl. Wilhelm Grewe an Carl Schmitt, Brief von 7.1.1932. Nachl. Schmitt, RW 265–5150. Vgl. ebd., S. 196. Nach der Erinnerung von Ernst Rudolf Huber ging es auf dieser Tagung hauptsächlich um die Frage, „ob es sich nach der bevorstehenden Reichstagswahl für die Regierung empfehlen werde, zum Zweck der auf andere Weise kaum möglichen Mehrheitsbildung aus taktischen Gründen eine Verbindung mit der äußersten Rechten zu suchen. Die Antwort der Tagungsteilnehmer war ein einmütiges und eindeutiges ‚Nein‘“ (Huber, Carl Schmitt in der Reichskrise, S. 37). Daneben standen Fragen der Verfassungsreform zur Debatte, für die Horst Michael und Karl Lohmann eine Vorlage unter dem Titel „Grundsätze für die Prüfung der Weimarer Verfassung“ erarbeitet hatten: vgl. Koenen, Der Fall Carl Schmitt, S. 167. Zur weiteren Laufbahn vgl. weiter unten, S. 242. So bezog sich Grewe in seinem Beitrag für das Deutsche Volkstum auf Schmitts Lehre vom pouvoir constituant und identifizierte diesen mit dem Güntherschen Männerbund, der „Gemeinschaft

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Zählt man diese Beiträge zusammen, kommt man auf mehr als dreißig Texte in nur fünfzehn Monaten – genug, um von einer publizistischen Offensive zu sprechen. Wo aber eine Offensive ist, pflegt es an Planung oder wenigstens Koordination nicht zu fehlen. Diese wird man sich nicht in einem militärischen Sinne vorzustellen haben, als Verhältnis von Befehl und Gehorsam. Carl Schmitt war kein General, der eine Truppe befehligte, sondern Mittelpunkt eines Kreises von akademisch geschulten, hochqualifizierten Intellektuellen, die durchaus fähig waren, ihre eigenen Wege zu gehen und dabei Konflikte mit ihrem Lehrer in Kauf zu nehmen.79 Ihre Bereitschaft zur Gefolgschaft speiste sich aus einer komplexen Gemengelage von Motiven: der vielfach bestätigten Faszination durch die Person Schmitts, die bei einigen, wie etwa Forsthoff, Züge eines Erweckungserlebnisses trug; dem Überzeugtsein von der von ihm vertretenen Sache; und nicht zuletzt auch: der Hoffnung auf Patronage, auf Förderung der beruflichen Karriere, gesellschaftlichen Aufstieg und möglicherweise sogar Zugang zum Machthaber. Auch wenn Schmitt bis zum Sommer 1932 nicht viel mehr war als ein Professor an einer nicht sonderlich angesehenen Hochschule, gab es doch genügend Indizien für eine bedeutende Zukunft. Er genoß die Anerkennung führender Vertreter seiner Zunft, unterhielt Beziehungen zu Verlagen und Redaktionen und war ein gefragter Vortragsredner, der Schulungsvorträge im Auswärtigen Amt hielt und auf Foren wie dem Deutschen Industrie- und Handelstag sowie dem Langnam-Verein sprach.80 Zu seinem Bekanntenkreis gehörten die Staatssekretäre im Reichsfinanzministerium und Reichsinnenministerium, Johannes Popitz und Erich Zweigert, außerdem Schlüsselfiguren aus dem Reichswehrministerium wie Eugen Ott, der die Wehrmachts-Abteilung „und damit nicht weniger als den operativen Planungsstab Schleichers in den immer mehr an Bedeutung gewinnenden Verfassungsfragen“ leitete,81 oder Erich Marcks jr., der bis 1932 für die Presseabteilung zuständig war und unter den Reichskanzlern Papen und Schleicher als Reichspressechef amtierte. War das Verhältnis anfangs noch von einer gewissen Reserve bestimmt, da man Schmitt vor allem als Verfechter einer engen Auslegung der Kompetenzen des Reichspräsidenten kannte,82 so wurde es spätestens mit Legalität und Legitimität zu einer regelrechten Entente cordiale, als man im Reichswehrministerium entdeckte, wie gut sich die Schrift als „vorzügliches Arsenal im Kampf um die Zukunft“

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der Waffenfähigen und Wehrwilligen“, dem „Heer“. Allerdings sei diese verfassunggebende Gewalt nur mittelbar, so daß es einer „intermediären Instanz“ bedürfe, die Grewe an anderer Stelle als dasjenige Subjekt vorstellte, das „im Namen und Auftrag des Reiches zu sprechen vermag“ (Verfassungspolitische Aufgaben, S. 99). Aus seinen übrigen Schriften, die in Die junge Mannschaft und Die Kommenden erschienen, ergibt sich, daß dieses Subjekt im wesentlichen mit der Elite der Bündischen Jugend zusammenfiel. Vgl. dazu in diesem Band: Carl Schmitt und die Generation des Unbedingten. So zeugt etwa die frühe Präsentation von Schmitts Schrifttum durch Ernst Rudolf Huber von geistiger Selbständigkeit und Kritikfähigkeit: vgl. Verfassung und Verfassungswirklichkeit bei Carl Schmitt. Weitere Differenzen erörtern für die Zeit vor 1933 Walkenhaus, Konservatives Staatsdenken, S. 82 f., 89, 92 f., 156; Jürgens, Staat und Reich bei Ernst Rudolf Huber, S. 128 ff.; für die Zeit nach 1933: Mehring, Carl Schmitt, S. 392, 418 ff., 480 ff. Vgl. Mehring, Carl Schmitt, S. 253 f. Pyta und Seiberth, Staatskrise, S. 594. Vgl. Erich Marcks an Carl Schmitt, Brief vom 11.5.1931, Nachl. Schmitt, RW 265–9024.

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eignete.83 Auf Vorschlag von Marcks und Ott wurde Schmitt im Juli 1932 zum Vertreter des Reiches im wichtigsten politischen Prozeß der Weimarer Republik berufen – dem Prozeß ‚Preußen contra Reich‘.84 Von August bis Dezember 1932 wirkte er als juristischer Berater des Schleicher-Kreises und arbeitete sowohl an Entwürfen für eine neue Verfassung als auch an präsidialen Notverordnungen mit.85 Zu seinen Mitarbeitern zu gehören, war unter diesen Bedingungen nicht nur eine fachlich reizvolle Aufgabe, sondern mit einem hohen Maß an beruflichen und politischen Chancen verbunden. Schmitt mußte deshalb niemanden antreiben. Wohl aber sah er es als seine Aufgabe an, zu koordinieren, Verbindungen herzustellen und Akzente zu setzen. Das tat er, wie seinen Aufzeichnungen zu entnehmen ist, mit großem persönlichen Einsatz und hoher Intensität. Das Tagebuch vermerkt zwischen April 1932 und Juli 1933 zehn Begegnungen mit Albrecht Erich Günther und eine ähnliche Zahl mit Friedrich Vorwerk, mit dem er überdies regelmäßigen telefonischen Kontakt hielt. Stapel traf er in dieser Zeit dreimal und auch mit Benno Ziegler, der seit Juli 1931 als Direktor der Hanseatischen Verlagsanstalt amtierte und diese ab 1933 für Carl Schmitt und seinen Kreis öffnete, kam es im November 1932 zu einer persönlichen Begegnung.86 Besonders eng war der Kontakt mit Karl Lohmann, den er zwei- bis dreimal monatlich zu treffen pflegte, sehr oft zum gemeinsamen Gespräch mit dessen Freund Horst Michael (*1901), einem Historiker, der bei Erich Marcks sen. an der Berliner Universität als Oberassistent beschäftigt war und seit dem Sommersemester 1930 an Schmitts staatswissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften an der Handelshochschule teilnahm.87 Über Michael, der über beste Kontakte zum Reichswehrministerium wie auch zur Zentrale des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes verfügte, lernte Schmitt im Februar 1931 Marcks jr. und Ott kennen, und Michael war es auch, der entscheidend dazu beitrug, Schmitts Ideen in den aktuellen politischen Prozeß einzubringen: in Gestalt von Zeitungsartikeln,88 der schon erwähnten, im August 1932 gemeinsam mit Lohmann bei der Hanseatischen Verlagsanstalt veröffentlichten Broschüre,89 einer in Zusammenarbeit mit Schmitt entworfenen Proklamation 83 84 85 86

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Vgl. Erich Marcks an Carl Schmitt, Brief vom 6.9.1932, Nachl. Schmitt, RW 265–9027. Vgl. Mehring, Carl Schmitt, S. 289, 293. Dazu näher Seiberth, Anwalt des Reiches. Vgl. Pyta, Verfassungsumbau; Pyta und Seiberth, Staatskrise, S. 594 ff.; Berthold, Carl Schmitt und der Staatsnotstandsplan. Vgl. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 21 f., 52 ff. Benno Ziegler (1894–1949) hatte vor dem Ersten Weltkrieg eine kaufmännische Lehre absolviert und sich 1910 den Fahrenden Gesellen angeschlossen, der militanten Wanderjugend des DHV. In der Weimarer Republik leitete er bis 1926 diesen Verband und übernahm anschließend Positionen im DHV, u. a. als Leiter der Abteilung für Kultur- und Nationalpolitik, als Gauvorsteher im Gau Nordmark und als Beauftragter des DHV in Berlin. Vgl. die Kurzbiographie in Kindt, Dokumentation, S. 1806. Vgl. Koenen, Der Fall Carl Schmitt, S. 385. Auf die Rolle von Horst Michael im Netzwerk Carl Schmitts hat erstmals Wolfram Pyta aufmerksam gemacht: vgl. Konstitutionelle Demokratie statt monarchischer Restauration, S. 421 ff. Vgl. Horst Michael: Hindenburg regiert! In: Tägliche Rundschau, Nr. 193, 18.8.1932; „Legal“ und „legitim“, in: Berliner Börsen-Courier, Nr. 403, 30.8.1932. Der zuletzt genannte Artikel erschien passend am gleichen Tag, als Papen und Gayl bei Hindenburg auf Neudeck zu Besuch waren, um sich weitreichende Vollmachten abzuholen: vgl. Pyta, Hindenburg, S. 733. Vgl. Horst Michael und Karl Lohmann: Der Reichspräsident ist Obrigkeit! Hamburg 1932. Michael war es auch, der es im August 1932 übernahm, Huber telegrafisch nach Berlin zu beordern,

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des Reichspräsidenten vom 4. Dezember 1932 und einer Denkschrift für das Reichswehrministerium vom 20.1.1933 über die verfassungspolitischen Möglichkeiten einer Präsidialregierung, gegen eine Reichstagsmehrheit ohne Auflösung und Neuwahlen des Parlaments zu regieren.90 Für den in Bonn beschäftigten Ernst Rudolf Huber konnte Schmitt im Juli 1932 eine nicht unbeträchtliche Summe aus dem Etat des Reichswehrministeriums akquirieren, die ihm einen längeren Berlin-Aufenthalt von Ende August bis Ende September ermöglichte, bei dem es fast täglich zu längeren Gesprächen über die Notstandsplanung und den Prozeß vor dem Staatsgerichtshof kam.91 Nach dem Leipziger Urteil gelang es Schmitt, vom Ministerium für Kunst, Wissenschaft und Volksbildung eine weitere Freistellung für Huber zu erwirken, die ihn im November für einen weiteren Monat nach Berlin führte, wo er in enger Kooperation mit seinem Lehrer eine Kritik des Urteils verfaßte.92 Selbst mit Forsthoff, der in Freiburg in maximaler Entfernung von Berlin lebte, kam es zu acht Begegnungen, meist außerhalb Berlins. Nach seiner Berufung nach Köln zum Sommersemester 1933 traf Schmitt dort regelmäßig Günther Krauß und besprach mit ihm dessen Arbeiten.93 In dem Entwurf zu einem Brief an Krauß vom 29.4.1932 findet sich eine der wenigen Passagen, in denen er sich über sein Verhältnis zum Deutschen Volkstum äußert: „Über seinen Plan (über den Begriff des Politischen zu schreiben) habe ich mich sehr gefreut. Es ist nämlich einiges große [Grundsätzliche] sehr einfach und zu sagen. Dazu haben Sie das Recht (…) Vergessen Sie trotzdem nicht, dass Sie fürs Deutsche Volkstum schreiben sollen, dessen Kreis, soweit ich ihn persönlich kenne, zum größten Teil aus Männern und anständigen Leuten besteht und die als aufrichtige, durch private Bosheit nicht vergiftet , doch wohl fähig ist.“94

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um dort zusammen mit Marcks und Ott an der juristischen Absicherung der Notstandspläne zu arbeiten. Vgl. Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Brief vom 23.8.1932, Nachl. Schmitt, RW 265–6255. Als dokumentarischer Anhang abgedruckt bei Pyta, Konstitutionelle Demokratie, S. 432 ff. Vgl. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 202, 211 ff.; Huber, Carl Schmitt in der Reichskrise, S. 33–70, 40 ff.; ders. an Tula Simons, Briefe vom 29.8. und 1.9.1932, Nachl. Huber, N 1505, 1072. Vgl. Maetschke, Ernst Rudolf Huber, S. 383; Huber, Carl Schmitt in der Reichskrise, S. 46 f.; ders. an Tula Simons, Briefe vom 2.11. bis 26.11.1932 (10 Briefe), Nachl. Huber, N 1505, 1072. Als Titel der Broschüre war zunächst geplant „Der deutsche Staat und die Leipziger politische Justiz“, dann, auf den Einspruch von Tula Simons hin: „Staatsgerichtshof gegen Reichsgewalt.“ Sie erschien schließlich unter dem neutraleren Titel „Reichsgewalt und Staatsgerichtshof“ im Dezember 1932, nachdem sie zuvor von Marcks gelesen und vorbehaltlos gebilligt worden war. „Schmitt und ich“, berichtete Huber brieflich, „besprachen die Sache Wort für Wort durch, so daß die Schrift stilistisch gut durchgefeilt wird.“ (Brief vom 26.11.1932). Das zweite Februarheft 1933 des Deutschen Volkstums brachte eine Besprechung von A. E. Günther (S. 175–177). Vgl. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 283 ff. Ebd., S. 412 f.

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3. Trotz der Vielfalt von Themen, die in den Beiträgen aus dem Schmitt-Kreis angesprochen werden, fällt es nicht schwer, den Fluchtpunkt auszumachen, auf den sie ausgerichtet sind: die Krise der Weimarer Republik und die Möglichkeiten zu ihrer Überwindung. Carl Schmitt hatte für diese Krise schon seit den frühen 20er Jahren eine Reihe von Deutungsmustern bereitgestellt: die Erosion der geistigen und gesellschaftlichen Grundlagen des Parlamentarismus, die Unfähigkeit zur politischen Entscheidung, die Selbstzerstörung des ‚Gesetzgebungsstaates‘. Seine Schüler wurden nicht müde, diese Diagnosen zu wiederholen und in Kontexte zu rücken, die Schmitt selbst zunächst ausgespart oder nur schwach angedeutet hatte. So nahm Forsthoff im März 1931 den Hinweis auf Ernst Jünger im Hüter der Verfassung auf, indem er für den von ihm geforderten „völlig neue(n) Einsatz des politischen Denkens“ auf das Vorbild der Kriegsgeneration verwies, die das Politische in seiner letzten Steigerung, seiner „erhabenste(n) Manifestation“, erlebt und daraus die erforderliche Konsequenz gezogen habe: „die elementare Zone aufzusuchen (…), aus der alle echten politischen Begriffe wie Volk, Nation, Vaterland, Freund und Feind (…) ihren Sinn empfangen, um den uns die völlig substanzlos gewordene, hybride Intelligenz betrogen hat.“95 In der näheren Ausführung erhielt dieser Gedanke dann freilich eine Wendung, die quer zu den Intentionen Jüngers stand. Hatte dieser noch anderthalb Jahre zuvor erklärt, „daß alle revolutionären Kräfte innerhalb eines Staates trotz der größten Gegensätze unsichtbare Verbündete sind“ und daß die Ordnung der „gemeinsame Feind“ sei,96 so sah Forsthoff gerade in der Ordnungsschwäche des gegenwärtigen Staates das Skandalon. Die „Krisis des modernen Rechtsstaates“ lasse sich auf einen ganz einfachen Tatbestand zurückführen: „das Auftreten einer den Zielen nach revolutionären, das heißt einer völligen Umwandlung der gegenwärtigen Staatsordnung zustrebenden Partei.“ Indem der Führer dieser Partei, womit niemand anderes gemeint sein konnte als Adolf Hitler, glaubwürdig die Versicherung abgebe, die Partei werde sich zur Erreichung dieser Ziele nur streng legaler Mittel bedienen, würden die Freiheiten, die der Staat verleihe, gegen den Staat selbst gewendet, so daß man geradezu von einer „Selbstauflösung des Staates“ sprechen müsse. Forsthoffs Stellungnahme ließ keinen Zweifel daran, daß er diese Entwicklung aufhalten wollte, freilich auf Kosten der liberalen Qualitäten des Staates: „Der liberale Rechtsstaat muß sich darauf besinnen, daß er Staat, das heißt wesentlich politischer Machtverband und nicht unpolitischer Rechtsverband ist, er muß alte liberale Hoffnungen grausam enttäuschen und die Freiheiten einschränken, zum Teil ganz zurücknehmen, um nicht an ihnen zugrunde zu gehen. Der liberale Rechtsstaat stirbt an der Legalität seiner Gegner. Wir befinden uns zur Zeit in diesem Prozeß der Selbstaufhebung des liberal-freiheitlichen Rechtsstaates. Der Staat, den man gerne unwiderruflich in die unpolitisch-ethische Sphäre des Rechtes verbannt hatte, muß den ihm gemäßen Standort im Bereiche des Politischen beziehen, indem er gezwungen 95 96

Grüter, Krisis des Staatsdenkens, S. 176 f. Jünger, „Nationalismus“ und Nationalismus (1929), in: Jünger 2001, S. 506.

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wird, eine Freund-Feind-Unterscheidung vorzunehmen, durch die Carl Schmitt das Wesen des Politischen bestimmt sieht. Es gibt kaum eine eindrucksvollere Bestätigung der Schmittschen Definition des Politischen als dieser gekennzeichnete Vorgang.“97 Gegen Ende seiner Ausführungen wies Forsthoff allerdings darauf hin, daß die neueste Entwicklung dieser Bestätigung von Schmitts Definition des Politischen auch eine Widerlegung seiner Interpretation der Verfassung hinzugefügt habe. Wenn Schmitt den Reichspräsidenten als Hüter der Verfassung bezeichnet habe, so sei dies unter der Voraussetzung eines ‚homogenen Verfassungslebens‘ geschehen; von einem solchen aber könne mit Blick auf die aktuelle „Bürgerkriegslage“98 nicht mehr die Rede sein. Die Verfassung sei nicht mehr nur temporär gestört, sondern prinzipiell beschädigt, weshalb eine Lösung der Krise, so die unausgesprochene Konsequenz, auch nicht mehr in den von der Verfassung vorgesehenen Bahnen erfolgen könne. Von welcher Macht Forsthoff diese erwartete, wurde in den Schlußpassagen seines Textes immerhin angedeutet: „In dem Amt des Reichspräsidenten vereinigen sich heute alle wesentlichen staatlichen Funktionen mit Ausnahme der Justiz. Der Reichspräsident verkörpert den Staat schlechthin. Mit Recht ist der Kampf um die Präsidentenwahl, der mit dem ersten Wahlgang praktisch entschieden ist, in diesem Sinne geführt worden.“99 Den ersten Wahlgang am 13.3.1932 hatte Hindenburg mit 18,65 Millionen Stimmen gegenüber Hitler mit 11,34 Millionen gewonnen. Kurz nach dem zweiten Wahlgang machte Forsthoff klar, daß damit der einzige Kandidat gesiegt hatte, der über „auctoritas“ im Sinne Carl Schmitts verfügte. „Adolf Hitler ist, so groß auch die Wertschätzung ist, die ihm weite Kreise des Volkes entgegenbringen, die autoritäre Rede nicht gegeben. Er hat bisher nicht die Legitimation, für das gesamte Volk zu sprechen, wie sie auch kein anderer Führer einer Bewegung oder Partei heute hat.“100

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Grüter, Der Rechtsstaat in der Krise, S. 263. Holthausen, Beuthen, S. 768. Grüter, Der Rechtsstaat in der Krise, S. 265. Holthausen, Presse, Rundfunk und Staat, S. 352. Über solchen eindeutigen Voten sollte man freilich nicht übersehen, welch starken Schwankungen und Unsicherheiten Forsthoffs Urteil in diesem Punkt unterworfen war. Äußerte er noch im Februar 1931 Skepsis gegenüber Schmitts extensiver Auslegung der Befugnisse des Art. 48, so fragte er sich ein Jahr später besorgt, ob die auctoritas Hindenburgs hinreiche, um die Wahrnehmung dieser Befugnisse abzudecken. Diese auctoritas entstamme „einer anderen geistigen Welt, sie ist entlehnt und kann dem heutigen Staat nicht zugerechnet werden, obgleich sie de facto den heutigen Staat aufrecht erhält, denn ohne diese entlehnte auctoritas wäre die bisherige Notverordnungspolitik wohl nicht durchführbar gewesen. An diesem Punkte liegen für mich die Schwierigkeiten. Einmal ist die Angelegenheit außerordentlich prekär und eignet sich kaum für eine öffentliche Erörterung, zudem kompliziert sie die dogmatische Untersuchung sehr und läßt als letztes Ergebnis wohl nur die Erkenntnis zu, daß dem heutigen Staat die eigene auctoritas fehlt, sodaß er kein wirklicher Staat, sondern eine interimistische Zwischenlösung ist. Das heute auszusprechen ist sicher kein kleines Wagnis.“ Ernst Forsthoff an Carl Schmitt, Briefe vom 4.2.1931 und 23.1.1932, in: Briefwechsel Ernst Forsthoff – Carl Schmitt (2007), S. 37, 40. Diese Zweifel erklären, was Forsthoff an dem 1933 errichteten, „aus einer wirklichen Revolution hervorgegangenen Staatsregiment(es)“ faszinierte: der „erste(n)

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Im gleichen Heft des Deutschen Volkstums vertrat Karl Lohmann die Ansicht, die Verfassung sei „heute im wesentlichen in den Vollmachten des Reichspräsidenten verkörpert“. Und er wies auch bereits einen Weg, wie sich diese Vollmachten mit der Verfassung gegen die Verfassung mobilisieren ließen, nämlich unter Berufung auf den Amtseid, mit dem der Präsident geschworen habe, seine ‚Kraft dem Wohle des Deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu wahren, Schaden von ihm zu wenden‘. Dieser Teil des Eides, so Lohmann, „bleibt bindend, mag aus dem Wortlaute der Weimarer Verfassung werden, was da wolle. Denn das Amt des Reichspräsidenten ist durch die Entwicklung in seiner Kontinuität und Bedeutung zu geschichtlicher Würde und zur Verpflichtung der Verweserschaft des Reiches erhöht worden – unabhängig von Gesetzesparagraphen.“101 Es blieb freilich Ernst Rudolf Huber vorbehalten, das verfassungssprengende Potential ganz auszuloten, das in diesen Überlegungen lag. In seinem Beitrag über „Die Deutsche Nation“, der explizit an Albrecht Erich Günthers Versuch anknüpfte, die „Legitimität der Nation“ durch die „Legitimität der Reichsidee“ zu ersetzen,102 sah er es als Wesensmerkmal der geschichtlichen Entwicklung in Deutschland an, „daß das Reich und nicht etwa die Nation die maßgebende politische Einheit ist und daß die Nation nicht homogen und egalitär ist, sondern eine innere Gliederung in Stände aufweist.“103 Die Weimarer Verfassung habe sich demgegenüber zwar für die dem französischen Nationalprinzip gemäße „nationaldemokratische Ideologie“ ausgesprochen und eine Reihe von plebiszitären Formen der politischen Willensbildung installiert, doch sei damit lediglich die ‚formal-juristische‘ Oberfläche berührt. In Deutschland sei aufgrund seiner geschichtlichen Vergangenheit und der noch immer in seinem Volkskörper bestehenden Spannungen zwischen Landschaften und Konfessionen, Berufsständen und Bünden eine Identifikation von Herrschaft und Volk, von Regierenden und Regierten nicht möglich, wie sie seit der Französischen Revolution für die moderne Nationaldemokratie typisch sei. Und zwar einmal deswegen, „weil das Volk nicht fähig ist, die in ihm gegebenen Gegensätzlichkeiten zu relativieren und damit die Egalität und Homogenität französischer Art zu erzeugen, die Voraussetzung der Herrschaftsbildung von unten ist, und zum anderen, weil die Inhaber der leitenden Staatsämter, auch wenn sie mit plebiszitären Methoden berufen sind, nicht als Funktionäre und Exponenten der volonté générale handeln, sondern zur unabhängigen Staatsführung streben.“104 Entsprechend sei auch und gerade der Reichspräsident nicht schlechthin Vollstrecker des plebiszitären Volkswillens, sondern Verkörperung einer „Obrigkeit, die mit einer demokratischen Theorie nicht erklärt werden kann.“105 Gegen Hans Zehrer, der im Augustheft der Tat Schmitts Unterscheidung von auctoritas und potestas im Sinne dieser Ideologie mißdeutet habe, als seien beide Manifestationen des Volkswillens als der eigentlich schöpferischen Kraft

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Ansatz zu einem autoritären, durch keine mechanisierende Vorstellung disqualifizierten Staat“ (Forsthoff, Der totale Staat1 , S. 29). Lohmann, Nothelfer des Systems?, S. 418. Vgl. Albrecht Erich Günther: Der 18. Januar 1931. Die Frage nach der deutschen Legitimität, in: Deutsches Volkstum 33.1, 1931, S. 266–273. Ernst Rudolf Huber: Die Deutsche Nation, in: Deutsches Volkstum 34.2, 1932, S. 564–571, 568. Ebd., S. 569 f. Vgl. ebd.; Landeck, Obrigkeit und Volk, S. 683.

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und verfassunggebenden Gewalt,106 machte Huber den ursprünglichen Sinn dieser Unterscheidung in Schmitts Verfassungslehre geltend, derzufolge „auctoritas die Darstellung der Kontinuität und Permanenz der staatlichen Einheit durch das Staatshaupt“ sei.107 Der Reichspräsident und die Reichsregierung, in denen sich die auctoritas und die potestas des heutigen Staates verkörperten, seien „mehr und etwas anderes als bloße Beauftragte des Volkswillens“; „in ihnen erscheint die Idee und die Rechtfertigung des Staates, die der Staat nicht aus sich selbst, sondern aus einer höheren metaphysischen Wirklichkeit hat.“108 Glaubte Huber zunächst noch an die Möglichkeit, diese Wesensbestimmung der Obrigkeit im Rahmen und mit den Mitteln der Verfassung, etwa den Kompetenzen des Artikels 48, ausfüllen zu können, so schwand diese Überzeugung im Sommer und Herbst 1932 rasch dahin. Ende August stellte er seine juristische Expertise den Notstandsplanungen des Schleicher-Kreises zur Verfügung, die eine Auflösung des Reichstags und eine Verschiebung der Neuwahlen auf unbestimmte Zeit anvisierten.109 Im November schrieb er, in enger Abstimmung mit Carl Schmitt, seine Broschüre über das Urteil des Leipziger Staatsgerichtshofs im Prozeß ‚Preußen gegen das Reich‘, in der er zu dem Ergebnis kam, daß das Gericht dem Reich überall dort unrecht gegeben habe, wo es sich unsicher zeigte oder zögerte.110 Noch schroffer hieß es wenig später in einem unter Pseudonym erschienenen Kommentar, die Reichsregierung habe das Ziel aufgegeben, „die geschichtliche und politische Kraft Preußens in das Ganze des Reichs einzufügen und damit die politische Einheit der Deutschen zu sichern.“111 Im gleichen Heft vollzog Huber seinen endgültigen Abschied von Weimar, indem er die von Johannes Heckel, seinem kirchenrechtlichen Lehrer in Bonn, entwickelte Lehre vom „Verfassungsnotstand“ zurückwies.112 Sah diese vor, daß bei Aktionsunfähigkeit eines Reichsorgans – in der konkreten Lage von 1932: des Reichstages – die noch handlungsfähigen anderen obersten Reichsorgane die Pflicht hätten, „die ihnen anvertraute Staatsgewalt so auszuüben, daß der politische Gesamtzweck der Verfassung trotz der abnormen Lage und in Anpassung an sie erreicht wird,113 so vertrat Huber die Auffassung, daß die Krise inzwischen 106 107 108

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Vgl. Hans Zehrer: Revolution oder Restauration, in: Die Tat 24, 1932 (August), S. 353–393. Landeck, Obrigkeit und Volk, S. 683. Vgl. auch Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 206, 210 ff., 220, 239. Landeck, Obrigkeit und Volk, S. 683. Schmitt hielt diesen Angriff auf Zehrer allerdings, wie er Huber im Gespräch mitteilte, für „taktisch bedenklich (…), wegen der guten Beziehungen dieser Leute zu Schleicher“: Ernst Rudolf Huber an Tula Simons, Brief vom 29.8.1932. Nachl. Huber, N 1505, 1072. Vgl. Huber, Carl Schmitt in der Reichskrise, S. 41. Vgl. Huber, Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, S. 7. Konrad Fehling: Das Urteil des Staatsgerichtshofs, in: Deutsches Volkstum 34.2, 1932, S. 985–986, 986. Huber hatte ab 1928, nach Schmitts Weggang von Bonn, Heckels Seminare besucht und für ihn als Assistent gearbeitet. Heckel wiederum schrieb das Zweitgutachten für Hubers Habilitation (Maetschke, Ernst Rudolf Huber, S. 376, 381). Das mag die Wahl eines Pseudonyms, und insonderheit: eines neuen, erklären. Näher zu den Differenzen zwischen Huber und Heckel: Jürgens, Staat und Reich bei Ernst Rudolf Huber, S. 119 f. Johannes Heckel: Diktatur, Notverordnungsrecht, Verfassungsnotstand, S. 311. Näher zu Heckels Auffassungen Blomeyer, Notstand, S. 218, 281, 402 ff., 422. – Schmitt hat übrigens Heckels

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über dieses Stadium hinausgewachsen sei. Heckels Deutung stärke zwar den Reichspräsidenten und das ihm in Artikel 48 zugewiesene Notverordnungsrecht, rühre aber nicht an die Schranken, die ihm die Verfassung gesetzt habe, insbesondere nicht an Artikel 25 Abs. 1, der die wiederholte Auflösung des Reichstages aus dem gleichen Grund verbiete, und an Artikel 23 Abs. 1, der eine Neuwahl des Reichstages binnen 60 Tagen vorschreibe. Wenn aber, wie Huber nahelegte, wiederholte Neuwahlen immer wieder nur zu einem arbeitsunfähigen, d. h. nur zu negativen Beschlüssen fähigen Reichstag führten, liege nicht nur das Versagen eines Staatsorgans vor, sondern ein Versagen des Volkes. Eine derartige Situation sei mit der Lehre vom Verfassungsnotstand, die auf eine „Störung innerhalb der Verfassung“ gemünzt sei, nicht mehr zu erfassen, geschweige denn zu kurieren: „Auch der letzte Ausweg, nämlich die Vorlage einer neuen Verfassung durch Reichspräsident und Regierung, über die das Volk durch Abstimmung entscheiden soll, ist wenig verheißend, solange eben die Schwierigkeit darin liegt, daß sich im Volke eine Mehrheit für irgendeine politische Entscheidung nicht findet. Nur wenn sich erweisen sollte, daß diese Entscheidungsunfähigkeit des Volkes, die heute nur als akute Störung erscheint, eine dauernde Lähmung bedeutet, erhebt sich jenseits der juristischen Ueberlegungen, die die Grenzen des Handelns im Ausnahmezustand und im Verfassungsnotstand betreffen, die Frage nach der geschichtlichen Rechtfertigung eines Handelns, das den Boden der Verfassung verläßt, um das Reich zu erhalten.“114 Bei der Nähe Hubers zu Carl Schmitt liegt es nahe, jene Aufforderung zum Verfassungsbruch auch diesem zuzurechnen. Da Schmitt unmittelbar nach dem Preußenschlag mit einer juristischen Verteidigung desselben hervorgetreten war115 und anschließend die Verteidigung der Reichsregierung vor dem Leipziger Staatsgerichtshof übernommen hatte, ist es ebenfalls naheliegend, dies alles in den Kontext der restaurativen Strategie Franz von Papens zu rücken und Schmitt und seinen Kreis zu dessen juristischen Handlangern zu erklären.116 Ganz aus der Luft gegriffen ist dies auch nicht. Schon im November 1931 war Schmitt zu der Überzeugung gelangt, daß sich die innenpolitische Krise des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates in einer Weise zuspitzte, die es geboten erscheinen ließ, über die Frage des Staatsnotstandes nachzudenken, insbesondere über die Frage, ob die Regierung „im äußersten Notfall alles tun (darf), was ihr zur Behebung der Notlage nötig erscheint“, oder ob sie in ihrem Handeln strikt

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Aufsatz „mit großer Aufregung gelesen“ und als Teil einer gegen ihn gerichteten Intrige gewertet. Entsprechend heißt es am Montag, den 3.10.1932: „große Wut gegen Heckel und seine pfäffische Art“ (Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 [2010], S. 222). Heckel hatte sich gegen Schmitts Hinnahme der „Verkoppelung von Diktatur und außerordentlicher Gesetzgebung“ als verfassungsmäßiges „Provisorium“ gewendet und darüber hinaus dessen Auffassung verworfen, die Budget- und Kreditdiktatur sei durch Art. 48 Abs. 5 gedeckt: vgl. Heckel, Diktatur, S. 307 f., 320 ff. Lothar Veeck: Verfassungsnotstand, in: Deutsches Volkstum 34.2, 1932, S. 983–984, 984. Vgl. Schmitt, Ist der Reichskommissar verfassungsmäßig? In: Deutsche Allgemeine Zeitung 71, Nr. 351, 29.7.1932; Die Verfassungsgemäßheit der Bestellung eines Reichskommissars (1932). Vgl. Muth, Carl Schmitt in der Innenpolitik des Sommers 1932; Grimm, Verfassungserfüllung.

