Arbeitszeitrecht in der Weimarer Republik [1 ed.] 9783428463398, 9783428063390

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Arbeitszeitrecht in der Weimarer Republik [1 ed.]
 9783428463398, 9783428063390

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 89

Arbeitszeitrecht in der Weimarer Republik Von

Sabine Bischoff

Duncker & Humblot · Berlin

SABINE BISCHOFF

Arbeitszeitrecht in der Weimarer Republik

Schriften zum Sozial- u n d Arbeitsrecht Band 89

Arbeitszeitrecht i n der Weimarer Republik

Von

D r . Sabine Bischoff

DUNCKER

&

HUMBLOT/BERLIN

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Bischoff, Sabine: Arbeitszeitrecht in der Weimarer Republik / von Sabine Bischoff. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1987 (Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht; Bd. 89) Zugl.: Kiel, Univ., Diss., 1987 ISBN 3-428-06339-2 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1987 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin 61 Druck: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3-428-06339-2

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von dem Fachbereich Rechtswissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen. Mein ganz besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Schubert, der die Anregung zu der Dissertation gab und die Arbeit während ihrer gesamten Dauer durch wertvolle Hinweise gefördert hat. Dank schulde ich auch den Mitarbeitern des Bundesarchivs in Koblenz und des Zentralen Staatsarchivs in Potsdam, die durch ihre freundliche Unterstützung zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Hamburg, im Juni 1987

Sabine Bischoff

Inhaltsverzeichnis Einleitung

17

Erster Teil Die Anfänge der Arbeitszeit- und Arbeiterschutzgesetzgebung

21

I. Das Vorstadium staatlichen Arbeitszeitschutzes: Die Entwicklung der Arbeiterschutzgesetzgebung bis zum Ende des Ersten Weltkrieges

21

II. Forderungen von Verbänden und Parteien nach Verkürzung der Arbeitszeit

28

ΙΠ. Arbeitszeitrecht als Folge der Novemberrevolution 1918: Die Einführung des Achtstundentages

30

1. Der Aufruf des Hates der Volksbeauftragten vom 12. November 1918 . . .

30

2. Die Anordnung des Demobilmachungsamtes über die Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 23. November/17. Dezember 1918 und die Verordnung über die Regelung der Arbeitszeit der Angestellten vom 18. März 1919

31

3. Das Zentralarbeitsgemeinschaftsabkommen vom 15. November 1918 . . .

33

4. Arbeitszeitkonflikte im Ruhrbergbau 1918/19

36

Zweiter Teil Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

40

I. Die Gesetzgebungsarbeiten des Reichsarbeitsministeriums in den Jahren 1919 bis 1922

40

1. Die Entwürfe zu einem Arbeitszeitgesetz für die gewerblichen Arbeiter

40

a) Der Entwurf von Vorschriften über die Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 10. Juni 1919

40

b) Der Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 14. September 1920

42

c) Erste Reaktionen auf den Arbeitszeitgesetzentwurf

47

d) Der Entwurf eines Gesetzes über die Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 23. Juni 1921

48

8

nsverzeichnis 2. Die Entwürfe zu einem Arbeitszeitgesetz für die Angestellten

51

3. Die Auseinandersetzungen um die Arbeitszeitgesetzentwürfe

52

II. Die Arbeitszeitdebatten im vorläufigen Reichswirtschaftsrat

55

1. Die Vorarbeiten des Arbeitsausschusses

56

2. Die Sachverständigenvernehmungen im sozialpolitischen Ausschuß: Das Für und Wider des Achtstundentages

58

a) Die Ausführungen der sachverständigen Vertreter der Arbeitnehmer

59

b) Die Gutachten der Vertreter der Wissenschaften

60

c) Die Haltung der Arbeitgebersach vers tändigen

63

d) Die Position der Schwerindustrie: Der Übergang zur Offensive

64

3. Das Schicksal des Arbeitszeitgesetzentwurfs für die gewerblichen Arbeiter

66

a) Die erste und zweite Lesung im sozialpolitischen Ausschuß

66

b) Die Beratungen im Plenum

69

4. Das Schicksal des Arbeitszeitgesetzentwurfs für die Angestellten ΙΠ. Arbeitszeitgesetz oder Arbeitszeitverordnung - die Bemühungen um eine Lösung des Arbeitszeitproblems unter der Regierung Stresemann

70

74

1. Ausgangslage: Die Arbeitgeber im Aufwind

74

2. Der Entwurf zu Bestimmungen über die Arbeitszeit vom 22. September 1923

75

3. Arbeitszeitrecht i n der Regierungskrise i n den ersten Oktobertagen 1923

78

4. Regierungsneubildung und interfraktionelle Vereinbarung vom 5./6. Oktober 1923

81

5. Das Arbeitszeitdiktat der Schwerindustrie an der Ruhr

83

6. Der Entwurf eines vorläufigen Gesetzes über die Arbeitszeit vom 12. Oktober 1923

87

7. Die Verabschiedung des Entwurfs im Reichsrat und sein Scheitern

90

8. Das Außerkrafttreten der Demobilmachungsverordnungen über die Arbeitszeit und seine Folgen

93

IV. Arbeitszeitrecht unter der Regierung Marx: Die Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

96

1. Das Ermächtigungsgesetz vom 8. Dezember 1923

96

2. Der Entwurf einer Verordnung über die Arbeitszeit vom 15. Dezember 1923 und die Forderungen von Industrie und Gewerkschaften

97

3. Arbeitszeitrecht nach der Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923 a) Der Ausnahmekatalog der Arbeitszeitverordnung

99 100

nsverzeichnis b) Die Verklammerung Arbeitszeitrecht - Schlichtungsrecht

101

c) Die Unzulänglichkeit der Arbeitszeitverordnung

103

4. K r i t i k an der Arbeitszeitverordnung

104

a) Reaktionen der Arbeitgeberschaft

104

b) Die Haltung von Gewerkschaften und Sozialdemokratie

108

aa) Die K r i t i k des ADGB

108

bb) Die Position von DGB und H.D.-Gewerkverein

109

cc) K r i t i k und Forderungen der SPD

110

c) Die Vorstellungen der KPD zum Arbeitszeitrecht

113

d) Stellungnahmen des Auslandes zur Arbeitszeitverordnung

114

e) Die Einstellung Brauns'zur Arbeitszeitverordnung

115

V. Arbeitszeitrecht aufgrund § 7 I I AZVO - der erste Schritt zur Wiedereinführung des Achtstundentages 116 1. Die Forderungen der Verbände und die Pläne des Reichsarbeitsministers 116 2. Die Auseinandersetzungen um die Arbeitszeit der Hochofen- und Kokereiarbeiter im vorläufigen Reichswirtschaftsrat 119 3. Die Verordnung für die Hochofenwerke und Kokereien als Gegenstand der KoalitionsVerhandlungen im Winter 1924/25 122 4. Reaktionen auf die Verordnung für die Hochofenwerke und Kokereien vom 20. Januar 1925 124 5. Die übrigen Verordnungen nach § 7 I I AZVO

125

Dritter Teil Weitere Gesetzesvorhaben zur Regelung der Arbeitszeit I. Die Entwürfe für ein Arbeitsschutzgesetz

127 127

1. Vom Arbeitszeitgesetz zum Arbeitsschutzgesetz: Die Vorarbeiten im Reichsarbeitsministerium 127 2. Der vorläufige Referentenentwurf eines Arbeitsschutzgesetzes vom 16. April 1926 129 3. Die Auseinandersetzungen um den Arbeitsschutzgesetzentwurf

133

4. Die Fortentwicklung des Entwurfs und seine Verabschiedung im Kabinett 135 II. Der Weg zum Arbeitszeitnotgesetz (Gesetz zur Änderung der Arbeitszeitverordnung) vom 14. April 1927 138 1. Arbeitszeitrecht i n der Regierungskrise Ende 1926

138

2. Regierungsneubildung und der Entwurf eines Gesetzes zur Abänderung der Arbeitszeitverordnung vom 10. Februar 1927 141

10

nsverzeichnis 3. Die Umgestaltung des Entwurfs im Interfraktionellen Ausschuß und seine Verabschiedung in Reichsrat und Reichstag 144 4. Reaktionen auf das Arbeitszeitnotgesetz

147

ΙΠ. Das Schicksal des Entwurfs für ein Arbeitsschutzgesetz

149

IV. Arbeitszeitrecht in der Weltwirtschaftskrise

153

1. Das gewerkschaftliche Krisenkonzept: Die Einführung der 40-StundenWoche 153 2. Die Notverordnung vom 5. Juni 1931

156

Schlußbetrachtung

159

Anhang

164

1. Entwurf des Reichsarbeitsministeriums zu Vorschriften über die Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 10. Juni 1919 164 2. Entwurf des Reichsarbeitsministeriums zu einem Gesetz über die Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 14. September 1920 167 3. Auszug aus dem Bericht des Arbeitsausschusses des sozialpolitischen Ausschusses des vorläufigen Reichswirtschaftsrates für die Vorbereitung des Gesetzentwurfs über die Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter (vom 23. Juni 1921) 176 4. Schreiben August Thyssens an Reichskanzler Wirth vom 14. Oktober 1922 . . 177 5. Entwurf des Reichsarbeitsministeriums zu Bestimmungen über die Arbeitszeit vom 22. September 1923 179 6. Aufzeichnungen des Zentrumsabgeordneten ten Hompel über die Kabinettskrise in den ersten Oktobertagen 1923 182 7. Entwurf des Reichsarbeitsministeriums zu einem vorläufigen Gesetz über die Arbeitszeit vom 12. Oktober 1923 187 8. Schreiben des Reichswirtschaftsministers Hamm an den Reichsarbeitsminister vom 6. Dezember 1923 191 9. Entwurf des Reichsarbeitsministeriums zu einer Verordnung über die Arbeitszeit vom 15. Dezember 1923 193 10. Verordnung über die Arbeitszeit vom 21. Dezember 1923

198

11. Allgemeine Vorschriften über die Arbeitszeit nach dem vorläufigen Referentenentwurf des Reichsarbeitsministeriums zu einem Arbeitsschutzgesetz vom 16. April 1926 202 12. Entschließung des ADGB, AfA, DGB und H.D.-Gewerkvereins vom 28. Oktober 1926 208

nsverzeichnis 13. Erklärung der deutschen Unternehmerverbände zur Arbeitszeit vom 1. November 1926 208 14. Gewerkschaftsentwurf eines Notgesetzes zur Verkürzung der Arbeitszeit

. . 210

15. Niederschrift über eine Parteiführerbesprechung am 30. November 1926 im Reichstag 211 16. Niederschrift über eine Parteiführerbesprechung am 1. Dezember 1926 im Reichstag 213 17. Entwurf des Reichsarbeitsministeriums zu einem Gesetz zur Abänderung der Arbeitszeitverordnung vom 23. März 1927 215 18. Eingabe des ADGB, AfA und H.D.-Gewerkvereins an die Reichsregierung vom 4. März 1927 217

Quellen- und Literaturverzeichnis

218

Abkürzungsverzeichnis Abg.

= Abgeordneter

Abt.

= Abteilung

a. D.

= außer Dienst

ADGB

= Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund

AfA

= Allgemeiner freier Angestelltenbund

Anges t.

= Angestellten

Anm.

= Anmerkung

AO

= Anordnung

Arbeitnordwest

= Arbeitgeberverband für den Bezirk der Nordwestlichen Gruppe des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller

Art.

= Artikel

ASchG

= Arbeitsschutzgesetz

AT

= Amtlicher Teil

AZnotG

= Arbeitszeitnotgesetz

AZO

= Arbeitszeitordnung

AZVO

= Arbeitszeitverordnung

BA

= Bundesausschuß, Bundesarchiv

Bay. HStA

= Bayerisches Hauptstaatsarchiv

BB

= Betriebs-Berater

Bd.

= Band

Bearb.

= Bearbeiter

bearb.

= bearbeitet

Begr.

= Begründung

bes.

= besonders

betr.

= betreffend

BGB

= Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl.

= Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes

Bl.

= Blatt

BRG

= Betriebsrätegesetz

BV

= Bundesvorstand

BVP

= Bayerische Volkspartei

bzw.

= beziehungsweise

ca.

= circa

Corr.bl.

= Correspondenzblatt

DAZ

= Deutsche Allgemeine Zeitung

Abkürzungsverzeichnis DDP

= Deutsche Demokratische Partei

ders.

= derselbe

DGB

= Deutscher Gewerkschaftsbund

d. h.

= das heißt

DIHT

= Deutscher Industrie- und Handelstag

DNVP

= Deutschnationale Volkspartei

Dok.

= Dokument

Dt. AG-Zeitung

= Deutsche Arbeitgeber-Zeitung

DVP

= Deutsche Volkspartei

ebd.

= ebenda

f.

= folgend

ff.

= folgende

gem.

= gemäß

gesetzl.

= gesetzlich

gewerbl.

= gewerblich

GewO

= Gewerbeordnung

GewZ

= Gewerkschaftszeitung

H.D.

= Hirsch-Duncker

Hmb. StA

= Hamburger Staatsarchiv

hrsg.

= herausgegeben

Kab.

= Kabinett

Korr.bl.

= Korrespondenzblatt

KPD

= Kommunistische Partei Deutschlands

Landesreg.

= Landesregierung

Micum

= Mission Interallié de Contrôle des Usines et des Mines

Min.

= Minister, Ministerium

Min.rat

= Ministerialrat

NAT

= Nichtamtlicher Teil

NL

= Nachlaß

NotVO

= Notverordnung

Nr.

= Nummer

NZA

= Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht

o. Verf.

= ohne Verfasser

Präs.

= Präsidialkanzlei, Präsident

preuß.

= preußisch

Pr. Ges. Slg.

= Gesetzessammlung für die Königlichen Preußischen Staaten

Prof.

= Professor

Prot.

= Protokoll

RAB1.

= Reichsarbeitsblatt

RAM

= Reichsarbeitsministerium

R.arb.min.

= Reichsarbeitsminister

14 R.arb.verw.

Abkürzungsverzeichnis = Reichsarbeitsverwaltung

Reg.bl.

= Regierungsblatt

RFM

= Reichsfinanzministerium

RGBl.

= Reichsgesetzblatt

RGSt.

= Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen

RK

= Reichskanzler

Rkei.

= Reichskanzlei

R.Post.M.

= Reichspostministerium

R.post.min.

= Reichspostminister

R.präs.

= Reichspräsident

RR

= Reichsrat

R.reg.

= Reichsregierung

RT

= Reichstag

RVDI

= Reichsverband der Deutschen Industrie

R.Verkehr.M.

= Reichsverkehrsministerium

R.verkehr.min.

= Reichsverkehrsminister

R.wehr.min.

= Reichswehrminister

R.wirt.min.

= Reichswirtschaftsminister

RWM

= Reichswirtschaftsministerium

RWR

= Reichswirtschaftsrat

S.

= Seite

s.

= siehe

s. a.

= siehe auch

Sächs. GVB1.

= Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen

SchlichtVO

= Schlichtungsverordnung

Si.

= Sitzung

SM

= sozialistische Monatshefte

s. nur

= siehe nur

s. o.

= siehe oben

sog.

= sogenannte

soz.pol. Ausschuß = sozialpolitischer Ausschuß Sp.

= Spalte

SPD

= Sozialdemokratische Partei Deutschlands

Stenograph.

= stenographische

StS.

= Staatssekretär

Tab.

= Tabelle

u. a.

= und andere, unter anderem

usw.

= und so weiter

v.

= von, vom

VDA

= Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände

VDESI

= Verein Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller

Abkürzungsverzeichnis vgl.

= vergleiche

VO

= Verordnung

W

= Versailler Vertrag

WRV

= Weimarer Reichsverfassung

z. B.

= zum Beispiel

Ziff.

= Ziffer

Zit.

= Zitat

ZStA

= Zentrales Staatsarchiv

Einleitung Das Arbeitsrecht hat sich seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert zu einem umfangreichen und eigenständigen Rechtsgebiet entwickelt. 1 In dieser Entwicklung vollzog sich ein Bedeutungswandel, der sich auch in der Begriffsbildung niederschlägt: Der früher gebräuchliche Begriff „Arbeiterschutz" ist als Oberbegriff aus dem Sprachgebrauch verschwunden und bezeichnet heute nur noch ein Teilgebiet arbeitsrechtlicher Regelungsmaterie. Dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Arbeiterschutz, d. h. der Schutz der Arbeitnehmer gegen die mit ihrer Arbeit verbundenen körperlichen, hygienischen und sittlichen Gefahren, historischer Kern und Ausgangspunkt des Arbeitsrechtes ist. 2 Daß der Regelung der Arbeitszeit hierbei eine besondere Bedeutung zukommt, ergibt sich schon allein daraus, daß eine Beschränkung der Arbeitszeit unerläßliche Voraussetzung für einen Schutz der Arbeitskraft und damit für die Erhaltung der Volksgesundheit und der Leistungsfähigkeit des Einzelnen ist. Gleichzeitig dient der Arbeitszeitschutz dazu, dem arbeitenden Menschen ein bestimmtes Maß an Freizeit zu sichern, um ihm so die Teilnahme am kulturellen Leben und am Leben der Familie zu ermöglichen. 3 Unter Arbeitszeitschutz versteht man heute die Gesamtheit der Rechtsnormen, die den Arbeitgebern die durch Zwang und Strafe gesicherte Verpflichtung auferlegen, die Beschäftigung des Arbeitnehmers zu bestimmten Zeiten oder über eine bestimmte Dauer hinaus zu unterlassen. 4 Im einzelnen werden Vorschriften über den Arbeitszeitschutz in vierfacher Weise wirksam: Zum einen setzen sie eine Höchstdauer für die tägliche oder wöchentliche Arbeitszeit fest; zum anderen regeln sie die Lage der Arbeitszeit innerhalb der Tagesstunden, drittens ordnen sie Arbeitspausen und Ruhezeiten an, und endlich verbieten oder beschränken sie die Arbeit an Sonn- und Feiertagen. 5 Der Grund für die öffentlichrechtliche Ausgestaltung des Arbeitszeitschutzes liegt darin, daß die sowohl im Interesse des einzelnen Arbeitnehmers als auch im Interesse 1 Zur Geschichte des Arbeitsrechtes vgl. Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, S. 6 ff.; Kaskel / Dersch, Arbeitsrecht, S. 7 ff.; Nikisch, Arbeitsrecht, S. 12 ff.; Zöllner, Arbeitsrecht, S. 29 ff. 2 Vgl. Herschel, Arbeiterschutz, S. 305 f., 307. 3 Vgl. Farthmann, Grundlagen, A I . 4 Vgl. Meisel / Hiersemann, AZO, S. 20; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, S. 207, 826; Kaskel / Dersch, Arbeitsrecht, S. 257 f.; Farthmann, Arbeitszeit, C I 1; im Grundsatz auch Nikisch, Arbeitsrecht, S. 292. 5 Vgl. Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, S. 815; Kaskel / Dersch, Arbeitsrecht, S. 263; Farthmann, Grundlagen, A I .

2 Bischoff

18

Einleitung

der Allgemeinheit gebotene Einhaltung der Vorschriften nicht von den Beteiligten selbst abhängen soll, sondern unmittelbar staatlicher Verantwortung unterliegt. 6 Der öffentlichrechtliche Charakter des Arbeitszeitschutzes schließt es jedoch nicht aus, daß die Bestimmungen privatrechtliche Wirkungen entfalten. Arbeitszeitrechtliche Verbotsvorschriften sind Verbotsgesetze im Sinne von § 134 BGB und Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. 7 Seit Ende der zwanziger Jahre ist überdies anerkannt, daß der Arbeitgeber nicht nur dem Staat, sondern als Folge seiner Fürsorgepflicht auch dem einzelnen Arbeitnehmer gegenüber verpflichtet ist, die Arbeitszeitbestimmungen einzuhalten. 8 Im modernen Arbeitsrecht ist der Arbeitszeitschutz freilich nur noch ein Ausschnitt aus dem allgemeinen Arbeitszeitrecht. So ergibt sich der zeitliche Rahmen für die Arbeitsleistung heute zumeist aus Tarifverträgen. 9 Die zeitliche Lage der Arbeitszeit w i r d im Regelfall gleichberechtigt durch Arbeitgeber und Betriebsrat im Rahmen der sozialen Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz festgelegt. 10 Aber auch durch einzelvertragliche Vereinbarungen und aufgrund des Weisungsrechts des Arbeitsgebers kann die Arbeitszeit innerhalb der durch den Arbeitszeitschutz gezogenen Grenzen geregelt werden. 11 Heute wie in der Vergangenheit gehört dabei die Festsetzung der Dauer der Arbeitszeit zu einer der wichtigsten Arbeitsbedingungen. Die Durchsetzung einer allgemeinen Höchstarbeitszeit nahm viele Jahrzehnte in Anspruch. Das Arbeitszeitrecht entwickelte sich in Deutschland im 19. Jahrhundert zunächst im Rahmen der Arbeiterschutzgesetzgebung für Frauen, Kinder und Jugendliche. Über die Theorie des Arbeiterschutzes jener Zeit geben folgende Sätze des Generalsekretärs der internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz, Stefan Bauer, Aufschluß: „ . . . der Übergang der ökonomischen Vorherrschaft an Völker, die die freie Persönlichkeit der Werktätigen gegen Raubbau schützen, lassen die geschichtliche Aufgabe erkennen, die der Erhaltung und Förderung der Produktivität des Arbeitsfaktors zukommt und die das eigentliche Wesen des Arbeiterschutzes bilden. Die Zweckbestimmung des Arbeiterschutzes zielt auf die Sicherung der

6

Vgl. Meisel / Hiersemann, AZO, S. 20; Kaskel / Dersch, Arbeitsrecht, S. 255; Farthmann, Arbeitszeit, C I I 2. 7 Vgl. Meisel / Hiersemann, AZO, S. 21 f.; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, S. 142 f., 186; Nikisch, Arbeitsrecht, S. 291; Farthmann, Arbeitszeit, C III. 8 Grundlegend war der Beitrag Nipperdey s, Die privatrechtliche Bedeutung des Arbeitsschutzrechtes, S. 203 - 230, bes. S. 215 ff.; s. a. Meisel / Hiersemann, AZO, S. 22; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, S. 143; Nikisch, Arbeitsrecht, S. 292; Farthmann, Arbeitszeit, C I I I 3. 9 Vgl. Meisel / Hiersemann, AZO, S. 23; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, S. 207; Farthmann, Arbeitszeit, C I V 3 b. 10 Vgl. Farthmann, Arbeitszeit, C I V 3 c; Zöllner, Arbeitsrecht, S. 138. 11 Vgl. Meisel / Hiersemann, AZO, S. 33 f.; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht, S. 207.

Einleitung

günstigsten Entwicklungsmöglichkeiten der Arbeiterpersönlichkeit ab." 1 2 Der Auffassung Stefan Bauers liegt die Vorstellung von einem Arbeiter zugrunde, der als Objekt der Rechtsordnung, nicht aber als eigenständige Rechtspersönlichkeit, neben den besitzenden Schichten sein Leben führte. Der erste Weltkrieg, der die Unentbehrlichkeit der Arbeiterschaft vor allem in der Rüstungsindustrie offenbarte, trug wesentlich dazu bei, daß sich diese überkommene Denkungsweise änderte. Immer stärker trat das Verständnis von einem Arbeitnehmer als aktivem Mitträger der Rechtsordnung in den Vordergrund. In Art. 157 WRV wurde „die Arbeitskraft" unter den „besonderen Schutz des Reiches" gestellt. I n Art. 165 WRV heißt es: „Die Arbeiter und Angestellten sind dazu berufen, gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen . . . mitzuwirken. Die beiderseitigen Organisationen und ihre Vereinbarungen werden anerkannt." Die Integration des Arbeiters in die Rechts- und Gesellschaftsordnung und der damit einhergehende Machtzuwachs der Gewerkschaften konnte nicht ohne Einfluß auf das Arbeitszeitrecht bleiben. 1918 erfolgte die verbindliche Festsetzung einer allgemeinen Höchstarbeitszeit. Der Achtstundentag wurde eingeführt. In dem Maße jedoch, in dem in der Weimarer Republik den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden die Möglichkeit gegeben war, auf den demokratischen Willensbildungsprozeß Einfluß zu nehmen, zerbrach der Konsens über das Arbeitszeitrecht. Vom Ausbruch der Revolution bis zum Zerfall der Weimarer Republik stand die Frage der Länge der Arbeitszeit im Mittelpunkt schärfster Auseinandersetzungen. Während heute arbeitszeitrechtliche Konflikte überwiegend auf tarifvertraglicher Ebene ausgetragen werden, versuchte in der Weimarer Republik in erster Linie der Gesetzgeber, das Arbeitszeitproblem zu lösen. Das Kernstück seiner Bemühungen bildete die Arbeitszeitverordnung vom 21. Dez. 1923. Als Mitte der zwanziger Jahre die Arbeitslosigkeit zu einem Hauptproblem der Sozialpolitik der Nachkriegszeit wurde, traten auch die Streitigkeiten um das Arbeitszeitrecht in eine neue Phase ein. Arbeitszeitverkürzung als Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wurde diskutiert. Dies führte zum Erlaß des Gesetzes zur Abänderung der Arbeitszeitverordnung vom 14. April 1927. Mit der vorliegenden Untersuchung soll der Versuch unternommen werden, anhand der Entstehungsgeschichte der AZVO vom 21. Dez. 1923 und ihrer Fortentwicklung die Bedingungen aufzuzeigen, die für die Gestaltung des Arbeitszeitrechtes in der Weimarer Republik maßgebend waren; dabei sind die jeweiligen wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse zu berücksichtigen. Zudem sollen die Auseinandersetzungen um die tägliche und wöchentliche Arbeitszeit dargestellt werden. Hierbei w i r d vor allem nach der Form zu fragen sein, in der die Arbeitszeit geregelt wurde. Untersucht 12

2*

Bauer, Arbeiterschutzgesetzgebung, S. 401 f.

Einleitung

20

werden die Streitigkeiten darüber, ob und in welchem Umfange Arbeitszeitregelungen durch Gesetz oder Verordnung, durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder durch einseitige Anordnung des Arbeitgebers getroffen werden sollten. Entsprechend dieser Aufgabenstellung wurde von einer Einbeziehung der in der Weimarer Republik weniger umstrittenen Pausenregelungen, der besonderen Schutzvorschriften für Frauen und Jugendliche und der Bestimmungen über die Einschränkung von Sonntagsarbeit weitgehend abgesehen. Auch werden dogmatische Fragen, Gerichtsentscheidungen und die Auswirkungen arbeitszeitrechtlicher Regierungsentscheidungen auf die Praxis nur am Rande erwähnt. Es findet sich mittlerweile eine Fülle von Literatur, 1 3 die sich aus sozialwissenschaftlicher oder historischer Sicht mit den Regierungskrisen und Industriekonflikten der Weimarer Republik befaßt und damit zwangsläufig den Achtstundentag und das Arbeitszeitrecht mehr oder minder berührt. Aus rechtshistorischer Sicht fehlt eine geschlossene Darstellung der Arbeitszeitgesetzgebung in der Weimarer Republik. 14 Hier w i l l die vorliegende Arbeit versuchen, eine Lücke zu schließen. Die Arbeit stützt sich in der Hauptsache auf die im Zentralen Staatsarchiv Potsdam erhaltenen Aktenbestände des Reichsarbeitsministeriums und des Vorläufigen Reichswirtschaftsrates sowie auf Archivgut des Bundesarchivs Koblenz. Bei den Reichskanzleiakten des Bundesarchivs w i r d in erster Linie auf die Quellenreihe „Akten der Reichskanzlei Weimarer Republik" zurückgegriffen.

13

Das maßgebende Werk ist immer noch Ludwig Preller, Sozialpolitik in der Weimarer Republik, unveränderter Nachdruck des 1949 erstmals erschienenen Werkes, Düsseldorf 1979. Aus der neueren Literatur seien folgende Untersuchungen beispielhaft angeführt: Feldman / Steinisch, Die Weimarer Republik zwischen Sozial- und Wirtschaftsstaat, in: Archiv für Sozialgeschichte 18 (1978), S. 353 - 439; Oltmann, Reichsarbeitsminister Heinrich Brauns in der Staats- und Währungskrise 1923/24, Phii: Diss., Kiel 1968; Schneider, Die christlichen Gewerkschaften 1894 - 1933, Bonn 1982; ders., Streit um Arbeitszeit, Köln 1984; Stürmer, Koalition und Opposition in der Weimarer Republik 1924 bis 1928, Düsseldorf 1967; Weisbrod, Schwerindustrie in der Weimarer Republik, Wuppertal 1978. 14 Die rechtshistorische Untersuchung von Leuchten, Der Kampf um den Achtstundentag, Diss. Jur., Augsburg 1978, berücksichtigt allein gedruckte Quellen. Sie behandelt schwerpunktmäßig die Auseinandersetzungen um den Achtstundentag und widmet daher auch außerdeutschen und außereuropäischen Entwicklungen sowie der sozialwissenschaftlichen Diskussion dieser Jahre größeren Raum. Die Gesetz- und Verordnungsentwürfe des Reichsarbeitsministeriums werden allerdings nur erörtert, soweit sie veröffentlicht sind.

Erster Teil

Die Anfänge der Arbeitszeit- und Arbeiterschutzgesetzgebung I. Das Vorstadium staatlichen Arbeitszeitschutzes: Die Entwicklung der Arbeiterschutzgesetzgebung bis zum Ende des Ersten Weltkrieges Der erste Schritt zur gesetzlichen Beschränkung der Arbeitszeit wurde in Deutschland am 9. März 1839 mit dem Erlaß des „Preußischen Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken" 1 getan. In Anlehnung an die englische Arbeiterschutzgesetzgebung begann der Arbeiterschutz in Preußen mit dem Schutz der Kinder und Jugendlichen. Dieses erste Gesetz hat eine lange Vorgeschichte. Vor allem der preußische Kultusminister von Altenstein hatte sich schon Jahre zuvor um eine Verbesserung der Lage der Fabrikkinder bemüht. Die aufgrund einer Zirkularverfügung von Altensteins vom 26. Juni 18242 eingegangenen Berichte aus den industriereichen Bezirken der preußischen Monarchie boten ein erschütterndes Bild: Tausende von Kindern bis hinab zu den Sechs- und Vierjährigen würden gegen einen Tageslohn von zwei Groschen zu einer Arbeit von 10,12 und sogar 14 Stunden herangezogen. 3 Gleichwohl geschah zunächst nichts. Mit Zähigkeit vertrat die preußische Regierung, allen voran der preußische Innenminister von Schuckmann, die Ansicht, daß eine Einschränkung der Kinderarbeit in den Fabriken Rückschläge auf die günstige Entwicklung der Handelsbilanz zur Folge haben würde. 4 Altenstein mußte sich in einer erneuten Zirkularverfügung vom 27. April 1827 für das Ausbleiben der Kinderschutzgesetzgebung entschuldigen, „da dergleichen allgemeine Anordnungen nur mit reiflichster Berücksichtigung aller dabei konkurrierenden Interessen, also nicht bloß der Kinder, sondern auch ihrer dürftigen Eltern und der bestehenden Fabriken . . . erlassen werden müssen." 5 Auch das Vorgehen Generalleutnants von Horn, der 1828 in seinem Landwehrgeschäfts1

Pr. Ges. Slg. 1839, S. 156 - 158. Vgl. Anton, Fabrikgesetzgebung, S. 189 f. 3 Zu dem Bericht für die Regierungsbezirke Arnsberg, Düsseldorf, Köln, Koblenz, Trier u. a. vgl. Anton, Fabrikgesetzgebung, S. 25 ff., 35 ff.; s. a. Herkner, Arbeiterfrage, Bd. 1, S. 39. 4 Vgl. Anton, Fabrikgesetzgebung, S. 45. 5 Vgl. Anton, Fabrikgesetzgebung, S. 190 - 192. 2

22

1. Teil: Die Anfänge der Arbeiterschutzgesetzgebung

bericht vermerkte, daß die Fabrikgegenden infolge der zunehmenden Kinderarbeit ihr Kontingent zum Ersatz der Armee nicht vollständig stellen könnten, 6 führte zu keiner gesetzlichen Regelung. Zwar erließ König Friedrich Wilhelm III. daraufhin am 12. Mai 1828 eine Kabinettsordre an von Altenstein und von Schuckmann, in der er ihnen auftrug, „ i n nähere Erwägung zu nehmen, durch welche Maßregeln jenem Verfahren kräftig entgegengewirkt werden kann". 7 Infolge von Meinungsverschiedenheiten zwischen von Altenstein und von Schuckmann verlief jedoch auch dieser Vorstoß von höchster Ebene im Sande.8 Den Anstoß für die erste gesetzliche Kinderschutzregelung Preußens gab schließlich einige Jahre später ein Vorgehen von ganz anderer Seite. Der Oberpräsident der Rheinprovinz, von Bodelschwingh, setzte sich, veranlaßt durch die traurigen Zustände des Schulunterrichts für Fabrikkinder, zusammen mit dem christlich-konservativen Fabrikanten Schuchard aus Barmen beim preußischen Provinziallandtag nachdrücklich für ein Kinderschutzgesetz ein. 9 Der dort auf Antrag Schuchards am 17. Juni 1837 angenommene Gesetzentwurf sah ein Mindestalter von neun Jahren für Fabrikkinder vor, verlangte den Nachweis eines dreijährigen Schulbesuchs und begrenzte die tägliche Arbeitszeit auf 10 Stunden. 10 Das Gesetz wurde dem König als Petition vorgelegt. Die preußische Staatsregierung, nunmehr in Zugzwang gebracht, beauftragte am 20. Nov. 1838 von Bodelschwingh mit der Ausarbeitung einer provisorischen Regelung für die von den größten Mißständen betroffene Rheinprovinz. 11 Nachdem sich die Staatsregierung entschlossen hatte, das Gesetz auf alle preußischen Staaten auszudehnen, wurde am 9. März 1839 das „Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken" erlassen. 12 Die wichtigsten Bestimmungen, die das „Urgesetz des deutschen Arbeiterschutzes" 13 enthielt, waren: - Verbot der Fabrikarbeit für Kinder unter neun Jahren (§ 1), - Nachweis eines dreijährigen Schulbesuchs als Beschäftigungsvoraussetzung (§ 2),

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Vgl. Anton, Fabrikgesetzgebung, S. 50; Syrup, Sozialpolitik, S. 61. Kabinettsordre vom 12. 5. 1828, abgedruckt bei: Anton, Fabrikgesetzgebung, S. 51; Syrup, Sozialpolitik, S. 62, Anm. 8. 8 Zum Schriftwechsel zwischen von Altenstein und von Schuckmann vgl. Anton, Fabrikgesetzgebung, S. 51 ff. 9 Bereits 1835 hatte von Bodelschwingh den Entwurf einer ProvinzialVO betr. Kinderschutz erarbeitet. Es gelang ihm und von Altenstein jedoch nicht, beim rheinischen Provinziallandtag eine Vorlegung des Entwurfs zu erwirken. Vgl. Anton, Fabrikgesetzgebung, S. 59 ff. 10 Vgl. Anton, Fabrikgesetzgebung, S. 64. 11 Vgl. Anton, Fabrikgesetzgebung, S. 66; Syrup, Sozialpolitik, S. 62. 12 Pr. Ges. Slg. 1839, S. 156 - 158. 13 Syrup, Sozialpolitik, S. 62. 7

I. Das Vorstadium staatlichen Arbeitszeitschutzes

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- Begrenzung der täglichen Arbeitszeit jugendlicher Arbeiter unter 16 Jahren auf zehn Stunden (§ 3), - Verbot der Nachtarbeit für Jugendliche unter 16 Jahren (§ 5), - Verbot der Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen (§5). Zuwiderhandlungen gegen diese Bestimmungen waren mit Strafe bis zu 5 Talern, im Wiederholungsfalle bis zu 50 Talern, bedroht (§ 8). Die Mängel dés preußischen Regulativs wurden bald offensichtlich: Die Strafen erwiesen sich als zu niedrig, und es gab vor allen Dingen weder besondere Vollzugsorgane noch eine staatliche Gewerbeaufsicht. 14 Die Durchführung des Gesetzes wurde vielmehr zunächst den örtlichen Polizeibehörden, später Lokalkommissionen übertragen, die allesamt die örtlichen Unternehmer recht glimpflich behandelten. 15 Diese wenig befriedigenden Zustände veranlaßten die preußische Staatsregierung zu einer neuen Regelung. Am 16. Mai 1853 wurde das „Gesetz betreffend einige Änderungen des Regulativs vom 9. März 1839" vom preußischen Parlament verabschiedet. 16 Zur Durchführung des Gesetzes war nach § 11 der Einsatz staatlicher Fabrikinspektoren vorgesehen, „wo sich dazu ein Bedürfnis ergiebt". Die industriereichen Regierungsbezirke Düsseldorf, Aachen und Arnsberg folgten dieser Anregung und ernannten im Jahre 1854 je einen Fabrikinspektor. 17 Gleichzeitig wurde Kinderarbeit unter 12 Jahren verboten, die tägliche Arbeitszeit für Jugendliche zwischen 12 und 14 Jahre auf sechs Stunden beschränkt und die Pausenregelung verbessert. Infolge der nur fakultativen Fabrikinspektion blieben die Gesetze jedoch bis in die sechziger Jahre hinein „todter Buchstabe". 18 Der preußischen Gesetzgebung standen nur wenige vergleichbare Regelungen in den anderen deutschen Bundesstaaten gegenüber. Am weitesten folgte Bayern dem Beispiel Preußens. In der „Verordnung betreffend die Verwendung der werktagsschulpflichtigen Jugend in Fabriken" vom 15. Jan. 1840 19 wurde Kinderarbeit erstmals eingeschränkt. Die Bestimmungen erfuhren sodann durch die VO vom 16. Juli 1854 20 weitere Verschärfungen. Danach konnten Kinder mit dem Mindestalter von 12 Jahren zu maximal neunstündiger Fabrikarbeit herangezogen werden, sofern sie den Nachweis einer ihrem Alter entsprechenden Grund- und „Religionsausbildung" erbrachten. Nachtarbeit wurde gänzlich untersagt. Ähnliche Verbote ent14

Vgl. Henning, Industrialisierung, S. 196; Syrup, Sozialpolitik, S. 64. Vgl. Anton, Fabrikgesetzgebung, S. 83 f.; Syrup, Sozialpolitik, S. 64 f. 16 Pr. Ges. Slg. 1853, S. 225 - 227. 17 Vgl. Syrup, Sozialpolitik, S. 66. 18 Vgl. Thun, Industrie, S. 181. 19 Reg.bl. 1840, S. 97 - 106. 20 VO die sanitäts- und sittenpolizeiliche Fürsorge für jugendliche Arbeiter in Fabriken betreffend, Reg.bl. 1854, S. 561 - 564. 15

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1. Teil: Die Anfänge der Arbeiterschutzgesetzgebung

hielt das am 15. Okt. 1861 21 in Sachsen verkündete Gewerbegesetz. Württemberg beschränkte mit der GewO vom 12. Feb. 1861 22 lediglich die Verwendung von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren in Fabriken, in Baden sahen die MinisterialVO vom 4. März 1840 23 und das Gewerbegesetz vom 20. Sept. 18 6 2 2 4 einige Einschränkungen der Kinderarbeit vor. In den übrigen Einzelstaaten begann der Kinderarbeitsschutz jedoch erst mit der Schaffung einer einheitlichen Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund. Der Zusammenschluß der norddeutschen Staaten nach 1866 machte eine Angleichung der zum Teil divergierenden Gewerbebestimmungen erforderlich. Die „Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund" vom 21. Juni 1869,25 die 1872/73 auf das gesamte Deutsche Reich ausgedehnt wurde, übernahm in ihrem 7. Titel die zuvor gekennzeichneten preußischen Vorschriften. Insoweit brachte sie in denjenigen Staaten, in denen bisher eine staatliche Sozialgesetzgebung überhaupt nicht oder nur ansatzweise vorhanden war, eine Erweiterung des Arbeiterschutzes. Ansonsten enthielt die neue GewO keine wesentlichen Verbesserungen der Arbeiterschutzgesetzgebung. Die meisten Abgeordneten des Reichstages des Norddeutschen Bundes waren Verfechter der manchesterlichen Theorie, die ein Interventionsrecht des Staates in das gewerbliche Leben grundsätzlich ablehnten. 26 Der größte Fortschritt der GewO war die Abschaffung der Koalitionsverbote, die noch in zahlreichen Einzelstaaten bestanden. Für eine Beseitigung des immer noch unbefriedigenden Zustandes auf dem Gebiet der Arbeiterschutzgesetzgebung setzte sich in der Folgezeit besonders der 1873 gegründete „Verein für Socialpolitik" unter Gustav Schmoller, Lujo Brentano und Albert Schäffle ein. In mehreren Petitionen an den Reichskanzler forderten sie 1872 und 1873 einen Ausbau der Arbeiterschutzgesetzgebung und regten Enquêten an. 27 Daraufhin beschloß der Reichstag, dem jetzt auch die neu gegründete Sozialdemokratie angehörte, in der Sitzung vom 30. April 1873, „. .·. den Reichskanzler zu ersuchen, diejenigen Erhebungen, welche für die Beurtheilung der Angemessenheit und Nothwendigkeit eines gesetzlichen Schutzes der in Fabriken beschäftigten Frauen und Minderjährigen gegen sonntägliche Arbeit, sowie gegen übermäßige Beschäftigung an den Werktagen erforderlich sind, zu veranlassen . . . " 2 8 Die Erhebungen der 1874 und 1875 durchgeführten Reichsenquêten ergaben, daß die durchschnittliche 21 Sächs. GVB1. 1861, S. 187 - 217. 22 Reg.bl. 1861, S. 67 - 86. 23 Reg.bl. 1840, S. 4 1 - 4 4 . 24 Reg.bl. 1862, S. 409-416. 25 BGBl. 1869, S. 245 - 282. 26 Vgl. Dimanstein, Arbeitszeit, S. 29. 27 Vgl. Syrup, Sozialpolitik, S. 73. 2 * Verhandlungen des RT 1873, Bd. 1, S. 405.

I. Das Vorstadium staatlichen Arbeitszeitschutzes

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tägliche Arbeitszeit weiblicher Arbeiter zwischen 10 und 12 Stunden betrug. 29 Überdies zeigte sich, daß die Arbeiterschutzbestimmungen überall dort leerliefen, wo keine Fabrikinspektoren eingesetzt waren. Konsequenz dieser Untersuchungen war die Novelle zur GewO vom 17. Juli 18 7 8. 30 Diese Novelle, die auf Jahre hinaus den Kern der Arbeiterschutzgesetzgebung unter der Kanzlerschaft Bismarcks bilden sollte, brachte wesentliche Neuerungen. An vorderster Stelle ist die Einführung einer obligatorischen Fabrikinspektion zu nennen. Einen weiteren Fortschritt stellte die Ausdehnung der Fabrikgesetzgebung auf alle mit Dampfkraft arbeitenden Betriebe, auf Hüttenwerke, Bauhöfe und Werften dar. Außerdem wurde dem Bundesrat die Möglichkeit gegeben, die Beschäftigung von Frauen und jugendlichen Arbeitern aus Rücksicht auf Gesundheit und Sittlichkeit einzuschränken. Trotz dieser Verbesserungen konnte die Gewerbegesetznovelle von 1878 besonders im Hinblick auf die immer noch ungeregelte Sonntagsruhe kaum als ausreichend angesehen werden. Im Reichstag wurden deshalb immer wieder Anträge eingebracht, die einen Ausbau des Arbeiterschutzes bezweckten. 31 Doch die Arbeiterschutzgesetzgebung stagnierte in den Jahren 1880 bis 1890 zu Gunsten des Aufbaus der gesetzlichen Sozialversicherung. Die ablehnende Haltung der Reichsregierung gegenüber dem Ausbau des Arbeiterschutzes in jenen Jahren hatte ihren Grund in der Einstellung des Reichskanzlers von Bismarck. Für ihn waren die Arbeiterversicherungsgesetze „Schutzgesetze", im Arbeiterschutz hingegen erblickte er „Zwangsgesetze". 32 Nachdem der Aufbau der Sozialversicherung 1889 mit der Alters- und Invaliditätsversicherung sein vorläufiges Ende gefunden hatte, konnte eine Verbesserung der Arbeiterschutzgesetzgebung nicht länger beiseite geschoben werden. Die zwei Erlasse Kaiser Wilhelm II. vom 4. Feb. 1890 leiteten eine neue Phase des Arbeiterschutzes ein. 33 Im ersten Erlaß kündigte er die Einberufung einer internationalen Arbeiterschutzkonferenz an. Die Konferenz tagte vom 15. bis 28. März 1890 in Berlin, kam aber über die Feststellung einer allgemeinen Bereitschaft zu internationaler Zusammenarbeit auf sozialpolitischem Gebiet nicht hinaus. Um so wesentlicher war das in dem zweiten Erlaß niedergelegte umfassende sozialpolitische Programm. Unter anderem stellte der Kaiser eine Prüfung der bestehenden Vorschriften der GewO über die Verhältnisse der Fabrikarbeiter in Aussicht: „Diese Prüfung 29 Vgl. Reichskanzler-Amt, Ergebnisse der über die Frauen- und Kinderarbeit in den Fabriken auf Beschluß des Bundesrathes angestellten Erhebungen, S. 108 - 115. 30 RGBl. 1878, S. 199-212. 31 Vgl. Bismarck, Erinnerungen, S. 50 f.; Syrup, Sozialpolitik, S. 82. 32 So Bismarck i n der Si. des Kronrathes v. 24. 1. 1890, vgl. Bismarck, Erinnerungen, S. 55 f. 33 Die zwei Erlasse Kaiser Wilhelm II. v. 4. 2. 1890 sind abgedruckt in: Bismarck, Erinnerungen, S. 66 ff.

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1. Teil: Die Anfänge der Arbeiterschutzgesetzgebung

hat davon auszugehen, daß es eine der Aufgaben der Staatsgewalt ist, die Zeit, die Dauer und die Art der Arbeit so zu regeln, daß die Erhaltung der Gesundheit, die Gebote der Sittlichkeit, die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Arbeiter und ihr Anspruch auf gesetzliche Gleichberechtigung gewahrt bleiben." 3 4 Bezeichnenderweise waren beide Erlasse von Bismarck nicht gegengezeichnet worden. 35 In der Novelle zur GewO vom 1. Juni 1891, dem sog. „Arbeiterschutzgesetz", wurde dieses Programm realisiert. 36 Das nach dem Rücktritt Bismarcks als preußischer Handelsminister von seinem Nachfolger von Berlepsch verfaßte Gesetzeswerk schuf die Grundlage des Arbeiterschutzes über Jahrzehnte hinaus. Es brachte zunächst Vorschriften über Sonntagsruhe und Sonntagsarbeit. Die wichtigste Neuerung aber war die erstmalige Einbeziehung der erwachsenen männlichen Arbeiter in die Schutzgesetzgebung. Gemäß § 120 e GewO wurde der Bundesrat ermächtigt, für Gewerbe, in denen es durch übermäßige Dauer der täglichen Arbeitszeit zu einer Gesundheitsgefährdung der Arbeiter kommt, Dauer, Beginn und Ende der zulässigen Arbeitszeit festzusetzen. Von dieser Befugnis, den sog. sanitären Maximalarbeitstag einzuführen, machte der Bundesrat für zahlreiche gesundheitsgefährdende Industriegruppen, wie etwa den Bergbau und das Hütten- und Salinenwesen, Gebrauch. 37 Verstieß ein Unternehmer gegen derartige Bestimmungen, so machte er sich ohne weiteres strafbar. Auch für Kinder, Jugendliche und Frauen enthielt die Novelle von 1891 weitere Verbesserungen: Das Beschäftigungsverbot der Kinder wurde bei gleichbleibender täglicher Arbeitszeit von sechs Stunden auf 13 Jahre erhöht, die Pausenregelungen für Jugendliche und Frauen wurden erweitert. Für Fabrikarbeiterinnen wurde die Nachtarbeit untersagt und eine tägliche Höchstarbeitszeit von 11 Stunden, an den Tagen vor Sonn- und Feiertagen von 10 Stunden, festgesetzt. Die Aufsicht über die Durchführung des Gesetzes oblag den Gewerbeaufsichtsbeamten. 38 Die Inkraftsetzung der Berlepschen Novelle erfolgte allerdings nur schrittweise. So entfalteten die Vorschriften über die Sonntagsruhe erst am 1. April 1895 ihre Wirkung. Eine Erweiterung des Arbeiterschutzes brachte ferner das „Gesetz betreffend Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben" vom 30. März 1903.39 Die Einbeziehung der familienangehörigen Kinder in die Schutzgesetzgebung war der wichtigste Fortschritt des unter der Amtsführung von PosadowskyWehner, Staatssekretär des Inneren, verabschiedeten Gesetzes. Weiterhin wurde die tägliche Arbeitszeit für Kinder auf drei Stunden herabgesetzt. 34

Vgl. Bismarck, Erinnerungen, S. 67 f. Vgl. Bismarck, Erinnerungen, S. 66. 36 RGBl. 1891, S. 261-290. 37 Vgl. die Aufstellung bei Syrup, Sozialpolitik, S. 96. 38 Da die Aufsicht jetzt auf alle der GewO unterstehenden Betriebe ausgedehnt wurde, wurde aus der Fabrikinspektion die Gewerbeaufsicht; vgl. Syrup, Sozialpolitik, S. 100. 39 RGBl. 1903, S. 113-120. 35

I. Das Vorstadium staatlichen Arbeitszeitschutzes

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In seiner Reichstagsrede vom 2. Dez. 1907 bekannte sich Bethmann Hollweg, der Nachfolger Posadowskys, ausdrücklich zur Fortführung der Sozialpolitik und damit zum Ausbau der Arbeiterschutzgesetzgebung: „Wenn ein Staat wie Deutschland es einmal anerkannt hat, Sozialpolitik in dem umfassenden Sinne des Wortes zu treiben, und wenn er auf diesem Gebiet eine so weitschichtige Gesetzgebung ins Leben gerufen hat, wie es Deutschland tatsächlich getan hat, dann hieße es doch veraltern, wollte man stille stehn." 40 Auf dem Gebiet des Arbeiterschutzes folgte dem die Novelle zur Gewerbeordnung vom 28. Dez. 1908. 41 In Anlehnung an die Internationale Berner Konvention brachte sie den Fabrikarbeiterinnen den Zehnstundentag. An den Tagen vor Sonn- und Feiertagen durfte nur noch acht Stunden täglich gearbeitet werden. Außerdem wurden die technischen Angestellten den Arbeitern gleichgestellt. Für die Arbeiter der eisenverarbeitenden Industrie sahen die Bestimmungen des Bundesrates vom 19. Dez. 1908 eine Pausenregelung vor. 4 2 Danach sollte jedem Arbeiter, der in einer länger als acht Stunden dauernden Schicht beschäftigt war, eine Pause von mindestens zwei Stunden gewährt werden. Da in der Großindustrie zumeist in zwei Schichten mit jeweils 12 Stunden gearbeitet wurde, betrug die tägliche Arbeitszeit nunmehr 10 Stunden. 43 Der reichsgesetzlichen Arbeiterschutzgesetzgebung stand inzwischen eine vergleichsweise fortschrittliche Gesetzgebung in einigen Einzelstaaten gegenüber. So beschränkte beispielsweise Preußen in einem am 14. Juli 1905 erlassenen Gesetz die tägliche Arbeitszeit der Bergleute auf sechs Stunden, sofern sie nicht nur vorübergehend an Betriebspunkten mit einer Temperatur von mehr als 28 Grad Celsius beschäftigt waren. 44 Der Krieg bereitete allen Bemühungen um einen Ausbau der Arbeiterschutzgesetzgebung ein vorläufiges Ende. Die Einberufung der wehrfähigen Männer nötigte zu einer weitgehenden Heranziehung der jugendlichen und weiblichen Arbeiter. Das sog. Ermächtigungsgesetz vom 4. Aug. 1914 45 gab dem Reichskanzler die Befugnis, von zahlreichen der bestehenden Arbeiterschutzbestimmungen Ausnahmen zu machen. Vor allem wurde auf diese Weise der sanitäre Maximalarbeitstag für die erwachsenen männlichen Arbeiter aufgehoben. Hatte die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit vor dem Krieg bei ungefähr 10 Stunden gelegen,46 so schnellte sie in den Kriegs40

Verhandlungen des RT, Bd. 229, S. 1956. RGBl. 1908, S. 667-676. 42 RGBl. 1908, S. 650 f. 43 Vgl. Faul, Staatliche Beeinflussung, S. 43. 44 § 93 c d. Gesetzes betr. die Abänderung einzelner Bestimmungen des Allgemeinen Berggesetzes, Pr. Ges. Slg. 1904/1905, S. 307 - 314. « RGBl. 1914, S. 333 f. 46 Vgl. Meinert, Entwicklung der Arbeitszeit, S. 21; Wolff, Achtstundentag, S. 23. Nach der im 10. Sonderheft zum RAB1. (S. 46 f.) abgedruckten Tarifstatistik für 1913 41

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1. Teil: Die Anfänge der Arbeiterschutzgesetzgebung

jähren besonders in der Rüstungsindustrie auf 12, 14, ja sogar 16 Stunden hoch. 47 II. Forderungen von Verbänden und Parteien nach Verkürzung der Arbeitszeit Die gesetzliche Regelung einer allgemeinen Höchstarbeitszeit war eine der allerersten Forderungen der Arbeiterbewegung und ihrer gewerkschaftlichen wie politischen Vertreter. Bereits 1848 lag den Abgeordneten der Deutschen Nationalversammlung in Frankfurt am Main der Entwurf einer Gewerbeordnung für das Deutsche Reich vor, der als Kernstück den zwölf stündigen Höchstarbeitstag vorschrieb. 48 Kinder vom 12. bis zum 15. Lebensjahr sollten „nur" zehn Stunden arbeiten. Der Entwurf scheiterte jedoch an der Auflösung der Nationalversammlung. In dem Eisenacher Gründungsprogramm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei aus dem Jahre 1869 stellte die Einführung eines gesetzlichen Maximalarbeitstages eine der wichtigsten Forderungen dar. 4 9 Weiter wurde ein völliges Verbot der Kinderarbeit und eine Einschränkung der Frauenarbeit gefordert. Mit dergleichen allgemeinem Inhalt versehen war auch das spätere Gothaer Parteiprogramm (1875),50 welches anläßlich des Zusammenschlusses der Partei mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein erstellt wurde. Im Reichstag des Norddeutschen Bundes traten noch im Jahr 1869 sowohl Sozialdemokraten als auch Konservative für eine gesetzliche Festsetzung eines Maximalarbeitstages ein. Während die Konservativen in ihren Anträgen eine tägliche Höchstarbeitszeit von 12 Stunden für erwachsene männliche Arbeiter vorschlugen, verlangten die Sozialdemokraten den Zehnstundentag. 51 Allesamt scheiterten sie jedoch an der Haltung der Liberalen. Für sie bedeutete jede gesetzliche Arbeitszeitregelung einen Eingriff in die Freiheit des Unternehmertums. Trotz des Sozialistengesetzes wurde es um die Arbeitszeitfrage nicht völlig still. Durch den 1889 in Paris tagenden internationalen Sozialistenkongreß erhielt die Bewegung für die Verkürzung der Arbeitszeit neuen Auftrieb. „Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Schlaf, acht Stunden Erholung", so lautete erstmalig die Hauptforderung der aus der Illegalität arbeiteten über 50 % der tarif gebundenen Arbeiter täglich zwischen 9 und 10 Stunden. 47 Vgl. Faul, Staatliche Beeinflussung, S. 44; Bieber, Gewerkschaften, S. 200, kommt auf 12 Stunden täglich und mehr. Amtliche Zahlen für die Entwicklung der Arbeitszeit in den Kriegsjahren fehlen. 48 Vgl. Wolff, Achtstundentag, S. 15; Geschichtliche Entwicklung des Achtstundenarbeitstages gewerblicher Arbeiter im In- und Ausland, in: RAB1. 1919 (o. Verf.), S. 386 - 392, hier: S. 390; s. a. Schneider, Arbeitszeit, S. 27. 49 Vgl. Mommsen, Parteiprogramme, S. 311 f. 50 Vgl. Mommsen, Parteiprogramme, S. 313 f. 51 Vgl. Dimanstein, Arbeitszeit, S. 31 f.; s. a. Stemler / Wiegand, Arbeitszeitgesetzgebung, S. 39.

II. Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung

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gestärkt hervorgegangenen sozialistischen Arbeiterschaft auf den Maidemonstrationen im Jahre 1890. 52 Die Verkürzung der Arbeitszeit sei - so hieß es auf den Reden zum 1. Mai - in erster Linie eine Forderung der Gerechtigkeit. 53 Sie sei unerläßliche Voraussetzung für die Besserung der psychischen und physischen Lage der Arbeiterschaft, für die Wiederherstellung des Familienlebens und für die Ausbreitung der Gewerkschaftsbewegung. Darüber hinaus diene sie der Verminderung der Arbeitslosigkeit. Ein Jahr später bekannte sich die Sozialdemokratische Partei in ihrem Erfurter Programm zum Schutz der Arbeiterklasse ebenfalls zum Achtstundentag. 54 Mehrfach versuchte sie, in der Folgezeit - allerdings vergeblich - das Programm im Reichstag durchzusetzen. 55 Auch in den programmatischen Zielsetzungen der anderen Gewerkschaftsrichtungen findet sich die Forderung nach einer gesetzlichen Regelung der Höchstarbeitszeit, allerdings erst relativ spät und zunächst nicht in Form des Achtstundentages. Der Zentralrat der Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine forderte 1908 in Leitsätzen von den Unternehmern eine „Verkürzung der Arbeitszeit auf längstens acht Stunden", vom Staat hingegen den „zehnstündigen Maximalarbeitstag für alle Arbeiter der schweren Industrie". 5 6 Mit anderen Worten: Der Staat sollte sich nach Ansicht der Gewerkvereine aus der Regelung der Arbeitszeit möglichst heraushalten. Die erst im Laufe der 1890er Jahre gegründeten und seit 1889/90 zu einem Gesamtverband zusammengeschlossenen christlichen Gewerkschaften übernahmen in der Jahrhundertwende zunächst die Forderung ihrer sozialistischen Kollegen. Sie beschränkten sich allerdings bald darauf, wegen der ihrer Meinung nach wirtschaftlichen Undurchführbarkeit des Achtstundentages die schrittweise Verkürzung der über elfstündigen Arbeitszeit zu verlangen. 57 Noch während die Forderungen nach einem gesetzlichen Höchstarbeitstag hin und her gingen, wurde der Achtstundentag von einigen Unternehmern in die Tat umgesetzt. Vor allem Ernst Abbe, Professor der Physik und wissenschaftlicher Leiter der Zeisswerke, war einer der wichtigsten Befürworter der Arbeitszeitverkürzung. Er führte im Jahr 1900 in den Jenaer Zeisswerken eine tägliche Arbeitszeit von acht Stunden ein. 58 Die übergroße Mehrheit der Arbeitgeber jedoch stand den Forderungen nach gesetzlicher Verkürzung der Arbeitszeit skeptisch bzw. strikt ablehnend gegenüber. M i t Hinweis auf die nachteiligen Folgen einer Arbeitszeitverkürzung, den Arbeitermangel und die daraus resultierende 52 Vgl. die Arbeiterschutzresolution des Internationalen Arbeiterkongresses zu Paris vom Juli 1889, abgedruckt bei: Schneider, Arbeitszeit, S. 51. 53 Vgl. Schneider, Arbeitszeit, S. 50, 52. 54 Vgl. Mommsen, Parteiprogramme, S. 349 - 352. 55 s. nur Verhandlungen des RT 1895/97, Bd. 6, S. 4795 ff. (v. 19. 2. 1897). 56 Leitsätze des Verbandes Deutscher Gewerkvereine (H.D.) v. 25.1.1908, Zit. nach Schneider, Arbeitszeit, S. 63. 57 Vgl. Schneider, Gewerkschaften, S. 353. 58 Vgl. Abbe, Gesammelte Abhandlungen, Bd. 3, S. 205.

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1. Teil: Die Anfänge der Arbeiterschutzgesetzgebung

Notwendigkeit der Hinzuziehung von ausländischen Arbeitskräften sowie die negativen Auswirkungen für die gesamte Volkswirtschaft wurden alle Arbeitszeitforderungen verworfen. 59 In der zweiten Kriegshälfte nahm die Gewerkschaftsbewegung einen großen Aufschwung. Das Anwachsen der Mitgliederzahlen verdeutlichte dies. 60 Sichtbar wurde der ansteigende Machtzuwachs aber auch in dem am 23. Nov. 1917 verabschiedeten sozialpolitischen Programm der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands. Neben der Einrichtung eines eigenständigen Reichsarbeitsministeriums, der Anerkennung des Tarifvertrages und der vollen Koalitionsfreiheit wurde auch der stufenweise Übergang zum gesetzlichen Achtstundentag gefordert. 61 Die Arbeitnehmerverbände gingen damit weit über die Forderungen der Vorkriegszeit hinaus. Bald betonten die Gewerkschaften: Der Achtstundentag sei ein Anrecht, „das sich die Arbeiterklasse aus diesem Kriege erkämpft hat und das durch tausendfältige Erfahrungen aus der harten Kriegszeit begründet w i r d . " 6 2 Die Arbeitgeber beharrten indessen zunächst auf ihrer Vorkriegsposition. I n der „Denkschrift über die Forderungen der Übergangszeit und Friedenswirtschaft" wandte sich die VDA gegen jede gesetzliche Verkürzung der Arbeitszeit. 63 Die Not und Zerstörung des Krieges lieferte den Arbeitgebern neue Argumente. So schrieb die Deutsche Arbeitgeber-Zeitung am 7. Okt. 1917: „Nach dem Krieg heißt es arbeiten, arbeiten und nochmals arbeiten. Es werden Überstunden mehr denn je geleistet werden müssen, um die Leistungen zu vollbringen, die unser nach dem Krieg dezimiertes Arbeitsheer vollbringen muß, um an seinem Teile den wirtschaftlichen Aufstieg unseres Vaterlandes zu ermöglichen." 64 Und damit waren die Auseinandersetzungen der Nachkriegszeit bereits vorprogrammiert.

ΠΙ. Arbeitszeitrecht als Folge der Novemberrevolution 1918: Die Einführung des Achtstundentages 1. Der Aufruf des Rates der Volksbeauftragten vom 12. November 1918

Wenige Tage nach Ausbruch der Novemberrevolution leitete der Rat der Volksbeauftragten eine neue Epoche der Arbeiterschutzgesetzgebung ein. 59 Vgl. Kind, Der Achtstundentag für die Großeisenindustrie, auszugsweise abgedruckt bei: Schneider, Arbeitszeit, S. 217 f. 60 So stieg ζ. B. die Mitgliederzahl des ADGB von ca. 1 Mio. im Dez. 1916 auf ca. 1,5 Mio. im Sept. 1918 an; vgl. Tab. 3 - 6 bei Bieber, Gewerkschaften, S. 1129 ff. 61 Vgl. Umbreit, Arbeiterforderungen, S. 40, 105. 62 Corr.bl. Nr. 25 v. 22. 6. 1918, S. 227 - 231, Zit. S. 231. 63 Vgl. Tänzler, Arbeitgeberverbände, S. 124 - 128; s. a. Schneider, Unternehmer, S. 36 f. 64 Dt. AG.-Zeitung Nr. 40 v. 7.10.1918,1. Beiblatt.

III. Die Einführung des Achtstundentages

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Am 12. Nov. 1918 verkündete die Revolutionsregierung in einem Aufruf die sofortige Wiederinkraftsetzung der zu Beginn des Krieges aufgehobenen Arbeiterschutzbestimmungen. 65 Außerdem enthielt der Aufruf folgenden Passus: „Spätetestens am 1. Jan. 1919 w i r d der achtstündige Maximalarbeitstag in Kraft treten." Damit fand die Hauptforderung der revolutionären Arbeitermassen ihre Erfüllung. Es kann nicht verwundern, daß die Gewerkschaften glaubten, am Ziel ihrer Wünsche angekommen zu sein, und den Aufruf als „Beseitigung der Volksentrechtung" feierten. 66 Für den USPD-Abgeordneten und Mitbegründer des Rates der Volksbeauftragten Wilhelm Dittmann war er gar die „Magna Charta der Revolution". 67 Derartige Wertungen ließen indessen unberücksichtigt, daß der Aufruf die entscheidende Frage, ob der Achtstundentag dauernd eingeführt werden sollte oder ob er nur für die Zeit der Demobilmachung als Übergangsmaßnahme gedacht war, nicht regelte. 68 Die darin liegende Möglichkeit für eine spätere Revision wurde noch dadurch verstärkt, daß nach dem Eintritt verfassungsmäßiger Zustände die Gültigkeit des Aufrufs unter verfassungsrechtlichen Aspekten zumindest fragwürdig war. 6 9

2. Die Anordnung des Demobilmachungsamtes über die Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 23. November / 17. Dezember 1918 und die Verordnung über die Regelung der Arbeitszeit der Angestellten vom 18. März 1919

Kurze Zeit später, am 23. Nov. 1918, erfolgte die Verwirklichung der im Aufruf enthaltenen Ankündigung in Form einer „Anordnung über die Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter". 7 0 Erlassen hatte die Anordnung das mit Gesetzgebungsbefugnissen ausgestattete Reichsamt für wirtschaftliche Demobilmachung. Dieses war unter der Leitung des ehemaligen Chefs der Kriegsrohstoffabteilung, Oberst Koeth, als ein Provisorium auf Drängen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern entstanden und sollte einen möglichst reibungslosen Übergang von der Kriegs- zur Friedenswirtschaft gewährleisten. 71 Entsprechend dem vorangegangenen Aufruf setzte die AO vom 23. Nov. die tägliche Höchstarbeitszeit für alle gewerblichen Arbeiter in den gewerblichen und öffentlichen Betrieben sowie im Bergbau auf acht Stun65 RGBl. 1918, S. 1303 f.; s. a. Hattenhauer, Geistesgeschichtliche Grundlagen, S. 212 f. 66 Corr.bl. Nr. 46 v. 16. Nov. 1918, S. 415 f., Zit. S. 416. 67 Zit. nach Miller, Regierung der Volksbeauftragten, 1. Teil, S. 37. es Vgl. Preller, Sozialpolitik, S. 270; Feldman / Steinisch, Achtstundentag, S. 358. 69 Zu den verfassungsrechtlichen Aspekten des Aufrufs vgl. Anschütz in: JW 1918, S. 751 f. 70 RGBl. 1918, S. 1334 - 1336. 71 Zur Entstehung des Demobilmachungsamtes vgl. Bieber, Gewerkschaften, S. 601 ff.

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1. Teil: Die Anfänge der Arbeiterschutzgesetzgebung

den ausschließlich der Pausen fest (Ziff. I, II). Möglichkeiten zu Arbeitszeitverlängerungen wurden auf ein wirtschaftlich notwendiges Minimum beschränkt und waren vorgesehen: - zur Kompensierung von Arbeitszeitverkürzungen an den Vorabenden der Sonn- und Feiertage (Ziff. II), - beim Wechsel der Schichtfolge in durchgehend arbeitenden Betrieben bis zu 16 Stunden innerhalb eines Zeitraumes von drei Wochen, allerdings nur für erwachsene Männer und nur unter der Bedingung, daß in diesen drei Wochen einmal eine ununterbrochene Ruhezeit von 24 Stunden gewährt wurde (Ziff. IV), - unbegrenzt für vorübergehend unverzüglich zu verrichtende Notarbeiten (Ziff. VI), - für Betriebe, deren Natur eine Unterbrechung nicht gestattete oder deren unbeschränkte Aufrechterhaltung im öffentlichen Interesse nötig war, mit Genehmigung des zuständigen Gewerbeaufsichtsbeamten. Die Genehmigung war an die Zustimmung des Arbeitsausschusses bzw., wenn ein solcher nicht vorhanden war, an die der Belegschaft gebunden und durfte nur erteilt werden, wenn die erforderliche Zahl geeigneter Arbeiter vorhanden war (Ziff. VII). Die Starre dieses Schemas wurde durch die ErgänzungsAO vom 17. Dez. 1918 etwas gemildert. 72 Danach wurde den Demobilmachungskommissaren vor allem die Befugnis erteilt, widerruflich weitergehende Ausnahmen aus Gründen des öffentlichen Interesses zu genehmigen (Ziff. V I I Abs. 3). Für die jugendlichen und weiblichen Arbeiter brachte Ziff. V Abs. 3 der ErgänzungsAO eine Verbesserung der Pausenregelung. Andererseits konnten über 16jährige Arbeiterinnen in zwei- und mehrschichtigen Betrieben bis zehn Uhr abends beschäftigt werden (Ziff. V). Ein Verstoß gegen die genannten Bestimmungen war mit Geldstrafe bis zu 2000 Mark, im Unvermögensfalle mit Gefängnis bedroht (Ziff. X). Am 18. März 1919 folgte eine weitere DemobilmachungsVerordnung über die Regelung der Arbeitszeit der Angestellten. 73 Sie stellte die Angestellten - mit Ausnahme derjenigen in leitenden Positionen und den Angestellten der Land- und Forstwirtschaft (§§11, 12) - den Arbeitern arbeitszeitrechtlich prinzipiell gleich. Obwohl auch diese VO ziemlich konsequent am Achtstundentag festhielt (§1), waren Ausnahmen bereits in stärkerem Maße vorgesehen als in der AO vom 23. Nov. 1918. Über die ebenfalls für die gewerblichen Arbeiter bestehenden Möglichkeiten hinaus, die Arbeitszeit zum Ausgleich von Arbeitszeitverkürzungen, in Notfällen und mit Geneh™ RGBl. 1918, S. 1436. 73 RGBl. 1919, S. 315-320.

III. Die Einführung des Achtstundentages

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migung des Demobilmachungskommissars zu verlängern, 74 konnte der Achtstundentag überschritten werden: - an 20 der Wahl des Arbeitgebers überlassenen Tagen im Jahr bis zu zehn Stunden täglich (§ 5), - unbegrenzt für unverzüglich zu verrichtende Arbeiten im öffentlichen Interesse und zur Verhütung des Verderbens von Waren oder des Mißlingens von Arbeitserzeugnissen (§ 4 Nr. 2,3), - mit widerruflicher Genehmigung des zuständigen Aufsichtsbeamten, wenn Naturereignisse, Unglücksfälle oder andere unvermeidliche Störungen zu einer Unterbrechung des Betriebes geführt hatten (§ 6), - durch Tarifvertrag an 30 Tagen im Jahr (§ 7). Außerdem konnte im Wege tariflicher Einigung anstelle des Achtstundentages die 48-Stunden-Woche bzw. die 96stündige Doppelwoche vereinbart werden (§ 7 II). Um eine wirksame Kontrolle durch die Gewerbeaufsichtsbeamten zu gewährleisten, waren die Arbeitgeber in den meisten Fällen verpflichtet, Überstunden schriftlich, etwa in der Form eines Verzeichnisses, festzuhalten. 75 Nichtsdestoweniger waren die ersten Ansätze für eine Anpassung des Arbeitszeitrechts an die wirtschaftlichen Gegebenheiten unverkennbar. Darüber hinaus dehnte die VO die Vorschriften über die Sonntagsruhe, die bisher nur für die gewerblichen Arbeiter galten, auf die Angestellten aus (§ 8). Endlich regelte sie den Ladenschluß für die Verkaufsangestellten (§ 9). Die Strafvorschrift entsprach der für die gewerblichen Arbeiter (§ 18). Für die späteren Auseinandersetzungen um das Arbeitszeitrecht war entscheidend, daß die beiden Verordnungen als Demobilmachungsbestimmungen, also nur für die Übergangszeit ergingen. Die Einführung des Achtstundentages wurde damit vorrangig zu einer Maßnahme der Arbeitsstreckung aus arbeitsmarktpolitischen Gründen: Die vorhandenen Arbeitsplätze sollten auf möglichst viele der heimkehrenden Kriegsteilnehmer verteilt werden. Zugleich stand damit fest, daß die Demobilmachungsbestimmungen baldmöglichst durch ein endgültiges Arbeitszeitgesetz abgelöst werden würden. 3. Das Zentralarbeitsgemeinschaftsabkommen vom 15. November 1918

Neben der Neuregelung des Arbeitszeitrechtes durch staatliche Maßnahmen war es inzwischen durch den Abschluß des Zentralarbeitsgemeinschaftsabkommens am 15. Nov. 1918 zu einer direkten Arbeitszeitvereinbarung zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften gekommen. Aus ™ Ziff. I I der AO ν. 23.11.1918 entspricht § 1 der VO v. 18. 3.1919, Ziff. VI dem § 4 Nr. 1 und Ziff. V I I der ErgänzungsAO v. 17. 12. 1918 dem § 10. 75 Vgl. §§ 4 II, 5 III, 6, 7 IV der VO v. 18. 3. 1919. 3 Bischoff

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1. Teil: Die Anfänge der Arbeiterschutzgesetzgebung

Furcht vor einem völligen wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch war die Unternehmerschaft noch vor Ausbruch der Revolution zu der Überzeugung gelangt, mit den organisierten Arbeitern und Angestellten zusammenzuarbeiten. 76 Verhandlungen zwischen namhaften Gewerkschaftsführern und Arbeitgebervertretern über die Basis für eine Arbeitsgemeinschaft fanden im Okt. 1918 in Berlin und im Ruhrgebiet statt. 77 Als die Regelung der Arbeitszeit zur Sprache kam, erhoben die Schwerindustriellen sofort Einwände gegen die von den Arbeitervertretern geforderte generelle Einführung des Achtstundentages und gaben lediglich die allgemeine Zusage, auf eine allmähliche Verkürzung der Arbeitszeit hinarbeiten zu wollen. 7 8 Die Gewerkschaftsführer zeigten sich indessen konzessionsbereit. Sie signalisierten ihre Bereitschaft, die allgemeine Einführung des Achtstundentages von einer internationalen Vereinbarung abhängig zu machen, die achtstündige Höchstarbeitszeit zunächst nur für die durchgehend arbeitenden Betriebe zu fordern und sich im übrigen „mit dem allmählichen Abbau der jetzigen Arbeitszeit bis auf neun Stunden etwa" zufriedenzugeben. 79 Bevor die Besprechungen zu konkreten Ergebnissen führen konnten, brach die Revolution aus und veränderte die Situation grundlegend. Am 9. Nov. 1918, als die Revolution Berlin erreicht hatte, trafen sich Hans von Raumer, Geschäftsführer des Zentralverbandes der elektrotechnischen Industrie, und der spätere Vorsitzende des AD GB, Theodor Leipart, jedoch nur um festzustellen, daß an eine Übereinkunft nicht zu denken sei. 80 Gleichwohl dachten die Gewerkschaften nicht an einen Abbruch der Verhandlungen. Bereits am 11. Nov. wurden die Gespräche wieder aufgenommen. Jetzt erhöhten die Gewerkschaftsführer ihre sozialpolitischen Forderungen und machten insbesondere die sofortige Einführung des Achtstundentages bei gleichbleibendem Gesamtverdienst für alle Arbeitnehmer zur Bedingung für eine Zusammenarbeit. 81 Unter dem Eindruck, daß nur durch ein Abkommen mit den Gewerkschaften „Anarchie, Bolschewismus, Spartakusherrschaft und Chaos" verhindert werden konnte, 82 beugten sich die

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Vgl. Reichert, Arbeitsgemeinschaft, S. 5 f. Am 2. 10. 1918 traf sich von Raumer mit Legien, Bauer (beide ADGB) und Schlicke (DMV) i n Berlin, vgl. Schreiben von Raumers an von Siemens vom 8. 10. 1918, abgedruckt mit den übrigen Dokumenten zu den am 18. 10. im Ruhrgebiet, am 22.10. in Berlin und am26.10.1918in Düsseldorf stattfindenden Verhandlungen bei: Feldman, Origins, S. 49 ff. 78 Vgl. Aufzeichnung Voglers über die Besprechung mit Gewerkschaftsführern vom 18. 10. 1918 in Mühlheim, abgedruckt bei: Feldman, Origins, S. 61 f. 79 Vgl. Niederschrift über die Besprechung der Nordwest-Deutschen Gruppe des VDESI mit Vertretern des DMV vom 26.10.1918 in Düsseldorf, abgedruckt bei: Feldman, Origins, S. 69 - 75, Zit. S. 73. 80 Vgl. Leipart, Legien, S. 107. 81 Vgl. Leipart, Legien, S. 108; Reichert, Arbeitsgemeinschaft, S. 12; s. a. das Referat von Leipart auf dem Nürnberger Kongreß, Prot, der Verhandlungen des 10. Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands, S. 426 ff., hier: S. 428. 77

III. Die Einführung des Achtstundentages

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Vertreter aus den Reihen der Fertig- und Schwerindustrie den gewerkschaftlichen Forderungen. Am 11. und 12. Nov. 1918 fanden die Verhandlungen ihr Ende. Ergebnis war ein förmliches Abkommen, in dem unter anderem die Gewerkschaften als berufene Vertreter der Arbeiterschaft anerkannt und jegliche Beschränkungen der Koalitionsfreiheit für unzulässig erklärt wurden. In sozialpolitischer Hinsicht sah die Vereinbarung vor allem die Bereitschaft der Vertragsparteien zu tariflicher Regelung der Arbeitsbedingungen sowie die sofortige Einführung des Achtstundentages ohne Lohnkürzung vor. Das 13 Punkte umfassende Zentralarbeitsgemeinschaftsabkommen wurde am 15. Nov. 1918 veröffentlicht. 83 Die Gewerkschaftspresse begrüßte das Abkommen überschwenglich als „gewerkschaftlichen Sieg von seltener Größe", 84 der „die kühnsten Erwartungen der organisierten Arbeiterschaft" erfülle. 85 Der Achtstundentag sei den Arbeitern „wie eine reife Frucht in den Schoß" gefallen. 86 Wie wenig einschneidend das Abkommen jedoch für das Arbeitszeitrecht war, zeigt folgende Betrachtung: Die ursprünglichen Forderungen der Gewerkschaftsführer waren dahin gegangen, „das Höchstmaß der täglichen Arbeitszeit. .. für alle Betriebe ohne Ausnahme auf acht Stunden festzusetzen". Den Arbeitgebervertretern gelang es jedoch, eine Streichung der Worte „ohne Ausnahme" zu erwirken und das Adverb „täglich" durch „regelmäßig" zu ersetzen. 87 Damit waren Ausnahmen für einzelne Betriebe, ja sogar für ganze Gewerbezweige, nicht mehr ausgeschlossen. Auch hatten sich die Arbeitervertreter dazu bewegen lassen, die dauernde Einführung des Achtstundentages an seine internationale Einführung zu binden. Mit der Sorge um die internationale Wettbewerbsfähigkeit rechtfertigte der Schwerindustrielle Hugo Stinnes diesen Vorbehalt. Gleichzeitig benutzte er ihn aber auch als Nachweis dafür, „daß, wenn w i r später mit anderen Anträgen auf Verlängerung der Arbeitszeit kämen, w i r schon vorher darauf aufmerksam gemacht haben." 88 Tatsächlich beriefen sich die Unternehmer bereits wenig später auf diese Bedingungen. Wohl aus taktischen Gründen erschien die „Internationalisierungsklausel" nicht in dem veröffentlichten Zentralarbeitsgemeinschaftsabkommen. Nur in einem Schreiben, das die beiden

82 Hilger (Generaldirektor der Vereinigten Königs- und Laurahütten AG) in der Hauptvorstandssitzung des VDESI vom 14. 11. 1918, abgedruckt bei: Feldman, Origins, S. 86 - 102, Zit. S. 86. 83 RABl. 1918, S. 874. 84 Corr.bl. Nr. 47 v. 23. 11. 1918, S. 425. 85 Corr.bl. Nr. 1 v. 4. 1. 1919, S. 1 - 4, Zit. S. 3. 86 Corr.bl. Nr. 47 v. 23. 11. 1918, S. 425. 87 Vgl. die Mitteilungen Stinnes in der Hauptvorstandssitzung des VDESI vom 14. 11. 1918: Feldman, Origins, S. 96. 88 Vgl. die Mitteilungen Stinnes in der Hauptvorstandssitzung des VDESI vom 14. 11. 1918: Feldman, Origins, S. 97 f., Zit. S. 98.

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1. Teil: Die Anfänge der Arbeiterschutzgesetzgebung

Ausschußvorsitzenden der neugegründeten Arbeitsgemeinschaft, der Vorsitzende der VDA, Ernst von Borsig, und der Vorsitzende der Generalkommission der freien Gewerkschaften, Carl Legien, an die Revolutionsregierung richteten, wurde darauf Bezug genommen. 89 Trotz der aufgezeigten Vorbehalte, mit denen die Rechtsgrundlagen des Achtstundentages behaftet waren, schien das Arbeitszeitproblem Ende 1918 endlich eine die Arbeiterschaft zufriedenstellende Lösung gefunden zu haben. Das politische Machtgefüge hatte sich entscheidend zugunsten der Sozialdemokratie verschoben. Der Einfluß der Arbeiterschaft schien gesichert. Jedoch bedeutete die Entscheidung der Sozialdemokratie für eine parlamentarische Demokratie und gegen eine sozialistische Arbeiterrepublik zugleich den Verzicht der Arbeiterschaft auf eine Machtübernahme und eine Neuordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Die dafür erkämpfte Machtteilhabe bedeutete zwar einen wichtigen Fortschritt gegenüber der Benachteiligung der Arbeiterschaft im Kaiserreich. Sie bewahrte den Unternehmern aber auch die Möglichkeit, über die wirtschaftlichen Machtfaktoren Einfluß auf die politischen Verhältnisse zu nehmen. Und schon bald gingen die Industriellen dazu über, ihre Herrschaftspositionen wieder aufzubauen. 90 Damit war aber auch der Achtstundentag keineswegs so dauerhaft gesichert, wie es die Gewerkschaften zunächst annahmen. Die Arbeitnehmerverbände mußten sich vielmehr darauf einstellen, daß nach dem Abflauen der revolutionären Unruhen der Streit um die Arbeitszeit aufs neue entbrennen würde. 4. Arbeitszeitkonflikte im Ruhrbergbau 1918/19

Die Früchte der Revolution hatten die Bergarbeiter keineswegs zufriedengestellt. Mit Rücksicht auf die Schwere der Arbeit hatte bereits vor dem Krieg die Schichtzeit unter Tage 8 V2 Stunden einschließlich Ein- und Ausfahrt betragen. Im Gegensatz zur übrigen Industriearbeiterschaft, die zum Teil weniger anstrengende Arbeit leistete, jedoch eine Arbeitszeitverkürzung von ca. 2 Stunden verbuchen konnte, brachte die allgemeine Einführung des Achtstundentages den Bergarbeitern nur eine Schichtverkürzung von einer halben Stunde. Es war deshalb nicht verwunderlich, daß die Bergarbeiter nun um den Verlust ihrer traditionell privilegierten Stellung bangten. Seit dem Herbst 1918 war es im Ruhrgebiet wiederholt zu Arbeitszeitkonflikten gekommen. 91 Hatte zunächst die 7 Vfe-stündige Schicht im Mittel89

Schreiben von Legien und v. Borsig an den Vollzugsausschuß vom 15. 11. 1918, abgedruckt bei: Feldman, Origins, S. 102 f. 90 Zur Einschätzimg der revolutionären Entwicklung vgl. Rürup, Revolution, S. 33 f. 91 Zu den Arbeitszeitkonflikten im Herbst 1918 vgl. Lucas, Bergarbeiterbewegung, S. 1 - 1 1 9 , ders. / Del Tedesco, Bergarbeiterbewegung, S. 141-168.

III. Die Einführung des Achtstundentages

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punkt der Forderungen gestanden, so verlangten die Bergarbeiter nach dem Scheitern des Generalstreiks vom Feb. 1919 die generelle Einführung der Sechsstundenschicht.92 Diese von der Mehrheit der Bergarbeiter getragene Forderung wurde von den vier Bergarbeiterverbänden nicht übernommen. Sie wollten - so hieß es offiziell - den Erfolg des Achtstundentages nicht entwerten und die seit Kriegsende herrschende Kohlenot nicht noch vergrößern. 93 Um jedoch nicht vollends den Boden unter der Bergarbeiterschaft zu verlieren, sahen sich die Bergarbeiterverbände genötigt, vom Zechenverband die sofortige Einführung der 7 ^-Stunden-Schicht zu fordern, weil „ohne ein derartiges Zugeständnis die . . . Bewegung der gewaltsamen Erzwingung kürzerer Schichten nicht aufzuhalten sei." 9 4 Derart unter Druck gesetzt, stimmte der Zechenverband am 26. März 1919 einer halbstündigen Schichtverkürzung bei vollem Lohnausgleich ab 1. April 1919 zu. 95 Ruhe kehrte damit allerdings nicht ein. Am 30. März unterbreitete die Schachtdelegiertenkonferenz, der vorwiegend Mitglieder der KPD und USPD angehörten, einen Forderungskatalog, an dessen erster Stelle die sofortige Einführung der Sechsstundenschicht stand. 96 Bis zur restlosen Bewilligung der Forderung wurde am 1. April der Generalstreik ausgerufen. Vergeblich warnten die Gewerkschaften vor einer Beteiligung am Streik und riefen zum „schärfsten Widerstand" gegen die „spartakistisch-bolschewistischen Streiktreiber" auf. 97 Die Regierung antwortete mit der Verhängung des Belagerungszustandes über das Ruhrgebiet. In einem Aufruf vom 1. April lehnte sie zudem die Forderungen unter Hinweis auf ihre katastrophalen wirtschaftlichen Folgen ab und stellte denjenigen Arbeitern, die die 7 V2-Stunden-Schicht verfuhren, eine Schwerstarbeiterzulage in Aussicht. 98 Trotzdem befanden sich am 10. April knapp drei Viertel aller Ruhrbergarbeiter im Ausstand. 99 Notgedrungen griffen die Gewerkschaften nun die Forderungen der Streikenden auf. In einer Besprechung am 7. April setzten sie sich gegenüber dem Zechenverband für eine vorübergehende Einführung der Sechsstundenschicht ein, weil „andernfalls keine Ruhe ins Revier" käme. 1 0 0 Der Zechenverband beharrte indes auf I V i Stunden. Zwei Tage 92 Vgl. Oertzen, Ruhrbergarbeiterschaft, S. 244; Spethmann, Ruhrbergbau, Bd. 1, S. 263. 93 Vgl. Spethmann, Ruhrbergbau, Bd. 1, S. 263 f. 94 Zit. nach Spethmann, Ruhrbergbau, Bd. 1, S. 263. 95 Vgl. Spethmann, Ruhrbergbau, Bd. 1, S. 264. 96 Vgl. Huber, Dokumente, Bd. 3, S. 86 f.; s. a. Severing, Watterwinkel, S. 21. 97 Resolution des Bergarbeiterverbandes vom 4./5. 4. 1919, abgedruckt in: Corr.bl. Nr. 15 v. 12. 4. 1919, S. 150 f. 98 Vgl. Prot, der Kab.-Si. vom 31. 3. 1919, Schulze (Bearb.), Akten der Rkei., Kab. Scheidemann, S. 118 f., und für den Aufruf, der am folgenden Tag in den Tageszeitungen erschien: DAZ Nr. 156 v. 1. 4. 1919. 99 Oertzen, Ruhrbergarbeiterschaft, S. 244; Spethmann, Ruhrbergbau, Bd. 1, S. 280. 100 So der Bericht bei: Spethmann, Ruhrbergbau, Bd. 1, S. 297 f.

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1. Teil: Die Anfänge der Arbeiterschutzgesetzgebung

später eilte Reichsarbeitsminister Bauer als Vertreter der Regierung in das Revier, um zu vermitteln. Unter seiner Mitwirkung einigte man sich schließlich am 9. A p r i l in Essen auf die Siebenstundenschicht einschließlich Einund Ausfahrt. 1 0 1 Diese wurde 1922 auch gesetzlich verankert. 1 0 2 Damit war die Hauptursache des Streiks beseitigt. Langsam kehrte im Ruhrgebiet wieder Ruhe ein. Die Möglichkeit einer weiteren Schichtverkürzung wurde durch den Einsatz eines Untersuchungsausschusses über diese Frage zunächst noch offengehalten. 103 Der Ausschuß tagte im Sommer und Dez. 1919 unter dem Vorsitz des bekannten Sozialpolitikers Prof. Francke. A m 9. Dez. 1919 gelangte er jedoch zu dem Ergebnis, daß sich die Sechsstundenschicht in Deutschland nur bei internationaler Einführung durchführen lasse. 104 Noch einmal flackerte daraufhin die Bewegung für die Sechsstundenschicht auf. 1 0 5 Die Bergarbeiter erreichten es indes auch während der Wirren des Kapp-Lütwitz-Putsches nicht, ihren Willen durchzusetzen. Unterdessen zeigte sich vielmehr, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse stärker waren als alle Forderungen der Bergarbeiterschaft. Die Kohleproduktion, von der Deutschlands Wirtschaft weitgehend abhing, hatte Ende 1919 mit 65 bis 70 Prozent der Vorkriegsleistung einen neuen Tiefstand erreicht. 1 0 6 U m dem abzuhelfen, leitete die Regierung noch in der zweiten Hälfte des Jahres 1919 die ersten Verhandlungen über das Verfahren von Überschichten ein. Die aufgrund der Nahrungsmittelnot „ i n der Bergarbeiterschaft unzweifelhaft vorhandene Neigung, gegen bessere Verpflegung Überschichten zu leisten," kam den Absichten der Regierung hierbei zugute. 107 Auf einer Sitzung über die Überschichtenfrage am 16. Feb. 1920 in Essen zeigten sich die Bergarbeiterverbände denn auch einem freiwilligen Überschichtenabkommen gegenüber nicht vollends abgeneigt. 108 Der Vorschlag von Hugo Stinnes jedoch, auf diesem Wege zur 8 V2-stündigen Schichtzeit, also zur Vorkriegsarbeitszeit zurückzukehren, stieß erwarloi vgl. p r o t . der Kab.-Si. vom 11. 4. 1919, Schulze (Bearb.), Akten der Rkei., Kab. Scheidemann, S. 154, bes. Anm. 2; Oertzen, Ruhrbergarbeiterschaft, S. 245. !°2 RGBl. 1922 I, S. 628 f. 103 Zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses vgl. Schreiben des R.arb.min. Bauer an das Büro d. Rpräs. v. 2. 6. 1919, ZStA/Präs./176/Bl. 10; Prot, der Kab.-Si. v. 10. 6. 1919, Schulze (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Scheidemann, S. 437, bes. Anm. 6. 104 Verhandlungsbericht des Ausschusses zur Prüfung der Frage der Arbeitszeit im Bergbau des Ruhrgebiets, Si. ν. 9. 12. 1919, BA/R 43 I/2170/B1. 177 f. 105 Zu den Arbeitszeitkonflikten im Frühjahr 1920 vgl. Feldman, Ruhrbergbau, S. 168 - 223; Severing, Watterwinkel, S. 121 ff. 106 Vgl. Bericht des R.wirt.min. über die Wirtschaftslage im Dez. 1919, Golecki (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Bauer, S. 557. 107 So R.arb.min. Schlicke in einem Schreiben an den StS. d. Rkei. v. 20. 12. 1919, BA/R 43 I/2170/B1. 127 - 130. 108 Niederschrift über die Besprechung mit Vertretern der Reichsregierung, der Bergarbeiterverbände und des Zechenverbandes v. 16. 2.1920, BA/R 43 I/2170/BL 219 -221.

III. Die Einführung des Achtstundentages

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tungsgemäß auf strikte Ablehnung. „Die Bergleute haben keine Lust, in der Zeit des Achtstundentages für die Herrschaften über Tage, unter Tage 8 V2 Stunden zu arbeiten", entgegnete der christliche Gewerkschaftsführer Heinrich Imbusch. 109 Die Arbeitsgemeinschaft, daraufhin mit der Konfliktlösung betraut, legte zwei Tage später einen Vorschlag für eine tarifliche Vereinbarung vor. 1 1 0 Danach sollten sich die Belegschaften des Ruhrkohlereviers verpflichten, gegen erhebliche materielle Zugeständnisse ab 23. Feb. 1920 zweimal wöchentlich eine Überschicht von 3V2 Stunden zu verfahren. Auf dieser Basis wurde am 18. Feb. 1920 das erste Überschichtenabkommen der Nachkriegszeit unterzeichnet. Es bildete mit fortlaufenden Veränderungen bis 1922 die Grundlage des Arbeitszeitrechtes für die Bergarbeiter. Die Auseinandersetzungen um die Sechsstundenschicht offenbarten zweierlei: Zum einen bot die Forderung der Bergarbeiter nach einer kürzeren Arbeitszeit als die der übrigen Industriearbeiter dem Unternehmertum eine erste Handhabe gegen den Achtstundentag. So sah sich der Großindustrielle Peter Klöckner zu folgender Äußerung veranlaßt: „Die Einführung des Achtstundentages nach dem verlorenen Krieg halte er für das größte Unglück, daß je ein Volk getroffen habe. Wenn alle Berufe über acht Stunden Arbeitszeit hätten, gewiß, dann könne der Mann unter Tage mit Recht sagen, er habe die schwerste Arbeit, er müsse weniger arbeiten." 1 1 1 Dies bedeutete nichts anderes, als daß die Bergarbeiter zwar nicht weniger, die übrige Arbeiterschaft jedoch länger arbeiten sollte. Zum anderen hatten die Verhandlungen über die Überschichten deutlich gemacht, daß die Regelung der Arbeitszeit primär wirtschaftlichen und nicht sozialen Erwägungen unterlag. Damit aber war dem künftigen Arbeitszeitrecht bereits der Weg gewiesen.

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Ebd., Bl. 220. Vgl. Golecki (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Bauer, S. 606, Anm. 9; Feldman, Ruhrbergbau, S. 190. 111 Verhandlungsbericht des Ausschusses zur Prüfung der Frage der Arbeitszeit im Bergbau des Ruhrgebiets, Si. ν. 20. 8. 1919, BA/R 43 I/2170/B1. 94. 110

Zweiter Teil

Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923 I. Die Gesetzgebungsarbeiten des Reichsarbeitsministeriums in den Jahren 1919 bis 1922 1. Die Entwürfe zu einem Arbeitszeitgesetz für die gewerblichen Arbeiter

a) Der Entwurf von Vorschriften über die Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 10. Juni 1919 Bereits die erste von der Nationalversammlung gebildete Regierung unter Reichskanzler Scheidemann nahm die Neuregelung des Arbeitszeitrechts in Angriff. Zunächst sollte die DemobilmachungsAO über die Arbeitszeit der gewerblichen Arbeiter vom 23. Nov. 1918 durch ein endgültiges Arbeitszeitgesetz abgelöst werden. Am 10. Juni 1919 legte Reichsarbeitsminister Bauer, ein führendes Mitglied der freien Gewerkschaften, den Landesregierungen einen ersten Entwurf hierzu vor. 1 Vorschriften über die Arbeitszeit der Angestellten folgten erst zwei Jahre später. Ursprünglich war Bauer bestrebt gewesen, das gesamte Arbeitsrecht und damit auch das Arbeitszeitrecht innerhalb des nach Art. 157 I I WRV zu schaffenden einheitlichen Gesetzbuches der Arbeit neu zu fassen. Mit den Vorarbeiten zu diesem umfassenden Werk hatte er im Mai 1919 einen Ausschuß betraut, dem namhafte Juristen und Sozialpolitiker wie auch Experten der Gewerkschaften aller Richtungen angehörten. 2 Der Übergangscharakter der Demobilmachungsverordnungen über die Arbeitszeit und das ungeregelte Nebeneinander von Demobilmachungsrecht und Arbeitszeitrecht nach der GewO begründeten indessen die dringende Notwendigkeit, die Materie möglichst schnell zu regeln. 3 In dem „Entwurf von Vorschriften über die Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter" - von einem Gesetz war erst später die Rede - orientierte sich Bauer in erster Linie an den Arbeitszeitregelungen der AO vom 1 Entwurf von Vorschriften über die Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter (s. Anlage 1) und Begr. nebst Schreiben Bauers an die Landesreg. v. 10. 6. 1919, Hmb. StA, Fase. 1, 16. 2 Vgl. Potthoff, Gewerkschaften, S. 189; Prot, der Verhandlungen des 11. Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands, S. 166 f. 3 Vgl. Schreiben Bauers an die Landesreg. v. 10. 6. 1919, Hmb. StA, Fase. 1, 16.

I. Gesetzgebungsarbeiten in den Jahren 1919 bis 1922

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23. Nov. 1918. Gleichzeitig suchte er die aus der übergangslosen Einführung des gesetzlichen Achtstundentages resultierenden Schwierigkeiten herabzumildern. 4 Den Gewerben war nur wenig Zeit gelassen worden, die Betriebe auf den durch eine verkürzte Arbeitszeit geänderten Produktionsrhythmus umzustellen. Demgemäß bildeten den Kernpunkt des Bauerschen Entwurfs die Bestimmungen über den Achtstundentag und seine Abweichungen. Wesentliche Neuerungen im Bereich des Jugendlichen- und Frauenarbeitszeitschutzes waren, abgesehen von der Einführung des Ladenschlusses am Samstag um drei Uhr für die Frauen (Ziff. V) und der Anrechnung von Fortbildungsschulzeit als Arbeitszeit (Ziff. I I Abs. 2), deshalb auch nicht zu verzeichnen. Der Entwurf legte grundsätzlich für alle gewerblichen Arbeiter einschließlich denen des Bergbaus den achtstündigen Höchstarbeitstag fest (Ziff. I, II). In beinahe wörtlicher Übereinstimmung mit der AO vom 23. Nov. 1918 waren Ausnahmen vorgesehen zum Ausgleich ausgefallener Arbeitsstunden unter Einhaltung der 48-Stunden-Woche (Ziff. II) sowie beim Schichtwechsel in den durchgehend arbeitenden Betrieben (Ziff. III). Die Abschaffung der 16stündigen Wechselschicht zugunsten einer konsequenten Einführung des Dreischichtsystems wurde von Bauer zwar erwogen, jedoch wegen der mit Mehreinstellungen verbundenen Kostenbelastung abgelehnt. 5 Darüber hinaus sollten Arbeitszeitverlängerungen in Notfällen und bei Gefahr des Verderbens von Rohstoffen nach Entscheidung des Arbeitgebers unbegrenzt zugelassen werden (Ziff. VI). Die wichtigste Neuerung stellte die erstmalige Einbeziehung des Tarifvertrages als Instrument zur Arbeitszeitregelung für die gewerblichen Arbeiter dar. War dieser für allgemein verbindlich erklärt, also gem. § 2 TVO vom 23. Dez. 1918 behördlicherseits auch auf die nicht tarif gebundenen Arbeiter seines Geltungsbereichs ausgedehnt worden, so trat er ohne weiteres an die Stelle der gesetzlichen Vorschiften (Ziff. VII). Andernfalls bedurften Tarifverträge der Genehmigung durch den Gewerbeaufsichtsbeamten (Ziff. V I I I a). Damit sollte ein Hemmnis des Demobilmachungsrechts, das mangels Regelung die Bewilligung einer jeden tariflichen Ausnahme durch den Demobilmachungskommissar erforderte, beseitigt und die Möglichkeit geschaffen werden, die Arbeitszeit den unterschiedlichen Bedürfnissen der Gewerbezweige anzupassen.6 Außerdem konnten die Gewerbeaufsichtsbeamten Ausnahmen vom Achtstundentag bewilligen für Arbeiten zur Überwachung und Beaufsichtigung des Betriebes sowie, um den Besonderheiten der Saisongewerbe Rechnung zu tragen, bei außergewöhnlicher Häufung der Arbeit (Ziff. V I I I b - d). Und schließlich enthielt der Entwurf die Pauschalermächtigung des Reichsarbeitsministeriums, abweichende Arbeitszeitregelungen widerruf-

4 Begr., Hmb. StA, Fase. 1, 16, S. 2. 5 Ebd., S. 10 ff. β Ebd., S. 14 f.

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

lieh zuzulassen (Ziff. IX) - eine Vorschrift, die ihrem Wortlaut nach auch Arbeitszeitverkürzungen nicht ausschloß. Die Straf Vorschrift entsprach der des Demobilmachungsrechts (Ziff. XI). Insbesondere die Möglichkeit, auch Arbeitszeitverkürzungen zuzulassen, verdeutlicht Bauers Absicht, den Achtstundentag im Prinzip noch unangetastet zu lassen. In der Tat hätte der Entwurf, wäre er Gesetz geworden, keine wesentlichen Änderungen gegenüber dem Rechtszustand unter dem Demobilmachungsrecht gebracht. Über die Allgemeinverbindlichkeitserklärung bei Tarifverträgen und über die Genehmigungsbefugnisse der Gewerbeaufsichtsbeamten wären dem Staat überdies entscheidende Einfluß- und Kontrollmöglichkeiten entstanden. Spontane und weitgehende Arbeitszeitverlängerungen wären, abgesehen von Notfällen, weitgehend unmöglich gewesen. Allerdings konnte auch Bauer sich von den wirtschaftlichen Notwendigkeiten nicht völlig frei machen. So erwog er, für gewisse Gewerbe Übergangsfristen für die Einführung des Achtstundentages vorzusehen und mit Rücksicht auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit allgemeine Ausnahmen zuzulassen.7 Wohl aus Loyalität gegenüber der Arbeiterschaft fanden diese Überlegungen zunächst noch keinen Eingang in den Entwurf. Als „Arbeitszeitgesetz, das eine der wichtigsten Errungenschaften der Revolution, den Achtstundentag, sicherstellen wird", kündigte Reichskanzler Bauer am 7. Okt. 1919 vor der Nationalversammlung den von ihm als Reichsarbeitsminister vorgelegten Entwurf offiziell an. 8 b) Der Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 14. September 1920 Noch bevor der Bauersche Entwurf zum Gegenstand von Beratungen werden konnte, gab die Mitgliedschaft Deutschlands in der Internationalen Arbeitsorganisation beim Völkerbund den Ausschlag für eine vollständige Umarbeitung des geplanten Arbeitszeitrechts für die gewerblichen Arbeiter. Auf der vom 29. Okt. bis 30. Nov. 1919 in Washington tagenden Hauptversammlung gelangten folgende Entwürfe zu Übereinkommen zur Annahme, die sich unmittelbar oder mittelbar auf die Arbeitszeit bezogen:9 1. Entwurf eines Übereinkommens betreffend die Beschränkung der Arbeitszeit in gewerblichen Betrieben auf acht Stunden täglich und 48 Stunden wöchentlich, 7

Ebd., S. 6 f. Verhandlungen der Nationalversammlung, Bd. 330, S. 2879. Am 18. 10. 1919 folgte eine Erklärung gleichen Inhalts von R.arb.min. Schlicke, ebd., S. 3251. 9 Vgl, Wulf (Bearb.), Akten der Rkei., Kab. Fehrenbach, S. 258 f., Anm. 8; S. 415 f. Das 1. Übereinkommen ist abgedruckt in: 37. Sonderheft zum RAB1., Anlage S. 3 - 8; Wolff, Achtstundentag, S. 101 - 107; zu den übrigen Übereinkommen vgl. Niederschriften über die Vollsitzungen des RR 1921, § 61 c, § 83 b. 8

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2. Entwurf eines Übereinkommens über die Festsetzung der Altersgrenze für die Zulassung von Kindern zu gewerblicher Arbeit, 3. Entwurf eines Übereinkommens betreffend die Nachtarbeit der Jugendlichen in der Industrie, 4. Entwurf eines Übereinkommens betreffend die Nachtarbeit der Frauen, 5. Entwurf eines Übereinkommens betreffend Frauen vor und nach der Niederkunft.

die Beschäftigung der

Gemäß den Statuten der Organisation war jeder Mitgliedstaat verpflichtet, Entwürfe zu Übereinkommen binnen Jahresfrist nach dem Schluß der Tagung den gesetzgebenden Körperschaften vorzulegen und im Fall der Annahme innerhalb bestimmter Fristen durchzuführen. Ohne einen derartigen innerstaatlichen Einzelakt entfalteten die Entwürfe keinerlei bindende Wirkung (Art. 405 V I I W ) . 1 0 Da zunächst noch mit der Annahme der meisten Übereinkommen in Deutschland zu rechnen war, mußten auch die zu ihrer Durchführung erforderlichen Maßnahmen getroffen werden. Mit den Vorbereitungen hierzu betraute Reichsarbeitsminister Heinrich Brauns, 11 ein katholischer Geistlicher, der der christlichen Gewerkschaftsbewegung nahestand und als Reichsarbeitsminister von Juni 1920 bis Juni 1928 allen Kabinetten angehörte, den in seinem Ministerium beschäftigten Regierungsrat Neitzel. Brauns beauftragte Neitzel, ein Arbeitszeitgesetz für die gewerblichen Arbeiter unter Berücksichtigung der in den genannten Übereinkommen enthaltenen Bestimmungen auszuarbeiten. 12 Am 14. Sept. 1920 übersandte der Reichsarbeitsminister den Ministerien und Landesregierungen einen entsprechenden Arbeitszeitgesetzentwurf. 13 10

Vgl. Wulf (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Fehrenbach, S. 258 f., Anm. 8. Brauns wurde am 3. 1. 1868 als Sohn eines Schneidermeisters in Köln geboren. Er studierte 1885 - 1889 in Bonn und Köln katholische Theologie und wirkte nach dem Empfang der Priesterweihe als Kaplan und Vikar im Ruhrgebiet. Bei der Gründung des Gewerkvereins christlicher Bergarbeiter wurde er 1894 in dessen Ehrenrat berufen. 1903 trat er an die Spitze des Volksvereins für das katholische Deutschland. Daneben studierte Brauns 1903 - 1905 Nationalökonomie und Staatsrecht in Bonn und Freiburg, wo er 1905 zum Doktor der Staatswissenschaften promovierte. Als Zentrumsabgeordneter trat er 1919 in die Nationalversammlung ein und wurde Vorsitzender ihres 6. Ausschusses (Volkswirtschaft). Von Juni 1920 (Kab. Fehrenbach) bis Juni 1928 (Kab. Marx IV) leitete er das RAM. 1939 starb Brauns in Lindenberg/Allgäu. Vgl. Oltmann, Brauns, S. 22 f.; Preller, Sozialpolitik, S. 254. Entsprechend den Grundsätzen der katholischen Soziallehre waren für Brauns der Solidarismus und das Subsidiaritätsprinzip die treibenden Kräfte seiner Politik. Beide Prinzipien bestimmten seit der Enzyklika rerum novarum aus dem Jahre 1891 und den Arbeiten von Hitze und Ketteier aus der Vorkriegszeit die katholische Soziallehre. Das Subsidiaritätsprinzip legte, wie das kollektive Arbeitsrecht, den Schwerpunkt auf Selbsthilfe und Selbstverwaltung und gestand dem Staat nur ein subsidiäres Eingriffsrecht zu, um die wirtschaftlich Schwachen und die Belange des Staates zu schützen. Vgl. Oltmann, Brauns, S. 30 ff.; Preller, Sozialpolitik, S. 221 ff. 12 Vgl. Nachrichtenblatt des RAM v. 25. 6. 1920, ZStA/RAM/1699/Bl. 19. 13 Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter (s. Anlage 2) nebst Schreiben Brauns' an die Landesreg. und Min. v. 14. 9. 1920, ZStA/ RAM/2128/B1. 94 - 101, und Erläuterungen, ebd., Bl. 59 - 67. 11

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Gemäß seiner umfassenden Zielsetzung enthielt der Entwurf zahlreiche Schutzvorschriften für die weiblichen und jugendlichen Arbeiter, die einige wichtige Verbesserungen gegenüber dem geltenden Recht der GewO gebracht hätten. So sollte das Mindestbeschäftigungsalter für Kinder entsprechend dem 2. Übereinkommen von 13 auf 14 Jahre angehoben werden (§ 8), Nachtarbeit von Jugendlichen sollte gemäß dem 3. Übereinkommen in der Zeit von 10 Uhr abends bis 5 Uhr morgens grundsätzlich verboten und die Erwachsenengrenze auf 18 Jahre festgelegt werden (§ 9). Für Frauen waren entsprechende Mindestruhezeiten sowie Beschäftigungsverbote für die Zeit der Niederkunft und für besonders anstrengende Arbeiten vorgeschrieben (§ 11, 4. und 5. Übereinkommen). Der noch im Vorentwurf enthaltene zeitige Ladenschluß am Samstag fiel allerdings weg. Hinzu traten schließlich differenzierte Pausenregelungen für beide Arbeitnehmergruppen (§§ 10, 11). Die eigentliche Bedeutung des Entwurfs auf dem Gebiet des Jugendlichen- und Frauenschutzes hätte im Fall seines Inkrafttretens jedoch darin gelegen, daß obige Bestimmungen auf alle Betriebe und damit entgegen § 134 i GewO auch auf solche mit weniger als zehn Arbeitern anwendbar gewesen wären. Im Mittelpunkt des Arbeitszeitrechtes für die erwachsenen männlichen Arbeiter stand wie bei den vor Jahresfrist erschienenen Vorschriften der Grundsatz des achtstündigen Normalarbeitstages für alle gewerblichen Arbeiter (§§2, 3). Erstmals einer gesetzlichen Regelung unterworfen wurden Nebenbeschäftigungen. Die inzwischen mit dem Demobilmachungsrecht gemachten Erfahrungen hatten gezeigt, daß zunehmend Arbeiter die verkürzte Arbeitszeit dazu benutzten, um sich nach Feierabend mit Schwarzarbeit ein Zubrot zu verdienen. Beschwerden über diese angesichts der herrschenden Nachkriegsarbeitslosigkeit besonders unerwünschten Mißstände erreichten sogar den Reichstag. 14 Nun sollte unselbständige Nebenarbeit im Auftrag des Arbeitgebers, selbständige jedoch mangels Kontrollmöglichkeit nur, wenn sie im Betrieb des Arbeitgebers stattfand (§ 6), und die Übertragung zusätzlicher Heimarbeit (§ 7) verboten werden. Was die Bestimmungen über die Abweichungen vom Achtstundentag anbelangte, stützte sich der Entwurf auf die Vorarbeiten vom 10. Juni 1919,15 enthielt aber bereits eine größere Anzahl von Ausnahmemöglichkeiten. Außerdem folgten einige Änderungen aus der Einarbeitung des ersten und wichtigsten Übereinkommens über den Achtstundentag und die 48-Stunden-Woche. Wie im Vorentwurf konnten Arbeitszeitverlängerungen nach einseitiger Anordnung des Arbeitgebers, im Wege tariflicher Vereinbarung oder mit behördlicher bzw. ministerieller Genehmigung zugelassen werden. Im einzelnen waren folgende Möglichkeiten zur Überschreitung des gesetzlichen Normalarbeitstages vorgesehen: 14

Vgl. die Anfrage des RT-Abg. Havemann v. 29. 10. 1920, Verhandlungen des RT, Bd. 364, Nr. 764, und die Antwort Brauns v. 30. 11. 1920, ebd., Bd. 365, Nr. 1041. is Erläuterungen, ZStA/RAM/2128/Bl. 59.

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1. Nach freier Entscheidung des Arbeitgebers - zum Ausgleich ausgefallener Arbeitsstunden, jedoch als Folge des 1. Übereinkommens mit Beschränkimg auf neun Stunden täglich und 48 Stunden wöchentlich (§3), - zum Schichtwechsel in kontinuierlichen Betrieben (§ 5) sowie für unverzüglich vorzunehmende Arbeiten in Notfällen und bei Gefahr des Verderbens von Rohstoffen (§ 13 I), - zum ersten Mal für Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten sowie für Arbeiten zur Beaufsichtigung derselben bis zu zwei Stunden täglich (§13 II). Damit sollte eine volle Ausnützung der achtstündigen Arbeitszeit für den Gesamtbetrieb ermöglicht werden. 16 2. Wie im Vorentwurf kraft Tarifvertrages, sofern dieser für allgemeinverbindlich erklärt worden war oder die höhere Verwaltungsbehörde zugestimmt hatte (§ 16). 3. Mit widerruflicher Genehmigung des Gewerbeaufsichtsbeamten bei außergewöhnlicher Häufung der Arbeit, allerdings anders als in den Vorschriften vom 10. Juni 1919 mit Beschränkung auf 60 Stunden im Jahr (§ 14). 4. Mit Genehmigung des Reichsarbeitsministers und Zustimmung des Reichsrates - „für gewisse Klassen von Arbeitern, deren Arbeit ihrer Natur nach regelmäßig vorübergehende Unterbrechungen erfährt (§ 17 I Nr. 1). Die darin liegende Unterscheidung zwischen „reiner" Arbeit und der sog. Arbeitsbereitschaft - der Begriff findet sich zunächst nur in der beigefügten Erläuterung 17 - stellte eine der wichtigsten Neuerungen des Entwurfs dar. - für Saisonbetriebe bis zu 60 Tagen im Jahr (§171 Nr. 4), - um Übergangsschwierigkeiten zu vermeiden, generell für Gewerbezweige in den nächsten fünf Jahren, sofern Gründe des öffentlichen Interesses dies erforderten (§17 1 Nr. 5). Und schließlich waren - ebenfalls entsprechend dem 1. Übereinkommen aufgrund der genannten Bestimmungen geleistete Überstunden mit einem Aufschlag in Höhe von 25 Prozent zu vergüten (§ 18). Besonders auffallend an den Ausnahmebestimmungen dieses Entwurfs ist, daß neben den Befugnissen des Arbeitgebers vor allem diejenigen des Reichsarbeitsministers 16 Ebd., Bl. 64; s. a. das Schreiben Brauns' an die Landesreg. v. 7. 2.1920, in dem er anregte, die Aufsichtsbehörden anzuweisen, für derartige Fälle ohne weiteres Ausnahmegenehmigungen nach dem Demobilmachungsrecht zu erteilen, RAB1. 1920 AT, S. 15 f. 17 Erläuterungen, ZStA/RAM/2128/Bl. 65.

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erweitert wurden. Bedenkt man, daß zudem Tarifverträge in jedem Fall zur Vorlage an die Behörden gelangen sollten, so hätte die Regelung der Arbeitszeit, wäre der Entwurf durchgegangen, im wesentlichen vom Reichsarbeitsministerium bestimmt werden können. Als änderungsbedürftig erwies sich endlich auch die Strafvorschrift. Gemäß § 20 sollte nun derjenige bestraft werden, der entgegen den Vorschriften „Beschäftigung gibt oder annimmt", also neben dem Arbeitgeber auch der Arbeiter. Damit stellte sich das Reichsarbeitsministerium in deutlichen Widerspruch zur Rechtsauffassung des Reichsgerichts in dieser Frage. Das Reichsgericht hatte sich in einem Grundsatzurteil vom 6. Juni 1920 zur AO vom 23. Nov. 1918 für eine Strafbarkeit nur des Arbeitgebers ausgesprochen. Eine Ausdehnung der Strafvorschriften auch auf die Arbeiter sei „mit der schlechthin arbeiterfreundlichen, nur auf den Schutz der arbeitenden Klasse gegen die Unternehmer ausgehenden Grundrichtung dieser Gesetzgebung nicht vereinbar." 18 Demgegenüber erachteten Neitzel wie auch Brauns eine solche Interpretation im Hinblick auf den Wortlaut der AO vom 23. Nov. 1918 für verfehlt. 19 Ihrer Ansicht nach war eine Strafbarkeit beider Parteien auch im Interesse des Arbeiters unerläßlich für eine sichere Durchführung des Gesetzes. In einer Besprechung mit verschiedenen Ressortministern und Vertretern der Landesregierungen am 28. Sept. 1920 im Reichsarbeitsministerium erteilten diese dem Entwurf in seinen Grundzügen ihre Zustimmung. Weithin Einigkeit herrschte aber auch darüber, daß angesichts des Kohle- und Rohstoffmangels eine verstärkte Anpassung der Bestimmungen an die wirtschaftlichen Gegebenheiten erfolgen müsse. Unter diesem Gesichtspunkt wurde besonders die Begrenzung bei Arbeitszeitverlängerungen zum Ausgleich ausgefallener Arbeitszeit auf neun Stunden täglich und die Beschränkung der Ausnahmebefugnisse der Gewerbeaufsichtsbeamten auf 60 Tage im Jahr als zu eng empfunden. 20 Dies veranlaßte das Reichsarbeitsministerium, eine neuerliche Umarbeitung des Entwurfs in Angriff zu nehmen. Die am 19. Okt. 1920 von Brauns den Ländern und Ministerien übersandte Vorlage 21 trug den in der Ressortbesprechung vorgebrachten Wünschen nahezu vollständig Rechnung. So wurden die Bestimmungen über den Jugendlichen- und Frauenarbeitszeitschutz fast unverändert übernommen, die Möglichkeiten zur Überschreitung des Achtstundentages hingegen nicht unerheblich erweitert. Wegen des Kohlemangels sollten nunmehr Arbeitszeitverlängerungen zum Ausgleich 18

RGSt 55, 70 (72). Erläuterungen, ZStA/RAM/2128/Bl. 66 f., und Neitzel in der Ressortbesprechung v. 28. 9. 1920, ebd., Bl. 76. 20 Niederschrift über die Ressortbesprechung v. 28. 9.1920, ZStA/RAM/2128/Bl. 68 - 76, bes. Bl. 70 f., 75. 21 Entwurf eines Gesetzes über die Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter und Erläuterungen nebst Schreiben Brauns' an die Landesreg. und Min. v. 19. 10. 1920, ZStA/RAM/2128/B1. 76 - 93. 19

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von Arbeitszeitverkürzungen „bei außergewöhnlichen Betriebsverhältnissen" bis zu 11 Stunden täglich zulässig sein (§ 3). Diese auslegungsbedürftige Norm bedeutete einen Bruch mit dem 1. Washingtoner Übereinkommen und hätte den Arbeitgebern weitgehende Freiheit in der Festsetzung der täglichen Arbeitszeit beschert. Außerdem wurden die Befugnisse der Gewerbeaufsichtsbeamten wunschgemäß erweitert. Ausnahmen durften jetzt nicht nur bei außergewöhnlicher Häufung der Arbeit, sondern grundsätzlich für saison- und witterungsabhängige Betriebe bewilligt werden (§ 17). Die zeitliche Befristung von 60 Tagen im Jahr wurde auf 90 Tage angehoben, sofern eine Kompensation durch spätere Arbeitszeitverkürzungen stattfand. Darüber hinausgehende Arbeitszeitverlängerungen konnten vom Reichsarbeitsminister genehmigt werden. Schließlich wurde die vormals auf fünf Jahre begrenzte Ermächtigung des Reichsarbeitsministers, aus Gründen des öffentlichen Interesses abweichende Übergangsregelungen zuzulassen, auf unbeschränkte Zeit ausgedehnt (§181 Nr. 3).

c) Erste Reaktionen auf den Arbeitszeitgesetzentwurf Am 12. Nov. 1920 wurde den Verbänden endlich Gelegenheit gegeben, in einer Besprechung im Reichsarbeitsministerium zu dem kommenden Arbeitszeitrecht für die gewerblichen Arbeiter Stellung zu nehmen. 22 Schon jetzt zeigte sich, auf was für einem schwachen Grund die 1918 eingegangene Sozialpartnerschaft in der Arbeitsfrage aufgebaut war. Unter dem Druck der Staatsumwälzung gezwungen, sich mit dem Achtstundentag abzufinden, hatte die Arbeitgeberschaft zunächst darauf hingearbeitet, die achtstündige Arbeitszeit auch voll für produktive Arbeit auszunützen. 23 Vorbereitungs· und Abschlußarbeiten sollten nicht auf die tägliche Normalarbeitszeit angerechnet werden. Diesem Begehren war im Entwurf entsprochen worden. Obwohl die Bestimmungen damit in weit stärkerem Maße als zuvor an wirtschaftlichen Erfordernissen ausgerichtet waren, meldeten jetzt sowohl Vertreter der Fertig- wie der Schwerindustrie Bedenken an. 24 Sie nahmen die Verarmung Deutschlands nach dem verlorenen Krieg zum Anlaß, um sämtliche von Gewerkschaftsseite vorgebrachten Forderungen nach unbedingter Beibehaltung des gesetzlichen Achtstundentages und 22 Teilnehmer: u. a. von Borsig und Tänzler von der VDA, Angehörige des Bezirks der nordwestlichen Gruppe des VDESI und des RVDI, Gewerkschaftssekretär Cohen und Röhr vom ADGB, Syndikus Eichelbaum vom H.D.-Gewerkverein, Gewerkschaftssekretär Schmidt vom DGB, Neitzel vom RAM, ferner Referenten des R.Post.M., R.Verk.M., RWM und Mitglieder des Arbeitsrechtsausschusses, Niederschrift über die Besprechung v. 12. 11. 1920 im RAM, Hmb. StA, Fase. 1, 56. 23 Vgl. G. Erdmann, Arbeitgeberverbände, S. 37; Geschäftsbericht der VDA 1920, S. 37. 24 Niederschrift über die Besprechung v. 12. 11. 1920, Hmb. StA, Fase. 1, 56, S. 7 f., 16 ff.

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der Neunstundengrenze beim Ausgleich von Arbeitszeitverkürzungen als unvereinbar mit den tatsächlichen Verhältnissen zurückzuweisen. In Abweichung von ihren bisherigen Stellungnahmen, wie sie auch im Zentralarbeitsgemeinschaftsabkommen niedergelegt waren, wollten die Industriellen von sich aus nur die gesetzliche Fixierung der 48-Stunden-Woche zugestehen. Um den wirtschaftlichen Bedürfnissen besser gerecht zu werden, sollte zudem der Tarifvertrag nicht nur für Arbeitszeitverlängerungen, sondern auch für die anderweitige Verteilung der Arbeitszeit und den besonders bekämpften Überstundenzuschlag vorgesehen werden. Demgegenüber stieß gerade die im Entwurf vorgesehene Möglichkeit zu tarifvertraglicher Überschreitung des Achtstundentages auf den Widerstand vor allem der freien Gewerkschaften. 25 Durch die Forderungen der Unternehmer zusehends in die Defensive gedrängt, befürchteten sie, daß eine solche Ausnahmebestimmung ein Arbeitszeitgesetz zwecklos mache. Damit bestanden sie in Abkehr zu der von ihnen 1918 eingenommenen Haltung, sozialpolitische Belange eigenverantwortlich mit den Arbeitgebern zu regeln, auf einem allumfassenden gesetzlichen Schutz in Sachen Arbeitszeit. Darüber hinaus wandten sich die Gewerkschaftsvertreter gegen die dem Arbeitgeber eingeräumte Befugnis zu Arbeitszeitverlängerungen für Vor- und Abschlußarbeiten. Ihrer Meinung nach lag darin die begründete Gefahr einer Umgehung des Achtstundentages. Erweiterte Mitspracherechte bei der Durchführung der gesetzlichen Ausnahmebestimmungen sollten schließlich den Einfluß der Arbeitnehmerverbände auf die Gestaltung der Arbeitszeit sicherstellen. Diese gegensätzlichen Auffassungen von Industrie und Gewerkschaften, deren Überbrückung auch innerhalb eines Ausschusses aus Arbeitgeberund Arbeitnehmervertretern nicht gelang, 26 trugen wesentlich dazu bei, daß Brauns Ende 1920 eine Neufassung der Vorschriften über die Arbeitszeit veranlaßte. d) Der Entwurf eines Gesetzes über die Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 23. Juni 1921 Am 21. März 1921 kündigte Brauns die baldige Fertigstellung eines neuen Gesetzentwurfs über die Arbeitszeit der gewerblichen Arbeiter an. 27 M i t t lerweile drängte die Zeit. Erstens war am 18. Feb. 1921 das Ende der w i r t schaftlichen Demobilmachung auf den 31. März 1922 festgesetzt worden. 28 Bis dahin sollten die Demobilmachungsverordnungen über die Arbeitszeit 25 Ebd., S. 9, 14 f., 18 f. 26 Vgl. Niederschrift über die Besprechung v. 12. 11. 1920, Hmb. StA, Fase. 1, 56, S. 20; s. a. Geschäftsbericht der VDA 1920, S. 70. 27 Korr.bl. Nr. 13 v. 26. 3. 1921, S. 172. 28 VO über die Beendigung der wirtschaftlichen Demobilmachung, RGBl. 1921, S. 189 f.

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durch endgültige Gesetze abgelöst werden. Andernfalls bestand die Gefahr, daß die Arbeitnehmer sich ohne gesetzlichen Arbeitszeitschutz gegenüber den Arbeitgebern behaupten müßten. Zweitens waren inzwischen dem Reichsrat Gesetzesvorlagen für die Ratifikation der Washingtoner Übereinkommen zugeleitet worden. 29 Das für den Entwurf bedeutsamste Übereinkommen über den Achtstundentag und die 48-Stunden-Woche beinhaltete gemäß Art. 19 die Verpflichtung eines jeden Mitgliedstaates, im Fall seiner Annahme die Bestimmungen bis zum 21. Juli 1921 in innerstaatlich verbindliches Recht umzusetzen. Um wenigstens einigermaßen eine Einhaltung der Termine zu ermöglichen, legte Brauns am 23. Juni 1921 dem Kabinett den Entwurf eines Arbeitszeitgesetzes für die gewerblichen Arbeiter vor. 3 0 Wegen des Zeitdrucks war der Entwurf weder mit den Ressorts noch mit den Landesregierungen und Verbänden abgesprochen worden. 31 Brauns drang beim Kabinett auf beschleunigte Zustimmung, weil er das Gesetz baldmöglichst dem Reichsrat und dem vorläufigen Reichswirtschaftsrat vorlegen wollte. Wie der vorhergehende enthielt auch dieser Entwurf zahlreiche Bestimmungen zum Schutz der jugendlichen und weiblichen Arbeiter. Im einzelnen war jedoch eine verstärkte Anpassung an die weniger Schutz bietenden Bestimmungen der bisherigen Arbeiterschutzgesetzgebung zu verzeichnen. So wurde das Verbot von Kinderarbeit unter 14 Jahren zwar beibehalten (§ 2), die gleichzeitige Anwendbarkeit des Gesetzes betreffend Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben aus dem Jahre 1903 bot jedoch Raum für Abweichungen (§ 17). Für die Jugendlichen wurde unverändert die Erwachsenengrenze auf 18 Jahre festgesetzt (§ 2). Allerdings sollten die meisten Vorschriften, wie etwa das Verbot von Nachtarbeit, in Anlehnung an die GewO nur für die unter 16jährigen ihren vollen Schutz entfalten (vgl. §§ 10, 11, 12). Der Wöchnerinnenschutz schließlich baute beinahe vollständig auf § 137 GewO auf (§ 13). Von einer Ratifikation des maßgebenden 5. Übereinkommens riet Brauns nunmehr unter Hinweis auf finanzielle Mehrbelastungen ausdrücklich ab. 32 Für die erwachsenen gewerblichen Arbeiter blieb der Achtstundentag prinzipiell Normalarbeitstag (§5). Nach wie vor verboten waren Nebenarbeit und die Übertragung zusätzlicher Heimarbeit (§§ 7, 8). Bei den Ausnahmebestimmungen, die es laut Brauns „ermöglichen sollen, durch eine gewisse Beweglichkeit bei der Regelung der Arbeitszeit den wechselnden wirtschaftlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen", 33 29 Vorlagen betr. die Festsetzung der Arbeitszeit i n den gewerblichen Betrieben und betr. die gewerbliche Nachtarbeit der Jugendlichen wurden am 26. 1. 1921 dem RR zugeleitet, vgl. Wulf (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Fehrenbach, S. 425, Anm. 3. 30 Entwurf eines Gesetzes über die Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter nebst Erläuterung, Begründung und Schreiben Brauns' an den StS. d. Rkei. v. 23. 6. 1921, ZStA/ Präs./176/Bl. 4 6 - 8 2 . 31 Schreiben Brauns' an den StS. d. Rkei. v. 23. 6. 1921, ebd., Bl. 46 f. 32 Begr., ebd., Bl. 71. 33 Erläuterung, ebd., Bl. 48.

4 Bischoff

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hatten zum einen die im Nov. 1920 gepflogenen Beratungen wichtige Änderungen zur Folge. So berücksichtigte Brauns die von freigewerkschaftlicher Seite vorgebrachte K r i t i k insoweit, als tarifliche Arbeitszeitregelungen nicht nur der Allgemeinverbindlichkeitserklärung bzw. der behördlichen Zustimmung bedurften, sondern zusätzlich an das Vorliegen der Gründe, die behördliche Ausnahmen zuließen, gebunden waren (§ 19). Den Arbeitgebern kam er dadurch entgegen, daß Überstundenzuschläge nur mehr für genehmigungspflichtige Ausnahmen gezahlt werden sollten (§20 III). Zum anderen nötigte die von Brauns diesmal beabsichtigte konsequente Anpassung an das 1. Washingtoner Übereinkommen zu einer weitgehenden Revision der im Entwurf vom 19. Okt. 1920 eingefügten Erweiterungen. 34 Hiervon betroffen waren in erster Linie die Befugnisse des Arbeitgebers. Statt bis zu 11 Stunden täglich sollten nun Überschreitungen des Achtstundentages zum Ausgleich ausgefallener Arbeitsstunden auf eine Stunde täglich beschränkt werden, wobei die wöchentliche Arbeitszeit 48 Stunden nicht übersteigen durfte (§ 5). Weitergehende Ausnahmen waren nur in den „außergewöhnlichen Fällen" und mit Genehmigung des Reichsarbeitsministers zulässig ( § 2 1 1 Nr. 1). Auch die ehedem dem Verantwortungsbereich des Arbeitgebers unterstellten Möglichkeiten zu Arbeitszeitverlängerungen für Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten fielen dem Übereinkommen zum Opfer. Für derartige Arbeiten war jetzt eine VO des Reichsarbeitsministers erforderlich (§18 III). Ferner wurde die Ermächtigung des Reichsarbeitsministers, generell abweichende Übergangsregelungen zuzulassen, auf drei Jahre begrenzt (§ 22 I Nr. 4). Insgesamt brachten die Ausnahmebestimmungen dieses Entwurfs damit nicht unerhebliche Einschränkungen gegenüber denen vom 19. Okt. 1920. Bei den ministeriellen Ausnahmen wurde namentlich der staatliche Einfluß noch verstärkt. Eine neuerliche Umgestaltung erfuhr schließlich die Strafvorschrift. Entgegen der noch in den Vorentwürfen vertretenen Rechtsauffassung richtete sich die Strafdrohnung nunmehr ausdrücklich nur gegen den Arbeitgeber (§ 23). Begründet wurde dieser Meinungsumschwung mit den praktischen Schwierigkeiten, die eine Ausdehnung der Strafbarkeit auf die Arbeiter mit sich bringen würde. 35 Ausschlaggebend scheint indes das Argument gewesen zu sein, eine derartige Strafdrohung bedeute eine „Fessel" für mehrarbeitswillige, aber rechtsunkundige Arbeiter. 36 Als das Kabinett am 5. Aug. 1921 dem Entwurf zustimmte, war als weitere Änderung noch die Herausnahme aller mit dem Verkehrsgewerbe zusammenhängenden Betriebe aus dem Anwendungsbereich des Entwurfs hinzugekommen. 37 Der Entwurf wurde veröffentlicht 38 und am 34

Begr., ebd., Bl. 58 f. 5 Ebd., Bl. 78. 36 Ebd., Bl. 78. 37 Protokoll des Min.Rat v. 5. 8. 1921, Schulze-Bidlingmaier (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Wirth, S. 193. 3

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25. Aug. 1921 dem Reichsrat und dem vorläufigen Reichswirtschaftsrat zur Begutachtung übersandt. 39

2. Die Entwürfe zu einem Arbeitszeitgesetz für die Angestellten

Unterdessen war, ebenfalls am 23. Juni 1921, den Landesregierungen und Ministerien ein erster Gesetzentwurf über die Arbeitszeit der Angestellten übersandt worden. 40 Der von Neitzel ausgearbeitete Entwurf 4 1 sollte die DemobilmachungsVO vom 18. März 1919 durch ein endgültiges Gesetz ablösen und lehnte sich an die Arbeitszeitbestimmungen für die gewerblichen Arbeiter möglichst eng an. 42 Da sich die Bestimmungen der Washingtoner Übereinkommen auf alle in gewerblichen Betrieben beschäftigten Personen und somit auch auf die Angestellten bezogen, waren sie gleichfalls eingearbeitet worden. Für die jugendlichen und weiblichen Angestellten hätten die Schutzvorschriften, das Verbot von Kinder- und Nachtarbeit, die Niederkunftsbestimmungen usw. ( § § 7 - 1 3 ) einen wesentlichen Fortschritt gegenüber dem bisherigen Recht bedeutet. Da die GewO auf diese Arbeitnehmergruppen durchweg keine Anwendung fand, wäre mit dem Arbeitszeitgesetz zum ersten Mal in der Geschichte eine umfassende Schutzgesetzgebung für die Angestellten ins Leben gerufen worden. Im Mittelpunkt des Arbeitszeitrechtes für die Angestellten stand, wie bei den gewerblichen Arbeitern, die Festschreibung des Achtstundentages und der 48-Stunden-Woche (§ 4). Möglichkeiten zu Arbeitszeitverlängerungen (§§4, 14 - 17) waren in beinahe wörtlicher Übereinstimmung vorgesehen, so daß auf die zuvor gemachten Äußerungen verwiesen werden kann. Die wegen der großen Ähnlichkeit an sich naheliegende Zusammenfassung beider Entwürfe zu einem einheitlichen Arbeitszeitgesetz scheiterte am Widerstand des Reichsarbeitsministeriums. Neitzel berief sich zur Begründung auf die anstehende Entscheidung über die Ratifikation der Washingtoner Übereinkommen, die maßgeblich von der Vorlage für die gewerblichen Arbeiter beeinflußt werde. 43 Eine nachträgliche Verbindung beider Entwürfe würde das Inkrafttreten des Arbeitszeitgesetzes für die gewerblichen Arbeiter nur verzögern. Mit nur geringfügigen Änderungen wurde der Entwurf am 22. April

38 2 8. Sonderheft zum RAB1., S. 1 - 10. 39 Vgl. Protokoll des Min.Rat v. 5. 8. 1921, Schulze-Bidlingmaier (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Wirth, S. 193, Anm. 14. 40 Vorentwurf eines Gesetzes über die Arbeitszeit der Angestellten nebst Erläuterungen und Schreiben Brauns' an die Landesreg. und Min. v. 23. 6. 1921, ZStA/Präs./ 176/B1. 27 - 4 5 . 4 * Vgl. ZStA/RAM/1699/Bl. 40. 42 Erläuterungen, ZStA/Präs./176/Bl. 37. 43 Ebd., Bl. 38; s. a. Neitzel, Die Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter, in: RAB1. 1920/21 NAT, S. 885 - 890, hier: S. 886. 4

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

1922 dem Kabinett vorgelegt 44 und am 3. Mai 1922 verabschiedet. 45 Um die Arbeitnehmer nicht völlig schutzlos zu lassen, waren inzwischen die Demobilmachungsbestimmungen über die Arbeitszeit ein erstes Mal verlängert worden. 46 Am 8. Mai 1922 leitete die Regierung den Entwurf dem Reichsrat 47 und dem vorläufigen Reichswirtschaftsrat zu. 4 8

3. Die Auseinandersetzungen um die Arbeitszeitgesetzentwürfe

Die Veröffentlichung der beiden Gesetzentwürfe löste die für das weitere Schicksal des Arbeitszeitrechts entscheidende Grundsatzdebatte über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Achtstundentages aus. Bereits kurz nach Kriegsende hatten Rohstoffmangel und Produktionsrückgang in zahlreichen Betrieben die Unternehmer veranlaßt, Mehrleistung in Form von verlängerter Arbeitszeit als unerläßliche Voraussetzung für die dringend notwendige Produktionssteigerung anzusehen.49 In der Folgezeit suchten sie die These, daß mit der Einführung des Achtstundentages zwangsläufig ein Leistungsrückgang verbunden sei, in zahlreichen Untersuchungen zu belegen. 50 „Schematismus" und „Unproduktivität" waren die Schlagworte, die immer wieder mit dem Achtstundentag in Zusammenhang gebracht wurden. In einem am 9. Feb. 1921 im Berliner Tageblatt veröffentlichten Artikel errechnete Walther Rathenau, daß die Deutschen täglich sechs Stunden länger arbeiten müßten, wollten sie alle zur Erfüllung der Reparationen notwendigen Güter herstellen. 51 Vor diesem Hintergrund fanden die beiden Arbeitszeitgesetzentwürfe bei den Arbeitgebern nur wenig Zustimmung. Besonders verärgert waren die Unternehmer über die Anpassung der Arbeitszeitbestimmungen an die Washingtoner Übereinkommen. 52 Da England die Ratifizierung abgelehnt habe, würde Deutschland mit der Annahme der Übereinkommen seine Konkurrenzfähigkeit auf dem Welt44 Entwurf eines Gesetzes über die Arbeitszeit der Angestellten nebst Begründung und Schreiben Brauns' an den StS. d. Rkei. v. 7. 4. 1922, ZStA/RAM/1713/Bl. 462 486. 45 Prot, der Kab.-Si. v. 3. 5. 1922, Schulze-Bidlingmaier (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Wirth, S. 744; der Entwurf nebst Begründung wurde veröffentlicht in: 28. Sonderheft zum RABL, S. 60 - 67. « RGBL 1922 I, S. 285 f. 47 Vgl. Drucksachen des RR 1922, Nr. 123. 48 Schreiben Brauns' an den RWR v. 8. 5. 1922, ZStA/RAM/1713/Bl. 487. 49 Vgl. 25 Jahre Arbeit-Nordwest, S. 114. 50 s. nur die Untersuchungen von Rolf Günther, Produktionsrückgang und Achtstundentag, und von Walter Groll, Mehrleistung, in: Der Arbeitgeber, 1922,S.36-38, S. 333 - 335; s. a. Geschäftsbericht der VDA 1921, S. 71 ff. si Berliner Tageblatt Nr. 65 v. 9. 2. 1921. 52 Geschäftsbericht der VDA 1921, S. 32, s. a. Gerhard Erdmann, Der Entwurf eines Gesetzes über die Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter, in: Der Arbeitgeber 1922, S. 289 - 291, 305 - 307, hier: S. 305.