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auf die gesetzlichen Mittel, „einschließlich der verfassungsgesetzlich vorgesehenen Ausnahmebefugnisse“ beschränkt sei. Obwohl er zu diesem Zeitpunkt die Lage noch nicht als so bedrohlich einschätzte, daß sie nicht mit dem legalen Instrumentarium zu bewältigen war, hielt Schmitt mit seiner Ansicht doch nicht hinter dem Berg, „daß man sich der Anerkennung eines solchen Notrechts nicht mit unbedingten abstrakten Verneinungen entziehen kann.“117 Sieben Monate später sah er den Augenblick gekommen, entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Die für das Funktionieren des Legalitätssystems notwendige Voraussetzung einer gleich legalen Gesinnung schien ihm jetzt nicht mehr gegeben, ein „legalitäts- und verfassungsloser Zustand“ sei eingetreten, aus dem es „keinen Ausweg mehr“ gebe, jedenfalls nicht im Wege einer buchstabengetreuen Anwendung der Verfassung.118 In den folgenden Wochen feilte er in enger Zusammenarbeit mit Huber an der juristischen Rückendeckung für die Notstandspläne der Regierung Papen, die mit der „Verschiebung der Neuwahl des Reichstags über die verfassungsgemäße Frist von zwei Monaten hinaus auf unbestimmte Zeit“ auf einen Verfassungsbruch hinausliefen.119 Und schließlich übernahm Schmitt Ende September von Papen den Auftrag, eine neue Verfassung zu entwerfen, die eine „eindeutige und unwiderrufliche Gewichtsverlagerung zugunsten der Präsidialgewalt“ ermöglichen sollte.120 Was bei dieser Deutung allerdings zu kurz kommt, ist die erhebliche Distanz, in der Schmitt zu den konkreteren verfassungspolitischen Zielen Papens und seines Kreises stand, die in letzter Instanz auf eine Restauration der Hohenzollernmonarchie hinaus117 118

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Schmitt, Verfassungsnotstand und Staatsnotstand (1931), S. 11 f. Schmitt, Legalität und gleiche Chance politischer Machtgewinnung, in: Deutsches Volkstum 34.2, 1932, S. 557–564, 562. Die dort entfaltete Lehre vom ‚politischen Mehrwert‘, von der ‚über-legalen Prämie auf den legalen Besitz der legalen Macht‘, wird von den Anhängern Schmitts gern als prophetische Warnung vor der ‚legalen Revolution‘ der NSDAP gedeutet. Tatsächlich ist diese Lehre von der geschichtlichen Entwicklung so interpretiert worden. Ob Schmitt dies allerdings so gemeint hat, darf man bezweifeln. Das Beispiel, das er selbst anführt, läßt erkennen, daß seine Sorge nicht so sehr dem Aufstieg der NSDAP galt, als vielmehr einer möglichen Zusammenarbeit von SPD und Zentrum, wie sie sich im April 1932 im Preußischen Landtag manifestiert hatte, als beide Parteien eine Änderung der Geschäftsordnung vereinbarten, mittels deren „eine früher vorhandene Mehrheit auch ohne gegenwärtige Mehrheit im Besitz der staatlichen Machtmittel“ bleiben konnte, „sofern nur die Gegenpartei nicht ihrerseits eine klare gegenteilige Mehrheit gewonnen hat“ (ebd., S. 563). Mit der Verfassungswidrigkeit dauerhafter Geschäftsregierungen begründete auch Huber noch vor dem eigentlichen ‚Preußenschlag‘ die Rechtmäßigkeit einer Intervention des Reiches: vgl. Die Stellung der Geschäftsregierung in den deutschen Ländern. Huber, Carl Schmitt in der Reichskrise, S. 41; Pyta und Seiberth, Staatskrise, S. 598 ff.; Pyta, Hindenburg, S. 730 f. Vgl. auch die Aufzeichnungen über die „Rücksprache Ott mit Staatsrechtslehrern (Karl Schmitt, Jacobi-Leipzig, Bilfinger-Halle) am 13.9.1932.“ Auf die Frage Otts, ob eine Verschiebung der Neuwahlen staatsrechtlich zu decken sei, lautete die Antwort: „Wenn Verschiebung der Neuwahl gestützt wird auf Verfassungseid (Schaden vom Volke abzuwenden) und begründet wird mit der schweren gegenwärtigen Notlage des deutschen Volkes, das unbedingt Ruhe braucht, so entsteht echtes Staatsnotrecht. Die drei Staatsrechtslehrer haben durchblicken lassen, daß man sich zur Deckung dieser Handlung fest auf sie verlassen kann.“ Zit. n. Nowak, Kurt von Schleicher, S. 1364. Vgl. auch Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 215. Später hat sich Schmitt daran nicht mehr erinnern wollen: vgl. Carl Schmitt im Gespräch (2010), S. 71 f. Pyta und Seiberth, Staatskrise, S. 602. Vgl. dazu Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 219 f.

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liefen.121 Schmitt war wohl bereit, an einer Stärkung der Regierung und einer Zurückdrängung des Parlamentarismus mitzuarbeiten und dabei unter Umständen auch einen punktuellen Bruch mit der Verfassung zu riskieren. Die Betonung muß dabei jedoch auf „Umständen“ und „punktuell“ liegen, denn schon während des Leipziger Prozesses setzte Schmitt große Anstrengungen daran, „die ursprünglich verfassungswidrigen Ziele Papens und Gayls zurückzunehmen und verfassungskonform umzudeuten.“122 Als dann am 2. November der an ihn ergangene Auftrag für einen Verfassungsentwurf storniert wurde, sah sich Schmitt frei, seine schon früh geäußerte Skepsis gegenüber weitreichenden Reichs- und Verfassungsreformvorhaben deutlicher herauszustellen. Bereits am 4. November vertrat er in einem Vortrag vor Chemieindustriellen die Ansicht, man könne die Krise „faktisch ohne irgendeine Verfassungsänderung“ lösen.123 Drei Wochen später wiederholte er diese Auffassung vor dem Langnam-Verein und spitzte sie zu der Forderung zu, weitergehende Verfassungsreformpläne vorerst zurückzustellen.124 Auch der Rückgriff auf die Notstandsplanungen von August/September, die eine Verschiebung der Reichstagswahlen, das Verbot der verfassungsfeindlichen Parteien und die Ausschaltung ihrer Führungsorgane vorgesehen hatten, erschien ihm nun als „hoffnungsloses Unternehmen“.125 Als Ausweg empfahl er nunmehr seinen Kontaktpersonen im Reichswehrministerium eine Lösung, wie er sie bereits in seiner Verfassungslehre von 1928 angedeutet hatte: die Ignorierung von Parlamentsbeschlüssen, die auf rein negativen Mehrheiten beruhten.126 Auf der gleichen Linie lag die oben erwähnte, zweifellos von Schmitt inspirierte Denkschrift Horst Michaels vom 20. Januar 1933 für das Reichswehrministerium, die diese Strategie als den „milderen Weg“ empfahl, der ein „Minimum an Verfassungsverletzung“ darstelle.127 Insofern traf der vom Führer des Zentrums, Prälat Kaas, in einem offenen Brief an Schleicher erhobene Vorwurf, den Verfassungsbruch mittels „Hinausdatierung der Wahl“ vorzubereiten, Schmitt zu diesem Zeitpunkt tatsächlich zu Unrecht.128

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Vgl. Pyta, Verfassungsumbau, S. 190. Seiberth, Legalität oder Legitimität? S. 146. Vgl. auch: Anwalt des Reiches. Schmitt, Konstruktive Verfassungsprobleme (1932), in: Schmitt 1995, S. 62 f. Vgl. Seiberth, Legalität oder Legitimität, in: Schmitt 1973, S. 149. Vgl. Huber, Carl Schmitt in der Reichskrise, S. 46, 42. Vgl. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 345; Pyta, Konstitutionelle Demokratie, S. 424 ff. In der Sache lief dies auf eine Umdeutung von Art. 54 WRV im Sinne eines konstruktiven Mißtrauensvotums hinaus – eine Lösung, die zwar verfassungsrechtlich zweifelhaft war, aber auch von anderen Staatsrechtslehrern für gangbar gehalten wurde. Vgl. Berthold, Das konstruktive Mißtrauensvotum. Vgl. Horst Michael: Wie bewahrt man eine arbeitsfähige Präsidialregierung vor der Obstruktion eines arbeitsunwilligen Reichstages mit dem Ziel, ‚die Verfassung zu wahren‘ bzw. zu retten“, in: Pyta, Konstitutionelle Demokratie, S. 433 ff. Vgl. Kaas warnt vor Illegalität. Ein Schreiben an Schleicher und Hindenburg, in: Germania vom 29.1.1933. Hier zit. n. Lönne, Carl Schmitt und der Katholizismus der Weimarer Republik, S. 27. In der gleichen Nummer sprach sich auch Schmitts ehemaliger Schüler Waldemar Gurian gegen diese Tendenz aus: vgl. ebd. Eine Abschrift von Schmitts Antwort, die per Durchschlag auch an den Reichskanzler ging, findet sich im Nachl. Huber, N 1505, 198. Schmitt hatte guten Grund zur Empörung, hatte doch ausgerechnet Kaas zwei Monate zuvor zu den Parteiführern gehört, die vor Hindenburg für eine parlamentarische Lösung unter Einbeziehung der Nationalsozialisten, ggf.

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Gegenüber Schmitts Strategie eines „intrakonstitutionellen Verfassungsumbaus“ (Wolfram Pyta) hat Huber an der in den Notstandsplanungen des Sommers 1932 entworfenen Konfrontationspolitik festgehalten, die auf eine Sprengung der Verfassung angelegt war. Das geschah jedoch nicht, um damit dem „Neuen Staat“ Papens auf die Sprünge zu helfen.129 Es trifft zwar zu, daß Huber noch im August gewisse Sympathien für Papens wirtschafts- und sozialpolitische Ideen hatte und wenigstens einem Element von Papens Revisionsprogramm aufgeschlossener gegenüberstand als Carl Schmitt: der Einrichtung einer dritten Kammer neben Reichstag und Reichsrat. Diese war indes nicht dafür gedacht, neoaristokratische Ambitionen zu befriedigen, wie sie für den Herrenklub und den Ring-Kreis typisch waren. Vielmehr meinte Huber, „in dem gegenwärtigen pluralistischen Chaos Ansätze zur mannigfachen Neugliederung der Gesellschaft“ auszumachen, die der „Entfaltung eines dem Staate zugeordneten, aber doch von ihm geschiedenen gesellschaftlichen Aufbaus“ dienen könnten.130 Zu diesen Elementen rechnete Huber neben den Kartellen namentlich die Berufsverbände, die Gewerkschaften, die seit dem Weltkrieg wachsende öffentliche Anerkennung gefunden hätten.131 Wie in seinem Ring-Aufsatz aus dem Jahr davor war dies auch jetzt noch in einem etatistischen, nicht syndikalistischen oder korporativistischen Sinne gemeint, da an einen Aufbau von unten nach oben nicht gedacht war, vielmehr noch immer die Maxime galt, jede „Aufsplitterung der staatlichen Gewalt aufzuheben und die Gewerkschaften als verantwortliche Träger weitgehender Befugnisse in den Staat einzuordnen.“132 Dennoch stand Huber nicht an, die Gewerkschaften als „geschichtlich gewordene, lebensmächtige Gruppen“ hervorzuheben, von denen jeder Versuch ausgehen müsse, „die Gestalt des Arbeitnehmers in die soziale Ordnung aufbauend einzugliedern“.133 Dabei ist nicht so wichtig, ob die von Huber entwickelten Vorschläge, wie z. B. die Überantwortung des öffentlichen Berufsschulwesens, der Arbeitslosenversicherung und des freiwilligen Arbeitsdienstes an die zu Körperschaften des öffentlichen Rechts zu erhebenden Gewerkschaften, für diese nicht eher eine Bürde als eine Statuserhöhung waren.134 Wichtiger ist, daß schon die bloße Anerkennung der Gewerkschaften und der hieran anknüpfende Gedanke, ihnen ein Präsentationsrecht für das künftige Ober-

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sogar unter der Kanzlerschaft Hitlers, votiert hatten: vgl. Nowak, Kurt von Schleicher, S. 1087 f., 1102 f. So aber Walkenhaus, Konservatives Staatsdenken, S. 98, 156; Jürgens, Staat und Reich bei Ernst Rudolf Huber, S. 122. Friedrich Landeck: Staat und Gesellschaft. Zu Hans Freyers „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft“, in: Deutsches Volkstum 34.1, 1932, S. 299–305, 305. Das Wirtschafts- und Sozialprogramm Papens beurteilte er als einen „guten Anfang“, auf dem man weiterbauen könne, auch wenn vieles davon dem Arbeiter nicht verständlich zu machen sei: Ernst Rudolf Huber an Tula Simons, Brief vom 29.8.1932, Nachl. Huber, N 1505, 1072. Ernst Rudolf Huber: Selbstverwaltung der Wirtschaft, in: Deutsches Volkstum 34.2, 1932, S. 883– 889, 887 f. Friedrich Schreyer: Gewerkschaften, Betriebsräte und Faschismus, in: Der Ring 4, 1931, H. 31, S. 561–563, 562. Ernst Rudolf Huber: Die Berufsverbände und der Staat, in: Deutsches Volkstum 34.2, 1932, S. 953–958, 953. Vgl. ebd., S. 955.

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haus einzuräumen,135 in diametralem Gegensatz zum Ring-Kreis stand, der lieber ein Bündnis mit den Liberalen schließen wollte, um die „Vorherrschaft der Gewerkschaften“ zu brechen.136 Vereinbar aber war dies mit der Linie von Papens Nachfolger Kurt von Schleicher, der schon im Oktober 1932 bei den Gewerkschaften um Unterstützung geworben hatte und unmittelbar nach seinem Regierungsantritt die sozialpolitischen Eingriffe Papens aufhob,137 und erst recht mit derjenigen des Deutschen Volkstums, das schließlich von einer Gewerkschaft getragen wurde,138 deren Vorsitzender Max Habermann noch Ende 1932 alle Anstrengungen unternahm, „unter Einbeziehung Brünings ein Regierungsbündnis zwischen Reichswehr, Gewerkschaften und dem Strasser-Flügel der NSDAP zustande zu bringen“, wenn nicht unter der Kanzlerschaft Schleichers, so gegebenenfalls unter derjenigen Gregor Straßers.139 Nimmt man hinzu, daß Huber in der Novemberwahl NSDAP wählte und sich entschieden gegen eine weitere Kanzlerschaft Papens aussprach, weil bei dessen vollständiger politischer Isolation „ein Ausnahmezustand mit Papen eine völlige Unmöglichkeit“ sei, überdies die Hoffnungen auf eine Verständigung mit Hitler gering seien, dann wird deutlich, von welcher Kombination er sich die Lösung der Reichskrise erhoffte. „Wenn die Kombination Nazi-ReichswehrHindenburg zustande käme, so wäre das nach meiner Ansicht eine große Sache. Alles andere muß eine Halbheit sein, und ich bin fest davon überzeugt, daß niemand besser die Gefahren eines Ausnahmezustands kennt als Schleicher. Aber wenn jeder erste Versuch, mit den Nazis zu regieren, scheitert, wird der Ausnahmezustand unvermeidbar sein. Denn in drei Monaten noch einmal wählen zu lassen, ist ein Unding!“140 Mochte 135 136 137 138

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Vgl. ebd., S. 958. So Heinrich von Gleichen 1930 im Ring. Vgl. Petzinna, Erziehung zum Lebensstil, S. 245 f. Vgl. Nowak, Kurt von Schleicher, S. 1107, 1223; Strenge, Kurt von Schleicher, S. 173 ff. Zur Ablehnung, die Papen aus dem DHV entgegenschlug, vgl. Hamel: Völkischer Verband, S. 254 f., 258 f. Auch im Deutschen Volkstum war die Kritik an den Verfassungsreformplänen Papens wie an seinem Wirtschaftsprogramm nicht geringer: vgl. Keßler, Wilhelm Stapel als politischer Publizist, S. 142 ff. Die Haltung zu Schleicher fiel zwar positiver aus, überrascht aber durch eine gewisse Kargheit der Stellungnahmen: vgl. ebd., S. 145 ff. Das mag darauf zurückzuführen sein, daß in der Verbandsspitze des DHV Schleicher als eher unternehmerfreundlich galt. Dafür spricht die Solidaritätserklärung, die Max Habermann im Mai 1932 für den DHV-Funktionär Albert Krebs abgab, als dieser wegen eines von ihm gedeckten Anti-Schleicher-Artikels aus der NSDAP ausgeschlossen wurde. Vgl. Nachl. Krebs, N 1041, 13. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 36. Ernst Rudolf Huber an Tula Simons, Briefe vom 16. und 20.11.1932, Nachl. Huber, N 1505, 1072. Schon im August 1932 hatte Huber an den „Kundgebungen des Ministers von Schleicher“ gewürdigt, „daß die Regierung die Notwendigkeit eines Zusammenklanges mit dem Volke erkannt hat“ (Landeck, Obrigkeit und Volk, S. 684). In die gleiche Richtung weist eine mit „V.“, also wohl „Veeck“ (d. i. Huber) gezeichnete Glosse, die das Wirtschaftsprogramm Papens als industriefreundlich kritisiert und dagegen eine Rede Schleichers herausstreicht, in der dieser erklärt habe, die Reichswehr sei keine Schutzmacht, um ‚überlebte Wirtschaftsformen oder unhaltbare Besitzverhältnisse‘ zu decken. „Dieses Wort ist gern gehört worden“ (Deutsches Volkstum 34.2, 1932, S. 732). Ein halbes Jahrhundert später hat Huber im Rückblick bekannt, auf die Querfrontpolitik Schleichers gesetzt zu haben, und zwar nicht bloß theoretisch, sondern auch praktisch-politisch, habe er sich doch von Erich Marcks dazu autorisieren lassen, Gespräche mit Adolf Reichwein und anderen Angehörigen der jugendbewegten Linken zu führen: vgl. Huber, Carl Schmitt in der Reichskrise, S. 47, 55. Nicht durch weitere Quellen belegbar, aber immerhin mitteilenswert

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in dieser Formulierung auch die Frage der Kanzlerschaft offenbleiben, so war dies doch unverkennbar eine Strategie, die näher am Deutschen Volkstum, und hier insbesondere der Position A. E. Günthers, stand als an Carl Schmitt, der es in der Novemberwahl vorzog, nicht zu wählen und kurz darauf den Ruf nach Köln annahm – wie Huber seiner Briefpartnerin berichtete: „teils aus Drang zur Universität, teils aus Flucht vor der Politik.“141 4. Das Deutsche Volkstum hatte sich für eine Beteiligung der Nationalsozialisten an der politischen Macht eingesetzt, nicht für eine Übertragung derselben auf Adolf Hitler. Nachdem diese aber einmal vollzogen war, zögerte es nicht mit der Akklamation. A. E. Günther, der noch kurz zuvor nach einer Durchsuchung der Redaktionsräume von der Gestapo verhaftet, danach aber wieder freigelassen worden war142 , eröffnete das erste Aprilheft mit der Feststellung „Der neue Staat ist da“ und wertete die festlichen Kundgebungen seit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler als „Akklamation des Volkes“, in der sich die „aktive Präsenz“ und der „Konsens“ des Volkes gezeigt habe.143 Seiner Rolle als Multiplikator des Schmittschen Gedankenguts blieb er auch in der neuen Konstellation treu, wie eine Reihe weiterer Beiträge zeigt.144 Sein Mitherausgeber Wilhelm Stapel verteidigte zur selben Zeit alle Maßnahmen zum Ausbau der Diktatur, ob es sich um die Abschaffung der Pressefreiheit handelte, die Auflösung der Parteien und Gewerkschaften oder die Gleichschaltung.145 Auch der Kreis um Carl Schmitt hielt mit

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ist die von Vorwerk im Rahmen von Hubers Entnazifizierungsverfahren abgegebene eidesstattliche Erklärung vom 4.6.1947, wonach im März 1933 Leipart und Leuschner vom ADGB Huber mit einem Gutachten über die Möglichkeiten des rechtlichen Fortbestehens der Gewerkschaften beauftragt hätten. Huber habe darin die Zusammenfassung der Gewerkschaften zu einer Einheitsgewerkschaft in der Rechtsform der öffentlichen Körperschaft empfohlen, die vom Staat in allen Rechten, insbesondere demjenigen zum Abschluß von Tarifverträgen, zu bestätigen sei. Vgl. Nachl. Huber, N 1505, 770. Vgl. auch Ernst Rudolf Huber an Karl Larenz, Brief vom 29.12.1955, ebd., 190. Ernst Rudolf Huber an Tula Simons, Briefe vom 5. und 20.11.1932, Nachl. Huber, N 1505, 1072. Grund für die Verhaftung war, wie Das Schwarze Korps 1935 offenlegte, ein in die Hände der Gestapo gelangter Brief Friedrich Vorwerks an A. E. Günther, in dem Göring als Reichstagsbrandstifter bezeichnet wurde: vgl. Koenen, Der Fall Carl Schmitt, S. 674 f. Albrecht Erich Günther: Der neue Staat, in: Deutsches Volkstum 35.1, 1933, S. 269–272, 269 f. Vgl. Albrecht Erich Günther: Staat, Bewegung, Volk. Zur neuen Schrift Carl Schmitts, in: Deutsches Volkstum 35.2, 1933, S. 940–945; Gesetzesstaat und Führerstaat, in: Deutsches Volkstum 36.1, 1934, S. 441–446; Eine Disputation über den Rechtsstaat, in: Deutsches Volkstum 37.2, 1935, S. 915–918; Der Leviathan, in: Deutsches Volkstum 40.2, 1938, S. 562–563. Im Sommer 1933 bot Günther der Universität Hamburg an, eine Vortragsreihe über die Staatslehre Carl Schmitts zu halten, fand dafür aber nicht die notwendige Zustimmung. Vgl. Wilhelm Stapel an Carl Schmitt, Brief vom 28.7.1933, in: Lokatis, Wilhelm Stapel und Carl Schmitt (1996), S. 54. Vgl. Wilhelm Stapel: Zwiesprache, in: Deutsches Volkstum 35.1, 1933, S. 751–752; Keßler, Wilhelm Stapel als politischer Publizist, S. 182.

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seiner Zustimmung nicht zurück, wie an zahlreichen Veröffentlichungen, aber auch am Beitritt zur NSDAP und/oder ihren Nebenorganisationen abzulesen ist.146 Gleichwohl war die Zeit vorbei, in der dieser Kreis die politische Linie des Deutschen Volkstums beeinflussen konnte oder wollte. Schmitt meldete sich nach dem Ermächtigungsgesetz nur noch einmal und nur mit einem Nachdruck zu Wort,147 Lohmann fehlte seitdem ganz und selbst Forsthoff, der zeitweise als wissenschaftlicher Berater von Stapel fungierte, ließ sich nur mehr für drei Beiträge gewinnen.148 Etwas häufiger vertreten war Huber, der weiterhin für seine berufsständischen Ideen und seine Vorstellung vom „deutschen Sozialismus“ warb, jedoch im Vergleich zu 1932 in deutlich reduziertem Umfang und nicht über das Jahr 1934 hinaus.149 Auch Günther Krauß stellte nach 1934 seine Beiträge ein.150 Lediglich Wilhelm Grewe, dem Kreis um Stapel und Günther am engsten verbunden, hielt dem Blatt noch bis 1936 die Treue.151 Die Gründe dafür liegen zum einen auf persönlicher Ebene. Schmitt kehrte zum Wintersemester 1933/34 nach Berlin zurück, nun endlich auf einen Lehrstuhl an der prestigeträchtigen Friedrich-Wilhelms-Universität. Er wurde Preußischer Staatsrat, Herausgeber der Deutschen Juristenzeitung, Mitglied der Akademie für Deutsches Recht und Leiter der Gruppe der Universitätslehrer im NS-Juristenbund: Ämter, die für politische Publizistik keine Zeit mehr ließen.152 Grewe, 1933 noch Student, wurde bald darauf Assistent, Lohmann später juristischer Berater und zeitweilig Schriftleiter der Zeitschrift der Aka146

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Schmitt, Huber, Lohmann, Werner Weber und Grewe traten kurz nach dem Ermächtigungsgesetz in die NSDAP ein (vgl. Mehring, Carl Schmitt, S. 309, 350; Breuer und Schmidt, Die Kommenden, S. 335). Forsthoff wurde im Winter 1933 SA-Anwärter, trat aber nach der Röhm-Aktion wieder aus. Parteimitglied wurde er erst 1937 (Meinel, Der Jurist in der industriellen Gesellschaft, S. 71). Carl Schmitt: Die Logik der geistigen Unterwerfung, in: Deutsches Volkstum 36.1, 1934, S. 177– 182 (zuerst in: Deutsches Recht 4, 1934, Nr. 10). Vgl. Friedrich Grüter: Gegen ein evangelisches Konkordat, in: Deutsches Volkstum 35.2, 1933, S. 788–790; Ernst Forsthoff: Über Gerechtigkeit, in: Deutsches Volkstum 36.2, 1934, S. 969–974; Richter und Rechtsprechung, in: Deutsches Volkstum 37.1, 1935, S. 20–26; Meinel, Der Jurist in der industriellen Gesellschaft, S. 72. Vgl. Ernst Rudolf Huber: Das Gesetz über die Berufsverbände, in: Deutsches Volkstum 35.1, 1933, S. 333–339; Die Kartelle und der Staat, in: Deutsches Volkstum 35.2, 1933, S. 546–553; Treuhänder und Kommissar, in: Deutsches Volkstum 35.2, 1933, S. 740–742; Die Staatswirtschaft, in: Deutsches Volkstum 35.2, 1933, S. 806–813; Die Berufsstände im Schrifttum, in: Deutsches Volkstum 36.12, 1934, S. 80–82; Das Landvolk, in: Deutsches Volkstum 36.2, 1934, S. 607–610; Deutscher Sozialismus, in: Deutsches Volkstum 36.2, 1934, S. 925–929. 1933 und 1934 erschienen von ihm noch nach dem oben zitierten Aufsatz über „Das jüdische Frankreich“: Shakespeares Kaufmann von Venedig – eine Tragödie des Juden Shylock? in: Deutsches Volkstum 35.2, 1933, S. 962–964; Die katholische Kirche und das Volk der Deutschen, in: Deutsches Volkstum 35.2, 1933, S. 1036–1047; Der dreigliedrige Aufbau der katholischen Kirche, in: Deutsches Volkstum 36.1, 1934, S. 446–455 (alle unter dem Pseudonym Clemens Lang). Vgl. Wilhelm Grewe: Generalklauseln und neues Recht, in: Deutsches Volkstum 36.1, 1934, S. 146–151; Die Auflösung des Versailler Systems, in: Deutsches Volkstum 36.2, 1934, S. 910–912; Militär-Industrie, in: Deutsches Volkstum 37.1, 1935, S. 403–404; Shylock oder die Parodie der Rechtssicherheit, in: Deutsches Volkstum 38.1, 1936, S. 77–79; Hitlers Friedenspolitik und das Völkerrecht, in: Deutsches Volkstum 38.1, 1936, S. 227–228. Vgl. Rüthers, Carl Schmitt im Dritten Reich; Blasius, Carl Schmitt. Preußischer Staatsrat in Hitlers Reich.