I. Gesetzgebungsarbeiten in den Jahren 1919 bis 1922

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markt in Frage stellen. Im einzelnen warnte die Arbeitgeberschaft erneut eindringlich vor einer gesetzlichen Fixierung des Achtstundentages. Um den tatsächlichen Verhältnissen in der Industrie Rechnung zu tragen, sei eine Erweiterung der dem Arbeitgeber überlassenen Möglichkeiten zu Arbeitszeitverlängerungen unbedingt erforderlich. Vertreter der VDA setzten sich außerdem persönlich beim Reichsarbeitsministerium für eine Beseitigimg der neu eingefügten Bindimg tariflicher Arbeitszeitregelungen an die Voraussetzungen der übrigen Ausnahmebestimmungen ein. 53 In dieser Frage bedeute die jetzige Fassung eine „erhebliche Verschlechterung" gegenüber den Bestimmungen aus dem Jahr 1920. Den Schwerpunkt auf die freie tarifliche Regelung legte schließlich auch die Schwerindustrie, die sich zunächst noch damit begnügte, den Schematismus der gesetzlichen Arbeitszeitregelungen zu kritisieren. 54 Dieser traditionell „scharfmacherische" Industriezweig, dem mit der Einführung des Achtstundentages durch die erzwungene Umstellung vom Zwei- auf das Dreischichtsystem das größte Opfer abverlangt worden war, konnte es sich 1921 noch leisten, einen gemäßigten Standpunkt zu beziehen. Die in Deutschland 1920 bis 1922 herrschende „Inflationskonjunktur" bescherte ihnen einen lebhaften Exporthandel und ließ damit auch eine verkürzte Arbeitszeit noch einigermaßen erträglich erscheinen. 55 Demgegenüber verwahrten sich Gewerkschaften und Arbeiterschaft auf das entschiedenste dagegen, daß der Achtstundentag zum Alleinschuldigen für den Produktionsrückgang gemacht wurde. 5 6 Sie verwiesen auf den Raubbau, der während des Krieges mit den Betriebseinrichtungen, besonders im Kohlebergbau, getrieben worden sei, und hoben die produktionshemmende Wirkung abgenutzter Maschinen und unzulänglicher Verkehrsnetze hervor. Die Gewerkschaftsvorschläge zur Lösung des Produktionsproblems waren Rationalisierung, maschinelle Verbesserungen und technische Neuerungen anstelle der Heranziehung einer durch Krieg und Ernährungsmangel geschwächten Arbeiterschaft. Mit zahllosen Einzelbeispielen über die produktionsintensivierende Wirkung des Achtstundentages suchten sie ihrer Auffassung Nachdruck zu verleihen. 57 Besonders der Umstand, daß die Regierung den Weg der Einzelgesetzgebung einer umfassenden arbeitszeitrechtlichen Globalregelung vorgezogen hatte, erregte das Mißfallen der freien Gewerkschaften. Da das Washingtoner Übereinkommen von einer einheitlichen Regelung für alle Arbeitnehmer ausgehe, gelte das Motto 53 Vgl. Bericht über die Besprechung v. 9.12.1921 im RAM in: Nr. 49 der Mitteilungen der deutschen Arbeitgeberverbände, BA/R 13 XX/97. 54 Vgl. Protokoll der am 6. 5. 1921 in Berlin abgehaltenen Hauptversammlung des VDESI, BA/R 13 1/97; s. a. Feldman / Steinisch, Achtstundentag, S. 363. 55 Vgl. Böhme, Prolegomena, S. 115. se Vgl. Hertz / Seidel, Arbeitszeit, S. 140 ff.; Wolff, Achtstundentag, S. 50 f. 57 s. nur die Beispiele bei Hertz / Seidel, Arbeitszeit, S. 36 ff.; Wolff, Achtstundentag, S. 52 ff.

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

„Alles oder nichts". 5 8 In zwei Entschließungen vom 13./17. Dez. 1921 und vom 28./29. März 1922 wandte sich der Bundesausschuß des ADGB entschieden gegen die Bestrebungen der Reichsregierung, „den durch die Gesetzgebung der Demobilmachungszeit erreichten Achtstundentag wieder zu beseitigen", und kündigte „entschlossenen Widerstand" an. 59 Auch „die deutschen Gewerkschaften wollen keine schablonenhafte Regelung der Arbeitszeit", fügte der Bundesausschuß, kompromißbereiter als 1920, hinzu. Für eine Anpassung des Arbeitszeitrechtes an wirtschaftliche Besonderheiten genüge jedoch die tarifliche Regelung vollkommen. Auf dem Leipziger Kongreß im Juni 1922 sprach sich der ADGB nochmals scharf gegen die beiden Arbeitszeitgesetzentwürfe aus. 60 Die Vielzahl der zugelassenen Ausnahmen durchlöchere den Achtstundentag beinahe völlig. Insbesondere sei ein Bedürfnis für eine dreijährige Schonfrist aus Gründen des Gemeinwohls aufgrund der bereits mit dem Achtstundentag gemachten Erfahrungen nicht ersichtlich. Ausnahmen dürften - so hieß es jetzt einschränkend - nur in Notfällen zulässig sein, auf die sich die Tarifvertragsparteien vorher zu einigen hätten. Bei diesem Vorgehen konnte der ADGB auf die Unterstützung der übrigen Arbeitnehmerverbände vertrauen. DGB wie H.D.-Gewerkverein wollten ebenfalls am Achtstundentag festhalten und notwendige Ausnahmen allein der tariflichen Vereinbarung überlassen. 61 Allerdings bekundeten die christlichen Gewerkschaften bereits 1921 ihre Bereitschaft, sich nach Abbau der Nachkriegsarbeitslosigkeit begründeten Arbeitszeitverlängerungen nicht zu widersetzen. 62 Wenngleich die Gewerkschaften in ihrem Bemühen um eine tarifliche Regelung der Ausnahmen auf einer Linie mit den Arbeitgeberforderungen lagen, so wollten sie im Unterschied zur Industrie keinesfalls auf eine gesetzliche Regelung verzichten. Aus Furcht vor einem übermächtigen Unternehmertum, das im sozialen Kampf die Beseitigung des Achtstundentages durchsetzen könnte, „muß die gesetzliche Regelung der Arbeitszeit die Regel und den festen Rahmen bilden, innerhalb dessen tarifvertragliche Sonderbestimmungen sich zu bewegen hätten." 6 3 Die Befürchtungen der Gewerkschaften waren nicht ungerechtfertigt. Zum einen waren bereits 1921 die ersten Anzeichen dafür erkennbar, daß die Regierung von der geplanten Ratifikation des Washingtoner Überein58 Korr.bl. Nr. 37 v. 10. 9. 1921, S. 513 f., Zit. S. 514. 59 Entschließung des BA des ADGB v. 13./17. 12. 1921 und v. 28./29. 3. 1922, abgedruckt in: Korr.bl. Nr. 53 v. 31. 12. 1921, S. 756; Korr.bl. Nr. 14 v. 8. 4. 1922, S. 187; s. a. Schwarz, Gewerkschaftskongresse, S. 83 f. 60 Protokoll der Verhandlungen des 11. Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands, S. 176 f. 61 Entschließung des Verbandstages der H.D.-Gewerkvereine, abgedruckt (ohne Datum) bei: Hertz / Seidel, Arbeitszeit, S. 15; Zentralblatt der christlichen Gewerkschaften, Nr. 12 v. 6. 6. 1921, S. 157 - 159. 62 Zentralblatt der christlichen Gewerkschaften, Nr. 12 v. 6. 6. 1921, S. 158. 63 Hertz / Seidel, Arbeitszeit, S. 86.

II. Die Arbeitszeitdebatten im vorläufigen Reichswirtschaftsrat

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kommens über den Achtstundentag Abstand nehmen würde. 6 4 Dies bedeutete aber, daß zahlreichen einschränkenden Bestimmungen, die wie ζ. B. die Neunstundengrenze bei Arbeitszeitverlängerungen zum Ausgleich ausgefallener Arbeitszeit eigens mit Rücksicht auf dieses Übereinkommen in den Gesetzentwurf aufgenommen worden waren, die Grundlage entzogen würde. Einer verstärkten Anpassung an die wirtschaftlichen Gegebenheiten hätte dann nichts mehr im Weg gestanden. Zum anderen verlieh der Druck der Siegermächte auf Zahlung der Reparationen sowie die allmählich einsetzende ausländische Wirtschaftskonkurrenz den Arbeitgeberforderungen eine immer größere Glaubwürdigkeit. Bereits im Herbst 1921 fühlten sich Schwer- wie Fertigindustrie stark genug, einen ersten Versuch zu wagen, um ihre Vorstellungen bei der Regierung in die Tat umzusetzen. In einem großangelegten Kreditangebot an das Reich forderte der RVDI als Gegenleistung u. a. die Garantie des Staates, „das Wirtschaftsleben von allen die freie Betätigimg und Entwicklung schädigenden Fesseln (zu) befreien", also auch freie Hand bei der Regelung der Arbeitszeit. 65 Sowohl Reichskanzler Wirth als auch erst recht die Gewerkschaften erblickten darin eine ungeheure Zumutung, eine „Provokation der gesamten werktätigen Bevölkerung". 6 6 Wenn die Aktion des RVDI damit auch in einer kompletten Niederlage endete, so wurde doch deutlich, daß die Industrie langsam die Zeit für gekommen hielt, die Regelung der Arbeitsbedingungen wieder an sich zu ziehen. Π. Die Arbeitszeitdebatten im vorläufigen Reichswirtschaftsrat Im vorläufigen Reichswirtschaftsrat 67 wurden die beiden Arbeitszeitgesetzentwürfe nunmehr auf das heftigste diskutiert. Mitte 1920 von der Reichsregierung geschaffen, sollte dieses mit Gutachterfunktion ausgestattete Organ den Reichstag in allen Wirtschafts- und Sozialfragen sachver64 So führte Neitzel im RAB1. 1920/21 NAT, S. 886, aus: „Durch die ablehnende Haltung einzelner Mitgliedstaaten . . . ist für Deutschland eine Lage geschaffen, die eine ernste Prüfung erfordert, ob das Übereinkommen über den Achtstundentag noch ratifiziert werden kann." Der Entwurf blieb dann auch beim RR liegen. Vgl. die Ausführungen Brauns' am 26. 2. 1924 im RT, Verhandlungen des RT, Bd. 361, S. 12482; s. a. Leuchten, Achtstundentag, S. 61. 65 Die Bedingungen der am 5. 11. 1921 gefaßten Resolution sind abgedruckt in: Schulze-Bidlingmaier (Bearb.), Akten der Rkei., Kab. Wirth, S. 368, Anm. 1; s. a. Vorwärts Nr. 525 v. 6.11. 1921. 66 Resolution des AD GB ν. 9. 11. 1921, die dem RK mit Schreiben v. 11. 11. 1921 übersandt wurde, Schulze-Bidlingmaier (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Wirth, S. 370, Anm. 5; s. a. Protokoll der Besprechung mit Vertretern der Gewerkschaften v. 11. 11. 1921, ebd., S. 383-385. 67 Vorläufig deshalb, weil in Art. 165 I I I WRV ein endgültiger RWR vorgesehen war. Dieses Vorhaben konnte aber während der gesamten Weimarer Republik nicht realisiert werden. Vgl. Reichswirtschaftsrat 1927 -1932, S. 200 ff.; s. a. Hartwich, Arbeitsmarkt, S. 22; Preller, Sozialpolitik, S. 252, 481 f.

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

ständig beraten. Zu diesem Zweck waren ihm gemäß Art. 11 der VO über den vorläufigen Reichswirtschaftsrat vom 4. Mai 1920 alle sozial- und w i r t schaftspolitischen Gesetzentwürfe von grundlegender Bedeutung vor ihrer Einbringung ins Parlament vorzulegen. 68 Der für das geplante Arbeitszeitrecht zuständige sozialpolitische Ausschuß des vorläufigen Reichswirtschaftsrates setzte sich zusammen aus Vertretern der Arbeitgeber (Abt. 1), der Arbeitnehmer (Abt. 2) und Repräsentanten anderer Berufsgruppen (Abt. 3), insbesondere aus den Reihen der Wissenschaften, des Beamtentums und der freien Berufe. 69 1. Die Vorarbeiten des Arbeitsausschusses

Am 17. Nov. 1921 nahm der sozialpolitische Ausschuß seine Arbeiten mit dem Gesetzentwurf über die Arbeitszeit der gewerblichen Arbeiter auf. 70 Nachdem sowohl Arbeitgeber wie Arbeitnehmer ihre gegensätzlichen Standpunkte vorgetragen hatten, betraute er einen neunköpfigen Arbeitsausschuß mit der Vorberatung des Entwurfs. 7 1 Dessen Tätigkeit begann wenig erfolgversprechend. Motiviert von der ablehnenden Entschließung des ADGB-Bundesausschusses vom 13./17. Dez. 1921,72 suchten die Arbeitnehmervertreter jetzt hartnäckig eine arbeitszeitrechtliche Globalregelung zu erwirken. Pauschal lehnte ihr Sprecher, der Vorsitzende des Zentralverbandes der Angestellten, Otto Urban, den Entwurf „als nicht geeignete Grundlage zur allgemeinen Regelung der Arbeitszeit" ab. 73 Ein Abbruch der Verhandlungen und die Anrufung des sozialpolitischen Ausschusses waren 6

8 RGBl. 1920,1, S. 858-869. Ursprünglich kannte der RWR nur eine Gruppeneinteilung. Die 1. und 2. Abt. entwickelte sich aus der Zusammenfassung der Gruppen I (Landwirtschaft), I I (Gärtnerei), I I I (Industrie), IV (Handel), V (Verkehr) und V I (Handwerk), die 3. Abt. aus der Zusammenfassung der Gruppen V I I (Verbraucher), V I I I (freie Berufe und Beamte), I X und X (die von RR und R.reg. berufenen Vertreter), vgl. Reichswirtschaftsrat 1927 1932, S. 7 ff., 269 ff.; s. a. Art. 2, 11IV der VO v. 4. 5. 1920. 70 Mitglieder: u. a. Umbreit (Vorsitzender), Schwartz und Hoffmann (stellvertetende Vorsitzende), J. Beckmann, Ephraim, Frank, Habersbrunner, Hermann, Koch, F. Lange, v. Siemens, W. Schmidt, Schurig, Thierkopf und Voigt von der Abt. 1, A l brecht, Aufhäuser, Backert, W. Beckmann, Dreher, Gärtner, Riedel, Röhr, Schumacher, Stühler, Stühmer, Thissen, Ucko, Urban und A. Werner von der Abt. 2, M. Cohen, Dahl, Hilferding, Kähler, Kuhn, M. Lange und Ströhlinger von der Abt. 3, Prot, der 44. Si. des sozialpolitischen Ausschusses v. 17. 11. 1921, ZStA/RWR/499/Bl. 120 ff.; s. a. Hauschild, Reichswirtschaftsrat, S. 301 f. 71 Der Ausschuß bestand aus je drei Mitgliedern einer Abt.: Hermann, Schurig und v. Siemens von der Abt. 1, Röhr, Schumacher und Urban von der Abt. 2, Kuhn, Lange und Ströhlinger von der Abt. 3. Ob Protokolle über die Sitzungen des Arbeitsausschusses erstellt wurden, konnte im ZStA nicht festgestellt werden. Insoweit wird verwiesen auf den Bericht des Arbeitsausschusses für die Vorberatung des Gesetzes über die Arbeitszeit der gewerblichen Arbeiter, ZStA/RWR/501/Bl. 175 - 178. 72 s. o. 2. Teil, I., 3. 73 Prot, der 49. Si. des sozialpolitischen Ausschusses v. 5. 1. 1922, ZStA/RWR/499/ Bl. 215. 69

II. Die Arbeitszeitdebatten im vorläufigen Reichswirtschaftsrat

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die Folge. Dieser beschäftigte sich am 5. und 12. Jan. 1922 mit dem Problem. Indes gelang es den Arbeitnehmern auch im sozialpolitischen Ausschuß nicht, ihren Willen durchzusetzen. Ein Vermittlungsversuch des AfA-Vorsitzenden Siegfried Aufhäuser, der, um Zeit zu gewinnen, vorschlug, ein Reichsnotgesetz zur Verlängerung der Demobilmachungsverordnungen einzubringen, 74 verlief im Sande. Währenddessen konnte die Arbeitgeberseite einen ersten Erfolg verbuchen. Mit Unterstützung der Abt. 3 gelangte ein Antrag ihres Sprechers, des Industriellen Carl Friedrich von Siemens, zur Annahme, wonach unter Ausklammerung des Themas „Erweiterung des Gesetzes auf ausgeschlossene Arbeitnehmerkategorien" die Beratungen im Arbeitsausschuß fortgesetzt werden sollten. 75 Da auf diese Weise bereits eine Entscheidung über den Anwendungsbereich des Gesetzes gefallen war, glaubte die Abt. 2 nunmehr, auf eine Mitarbeit gänzlich verzichten zu müssen. Erst die Zusage von Geheimrat Klehmet vom Reichsarbeitsministerium, im Falle der nicht rechtzeitigen Verabschiedung ein Notgesetz vorzulegen, und das Zugeständnis der Arbeitgeber, den Ausschuß auf 12 Mitglieder zu vergrößern, verhinderten ein Scheitern der Beratungen im Frühstadium. 76 Die anschließenden Verhandlungen im Arbeitsausschuß über die sachlichen Einzelheiten des Entwurfs verliefen nicht weniger kontrovers. I m M i t telpunkt der Meinungsverschiedenheiten standen die Ausnahmebestimmungen vom achtstündigen Normalarbeitstag. Als der Ausschuß nach 23 Sitzungen und zahlreichen Sachverständigenvernehmungen am 16. Juni 1922 seine Arbeiten endlich beendete, war man auf diesem Gebiet über eine gewisse Annäherung der gegensätzlichen Standpunkte nicht hinausgekommen.1?7 Übereinstimmend sprachen sich Arbeitgeber- wie Arbeitnehmervertreter gegen den gesetzlichen Ausnahmekatalog der §§ 1 8 - 2 1 aus. 78 Gesetzlich fixiert werden sollten nur mehr Möglichkeiten zu Arbeitszeitverlängerungen in Notfällen (§ 18 I), beim Schichtwechsel (§ 6) und zum Ausgleich ausgefallener Arbeitszeit (§5). An die Stelle der übrigen Ausnahmebestimmungen sollten nach Auffassung beider Parteien Vereinbarungen über die Arbeitszeit treten. Während die Abt. 2 hierbei jedoch an eine ausschließlich tarifvertragliche Ausgestaltung der Arbeitszeit dachte und im Fall der Nichteinigung dem Staat über das Schlichtungsverfahren die Schiedsrichterrolle zuweisen wollte, 7 9 gingen die Arbeitgeber noch einen Schritt weiter. Das von Siemens vorgeschlagene abgestufte Vereinbarungssystem sah 74

Ebd., Bl. 217. Ebd., Bl. 215 ff., zum Antrag v. Siemens, ebd., Bl. 217. 76 Prot, der 50. Si. des sozialpolitischen Ausschusses v. 12.1.1922, ZStA/RWR/499/ Bl. 240 ff. 77 Vgl. den Bericht des Arbeitsausschusses für die Vorberatung des Gesetzes über die Arbeitszeit der gewerblichen Arbeiter, ZStA/RWR/501/Bl. 175 - 178. ™ Ebd., Bl. 176. 79 Ebd., Bl. 178 (s. Anlage 3). 75

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

neben der tarifvertraglichen Regelung der Arbeitszeit für ganze Gruppen von Arbeitern oder ganze Gewerbezweige die Betriebsvereinbarung vor, sofern es um Ausnahmen für einzelne Betriebe oder große Teile eines solchen ging. 80 Waren nur einzelne Arbeiter betroffen, sollten sogar individualvertragliche Arbeitszeitabsprachen zulässig sein. In Anbetracht der geringeren Durchsetzungsmöglichkeiten des auf Lohnarbeit angewiesenen Arbeiters hätte eine Realisierung dieses Systems die Machtposition der Unternehmer bei der Regelung der Arbeitszeit erheblich gestärkt. Außerdem hätte die Gefahr einer Aushöhlung des erst jungen Tarif systems bestanden, indem zahlreiche Arbeiter einer derartigen Arbeitszeitregelung entzogen würden. Es war deshalb nicht verwunderlich, daß die Arbeitnehmervertreter dem Vorschlag von Siemens' mißtrauisch gegenüberstanden. Der Versuch, innerhalb einer inoffiziellen Kommission aus je einem Mitglied der drei Abteilungen eine allseits zufriedenstellende Formulierung der „Vereinbarungslösung" zu finden, scheiterte denn auch. 81 Nunmehr am Ende seiner Möglichkeiten angekommen, überwies der Arbeitsausschuß obige Vorschläge nebst den übrigen nur geringfügig geänderten Bestimmungen des Entwurfs dem sozialpolitischen Ausschuß. Ähnlich unbefriedigend verliefen die Beratungen über den Arbeitszeitgesetzentwurf für die Angestellten. 82 Mit Rücksicht auf den engen Zusammenhang beider Entwürfe war demselben Ausschuß die Vorberatung des Angestelltenarbeitszeitrechts übertragen worden. Ohne daß es gelang, einen Konsens über die Kernfragen des Arbeitszeitrechts, nämlich die neuerlich zur Debatte gestellte Zusammenfassung beider Entwürfe zu einem einheitlichen Arbeitszeitgesetz und die Ausnahmebestimmungen, zu erzielen, Schloß der Ausschuß nach fünf Sitzungen in der Zeit vom 28. Juni bis zum 19. Juli 1922 seine Arbeiten ab. Es blieb damit dem sozialpolitischen Ausschuß vorbehalten, eine Entscheidung zwischen den widerstreitenden Interessen herbeizuführen.

2. Die Sachverständigen Vernehmungen im sozialpolitischen Ausschuß: Das Für und Wider des Achtstundentages

Bevor der sozialpolitische Ausschuß anhand des Berichts des Arbeitsausschusses in die Einzelberatung der Entwürfe eintrat, vernahm er am 23., 24. März und am 7. April 1922 zahlreiche Sachverständige. 83 Fachkundige Verso Ebd., Bl. 178 (s. Anlage 3). ei Ebd., Bl. 176. 82 Ein Bericht des Arbeitsausschusses über den Gesetzentwurf über die Arbeitszeit der Angestellten konnte in den im ZStA erhaltenen Akten nicht aufgefunden werden. Deshalb wird verwiesen auf: Drucksachen des RWR, Nr. 309, S. 13; Hauschild, Reichswirtschaftsrat, S. 304; s. a. Geschäftsbericht der VDA 1922, S. 25. 83 Die Gutachten der Sachverständigen wurden veröffentlicht in: 28. Sonderheft zum RABL, S. 11 - 54; RAB1. 1922 NAT, S. 637 - 680; s. a. Leuchten, Achtstundentag, S. 86 ff.

II. Die Arbeitszeitdebatten im vorläufigen Reichswirtschaftsrat

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treter aus den Reihen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber sowie Repräsentanten der Wissenschaften wurden zu folgenden Fragen gehört: „1. Glauben Sie, daß angesichts der besonderen durch den Krieg und seine Folgen geschaffenen Lage das deutsche Volk mit einem achtstündigen Maximalarbeitstag auszukommen vermag? Auf welche wirtschaftlichen Tatsachen stützt sich sowohl im bejahenden wie im verneinenden Fall Ihre Meinung? 2. Welches Einzelmaterial können Sie für Ihre Ansicht aus Ihrem speziellen Beruf (Gewerbe) anführen?" Nach wie vor war kaum zu bezweifeln, daß die Produktionsergebnisse hinter den Leistungen der Vorkriegszeit zurückblieben. Vor allem die für Deutschlands Energieversorgung lebenswichtige Steinkohleförderung hatte 1922 noch lange nicht den Stand von 1913 erreicht. 84 Jetzt galt es also herauszufinden, ob dem 1918 eingeführten Achtstundentag die Schuld am allgemeinen Absinken der Produktion gegeben werden konnte. a) Die Ausführungen der sachverständigen Vertreter der Arbeitnehmer Daß zwischen Arbeitszeitverkürzung und Produktionsrückgang ein Zusammenhang bestand, bestritten mit Nachdruck die sachverständigen Vertreter der Arbeitnehmer: Der Führer der freien Gewerkschaften und Nachfolger Legiens, Theodor Leipart, sein Kollege Wissell, der christliche Gewerkschaftler Baltrusch und Paeplow von der Bauarbeitergewerkschaft. Eindringlich erinnerten Wissell und Leipart an den Arbeitsgemeinschaftsgeist vom 15. Nov. 1918.85 Dessen vordringliches Resultat, der Achtstundentag, sei nicht nur das politische Zugeständnis einer durch den Staatsumsturz verängstigsten Unternehmerschaft gewesen, sondern habe auch unter wirtschaftlichen Aspekten Anerkennung gefunden. Eher am Rande betonte Leipart zudem die kulturelle und bildungspolitische Bedeutung des Achtstundentages. 86 Bei einem Verlust dieser jahrzehntelang umkämpften Errungenschaft sei mit schärfstem Widerstand der Arbeiterschaft zu rechnen. Im übrigen bestimmten wirtschaftliche Argumente die Sachverständigenaussagen. Wissell, Paeplow und Baltrusch hoben die arbeitsintensivierende Wirkung des Achtstundentages hervor und unterstrichen den Anreiz zur Einführung neuer Technologien bei Verkürzung der Arbeitszeit. 87 Für die Leistungsminderung nach 1918/19 wurde neben der schlechten Ernäh84 85 86 87

Vgl. Brauns, Wirtschaftskrisis, S. 17. 28. Sonderheft zum RAB1., S. 15 (Leipart), S. 28 (Wissell). Ebd., S. 16. Ebd., S. 28 (Wissell), S. 22 (Baltrusch), S. 40 (Paeplow).

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

rungslage die Industrie verantwortlich gemacht, die unter dem Einfluß der Inflationsgewinne nicht rationell genug gearbeitet habe. 88 Letzteres modifizierte Baltrusch allerdings insoweit, als er die Ursache für den Produktionsrückgang auch beim Arbeiter suchte. Nicht nur vom Arbeitgeber, sondern auch vom Arbeitnehmer sei eine volle Ausnutzung der achtstündigen Arbeitszeit zu fordern. 89 Die Arbeitnehmer müßten sich endlich daran gewöhnen, ihre ganze Arbeitskraft während der acht Stunden herzugeben. Darüber hinaus sprach sich Baltrusch als einziger der vernommenen Sachverständigen gegen die Wirth'sche Erfüllungspolitik aus. Im Unterschied zu seinen Gewerkschaftskollegen glaubte er nämlich, daß eine Erfüllung der immensen Sachleistungs- und Finanzverpflichtungen nur mit Arbeitszeitverlängerungen erkauft werden könne. 90 Nichtsdestoweniger waren sich die Arbeitnehmervertreter einig in der Ablehnimg einer schematischen Regelung der Arbeitszeit. 91 Unter Hinweis auf die Ausnahmebefugnisse der Demobilmachungskommissare nach dem geltenden Recht suchten sie den Vorwurf des Schematismus zu entkräften und forderten erneut ein Arbeitszeitgesetz, das tarifliche Ausnahmen zulasse. b) Die Gutachten der Vertreter

der Wissenschaften

Weniger Einigkeit über die Ausgestaltung eines künftigen Arbeitszeitgesetzes und die Auswirkungen des Achtstundentages herrschte bei den Vertretern der Wissenschaften. Als wissenschaftliche Sachverständige wurden vor dem Ausschuß gehört: der Sozialdemokrat Hilferding, sein Parteigenosse und ehemaliger Redakteur des Correspondenzblattes Kaliski, der Reichsschatzminister a. D. Gothein (DDP) und der Vorsitzende des Vereins für Sozialpolitik Heinrich Herkner. In Übereinstimmung mit den Arbeitnehmervertretern setzte sich Hilferding dafür ein, daß der Achtstundentag beibehalten wurde. 9 2 Zur Begründung für seine leistungssteigernde Wirkung verwies er auf die Untersuchung von Lujo Brentano aus dem Jahre 18 7 6 9 3 und unterstrich dessen Schlußfolgerung: „Kurze Arbeitszeit und hoher Lohn (bedeute) billige Arbeit." 9 4 Die Verkürzung der Arbeitszeit werde ebenso wie die Erhöhung des Lohnes ausgeglichen durch erhöhte Arbeitsleistungen, deren Ursache wiederum in den verbesserten Lebensbedingungen der Arbeiterschaft liege. 88 Ebd., S. 27 (Wissell), S. 40 (Paeplow). 89 Ebd., S. 22. 90 Ebd., S. 21. 9 1 Ebd., S. 16 f. (Leipart), S. 22 (Baltrusch), S. 29 (Wissell). 92 Ebd., S. 45 f. 93 Brentano, Über das Verhältnis von Arbeitslohn und Arbeitszeit zur Arbeitsleistung, vgl. bes. S. 26 f. 94 28. Sonderheft zum RABl., S. 45.

II. Die Arbeitszeitdebatten im vorläufigen Reichswirtschaftsrat

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Wenn dieser Gedankengang auch nicht ausnahmslos gelte, wie etwa für rein maschinelle Arbeitsprozesse, so werde auch dort durch Mehreinstellungen und technische Verbesserungen eine Kompensation erreicht. Insgesamt ermögliche der Achtstundentag daher den Unternehmern einen höheren Ertrag innerhalb kürzerer Zeit und beeinträchtige infolgedessen auch nicht die Konkurrenzfähigkeit Deutschlands auf dem Weltmarkt. Den Grund für die fortwährende Minderleistung erblickte Hilferding zum einen in den Kriegsfolgen, zum anderen in der „Enge der Kohlenbasis", die ihrerseits auf eine mangelnde Investitionsbereitschaft der Unternehmer zurückzuführen sei. 95 Demgegenüber machten Gothein und Kaliski den Achtstundentag zum alleinigen Sündenbock für den Produktionsausfall. 96 Mit mangelndem Anlagekapital und hohen Generalunkosten, verteilt auf wenige Arbeitsstunden, rechtfertigte Gothein die fehlende Bereitschaft der Unternehmer, im Bergbau technische Verbesserungen einzuführen. 97 Während er sich angesichts der Reparationsverpflichtungen mit einer „Ausdehnung der Arbeitszeit auf mindestens acht Stunden" 9 8 im Bergbau zufriedengeben wollte, ging Kaliski einen Schritt weiter. Er setzte sich für „die Suspendierung des gesetzlichen Achtstundentages auf die Dauer von fünf Jahren und die Regelung der Arbeitszeit als Gegenstand des Tarifvertrages" ein. 99 Unter Berufung auf die innen- und außenpolitischen Verpflichtungen appellierte Kaliski an die Arbeiterschaft als „Mitverantworterin der Produktion", sich um eine Verbesserung ihrer eigenen Lage willen offen zu Arbeitszeitverlängerungen zu bekennen. 100 Mehrarbeit sei die einzig mögliche, weil unverzichtbare Voraussetzung für eine Einleitung des notwendigen Rationalisierungsprozesses, selbst auf die Gefahr einer Lebensverkürzung h i n . 1 0 1 Obwohl Kaliski wegen seiner Nähe zur Arbeiterbewegung damit eine Außenseiterposition bezog, war seine Aussage dennoch repräsentativ für die Auffassung einer Gruppe von Sozialisten, deren Publikationsorgan die „Sozialistischen Monatshefte" waren. Während der im vorläufigen Reichswirtschaftsrat laufenden Beratungen waren in dieser Zeitschrift eine Reihe von Aufsätzen erschienen, die sich mit den Auswirkungen des Achtstundentages auf die deutsche Wirtschaft befaßten. 102 Die immer wiederkehrende 95

Ebd., S. 45. Ebd., S. 11 (Gothein), S. 30 (Kaliski). Ebd., S. 14, 18. Ebd., S. 12. Ebd., S. 33. 100 Ebd., S. 30. ιοί Ebd., S. 35 f. i° 2 Julius Kaliski, Die deutsche Steuer- und Wirtschaftspolitik, in: SM 1921 II, S. 737 - 742; Hugo Lindemann, Die Mitwirkung der Arbeiterklasse beim wirtschaftlichen Wiederaufbau, in: SM 1922 I, S. 1 - 11; Max Cohen, Wie kommen w i r wieder in die Höhe, in: SM 1922 I, S. 249 - 256; Cohen, der Mitglied des RWR war, vertrat in der 96 97 98 99

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

Argumentation lautete im Kern folgendermaßen: Der 1922 anhaltende Rückgang der Produktionsleistung liefere den Beweis dafür, daß sich eine Verkürzung der täglichen Arbeitszeit in Zeiten wirtschaftlicher Not nicht ohne Leistungsminderung durchführen lasse. 103 Infolge des Krieges und des Ernährungsmangels sei die Arbeiterschaft nicht in der Lage, die Arbeitszeitverkürzung durch eine Intensivierung der Arbeitsleistung abzugleichen. Wenn aber vor dem Krieg sogar ein ca. zehnstündiger Arbeitstag vonnöten gewesen sei, um dem Volk einen angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen, so könne jetzt bei den zusätzlichen Verpflichtungen der Achtstundentag nicht aufrechterhalten werden, oder das deutsche Volk „taumelt rettungslos seinem Untergang entgegen." 104 Es nahm nicht wunder, daß die Arbeitgeber keine Gelegenheit versäumten, diese Äußerungen zu zitieren. 105 Der Sozialwissenschaftler Heinrich Herkner schließlich sah sich außerstande, eine Verbindung zwischen Produktionsausfall und verkürzter Arbeitszeit herzustellen. 106 Gerade die Verschiedenartigkeit der Faktoren, die die Arbeitsleistung beeinflußten, und die Unterschiede in den einzelnen Gewerben gaben ihm jedoch den Anlaß dazu, sich gegen eine staatliche Regelung der Arbeitszeit auszusprechen. Dem Tarifvertrag solle vielmehr der unbedingte Vorzug gegeben werden vor einem Gesetz, dessen Schutz sich nur auf besonders gesundheitsschädliche Arbeiten zu erstrecken habe. 107 Herkner, der sich selbst als Anhänger einer verkürzten Arbeitszeit sah und insoweit auf sein Werk „Die Arbeiterfrage" 108 verwies, nutzte im Ausschuß die Gelegenheit, die Nachteile des schematischen Achtstundentages aufzuzeigen. Neben der mangelnden Garantie, „daß wenigstens überall acht Stunden gearbeitet wird", beklagte er, daß „dort, wo recht gut mehr geleistet werden könnte und namentlich in unserer gegenwärtigen Lage mehr geleistet werden sollte, diese Leistung gesetzlich nicht stattfinden darf." 1 0 9 Weiter bezweifelte er den bildungspolitischen Nutzen des Achtstundentages, da viele Arbeiter ihre freie Zeit für Nebentätigkeiten verwenFolgezeit mehrfach die Auffassung der SM-Gruppe, siehe nur 47. Si. des Plenums v. 13. 12. 1922, Stenographische Berichte, Sp. 2307 ff.; Max Schippel, Der Kampf um den Achtstundentag, in: SM 1922 I, S. 329 - 334; ders., Der Produktionsverfall Deutschlands, in: SM 1922 II, S. 713 - 720; ders., Akkordarbeit und Arbeiterbewegung, in: SM 1922, S . 7 9 0 - 7 9 6 ; ders., Marktstabilisierung und Produktionssteigerung, in: SM 1922 II, S. 969 - 974. 103 Lindemann, Die Mitwirkung der Arbeiterklasse, in: SM 1922 I, S. 7; Cohen, Wie kommen w i r wieder i n die Höhe, ebd., S. 252; Schippel, Der Kampf um den Achtstundentag, ebd., S. 332. 104 Schippel, Akkordarbeit und Arbeiterbewegung, in: SM 1922 II, S. 796. 105 s. nur 28. Sonderheft zum RABL, S. 44 (Habersbrunner); Walter Groll, Mehrleistung, in: Der Arbeitgeber, Nr. 20 v. 15. 10. 1922, S. 333 - 335, hier: S. 335. 106 2 8. Sonderheft zum RABl., S. 25. 107 Ebd., S. 25. 108 Herkner, Arbeiterfrage, Bd. 1, S. 330 f. 109 2 8. Sonderheft zum RABl., S. 25.

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den würden. 1 1 0 In der Folgezeit führte Herkner seinen Kampf gegen den Achtstundentag vor dem Hintergrund einer sich verschlechternden Wirtschaftslage in verschärfter Form fort. Seine Überlegungen, die im „Arbeitgeber" veröffentlicht wurden, gipfelten in der Äußerung, in Deutschland sei nur noch eine Sozialpolitik möglich, die „vor allem an die Hebung der produktiven Leistung denkt". 1 1 1 Die „machttrunkenen Gewerkschaftler" seien schuld, wenn die ersten Ansätze für ein „Neomanchestertum" wiederkehrten. Die Gewerkschaften interpretierten diese Äußerungen als „Kampfansage", aber an die falsche Adresse. 112 Denn die Unternehmer seien diejenigen, denen die Inflationsgewinne zugute kämen, während die Löhne der Arbeiterschaft zurückgingen. c) Die Haltung der Arbeitgebersachverständigen Einig in der Ablehnung einer schematischen Regelung der Arbeitszeit waren sich auch die Arbeitgebersachverständigen: der Stuttgarter Großindustrielle Robert Bosch, der als Vertreter des RVDI vor dem Ausschuß aussagte, Legationsrat Bücher und Noack als Repräsentant des Baugewerbes. Während Noack unumwunden den Achtstundentag für den Produktionsrückgang verantwortlich machte und den neunstündigen Arbeitstag für das Handwerk forderte, 113 übten Bosch und Bücher größere Zurückhaltung. Beide konnten einen unbedingten Zusammenhang zwischen Leistungsminderung und Arbeitszeitverkürzung nicht bestätigen. 114 Unter der Voraussetzung, „daß der Betrieb gut eingerichtet ist und daß die Leute im Stücklohn arbeiten", sprach sich Bosch, und mit Einschränkung auch Bücher, sogar für eine Beibehaltung des Achtstundentages aus. 115 Bosch berief sich hierbei auf die in seinen Werken gemachten Erfahrungen, in denen er bereits 1904 den Achtstundentag auf freiwilliger Basis eingeführt habe. Um Leistungssteigerung in weniger rationalisierten Betrieben zu erzielen, käme man jedoch nicht umhin, dort zumindest vorübergehend die Arbeitszeit zu verlängern. Überdies richtete Bosch an alle Unternehmer den dringenden Appell, die Produktionsbedingungen in den Betrieben zu verbessern, denn „derjenige Unternehmer, der nicht darauf aus ist, die Arbeitszeit möglichst herunterzusetzen, begeht nach meinem Dafürhalten eine große Unklugheit." 1 1 6 Bosch revidierte allerdings später seinen Standpunkt, indem er sich no Ebd., S. 26. m Heinrich Herkner, Sozialpolitische Wandlungen in der wissenschaftlichen Nationalökonomie, in: Der Arbeitgeber, Nr. 3 v. 1. 2. 1923, S. 34 f. uz Korr.bl. Nr. 7 v. 17. 2. 1923, S. 65 f. h 3 28. Sonderheft zum RAB1., S. 38. 114 Ebd., S. 19 (Bosch), S. 20 (Bücher). 115 Ebd., S. 19 (Bosch), S. 20 (Bücher), ne Ebd., S. 19.

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

nachträglich den Ausführungen Kaliskis anschloß. 117 Neben diesen produktionspolitischen Gesichtspunkten wurde auf Arbeitgeberseite vom Ausschußmitglied Franz Habersbrunner, Generalsekretär a. D., ein weiteres wichtiges Argument ins Feld geführt. Mehrfach wies dieser darauf hin, daß es sich bei der Einführung des Achtstundentages um eine rein politische Konzession unter dem Vorbehalt internationaler Einführung gehandelt habe. 118 Diese Bedingung sei aber nicht eingetreten. Obwohl die Sachverständigenaussagen zeigten, daß der Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und Produktionsleistung keineswegs eindeutig war, so ist doch erstaunlich, daß sich der vorläufige Reichswirtschaftsrat mit derart allgemein gehaltenen Äußerungen begnügte. Detaillierte Untersuchungen in verschiedenen Industriezweigen, für die der vorläufige Reichswirtschaftsrat als „wirtschaftliches Parlament" der rechte Ort gewesen wäre, unterblieben. Außerdem war keiner der Sachverständigen in der Lage, statistisches Material vorzulegen, so daß die Frage 2 praktisch unbeantwortet blieb. A l l dies läßt den Schluß zu, daß es in Wirklichkeit gar nicht so sehr um den volkswirtschaftlichen Nutzen oder Schaden eines Achtstundentages ging, sondern um die Grundsatzfrage, was den Ausschlag geben sollte, die soziale Lage der Arbeiterschaft oder die Interessen der Industrie vor dem Hintergrund der Reparationsverpflichtungen. Daß es sich hierbei aber in erster Linie um eine politische Frage handelte, verkannte auch der Vorsitzende des sozialpolitischen Ausschusses, der Freigewerkschaftler Paul Umbreit, nicht. Er begründete die Abneigung der Arbeitnehmer gegen die geforderten Arbeitszeitverlängerungen nämlich folgendermaßen: „Nur im Rahmen einer gesetzlichen Arbeitszeit können die Gewerkschaften den Bedürfnissen dort entgegenkommen, wo es die Notwendigkeit erfordert. Wenn die gesetzlichen Schranken beseitigt werden, dann müssen w i r fürchten, daß die politischen Machtverhältnisse sehr zum Nachteil der Arbeiterklasse verschoben werden." 1 1 9 d) Die Position der Schwerindustrie: Der Übergang zur Offensive Im Herbst 1922 meldete sich eine Gruppe zu Wort, die im vorläufigen Reichswirtschaftsrat nicht gehört worden war, aber dennoch Einfluß auf den weiteren Fortgang der Beratungen nahm: Die Schwerindustrie. Mittlerweile näherte sich die Inflation ihrem Höhepunkt. 1 2 0 Die Inlandspreise kletterten nach und nach auf Weltmarkthöhe; die Exportvorteile schwanden dahin. Unter Aufgabe aller bisher geübten Zurückhaltung veranlaßte dies zwei führende Schwerindustrielle, einen Feldzug gegen den Achtstundentag 117

Ebd., S. 19. Ebd., S. 17 f., S. 29, S. 43 f. 119 Ebd., S. 53. 120 Zur wirtschaftlichen Lage vgl. Böhm, Prolegomena, S. 15; Feldman / Steinisch, Achtstundentag, S. 383. 118

II. Die Arbeitszeitdebatten im vorläufigen Reichswirtschaftsrat

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zu eröffnen. Am 14. Okt. 1922 richtete August Thyssen an Reichskanzler Wirth „den ergebenen Appell, sich an die Spitze der Bewegung für die Wiedereinführung einer verlängerten Arbeitszeit zu setzen, damit wir unser Volk und Vaterland vor dem Untergang bewahren." 1 2 1 Obwohl dieser Brief ein persönliches Schreiben war, gelangte er in die Spalten des „Ruhrechos", 122 einer kommunistischen Zeitimg, und löste große Empörung aus. 123 Ebenfalls infolge von Indiskretion veröffentlicht wurde die Rede von Hugo Stinnes vor dem finanzpolitischen Ausschuß des vorläufigen Reichswirtschaftsrates am 9. Nov. 1922. 124 Um eine Stabilisierung der Mark zu erreichen, vertrat er die Überzeugung, daß „das deutsche Volke eine Reihe von Jahren, zehn, fünfzehn Jahre lang, sicherlich zwei Stunden pro Tag w i r d mehr arbeiten müssen, um die Produktion so hoch zu bringen, daß es leben kann . . . " 1 2 5 Hugo Stinnes sprach hierbei von unbezahlter Mehrarbeit. Damit bekannte sich die Schwerindustrie zum ersten Mal ausdrücklich zu ihrem Ziel, zur Vorkriegsarbeitszeit zurückkehren zu wollen. Als sich Vertreter der vier Spitzengewerkschaften daraufhin am 4. Nov. 1922 hilfesuchend an den Reichsarbeitsminister wandten, sah dieser zwar einen Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und Produktivität als unleugbar gegeben an. 1 2 6 Gleichzeitig sicherte er jedoch zu, am Achtstundentag nicht rütteln zu wollen. Auch wies Brauns alle Gerüchte über gegenteilige Absprachen mit den Arbeitgebern als gegenstandslos zurück. Derart beschwichtigt, boten die Arbeitnehmerverbände noch vor dem Sturz der Regierung Wirth dem Reichskanzler ihre Unterstützung an. In Zusammenhang mit einer Note an die Reparationskommission vom 13. Nov. 1922 gaben sie das Versprechen, ein Arbeitszeitgesetz zu akzeptieren, das gesetzlich begrenzte Ausnahmen auf tariflichem oder behördlichem Wege zuließ. 127 Voraussetzung war aber, daß der Achtstundentag im Prinzip unangetastet blieb. Allerdings konnte weder die vermittelnde Haltung des Reichsarbeitsministers noch die Kompromißbereitschaft der Gewerkschaften darüber hinwegtäuschen, daß der Vorstoß der Schwerindustrie zu einer Polarisierung der gegensätzlichen Standpunkte in der Arbeitszeitfrage geführt hatte. Mit dem Aufruf „Die Zeit der Reden ist vorüber - w i r wollen Taten sehen" tat die „Deutsche A l l gemeine Zeitung" alle Bemühungen um eine Einigung als verspätet ab. 1 2 8 121 Schreiben Thyssens an RK Wirth v. 14. 10. 1922, BA/R 43 I/1132/B1. 359 - 361 (s. Anlage 4), Zit. Bl. 361. 122 Vgl. Rote Fahne Nr. 471 v. 22. 10. 1922. 123 s. nur Vorwärts Nr. 511/512 v. 29. 10. 1922, 1. Beilage. 124 Vorwärts Nr. 532 v. 10. 11. 1922; später veröffentlichte Stinnes seine Rede in einer Broschüre unter dem Titel „Mark-Stabilisierung und Arbeitsleistung". 125 Stinnes, Markstabilisierung und Arbeitsleistung, S. 8. 128 Vgl. Korr.bl. Nr. 44 v. 11. 11. 1922, S. 606 f. 127 Text der Note v. 14. 11. 1922, BA/R 43 I/2058/B1. 168; s. a. Oltmann, Brauns, S. 195. 128 DAZ Nr. 483/484 v. 7. 11. 1922.

5 Bischoff

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923 3. Das Schicksal des Arbeitszeitgesetzentwurfs für die gewerblichen Arbeiter

a) Die erste und zweite Lesung im sozialpolitischen

Ausschuß

Bereits im Juni 1922 hatte Staatssekretär Geib vom Reichsarbeitsministerium auf beschleunigte Erledigung der beiden Arbeitszeitgesetzentwürfe im vorläufigen Reichswirtschaftsrat gedrungen. 129 Seiner Meinung nach bestand ansonsten die Gefahr, daß Reichsrat und Reichstag ohne die Gutachten mit den Verhandlungen beginnen würden. Dessen ungeachtet trat der sozialpolitische Ausschuß erst am 7. Sept. 1922 anhand des Berichts des Arbeitsausschusses in die erste Lesung des Gesetzentwurfs über die Arbeitszeit der gewerblichen Arbeiter ein. Nach fünf weiteren Sitzungen am 8., 21., 22. Sept. und am 4., 5. Dez. 1922 beendete er die erste Lesung. Die zweite Lesung fand am 5. und 6. Dez. 1922 statt. 1 3 0 Besondere Bedeutung kam hierbei, wie auch während der folgenden Beratungen innerhalb des Reichswirtschaftsrates, dem Abstimmungsverhalten der Abt. 3, den sog. Unabhängigen, zu. Da sowohl Arbeitgeber- wie Arbeitnehmervertreter durchweg geschlossen für ihre Anträge bzw. gegen die Vorschläge der anderen Seite stimmten, oblag es der Abt. 3, zu entscheiden, in welcher Fassung Gesetzesbestimmungen zum Mehrheitsbeschluß erhoben wurden. Es lag nahe, daß jede der beiden Parteien danach trachtete, diese Stimmen zu den ihren zu erhalten. Aufgrund der fehlenden Bindungswirkung der Beschlüsse des Arbeitsausschusses waren zudem weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer gehindert, erneut ihre ursprünglichen Begehren in die Beratungen einzubringen - eine Möglichkeit, von der beide Parteien regen Gebrauch machten. Wieder einmal beherrschte damit die Grundsatzfrage des Achtstundentages und seiner Abweichungen die Ausschußberatungen. Nachdem noch in erster Lesung Anträge der Arbeitgeber zur Annahme gelangt waren, die den Zehnstundentag zum Ausgleich ausgefallener Arbeitsstunden (§ 5) sowie Arbeitszeitverlängerungen für Lehrlinge zum Gegenstand hatten, 1 3 1 mußte sich die Abt. 1 am Ende der zweiten Lesung mit einer kompletten Niederlage abfinden. Abgesehen von den vergeblichen Bemühungen des AfA-Vorsitzenden Aufhäuser, erneut ein einheitliches Arbeitszeitgesetz für alle Arbeitnehmer durchzusetzen, 132 war es den Arbeitnehmervertretern mit Hilfe der Abt. 3 gelungen, den Entwurf durchweg ihren Wünschen entsprechend umzugestalten. Der Umstand, daß die 129

Schreiben Geibs an den RWR v. 14. 6. 1922, ZStA/RAM/972/Bl. 316. Zu den Ergebnissen der Ausschußberatungen vgl. Drucksachen des RWR, Nr. 308; 28. Sonderheft zum RAB1., S. 55 - 57. 131 Prot, der 76. Si. des sozialpolitischen Ausschusses v. 8. 9. 1922, ZStA/RWR/522/ BL 258 (Anträge Hermann, Abt. 1); zu ihrer Annahme, ebd., Bl. 265, 273. 132 Prot, der 75. Si. des sozialpolitischen Ausschusses v. 7. 9.1922, ZStA/RWR/522/ Bl. 255 f. 130

II. Die Arbeitszeitdebatten im vorläufigen Reichswirtschaftsrat

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Abt. 1 bei den entscheidenden Beratungen nicht vollzählig vertreten war, kam ihnen hierbei zugute. 133 Folgende, größtenteils bereits bekannte Zielvorstellungen wurden in den Entwurf eingearbeitet: 134 1. Erweiterung des Anwendungsbereichs (§§ 1 - 4 ) durch Einbeziehung der landwirtschaftlichen Nebenbetriebe (§ 3 II), 2. Beschränkung der gesetzlichen Abweichungen vom Achtstundentag auf ein Minimum, indem die genannten Arbeitgeberanträge wieder zu Fall gebracht wurden und nur noch § 181 (Ausnahmen in Notfällen) aufrechterhalten wurde, 3. Neuregelung der übrigen Ausnahmen auf tariflicher Basis (§§ 19 - 21 a). Letzteres erreichten die Arbeitnehmervertreter durch Streichung der § 18 I I - IV und der übrigen Ausnahmebestimmungen zugunsten einer generellen tarifvertraglichen Ausnahmebefugnis (§ 19). 135 Im Falle der Nichteinigung sollte nach den von dem Ausschußvorsitzenden Paul Umbreit ausgearbeiteten Vorschriften paritätisch zu besetzenden Schlichtungsbehörden die Entscheidungsbefugnis überlassen werden (§20). Um Mißbräuche zu verhindern, sollten die Gewerbeaufsichtsbeamten außerdem befugt sein, die tariflichen Arbeitszeitregelungen zu kontrollieren (§ 21). Der weitergehende Versuch Umbreits, auch die in den §§5 und 6 vorgesehenen Möglichkeiten zu Arbeitszeitverlängerungen unter Hinweis auf die verschiedenartigen Verhältnisse in den Gewerben dem Tarifvertrag zu unterstellen 136 und somit praktisch nur noch den Achtstundentag gesetzlich festzulegen, scheiterte allerdings. Einmütig verwahrten sich die Arbeitgeber und der Regierungsvertreter Klehmet dagegen, die „Säulen des Gesetzes" zu beseitigen und den Tarifvertrag auf das „Alltägliche" zu beziehen. 137 Hinter diesem Bemühen um allumfassende tarifvertragliche Regelung der Arbeitszeit stand die Furcht der Gewerkschaften, andernfalls einen Vertrauensschwund innerhalb der Arbeiterschaft hinnehmen zu müssen. 138 Die Mitgliederzahl des ADGB und der übrigen Arbeitnehmerverbände war Ende 1922 auf den höchsten Stand seit der Gründung der Vereinigungen hochgeschnellt. 139 Mit dem Tarifvertrag konnten die Gewerkschaften nunmehr darauf hoffen, die Arbeitszeitpolitik in ihrem Sinne zu beeinflussen. 133 v g l die Beschwerden Habersbrunners in der 86. Si. des sozialpolitischen Ausschusses v. 4. 12. 1922, ZStA/RWR/523. 134

s. a. Drucksachen des RWR, Nr. 308. Prot, der 85. Si. des sozialpolitischen Ausschusses v. 4.12.1922, ZStA/RWR/523 (Anträge Umbreits); zu ihrer Annahme vgl. Prot, der 86. Si. des sozialpolitischen Ausschusses v. 5. 12. 1922, ZStA/RWR/523. 136 Prot, der 76. Si. des sozialpolitischen Ausschusses v. 8. 9.1922, ZStA/RWR/522/ Bl. 261, 276. 137 Ebd., Bl. 262 (Habersbrunner), Bl. 278 (Klehmet). 138 Prot, der 78. Si. des sozialpolitischen Ausschusses v. 22. 9. 1922, ZStA/RWR/ 522/B1. 368. 139 vgl. Tab. 8 bei Hartwich, Arbeitsmarkt, S. 412. 135

5'

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

Obwohl mit der Neufassung der §§ 1 8 - 2 1 endlich eine akzeptable Lösung des Bereichs „Ausnahmebestimmungen" gefunden zu sein schien, die in Anbetracht des von Siemens im Arbeitsausschuß entwickelten Vereinbarungssystems 140 wenigstens teilweise die Zustimmung der Arbeitgeber hätten finden müssen, war gerade die Umgestaltung dieser Vorschriften das Ergebnis einer erbitterten Kampfabstimmung. Vorangegangen war ein letzter Versuch, parallel zur ersten Lesung innerhalb einer kleineren Kommission der Zentralarbeitsgemeinschaft zu einer gütlichen Einigung zu gelangen. Noch zu Beginn der Verhandlungen hatte der Sprecher der Abt. 1, Habersbrunner, vor dem sozialpolitischen Ausschuß Verständigungsbereitschaft signalisiert, indem er erklärte: „Ich glaube, was w i r durch dieses Arbeitszeitgesetz und durch den Wert der tariflichen Vereinbarung erreichen wollen, das soll dem Frieden zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und der Verständigung zwischen beiden auch für die Zukunft dienen." 1 4 1 Im Verlauf der Kommissionsberatungen gewannen die Forderungen der Arbeitgeber jedoch zunehmend an Schärfe. Neben Ausnahmen in Notfällen forderten sie jetzt die Befugnis, ohne jegliches Bewilligungserfordernis Arbeitszeitverlängerungen aus Gründen des Gemeinwohls zur Bewachung, Reinigung und Instandsetzung der Betriebe eigenmächtig durchführen zu können. 142 Tarifliche Arbeitszeitverlängerungen sollten einem „Mußinh a l t " 1 4 3 unterworfen werden. Vor dem Ausschuß begründeten die Arbeitgeber ihren harten Kurs in der Arbeitszeitfrage mit dem Argument, die zahlenmäßig erstarkten Gewerkschaften würden den Tarifvertrag dazu benutzen, ihre Einigungsbereitschaft von der Erfüllung anderer Forderungen, vor allem in Lohnfragen, abhängig zu machen. 144 Die zeitliche Nähe zum Vorstoß der Schwerindustrie läßt aber auch den Schluß zu, daß deren Aktivitäten nicht ganz ohne Einfluß auf die Meinungsbildung der Arbeitgebervertreter im Reichswirtschaftsrat geblieben sind. Hinzu kam, daß die Befürchtungen der Abt. 1 vom Reichsarbeitsministerium geteilt wurden. 1 4 5 Wenn Klehmet sich auch nicht den weitgehenden Arbeitgeberforderungen anschloß, so bezweifelte er doch die Realisierbarkeit der Vorschläge Umbreits. Zum einen war seiner Meinung nach unklar, was mit den nichttarifängehörigen Arbeitern im Falle fehlender Allgemeinverbindlichkeitserklärung geschehen sollte. 146 Zum anderen kritisierte er die mangelnde Flexi140

s. o. 2. Teil, II., 1. Prot, der 78. Si. des sozialpolitischen Ausschusses v. 22. 9. 1922, ZStA/RWR/ 522/B1. 383. 142 v g l den Bericht Umbreits über die Kommissionsberatungen, Prot, der 85. Si. des sozialpolitischen Ausschusses v. 4. 12. 1922, ZStA/RWR/523. 143 Ebd. 144 Prot, der 76. Si. des sozialpolitischen Ausschusses v. 8. 9. 1922, ZStA/RWR/522/ Bl. 277 (Habersbrunner). 145 Prot, der 78. Si. des sozialpolitischen Ausschusses v. 22. 9. 1922, ZStA/RWR/ 522/377. 141

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bilität der neuen Vorschriften. Die erfahrungsgemäß langwierigen Tarifund Schlichtungsverhandlungen stünden Eilentscheidungen, wie sie in der Wirtschaft oftmals dringend geboten seien, entgegen. Angesichts dieser tiefgreifenden Differenzen über die Ausgestaltung der Ausnahmebestimmungen waren die Auseinandersetzungen in den anschließenden Plenumsverhandlungen vorprogrammiert. b) Die Beratungen im Plenum Die Vollversammlung des vorläufigen Reichswirtschaftsrates beschäftigte sich am 13., 14. und 15. Dez. 1922 mit dem Bericht des sozialpolitischen Ausschusses.147 Nach einer allgemeinen Aussprache, in der die bereits in den Sachverständigenvernehmungen zutage getretenen Gegensätze ergebnislos hinsichtlich der Folgeerscheinungen des Achstundentages erörtert wurden, 1 4 8 trat man in die Einzelberatung der Vorschriften für die gewerblichen Arbeiter ein. In aller Schärfe brach jetzt der Streit darüber aus, ob die Ausnahmen gesetzlich festgelegt werden sollten - so die Arbeitgeber - oder ob den Arbeitnehmerwünschen entsprechend dem Tarifvertrag der absolute Vorrang eingeräumt werden sollte. Dem geänderten Ab st immungs verhalten der personell mit den Ausschußmitgliedern nicht identischen Abt. 3 war es zuzuschreiben, daß die Arbeitgeber nunmehr den Entwurf nach ihrer Fasson abändern konnten. Über die teilweise Wiederherstellung der Regierungsvorlage hinaus gelang es ihnen auf diese Weise, sämtliche in den Ausschüssen abgelehnten Anträge durchzubringen. Unter grundsätzlichem Festhalten am Achtstundentag wurde die Begrenzung auf eine Stunde täglich bzw. 48 Stunden wöchentlich bei Arbeitszeitverlängerungen zum Ausgleich ausgefallener Arbeitsstunden (§5 1) aufgehoben und Arbeitsbereitschaft als Nichtarbeitszeit deklariert (§ 5 I). Weiter wurde der Anwendungsbereich des Gesetzes eingeschränkt (§§ 1 - 4), das Verbot von Nebenarbeit teilweise aufgehoben (§ 7) und die Möglichkeit geschaffen, Lehrlinge länger als acht Stunden zu beschäftigen (§ 5 IV). An die Stelle der auf den Tarifvertrag zugeschnittenen Bestimmungen der § § 1 8 - 2 1 a trat ein stattlicher Ausnahmekatalog. Gemäß den in den Kommissionsberatungen aufgestellten Forderungen 149 enthielt dieser an vorderster Stelle die Befugnis des Arbeitgebers, in Notfällen, zur Verhütung von Störungen, Verzögerungen oder Gefährdungen der Produktion sowie im öffentlichen Interesse die Arbeitszeit unbeschränkt zu verlängern (§181). Die Auslegungsbedürftigkeit dieser 146 Ebd., Bl. 375 f., und Prot, der 85. Si. des sozialpolitischen Ausschusses v. 4. 12. 1922, ZStA/RWR/523. 147 Zu den Ergebnissen der Plenumsberatungen vgl. Drucksachen des RWR, Nr. 311; 28. Sonderheft zum RABl., S. 57 - 60. 148 4 7. Si. des Plenums v. 13. 12. 1922, Stenograph. Berichte, Sp. 2300 ff. s. ο. 2. Teil, II., 3., a).

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Norm hätte den Arbeitgebern praktisch freie Hand in der Festsetzung der täglichen Arbeitszeit beschert und damit gleichzeitig weitgehende Straffreiheit garantiert. Ferner war der Tarifvertrag als Instrument für Arbeitszeitverlängerungen zwar vorgesehen, seine Wirksamkeit wurde jedoch von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängig gemacht. Überstunden und Rücksichtnahme auf die wirtschaftlichen Verhältnisse waren als Zwangsinhalt vorgeschrieben (§ 19). Damit suchten sich die Arbeitgeber, wie von Siemens jetzt klarstellte, vor einer „Erpressung" durch die Arbeiterschaft zu schützen. 150 Das bereits während der Ausschußberatungen zutage getretene Mißtrauen der Arbeitgeber gegenüber der gewerkschaftlichen Arbeitszeitpolitik faßte er folgendermaßen zusammen: Manche Gewerkschaften würden „gar nicht daran denken, daß in ihrer Hand nicht bloß rein egoistische Interessen liegen . . , " 1 5 1 Im übrigen wurde die Regierungsvorlage wiederhergestellt mit der Maßgabe, daß die Befugnis des Reichsarbeitsministers zur Schaffung von Übergangsregelungen zeitlich nicht mehr befristet war (§211 Nr. 2) und der Neunstundentag für das Baugewerbe festgelegt wurde (§ 14). Fassungslosigkeit war die Reaktion auf Arbeitnehmerseite. Vergeblich versuchte Umbreit, die Gesamtabstimmung über den Entwurf in der Hoffnung auf geänderte Mehrheitsverhältnisse hinauszuschieben. 152 Unter der Voraussetzung, daß das Gutachten des sozialpolitischen Ausschusses als sog. Minderheitsgutachten neben dem Mehrheitsgutachten des Plenums zur Vorlage an die gesetzgebenden Körperschaften gelangte, gaben sich die Arbeitnehmervertreter geschlagen. 153 Auf eine zweite Lesung wurde verzichtet. 4. Das Schicksal des Arbeitszeitgesetzentwurfs für die Angestellten

Mit dem Gesetzentwurf über die Arbeitszeit der Angestellten befaßte sich der sozialpolitische Ausschuß in erster Lesung am 5., 6. Okt. und am 4., 5. Dez. 1922. Die zweite Lesung erledigte er am 6. und 7. Dez. 1922. 154 Wie zuvor beim Arbeitszeitrecht für die gewerblichen Arbeiter gelang es den Arbeitnehmerverbänden zunächst mit Hilfe der Abt. 3, den Entwurf ihren Wünschen entsprechend abzuändern. Neben gleichlautenden Bestimmungen über den Achtstundentag und seine Abweichungen war die Einbeziehung der Angestellten mit höherer geistiger Tätigkeit in den Anwendungsbereich des Gesetzes das herausragende Ergebnis der Ausschußberatungen. Der vormalige Ausschluß dieser Arbeitnehmergruppe gemäß § 4 Nr. 2 wurde 150

49. Si. des Plenums v. 15. 12. 1922, Stenograph. Berichte, Sp. 2433. Ebd., Sp. 2432. 152 Ebd., Sp. 2472 f. 153 Ebd., Sp. 2474. 154 Zu den Ergebnissen der Ausschußberatungen vgl. Drucksachen des RWR, Nr. 309; 28. Sonderheft zum RAB1., S. 67 - 69. 151

II. Die Arbeitszeitdebatten im vorläufigen Reichswirtschaftsrat

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von der Abt. 2 einmütig mit der Begründung verworfen, die Arbeitgeber würden eine solche „Kautschukbestimmung" nur dazu benutzen, zahlreichen Angestellten den Achtstundentag vorzuenthalten. 155 Noch bevor die Abt. 1 im Plenum erneut die Initiative an sich reißen konnte, zwang die Besetzung der Ruhr zu einer Abänderung der Pläne. Noch am 15. Dez. hatten Meinungsverschiedenheiten über die Begriffsbestimmung der Angestellten mit höherer geistiger Tätigkeit zu einer Vertagimg der „der Würde des Hauses nicht angemessenen" Beratungen geführt. 156 Nun brachten die politischen Ereignisse Arbeitgeber und Arbeitnehmer am 17. Jan. 1923 noch einmal an einen Tisch. Solange im Ruhrgebiet der passive Widerstand geübt wurde, erschien es auf Arbeitgeberseite wenig ratsam, den Konfrontationskurs in Sachen Arbeitszeit fortzuführen. Entgegen der Befürchtung Baltruschs, die Unternehmer würden jetzt versuchen, einer gesetzlichen Regelung der Arbeitszeit überhaupt aus dem Wege zu gehen, 157 stimmte die Abt. 1 bereitwillig dem Vorschlag der Arbeitnehmervertreter zu, innerhalb einer Kommission doch noch zu einer Verständigung zu gelangen. Die aus je fünf Mitgliedern der Abt. 1 und 2 1 5 8 bestehende Kommission entschloß sich einstimmig dazu, die Angelegenheit in folgender Weise weiter zu behandeln: 159 Zunächst sollten die Beratungen des Arbeitszeitgesetzes für die Angestellten im Reichswirtschaftsrat und nicht außerhalb, wie etwa in der Zentralarbeitsgemeinschaft, fortgesetzt werden. Ferner kam man überein, das gesamte Gesetz ohne Bindung an vorherige Beratungsergebnisse einer Nachprüfimg zu unterziehen. Zu diesem Zweck verpflichteten sich beide Parteien, bis zum 26. Jan. 1923 in Leitsätzen formulierte Vorschläge einzureichen. Einigkeit herrschte außerdem darüber, daß einheitliche Ergebnisse beim Angestelltenentwurf grundsätzliche Auswirkung auf das Arbeitszeitgesetz für die gewerblichen Arbeiter haben sollten. Und schließlich sollten die Beratungen innerhalb einer vom Reichsarbeitsministerium angeregten dreiwöchigen Frist zum Abschluß gebracht werden. Doch schon in der ersten, für den 30. Jan. 1923 anberaumten Kommissionssitzung zeigte sich, daß die Frist zu kurz bemessen war, um zu einer Annäherung der gegensätzlichen Standpunkte zu gelangen. Daraufhin wandten sich Legationsrat Bücher und Hermann Thissen, Syndikus des DGB, im Auftrag der Zehnerkommission an den Reichsarbeitsminister mit der Bitte, zum Zeitgewinn und mit Rücksicht auf die politischen und wirt155 Prot, der 80. Si. des sozialpolitischen Ausschusses v. 5. 10. 1922, ZStA/RWR/ 522/B1. 428, 430 (Urban). 156 52. Si. des Plenums v. 17. 1. 1923, Stenograph. Berichte, Sp. 2543 (Bücher). 157 Ebd., Sp. 2547. 158 Mitglieder: Bücher, Ephraim, Habersbrunner, Salomonsohn und v. Siemens von der Abt. 1, W. Beckmann, Schumacher, Thissen, Umbreit und Urban von der Abt. 2, vgl. Drucksachen des RWR, Nr. 319. 159 Vgl. den Bericht Thissens, 52. Si. des Plenums v. 17. 1. 1923, Stenograph. Berichte, Sp. 2579 f.

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

schaftlichen Verhältnisse die Verhandlungen der Gesetzentwürfe in den gesetzgebenden Körperschaften auszusetzen. 160 Um die Arbeitnehmer in der Zwischenzeit nicht völlig schutzlos zu lassen, sollten als Voraussetzung für den Zeitaufschub die zuletzt bis zum 31. März 1923 verlängerten Demobilmachungsverordnungen um ein weiteres halbes Jahr verlängert werden. In der Hoffnung, auf diese Weise doch noch zu einem befriedigenden Ergebnis zu gelangen, billigte Brauns die Vorschläge der Kommissionsvertreter. 161 Als die Zehnerkommission Anfang März ihre Arbeiten beendete, konnte sie eine beinahe vollständige Beschlußfassung über den Entwurf für die Angestellten vorweisen. 162 Beim Arbeitergesetz war sie allerdings über eine gewisse Annäherung der widerstreitenden Auffassungen nicht hinausgekommen. Was vordergründig als Einigungswerk auf dem Gebiet des Angestelltenarbeitszeitrechtes anmutete, war in Wirklichkeit nichts anderes als eine Art Tauschhandel. Vor die Alternative gestellt, entweder die Einigungsverhandlungen platzen zu lassen oder den am 15. Dez. aufgestellten Arbeitgeberforderungen auf halbem Wege entgegenzukommen und ihnen damit die Schärfe zu nehmen, beschritten die fünf Arbeitnehmervertreter den Weg des ihrer Ansicht nach geringeren Übels. 163 So nahmen sie den Zehnstundentag zum Ausgleich von Arbeitszeitverkürzungen in Kauf, sofern der Achtstundentag und die 48-Stunden-Woche im Prinzip unangetastet blieben und die Verrechnimg spätestens innerhalb der folgenden Woche erfolgte (§ 5). Sie akzeptierten den schillernden Begriff „Arbeitsbereitschaft" unter dem Vorbehalt tariflicher Regelung (§17 II) und erreichten, daß der ehedem von den Arbeitgebern verlangte Zwangsinhalt für Tarifverträge einer Soll-Vorschrift wich (§171). Vergeblich versuchten die Arbeitnehmervertreter allerdings, den weitgehenden Arbeitgeberforderungen im Bereich der gesetzlichen Ausnahmebestimmungen Einhalt zu gebieten und bei fehlender tariflicher Regelung an die Stelle der behördlichen Genehmigungsbefugnis die Entscheidungsgewalt der Schlichtungsbehörden treten zu lassen. 164 Mit dem Wortlaut der VO vom 18. März 1919 rechtfertigte die Abt. 1 jetzt die Notwendigkeit zu eigenmächtigen Arbeitszeitverlängerungen in Not-, Unglücksfällen und im öffentlichen Interesse. 165 160 Vgl. den Bericht Thissens, 53. Si. des Plenums v. 7. 2. 1923, Stenograph. Berichte, Sp. 2594, und das Schreiben Brauns an den StS. d. Rkei. v. 1. 2. 1923, BA/R 431/2058/B1.162, auszugsweise abgedruckt in: Harbeck (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Cuno, S. 218 f., Anm. 6. Am 7. Feb. 1923 wurde im Plenum eine entsprechende Entschließung verabschiedet; Drucksachen des RWR, Nr. 319; 28. Sonderheft zum RAB1., S. 69 f. 161 Schreiben Brauns an den StS. d. Rkei. v. 1. 2. 1923, BA/R 43 I/2058/B1. 162. 162 Zu den Ergebnissen der Kommissionsberatungen vgl. Drucksachen des RWR, Nr. 323; 28. Sonderheft zum RAB1., S. 71 - 74. 163 Vgl. den Bericht Thissens, 55. Si. des Plenums v. 22. 3. 1923, Stenograph. Berichte, Sp. 2709. 164 Leitsätze der Arbeitnehmergruppe v. 26. 1. 1923, BA/R 13 XX/97. 165 Leitsätze der Arbeitgebergruppe v. 26. 1. 1923, BA/R 13 XX/97.

II. Die Arbeitszeitdebatten im vorläufigen Reichswirtschaftsrat

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Außerdem beanspruchte sie entsprechend § 5 der VO vom 18. März 1919 die Möglichkeit, an 20 Tagen im Jahr ohne Bindung an irgendwelche Voraussetzungen die Arbeitszeit zu verlängern. Im übrigen seien die staatlichen Ausnahmebefugnisse im Sinne der Regierungsvorlage aufrechtzuerhalten. Nach langem Hin und Her wurde ihnen dies zugestanden. 166 Weit entfernt von der Durchsetzung ihrer einstigen Forderungen in Sachen Arbeitszeitrecht, mußten die fünf Arbeitnehmervertreter während der anschließenden Beratungen der Kommissionsergebnisse im sozialpolitischen Ausschuß und im Plenum scharfe K r i t i k aus den eigenen Reihen hinnehmen. 167 Einer Durchbrechung des Achtstundentages zugestimmt zu haben, war der Hauptvorwurf, 1 6 8 eine Zersplitterung im Arbeitnehmerlager die Folge der erneut einsetzenden Diskussion um den Achtstundentag. Der sozialpolitische Ausschuß sah sich bei dieser Sachlage zu einer Beschlußfassung außerstande und überwies dem Plenum den Kommissionsbericht als Lagebericht. Dort wurde der neugef aßte Entwurf über die Arbeitszeit der Angestellten en bloc zum Beschluß erhoben. I n der Frage des Gesetzentwurfs für die gewerblichen Arbeiter glaubte die Abt. 2 angesichts der unüberbrückbaren Gegensätze, mit dem Verfahren der Minderheits-/Mehrheitsgutachten mehr erreichen zu können und beließ es bei den Beschlüssen vom 15. Dez. 1922. 169 Ohne eine Übereinstimmung zwischen den streitenden Arbeitsmarktparteien herbeiführen zu können, fanden damit die Beratungen des vorläufigen Reichswirtschaftsrates nach eineinhalb Jahren ihr Ende. Zu Verhandlungen der beiden Arbeitszeitgesetzentwürfe im Reichsrat, der seinerzeit die Gutachten des Reichswirtschaftsrates abgewartet hatte, und im Reichstag kam es nicht mehr. 1 7 0 Die chaotischen Wirtschaftsverhältnisse, die anschwellende Arbeitslosigkeit und der passive Widerstand ließen die Arbeitszeitfrage vorübergehend in den Hintergrund treten. Trotz des Scheiterns der beiden Gesetzentwürfe war die Situation für die Arbeiterschaft in den ersten Monaten des Jahres 1923 noch recht günstig. Weder Brauns noch die Reichsregierung hielten es zu diesem Zeitpunkt für opportun, am achtstündigen Normalarbeitstag zu rütteln. In seiner Regierungserklärung vom 24. Nov. 1922 171 hatte sich Reichskanzler Cuno noch ausdrücklich auf die zwi166

Zu den Arbeiten der Zehnerkommission vgl. ZStA/RWR/502/Bl. 148 - 151, Bl.

166.

167

Der sozialpolitische Ausschuß befaßte sich in der 95. - 98. Si. am 2., 9., 10. und 14. 3.1923 mit den Beschlüssen der Zehnerkommission, ZStA/RWR/502/Bl. 141 ff. Im Plenum wurden die Beschlüsse in der 54. - 56. Si. ν. 21. - 23. 3. 1923 erörtert, Stenograph. Berichte, Sp. 2606 ff. 168 5 5. Si. des Plenums v. 22. 3. 1923, Stenograph. Berichte, Sp. 2721 ff. (Aufhäuser); 56. Si des Plenums v. 23. 3. 1923, Stenograph. Berichte, Sp. 2740 ff. (Riedel). 169 5 6. Si. des Plenums v. 23. 3. 1923, Stenograph. Berichte, Sp. 2786 (Umbreit). 170 Vgl. Schreiben Brauns' an den RR v. 14. 7. 1924, Niederschriften über die Vollsitzungen des RR 1924, § 503. 171 Verhandlungen des RT, Bd. 357, S. 9103.

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

sehen den Gewerkschaften und der Regierung Wirth getroffene Vereinbarung gestützt, ein Arbeitszeitgesetz unter grundsätzlichem Festhalten am Achtstundentag mit gesetzlich begrenzten Ausnahmen schaffen zu wollen. 1 7 2 Auch Brauns berief sich noch im Sommer 1923 auf diese Absprache und beteuerte, eine Aufhebung der Demobilmachungsverordnungen sei ohne anderweitige Regelung zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausgeschlossen. 173 Aufgehoben war das Arbeitszeitproblem damit jedoch keineswegs. Auch die Gewerkschaften waren sich darüber im klaren, daß sich mit dem herannahenden Ende des passiven Widerstandes und der dann anstehenden Regelung der Reparationen und wirtschaftlichen Stabilisierung erneut die Frage des Arbeitszeitrechtes stellen würde. 1 7 4 ΠΙ. Arbeitszeitgesetz oder Arbeitszeitverordnung die Bemühungen um eine Lösung des Arbeitszeitproblems unter der Regierung Stresemann 1. Ausgangslage: Die Arbeitgeber im Aufwind

Trotz des - wenn auch brüchigen, so doch immerhin vorhandenen Zweckbündnisses von Arbeitgeberschaft und Industrie gegenüber den Franzosen während der Ruhrbesetzung brach im zweiten Halbjahr 1923 der Kampf um die Arbeitszeit in aller Schärfe wieder aus. Auslösender Faktor waren die Bedingungen, die der RVDI am 25. Mai 1923 in Zusammenhang mit seinem Angebot, für einen Teil der Reparationen die Garantie zu übernehmen, stellte. 175 Ohne vorherige Absprache mit ihren „Sozialpartnern" verlangten die Arbeitgeber die Beseitigung aller Wirtschaftskontrollen, die Aufhebung der Demobilmachungsvorschriften und „bei grundsätzlicher Aufrechterhaltung des Achtstundentages Erhöhung der Tariffreiheit im Sinne der Vorarbeiten des Reichswirtschaftsrates". 176 Letzteres bedeutete nach den Ergebnissen vom 15. Dez. 192 2 1 7 7 nichts anderes als die Zulässigkeit von Arbeitszeitverlängerungen weit über acht Stunden hinaus, legitimiert durch einen gesetzlichen Ausnahmekatalog. Spätestens jetzt wurde deutlich, daß die deutsche Unternehmerschaft sich wieder stark genug fühlte, die Regelung der Arbeitszeitbedingungen an sich zu ziehen. Erwartungsgemäß heftig fiel die Reaktion der Gewerkschaften aus. In einem Schreiben vom 1. Juni 1923 an Reichskanzler Cuno verwahrten sich die 172

s. o. 2. Teil, II., 2., d). ™ Schreiben Brauns' an den StS. d. Rkei. v. 12. 7. 1923, BA/R 43 I/1390/B1. 220 f. 174 Vgl. L. Erdmann, Gewerkschaften, S. 41. 175 Schreiben des RVDI an den RK v. 25. 5. 1923, Harbeck (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Cuno, S. 508 - 513. 176 Ebd., S. 513. 1 77 s. o. 2. Teil, IL, 3., b).

III. Arbeitszeitgesetz oder Arbeitszeitverordnung

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sozialistischen Gewerkschaftsführer auf das entschiedenste gegen die beabsichtigte „Entrechtung der Arbeitnehmer" und warfen der Industrie vor, Forderungen zu stellen, „wo es sich darum handelt, Bürgerpflichten zu erfüllen". 1 7 8 Ermutigt durch die Schwächen der Gewerkschaften, die sich am Ende des passiven Widerstandes nicht nur leeren Gewerkschaftskassen, sondern auch schwindenden Mitgliederzahlen gegenübersahen, 179 führten die Arbeitgeber ihren Kampf gegen die sozialen Errungenschaften der Revolution fort. Am 9. Sept. 1923 forderte Hugo Stinnes erneut öffentlich zwei Stunden unbezahlte Mehrarbeit. 180 Am 13. Sept. trat der Vorsitzende der VDA, Fritz Tänzler, an den Reichsarbeitsminister mit der Forderung heran, die Demobilmachungsverordnungen über die Arbeitszeit durch eine Notverordnung zu ergänzen, wonach, abgesehen von behördlichen Notausnahmen, tarifvertraglich vereinbarte Überarbeit unbeschränkt zulässig sein sollte. 1 8 1 In dieser Situation konnten die finanziell ausgebluteten Gewerkschaften nur noch auf staatliche Hilfe hoffen. Ihr Hauptproblem war, dafür zu sorgen, daß wenigstens mit dem Prinzip des Achtstundentages nicht gebrochen wurde und die Lasten der Ruhrbesetzung nicht einseitig auf die Arbeiterschaft abgewälzt wurden. 1 8 2 So richtete August Brey, Mitglied des ADGB, an seine Kollegen die bezeichnenden Worte: „Wir müssen als Nutzanwendung die Autorität des Staates stärken, um ihn in den Stand zu setzen, den Unternehmerorganisationen und ihren Maßnahmen begegnen zu können." 1 8 3 2. Der Entwurf zu Bestimmungen über die Arbeitszeit vom 22. September 1923

Inmitten dieser Differenzen nahm Brauns eine Neuregelung des Arbeitszeitrechtes in Angriff. Am 22. Sept. 1923 legte er anläßlich einer Ressortbesprechung über das von der Großen Koalition unter Reichskanzler Stresemann zu erstellende sozialpolitische Programm seine Pläne vor. 1 8 4 Nicht die weitgehenden Arbeitgeberforderungen, sondern die niedrigen Produktionsleistungen des Bergbaus hatten den Ausschlag dafür gegeben, daß die Arbeitszeitfrage erneut für die gesamte Wirtschaft aufgerollt wurde. Die auf 73,1 Prozent gesunkene Deckungsquote des Steinkohlebedarfs im unbesetz178 Schreiben der sozialistischen Gewerkschaften an den RK v. 1. 6. 1923, Harbeck (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Cuno, S. 537 - 539, nebst Anlage, ebd., S. 539 f., Anm. 4; s. a. Korr.bl. Nr. 23 v. 9. 6. 1923, S. 257 f. 179 Vgl. Preller, Sozialpolitik, S. 182. ISO DAZ Nr. 415/416 v. 9. 9. 1923. lei Schreiben der VDA an das RAM v. 13. 9. 1923, ZStA/RAM/973/Bl. 69 f. ι 8 2 Vgl. L. Erdmann, Gewerkschaften, S. 211. 183 Zit. nach Potthoff, Gewerkschaften, S. 435. 184 Teilnehmer: Brauns und Vertreter des R.Post.M., RWM, RFM, Ressortbesprechung v. 22. 9. 1923, ZStA/RAM/2939/B1. 296.

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

ten Gebiet zwang die Reichsregierung zum einen dazu, wertvolle Devisen für den Import ausländischer Kohle auszugeben. Zum anderen war sie mit Wiederaufnahme der Produktion an der Ruhr verpflichtet, die Kohlelieferungen an die Entente fortzusetzen. Und drittens bildete die Verbilligung der Kohle eine unerläßliche Voraussetzung für die dringend notwendige Stabilisierung der deutschen Wirtschaft. Diese Situation führte Reichswirtschaftsminister von Raumer dem Reichsarbeitsminister nochmals 185 wenige Tage später anhand von reichhaltigem statistischen Material vor Augen und forderte die schnellstmögliche Schaffung der gesetzlichen Grundlagen für die notwendige Leistimgserhöhung. 186 I m Gegensatz zu der vormals beabsichtigten endgültigen gesetzlichen Regelung der Arbeitszeit suchte Brauns nunmehr durch eine Änderung der immer noch geltenden Demobilmachungsbestimmungen eine Anpassung des Arbeitszeitrechtes an die wirtschaftlichen Verhältnisse zu ermöglichen. 187 Gemäß dieser Zielsetzung konzentrierten sich die Braunschen Vorschläge auf die Ausnahmen vom achtstündigen Normalarbeitstag. Unter Aufhebung der Ziff. V I I (behördliche Ausnahmen) und Ziff. X (Strafvorschrift) der AO vom 23. Nov./17. Dez. 1918 sowie der entsprechenden Vorschriften der Angestellten VO vom 18. März 1919 waren bei Aufrechterhaltung der übrigen Demobilmachungsbestimmungen folgende Neuerungen vorgesehen: 1. Der Entscheidung des Arbeitgebers überlassen waren Arbeitszeitverlängerungen - an 20 der Wahl des Arbeitgebers überlassenen Tagen im Jahr bis zu zwei Stunden täglich, allerdings mit Beschränkung auf gewerbliche Arbeiter, - beliebig oft für Vor- und Abschlußarbeiten bis zu zwei Stunden täglich. 2. Durch Tarifvertrag konnte der Achtstundentag überschritten werden - bei Arbeitsbereitschaft, - generell und ohne Bindung an irgendwelche Voraussetzungen, wobei kraft Anordnung der obersten Landesbhörde nicht tarifangehörige Arbeitnehmer in die tarifliche Regelung einbezogen werden konnten. Für Tarifverträge, die nicht zur Vorlage an die Behörden gelangten, also weder für allgemein verbindlich noch in ihrem Geltungsbereich erweiterte Vereinbarungen, war ein Beanstandungsrecht des Reichsar185 Bereits in einem Schreiben v. 28. 7. 1923 an Brauns hatte der damalige R.wirt. min. Becker auf die ernste Lage im Bergbau hingewiesen, ZStA/RAM/290/Bl. 1 - 3 . 186 Schreiben v. Raumers an Brauns v. 27. 9. 1923, Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 391 - 393. 187 Vgl. die Bestimmungen über die Arbeitszeit, Anlage zur Ressortbesprechung v. 22. 9. 1923, ZStA/RAM/2939/Bl. 297 - 301 (s. Anlage 5).

III. Arbeitszeitgesetz oder Arbeitszeitverordnung

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beitsministers bei Verstoß der Regelungen gegen den Sinn des Arbeitnehmerschutzes vorgesehen, das auch zu sachlichen Änderungen ermächtigte. 3. Einem Genehmigungserfordernis unterstellt waren Arbeitszeitverlängerungen - bei Arbeitsbereitschaft mangels tarifvertraglicher Regelung durch den Reichsarbeitsminister, - aus betriebstechnischen und allgemeinwirtschaftlichen Gründen bei fehlendem Tarifvertrag durch die Gewerbeaufsichtsbeamten ohne zeitliche Befristung. Schließlich - und das war ein absolutes Novum in der bisherigen Gesetzgebung - beabsichtigte Brauns, den Arbeitgeber bei Annahme oder Duldung freiwillig geleisteter Mehrarbeit straffrei zu stellen. Angesichts der Vielzahl von Auslegungsmöglichkeiten, die der Begriff „Freiwilligkeit" bietet, hätte eine solche Vorschrift es den Arbeitgebern wesentlich erleichtert, sich über die festgesetzten Grenzen von Arbeitszeitverlängerungen hinwegzusetzen. Gleichzeitig wäre eine erhebliche Rechtsunsicherheit die Folge gewesen, indem die Entscheidung über den Inhalt dieses Begriffes und damit über den Vollzug des Gesetzes in die Hände der Gerichte gelegt worden wäre. Das Hauptmerkmal der Braunsschen Vorschläge bestand jedoch darin, daß sie den Tarifvertrag in den Mittelpunkt des Arbeitszeitrechtes rückten. Anders als in der Vergangenheit bildeten die Allgemeinverbindlicherklärung bzw. die behördliche Genehmigung nicht mehr unerläßliche Voraussetzungen für tarifvertragliche Arbeitszeitregelungen. Damit sollte den Verhandlungsergebnissen des vorläufigen Reichswirtschaftsrates Rechnung getragen werden. Die sich daraus im Vergleich zu den vorhergehenden Entwürfen ergebende Einschränkung staatlichen Einflusses auf die Gestaltung der Arbeitszeit wurde aber durch das Rügerecht des Reichsarbeitsministers praktisch wieder wettgemacht. Darüber hinaus waren die in der Vergangenheit eingebauten Sicherungen des Achtstundentages, wie etwa das Verbot von Nebenarbeit, fortgefallen. Statt dessen enthielten die Bestimmungen weitgehende Durchbrechungen der achtstündigen Normalarbeitszeit, die aber im Unterschied zu den Arbeitgeberforderungen letztlich staatlicher Aufsicht unterlagen. Abgesehen von der 20-Tage-Regelung sollten nämlich nicht die Rechte der Arbeitgeber erweitert werden, sondern die subsidiären Genehmigungsbefugnisse der Gewerbeaufsichtsbeamten bei fehlender tariflicher Arbeitszeitregelung. Staatliche Kontrolle und Wahrung der Tarifautonomie bei gleichzeitiger Flexibilität in der Festsetzung der Arbeitszeit waren somit die Mittel, mit denen Brauns in Zeiten wirtschaftlicher Not die Arbeitszeit, notfalls auch gegen die Forderungen der Verbände, zu regeln gedachte.

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923 3. Arbeitszeitrecht in der Regierungskrise in den ersten Oktobertagen 1923

Bevor nun die Braunsschen Vorschläge in die Tat umgesetzt werden konnten, war das Kabinett Stresemann vor die Aufgabe gestellt, eine Lösung für folgende Probleme zu finden: Erstens war zunächst noch unklar, ob das neue Arbeitszeitrecht in Form eines Gesetzes oder als Verordnung aufgrund eines Ermächtigungsgesetzes verabschiedet werden sollte. Wegen der Umgehung parteipolitischer Auseinandersetzungen im Reichstag war letzteres eine besonders von Stresemann und Brauns bevorzugte Lösung. 188 Zweitens galt es die Zustimmung der sozialdemokratischen Minister zu der geplanten Ausweitung der Arbeitszeit zu erlangen. Bereits in der Ressortbesprechung vom 22. Sept. 1923 hatte der sozialdemokratische Finanzminister Hilferding Widerspruch gegen die geänderten Bestimmungen über den achtstündigen Normalarbeitstag erhoben. 189 Im Reichstag vertrat Breitscheid die Auffassung, daß die SPD „nie und nimmer" an dem Grundsatz des Achtstundentages rütteln lassen werde. „ I n dieser Frage", fügte er hinzu, „gibt es für uns keinerlei Kompromiß, in dieser Frage gibt es für uns nur Kampf." 1 9 0 Als Hilferding am 30. Sept. 1923 ein Ermächtigungsgesetz anregte, griff Stresemann diesen Vorschlag sofort auf und machte ihn zum Bestandteil seines am nächsten Tag zur Erörterung stehenden Regierungsprogramms. 191 Widerspruchslos stimmten die Kabinettsmitglieder am 1. Okt. 1923 dem Plan zu, das Ermächtigungsgesetz neben wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen auch auf sozialpolitische Maßnahmen zu erstrecken. 192 Eine Arbeitszeitverordnung schien in greifbare Nähe gerückt. Überraschend nachgiebig zeigten sich die sozialdemokratischen Minister an demselben Tag auch in der Frage der Arbeitszeit, obwohl der Reichsarbeitsminister jetzt ein Programm entwickelte, das noch über die Vorschläge vom 22. Sept. hinausging. Unter Hinweis auf die dringend notwendige Erhöhung der Arbeitsleistung stellte sich Brauns auf den Standpunkt, den Achtstundentag in der bestehenden Form nicht mehr aufrechterhalten zu können. 1 9 3 An seine Stelle sollte der sog. sanitäre Maximalarbeitstag, also die achtstündige Höchstarbeitszeit für schwere und gesundheitsgefährdende Arbeiten, treten. Im Bergbau beabsichtigte Brauns, die Arbeitszeit auf acht Stunden einschließ188 Vgl. Prot, der Kab.-Si. v. 30. 9. 1923, Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 411; s. a. Stresemann, Vermächtnis, Bd. 1, S. 138. 189 Ressortbesprechung v. 22. 9. 1923, ZStA/RAM/2939/Bl. 296. 190 Verhandlungen des RT, Bd. 357, S. 9111. 191 Prot, der Kab.-Si. v. 30. 9. 1923, Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 413. 192 Prot, des Min.Rat. v. 1. 10. 1923, Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 431. !93 Ebd., S. 429 f.

III. Arbeitszeitgesetz oder Arbeitszeitverordnung

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lieh Ein- und Ausfahrt festzusetzen. In den übrigen Industriezweigen sollte länger gearbeitet werden. Eine ursprünglich von Stresemann vorgeschlagene einschränkende Formulierung von Arbeitszeitverlängerungen in „lebenswichtigen Betrieben", die kraft tariflicher oder behördlicher Regelung durchzuführen seien, wurde von Brauns und von Reichswirtschaftsminister von Raumer als „nicht weit genug" verworfen. 194 Allerdings machte Brauns nachträglich das Zugeständnis, das Dreischichtsystem dort, wo sich die Industrie darauf eingestellt habe, beizubehalten. 195 Obwohl das vom Reichsarbeitsminister in später Nachtstunde formulierte Programm einer „Beseitigung der sogenannten Errungenschaften dër Revolution" gleichkam, 1 9 6 erteilten die sozialdemokratischen Minister ihre Zustimmung. Am 2. Okt. verschärfte sich die Lage. Neben Auseinandersetzungen um den Bayernkonflikt gab hierzu die Erklärung des DVP-Vorsitzenden Scholz den Anstoß, seine Partei stimme dem Ermächtigungsgesetz zwar zu, sie „sei aber nicht bereit, diese Ermächtigung dem Kabinett in seiner jetzigen Zusammensetzimg zu geben . . . Vor der Arbeitszeitfrage könne unter keinen Umständen Halt gemacht werden." 1 9 7 Was Scholz hierunter verstand, konkretisierte er wenige Stunden später. Namens der DVP legte er eine Formel vor, die die Rückkehr zur Vorkriegsarbeitszeit in wichtigen Produktionszweigen zum Gegenstand hatte. 1 9 8 Federführend war hier Hugo Stinnes gewesen, der die Fraktion zu einer „einstimmigen Entschließung führte". 1 9 9 Entschieden lehnte die SPD das Ansinnen der DVP ab und weigerte sich nunmehr, einem Ermächtigungsgesetz die Zustimmung zu erteilen, das der Regierung Vollmachten auf sozialpolitischem Gebiet einräumte. 200 Nichtsdestoweniger war sie bereit, das Ihre zur Erhaltung der Großen Koalition zu tun. In der anschließenden Nachtsitzung des Kabinetts sprachen sich die sozialdemokratischen Minister für eine gesetzliche Regelung der Arbeitszeit aus. 201 Diskussionsgrundlage sollte die Note vom 14. Nov. 1922 an die Reparationskommission sein. Stresemann, der nun auf eine Beilegung der Krise 194 Ebd., S. 430. 195 Anlage zum Min.Rat. v. 1. 10. 1923, ebd., S. 431. 196 So die rückblickende Notiz Stockhausens, Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 417, Anm. 1. 197 Prot, der Parteiführerbesprechung v. 2. 10. 1923, Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 438 f. Beabsichtigt war die Ablösung von v. Raumer und Hilferding. Vgl. hierzu Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 436 ff., und das Rundschreiben, das den Generalsekretären der DVP von der Reichsgeschäftsstelle zwischen dem 3. und 6. 10. 1923 übermittelt wurde, B A / N L Stresemann/Filmnr. 7934 H. 198 Vgl. die Notiz Hermann Müllers v. 2. 10. 1923, Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 445 f., Anm. 7. i " DAZ Nr. 467 v. 10. 10. 1923; Kölnische Zeitung Nr. 698 v. 9. 10. 1923. 200 Prot, der Parteiführerbesprechung v. 2. 10. 1923, Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d r Rkei., Kab. Stresemann, S. 444 f. 2 °i Ebd., S. 447 ff.

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

hoffte, drängte darauf, in der Arbeitszeitfrage „eine Formulierung zu suchen, auf die man sich einigen könne". 2 0 2 Nach langen Erörterungen brachte Brauns eine Note ein, wonach „ i n der Urproduktion die Arbeitszeit auf das Maß zu erhöhen (sei), das gesundheitlich tragbar erscheint." 203 Insbesondere sei „ i m Bergbau unter Tage eine Arbeitszeit von acht Stunden einschließlich Ein- und Ausfahrt unentbehrlich". Der Industrie müsse „analog" die Möglichkeit zur Überschreitung der achtstündigen Arbeitszeit gegeben werden. Obwohl die Braunsschen Vorschläge inhaltlich keine Neuerungen gegenüber dem Programm vom 1. Okt. brachten, wurde unter den Ministern auf dieser Grundlage Einigung erzielt. Ausgespart aus der Formulierung blieb jedoch der strittige Punkt, auf den sich die Differenzen zwischen SPD und DVP bezogen: die Erstreckung des Ermächtigungsgesetzes auf die Arbeitszeit. Brauns erklärte zwar in einer Fraktionssitzung des Zentrums am folgenden Tag, die Sozialdemokraten hätten nachträglich zugegeben, gewisse Fragen, wie etwa der Achtstundentag, könnten unter die Wirtschaftspolitik fallen und damit in das Ermächtigungsgesetz aufgenommen werden. 204 Er und Reichspostminister Höfle hätten jedoch den Eindruck gehabt, „daß die Sozialdemokraten sich durch die feste Stellungnahme der bürgerlichen Minister von Position zu Position hätten zurückdrängen lassen." So konnte auch die neue Note nicht zu einer Einigung führen. Am 3. Okt. 1923 lehnte es die SPD-Fraktion mit 61 zu 54 Stimmen ab, „sozialpolitische Dinge" in das Ermächtigungsgesetz einzubeziehen. 205 Die Vereinbarung des Kabinetts über die Arbeitszeit bezeichnete sie als „nicht annehmbar". Ausschlaggebend für diese Entscheidung war, daß die Mehrheit der Sozialdemokraten vermutete, die eigentliche Absicht der DVP sei, den Achtstundentag durch ein „Diktat gegen die Arbeiterklasse" wieder abzuschaffen und „das alte Herrentum in den Unternehmungen wiederherzustellen". 206 Außerdem bezweifelten sie, ob derart weitgehende Arbeitszeitverlängerungen gerade dann angebracht seien, wenn ein Zehntel der Arbeiterschaft arbeitslos war und ein weiteres Drittel kurzarbeitete. I m Laufe des 3. Okt. fanden noch mehrere Kabinetts- und Fraktionssitzungen statt, die letztlich aber nur zeigten, daß die Meinungsverschiedenheiten unüberwindbar waren. Mit einem Kompromißvorschlag in letzter Minute versuchte die SPD, die Krise abzuwenden. Minister Schmidt griff die Anregung eines Demokraten auf, die früheren Arbeitszeitgesetzentwürfe vor den 202 Ebd., S. 448. 203 Ebd., S. 451. 204 B A / N L ten Hompel/15 (s. Anlage 6); auszugsweise abgedruckt in: Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 451, Anm. 18; s. a. Morsey, Protokolle, S. 482 ff. 205 Prot. d. Kab.-Si. v. 3. 10. 1923, Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 454; s. a. Kastning, Sozialdemokratie, S. 118. 206 Vorwärts Nr. 463 v. 4. 10. 1923.

III. Arbeitszeitgesetz oder Arbeitszeitverordnung

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Reichstag zu bringen. 2 0 7 Gleichzeitig ließ er durchblicken, die SPD werde einem solchen Gesetz im Reichstag die Zustimmung erteilen. Noch am Abend des 3. Okt. hielt Stresemann es für möglich, seine Partei für eine solche Verfahrensweise zu gewinnen. 208 Die DVP zeigte sich indes unnachgiebig. Unerbittlich beharrte sie auf ihrer Forderung: Abschaffung des Achtstundentages mittels Ermächtigungsgesetz. Auch Brauns meldete im Gegensatz zum Zentrum, das sich um einer Erhaltung der Großen Koalition willen zu einer gesetzlichen Regelung der Arbeitszeit bereit erklärte, 209 Bedenken an. Er fürchtete, die Sozialdemokraten würden im Reichstag Abänderungsanträge stellen, die später für Agitationen ausgenützt werden könnten. 2 1 0 Garantien für eine bedingungslose Annahme des Arbeitszeitgesetzes im Reichstag aber konnten und wollten die sozialdemokratischen Minister Sollmann, Schmidt und Hilferding nicht geben. In dieser ausweglosen Situation - praktisch wäre nur noch eine Annahme der DVP-Forderungen in Betracht gekommen - sah Stresemann „keinen anderen Weg als den der Demission". 211 Um 23.30 Uhr überreichte der Kanzler dem Reichspräsidenten sein Rücktrittsgesuch. 212

4. Regierungsneubildung und interfraktionelle Vereinbarung vom 5./6. Oktober 1923

Sofort nach der Demission leitete Stresemann, erneut mit der Regierungsbildung betraut, Verhandlungen zwischen den ehemaligen Koalitionspartnern über Arbeitszeit und Ermächtigungsgesetz ein. Die entscheidenden Besprechungen über das künftige Arbeitszeitrecht - es kam nur noch eine gesetzliche Regelung in Frage - fanden am 5. Okt. 1923 statt. Die Absicht der Sozialdemokraten ging hierbei dahin, ein Arbeitszeitgesetz auf Grundlage der Note vom 14. Nov. 1922 durchzusetzen; eine Formulierung, die den bürgerlichen Parteien völlig unzureichend erschien. 213 Der Beauftragte des Zentrums, der christliche Gewerkschaftler Andre, schlug vielmehr den zehnstündigen Maximalarbeitstag als Verhandlungsbasis vor, was wiederum das Mißfallen der Sozialdemokraten erregte. Um die geplante Neu207 Prot, der Kab.-Si. v. 3. 10. 1923, Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 455 ff. 208 Stresemann i n der Kab.-Si. v. 3. 10. 1923: „Er sei bereit, es zu versuchen."; ebd., S. 458. 209 B A / N L ten Hompel/15 (s. Anlage 6); s. a. Morsey, Zentrumspartei, S. 522; Oltmann, Brauns, S. 205 f. 2 10 Prot, der Kab.-Si. v. 3. 10. 1923, Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 457. 2 " Ebd., S. 461. 212 Vgl. Stresemann, Vermächtnis, Bd. 1, S. 143. 213 Zu den am 5. 10. 1923 im Laufe des Tages stattfindenden Besprechungen vgl. BA/NL ten Hompel/15 (s. Anlage 6); s. a. Morsey, Protokolle, S. 488ff.

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

auflage der Großen Koalition nicht im Keim zu ersticken, kamen die bürgerlichen Parteien schließlich überein, „dass prominente Mitglieder der großen Koalitionsparteien .. . unter Leitung des Reichskanzlers den Versuch machen sollten, die wichtigsten Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes mit den Sozialdemokraten so festzulegen, daß eine glatte Annahme dieses Gesetzes in den nächsten Tagen sichergestellt sei." 2 1 4 Nach zähem Ringen gelang es in der vierten Morgenstunde des 6. Okt., eine von den meisten Teilnehmern gebilligte Kompromißformel zu finden. 2 1 5 Geschlossen sprachen sich die Fraktionsführer jetzt für die achtstündige Arbeitszeit im Bergbau aus. Einmütig wurde betont, „daß, falls im Bergbau nicht alsbald tarifliche Vereinbarungen hierüber erfolgen, die gesetzliche Regelung auf dieser Grundlage zu erfolgen habe." 2 1 6 Ausgangspunkt der neuen Formulierung bildete die „Neuregelung der Arbeitszeitgesetze unter grundsätzlicher Festhaltung des Achtstundentages", 217 ein nicht zu umgehendes Zugeständnis an die Sozialdemokraten. Weiterhin unterstich sie neben der Notwendigkeit technischer Verbesserungen die „Möglichkeit der tariflichen und gesetzlichen Überschreitung der jetzigen Arbeitszeit im Interesse einer volkswirtschaftlich notwendigen Steigerung und Verbilligung der Produktion". Gegenüber der Note vom 14. Nov. 1922 bedeutete dies insoweit eine Verschlechterung, als an die Stelle der behördlichen die weitergehenden gesetzlichen Ausnahmen treten sollten. Bis zuletzt hatte sich die SPD daher gegen diesen Passus gesträubt. 218 Nichtsdestoweniger bildete die Vereinbarung vom 5./6. Okt. die entscheidende Grundlage für die kommenden Verhandlungen über ein Arbeitszeitgesetz. Wenige Stunden später, am Vormittag des 6. Okt., wurde das zweite Kabinett Stresemann gebildet. Am 13. Okt. verabschiedete der Reichstag ein Ermächtigungsgesetz unter ausdrücklicher Ausklammerung der Arbeitszeit. 219 Das Ermächtigungsgesetz war an die parteipolitische Zusammensetzung der zweiten Regierung Stresemann gebunden und sollte spätestens am 31. März 1924 außer Kraft treten. Zu einer gleichfalls zügigen Verabschiedung eines Arbeitszeitgesetzes kam es nicht mehr. Erst am 22. Okt. legte Brauns dem Reichstag einen entsprechenden Entwurf vor. 2 2 0 Die Ursache hierfür lag in dem Arbeitszeitdiktat der

214 B A / N L ten Hompel/15 (s. Anlage 6); auszugsweise abgedruckt in: Erdmann/ Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 484, Anm. 1. 215 Teilnehmer u. a.: Scholz (DVP); Petersen, Koch (DDP); Marx (Zentrum); Müller (SPD); Aufzeichnung über die Besprechung der Führer der Koalitionsparteien beim Rk. v. 5. 10. 1923, Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 484ff.; s. a. Stresemann, Vermächtnis, Bd. 1, S. 145f. 216 Ebd., S. 485. 217 Text der Note: B A / N L ten Hompel/15 (s. Anlage 6); s. a. Morsey, Protokolle, S. 491. 218 B A / N L ten Hompel/15 (s. Anlage 6); s. a. Morsey, Protokolle, S. 491. 219 RGBl. 1923 I, S. 943. 220 Verhandlungen des RT, Bd. 380, Nr. 6279.

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Schwerindustrie an der Ruhr. Unter der Führung von Hugo Stinnes sorgte sie dafür, daß der Konflikt um die Arbeitszeit erneut hohe Wellen schlug und eine Verständigung zwischen Industrie und Arbeiterschaft unmöglich wurde. 5. Das Arbeitszeitdiktat der Schwerindustrie an der Ruhr

Mit folgenden Worten rechtfertigte der Fraktionsvorsitzende der SPD, Hermann Müller, den Arbeitszeitkompromiß und das Ermächtigungsgesetz vor seiner Partei: „Ermächtigung bedeutet zwar ein Stück Diktatur: aber statt dieser legalen Diktatur käme die der Gewalt! (Die) Unternehmer sind stark genug, auch ohne Rechte den 8 Stundentag aufzuheben." 221 Die Befürchtungen Müllers waren nicht ungerechtfertigt. Mittlerweile war nämlich eine Gruppe von Zechenbesitzern, die sog. „Sechserkommission", unter der Führung von Hugo Stinnes zu der Überzeugung gelangt, die unsichere politische Lage zu ihren Gunsten ausnutzen zu können. Entgegen dem für den Ruhrbergbau noch bis zum 29. Feb. 1924 laufenden Tarifvertrag, der die 7-Stunden-Schicht unter Tage vorsah, 222 beschlossen die Bergbauunternehmer am 30. Sept. 1923 auf ihrer Versammlung in Unna, ab 8. Okt. eigenmächtig die Vorkriegsarbeitszeit von 8 Vi Stunden einschließlich Ein- und Ausfahrt einzuführen. 223 Begründet wurde dieses Vorgehen mit der Notwendigkeit, die Kohleproduktion bei gleichzeitiger Preissenkung erhöhen zu müssen. Obwohl eine solche Verfahrensweise einen offenen Rechtsbruch darstellte, hinderte dies die Zecheneigentümer nicht, sich bei den französischen Besatzungsmächten und der Regierung um möglichst weitgehende Rückversicherungen zu bemühen. Auf die Unterstützung der Franzosen glaubten sie deshalb hoffen zu könnnen, weil deren Befehlshaber, General Dégoutté, in einer Unterredung mit Vertretern der Gewerkschaften Anfang Okt. 1923 als Voraussetzung für die Normalisierung des Wirtschaftslebens an der Ruhr die Einführung des Zehnstundentages genannt hatte. 2 2 4 Als der Großindustrielle Klöckner daraufhin in einem Gespräch der „Sechserkommission" mit Dégoutté am 5. Okt. die Arbeitszeit zur Sprache brachte, erhielt er jedoch eine deutliche Absage. „Der Achtstundentag sei deutsches Gesetz", führte Dégoutté aus, „die Okkupationsmächte hätten am 11. Januar ds. Js. proklamiert, daß sie die deutschen Gesetze achten würden." 2 2 5 221

Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 485, Anm. 3. Vgl. Hartwich, Arbeitsmarkt, S. 318; Oltmann, Brauns, S. 215. 223 Beschluß der Versammlung der Bergwerksdirektoren in Unna-Königsborn v. 30. 9. 1923, abgedruckt bei: Spethmann, Ruhrbergbau, Bd. 3, Anlage 58, S. 378 f.; Ursachen und Folgen V, Dok. 1081, S. 206 f. 224 Vgl. Spethmann, Ruhrbergbau, Bd. 3, S. 158,195; s. a. Vorwärts Nr. 464 v. 4.10. 1923. 225 Prot, der Besprechung der Sechserkommission mit General Dégoutté in Düsseldorf v. 5.10.1923, Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 476. 222

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

Trotz dieser abschlägigen Reaktion waren Klöckner und die übrigen Zechenbesitzer keineswegs entmutigt, glaubten sie doch, mit Unterstützung der Regierung zu handeln. Stinnes berief sich hierbei auf die Kenntnis Stresemanns von den Unnaer Arbeitszeitbeschlüssen, die am 2. Okt. von der DVP-Fraktion einstimmig gebilligt worden seien. 226 Überdies hätten Verhandlungen mit dem Reichskanzler darüber stattgefunden. 227 Da aber sowohl Stresemann wie auch von Raumer stets von einer Achtstundenschicht einschließlich Ein- und Ausfahrt ausgingen, 228 scheint der Fraktionsbeschluß eher die Folge eines wohl auch beabsichtigten Mißverständnisses gewesen zu sein. In puncto Verhandlungen gab Stresemann zwar zu, Vertreter des Kohlensyndikats seien am 3. oder 4. Oktober bei ihm erschienen, er sei jedoch infolge der Demission zur Abgabe bindender Erklärungen außerstande gewesen. 229 Von einer Billigung dieses offensichtlichen Rechtsbruches durch die Reichsregierung konnte also schwerlich die Rede sein. Trotzdem gaben die Schwerindustriellen nicht auf. Am 6. Oktober erneuerten sie auf einer Versammlung der Zechenleiter ihre Beschlüsse, verschoben deren Durchführung allerdings auf den 9. Okt. 2 3 0 Am 7. Okt. sandte Stinnes einen Fragenkatalog an Stresemann, dessen Beantwortimg er bis zum 9. Okt. erbat, also bis zu dem Tag, an dem das Arbeitszeitdiktat in die Tat umgesetzt werden sollte. 2 3 1 In Sachen Arbeitszeit hoffte er, „die wohlwollende Unterstützung der Reichsregierung . . . bei der Durchführung der Arbeitszeitverlängerung auf achteinhalb Stunden im besetzten und unbesetzten Gebiet" zu finden. Auf eine fristgemäße Antwort wartete Stinnes allerdings vergeblich. Wenig schmeichelhafte Kommentare sowohl der Links- als auch der Rechtspresse waren vielmehr die Folge, 232 nachdem die Vossische Zeitung am 9. Okt. nicht nur die „zehn Forderungen" des Großindustriellen, sondern auch das Gespräch der Zechenbesitzer mit Dégoutté vom 5. Okt. veröffentlicht hatte. 2 3 3 Inzwischen mußte die Schwerindustrie einsehen, daß auch von Regierungsseite keine Hilfe zu erwarten war. Brauns hatte zusammen mit dem preußischen Handelsminister Siering die staatlichen Bergwerksdirektoren 226

DAZ Nr. 467 v. 10. 10. 1923; Kölnische Zeitung Nr. 698 v. 9. 10. 1923. Stinnes i n der Besprechung mit Ruhrindustriellen im RT-Gebäude v. 9.10.1923, Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 513. 228 s. o. 2. Teil, III., 3.; s. a. Kölnische Zeitung Nr. 699 v. 10. 10. 1923; dort ist von einem „MißVerständnis" die Rede. 229 Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 513, Anm. 2; Prot, der Kab.-Si. v. 10. 10. 1923, ebd., S. 528 f. 230 Spethmann, Ruhrbergbau, Bd. 3, S. 186; s. a. Feldman / Steinisch, Achtstundentag, S. 393. 231 Schreiben Stinnes' an Stresemann v. 7. 10. 1923, B A / N L Stresemann/Filmnr. 7162 H; s. a. Spethmann, Ruhrbergbau, Bd. 3, S. 171 f. 232 s. nur Vossische Zeitung Nr. 479 v. 10. 10.1923: „Die Rebellion der Erzherzöge" v. Georges Bernard; Vorwärts Nr. 473 v. 10. 10. 1923: „Die Stinnes-Legende". 233 Vossische Zeitung Nr. 478 v. 9. 10. 1923. 227

III. Arbeitszeitgesetz oder Arbeitszeitverordnung

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angewiesen, sich an die gesetzlich vorgeschriebene Arbeitszeit zu halten. An den Zechenverband war am 8. Okt. die Aufforderung des Reichsarbeitsministers ergangen, von jeder einseitigen Änderimg der schriftlich vereinbarten Arbeitszeit abzusehen und für Verhandlungen am 11. Okt. Vertreter ins Reichsarbeitsministerium zu entsenden. 234 Desgleichen unterrichtete Brauns die in Gelsenkirchen tagenden Arbeitnehmerverbände, verbunden mit einer Einladung für den 10. Okt. 2 3 5 Darüber hinaus setzte er Leipart persönlich von seinem Vorgehen in Kenntnis 2 3 6 und sorgte dafür, daß der Unnaer Arbeitszeitbeschluß und die Reaktion des Reichsarbeitsministeriums in der Presse veröffentlicht wurden. 2 3 7 Noch am 8. Okt. reagierten die Bergarbeiterverbände mit einem Aufruf, in dem sie zwar das Vorgehen der Bergherren scharf verurteilten, gleichzeitig jedoch die Bergarbeiter aufforderten, die legale Siebenstundenschicht zu verfahren. 238 Ebenfalls auf verbale K r i t i k beschränkten sich der ADGB und die ihm angeschlossenen Verbände in einem weiteren Aufruf, in dem sie der Schwerindustrie vorhielten, sie wollten „Herrn im Hause sein, wie sie es vor dem Kriege waren." 2 3 9 Es war sicherlich dem raschen Eingreifen Brauns' zuzuschreiben, daß es nicht zu dem Frühjahr 1919 vergleichbaren Ausscheitungen kam. Darüber hinaus fehlten den Bergarbeiterverbänden infolge der galoppierenden Inflation aber auch die finanziellen Mittel, die zur Durchführung von Streiks erforderlich waren. So vertrat selbst der ADGB die Überzeugung, einen Arbeitskampf mit einer sicheren Niederlage bezahlen zu müssen. 240 Am 11. Okt. hoben die Vertreter der Zechen in Verhandlungen mit dem Reichsarbeitsminister die Unnaer Arbeitszeitbeschlüsse schließlich offiziell auf. 2 4 1 Trotz dieser Niederlage war die Situation für die Schwerindustrie keineswegs aussichtslos. Brauns erwies sich nämlich jetzt als besserer Bundesgenosse, als es zu erwarten gewesen wäre. Zwar rügte er das Vorgehen der Ruhrindustriellen, ohne Gewerkschaftsvertreter mit Dégoutté verhandelt zu haben, und bemängelte „gewisse Blößen", die sich die Herren vor allem in der Arbeitszeitfrage gegeben hätten. 2 4 2 Es sei „politisch untunlich" gewesen, 234 Telegramm an den Zechenverband v. 8. 10. 1923, ZStA/RAM/290/Bl. 26; s. a. Feldmann / Steinisch, Achtstundentag, S. 398. 235 Ebd. 236 Niederschrift über die Besprechung Brauns' mit Leipart und dem RT-Abg. Janschek v. 8. 10. 1923 im RAM, ZStA/RAM/682/Bl. 129 - 131. 2 37 Pressenotiz v. 8. 10. 1923, ZStA/RAM/290/Bl. 26 f. 238 Aufruf der Gesamtvorstände des Bergbaus v. 8. 10. 1923, abgedruckt in: Ursachen und Folgen V, Dok. 1089, S. 242 f. 239 Aufruf des ADGB, AfA, allgemeinen Deutschen Beamtenbundes v. 12. 10. 1923, abgedruckt in: Korr.bl. Nr. 41/42 v. 20. 10. 1923, S. 441 f. 2 *o Jahrbuch des ADGB 1923, S. 64. 241 Niederschrift über die Besprechung mit Vertretern des Zechenverbandes v. 11. 10. 1923 im RAM, ZStA/RAM/290/Bl. 32. 242 Prot, der Besprechung mit Ruhrindustriellen im RT-Gebäude v. 9.10.1923, Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 514, 516.

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

von einer Rückkehr zur Vorkriegsarbeitszeit zu sprechen. K r i t i k an den wirtschaftlichen Zielen übte er jedoch nicht. Insoweit verwies er die Industriellen auf die kommende Arbeitszeitgesetzgebung. Dementsprechend fiel auch das Antwortschreiben von Stresemann an Stinnes vom 11. Okt. aus, dessen Passus über die Arbeitszeit von Brauns wesentlich mitgestaltet worden war. 2 4 3 Unter Hinweis auf die interfraktionelle Vereinbarung vom 5./6. Okt. kündigte Stresemann an, „die Regierung beabsichtige von sich aus die Maßnahmen zu treffen, die eine Steigerung der Produktivität sowohl durch Intensivierung wie Verlängerung der Arbeit enthalten." 2 4 4 Die Entscheidung für Arbeitszeitverlängerungen war damit auf Regierungsseite gefallen. Dies gab Brauns auch den Bergarbeiterverbänden am 10. Okt. unmißverständlich zu verstehen. 245 Anstelle der ursprünglich beabsichtigten Aussprache über die Unnaer Arbeitszeitbeschlüsse bildete nun der Abschluß einer Vereinbarung über die achtstündige Schicht im Bergbau den Kern des Gesprächs. Eindringlich warnte Ministerialdirektor Sitzler die Bergarbeiterführer davor, „sich durch eine etwaige Verärgerung auf eine falsche Bahn bringen zu lassen". Denn „unbeschadet des Vorgehens der Arbeitgeber im Ruhrbergbau und in anderen Revieren müssen die als richtig und notwendig erkannten Maßnahmen ergriffen werden." 2 4 6 Die Bergarbeiterführer lehnten es jedoch ab, sich einem „Diktat" zu beugen, und weigerten sich, Schichtverlängerungen als einziges Mittel für Produktionserhöhungen anzuerkennen. Gleichwohl erklärten sie ihre Bereitschaft, „Vereinbarungen zuzustimmen, die den Lebensnotwendigkeiten der Wirtschaft und des Bergbaus Rechnung tragen". 2 4 7 Wenn die Verhandlungen auf dieser Grundlage auch zu keinem Ergebnis führten und es zunächst bei der 7Stunden-Schicht blieb, so wurde doch eines deutlich: Der Preis, den die Arbeiterschaft für einen staatlichen Schutz vor einem übermächtigen Unternehmertum zahlen sollte, war die Zustimmung ihrer Vertreter zu einer Arbeitszeitpolitik des Reichsarbeitsministeriums, die darauf angelegt war, auf legalem Wege die Arbeitgeberforderungen weitgehend zu realisieren.

243 Prot, der Kab.-Si. v. 11. 10. 1923, Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 550; s. a. Oltmann, Brauns, S. 221. 244 Schreiben Stresemanns an Stinnes v. 11. 10. 1923, B A / N L Stresemann/Filmnr. 7162 H. 245 Niederschrift über die Besprechung Brauns' mit den Bergarbeiterverbänden v. 10. 10. 1923 im RAM, ZStA/RAM/290/Bl. 28 - 30. 246 Ebd., Bl. 29. 247 Erklärung der Bergarbeiterverbände zu der Besprechung v. 10. 10. 1923, ZStA/ RAM/290/B1. 31.

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6. Der Entwurf eines vorläufigen Gesetzes über die Arbeitszeit vom 12. Oktober 1923

Statt abrupter Veränderungen setzte nun eine Entwicklung ein, die die Verwirklichung der einstigen Arbeitnehmerforderungen auf dem Gebiet des Arbeitszeitrechtes i n weite Ferne rückte und die Verhandlungsbasis der Gewerkschaften systematisch schwächte. A m 12. Okt. 1923 legte Brauns dem Kabinett den Entwurf eines vorläufigen Gesetzes über die Arbeitszeit vor. 2 4 8 Wegen seiner Eilbedürftigkeit war der Entwurf weder mit den Ressorts noch mit den Landesregierungen abgesprochen worden. Auch der Reichswirtschaftsrat war nicht mehr mit ihm befaßt worden. Insoweit verwies Brauns auf die i m Frühjahr 1923 abgeschlossenen Beratungen. Ausdrücklich als Übergangsregelung gekennzeichnet, baute der Gesetzentwurf, ebenso wie der Entwurf vom 22. Sept., auf der DemobilmachungsAO vom 23. NOV./17. Dez. 1918 und der VO vom 18. März 1919 auf. Gemäß den vorangegangenen Verhandlungen bildete die Koalitionsvereinbarung vom 5./6. Okt. seine hauptsächliche Grundlage. Brauns stützte sich außerdem auf die Note vom 13. Nov. 1922 an die Reparationskommission, dem aber wegen des einschränkenden Inhalts der Note eher psychologische als rechtlich relevante Bedeutung zukam. Unter grundsätzlichem Festhalten am Achtstundentag (§1) sollten nunmehr „unter entsprechender Berücksichtigung der sozialpolitischen Belange wesentliche Hemmungen für die freie und kraftvolle Betätigung des Arbeitswillens . . . beseitigt" und „freie Bahn für Ausnahmen vom strengen Achtstundentag i n erster Reihe durch tarifliche Abrede, i n zweiter Linie durch behördliche Genehmigung" geschaffen werden. 2 4 9 I m Vergleich zu den Vorschriften vom 22. Sept. waren folgende Neuerungen vorgesehen: Die Befugnis des Arbeitgebers zu eigenmächtigen Arbeitszeitverlängerungen wurde von 20 auf 30 Tage i m Jahr angehoben (§3). Dem Bergarbeitergesetz von 1922, das durch das Arbeitszeitgesetz abgelöst werden sollte, entlehnt war die Begriffsbestimmung der Schichtzeit i m Bergbau (§ 8): Sie reichte vom Beginn bis zum Ende der Seilfahrt und sollte grundsätzlich acht Stunden betragen. Kürzere Arbeitszeiten waren für Arbeiten an Betriebspunkten über 28 Grad Celsius zu vereinbaren. Bezeichnend für die künftige Arbeitszeitpolitik war jedoch die Festsetzung einer Höchstgrenze von 10 Stunden, die, abgesehen von Notfällen, auf alle i m Ermessen des Arbeitgebers, tarifvertraglich geregelten oder behördlich genehmigten Arbeitszeitverlängerungen Anwendung finden sollte (§ 9). Damit beabsichtigte Brauns, die Arbeitnehmerschaft i n „Zeiten allgemeiner Not" nicht dem „freien Spiel der wirtschaftlichen Kräfte auszuliefern" und 248 Entwurf eines vorläufigen Gesetzes über die Arbeitszeit (s. Anlage 7) nebst Begründung und Schreiben Brauns' an den StS. d. Rkei. v. 12. 10. 1923, BA/R 43 1/ 2058/B1. 1 7 7 - 185. 249 Begr., ebd., Bl. 181.

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

Arbeitszeitverlängerungen über das „aus Rücksichten des Arbeitnehmerschutzes zulässige Maß hinaus" zu verhindern. 250 Gleichwohl konnte die Zehnstundengrenze aus „Gründen des Gemeinwohls" überschritten werden. Dieses auslegungsbedürftige Hintertürchen und die Vielzahl der Ausnahmemöglichkeiten deuten jedoch eher darauf hin, daß damit praktisch der zehnstündige Normalarbeitstag festgelegt wurde. Zudem wurde erstmalig seit der Vorkriegszeit wieder der „sanitäre Maximalarbeitstag" in die Arbeitszeitgesetzgebung aufgenommen. In Einklang mit der von Brauns noch im ersten Kabinett Stresemann vorgelegten Formulierung war für Arbeiter, die unter besonderen Gefahren für Leib oder Gesundheit arbeiteten, der Achtstundentag vorgeschrieben (§ 7). Überschreitungen kraft Tarifvertrag oder mit behördlicher Genehmigung waren auch hier „aus Gründen des Gemeinwohls" - allerdings „nur" vorübergehend und bis zu zehn Stunden täglich - zulässig. Sicherlich zu recht bezeichnete Brauns diese Bestimmung ebenfalls als besondere Schutzbestimmung. 251 Doch erscheint die Notwendigkeit, für diese Gruppen von Arbeitnehmern die achtstündige Normalarbeitszeit gesondert festzulegen, gleichfalls bezeichnend für die mit dem Entwurf verfolgte Tendenz, die übrigen Arbeitnehmer durchweg länger arbeiten zu lassen. Als der Entwurf am 13. Okt. vom Kabinett gebilligt wurde, war es Brauns noch gelungen, für Tarifverträge, „die eine geringere als nach diesem Gesetz zulässige Arbeitszeit vorsehen", ein Kündigungsrecht mit einmonatiger Frist durchzusetzen. 252 Damit sollte der Wirtschaft die Möglichkeit gegeben werden, sofort nach Inkrafttreten des Gesetzes durch Abschluß neuer Tarifverträge die arbeitszeitrechtlichen Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Der Entwurf ging den Arbeitgebern immer noch nicht weit genug. Mit einem Aufruf trat die VDA am 24. Okt. 1923 an die Öffentlichkeit, in dem sie pauschal das neue Arbeitszeitrecht ablehnte, weil es nicht die Rückkehr zur Vorkriegsarbeitszeit ermögliche. 253 Eine Wiedergesundung der Wirtschaft könne von diesem Gesetzentwurf nicht erwartet werden. Auf denselben Standpunkt stellte sich die Schwerindustrie, die sich zwar nach den mit dem Arbeitszeitdiktat gemachten Erfahrungen in der Art und Weise ihrer Äußerungen Zurückhaltung auferlegte, an den damals geäußerten Zielen jedoch weiterhin hartnäckig festhielt. So forderten die Großindustriellen die gesetzliche Fixierung des Zweischichtsystems und größere Freiheit in der Festsetzung der täglichen Arbeitszeit. 254 Zu diesem Zweck sollten die einst 250 Ebd., Bl. 181, 184. 251 Ebd., Bl. 181, 183. 252 Prot, der Kab.-Si. v. 12. u. 13.10.1923, Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 559, 562 f. 253 Aufruf der VDA v. 24. 10. 1923, abgedruckt in: Geschäftsbericht der VDA 1923/ 24, S. 246; Der Arbeitgeber Nr. 21 v. 1. 11. 1923, S. 328. 254 Rundschreiben des VDESI v. 25. 10. 1923, BA/R 13 I/202/B1. 191 - 194.

III. Arbeitszeitgesetz oder Arbeitszeitverordnung

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im Reichswirtschaftsrat durchgesetzten Erweiterungen, wie etwa die Bestimmungen über Arbeitszeitverlängerungen ohne jegliches Bewilligungserfordernis im öffentlichen Interesse, zusätzlich in den Entwurf übernommen werden. Ferner sollte der sanitäre Maximalarbeitstag beseitigt und die dem Arbeitgeber eingeräumte Befugnis, den Achtstundentag an 30 Tagen im Jahr zu überschreiten, auf 60 Tage erhöht werden. Außerdem glaubte sowohl die Fertig- wie auch die Schwerindustrie, die Betriebsvereinbarung als Instrument zu Arbeitszeitverlängerungen nicht entbehren zu können. 255 Einen wichtigen Fürsprecher hatten sie in dieser Frage im Reichswirtschaftsminister. Als Koeth Ende Oktober Brauns an die Notwendigkeit der Produktionserhöhung im Steinkohlebergbau erinnerte, nahm er die geplante tarif vertragliche Regelung der Arbeitszeit zum Anlaß, um darauf hinzuweisen, daß im Falle der Nichteinigung „entsprechende Verhandlungen für kleinere Betriebe, unter Umständen für einzelne Bergwerke" aufgenommen werden müßten. 256 Unter Ausschaltung der gewerkschaftlichen Front sollte damit die Bereitschaft des einzelnen Arbeitnehmers, aus finanziellen Gründen Überstunden zu leisten, im Sinne der Arbeitgeberforderungen ausgenutzt werden. Was Koeth vorschlug, war also letztlich das Ende des Tarifvertragswesens, falls sich die Arbeitnehmerverbände den Forderungen der Industrie widersetzen würden. Genauso ablehnend, nur mit entgegengesetzter Argumentation, reagierten Gewerkschaften und Sozialdemokratie. Obwohl die SPD noch wenige Wochen zuvor der Grundlage des Gesetzes, der Koalitionsvereinbarung vom 5./6. Okt., zugestimmt hatte, 2 5 7 zog jetzt der „Vorwärts" in einem äußerst polemischen Artikel gegen die zahlreichen Ausnahmebedingungen zu Felde. 258 Besonders bemängelt wurden die staatlichen Eingriffsbefugnisse bei tarifvertraglichen Arbeitszeitregelungen. Im Beisein Brauns' kündigte der Bundesausschuß des ADGB in seiner Sitzung am 18. Okt. jedem Versuch, den gesetzlichen Achtstundentag zu beseitigen, „entschlossenen Widerstand" an. 2 5 9 SPD und Gewerkschaften wollten von sich aus nur tarifvertraglich geregelte Überarbeit zugelassen wissen, soweit „an einzelnen Stellen der Wirtschaft" hierzu ein Bedürfnis bestehe. Hinter dieser K r i t i k stand nunmehr verstärkt die Befürchtung, eine Durchführung des Gesetzes würde zu einer Verschärfung der Arbeitslosigkeit führen. Erstmalig seit der Nachkriegszeit war Ende 1923 die Arbeitslosenziffer wieder auf 1,5 Mio. hochgeschnellt. 260 Eindringlich warnte deshalb Aufhäuser: „Jeder Grund, 255 256

™ 258 2 59 260

Ebd., Bl. 194; s. a. Geschäftsbericht der VDA 1923/24, S. 245. Schreiben Koeths an Brauns v. 31. 10. 1923, ZStA/RAM/209/Bl. 33. s. o. 2. Teil, III., 4. Vorwärts Nr. 507 v. 30. 10. 1923, Nr. 509 v. 31. 10. 1923. Korr.bl. Nr. 41/42 v. 20. 10. 1923, S. 443. vgl. Preller, Sozialpolitik, S. 164.