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demie für Deutsches Recht.153 Forsthoff erhielt einen Lehrstuhl in Frankfurt, Huber einen in Kiel. In den beiden zuletzt genannten Fällen kam es überdies schon bald zu erheblichen Verwerfungen im Verhältnis zu Carl Schmitt, bei Forsthoff bereits 1934, bei Huber spätestens ab Anfang 1936, als dieser mehrere Einladungen Schmitts zu offiziellen Veranstaltungen ausschlug und damit sichtbar die Gefolgschaft verweigerte.154 Zum andern gab es Gründe, die in der Beschaffenheit des Regimes lagen. Dieses hatte keinen Bedarf an öffentlichen Erörterungen politischer Tagesfragen, wohl aber an Beiträgen, die zur ideologischen Gleichschaltung des Wissenschaftsbetriebs dienen konnten. Diese Marktlücke früh erkannt zu haben, wurde zur Überlebens- wie zur Erfolgsbedingung für die Hanseatische Verlagsanstalt, die sich schon im Herbst 1933 finanziell selbständig machte und damit dem Schicksal des DHV entging, der 1935 von der Deutschen Arbeitsfront geschluckt wurde.155 Im August 1933 entwarf Carl Schmitt zusammen mit A. E. Günther bei einer Wanderung im Sauerland das Konzept einer rechtswissenschaftlichen Schriftenreihe, die unter dem Titel „Der deutsche Staat der Gegenwart“ eine 153

154

155

Zur Karriere von Huber im „Dritten Reich“ vgl. Walkenhaus, Konservatives Staatsdenken, S. 171 ff.; zu Forsthoff: Meinel, Der Jurist in der industriellen Gesellschaft, S. 70 ff. Zu Grewe vgl. weiter unten; zu Lohmann: Mehring, Carl Schmitt, S. 350 f. Im Impressum der Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht (Herausgeber: Hans Frank) wird er vom 4. Jahrgang (1937) an als juristischer Berater geführt; 1942/43 als Hauptschriftleiter i. V. Aus der Zeit davor ist eine Broschüre über Hitlers Staatsauffassung erwähnenswert, die dem Vorwort zufolge sich „in weitem Umfang auf das wissenschaftliche Werk von Herrn Staatsrat Professor Dr. Carl Schmitt“ stützte. Die Einleitung schrieb „einer der polemischsten antisemitischen Publizisten des Dritten Reiches, der offen die Vernichtung der Juden propagierte“: Johann von Leers (Weiß, Biographisches Lexikon, S. 294). Ein Jahr später schob Lohmann eine Kleine Staatsbürgerkunde nach, die als Heft 8 der „Wege zur Kassenpraxis“ erschien. In den letzten Kriegsjahren konnte er sich noch bei Bilfinger in Heidelberg habilitieren, kam 1943 zur Wehrmacht und geriet 1945 in Italien in englische Kriegsgefangenschaft. Vgl. Carl Bilfinger an Carl Schmitt, Brief vom 4.6.1943, Nachl. Schmitt, RW 265–1383; Karl Lohmann an Ernst Rudolf Huber, Briefe vom 11.12.1945 und 9.3.1948, Nachl. Huber, N 1505, 190. In der Bundesrepublik arbeitete er zunächst als Korrespondent verschiedener Zeitungen und wurde schließlich persönlicher Referent des Bundestagspräsidenten. Vgl. Karl Lohmann an Carl Schmitt, Briefe vom 20.6.1949 und 20.8.1967, Nachl. Schmitt, RW 265–8906 und 8909. Im Fall Forsthoffs scheinen negative Urteile Schmitts über dessen wissenschaftliche Leistungen die Entfremdung verursacht zu haben, wie aus Briefen Hubers hervorgeht: vgl. Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt, Brief vom 4.9.1934; Ernst Rudolf Huber an „Karl“ (scil. Lohmann), Brief vom 6.9.1934, Nachl. Huber, N 1505, 198. Das Verhältnis blieb während der gesamten Dauer des „Dritten Reiches“ gestört und stellte sich erst nach Kriegsende wieder her. Zu den Mißstimmungen im Verhältnis Huber-Schmitt vgl. die Briefe von Ernst Rudolf Huber an Carl Schmitt vom 24.1., 21.8. und 14.10.1936. Die Korrespondenz ruhte danach bis zum Frühjahr 1938. Im Entwurf eines Briefes an Schmitt vom 11.7.1938 schreibt Huber: „Durch eine Kette von Mißverständnissen und unkontrollierbaren Zwischenträgereien ist in den letzten Jahren das klare und eindeutige Verhältnis, das zwischen Ihnen und mir bestand, gestört worden.“ Trotz Hubers Bemühungen kam es auch nicht wieder in Gang. 1946, anläßlich einer Unterredung mit Schmitts Nürnberger Ankläger Robert Kempner, gestand sich Huber „die vielfache Trübung und schließliche Erkaltung dieses Verhältnisses“ ein: Ernst Rudolf Huber, Nürnberger Reise. Typoskript, April 1946. Nachl. Huber, N 1505, 788. Vgl. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 5, 40.

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Rechtserneuerung im nationalsozialistischen Sinne einleiten sollte.156 Dazu wurde mit Georg Fickel eigens ein juristischer Lektor aus dem Schülerkreis Carl Schmitts eingestellt.157 Bis 1936 erschienen in dieser Reihe zwanzig Broschüren, davon allein sechs aus dem Kreis Carl Schmitts.158 Auch außerhalb dieser Reihe brachte die HAVA in der Folgezeit so viele Texte Schmitts und seiner Schüler, daß sie mit Fug als „Hausverlag“ Schmitts gelten kann.159 1933 erschien dort die dritte Fassung des Begriffs des Politischen; 1934 Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens; 1938 Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes und 1940 die Aufsatzsammlung Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles 1923–1939. Allein die bis 1934 erschienenen vier Broschüren Schmitts verkauften sich bis 1935 mehr als 20.000 Mal.160 Noch enger band sich Ernst Rudolf Huber an den Verlag. Von ihm erschienen dort bis Kriegsende 4 Broschüren,161 zwei Bücher162 sowie die Reihe „Idee und Ordnung des Reiches“.163 Günther Krauß und Wilhelm Grewe konnten dort ihre Doktorarbeiten unterbringen,164 und auch Ernst Forsthoff fehlte nicht. 1933 beauftragte ihn die HAVA mit der bereits erwähnten Broschüre über den „totalen Staat“, die er innerhalb weniger Wochen herunterschrieb.165 1935 folgte noch eine Gesetzessammlung zum Öffentlichen Recht, doch zog sich Forsthoff danach von der HAVA zurück, weil er über die Aufnahme von Günther Krauß’ Buch über Rudolph Sohm in das Verlagsprogramm verärgert war.166 156 157 158

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Vgl. ebd., S. 48. Vgl. ebd., S. 52. Vgl. Carl Schmitt: Staat, Bewegung, Volk 1933 (H. 1); Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches 1934 (H. 6); Ernst Rudolf Huber: Die Gestalt des deutschen Sozialismus, 1934 (H. 2); Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, 1935 (H. 16); Günther Krauß und Otto von Schweinichen: Disputation über den Rechtsstaat. Mit einer Einl. und einem Nachw. von Carl Schmitt, 1935 (H. 17); Werner Weber und Franz Wieacker: Eigentum und Enteignung, 1935 (H. 19). Geplant war ein weiteres Heft aus der Feder von Karl Lohmann zum Thema Gemeindeverfassung (Koenen, Der Fall Carl Schmitt, S. 457). Einige Ergebnisse hat Lohmann dann an anderer Stelle publiziert, in der inzwischen unter die Kontrolle von Huber geratenen ehrwürdigen Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft (Grundsätze des neuen Gemeindeverfassungsrechts, 95, 1935, S. 483–507). Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 9. Vgl. ebd., S. 54. Ernst Rudolf Huber: Vom Sinn der Verfassung (1935); Friedrich Christoph Dahlmann und die deutsche Verfassungsbewegung (1937); Der Kampf um die Führung im Weltkrieg (1941); Bau und Gefüge des Reiches (1941). Ernst Rudolf Huber: Verfassung (1937); 1939 in 2., stark erw. Aufl. als: Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches; Heer und Staat in der deutschen Geschichte, (1938); 2. erw. Aufl. 1943. 8 Bde., 1941 ff., hrsg. von Ernst Rudolf Huber. Vgl. Krauß, Der Rechtsbegriff des Rechts; Grewe, Gnade und Recht. Vgl. Faye, Totalitäre Sprachen, Bd. 1, S. 340 f.; Meinel, Der Jurist in der industriellen Gesellschaft, S. 71 f. Vgl. Meinel, Der Jurist in der industriellen Gesellschaft, S. 72. Jahre später urteilte Forsthoff über Krauß’ Schrift, sie sei „eine unverschämte, gescheit-verlogene Anpöbelung des ehrwürdigen Sohm durch einen Kölner Jesuitenzögling, die der Staatsrat (scil.: Schmitt) in momentaner Abwesenheit jeglichen Instinkts als eine wissenschaftliche Grosstat preisen zu sollen meinte.“ Ernst Forsthoff an Wilhelm Stapel, Brief vom 2.7.1943, zit. n. ebd.

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Der Rückzug aus dem Medium der politischen Zeitschrift, die das Deutsche Volkstum bei aller kulturellen Orientierung auch war, war also nicht gleichbedeutend mit einem Rückzug aus der Politik, ganz im Gegenteil. Forsthoff verschickte seinen Totalen Staat ausdrücklich mit dem Hinweis, daß er diese Schrift nicht als wissenschaftliche Leistung verstanden wissen wollte,167 was positiv ausgedrückt doch wohl besagte: als politische Leistung. Zwar waren es jetzt nicht mehr Tagesfragen, die zur Debatte standen, sondern eher Prinzipienfragen, doch war auch deren Behandlung: Politik, selbst wenn das Tempo der Interventionen nun ein anderes war als vor 1933. Das wurde von den Kommandohöhen des Regimes auch durchaus so gesehen, wie die Beobachtung der Hamburger Verlagspolitik durch die Partei zeigt. Sehr genau registrierte man hier beispielsweise, daß Forsthoff in seiner Broschüre über den Totalen Staat dem personalistischen Charakter der Bewegung eine Grenze zog, indem ein „rein persönlich legitimierter Führungsanspruch“ zu einem nicht hinreichenden Fundament für eine autoritäre Regierung erklärt wurde.168 Entsprechend heftig war die parteiamtliche Reaktion, die von überwundenem Etatismus sprach (Alfred Rosenberg) und den Ausdruck „totaler Staat“ für das neue Regime zurückwies, weil in ihm nicht mehr der Staat, sondern die Weltanschauung total sei (Roland Freisler).169 Der Druck war so stark, daß die HAVA die Schrift schon im Januar 1934 aus dem Buchhandel zurückziehen mußte.170 Forsthoff schrieb daraufhin in enger Abstimmung mit A. E. Günther eine zweite Fassung, die in manchen Punkten der Kritik entgegenkam,171 jedoch hinsichtlich der Unterordnung des Führers unter das ‚transpersonale‘ Gesetz keine Konzessionen machte.172 167 168 169 170 171

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Vgl. ebd., S. 74. Vgl. Forsthoff, Der totale Staat1 , S. 31. Vgl. dazu mit den entsprechenden Belegen: Meinel, Der Jurist in der industriellen Gesellschaft, S. 89; Koenen, Der Fall Carl Schmitt, S. 517 ff. Vgl. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 47. Das Vorwort zur 2. Aufl. gedenkt „freundschaftlicher Gespräche mit Albrecht Erich Günther (…), die nicht ohne Einfluß auf diese Schrift waren“ (Forsthoff, Der totale Staat2 , S. 7). Den Kritikern gestand Forsthoff zu, daß die Formel vom totalen Staat polemisch sei und deshalb die ganze Fülle des gegenwärtigen Staatstums nicht in sich aufnehmen könne (Forsthoff, Der totale Staat², S. 10). Die Verbindlichkeit der nationalsozialistischen Weltanschauung für den Staat wurde anerkannt, die Behauptung der Notwendigkeit einer aristokratischen Führerschicht getilgt und die Gesetzgebung des Jahres 1933 gerechtfertigt (ebd., S. 44). Das Querfrontkonzept, auf das Forsthoffs Freund Huber wie auch sein Assistent Grewe Hoffnungen gesetzt hatten, wurde jetzt als bloßes Symptom des Ordnungsverfalls abgetan. Es habe einer Zeit zugehört, in der „ein wider Willen zum Reichskanzler gewordener Reichswehroffizier durch geheime Konspirationen mit Gewerkschaftsführern eine politische Linie zu gewinnen hoffte“ (ebd., S. 32). Das wurde laut Vorwort am 31.7.1934, wenn nicht geschrieben, so doch für den Druck autorisiert, vier Wochen nach der Ermordung Schleichers und Gregor Straßers. Diese Generation hatte sich wahrlich Nietzsches Satz verschrieben: Was fällt, das soll man auch noch stoßen. Vgl. ebd., S. 35. Forsthoff sprach sich nun zwar für die „Einheit von Staat und Partei“ aus, wollte diese aber so verstanden wissen, daß die Eigengesetzlichkeit der bürokratischen Verwaltung davon unberührt blieb (ebd., S. 39 f.). Daß er dabei nicht sah, welche Büchse der Pandora er mit der Anerkennung des Primats der nationalsozialistischen Weltanschauung und des Vorbehalts der systemtreuen Gesinnung öffnete (ebd., S. 36, 46), könnte man mit der typischen Blindheit des normativ denkenden Juristen erklären, wäre da nicht das Gegenbeispiel Ernst Fraenkels, der zur gleichen Zeit mit einer Sammlung von Fallbeispielen für seine These begann, daß das „Dritte

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Wie dieses Beispiel zeigt, befand sich der Schmitt-Kreis mit der Verlagerung seiner Aktivitäten von der Tagespolitik auf die Ebene der Grundsatzfragen keineswegs auf der sicheren Seite. Das mußte auch Carl Schmitt bald spüren. Vom Tempo geblendet, mit dem die Nationalsozialisten ihre Diktatur errichteten, übersah er, daß die Ausschaltung der intermediären Institutionen und Assoziationen keineswegs mit einer Ausschaltung des Pluralismus schlechthin identisch war;173 und so unterließ er es denn, seine so rasch gewonnene Position im Machtgefüge des „Dritten Reiches“ durch die Gewinnung von Bündnispartnern in der Partei und vor allem deren wuchernden Nebenorganisationen abzusichern. Das blieb solange ohne Risiko, wie das Regime seinerseits glaubte, auf Bündnispartner aus den alten Eliten Rücksicht nehmen zu müssen, schlug aber von dem Moment an gegen Schmitt aus, als sich der Machtkampf von der offenen Bühne hinter die Kulissen verlagerte. Schon Ende 1934 gab es erste Anzeichen in dieser Richtung, als sich die HAVA zunehmend irritiert von der geringen offiziösen Anerkennung von Schmitts Schriftenreihe zeigte und ihre Ambition, führender wissenschaftlicher Verlag des neuen Staates zu werden, auf andere Hoffnungsträger verlagerte, an erster Stelle Karl August Eckhardt, einen erklärten Gegner Schmitts, der im Unterschied zu diesem über eine doppelte Verankerung verfügte: als Referent im Wissenschaftsministerium Bernhard Rusts und als Mitglied des inner circle des SD.174 Während die HAVA durch Eckhardt Zugriff auf die Betreuung der Studienreform der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften erhielt und Eckhardt im Gegenzug eine eigene Schriftenreihe bekam, begann der Stern Schmitts allmählich zu verblassen. Im Oktober 1934 forderte die Parteiorganisation der Juristen seine gesamte Reihe zur Prüfung an, einzelne Broschüren wurden beanstandet und ihre Verfasser aufgefordert, deutlicher zum Ausdruck zu bringen, daß es sich bei ihrer Arbeit nur um eine Privatmeinung handelte. Mit Heft 20 wurde die Reihe

173

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Reich“ ein „Doppelstaat“ sei: eine Figuration, in der Normen- und Maßnahmenstaat keineswegs säuberlich auseinanderzuhalten waren, wie Forsthoff dies erwartet haben mag, vielmehr einander dergestalt durchdrangen, daß der Maßnahmenstaat sich der Mittel des Normenstaates bediente und dieser sich durch jenen konterkarieren, restringieren und degradieren ließ. Vgl. dazu die prägnanten Ausführungen zur Fraenkels Klassiker bei Dreier, Was ist doppelt in Ernst Fraenkels „Doppelstaat“? Immerhin: ab Mitte der 30er Jahre begann auch Forsthoff allmählich zu dämmern, wohin die Reise ging, sehr im Unterschied zu seinem Lehrer, der dafür zehn Jahre länger benötigte: vgl. Meinel, Der Jurist in der industriellen Gesellschaft, S. 226 ff. Genauer wird man wohl sagen müssen: Schmitt übersah es nicht, er wollte es nicht sehen. Im September 1933 machte ihn Stapel explizit darauf aufmerksam, daß die just von Forsthoff in einem Beitrag zum Deutschen Volkstum aufgestellte Behauptung, „der Staat Hitlers habe alle Pluralismen überwunden“, unzutreffend sei. Vielmehr könne man das „Entstehen eines neuen Pluralismus“ beobachten: „den Pluralismus der Führer und der persönlichen Gefolgschaften.“ Wilhelm Stapel an Carl Schmitt, Brief vom 12.9.1933, in: Lokatis, Wilhelm Stapel und Carl Schmitt (1996), S. 55 f. Stapel bezog sich dabei auf Forsthoffs unter dem Pseudonym Friedrich Grüter erschienenen Aufsatz: Gegen ein evangelisches Konkordat, in: Deutsches Volkstum 35.2, 1933, S. 788–790. Vgl. Koenen, Der Fall Carl Schmitt, S. 644 ff., 660 ff. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete Eckhardt übrigens eine „Burgakademie“, die zunächst auf Burg Ludwigstein angesiedelt war, später in die Obhut des Nerother Wandervogels auf Burg Waldeck gegeben wurde – eben jenes Jugendbundes, zu dessen Führungskreis nach dem Ersten Weltkrieg Ernst Rudolf Huber gehört hatte. Vgl. Nachl. Huber, N 1505, 733.

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schließlich Anfang 1936 eingestellt.175 Gegen Ende des Jahres wurde ihr Herausgeber Objekt einer massiven Kampagne des Schwarzen Korps, des Organs der SS, in deren Folge er aller seiner Ämter enthoben wurde.176 Zum Verhängnis wurde Schmitt nicht allein sein mangelnder Sinn für die polykratische Struktur des „Dritten Reiches“. Hinzu kam, daß er in der religionspolitischen Auseinandersetzung, die sich 1935/36 intensivierte, leicht der falschen Seite zugerechnet werden konnte. Dabei fiel seine frühere, wie immer auch lockere Zugehörigkeit zum katholischen Milieu negativ ins Gewicht, die von seinen Gegnern zu dem Vorwurf zugespitzt wurde, er sei Sympathisant der „Katholischen Aktion“, die eine Unterwanderung des Regimes plane.177 Aber auch seine Beziehung zum Deutschen Volkstum dürfte hierbei nicht ohne Bedeutung gewesen sein. Im April 1935 hatte Stapel dort heftig gegen die „neuheidnischen Kämpfe gegen das Christentum“ protestiert, wie sie von der SS, aber auch von der HJ und den Kreisen um Rosenberg vom Zaun gebrochen wurden.178 Anderthalb Jahre später legte er noch einmal nach, indem er die neopaganen Unternehmungen der jüngsten Vergangenheit als „parasitär“ verwarf. Hinter ihnen stünden keine Volksbewegungen, sondern Professoren und Literaten, deren Ideen lediglich im Kreis der Halbgebildeten eine gewisse Resonanz gefunden hätten, hier aber auch „die Plattheit, die unfreiwillige Komik und das Verworrene“ erhalten hätten, „an dem sie über kurz oder lang dahinsiechen.“179 Die Antwort ließ nicht auf sich warten. Das Schwarze Korps nahm nicht nur Stapel ins Visier, sondern gleich das ganze Deutsche Volkstum, dessen Herausgeber als getarnte Konservative und Feinde des nationalsozialistischen Staates angegriffen wurden.180 Als 1937 auch noch die Nationalsozialistischen Monatshefte Stapels Haltung in der „Judenfrage“ ins Zwielicht rückten,181 war das Deutsche Volkstum angezählt und mußte im folgenden Jahr sein Erscheinen einstellen. Stapel, den schon im Dezember 1933 nagende Zweifel an seiner Entscheidung für den Nationalsozialismus beschlichen hatten,182 wandte sich nach den Pogromen von 1938 und vollends dann während des Krieges vom Regime ab. A. E. Günther meinte 1935 gegenüber seinem 175 176 177 178 179

180 181 182

Vgl. Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 58 ff. Der Vorgang ist in der Literatur häufig dargestellt worden. Vgl. zuletzt nur Koenen, Der Fall Carl Schmitt, S. 726 ff.; Mehring, Carl Schmitt, S. 378 ff. Vgl. Koenen, Der Fall Carl Schmitt, S. 716. Vgl. Wilhelm Stapel: „Neuheidentum“. Ein Brief und eine Antwort, in: Deutsches Volkstum 37.1, 1935, S. 265–295. Wilhelm Stapel: Das Christentum, politisch gesehen, in: Deutsches Volkstum 38.2, 1936, S. 890– 901. Näher zu diesem Konflikt: Keßler, Wilhelm Stapel als politischer Publizist, S. 207 ff.; Keinhorst, Wilhelm Stapel, S. 147 ff., 235 ff.; Koenen, Der Fall Carl Schmitt, S. 761 ff. Vgl. Koenen, Der Fall Carl Schmitt, S. 674 ff. Vgl. Matthes Ziegler: Wilhelm Stapel und die Judenfrage, in: Nationalsozialistische Monatshefte 8, 1937, S. 410–417. Vgl. Wilhelm Stapel an E. G. Kolbenheyer, Brief vom 12.12.1933: „Und nun noch eine sehr schwere Sache: Ich beginne ein schlechtes Gewissen zu haben. Ich fühle mich, obwohl nicht PG, für die nationalsozialistische Revolution mit verantwortlich. Nun höre ich zuverlässig…, daß gefangene Kommunisten in Untersuchungshaft grausam gemartert worden seien. Auch aus den Konzentrationslagern hört man von solchen Vorkommnissen. Leute sind schauerlich in den Tod gedrängt worden… Wie soll ich für den neuen Staat kämpfen, wenn ich solche Dinge zudecken muß? Darüber komme ich nicht weg… – In zehn Jahren wird allen die falsche Glorie von heute

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Bruder, er könne sich nicht länger verhehlen, daß er vieles von dem, was ihn heute bedrücke und für die Zukunft besorgt mache, mit heraufgeführt habe. Nach Auskunft von Friedrich Wilhelm Heinz stellte er sich 1938 und 1942 dem militärischen Widerstand für ein Attentat auf Hitler zur Verfügung, dem jedoch der damalige Generalstabschef Ludwig Beck die Zustimmung versagt habe. Am 29. Dezember 1942 starb er an den Folgen einer doppelseitigen Lungenentzündung.183 Carl Schmitt dagegen blieb, wenn nicht in privaten Äußerungen, so doch in seinen Veröffentlichungen der 1933 getroffenen Entscheidung für das Regime treu bis zu dessen Untergang.

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eine Scheißbude sein. Die falsche Glorie ist nichts als das Zeichen des Todes.“ Zit. n. Lokatis, Wilhelm Stapel und Carl Schmitt (1996), S. 36. Vgl. Gerhard Günther an Carl Schmitt, Briefe vom 13.1. und 26.2.1975, Nachl. Schmitt, RW 265–5426 und 5427; Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt, S. 61; Meinl, Nationalsozialisten gegen Hitler, S. 285 ff.

IX Carl Schmitt und die Generation des Unbedingten

Im Register der großen Dokumentation zur Jugendbewegung der Weimarer Republik sucht man den Namen Carl Schmitt vergebens.1 Soweit es Schmitt selbst angeht, nicht ohne Grund. Seine Biographen berichten nichts von einer Mitgliedschaft des Schülers und Studenten in einer der zahlreichen Gruppen des Wandervogels oder der Freideutschen Jugend, die seit der Jahrhundertwende so viel von sich reden machten – wie überhaupt der junge Schmitt um Vereine, Bünde, Burschenschaften und dergleichen einen weiten Bogen gemacht zu haben scheint.2 Das Thema ist damit jedoch nicht erledigt. Denn in den 20er Jahren kam Carl Schmitt als akademischer Lehrer mit Angehörigen der Bündischen Jugend in Berührung, ja man kann sagen, daß er aufgrund seines unkonventionellen Habitus und der Radikalität seiner Kritik an der bürgerlichen Welt eine nachgerade magnetische Anziehungskraft auf eine Jugendgeneration entfaltete, die im Schatten des großen Krieges aufgewachsen und für ein Denken präpariert war, das nur Freund oder Feind, Sieg oder Niederlage, Sein oder Nichtsein kannte. Es war diese „Generation des Unbedingten“ (Michael Wildt), aus der Carl Schmitt wichtige Schüler und nicht zuletzt auch Foren zuwuchsen, auf denen seine Ideen diskutiert wurden. Aus der katholischen Jugendbewegung kamen Waldemar Gurian und Werner Becker, die in jungkatholischen Organen wie den Schildgenossen oder dem Friedenskämpfer für Schmitts Ideen warben;3 aus einem deutsch-jüdischen, nichtzionistischen Wanderbund Otto Kirchheimer;4 aus der nichtkonfessionellen Bündischen Jugend Ernst Rudolf Huber (Nerother Wandervogel), Ernst Forsthoff (Jungnationaler 1 2 3

4

Vgl. Kindt, Dokumentation. Seine Angabe, Schmitt sei Mitglied des katholischen Quickborn-Bundes gewesen, hat Karl-Egon Lönne leider nicht belegt (Carl Schmitt und der Katholizismus der Weimarer Republik, S. 14). Vgl. Dahlheimer, Carl Schmitt und der deutsche Katholizismus, S. 511 ff., 526 ff. Zur Rezeption Schmitts in der katholischen Jugendbewegung vgl. ebd., S. 444 ff. Zu Becker, der zeitweise als Sekretär des Quickborn-Führers Romano Guardini tätig war, vgl. Tommissen, Einleitung zu Becker, Briefe an Carl Schmitt, S. 11 f. Vgl. Herz, Otto Kirchheimer, S. 11.

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Bund) und Wilhelm Grewe (Jungsturm).5 Grewe wirkte zusammen mit dem Herausgeber der Adligen Jugend und späteren Schmitt-Assistenten Bernhard von Mutius als Multiplikator in der neben dem Zwiespruch wichtigsten überbündischen Zeitschrift, den Kommenden. Zumal bei den im engeren Sinn Bündischen war damit eine lebenslange Prägung verbunden, die sie immer wieder mit ihresgleichen zusammenführte, sogar noch nach dem Zweiten Weltkrieg im Freideutschen Kreis, an dessen Treffen neben Forsthoff und Huber auch Lohmann teilnahm.6 Aus dem weiteren Umfeld derjenigen, die zwar nicht zu Schmitts Schülerkreis gehörten, aber durch mannigfache Verflechtungen mit ihm verbunden waren, wären noch zu nennen: Rüdiger Robert Beer, der eng mit Morsbach und Vorwerk zusammenarbeitete; Rudolf Craemer, der das Treffen in Lobeda vorbereitete, oder die Tat-Redakteure Giselher Wirsing und Ernst Wilhelm Eschmann.7 Einen Teil dieser Generation des Unbedingten führte der Lebensweg auf die Kommandohöhen des „Dritten Reiches“, wie Michael Wildt dies für die Angehörigen des Reichssicherheitshauptamtes nachgewiesen hat. Sehr zu Recht betont Wildt jedoch zugleich die Kontingenz dieser Lebenswege und beharrt darauf, daß der von ihm beschriebene Habitus, der für Reflexion und Abwägung, Verhandlung und Kompromiß wenig übrig hatte und statt dessen auf sofortige Entscheidung, Tatbereitschaft und rücksichtslosen Einsatz der ganzen Person setzte, auch mit anderen politischen Optionen kompatibel war.8 Das wird nicht zuletzt durch die sehr unterschiedlichen Schicksale derjenigen bestätigt, die in den Bannkreis von Carl Schmitt gerieten. Das Spektrum umfaßt hier neben Personen wie Ernst Rudolf Huber oder Giselher Wirsing, die im Regime Karriere machten, auch solche, die die innere Emigration vorzogen (Werner Becker) oder Widerstand leisteten, sei es von Anfang an aus der Emigration (Waldemar Gurian, Otto Kirchheimer), 5

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Zu Forsthoff vgl. Faye, Totalitäre Sprachen, Bd. 1, S. 351. Der Nachlaß von Huber enthält zahlreiche Briefe aus seiner bündischen Zeit wie auch aus den Jahren nach 1945, in denen Huber die damals geknüpften Kontakte wieder aufgenommen hat: vgl. Nachl. Huber, N 1505, 724, 733. Vgl. Friedrich Vorwerk an Franz Liedig, Brief vom 12.1.1948, Nachl. Huber, N 1505, 854; Ernst Rudolf Huber an Anneliese Schütte, Brief o.J. (ca. 1985), ebd.; Ernst Rudolf Huber an Rüdiger Robert Beer, Briefe von 1948–1959, Nachl. Huber, N 1505, 246. Beer, Craemer und Wirsing stammten aus dem Jungnationalen Bund, in dessen Zeitschrift, den Jungnationalen Stimmen, die Schriften Schmitts und seiner Schüler aufmerksam verfolgt wurden: vgl. etwa Heinz-Dietrich Wendland: Demokratie und Diktatur als deutsche Gegenwartsfrage, in: Jungnationale Stimmen 6, 1931, H. 8 (August), S. 229–234, 231; ferner die Besprechung von Legalität und Legitimität sowie von Reichsgewalt und Staatsgerichtshof (Huber) ebd. 8, 1933, H. 1/2 (Januar), S. 13 f.; H. 5/6, S. 46 f. Beer (1903–1985) war zeitweise Redakteur beim Zwiespruch und später bei den Volkskonservativen Stimmen: vgl. Kindt, Dokumentation, S. 1091, 1145, 1151; Jonas, Die Volkskonservativen, S. 137. 1931 legte er eine Arbeit über Heinrich Brüning vor, die mehrere Auflagen erlebt hat. Im Februar 1932 trat er an Carl Schmitt mit der Bitte um Unterstützung für den rechten Flügel der ‚Hindenburg-Front‘ heran: Nachl. Schmitt, RW 265–1183. In seinem Kondolenzschreiben vom 10.7.1985 erinnert Ernst Rudolf Huber an die erste Begegnung 1932 im Kreis um Vorwerk: Nachl. Huber, N 1505, 814. Zu Craemer (1903–1941) und Wirsing vgl. die Kurzbiographien in Kindt, Dokumentation, S. 1758 f., 1805. Zu Eschmann, einem Neupfadfinder und Mitglied der Deutschen Freischar, vgl. Plöger, Soziologie in totalitären Zeiten, S. 100 ff. Zu den Begegnungen mit Schmitt vgl. Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934 (2010), S. 218; 147, 265; Koenen, Der Fall Carl Schmitt, S. 165. Vgl. Wildt, Generation des Unbedingten, S. 25, 130.

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sei es nach einer Phase der Anpassung in Deutschland (Wilhelm Grewe, Bernhard von Mutius). Das soll im folgenden anhand einiger Beispiele genauer beleuchtet werden. 1. Gleich Schmitts „Bonner Schüler der ersten Stunde“,9 Waldemar Gurian (1902–1954), stammte nicht bloß aus der Bündischen Jugend, sondern hatte diese auch zum Gegenstand seiner ersten wissenschaftlichen Leistung gemacht. Geboren im russischen St. Petersburg als Sohn eines jüdischen Kaufmanns, war Gurian 1911 mit seiner Mutter nach Deutschland übergesiedelt und mit ihr zur katholischen Kirche übergetreten. Seit 1916 in Düsseldorf lebend, wurde er noch als Schüler Mitglied des Quickborn, des 1909 gegründeten katholischen Jugendbundes, der zehn Jahre später den Übergang ‚vom Kampfverein gegen den Alkoholismus zum katholischen Wandervogel‘ vollzog.10 Auch als Student konnte er diese Zugehörigkeit fortsetzen, da sich der Quickborn 1921 mit der katholischen Studentenverbindung Hochland zusammenschloß.11 Wie prägend diese Sozialisation in der katholischen Jugendbewegung war, zeigt die Publikationsliste Gurians, die für die 20er Jahre zahlreiche Beiträge zu den Zeitschriften dieses Milieus aufweist, etwa zu den vom Quickborn getragenen Schildgenossen oder zum Heiligen Feuer, daneben aber auch zu katholischen Kulturzeitschriften wie Hochland, Der Gral oder Abendland sowie Tageszeitungen wie Germania oder die Kölnische Volkszeitung, für die Gurian 1923/24 als Nachtredakteur gearbeitet hat.12 In seiner intellektuellen Entwicklung maßgeblich geformt durch katholische Publizisten wie Romano Guardini und Joseph Wittig, schloß Gurian 1923 sein Studium mit einer Dissertation bei Max Scheler ab, einem weiteren führenden Repräsentanten des Renouveau catholique.13 Ihr Thema war „Die deutsche Jugendbewegung“; ihr Ziel, ganz im Sinne des Doktorvaters, eine Beschreibung des Phänomens und ein „Anschaulichmachen ihres eigentümlichen Sinngehaltes“.14 Auf der Folie des von Ferdinand Tönnies entwickelten Duals von Gemeinschaft und Gesellschaft, das auch Scheler übernommen hatte, deutete Gurian die Jugendbewegung als eine „Lebensgemeinschaft in einer vorwiegend gesellschaftlich bestimmten Epoche“15 und leitete daraus ihre Stärke wie ihr Dilemma ab. Die Stärke machte er in der Ausrichtung der Jugendbewegung auf ‚vitale Werte‘ aus, die ihr die Kraft zum Protest gegen eine ‚unvital gewordene Welt‘ verleihe, zum „Sichwehren des gesunden Lebens gegen den Umsturz der Werte, gegen die

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Mehring, Carl Schmitt, S. 180. Vgl. Kindt, Dokumentation, S. 684. Vgl. auch Binkowski, Jugend als Wegbereiter. Vgl. Kindt, Dokumentation, S. 1404. Vgl. die Bibliographie in Hürten, Waldemar Gurian, S. IX ff. Zur Biographie jetzt auch neben Hürten: Ellen Thümmler: Katholischer Publizist und amerikanischer Politikwissenschaftler. Eine intellektuelle Biografie Waldemar Gurians, Baden-Baden 2011 (Die Arbeit erschien nach Abschluß des Manuskripts und konnte deshalb hier nur noch in Form eines Hinweises berücksichtigt werden). Vgl. ebd., S. 4 ff. Gurian, Die deutsche Jugendbewegung, S. 5 f. Ebd., S. 27.

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Perversionen, zu denen die Zivilisation gelangt war“.16 Ihr Dilemma ergab sich aus der Diskrepanz zwischen eben dieser Vitalität und einer Ideologie, die ihr nicht entsprach, vielmehr einem gesellschaftlichen Umfeld entnommen sei, welches von Tradition gewordenen Selbstverständlichkeiten beherrscht werde.17 Die Nötigung, sich gleichsam in einer fremden Sprache ausdrücken zu müssen, habe eine Verfälschung des vitalen Kerns der Jugendbewegung zur Folge, die sich in Pseudo-Idealismus, zersetzender, unendlicher Reflexion und unechter Unmittelbarkeit manifestiere.18 Besonders ausgeprägt erschien Gurian dieses Dilemma bei jenem Teil der Jugendbewegung, den er als „absichtsfreie bürgerliche Jugendgemeinschaft“ bezeichnete, womit im wesentlichen der Wandervogel und die freideutsche Jugend gemeint waren.19 Aus der sozialen Zugehörigkeit schloß Gurian auf eine Zugehörigkeit zum Liberalismus als der schichtspezifischen Ideologie und verband dies mit der These, „daß auch eine Sezession der Jugend aus ihrer Umwelt sie nicht von der Verbundenheit mit der Tradition ihrer Väter befreit.“20 Nachdem er so die bürgerliche Jugendbewegung in die Kontinuität des Liberalismus gerückt hatte, goss er den ganzen Haß über sie aus, mit dem der katholische Integralismus seit der Enzyklika Mirari vos von 1832 und vollends seit dem Syllabus von 1864 den weltlichen wie den theologischen Modernismus verfolgte. Gerade die ‚Absichtsfreiheit‘ dieser Bewegung erschien ihm als Verhängnis, als ein Ausweichen vor wirklichen Entscheidungen, damit aber auch als stete Bereitschaft zu Kompromissen und Konzessionen, die zu nichts anderem führen konnten als zum Verrat an den vitalen Werten. Eine bürgerliche Jugendbewegung war, so gesehen, eine Contradictio in adiecto: „Echte Jugend und Liberalismus können ihrem ganzen Wesen nach nichts miteinander zu tun haben, denn die Jugend liebt das Unbedingte, haßt Kompromisse, sagt: Entweder – Oder und verachtet ein Sowohl als Auch, das der Unfähigkeit, sich zu entscheiden, entspringt.“21 Daß Gurian andere Gruppen der Jugendbewegung, namentlich die proletarische Jugend und die konfessionellen Bünde, nicht im gleichen Maße dieser Gefahr ausgesetzt sah, sei nur angedeutet und nicht weiter vertieft. Was hier interessiert, ist die Brücke, die von Gurians Antiliberalismus und seiner Fixierung auf die Notwendigkeit der Entscheidung zu einem Autor wie Carl Schmitt führte, der seit der Politischen Theologie (1923) eben diese Aspekte in den Vordergrund rückte und dies auch noch mit einem militanten Verständnis des Katholizismus verband, demzufolge die Kirche in der säkularen Auseinandersetzung mit dem atheistischen Sozialismus und Anarchismus ihren Platz „auf der Seite von Idee und westeuropäischer Zivilisation“ einzunehmen habe.22 Eine erste Begegnung scheint bereits Anfang 1923 stattgefunden zu haben, von Schmitt mit der charakteristischen Bemerkung „ein russischer Jude aus Köln“ im Tagebuch fest-

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Ebd., S. 76, 83. Vgl. ebd., S. 28 f. Vgl. ebd., S. 55. Vgl. ebd., S. 42 f., 52 ff. Ebd., S. 65. Ebd. Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form (1925), S. 53.

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gehalten.23 Seine Vorbehalte stellte er jedoch schon bald zurück, als er erkannte, wie nützlich ihm Gurian aufgrund seiner Verbindungen zur katholischen Tagespresse sein konnte: so besprach Gurian in der Kölnischen Volkszeitung nicht nur das Buch von Kathleen Murray über Taine, an dem Schmitt maßgeblich beteiligt war, sondern auch den Römischen Katholizismus und die zweite Auflage der Politischen Romantik.24 Trotz häufiger, manchmal täglicher Begegnungen in den Jahren 1924 bis 1926 blieb das Verhältnis jedoch stets von persönlichen Vorbehalten belastet, so daß es schon Ende 1927 auseinanderbrach.25 1928 wies Schmitt seinen Verleger an, Gurian „auf keinen Fall“ ein Exemplar seiner eben erschienenen Verfassungslehre zu schicken.26 Bis 1932 wechselte man noch Briefe, dann ging das Verhältnis endgültig auseinander. Was Gurian dieser Bekanntschaft verdankte, wird klar, wenn man einen Blick auf die Liste seiner Veröffentlichungen wirft. Kreisten noch die ersten Texte um Themen, die mit seiner Herkunft aus Rußland zusammenhingen,27 so erweiterte sich das Spektrum seit Mitte der 20er Jahre durch eine intensive Rezeption des Schrifttums der französischen Gegenrevolution, von Lamennais über Léon Bloy bis zur Action Française. Den Hinweis auf Lamennais verdankte Gurian Schmitt,28 und auch die beiden anderen Rechercheobjekte mögen auf dessen Anregung zurückzuführen sein, selbst wenn es daneben noch andere Vermittler gab, wie z. B. den Bonner Romanisten Hermann Platz, den Mitherausgeber des Abendland. Bloy jedenfalls, dieser Verfechter eines radikal antibürgerlichen, nationalreligiösen Fundamentalismus gehörte schon früh zu Schmitts bevorzugten Autoren und die Action Française zu den Zeitungen, die er regelmäßig las.29 Gurian nahm diese Anstöße auf, münzte sie zunächst in der Form 23 24

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Mehring, Carl Schmitt, S. 180. Vgl. Kölnische Volkszeitung Nr. 1 vom 1.1.1925; Nr. 62 vom 25.1.1925; Nr. 343 vom 10.5.1925. Die beiden Besprechungen zu Schmitt sind jetzt leicht zugänglich im Anhang zu dem von Ellen Thümmler und Reinhard Mehring hrsg. Briefwechsel zwischen Gurian und Schmitt (2011, S. 95 ff., 103 ff.). Vgl. Hürten, Waldemar Gurian, S. 12. Welche Vorbehalte auf Seiten Gurians bestanden, geht aus einem Brief hervor, den er im September 1926 an Erik Peterson geschrieben hat. Über Schmitt heißt es dort: „Er glaubt andere Unterhaltungsobjekte für seine Langeweile nötig zu haben (die ja neben moroser Verzweiflung das einzige ist, was seine Seele füllt; ich habe vor einigen Tagen ein Memoirenbuch über Maurras gelesen; wie ähnlich ist Maurras mit Schmitt; nur ist Maurras ehrlicher; er prätendiert sich nicht nach aussen als kathol.! Er ist Heide, die Kirche Ordnungsstütze! Gleiche Angst vor Theologen als äusserer Autorität, gleiche Launenhaftigkeit, gleiche Mischung aus Akribie, Fleiss und Bohème, gleiches Verhältnis zu Menschen, gleicher Eindruck von ihm; unheimlich!)“ Zit. n. Nichtweiß, Erik Peterson, S. 729. Schmitt-Feuchtwanger, Briefwechsel (2007), S. 251. Vgl. Waldemar Gurian: Dostojewski, in: Hochland 18.2, 1921, S. 692–702; Mereschkowsky und die Revolution, in: Hochland 19.1, 1921/22, S. 234–236; Die russische Revolution als Ausdruck russischen Wesens, in: Orplid 1, 1924/25, H. 11, S. 47–52. Das hat Gurian ausdrücklich anerkannt: „Herr Professor Carl Schmitt regte die Beschäftigung mit Lamennais an, die zu Studien über die Auseinandersetzung des französischen Katholizismus mit der nachrevolutionären Ordnung geführt hat. Zahlreiche Gespräche mit dem Bonner Staatsrechtslehrer in den Jahren 1924–1926 haben stark zur Klärung der Anschauungen des Verfassers beigetragen.“ (Gurian, Die politischen und sozialen Ideen des französischen Katholizismus, S. VIII). Vgl. Mehring, Carl Schmitt, S. 143, 173; Quaritsch: Positionen und Begriffe Carl Schmitts, S. 64; Motschenbacher, Der Katechon, S. 90 ff. So berichtet auch Ernst Rudolf Huber, der Schmitt in

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von Aufsätzen aus30 und machte daraus schließlich ein Buch, welches hinsichtlich seines Informationsgehalts kein Pendant in der deutschsprachigen Forschung dieser Zeit besaß: Die politischen und sozialen Ideen des französischen Katholizismus 1789–1914. Auch wenn sich Gurian darin um eine möglichst sachliche Darstellung bemühte, scheint doch an vielen Stellen die Faszination durch, die Lamennais‘ ‚apokalyptischer Ultramontanismus‘ und ‚revolutionärer Traditionalismus‘ oder Veuillots Idee eines Bündnisses des militantem Katholizismus mit dem plebiszitär-antiparlamentarischen Regime Napoleons III. auf ihn ausübten – eine Faszination, die er durchaus mit seinem Lehrmeister teilte, der sich seit Anfang der 20er Jahre um die Reaktualisierung dieses Ideengutes bemühte.31 Auch als der Bruch bereits vollzogen war, blieben die Schriften Schmitts für Gurian eine zentrale Quelle der Inspiration. Das gilt für sein wohl bekanntestes, in mehrere Sprachen übersetztes Buch, Der Bolschewismus, das erstmals den von Schmitt geprägten Begriff des totalen Staates auf die Sowjetunion übertrug und damit die Grundlage aller späteren Totalitarismustheorien schuf,32 darüber hinaus einem weiteren, noch immer viel diskutierten Deutungsmuster den Weg wies, das um das Konzept der politischen Religion kreist.33 Es gilt mehr noch für die im gleichen Jahr erschienene kleinere Schrift über den ‚integralen Nationalismus‘ in Frankreich, die der Action Française „bedeutsame(n) Verdienste (…) um den Antiparlamentarismus als politische Bewegung“ zuschrieb.34 Ganz auf der Linie von Schmitt, der den Parlamentarismus der liberalen Bourgeoisie zugeordnet und beides in Gegensatz zur nationalen Demokratie gerückt hatte, hob Gurian hervor, daß das parlamentarische Regime nicht national sein könne. Als ein „Regime der Zerstörung und des Verbrauches“ sei es „stets auf den Augenblick gerichtet, vom Interesse der jeweils herrschenden Clans bestimmt“, ein „Zersetzungsprodukt, das die Nation parasitären Schichten ausliefert“.35 Die Action Française habe dies klar herausgearbeitet und damit deutlich gemacht, daß nur ein grundlegender Wandel der politischen Institutionen Abhilfe schaffen könne. Sie habe allerdings kein „Verhältnis zu den Wirklichkeiten der modernen kapitalistischen Welt“ gewonnen und sich allein an den

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dieser Zeit als Student erlebt hat: „Besonders häufig lenkte Schmitt das Gespräch auf innerfranzösische Themen, so etwa auf die Bestrebungen der jungen französischen Rechten und ihres Organs, der von Schmitt regelmäßig gelesenen Action Française.“ Ernst Rudolf Huber: Carl Schmitt in seiner Bonner Zeit, Typoskript, o. J., Nachl. Huber, N 1505, 289, S. 4. Vgl. u. a. Waldemar Gurian: Die Action Française und die Kirche, in: Rhein-Mainische Volkszeitung Nr. 246 vom 23.10.1926; Ein Papstbrief gegen die Action Française, in: Abendland 2, 1926/27, S. 48–49; Die Abendlandideologie als Maske des französischen Nationalismus, ebd., S. 277–279; Léon Bloy, ebd., S. 118–122; Bloy, Maurras, Maritain. Ein Nachwort, in: Orplid 3, 1926/27, S. 57–66; Die Kirche und die Action Française. Eine prinzipielle Darlegung, in: Das Heilige Feuer 14, 1926/27, S. 330–345; Lamennais, in: Die Schildgenossen 7, 1927, S. 499–517 und 8, 1928, S. 1–23. Vgl. Gurian, Die politischen und sozialen Ideen, S. 102, 105, 113; 218 ff.; 271. Das Buch bezieht sich denn auch mehrfach auf Schmitt, so auf die Politische Romantik (S. 66, 341), auf Die Diktatur (S. 217, 376) und auf die Verfassungslehre (S. 44, 255, 333, 391). Vgl. Gurian, Der Bolschewismus, S. VI f., 209, 307 f. Vgl. ebd., S. 3, 180 f. u. ö., 58, 155 ff. Vgl. Gurian, Der integrale Nationalismus in Frankreich, S. 125. Ebd., S. 123, 125.

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Interessen der herkömmlichen Bildungsschichten orientiert, was sie dazu verurteilt habe, „eine irreale, in der Politik nicht zählende Angelegenheit“ zu bleiben36 – sehr im Gegensatz zu dem weitaus flexibleren, weniger doktrinären italienischen Faschismus, dem es gelungen sei, „das realistische Moment der Sorelschen Elite-Theorie, die Bewährung in der modernen Welt der Wirtschaft, mit der politischen Doktrin der Action Française zu verbinden“, und zwar so zu verbinden, daß soziale Gruppen gewonnen wurden, die eine Überwindung der politischen Anarchie anstrebten.37 Auch wenn Gurian am Ende seinen Ausführungen mit Sätzen die Spitze nahm, die sich als Appell an die Anhänger des parlamentarischen Systems lesen lassen, „Grenzen für die Diskussion und die Gesellschaft zu setzen“ und so der antiparlamentarischen Aktion die Voraussetzung zu nehmen,38 demonstrierte der gesamte Text doch eine so starke Reverenz vor dem rechten Antiparlamentarismus, daß man kaum noch von Ambivalenz sprechen kann. In vielem liest er sich wie eine Fortführung des schon früh von Schmitt bezeugten Philofaschismus, der ungeachtet mancher Reserven gegenüber der „ideelle(n) Gefahr derartiger Irrationalitäten“ mit seiner Verehrung für Mussolini nicht hinter dem Berg zu halten pflegte.39 Wenn im Vergleich dazu Gurians Arbeiten dieser Periode dennoch eine stärkere Ambivalenz zeigen, so dürfte die Ursache dafür darin liegen, daß er wohl gewisse Hoffnungen auf ein Bündnis zwischen katholischer Bewegung und radikalem Rechtsnationalismus setzte, jedoch nicht darauf verzichten wollte, die Vorbehalte geltend zu machen, die sich aus integralistischer Sicht gegen den Bündnispartner ergaben. So übersah er nicht, daß die kirchenfreundliche Haltung der Action Française mit einer Verwischung und Vergleichgültigung des überweltlichen Anspruchs der Kirche einherging, einer Negation der praktisch unbegrenzten „Potestas indirecta“ des Papstes, wie sie für die modernen Formen des „säkularisierten Katholizismus“ charakteristisch sei.40 Auch der italienische Faschismus, der im Buch über die Action Française relativ gut wegkam, entging der Kritik nicht, wurde er doch an anderer Stelle als irrational, praktizistisch und der Immanenz verhaftet abgekanzelt, bemerkenswerterweise unter Berufung auf die Deutung von Schmitts Antipoden Hermann Heller.41 Seine Zuordnung zu dem, was Gurian als „Ordnungsnihilismus“ bezeichnete, erfolgte überdies unter Bezugnahme auf Formulierungen, die sich unschwer als Paraphrasen Schmittscher Vorlagen erkennen ließen, von deren Urheber allerdings nicht auf den Faschismus bezogen wurden.42 Die gleiche Ambivalenz prägte auch die Darstellung, die Gurian 1932 dem „neuen Nationalismus“ der Weimarer Republik zuteil werden ließ, in einem unter Pseudonym 36 37 38 39 40 41 42

Ebd., S. 126. Ebd., S. 129, 127. Vgl. hierzu auch Gurian: Der Vater des Bolschewismus und des Faschismus? Georges Sorel, in: Germania, Nr. 171, 13.4.1929. Ebd., S. 131. Vgl. Schmitt, Parlamentarismus (1979), S. 89. Vgl. Waldemar Gurian: Welt und Kirche, in: Abendland 2, 1926/27, S. 362–366, 363; Der säkularisierte Katholizismus, in: Das Heilige Feuer 15, 1927/28, S. 442–448. Vgl. Waldemar Gurian: Der Faschismus, in: Das Heilige Feuer 16, 1928/29, S. 507–518. Auch als Sonderdruck Paderborn 1929 (Flugblätter katholischer Erneuerung, Nr. 31). Vgl. Waldemar Gurian: Das geistige Gesicht unserer Zeit, in: Abendland 5, 1929/30, S. 53–56, 55 f.

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veröffentlichten Buch, das aufgrund seines Kenntnisreichtums und seiner analytischen Kraft noch heute mit Gewinn zu lesen ist.43 Gegenüber dem „alten“, liberalen Nationalismus, der es allenfalls stimmungsmäßig zu einem Nationalbewußtsein gebracht und sich im übrigen darauf beschränkt habe, „die Einigung des deutschen Volkes weltwirtschaftlich auszunützen“,44 erschien diese neue Version, die an die Ideen der kulturellen Opposition und der Jugendbewegung der Vorkriegszeit anschloß, durchaus als Fortschritt in Richtung eines vertiefteren Nationalbewußtseins, das mit dem „Verlangen nach einer neuen Gesellschaftsordnung verknüpft (sei), nach einer Neuregelung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft“.45 Der neue Nationalismus, zu dem Gurian auch den Nationalsozialismus rechnete, sollte nicht nur dem durch den Weltkrieg geschaffenen neuen Lebensgefühl mit seinem „Willen zur Unbedingtheit“ und zum „Elementaren“ entsprechen.46 Er sollte auch die Tatsache reflektieren, „daß die Losungen des 19. Jahrhunderts (…) nicht mehr der Nachkriegsepoche mit ihrem organisierten Kapitalismus und ihrer Enthüllung aller demokratischen Losungen als Maskierungen politischen Machtwillens“ gemäß waren, „daß die parlamentarische Demokratie in Deutschland unfähig ist, die Wandlungen der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung als sinnvoll und erträglich erscheinen zu lassen.“47 Diese Einschätzung, die sich in vielem auf Carl Schmitt als denjenigen Staatsrechtslehrer bezog, in dessen Werken „die politische und soziale Problematik, aus der sich der neue Nationalismus entwickelt hat“, am besten dargestellt sei,48 wurde nun freilich durch den Befund konterkariert, daß es dieser Bewegung weder auf wirtschaftlichem noch auf religiösem oder politischem Gebiet gelungen sei, die bestehenden Gegensätze zu überwinden, mit der Folge, daß sie „für die politische und soziale Krise nur symptomatisch“ sei und sie nicht wirklich zu lösen vermöchte.49 Ganz im Gegenteil sei die Aufreizung des „Gesinnungsradikalismus“ nur geeignet, das Volk in die „Rausch- und Traumwelt einer ungehemmten Lebens- und Kräfteentfaltung“ zu drängen, es zu entpolitisieren und zu ermüden, womit letztlich der Weg für den realistischeren alten Nationalismus frei werde, der die Lage nutzen werde, um den wilhelminischen Obrigkeitsstaat zu restaurieren.50 Es war diese Aussicht, die Gurian am Ende dazu bewog, seine von Schmitt übernommene Kritik des Parteienstaates und der parlamentarischen Demokratie abzuschwächen 43

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Vgl. Walter Gerhart (d. i. Waldemar Gurian): Um des Reiches Zukunft. Zu den bleibenden Verdiensten dieses Buches gehört es, die in den Quellen der Zeit geläufige Unterscheidung zwischen altem und neuem Nationalismus auf die Ebene des historisch-soziologischen Begriffs gehoben zu haben. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Forschung zögernd daran wieder angeknüpft. Vgl. Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, S. 28 ff.; Hietala, Der neue Nationalismus; Osteraas, The New Nationalists; Dupeux, Der ‚Neue Nationalismus‘ Ernst Jüngers 1925–1932; Breuer, Die radikale Rechte, S. 176 ff. Vgl. Gerhart, Um des Reiches Zukunft, S. 17, 9. Ebd., S. 54; vgl. auch S. 60. Ebd., S. 66. Ebd., S. 105, 108. Ebd., S. 209. Zu den Schmitt-Bezügen vgl. u. a. S. 34 f., 46, 90, 118 f. Ebd., S. 199. Ebd., S. 200, 203.

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und sich zu einer Fortbildung der Weimarer Verfassung zu bekennen, die etwas wolkig als „autoritäre Demokratie“ bezeichnet wurde, aber immerhin nicht im unklaren ließ, worauf sie hinauswollte: auf den „Ausgleich zwischen den Notwendigkeiten einer starken Regierung, die Entscheidungen wagt, und einer lebendigen Anteilnahme des gesamten Volkes am Staat.“ Das war, wie man heute weiß, nicht allzu weit von dem entfernt, was auch Carl Schmitt in der Endkrise der Weimarer Republik befürwortete, wurde von Gurian nun jedoch implizit in einer Wendung gegen dessen frühere und damit auch seine eigenen Optionen begründet. Auch wenn die einheitsbildende Funktion des Parlaments und der Parteien nicht überschätzt werden dürfe, müsse doch festgestellt werden: „Die Parteien gehören zu den notwendigen Kräften der politischen Einheitsbildung; das Parlament kann nicht durch eine angeblich unmittelbare, plebiszitär begründete oder auf Akklamationen beruhende unliberale Demokratie ersetzt werden. (…) Ohne Parlament und Parteien kann es kein politisches Regime in Deutschland geben, das mit dem Volkswillen verbunden ist.“51 Nachdem dies einmal ausgesprochen war, verwandelte sich Gurians rigoroser Antiliberalismus in einen ebenso rigorosen Anti-Antiliberalismus in Gestalt der Totalitarismuskritik. Zwar unterschätzte Gurian Hitler noch auf einige Zeit, so daß er selbst im April 1933 eine Mitarbeit der Katholiken am ‚Dritten Reich‘ für möglich hielt.52 Doch war er ein Jahr später eines Besseren belehrt. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft auch unmittelbar persönlich bedroht, verließ er Deutschland und eröffnete von der Schweiz aus mit seinen Deutschen Briefen einen propagandistischen Feldzug gegen das Regime, der immer wieder zu unbedingtem Widerstand und letztem Einsatz aufrief.53 Auch Carl Schmitt wurde nun zum Gegenstand einer heftigen Abrechnung, die bei aller Scharfsichtigkeit doch nicht ganz verbergen konnte, daß hier die Polemik die Selbstkritik ersetzte.54 Wie sehr er trotz allem noch immer der Schüler war, zeigt der Titel eines Symposiums, das Gurian, mittlerweile in die USA emigriert, 1952 an der University of Notre Dame organisierte: „Who is the Enemy: Soviet Communism or Russian Imperialism?“55

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Ebd., S. 207. Vgl. Hürten, Waldemar Gurian, S. 89. Ebd., S. 126. Vgl. Deutsche Briefe 1934 – 1938. Ein Blatt der katholischen Emigration, bearb. von Heinz Hürten. Repr. in zwei Bänden, Mainz 1969. Vgl. Paul Müller (d. i. Waldemar Gurian): Entscheidung und Ordnung. Zu den Schriften von Carl Schmitt, in: Schweizerische Rundschau 34, 1934, S. 566–576. Vgl. Hürten, Waldemar Gurian, S. 153.

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2. Wesentlich späteren Datums war die Schülerschaft Wilhelm Grewes. Neun Jahre jünger als Gurian, kam auch er nicht über das Studium zu Carl Schmitt, sondern über die Politik und die dadurch gestifteten Verbindungen, wobei er Schmitt wohl erstmals im Juni 1932 auf der oben erwähnten Tagung des Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes (DHV) auf Burg Lobeda begegnet sein dürfte, an der auch Ernst Forsthoff, Ernst Rudolf Huber und Karl Lohmann teilnahmen.56 Schon ein Jahr später wurde Grewe in Frankfurt Assistent des frisch berufenen Forsthoff, dem er bald darauf nach Hamburg und Königsberg folgte. 1936 promovierte er mit einer Arbeit über Gnade und Recht bei Forsthoff, bei dem er sich fünf Jahre später auch habilitierte.57 Engerer Kontakt mit Schmitt stellte sich ab 1938 her, als Grewe in Berlin wirkte: als Dozent an der Hochschule für Politik, als Völkerrechtsreferent an der dem Reichsaußenministerium zugeordneten „Deutschen Informationsstelle“ und schließlich an der Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Universität Berlin.58 Seine Abhängigkeit von Schmitt zeigt sich am deutlichsten in den zahlreichen Beiträgen zu den Monatsheften für Auswärtige Politik, der Zeitschrift des vom Reichsaußenministerium finanzierten Deutschen Instituts für Außenpolitische Forschung, in denen Grewe, angelehnt an die Großraumtheorie seines Lehrers, die NS-Außenpolitik publizistisch flankierte.59 Sein späteres Opus Magnum, die Epochen der Völkerrechtsgeschichte (1984), ging aus Arbeiten dieser Zeit hervor.60 Wie eng die Beziehung war, ist daran zu erkennen, daß Schmitt Grewe zum Sommersemester 1942 seine völkerrechtliche Übung überließ .61 Wie Gurian kam auch Grewe aus der Jugendbewegung, in diesem Fall: dem schon 1897 gegründeten, auf vormilitärische Erziehung ausgerichteten Jungsturm, der sich als ältester Jugendbund Deutschlands verstand, über eine eigene Zeitschrift gleichen Namens verfügte und mit 20–30.000 Mitgliedern zu den größten Jugendverbänden zähl56 57

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Vgl. Mehring, Carl Schmitt, S. 285; Lokatis, Wilhelm Stapel und Carl Schmitt (1996), S. 43; Koenen, Der Fall Carl Schmitt, S. 164 ff. Zur wissenschaftlichen Laufbahn knapp: Kroneck und Oppermann, S. 13 ff. Ferner die Skizze in Breuer und Schmidt, Die Kommenden, S. 335 f., die sich auf Angaben aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes stützt. Die dort geführte Personalakte Grewes ist noch bis zum Jahr 2030 gesperrt: Martin Kröger an Ina Schmidt, Brief vom 29.11.2007. Herangezogen wurde auch die Personalakte im Hamburgischen Staatsarchiv WG IV 1584 Pg 129. Vgl. Weber, Rechtswissenschaft im Dienst der NS-Propaganda, S. 277, 282; Botsch, „Politische Wissenschaft“ im Zweiten Weltkrieg, S. 264. Grewe verfaßte für diese Zeitschrift von Mai 1938 bis April 1943 die regelmäßig erscheinende „Monatsübersicht“, die ab Januar 1939 unter dem Titel „Völkerrechtliche Umschau“ lief. In diesem Rahmen erschien auch eine ausführliche Besprechung von Carl Schmitts Schrift über „Völkerrechtliche Großraumordnung: mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte“. Vgl. Wilhelm Grewe: Der Reichsbegriff im Völkerrecht, in: Monatshefte für Auswärtige Politik 6, 1939, H. 8, S. 798–802. – Zum Deutschen Institut für Außenpolitische Forschung vgl. Longerich, Propagandisten im Krieg, S. 52 f. In Grewes autobiographischem Rückblick kommt diese Phase nicht vor: vgl. Ein Leben mit Staats- und Völkerrecht. Vgl. Grewe, Epochen der modernen Völkerrechtsgeschichte (1943); Epochen der Völkerrechtsgeschichte (1984). Vgl. Wilhelm Grewe, Brief an Carl Schmitt vom 12.12.1941, Nachl. Schmitt, RW 265–51551.

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te.62 Schon als Achtzehnjähriger meldete sich Grewe im Älterenblatt dieses Bundes zu Wort.63 Als daraus 1930 ein selbständiges Organ mit dem Titel Die junge Mannschaft wurde, übernahm er wenig später die Schriftleitung. Im Herbst 1931 und während des ganzen folgenden Jahres steuerte er darüber hinaus zahlreiche Aufsätze zur überbündischen Zeitschrift Die Kommenden bei. Auf dem „Tag der Kommenden“, der Reichstagung deutscher Jugend-, Wehr- und Siedlungsbewegung im Mai 1932 im thüringischen Flarchheim, hielt er außerdem ein Grundsatzreferat zum Thema „Der nationale Sozialismus in bündischer Auffassung“,64 so daß man den gerade 21jährigen durchaus zu den führenden Ideologen der Bündischen Jugend rechnen kann. Obwohl schon die ersten Texte des Jurastudenten von einer Rezeption Carl Schmitts zeugen, insbesondere der Verfassungslehre und der Politischen Theologie,65 bewegten sich die Bezugnahmen doch in einem Rahmen, der durch andere Bildungsmächte geformt war. Ein wichtiger Stichwortgeber war Spengler mit seiner negativen Sicht der großstädtischen Zivilisation und seiner positiven Akzentuierung von ‚Preußentum und Sozialismus‘.66 Ein anderer Moeller van den Bruck mit seinen Invektiven gegen den Liberalismus („An Liberalismus gehen die Völker zugrunde“) und seiner Verkündung des kommenden „Dritten Reiches“ als Ergebnis einer Bewegung, die nicht einfach in Reaktion bzw. Restauration bestehen würde.67 Später kam noch Ernst Jünger hinzu, dessen Buch über den Arbeiter tiefen Eindruck auf Grewe machte.68 Zweifellos am wichtigsten aber war für den gebürtigen Hamburger, der in dieser Stadt auch die Schule besuchte und sein Studium begann, der Einfluß der „Hamburger Schule“ (Ernst Jünger) um Wilhelm Stapel und die Brüder Albrecht Erich und Gerhard Günther, zu dem sich Grewe gleich im ersten Heft der Jungen Mannschaft bekannte.69 Vor allem die enge Kooperation mit den Brüdern Günther, denen ein fester Platz in der Zeitschrift zugesagt wurde, 62

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69

Vgl. Ehrenthal, Die deutschen Jugendbünde, S. 63; ebenso die Selbstdarstellungen des Bundes in: Jungsturm 21, 1927, Bl. 8 und in Siemering 1931, S. 31 ff. Zur Hauptbeschäftigung dieses Bundes einschlägig der mit „Wilhelm Grewe, Jungsturm“ gezeichnete Artikel: Wehrsport, in: Die Kommenden 6, 1931, F. 40. Vgl. Wilhelm Grewe: Preußentum, in: Der junge Sturm. Aelterenblatt des Jungsturms 6, 1929, Bl. 6. In: Die Kommenden 7, 1932, F. 23–24. Eine gekürzte Fassung erschien in der von Bernhard von Mutius herausgegebenen Beilage „Adlige Jugend“ zum Deutschen Adelsblatt: vgl. Wilhelm Grewe: Der nationale Sozialismus und die deutsche Jugend, in: Deutsches Adelsblatt 50, 1932, Beil. Adlige Jugend, Nr. 10 (Oktober). Vgl. Wilhelm Grewe: Zentralismus und Staatsidee, in: Die Kommenden 6, 1931, F. 44; Der Geist des Westens und die Aufklärung, in: Die Kommenden 6, 1931, F. 48. Vgl. Grewe, Wehrsport. Vgl. Grewe, Der Geist des Westens; Nationalsozialismus – NSDAP, in: Die Kommenden 6, 1931, F. 42. Vgl. den mit *** gezeichneten, aber vermutlich von Grewe stammenden Artikel im Oktoberheft 1932: Die schwarze Fahne, in: Die junge Mannschaft 2, 1932/33, H. 3. Auch der im März 1933 erschienene, mit „X.“ gezeichnete Artikel „Von Schleicher zu Hitler“ sieht die entscheidende Frage darin, „ob Deutschland die Form finden wird, in der es sich in der totalen Arbeitswelt des zwanzigsten Jahrhunderts zu behaupten vermag“ (in: Die junge Mannschaft 2, 1932/33, H. 7). Vgl. Wilhelm Grewe: Die Aufgabe der „Jungen Mannschaft“, in: Die junge Mannschaft 1, 1931/32, H. 1 (Juli 1931).