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

der bisher eine Vermehrung der Belegschaft notwendig gemacht hat, ist künftig nur noch ein Grund für die Verlängerung der Arbeitszeit." 2 6 1 Der H.D.-Gewerkverein, der ebenso wie die christlichen Gewerkschaften begründeten Arbeitszeitverlängerungen nicht ganz so kompromißlos gegenüberstand wie der AD GB, veröffentlichte schließlich eine Erklärung, die mit dem Appell Schloß, dem Entwurf in seiner jetzigen Fassung im Reichstag die Zustimmung zu verweigern. 262 7. Die Verabschiedung des Entwurfs im Reichsrat und sein Scheitern

Inzwischen war am 22. Okt. im Reichsrat unter ausdrücklicher Mißbilligung der sozialdemokratisch regierten Länder Sachsen und Thüringen, die wegen der ihrer Meinung nach beabsichtigten Preisgabe des Achtstundentages dem Gesetzentwurf die Zustimmung verweigerten, die zweite Lesung zu Ende gegangen. 263 Vordringliches Ergebnis der Beratungen bildete die Herabsetzung der Obergrenze bei Arbeitszeitverlängerungen in gesundheitsgefährdenden Betrieben von zehn auf neun Stunden (§§ 7, 9). Daneben wurde die Vorschrift über die Straflosigkeit des Arbeitgebers bei der Annahme oder Duldung freiwillig geleisteter Mehrarbeit gestrichen (§ 11). Zurückzuführen waren diese Änderungen zum großen Teil auf Anregungen der Koalitionsparteien, die sich parallel zu den Reichsratsberatungen in einem inoffiziellen Ausschuß mit der Vorberatung des Entwurfs beschäftigten. 264 Der Ausschuß trat am 17., 18. und 23. Okt zusammen. Seine Aufgabe war es, dem Reichstag, dem Brauns den Arbeitszeitgesetzentwurf noch am 22. Okt. übersandt hatte, 2 6 5 Material für die Verhandlungen vorzulegen und möglichst von vornherein Einigkeit über den Entwurf zu erzielen. Obwohl die linkswie auch die rechtsorientierte Presse noch während der Ausschußsitzungen von einem günstigen Verlauf der Beratungen zu berichten wußten, 2 6 6 gab Brauns später zu, über sachliche Einzelheiten sei keinerlei Übereinstimmung zu erzielen gewesen. 267 Zwar wurde eine von dem Regierungsentwurf nur geringfügig abweichende Ausschußfassung erarbeitet; 268 die Parteien, insbesondere die Sozialdemokratie, behielten sich jedoch vor, im Reichstag zu den einzelnen Bestimmungen Abänderungsanträge zu stellen. Da infolge261 Vorwärts Nr. 508 v. 30. 10. 1923. 262 Vorwärts Nr. 520 v. 6. 11. 1923. 263 Niederschriften über die Vollsitzungen des RR 1923, § 1154; die erste Lesung hatte am 17., 18. und 19. 10. 1923 stattgefunden. 264 Vgl. den Bericht des Vertreters der bay. Landesreg. v. Rohmer v. 19. 10. 1923, Bay. HStA/MA 103982. 265 Verhandlungen des RT, Bd. 380, Nr. 6279. 266 Vorwärts Nr. 484 v. 19. 10. 1923; DAZ Nr. 485/486 v. 20. 10. 1923. 267

So Brauns am 26. 2. 1924 im RT, Verhandlungen des RT, Bd. 361, S. 12483. 268 vgl. Entwurf eines vorläufigen Gesetzes über die Arbeitszeit nach den Beschlüssen des interfraktionellen Ausschusses, ZStA/Präs./176/Bl. 155 - 161.

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dessen mit langwierigen parlamentarischen Auseinandersetzungen zu rechnen war, verlängerte das Kabinett am 27. Okt. abermals die Demobilmachungsverordnungen über die Arbeitszeit bis zum 17. Nov. 1923. 269 Rechtsgrundlage der entsprechenden V O 2 7 0 bildete das Ermächtigungsgesetz vom 13. Okt. 1923. Die Zweifel, die dadurch auftraten, daß gemäß § 1 I I des Ermächtigungsgesetzes die Regelung der Arbeitszeit ausdrücklich ausgeklammert war, wurden mit der Begründung beiseite geschoben, das Gesetz beziehe sich lediglich auf neu zu schaffendes Recht, nicht aber auf die Aufrechterhaltung des bisherigen Rechtszustandes. 271 Der Reichstag hatte sich unterdessen bis zum 6. Nov. vertagt, so daß ihm nur noch wenige Tage blieben, um das konfliktbeladene Arbeitszeitgesetz durchzubringen. Nachdem am 2. Nov. die Sozialdemokraten wegen der unterschiedlichen Reaktion der Regierung auf die Krisen in Bayern und Sachsen der Großen Koalition ihre Mitarbeit aufgekündigt hatten, war überdies eine Zustimmung der SPD zu dem Gesetzentwurf weniger denn je zu erwarten. Unter diesen Umständen mußte die Verlängerung der Demobilmachungsbestimmungen nur bis zum 17. Nov. bereits einer Preisgabe des gesetzlichen Achtstundentages gleichkommen. Ein rechtzeitiges Inkrafttreten des Arbeitszeitgesetzes war nahezu ausgeschlossen. Diese Situation bot der Schwerindustrie die willkommene Gelegenheit, sich bei der Reichsregierung um verbesserte Rechtsgrundlagen für Arbeitszeitverlängerungen zu bemühen. Am 10. Nov. wies Klöckner den Reichsarbeitsminister brieflich auf zahlreiche Betriebsstillegungen hin, „weil ohne diese Mehrarbeit kein Betrieb - und zwar ohne Ausnahmen - in Deutschland in der Zukunft existieren kann." 2 7 2 Mehrarbeit war seiner Meinung nach das einzige Mittel, um der Arbeitslosigkeit Herr zu werden. Klöckner bat Brauns, „eine Verfügung herauszubringen", die die Grundlagen für die Einführung einer verlängerten Arbeitszeit schaffen sollte. „Ganze Gruppen von Arbeitern wollen gern 10 und auch 12 Stunden arbeiten, wenn sie nur wieder verdienen", fügte er erläuternd hinzu. Mit ähnlicher Argumentation suchte Stinnes Reichsfinanzminister Luther zum Erlaß einer Verordnung „aufgrund Art. 48 oder des Ermächtigungsgesetzes" zu bewegen. 273 Sein Ziel war es, durch Vereinbarung mit den Arbeitnehmern auf legalem Wege zur Vorkriegsarbeitszeit zurückkehren zu können. Der Idealzustand war aus 269 Prot, der Kab.-Si. v. 27.10.1923, Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 853 f. 270 RGBl. 1923 I, S. 1037. 271 Vgl. Anschreiben StS. Geibs zum VO-Entwurf, BA/R 43 I/1388/B1. 353, auszugsweise abgedruckt in: Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 853 f., Anm. 2. 272 Schreiben Klöckners an Brauns v. 10. 11. 1923, Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 1023 f. 273 Schreiben Stinnes' an Luther v. 14. 11. 1923, Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 1072 ff., Zit. S. 1073.

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

Sicht der Industrie jedoch dann erreicht, wenn am 17. Nov. die Demobilmachungsbestimmungen ausfielen, ohne daß bis dahin eine staatliche Arbeitszeitregelung an ihre Stelle getreten war. Denn „damit w i r d die Bahn für eine Verlängerung der Arbeitszeit frei, soweit keine Tarifbindungen bestehen", stellte der Syndikus des VDESI, Jakob Reichert, in einem vertraulichen Schreiben an den Vorsitzenden der Vereinigung fest. 274 Auch innerhalb der Regierung vertrat man jetzt zum Teil die Auffassung, die Arbeitnehmer ihrem Schicksal zu überlassen, zumal sich der Reichstag bisher in keiner Weise mit dem Arbeitszeitgesetzentwurf befaßt hatte. Sanierung der Staatsfinanzen nach Einführung der Rentenmark und Bekämpfung der Erwerbslosigkeit waren die Probleme, die nur mit Produktionserhöhung zu lösen waren und im Kabinett den Ruf nach Mehrarbeit laut werden ließen. In einer Ministerbesprechung am 15. Nov. setzten sich deshalb sowohl Luther als auch Innenminister Jarres für eine Suspendierung der gesetzlichen Neuregelung ein. Jarres regte an, „für 1 Jahr die Dinge frei laufen zu lassen". 275 Die Arbeitnehmerverbände gedachte er finanziell zu unterstützen, damit „die Gewerkschaften nicht zu sehr an Einfluß verlören". Demgegenüber wollten Brauns wie auch Stresemann die Arbeitnehmer nicht völlig schutzlos lassen und hielten den Erlaß einer Arbeitszeitverordnung aufgrund Art. 48 WRV für erforderlich. 276 Da mit dem Austritt der Sozialdemokratie das Ermächtigungsgesetz vom 13. Okt., das an die parteipolitische Zusammensetzung im Zeitpunkt seines Inkrafttretens gebunden war, seine Wirkung verlor, standen gesetzliche Hindernisse einem solchen Schritt nicht mehr entgegen. Trotz der Ablehnung durch die Verbände beabsichtigte Brauns, den Inhalt des Arbeitszeitgesetzentwurfs für die Verordnung zu übernehmen, allerdings mit dem Zusatz, „über einzelne einschränkende Bestimmungen . . . noch hinauszugehen". 277 Die Gewerkschaften hoffte Brauns von der Notwendigkeit einer solchen Maßnahme überzeugen zu können. Nach einigem Hin und Her beschloß das Kabinett am 15. Nov. nach vorheriger Rücksprache Brauns' und Stresemanns mit dem Reichspräsidenten, den Weg über Art. 48 WRV zu gehen. Am 21. Nov. fand das Gespräch mit Ebert statt, an dem anstelle von Stresemann Reichswirtschaftsminister Koeth teilnahm. 2 7 8 Ohne vorherige Fühlungnahme mit den Arbeitsmarktparteien war dieser jedoch nicht bereit, von seinem Verord274

Schreiben Reicherts an den Vorsitzenden und die Gruppen des VDESI v. 4. 11. 1923, BA/R 13 I/202/B1. 166, auszugsweise abgedruckt in: Erdmann/Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 2083, Anm. 3. 275 Prot, der Ministerbesprechung v. 15. 11. 1923, Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 1083 f. 276 Prot, der Kab.-Si. v. 9. 11. 1923, Erdmann / Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Stresemann, S. 1000, und Ministerbesprechung v. 15. 11. 1923, ebd., S. 1084. 277 Prot, der Ministerbesprechung v. 15. 11. 1923, ebd., S. 1083. 278 Vgl. den Bericht Min.rat Kraliks über den Verlauf des Gesprächs anläßlich einer Aussprache im RAM über die Steigerung der Kohleförderung v. 22. 11. 1923, ZStA/ RAM/290/B1. 38; s. a. Oltmann, Brauns, S. 231.

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nungsrecht nach Art. 48 WRV Gebrauch zu machen. Entsprechende Verhandlungen mit den Verbänden sollten am 28. Nov. stattfinden. Noch bevor es dazu kam, verweigerte der Reichstag am 22. Nov. unter Führung der SPD Stresemann das Vertrauen. Erstmals in der Weimarer Republik nach „offener Feldschlacht" gefallen, 279 schritt Stresemann am 23. Nov. zur Demission seines zweiten Kabinetts. Eine Neukodifikation des Arbeitszeitrechtes war der Regierung Stresemann also nicht gelungen. Wenn Schwerindustrie und DVP auch maßgeblich am Zusammenbruch des ersten Kabinetts Stresemann beteiligt waren, so war es letztlich der Absage der Sozialdemokraten an den Braunsschen Arbeitszeitgesetzentwurf zuzuschreiben, daß eine gesetzliche Regelung der Arbeitszeit überhaupt unmöglich wurde. Unter Mißachtung der Koalitionsvereinbarung vom 5./6. Okt. war ihnen der Preis weitgehender Ausnahmebestimmungen zu hoch für die Garantie eines gesetzlichen Arbeitszeitschutzes erschienen. Ungeachtet der Tatsache, daß sich der Reichstag mit dem Entwurf in keiner Weise befaßt hatte, mußte dies das Ende für eine gesetzliche Regelung der Arbeitszeit bedeuten. Denn die bürgerlichen Parteien befürworteten ohne Ausnahme eine Ausweitung der Arbeitszeit zur Hebung der Produktion. So ließen sie sich auch nicht durch eine Interpellation der SPD in letzter Minute 2 8 0 dazu bewegen, die Demobilmachungsbestimmungen über die Arbeitszeit nochmals zu verlängern. Damit war klar, daß eine Regierung ohne Sozialdemokratie - wie es sich nach deren Austritt bereits abzeichnete - den auf dem Gebiet der Sozialpolitik derart zerstrittenen Reichstag keinesfalls mit dem Arbeitszeitrecht befassen würde. Eine Verordnung unter Umgehung des Parlaments blieb somit der einzige Weg, um überhaupt noch zu einer staatlichen Arbeitszeitregelung zu gelangen. 8. Das Außerkrafttreten der Demobilmachungsverordnungen über die Arbeitszeit und seine Folgen

Am 17. Nov. liefen die Demobilmachungsverordnungen über die Arbeitszeit aus. Das nachrevolutionäre Arbeitszeitrecht und damit auch der Achtstundentag war beseitigt. An seine Stelle traten die primär auf den Frauenund Kinderschutz ausgerichteten Arbeiterschutzbestimmungen der Vorkriegszeit. Recht hilflos mutete der Versuch von Gewerkschaften und Sozialdemokratie an, die Geltungsdauer der Demobilmachungsbestimmungen bis zum 30. Nov. 1923 auf einen entsprechenden Druckfehler in den Reichstags-Drucksachen zu stützen. 281 Abgesehen davon, daß das Reichs279

Stresemann, Vermächtnis, Bd. 1, S. 245. 280 Verhandlungen des RT, Bd. 380, Nr. 6334. 281 Vorwärts Nr. 451 v. 18. 11. 1923; gemeint war: Verhandlungen des RT, Bd. 380, Nr. 6292 (VO über die Verlängerung der Geltungsdauer zweier Demobilmachungsverordnungen v. 29. 10. 1923).

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

arbeitsministerium den Fehler sofort korrigierte, 282 war der Kabinettsbeschluß vom 27. Okt. unter Regierungsbeteiligung der SPD zustande gekommen. Der Tag des Außerkrafttretens war ihnen also bekannt. Ebenfalls erfolglos blieb der Versuch des Sozialdemokraten Wilhelm Dittmann, die weitere Rechtsgültigkeit des Achtstundentages auf den Aufruf des Rates der Volksbeauftragten vom 12. Nov. 1918 zu gründen. 283 Brauns vertrat nämlich die Ansicht, die obligatorische Einführung des Achtstundentages sei nicht im Gesetzgebungsteil des Aufrufs enthalten. 284 Ungeachtet dessen habe es sich bei dem Aufruf jedenfalls um bloßes Übergangsrecht gehandelt. Es konnte nicht verwundern, daß die Arbeitgeber diese Rechtsauffassung unterstützten. 285 Da somit legale Barrieren einer Rückkehr zur Vorkriegsarbeitszeit nicht mehr im Wege standen, machte sich die Schwerindustrie sofort daran, entsprechende Arbeitszeitverlängerungen durchzusetzen. In der nordwestlichen Eisen- und Stahlindustrie war die Lage insoweit günstiger, als dort die Gewerkschaften den Tarifvertrag gekündigt hatten. Im Bergbau hingegen mußten die Arbeitgeber auf den noch geltenden Rahmentarifvertrag Rücksicht nehmen. Vor dem Hintergrund der immensen Verpflichtungen aus den Micum-Verträgen gelang es den Großindustriellen nunmehr, das mit einem Tarifvertragsbruch eingeleitete Vorgehen der Zechenbesitzer 286 zumindest teilweise doch noch zum Erfolg zu führen. Am 28./29. Nov. kamen Vertreter der Bergarbeiterverbände und des Zechenverbandes in Berlin zusammen, um unter persönlicher Leitung des Reichsarbeitsministers über die Schichtzeit im Kohlebergbau des besetzten Gebiets zu verhandeln. 287 Das Ergebnis bildete ein Überschichtenabkommen, die sog. Berliner Vereinbarung, das die achtstündige Arbeitszeit ab 5. Dez. 1923 vorsah. Das Abkommen sollte bis zum 1. Mai 1924 in Kraft bleiben. Als Gegenleistung verpflichteten sich die Zechen, den Manteltarifvertrag innerhalb dieses Zeitraums unangetastet zu lassen. Die Verlängerung der täglichen Schichtzeit um eine Stunde wurde jedoch anstatt mit einem Überstundenzuschlag nur mit Vi des bisherigen Schichtlohnes vergütet. Proteste der Bergarbeitervertreter, die auf Verkehrsschwierigkeiten im Ruhrgebiet und auf die erst während der Besetzung vorgenommene Verbesserung der Schachtanlagen verwiesen, blieben wirkungslos. Am 13./14. Dez. wurde eine ähnliche Vereinbarung für die Bergarbeiter im unbesetzten Gebiet

282 vgl. Vermerk Klehmets v. 15. 11. 1923, ZStA/RT/137/Bl. 504. 283 Vorwärts Nr. 559 v. 30. 11. 1923: „Der Achtstundentag bleibt Gesetz". 284 Antwort Brauns' an Dittmann in: Vorwärts Nr. 573 v. 8. 12. 1923. 285 s. nur Gerhard Erdmann, Der Ablauf der Arbeitszeitverordnung, in: DAZ Nr. 560/561 v. 4. 12. 1923. 236 s. o. 2. Teil, III., 5. 287 Niederschrift über die Verhandlungen über die Arbeitszeit im Kohlebergbau des besetzten Gebietes v. 28./29. 11. 1923 im RAM nebst Abkommen, ZStA/RAM/290/Bl. 44-48.

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getroffen. 288 Für den oberschlesischen Bergbau enthielt das Abkommen insoweit eine Abweichung, als dort die Vorkriegsarbeitszeit von 8 Vi Stunden einschließlich Ein- und Ausfahrt wiedereingeführt werden sollte. Um diese Vereinbarung überhaupt zu ermöglichen, waren allerdings drastische Maßnahmen des Reichsarbeitsministers vonnöten gewesen. Nur die Drohung Brauns', das Bergarbeitergesetz über Art. 48 WRV aufzuheben, falls die Bergarbeiter die Mehrarbeit verweigern würden, 2 8 9 konnte deren Vertreter zum Einlenken bewegen. Ferner brachte Brauns in diesen Tag „als ehrlicher Makler" 2 9 0 zusammen mit Mehlich noch ein Arbeitszeitabkommen für die rheinisch-westfälische Eisen- und Stahlindustrie unter Dach und Fach. Dieses erlaubte die Wiedereinführimg des Zweischichtsystems dort, wo es vor dem Krieg bestanden hatte. Wegfallen sollte allerdings die 24stündige Wechselschicht. Für besonders gefährdete Arbeiter war eine von 59 auf 54 Wochenstunden reduzierte Arbeitszeit vorgesehen. Das Abkommen war vom 17. Dez. 1923 bis zum 1. Juli 1924 befristet. Auch hier wurde Einwänden von Arbeitnehmervertretern, die sich, abgesehen von grundsätzlichen Bedenken gegen das Zweischichtsystem, weigerten, länger als die Bergleute zu arbeiten, nicht stattgegeben. Brauns' Hinwendung zur Industrie war damit vollzogen. Gerade die mit dem Prinzip des Achtstundentages unvereinbare Wiedereinführung des Zweischichtsystems gab das nach außen hin sichtbare Signal, daß sich der Reichsarbeitsminister an den Grundsatz des Achtstundentages nicht mehr gebunden fühlte. Die volle Tragweite dieser arbeitgeberfreundlichen Haltung wird jedoch erst unter Hinzuziehung der am 30. Okt. 1923 erlassenen SchlichtVO 2 9 1 vollends verständlich. Diese räumte dem Reichsarbeitsministerium und den ihm nachgeordneten Behörden weitgehende Eingriffsrechte in die Gestaltung der Arbeitsbedingungen ein. Bei tariflichen Streitigkeiten konnte es durch den Erlaß von Schiedssprüchen, also von Vorschlägen für den Abschluß einer Gesamtvereinbarung (§ 5 I I I SchlichtVO), die Ausgestaltung der Kollektiwereinbarungen maßgeblich beeinflussen. Im Falle der Nichtannahme des Schiedsspruchs durch die Tarifparteien bestand dieselbe Möglichkeit über die Verbindlicherklärung, wenn der Schiedsspruch die Mehrheit der Schlichtungskammer besaß (§ 6 SchlichtVO). Daneben war dem Reichsarbeitsministerium die Kontrolle und Lenkung der Arbeitsbedingungen zugewiesen, da es durch das Ernennungs-

288 Niederschrift über die Verhandlungen über die Arbeitszeit im Kohlebergbau des unbesetzten Gebietes v. 13./14. 12. 1923 im RAM nebst Abkommen, ZStA/RAM/290/ Bl. 124 - 1 2 6 . 289 Zum entsprechenden Kab.-Beschluß vgl. Prot, der Kab.-Si. v. 3. 12. 1923, Abramowski (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Marx, S. 22 f. 290 Niederschrift über die Verhandlungen über die Arbeitszeit in der Schwerindustrie v. 13./14. 12. 1923 nebst Abkommen, ZStA/RAM/290/Bl. 130 - 133. 291 RGBl. 1923 I, S. 1043 - 1045.

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

recht der Schlichter und als oberste Schiedsinstanz (§ 6 SchlichtVO) die Entscheidungen wesentlich mitbestimmen konnte. Die SchlichtVO bildete die entscheidende Grundlage für das künftige Arbeitszeitrecht. Obwohl mit ihrer Hilfe in späteren Jahren auch Verbesserungen für die Arbeiterschaft durchgesetzt wurden, 2 9 2 gab sie Brauns zunächst die Mittel in die Hand, um die von ihm verfolgte Arbeitszeitpolitik auch durchsetzen zu können.

IV. Arbeitszeitrecht unter der Regierung Marx: Die Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923 1. Das Ermächtigungsgesetz vom 8. Dezember 1923

Am 30. Nov. 1923 wurde nach mehreren Anläufen das erste Kabinett Marx gebildet, eine Minderheitskoalition aus DVP, DDP, BVP und Zentrum. 2 9 3 Als politische Machtgrundlage forderte die Regierung ein allumfassendes Ermächtigungsgesetz. In Sachen Arbeitszeitrecht lehnte es Brauns jetzt rundweg ab, das Parlament damit zu befassen, „weil seiner Meinung nach der Reichstag es selbst nicht wünscht". 2 9 4 Am 8. Dez. 1923 erhielt das Kabinett die gewünschte Ermächtigung, und zwar mit Hilfe der Sozialdemokratie. 2 9 5 Dies erscheint auf den ersten Blick erstaunlich, bedeutete es für die wichtige Frage des Achtstundentages doch, daß die SPD sich selbst die Möglichkeiten nahm, die Ausgestaltung des künftigen Arbeitszeitrechtes zu beeinflussen. Der Grund für ihre Zustimmung lag darin, daß Reichskanzler Marx die Partei vor die Alternative gestellt hatte: entweder Ermächtigungsgesetz oder Reichstagsauflösung und Erlaß notwendiger Maßnahmen über Art. 48 WRV; 2 9 6 letzteres eine Verfahrensweise, die der parlamentarischen Kontrolle gänzlich entzogen war. Diesem Druck gab die SPD nach. 2 9 7 Als Gegenleistung für ihre Zustimmung erhandelte sie sich die vor Erlaß der Verordnungen erforderliche Anhörung eines Reichsrats- und Reichstagsausschusses.298 Darüber hinaus konnten Reichstag und Reichsrat die aufgrund des Ermächtigungsgesetzes erlassenen Verordnungen mit einfacher Mehrheit aufheben. Anders als das Ermächtigungsgesetz vom 13. Okt. 19 2 3, 2 9 9 292

Vgl. Preller, Sozialpolitik, S. 318; Feldman / Steinisch, Achtstundentag, S. 405. Zur Regierungsumbildung vgl. Abramowski (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Marx, S. V I I ff. 294 Prot, der Kab.-Si. v. 1. 12. 1923, Abramowski (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Marx, S. 1. 295 RGBl. 1923 I, S. 1179; das Gesetz wurde mit 313 : 18 Stimmen bei einer Enthaltung angenommen, vgl. Verhandlungen des RT, Bd. 361, S. 12375,12382 ff. 296 vgl. p r o t . der Kab.-Si. v. 2. u. 3. 12. 1923, Abramowski (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Marx, S. 7 ff., S. 17 f. 297 Vorwärts Nr. 575 v. 9. 12. 1923. 298 v g l Prot, der Ministerbesprechung v. 4. 12. 1923, Abramowski (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Marx, S. 34 ff. 299 s. o. 2. Teil, III., 4. 293

IV. Arbeitszeitrecht unter der Regierung Marx

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war das vom 8. Dez. an keine parteipolitische Zusammensetzung gebunden. Seine Geltungsdauer reichte allerdings nur bis zum 15. Feb. 1924. Unter einem solchen mit nahezu diktatorischen Vollmachten ausgestatteten Kabinett war es nicht verwunderlich, daß Brauns jetzt endlich eine Neuregelung des Arbeitszeitrechtes gelang. 2. Der Entwurf einer Verordnung über die Arbeitszeit vom 15. Dezember 1923 und die Forderungen von Industrie und Gewerkschaften

Am 15. Dez. 1923 übersandte Brauns dem Kabinett sowie den zuständigen Ausschüssen des Reichstags und des Reichsrates den Entwurf einer Verordnung über die Arbeitszeit. 300 Seine Basis bildete die Vorlage vom 22. Okt. 1923. Doch stellte der Entwurf mehr denn je die Erfordernisse der Produktion in den Vordergrund. So wurden, wie es in der beigegebenen Begründung hieß, „entsprechend der inzwischen eingetretenen Verschlechterung die wirtschaftlichen Notwendigkeiten in einigen Punkten stärker betont." 3 0 1 Vorangegangen waren Versuche von Vertretern der Arbeiterschaft und Industrie, den Reichsarbeitsminister in letzter Minute doch noch von der Dringlichkeit ihrer arbeitszeitrechtlichen Vorstellungen zu überzeugen. Am 6. Dez. schrieb Reichs wirtschaftsminister Hamm unter Berufung auf Vorschläge des Deutschen Industrie- und Handelstages an Brauns und bat um „unverzügliche reichsgesetzliche Regelung" der Arbeitszeit. 302 Obwohl nach Ablauf der Demobilmachungsverordnungen die Situation für die Arbeitgeberschaft durchaus günstig war, hielt er mit Rücksicht auf die Außenpolitik eine staatliche Manifestation von „Deutschlands Arbeitswillen" für unumgänglich. Zu diesem Zweck sollte gemäß den früheren Arbeitgeberforderungen die Anzahl der dem Arbeitgeber überlassenen Ausnahmetage erhöht werden (§ 3). An die Stelle der „zeitraubend(en) und daher unzweckmäßig(en)" Genehmigungsbefugnisse der Gewerbeaufsichtsbeamten (§ 6) wollte Hamm bei fehlender tariflicher Regelung der Arbeitszeit die Betriebsvereinbarung treten lassen. Den behördlichen Kontrollbefugnissen sollte mit einer „unverzüglichen Meldepflicht" von Arbeitszeitverlängerungen Genüge getan werden. Einschränkung staatlicher Interventionsmöglichkeiten lautete damit das erklärte Ziel der Industrie, die durch die vorübergehende Freiheit in der Arbeitszeitfrage erheblich an Selbstvertrauen gewonnen hatte. Ferner erachtete Hamm die Abschaffung der Kündigungsfrist für Tarifverträge für unumgänglich und verlangte die Wiedereinführung der Straffreiheit des 300 Entwurf einer Verordnung über die Arbeitszeit (s. Anlage 9) nebst Begründung und Schreiben Brauns' an die zuständigen Ausschüsse des RT und RR v. 15. 12. 1923, BA/R 43 I/2058/B1. 214 - 224. 301 Begr., ebd., Bl. 219. 302 Schreiben Hamms an Brauns v. 6. 12. 1923, BA/R 43 I/2058/B1. 210 - 212 (s. Anlage 8), Zit. Bl. 210.

7 Bischoff

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

Arbeitgebers bei Annahme oder Duldung freiwillig geleisteter Mehrarbeit. Nur die beiden letzten Punkte griff Brauns in seinem Entwurf auf. Erneut fand die recht bedenkliche Vorschrift über die Straffreiheit des Arbeitgebers Eingang in das Arbeitszeitrecht (§ 12). Voraussetzung war aber, daß „die Mehrarbeit durch besondere Umstände vorübergehender Art veranlaßt ist, und sie weder durch Ausbeutung der Notlage . . . des Arbeitnehmers von dem Arbeitgeber erwirkt wird, noch offensichtlich eine gesundheitliche Gefährdung mit sich bringt." Mit Rücksicht auf die Gewerkschaften war Brauns außerdem nicht bereit, auf eine Kündigungsfrist für Tarifverträge gänzlich zu verzichten, sondern verkürzte sie lediglich von einem Monat auf 30 Tage (§ 12). 303 Auch dachte er nicht daran, die staatlichen Einflußmöglichkeiten zugunsten einer Erweiterung der Entscheidungsbefugnisse des Arbeitgebers zu reduzieren, und beließ es bei den § 3 und § 6 in der Fassung vom 22. Okt. Am 5. Dez. begaben sich Vertreter der vier Spitzengewerkschaften zu Brauns, um mit ihm die Arbeitszeitfrage zu besprechen. „ A m 23. Dez.", erklärte Brauns später im Reichstag, „baten (sie) um Erlaß der Arbeitszeitverordnung aufgrund des neuen Ermächtigungsgesetzes." 304 Die Datumsverwechslung und diese Formulierung nahmen SPD und Gewerkschaften zum Anlaß, um rückblickend die von Brauns gegebene Darstellung des Gesprächs zu leugnen und ihre Bittstellerrolle energisch zurückzuweisen. Ihr Anliegen sei gewesen, daß, wenn man schon eine VO in Kauf nähme, wenigstens Abänderungsanträge berücksichtigt werden müßten. 305 Eben dies sei trotz entsprechender Zusagen des Reichsarbeitsministers nicht geschehen. Allerdings mußte auch der ADGB zugeben, das Schlimmste, nämlich die Übernahme der Arbeitgeberforderungen in die VO, habe verhindert werden können. 306 Sachliche Streitpunkte des Gesprächs bildeten nach übereinstimmender Darstellung von Brauns und vom ADGB die § 6 und § 12 ; 3 0 7 dieselben Bestimmungen, die auch das Mißfallen Hamms erregt hatten. Während die Gewerkschaftsvertreter paritätisch besetzten Schlichtungsbehörden den Vorzug vor den Gewerbeaufsichtsbeamten geben wollten, beharrte Brauns auf der Mitwirkung der staatlichen Stellen. Zur Begründung verwies er auf den Wortlaut der KoalitionsVereinbarung vom 5./6. Okt. Auch gegenüber der geforderten Streichung des § 12 blieb er hart. 303 Brauns, Wirtschaftskrisis, S. 24; s. a. Prot, der Si. des Wirtschaftsausschusses des Kab. v. 15. 12. 1923, Abramowski (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Marx, S. 113 f. 304 Verhandlungen des RT, Bd. 361, S. 12484 (v. 26. 2. 1924); Aufzeichnungen über die Besprechung v. 5. 12. 1923 konnten weder im BA noch im ZStA ermittelt werden. 305 So Breitscheid am 26. 2. 1924 im RT, Verhandlungen des RT, Bd. 361, S. 12586 f.; Jahrbuch des ADGB 1923, S. 66 f. 3 6 Jahrbuch des ADGB 1923, S. 67. 307 Brauns am 5. 3. 1924 im RT, Verhandlungen des RT, Bd. 361, S. 12594 f.; ders., Wirtschaftskrisis, S. 23 ff.; Jahrbuch des ADGB 1923, S. 66 f.; s. a. Oltmann, Brauns, S. 327 f.

IV. Arbeitszeitrecht unter der Regierung Marx

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Denn andernfalls wäre „der Zweck der ganzen Arbeitszeitverordnung, nämlich die möglichst schnelle Anpassung der Arbeitszeit an die Notwendigkeiten unserer Wirtschaft, ganz oder teilweise vereitelt worden." 3 0 8 Weitere wichtige Neuerungen folgten schließlich aus den Arbeitszeitabkommen für die Schwerindustrie vom 28729. Nov. und vom 13./14. Dez. 3 0 9 Diese sahen längere als nach dem Entwurf vom 22. Okt. zulässige Höchstarbeitszeiten vor. Um die Vereinbarungen nicht nachträglich zum Scheitern zu bringen, wurden die Möglichkeiten zur Überschreitung des sanitären Maximalarbeitstages (§ 7) erweitert. Die Arbeitszeit für besonders gefährdete Arbeitergruppen konnte jetzt statt, wie ehedem vom Reichsrat beschlossen,310 bis zu neun Stunden täglich, „aus Gründen des Gemeinwohls" wieder bis zu zehn Stunden verlängert werden. Einer Rückkehr zum Zweischichtsystem stand damit nichts mehr im Wege. Als Gegengewicht hierzu wurde der Reichsarbeitsminister ermächtigt, festzusetzen, für welche besonders gefährdete Arbeitergruppen die Einschränkungen des § 7 Platz greifen sollten (§ 7 II). Keine Berücksichtigung fand allerdings zunächst die für den oberschlesischen Steinkohlebergbau vereinbarte Vorkriegsschichtzeit von 8 1/2 Stunden. Nachdem sich der 45. Reichstagsausschuß, der am 19. Dez. unter dem Vorsitz des DVP-Abgeordneten Scholz von seinem Anhörungsrecht Gebrauch machte, mehrheitlich für eine Anpassung der VO an die laufenden Vereinbarungen ausgesprochen hatte, 3 1 1 wurde auch dieses Hindernis beseitigt. § 7 erhielt den weiteren Zusatz, daß eine achteinhalbstündige Arbeitszeit in den gesundheitsgefährdenden Betrieben dann zulässig sein sollte, „wenn sie sich in langjähriger Übung als unbedenklich erwiesen hat." Mit diesen Änderungen wurde die AZVO am 19. Dez. vom Kabinett verabschiedet 312 und am 21. Dez. 1923 verkündet. 313 Sie trat am 1. Jan. 1924 in Kraft. 3. Arbeitszeitrecht nach der Arbeitszeit Verordnung vom 21. Dezember 1923

Der langwierige Kampf um eine Neuregelung des Arbeitszeitrechtes war endlich abgeschlossen. An seinem Ende stand wieder nur eine vorläufige Ordnung: „Vorbehaltlich einer späteren endgültigen Regelung", wie die Eingangsformel zur AZVO lautet. 308

Brauns, Wirtschaftskrisis, S. 24. s. o. 2. Teil, III., 8. 310 s. o. 2. Teil, III., 7. 311 Prot, der 9. Si. d. 45. RT-Ausschusses v. 19.12.1923, ZStA/RT/1623/Bl. 234; s. a. Brauns am 5. 3. 1924 im RT, Verhandlungen des RT, Bd. 361, S. 12595; ders., Wirtschaftskrisis, S. 25. 312 Prot, der Kab.-Si. v. 19. 12. 1923, Abramowski (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Marx, S. 138. 3 3 1 RGBl. 1923 I, S. 1249 - 1251 (s. Anlage 10); nebst Begr. abgedr. in: RAB1. 1924 AT, S. 1 4 - 1 8 . 309

7'

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

a) Der Ausnahmekatalog der Arbeitszeitverordnung Zum ersten Mal in der Geschichte der deutschen Arbeiterschutzgesetzgebung wurde der Achtstundentag durch die AZVO Teil der ordentlichen Gesetzgebung (§ 1 AZVO). 3 1 4 Wie wenig die AZVO gleichwohl von diesem Grundsatz übrig ließ, soll anhand einer Darstellung aufgezeigt werden, die von der Frage ausgeht: Wie konnte der Arbeitgeber Mehrarbeit am leichtesten erreichen? 1. Der einseitigen Bestimmung des Arbeitgebers überlassen waren Arbeitszeitverlängerungen - zur Regelung der Wechselschicht in kontinuierlichen Betrieben für Arbeiter bis zu einer Höchstdauer von 16 Stunden einmal innerhalb dreier Wochen (Ziff. IV AO vom 23. Nov. 1918), - unbegrenzt für vorübergehende Arbeiten in Notfällen oder bei Gefahr des Verderbens von Rohstoffen oder des Mißlingens von Arbeitserzeugnissen (§ 10). 2. Nach Anhörung der Betriebsvertretung konnte der Arbeitgeber Überschreitungen der achtstündigen Arbeitszeit veranlassen - zum Ausgleich ausgefallener Arbeitsstunden in derselben oder in der folgenden Woche (§ 1), womit praktisch die 96-Stunden-Woche festgeschrieben wurde, - an 30 Tagen im Jahr unter Wahrung des zehnstündigen Höchstarbeitstages, der aber bekanntlich aus Gründen des Gemeinwohls überschritten werden konnte (§3), - für Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten bis zu zwei Stunden täglich (§ 4). Da eine Ablehnung durch die Betriebsvertretung für die Entscheidung des Arbeitgebers rechtlich keine Konsequenzen hatte, bedeutete das Erfordernis einer vorherigen Anhörung eine erhebliche Reduzierimg der Arbeitnehmerrechte in Sachen Arbeitszeit. War eine solche Anhörung nämlich nicht spezialgesetzlich vorgeschrieben, wie in den vorhergehenden Entwürfen, so galten automatisch § 78 Ziff. 2 bzw. § 66 Ziff. 3 BRG. 3 1 5 Danach war bei Festsetzimg der Arbeitszeit, insbesondere bei Verlängerung der regelmäßigen Arbeitszeit, eine Verständigung von Arbeitgeber und Betriebsvertretung erforderlich. Bei Nichteinigung konnte der Schlichtungsausschuß eine für beide Parteien verbindliche Entscheidung treffen. Jetzt sollte verhindert werden, daß die schnellstmögliche Zulassung von Mehrarbeit in den genannten Fällen durch langwierige Verhandlungen in Frage gestellt würde. 314 315

Paragraphen ohne nähere Angabe sind im folgenden solche der AZVO. Betriebsrätegesetz v. 14. 2. 1920, RGBL 1920, S. 147 - 174.

IV. Arbeitszeitrecht unter der Regierung Marx

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3. Ferner konnte die Arbeitszeit kraft Tarifvertrages verlängert werden. Tarifliche Vereinbarungen waren vorgesehen - für Fälle der Arbeitsbereitschaft (§ 2) ; - generell unter Einhaltung der Zehnstundengrenze des § 9. Sie unterlagen einem behördlichen Beanstandungsrecht (§ 5 II). 4. Schließlich waren bei nicht vorhandenem Tarifvertrag auf Antrag des Unternehmers Arbeitszeitverlängerungen mit Genehmigung der Gewerbeaufsichtsbeamten aus betriebstechnischen oder allgemeinwirtschaftlichen Gründen zulässig. Bei Anträgen auf Landes- oder überregionaler Ebene stand dieses Recht den obersten Landesbehörden bzw. dem Reichsarbeitsminister zu (§ 6). Da überdies die Ausnahmen durchweg nebeneinander anwendbar waren, schuf die AZVO die Voraussetzungen dafür, daß Mehrarbeit zur Regel wurde. So ergab denn auch eine Studie des ADGB vom Mai 1924 über die tatsächlich geleistete Arbeitszeit von sieben Berufsgruppen in 14 Bezirken, daß 54 Prozent der erfaßten Personen länger als 48 Wochenstunden und 13 Prozent länger als 54 Wochenstunden arbeiteten. 316 Das Schwergewicht der Mehrarbeit lag mit 58 Prozent über 48 bzw. 26 Prozent über 54 Wochenstunden in der Provinz Sachsen (Braunkohleindustrie) und mit 81 Prozent über 48 und 47,7 Prozent über 54 Wochenstunden in der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie. Letzteres war ein Resultat der Wiedereinführung des Zweischichtsystems. Für über 70 Prozent der arbeitenden Bevölkerung bestand Anfang 1924 die achtstündige Normalarbeitszeit somit nur noch auf dem Papier. Ob die AZVO allerdings die Frage des Achtstundentages endgültig erledigt hatte, mußte sich erst noch herausstellen. Die Regierimg war einer eindeutigen Stellungnahme darüber ausgewichen. Zwar hatte sie mit der gesetzlichen Durchlöcherung des Achtstundentages eine deutliche Entscheidung für den Vorrang der Wirtschaftsinteressen und gegen die sozialpolitischen Belange der Arbeiterschaft getroffen. Die § 5 (Vorrang des Tarifvertrages) und § 7 (sanitärer Maximalarbeitstag) eröffneten jedoch von Gesetzes wegen auch die Möglichkeit, in konjunkturell günstigeren Zeiten und mit erstarkten Gewerkschaften die sozialpolitische Errungenschaft der Revolution wiederherzustellen. b) Die Verklammerung

Arbeitszeitrecht

- Schlichtungsrecht

Ferner rückte die AZVO den Tarifvertrag in den Mittelpunkt des Arbeitszeitrechtes (§ 5). Betriebsvereinbarungen waren nicht zugelassen, es sei denn, Tarifverträge sahen diese Möglichkeit ausdrücklich vor. 3 1 7 Der kollek316

Jahrbuch des ADGB 1924, S. 115 - 117.

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

tivrechtliche Charakter der AZVO wurde noch unterstrichen durch die Ausführungsbestimmungen des Reichsarbeitsministers vom 17. April 1924. 318 Danach sollten behördliche Genehmigungen erst dann erteilt werden, nachdem alle Möglichkeiten, „. . . um eine tarifliche Vereinbarung zustande zu bringen, versucht worden sind". 3 1 9 Dahinter stand nimmehr der Apparat der Zwangsschlichtung, begründet durch die 2. AusführungsVO zur SchlichtVO vom 29. Dez. 192 3. 3 2 0 Zuvor konnte bei Uneinigkeit der Tarifparteien dann kein Schiedsspruch gefällt werden und keine Verbindlicherklärung ausgesprochen werden, wenn in der Schlichtungskammer selbst Stimmengleichheit herrschte. Damit bestand die Gefahr, daß die Tarifvertragsparteien, um ihre Vorstellungen durchzusetzen, Schlichtungskammern blockierten und Arbeitskämpfe unerträglich in die Länge zogen. Diese Gefahr wurde durch die AusführungsVO beseitigt, kraft derer die Abgabe eines Schiedsspruchs durch die Schlichtungskammer zwingend war. Die Stimme des Vorsitzenden - in der Regel der Reichsarbeitsminister selbst oder ein von ihm ernannter Schlichter - gab den Ausschlag. Da auf diese Weise der Inhalt des Schiedsspruchs stärker als zuvor vom Vorsitzenden mitbestimmt oder sogar geändert werden konnte, erklärte der Reichsarbeitsminister oftmals von ihm selbst ausgearbeitete Schiedssprüche für verbindlich. Unter diesen Umständen war es praktisch ausgeschlossen, daß Tarifverträge und damit auch tarifliche Arbeitszeitregelungen nicht zustande kamen. Obwohl die 30tägige Kündigungsfrist gemäß § 12 den Neuabschluß von Tarifverträgen geradezu herausforderte und das Jahr 1924 als „Jahr des Arbeitskampfes" in die Geschichte der Weimarer Republik einging, 321 mußte die Verbindung AZVO - SchlichtVO längerfristig zum Erfolg führen. Denn in Anbetracht der großen Gegnerschaft von Gewerkschaften und Industrie in der Arbeitszeitfrage erschien der Abschluß von Tarifverträgen auf freiwilliger Basis nahezu aussichtslos. Vielmehr mußte Brauns in der Folgezeit immer häufiger zur Zwangsschlichtung greifen, um überhaupt Vereinbarungen über die Arbeitszeit zustande zu bringen. 3 2 2 Weitere langwierige Arbeitskämpfe waren ansonsten die Folge gewesen, die nicht nur eine Schädigung der ohnehin strapazierten Wirtschaft, sondern in letzter Konsequenz auch eine Zerstörung des Tarifvertragswesens nach sich gezogen hätten; ein Ziel, auf das ein Teil der Arbeitgeberschaft bereits 1924 zielstrebig hinarbeitete. 323 317 Vgl. die Ausführungsbestimmungen zu § 5 AZVO v. 17. 4. 1924, RGBl. 1924 I, S. 417; s. a. den Bescheid Brauns' an die Landesreg. v. 4. 8. 1924, RABl. 1924 AT, S. 318. 318 RGBl. 1924 I, S. 416 - 419. 319 Ebd., S. 417.

320 RGBl. 1924 I, S. 9 - 13, ib. § 21; zur SchlichtVO vgl. Hartwich, Arbeitsmarkt, S. 25 ff. 321 Vorwärts Nr. 1 v. 1. 1. 1925; s. a. die Statistik über die Arbeitskämpfe in den Jahren 1924 - 1932 bei Hartwich, Arbeitsmarkt, S. 433. 322 Vgl. Oltmann, Brauns, S. 338 ff.

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Wie schon Ludwig Preller betonte, wurde auf diese Weise „der Kern des kollektiven Arbeitsrechtes, der Tarifvertrag", überhaupt gerettet. 324 Zugleich schuf die Verklammerung Arbeitszeitrecht - Schlichtungsrecht eine der Voraussetzungen für den bescheidenen Wohlstand der folgenden Jahre. c) Die Unzulänglichkeit

der Arbeitszeitverordnung

Ein Problem war durch die AZVO vom 21. Dez. 1923 noch vergrößert worden: Neben ihren Bestimmungen und denen des Demobilmachungsrechts galt weiterhin das Arbeitszeitrecht der GewO, wobei die AZVO das Verhältnis der Vorschriften zueinander nicht regelte. Als „chaotische Masse" bezeichnete Gerhard Jäkel deshalb das gesamte Rechtsgebiet 325 und befand sich damit in Einklang mit der übrigen Kommentarliteratur zur AZVO. 3 2 6 Jäkel knüpfte hieran die Forderung, der Reichsarbeitsminister möge endlich von der ihm in § 15 I I I erteilten Ermächtigung Gebrauch machen und eine Zusammenfassung des bisherigen Arbeitszeitrechtes in Form einer neuen AZVO erstellen. 327 Daß dieses Vorhaben nicht gelang, verdeutlicht das Durcheinander, aber auch die Rechtsunsicherheit, die nach Erlaß der AZVO selbst im Reichsarbeitsministerium in bezug auf die geltenden Arbeitszeitbestimmungen herrschte. Zwar legte Ministerialrat Klehmet, von Brauns beauftragt, am 16. April 1924 einen aus 52 Paragraphen bestehenden Entwurf einer AZVO vor. 3 2 8 Er mußte aber gleichzeitig die Unlösbarkeit dieser Aufgabe eingestehen, die ohne sachliche Änderungen des geltenden Rechts nicht zu bewerkstelligen sei. 329 Zu demselben Ergebnis gelangten die Ministerialräte Feig und Neitzel vom Reichsarbeitsministerium nach Prüfimg des gesamten Komplexes. Die Vorschläge Klehmets seien „selbst für den genauen Kenner der Bestimmungen wesentlich unübersichtlicher" als der geltende Rechtszustand. 330 Da Brauns darüber hinaus die Befürchtung hegte, eine neue AZVO würde der NotVO vom 21. Dez. 1923 den Anschein der Endgültigkeit verleihen, sah man im Aug. 1924 von dem Vorhaben ab. 3 3 1 323

s. nächstes Kapitel. 324 Preller, Sozialpolitik, S. 316. 325 Jäkel, Gesetzliche Regelung, S. 22. 326 v g l Klehmet, Arbeitszeitrecht, S. 14; Nikisch, Kommentar, S. 11; Meissinger, Arbeitszeitrecht, S. 10; Syrup, Verordnimg, S. 13. 327 Jäkel, Gesetzliche Regelung, S. 22. 328 Entwurf für eine AZVO nebst Anschreiben Klehmets an die Abt. I I I des RAM v. 16. 4. 1924, ZStA/RAM/1845/Bl. 25 - 58. 329 Ebd., Bl. 25; s. a. die Aufzeichnung Neitzels über die Besprechung beim StS. d. RAM v. 17. 4. 1924, ZStA/RAM/1845/Bl. 24. 330 Aufzeichnung über die Besprechung über eine Zusammenfassung der Arbeitszeitbestimmungen gem. § 15 I I I AZVO v. 30. 7. 1924 im RAM, ZStA/RAM/1845/Bl. 103-105. 331 Aufzeichnung über den Vortrag beim Min. v. 20. 8. 1924, ZStA/RAM/1845/Bl. 106.

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

Bereits kurz nach ihrem Erlaß zeigte sich also die Reformbedürftigkeit der AZVO. Diese war um so notwendiger, als die Durchführung der Arbeitszeitbestimmungen zum großen Teil in den Händen der Arbeitgeber lag, die kaum rechtskundiger waren als das Reichsarbeitsministerium, sich aber bei Verstößen der Strafverfolgung aussetzten. Trotzdem bildete die AZVO auf Jahre hinaus die Grundlage des Arbeitszeitrechtes. 4. Kritik an der Arbeitszeit Verordnung

Sofort nach ihrem Erlaß geriet die AZVO in das Kreuzfeuer der K r i t i k von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Aus Arbeitgebersicht bedeutete sie eine Verschlechterung gegenüber dem beinahe gesetzeslosen Zustand in der Zeit vom 17. Nov. bis 31. Dez. 1923. Vom Standpunkt der Arbeitnehmer her war sie ein eindeutiger Rückschritt gegenüber der Rechtslage unter alleiniger Geltung der DemobilmachungsVerordnungen. So bildete Brauns die Zielscheibe für Angriffe von beiden Seiten. a) Reaktionen der Arbeitgeberschaft Die Tatsache, daß die Regierung überhaupt den Weg einer staatlichen Arbeitszeitregelung gegangen war, genügte, daß ein „Sturm der Entrüstung" 3 3 2 durch die Reihen der Unternehmer, vor allem der Schwerindustrie, fegte. Noch kurz vor der Verabschiedung der AZVO hatten sich einige Arbeitgeber vergeblich bemüht, Brauns mit Hinweis auf ohnehin eintretende Arbeitszeitverlängerungen von ihrem Erlaß abzubringen. 333 Am Tag ihrer Verkündung meldete sich die „Deutsche Allgemeine Zeitung" zu Wort und sprach dem Reichsarbeitsminister das Vorliegen „sachlicher Gründe" für eine Neufassung des Arbeitszeitrechtes ab. 3 3 4 Nach Auffassung der Großindustriellen dienten die nach dem Auslaufen der Demobilmachungsbestimmungen abgeschlossenen Arbeitszeitabkommen als Beweis für die Bereitschaft der Arbeitnehmer zu Arbeitszeitverlängerungen und damit für die Überflüssigkeit der AZVO. Im einzelnen herrschte bei den Arbeitgebern große Verärgerung über die Aufrechterhaltung des Achtstundentages und über den § 7, der die Rückkehr zu diesem Grundsatz für besonders gefährdete Arbeitergruppen ermöglichte. 335 Darin erblickten die Industriellen auf lange Sicht die Gefahr einer Beseitigung des ihrer Meinimg nach unerläßlichen Zweischichtsystems. Wenn letzteres aus Arbeitgebersicht auch noch verständlich erscheint, so entbehrte der Vorwurf in Richtung des Achtstun332

Schriften der VDA, Arbeitszeitfrage, S. 42. s. nur Eingabe des Arbeitgeberverbandes der Kaliindustrie an das RAM v. Dez. 1923, ZStA/RAM/290/Bl. 112 - 114. 334 DAZ Nr. 590/591 v. 21. 12. 1923. 335 Schriften der VDA, Arbeitszeitfrage, S. 54; Dt. AG.-Zeitung Nr. 1 v. 6. 1. 1924. 333

IV. Arbeitszeitrecht unter der Regierung Marx

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dentages angesichts der Vielzahl von Ausnahmen jeder Berechtigung. Was für ein emotionaler Zündstoff im Achtstundentag immer noch steckte, zeigte sich daran, daß der Vorstand der VDA nunmehr auch dort auf Arbeitszeitverlängerungen bestand, wo sie im Grunde gar nicht angebracht waren. 3 3 6 Mit Hinweis auf das beispielhafte Verhalten der Rohstoffindustrie sollte nach Auffassung der Vereinigung in Betrieben der verarbeitenden Industrie selbst dann länger als acht Stunden gearbeitet werden, wenn Auftragsmangel herrschte. Neue Nahrung erhielt die Argumentation der Unternehmerschaft gegen den Achtstundentag erst durch den Dawes-Plan. Die zu erwartenden wirtschaftlichen Mehrbelastungen lieferten nun die Begründung dafür, daß der Produktionssteigerung der unbedingte Vorrang vor den sozialpolitischen Belangen der Arbeiterschaft eingeräumt werden müsse. 337 Da der Achtstundentag zwangsläufig eine Leistungsminderung nach sich ziehe, stelle „die Forderung auf Annahme des Sachverständigengutachtens und ein gleichzeitiges Festhalten am Achtstundentag . . . in sich einen Widerspruch dar", führte der Großindustrielle Thyssen aus. 338 Der Schwerpunkt aller unternehmerischen K r i t i k an der AZVO lag jedoch auf dem Ausschluß der Betriebsvereinbarung zugunsten einer vorrangig tariflichen Regelung der Arbeitszeit. Der Grund hierfür war zweierlei: Zum einen warfen die Arbeitgeber den Gewerkschaften mangelnde Verhandlungsbereitschaft vor. Über den Umweg der Betriebsvereinbarung hofften sie, die Arbeitnehmerverbände zum freiwilligen Abschluß von Tarifvereinbarungen in ihrem Sinne bewegen zu können, „wollten sich die Gewerkschaften nicht selbst in weitem Umfang ihrer Initiative und Autorität in der Arbeitszeitfrage berauben." 339 Zweitens bestand eine grundsätzliche Abneigung der Arbeitgeberschaft gegen das über der AZVO schwebende Damoklesschwert der Zwangsschlichtung. Das darin liegende Element der staatlichen und bürokratisierten Regelung der Arbeitszeit forderte den Widerstand der Unternehmer geradezu heraus. Hatte bis 1923 der Kampf dem „schematischen Achtstundentag" gegolten, so stand 1924 im Zeichen des Kampfes gegen den „TarifSchematismus" mit seinen „schwerwiegenden Schädigungen für Wirtschaft und Staat". 3 4 0 Während sich der gemäßigte Flügel im Arbeitgeberlager mit der Forderung nach Zulassung der Betriebsvereinbarung und Abschaffung staatlichen Zwanges begnügte, den Tarif336

Geschäftsbericht der VDA 1923/24, S. 252 f. 337 Fritz Tänzler, Reparationen und Sozialpolitik, in: Der Arbeitgeber Nr. 12 v. 15. 6. 1924, S. 223-225. 338 Prot, der Besprechung mit Vertretern der Ruhrindustrie v. 28. 5. 1924, Abramowski (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Marx, S. 668. 339 Geschäftsbericht der VDA 1923/24, S. 253; s. a. Schriften der VDA, Arbeitszeitfrage, S. 41; DAZ Nr. 17/18 v. 12. 1. 1924: „Die neue Arbeitszeitverordnung, Ein Schritt nach rückwärts". 340 Was die Arbeitgeber wollen, in: Der Arbeitgeber Nr. 3 v. 1. 2. 1924, S. 33 - 35, Zit. S. 34.

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2. Teil : Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

vertrag als solchen aber unangetastet ließ, ging die Schwerindustrie einen Schritt weiter. Sie nahm die Schwäche der Gewerkschaften und die sich abzeichnenden Dawes-Verhandlungen, zu deren Durchführung die Rohstoffindustrie eine Schlüsselposition innehatte, zum Anlaß, um eine Rückkehr zu den Verhältnissen der Vorkriegszeit anzustreben. So gründete Guggenheimer, Vorstandsmitglied der RVDI, seine K r i t i k an der AZVO hauptsächlich darauf, daß sie dem „ersterbenden Tarifvertrag, dessen Verderblichkeit für die Produktionsvermehrung überall eingesehen würde", hinterrücks wieder Tür und Tor öffne. 341 „Einzige Rettungsaussicht" bilde die „Wiederaufrichtung der Freiheit des Arbeitsvertrages", also die Wiederherstellung von Zuständen, wie sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert herrschten. Die Thesen Guggenheimers gipfelten in dem Aufruf an die Unternehmer, die geltenden Gesetze notfalls bewußt zu mißachten. Der Großteil der Arbeitgeberschaft distanzierte sich allerdings von solchen scharfmacherischen Tönen. Auf einer gemeinsamen Tagung mit dem RVDI im März 1924 stellte der Vorsitzende der VDA, Ernst von Borsig, ausdrücklich fest, „daß der Kampf der Arbeitgeber gegen den Tarif zwang sich in keiner Weise gegen den Tarifvertrag als solchen richtet." 3 4 2 Die VDA und vor allem von Borsig suchten in der Folgezeit vielmehr, die Gewerkschaften in das „Ringen um die Vertragsfreiheit" und gegen den staatlichen Zwang in Sachen Arbeitszeit mit einzuspannen. 343 Zu diesem Zweck lockten sie mit einer Neuauflage der Zentralarbeitsgemeinschaft. Doch den Gewerkschaften war das Arbeitszeitdiktat der Schwerindustrie an der Ruhr noch in zu guter Erinnerung. Trotz seiner Abneigung gegen den Tarifzwang weigerte sich der ADGB, mit den Arbeitgebern zusammenzuarbeiten, 344 zumal gleichzeitig der andere Teil der Unternehmerschaft gegen den Bestand des Tarifvertragswesens als solches ankämpfte. Eine Neuauflage der Zentralarbeitsgemeinschaft mit einem derart zersplitterten und übermächtigen Unternehmertum hätte in der Tat das genaue Gegenteil von dem bedeutet, was 1918 der Grundgedanke war, nämlich die gleichberechtigte Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften. Auch die übrigen Kritikpunkte an der AZVO waren mitbestimmt von der Abneigung der Unternehmerschaft gegen die Vorrangstellung des Tarifvertrages. So wurde die Befugnis des Arbeitgebers, an 30 Tagen im Jahr Mehrarbeit zuzulassen, von der VDA als zu eng empfunden. Sie verlangte eine Heraufsetzung von 150 Mehrarbeitstunden im Jahr. Begründet wurde diese 341 Guggenheimer, Die neue Arbeitszeitverordnung, in: Der Arbeitgeber Nr. 2 v. 15. 1. 1924, S. 17 - 19, Zit. S. 18. 342 Ernst v. Borsig, Industrie und Sozialpolitik, in: Der Arbeitgeber Nr. 7 v. 1. 4. 1924, S. 122 - 128, hier: S. 124. 343 Ernst v. Borsig, ebd., S. 123; ders., Wirtschaftliche Einsicht, in: Der Arbeitgeber Nr. 12 v. 5. 6. 1924, S. 221 - 223, und Nr. 14 v. 15. 7. 1924, S. 265 - 268; s. a. Was die Arbeitgeber wollen, in: Der Arbeitgeber Nr. 3 v. 1. 2. 1924, S. 34. 344 Jahrbuch des ADGB 1924, S. 93 - 96.

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Forderung aber nicht wie in der Vergangenheit mit wirtschaftlichen Bedürfnissen, sondern mit der Notwendigkeit, einen Mißbrauch des Tarifvertragsmonopols durch die Gewerkschaften zu verhindern. 345 Bemängelt wurde schließlich die 30tägige Kündigungsfrist für Tarifverträge, die ein schnelles Ingangsetzen der Produktion verhindere, und die verklausulierte Fassung der Strafvorschrift. Auch hier sollte die vollkommene Straffreiheit des Arbeitgebers bei der Duldung oder Annahme freiwillig geleisteter Mehrarbeit ein „Gegengewicht gegen gewerkschaftliche Überspannungen" schaffen. 3 4 6 Keine Beachtung fand bei der Industrie offenbar die Tatsache, daß der Apparat der Zwangsschlichtung geeignet war, die kostspielige Arbeitskampfphase zu verkürzen. Ebenfalls mit keinem Wort erwähnt wurde die Braunssche Arbeitszeitpolitik, die in jener Zeit fast konform mit den Arbeitgeberwünschen ging. Wie aussichtslos die Situation für die Gewerkschaften war, illustriert die Antwort Brauns' auf eine persönliche Anfrage des Vorsitzenden des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes, Robert Dißmann, der um eine neue Grundlage für den Arbeitszeitkompromiß in der Eisen- und Stahlindustrie gebeten hatte. Brauns verwies ihn darauf, „daß das Abkommen sich durchzusetzen beginnt und irgendwelche Aussichten, die Streitigkeiten in einer für die Arbeitnehmer günstigeren Weise zu regeln, nicht bestehen." Es wäre falsch, durch neue Verhandlungen „Hoffnungen zu erwecken, die sich nicht erfüllen ließen." 3 4 7 Die Nichtbeachtung dieser Gegebenheiten zeigt das grundsätzliche Ausmaß des Kampfes, den die Arbeitgeber, vor allem die Schwerindustrie, gegen die Gewerkschaften und für eine Liberalisierung der Arbeitsbedingungen führten. Die wirtschaftlichen Verhältnisse waren indessen stärker als die Kampfkraft der Großindustrie. Durch die Inflation gezwungen, Kredite für Betriebskapitalien aufzunehmen, war die Machtposition der Arbeitgeberverbände weit mehr geschwächt, als es ihre Äußerungen erkennen ließen. 348 Auf lange Sicht hätte ein Kampf gegen Gewerkschaften und AZVO/SchlichtVO unter diesen Bedingungen nicht nur eine Zerstörung der Arbeitnehmerverbände bedeutet, sondern auch erhebliche wirtschaftliche Einbußen des Unternehmertums nach sich gezogen. Als sich im Frühjahr 1924 die Konjunktur ein wenig erholte, standen selbst schwerindustrielle Arbeitgeber, die Gewinnaussicht vor Augen, Vereinbarungen mit den Gewerkschaften nicht mehr so ablehnend gegenüber wie zuvor. Nach und nach gelang es auf diese Weise dem gemäßigten fertigindustriellen Arbeitgeberflügel, die Oberhand zu gewinnen.

345

Schriften der VDA, Arbeitszeitfrage, S. 41. Ebd., S. 42. 347 Schreiben Brauns' an Dißmann v. 11.1.1924, ZStA/RAM/290/Bl. 266; s. a. Feldman / Steinisch, Achtstundentag, S. 412. 348 vgl. Preller, Sozialpolitik, S. 298. 346

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

b) Die Haltung von Gewerkschaften

und Sozialdemokratie

Genauso enttäuscht und unzufrieden waren Gewerkschaften und Sozialdemokratie. Allesamt, auch der Brauns nahestehende DGB, beschuldigten den Reichsarbeitsminister der nahezu uneingeschränkten Kapitulation vor den Forderungen der Industrie. 3 4 9 Dennoch deuteten einige Äußerungen darauf hin, daß die Gewerkschaften zumindest kurz nach Erlaß der VO ein wenig aufatmeten angesichts der neuen Regelung der Arbeitszeit. So wurde die AZVO im Zentralblatt der christlichen Gewerkschaften anfangs sogar als „wirkliches Arbeitnehmerschutzgesetz" begrüßt, böte sie doch einen gewissen Schutz gegenüber dem übermächtigen Unternehmertum. 350 Im „Vorwärts" stellte Theodor Leipart noch am 1. Jan. 1924 erleichtert fest, der achtstündige Normalarbeitstag besitze ungeachtet aller Ausnahmebestimmungen von neuem Gesetzeskraft. 351 Er Schloß mit dem Appell an die Arbeiterschaft, dafür Sorge zu tragen, daß die Ausnahmen nicht die Regel würden. Die Unternehmeroffensive sorgte allerdings dafür, daß solcherart gemäßigte Äußerungen in der Versenkung verschwanden. Durch die Angriffe der Arbeitgeber gegen das Tarifwesen zusehends in die Defensive gedrängt, mußten die Arbeitnehmerverbände nunmehr um den Bestand der Sozialgesetzgebung überhaupt bangen und reagierten selbst mit zunehmender Schärfe. aa) Die K r i t i k des ADGB An der Spitze der Auseinandersetzungen um AZVO und SchlichtVO stand der ADGB. Seine Stellungnahmen waren gleich denen der Industrie von wenig Zurückhaltung geprägt. In einem Kampfaufruf vom 5. Jan. 1924 protestierte der Bundesvorstand gegen den „konzentrierten Angriff gegen die Arbeiterschaft... in den schwersten Zeiten der Not" und rief zum „einhelligen Widerstand" gegen den Ansturm auf die Errungenschaften der Arbeiterklasse auf. 3 5 2 Im Vordergrund der freigewerkschaftlichen K r i t i k an der AZVO stand die „Beseitigung" des Achtstundentages. In einer Entschließung vom 15./16. Jan. kündigte der Bundesausschuß allen von diesen Grundsatz abweichenden Bestimmungen den Kampf an. 3 5 3 Besonders störten ihn die im Ermessen des Arbeitgebers stehenden Ausnahmen. Diese seien verfassungswidrig, weil die verfassungsrechtlich garantierten Mitbe349

Vorwärts Nr. 1 v. 1. 1. 1924; s. a. Oltmann, Brauns, S. 330. Zit. nach Schneider, Gewerkschaften, S. 667. 351 Vorwärts Nr. 1 v. 1. 1. 1924. 352 Aufruf des BV des ADGB v. 5. 1. 1924, abgedruckt in: GewZ Nr. 2 v. 12. 1. 1924, S. 5; Jahrbuch des ADGB 1923, S. 68 f. 353 Entschließung des BA des ADGB v. 15./16. 1. 1924, abgedruckt in: GewZ Nr. 4 v. 26. 1. 1924, S. 21; Jahrbuch des ADGB 1923, S. 69 f.; s. a. die Ausführungen Leiparts in: Leipart / Nörpel, Gesetzliche Regelung, S. 6. 350

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stimmungsrechte der Arbeiterschaft bei der Regelung der Arbeitsbedingungen ausgeschaltet würden. Ausnahmen vom Achtstundentag dürften nur vorübergehend in Form von Überstunden und nur nach tariflicher Vereinbarung zugelassen werden. Wie hartnäckig der ADGB am Dogma des Achtstundentages festhielt, zeigt sich aber auch daran, daß wirtschaftliche Erwägungen, wie die arbeitsintensivierende Wirkung einer verkürzten Arbeitszeit als Hauptargument vergangener Tage, im Frühjahr 1924 kaum noch eine Rolle spielten. Einen weiteren Kritikpunkt bildete in Übereinstimmung mit den Arbeitgebern die Verklammerung AZVO/SchlichtVO. Die freien Gewerkschaften klagten, daß sich die Zwangsschlichtung fast ausnahmslos gegen die wirtschaftlich Schwächeren richte. 3 5 4 Darüber hinaus, und das war wohl der Hauptgrund für die Ablehnung, glaubten sie sich durch den Zwangsschiedsspruch ihrer schärfsten Waffe im Kampf um die Arbeitszeit, des Streikes, beraubt. Dieses Argument stand im Mittelpunkt einer weiteren Resolution vom 18./19. März 1924, in der der Bundesausschuß mit Nachdruck die Wiederherstellung des freien Tarifvertrages sowie die Ersetzung der staatlichen Schlichtungsstellen durch paritätisch besetzte Schlichtungsbehörden verlangte. 355 bb) Die Position von DGB und H.D.-Gewerkverein Von den übrigen Arbeitnehmerverbänden mußten sich die freien Gewerkschaften allerdings scharfe K r i t i k gefallen lassen. Diese machten nicht nur den Reichsarbeitsminister, sondern vor allem auch die kompromißlose Haltung des ADGB in der Arbeitszeitfrage für die Niederlagen des Jahres 1923 verantwortlich. So warf der christliche Metallarbeiterverband den freien Gewerkschaften vor, sie hätten „die Massen vom gewerkschaftlichen Standpunkt in geradezu verbrecherischer Weise für den Achtstundentag streiken lassen . . . Waren die Arbeitgeber brutal und rücksichtslos, so waren die freien Gewerkschaften borniert." 3 5 6 Der christliche Metallarbeiterverband dagegen habe konsequent den wirtschaftlichen Notwendigkeiten Rechnung getragen und damit nicht nur der Arbeiterschaft, sondern auch dem Volk einen großen Dienst erwiesen. Obwohl die christlichen und die H.D.»Gruppen eher als ihre sozialistischen Kollegen bereit waren, zu akzeptieren, „daß ein Zusammenbruch letzten Endes nur mit harten und entschlossenen Maßnahmen verhindert werden konnte", 3 5 7 verurteilten sie die ihrer Meinung nach durch die AZVO begünstigte Machtpolitik der Unternehmerschaft auf 354 Aufruf des BV des ADGB v. 5. 1. 1924, abgedruckt in: GewZ Nr. 2 v. 12. 1. 1924, S. 5; Jahrbuch des ADGB 1923, S. 68 f. 355 Entschließung des BA des ADGB v. 18./19. 3.1924, abgedruckt in: Jahrbuch des ADGB 1923, S. 70. 356 Geschäftsbericht des christlichen Metallarbeiterverbandes 1922 - 24, S. 145. 357 Jahrbuch der christlichen Gewerkschaften für 1925, S. 19.