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sicherte der Jungen Mannschaft den Anschluß an jenes für Hamburg typische Netzwerk von Einrichtungen und Medien der radikalen Rechten, das sich schon in der Vorkriegszeit herausgebildet hatte, um nach 1918 beträchtlich zu expandieren. Dazu gehörte, wie weiter oben gezeigt, der DHV, gehörten aber auch die ihm angeschlossenen oder nahestehenden Verbände und Bildungseinrichtungen wie die Fahrenden Gesellen, die FichteGesellschaft, das Volksheim, der „Nationalistenklub“ am Holstenwall, die Hanseatische Verlagsanstalt sowie die vom DHV finanzierten Organe Deutsches Volkstum, Politische Wochenschrift oder Stand und Staat. Zwar ist es irreführend, wenn Ascan Gossler aus Wilhelm Grewe ein typisches Produkt der DHV-Verbandsarbeit macht, das seine Karriere als Herausgeber von Stand und Staat begonnen habe,70 doch dürfte es sicher dem Einfluß dieses Umfelds geschuldet sein, daß sich im März 1932 die aus dem Hamburger Jungsturm erwachsene ältere Jungmannschaft auch formell als selbständiger Bund unter der Bezeichnung „Die junge Mannschaft“ konstituierte.71 Leitideen der „Hamburger Schule“ waren: die scharfe Unterscheidung von Staat und Gesellschaft oder besser gesagt Staat und Volk, da Gesellschaft als Ergebnis eines Verfallsprozesses verstanden wurde, in dessen Gefolge die natürlichen Gemeinschaften bzw. Genossenschaften zersetzt und zur „Masse“ dekomponiert worden seien; die Zuordnung des Patriotismus als eines zwar unentbehrlichen, aber untergeordneten Gefühls zum Volk und des Nationalismus zum Staat, bei gleichzeitiger Zurückweisung der westlichen Nationalstaatsidee als Produkt der Säkularisierung; die Behauptung einer damit unvereinbaren, spezifisch deutschen Nationsvorstellung, die in der Idee des „Reiches“, des „Imperium Teutonicum“ (Stapel) kulminiere und den Kern der deutschen „Sendung“ in Europa, wenn nicht der Welt markiere; ferner die Überzeugung, daß das Reich nicht auf demokratischem Wege, durch Volksabstimmungen und Massenparteien herbeigeführt werden könne, sondern allein durch die geschichtliche Tat einer Elite, die als staatenbegründender und staatstragender Männerbund vorgestellt wurde.72 All diese Topoi finden sich auch bei Grewe.73 Was er dem hinzufügte, war vor allem eine generationsspezifische Deutung, die die besondere Berufung der Nachkriegsgeneration zur Verwirklichung dieser Ideen betonte. Gewiß: ihre Formulierung verdankten sie einzelnen Mitgliedern der Vorkriegsgeneration wie Stapel (Jahrgang 1882) oder Angehörigen der „Zwischengeneration“ wie Albrecht Erich Günther (Jahrgang 1893). Daß 70

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Vgl. Gossler, Publizistik und konservative Revolution, S. 105. Dem dürfte eine Verwechslung der von Grewe als Schriftleiter geführten Zeitschrift Die junge Mannschaft mit dem von Cornelius van der Horst und anderen herausgegebenen DHV-Organ Stand und Staat zugrundeliegen, das im Untertitel „Stimmen der Jungmannschaft im DHV“ hieß. Vgl. die Mitteilung in der Rubrik „Bündische Umschau“, in: Die junge Mannschaft 1, 1931/32, H. 10 (April 1932). Eine bequeme Zusammenfassung dieser Ideen bei Gossler, Publizistik und konservative Revolution, S. 111 ff. Vgl. Grewe, Zentralismus und Staatsidee (Kritik der westlichen Nationalstaatsidee und der korrespondierenden Lehre von der Volkssouveränität); Reich und Christentum, in: Die junge Mannschaft 1, 1931/32, H. 12 (Juni 1932); Deutschlands politische Form, in: Deutsches Volkstum 34.1, Juni 1932, S. 425–431 (Reichsbegriff bzw. Reichssouveränität); Wehrsport; Die Forderung der Gegenwart an die deutsche Jugend, in: Die junge Mannschaft 1, 1931/32, H. 9 (März 1932) (Männerbund).

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sie jetzt aber eine Chance auf Umsetzung erhielten, war dem Umstand geschuldet, „daß der Krieg die Vorkriegsgeneration weder gewandelt noch von den Kommandohöhen des politischen und wirtschaftlichen Lebens abgedrängt hatte“, mit der Folge, daß sich die beiden folgenden Generationen von allen Entscheidungen ausgeschaltet fanden.74 Der Zusammenhang der Generationenfolge sei dadurch aufgehoben, die Lebensordnung zutiefst gestört worden. Denn gesund und natürlich, so Grewe, sei eine Lebensordnung nur solange, wie sie den Erfordernissen der „generativen Gerechtigkeit“ Rechnung trage, wie sie den Notwendigkeiten der biologischen Erhaltung eines Volkes entspreche und nicht dessen „plasmatische(n) Erbbestände“ zerstöre, indem sie den „biologisch hochwertigen Schichten“ die „Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs“ verwehre.75 Eben dies sei jetzt der Fall: „Alles, was heute im eigentlichen Sinne ‚junge Generation‘ ist, ist irgendwie ausgeschaltet, draußen geblieben.“76 Verschärft werde die Krise durch den Zusammenbruch des alten Staates, der die letzten der „kapitalistischen Expansion“ entgegenstehenden traditionalen Hemmungen beseitigt habe. Das „schrankenlose Gelddenken der plutokratischen Klassengesellschaft“ stoße die Jugend ab und wecke in ihr einen revolutionären, ‚nationalsozialistischen‘ Willen, in dem sich „ein glühendes Verlangen nach autoritativer Führung“ mit einer „Gefolgschaftsbereitschaft von unvergleichlicher Zähe und Hingabe“ verbinde. Beides dränge sie in Richtung der NSDAP, halte sie aber zugleich in dem Maße von ihr ab, in dem sich diese Partei auf den parlamentarisch-legalen Weg begebe. Die Aufgabe der Gegenwart sah Grewe jedenfalls nicht in einem Anschluß der Bündischen Jugend an die NSDAP, an der ihn besonders der krude Rassismus abstieß,77 sondern in einer Neustrukturierung der nationalrevolutionären Bewegung, die der Elite der Nachkriegsgeneration den ihr zukommenden Platz zuwies.78 Aktive, staatstragende Arbeit sei „niemals Sache des ganzen Volkes gewesen, sondern Sache der Jungmannschaft, der männerbündlerischen Verbände eines Volkes, die uns in verschiedenen Zeiten in verschiedenen Formen begegnen: als altgermanischer Heerbann, als Ritterorden, als preußisches Offizierkorps. Insofern die bündische Jugend Deutschlands heute einen Großteil der wehrhaften Jungmannschaft des deutschen Volkes umfaßt, insofern sie eine solche Zeitform des Männerbundes ist, kommt ihr die Aufgabe zu, einmal zur staatstragenden Schicht eines neuen Staates heranzuwachsen.“79

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79

Vgl. Grewe, Nationalsozialismus – NSDAP. Wilhelm Grewe: Leibeigene der Zivilisation, in: Die Kommenden 6, 1931, F. 51–52. Grewe, Nationalsozialismus – NSDAP. Vgl. Wilhelm Grewe: Rasse und Politik, in: Die Kommenden 7, 1932, F. 16 (April). So hieß es in einem Nachtrag zu dem in der vorigen Anmerkung zitierten Aufsatz, der im Völkischen Beobachter scharf angegriffen worden war: „Die NSDAP. hat denjenigen Teil ihrer Aufgabe, der in der Erziehung und Heranbildung eines nationalsozialistischen Jungführertums bestand, nicht erfüllen können. Der Nationalsozialismus ist Volksbewegung geblieben. Diesen Teil der Aufgabe hat er erfüllt. Aber für eine politische Bewegung ist es entscheidend, daß sie einen auf den Staat gerichteten Willen entwickelt, der nur durch eine Elite verwirklicht werden kann. Diese Elite vermissen wir in der NSDAP.“ Wilhelm Grewe: Nationalsozialismus und NSDAP. Eine Antwort an den „Völkischen Beobachter“, in: Die junge Mannschaft 1, 1931/32, H. 6 (Dezember 1931). Grewe, Der nationale Sozialismus.

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Das alles waren nun nicht unbedingt Punkte, die eine Schmitt-Rezeption begünstigten. Für den Autor des Hüters der Verfassung war nicht die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft das Signum der Gegenwart, sondern die Aufhebung dieser Unterscheidung, die Umwandlung des Staates in eine ‚Selbstorganisation der Gesellschaft‘.80 Der Nationalismus konnte wohl bei Schmitt mit Resonanz rechnen, doch fehlte bei ihm die schroffe Gegenüberstellung von französischer und deutscher Nationsidee. Frankreich war ihm darüber hinaus keineswegs nur das Land der bürgerlichen Revolution, sondern auch der Ort, wo am frühesten und intensivsten über die Möglichkeit einer Gegenrevolution nachgedacht worden war, die nicht einfach das Gegenteil der Revolution sein würde. Die protestantische Einfärbung der Reichsidee, die bei Stapel eine dezidiert antikatholische Spitze gewann, mußte ihm sauer aufstoßen, und was deren prospektiven Träger betraf, so räumte er zwar ein, daß eine Minderheit Subjekt der verfassunggebenden Gewalt sein könne, doch hielt er zugleich zum jugendbewegten Männerbündlertum unverkennbar Abstand.81 Unter solchen Voraussetzungen konnte eine Schmitt-Rezeption nur eine Mischung von Anverwandlung und Umdeutung sein. Das zeigte sich bereits in Grewes erster ausführlicher Stellungnahme, einer Besprechung der zweiten Fassung des Begriffs des Politischen, die im Dezember 1931, fast zeitgleich mit dem Buch, in der Jungen Mannschaft erschien.82 Schmitt wurde darin einerseits das Verdienst zugeschrieben, „zum ersten Mal in der neueren Staatslehre den originären, nicht abgeleiteten Begriff des Politischen entwickelt zu haben und damit zugleich die Eigengesetzlichkeit des politischen Bereichs neu konstituiert zu haben“. Andererseits wurde ihm vorgehalten, daß die sehr enge Fassung dieses Begriffs einer zu formalen Ausdeutung Vorschub leiste. Zwar sei richtig, daß das Politische kein eigenes Sachgebiet sei, doch könne dies nicht bedeuten, daß jedes beliebige Sachgebiet Substanz des Politischen sein könne: eine pazifistische Gruppe oder eine reine Wirtschaftsgemeinschaft könne auch durch noch so große Intensität ihrer Assoziation keine politische Qualität erwerben. Deshalb sei es notwendig, die zweifellos grundlegende Unterscheidung von Freund und Feind durch weitere Merkmale zu ergänzen: durch die Dimension der Repräsentation, das Verhältnis von Führung und Gefolgschaft und das „Ziel allen politischen Handelns“: den „Ruhm“, jene „bestimmte Kategorie von Werten, die durch die Worte Ehre, Freiheit, Macht, Herrschaft angedeutet werden.“ Lege man diese Merkmale zugrunde, gelange man zu einer inhaltlichen Bestimmung des Politischen, die klar mache, „weshalb wohl das Religiöse oder Nationale Substanz des Politischen sein kann, nicht aber der Pazifismus oder das Ökonomische.“ Noch deutlicher tritt diese Mischung von Übernahme und Kritik in einem wenige Monate später publizierten Aufsatz hervor, mit dem Grewe der NSDAP den verfassungspolitischen Weg weisen zu können glaubte. Der Text bemüht zunächst Schmitts Unterscheidung zwischen Verfassung und Verfassungsgesetz sowie die Bestimmung der 80 81

82

Vgl. Schmitt, Der Hüter der Verfassung (1969), S. 78. Vgl. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 81 f. Die gegenteilige Ansicht Nicolaus Sombarts ad vocem Männerbund kann lediglich psychohistorische Mutmaßungen für sich anführen: vgl. Die deutschen Männer und ihre Feinde. Vgl. Wilhelm Grewe: Der Begriff des Politischen – Politik und Moral, in: Die junge Mannschaft 1, 1931/32, H. 6 (Dezember 1931).

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ersteren als einer grundlegenden politischen Gesamtentscheidung.83 Er legt sodann, über Schmitt hinausgehend, nahe, eine derartige Gesamtentscheidung sei am ehesten von der NSDAP zu erwarten, auch wenn sich in ihr mittlerweile Kräfte in den Vordergrund geschoben hätten, die mit ihrem Legalitätskurs das morsche Gebäude der Weimarer Verfassung stützten und die „Gefahr einer Rückdemokratisierung von rechts“ beschworen.84 Das hielt Grewe indes nicht davon ab, die „Überwindung der allgemeinen Staatskrise in dem seinsmäßigen Gehalt der nationalsozialistischen Bewegung – und damit des deutschen Volkes überhaupt (!) – beschlossen“ zu sehen und sich im folgenden darauf zu konzentrieren, wie die zur Staatskrise hinzukommende besondere Krise der Legitimität zu bewältigen sei.85 Diese wurde mithilfe Schmittscher Denkfiguren als eine Krise des parlamentarischen Systems und des bürgerlichen Rechtsstaates bestimmt, zu der als weiterer Faktor die von der ‚Hamburger Schule‘ skandalisierte Übertragung der Demokratie als einer „spezifisch französische(n) Lebensform“ in den Raum des Reiches hinzutrat.86 Aus der Unzulänglichkeit dieser Ordnung wurde geschlossen, nur eine souveräne Diktatur vermöchte die Krise der Legitimität zu beheben. Aufgabe derselben sei es, eine neue Verfassung herbeizuführen, deren „Grundentscheidung“ nur lauten könne: „Ausscheidung der bürgerlich-rechtsstaatlichen und damit der parlamentarischen Bestandteile der Staatskonstruktion. Ersetzung des demokratischen politischen Formprinzips durch ein anderes, dem Reiche angemessenes imperiales Prinzip.“87 Wer genau nun freilich das Subjekt der verfassunggebenden Gewalt sein sollte, blieb bei Grewe zu diesem Zeitpunkt noch undeutlich. Das Volk, dem die westliche Staatslehre diese Rolle zuschrieb, konnte es nicht sein, da es ja eben darauf ankam, das demokratische Formprinzip auszuschalten. Auch die im Juni 1932 erteilte Auskunft, daß der „Gemeinschaft der Waffenfähigen und Wehrwilligen“, dem Heer, diese Aufgabe zufalle, half nicht wirklich weiter, da unter den Bedingungen des Versailler Vertrages „die besten waffenfähigen und wehrwilligen Kräfte der deutschen Jugend vom Heeresdienst ausgeschlossen“ waren, so daß das Heer das Reich (noch) nicht repräsentieren konnte.88 Als unmittelbaren Verfassungsgeber brachte Grewe deshalb eine weitere Instanz ins Spiel, eine personale, intermediäre Größe, die als „Führer“, Mittler und oberster Entscheider fungieren solle, als Autorität, die „im Namen und Auftrag des Reiches zu sprechen vermag“.89 Grewes Votum bei der Reichspräsidentenwahl 1932, „die nationalsozialistische Front zu stützen“ (mithin Hitler und nicht Hindenburg zu wählen), wie auch die kurz darauf erteilte Absage an eine auf das Notverordnungsrecht des Präsidenten gestützte Militärdiktatur,90 scheint auf Hitler als diesen Führer zu deuten, doch steht dem wieder83

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Vgl. Wilhelm Grewe: Verfassungspolitische Aufgaben eines nationalsozialistischen Staates, in: Günther (Hrsg.), Was wir vom Nationalsozialismus erwarten, S. 92. Das Vorwort ist auf März 1932 datiert. Ebd., S. 90. Ebd., S. 95. Ebd., S. 97. Ebd., S. 98. Grewe, Deutschlands politische Form, S. 429, 431. Grewe: Verfassungspolitische Aufgaben, S. 99. Wilhelm Grewe: Zwischen den Wahlen, in: Die junge Mannschaft 1, 1931/32, H. 10 (April); Deutschlands politische Form, S. 431.

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um das von Stapel und A. E. Günther übernommene Schema entgegen, das zwischen einer weiblichen und einer männlichen Seite des Lebens unterschied – Familie/Stamm/ Volk versus Männerbund/Wehrgemeinde/Staat – und die nationalsozialistische Bewegung als Volksbewegung eindeutig der ersten Reihe zuordnete, damit aber zugleich für staatspolitische Führungsaufgaben disqualifizierte.91 Fügt man hinzu, daß nach dieser Sichtweise die Krise des modernen Staates nicht allein in seiner Unterordnung unter die „Herrschaft der ökonomischen Kräfte“ bestand, sondern auch im „Aufstand der Massen“, der sich im Medium der Massenpartei vollzog,92 so ist klar, daß die souveräne Diktatur nicht im Wege einer Parteienkoalition zustande kommen durfte, wie sie von den Kräften der Harzburger Front angestrebt wurde.93 Die einzige Kraft, die unter diesen Umständen noch blieb, war: die Bündische Jugend. Erst im Herbst 1932, als Deutschland zunehmend unregierbar erschien, rückte Grewe von dieser Idee ab bzw. verschob sie in die Zukunft. Für die Gegenwart näherte er sich Konzepten und Strategien an, wie sie zu diesem Zeitpunkt in verschiedenen Kreisen um die Reichswehrführung, die Zeitschrift Die Tat und bestimmte Strömungen in den Gewerkschaften ventiliert wurden – Konzepte und Strategien, die unter dem Oberbegriff „Querfront“ zusammengefaßt werden.94 In der Version Grewes las sich dies so: Die Hoheitsrechte des Staates sollten unangetastet bleiben und nicht an die Volksvertretung ausgeliefert werden. „Kanzlerschaft, innere und äußere Politik, Heer, Justiz, Finanzen und Verkehr müssen die ausschließliche Sache der unabhängigen Reichsgewalt bleiben.“ Anders stehe es mit den Bereichen, die „Sache des Volkes“ seien: „Arbeit, Wirtschaft, Ernährung, Bildung und Erziehung.“95 Für die Aufgaben auf diesen Gebieten stünden Kräfte des Volkes bereit, die zur Mitarbeit herangezogen werden könnten, wohl auch auf Regierungsebene in Gestalt entsprechender Ministerien. Gemeint waren damit die Gemeinden, die Städte und Landschaften, die Gewerkschaften und Berufsverbände, allerdings mit der Einschränkung, daß die beiden letzteren erst „parteimäßig zu neutralisieren“ seien, was im Klartext hieß: „Sozialdemokraten und Zentrum aus ihren gewerkschaftlichen Einflußpositionen hinauszuwerfen.“96 In bezug auf die NSDAP hielt Grewe dies nicht für nötig, schlummere in ihr doch „unter jener wüsten Decke von Agitation und Massenpsychose (…) ein Stück des echten Volkes“, zumal in ihrem durch Gregor Straßer repräsentierten „sozialistischen Flügel“, der zu einer Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften bereit sei. In den Signalen, die von Straßer einerseits und der ADGB-Spitze andererseits zu vernehmen seien, sah Grewe die Chance einer „Annäherung“, die er als „verheißungsvollen Ansatz für eine mögliche Zusammenfassung und Eingliederung des wirklichen Volkes in den Staat“ begrüßte.97

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Vgl. Grewe, Deutschlands politische Form, S. 428; Nationalsozialismus – NSDAP. Grewe, Verfassungspolitische Aufgaben. Vgl. Grewe, Nationalsozialismus – NSDAP sowie die unmittelbar anschließenden Ausführungen der Schriftleitung der Kommenden über die „Tagung der nationalen Opposition“. Vgl. Schildt, Militärdiktatur mit Massenbasis? Strenge, Kurt von Schleicher, S. 177 ff. Wilhelm Grewe: Wo steht das Volk? In: Die junge Mannschaft 2, 1932/33, H. 4 (November 1932). Wilhelm Grewe: Nationale Konzentration? in: Die Kommenden 7, 1932, F. 47–48 (November). Grewe, Wo steht das Volk?

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Wie oben gezeigt, war auch Schmitt zu diesem Zeitpunkt in die strategischen Planungen des Reichswehrministeriums involviert. Das schloß anfangs sogar die Bereitschaft zum Staatsstreich, zur souveränen Diktatur im Sinne von Schmitts Terminologie ein, lief doch die vom Reichspräsidenten politisch gedeckte und von Schmitt juristisch abgesicherte Notstandsplanung vom August/September 1932 insofern auf eine Ausweitung der Diktaturgewalt des Reichspräsidenten hinaus, als die vorgesehene Auflösung des Reichstages mit einer Verschiebung der Neuwahlen auf unbestimmte Zeit sowie der „Ausarbeitung einer neuen, auf das Bauprinzip einer strikt präsidialen Demokratie zugeschnittenen Verfassung“ verbunden sein sollte, mit deren Federführung Schmitt am 25.9.1932 beauftragt wurde.98 Sowohl durch die Ausweitung der in Art. 25 Abs. 2 WRV für Neuwahlen festgesetzten Frist als auch durch die Planung einer neuen Verfassung aber hätte sich die in Art. 48 Abs. 2 umrissene kommissarische Diktaturgewalt des Präsidenten in eine souveräne verwandelt, war es doch das Wesen der ersteren, die Verfassung in concreto aufzuheben, „um dieselbe Verfassung in ihrem konkreten Bestand zu schützen“, wohingegen die letztere sich „nicht auf eine bestehende, sondern auf eine herbeizuführende Verfassung“ berief.99 Im Unterschied zu Grewe teilte Schmitt jedoch die Überzeugung nicht, daß sich für diese verfassungspolitische Konfrontationsstrategie nennenswerte Unterstützung mobilisieren ließ, schon gar nicht bei so heterogenen Kräften wie den Gewerkschaften und dem Straßer-Flügel der NSDAP. „Schmitt“, so die Erinnerung seines damaligen Adlatus Ernst Rudolf Huber, „fand den Querfrontplan bedenklich; er fand ihn unrealisierbar“, wie sich dies ja auch sehr bald herausstellte.100 Das wiederum bewog ihn, auch vom Plan einer souveränen Diktatur abzurücken und nach Lösungen zu suchen, die verfassungskompatibler waren, indem sie die Grenzen der kommissarischen Diktaturgewalt nur minimal verschoben. Zusammen mit Horst Michael arbeitete er in den beiden Monaten, die der Machtübertragung an die Nationalsozialisten vorangingen, an Entwürfen, die den Reichspräsidenten unter Berufung auf seinen Amtseid legitimieren sollten, sich über parlamentarische Mißtrauensvoten und Anträge zur Aufhebung seiner Notverordnungen unter Hinweis auf die Arbeitsunfähigkeit des Reichstages hinwegzusetzen, was zwar den Art. 54 WRV bedenklich streckte, jedenfalls aber nicht auf einen so massiven Bruch mit der Legalität hinauslief, wie die ursprünglichen, im übrigen von Schleicher im Januar 1933 wieder aufgegriffenen Notstandsplanungen.101 Man muß Schmitt nicht unbedingt zum Retter der Weimarer Verfassung stilisieren. Aber in dieser Endphase der Republik zeigte er weit mehr politisches Augenmaß als Schleicher, der ein Offizier ohne Truppen war, und erst recht mehr als Hindenburg, der aus Furcht, seinen Mythos dem Verschleiß auszusetzen, am Ende nicht einmal mehr der von Schmitt entworfenen Minimalstrategie folgen wollte und die Republik lieber ihren Todfeinden auslieferte.102 98 99 100 101 102

Pyta und Seiberth, Staatskrise, S. 603. Schmitt, Die Diktatur (1978), S. 136 f. Zu den Bestimmungen des Art. 25 Abs. 2 als einer „absoluten Grenze“ der Diktaturgewalt vgl. ebd., S. 246. Huber, Carl Schmitt in der Reichskrise, S. 56. Huber selbst räumte dagegen der Querfrontidee sehr viel größere Chancen ein: vgl. ebd., S. 47, 55. Vgl. Pyta und Seiberth, Staatskrise, S. 608; Seiberth: Legalität oder Legitimität? S. 158. Vgl. in diesem Sinne bereits Pyta, Verfassungsumbau. Ausführlicher dessen Opus magnum: Hindenburg.

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Im März 1933 mußte auch Grewe einräumen, daß seine Hoffnung auf eine Querfrontpolitik unrealistisch war. Auch wenn beim gegenwärtigen Kenntnisstand der mit „X.“ gezeichnete Artikel „Von Schleicher zu Hitler“ nicht mit letzter Sicherheit Grewe zugeschrieben werden kann, schließt die Argumentation doch so eng an dessen frühere Stellungnahmen an, daß eine Verfasserschaft wahrscheinlich ist. Schleicher wird hier noch einmal als politischer General gewürdigt, dessen Regierungsbildung darauf gezielt habe, „von den Nationalsozialisten bis zu den freien Gewerkschaften eine neue Front aufzubauen“, die den Rechts-Links-Gegensatz überbrückt und die Errichtung jenes „industriellen Arbeitsstaates“ ermöglicht hätte, wie er heute, „nach dem allmählichen Absterben der freien Konkurrenzwirtschaft“, auf der Tagesordnung stehe. Der Versuch sei jedoch gescheitert, aus Gründen, die teils in der Person des Generals, teils in den objektiven Umständen der Regierungsverhältnisse gelegen hätten. An seine Stelle sei „das Kabinett der Harzburger Front“ getreten, in der der radikale Flügel der Bündischen Jugend noch nie etwas anderes als einen Ausdruck der „Vergreisung“ zu sehen vermochte hatte.103 Angesichts der Gefahr, daß Deutschland nunmehr erneut von einer Generation regiert werde, deren Ansichten „um das Jahr 1910 herum gewiß sehr zeitgemäß und modern waren“, schlug sich der Artikel ohne jede Einschränkung auf die Seite der NSDAP. Wie immer man deren Triebkräfte auch einschätze, so viel sei heute „deutlich und unbezweifelbar, daß wir keinen Schritt weiter kommen werden, bis nicht die nationalsozialistische Bewegung in Deutschland gesiegt hat – oder gescheitert ist. Der Kampf muß durchgeführt werden, und um der nationalsozialistischen Bewegung willen wünschen wir, daß er nicht an der Seite Hugenbergs und Papens ausgefochten wird. (…) Darum kann man heute nur eine Hoffnung und Erwartung aussprechen: daß es dem Reichskanzler Adolf Hitler gelingen möge, wirklich Reichskanzler zu werden, d. h. nach dem Wortlaut der Verfassung: die Richtlinien der Politik zu bestimmen.“104 Es war von hier aus folgerichtig und nicht bloßem Opportunismus zuzuschreiben, wenn Grewe im Mai 1933 in die NSDAP eintrat. Auch seine weitere Karriere spricht nicht eben für eine ausgeprägte Distanz gegenüber dem Regime.105 Die Fairneß gebietet es gleichwohl, hinzuzufügen, daß Grewe die gleiche Unbedingtheit, die er in der Endphase der Weimarer Republik an den Tag gelegt hatte, auch in der Endphase des NSRegimes bewies. Als ihm die erforderliche Sondergenehmigung für die Eheschließung mit seiner Lebensgefährtin Marianne Partsch verweigert wurde, die im Sinne der Nürnberger Gesetze als „Vierteljüdin“ galt, erklärte er im Oktober 1943 seinen Austritt aus der NSDAP und heiratete, was ihm ein förmliches Parteigerichtsverfahren einbrachte und wohl auch mit der Entfernung aus dem Staatsdienst geendet hätte, wenn nicht die infolge des Bombenkrieges eintretende Desorganisation bei den Behörden die Einleitung des entsprechenden Disziplinarverfahrens verhindert hätte. Im Spruchkammerverfahren im Juli 1948 konnte er darüber hinaus glaubhaft machen, daß er in den letzten Kriegsjahren einer Widerstandsgruppe angehörte, die mit verschiedenen am Aufstand vom 20. Juli

103 104 105

Vgl. Wilhelm Grewe: Die Forderung der Gegenwart an die deutsche Jugend, in: Die junge Mannschaft 1, 1931/32, H. 9 (März 1932). X., Von Schleicher zu Hitler. Dazu näher Hausmann, Sprechen im Kontext – der Jurist Wilhelm Grewe.

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1944 beteiligten Gruppen Verbindung hatte.106 Grewe wurde deshalb als entlastet eingestuft und konnte so seine Laufbahn fortsetzen, die ihn von einer Professur für öffentliches Recht in Freiburg ins Auswärtige Amt und von dort auf verschiedene Botschafterposten in Washington D.C., Paris, Brüssel und Tokio führte, auf denen er als „einer der einflußreichsten Diplomaten unseres Landes“ agierte.107 Als Mitarbeiter Walter Hallsteins war er maßgeblich an der Konzeption der „Hallstein-Doktrin“ beteiligt, die bis zur sozialliberalen Koalition von 1969 den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik für Deutschland legitimierte.108 3. Die größten Hürden auf dem Weg zu Carl Schmitt hatte der letzte der hier Vorzustellenden zu überwinden. Bernhard von Mutius, geboren am 12.1.1913 in Beirut,109 begann nach dem Abitur mit dem Jurastudium an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, zu einem Zeitpunkt, als Carl Schmitt dort noch an der Handelshochschule lehrte, bevor er im Sommer 1933 für ein Semester nach Köln wechselte. Noch als Studienanfänger engagierte sich Mutius in der Deutschen Adelsgenossenschaft (DAG), der 1874 von Gutsbesitzern aus dem alten ostelbischen Adel gegründeten Standesvereinigung, die unmittelbar nach Kriegsende einen steilen Anstieg der Mitgliederzahlen erlebt hatte und nun mehr als ein Viertel des gesamten deutschen Adels erfaßte.110 Im Mai 1932 zum Stellvertretenden Leiter der Abteilung für Jugendfragen bei der Hauptgeschäftsstelle der DAG berufen, übernahm er bereits im Oktober desselben Jahres die Herausgeberschaft der Beilage „Adlige Jugend“ zum Standesorgan, dem Deutschen Adelsblatt, in dem er bereits seit März 1930 mit verschiedenen Beiträgen hervorgetreten war.111 Seit Ende 1931 war er darüber hinaus, wie Wilhelm Grewe, in den Kommenden vertreten, für die er insgesamt drei Artikel schrieb. Wie die Überschriften seiner Beiträge signalisieren, legte sich Bernhard von Mutius die Latte sehr hoch. Es ging um nichts Geringeres als „Die geistigen Grundlagen 106 107 108 109

110 111

Die wesentlichen Materialien dazu finden sich in den Akten zu Grewes Spruchkammerverfahren im Staatsarchiv Freiburg, Sign.: D 180/2, Nr. 199.722. Hausmann, Sprechen im Kontext, S. 36. Vgl. Kilian, Die Hallstein-Doktrin, S. 22 ff. Der biographische Abriß bei Mehring, Carl Schmitt, S. 364 oder bei Wikipedia (Abruf 25.9.2010) vermischt den Lebensweg z. T. mit demjenigen eines Vetters, Franz-Joseph Max Hugo Bernhard von Mutius aus der ersten Linie derer von Mutius. Dieser ist zwar ebenfalls 1913 geboren, aber am 30.6., und nicht in Beirut, sondern in Therapia, als Sohn des auch schriftstellerisch hervorgetretenen Diplomaten Gerhard von Mutius (1872–1934). Er ist am 4.11.1933 der SS beigetreten und am 27.4.1944 als Hauptmann der Reserve im Panzerregiment Großdeutschland nach einer in Rumänien empfangenen Verwundung gestorben (BArch SM N 0009). Der hier vorgestellte Bernhard Edmund Wilhelm von Mutius entstammt dagegen der zweiten Linie des Geschlechts. Er ist der Sohn des deutschen Generalkonsuls Ludwig von Mutius (1870–1941) und ein Enkel des preußischen Generalleutnants Wilhelm von Mutius (1892–1918). Vgl. Genealogisches Handbuch des Adels, Bd. 12, S. 255–262. Vgl. Malinowski, Vom König zum Führer, S. 145 ff., 322. Vgl. die Mitteilungen der Schriftleitung in: Deutsches Adelsblatt 50, Nr. 18 (Adlige Jugend, Nr. 5); Nr. 40 (Adlige Jugend, Nr. 10).

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der jungkonservativen Bewegung“, um die Schaffung einer „konservativen Weltanschauung“ oder gar um „Das Schicksal der Zivilisation“.112 Wie aber bei einem Achtzehn- oder Neunzehnjährigen kaum anders zu erwarten, beschränkten sich seine Höhenflüge meist auf eine Melange von Textbausteinen aus dem für die „Jungkonservativen“ einschlägigen Schrifttum, dessen Spektrum von Moeller van den Bruck und Oswald Spengler über Othmar Spann bis zu den Wortführern des Soldatischen Nationalismus und der Bündischen Jugend reichte. Von Moeller übernahm Mutius die Gegenstellung gegen den Liberalismus, den „Geist des Westens“, und die Forderung, Nationalismus und Sozialismus, Konservatismus und Revolution zu einer neuen, höheren Einheit zu verschmelzen, dem „Dritten Reich“;113 von Oswald Spengler das verfallsgeschichtliche Szenario;114 von Othmar Spann, einem in Adelskreisen hochgeschätzten Autor neoaristokratischer Provenienz,115 den Rekurs auf „ganzheitliche“, „universalistische“ Begriffe wie den „organischen Staat“ und das berufsständisch gegliederte, „organisch-universalistische“ Wirtschaftssystem;116 vom soldatischen Nationalismus den „Geist des ‚heroischen Realismus‘“, der das Leben wieder in seiner Ursprünglichkeit erfahrbar und damit auch wieder „Gemeinschaft“ möglich gemacht habe; von der Jugendbewegung die „,romantische Haltung des bündischen Menschen‘“.117 Das waren nun freilich Präferenzen, die in beinahe allem quer zu Carl Schmitt standen. Mit Moeller van den Bruck teilte Schmitt zwar die Gegnerschaft gegen den Westen, gegen das Versailler System und ganz allgemein gegen den Liberalismus, doch hielt er zu spezifischeren Topoi wie ‚konservative Revolution‘ oder ‚drittes Reich‘ Abstand. Selbst der Name ihres Urhebers wird in auffälliger Weise vermieden. Dasselbe gilt für Othmar Spann, mit dem Schmitt zwar die holistische Sichtweise teilte, nicht jedoch den Rückgriff auf das Mittelalter oder die Romantik.118 Vom Geist des Frontsoldatentums wollte Schmitt lange nichts wissen. Seine Freundschaft mit Ernst Jünger begann zu einem Zeitpunkt, als dieser sich bereits aus der nationalrevolutionären Tagespublizistik zurückgezogen und größeren Projekten wie dem Arbeiter zugewandt hatte.119 Der Bündischen Jugend wie der Jugendbewegung überhaupt vermochte der Kritiker der Po112

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Vgl. Bernhard von Mutius: Die geistigen Grundlagen der jungkonservativen Bewegung, in: Deutsches Adelsblatt 49, 1931, Nr. 14 (Adlige Jugend, Nr. 6); Neuere Biologie und konservative Weltanschauung, in: Deutsches Adelsblatt 48, 1930, Nr. 9 (Adlige Jugend, Nr. 3); Das Schicksal der Zivilisation, in: Deutsches Adelsblatt 49, 1931, Nr. 36 (Adlige Jugend, Nr. 11). Vgl. Bernhard von Mutius: Deutsche Not am Westen, in: Die Kommenden 6, 1931, F. 48; B. v. M. [Bernhard von Mutius]: Zur gegenwärtigen Lage der deutschen Politik, in: Die Kommenden 7, 1932, F. 25; Auf dem Wege zum Dritten Reich, in: Deutsches Adelsblatt 49, 1931, Nr. 51/52 (Adlige Jugend, Nr. 15). Mutius, Das Schicksal der Zivilisation. Vgl. Max von Binzer: Der Gemeinschaftsgedanke im Staatsaufbau, in: Deutsches Adelsblatt 47, 1929, Nr. 33; Ferdinand Graf von Westphalen: Der Universalismus Othmar Spanns, in: Deutsches Adelsblatt 47, 1929, Nrn. 34 und 35. Vgl. Mutius, Neuere Biologie. Vgl. Mutius, Die geistigen Grundlagen. Die Abneigung war wechselseitig. Carl Schmitt sprach abfällig von der „Spann-Bande“, und als 1931 seine Berufung nach Wien anstand, war es Othmar Spann, der sie mit einem Sondervotum verhinderte: vgl. Mehring, Carl Schmitt, S. 188, 256. Vgl. ebd., S. 254 ff.

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litischen Romantik schon gar nichts abzugewinnen. Wenn der Begriff des Bundes in seinen Schriften auftauchte, so allenfalls als staatsrechtliche Kategorie.120 Angesichts solcher Unterschiede war es nur konsequent, daß Mutius’ erste Einlassung zu Schmitt eher ablehnend ausfiel. In einer im April 1932 veröffentlichten Besprechung der wenige Monate zuvor in Buchform veröffentlichten Neufassung des Begriffs des Politischen rückte er zwar die bis dahin erschienenen Schriften Carl Schmitts in den Kontext der geistigen Bewegung, die sich um die „konservative Erneuerung“ bemühe und bescheinigte ihnen, „dem liberalen und bürgerlichen Menschen, dem Individualisten und Privatmann der Renaissance und der Aufklärung den politischen, das ist den staatsverbundenen und volksbejahenden Menschen als Gegensatz und Idealbild“ gegenübergestellt zu haben.121 Auch die Bemühung Schmitts in seinem aktuellen Buch um eine Grundlegung des Begriffs des Politischen in seiner Eigenbedeutung wurde zunächst durchaus anerkannt und gleichrangig an die Seite von Ernst Jüngers Beitrag zur „Begründung einer Lebenshaltung des Menschen“ gestellt. Auf die grundsätzliche Bejahung der beiden Hauptleistungen Schmitts – die Betonung der kämpferischen Haltung und der Staatsverbundenheit des politischen Menschen – folgte indes eine Kritik, wie sie massiver kaum sein konnte. Ein erster Vorwurf zielte darauf, daß die Schmittsche Begriffsbildung sich gegen das Erbe der deutschen Romantik und der idealistischen Philosophie sperre und deshalb „geistfeindlich und gottfern“ sei. Ihre Zielrichtung gehe „auf die Begründung einer neuen Primitivität und eines neuen Heidentums innerhalb einer Spätstufe der abendländischen Kultur“ und stehe damit im Gegensatz zu den aktuellen Bemühungen um eine Abwendung „von der sterbenden Zivilisation des Westens“, die nur durch einen Zusammenschluß „im Erlebnis der Deutschheit“ zu erreichen sei. Denke man ihn konsequent zu Ende, so führe Schmitts Begriff des Politischen „zum ewigen und tragischen Kampf aller einzelnen politischen Menschen, Stände und Staaten gegeneinander“, ohne wirklich legitime Herrschaft begründen zu können. Nach der innerstaatlichen Seite fehle eine Rechtfertigung von Herrschaftsbereichen, „die erst den Staat als Stufenbau der politischen Einheiten bilden und zusammenhalten“ (also, soziologisch gesprochen: eine Begründung von Stratifikation, die im Adel als staatstragender Spitze kulminiert), nach außen ein Bezug auf überstaatliche Herrschaftsformen, wie sie im Begriff des Reiches lägen: „Diese beiden notwendigen Begriffe der inner- und überstaatlichen Herrschaft kann man von dem Standpunkt, den C. Schmitt einnimmt, nicht bilden und rechtfertigen. Aber sie müssen gebildet und verwirklicht werden: die Zeit des mechanisierten Staates, der heute das kulturelle, wirtschaftliche und soziale Leben erdrückt, ist ebenso am Ende wie die des Nationalstaates westlerisch-liberaler Prägung, der sich zum mindesten im osteuropäischen Raum mit seiner völkischen Gemengelage bei dem Versuch der Durchführung selbst widerlegt

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Vgl. Schmitt, Verfassungslehre (1970), S. 361 ff. Bernhard von Mutius: Zum Begriff des Politischen, in: Deutsches Adelsblatt 50, 1932, Nr. 18 (Beil. Adlige Jugend, Nr. 5). Auf eine Übernahme der zahlreichen Hervorhebungen in diesem Text wird im folgenden verzichtet.

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C S   G  U hat. Im Inneren muß eine Auflockerung durch die organische Gliederung des Staates, im Äußeren der Überbau des Reiches einsetzen.“

Eng damit zusammen hing der zweite Vorwurf, der auf den rein weltlichen, einer religiösen Erneuerung im Wege stehenden Charakter von Schmitts Begriffsbildung zielte. In ihr sei weder von Gott als dem Ziel der Geschichte die Rede noch von der „Würde des mit Bewußtsein und Freiheit der sittlichen Entscheidung begabten Menschen“, so daß sie im Zuge ihrer Verwirklichung „eine seltsam dumpfe und starre Welt ohne den Antrieb sittlicher Freiheit und sittlicher Entwicklung, eine neue Primitivität des unmittelbaren und geistfernen Seins, ein neues Heidentum der Diesseitigkeit“ herbeiführen müsse. „Die Mißachtung des Geistigen muß zur Verachtung der Persönlichkeit und der Gemeinschaft, zum Kollektivismus und Massenmenschentum führen. Je weiter diese Säkularisation fortschreitet, um so mehr erlischt jede göttliche Weihe, jede höhere Aufgabe des Menschen. Der Staat wird zur einzigen mechanischen Bindung einer anarchischen Menschenmasse.“ Schmitts Lehre stehe deshalb für einen Irrweg im Rahmen der ‚konservativen Revolution‘, für eine Variante derselben, die das revolutionäre Element zu stark auf Kosten des konservativen betone. Die von ihr begründete „politische Ideologie“ ziele, „wenn auch vielleicht unbewußt und gegen den Willen ihrer Urheber, auf eine Spätstufe der abendländischen Kultur, die auf Verweltlichung und Gottlosigkeit, Primitivität und Kollektivierung eines imperialistischen Lebens gegründet ist.“ Der nächste Schritt auf dieser Bahn sei ein ‚Salon- oder Nationalbolschewismus‘, der schließlich mit Notwendigkeit der „Schwerkraft des Kommunismus“ erliegen müsse, welcher sich anschicke, „das Erbe des Abendlandes anzutreten und es in sein Reich östlich-asiatischen Geistes und neuer, geschichts- und kulturfremder Menschenschichten zu überführen.“ Seine Ablehnung des heraufziehenden Kollektivismus hielt Mutius indes nicht davon ab, ausgerechnet die NSDAP zu den „nationalen Widerstandskräften“ zu zählen und ihrer baldigen Einberufung in die Regierung entgegenzusehen122 – bemerkenswerterweise ohne jeden Anflug von Kritik, während die noch amtierende „konservative Regierung“ – das Kabinett Papen – zur gleichen Zeit heftige Vorwürfe auf sich zog, weil sie zum „Kampf gegen den Bolschewismus und zur Rettung des Abendlandes und seiner privatkapitalistischen Organisation durch eine deutsch-französische Verständigung“ aufrufe.123 Die Vorstellung, die wie immer auch primitiven Kräfte der NSDAP für eine nationale Regeneration nutzen zu können, teilte Mutius mit vielen seiner Standesgenossen, man denke nur an den anfänglichen Enthusiasmus des jungen Stauffenberg.124 Sie erleichterte es ihm entsprechend, sich nach dem 30.1.1933 auf die neue Lage einzustellen und dürfte auch fraglos den Entschluß motiviert haben, am 10.7.1933 in die SA einzutreten, mit einiger Verspätung dann auch in die NSDAP.125 Dies wiederum begün122 123

124 125

B. v. M.: Zur gegenwärtigen Lage. Vgl. B. v. M. [Bernhard von Mutius]: Im Ringen um die deutsche Mitte, in: Die Kommenden 7, 1932, F. 42. Der Bolschewismus, so die These dieses Aufsatzes, stelle innenpolitisch keine Gefahr dar und müsse auch außenpolitisch eher als Bündnispartner im „gemeinsamen Kampf gegen Versailles“ gesehen werden – auch dies eine Ansicht, die Mutius von Schmitt trennte. Vgl. Malinowski, Vom König zum Führer, S. 560 ff., 580. Die SA-Mitgliedschaft ergibt sich aus der Befürwortung des Entlassungsgesuchs aus der SA vom 5.9.1935, das Mutius aufgrund seines Auslandsaufenthaltes stellte; die NSDAP-Mitgliedschaft aus

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stigte die Annäherung an Carl Schmitt, der sich zu dieser Zeit ebenfalls daran machte, die Kommandohöhen des Regimes zu erklimmen.126 Im Dezember 1934 wurde Mutius „Adjutant“ Schmitts in dessen Funktion als Reichsfachgruppenleiter der Hochschullehrer im Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen, während er gleichzeitig seine Referendarzeit absolvierte.127 Nach dem Examen 1935 ging er für einige Monate zu Studienzwecken nach Cambridge und Paris und kehrte anschließend nach Berlin zurück, um an der Akademie für Deutsches Recht zu arbeiten, wiederum in engem Kontakt zu Schmitt, in dessen Aufzeichnungen er bis 1939 als Mitarbeiter genannt wird.128 Das persönliche Treueverhältnis, das Mutius in dieser Zeit gegenüber Schmitt entwickelte und über alle politischen Peripetien hinweg beibehielt, erstreckte sich allerdings nicht auf die Haltung gegenüber dem NS-Regime. Während Schmitt auch nach seinem Sturz in der Ämterhierarchie große Anstrengungen unternahm, sich wieder in die erste Reihe der wissenschaftlichen Legitimitätsbeschaffer zu schreiben, ging Mutius seit Kriegsbeginn zunehmend auf Distanz. Von Herbst 1940 bis Frühjahr 1942 war er Verbindungsmann des mit Schmitt befreundeten preußischen Finanzministers Johannes Popitz, der wegen seiner Beteiligung am 20. Juli 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde.129 1943 wurde er persönlicher Referent des Reichsleiters Ritter von Epp im Stabsamt des Kolonialpolitischen Amtes in München, wohin er nach einer kurzen Zwischenstation im Reichswirtschaftsminiterium in Berlin wieder zurückkehrte.130 Das Kriegsende sah ihn an der Seite von Günther Caracciola-Delbrück, der im April 1945 nach dem gescheiterten Aufstandsversuch der Widerstandsgruppe „Freiheitsaktion Bayern“ ebenfalls hingerichtet wurde.131 Denselben Mut zur Konsequenz und zum persönlichen Risiko zeigte er nach 1945, als er, gewissermaßen in Wiederanknüpfung an seine 1932 signalisierte Kooperationsbereitschaft mit dem Bolschewismus, in die sowjetische Besatzungszone zog, dort in die Ost-CDU eintrat und, nach einer kurzen Karriere als Referent des Außenministers der DDR, Georg Dertinger, ins Visier des sowjetischen Geheimdienstes geriet.132 1950 wurde er wegen Spionageverdachts verhaftet, zu fünfundzwanzig Jahren „Besserungsarbeit“ verurteilt und anschließend ins Straflager Workuta deportiert.133 Erst im Oktober 1955

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einer Politischen Beurteilung durch den Stab des Stellvertreters des Führers vom 18.1.1938 . Als Eintrittsdatum für die NSDAP ist der 1.4.1936 angegeben (Mitgliedsnr. 3709020). Vgl. BArch, PK I0235, 2280 ff. Vgl. Blasius, Carl Schmitt. Vgl. Carl Schmitt an Ernst Rudolf Huber, Brief vom 10.3.1935, Nachl. Huber, N 1505, 198. Viel publiziert hat Mutius in dieser Zeit nicht mehr. 1936 erschien im letzten (41.) Jahrgang der Deutschen Juristen-Zeitung: Die Entstehung des Rechtsstandes in England, H. 2, S. 111–113; 1938 die Miszelle: Zur gegenwärtigen Situation des Nationalitätenrechts, in: Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht 5, 1938, S. 668 f. Vgl. Mehring, Carl Schmitt, S. 364 ff., 383, 393, 401. Vgl. BArch DS B 0086; Einen Brief aus dieser Zeit hat Piet Tommissen abgedruckt. Vgl. Bernhard von Mutius an Carl Schmitt, Brief vom 29.10.1940, in: Schmittiana III, 1991, S. 153 f. Vgl. Bernhard von Mutius an Carl Schmitt, Briefe vom 11.6.1943 und 28.12.1943, Nachl. Schmitt, RW 265–10094, 10096. Vgl. Wächter, Die Macht der Ohnmacht, S. 231. Vgl. Muth, Die DDR-Aussenpolitik, S.156 ff. Vgl. Hedeler und Hennig, Schwarze Pyramiden, S. 273.

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konnte er nach Deutschland zurückkehren, wo ihn einer seiner ersten Besuche nach Plettenberg zu Carl Schmitt führte.134 Schmitt war es auch, der ihm den Weg zum Verlag Kiepenheuer & Witsch ebnete, in dem Mutius 1956 unter dem Pseudonym Bernhard Roeder sein Buch Der Katorgan. Traktat über die moderne Sklaverei veröffentlichte. Im gleichen Jahr trat er in die Senatsverwaltung für Volksbildung in Berlin ein.135 1959 übernahm er dort das Generalreferat für alle Angelegenheiten der Kultusministerkonferenz, ging dann nach Bonn und war von 1967 bis 1978 Chef de Division im Straßburger Europarat. Am 24.5.1979 ist Bernhard von Mutius in Basel gestorben.136

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Vgl. Carl Schmitt an Armin Mohler, Brief vom 22.11.1955, in: Carl Schmitt – Briefwechsel mit einem seiner Schüler (1995), S. 208 f., 216. Vgl. Bernhard von Mutius an Carl Schmitt, Briefe vom 12.12.1955, 15.12.1956, 10.8.1959, Nachl. Schmitt, RW 265–10101, 10108, 10118. Persönliche Mitteilungen von Boris Mutius vom 30.11.2006 und 24.8.2008.

X Ein später Schüler Spenglers? Carl Schmitt und die „Raumrevolution“

Die Versuche, zwischen dem Werk Oswald Spenglers und demjenigen Carl Schmitts eine Verbindung herzustellen, waren bislang nicht sonderlich erfolgreich. Wer in beiden Autoren Repräsentanten der „Konservativen Revolution“ zu sehen meinte,1 mußte sich darüber belehren lassen, daß dieses Konstrukt bei Carl Schmitt keinen Anhalt findet, von seiner sachlichen Problematik ganz abgesehen.2 Auch Kategorien wie Kulturpessimismus und preußischer Sozialismus, die für die Deutung Spenglers zweifellos relevant sind, sind es für Schmitt keineswegs. Anwandlungen in der ersten Richtung, die ihm zunächst nicht durchaus fremd waren, hat Schmitt im Laufe der 20er Jahre zurückgedrängt und sich von der Kulturuntergangsstimmung, die Geister wie Troeltsch, Weber, Rathenau und Spengler erfaßt habe, entschieden distanziert.3 Das Preußentum war für ihn mit Militarismus identisch, dem er vor 1933 nichts abzugewinnen vermochte, ja dessen Ausbreitung er während des Ersten Weltkriegs mit Angst und Wut verfolgte.4 Für den frühen wie für den mittleren Schmitt scheint Spengler keine Bedeutung besessen zu haben. Das Register der jüngsten Biographie weist denn auch nicht einmal den Namen aus.5 Und dennoch scheint damit noch nicht alles gesagt zu sein. 1939 taucht in einer Schrift Schmitts plötzlich eine Kategorie auf, die unverkennbar Spenglerschen Ursprungs ist: der Begriff einer „planetarischen“, d. h. „erdraumhaften“ Ordnung als Kern einer neuen 1 2

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Vgl. Mohler, Carl Schmitt und die „Konservative Revolution“. Vgl. Bendersky, Carl Schmitt. Theorist for the Reich, S. 57 f.; Carl Schmitt and the Conservative Revolution sowie die in der Aussprache zu Mohlers o. g. Vortrag geübte Kritik von Heinrich Meier, in: Quaritsch 1988, S. 154–156. Von Schmitts ‚Betrug an der Konservativen Revolution‘ sprechen Mehring, Pathetisches Denken, S. 32 und Meuter, Der Katechon, S. 292 ff., 328. Zur Kritik des Konstrukts vgl. meine Studie: Gab es eine ‚konservative Revolution‘ in Weimar? Vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1979), S. 92. Vgl. Schmitt, Tagebücher (2003), S. 173, 175; Die Militärzeit (2005), S. 77, 87, 95. Zu den Schwankungen, denen Schmitts Verhältnis zu Preußen im Laufe seines langen Lebens ausgesetzt war, vgl. Wirz, Der Pendler Carl Schmitt. Vgl. Mehring, Carl Schmitt.

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völkerrechtlichen Denkweise.6 Drei Jahre später stößt man in einem kleinen Beitrag über die „Raumrevolution“ auf die Zwischenüberschrift: „Das faustische Raumgefühl“.7 1944 kommt Schmitt in einem in Madrid gehaltenen Vortrag direkt auf Spenglers „höchst aktuelle Selbstdeutung der Gegenwart“ zu sprechen, die „die seit über hundert Jahren wirksamen Parallelen für ein großes Publikum überraschend neu erscheinen ließ und ihm dadurch wieder zum Bewußtsein brachte, daß das Zeitalter der Schlacht bei Aktium, der Beginn unserer Zeitrechnung und die damalige Zeitenwende, uns mehr angeht als jeder andere Augenblick der Weltgeschichte.“8 In einer Tagebuchnotiz vom 11.4.1948 bestätigt er Ernst Jüngers Feststellung, „daß die Geschichtsphilosophen heute wichtiger sind als die Atomphysiker“, und würdigt „Spenglers Genialität“, die einem „durch den Vergleich mit Toynbee erst recht bewußt“ werde.9 Hat also der späte Schmitt seine frühere Distanz zu Spengler aufgegeben? Und müssen gar seine Texte dieser Zeit auf einen „Spenglerian subtext“ hin gelesen werden, wie eine neuere Studie nahelegt?10 1. Im Frühwerk Schmitts ist weniger vom Raum die Rede, als von dem, was sich darin befindet: der Erde, dem Boden. Katholischen Völkern wird dort bescheinigt, ein anderes Verhältnis zum Erdboden zu haben als protestantische Völker, „vielleicht deshalb, weil sie, im Gegensatz zu den Protestanten, meistens Bauernvölker sind, die keine große Industrie kennen.“11 Hugenotten und Puritaner könnten überall ihre Fabriken aufbauen und sich die Natur untertan machen; römische Katholiken hingegen schienen den Boden, die mütterliche Erde zu lieben: „sie haben alle ihren ‚terrisme‘. Natur bedeutet für sie nicht den Gegensatz von Kunst und Menschenwerk, auch nicht von Verstand und Gefühl oder Herz, sondern menschliche Arbeit und organisches Wachstum, Natur und Ratio sind Eins. Der Weinbau ist das schönste Symbol dieser Vereinigung, aber auch die Städte, die aus solcher Geistesart gebaut sind, erscheinen wie natürlich gewachsene Produkte des Bodens, die sich der Landschaft einfügen und ihrer Erde treu bleiben.“12 Noch zugespitzter heißt es in den 1925 erschienenen Notizen von einer dalmatinischen 6 7 8

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Vgl. Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung (1941), S. 49; vgl. auch S. 3, 47. Vgl. Carl Schmitt: Raumrevolution. Vom Geist des Abendlandes, in: Deutsche Kolonialzeitung 54, 1942, S. 219–221, 220. Hier zit. n. der deutschen Übersetzung in Schmitt, Donoso Cortés (1950), S. 93 f. Der Topos von der großen Parallele findet sich tatsächlich bei Spengler (vgl. Spengler, Untergang, S. 603, 615, 643 1090), geht aber noch weiter zurück bis auf Proudhon, Du principe fédératif, Paris 1863, S. 109. Vgl. dazu die Hinweise des Herausgebers im Kommentar zu Schmitt, Frieden oder Pazifismus? (2005), S. 527. Nicht übersehen werden sollte in diesem Zusammenhang, was die Schlacht bei Aktium in der Sicht der Sieger bedeutete. Von den Stilisten des Principats wurde sie „in geradezu mythische Dimensionen gerückt (…), zu einem Sieg Apollons über Dionysos, Italiens über Ägypten und die Verräter an der eigenen Sache, zu einem Triumph des Westens über den Osten“ – auf lange Sicht also auch: des (lateinischen) Christentums über das Judentum. Vgl. die Hinweise bei Christ, Geschichte der römischen Kaiserzeit, S. 79. Schmitt, Glossarium (1991), S. 126. Vgl. Hell, Katechon, S. 301 f. Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form (1925), S. 14. Ebd., S. 15.

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Reise: „Die Erde, nicht das Blut, gibt dem Menschen, dem Sohn der Erde, seine Gestalt und sein Antlitz. Alle Rassen, die sich in Illyrien festsetzten, erhielten von diesem Lande etwas Neues und wurden Träger eines besonderen illyrischen Geistes.“13 Solche Äußerungen, aufschlußreich wie sie sind, sind jedoch eher rar, sei es, weil Schmitt vor der Nähe zu romantischen Positionen zurückschreckte, in die ihn ein Weitergehen in dieser Richtung unweigerlich bringen mußte, sei es, weil sich seine politischen Interessen in dieser Zeit in den Vordergrund schoben. Für das Politische aber, wie er es verstand, war nicht der territoriale Aspekt von Bedeutung, sondern die Unterscheidung von Freund und Feind, die zwar Folgewirkungen in räumlicher Hinsicht entfalten konnte, etwa in der Ausscheidung des Heterogenen oder der Zurückweisung des Feindes in seine Grenzen, für sich genommen aber „raumblind“ war.14 Anders als die Staatsrechtslehre, die im Staatsgebiet eines der drei wesentlichen Elemente des Staates sah, anders aber auch als die Herrschaftssoziologie Max Webers, die die ‚gewaltsame Behauptung der geordneten Herrschaft über ein Gebiet und die Menschen auf demselben‘ zum begrifflichen Minimum der politischen Gemeinschaft erklärte15 , ließ Schmitt diesen Aspekt beiseite und entwarf ein „Intensitätskonzept des Politischen“, das in erster Linie dazu gedacht war, die politische Einheit „bürgerkriegsfähig“ zu machen.16 Erst der Karriereknick von 1936 veranlaßte Schmitt zu einem Revirement, das nicht zu Unrecht als „spatial turn“ (Ronge) seines Denkens interpretiert wird. Zwar war das Feld des Völkerrechts, auf das er nun seine Anstrengungen verlagerte, nicht völlig neu für ihn, wie seine frühen Attacken auf den Völkerbund und die ‚Völkerrechtlichen Formen des modernen Imperialismus‘ zeigen,17 doch zog er erst jetzt systematische Konsequenzen aus dem schon ebenfalls früh entwickelten Theorem einer geschichtlichen Stufenfolge der Zentralgebiete des europäischen Geistes, die vom Theologischen über das Metaphysische und Humanitär-Moralische zum Ökonomischen führen sollte und mittlerweile dabei war, mit der Technik eine neue Dimension zu eröffnen.18 Die im 19. Jahrhundert vollzogene Industrialisierung, so seine These, habe eine „Großraumwirtschaft“ geschaffen, die die herkömmlichen staatlichen Grenzen überschreite, ja obsolet mache, wie sich an den raumübergreifenden Vernetzungen der Energiefernversorgung oder am internationalen Flug- und Funkwesen ablesen lasse.19 Die Vokabel „Großraum“ stand nach diesem Verständnis nicht einfach nur für die Addierung der bisherigen, nur eben: kleinteiligen Räume, sondern indizierte einen grundlegenden Wandel des Raumbegriffs: vom „ma-

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Schmitt, Illyrien (1925), S. 294. Vgl. Ronge, „Der Mensch ist ein Landtreter“, S. 51 ff. Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Gemeinschaften, S. 204. Meier, Carl Schmitt, S. 31. Vgl. Schmitt, Die Kernfrage des Völkerbundes (1926); Völkerrechtliche Formen des modernen Imperialismus (1932), in: Schmitt 1988 sowie die im Band: Frieden oder Pazifismus? (2005) gesammelten Beiträge. Vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1979), S. 80, 83 f. Vgl. Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung (1941), S. 6, 45 f. Zur zeitgenössischen Diskussion über „Großraumwirtschaft“ vgl. Dreier, Wirtschaftsraum, S. 56 ff.