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das entschiedenste. Der Gewerkverein christlicher Bergarbeiter richtete an das Reichsarbeitsministerium den Vorwurf, es habe „die Arbeiter willens und rechtlich dem Unternehmertum durch eine verfehlte Verordnung in die Arme getrieben." 358 Auch der Geschäftsführer der H.D.-Gewerkvereine, Lemmer, kritisierte das Gebaren der Unternehmer anläßlich einer Reise durch das besetzte Gebiet. 359 Dem durch die AZVO ermöglichten abrupten Übergang zu überlangen Arbeitszeiten sei eine allmähliche Steigerung der Arbeitszeit vorzuziehen gewesen. Die K r i t i k des DGB mündete schließlich auf der Kölner Tagung im Herbst 1924 anläßlich des 25jährigen Bestehens der Vereinigung in die Forderung nach einer „gerechten Regelung der Arbeitszeit". 3 6 0 Obwohl die Gewerkschaften noch im Sommer 1924 unter Führung des ADGB einen Volksentscheid über das Washingtoner Übereinkommen und damit über den Achtstundentag ernsthaft in Erwägung zogen 361 - ein bis dato in der deutschen Verfassungsgeschichte einmaliges Ereignis - , mußten sie sich letztlich geschlagen geben. Wenngleich ihre K r i tik an den überlangen Arbeitszeiten in Ansehung der Notlage des Jahres 1924 auch verständlich erscheint, so waren doch die Gewerkschaften aller Richtungen nicht in der Lage, Alternativen aufzuzeigen. Unangesprochen blieb, wie eine Steigerung der Produktion bei gleichzeitiger Verbilligung ohne Arbeitszeitverlängerungen erreicht werden sollte, wie ohne die Zwangsschlichtung die Gegensätze überbrückt und Arbeitskämpfe, die die ohnehin angespannte Wirtschaftslage noch mehr gefährdet hätten, vermieden werden sollten. Gerade dies waren aber die Fakten, die im Grunde den Erlaß der AZVO rechtfertigten. cc) K r i t i k und Forderungen der SPD Die Sozialdemokratie, die wie der ADGB an der AZVO in der Hauptsache den „Abbau des Achtstundentages" bemängelte, 362 stürzte sich in der Folgezeit in fieberhafte Aktivitäten, um verlorenen Boden zurückzugewinnen. Noch in der 1. Legislaturperiode versuchte sie gemeinsam mit dem rechten parlamentarischen Flügel im Reichstag, durch Abänderungs- und Aufhebungsanträge die AZVO und die übrigen aufgrund des Ermächtigungsgeset-

358 Schreiben des Gewerkvereins christlicher Bergarbeiter an Oberregierungsrat Tiburtius v. 15. 2. 1924, ZStA/RAM/292/Bl. 140. 359 Aufzeichnung Lemmers über soziale Spannungen im besetzten Gebiet v. Feb. 1924, Abramowski (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Marx, S. 315 f. 360 Kundgebung in Köln anläßlich des 25jährigen Bestehens des DGB (ohne Datum), BA/Kl. Erwerbungen/461-1/Bl. 76 f. 361 Zum Volksentscheid über den Achtstundentag vgl. Jahrbuch des ADGB 1924, S. 116,118 f.; GewZ Nr. 32 v. 9. 8.1924, S. 279 f.; s. a. Schneider, Arbeitszeit, S. 116 f. 362 Müller (Franken) am 26. 2. 1924 im RT, Verhandlungen des RT, Bd. 361, S. 12474 f.; Breitscheid am 5. 3. 1924 im RT, ebd., S. 12586 f.

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zes vom 8. Dez. 1923 erlassenen Verordnungen zu Fall zu bringen. 3 6 3 Keine Bedeutung maß die SPD hierbei offenbar der Tatsache bei, daß das Ermächtigungsgesetz unter ihrer Mitwirkung zustande gekommen war. In Sachen Arbeitszeitrecht brachte die sozialdemokratische Reichstagsfraktion rechtzeitig zum 20. Feb. 1924 - dem Tag, an dem der Reichstag erstmals seit dem 8. Dez. 1923 wieder zusammentrat - einen Gesetzentwurf zur Abänderung der AZVO ein. 3 6 4 In dem Bemühen, den Arbeiterinteressen endlich gerecht zu werden, verfolgte der Entwurf in erster Linie das Ziel, den achtstündigen Maximalarbeitstag wiederherzustellen. Zu diesem Zweck sollten Arbeitszeitverlängerungen zum Ausgleich ausgefallener Arbeitszeit (§ 1) nur noch im Rahmen der 48-Stunden-Woche zulässig sein und Mehrarbeit in Notfällen (§ 10) auf ein Minimum beschränkt werden. Für Arbeiter in gesundheitsgefährdenden Betrieben war der Achtstundentag zwingend vorgeschrieben (§7). Und schließlich sollte die Straffreiheit des Arbeitgebers bei freiwillig geleisteter Mehrarbeit (§11 III) ebenso aufgehoben werden wie die Möglichkeit, den Zehnstundentag aus Gründen des Gemeinwohls zu überschreiten (§9). Daneben wies der Entwurf die Tendenz auf, den staatlichen Einfluß auf die Gestaltung der Arbeitszeitbedingungen zugunsten einer Stärkung der Tarif autonomie zu reduzieren. So sollte die Regelung der Arbeitsbereitschaft (§ 2) der subsidiären Bestimmung durch den Reichsarbeitsminister entzogen und ausschließlich der tariflichen Vereinbarung unterworfen werden. Die Bestimmungen über genehmigungspflichtige Mehrarbeit (§ 6) und das behördliche Beanstandungsrecht bei Tarifverträgen (§ 5 III) wurden gestrichen. Ihre Vorstellungen zur Zwangsschlichtung brachte die SPDFraktion allerdings in einer gegenüber den Forderungen des ADGB deutlich gemäßigteren Form zum Ausdruck. In einer Interpellation vom 21. Feb. 1924 richtete sie an die Regierung „lediglich" die Frage, ob diese dazu bereit sei, „die Schlichtungsausschüsse anzuweisen, die Verlängerung der Arbeitszeit über acht Stunden nur bei zwingendem Nachweis volkswirtschaftlicher Notwendigkeit und nur von Fall zu Fall verbindlich zu erklären ., , " 3 6 5 Zu einer Beratung von Entwurf und Interpellation im Reichstag kam es allerdings nicht mehr. Als sich die Abänderungs- bzw. Aufhebungsanträge zu den Verordnungen häuften und das „Gesetzgebungswerk des Ermächtigungsgesetzes" einzustürzen drohte, 3 6 6 griff die Regierung zu drastischen Maßnahmen. Um die mit Hilfe des Ermächtigungsgesetzes erreichte wirtschaftliche Stabilisierung nicht zu gefährden, bat Reichskanzler Marx den

363 vgl. Verhandlungen des RT, Bd. 380, Nr. 6470 ff. (Abänderungsanträge); Nr. 6530 ff. (Aufhebungsanträge). 364 Verhandlungen des RT, Bd. 380, Nr. 6471. 3ß s Ebd., Nr. 6486. 366 So Brauns in einer Besprechung mit führenden RT-Abgeordneten v. 14. 2. 1924, Abramowski (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Marx, S. 363.

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Reichspräsidenten um die Auflösimg des Reichstages. 367 Am 13. März 1924 entsprach Ebert - praktisch gegen seine eigene Partei - der Bitte. 3 6 8 Abgesehen davon, daß diese Ereignisse ein bezeichnendes Licht auf das Verhältnis der Reichsregierung zum Reichstag warfen, die in ihm wohl eher ein „lästiges Übel" als eine Vertretung der Volksinteressen erblickte, war die AZVO erst einmal gerettet. Die Sozialdemokratie dagegen sah sich wegen ihres Zick-Zack-Kurses auf dem Gebiet der Sozialpolitik schwerer K r i t i k ausgesetzt. Sie mußte sich vom Reichsarbeitsminister sagen lassen, „die Haltung der sozialdemokratischen Partei gegenüber der Arbeitszeitverordnung war eine andere, als sie noch die Verantwortung der Regierung mittrug, im Gegensatz zu ihrer heutigen Haltung, da sie in der Opposition steht." 3 6 9 Die Wählerschaft reagierte am 4. Mai 1924. Obwohl der ADGB seine Mitglieder zur Unterstützung der Partei aufrief, 370 sank der Reichstagsanteil der SPD von ca. 35 Prozent auf ca. 21 Prozent. 371 Nichtsdestoweniger setzten die Sozialdemokraten ihre Bemühungen fort, um über den Umweg der Ratifikation des Washingtoner Übereinkommens doch noch eine gesetzliche Regelung der Arbeitszeit auf der Grundlage des Achtstundentages durchzusetzen. Sie sorgten dafür, daß die Ratifikationsfrage, um die es in den letzten Inflations] ahren sehr still geworden war, 1924 erneut zur Debatte stand. Zwei entsprechende Interpellationen legte die SPD-Fraktion im Sommer 1924 dem Reichstag vor. 3 7 2 Gleichzeitig versuchte die Partei im Zusammenhang mit den Dawes-Verhandlungen als Gegenleistung für die außenpolitische Unterstützung der Regierung sozialpolitische Zugeständnisse zu erhandeln. Führende Fraktionsmitglieder wiesen Reichskanzler Marx darauf hin, daß sie auf die Frage des Achstundentages besonderen Wert legten. 373 Die ablehnende Haltung der Regierung zum Washingtoner Übereinkommen belaste die deutsche Außenpolitik. Indessen waren alle Anstrengungen der SPD vergeblich. Bei den Dawes-Verhandlungen war Marx, was seine Kontrahenten nicht wußten, durch einen Kabinettsbeschluß gebunden. Der von Brauns maßgeblich beeinflußte Beschluß ging davon aus, daß die Anforderungen des Reparationsgutachtens nicht zu erfüllen wären, wenn die Regierung den Bestimmungen des Washingtoner Übereinkommens über den Achtstundentag zum Durchbruch verhelfe, ohne 367 s. nur Prot, der Kab.-Si. v. 18. 2., Ministerbesprechung v. 20. 2., 21. 2., 6. 3., 7. 3. 1924, Abramowski (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Marx, S. 374, 389 f., 394 f., 433 ff., 442 f. 368 v o des Präs. betr. Auflösung des RT v. 13. 3. 1924, RGBl. 1924 I, S. 173. 369

Brauns am 26. 2. 1924 im RT, Verhandlungen des RT, Bd. 361, S. 12484. GewZ Nr. 13 v. 29. 3. 1924, S. 91 f. 371 Vgl. Kastning, Sozialdemokratie, S. 137. 37 2 Verhandlungen des RT, Bd. 382, Nr. 124 (v. 4. 6. 1924) und Nr. 343 (v. 21. 7. 1924). 373 Prot, der Ministerbesprechung v. 17. 7. 1924, Abramowski (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Marx, S. 892. 370

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daß die Möglichkeit einer industriefreundlichen Auslegung bestünde. 374 Die beiden Interpellationen zwangen die Regierung zwar zur Abgabe einer offiziellen Erklärung, bei der wiederum Brauns federführend war. 3 7 5 Dort hieß es jedoch nur, Deutschland habe die Ratifikation des Übereinkommens über den Achtstundentag niemals grundsätzlich abgelehnt. Angesichts der wirtschaftlich ungeklärten Zukunft könne aber „niemand von Deutschland ein Vorangehen in der Frage der Ratifizierung erwarten". Überdies müsse es die Regierung als selbstverständlich voraussetzen, daß im Fall einer Ratifikation Art. 14 Anwendung fände. Danach konnten bei Ereignissen, die eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellten, die Bestimmungen des Übereinkommens suspendiert werden. Ebenfalls am Widerstand der bürgerlichen Parteien scheiterte der vierte parlamentarische Vorstoß der SPD im Frühjahr 1925 376 sowie ihre steten Bemühungen, während der in Zusammenhang mit den Regierungskrisen 1924/25 und 1925/26 anstehenden Verhandlungen über eine Einbeziehung der Partei in die Regierung den Erlaß eines entsprechenden Ratifikationsgesetzes durchzusetzen. 377 Da kein wichtiger Industriestaat bereit war, zu ratifizieren, konnte auch Deutschland einer Unterzeichnung immer wieder ausweichen. 378 Hoch war also der Preis, den die SPD für ihren Austritt aus der Regierung im Nov. 1923 auf dem Gebiet der Sozialgesetzgebung zahlen mußte. Erst in Zusammenhang mit dem AZnotG im Jahre 1927 gelang es ihr wieder, einen bescheidenen Einfluß auf die Gestaltung des Arbeitszeitrechtes zu nehmen. c) Die Vorstellungen

der KPD zum Arbeitszeitrecht

Den schärfsten Gegner der AZVO auf parlamentarischer Ebene hatte die Regierung in der KPD. Ihre Beiträge zum Arbeitszeitrecht waren jedoch derart von agitatorischen Zielsetzungen bestimmt, daß sie keine Wirkung auf die arbeitszeitpolitische Diskussion jener Zeit ausübten und daher nur am Rande erwähnt werden sollen. I n zahlreichen Interpellationen und Anträgen forderte die KPD von der Regierung die Aufhebung der AZVO und die Sicherung des Achtstundentages. 379 Was sie hierunter verstand, verdeut374 Prot, der Ministerbesprechung v. 9. 7. 1924, Abramowski (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Marx, S. 869 f. 375 vgl, Prot, der Kab.-Si. v. 2. 8. und 27. 8. 1924, Abramowski (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Marx, S. 938 ff., 1003; die Regierungserklärung kam im RT nicht zur Verlesung. Sie wurde veröffentlicht im Rahmen eines Artikels von Heinrich Brauns, Achtstundentag in: RAB1. 1924 NAT, S. 420. 37 ® Verhandlungen des RT, Bd. 397, Nr. 245 (v. 12. 1. 1925). 377 Zur parteipolitischen Situation vgl. Stürmer, Koalition, S. 73 ff. 378 vgl. Preller, Sozialpolitik, S. 309 f., S. 356 f. 379 Verhandlungen des RT, Bd. 380, Nr. 6530 (v. 25. 2. 1924); Bd. 383, Nr. 313 (v. 3. 7. 1924) und Nr. 573 (v. 16. 10. 1924); Bd. 397, Nr. 198 (v. 9. 1. 1925); Bd. 410, Nr. 2602 (v. 3. 11. 1926).

8 Bischoff

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

liehen die drei Gesetzentwürfe, die die Kommunisten in den Jahren 1924 bis 1926 dem Reichstag vorlegten. 380 Ausgangspunkt der Entwürfe bildete die Festsetzung einer täglichen Höchstarbeitszeit von acht Stunden, an Tagen vor Sonn- und Festtagen von sechs bzw. fünf Stunden, für alle nur denkbaren Berufsgruppen. Pausen von mindestens halbstündiger Dauer waren voll auf die Arbeitszeit anzurechnen. Für gesundheitlich besonders gefährdende Arbeiten wurde ferner der gesetzliche Sechs- bzw. Siebenstundentag vorgeschrieben. Mehrarbeit sollte ausschließlich kraft Gesetzes und nur in Fällen „außerordentlicher Notarbeit" zulässig sein. Insgesamt hätten die Entwürfe also, wäre einer von ihnen Gesetz geworden, Deutschland nicht nur den schematischen Achtstundentag, sondern eine tägliche Durchschnittsarbeitszeit von sieben Stunden beschert. Da eine Möglichkeit zu tariflichen Arbeitszeitregelungen nicht vorgesehen war, wäre überdies der gewerkschaftliche Einfluß auf die Gestaltung der Arbeitszeit ausgeschaltet worden. Statt dessen hätten die Betriebsräte, denen die Aufsicht über die Durchführung der Vorschriften übertragen war, einen erheblichen Machtzuwachs verbuchen können. Die Absicht, von der die drei Gesetzentwürfe getragen waren, kam jedoch am deutlichsten in der Straf Vorschrift zum Ausdruck. Danach wurden Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen ausnahmslos mit Gefängnisstrafe sanktioniert. Dies bedeutete nichts anderes, als daß die Arbeiter mit allen Mitteln, notfalls auch gegen ihren Willen, dazu veranlaßt werden sollten, die verkürzte Arbeitszeit einzuhalten. Es konnte nicht verwundern, daß die kommunistischen Interpellationen und Gesetzentwürfe bei den Abgeordneten nur wenig Beifall fanden und eine Annahme durch den Reichstag nahezu aussichtslos war. d) Stellungnahmen des Auslandes zur Arbeitszeitverordnung Auf Ablehnung stieß die AZVO vom 21. Dez. 1923 hingegen nicht nur im Inland, sondern auch auf internationaler Ebene. Bezeichnend für die Haltung des Auslandes gegenüber dem neuen deutschen Arbeitszeitrecht waren die Ausführungen von Albert Thomas, dem Direktor des Internationalen Arbeitsamtes, auf der Internationalen Arbeitskonferenz in Genf im Juni 1924. Mit harten Worten protestierte Thomas gegen die Nichteinhaltung des Achtstundentages und die Wiedereinführung des „barbarischen" Zweischichtsystems. 381 Das habe in den Nachbarstaaten Deutschlands große Beunruhigung ausgelöst, da das Sachverständigengutachten bei der Festsetzung der Reparationsleistungen vom achtstündigen Normalarbeitstag aus380 Verhandlungen des RT, Bd. 382, Nr. 302 (v. 27. 6. 1924); Bd. 397, Nr. 100 (v. 5. 1. 1925); Bd. 411, Nr. 2691 (v. 23. 11. 1926). 381 Die Rede von Thomas i n Genf v. 26. 6. 1924 ist auszugsweise abgedruckt in: Abramowski (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Marx, S. 748 f., Anm. 1; die amtliche Fassung der Rede ist veröffentlicht in: Der Arbeitgeber Nr. 14 v. 15. 7. 1924, Beilage.

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gehe. Thomas verlangte von der Regierung Garantien für die Einhaltung des Dawes-Planes auch in Sachen Arbeitszeit, wobei ihm die gemeinschaftliche Ratifikation des Washingtoner Übereinkommens als die wirksamste Methode zur Sicherung des Achtstundentages erschien. In Fortführung ihrer bisherigen Arbeitszeitpolitik war die Regierung jedoch nicht bereit, derartige Garantien zu geben. Sie antwortete vielmehr mit einer von Brauns initiierten halbamtlichen Mitteilung, 3 8 2 die in der Presse veröffentlicht wurde. Darin hieß es, „Deutschland werde sich entschieden dagegen wehren, daß ihm unter Verletzung seiner Souveränität internationale Bindungen in Bezug auf die Arbeitszeitregelung auferlegt werden." 3 8 3 Die K r i t i k von Thomas war überdies nicht frei von Widersprüchen. Zum einen stand dahinter die Furcht des Auslandes vor deutscher Konkurrenz. Man glaubte, die sozialen Arbeitsbedingungen seien verschlechtert worden, um Deutschland auf dem Weltmarkt einen Wettbewerbsvorsprung vor den anderen Industrieländern zu verschaffen; ein Vorwurf, der unter dem Schlagwort „soziales Dumping" die Runde machte. 384 Zum anderen bestand bei den Entente-Ländern aber auch ein reges Interesse daran, daß die Reparationsleistungen von deutscher Seite tatsächlich erbracht würden. Diesen Zwiespalt, der sich in Konkurrenzdenken einerseits und in hohen Reparationsforderungen andererseits offenbarte, hielt Brauns dem Direktor des Internationalen Arbeitsamtes in einer im Reichsarbeitsblatt veröffentlichten Erklärung vor und nahm ihm damit den Wind aus den Segeln. 385

e) Die Einstellung Brauns' zur Arbeitszeitverordnung Die vielschichtigen Kritiken zur AZVO spiegeln deutlich wider, in welch hohem Maße Uneinigkeit und Verworrenheit über den wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbau Deutschlands herrschten. Als Mischung „sozialliberaler Sozialpolitik mit staatsfürsorgerischen Grundsätzen" 386 bestimmte die AZVO gleichwohl die Richtung der künftigen Arbeitszeitpolitik und überstand mit gewissen Änderungen sogar die ganze Weimarer Republik. Dies war nicht zuletzt das große Verdienst des Reichsarbeitsministers, der, wie bereits gezeigt, 387 die treibende Kraft innerhalb der Regierung gewesen war, als es darum ging, Angriffe der SPD und des Auslandes gegen die AZVO abzuwehren. Obwohl Brauns mehrfach öffentlich den Übergangscharakter 382 Prot, der Ministerbesprechung v. 27. 6. 1924, Abramowski (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Marx, S. 748 f. 383 DAZ Nr. 298/299 v. 28. 6. 1924. 384 s. nur Brauns, Achtstundentag, in: RABl. 1924 NAT, S. 417 - 420, hier: S. 418. 385 Ebd., S. 418. 386 Preller, Sozialpolitik, S. 297. 387 s. o. 2. Teil, IV., 4., b), cc) und d).

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

und die Revisionsbedürftigkeit der AZVO zugab, 388 erblickte er in ihr dennoch den „notwendigen Behelf", 3 8 9 um die Interessen des Staates in Notzeiten auch gegenüber berechtigten Forderungen der Industrie und Gewerkschaften zur Geltung zu bringen. Andererseits betonte Brauns aber auch, und das richtete sich deutlich gegen die Arbeitgeber, daß er die Einschränkungen auf sozialrechtlichem Gebiet nur solange hinnehmen würde, wie es unbedingt notwendig sei. 390 Insoweit stand er bei den Gewerkschaften dafür im Wort, daß die AZVO nur vorübergehend und als Notbehelf zu verantworten sei. Vor allem die Arbeitszeit der Schwerstarbeiter unter dem Zweischichtsystem erschien ihm hierbei alles andere als „eine ideale Lösung". 3 9 1 Inwieweit es Brauns nun während der langsam einsetzenden Stabilisierung im Jahre 1924 gelingen würde, wenigstens für die Schwerstarbeiter sein Versprechen einzulösen, mußte sich erst noch herausstellen und bestimmte die arbeitszeitpolitische Diskussion der Jahreswende 1924/25.

V. Arbeitszeitrecht aufgrund § 7 I I AZVO der erste Schritt zur Wiedereinführung des Achtstundentages 1. Die Forderungen der Verbände und die Pläne des Reichsarbeitsministers

Im Nov. 1924 führte der ADGB zum zweiten Mal eine Erhebung über die tatsächlich geleistete Arbeitszeit von sieben Berufsgruppen in 14 Bezirken durch. 3 9 2 Ergebnis der Studie war eine starke Eindämmung der Mehrarbeit in über 45 Prozent der Betriebe auf 48 Stunden wöchentlich. Nur 10 Prozent der erfaßten Personen arbeiteten länger als 54 Wochenstunden. Zurückzuführen war dies zum einen auf den allmählich einsetzenden Wirtschaftsaufschwung. Trotz des Maistreiks im Ruhrbergbau betrug die Rohstoffproduktion im Aug. 1924 wieder 80 Prozent der Vorkriegsleistung. 393 Zum anderen begünstigte die wegen der immer noch labilen Lage herrschende Kurzarbeit Bestrebungen nach verkürzter Arbeitszeit. Unverändert hoch war allerdings die Arbeitszeit der Schwerstarbeiter in der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie, dem Industriezweig, der vorwiegend unter dem Zweischicht388 Vgl. Brauns, Achtstundentag, in RAB1. 1924 NAT, S. 417; ders. in einem Interview mit der Kölnischen Zeitung Nr. 90 v. 5. 2. 1924; ders. am 26. 2., 28. 8. 1924 und 4. 2. 1925 im RT, Verhandlungen des RT, Bd. 361, S. 12482; Bd. 381, S. 1014; Bd. 384, S. 325. 389 Brauns in einem Interview mit der Kölnischen Zeitung Nr. 90 v. 5. 2. 1924. 390 Ebd., s. a. Brauns, Achtstundentag, in: RAB1. 1924 NAT, S. 417; ders. am 26. 2. und 28. 8. 1924 im RT, Verhandlungen des RT, Bd. 361, S. 12482; Bd. 381, S. 1014. 391 Brauns am 26. 2. 1924 im RT, Verhandlungen des RT, Bd. 361, S. 12482. 392 Jahrbuch des ADGB 1924, S. 123 - 125. 393 vgl. die Tab. bei Netzband / Widmaier, Finanzpolitik, S. 59.

V. Arbeitszeitrecht aufgrund § 7 I I AZVO

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system arbeitete. Mit einer Zahl von 40,7 Prozent der über 54 Wochenstunden Arbeitenden nahm sie den ersten Platz in der Arbeitszeitstatistik ein. Es mehrten sich daher im Arbeitnehmerlage die Stimmen, die wenigstens für diese Arbeitergruppen eine Rückkehr zum achtstündigen Normalarbeitstag forderten. Allen voran die christlichen Gewerkschaf ten machten Brauns auf die mit der 12-Stunden-Schicht einhergehenden Gefahren für die Gesundheit der Arbeiter aufmerksam. 394 Unfall- und Krankheitsziffern befänden sich im Steigen. Hinzu kam, daß es von Gewerkschaftsseite nicht einzusehen war, daß Arbeiter in weniger anstrengenden Berufen durchweg kürzer arbeiteten als diejenigen in den durchgehenden Betrieben. Nachdrücklich setzte sich der Verband daher beim Reichsarbeitsminister dafür ein, dieser möge endlich von der ihm in § 7 I I AZVO erteilten Ermächtigung Gebrauch machen und festsetzen, für welche Arbeiter die einschränkenden Regelungen des sanitären Maximalarbeitstages gelten sollten. Die Vorarbeiten für eine Zusammenstellung der nach § 7 AZVO zu schützenden Arbeitergruppen waren im Reichsarbeitsministerium bereits seit März 1924 im Gange. Am 23. Juli 1924 legte Brauns dem vorläufigen Reichswirtschaftsrat ein auf Vorschläge der Landesregierungen hin erstelltes Verzeichnis zur Begutachtung vor. 3 9 5 Brauns beabsichtigte hierbei zunächst, sämtliche Gewerbezweige und Arbeitergruppen, bei denen ihm eine Regelung am „dringlichsten" erschien, geschlossen dem Schutz des § 7 AZVO zu unterstellen. Entsprechend dieser umfassenden Zielsetzung wies das Verzeichnis in 30 Betriebsgruppen und sieben Industriezweige unterteilte Arbeiterkategorien auf. Die dazugehörige AusführungsVO, 396 von Brauns dem Reichswirtschaftsrat erst verspätet und auf dessen Anforderung im Wortlaut übersandt, 397 zeichnete sich vor allen Dingen durch weitgehende Eingriffsmöglichkeiten des Reichsarbeitsministers aus. So behielt sich Brauns ausdrücklich das Recht vor, das Verzeichnis nach Belieben abzuändern und Bestimmungen der Landesbehörden, denen gestattet wurde, weitere Arbeitergruppen dem § 7 neu zu unterstellen bzw. weniger gefährdete von ihm auszunehmen, eigenmächtig wieder aufzuheben. Damit hätte das Reichsarbeitsministerium, wäre die VO in Kraft getreten, die Gestaltung der Arbeitszeit in der Schwerindustrie entscheidend beeinflussen können. Für den größten Teil aller Schwerstarbeiter wäre auf einen Schlag der Achtstundentag und damit das Dreischichtsystem wiederhergestellt worden. Mehrarbeit wäre nur unter den engen Voraussetzungen des § 7 I AZVO 394 Christlicher Metallarbeiterverband Deutschlands, Zur Arbeitszeit in den durchgehenden Tagesbetrieben des Ruhrbergbaus, ZStA/RAM/292/Bl. 300 - 310. 395 Schreiben Brauns' an den RWR v. 23. 6.1924 nebst Entwurf eines Verzeichnisses der dem § 7 AZVO zu unterstellenden Gewerbezweige und Gruppen von Arbeitern, ZSt A/RAM/1845/B1. 181 - 184. 396 Entwurf von Bestimmungen zum § 7 der VO über die Arbeitszeit, ZStA/RAM/ 1845/B1. 185. 397 v g l Bericht des Arbeitsausschusses, 1. Teil, S. 1.

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

nach tariflicher Vereinbarung oder behördlicher Genehmigung zulässig gewesen, wenn sie aus Gründen des Gemeinwohls dringend erforderlich war oder sich in langjähriger Übung als unbedenklich erwiesen hatte. Bevor es allerdings zu einer Beratung dieses umfassenden Werkes im vorläufigen Reichswirtschaftsrat und seinen Ausschüssen kam, drängte Brauns auf vordringliche Begutachtung einer Regelung für die Hochofenwerke und Kokereien. Gegenüber dem Reichswirtschaftsrat begründete er seine Entscheidung damit, „daß gegen ein Fortbestehen der 12-stündigen Schichten auf längere Dauer in denjenigen kontinuierlichen Betrieben, die auch Sonntags arbeiten müssen, die schwersten Bedenken bestehen." 398 In Anbetracht der Tatsache, daß Brauns noch im Frühjahr 1924 einen Schiedsspruch für verbindlich erklärt hatte, der gerade für diese Arbeiter wöchentliche Arbeitszeiten von 65 bis 74 Stunden einführte, 399 scheinen indes eher politische Gründe das ausschlaggebende Motiv für diesen Schritt gewesen zu sein. Auf diese Weise bot sich nämlich die Gelegenheit, mit relativ geringem Aufwand - die Hochofen- und Kokereiarbeiter machten einen vergleichsweise geringen Teil der Schwerstarbeiter aus - den Gewerkschaften und dem Ausland zu beweisen, daß der Achtstundentag in Deutschland nicht nur auf dem Papier stand. Sofort nach Bekanntwerden der Braunsschen Pläne lief die betroffene Schwerindustrie Sturm gegen die drohende Sonderregelung für die Hochofen- und Kokereiarbeiter. Jede Abweichung vom bisherigen Zweischichtsystem würde die „wirtschaftlichen Grundlagen des Ruhrbergbaus und der von ihm abhängigen Industrien völlig zerrütten", Betriebsstillegungen und vermehrte Arbeitslosigkeit zur Folge haben, warnte der am 8. Okt. 1924 in Gelsenkirchen tagende Zechenverband in einer Entschließung, die er dem Reichskanzler übermittelte. 400 Hauptsorge der Großindustriellen war, daß eine solche Regelung nach § 7 I I AZVO einer generellen Rückkehr zum Dreischichtsystem Tür und Tor öffnen und damit die im Nov./Dez. 1923 gegenüber den Gewerkschaften errungenen Siege zunichte machen würde. Dies dürfte auch August Thyssen veranlaßt haben, sich zusätzlich persönlich an den Reichskanzler zu wenden. In einem Schreiben vom 20. Nov. versuchte er, Marx eindringlich klarzumachen, daß die geplante Arbeitszeitverkürzung nicht nur wirtschaftlich völlig untragbar sei, sondern gerade auch den Interessen der Arbeitnehmer zuwiderlaufe. 401 Eine Sonderregelung müsse

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Schreiben Brauns' an den vorl. RWR v. 9. 10. 1924, ebd., S. 2. Verbindlicherklärung v. 21. 1. 1924 über die Arbeitszeit in kontinuierlichen Betrieben des Ruhrbergbaus, ZStA/RAM/291/Bl. 50, 53. 400 Entschließung des Zechenverbandes v. 8. 10. 1924, auszugsweise abgedruckt in: Abramowski (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Marx, S. 1188, Anm. 4; s. a. Dt. AG-Zeitung Nr. 45 v. 9. 11. 1924. 401 Schreiben der August-Thyssen-Hütte an den RK v. 20. 11. 1924, Abramowski (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Marx, S. 1185 - 1188, Zit. S. 1186 f. 399

V. Arbeitszeitrecht aufgrund § 7 I I AZVO

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für die nicht privilegierten Arbeiter „zur Quelle ewiger Unzufriedenheit" werden, erklärte Thyssen. Von einer schädlichen Wirkung des Zweischichtsystems auf die Gesundheit könne außerdem gar keine Rede sein. Wegen der langen Pausen entspräche es vielmehr „den Bedürfnissen des menschlichen Körpers". 2. Die Auseinandersetzungen um die Arbeitszeit der Hochofen- und Kokereiarbeiter im vorläufigen Reichswirtschaftsrat

Anders als bei den Beratungen der beiden Arbeitszeitgesetzentwürfe im Jahr 1922 erachtete der vom sozialpolitischen Ausschuß im Okt. 1924 mit der Vorberatung betraute 12köpfige Arbeitsausschuß zahlreiche Betriebsbesichtigungen und Sachverständigenvernehmungen vor Ort für notwendig, um die wirtschaftliche Tragbarkeit des Achtstundentages in den Hochofenund Kokereibetrieben beurteilen zu können. Ergebnis der nach 15 Sitzungen am 5. Jan. 1925 auf Drängen des Reichsarbeitsministers 402 beschleunigt abgeschlossenen Arbeiten bildete ein von dem bekannten Sozialpolitiker Prof. Heyde erstellter, mehr als 70 Seiten umfassender Bericht, in dem der gesamte Fragenkomplex unter sozialpolitischen, technischen, organisatorischen, psychologischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten aufgerollt wurde. Gleichwohl konnte eine Überbrückimg der gegensätzlichen Standpunkte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht erzielt werden. Einigkeit herrschte nur darüber, daß der von Brauns vorgeschlagene Weg, einzelne Arbeiterkategorien dem Schutz des § 7 AZVO zu unterstellen, betriebstechnisch verfehlt sei. 403 Angesichts der „Verzahnung" verschiedener Arbeitsprozesse würde eine arbeitszeitrechtliche Sonderregelung für einzelne Beschäftigte die gesamte Betriebsführung „lahmlegen". Während von Arbeitnehmerseite nun daraus der Schluß gezogen wurde, die Kokereien und Hochofenwerke als Gesamtanlage unter § 7 AZVO zu fassen, beharrten die Arbeitgeber auf der Beibehaltung des Zweischichtsystems und fuhren schweres Geschütz auf, um ihre Forderung zu untermauern. Mit einer umfangreichen wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchung über den Arbeitsbereitschaftscharakter der Schwerstarbeit 404 suchten sie den Beweis zu erbringen, daß der Anteil reiner Arbeitszeit beim Zweischichtsystem relativ niedrig anzusetzen sei. Weiter verwiesen die Vertreter der Abt. 1 auf die mangelnden Intensivierungsmöglichkeiten bei rein maschinellen Arbeitsprozessen - der Ausstoß der Öfen könne ja nicht erhöht werden - und auf die bei einer erzwungenen Umstellung auf das Dreischichtsystem anfal402 Schreiben Brauns' an den RWR v. 13. 12. 1924, vgl. den Bericht des Arbeitsausschusses, 1. Teil, S. 4. 403 Bericht des Arbeitsausschusses, 1. Teil, S. 24 f., 2. Teil, S. 2. 404 Untersuchung des Sachverständigen Dr. Ing. Schellewald, Bericht des Arbeitsausschusses, 1. Teil, Anlage III.

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

lenden Personalunkosten. 405 Und schließlich sei im Falle des Inkrafttretens der VO mit erheblichen Unruhen der nicht bevorzugten Arbeiter zu rechnen, derer selbst die Gewerkschaften nicht Herr werden könnten. Da aber auch aus Arbeitgebersicht Unterschiede zwischen den Schwerstarbeitern, die die Braunssche „Sonderbehandlung" rechtfertigen würden, nicht erkennbar seien, könnten sie den Forderungen der benachteiligten Arbeitnehmer „nicht einmal ernsthaft entgegentreten". 406 In Wirklichkeit bedeutete dies nichts anderes, als daß in Verkehrung des Prinzips des Arbeiterschutzes um einer Erhaltung des sozialen Friedens und der sozialen Gerechtigkeit willen eine Verbesserung des staatlichen Arbeitszeitschutzes in den durchgehend arbeitenden Betrieben gänzlich unterbleiben sollte. Insgesamt hatten die Arbeitnehmervertreter dem vergleichsweise wenig entgegenzusetzen, zumal auch sie einen Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und Produktivität in den Feuerbetrieben nicht abstreiten konnten. 4 0 7 Nach Meinung der Abt. 2 waren allerdings die wirtschaftlichen Folgen einer verkürzten Schichtdauer wesentlich geringer und die gesundheitsschädlichen Auswirkungen des Zweischichtsystems weit gravierender, als es ihre Kontrahenten behaupteten. 4 0 8 Bevor nun die verbale Überlegenheit der Abt. 1 in einem arbeitgeberfreundlichen Gutachten ihren Niederschlag finden konnte, griff Brauns von außen in die laufenden Verhandlungen des Arbeitsausschusses ein. In einem am 1. Jan. 1925 im Stegerwaldschen Presseorgan „Der Deutsche" veröffentlichten Interview gab er die verbindliche Zusage, daß die VO spätestens bis zum 15. Jan. erlassen werden würde. 4 0 9 Obwohl die Unternehmer aufs schärfste gegen die ihrer Meinung nach „verhängnisvoll(e)" Unterstützung der gewerkschaftlichen Taktik protestierten, 410 konnten sie jetzt kaum noch darauf hoffen, den Reichsarbeitsminister von der „übereilten Wiedereinführung des Dreischichtsystems" abzubringen. 411 Wie sehr sich die Fronten durch die Intervention Brauns' verhärtet hatten, zeigte sich daran, daß bei der am 5. Jan. 1925 stattfindenden Endabstimmung keiner der im Arbeitsausschuß eingebrachten Anträge die erforderliche Mehrheit erhielt. 4 1 2 Der Vorschlag des Wortführers der Abt. 2, des Gewerkvereinsvorsitzenden Czieslik, die gesamten Hochofen- und Kokereibetriebe am 1. März 1925 dem § 7 AZVO zu unterstellen, wurde ebenso verworfen wie der von dem Essener 405 Bericht des Arbeitsausschusses, 1. Teil, S. 31. 406 Ebd., S. 28. 407 Ebd., S. 20 f , 31 f. 4 8 Ebd., S. 13 f., 15 f. 409 Der Deutsche v. 1. 1. 1924, BA/R 43 I/2059/B1. 8. 410 Schreiben der Phoenix Bergbau- und Hüttenbetriebe an den Rk. v. 5. 1. 1925, BA/R 43 I/2059/B1. 3 f. 411 Bericht des Arbeitsausschusses, 2. Teil, S. 11. 4 2 * Ebd., S. 30.

V. Arbeitszeitrecht aufgrund § 7 I I AZVO

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Generaldirektor Wiskott vorgebrachte gegenteilige Antrag der Abt. I . 4 1 3 Erst recht keine Gegenliebe fanden die Vermittlungsvorschläge von Kreil, Gewerkschaftssekretär des christlichen Metallarbeiterverbandes, und von Heyde, die sich in letzter Minute vergeblich um eine Einigung bemühten. Kreil schlug vor, als Gegenleistung für die Zustimmung der Arbeitgeber zur FeuerarbeiterVO namens der Abt. 2 die Gewähr dafür zu übernehmen, daß in naher Zukunft auf weitergehende Maßnahmen nach § 7 AZVO verzichtet werden würde. 4 1 4 Heyde versuchte, die streitenden Parteien mit Hinweis auf das Ansehen des Reichswirtschaftsrates in der Öffentlichkeit zum Einlenken zu bewegen. Er regte an, es der Entscheidung des Reichsarbeitsministers zu überlassen, ob ab 1. Okt. 1925 in den Hochofenwerken und Kokereien zum Dreischichtsystem übergegangen oder ab 1. Juli 1925 für die acht Stunden überschreitende Arbeitszeit ein Überstundenzuschlag gezahlt werden sollte. 415 Während die Arbeitgeber ihre Bereitschaft zu finanziellen Zugeständnissen signalisierten, 416 waren sie in der Arbeitszeitfrage jedoch ebensowenig wie ihre Kontrahenten bereit, nachzugeben. Der Arbeitsausschuß, bei dieser Sachlage zu einer Beschlußfassung außerstande, überwies den umfangreichen Bericht dem sozialpolitischen Ausschuß zur Entscheidungsfindung. Dem sozialpolitischen Ausschuß blieb angesichts dieser tiefgreifenden Kontroversen in der entscheidenden Sitzung am 10. Jan. 1925 nur die Wahl, entweder über den Vorschlag des Reichsarbeitsministers hinauszugehen und sich für eine Rückkehr zum Achtstundentag in den gesamten Hochofenund Kokereibetrieben einzusetzen - so die Vorstellungen der Abt. 2 - oder, den Arbeitgeberwünschen entsprechend, auf eine Begünstigung der Feuerarbeiter vollends zu verzichten. 417 Ein erneuter Kompromißvorschlag Heydes, der, diesmal unterstützt von dem Sozialdemokraten Max Cohen, gleich dem vorhergehenden einen Überstundenzuschlag ab 1. Juli 1925 vorsah, der Großindustrie jedoch eine Schonzeit bis zum 1. Jan. 1926 gewähren wollte, 4 1 8 wurde wiederum von beiden Parteien gleichermaßen abgelehnt. Nachdem schließlich ein letzter Versuch, während einer Sitzungsunterbrechung doch noch im kleinen Kreise zu einer Einigung zu gelangen, gescheitert war, war es nur dem Abstimmungsverhalten der Abt. 3 zuzuschreiben, daß eine Entscheidung überhaupt zustande kam. Mit knapper Mehrheit und gegen die Stimmen sämtlicher Arbeitgebervertreter gelangte der Antrag der Abt. 2, die „Hochofenwerke und Verkokungs- und Kohlendestillationsanla413

Zu den Anträgen vgl. Bericht des Arbeitsausschusses, 2. Teil, Anlage. Bericht des Arbeitsausschusses, 2. Teil, S. 28 f. 41 5 Ebd., S. 19 ff. 416 Ebd., S. 27 f. 417 Prot, der 112. Si. des sozialpolitischen Ausschusses v. 10. 1. 1925, ZStA/RWR/ 503/B1. 246 ff.; zu den Anträgen Cziesliks (Abt. 2) und Wiskotts (Abt. 1) ebd., Bl. 254. «» Ebd., Bl. 250. 414

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

gen als Gesamtanlagen" ab 1. März 1925 dem § 7 AZVO zu unterstellen, zur Annahme. 419 Damit fanden die Beratungen des vorläufigen Reichswirtschaftsrates mit einer „Niederlage der Schwerindustrie", wie der „Vorwärts" frohlockte, 420 ihr Ende. 4 2 1 Letztlich blieb es dem Reichsarbeitsminister überlassen, den Konflikt zwischen den widerstreitenden wirtschaftlichen und sozialpolitischen Interessen zu lösen. 3. Die Verordnung für die Hochofen werke und Kokereien als Gegenstand der Koalitionsverhandlungen im Winter 1924/25

Noch während die Beratungen im Arbeitsausschuß liefen, hatte Brauns am 10. Dez. 1924 an die Regierung Marx den dringenden Appell gerichtet, einer VO nach § 7 AZVO für die Hochofen- und Kokereiarbeiter schon jetzt die Zustimmung zu erteilen. 422 Aufgrund der wachsenden Unruhe unter den Gewerkschaften und der entscheidungsfeindlichen Haltung des Reichswirtschaftsrates könne das Reichsarbeitsministerium „die Dinge nicht länger laufen lassen." 423 Nichts lag jedoch den bürgerlichen Ministern ferner als dieses Ansinnen, denn sie vertraten wie die Industrie die Auffassung, die VO werde sich nachteilig auf die übrigen Industriezweige, insbesondere den Bergbau, auswirken und so den „mühseligen Aufbau der Arbeitszeit zerschlagen". 424 Übereinstimmend sprachen sie sich deshalb dafür aus, das Gutachten des Reichswirtschaftsrates abzuwarten. Wenige Tage später erklärte sich das Kabinett auf Brauns' Drängen lediglich dazu bereit, ihm bei der Ausarbeitung der VO nicht im Wege zu stehen und als letzte Frist für eine Entscheidung den 12. Jan. 1925 ins Auge zu fassen. 425 Dabei kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß nunmehr die ausführlichen Beratungen des Reichswirtschaftsrates dafür herhalten mußten, um die Zeit doch noch im Sinne der Industrieinteressen arbeiten zu lassen. Aber auch hinhaltender Widerstand konnte Brauns von seiner öffentlich bekundeten Absicht, die Kokereien und Hochofenwerke noch im Jan. 1925 dem § 7 AZVO zu unterstellen, nicht abbringen. Als nach der Reichstagswahl vom 7. 419 Vgl. hierzu das Schreiben Leiparts an Brauns v. 12. 1. 1925, in dem dieser namens des RWR Brauns von den Vorgängen unterrichtete, BA/R 43 I/2059/B1. 130 f. 420 Vorwärts Nr. 18 v. 11. 1. 1925. 421 Im Zuge von Sparmaßnahmen wurde das Tätigkeitsfeld des RWR Mitte 1923 empfindlich eingeengt. Nur noch die Ausschüsse tagten, und sie hatten nur Angelegenheiten zu verhandeln, über die ein Gutachten von der R.reg. angefordert worden war. Vgl. Hauschild, Reichswirtschaftsrat, S. 9, 630. 422 Prot, der Ministerbesprechung v. 10. 12. 1924 im RAM, Abramowski (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Marx, S. 1214 ff. Den Entwurf einer VO über die Arbeitszeit in Kokereien und Hochofenwerken hatte Brauns am 9.12.1924 dem Kabinett vorgelegt, BA/R 43 I/2058/B1. 312 f. 423 Prot, der Ministerbesprechung v. 10. 12. 1924, ebd., S. 1217, Anm. 6. 424 Ebd., S. 1215 f. 425 Prot, der Ministerbesprechung v. 23. 12. 1924 und 6. 1. 1925, Abramowski (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Marx, S. 1244, 1277 f.

V. Arbeitszeitrecht aufgrund § 7 I I AZVO

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Dez. 1924 Verhandlungen über die Einbeziehung der DNVP in die Regierung anstanden, machte das Zentrum den Erlaß der FeuerarbeiterVO zur unabdingbaren Voraussetzung für den Eintritt der Partei in die Regierung. 4 2 6 Erneut wurde das Arbeitszeitrecht damit zur Koalitionsfrage hochgespielt. Die anschließenden Auseinandersetzungen zwischen Brauns und dem neuen deutschnationalen Reichswirtschaftsminister Neuhaus, der die VO „vom rein wirtschaftlichen Standpunkt aus für nicht erträglich" ansah, 427 dauerten zwar mehrere Tage. Sie endeten aber schließlich damit, daß sich die sich am 15. Jan. 1925 konstituierende Bürgerblockregierung unter Reichskanzler Luther - erstmalig in der Weimarer Republik war die DNVP durch den Wirtschafts-, Finanz- und Innenminister vertreten - dem Druck des Zentrums beugte. Bereits in der zweiten Kabinettssitzung am 17. Jan. billigte sie einstimmig einen von Brauns am 9. Jan. vorgelegten Verordnungsentwurf über die Arbeitszeit in den Hochofenwerken und Kokereien 428 „als bewußt politische Geste". 429 Allerdings war es Neuhaus gelungen, unter Berufung auf wirtschaftliche Notwendigkeiten den Zeitpunkt des Inkrafttretens der VO um einen Monat auf den 1. April 1925 zu verschieben. Die Zustimmung dürfte DNVP und DVP aber auch durch die Zusage Brauns' erleichtert worden sein, „daß er nicht vorhabe, aufgrund des § 7 noch in andere Zweige einzugreifen"; eine Erklärung, die in der Streichung des ursprünglich der VO für die Hochofen- und Kokereiarbeiter beizugebenden Passus „vorbehaltlich weiterer Verordnungen" ihren Niederschlag fand. 4 3 0 Zur Begründung verwies Brauns auf das in Vorbereitung befindliche neue Arbeitszeitgesetz, mit dem er den gesamten Komplex des § 7 AZVO zu erledigen hoffte - eine schwerwiegende Fehleinschätzung, denn bis zum Ende der Weimarer Republik gelang eine Neuregelung des Arbeitszeitrechtes nicht mehr. Darüber hinaus wich die am 20. Jan. verkündete V O 4 3 1 in zwei entscheidenden Punkten zugunsten der Industrie vom Gutachten des sozialpolitischen Ausschusses ab: Erstens galt die Arbeitszeitverkürzung nicht für die Gesamtanlagen. Brauns hatte insofern einen Mittelweg beschritten, als er in bestimmten Betrieben der Hochofenwerke und Kokereien nur bestimmte Arbeiten als unter den § 7 AZVO fallend erklärte. Zweitens konnten auf Wunsch der Landesregierungen h i n 4 3 2 die obersten Landesbehörden mit Zustimmung des Reichsarbeitsministers den Termin 426 Vgl. Stürmer, Koalition, S. 87 f. 427

Prot, der Kab.-Si. v. 17. 1. 1925, Minuth (Bearb.), Kab. Luther, S. 3. Entwurf einer VO über die Arbeitszeit in Kokereien und Hochofenwerken nebst Schreiben Brauns' an den StS. d. Rkei. v. 9. 1. 1925, BA/R 43 I/2059/B1. 27 f. 429 Prot, der Kab.-Si. v. 17. 1. 1925, Minuth (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Luther, S. 2 ff., Zit. S. 5 (Innenmin. Schiele, DNVP). 430 Ebd., S. 5 f. 43 1 RGBl. 1925 I, S. 5. 432 v g l Niederschrift der Besprechung über § 7 AZVO mit Vertretern der Landesreg. v. 1. 9. 1924 im RAM, ZStA/RAM/1845/Bl. 175 f. 428

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

des Inkrafttretens weiter hinauszögern, wenn andernfalls eine „schwere Gefährdung der bezeichneten Gewerbezweige" zu befürchten war (Teil II). Die Durchführung der VO verlief nicht glatt. Um eine allzu freie Handhabung des auslegungsbedürftigen Teils I I der VO zu verhindern, sah Brauns sich noch vor ihrem Inkrafttreten veranlaßt, auf die Länder einzuwirken, von der ihnen erteilten Ermächtigung nur sparsam Gebrauch zu machen. 433 Außerdem zwangen mannigfache Zweifel aufgrund des Wortlautes der VO das Reichsarbeitsministeriums bereits am 1. Mai 1925 zur Herausgabe einer umfangreichen Erläuterung, in der die in Frage kommenden Arbeitsprozesse näher umschrieben wurden. 4 3 4 4. Reaktionen auf die Verordnung für die Hochofen werke und Kokereien vom 20. Januar 1925

Trotz der arbeitgeberfreundlichen Erleichterungen fand die VO für die Hochofenwerke und Kokereien bei der Unternehmerschaft nur wenig Beifall. Während die der Industrie nahestehende Presse teilweise ihren Erlaß als den „guten Anfang" des Kabinetts Luther pries, der vortrefflich geeignet sei, Gewerkschaften und SPD den Wind aus den Segeln zu nehmen, 435 reagierte die in erster Linie betroffene Großindustrie äußerst ungehalten. Dieser Industriezweig, der gerade wegen der anstehenden wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidungen auf eine Regierungsbeteiligung der DNVP gedrängt hatte, konnte kein Verständnis für koalitionspolitische Rücksichten in „einwandfrei erfaßte(n) Wirtschaftsbelange(n)" aufbringen. 436 Für sie stellte die VO vielmehr das Ergebnis einer „einseitigen gewerkschaftlichen Grundauffassung des Reichsarbeitsministers" dar. Wohl oder übel gezwungen, die VO hinzunehmen - Betriebsstillegungen und sogar Aussperrungen wurden zwar erwogen, erwiesen sich jedoch wegen der tatsächlich nur geringfügigen Belastung durch die VO als undurchführbar 4 3 7 - , setzten die Schwerindustriellen auf die Strategie der Verzögerung. So wußte Adolph von Bülow, Syndikus des VDESI, im „Arbeitgeber" zu berichten, sämtliche der betroffenen Gebiete hätten gemäß I I der VO vom 20. Jan. 1925 beantragt, den Termin ihres Inkrafttretens weiter hinauszuschieben. 438 Von Erfolg gekrönt war diese Verschleppungstaktik allerdings nur beim preußi-

433 v g l Niederschrift der Besprechung über § 7 AZVO mit Vertretern der Landesreg. v. 16. 2. 1925 im RAM, ZStA/RAM/1845/Bl. 191 - 194. 434 Schreiben Brauns' an die Sozialmin. der Länder v. 2. 5. 1925, ZStA/RAM/1845/ Bl. 217 f. «s DAZ Nr. 32/33 v. 21. 1. 1925. 436 Geschäftsbericht der VDA 1923/24, S. 265. 437 vgl. Weisbrod, Schwerindustrie, S. 317 f. 438 Adolph v. Bülow, Zur Frage der Arbeitszeit in der Großeisenindustrie, in: Der Arbeitgeber Nr. 5 v. 1. 3. 1925, S. 110 f.

V. Arbeitszeitrecht aufgrund § 7 I I AZVO

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sehen Handelsminister. In den notleidenden oberschlesischen Hüttenwerken ging man erst Ende 1925 zum Dreischichtsystem über. 4 3 9 Demgegenüber stellte die Hochofen und KokereiVO für die Gewerkschaften zwar einen wichtigen, aber keinesfalls ausreichenden Fortschritt auf ihrem Weg zurück zum Achtstundentag dar. Noch l i t t nämlich der größte Teil der Schwerstarbeiter unter den überlangen Arbeitszeiten. Im Sommer 1925 richtete der christliche Metallarbeiterverband aus diesem Grunde erneut an den Reichsarbeitsminister die dringende Bitte, wenigstens das gesamte Hüttenwesen beschleunigt dem Schutz des § 7 AZVO zu unterstellen. 4 4 0 Durchaus bereit, Brauns in der Arbeitszeitfrage den Rücken zu stärken, akzeptierten die christlichen Gewerkschaften die VO vom 20. Jan. 1925 als „bedeutsamen Erfolg" des Verbandes. 441 Dies geschah sicherlich zu recht, denn die übrigen Arbeitnehmerverbände hatten sich an den Aktivitäten des DGB im Hinblick auf § 7 AZVO nicht beteiligt. Erklärtes Ziel der sozialistischen Arbeiterbewegung war vielmehr nach wie vor die Wiederherstellung des gesetzlichen Achtstundentages in allen Industriezweigen. Aus Sicht der freien Gewerkschaften war die FeuerarbeiterVO zwar ein „erster Schritt" in die gewünschte Richtung. 4 4 2 Wegen ihrer beruhigenden Wirkung auf die Arbeiterschaft konnte die VO aber auch weiteren gesetzgeberischen Initiativen gefährlich werden. In einer Entschließung vom 27. Jan. 1925 warf der Bundesausschuß des ADGB Brauns deshalb eine „verspätete und langsame Durchführung des § 7" vor und rief seine Mitglieder auf, unter „Einsatz aller gewerkschaftlicher Mittel auf eine Rückkehr zum Achtstundentag hinzuarbeiten", 443 5. Die übrigen Verordnungen nach § 7 Π AZVO

Abgesehen davon, daß diese unterschiedlichen Reaktionen auf die FeuerarbeiterVO ein bezeichnendes Licht auf die sich vertiefende Kluft zwischen ADGB und christlichen Gewerkschaften warfen - ein Konflikt, der in Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um das AZnotG offen und in aller Härte entbrannte - , waren die Bemühungen der Arbeitnehmerverbände um den Achtstundentag in den durchgehend arbeitenden Betrieben zunächst vergeblich. Obwohl der vom sozialpolitischen Ausschuß eingesetzte Arbeitsausschuß immittelbar im Anschluß an die VO vom 20. Jan. 1925 seine Arbeiten an dem Braunsschen Verzeichnis wiederaufnahm, 444 439 vgl. p o l i e r , Sozialpolitik, S. 309. 440 vgl. Prot, der 11. Generalversammlung des Christlichen Metallarbeiterverbandes v. 1 6 - 2 0 . 8. 1925, S. 164. 441 Geschäftsbericht des Christlichen Metallarbeiterverbandes 1922 - 24, S. 226. 442 Jahrbuch des ADGB 1925, S. 57; GewZ Nr. 5 v. 31. 1. 1925, S. 66. 443 Entschließung des BA des ADGB v. 27. 1. 1925, abgedruckt in: GewZ Nr. 6 v. 7. 2. 1925, S. 83 f.

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2. Teil: Der Weg zur Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923

sollte es noch vieler Auseinandersetzungen im Reichswirtschaftsrat und in der Öffentlichkeit bedürfen, bis Brauns erneut am Zweischichtsystem zu rütteln begann. Erst zwei Jahre später, am 9. Feb. 1927, wurden vor dem Hintergrund einer nur langsam einzudämmenden Arbeitslosigkeit 445 unter dem 3. Kabinett Marx drei neue Verordnungen aufgrund § 7 AZVO für die Gaswerke, Glashütten und Metallhütten erlassen. 446 Ihnen folgte am 17. Juli 1927 eine bedeutsame, weil nahezu die gesamte Schwerindustrie betreffende VO über die Arbeitszeit in Stahlwerken, Walzwerken und anderen Anlagen der Großeisenindustrie. 447 Es war bezeichnend für die Braunssche Arbeitszeitpolitik, daß auch diese Bestimmungen im Rahmen einer Bürgerblockregierung als sozialpolitische Zugeständnisse für die Zurückdämmung weitergehender Forderungen der Arbeiterschaft gegen den Widerstand der Arbeitgeber durchgesetzt wurden. Besonders die VO für die Anlagen der Großeisenindustrie erregte hierbei das Mißfallen der Schwerindustriellen. In diesem Fall gelang es ihnen jedoch, die Wirkungen der Vorschriften erheblich herabzumildern. Durch Errichtung eines Kampffonds und Stilllegungsandrohungen erreichte es Arbeitnordwest während der im Herbst 1927 stattfindenden Schlichtungsverhandlungen, den auf den 1. Jan. 1928 festgesetzten Termin des Inkrafttretens der VO hinauszuschieben und die Gewährung zusätzlicher Sonntagsarbeit durchzusetzen. 448 Den Abschluß der Arbeiten nach § 7 AZVO bildete schließlich eine am 26. März 1929 erlassene VO für die Zementindustrie. 449 Erst 1929 war damit in großem, aber keinesfalls in dem vom Reichsarbeitsminister ursprünglich ins Auge gefaßten Umfange der Achtstundentag für die Schwerstarbeiter wiederhergestellt worden. In der Zwischenzeit mußte die Arbeiterschaft erfahren, daß Brauns weder der in § 7 AZVO normierten Verpflichtung nachkam, noch das von ihm gegebene Versprechen einlöste. Die durch die AZVO trotz der kleinen Fortschritte nach § 7 AZVO eingeleitete „langfristige Entwicklung zu überlangen Arbeitszeiten" wurde auch dann nicht revidiert, als während der im Winter 1925/26 hereinbrechenden Wirtschaftskrise „der eigentliche Anlaß der VO - die Produktivitätssteigerung - längst hinfällig geworden w a r . " 4 5 0 Demgegenüber konnte die Arbeitgeberschaft zwar keine dem Jahre 1923 vergleichbaren Erfolge erzielen. Gleichwohl gelang es ihnen, das Zweischichtensystem und die durch die AZVO geschaffenen Möglichkeiten zu Arbeitszeitverlängerungen bis 1927 zu verteidigen. 444 Zur Fortsetzung der Besprechung über den Entwurf eines Verzeichnisses zu § 7 AZVO vgl. Hauschild, Reichswirtschaftsrat, S. 343 ff. 445 So waren ζ. B. in der Metallindustrie im Jan. 1927 15,2 %, im Juni 1927 8 %, im Juli 1927 6,7 % der erfaßten Gewerkschaftsmitglieder arbeitslos; vgl. Tab. 8 bei Weisbrod, Schwerindustrie, S. 135. 446 RGBl. 1927 I, S. 59 f. 447 RGBl. 1927 I, S. 221 f. 448 vgl. Weisbrod, Schwerindustrie, S. 360 f. 449 RGBl. 1929 I, S. 82. 450 Syrup, Sozialpolitik, S. 280.

Dritter Teil

Weitere Gesetzesvorhaben zur Regelung der Arbeitszeit I. Die Entwürfe für ein Arbeitsschutzgesetz 1. Vom Arbeitszeitgesetz zum Arbeitsschutzgesetz: Die Vorarbeiten im Reichsarbeitsministerium

Überlegungen, den „Notbehelf" AZVO durch eine endgültige Regelung zu ersetzen, waren im Reichsarbeitsministerium bereits seit dem Sommer 1924 im Gange. Acht Monate nach Inkrafttreten der AZVO betraute Brauns den Präsidenten der Reichsarbeitsverwaltung, Friedrich Syrup, und Ministerialrat Neitzel mit den internen Vorarbeiten zu einem Arbeitszeitgesetz nach französischem Vorbild. 1 Demgemäß sollte die Grundlage ein allgemein gehaltenes Rahmengesetz bilden, das als Kernstück eine Ermächtigung zum Erlaß von Durchführungsverordnungen für die einzelnen Gewerbezweige enthielt. Dahinter stand folgende Überlegung: Brauns beabsichtigte, mit dem Arbeitszeitgesetz wieder einmal die Voraussetzungen für die Ratifikation des Washingtoner Übereinkommens über den Achtstundentag, „jedoch in weiter Auslegung desselben", zu schaffen. 2 Das französische Arbeitszeitgesetz aber, dessen Anpassung an das Abkommen Arbeitsminister Godard rühmte, 3 ging von einer flexiblen Handhabung des achtstündigen Normalarbeitstages aus und ließ ausreichenden Spielraum für Abweichungen. Eine entsprechende Regelung hätte die deutsche Regierung damit in die Lage versetzt, sämtliche Ratifikationsforderungen im In- und Ausland unter Hinweis auf die erfolgte Annäherung an das Washingtoner Übereinkommen zum Schweigen zu bringen und zugleich durch eine differenzierte Regelung der Arbeitszeit den unterschiedlichen Bedürfnissen der Industrie Rechnung zu tragen. Am 15. Sept. 1924 wurde im Reichsarbeitsministerium eine Kommission aus 11 Mitgliedern der Reichsarbeitsverwaltung und des Ministeriums 1 Vortrag beim Min. v. 20. 8. 1924 betr. einheitliche Fassung der Arbeitszeit, ZStA/ RAM/1845/B1. 110. Gemeint war das französische Arbeitszeitgesetz v. 23. 4. 1919. Dieses ist abgedruckt in: François-Poncet / Mireaux, France, S. 5 5 - 5 7 ; in deutscher Fassung in: RABl. 1924 AT, S. 324; s. a. Bauer, Arbeiterschutzgesetzgebung, S. 478 ff. 2 Ebd., Bl. 110. 3 Vgl. die zum Teil wörtlich wiedergegebenen Ausführungen Godards in: RABl. 1924 NAT, S. 419.

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3. Teil: Weitere Gesetzesvorhaben zur Regelung der Arbeitszeit

gebildet und mit der Ausarbeitung des Mantelgesetzes beauftragt. 4 Die Vorarbeiten zu den Ausführungsverordnungen - den Anfang sollte die Großeisenindustrie machen - gedachte Brauns im Einvernehmen mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern innerhalb eines paritätisch besetzten Ausschusses zu erledigen. 5 Dieser Plan scheiterte allerdings bereits im Anfangsstadium. Als der Ausschuß nach mehreren Anläufen am 17. April 1925 endlich zusammenkam, um anhand eines Fragenkatalogs die arbeitszeitrechtlichen Bedürfnisse der Großeisenindustrie zu erörtern, 6 verweigerten die Arbeitgeber ihre Mitarbeit. Ihrer Meinung nach - so die spätere Darstellung Brauns' 7 - sollten für eine endgültige arbeitszeitrechtliche Regelung die Auswirkungen des Dawes-Planes abgewartet werden. Damit nicht genug, versuchte die VDA, den Reichsarbeitsminister noch im Sommer 1925 auf eine „Politik der langen Arbeitszeiten" festzulegen. Nach einem vertraulichen Gespräch mit Ministerialdirektor Sitzler im Reichsarbeitsministerium wußte der Leiter der Tarifabteilung und Syndikus der VDA, Hermann Meissinger, in einer an die Mitgliederverbände gerichteten Aktennotiz von weitgehenden wirtschafte- und sozialpolitischen Zusagen des Reichsarbeitsministeriums zu berichten. So soll Sitzler in Sachen Arbeitszeitrecht zu verstehen gegeben haben, daß das Ministerium die geltenden Arbeitszeiten für langfristig angemessen erachte, keine weiteren Verordnungen nach § 7 AZVO mehr erlassen und die Verabschiedung des neuen Arbeitszeitgesetzes „mit allen Mitteln in die Länge ziehen" werde. 8 Deutlicher konnte die Mißachtung der Arbeitgeber gegenüber künftigen arbeitszeitgesetzgeberischen Initiativen kaum zum Ausdruck gebracht werden, zumal Brauns inzwischen offiziell im Reichstag die beschleunigte Ausarbeitung des Arbeitszeitgesetzes angekündigt hatte. 9 Erwartungsgemäß verfehlte das Vorgehen Meissingers sein Ziel. Sitzler begegnete dem „Wunschkatalog der Arbeitgeber" mit einem Dementi auf der ganzen Linie. 1 0 Die Bedenken, die die Notiz nach ihrem Bekanntwerden bei den Arbeitnehmervertretern auslöste, konnte Brauns erst am 1. Okt. in einem Gespräch mit den drei Spitzengewerkschaften aus4 Aufzeichnung über die Besprechung betr. Arbeitszeitgesetzgebung v. 15. 9. 1924 im RAM, ZStA/RAM/1863/Bl. 3 f.; Mitglieder der Kommission waren: Friedrich Syrup als Vorsitzender, Min.direktor Sitzler, Min.rat Neitzel, Oberreg.rat Kuttig, Reg.rat Steinmann, Reg.rat Joachim, Reg.rat Classen und StS. Geib vom RAM, Direktor Meyer, Oberreg.rat Albrecht und Oberreg.rat Stiller von der R.arb.verw. 5 Vgl. Schreiben Sitzlers an die R.arb.verw. v. 18. 3. 1925, ZStA/RAM/1863/Bl. 26. 6 Fragen zur gesetzlichen Regelung der Arbeitszeit in der Großeisenindustrie, ZStA/RAM/1863/Bl. 27 - 29. 7 Schreiben Brauns' an den ADGB v. 6. 10. 1925, abgedruckt in: GewZ Nr. 41 v. 10. 10. 1925, S. 585 - 589, hier: S. 588. Aufzeichnungen über die Besprechung v. 17. 4. 1925 konnten im ZStA nicht ermittelt werden. 8 Aktennotiz Dr. Meissingers v. 10. 8. 1925, abgedruckt in: GewZ Nr. 39 v. 26. 9. 1925, S. 561 f. 9 Verhandlungen des RT, Bd. 384, S. 326 f. (v. 4. 2. 1925). 10 Die Gegenerklärung Sitzlers ist abgedruckt in: GewZ Nr. 41 v. 10. 10. 1925, S. 589 f.