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thematisch-neutrale(n), leere(n) Raumbegriff“, wie er in der frühen Neuzeit entstanden sei, zu einer „qualitativ-dynamische(n) Größe“, dem „Leistungsraum“.20 In Schmitts Augen hatte weder die völkerrechtliche Theorie noch die politische Praxis mit dieser Entwicklung Schritt gehalten. Die Theorie folgte teils noch veralteten Doktrinen wie der Lehre von den natürlichen Grenzen, teils stand sie unter „jüdischem“ Einfluß und verstärkte die praktische Tendenz zur „Entleerung des Gebietsbegriffes“.21 Auch die Versuche einer Neubegründung vom nationalistischen Standpunkt imponierten ihm nicht, vermißte er doch in Formeln wie dem ‚Recht der Völker auf Land‘ (Luigi Valli) „erkennbare Abgrenzungen und Maßstäbe“.22 Die politische Praxis der internationalen Vertragswerke und Institutionen erschien ihm noch ganz von den Methoden der britischen Weltherrschaft geprägt, die wiederum doppelt bestimmt war: durch eine in Richtung eines universalistischen Weltvölkerrechts weisende Aufhebung echter Raumausgrenzungen, die den Unterschied zwischen europäischem und kolonialem Boden beseitigte, und durch die vom Interesse der Hegemonialmacht diktierte Festschreibung eines „krampfhaft staatsbezogene(n), raumverengende(n), kleinräumige(n) Staatenrecht(s)“.23 Zwar bestehe insofern Aussicht auf Änderung, als der britische Anspruch auf Weltherrschaft heute erschüttert sei. Doch sei die Gefahr groß, daß andere Staaten wie die USA „eine Verbindung oder gar Verschmelzung mit dem Reichtum und der Tradition des britischen Universalismus eingehen“ könnten.24 Zeitweilig glaubte Schmitt, diese Gefahr einer „translatio Imperii Britannici“ bannen zu können.25 Die Texte der Jahre 1939 und 1940 lassen sich jedenfalls als ein Appell an die Amerikaner lesen, nicht länger dem von Theodore Roosevelt und Woodrow Wilson eingeschlagenen Weg zu folgen, der zu einem „System des angelsächsischen Weltimperialismus“ führe.26 Statt dessen sollten sie sich auf den ursprünglichen, rein defensiven Sinn der Monroe-Doktrin besinnen, der in der „Verbindung von politisch erwachtem Volk, politischer Idee und politisch von dieser Idee beherrschtem, fremde Interventionen ausschließendem Großraum“ bestanden habe.27 Ein Staat, so die ausgesprochene Absicht dieser Strategie, der auf diese Verbindung seinen Legitimitätsanspruch gestützt habe, könne sich unmöglich dem Anspruch Deutschlands auf einen eigenen „Leistungsraum“ verschließen, der in diesem Fall in Mittel- und Osteuropa liege und durch die Tradition des Reichsgedankens legitimiert sei.28 Wenn die USA diesen Anspruch akzeptierten, sei eine neue Weltordnung nach Großräumen denkbar, in der „nur wenige Schöpfer und Gestalter der erdräumlichen Gesamtentwicklung“ übrig blieben.29 20

21 22 23 24 25 26 27 28 29

Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung (1941), S. 6. Vgl. dazu und zum folgenden Mehring, „Raumrevolution“ als Rechtsproblem, S. 104 f. Zum völkerrechtswissenschaftlichen Kontext vgl. Schmoeckel, Großraumtheorie. Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung (1941), S. 7, 9. Ebd., S. 10. Vgl. auch die Kritik an der mangelnden Tragfähigkeit des Volksbegriffs ebd., S. 46. Schmitt, Raum und Großraum im Völkerrecht (1940), in: Schmitt 1995, S. 249 f., 251. Ebd., S. 261. Ebd., S. 262. Ebd., S. 250. Vgl. Völkerrechtliche Großraumordnung (1941), S. 29. Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung (1941), S. 20. Vgl. ebd., S. 34 ff.; Blindow, Carl Schmitts Reichsordnung. Schmitt, Raum und Großraum im Völkerrecht (1940), in: Schmitt 1995, S. 260.

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Noch vor dem Kriegseintritt der USA scheint sich Schmitt indes von der Aussichtslosigkeit dieser Strategie überzeugt zu haben. Mit der ihm eigenen Reaktionsschnelligkeit begann er sich auf die neue Lage einzustellen und sein Denken weltkriegsfähig zu machen. Das geschah mittels dreier eng zusammenhängender Argumentationsketten. Mit der ersten verschärfte er den Gegensatz zu England, indem er einen im 16. Jahrhundert aufbrechenden elementaren Gegensatz zwischen Land und Meer aufmachte. In dieser Perspektive erschien England als ein alien unter den europäischen Staaten, der sich von der Bindung an Land und Boden befreit und für das Meer entschieden habe, für „das Gegenteil der spezifisch staatlichen, geschlossenen und begrenzten Raumvorstellung“.30 Von Anfang an sei deshalb das europäische Staatensystem und das ihm entsprechende Ius Publicum Europaeum mit einem Dualismus behaftet gewesen, habe es sich doch nicht bloß um den Gegensatz einer Seemacht zu Landmächten gehandelt, sondern um den „totale(n) Gegensatz von zwei beziehungslosen Welten“, den Gegensatz „zweier verschiedener Gesamthaltungen, denen verschiedene Geschichtsbilder, verschiedene Entwicklungsvorstellungen, verschiedene Humanitätsbegriffe und –ideale entsprechen.“31 So sei England niemals ein Staat gewesen, sondern nur eine „society“, wie es sich auch niemals auf die für einen Staat übliche Methode direkter Herrschaft verlassen, sondern statt dessen die Mittel der „indirect rule“ bevorzugt habe – übrigens auch und gerade gegenüber den Staaten des europäischen Kontinents, die es mithilfe der Freimaurerei, der ökonomischen Beherrschung der öffentlichen Meinung und endlich der liberalen Bewegung kontrolliert habe.32 Die zweite Argumentationskette erweiterte die Feindbestimmung um eine zweite Macht, die als eine „geographisch und strategisch eine den modernen Raumdimensionen und der planetarischen Weltlage entsprechende, größere und zentraler gelegene Insel“ vorgestellt wurde, von der aus „die bisherige britische See- und Weltmacht“ weitergeführt werden könne: die Vereinigten Staaten von Amerika.33 Durch ihren Kriegseintritt verwandle sich die gegenwärtige Auseinandersetzung in einen „Raumordnungskrieg größten Stils“, den ersten „planetarischen Ausmaßes“. In ihm stehe über den Gegensatz von Land und Meer hinaus der Gegensatz zwischen einer universalen Weltmacht und einer Einteilung der Erde in „kontinental zusammenhängende Großräume“ zum Austrag.34 „Gegen die Ansprüche einer universalen, planetarischen Weltkontrolle und Weltherrschaft verteidigt sich ein anderer Nomos der Erde, dessen Grundidee die Einteilung der Erde in mehrere, durch ihre geschichtliche, wirtschaftliche und kulturelle Substanz erfüllte Großräume ist.“35 Die dritte Argumentationskette stellte die Gründe zusammen, weshalb Deutschland in dieser Auseinandersetzung siegen mußte. Schmitt erschien dies allein schon deshalb 30 31 32 33 34 35

Schmitt, Staatliche Souveränität und freies Meer. Über den Gegensatz von Land und See im Völkerrecht der Neuzeit (1941), ebd., S. 406. Vgl. auch: Land und Meer (1942), S. 37, 66 f. Schmitt, Staatliche Souveränität und freies Meer (1941), in: Schmitt 1995, S. 408. Vgl. ebd., S. 419 ff. Schmitt, Beschleuniger wider Willen oder: Problematik der westlichen Hemisphäre (1942), ebd., S. 432; Land und Meer (1942), S. 72. Schmitt, Beschleuniger wider Willen (1942), in: Schmitt 1995, S. 433. Schmitt, Die letzte globale Linie (1943), ebd., S. 447.

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zwingend, weil die USA bereits in ihrer eigenen Hemisphäre keine wirkliche Ordnungsmacht seien, vielmehr richtungslos zwischen Intervention und Isolation hin und her schwankten.36 Wichtiger aber war, daß die technische, wirtschaftliche und militärische Entwicklung nicht in Richtung einer zentral gelenkten Weltordnung wies, sondern in die von Großräumen, die nach Schmitt Bereiche „völkischer Freiheit und weitgehender Selbständigkeit und Dezentralisierung“ sein würden.37 Hinzu komme, daß durch die Entwicklung der Technik, speziell der Luftfahrt, eine ganz neue Dimension erschlossen werde. „Die Eroberung des Luftraumes insbesondere schafft ein neues Weltbild, das die bisherige Trennung der Elemente von Land und Meer überwindet und neue Raumbegriffe, neue Maße und Dimensionen und damit auch neue Raumordnungen durchsetzt. Das ist mit dem Satz gemeint, den ich im vorigen Jahr ausgesprochen habe und den man oft mißverstanden hat: ‚Das Meer ist kein Element mehr, sondern ein Raum menschlicher Herrschaft geworden.‘ Diese Entwicklung geht zu einer neuen, die alten Gegensätze von Land und Meer überhöhenden Großraumordnung der Erde. Neue Kräfte und Energien tragen die neue Raumrevolution, und dieses Mal ist es das deutsche Volk, dem die Führung zukommt. Ab integro nascitur ordo.“38 2. Vieles von dem, was hier in groben Zügen skizziert wurde, läßt sich nun in der Tat auch bei Spengler finden. Das gilt für die starke Akzentuierung des Kampfcharakters im Verständnis des Politischen39 oder für die Ablehnung des Universalismus, die sich im Untergang des Abendlandes in einer schroffen Zurückweisung der Idee der Menschheit äußert und in einer Sicht der Kulturen als geschlossener Organismen wurzelt, welche „mit urweltlicher Kraft aus dem Schoße einer mütterlichen Landschaft, an die jede von ihnen im ganzen Verlauf ihres Daseins streng gebunden ist, aufblühen, von denen jede ihrem Stoff, dem Menschentum, ihre eigne Form aufprägt, von denen jede ihre eigne Idee, ihre eignen Leidenschaften, ihr eignes Leben, Wollen, Fühlen, ihren eignen Tod hat“.40 Es gilt für die enge Koppelung, die auch Spengler zwischen bestimmten „Universalideen“ und „großen Weltgedanken“ wie der „Weltwirtschaft“, dem „Liberalismus“ und der „echte(n) Internationale“ mit einer Form des „Imperialismus“ herstellt.41 Und es gilt nicht weniger für das Konzept der Raumrevolution als solches, dessen Umrisse bereits bei Spengler zu erkennen sind: etwa dort, wo er die um 1500 einsetzende „wachsende Erweiterung des geographischen Horizonts“ dafür verantwortlich macht, daß für „den höheren Menschen des Barock (…) zum ersten Male und im Unterschied von allen andern Kulturen die gesamte Oberfläche des Planeten zum Schauplatz menschlicher 36 37 38 39 40 41

Vgl. ebd., S. 444 ff.; Beschleuniger wider Willen (1942), ebd., S. 433 ff. Vgl. Schmitt, Beschleuniger wider Willen (1942), ebd., S. 433; Die Raumrevolution. Durch den totalen Krieg zum totalen Frieden (1940), ebd., S. 389. Schmitt, Staatliche Souveränität und freies Meer (1941), ebd., S. 422. Vgl. Land und Meer (1942), S. 74 ff. Vgl. Nitschke, Oswald Spengler und Carl Schmitt. Spengler, Untergang, S. 28 f. Vgl. Spengler, Preußentum und Sozialismus, S. 27, 52, 87.

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Geschichte (wurde)“ und ihm erstmals das Gefühl gab, „auf einer Kugel im Weltraum zu leben.“42 „Die Entdeckungen des Kolumbus und Vasco da Gama erweiterten den geographischen Horizont ins Ungemessene: das Weltmeer trat dem Festland gegenüber in das gleiche Verhältnis wie der Weltraum zur Erde. Jetzt erst entlud sich die politische Spannung des faustischen Weltbewußtseins. Für den Griechen war und blieb Hellas das wesentliche Stück der Erdfläche; mit der Entdeckung Amerikas wurde das Abendland zur Provinz in einem riesenhaften Ganzen. Von hier an trägt die Geschichte der abendländischen Kultur planetarischen Charakter.“43 Allerdings, und auch dies ist eine Parallele zu Schmitt, waren die Entdeckungen als solche nur der Auftakt zur abendländischen Expansion, die zum Prinzip zu erheben der spezifische Beitrag des „Puritanismus der Umgebung Cromwells“ war, „die das britische Kolonialreich ins Leben gerufen hatte“.44 Die These vom „unstaatliche(n) Societycharakter der englischen Herrschaft“ ist eine direkte Übernahme Spenglerscher Gedanken, auch wenn der Name des Urhebers nicht fällt, desgleichen die Vorstellung, man befinde sich im Zeitalter der kämpfenden Staaten, an dessen Ende nur wenige Reiche übrig blieben.45 Gleichwohl sind dies Gemeinsamkeiten nur der Oberfläche und nicht des gedanklichen Kerns. Für Schmitt ist die Raumrevolution ein zweistufiger Prozeß, der in seiner ersten Etappe durch die Tathandlung eines kollektiven Akteurs ausgelöst wird, um anschließend eine Eigendynamik zu entwickeln. Auch wenn die Entdeckungen des 16. Jahrhunderts eine „Gesamtleistung“ waren, an der alle west- und mitteleuropäischen Völker ihren Anteil hatten, war England doch der „Universalerbe“ jenes großen Aufbruchs, der Gewinner der „planetarische(n) Raumrevolution“.46 Während alle anderen Völker Europas das blieben, was sie waren: Söhne der Erde,47 entschied sich das englische Volk „gegen das Land und für das Meer“, genauer: für die „Weltozeane“. Es trennte seine Ehe mit dem Festland und schloß eine neue mit dem Meer, wodurch der Charakter der englischen Insel eine Mutation, eine Wesensverwandlung erlebte: „Sie wird jetzt entankert und entlandet. Sie wird aus einem Stück Erde zu einem Schiff oder gar zu einem Fisch“.48 Als Träger dieses kontingenten Aktes machte Schmitt „neue, aus der völkischen Kraft (…) entfesselte Energien“ aus,49 als dessen Folge einen „Gegensatz elementarer Ordnungen“, den „Zwiespalt der beiden Elemente“ Land und Meer, der für die Dauer der ersten Phase der Raumrevolution zum „Grundgesetz des Planeten“ wurde.50 42 43 44 45 46 47 48 49 50

Spengler, Untergang, S. 586. Ebd., S. 430. Ebd., S. 195. Vgl. ebd., S. 1049, 1069, 1081 ff. Schmitt, Land und Meer (1942), S. 36 f. Vgl. ebd., S. 3 f.; Das Meer gegen das Land (1941), in: Schmitt 1995, S. 396. Schmitt, Das Meer gegen das Land (1941), ebd., S. 396 f.; Staatliche Souveränität (1941), ebd., S. 409, 421. Schmitt, Das Meer gegen das Land (1941), ebd., S. 396 f.; Staatliche Souveränität (1941), ebd., S. 412. Schmitt, Staatliche Souveränität (1941), ebd., S. 422; Land und Meer (1942), S. 62 f. Unklar bleibt allerdings, wie elementar dieser Gegensatz tatsächlich ist, äußert Schmitt doch an einer Stelle die Ansicht, daß sich das Meer unter der englischen Herrschaft aus einem Element in bloßen Raum

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Kollektive Akteure kennt natürlich auch Spengler: „beseelte Masseneinheiten, Wesen höherer Ordnung, die langsam entstehen oder plötzlich da sind mit allen Gefühlen und Leidenschaften des einzelnen“51 und bestimmte Tathandlungen begehen: produzieren, auf Beute ausgehen, entdecken, besiedeln, missionieren, regieren, Revolutionen machen: Stände und Klassen, Ritterschaften und Orden, Parteien und Religionsgemeinschaften, Völker und Nationen. „Die gewaltigsten Wesen dieser Art, die wir kennen, sind die hohen Kulturen mit ihrer Geburt aus einer großen seelischen Erschütterung, die in einem tausendjährigen Dasein alle Mengen kleinerer Art, Nationen, Stände, Städte, Geschlechter zu einer Einheit zusammenfassen.“52 Bei Spengler sind diese Akteure jedoch in einen gänzlich anderen Bezugsrahmen eingebettet als bei Schmitt. Was sie zur Einheit macht, ihre Identität bestimmt, ist ihre „Seele“. Eine Seele aber konstituiert sich durch ein je spezifisches „Tiefenerlebnis“ im Augenblick ihres Erwachens, der stets zugleich die Konstituierung einer bestimmten „Welt“ ist: „Das schicksalhaft gerichtete Leben erscheint, sobald wir erwachen, im Sinnenleben als empfundene Tiefe. Alles dehnt sich, aber es ist noch nicht ‚der Raum‘, nichts in sich Verfestigtes, sondern ein beständiges Sich-dehnen vom bewegten Hier zum bewegten Dort. Das Welterlebnis knüpft sich ausschließlich an das Wesen der Tiefe – der Ferne oder Entfernung – deren Zug im abstrakten System der Mathematik neben Länge und Breite als ‚dritte Dimension‘ bezeichnet wird. (…) Die Tiefe repräsentiert den Ausdruck, die Natur; mit ihr beginnt die ‚Welt‘. (…) Erst die Tiefe ist die eigentliche Dimension im wörtlichen Sinne, das Ausdehnende. In ihr ist das Wachsein aktiv, in den andern streng passiv. Es ist der symbolische Gehalt einer Ordnung, und zwar im Sinne einer einzelnen Kultur, der sich zutiefst in diesem ursprünglichen und nicht weiter analysierbaren Element ausspricht. Das Erlebnis der Tiefe ist – von dieser Einsicht hängt alles Weitere ab – ein ebenso vollkommen unwillkürlicher und notwendiger als vollkommen schöpferischer Akt, durch den das Ich seine Welt, ich möchte sagen zudiktiert erhält.“53 Womit wir es hier zu tun haben, ist keine Tathandlung im Sinne Fichtes, sondern eher ein „Geschick“ im Sinne Heideggers. Eine Seele erwacht und im gleichen Augenblick wächst ihr eine Außenwelt zu „durch das Symbol der Dehnung, die von nun an das Ursymbol dieses Lebens bleibt und ihm seinen Stil und die Gestalt seiner Geschichte als der fortschreitenden Verwirklichung seiner innern Möglichkeiten gibt.“54 An einer anderen

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verwandelt habe (Das Meer gegen das Land [1941], in: Schmitt 1995, S. 398). Und auch mit dem Raum scheint es seitdem nicht weit her zu sein, ist doch immer wieder vom „raumaufhebenden und daher grenzenlosen Universalismus der angelsächsischen Meeresherrschaft“ die Rede, vom „raumlosen Universalismus“, der „jeden konkreten Raumgedanken“ aufgehoben habe: vgl. Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung 19414 , in: Schmitt 1995, S. 320; Die Auflösung der europäischen Ordnung im ‚International Law‘ (1940), ebd., S. 373; Die Raumrevolution (1940), ebd., S. 390. Die Definitionen des großen Definierers sind hier nichts weniger als klar. Spengler, Untergang, S. 577. Ebd., S. 578. Ebd., S. 217 f. Ebd., S. 225.

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Stelle ist zwar einmal von der „Wahl des Ursymbols“ die Rede, welche alles entscheide,55 doch handelt es sich dabei nicht um eine bewußte Auswahl von Möglichkeiten, um den Wahlakt eines Subjekts, das vielmehr erst zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt die Bühne betritt. Am Anfang steht das Chaos, das „Kosmische“, das „Es“, und wenn daraus, wie mehrfach geschehen, eine Kultur wird, ein geordnetes und gegliedertes Ganzes, so ist dies „ein Zufall, dessen Sinn nicht nachzuprüfen ist“.56 Es ist in diesem der Verfügbarkeit entzogenen Rahmen, daß sich Völker und Nationen bilden, die ersteren wiederum durch ein „Erlebnis“, das „Erlebnis des ‚Wir‘“, die letzteren durch das erwachende Bewußtsein ihrer selbst, das sich in der Orientierung an einer Idee zeigt.57 In beiden Fällen aber haben wir es mit nachgeordneten Erscheinungen zu tun, die sich in einer vorgefundenen Welt bewegen und weit davon entfernt sind, deren Struktur durch ihre Handlungen oder Entscheidungen bestimmen zu können: „die großen Kulturen sind etwas ganz Ursprüngliches und aus den tiefsten Gründen des Seelentums Aufsteigendes. Völker im Banne einer Kultur dagegen sind in ihrer inneren Form, ihrer ganzen Erscheinung nach nicht Urheber, sondern Werke dieser Kultur.“58 Von hier aus gelangte Spengler zu einer deutlich anderen Sicht der „Raumrevolution“ als Schmitt. Zunächst war „Ausdehnung“ für ihn mit dem Erwachen jeder Seele, daher auch jeder Kultur verbunden. „Die Wirklichkeit – die Welt in bezug auf eine Seele – ist für jeden einzelnen die Projektion des Gerichteten in den Bereich des Ausgedehnten“,59 Projektion der Zeit in den Raum, in den Makrokosmos. Sie verstärkte sich im gleichen Maße, in dem die Kultur dem Gesetz ihres Wachstums folgte und zur „Zivilisation“ wurde – einer vom Boden, von der Landschaft abgelösten, in „Weltstädten“ konzentrierten, auf der Verbindung von „Geld“ und „Geist“ basierenden hochartifiziellen Schwundstufe, in der die Seele allmählich erlischt. Der diesem Stadium korrespondierende „Imperialismus“ war deshalb nicht das Spezifikum einer bestimmten Kultur und schon gar nicht die Folge einer kontingenten Entscheidung, sondern ein ebenso ubiquitäres wie unvermeidliches Phänomen. „Die expansive Tendenz ist ein Verhängnis, etwas Dämonisches und Ungeheures, das den späten Menschen des Weltstadiums packt, in seinen Dienst zwingt und verbraucht, ob er will oder nicht, ob er es weiß oder nicht.“60 Das schloß nun allerdings die Existenz besonderer Spielarten des Imperialismus nicht aus. Wenn Kulturen durch Ursymbole definiert waren, Ursymbole aber nichts anderes als „Symbol(e) der Dehnung“,61 dann folgte daraus, daß jede Kultur ihre eigene Art der Expansion, mithin auch des Imperialismus besaß. Im Falle der abendländischen Kultur, die Spengler ab dem Jahr 1000 n. Chr. beginnen ließ, war dieses Ursymbol bestimmt durch „das Zeichen des reinen, unanschaulichen, grenzenlosen Raumes“, dem der „Tiefendrang (…) über alle Grenzen optisch gebundener Sinnlichkeit hinaus“ entsprach.62 55 56 57 58 59 60 61 62

Ebd., S. 233. Ebd., S. 596, 598. Vgl. ebd., S. 754, 761. Ebd., S. 760. Ebd., S. 211. Ebd., S. 51. Ebd., S. 225. Ebd., S. 110, 255.

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Während sich die ägyptische Kultur im Zeichen des Weges, die magische im Zeichen der Höhle, die antike im Zeichen des Körpers entfaltete, die allesamt an die Erscheinungen der Sinnenwelt gebunden blieben, zeichnete sich die abendländische, die „faustische Kultur“ durch den „immer stärker ins Bewußtsein tretenden Willen zur räumlichen Transzendenz“ aus, durch „die Tendenz eines Wachseins, den reinen unendlichen Raum als die unbedingte Wirklichkeit höchster Ordnung und alle sinnlichen Gebilde ‚in ihm‘ als zweiten Ranges und bedingt zu empfinden“, was in der Folge zur „Entkörperung der Welt im Dienste des Raumes“ führte.63 Raum und Wille wurden in dieser Kultur identisch. „Der reine Raum des faustischen Weltbildes ist nicht bloße Dehnung, sondern Ausdehnung in die Ferne als Wirksamkeit, als Überwindung des Nur-Sinnlichen, als Spannung und Tendenz, als geistiger Wille zur Macht.“64 Seinen Niederschlag fand dieser Wille zur Macht in der „faustische(n) Technik, die mit dem vollen Pathos der dritten Dimension, und zwar von den frühesten Tagen der Gotik an auf die Natur eindringt, um sie zu beherrschen“, in einem spezifisch „faustische(n) Materialismus“, „in dem die technische Weltanschauung ihre Vollendung erreicht“, und nicht zuletzt im „faustische(n) Gelddenken“, „das ganze Kontinente, die Wasserkräfte riesenhafter Stromgebiete, die Muskelkraft der Bevölkerung weiter Landschaften, Kohlenlager, Urwälder, Naturgesetze (‚erschließt‘) und sie in finanzielle Energie um(wandelt), die irgendwo in Gestalt der Presse, der Wahlen, der Budgets und Heere angesetzt wird, um Herrscherpläne zu verwirklichen.“65 Es war diese Eigenart, die dem abendländischen Imperialismus seinen planetarischen Charakter verlieh und ihn von allen anderen Imperialismen der Kulturgeschichte unterschied: „Der babylonische hatte sich auf Vorderasien, der indische auf Indien beschränkt, der antike fand seine Grenzen in Britannien, Mesopotamien und der Sahara, der chinesische am Kaspischen Meer. Wir kennen keine Grenze. Wir haben Amerika durch eine neue Völkerwanderung zu einem Teil Westeuropas gemacht; wir haben alle Erdteile mit Städten unsres Typus besetzt, unsrem Denken, unsren Lebensformen unterworfen. Es ist der höchste überhaupt erreichbare Ausdruck unsres dynamischen Weltgefühls. Was wir glauben, sollen alle glauben. Was wir wollen, sollen alle wollen. Und da Leben für uns äußeres Leben, politisches, soziales, wirtschaftliches Leben geworden ist, so sollen alle sich unserm politischen, sozialen, wirtschaftlichen Ideal fügen oder zugrunde gehen.“66 Gewiß: auf lange Sicht war dieser faustische Imperialismus zum Untergang, genauer: zur Selbstzerstörung verurteilt, aus vielerlei Gründen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann.67 Ebenso muß hier nicht ausgeführt werden, daß Spengler innerhalb dieses Imperialismus Alternativen kannte, die plakativ mit Dualen wie Sozialismus und Kapitalismus, Ordensgeist und Wikingergeist, Preußen und England benannt wurden. 63 64 65 66 67

Ebd., S. 292, 366, 236. Ebd., S. 396. Ebd., S. 1186, 940, 1168. Spengler, Preußentum und Sozialismus, S. 22. Vgl. Sieferle, Die Konservative Revolution, S. 106 ff.

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Worauf es an dieser Stelle ankommt, ist die Abweichung von Spenglers Verständnis der abendländischen Raumrevolution gegenüber demjenigen von Schmitt, und dies ist auch von dem bisher Gesagten her erkennbar. Beide Autoren stimmen zwar in der unbedingten Bejahung des technischen Fortschritts überein und weisen kategorisch zurück, was auf diesem Gebiet nach Reaktion oder auch nur nach „Katechontik“ aussieht,68 verbinden dies aber mit entgegengesetzten Deutungen. Für Spengler ist dieser Fortschritt ein „Geschick“, das untrennbar mit der faustischen Kultur verbunden ist und deshalb auch allen Mächten zugerechnet werden muß, die in der Phase der Zivilisation um die Weltherrschaft kämpfen. Auch wenn in diesem Kampf Preußen-Deutschland die Führung gewinnen sollte, wäre dies doch nur ein Sieg der besser organisierten Variante des planetarischen Imperialismus, keinesfalls ein Sieg der auch in Deutschland längst dahingeschwundenen „Kultur“ im emphatischen Sinne des Wortes. Für Schmitt dagegen ist der Fortschritt das Ergebnis einer Wahlhandlung, die auch anders hätte ausfallen können, die aber in ihrem Ergebnis – den neuen Technologien der Großraumwirtschaft – die Möglichkeit eröffnet, die Verbindung dieses Fortschritts mit dem planetarischen Imperialismus zu lösen und eine neue, konkrete Ordnung nach Großräumen zu installieren, die zwar nicht mehr mit dem Nationalstaatensystem des 19. Jahrhunderts identisch ist, jedoch unverkennbar ein Derivat desselben darstellt. Mit ihr soll es möglich sein, den „Sprung in das Nichts einer bodenlosen Allgemeinheit“ rückgängig zu machen, der mit dem planetarischen Imperialismus verbunden war, und die Völker aus der bisherigen, „abgründige(n) Raumrevolution“ zu einem neuen „Nomos der Erde“ zu führen, der wieder auf Grund und Boden gestützt ist69 – ein Programm, das zwar nicht völkisch ist,70 sehr wohl aber nationalistisch, wird doch für den mittel- und osteuropäischen Großraum sehr klar die ‚führende und tragende Macht‘ benannt, deren politische Idee in diesen Großraum ausstrahlt und für diesen die Interventionen fremdräumiger Mächte grundsätzlich ausschließt: das Deutsche Reich als eine „wesentlich volkhaft bestimmt(e) und eine wesentlich nichtuniversalistische, rechtliche Ordnung auf der Grundlage der Achtung jedes Volkstums“.71 Daß ein derart neu geerdeter Nationalismus ausgerechnet von einer Technik gestützt werden soll, die sich mit der Erschließung des Luftraums am 68

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Den Begriff des „kat-echon“ im Sinne einer das längst fällige apokalyptische Ende der Zeiten aufhaltenden Macht hat Schmitt 1942 in einer Polemik gegen die Politik Roosevelts eingeführt (vgl. Schmitt, Beschleuniger wider Willen [1942], in: Schmitt 1995, S. 436). Er hat dort ideologiekritische Bedeutung, insofern er auf eine Widerlegung des amerikanischen Anspruchs zielt, das Ende der alten angelsächsischen Weltherrschaft verzögern zu können. Erst in Schmitts Nachkriegsschrifttum erscheint der Begriff in modernitätskritischer Beleuchtung. Zum Konzept als solchem vgl. Schuller, ‚Dennoch die Schwerter halten‘; Meuter, Der Katechon; Motschenbacher, Katechon oder Großinquisitor, S. 187 ff.; Groh, Arbeit an der Heillosigkeit der Welt, S. 36 ff., 291 ff. Schmitt, Die Auflösung der europäischen Ordnung im ‚International Law‘ (1940), in: Schmitt 1995, S. 377; Staatliche Souveränität und freies Meer (1941), ebd., S. 410; Die letzte globale Linie (1943), ebd., S. 447; Raum und Großraum im Völkerrecht (1940), ebd., S. 240. Als „völkisch“ wird dieses Konzepts von Ronge, „Der Mensch ist ein Landtreter“, S. 80 f. gedeutet, offenbar von einem Verständnis her, das eine Verbindung von Volk/Nation und Boden als maßgeblich ansieht. Aber ein territorialer Bezug ist für jede politische Gemeinschaft charakteristisch und deshalb noch lange nicht „völkisch“. Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung (1941), S. 36 f. Man kann darin zwar mit Hofmann „das Ende der nationalstaatlichen Ordnung Europas“ sehen, sollte aber hinzufügen, daß sich dieses

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weitesten vom herkömmlichen Zeit-Raum-Gefüge entfernt, ja in mancher Hinsicht sogar eine Ablösung von allem Elementarischen überhaupt bedeutet, ist nicht die kleinste Paradoxie, an der dieser neue Nomos der Erde laboriert. In dieser Hinsicht war Spengler der größere Realist. 3. Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als habe Schmitt nach 1945 noch einmal neu angesetzt und sich dabei der Position Spenglers angenähert. Während in den Texten der 40er Jahre die Wendung Englands zum Meer als nationales Projekt erscheint, wird sie nun zu einer „response“ im Sinne von Toynbee, der eine „challenge“ vorausgeht.72 Aus der Wahlhandlung eines aktiven Subjekts wird ein passives „Vernehmen“, das auf „Anrufe“ reagiert, welche teils aus der „Zeit“ bzw. der „Geschichte“ kommen, teils aus der Natur selbst. Die Rede ist vom „geschichtlichen Anruf der Zeit“, den die Engländer im Unterschied zu ihren europäischen Rivalen vernommen hätten, vom „Anruf der sich öffnenden Weltozeane“, die „die Völker der Erde zu einer neuen Art geschichtlicher Existenz“ herausgefordert hätten, von der besonderen Natur des Meeres, die die Menschen in ganz anderer Weise als das Land bedroht und zu Techniken gedrängt habe, welche „auf eine unbedingte Herrschaft des Menschen über die Natur angelegt“ gewesen seien. Dem habe auf der anderen Seite auch „ein Anruf des Landes“ entsprochen, womit die als Pendant zur englischen „Seenahme“ vor allem von den Russen vorgenommene „Landnahme“ gemeint ist.73 Gewiß, nicht alle, sondern nur einige wenige Völker haben diese „Anrufe“ angenommen und insofern durchaus eine subjektive Zutat erbracht. Voraussetzung war jedoch in jedem Fall eine Herausforderung, eine „Frage“, ein einmaliges „geschichtliches Ereignis“, in dem Schmitt „das uralte Arcanum der Ontologie“ ausmacht.74 Und die Verarbeitung dieses Ereignisses wird ihrerseits zum Anlaß für Entwicklungen, die gänzlich außerhalb der menschlichen Verfügbarkeit liegen: „Der Schritt zu einer rein maritimen Existenz bewirkt in sich selbst und in seiner weiteren inneren Folgerichtigkeit die Entfesselung der Technik als einer eigengesetzlichen Kraft. Bei allem, was sich vorher innerhalb einer wesentlich terranen Existenz an Technik entwickelt hatte, gab es keine absolute Technik. (…) Während in einer terranen Ordnung jede technische Erfindung von selbst in feste Lebensordnungen hineinfällt und von diesen erfaßt und eingeordnet wird, erscheint in einer maritimen Existenz jede technische Erfindung als ein Fortschritt im Sinne eines in sich selbst absoluten Wertes. (…) Alles weitere sind nur die immer schneller werdenden Schritte in den Bereich der

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Ende nur auf die europäischen Staaten außerhalb Deutschlands bezieht (Hofmann, Legitimität und Legalität, S. 223). Vgl. Schmitt, Gespräch über die Macht (1994), S. 57 f. Einige Hinweise zur Toynbee-Rezeption Schmitts bietet der Kommentar von Günter Maschke zu Schmitt, Die Einheit der Welt (1951), in: Schmitt 2005, S. 860. Schmitt, Gespräch über die Macht (1994), S. 52 ff.; Die geschichtliche Struktur (1955), S. 159, 161. Schmitt, Die geschichtliche Struktur (1955), S. 152, 148.