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räumen, in dem er eine schriftliche Gegendarstellung des Reichsarbeitsministeriums zusagte. 11 Außerdem versprach er die schnellstmögliche Verabschiedung eines Arbeitszeitgesetzes auf der „Grundlage des Washingtoner Übereinkommens ". Zu einem Arbeitszeitgesetz kam es allerdings nicht mehr. Die Kommission, zusätzlich mit den Vorbereitungen zu den Durchführungsverordnungen belastet, war inzwischen zu dem Ergebnis gekommen, daß das für eine Ratifikation erforderliche gemeinsame Inkrafttreten von Gesetz und Durchführungsbestimmungen in absehbarer Zeit nicht zu bewerkstelligen sei. Um die Ratifikation des Washingtoner Arbeitszeitabkommens aber nicht unnötig hinauszuzögern, entschloß man sich, in herkömmlicher Weise weiterzuarbeiten und alle grundsätzlichen Tatbestände im Gesetz selbst zu regeln. Dabei begründete der „Wust" der geltenden arbeitszeitrechtlichen Vorschriften jedoch die Notwendigkeit, im Falle einer gesetzlichen Neuregelung der Arbeitszeit auch die eng mit ihr zusammenhängenden Bestimmungen der GewO, des LadenschlußG usw. in Angriff zu nehmen. 12 Der Plan, ein umfassendes Arbeitsschutzgesetz zu schaffen, war damit geboren. Es wurde ein Vorhaben aus der Taufe gehoben, mit dem zugleich ein wichtiges Kapitel für das in Art. 157 WRV vorgesehene einheitliche Gesetzbuch der Arbeit geleistet werden sollte. 2. Der vorläufige Referentenentwurf eines Arbeitsschutzgesetzes vom 16. April 1926

Am 16. April 1926 legte Brauns den Verbänden und Ministerien das Ergebnis der Kommissionsarbeiten vor. 1 3 Der 57 Paragraphen umfassende und alsbald veröffentlichte vorläufige Referentenentwurf eines ASchG gliederte sich in folgende sieben Abschnitte: -

Allgemeine Vorschriften Betriebsgefahren Arbeitszeit Sonntagsruhe Ladenschluß Arbeitsaufsicht Durchführung des Gesetzes

11 Vgl. den Bericht des christlichen Gewerkschaftsführers Otte über die Besprechung ν. 1. 10. 1925 im RAM, BA/Kl. Erwerbungen 461-1/B1. 88 - 90. 12 Schreiben Brauns' an den ADGB v. 6. 10. 1925, abgedruckt in: GewZ Nr. 41 v. 10. 10. 1925, S. 585 - 589, hier: S. 589. 13 Vorläufiger Referentenentwurf eines ASchG (s. Anlage 11) nebst Schreiben Brauns' an den StS. d. Rkei. v. 16. 4. 1926, BA/R 43 I/2019/B1.106 - 129. Die Begründung reichte Brauns erst am 13.11. 1926 nach; Schreiben Brauns' an den StS. d. Rkei. v. 13. 11. 1926 nebst Begr., BA/R 43 I/2019/B1. 243 - 272. Entwurf und Begründung wurden anschließend im 37. Sonderheft zum RAB1. veröffentlicht.

9 Bischoff

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Der dritte und wichtigste Abschnitt faßte in vier Unterabschnitten die allgemeinen Vorschriften über die Arbeitszeit (§§ 9 - 1 6 ASchG 14 ), den erhöhten Schutz der weiblichen und jugendlichen Arbeitnehmer (§§ 17 - 23), das Nachtbackverbot (§ 24) und die Durchführung der Bestimmungen (§§ 25, 26) zusammen. Sein Geltungsbereich sollte sich auf nahezu alle Arbeitnehmer, unabhängig von der etwa für die Anwendung der GewO ausschlaggebenden Größe des Betriebes, erstrecken. Ausgenommen waren allerdings bestimmte Gewerbezweige und Beschäftigungsarten (§§1 II, 16), ζ. B. der Bergbau unter Tage, für die die Regierung wegen ihrer betrieblichen Besonderheiten Spezialgesetze verabschieden wollte. Im Bereich des Jugendlichen« und Frauenschutzes stellten die Heraufsetzung des Jugendlichenschutzalters von 16 auf 18 Jahre und die Ausdehnung der bislang nur den jugendlichen und weiblichen Arbeitern vorbehaltenen Schutzbestimmungen auf die Angestellten unbestreitbare Verbesserungen gegenüber dem geltenden Rechtszustand unter der GewO dar. Im übrigen beschränkten sich die §§ 1 7 - 2 4 jedoch im wesentlichen auf eine geordnete Zusammenstellung der in den verschiedenen Gesetzen verstreuten Bestimmungen. Ausgangspunkt der „Allgemeinen Vorschriften über die Arbeitszeit", dem Kernstück des dritten Abschnittes, bildeten getreu dem Washingtoner Abkommen die Festschreibung des achtstündigen Normalarbeitstages und der 48-StundenWoche (§ 9). Darüber hinaus hatten die Bestimmungen jedoch wenig gemeinsam mit den ebenfalls auf eine Anpassung an das Abkommen ausgerichteten Arbeitszeitgesetzentwürfen aus den Jahren 1920 bis 1922. Erstens ermöglichten die auf der Londoner Konferenz am 15. März 1926 ausgearbeiteten Auslegungsrichtlinien eine äußerst flexible Handhabung des Übereinkommens. 15 Zweitens wurde mit der Neugest altung der Arbeitszeit Vorschriften im Rahmen des ASchG der Zweck verfolgt, die Möglichkeiten zu Arbeitszeitverlängerungen „eingehender als bisher" im Gesetz selbst zu regeln. 16 Und drittens war Mehrarbeit nicht nur der Bestimmung durch den Arbeitgeber, tariflicher Regelung oder behördlicher Anordnung vorbehalten, sondern konnte daneben auch im Wege der Betriebsvereinbarung oder des Einzelarbeitsvertrages vereinbart werden. Im Vergleich zur AZVO vom 21. Dez. 1923 ließ der Gesetzentwurf folgende Ausnahmen vom Achtstundentag zu: In das Ermessen des Arbeitgebers gestellt waren Arbeitszeitverlängerungen 1. bei ununterbrochenen Arbeiten bis zu 56 Wochenstunden (entsprechend § 1 AZVO i. V. m. IV AO ν. 23. Nov. 1918). Weitergehende Verlängerungen waren zulässig in den Fällen des § 12 Nr. 4 (Vorbereitungs- und 14

Paragraphen ohne nähere Angabe sind im folgenden solche des ASchG. Vgl. Ergebnisse der Londoner Konferenz, abgedruckt in: 37. Sonderheft zum RAB1., Anlage, S. 9 f. 16 37. Sonderheft zum RAB1., S. 51. 15

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Ergänzungsarbeiten von Aufsichtspersonal), § 13 (Arbeitsbereitschaft) und § 15 (außergewöhnliche Fälle), 2. für Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten (§ 12) - bis zu zwei Stunden täglich zur Bedienung von Beleuchtungs- und anderen Anlagen, zur Vorbereitung von Hilfsstoffen sowie zu ihrer Ingangsetzung (Nr. 1, 2), - bis zu einer Stunde täglich zur Reinigung und Instandhaltung von Betriebseinrichtungen sowie für Arbeiten von Aufsichtspersonen (Nr. 3,4), - höchstens eine viertel Stunde täglich bei Beendigung der Bedienung von Kundschaft (Nr. 5) (§ 4 AZVO: ohne Differenzierung bis zu zwei Stunden täglich), 3. bei Arbeitsbereitschaft bis zu zehn Stunden täglich für die im Gesetzentwurf genau umschriebenen Personengruppen (§ 13) (gem. § 2 AZVO kraft Tarifvertrag oder subsidiär nach Bestimmung durch den Reichsarbeitsminister), 4. bei Mehrarbeit der gesamten Belegschaft bis zu zwei Stunden täglich und 60 Stunden jährlich (entsprechend § 3 AZVO), wobei ein Überstundenzuschlag in Höhe von 25 Prozent zu zahlen war (§ 14), 5. unbegrenzt in außergewöhnlichen Fällen (§ 15) (entsprechend § 10 AZVO). Überschreitungen des gesetzlichen Normalarbeitstages konnten vereinbart werden 1. erstmalig wahlweise im Wege des Tarifvertrages, der Betriebsvereinbarung oder des Arbeitsvertrages in den Fällen anderweitiger Verteilung der Arbeitszeit (§ 10), - bis zu einer Stunde täglich zum Ausgleich ausgefallener Arbeitsstunden in derselben Woche (Nr. 1), - bis zu zwei Stunden täglich innerhalb bestimmter Fristen zum Ausgleich von Arbeitsausfall infolge eines nichtgesetzlichen Feiertages (Nr. 4) oder außergewöhnlichen Ereignissen (Nr. 5) sowie, allerdings mit Beschränkung auf Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung, aus wirtschaftlichen Gründen (Nr. 2) und bei Schichtarbeit (Nr. 3). Im Unterschied hierzu enthielt § 1 AZVO nur eine dem § 10 Nr. 1 vergleichbare Regelung, so daß die Möglichkeiten zum Zweck anderweitiger Verteilung der Arbeitszeit Ausnahmen vom Achtstundentag zuzulassen, durch das ASchG erheblich erweitert worden wären.

9*

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2. ausschließlich kraft Tarifvertrages - für Mehrarbeit von mehr als 60 Stunden im Jahr bis zu einer Gesamtdauer von 250 Stunden jährlich. Auch diese Mehrarbeit war mit einem 25prozentigen Überstundenzuschlag zu vergüten (§14) (gemäß § 5 AZVO wurde Mehrarbeit generell der tariflichen Regelung unterstellt), - zum Zweck anderer Verteilung der Arbeitszeit in Saisongewerben, wobei nicht für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge der Genehmigung durch die Landesbehörden bedurften (§10 Nr. 6). Schließlich konnte mit behördlicher Genehmigung die Arbeitszeit verlängert werden 1. für Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten anderer Art durch VO des Reichsarbeitsministers (§10 Nr. 6), 2. für Arbeitnehmer, deren Arbeit kraft VO des Reichsarbeitsministers als Arbeitsbereitschaft einzustufen war (§13 III), 3. bei fehlender tariflicher Regelung mit Genehmigung des Arbeitsaufsichtsamtes bis zu 250 Stunden jährlich (§ 14 III) (§ 6 AZVO: bei fehlendem Tarifvertrag mit Genehmigung der Gewerbeaufsichtsbeamten ohne zeitliche Begrenzung). Bezüglich der Strafvorschrift war man wieder zur Rechtslage unter dem Demobilmachungsrecht zurückgekehrt. Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen wurden gemäß § 26 ausnahmslos unter Strafe gestellt. Damit wäre es den Arbeitgebern verwehrt gewesen, sich wie in § 11 I I I AZVO unter Berufung auf die Freiwilligkeit der geleisteten Mehrarbeit strafrechtlichen Sanktionen zu entziehen. Dies waren die wichtigsten Bestimmungen des ASchG, mit denen Brauns hoffte, „ein den Bedürfnissen der deutschen Wirtschaft gerecht werdendes Arbeitszeitrecht" 17 zu schaffen, „die Arbeitnehmerschaft vor einer zu weitgehenden Ausnutzung der Arbeitskraft" zu schützen und „den mit der Einführung des Achtstundentages erreichten Kulturfortschritt" zu sichern. 18 Ob der Entwurf im Falle seines Inkrafttretens diesem hohen Anspruch gerecht geworden wäre, dürfte in Anbetracht der komplizierten und wenig überschaubaren Ausnahmeregelungen zu bezweifeln sein. Jedenfalls hätte das ASchG der Vormachtstellung des Tarifvertrages nach der AZVO zugunsten einer Aufwertung von Arbeitsvertrag und Betriebsvereinbarung ein Ende bereitet. Bei den tiefgreifenden Gegensätzen von Unternehmern und Gewerkschaften in der Arbeitszeitfrage war kaum damit zu rechnen, daß die Arbeitgeber den Weg der tariflichen Einigimg vorziehen würden, wenn sie mit einer innerbetrieblichen Regelung ebenso zum Ziel gelangen konnten. 17 Schreiben Brauns' an den StS. d. Rkei. v. 29. 10. 1926, BA/R 43 I/2019/B1. 191. ι« 37. Sonderheft zum RABl., S. 49.

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Begründet wurde die Reduzierung der Möglichkeiten zu tariflichen Arbeitszeitverlängerungen offiziell mit der Abhängigkeit des Tarifvertrages vom wirtschaftlichen Machtgefüge und dem daraus erwachsenden Mißbrauchsrisiko. 1 9 Das Wesen des öffentlichen Arbeitnehmerschutzes verlange festere Grenzen. Da diese Überlegungen aber in demselben, wenn nicht sogar in stärkerem Maße auch auf innerbetriebliche Regelungen zutreffen, liegt die Vermutung nahe, daß es Brauns vielmehr in erster Linie darum ging, das Arbeitszeitrecht aus dem sozialpolitischen Kampffeld herauszunehmen, um langwierige und kostspielige Entscheidungsschlachten bei Tarifkonflikten von vornherein zu verhindern. Daneben wäre Brauns über das Schlichtungsrecht und die beiden Ermächtigungen zu den Durchführungsverordnungen, Überbleibsel der ursprünglich beabsichtigten Anlehnung an das französische Arbeitszeitgesetz, nach wie vor in der Lage gewesen, lenkend auf die Gestaltung der Arbeitszeit einzuwirken. Das ASchG hätte damit den Einfluß des Staates auf die Gestaltung der Arbeitszeit stabilisiert, den der Gewerkschaften entsprechend der untergeordneten Rolle des Tarifvertrages reduziert und den Arbeitgebern dank der zum Teil noch über die AZVO hinausgehenden Möglichkeiten zu Arbeitszeitverlängerungen eine vergleichsweise günstige Ausgangsposition im Kampf um die Arbeitszeit beschert. 3. Die Auseinandersetzungen um den Arbeitsschutzgesetzentwurf

Sofort stießen die Arbeitszeitvorschriften des ASchG sowohl bei den Arbeitgebern wie auch bei den Arbeitnehmern auf heftige Kritik. Obwohl mit der gesetzlichen Anerkennimg von Betriebsvereinbarung und Arbeitsvertrag eine der ältesten Arbeitgeberforderungen in Erfüllung gegangen war, lehnten diese die Bemühungen Brauns' um eine gesetzliche Neuregelung des Arbeitszeitrechtes aus prinzipiellen Gründen ab. In einer Eingabe vom 30. Juli 1926 klagte die VDA, „der Zeitpunkt für eine Inangriffnahme der endgültigen Regelung der Arbeitszeit (ist) noch nicht gekommen." 20 Die Untersuchungsergebnisse der am 15. April 1926 auf Anregung Lujo Brentanos von der Regierung eingesetzten Wirtschaftsenquete, deren IV. Unterausschuß sich mit dem Verhältnis von Arbeitszeit zu Arbeitsleistung beschäftigte, 2 1 seien unbedingt abzuwarten. In sachlicher Hinsicht störte die Ver19 20

171.

Ebd., S. 36. Eingabe der VDA an Brauns v. 30. 7. 1926 BA/R 13 I/101/B1. 171 - 174, Zit. Bl.

21 RGBl. 1926 I, S. 195 f. Der Untersuchungsausschuß führte seine Arbeiten fort, bis er 1930 wegen Geldmangels eingestellt wurde (vgl. Preller, Sozialpolitik, S. 349). Aber auch ihm gelang es trotz einer veröffentlichten Materialsammlung von 9 Bänden nicht, exakt festzustellen, in welchem Maße die Produktionsleistung von der Dauer der Arbeitszeit beeinflußt wurde. Vgl. Ausschuß zur Untersuchung der Erzeugungsund Absatzbedingungen, Verhandlungen und Berichte des 4. Unterausschusses, Bd. 1-9.

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3. Teil: Weitere Gesetzesvorhaben zur Regelung der Arbeitszeit

einigung besonders der Überstundenzuschlag und die Abschaffung der nach §§5, 6 AZVO kraft Tarifvertrages oder behördlicher Genehmigung zur Disposition stehenden 600 Mehrarbeitsstunden im Jahr. Auf diese Weise nehme man der Gesamtwirtschaft „den Spielraum für die Festsetzung ihres Arbeitszeitoptimums". 22 Insgesamt gefährde das ASchG den „Wirtschaftsfrieden" und führe wegen der „Vernachlässigung der Betriebsvereinbarung", der Strafbarkeit freiwilliger Mehrarbeit und des Schlichtungsmechanismus zu einer „Verewigung des Kampfes" statt zu der dringend nötigen Atempause. 23 Ein Arbeitszeitrecht, das die Vereinbarung von Arbeitszeitverlängerungen ausschließlich in die Hände der Tarifparteien legte, forderten demgegenüber die Arbeitnehmerverbände. Ihrer Meinung nach war es kein Arbeitszeitschutz, „wenn grundsätzlich zwar der Achtstundentag gesetzlich anerkannt wird, aber tatsächlich sogar ohne tarifliche Vereinbarung weitgehende Möglichkeiten zur Überschreitung des Achtstundentages im Einzelarbeitsvertrag gegeben sind." 2 4 Trotz dieser K r i t i k und ungeachtet der Tatsache, daß mittlerweile jedes fünfte Gewerkschaftsmitglied ohne Arbeit war, 2 5 schienen die Gewerkschaften im ersten Halbjahr 1926 allerdings noch bereit, sich mit dem ASchG abzufinden. Denn sie hegten zu diesem Zeitpunkt noch die Hoffnung, das neue Arbeitszeitrecht werde wenigstens zu einer „gründlichen Revision" der AZVO führen und der weitverbreiteten Mehrarbeit ein Ende bereiten. 26 Als im Herbst 1926 aber die Arbeitslosigkeit weiter anzuschwellen drohte und sich ein neuer Höhepunkt der Depression abzuzeichnen begann, änderte sich die Situation schlagartig. Entschlossen, das ASchG nicht mehr abzuwarten, griffen die vier gewerkschaftlichen Spitzenverbände auf Initiative des ADGB h i n 2 7 in die schwebenden Verhandlungen über das Gesetz ein. Angesichts des „Überstundenwesens" verlangten ADGB, AfA, DGB und H.D.-Gewerkverein in einer gemeinsamen Entschließung vom 28. Okt. 1926 die „sofortige Abänderung der geltenden Arbeitszeitbestimmungen im Wege eines Notgesetzes zur Wiederherstellung des Achtstundentages". 28 Die Arbeitszeitverkürzimg sei die „Vorbedingung für die Rückführung des Arbeitslosenheeres in die Betriebe". Hierfür konnten die unterneh22

Eingabe der VDA an Brauns v. 30. 7. 1926, BA/R 13 I/101/B1. 173. Ebd., Bl. 174. 24 GewZ Nr. 25 v. 19. 6. 1926, S. 345; s. a. Vermerk StS. Pünders v. 31. 8. 1926 über die Ressortbesprechung betr. ASchG v. 27. 8. 1926 im RAM, BA/R 43 I/2019/B1. 178. 25 Vgl. Tab. 8 bei Weisbrod, Schwerindustrie, S. 134 f. 26 Jahrbuch des ADGB 1926, S. 62. Eine Blitzumfrage des ADGB ergab, daß im April 1926 ca. 34 % und im Okt. 1926 über 50 % der erfaßten Gewerkschaftsmitglieder länger als 48 Wochenstunden arbeiteten; ebd., S. 64. 27 Vgl. Entschließung des BA des ADGB v. 4./5. 10. 1926, abgedruckt in: GewZ Nr. 41 v. 9. 10. 1926, S. 570. 28 Entschließung des ADGB, AfA, DGB und H.D.-Gewerkvereins v. 28. 10. 1926, abgedruckt in: GewZ Nr. 45 v. 6. 11. 1926 (s. Anlage 12). 23

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merischen Spitzenverbände erst recht kein Verständnis aufbringen. In einer Regierung und Öffentlichkeit am 1. Nov. 1926 übermittelten Erklärung antworteten sie mit ebenso einhelliger Ablehnung: 29 Die Einführung des Achtstundentages würde keineswegs zu Mehreinstellungen, sondern allenfalls zu Preissteigerungen und einem Anwachsen des Arbeitslosenheeres führen. Die Notlage, aufgrund derer die Arbeitszeit „ i m Einvernehmen mit den deutschen Arbeitnehmern" festgelegt worden sei, sei noch nicht überwunden. Die Erklärung Schloß mit der dringenden Bitte an Regierung und Parteien, „das dem Volk drohende Unheil abzuwehren". Obwohl die Forderung der Gewerkschaften für die Arbeitgeber nicht nur einen Rückschritt gegenüber dem geltenden Recht nach der AZVO, sondern auch gegenüber dem im ASchG vorgesehenen Rechtszustand bedeuten mußte, hielten sie ihre grundsätzlichen Einwände vom 30. Juli 1926 unverändert aufrecht. 30 Um jeden Preis wollten die Unternehmer jetzt einen Rechtszustand erhalten, den sie noch wenige Jahre zuvor auf das schärfste bekämpft hatten.

4. Die Fortentwicklung des Entwurfs und seine Verabschiedung im Kabinett

Inzwischen hatte Brauns den Ministerien einen „Referentenentwurf eines Arbeitsschutzgesetzes in abgeänderter Form" übersandt. 31 Das Arbeitszeitrecht dieses Entwurfs wich in nicht wenigen Punkten zugunsten der Arbeitgeberforderungen von der ursprünglichen Vorlage ab. So konnte jetzt mit Genehmigung des Reichsarbeitsministers im Wege tariflicher Vereinbarung über die 250 Stunden hinaus an 360 Stunden im Jahr länger gearbeitet werden (§ 14 IV). Die vormals differenzierte Regelung für Arbeitszeitverlängerungen bei Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten wurde teilweise wieder rückgängig gemacht. Bei Zusammentreffen mehrerer Verlängerungsmöglichkeiten nach § 12 sollte nun die maximale Grenze grundsätzlich bei zwei Stunden täglich liegen. Aber auch der danach zulässige Zehnstundentag konnte zeitlich befristet überschritten werden, wenn Ausnahmen nach § 12 mit anderen Ausnahmebestimmungen zusammentrafen (§12 III). Und schließlich war der Überstundenzuschlag in Höhe des im Washingtoner Übereinkommen festgelegten Satzes von 25 Prozent nicht mehr für alle Arbeitnehmer, sondern nur noch für die gewerblichen Arbeiter vorgeschrieben (§ 14 VI). Brauns drängte Ende Okt. 1926 darauf, den in wenigen Punkten sprachlich nochmals geänderten Entwurf „mit tunlichster Beschleuni29 Schreiben der unternehmerischen Spitzenverbände an Rk. Marx v. 2. 11. 1926, BA/R 43 I/2059/B1. 282; WTB Nr. 1849 v. 1.11.1926, BA/R 43 I/2019/B1.199 (s. Anlage 13). 30 Geschäftsbericht der VDA 1925/26, S. 178. 31 Referentenentwurf eines ASchG in abgeänderter Form nebst Schreiben Brauns' an den StS. d. Rkei. v. 17. 8. 1926, BA/R 43 I/2019/B1. 148 ff.

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gung" im Kabinett zu verabschieden. 32 Seiner Auffassimg nach war dies die einzige Möglichkeit, einem Gegenentwurf zuvorzukommen, den Gewerkschaften und Sozialdemokratie angekündigt hatten, um der Entschließung vom 28. Okt. zum Durchbruch zu verhelfen. 33 Die Minderheitsregierung unter Reichskanzler Marx, eine Koalition aus DDP, DVP, BVP und Zentrum, war auf die Stimmen der SPD im Reichstag angewiesen. Die Regierung mußte daher, wollte sie die Unterstützung der sozialdemokratischen Fraktion beim ASchG nicht von vornherein verlieren, in irgendeiner Weise auf den gewerkschaftlichen Vorstoß reagieren. Während der zur Erörterung dieser Fragen am 9. und 13. Nov. anberaumten Besprechungen mit den Arbeitsmarktparteien suchte sich Brauns zur Erreichung seines Ziels der Unterstützung durch die Industrie zu versichern und die aufgebrachten Gewerkschaften zu beschwichtigen. Die Unternehmer erinnerte er daran, daß die AZVO vom 21. Dez. 1923 stets nur als Provisorium verstanden worden sei. 34 Weiter verwies er auf die taktische Unmöglichkeit, die Verabschiedung des ASchG unter den gegebenen Umständen noch weiter hinauszuschieben. Gegenüber Vertretern der Spitzengewerkschaften hob Brauns die Vorteile einer endgültigen Regelung der Arbeitszeit hervor, welche durch ein Notgesetz nur weiter verzögert werden würde. 35 Überdies erklärte er sich zu einem Entgegenkommen bereit und stellte die Streichung des § 11 AZVO, eine Verstärkung der Strafbestimmungen sowie eine Reform des Schlichtungs- und Einigungswesens als künftige Regierungsmaßnahmen in Aussicht. A l l diese Bemühungen, die Initiativen von SPD und Gewerkschaften in Sachen Arbeitszeitrecht durch sozialpolitische Zugeständnisse der Regierung im Keim zu ersticken, scheiterten letzten Endes an der DVP. Ganz im Sinne der Industrie setzte Reichswirtschaftsminister Curtius auf die Strategie der Verzögerung. Eindringlich warnte er vor „einer überstürzten Beratung und Beschlußfassung unter allen Umständen". 36 Es sei nicht angängig, das ASchG ohne die Ergebnisse der Wirtschaftsenquete verabschieden zu wollen. Jedoch entbehrte diese Warnung jeglicher Grundlage, da, wie Brauns seinem Kollegen vorhielt, der Entwurf seit mehr als zwei Jahren im Reichsarbeitsministerium „auf das sorgfältigste" vorberaten worden sei 37 und er - so Brauns in einem späteren Schreiben 38 - die Wirtschaftsenquete 32 Schreiben Brauns' an den StS. d. Rkei. v. 29. 10. 1926, BA/R 43 I/2019/B1. 191; dazugehörender Entwurf eines ASchG, ZStA/RAM/923/Bl. 115 - 128. 33 Erklärung der SPD-Reichstagsfraktion v. 3. 11. 1926, BA/R 43 I/2059/B1. 287; veröffentlicht in: Vorwärts Nr. 520 v. 4. 11. 1926. 34 Niederschrift über die Besprechung mit der VDA v. 9. 11. 1926, BA/R 43 1/2019/ Bl. 233 - 2 3 9 . 35 Niederschrift über die Besprechung mit Vertretern der Gewerkschaften v. 13.11. 1926, BA/R 43 I/2019/B1. 290 - 293. 36 Schreiben Curtius' an den Rk. v. 2. 11. 1926, BA/R 43 I/2019/B1. 200 - 204. 37 Schreiben Brauns' an den StS. d. Rkei. v. 13. 11. 1926, BA/R 43 I/2019/B1. 243 f.

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niemals in Zusammenhang mit dem ASchG gebracht habe. Außerdem machte Curtius geltend, daß mit einer Annahme des Entwurfs „gleichzeitig die Ratifizierung des Washingtoner Übereinkommen de facto vollzogen ist". Aber auch dieser Einwand erwies sich als nicht stichhaltig. Schon Monate zuvor hatte Brauns dem Reichswirtschaftsminister selbst die vertrauliche Zusage gegeben, die endgültige Lösung der Ratifikationsfrage von der Durchführung entsprechender Gesetze in den Nachbarstaaten abhängig zu machen. 39 Trotz der Braunsschen Entgegnungen war die Verschleppungstaktik des Reichswirtschaftsministers bis Ende Nov. erfolgreich. Dann machte der von Gewerkschaften und Sozialdemokratie in Aussicht gestellte Gegenentwurf eine Regierungsentscheidung unausweichlich. Curtius, der nach wie vor eine „Hinauszögerung der Herausgabe des Entwurfs" verlangte, sah sich am 25. Nov. gezwungen, in die Einzelberatung des ASchG einzutreten. 40 Wenn es ihm hierbei auch nicht gelang, den Entwurf gänzlich den Arbeitgeberwünschen entsprechend umzugestalten, so konnte er nach zähem Ringen mit Brauns doch einige wichtige Änderungen durchsetzen. 41 Vor allen Dingen war praktisch der neunstündige Arbeitstag gesichert. Zu den der Anordnung des Arbeitgebers überlassenen 60 Mehrarbeitsstunden im Jahr trat jetzt die Möglichkeit, zusätzlich an 240 Stunden jährlich im Wege des Tarifvertrages die Arbeitszeit zu verlängern. Weitergehende tarifliche Vereinbarungen konnten mit Genehmigung des Reichsarbeitsministers auf bestimmte Zeit unbegrenzt getroffen werden (§ 14). Ferner sollte der in diesen Fällen vorgeschriebene Mehrarbeitszuschlag anstatt in Höhe von 25 Prozent nur noch in „angemessener Höhe" ausgezahlt werden (§14 VI). Schließlich konnte das Inkrafttreten der Arbeitszeitbestimmungen um drei Jahre hinausgezögert werden, wenn andernfalls eine Gefährdung für die wirtschaftliche Lage einzelner Gewerbe zu befürchten war (§ 58). Damit hatte das ASchG, als es am 26. Nov. 1926 endlich vom Kabinett gebilligt wurde, 42 ein Arbeitszeitrecht erhalten, in dem der ADGB einen „Hohn auf den Achtstundentag" erblickte. 43 Am 1. Dez. 1926 wurde der Entwurf des ASchG dem vorläufigen Reichswirtschaftsrat und dem Reichsrat übersandt. 44 Doch bestand zunächst wenig Aussicht dafür, daß das Gesetz in 38 Schreiben Brauns' an sämtliche Herrn Min. v. 22. 11. 1926, BA/R 43 I/2019/B1. 390-392. 39 Vgl. Vermerk StS. Pünders v. 31. 8. 1926 über die Ressortbesprechung betr. ASchG v. 27. 8. 1926 im RAM, BA/R 43 I/2019/B1. 178; Vermerk Stockhausens über den gegenwärtigen Stand der Arbeitszeitfrage, BA/R 43 I/2019/B1. 179. 40 Prot, der Ministerbesprechung v. 25. 11. 1926, BA/R 43 I/2019/B1. 411. 41 Prot, der Kab.-Si. v. 25. und 26. 11. 1926, BA/R 43 I/2019/B1. 406 - 409, 414; s. a. Schreiben Curtius' an den Rk. v. 20. 11. 1926, BA/R 43 I/2019/B1. 395 - 399. 42 Prot, der Kab.-Si. v. 26. 11. 1926, ebd., Bl. 414. 43 Entschließung des BA des ADGB v. 16. 2. 1927, abgedruckt in: GewZ Nr. 9 v. 26. 2. 1927, S. 118. 44 Vgl. Reichswirtschaftsrat 1927 - 1932, S. 111 f.; Drucksachen des RR 1926, Nr. 195.

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absehbarer Zeit von den gesetzgebenden Körperschaften verabschiedet werden konnte. So rechnete man Ende 1926 mit ein bis eineinhalb Jahren 45 - eine wenig realistische Einschätzung, erst Anfang 1929 gelangte der Entwurf an den Reichstag. Bis dahin aber hatten die wirtschaftlichen Verhältnisse die Arbeitszeitvorschriften längst überholt. Noch im Winter 1926/27 machten die anhaltende Arbeitslosigkeit und der wachsende Druck von Gewerkschaften und Sozialdemokratie eine Entscheidung über die Abänderung der AZVO unumgänglich. II. Der Weg zum Arbeitszeitnotgesetz (Gesetz zur Änderung der Arbeitszeitverordnung) vom 14. April 1927 Noch während die Beratungen über das ASchG liefen, waren die Auseinandersetzungen über das Arbeitszeitrecht mit der Forderung der vier Spitzengewerkschaften nach einem Notgesetz zur Wiederherstellung des Achtstundentages in eine neue Phase eingetreten. Die Arbeitslosigkeit, das Kernproblem aller Sozialpolitik der Nachkriegszeit, wurde zum beherrschenden Thema der arbeitszeitpolitischen Diskussion im Winter 1926/27. Da mit dem Inkrafttreten des ASchG in naher Zukunft nicht zu rechnen war, trat immer stärker der Gedanke gesetzgeberischer Sofortmaßnahmen in den Vordergrund. 1. Arbeitszeitrecht in der Regierungskrise Ende 1926

Um ihrer Forderimg nach Verkürzung der Arbeitszeit Nachdruck zu verleihen, hatte Theodor Leipart Brauns noch im Anschluß an die Besprechung vom 13. Nov. den angekündigten Gewerkschaftsentwurf eines Notgesetzes zur Verkürzung der Arbeitszeit überreicht. 46 Oberste Prämisse des Entwurfs war die Wiederherstellung des achtstündigen Maximalarbeitstages. Zu diesem Zweck sollten folgende Kernbestimmungen der AZVO zu Fall gebracht werden: - die Befugnis des Arbeitgebers, an 30 Tagen im Jahr die Arbeitszeit zu verlängern (§ 3 AZVO), - die Zulassung von Mehrarbeit kraft Tarifvertrages oder subsidiär mit behördlicher Genehmigung (§§ 5, 6 AZVO), 45 Vermerk StS. Pünders v. 31. 8. 1926 über die Ressortbesprechung betr. ASchG v. 27. 8. 1926 im RAM, BA/R 43 I/2019/B1.178; Curtius in der Besprechung mit der VDA v. 9. 11. 1926: „Es ist kaum anzunehmen, daß sie (die Vorlage) vor Frühjahr 1927 an den Reichstag gelangt", BA/R 43 I/2019/B1. 238. 46 Vgl. Schreiben Brauns' an den StS. d. Rkei. v. 20. 11. 1926 nebst Entwurf eines Notgesetzes zur Verkürzung der Arbeitszeit (s. Anlage 14), BA/R 43 I/2059/B1. 296-298.

II. Der Weg zum Arbeitszeitnotgesetz vom 14. A p r i l 1927

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- die Straffreiheit des Arbeitgebers bei Annahme freiwillig geleisteter Mehrarbeit (§ 11 I I I AZVO). Übrig blieben damit nur noch Möglichkeiten zu Arbeitszeitverlängerungen in Notfällen (§ 10), bei Arbeitsbereitschaft (§ 2) sowie für Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten (§ 4). Dabei sollten Überschreitungen des Achtstundentages aus den beiden zuletzt genannten Gründen um einer Stärkung der Tarifautonomie willen nur nach Vereinbarung zwischen den Arbeitsmarktparteien zulässig sein. Die Festsetzung einer zehnstündigen Höchstgrenze, die, abgesehen von Notfällen, unter keinen Umständen überschritten werden durfte (§ 9), rundete den Gesetzentwurf ab. Dieser Extrakt gewerkschaftlicher Arbeitszeitpolitik konnte auf Regierungsebene nicht mehr ignoriert werden, denn das Kabinett stand seit Mitte Nov. in laufenden Verhandlungen mit der Sozialdemokratie über eine Koalitionserweiterung nach links. Differenzen über Fragen der Erwerbslosenund Krisenfürsorge, in deren Verlauf das Abstimmungsverhalten von SPD und DNVP im Reichstag die Koalition beinahe gesprengt hatte, waren für diesen Schritt ausschlaggebend gewesen.47 Die Sozialdemokraten aber machten die Klärung einiger wichtiger Fragen wie der des Arbeitszeitrechts zur Voraussetzung für ihre Mitarbeit. 4 8 Andernfalls gedachten sie den Gewerkschaftsentwurf offiziell im Reichstag einzubringen. Ob der Entwurf dort jedoch ohne weiteres beiseite geschoben werden konnte, war in Anbetracht der unsicheren Mehrheitsverhältnisse äußerst zweifelhaft. Derart unter Druck gesetzt, konnten die Regierungsparteien die Entscheidung über eine Abänderung der AZVO nicht länger hinausschieben. Einen wichtigen Fürsprecher in dieser Frage hatte die SPD im Reichsarbeitsminister. Für Brauns und seine Partei war es unbestreitbar, daß man sozialpolitische Fragen „nur zusammen mit der Sozialdemokratie befriedigend lösen" könne. 49 Noch am 26. Nov. hatte Brauns deshalb an die bürgerlichen Minister den dringenden Appell gerichtet, sich über „gewisse Maßnahmen gegen die immer mehr überhand nehmenden Mißstände, insbesondere in der Überstundenfrage", zu verständigen. 50 Die dazu erforderlichen Schritte waren von ihm bereits kurz vorher eingeleitet worden. Brauns war sich hierbei von Anbeginn an darüber im klaren, daß eine Abänderung der AZVO in keinem Fall soweit gehen konnte wie der Gewerkschaftsentwurf, der Mehrarbeit praktisch ausschloß. Er beabsichtigte vielmehr, den gewerkschaftlichsozialdemokratischen Vorstoß im Kern durch den Versuch zu umgehen, die allzusehr auf eine Förderung von Mehrarbeit angelegten Bestimmungen der AZVO an die gegenwärtige Arbeitsmarktlage anzupassen. Nach der zu 47

Vgl. Stürmer, Koalition, S. 165 f. Prot, der Ministerbesprechung v. 11.11. 1926, BA/R 43 I/1416/B1. 239 - 242. 49 Prot, der Ministerbesprechung v. 13. 12. 1926, BA/R 43 I/1417/B1. 237 - 242. so Prot, der Kab.-Si. v. 26. 11. 1927, BA/R 43 I/2019/B1. 418. 48

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3. Teil: Weitere Gesetzes vorhaben zur Regelung der Arbeitszeit

diesem Zweck von Brauns Anfang Nov. eingeholten Stellungnahme der Gewerbeaufsicht 51 kamen hierfür insbesondere in Betracht die weitreichenden Befugnisse der Behörden, die Möglichkeiten, den Zehnstundentag zu überschreiten, und die Straflosigkeit des Arbeitgebers bei der Annahme oder Duldung freiwilliger Mehrarbeit (§11 I I I AZVO). Da die Unternehmer vielfach die „Freiwilligkeit" der geleisteten Mehrarbeit benutzten, um sich der Strafe zu entziehen und „Überstunden nach § 11 I I I " anzuordnen, war nach Meinung der Gewerbeaufsichtsbeamten gerade durch diese Bestimmung die Durchführung der AZVO nicht unbeträchtlich erschwert worden. In einer Parteiführerbesprechung am 30. Nov. 1926 legte Brauns seine Pläne für eine Abänderung der AZVO vor. 5 2 Für die behördlichen Überstundengenehmigungen enthielt der Entwurf nun eine zeitlich befristete Bindung an die Arbeitszeitregelungen abgelaufener Tarifverträge. Waren seit dem Außerkrafttreten der tariflichen Vereinbarung noch keine drei Monate verstrichen, so sollten die Gewerbeaufsichtsbeamten nur die nach dem letzten Vertrag gültige Arbeitszeit zulassen (§ 6). Überarbeit aus allgemeinwirtschaftlichen Gründen sollte nur noch gestattet sein, wenn ein angemessener Überstundenzuschlag sichergestellt war. Außerdem war eine Überschreitung der zehnstündigen Arbeitszeit (§9) sowie des Achtstundentages in gesundheitsgefährdenden Betrieben (§7) nur mehr mit befristeter Genehmigimg der Gewerbeaufsichtsbeamten zulässig. § 11 I I I AZVO sollte gänzlich abgeschafft werden. Die DVP und ihr Reichswirtschaftsminister brachten dem Entwurf jedoch heftigen Widerstand entgegen. Von Anfang an erschwerte Curtius die Besprechungen dadurch, daß er eine Regelung der Arbeitszeit durch ein Notgesetz überhaupt ablehnte und Verwaltungsmaßnahmen zur Eindämmung von Mehrarbeit für ausreichend erachtete. 53 Nach längerer Debatte spitzten sich die Auseinandersetzungen auf die beabsichtigte Streichung des § 11 I I I AZVO zu, der sich vor allem der DVP-Vorsitzende Scholz auf das entschiedenste widersetzte. Nach erneuten Verhandlungen innerhalb einer aus Mitgliedern der Regierungsparteien zusammengesetzten Kommission gelang es schließlich, sich auf eine im Vergleich zur AZVO zwar eingeschränkte, aber gleichwohl auslegungsfähige Fassung der Strafvorschrift zu einigen. 54 Danach sollte der Arbeitgeber bei freiwillig geleisteter Mehrarbeit dann straffrei bleiben, wenn der Arbeitnehmer nicht befürchten mußte, daß „ihm aus der Nichtleistung der Mehrarbeit eine Benachteiligung seitens des Arbeitgebers erwachsen würde". Am 1. Dez. 51 Vgl. Schreiben des Präs. d. R.arb.verw. (Abt. Gewerbeaufsicht) an Brauns v. 16. 11. 1926, ZStA/RAM/1845/Bl. 290 - 292. 52 Prot, der Parteiführerbesprechung v. 30. 11. 1926 nebst Entwurf (s. Anlage 15), BA/R 43 I/2059/B1. 308 - 310. 53 Ebd., Bl. 308. 54 Prot, der Parteiführerbesprechung v. 1. 12. 1926 nebst geändertem Entwurf (s. Anlage 16), BA/R 43 I/2059/B1. 415 - 417.

II. Der Weg zum Arbeitszeitnotgesetz vom 14. April 1927

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1926 erteilte die DVP-Fraktion dem derart geänderten Regierungsentwurf „mit geringer Mehrheit", wie Scholz warnend hinzufügte, ihre Zustimmung. 55 Noch an demselben Tag bot die Regierung den Entwurf der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion als Basis für eine Koalitionserweiterung an. Obwohl die Bestimmungen parteioffiziell als „völlig unbefriedigend" dargestellt wurden, erklärte sich die SPD dennoch bereit, auf Basis der Regierungsvorlage weiter zu verhandeln und zu diesem Zweck eigene Änderungsvorschläge auszuarbeiten. 56 Bevor diese allerdings formuliert waren, ging die DVP zur Offensive über. In einer auf sehnerregenden Rede am 5. Dez. 1926 in Insterburg erklärte Scholz unmißverständlich, in einer Großen Koalition „wäre ein Arbeiten mit der Sozialdemokratie in der eminent wichtigen und entscheidenden Frage des Arbeitszeitrechtes . . . unmöglich." Seine Partei sehe „das Ideal in dem Zusammenarbeiten aller bürgerlichen Parteien und Kräfte". 5 7 Diese Rede konnte die SPD nur als Aufkündigung der bisherigen lockeren Zusammenarbeit auffassen, als „offene Kriegserklärung" an den Gedanken einer Großen Koalition. 5 8 Sie reagierte mit scharfen Angriffen auf die Regierungspolitik. Am 17. Dez. 1926 stürzte die Regierung Marx über einen von den Sozialdemokraten eingebrachten Mißtrauensantrag, den die DNVP, die Regierungsbeteiligung vor Augen, nur zu bereitwillig unterstützt hatte. Damit waren die Hoffnungen auf eine Wiederbelebung der Großen Koalition gescheitert. Erledigt war aber auch der Versuch, nach jahrelangem Ringen endlich einen arbeitszeitrechtlichen Kompromiß zwischen den Interessen der Industrie, vertreten durch die DVP, und den gewerkschaftlichsozialdemokratischen Vorstellungen zu finden. Für das Kabinett kam nur mehr eine Bindung nach rechts in Frage, wollte es regierungsfähig bleiben. Bei einer Einbeziehung der DNVP war aber wegen der Repräsentanz schwerindustrieller Interessen klar, daß eine Abänderung der AZVO, wenn sie überhaupt erfolgen würde, den gewerkschaftlichen Forderungen kaum in dem Maße entsprechen würde, wie es bei einer Regierungsbeteiligung der SPD der Fall gewesen wäre. 2. Regierungsneubildung und der Entwurf eines Gesetzes zur Abänderung der Arbeitszeitverordnung vom 10. Februar 1927

Am 29. Jan. 1927 wurde das vierte Kabinett Marx gebildet, eine Bürgerblockregierung, an der zum zweiten Mal in der Weimarer Republik neben DDP, DVP, BVP und Zentrum auch die DNVP beteiligt war. Vorangegangen 55 56 57 58

Ebd., Bl. 415. Vorwärts Nr. 569 v. 3. 12. 1926; Vorwärts Nr. 575 v. 7. 12. 1926. Zit. nach Stürmer, Koalition, S. 171 f. Vorwärts Nr. 575 v. 7. 12. 1926.

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3. Teil: Weitere Gesetzes vorhaben zur Regelung der Arbeitszeit

war ein längeres Tauziehen, da sich das Zentrum mit Rücksicht auf seinen christlichen Gewerkschaftsflügel bis zuletzt gegen das Bündnis mit der DNVP gesträubt hatte. 59 Es bedurfte nachhaltiger Intervention des Reichspräsidenten und der Erstellung eines Arbeitsprogramms, in dem das Zentrum seine Partner vor allem auf die künftigen Aufgaben der Sozialpolitik festlegte, um diesen Widerstand zu überwinden. Ähnlich wie bei der Hochofen· und Kokerei VO vom 20. Jan. 1925 machte das Zentrum hierbei die Regelung der Arbeitszeit „auf der Grundlage der Entwürfe der bisherigen Regierung" zur Bedingung für eine Koalition mit der DNVP. 6 0 Erneut stand damit die Abänderimg der AZVO auf der Tagesordnung. Am 3. Feb. 1927 gab Reichskanzler Marx im Reichstag offiziell bekannt: „Noch vor Inkrafttreten der neuen Arbeitszeitregelung sollen . . . durch Übergangs- und Notmaßnahmen Mißstände auf dem Gebiet der Arbeitszeit beseitigt werden." 6 1 Den Anstoß für eine beschleunigte Abänderung der AZVO vom 21. Dez. 1923 gab allerdings die in der Opposition stehende SPD. Sie brachte einen Tag nach der Regierungserklärung den angekündigten Gegenentwurf auf Basis der Gewerkschaftsvorschläge im Reichstag ein. 62 Um diesem Antrag wirksam entgegentreten zu können und eine Vertagung durchzusetzen, bedrängte jetzt der Interfraktionelle Ausschuß die Regierung, alsbald eine eigene Vorlage zu verabschieden. 63 Wenige Tage später kam Brauns der Aufforderung nach und legte in einer Ressortbesprechung am 10. Feb. 1927 den Entwurf eines Gesetzes zur Abänderung der AZVO vor, 6 4 den er selbst nur als „vorläufige Regelung der Arbeitszeitfrage" bezeichnete. 65 Der Entwurf, der wegen seiner Eilbedürftigkeit weder mit den Landesregierungen noch mit dem vorläufigen Reichswirtschaftsrat abgesprochen worden war, 6 6 stützte sich im Kern auf die Vorlage der alten Regierung. In seinen Abweichungen berücksichtigte er jedoch stärker die Forderungen der Gewerkschaften und Unternehmer. Wie der vom 1. Dez. 1926 sah auch dieser Entwurf eine Bindung behördlicher Genehmigungsbefugnisse an die Arbeitszeitregelungen abgelaufener Tarifverträge und die Festsetzung eines angemessenen Überstundenzuschlags vor (§ 6). Darüber hinaus kam er den Arbeitgebern und damit auch dem 59

Zur Regierungsbildung vgl. Stürmer, Koalition, S. 182 ff. Ebd., S. 189; s. a. Schulthess, Geschichtskalender 1927, S. 13 ff., 18 f. 61 Verhandlungen des RT, Bd. 391, S. 8794. 62 Entwurf eines Gesetzes betr. Abänderung der VO über die Arbeitszeit v. 21. 12. 1923, Verhandlungen des RT, Bd. 413, Nr. 2961 (v. 4. 2. 1927). 63 Vgl. Bericht StS. Pünders in der Kab.-Si. v. 8. 2. 1927, BA/R 43 I/1418/B1. 218. 64 Entwurf eines Gesetzes über die Abänderung der AZVO nebst Schreiben Brauns' an den StS. d. Rkei. v. 10. 2. 1927, BA/R 43 I/2060/B1. 30 - 32. 65 Prot, der Kab.-Si. v. 16. 2. 1927, BA/R 43 I/1418/B1. 359 f. 66 Der Entwurf wurde dem RWR zwar nachträglich am 25. 2. 1927 übersandt. Dieser sah sich aus Zeitgründen jedoch außerstande, ein Gutachten zu erstellen. Vgl. Drucksachen des RWR, Nr. 355 A, S. 3. 60

II. Der Weg zum Arbeitszeitnotgesetz vom 14. April 1927

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rechten Kabinettsflügel dadurch entgegen, daß Überschreitungen des Zehnstundentages in gesundheitsgefährdenden Betrieben künftig mit befristeter Genehmigung der Gewerbeaufsichtsbeamten „aus dringenden Gründen des Gemeinwohls" zulässig sein sollten (§ 9). Da nach § 9 AZVO derartige Arbeitszeitverlängerungen ausdrücklich untersagt waren, ging Brauns mit dieser Bestimmung noch über das geltende Arbeitszeitrecht hinaus. Wegen der durch das Genehmigungserfordernis gewährleisteten Kontrolle hielt er eine solche Erweiterung jedoch für unbedenklich. 67 Den Wünschen der Gewerkschaften entsprach Brauns insoweit, als der umstrittene § 11 I I I AZVO wieder fallengelassen wurde. Zudem sollte die einst mit Rücksicht auf den oberschlesischen Bergbau geschaffene Möglichkeit, 68 den sanitären Maximalarbeitstag um eine halbe Stunde zu überschreiten, „wenn es sich in langjähriger Übung als unbedenklich erwiesen hat" (§7 1 AZVO), abgeschafft werden. In der Besprechung vom 10. Feb. 1927 selbst gelang es Brauns, die Zustimmung des Reichsfinanzministers Köhler (Zentrum), des Reichsverkehrsministers Koch (DNVP) und des Reichspostministers Schätzel (BVP) zu seinen Plänen zu erhalten. Reichswirtschaftsminister Curtius dagegen legte Widerspruch ein. 69 Da in Anbetracht der getroffenen Koalitionsabsprachen das Gesetz als solches nicht mehr zu verhindern war, konnte es Curtius jetzt nur noch darum gehen, das Ausmaß der unumgänglichen Zugeständnisse auf ein Minimum zu beschränken. In sachlicher Hinsicht erhob er deshalb sofort „schwerwiegende Bedenken" gegen die beabsichtigten Änderungen der § 7 und § 11 AZVO. 7 0 Da in Oberschlesien die Tarifverträge gekündigt worden seien, befürchtete Curtius, die geplante Änderung des § 7 AZVO werde bei den zu erwartenden Arbeitszeitkonflikten als einseitige „Stellungnahme der Reichsregierung für die Arbeiterschaft" aufgefaßt werden. Im Hinblick auf § 11 I I I AZVO forderte er die Wiederherstellung des Kompromißvorschlags der früheren Regierungsparteien, der ihm jetzt als das geringere Übel erscheinen mußte. Während Brauns sich in der anschließenden Kabinettssitzung am 16. Feb. bereit erklärte, Curtius im ersten Punkt entgegenzukommen und von einer Änderung des § 7 AZVO Abstand zu nehmen, hielt er an der Aufhebung des § 11 I I I AZVO jedoch hartnäckig fest. 71 Zur Begründung verwies er auf die grundlegend veränderte politische Situation. Damals habe die SPD wegen der anstehenden Regierungsbeteiligung „nicht so ent67

So Brauns in der erst am 22. 2. 1927 nachgereichten Begründimg, ZStA/RAM/ 1845/B1. 267 - 281, hier Bl. 270. 68 s. o. 2. Teil, III., 8. 69 Zur Ressortbesprechung v. 10. 2. 1927 vgl. den Vortrag Stockhausens, BA/R 43 1/ 2060/B1. 33; s. a. Schreiben Brauns' an den StS. d. Rkei. v. 12. 2.1927, BA/R 431/2060/ Bl. 30. 70 Schreiben Curtius' an Brauns v. 14. 2. 1927, BA/R 43 I/2060/B1. 34 f., Prot, der Kab.-Si. v. 16. 2. 1927, BA/R 43 I/1418/B1. 359 - 361. 7 1 Prot, der Kab.-Si. v. 16. 2. 1927, ebd., Bl. 360 f.

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3. Teil: Weitere Gesetzesvorhaben zur Regelung der Arbeitszeit

schieden Stellung genommen, wie sie es jetzt als Oppositionspartei tun würde." Bliebe der § 11 I I I AZVO erhalten, „so wäre die Wirkung der zu erwartenden Angriffe nicht abzusehen." 72 Diesen Auseinandersetzungen zwischen Reichsarbeitsministerium und Reichswirtschaftsministerium, die sich wahrscheinlich noch länger hingezogen hätten, bereitete Marx ein vorzeitiges Ende. Er regte an, zunächst nur einen vorläufigen Beschluß über den Entwurf zu fassen und diesen dem Interfraktionellen Ausschuß vorzulegen. Erst wenn der Ausschuß zugestimmt habe, solle die Vorlage endgültig vom Kabinett verabschiedet werden. 73 Obwohl Brauns eindringlich davor warnte, eine möglicherweise hinhaltende Entscheidung zu treffen, stimmten die Minister aus den Reihen der DVP und DNVP dem Vorschlag des Reichskanzlers bereitwillig zu. Für sie bot sich auf diese Weise die willkommene Gelegenheit, Zeit zu gewinnen. Das Kalkül der Rechtsparteien ging allerdings nicht auf. Unter Mißachtung des Kabinettsbeschlusses sorgte Brauns dafür, daß der Entwurf an den Reichsrat gelangte, ohne daß er noch einmal im Kabinett beraten worden war. 7 4 Zuvor hatte der Interfraktionelle Ausschuß das Vorgehen des Reichsarbeitsministers gebilligt. 7 5 Die Zustimmung der übrigen Minister war im Umlaufverfahren eingeholt worden. 76 Gegenüber seinen Kollegen rechtfertigte Brauns diese ungewöhnliche Verfahrensweise mit dem wachsenden Druck des linken Reichstagsflügels. 77 In Wirklichkeit stellte es jedoch den Versuch dar, die Opposition des Reichswirtschaftsministers taktisch zu unterlaufen und die weiteren Beratungen unter den Druck der öffentlichen Meinung zu stellen. 78 3. Die Umgestaltung des Entwurfs im Interfraktionellen Ausschuß und seine Verabschiedung in Reichsrat und Reichstag

Trotz des klugen Schachzuges des Reichsarbeitsministers mußte die eigentliche Entscheidung über die Abänderung der AZVO in dem eigens für die Beratung der Arbeitszeitfrage eingesetzten Unterausschuß des Interfraktionellen Ausschusses erst noch fallen. Dessen Besetzung war bereits recht aufschlußreich dafür, in welche Richtung der angestrebte Kompromiß zwischen den Arbeiter- und Industrieinteressen gehen würde: Drei christlichen Gewerkschaftsvertretern aus den Reihen des Zentrums und der BVP standen vier Parteimitglieder der DVP und DNVP gegenüber, die allesamt als Vertrauensleute der RVDI galten. 79 Hauptstreitpunkte der seit Ende Feb. 72

Ebd., Bl. 360. Ebd., Bl. 360. 74 Schreiben Brauns' an den RR v. 22. 2. 1927, ZStA/RAM/1845/Bl. 266. 75 Vgl. Vermerk des StS. d. Rkei. v. 19. 2. 1927, BA/R 43 I/2060/B1. 42. ™ Prot, der Ministerbesprechung v. 23. 2. 1927, BA/R 43 I/2060/B1. 61. 77 Ebd., Bl. 61. 78 Vgl. Stürmer, Koalition, S. 205. 79 Mitglieder: Stegerwald (Zentrum), Becker (Zentrum), Schwarzer (BVP), Rade73

II. Der Weg zum Arbeitszeitnotgesetz vom 14. April 1927

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1927 laufenden Verhandlungen bildeten die geplante Aufhebung des § 11 I I I AZVO und der Überstundenzuschlag. Von Anfang an trachteten die DVPund die DNVP-Abgeordneten danach, sich dieser ungeliebten Neuerungen zu entledigen. Da sich das Zentrum der von den Industrievertretern geforderten Beibehaltung der Straffreiheit des Arbeitgebers bei freiwillig geleisteter Mehrarbeit jedoch „sehr scharf" widersetzte, mußte man auf Arbeitgeberseite nach einem anderen Weg suchen, „um der Industrie zu helfen". 80 Hier bot sich die Möglichkeit an, die Ausnahmebestimmungen der §§9 und 10 AZVO so weit zu fassen, daß die verlangte Streichung des § 11 I I I AZVO bedeutungslos wurde. Also stellten die DVP-Abgeordneten Pfeffer und von Raumer derart weitgehende Forderungen, daß der Eindruck entstand, „als wollten sie noch über den bisherigen Zustand hinaus Ausnahmen für Mehrarbeit zulassen". 81 Das Zentrum, zu einem Entgegenkommen in der Frage der Ausnahmebestimmungen bereit, setzte dagegen aber die Bedingung, die über acht Stunden hinausgehende Mehrarbeit gesetzlich mit einem Überstundenzuschlag in Höhe von 25 Prozent zu belegen. Nun gerieten die Industriellen in einen internen Interessenkonflikt. Denn der Überstundenzuschlag, der in manchen Betrieben der weiterverarbeitenden Industrie bereits bezahlt wurde, mußte für die Schwerindustrie wegen der tariflich vereinbarten Zehnstundenschicht ohne finanziellen Ausgleich eine Lohnerhöhung von fünf Prozent bedeuten. 82 Rademacher und von Raumer versuchten deshalb, den Zuschlag in den Fällen zu beseitigen, in denen eine längere Arbeitszeit tariflich vereinbart war. Außerdem sollte die Höhe des Zuschlags nicht im Gesetz selbst festgelegt werden, sondern den Verhandlungen der Tarifparteien bzw. dem Schlichter überlassen werden. Zudem verlangte Rademacher, daß die geänderten Vergütungsregeln „ i n keinem Fall" vor dem 1. Okt. 1927 in Kraft treten dürften. 83 Als der Ausschuß in der zweiten Märzhälfte seine Arbeiten beendete, war es den Arbeitgebervertretern gelungen, sich in beinahe allen Punkten durchzusetzen. Die auf den ersten Blick überraschend anmutende Kompromißhaltung der christlichen Gewerkschaftler hatte ihren Grund darin, daß dem Zentrum durch den Druck der industriellen „Einheitfront" nur die Wahl blieb, entweder nachzugeben oder die Zusammenarbeit aufzukündigen. 84 Einen Bruch des erst jungen Kabinetts aber wollte die Partei unbedingt vermeiden. Am 22. März macher (DNVP), Leopold (DNVP), Moldenhauer (DVP) und später v. Raumer (DVP); vgl. den Bericht Rademachers an Graf Westarp v. 1. 3.1927, abgedruckt bei: Stürmer, Koalition, Anhang VIII, S. 304 - 307. 80 Ebd., S. 305. 81 Vgl. Schreiben Stockhausens an StS. Pünder v. 18. 3. 1927, BA/R 43 1/2060/ Bl. 70. 82 Bericht Rademachers an Graf Westarp v. 1. 3. 1927, abgedruckt bei: Stürmer, Koalition, Anhang VIII, S. 304 - 307, hier: S. 305. 83 Ebd., S. 306. 84 Ebd., S. 304. 10 Bischoff

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3. Teil: Weitere Gesetzesvorhaben zur Regelung der Arbeitszeit

1927 billigte der Interfraktionelle Ausschuß die Vorlage seines Unterausschusses.85 Einen Tag später wurde der Entwurf eines Gesetzes zur Abänderung der AZVO in unveränderter Form vom Kabinett gutgeheißen. 86 Die auf Seiten der Industrie stehenden Abgeordneten konnten mit dem Ergebnis ihrer Taktik durchaus zufrieden sein. Abgesehen von der Beibehaltung des geänderten § 6 AZVO, hatte der verabschiedete Entwurf nichts mehr gemeinsam mit den Vorschriften vom 10. Feb. 1927. Der Wegfall der Straffreiheit des Arbeitgebers bei freiwilliger Mehrarbeit wurde durch die Ausdehnung der in den § 9 und § 10 AZVO enthaltenen Möglichkeiten zur Überschreitung der achtstündigen Arbeitszeit vollständig kompensiert. Zu den bislang nach § 10 AZVO vorgesehenen Ausnahmen in Notfällen trat jetzt die Befugnis des Arbeitgebers, zur Abwendimg eines „unverhältnismäßigen Schadens" die Arbeitszeit unbegrenzt zu verlängern, wenn ihm eine andere Vorkehrung nicht „zugemutet" werden konnte. Überschreitungen der Zehnstundengrenze des § 9 AZVO waren nicht nur, wie in den vorhergehenden Entwürfen, mit befristeter Genehmigung der Behörde aus dringenden Gründen des Gemeinwohls zulässig; auch für Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten konnte länger als zehn Stunden gearbeitet werden, wenn ein Ersatz des Arbeitnehmers durch andere Betriebsangehörige nicht möglich war und „die Heranziehung betriebsfremder Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden kann." VQn großer Bedeutung war ferner die Relativierung des Überstundenzuschlags. Seine Regelung sollte allerdings nicht, wie von der Industrie gefordert, am 1. Okt., sondern bereits am 1. Juli 1927 in Kraft treten. Als angemessene Vergütung galten nach dem neu eingefügten § 6 a AZVO 25 Prozent, „sofern die Beteiligten nicht nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eine andere Regelung vereinbaren oder besondere Umstände eine solche rechtfertigen." Im Streitfall entschied bindend der Schlichter. Ein Zwang zur Entrichtung des Zuschlages sollte überdies nach der später beigegebenen Begründung des Reichsarbeitsministers nicht bestehen für Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten sowie in Notfällen. Aber auch bei der „Verlängerung der Schichtdauer durch Arbeitsbereitschaft nach § 2 und bei gewissen Saisonarbeiten würde der Zwang, für die über acht Stunden hinausgehende Arbeit eine besondere Vergütung zu gewähren, unter Umständen ungerecht wirken." 8 7 Nachdem der Entwurf in dieser Fassung vom Reichsrat gebilligt worden war, 8 8 wurde er am 31. März 1927 dem Reichstag übermittelt. 8 9 Die erfolgte 85

Vgl. Prot, der Kab.-Si. v. 22. 3. 1927, BA/R 43 I/1419/B1. 260. Prot, der Kab.-Si. v. 23. 3. 1927 nebst Entwurf eines Gesetzes zur Abänderung der AZVO (s. Anlage 17), BA/R 43 I/1419/B1. 271 - 273. 87 Die Begründung zu dem geänderten Entwurf findet sich erst in: Verhandlungen des RT, Bd. 414, Nr. 3245, Zit. S. 3. 88 Niederschriften über die Vollsitzungen des RR 1927, § 197 (v. 31. 3. 1927). 89 Verhandlungen des RT, Bd. 414, Nr. 3245. 86

II. Der Weg zum Arbeitszeitnotgesetz vom 14. April 1927

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Annäherung an die industriellen Vorstellungen sicherte dort eine rasche Verabschiedung. Nach einer ersten Lesung am 2. April passierte der Entwurf innerhalb von zwei Tagen den sozialpolitischen Ausschuß und wurde am 8. April nach dritter Lesung mit knapper Mehrheit von 195 zu 184 Stimmen vom Reichstag angenommen. 90 Entgegen dem Beschluß des Interfraktionellen Ausschusses gab es bei der Endabstimmung beträchtliche Lücken in den Reihen der DVP und DNVP, denen die Vorschriften anscheinend auch jetzt noch nicht weit genug gingen. Aber auch genügend sozialdemokratische Abgeordnete blieben der Abstimmung fern, um das Gesetz reibungslos durchgehen zu lassen. 91

4. Reaktionen auf das Arbeitszeitnotgesetz

Das sogenannte AZnotG wurde am 14. April 1927 verkündet und trat am 1. Mai 1927 in Kraft. 9 2 Als Notregelung trug das Gesetz deutlich den „Stempel des Kompromisses" 93 und konnte weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer zufriedenstellen. Waren die Gewerkschaften aller Richtungen noch am 28. Okt. 1926 gemeinsam für die Wiederherstellung des Achtstundentages durch ein Notgesetz eingetreten, so zerbrach dieser Konsens mit der Abänderimg der AZVO. Noch während die Beratungen im Interfraktionellen Ausschuß liefen, hatten ADGB, AfA und H.D.-Gewerkverein in einer an die Reichsregierung gerichteten Eingabe gegen das kommende Arbeitszeitrecht protestiert, das unverändert Arbeitszeitverlängerungen „bis zu zehn Stunden und darüber hinaus" zulasse.94 Das Gesetz entspräche „nicht im mindesten den berechtigten Wünschen der Arbeiter und Angestellten". Dies sei die Position der Arbeitnehmer, „auch wenn aus politischen Gründen der christliche Deutsche Gewerkschaftsbund glaubte, diese Erklärung nicht unterzeichnen zu können." In der Tat brachte das AZnotG in der Fassung vom 14. April nur die Erfüllung einer einzigen gewerkschaftlichen Forderung, nämlich die Aufhebung des § 11 I I I AZVO. Insgesamt aber war das Gesetz einen ganz anderen als den von den Arbeitnehmerverbänden geforderten Weg gegangen, indem es Mehrarbeit nicht grundsätzlich abschaffte, sondern sie nur verteuerte. „Die Gewerkschaften", so der ADGB, „haben keine gesetzlichen Überstundenzuschläge gefordert, weil sie keine Überstunden mehr wollten. Sie hofften, die über acht Stunden täglich erforderliche Arbeitszeit auf Arbeitslose verteilen zu können." 9 5 Es war bei dieser Sachlage nicht verso Verhandlungen des RT, Bd. 393, S. 10659 ff. 91 Bei der DVP fehlten von 51 Abg. 19, bei der DNVP von 110 Abg. 17 und bei der SPD von 131 Abg. 13. 92 RGBl. 1927 1, S. 109-112. 93 Syrup, Gesetzliche Bestimmungen, S. 7; ders., Sozialpolitik, S. 281. 94 Eingabe von ADGB, AfA und H.D.-Gewerkverein an die R.reg. v. 4. 3. 1927 (Anlage 18), BA/R 43 I/2060/B1. 62 f. io-

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3. Teil: Weitere Gesetzesvorhaben zur Regelung der Arbeitszeit

wunderlich, daß SPD und freie Gewerkschaften vor allem die Mitwirkung ihrer christlichen Kollegen an dem Gesetz auf das schärfste verurteilten. So beschuldigte der Sozialdemokrat und AfA-Vorsitzende Siegfried Aufhäuser Parteien und Regierung der Kapitulation „vor den Unternehmern schlimmster Sorte", als das Gesetz im April im Reichstag durchberaten wurde. 96 Hier unternahm Stegerwald notgedrungen den Versuch, die Vorlage zu verteidigen. Die K r i t i k der freien Gewerkschaften fiele nur deshalb so heftig aus, erklärte Stegerwald, weil die SPD jetzt in der Opposition stünde. „Das, was die Sozialdemokratie 1926 getan hat, war bestimmt kein politisches Meisterstück". 97 Außerdem sei es beim AZnotG gar nicht darum gegangen, den „schematischen Achtstundentag wiedereinzuführen, sondern die Aufgabe habe allein gelautet, die „gröbsten Unzuträglichkeiten" zu beseitigen. 98 Gerade bei den interfraktionellen Beratungen hätten noch wesentliche Verbesserungen gegenüber der Regierungsvorlage durchgesetzt werden können. Aber all diese Bemühungen, dem AZnotG positive Seiten abzugewinnen, konnten nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Initiative der Arbeitnehmerverbände vom Okt. 1926 letztlich gescheitert war. Um den Preis der Aufgabe einer gewerkschaftlichen Einheitsfront war der DGB bereit gewesen, sich den politischen Verhältnissen anzupassen, die aber auch durch seine Mitarbeit nur wenig zugunsten der Arbeiterschaft beeinflußt werden konnten. 99 Obwohl es vom heutigen Standpunkt aus kaum noch verständlich erscheint, waren die Arbeitgeber beinahe genauso unzufrieden wie die sozialdemokratische Arbeiterbewegung. Abgesehen von ihrer Verärgerung über den Erlaß des Gesetzes als solches, störte die Industrie besonders der Überstundenzuschlag. Eine Verkürzung der Arbeitszeit in Verbindung mit einer gesetzlich vorgeschriebenen Lohnerhöhung führe zwangsläufig zu einer Minderung der Produktionsleistung und damit notwendig zu Preissteigerungen. 100 Erneut stellte sich die VDA in einer veröffentlichten Stellungnahme vom 25. März 1927 auf den Boden der Grundsatzerklärung der industriellen Spitzenverbände vom 1. Nov. 1926. 101 Schon damals habe man darauf hingewiesen, daß eine Arbeitszeitverkürzung, „die aufs tiefste zu beklagende jetzige Arbeitslosigkeit nur noch verstärken würde". Infolge der „gesetzestechnischen Mängel" in der Vorlage sei mit „ungezählten Rechts95

S. 8. 96

Jahrbuch des ADGB 1926, S. 67; s. a. Leipart / Nörpel, Gesetzliche Regelung,

Verhandlungen des RT, Bd. 393, S. 10613 (v. 7. 4. 1927). Ebd., S. 10644 (v. 8. 4. 1927); gemeint war die Weigerung der SPD, der Großen Koalition beizutreten, s. o. 3. Teil, II., 1. 98 Ebd., S. 10391 (v. 2. 4. 1927). 99 Vgl. Schneider, Gewerkschaften, S. 670. 100 Vgl. Schneider, Arbeitszeit, S. 132. 101 Erklärung der VDA am 25. 3. 1927, abgedruckt in: Geschäftsbericht der VDA 1925/26, S. 192 f. 97

III. Das Schicksal des Entwurfs für ein Arbeitsschutzgesetz

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Streitigkeiten" zu rechnen, was sich in „einer dauernden Beunruhigung des Wirtschaftslebens und des sozialen Friedens" niederschlagen werde. Allerdings kam aber auch die VDA nicht umhin, festzustellen, daß das Gesetz trotz der zu erwartenden Komplikationen „an dem bisherigen Aufbau der AZVO in den Grundzügen" nichts ändere. 102 Wie bisher könne im Wege des Tarifvertrages oder mit behördlicher Genehmigung alles Nötige veranlaßt werden. Die Aussichten, mit Hilfe des AZnotG den beabsichtigten Abbau von Mißständen auf dem Gebiet des Arbeitszeitrechtes zu erreichen, waren damit denkbar ungünstig. Zum ersten Mal in der Weimarer Republik standen sich christliche und freie Gewerkschaften offen zerstritten gegenüber. Von einer Rückkehr zum Achtstundentag, mit dem die junge Republik 1918/19 weite Teile der Arbeiterschaft hatte integrieren können, war man im Jahre 1927 weiter denn je entfernt. Wenn trotzdem in der Folgezeit eine vorübergehende Beruhigung des Arbeitsmarktes eintrat, so erscheint äußerst zweifelhaft, ob diese, wie vom DGB und dem Sozialpolitiker Ludwig Preller behauptet, 103 auf das AZnotG zurückzuführen war. Durch die nahezu unverändert aufrechterhaltenen Ausnahmebestimmungen war die Regierung im Grunde eine Antwort auf die Ausgangsfrage, nämlich inwieweit der Arbeitslosigkeit mit gesetzgeberischen Maßnahmen beizukommen war, schuldig geblieben. Hinzu kam, daß das Gesetz alle Merkmale einer Zwischenlösung trug. Mit seinen komplizierten Vorschriften wurde das seit Erlaß der AZVO vom 21. Dez. 1923 bestehende Durcheinander der geltenden Arbeitszeitvorschriften nur noch vergrößert. Selbst bei den sonst so zerstrittenen Arbeitsmarktparteien herrschte Einigkeit darüber, daß das AZnotG eines der unvollkommensten Werke deutscher Gesetzgebung darstellte. 104 Mehr denn je bestand daher die Notwendigkeit einer gründlichen Reform des Arbeitszeitrechtes. Solange diese aber nicht erfolgte, war es nach wie vor Aufgabe der Tarifparteien, die Entscheidung über die Anpassung der Arbeitszeit an die wirtschaftlichen Verhältnisse herbeizuführen.