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Uferlosigkeit, den jener ungeheuerliche Start der industriellen Revolution des 18. Jahrhunderts eröffnet hat.“75 Einige Jahre zuvor, in einem mehrfach in Spanien gehaltenen Vortrag, war Schmitt noch einen Schritt weiter gegangen und zu dem Schluß gelangt: „Man könnte sagen, daß heute die Technik und nicht die Politik das Schicksal der Menschheit sei, die Technik als unwiderstehlicher Prozeß der absoluten Zentralisation.“76 Daß sich in der modernen Technik ein Strukturzusammenhang manifestierte, der sich nicht einfach a conto individueller oder kollektiver Subjekte schreiben ließ, war ein Gedanke, der sich ebenso im Untergang des Abendlandes finden ließ wie die These von der Eigendynamik der modernen Maschinenzivilisation, die den faustischen Menschen zum Sklaven seiner Schöpfung macht. Insofern ist dem Kommentar zuzustimmen, Schmitts Aussagen wirkten wie eine Folgerung aus Spenglers Schriften.77 Bis auf wenige Ausnahmen78 sind es Texte in dem Jahrzehnt nach 1945, in denen Schmitt häufiger auf Spengler rekurriert, in einer Phase mithin, in der der planetarische Imperialismus gesiegt hat und die zuvor ins Auge gefaßte Alternative einer Gliederung der Welt in national-imperiale Großräume vorläufig nicht mehr auf der Tagesordnung steht, da die einzig verbliebene nicht-westliche Großmacht – die Sowjetunion – in Schmitts Weltbild nur eine andere Variante des Universalismus verkörpert, die nicht zufällig eine Verbindung mit dem westlichen Kapitalismus eingegangen sei.79 Man geht kaum fehl, wenn man dieses Revirement in jene Wendung von der Tat zur Gelassenheit, von der Aktion zur Reaktion einordnet, wie sie für die Denkentwicklung vieler Aktivisten der intellektuellen Rechten in Deutschland nach 1945 typisch ist.80 Eine genauere Analyse zeigt jedoch, daß auch in dieser Phase die Unterschiede zu Spengler größer sind als die Gemeinsamkeiten. Schon im Nomos der Erde sah sich Schmitt nicht veranlaßt, wesentliche Umdispositionen in seiner Darstellung der Entstehung der modernen globalen Ordnung vorzunehmen, wie er auch unbeirrt daran festhielt, daß die eigentliche Ursache für die Verschärfung der weltpolitischen Konflikte zum Vernichtungskrieg in „Genf“ und „Versailles“ lag.81 Es überrascht deshalb auch nicht, wenn die zweite, 1954 erschienene Auflage von Land und Meer nur minimale Änderungen

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Ebd., S. 162, 164. Schmitt, Die Einheit der Welt (1951), in: Schmitt 2005, S. 842. Vgl. ebd., S. 854. Dazu gehört vor allem die eingangs zitierte Formulierung in Schmitt, Raumrevolution (1942), S. 220. Bei diesem Text handelt es sich indes um einen Vorabdruck aus der noch im gleichen Jahr erschienenen Schrift Land und Meer. Die erwähnte Zwischenüberschrift findet sich dort nicht mehr. Ich vermute deshalb, daß es sich um eine Einfügung der Redaktion handelt, da Schmitt in keiner anderen Schrift Spenglers Kategorie des Faustischen verwendet. Vgl. Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung (1941), S. 37; Strukturwandel des Internationalen Rechts (1943), in: Schmitt 2005, S. 669. Vgl. Morat, Von der Tat zur Gelassenheit; Starobinski, Aktion und Reaktion. Vgl. Schmitt, Der Nomos der Erde (1974), S. 144 ff., 219 ff. Die erste Auflage erschien 1950.

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gegenüber der Erstfassung aufweist,82 die nicht den Kern der Argumentation tangieren: die Behauptung einer weltgeschichtlichen Zäsur, die aus der Entscheidung Englands für eine maritime Existenz resultierte. Wohl bedeutet der Rekurs auf die „Challenge-Response-Struktur der Kulturgeschichte“83 eine gewisse Erweiterung der Perspektive, doch nicht in dem Sinne, daß nun Natur und/oder Geschichte in die Rolle des entscheidenden Subjekts einrückten. Als bloße Natur sind Elemente wie Land und Meer keiner Spannung fähig. Erst in der Aufnahme durch den Menschen, bei dem „das Transzendierende immer durch(schlägt)“, gewinnen sie diese Dimension und werden zum Moment einer „konkreten Dialektik“, bei der die subjektive Seite, mit Hegel zu reden, die Vermittlung vorgibt.84 „Wären Land und Meer im heutigen Welt-Dualismus nur eine polare, auf Ausgleich und Wiederkehr angelegte Verschiedenheit, dann müßten wir die beiden Elemente als ein Stück Natur ansehen. (…) In der geschichtlichen Wirklichkeit aber treten zu bestimmten Zeiten handlungsfähige und geschichtsmächtige Völker und Gruppen auf, die in geschichtlicher Freundschaft oder Feindschaft die Erde nehmen und teilen und zu ihrem Teil auf ihr weiden und wirtschaften. So entsteht durch geschichtliche Verortungen der Nomos der Erde. Er wird seines eigentlichen Heute und Hier beraubt, wenn die Elemente Land und Meer, von denen hier die Rede ist, nur ein Stück Natur und natürlicher Spannung bedeuten sollen.“85 Auch der „Anruf der Geschichte“ muß in diesem Sinn als kontingentes Faktum verstanden werden, das lediglich eine neue Chance eröffnet. Eine bestimmte Richtung oder Stufe der Entwicklung ist damit nicht vorgegeben, wie Schmitt nicht nur gegen Comte und Marx, sondern expressis verbis auch gegen Spengler einwendet. Diesem wird zwar bescheinigt, die ‚große Parallele‘ richtig erkannt zu haben, die „zwischen unserer Gegenwart und der Zeit der römischen Bürgerkriege und des Cäsarismus liegt“, doch habe er diese Einsicht „durch eine allgemeine Kulturkreis-Lehre der ganzen menschlichen Geschichte neutralisiert und ihren eigentlich geschichtlichen Nerv dadurch getötet.“86 Vollends inakzeptabel findet Schmitt den in Spenglers Technikschrift aufgezeigten „heroischen Ausweg“, der die verzweifelte Hinnahme des Unvermeidlichen verlange. „Im Grunde führt dieser Ausweg zum Selbstmord, aber zu einem Selbstmord von schrecklichen Ausmaßen. Denn wenn die Welt und die Menschheit sich mittels der Technik in eine einzige, mit Händen zu greifende Einheit verwandeln, d. h., um es so zu sagen, in eine einzige Person, in einen ‚magnus homo‘, dann vermag sich dieser ‚magnus homo‘ mit den Mitteln der Technik selbst auszulöschen. Die Stoiker der Antike sahen in der Möglichkeit des philosophischen Selbstmordes eine Art menschliches Sakrament. Vielleicht ist es phantastisch, jedoch nicht völlig undenkbar, daß die Menschheit diesen Akt vorsätzlich begeht. Die technische Einheit der Welt ermöglicht auch den technischen Tod der Menschheit und dieser Tod wäre der Kulminationspunkt der Universalgeschichte, ein kollektives Analogon der stoischen Konzeption, nach der der Selbstmord des Individu82 83 84 85 86

So wird beispielsweise die antisemitische Qualifizierung Disraelis als eines „Weisen von Zion“ gestrichen: vgl. Schmitt, Land und Meer (1942), S. 67 mit Land und Meer, (1954), S. 56. Schmitt, Die geschichtliche Struktur (1955), S. 152. Vgl. ebd., S. 150 f. Ebd., S. 148. Ebd., S. 154.

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ums seine Freiheit darstellt und das einzige Sakrament, das der Mensch selbst verwalten kann.“87 In den 50er Jahren meinte Schmitt, dieser „erschreckenden Perspektive“ allein mittels eines Rückgriffs auf die verschiedenen Möglichkeiten eines christlichen Geschichtsbildes begegnen zu können.88 Das ist hier nicht zu vertiefen, zumal Schmitt diese „Rechristianisierung seines Werkes“ schon bald wieder zurückgenommen hat,89 ist aber als weiteres Indiz seiner Opposition gegen Spengler erwähnenswert, für den die zum Cäsarismus gehörende Glaubensgestalt die ‚zweite Religiosität‘ war, eine Wiederkehr und Vereinfachung älterer, primitiver Formen, Ausdruck einer Geschichte, „die ins Geschichtslose übergeht“.90 Eine neue Kraft, die sich dem planetarischen Imperialismus entgegenwarf, machte Schmitt dagegen in den 60er Jahren in der antikolonialen Bewegung und in der Figur des Partisanen aus. Zwar akzeptierte er diese keineswegs vorbehaltlos, störte ihn doch der in dieser Bewegung mitschwingende antieuropäische Affekt ebenso wie der Einschlag kommunistischer Doktrinen, der bei der Befreiung Chinas, Indochinas oder Kubas eine wichtige Rolle spielte.91 Gleichzeitig aber beeindruckte ihn die „tellurische“ Komponente, die dem Partisanentum seit der antinapoleonischen Guerilla in Spanien eignete und ihm seinen grundsätzlich defensiven Charakter verlieh.92 Soweit dieser im Vordergrund stand, etwa in Rußland 1812, in Tirol und Preußen 1813, aber auch noch im China der 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts, bedeutete „der Partisan immer noch ein Stück echten Bodens“, war er „einer der letzten Posten der Erde als eines noch nicht völlig zerstörten weltgeschichtlichen Elements.“93 Und im Gegensatz zum letzten römischen Soldaten Spenglers, der stoisch auf seinem Posten ausharrte, war er ein außerordentlich erfolgreicher Kämpfer, der mit seiner irregulären Taktik Großmächte in die Knie zu zwingen und den Übergang von der One-World zu einer neuen pluralistisch-multipolaren Weltordnung durchzusetzen vermochte.94 So schien am Ende zumindest für eine gewisse Zeitspanne die antispenglerische Vision einer Gliederung der Welt in Großräume zu triumphieren. Zwar wollte Schmitt sich nicht blind machen für die objektiven Notwendigkeiten der industriell-technischen Entwicklung, denen auch der Partisan zu entsprechen habe, doch warnte er davor, an die moderne Technik zu glauben, wie die Mexikaner an die weißen Götter glaubten. Wenn erst einmal die neuen Großräume stabilisiert seien, dann werde man sehen, „daß Nationen und Völker die notwendige Kraft besitzen, um sich inmitten der industriellen Entwicklung zu behaupten und sich selber treu zu bleiben und, daß auf der anderen Seite Nationen und Völker ihr Gesicht verlieren, weil sie 87 88 89 90 91 92 93 94

Schmitt, Die Einheit der Welt (1951), in: Schmitt 2005, S. 849. Vgl. ebd.; Drei Stufen historischer Sinngebung (1950). Vgl. Mehring, Carl Schmitt, S. 472. Spengler, Untergang, S. 942 ff., 1004. Vgl. Schmitt, Die Ordnung der Welt (1962); Theorie des Partisanen (1975), S. 19, 77 ff. Vgl. Schmitt, Theorie des Partisanen (1975), S. 26. Ebd., S. 73 f. Vgl. ebd., S. 62; Die Ordnung der Welt (1962), S. 22. Näher dazu: Kervégan, Carl Schmitt and ‚World Unity‘, S. 68 ff.

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E  S S? ihre menschliche Individualität dem Götzen einer technisierten Erde opfern. Dann wird sich zeigen, daß die neuen Großräume ihre Mitte und ihren Inhalt nicht nur von der Technik empfangen, sondern auch von der spirituellen Substanz der Menschen, die für ihre Entwicklung zusammenarbeiten, auf Grund ihrer Religion und ihrer Rasse, ihrer Kultur und ihrer Sprache und auf Grund der lebendigen Kraft ihres nationalen Erbes.“95

Auch für den späten Schmitt, soviel läßt sich resümieren, ist die „Zivilisation“, selbst nicht die „planetarische“ des Abendlandes, kein Schicksal, kein irreversibles Endstadium. Da sie im Unterschied zu Spengler nicht aus der Entfaltung einer Seele erwächst, sondern aus einer einmaligen geschichtlichen Situation, im übrigen auch „mehr maritim bestimmt ist“ als die Kultur, welche „mehr terran“ verankert ist,96 bleibt diese letztere neben der Zivilisation, neben den universalistischen Mächten von Wissenschaft, Technik und Industrie bestehen, auf deren Boden sich, als ihr Widerpart und Antagonist, immer wieder bilden soll, worauf schon der Schmitt der Weimarer Zeit seine Zuversicht setzte: eine „starke Politik“, die sich der neuen Technik als eines Instruments bedient.97 Davon hatte auch Spengler geträumt. Doch während bei ihm das Subjekt dieser starken Politik ein Produkt der Zivilisation war: eine formlose Gewalt, setzte Schmitt auf ein Produkt der Kultur: Völker im Stil einer Kultur, konkrete geschichtliche Existenzen mit unverwechselbarer Identität, mit Spengler gesprochen: Nationen.98 Spengler und Schmitt: das ist nicht die vage Einheit einer „konservativen Revolution“, es ist die Alternative planetarischer Imperialismus versus Nationalismus.

95 96 97 98

Schmitt, Die Ordnung der Welt (1962), S. 28. Schmitt, Die geschichtliche Struktur (1955), S. 163. Schmitt, Begriff des Politischen (1979), S. 94. Vgl. Spengler, Untergang, S. 761.

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–: Das neue Gesicht der Nationalitätenfrage in Europa, in: Wilhelm Arntz (Hrsg.): Außenpolitische Studien. Festgabe für Otto Köbner, Stuttgart 1930, S. 159–211. –: Die moderne Nation. Ein Beitrag zur politischen Soziologie, Tübingen 1931. –: Autoritärer oder totaler Staat, Tübingen 1932. Zweig, Egon: Die Lehre vom Pouvoir Constituant. Ein Beitrag zum Staatsrecht der französischen Revolution, Tübingen 1909.

Personenverzeichnis

Adams, Paul 17, 32, 44, 174 Adler, Max 114, 140 Agrippa von Nettesheim 18 Anschütz, Gerhard 64, 87, 122 Arendt, Hannah 115 Arnim, Achim von 35 Bahr, Hermann 29 Bakunin, Michail Alexandrowitsch 15, 43f. Balke, Friedrich 7, 9, 66, 104 Ball, Hugo 28, 43 Barlach, Ernst 17 Bartels, Adolf 200 Becher, Johannes R. 25 Bechstein, Ludwig 23 Beck, Ludwig 232 Becker, Jürgen 11 Becker, Werner 41, 174, 233f. Beckerath, Erwin von 72, 77, 149, 179 Beer, Rüdiger Robert 234 Benjamin, Walter 115 Bernanos, Georges 211 Bieberstein, Marschall von 188 Bierbaum, Otto Julius 23 Bilfinger, Carl 133, 227 Bismarck, Otto von 131, 150, 166, 194, 210 Blei, Franz 33, 43 Bloy, Léon 237 Blüher, Hans 186 Bobbio, Norberto 173 Bodin. Jean 48, 54

Böckenförde, Ernst-Wolfgang 64, 105 Boehm, Max Hildebert 156, 178, 201 Bohrer, Karl Heinz 37 Bonald, Louis-Gabriel-Ambroise de 35, 39, 60 Bourdieu, Pierre 10 Brauweiler, Heinz 177–179 Brinkmann, Carl 84, 125, 145 Bruckmann, Elsa 23f., 29 Bruckmann, Hugo 23 Brüning, Heinrich 117, 134, 140, 145, 147, 149, 177f., 181, 196, 224, 234 Brunner, Otto 93 Buber, Martin 30 Burke, Edmund 39 Caldwell, Peter C. 8 Calker, Friedrich von 22 Cannistraro, Philip 165 Caracciola-Delbrück, Günther 255 Caspar, Karl 23 Chamberlain, Houston Stewart 24, 200 Clausing, Clausing 82 Cohen, Hermann 14 Cole, George Douglas Howard 123 Collini, Stefan 10 Comte, Auguste 35, 83, 270 Condorcet, Marie Jean Antoine 64 Cosack, Konrad 82 Craemer, Rudolf 234 Däubler, Helene

25

300 Däubler, Theodor 10, 15–21, 23, 25–27, 29– 32, 40, 43f., 47, 177, 179 Daniels, Wilhelm 145 Darwin, Charles 90 Dertinger, Georg 255 Descartes, René 36, 38 Dilthey, Wilhelm 133, 155, 195 Dinter, Artur 200 Dix, Otto 17 Döllinger, Ignaz von 18 Donoso Cortes, Juan 39 Dostojewski, Fjodor 23 Droysen, Gustav 133 Drumont, Edouard 211 D’Annunzio, Gabriele 74 Ebert, Friedrich 117 Eckart, Dietrich 200 Eckhardt, Karl August 230 Eckhart (Meister) 18f., 30 Egret, Jean 49 Ehrhardt, Hermann 15, 46 Eichendorff, Joseph von 35 Einbeck, Walter 25 Eisler, Fritz 16 Eisner, Kurt 29 Elbrechter, Hellmuth 149 Engels, Friedrich 129 Eschenburg, Theodor 178 Eschmann, Ernst Wilhelm 75f., 144, 234 Eschweiler, Karl 174, 179 Estel, Bernd 156 Faye, Jean Pierre 162, 165, 178, 202 Feuchtwanger, Ludwig 152, 156, 175 Fickel, Georg 228 Fischer, Hugo 174f. Forsthoff, Ernst 104, 113, 162, 164–167, 169, 174f., 178, 187–193, 199f., 208–210, 212f., 215–217, 226–230, 233f., 242 Forsthoff, Heinrich 187 Foucault, Michel 10 Fourier, Charles 28 Fraenkel, Ernst 111, 113–117, 119, 121, 126– 130, 134, 137f., 140, 153, 173, 229f. Freyer, Hans 49, 133, 154, 166, 170, 209, 223 Freytagh-Loringhoven, Axel von 63 Fried, Ferdinand 144, 152f. Friedrich, Heinz 81 Friesenhahn, Ernst 174, 192

P Furet, François

55, 59

Gangl, Manfred 89 Gauchet, Marcel 53 Gayl, Wilhelm Freiherrn von 135f., 214, 222 Gehlen, Arnold 22 Geiger, Theodor 115 George, Stefan 23f. Gerstenmaier, Eugen 178 Geßler, Otto 188, 192f. Geulincx, Arnold 36 Gierke, Otto von 115 Giesler, Gerd 11, 19 Glatzel, Frank 199 Gliem, Armin 11 Göppert, Heinrich 181 Göring, Hermann 225 Gogarten, Friedrich 178 Gossler, Ascan 244 Grandi, Dino 74 Grewe, Günther 75 Grewe, Wilhelm 11, 75, 174, 186, 211–213, 226–229, 234f., 242–251 Groh, Ruth 27 Gross, Otto 25, 43f. Groß, Otto 44 Grosz, George 17 Grueneberg, Horst 144–148, 152, 174, 205 Guardini, Romano 233, 235 Günther, Agnes 202 Günther, Albrecht Erich 75, 167, 174, 186, 200, 202–210, 212, 214, 218, 225–227, 229, 231, 243f., 248 Günther, Gerhard 200, 202, 206, 232, 243 Guizot, François 46 Gurian, Waldemar 41, 43, 70, 148, 174, 222, 233–242 Habermann, Max 200, 212, 224 Habermas, Jürgen 10, 37 Harnack, Adolf von 18f., 144 Hartwich, Wolf-Daniel 43 Heckel, Johannes 219f. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 21, 28, 36, 45, 49, 120, 131–133, 165, 170, 270 Hegner, Jakob 33 Heidegger, Martin 42, 264 Heinz, Friedrich Wilhelm 232 Heller, Hermann 37, 74, 89, 116f., 130, 152, 239

P Hellingrath, Norbert von 24 Hellpach, Willy 75 Herbert, Ulrich 9 Herrfahrdt, Heinrich 138 Hertfelder, Thomas 10 Herzog, Wilhelm 31 Heuss, Theodor 132 Hilferding, Rudolf 115 Hindenburg, Paul von 135, 206, 214, 217, 222, 224, 234, 247, 249 Hitler, Adolf 68, 99, 101, 111, 117, 138, 140, 164, 181, 216f., 223–226, 230, 232, 241, 243, 247, 250 Hobbes, Thomas 50f., 53, 61f. Hofmann, Hasso 8, 42, 267 Hofmannsthal, Hugo von 24, 29 Horkheimer, Max 79 Huber, Ernst Rudolf 9, 11, 66, 130, 134, 150, 165, 167–171, 173f., 178, 180–189, 192f., 196, 200, 209–215, 218–221, 223–230, 233f., 237, 242, 249 Huch, Ricarda 29 Hugo, Victor 28, 70 Jacobi, Erwin 133 Jaspers, Karl 155 Jawlensky, Alexej von 23 Jean-Pierre Faye 191 Jefferson, Thomas 64 Jestaedt, Rudolf 9 Jünger, Ernst 24, 44, 148, 160f., 166f., 169, 174f., 188f., 200, 203–208, 212, 216, 243, 252f., 258 Jung, Edgar Julius 175, 178 Jung, Franz 25 Kaas, Ludwig 222 Kandinsky, Wassily 23 Kassner, Rudolf 24 Kehr, Eckart 115 Kelsen, Hans 14, 65, 84, 101, 106, 131 Kemp, Friedhelm 17 Kempner, Robert 227 Kiefer, Wilhelm 201 Kierkegaard, Sören 37, 41–43 Kirchheimer, Otto 96, 111, 113–119, 121f., 126–130, 134, 137–140, 146, 173, 183, 233f. Klages, Ludwig 24, 29 Kluxen, Franz 16 Koch-Weser, Erich 211

301 Koellreutter, Otto 150, 156 Kolbenheyer, Guido 33, 202, 231 Kollmann, Albert 17 Kommerell, Max 24 Kondylis, Panajotis 54, 61, 85, 94 Kotzde, Wilhelm 200 Krauß, Günther 174, 211, 215, 226, 228 Kroner, Richard 210 Kropotkin, Pjotr Alexejewitsch 30 Kroyer, Theodor 82 Kubin, Alfred 23 Lamennais, Hugues Felicité Robert de 237f. Lamprecht, Karl 22 Landauer, Gustav 29–31, 43, 84 Lang, Clemens 211 Langen, Albert 23 Larenz, Karl 225 Laski, Harold J. 122f. Laß, Werner 204 Laufenberg, Heinrich 202 Lederer, Emil 96 Leibholz, Gerhard 76, 145 Leites, Nathan 96, 130 Lenin, Wladimir Iljitsch 66, 120 Lepsius, Oliver 102 Lisle, Leconte de 16 Locke, John 51f., 61 Löwenstein, Karl 84, 101 Löwenthal, Leo 116 Löwith, Karl 21 Lohmann, Karl 174, 178, 192–196, 202, 211f., 214, 218, 226–228, 234, 242 Ludendorff, Erich 46, 111, 181 Ludwig XIV. 55 Lukács, Georg 37, 120 Mably, Gabriel Bonnot de 48, 55, 60 Macchiavelli, Niccolò 48 Maeterlinck, Maurice 29 Maistre, Joseph Marie de 39, 46, 59f. Malebranche, Nicolas 36, 54f. Man, Hendrik de 188 Mann, Heinrich 23, 29 Mann, Thomas 23f., 29 Mannhardt, Johann Wilhelm 77 Mannheim, Karl 155f. Marc, Franz 23 Marcion 19f., 40, 42 Marcks jr., Erich 210, 213–215, 224

302 Marcks sen., Erich 214 Marcuse, Herbert 115 Marx, Karl 128f., 131, 270 Maschke, Günter 268 Maurras, Charles 35, 39, 46, 211 Mauthner, Fritz 29 Mazzini, Giuseppe 67 Mehlis, Georg 77 Mehring, Reinhard 33, 114, 144, 173 Merkel, Karlheinz 51 Michael, Horst 194–196, 212, 214, 222, 249 Michels, Robert 76f., 106 Mill, John Stuart 37 Mirgeler, Albert 178, 205 Mises, Ludwig 75 Moeller van den Bruck, Arthur 16, 23, 26, 28, 47f., 65, 166, 176f., 200f., 243, 252 Mohler, Armin 173, 178 Mommsen, Wolfgang J. 101, 103, 109 Morgenthau, Hans 89 Morsbach, Adolf 145, 196, 199, 234 Mühsam, Erich 25, 30f. Müller, Adam 35, 37 Müller, Georg 23, 32 Müller, Ludwig 174 Münter, Gabriele 23 Muhle, Hans 154 Murray, Kathleen 46, 237 Mussolini, Benito 66, 73–76, 145, 165, 179, 183, 239 Mutius, Bernhard von 234f., 243, 251–256 Mutius, Franz-Joseph Max Hugo Bernhard von 251 Mutius, Gerhard von 251 Mutius, Ludwig von 251 Mutius, Wilhelm von 251 Napoleon III. 238 Napoleon, Louis 129 Napoleons III. 159 Neumann, Franz L. 111, 113–118, 120f., 126f., 137, 139f., 153, 173, 210 Neumann, Sigmund 210 Niekisch, Ernst 48, 174, 205 Nietzsche, Friedrich 16, 27, 90, 174, 229 Nostradamus 18 Nowak, Wilhelm 25 Oberheid, Heinrich 174 Oldenberg, Karl 90

P Oppenheimer, Franz 155f. Ott, Eugen 136, 213–215, 221 Palyi, Melchior 82f. Papen, Franz von 116f., 129, 134–136, 139f., 149–151, 163, 177, 181, 194–196, 213f., 220–224, 250, 254 Pareto, Vilfredo 155 Partsch, Marianne 250 Payne, Thomas 60 Peterson, Erik 17, 32, 43f., 123, 174, 237 Pfemfert, Franz 31 Piper, Reinhard 23 Platon 77 Platz, Hermann 41 Plessner, Helmuth 89 Popitz, Johannes 124, 165, 213, 255 Portinaro, Pier Paolo 93 Preuß, Hugo 82, 103, 114, 132f., 143, 183f., 186, 188 Preuß, Ulrich K. 65 Proudhon, Pierre-Joseph 28, 30, 44, 258 Pyta, Wolfram 138, 214, 223 Radbruch, Gustav 14 Rasch, Wolfdietrich 20 Rathenau, Walther 14f., 180, 257 Ratzenhofer, Gustav 93 Renner, Karl 117 Reventlow, Ernst Graf 202 Rickert, Heinrich 14 Rilke, Rainer Maria 23f. Rimbaud, Arthur 16 Ritter von Epp, Franz 255 Rohan, Karl Anton Prinz 77f., 174, 176 Ronge, Bastian 259 Roon, Albrecht von 210 Roosevelt, Theodore 260, 267 Rosenberg, Alfred 229, 231 Rosenstock, Eugen 77 Rothe, Carl 210 Rothenbücher, Karl 82 Rousseau, Jean-Jacques 48, 51, 55, 59f., 62f., 70, 119, 130, 157 Rudolf Craemer 234 Rust, Bernhard 230 Salomon, Albert 115, 132, 156 Salomon, Gottfried 155f., 205 Schacht, Hjalmar 188

P Scharnhorst, Gerhard 210 Scheidemann, Philipp 81 Scheler, Max 113, 155, 174, 235 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 21, 28, 38 Schemann, Ludwig 200 Schill, Christa 11 Schleicher, Kurt von 117, 135f., 140, 149f., 164, 213f., 219, 222, 224, 229, 243, 249f. Schmidt, Ina 11 Schmitt, Auguste 17 Schnitzler, Georg von 23 Schnitzler, Lily von 23 Schramm, Wilhelm von 208 Schröder, Georg 178 Schuler, Alfred 24 Schumpeter, Joseph 156 Seeckt, Hans von 188 Seewald, Richard 19 Shakespeare, William 226 Sieyes, Emmanuel Joseph 45, 48–60, 62–64, 66–68, 70, 78, 157 Silesius, Angelus 18 Simmel, Georg 131 Simons, Tula 11, 210, 215, 219, 223–225 Singer, Kurt 77 Sinzheimer, Hugo 115f. Sirinelli, Jean François 10 Smend, Rudolf 75f., 82, 89, 105, 122, 126, 145, 151f., 184, 212 Sohm, Rudolph 99, 211, 228 Sombart, Nicolaus 13, 18, 24, 44, 96, 125, 144, 152, 246 Sontheimer, Kurt 9 Sorel, Georges 45, 66, 120, 148, 239 Spann, Othmar 37, 152, 252 Spencer, Herbert 131 Spengler, Oswald 68, 85, 147, 204, 207, 243, 252, 257f., 262–272 Spinoza, Baruch de 61f. Spörl, Uwe 20 Stammler, Rudolf 14 Stapel, Wilhelm 33, 167, 187, 200–202, 208– 210, 212, 214, 224–226, 230f., 243f., 246, 248 Stark, Gary 201 Stein, Otto Th. W. 25 Steinbömer, Gustav 188, 193, 199 Stirner, Max 44 Straßer, Gregor 149, 224, 229, 248f. Strauss, Leo 89 Strindberg, August 29 Swedenborg, Emanuel 18, 35

303 Taine, Hippolyte Adolphe 46, 237 Tauler, Johannes 18 Thalheimer, August 129 Thiele, Ulrich 56 Thoma, Richard 64, 68f., 72, 84, 87, 122, 192 Tönnies, Ferdinand 95–97, 101, 235 Tommissen, Piet 9, 76, 178 Trakl, Georg 16 Treitschke, Heinrich von 133 Troeltsch, Ernst 144, 155, 257 Troendle, Hugo 25 Ullmann, Hermann

199

Vaihinger, Hans 106 Valli, Luigi 260 Vergil 17 Vesting, Thomas 7 Veuillot, Louis 238 Voegelin, Erich 107f. Vorwerk, Friedrich 174–179, 189, 195f., 199f., 205, 208, 210–212, 214, 225, 234 Vossler, Karl 82 Wachler, Ernst 200 Wagner, Richard 16, 70 Walden, Herwarth 31 Weber, Alfred 75, 144, 146, 155f. Weber, Max 10, 15, 20, 34, 37, 66, 74, 81– 88, 90–97, 99–103, 105–109, 128, 130, 132, 156f., 174, 257, 259 Weber, Werner 145, 174, 178, 226 Wedekind, Frank 23 Weiß, Konrad 23 Wiese, Leopold von 93 Wildt, Michael 233f. Wilhelm von Mutius 254–256 Wilson, Woodrow 260 Wirsing, Giselher 144f., 234 Wittig, Joseph 235 Wolffheim, Fritz 202 Yorck von Wartenburg, Peter Graf

210

Zehrer, Hans 144f., 147–153, 200, 210, 218f. Ziegler, Benno 210, 212, 214 Ziegler, Heinz O. 66, 143, 155–164, 167–169, 173, 210 Zweigert, Erich 213