III. Das Schicksal des Entwurfs für ein Arbeitsschutzgesetz Parallel zu den Auseinandersetzungen um das AZnotG liefen die Erörterungen über den Entwurf des ASchG, in dessen Mittelpunkt die dringend erforderliche Neuregelung des Arbeitszeitrechtes stand. Das Gesetz zur 10* Geschäftsbericht der VDA 1925/26, S. 191. 103 vgl. Geschäftsbericht des christlichen Metallarbeiterverbandes 1925 - 27, S. 106; Preller, Sozialpolitik, S. 351. 104 Geschäftsbericht der VDA 1925/26, S. 192; s. a. G. Erdmann, Verordnung, S. 8; GewZ Nr. 16 v. 16. 4. 1927, S. 213 f.; GewZ Nr. 17 v. 23. 4. 1927, S. 230; s. a. Potthoff, Kommentar, S. 10.

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3. Teil: Weitere Gesetzesvorhaben zur Regelung der Arbeitszeit

Abänderung der AZVO vom 14. April 1927 sorgte hierbei in zweierlei Hinsicht für neuen Konfliktstoff. Erstens waren die Bestimmungen über die Ausnahmen vom Achtstundentag im AZnotG in einigen Punkten enger gefaßt als im ASchG. So sah das AZnotG den Überstundenzuschlag für alle Arbeitnehmer vor, während § 14 V I ASchG eine vergleichbare Regelung nur für die gewerblichen Arbeiter enthielt. Auch bestanden nach § 15 ASchG weit mehr Möglichkeiten zu unbegrenzten Arbeitszeitverlängerungen in Notfällen als nach dem AZnotG. Damit geriet die Regierung in das Dilemma, im Reichstag einen Gesetzentwurf durchsetzen zu wollen, der über die gegenwärtige Rechtslage noch hinausging. Bereits kurz nach Erlaß des AZnotG hatte Brauns sich deshalb darum bemüht, eine Anpassung der entsprechenden Bestimmungen des ASchG „aus taktischen Gründen" durchzusetzen. 105 Er scheiterte jedoch am hinhaltenden Widerstand des Reichs wirtschafts-, Reichspost- und Reichs Verkehrsministers. Ihrer Meinung nach bestand kein Anlaß, „der Wirtschaft diese neue Belastung" aufzubürden. 106 Zweitens hatten das Scheitern des gewerkschaftlichen Vorstoßes und die allgemeine Unzufriedenheit über das AZnotG dazu geführt, daß sich die Feindseligkeit zwischen Industrie und Arbeiterschaft weiter verschärfte. Weniger denn je zu Kompromissen bereit, versuchten die Arbeitsmarktparteien nun im vorläufigen Reichswirtschaftsrat, beim ASchG all das wiedergutzumachen, was ihnen durch das AZnotG versagt worden war. Der am 14. Dez. 1926 vom sozialpolitischen Ausschuß des Reichswirtschaftsrates mit den Vorberatungen betraute 21köpfige Arbeitsausschuß behandelte in der Zeit vom 17. Feb. bis zum 15. Okt. 1927 die § § 1 - 1 6 des ASchG, also auch die allgemeinen Vorschriften über die Arbeitszeit. 107 Mit Rücksicht auf den ursprünglich noch für das Jahr 1927 ins Auge gefaßten Beratungsbeginn des Reichsrates überwies er seine Verhandlungsergebnisse zu den §§ 1 - 16 vorab dem sozialpolitischen Ausschuß. Dieser erstattete hierüber nach zweiter Lesung am 28. Okt. 1927 ein Teilgutachten. 108 Wie umfangreich und zeitraubend die Verhandlungen waren, verdeutlicht allein die Zahl der im Arbeitsausschuß zum dritten Abschnitt vernommenen 252 von 439 geladenen Sachverständigen, die äußerst kontrovers zu den Auswirkungen der Arbeitszeitregelungen auf die Wirtschaft Stellung nahmen. 109 Ebensowenig wie die Sachverständigen zu übereinstimmenden Ergebnissen 105 Schreiben Brauns' an den R.wirt.min., R.post.min., R.wehr.min., R.verkehrs. min. v. 9. 7. 1928, BA/R 43 I/2020/B1. 96 - 98, Zit. Bl. 98; s. a. Schreiben Brauns' an den StS. d. Rkei. v. 19. 12. 1927, BA/R 43 I/2020/B1. 94 f. 106 vgl. Vermerk Fischers über die Ressortbesprechung v. 16. 5. 1927 betr. Anträge des RAM zum ASchG, BA/R 43 I/2020/B1. 33 f.; s. a. Schreiben des R.post.min. Schätzle (BVP) an Brauns v. 20. 5. 1927, BA/R 43 I/2060/B1. 85. 107 Vgl. Reichswirtschaftsrat 1927 - 1932, S. 110 ff. 108 Drucksachen des RWR, Nr. 355 A. 109 Die Sachverständigengutachten sind auszugsweise wiedergegeben in: Drucksachen des RWR, Nr. 355 A, S. 22 ff., 35 f.

III. Das Schicksal des Entwurfs für ein Arbeitsschutzgesetz

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kamen, gelang es, eine Überbrückung der gegensätzlichen Standpunkte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Sachen Arbeitszeitrecht zu erzielen. Die Fülle der Ausnahmebestimmungen, die für die Praxis zu einem kaum zu durchblickenden Ballast von Sondervorschriften zu werden drohte, veranlaßte die Abt. 2, geringere und übersichtlichere Regelungen für Arbeitszeitverlängerungen zu fordern. Erklärtes Ziel der Arbeitnehmervertreter war getreu ihrer bisherigen Haltung die Wiederherstellung des Achtstundentages „als Norm, nicht als Ausnahme". 110 Zu diesem Zweck sollten, wie im Gewerkschaftsentwurf zur Abänderung der AZVO vom Nov. 1926, 111 Überschreitungen des Achtstundentages auf Notfälle, Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten beschränkt und Mehrarbeit nur nach tariflicher Regelung zugelassen werden. Ferner sollte das Dreischichtsystem gesetzlich verankert werden, indem für die durchgehend arbeitenden Betriebe die 48Stunden-Woche zwingend vorgeschrieben wurde. Demgegenüber bemängelten die Arbeitgeber, wie schon so häufig in der Vergangenheit, die gesetzliche Fixierung des Achtstundentages, den Deutschland sich immer noch nicht leisten könne. 112 Folgerichtig widersetzten sie sich den Arbeitnehmerwünschen aufs schärfste. In der Frage des Zweischichtsystems gab es für die Abt. 1 keine Kompromisse. Insgesamt fehlte nach Auffassung der Arbeitgebervertreter den Arbeitszeitbestimmungen im Rahmen des ASchG die Elastizität, die erforderlich sei, um die Arbeitszeit den unterschiedlichen Bedürfnissen der Gewerbezweige anzupassen. Um der Wirtschaft ausreichenden Spielraum für betriebsindividuelle Arbeitszeitregelungen einzuräumen, verlangten sie die Gleichstellung von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung, die Abschaffung des Überstundenzuschlags und die Übernahme der nach der AZVO in der Fassung vom 21. Dez. 1923 bestehenden Mehrarbeitsmöglichkeiten. Da bei diesen diametral entgegengesetzten Auffassungen sowohl Arbeitgeber wie Arbeitnehmer jeweils geschlossen für bzw. gegen die Anträge ihrer Kontrahenten stimmten, entstand dieselbe unbefriedigende Situation wie 1922/23 und 1925/26: Nur mit Hilfe der Abt. 3 gelang es überhaupt, Mehrheitsbeschlüsse zustande zu bringen, und die fielen beim ASchG zumeist zugunsten der Arbeitgeber aus. 113 Außerdem behielten sich die Abt. 1 und Abt. 2 ausdrücklich vor, ihre abgelehnten Anträge in Form von Sondervoten den gesetzgebenden Körperschaften vorzulegen. 114 Von wenig Entscheidungsfreudigkeit gekennzeichnet waren auch die Beratungen zu den übrigen Bestimmungen des ASchG. Sie wurden 110

Vgl. Bericht des Sprechers der Abt. 2 (Umbreit), ebd., S. 22. m s. o. 3. Teil, II., 1. 112 Vgl. Bericht des Sprechers der Abt. 1 (Hansen), Drucksachen des RWR, Nr. 355 A, S. 33 ff. 113 Ebd., S. 26 ff.; zu den Abstimmungsergebnissen: ebd., S. 47 ff.; s. a. Reichswirtschaftsrat 1927 - 1932, S. 114 ff. 114 Die Sondervoten sind abgedruckt in: Drucksachen des RWR, Nr. 355 A, S. 65 ff.

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3. Teil: Weitere Gesetzesvorhaben zur Regelung der Arbeitszeit

auf Wunsch des Reichsarbeitsministeriums in Gestalt von Teilgutachten fortgeführt und fanden nach eineinhalb Jahren am 17. Juli 1928 ihr Ende. 115 Es nahm nicht wunder, daß der Reichsrat, der zunächst seine Beratungen mit Rücksicht auf den Reichswirtschaftsrat immer wieder hinausgezögert hatte, den Gutachten letztlich keine Bedeutung beimaß. Ungeachtet der noch in den Ausschüssen des Reichswirtschaftsrates laufenden Verhandlungen trat er am 10. Jan. 1928 in die Erörterung des ASchG ein und erteilte dem Entwurf am 29. März 1928 nach zweiter Lesimg in seinen Grundzügen die Zustimmung. 1 1 6 Herausragende Änderung in Sachen Arbeitszeitrecht stellte zum einen die Einführung eines angemessenen Überstundenzuschlags für die Arbeiter und Angestellten dar (§14 VI). Zum anderen aber wurde zum ersten Mal darauf verzichtet, den Grundsatz der 48-Stunden-Woche gesetzlich festzulegen (§ 9). Nicht zu Unrecht erblickten Kritiker darin unter Einbeziehung von Überstunden und Sonntagsarbeit die Einführung der 60Stunden-Woche, verteilt auf sieben Arbeitstage. 117 Zu einer Verabschiedung des ASchG im Reichstag kam es allerdings nicht mehr. Zunächst verzögerte die Reichstagsauflösung vom 20. Mai 1928 die Einbringung des Entwurfs. Unter der nach den Neuwahlen gebildeten Großen Koalition sorgte dann ein in nicht wenigen Punkten umgestalteter Entwurf eines ASchG für Aufregung, der die Handschrift des neuen Reichsarbeitsministers, des Sozialdemokraten und Freigewerkschaftlers Rudolph Wissell, trug. 1 1 8 Hatte bislang das Arbeitszeitrecht die größten Schwierigkeiten bereitet, so stand nun die Organisation der Arbeitsaufsicht im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen. Nachdem der Reichsrat, dem im Gegensatz zum Reichswirtschaftsrat ausdrücklich zugestanden worden war, sich mit dem ASchG noch einmal zu befassen, 119 den Entwurf am 17. Jan. 1929 erledigt hatte, 1 2 0 brachte Wissell ihn am 21. Jan. 1929 im Reichstag ein. 1 2 1 Dieser überwies den Entwurf nach einer ersten Lesung seinem sozialpolitischen Ausschuß, 122 und dort fiel er der Weltwirtschaftskrise zum Opfer. Ohne daß sich der Reichstag noch einmal mit ihm beschäftigte, blieb der Entwurf eines ASchG im Ausschuß liegen. 115 Vgl. Drucksachen des RWR, Nr. 355 B, C, D; Reichswirtschaftsrat 1927 - 1932, S. 119 ff. 116 Niederschriften über die Vollsitzungen des RR 1928, § 200; der Entwurf eines ASchG in der vom RR abgeänderten Fassung wurde anschließend im 44. Sonderheft zum RABl. veröffentlicht. 117 Franz Spliedt, Das Arbeitsschutzgesetz, in: Die Arbeit 1929, S. 171 - 183, hier S. 173. 118 Entwurf eines ASchG nebst Schreiben Wissells an sämtl. Herrn Min. v. 17. 10. 1928, BA/R 43 I/2020/B1. 327 ff. Der Entwurf wurde nach nochmaliger Änderung am 20. 11. 1928 vom Kabinett gebilligt; Prot, der Kab.-Si. v. 20. 11. 1928, Vogt (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Müller, S. 235 f. 119 vgl. Vermerk Vogels v. 8. 11. 1928, BA/R 43 I/2021/B1. 7. 120 Niederschriften über die Vollsitzungen des RR 1929, § 3. 121 Verhandlungen des RT, Bd. 434, Nr. 753. 122 vgl. Verhandlungen des RT, Bd. 424, S. 1130 (v. 8. 2. 1929).

IV. Arbeitszeitrecht in der Weltwirtschaftskrise

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Andere Probleme, wie die rapide ansteigenden Arbeitslosenzahlen und die Finanzierung der Erwerbslosenfürsorge, traten in der Öffentlichkeit und im Reichstag in den Vordergrund und verdrängten den Plan einer umfassenden Arbeitsschutzgesetzgebung. Damit wurde auch das Arbeitszeitrecht im Rahmen des ASchG gegenstandslos, denn es war zu einer Zeit geschaffen worden, in der sich die Weimarer Republik in einer Phase relativer Stabilisierung befand. Das Ziel der Vorschriften, den jahrelangen Konflikt über die Länge der Arbeitszeit einer gesetzlichen Lösung zuzuführen, erwies sich in Zeiten größter Not als uninteressant. Der bereits beim AZnotG - allerdings nur begrenzt - zum Tragen gekommene Gedanke der Arbeitszeitverkürzung als Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wurde zum beherrschenden Thema in der Endphase der Weimarer Republik. In dieser Hinsicht bot das ASchG keinerlei Handhabe. Ungeachtet der Unzulänglichkeiten des Gesetzes wurde auf diese Weise der einzige ernsthafte Versuch, auf dem Weg zu einem einheitlichen Gesetzbuch der Arbeit einen Schritt voranzukommen, zu Grabe getragen. IV. Arbeitszeitrecht in der Weltwirtschaftskrise Zwei Krisenentwicklungen bestimmten die politische und wirtschaftliche Situation in den Jahren 1929 bis 1933: Zum einen leitete die Bildung des Kabinetts Brüning im März 1930 die Umformung der parlamentarischen Demokratie in ein System der Präsidialkabinette ein. Zum anderen begann eine steile wirtschaftliche Talfahrt, die von einer chronischen Kapitalnot der öffentlichen Hand und von einer Arbeitslosigkeit nie gekannten Ausmaßes begleitet war. Die Zahl der Arbeitslosen, die ja selbst in den Jahren relativer Stabilisierung ziemlich hoch gewesen war, 1 2 3 kletterte im Winter 1928/ 29 auf 2,5 Mio. Nach einer kurzen Phase wirtschaftlicher Erholung stieg sie Ende 1929 sprunghaft von 1,3 Mio. im Sept. 1929 auf 3 Mio. im Sept. 1930 an. Ein Jahr später waren 4,3 Mio., im Sept. 1932 5,1 Mio. und Anfang 1933 über 6 Mio. Arbeitnehmer ohne Beschäftigung. 124

1. Das gewerkschaftliche Krisenkonzept: Die Einführung der 40-Stunden-Woche

Diese katastrophale Situation rief vor allen Dingen die freien Gewerkschaften auf den Plan, mit Vorschlägen zur Bekämpfung der Erwerbslosigkeit an Regierung und Öffentlichkeit heranzutreten. In Verfolgung der bereits 1926 eingeschlagenen Linie in der Sozialpolitik erblickten sie in der Arbeitszeitverkürzung das Allheilmittel zur Krisenbekämpfung. Hatte sich 123 124

s. o. 2. Teil, Fn. 445; 3. Teil, I., 3. Vgl. Kolb, Weimarer Republik, S. 118.

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3. Teil: Weitere Gesetzes vorhaben zur Regelung der Arbeitszeit

der ADGB auf dem Hamburger Gewerkschaftskongreß im Jahre 1928 noch mit der Feststellung begnügt, daß der Achtstundentag „wirtschaftlich tragbar" sei, 125 so hielt er im Frühjahr 1930 eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung nicht nur für möglich, sondern angesichts der drohenden Arbeitsplatzgefährdung sogar für unbedingt erforderlich. 126 Diesem Beschluß folgte die für die freigewerkschaftliche Arbeitszeitpolitik bis 1933 richtungsweisende Forderung nach Einführung der gesetzlichen 40-Stunden-Woche. In einer Entschließung vom 12./13. Okt. 1930 erklärte der Bundesausschuß des A D G B : 1 2 7 „Die gegenwärtige Arbeitslosigkeit verlangt vor allem eine Verkürzung der Arbeitszeit, die entsprechend der gesteigerten Produktivität der Wirtschaft und der Leistung des einzelnen eine gerechte Verteilung der Arbeitsgelegenheit sichert. Der Bundesausschuß fordert infolgedessen eine gesetzliche vierzigstündige Arbeitswoche solange, bis der Arbeitsmarkt entlastet ist, unter gleichzeitiger Einführung eines allgemeinen Zwanges zur Einstellung neuer Arbeitskräfte im Ausmaße der Arbeitszeitverkürzung." Den Lohnausgleich gedachte der ADGB „für den Übergang" mit frei werdenden Unterstützungsmitteln zu finanzieren. Als sich die wirtschaftliche Lage weiter zuspitzte, war es vom freigewerkschaftlichen Standpunkt aus nur konsequent, daß nunmehr „nicht nur eine vorübergehende, sondern eine dauernde Verkürzimg der Arbeitszeit" gefordert wurde, „um die Arbeitsgelegenheit selbst bei besserer Konjunktur auf alle vorhandenen Arbeitskräfte gerecht zu verteilen". 1 2 8 Unterstützung fanden die freien Gewerkschaften mit dieser Haltung nicht nur bei der SPD, die sich die Argumentation des ADGB sofort zu eigen machte. 129 Auch die preußische Staatsregierung war inzwischen mit ähnlichen Vorschlägen an die Reichsregierung herangetreten. 1 3 0 Nach einem Empfang der vier Spitzengewerkschaften durch Reichspräsident von Hindenburg, bei dem diese geschlossen für eine Arbeitszeitverkürzung „möglichst auf regelmäßig 40 Stunden" eingetreten waren, 1 3 1 nahm der Reichstag am 17. März 1931 sogar eine entsprechende Entschlie125 v g l Schwarz, Gewerkschaftskongresse, S. 97. 126 Entschließung des BA des ADGB v. 17./18. 2. 1930, abgedruckt in: GewZ Nr. 8 v. 22.2. 1930, S. 118 f. 1 27 Entschließung des BA des ADGB v. 12./13. 10. 1930, Koops (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Brüning, S. 531 - 534, Zit. S. 532; s. a. GewZ Nr. 42 v. 18. 10. 1930, S. 657 f. 128 Entschließung des BA des ADGB v. 10. 3. 1931, abgedruckt in: GewZ Nr. 11 v. 14.3. 1931, S. 161. 129 Entschließung der SPD-RT-Fraktion v. 3. 10. 1930, abgedruckt in: GewZ Nr. 41 v. 11. 10. 1930, S. 650; Antrag der SPD-RT-Fraktion v. 16. 10. 1930, Verhandlungen des RT, Bd. 448, Nr. 99. 130 Vgl. Schreiben des Preuß. Min.präs. an den RK v. 23. 10. 1930, in dem die Vorschläge des Preuß. Handelsmin. Schreiber übermittelt wurden, Koops (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Brüning, S. 624, Anm. 20. 131 Vermerk StS. Meissners über die Unterredung des R.präs. mit Gewerkschaftsvertretern nebst Anlage, Koops (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Brüning, S. 912 - 915, Zit. S. 914.

IV. Arbeitszeitrecht in der Weltwirtschaftskrise

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ßung an. 1 3 2 Daß diese allerdings kaum für Aufsehen sorgte, zeigte bereits den fortschreitenden Einflußschwund des Parlaments. Trotz der nach außen hin einheitlichen Front der Arbeitnehmerverbände im Kampf um die Arbeitszeit war die freigewerkschaftliche These von der Einführung der 40Stunden-Woche als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme innerhalb der Arbeiterbewegung nicht unumstritten. Schon die Klage des ADGB, daß das „jederzeit verfügbare Mittel der Arbeitsstreckung . . . nur in unzureichendem Maße freiwillig zur Anwendung (gelangt)", 133 deutete darauf hin, daß die Solidarität der Arbeitnehmer in Anbetracht ihrer Notlage keineswegs so groß war, wie es die Gewerkschaften gerne gesehen hätten. Vor allen Dingen wurde der erhoffte Erfolg des Gewerkschaftsprogramms, nämlich die Schaffung von Arbeitsplätzen, in Zweifel gezogen. So rechnete selbst Theodor Leipart nur mit einer Rückführung von VA bis VI Mio. Erwerbsloser in den Arbeitsprozeß. 134 Angesichts der faktischen Unmöglichkeit, unter den gegebenen Verhältnissen einen Lohnausgleich durchzusetzen, befürchtete man überdies, eine Arbeitszeitverkürzung würde das Elend der Arbeiterschaft nur noch verschlimmern. 135 Derartige Vorbehalte waren sicherlich geeignet, die Abneigung der Arbeitgeber gegen eine gesetzliche Neuregelung der Arbeitszeit auf Basis der 40-Stunden-Woche noch zu verstärken. Ihre bereits in Zusammenhang mit dem AZnotG aufgestellte Behauptung, daß eine Verkürzimg der Arbeitszeit zwangsläufig zu höheren Produktionsunkosten und damit zu einem Ansteigen des Arbeitslosenheeres führen werde, hielt die Unternehmerschaft auch während der Weltwirtschaftskrise unverändert aufrecht. 136 Schon bald zeigte sich allerdings, daß es der Industrie gar nicht so sehr um eine Kostensenkung ging, die durch eine Arbeitszeitverkürzung vereitelt würde, sondern vielmehr um die Beseitigung der als „starr" empfundenen gesetzlichen und tariflichen Arbeitszeitregelungen. So argumentierten namhafte Großindustrielle am 30. Juli 1931 in einem Schreiben an Reichskanzler Brüning, die Wiederherstellung der „freien Wirtschaft" würde nach den „ewig gültigen ökonomischen Gesetzen" die Arbeitslosigkeit „ganz von selbst" überwinden. 137 132 Verhandlungen des RT, Bd. 450, Nr. 894. Leipart, 40-Stunden-Woche, S. 202. 134 Vgl. Rede Leiparts auf der Düsseldorfer Bezirkstagung des ADGB v. 19. 11. 1930, abgedruckt in: GewZ Nr. 48 v. 29. 11. 1930, S. 756 - 759, hier: S. 756. 135 Wladimir Woytinski, Die Vierzigstundenwoche, in: GewZ Nr. 45 v. 8. 11. 1930, S. 705 - 708; GewZ Nr. 46 v. 15. 11. 1930, S. 725 - 728. 136 Vgl. Schreiben der VDA an den RK v. 27.10.1930, auszugsweise abgedruckt in: Koops (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Brüning, S. 624, Anm. 21; s. a. Heinz Landmann, Bedenken gegen die gesetzliche Arbeitszeitverkürzung, in: Der Arbeitgeber Nr. 6 v. 15.3. 1931, S. 132-134. 137 Schreiben deutscher Industrieller an den RK v. 30. 7. 1931, Koops (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Brüning, S. 1470 - 1477, Zit. S. 1476. 133

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3. Teil: Weitere Gesetzesvorhaben zur Regelung der Arbeitszeit 2. Die Notverordnung vom 5. Juni 1931

Die Vorstellungen der Unternehmer waren jedoch solange nicht realisierbar, wie Reichskanzler Brüning zur Aufrechterhaltung seines „semiparlamentarischen" Regierungsstils auf die Tolerierung durch die SPD angewiesen war. Inzwischen hatte die Regierung auf Anregung von Reichsarbeitsminister Stegerwald eine Kommission eingesetzt, welche unter dem Vorsitz des ehemaligen Reichsarbeitsministers Heinrich Brauns Vorschläge zur Beseitigung des Erwerbslosenproblems ausarbeiten sollte. 138 Am 27. März 1931 legte die Kommission ihre ersten Teilergebnisse vor. Diese waren recht dürftig und sollten, wie Brauns entschuldigend hinzufügte, vor allem psychologisch wirken. 1 3 9 In Sachen Arbeitszeitrecht empfahl die Kommission zunächst Verwaltungsmaßnahmen. So sollten etwa die Behörden auf eine Senkung der tariflich vereinbarten Mehrarbeit hinarbeiten. Ferner wurde vorgeschlagen, ein Gesetz zu verabschieden, das die Regierung zur Herabsetzung der Arbeitszeit auf 40 Wochenstunden ermächtigte. Damit sprach sich das Gutachten deutlich gegen die von den Gewerkschaften verlangte gesetzliche Einführung der 40-Stunden-Woche aus. Wenn Stegerwald auch bezweifelte, ob sich derartige Maßnahmen fühlbar auf das Heer der Arbeitslosen auswirken würden, so war er doch selbst nicht in der Lage, praktikable Alternativen aufzuzeigen. 140 Also behielt die Regierung den mit dem Gutachten der „Brauns-Kommission" eingeschlagenen Kurs bei. Nachdem Theodor Leipart in einem persönlichen Brief Brüning noch einmal die Dringlichkeit der Einführung der gesetzlichen 40-Stunden-Woche vor Augen geführt hatte, 1 4 1 sah dieser sich zum Handeln genötigt. „Als Angelegenheit politischer N a t u r " 1 4 2 fand das Arbeitszeitrecht Eingang in die am 5. Juni 1931 verkündete 2. NotVO des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen. 143 Entsprechend den Kommissionsergebnissen wurde die Regierung in Art. 1 Kapitel I I des 3. Teils der NotVO ermächtigt, auf zweierlei Art eine Herabsetzung der Arbeitszeit herbeizuführen. Im Verordnungswege konnte sie mit Zustimmung des Reichsrates

138 vgl. Vermerk Min.rat Vogels v. 23. 12. 1930, BA/R 43 I/2039/B1. 50. 139 Prot, der Ministerbesprechung v. 27. 3. 1931, Koops (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Brüning, S. 987 - 990; Gutachten zur Arbeitslosenfrage nebst Anschreiben der Kommission an den StS. d. Rkei. v. 27. 3.1931, BA/R 43 I/2039/B1. 308 - 343. Das Gutachten erschien anschließend als Sonderveröffentlichung des RABl. 1931. 140 Prot, der Ministerbesprechung v. 27. 3. 1931, Koops (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Brüning, S. 988 f.; Prot, der Chefbesprechung v. 27. 5. 1931, ebd., S. 1114 f. 141 Schreiben Leiparts an Brüning v. 30. 5. 1931, auszugsweise abgedruckt in: Koops (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Brüning, S. 1172, Anm. 2. 142 Prot, der Ministerbesprechung v. 3. 6.1931, Koops (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Brüning, S. 1172. 143 RGBl. 1931 I, S.279. Der von Stegerwald ausgearbeitete Passus über die Arbeitszeit war am 3. 6. 1931 vom Kab. gebilligt worden, vgl. Prot, der Ministerbesprechung v. 3. 6. 1931, Koops (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Brüning, S. 1171 ff.

IV. Arbeitszeitrecht i n der Weltwirtschaftskrise

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- für einzelne Gewerbe eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden anordnen und - die Zulässigkeit von tariflicher Mehrarbeit nach §§2 oder 5 der AZVO in der Fassung vom 14. April 1927 von der Genehmigung durch die Gewerbeaufsichtsbeamten abhängig machen. Der NotVO folgten - wegen der Bankenkrise verspätet - Durchführungsbestimmungen, die Verfahren und Einzelheiten für die kommende VO regelten. 1 4 4 Vor allem aber brachten sie die Ermächtigung für die Arbeitgeber, die Vergütung entsprechend der Arbeitszeitverkürzung herabzusetzen. Sowohl bei den Arbeitgebern wie bei den Arbeitnehmern stieß die NotVO vom 5. Juni 1931 auf wenig Zustimmung. Gerade daß die Entscheidung über die Einführung der 40-Stunden-Woche in das Ermessen der Regierung gestellt worden war, wurde von den Gewerkschaften bemängelt. Die NotVO entspräche „ i n gar keiner Hinsicht" den berechtigten Forderungen der Arbeitnehmerverbände. 145 Von den Unternehmern hingegen wurde sie als erster Schritt in Richtung 40-Stunden-Woche verworfen. In der Folgezeit stürzte sich die Industrie in fieberhafte Aktivitäten, um Brüning davon abzubringen, von der ihm erteilten Ermächtigung Gebrauch zu machen. 146 Die ungelöste Lohnfrage - Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich kamen nicht in Betracht, und Lohnsenkungen, wie sie die DurchführungsVO vorsah, hätten das Elend der Arbeiterschaft nur noch verschlimmert - kam ihnen dabei zu Hilfe. Sie verlieh dem Standpunkt der Arbeitgeber von der Undurchführbarkeit gesetzlicher Arbeitszeitverkürzungen in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Not immer größere Glaubwürdigkeit. Vor dem Hintergrund eines wachsenden Einflusses industrieller Interessenverbände auf die Politik in den letzten Jahren der Weimarer Republik setzten die Unternehmer schließlich ihren Willen durch. Die Regierung konnte sich nicht dazu entschließen, ihrem einzigen arbeitszeitrechtlichen Vorhaben in jener Zeit zum Durchbruch zu verhelfen. Am 23. Mai 1932 erklärte Reichskanzler Brüning vor dem Kabinett, er gebe freiwilligen Vereinbarungen „den unbedingten Vorzug vor jeder gesetzlichen Arbeitszeitverkürzung". 147 Diese Erklärung bedeutete das Ende nicht nur 144 Die Durchführungsbestimmungen hatte Stegerwald am 3. 7. 1931 der Rkei. zugeleitet (Schreiben Stegerwaids nebst Entwurf und Begr., ZStA/Präs./176/Bl. 282 292). Nachdem sie am 7. 9.1931 vom Kab. gebilligt worden waren (Prot, der Ministerbesprechung v. 7. 9. 1931, Koops (Bearb.), Akten d. Rkei., Kab. Brüning, S. 1169 f.) und der RR ihnen am 24. 9. 1931 zugestimmt hatte (Niederschriften über die Vollsitzungen des RR 1931, § 419), wurden sie am 30. 9.1931 verkündet; RGBl. 19311, S. 521. 145 Leipart, 40-Stunden-Woche, S. 204. 148 Eingabe der DVA an den RK v. 2. 5. 1932, BA/R 43 I/2043/B1. 18 - 22; Eingabe des RVDI an den RK v. 3. 5.1932, ebd., Bl. 45 f.; Eingabe des DIHT v. 3. 5.1932 an den RK, ebd., Bl. 4 7 - 5 0 . 147 Prot, der Ministerbesprechung v. 23. 5. 1932, BA/R 43 I/2043/B1. 160 - 163.

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3. Teil: Weitere Gesetzesvorhaben zur Regelung der Arbeitszeit

für die gewerkschaftlichen Initiativen in der Frage der 40-Stunden-Woche, sondern auch für eine Neuregelung des Arbeitszeitrechtes überhaupt. Während der Weimarer Republik blieb es bei der AZVO in der Fassung vom 14. April 1927. Erst nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurde am 26. Juli 1934 eine neue Arbeitszeitordnung verabschiedet. 148 Für die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie dürfte es in den Zeiten des Machtverfalls ein schwacher Trost gewesen sein, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse erzwangen, was die politischen Auseinandersetzungen nicht vermocht hatten: In der Endphase der Weimarer Republik setzte sich die 48Stunden-Woche und damit der Achtstundentag als regelmäßige Arbeitszeit wirtschaftlich durch. 1 4 9

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RGBl. 1934 I, S. 803. Vgl. Meinert, Entwicklung der Arbeitszeit, S. 45; Schneider, Arbeitszeit, S. 144; eine vom ADGB in der Zeit vom 10.-15. 2. 1930 durchgeführte Erhebung ergab, daß nur 17,2 % der erfaßten Gewerkschaftsmitglieder länger als 48 Wochenstunden arbeiteten, vgl. Leipart, 40-Stunden-Woche, S. 200. 149

Schlußbetrachtung Das Arbeitszeitrecht entwickelte sich vor dem Ersten Weltkrieg zunächst als Kernstück des Arbeiterschutzes in der Form staatlicher Sozialgesetzgebung. Während der Weimarer Republik gelang es jedoch nicht, einen rein staatlichen Arbeitszeitschutz zu schaffen. Vor dem Hintergrund des aufkeimenden kollektiven Arbeitsrechtes trat der öffentlichrechtliche Arbeitszeitschutz in seiner Bedeutung immer mehr hinter der tarifvertraglichen Regelung der Arbeitszeit zurück. Bereits in der revolutionären Anfangsphase der Weimarer Republik zeichneten sich die tiefgreifenden Gegensätze zwischen Arbeiterschaft und Industrie ab, die alle Erwartungen auf eine gesetzliche Lösung des Arbeitszeitproblems zunichte machen mußten. Da der Achtstundentag durch den revolutionären Aufruf, den als Arbeitsstreckungsmaßnahme ergangenen Demobilmachungsverordnungen und das Zentralarbeitsgemeinschaftsabkommen nur eine vorübergehende Regelung erfahren hatte, bestand von Anbeginn an die dringende Notwendigkeit, das Arbeitszeitrecht neu zu fassen. Damit aber konnten sich die Unternehmer bereits 1918 berechtigte Hoffnungen darauf machen, daß es ihnen gelingen würde, über die wirtschaftliche Macht entscheidenden Einfluß auf die Ausgestaltung des kommenden Arbeitszeitrechtes zu nehmen. Das Bestreben der Arbeitgeber galt nach wie vor einer Rückkehr zu den Arbeitszeitverhältnissen vor 1914. Die Gewerkschaften dagegen sahen sich auf lange Sicht erneut herausgefordert, den Achtstundentag als Symbol der Revolution verteidigen zu müssen. Diese Frontstellung entwickelte sich zu einer schwerwiegenden Belastung für die ersten Entwürfe zu einem Arbeitszeitgesetz, mit denen zunächst Reichsarbeitsminister Bauer und dann vor allen Dingen Brauns versuchte, den schematischen Achtstundentag zu mildern, ohne die Arbeitnehmer eines ausreichenden gesetzlichen Schutzes zu berauben. Während die Gewerkschaften in einem Arbeitszeitgesetz unter Wahrung der Tarifautonomie die optimale Sicherung ihrer Machtposition erblickten, brachte vor allem die Schwerindustrie immer weniger Verständnis dafür auf, daß eine gesetzliche Regelung der Arbeitszeit überhaupt notwendig war. Mit wachsendem Mißtrauen beobachtete dieser Industriezweig nicht nur die gewerkschaftlichen Vorstellungen, sondern auch den durch ein Arbeitszeitgesetz über die Befugnisse der Behörden geschaffenen staatlichen Interventionsmechanismus auf zentrale Bereiche des Wirtschaftslebens. Im vorläufigen Reichswirtschaftsrat prallten 1922/23 die gegensätzlichen Auffassungen aufeinander. Dort spitzte sich der Streit bald dahin zu, ob die Ausnahmen vom Achtstundentag im Gesetz selbst - so die Arbeitgeber - oder ob sie den

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Schlußbetrachtung

Arbeitnehmerwünschen entsprechend ausschließlich kraft Tarifvertrages geregelt werden sollten. Die wirtschaftlichen Folgen des Krieges und des Friedensvertrages schufen hierbei Bedingungen, die der Unternehmerschaft den Rücken stärkten. Die von den Gewerkschaften vertretene These, daß bei verkürzter Arbeitszeit durch erhöhte Arbeitsintensität mehr geleistet werde, schien widerlegt zu sein. Spätestens 1922 wurde deutlich, daß die Regelung der Arbeitszeit in erster Linie wirtschaftlichen und nicht sozialen Erwägungen unterlag. Die Frage des Achtstundentages wurde in der Öffentlichkeit und auf Kabinettsebene schnell zur Prinzipienfrage und hatte damit eine eminent politische Bedeutung. Daß es hierbei nicht um wirtschaftliche Überlegungen, sondern vielmehr um die Verteilung der Macht ging, zeigte das Arbeitszeitdiktat der Schwerindustrie unter den Bedingungen eines zusammenbrechenden Widerstandes an der Ruhr und der sich überschlagenden Inflation im Herbst 1923 in aller Deutlichkeit. Die sozialpolitische Lage am Ende der Inflation schien denn auch durch eine vollständige Herrschaft der Arbeitgeber über die finanziell zusammengebrochenen Gewerkschaften gekennzeichnet. In dieser Situation fand sich unter der Regierimg Stresemann in Brauns ein Politiker, der bereit war, unter Hintanstellung sozialpolitischer Forderungen das Arbeitszeitrecht neu zu regeln und den Weg für eine bescheidene wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung frei zu machen. Zwar war Brauns zeitweilig gezwungen, an die SPD das Zugeständnis zu machen, daß die Arbeitszeit auf normalem gesetzgeberischem Weg geregelt werden sollte. Doch war er nicht bereit, auf eine Durchbrechung des Achtstundentages mit Hilfe behördlicher und tariflicher Ausnahmevorschriften zu verzichten. Die Kabinettskrise, der Austritt der sozialdemokratischen Minister aus der Regierung und die Unfähigkeit des Reichstages, der wirtschaftlichen Notlage durch eine schnelle Verabschiedung des Arbeitszeitgesetzes gerecht zu werden, zwangen die Regierung unter Reichskanzler Marx zur „Verordnungslösung". Mit dem Ermächtigungsgesetz vom 8. Dez. 1923 war die Möglichkeit gegeben, den Achtstundentag den Arbeitgeberwünschen zu opfern, aber auch die gewerkschaftlichen Organisationen entgegen den Intentionen der Unternehmer in die Zukunft hinüber zu retten. Der Achtstundentag, an dem politisch festzuhalten war, der wirtschaftlich aber nicht mehr aufrechterhalten werden konnte, wurde durchlöchert; die Regelung der Mehrarbeit wurde den Tarifparteien überlassen. Trotz aller Unvollkommenheiten bildete die AZVO vom 21. Dez. 1923 einen Meilenstein auf dem Weg zur tarifvertraglichen Arbeitszeitgestaltung, die bis heute die Dauer und die zeitliche Lage der Arbeitszeit bestimmt. Zugleich sicherte Brauns dem Staat durch die Zwangsschlichtung bei Nichteinigung der Tarif partner ein starkes Interventionsrecht. Dadurch konnten langfristige Arbeitskämpfe vermieden und die Wirtschaft wieder in Gang gesetzt werden. Freilich waren mit dem Vorrang des Tarifvertrages auch Risiken verbunden, die sich schon bald nach dem Inkrafttreten der

Schlußbetrachtung

AZVO zeigten. Das den Arbeitsmarktparteien in erster Instanz, dem Staat über das Schlichtungsverfahren in zweiter Instanz überantwortete Arbeitszeitrecht machte den Arbeitszeitschutz zum Spielball ökonomischer Konjunkturen. Dies wurde besonders an den überlangen Arbeitszeiten für die Schwerstarbeiter sichtbar. Bei den 1924 einsetzenden Kämpfen um den Erlaß von Verordnungen für besonders gefährdete Arbeitergruppen aufgrund § 7 AZVO stand einem erneut gefestigten Unternehmertum eine sich nach der Krise 1923/24 ebenfalls konsolidierende Gewerkschaftsbewegung gegenüber, die sich beschleunigt darum bemühte, den Achtstundentag wiederherzustellen. Daß der Streit um die Arbeitszeit nimmehr vordringlich auf Regierungsebene ausgetragen wurde, zeigte sich daran, daß so gut wie keine Kabinettsbildung verging, ohne daß das Arbeitszeitrecht zur Koalitionsfrage hochgespielt worden war. Hierbei wußte Brauns auch in den deutschnational beeinflußten Regierungen Zugeständnisse an die Arbeiterschaft beim Erlaß von Verordnungen nach § 7 AZVO, ζ. B. für die Hochofen- und Kokereiarbeiter, durchzusetzen, wenn auch nicht in dem Maße, wie er es sich selbst vorgenommen und den Gewerkschaften versprochen hatte. Ab 1926 traten die Auseinandersetzungen um das Arbeitszeitrecht in eine neue Phase ein. Die Bekämpfung der Erwerbslosigkeit wurde zum beherrschenden Thema der Weimarer Republik. Hatte bislang die Frage nach der Steigerung der Produktion durch Verlängerung der Arbeitszeit im Vordergrund gestanden, so ging es jetzt um den Abbau der Arbeitslosigkeit durch Arbeitszeitverkürzung. Damit aber waren auch die Bemühungen um eine Neuregelung des Arbeitszeitrechtes innerhalb des ASchG zum Scheitern verurteilt. Denn die komplizierten und wenig überschaubaren Arbeitszeitbestimmungen des ASchG zielten darauf ab, den jahrelangen Konflikt zwischen den widerstreitenden sozial- und wirtschaftspolitischen Interessen über die Länge der Arbeitszeit einer endgültigen Lösung zuzuführen. Die Forderung nach Wiederherstellung des Achtstundentages wurde von den Gewerkschaften nun verstärkt mit der Notwendigkeit begründet, die vorhandenen Arbeitsplätze auf möglichst viele Arbeitnehmer zu verteilen. Das Drängen von Gewerkschaften und Sozialdemokratie war insoweit erforderlich, als Brauns eine Abänderung der AZVO in Angriff nahm. Doch die gewerkschaftlichen Forderungen fanden nur sehr bedingt Eingang in das AZnotG vom 14. April 1927, das den Spielraum zur Überschreitung der achtstündigen Arbeitszeit nicht einschränkte, sondern einen Lohnausgleich für geleistete Mehrarbeit vorschrieb. 1930 setzte verstärkt der Versuch der Gewerkschaften ein, aus der Not der Arbeitslosigkeit die Tugend der Arbeitszeitverkürzung zu machen. Die Bemühungen um die gesetzliche Einführung der 40-Stunden-Woche scheiterten jedoch an der Unmöglichkeit, unter den gegebenen wirtschaftlichen Verhältnissen einen Lohnausgleich durchzusetzen. Während der Weimarer Republik blieb es bei der AZVO in der Fassung vom 14. April 1927. 11 Bischoff

162

Schlußbetrachtung

Aber auch in den folgenden Jahren erfuhr das Arbeitszeitrecht keine tiefgreifenden Umgestaltungen mehr. Die nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten am 26. Juli 1934 erlassene Arbeitszeitordnung 1 brachte nur eine Zusammenfassung der bislang in der AZVO vom 14. April 1927 und in der GewO verstreuten Bestimmungen. 2 Zugleich beseitigte sie, entsprechend dem Führerprinzip, die kollektiwertraglichen Möglichkeiten zu Arbeitszeitregelungen. Durch die AZO vom 30. April 19383 wurde der Prozeß der Rechtsbereinigung weiter vorangetrieben. So wurde der Jugendschutz aus der AZO zugunsten eines Jugendschutzgesetzes ausgegliedert. 4 Die Bestimmungen, die in der AZO vom 26. Juli 1934 nur äußerlich zusammengefaßt waren, wurden vereinheitlicht, ohne daß damit eine erhebliche Änderung eintrat. 5 Über Art. 125 des Bonner Grundgesetzes gilt die AZO vom 30. April 1938 seither als vorkonstitutionelles Recht weiter. 6 Nach wie vor darf die tägliche Arbeitszeit gemäß § 3 AZO die Dauer von acht Stunden nicht überschreiten. Eine anderweitige Verteilung der Arbeitszeit zum Ausgleich ausgefallener Arbeitsstunden ist nach § 4 AZO ebenfalls zulässig, sofern zehn Stunden täglich nicht überschritten werden. Nach § 6 AZO dürfen Arbeitnehmer an 30 Tagen im Jahr bis zu zwei Stunden nach freier Entscheidung des Arbeitgebers länger beschäftigt werden; weitere befristete Ausnahmen kann nach § 8 AZO das Gewerbeaufsichtsamt zulassen. Nach § 7 AZO schließlich kann die Arbeitszeit durch Tarifvertrag auf bis zu zehn Stunden täglich verlängert werden. Im Kern hat der öffentlichrechtliche Arbeitszeitschutz also bereits 1923 seine heutige Gestalt angenommen. Aber auch in Zukunft sind keine wesentlichen Neuerungen auf dem Gebiet des Arbeitszeitrechtes zu erwarten. Der am 9. Jan. 1985 dem Bundestag vorgelegte Regierungsentwurf eines neuen Arbeitszeitgesetzes 7 behält den mit der AZVO vom 21. Dez. 1923 eingeschlagenen Weg bei. Es bleibt festzustellen, daß Heinrich Brauns die Entwicklung des Arbeitszeitrechtes bis in die Gegenwart maßgeblich beeinflußt hat. Sein Bestreben, während seiner Amtszeit als Reichsarbeitsminister 1920 - 1928 ein den Bedürfnissen der Wirtschaft gerecht werdendes Arbeitszeitrecht zu schaffen, ohne die Arbeiterschaft sich selbst zu überlassen, brachte Brauns zwar oftmals scharfe K r i t i k sowohl der Arbeitgeber- wie der Arbeitnehmerverbände ein. Nichts1 RGBl. 1934 I, S. 803. Vgl. Denecke / Neumann, AZO, S. 45; s. a. Leuchten, Achtstundentag, S. 258; Schneider, Arbeitszeit, S. 148. 3 RGBl. 1938 I, S. 447. 4 RGBl. 1938 I, S. 437. 5 Vgl. Denecke / Neumann, AZO, S. 45; Kranig, Lockung und Zwang, S. 87 f.; Leuchten, Achtstundentag, S. 258. 6 Vgl. Denecke / Neumann, AZO, S. 46 f. 7 Bundestag-Drucksache 10/2706; s. a. Wilhelm Herschel, Bemerkungen zum Entwurf eines Arbeitszeitgesetzes, in: BB 1986, S. 384 f.; Otfried Wlotzke, Zum Regierungsentwurf eines neuen Arbeitszeitgesetzes, in: NZA 1984, S. 182 - 185. 2

Schlußbetrachtung

destoweniger hatte Brauns einen entscheidenden Anteil an der Rettung der Wirtschaft und leistete mit seinem Einsatz für die Tarifautonomie einen wichtigen Beitrag für das geltende Arbeitszeitrecht.

Anhang Anlage 1 Entwurf des Reichsarbeitsministeriums zu Vorschriften über die Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 10. Juni 1919* I. Die nachstehenden Bestimmungen gelten für die gewerblichen Arbeiter in den gewerblichen Betrieben einschließlich des Bergbaues, den landwirtschaftlichen Nebenbetrieben gewerblicher Art und den zur Warenerzeugung dienenden Betrieben des Reichs, der Bundesstaaten, der Gemeinden und der Gemeindeverbände, auch wenn sie nicht zur Erzielung von Gewinn betrieben werden. II. Die regelmäßige tägliche Arbeitszeit ausschließlich der Pausen darf acht Stunden nicht überschreiten. Wenn die Arbeitszeit an einzelnen Werktagen, insbesondere an den Vorabenden der Sonn- und Festtage auf weniger als acht Stunden festgesetzt wird, so kann der entstehende Ausfall an Arbeitsstunden dadurch ausgeglichen werden, daß die Arbeitszeit an den übrigen Werktagen verlängert wird, jedoch darf die Gesamtzahl der Arbeitsstunden an den sechs Werktagen einer Woche nicht mehr als achtundvierzig betragen. Die zum Besuche der Fortbildungsschule (§ 120 G.O.) verwendete Zeit gilt als Arbeitszeit. Beginn und Ende der Arbeitszeiten und Pausen sind durch Aushang an einer den Arbeitern leicht zugänglichen Stelle i n den Arbeitsräumen bekannt zu geben. III. In den Betrieben mit regelmäßiger Tag- und Nachtschicht, denen auf Grund gesetzlicher Bestimmungen das Arbeiten an den Sonn- und Festtagen erlaubt ist, dürfen, um den regelmäßigen wöchentlichen Schichtwechsel herbeizuführen, männliche über 16 Jahre alte Arbeiter innerhalb eines Zeitraumes von drei Wochen einmal über die in I I festgesetzte Dauer hinaus bis zu höchstens sechzehn Stunden einschließlich der Pausen beschäftigt werden, sofern ihnen in diesen drei Wochen zweimal eine ununterbrochene Ruhezeit von je vierundzwanzig Stunden gewährt wird. IV. Den jugendlichen Arbeitern müssen an jedem Arbeitstage, an dem sie länger als vier Stunden beschäftigt werden, innerhalb der Arbeitsstunden regelmäßige Pausen * Quelle: Hmb. StA, Akten des Senats, Cl. I, Lit. Τ, Nr. 8, Vol. 295 b, Fase. 1, 16.

Anlage 1

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gewährt werden. Werden die jugendlichen Arbeiter nicht länger als sechs Stunden täglich beschäftigt, so muß ihnen mindestens mittags eine einstündige sowie vor- und nachmittags je eine halbstündige Pause gewährt werden. Wenn die Dauer der durch eine Pause nicht unterbrochenen Arbeitszeit der jugendlichen Arbeiter an Vor- und Nachmittagen vier Stunden nicht übersteigt, braucht eine Vor- und Nachmittagspause nicht gewährt zu werden. V. Arbeiterinnen dürfen an den Vorabenden der Sonn- und Festtage nicht nach 3 Uhr nachmittags beschäftigt werden. Den Arbeiterinnen muß an jedem Arbeitstage, an dem sie länger als vier Stunden beschäftigt werden, innerhalb der Arbeitsstunden eine Pause von wenigstens einer halben Stunde gewährt werden. VI. Die vorstehenden Bestimmungen finden keine Anwendung, a) auf Arbeiten, welche in Notfällen oder im öffentlichen Interesse unverzüglich vorgenommen werden müssen, b) auf Arbeiten, welche erforderlich sind, um das Verderben von Rohstoffen oder das Mißlingen von Arbeitserzeugnissen zu verhindern, sofern diese Arbeiten nicht in der regelmäßigen achtstündigen Arbeitszeit vorgenommen werden können. Sind Arbeiter, abweichend von den Bestimmungen unter I bis V mit Arbeiten der unter a und b bezeichneten Art beschäftigt worden, so ist dies binnen drei Tagen den zuständigen Gewerbeaufsichtsbeamten - bei bergbaulichen Betrieben den zuständigen Bergrevierbeamten - schriftlich anzuzeigen. VII. Wenn für einzelne Gewerbe oder Gewerbezweige eine von den Bestimmungen unter I bis V abweichende Regelung der Arbeitszeit durch Tarifvertrag festgesetzt ist, so treten für alle zugehörigen Betriebe anstelle der Bestimmungen unter I bis V die Festsetzungen des Tarifvertrages, sofern er nach § 2 der Verordnung über Tarifverträge usw. vom 23. Dez. 1918 (Reichsgesetzbl. S. 1456) innerhalb eines bestimmten Geltungsbereichs für allgemein verbindlich erklärt worden ist und zwar für alle dem betroffenen Gewerbezweige angehörenden Betriebe innerhalb des Geltungsbereichs des Tarifvertrages, auch wenn sie an diesem nicht beteiligt sind. VIII. Auf Antrag des Unternehmers kann eine von den Bestimmungen unter I bis V abweichende Regelung der Arbeitszeit durch den zuständigen Gewerbeaufsichtsbeamten - bei bergbaulichen Betrieben durch den zuständigen Bergaufsichtsbeamten widerruflich genehmigt werden: a) für Betriebe, für welche Bestimmungen über die Arbeitszeit auf Grund von Tarifverträgen gemäß § 1 der Verordnung vom 23. Dezember 1918 (Reichs-Gesetzbl. S. 1456) festgesetzt sind, nach Maßgabe dieser Verträge, auch wenn diese nur für einen Teil der Arbeiter gelten,

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Anhang

b) für die Bewachung von Betriebsanlagen und die Beaufsichtigung des Betriebes, c) für Arbeiten, die zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens nötig sind, d) bei außergewöhnlicher Häufung der Arbeit. Vor der Genehmigung ist dem Arbeiterausschuß und dem Angestelltenausschuß des Betriebes oder, soweit ein Ausschuß nicht besteht, den Arbeitern und Angestellten des Betriebes Gelegenheit zu geben, sich zu dem Antrage zu äußern. In dringenden Fällen kann zunächst die Genehmigung für höchstens 14 Tage ohne weiteres erteilt werden. Eine Abschrift der Genehmigung ist in den Arbeitsräumen an einer den Arbeitern leicht zugänglichen Stelle auszuhängen. IX. Wenn die Natur des Betriebes oder Rücksichten auf die Arbeiter i n einzelnen Gewerbezweigen eine von den Bestimmungen unter I bis V abweichende Regelung der Arbeitszeit geboten erscheinen lassen, kann sie das Reichsarbeitsministerium widerruflich genehmigen. X. Für die Aufsicht über die Ausführung dieser Verordnung gelten die Bestimmungen des § 139 b der Gewerbeordnung. Die Gewerbeaufsichtsbeamten und Bergaufsichtsbeamten sind befugt, zwecks Ausübimg dieser Aufsicht mit den Arbeiterausschüssen im Beisein des Arbeitgebers oder mit beiden Teilen allein zu verhandeln und zu diesem Zwecke die Arbeiterausschüsse einzuberufen. XI. Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark und im Unvermögensfalle mit Haft bis zu einer Woche w i r d bestraft, wer den Vorschriften in Nr. I I Abs. 3 oder in Nr. V I I I Abs. 2 zuwiderhandelt. Mit Geldstrafe bis zu zweitausend Mark, im Unvermögensfalle mit Gefängnis bis zu sechs Monaten w i r d bestraft, wer den anderen vorstehenden Bestimmungen oder den auf Grund derselben erlassenen Anordnungen zuwiderhandelt. War der Täter zur Zeit der Begehung einer der in Absatz 2 bezeichneten Straftaten bereits wegen Zuwiderhandlung nach Absatz 2 bestraft, so tritt, falls die Straftat vorsätzlich begangen wurde, Geldstrafe von einhundert bis dreitausend Mark oder Gefängnis bis zu sechs Monaten ein. Die Anwendung dieser Vorschrift bleibt ausgeschlossen, wenn seit der Rechtskraft der letzten Verurteilung bis zur Begehung der neuen Straftat drei Jahre verflossen sind. XII. Die Bestimmungen i n § 135 Abs. 3, § 136 Abs. 1 Satz 3 bis 5 und § 137 Abs. 2, 3 der Gewerbeordnung werden aufgehoben. Im übrigen finden die Reichs- und Landesgesetze und die auf Grund dieser Gesetze erlassenen Vorschriften im bisherigen Umfang soweit Anwendung, als sie nicht den vorstehenden Bestimmungen zuwiderlaufen.

Anlage 2

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Für die Bäckereien und Konditoreien und die ihnen gleichgestellten Anlagen bewendet es bei den Bestimmungen über die Arbeitszeit in den Bäckereien und Konditoreien vom 23. November 1918 (Reichs-Gesetzbl. S. 1229). XIII. Die vorstehenden Bestimmungen treten am

in Kraft.

Anlage 2 Entwurf des Reichsarbeitsministeriums zu einem Gesetz über die Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 14. September 1920* §1 Als gewerbliche Arbeiter im Sinne dieses Gesetzes gelten alle diejenigen Personen, die in einem der in § 2 bezeichneten Betriebe auf Grund eines Vertragsverhältnisses als Gesellen, Gehilfen, Lehrlinge, Werkmeister, Techniker, Fabrikarbeiter oder in ähnlichen Stellungen für Zwecke des Betriebes beschäftigt werden.

§2 Die Bestimmungen dieses Gesetzes gelten für die gewerblichen Arbeiter i n den gewerblichen Betrieben einschließlich des Bergbaues und in denjenigen Betrieben des Reichs, der Länder, der Gemeinden, der Gemeinde-Verbände und sonstiger Körperschaften oder Vereine, die, wenn sie von Privatpersonen gewerbsmäßig betrieben würden, als gewerbliche Betriebe anzusehen wären. Die Bestimmungen finden keine Anwendung 1. auf Personen, welche die Aufsicht führen oder eine leitende Stelle oder eine Vertrauensstellung innehaben, 2. auf Betriebe, in denen lediglich die Mitglieder einer und derselben Familie beschäftigt werden, 3. auf die in der Heimarbeit beschäftigten Personen, 4. auf die dem Verkehr unmittelbar dienenden Betriebe der Eisenbahn-, Post- und Telegraphenverwaltung, soweit die Arbeitszeit der in diesen Betrieben beschäftigten Arbeiter von der vorgesetzten Dienstbehörde durch Sondervorschriften geregelt wird, 5. auf das See- und Binnenschiffahrtsgewerbe. §3 Die werktägliche Arbeitszeit ausschließlich der Pausen darf, soweit nicht in diesem Gesetz Ausnahmen vorgesehen sind, die Dauer von acht Stunden nicht überschreiten. * Quelle: ZStA/RAM/2128/Bl. 94 - 101.

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Anhang

Wenn an einzelnen Werktagen, insbesondere an Tagen vor Sonn- und Festtagen, weniger als acht Stunden oder überhaupt nicht gearbeitet wird, kann der entstehende Ausfall an Arbeitsstunden dadurch ausgeglichen werden, daß die Arbeitszeit an den übrigen Werktagen verlängert wird, jedoch darf die Gesamtzahl der Arbeitsstunden an den sechs Werktagen einer Woche nicht mehr als achtundvierzig Stunden und an den einzelnen Werktagen nicht mehr als neun Stunden betragen. Beginn und Ende der Arbeitszeit und der Pausen, gegebenenfalls getrennt nach erwachsenen männlichen, weiblichen und jugendlichen Arbeitern, sind, sofern keine tarifliche Regelung erfolgt ist, vom Arbeitgeber im Einvernehmen mit der Betriebsvertretung oder, wenn eine Vertretung nicht besteht, mit den Arbeitern des Betriebes entsprechend den Bestimmungen dieses Gesetzes für den Gesamtbetrieb oder einzelne Abteilungen gesondert festzusetzen und durch Aushang an einer den Arbeitern leicht zugänglichen Stelle in den Arbeitsräumen oder in den Zechenhäusern bekanntzugeben. §4 Die für den Unterricht in der Berufsschule (Gesetz vom . ..) verwendete Zeit ist, soweit sie sechs Stunden wöchentlich nicht übersteigt, in die Arbeitszeit einzurechnen und als Arbeitszeit zu entlohnen. Die Einrechnung und Entlohnung braucht jedoch nur insoweit stattzufinden, als die gewerblichen Arbeiter zum Besuch der Berufsschule gesetzlich verpflichtet sind und die Zahl der Arbeitsstunden im Betriebe und der Unterrichtsstunden zusammen achtundvierzig Stunden in der Woche übersteigt. §5 In Betrieben mit regelmäßig wechselnder Tag- und Nachtschicht, in denen Arbeiten vorkommen, welche ihrer Natur nach auch an den Sonn- und Festtagen nicht unterbrochen werden können, und denen auf Grund gesetzlicher Bestimmungen das regelmäßige Arbeiten an den Sonn- und Festtagen erlaubt ist, darf die in § 3 Absatz 1 festgelegte Höchstarbeitszeit für die mit solchen Arbeiten beschäftigten Arbeiter unter der Bedingung überschritten werden, daß die Arbeitszeit im Durchschnitt dreier Wochen sechsundfünfzig Wochenstunden nicht übersteigt. Die Dauer der zur Herbeiführung eines regelmäßigen wöchentlichen Schichtwechsels erforderlichen Wechselschicht darf nicht mehr als sechzehn Stunden betragen.

§6 Arbeitnehmern, die bei einem Arbeitgeber regelmäßig bis zu der gesetzlich zulässigen Dauer beschäftigt werden, ist es untersagt, in ihrem oder einem anderen Berufe bei einem zweiten Arbeitgeber Beschäftigimg anzunehmen. Die Arbeitgeber dürfen solchen Arbeitnehmern wissentlich keine Beschäftigung geben und sind verpflichtet, bei der Einstellung neuer Arbeitnehmer diese zu befragen, ob sie schon bei einem anderen Arbeitgeber im Beschäftigungsverhältnis stehen. Soweit Arbeitnehmer bei einem Arbeitgeber nicht voll beschäftigt werden, ist ihre Fremdbeschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber unter der Bedingung zulässig, daß ihre Arbeitszeit insgesamt die gesetzlich zulässige Dauer nicht überschreiten darf. Die Arbeitgeber dürfen nicht gestatten, daß ihre Arbeiter nach Ablauf der gesetzlichen Arbeitszeit auf eigene Rechnung im Betriebe weiterarbeiten.

Anlage

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§7 Den Arbeitern darf für die Tage, an denen sie in dem Betriebe die gesetzlich zulässige Arbeitszeit hindurch beschäftigt waren, Arbeit zur Verrichtung außerhalb des Betriebes vom Arbeitgeber überhaupt nicht übertragen oder für Rechnung Dritter überwiesen werden. Für die Tage, an denen die Arbeiter in dem Betriebe kürzere Zeit beschäftigt waren, ist die Übertragung oder Überweisung nur i n dem Umfang zulässig, in welchem Durchschnittsarbeiter ihrer Art die Arbeit voraussichtlich in dem Betriebe während des Restes der gesetzlich zulässigen Arbeitszeit würden herstellen können. Für Sonnund Festtage ist die Übertragung oder Überweisung ganz untersagt. Bei Zuwiderhandlung gegen die Bestimmung des Absatzes 2 kann der zuständige Gewerbe- oder Bergaufsichtsbeamte (§ 139 b der Gewerbeordnimg) im Wege der Verfügung für einzelne Betriebe die Übertragung oder Überweisung solcher Arbeit von besonderen Bedingungen abhängig machen oder entsprechend der Bestimmung des Absatzes 2 beschränken oder ganz verbieten. Vor Erlaß solcher Verfügungen hat der Aufsichtsbeamte den beteiligten Arbeitgebern und Betriebsvertretungen oder, wenn eine Vertretung nicht besteht, den Arbeitern Gelegenheit zu geben, sich zu äußern. Gegen die Verfügung des Aufsichtsbeamten steht dem Gewerbeunternehmer binnen zwei Wochen die Beschwerde an die höhere Verwaltungsbehörde zu. Gegen die Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde ist binnen vier Wochen die Beschwerde an die Kontrollbehörde zulässig; diese entscheidet endgültig.

§8 Kinder unter vierzehn Jahren dürfen i n den i n § 2 Abs. 1 bezeichneten Betrieben nicht beschäftigt werden. Diese Bestimmung findet auf die Beschäftigung der Kinder in Fachschulen keine Anwendung. §9 In einschichtigen Betrieben dürfen die Arbeitsstunden der jugendlichen Arbeiter unter sechzehn Jahren nicht vor sechs Uhr morgens beginnen und nicht über acht Uhr abends dauern. Jugendliche Arbeiter zwischen sechzehn und achtzehn Jahren dürfen nicht vor fünf Uhr morgens und nicht nach zehn Uhr abends beschäftigt werden. Nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit ist den jugendlichen Arbeitern eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden zu gewähren. In zwei- oder mehrschichtigen Betrieben dürfen die Arbeitsstunden der jugendlichen Arbeiter nicht vor fünf Uhr morgens beginnen und nicht über zehn Uhr abends dauern. Bei einer Beschäftigung bis zehn Uhr abends ist den jugendlichen Arbeitern nach Beendigung der Arbeitszeit, abgesehen von Tagen mit wöchentlichem Schichtwechsel, eine ununterbrochene Ruhezeit von sechzehn Stunden zu gewähren. In Stein- und Braunkohlegruben dürfen jugendliche Arbeiter in der Zeit von zehn Uhr abends bis fünf Uhr morgens beschäftigt werden, wenn ihnen zwischen je zwei Arbeitsschichten eine ununterbrochene Ruhezeit von in der Regel fünfzehn Stunden, keinesfalls jedoch von weniger als dreizehn Stunden gewährt wird. Die Bestimmungen des Absatzes 1 und 2 finden regelmäßig keine Anwendung auf jugendliche Arbeiter von sechzehn bis achtzehn Jahren bei Arbeiten, die ihrer Natur nach nicht unterbrochen werden können, in den nachstehend aufgeführten Betrieben:

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a) bei der Eisen- und Stahlherstellung, bei Arbeiten, zu denen Regenerativ- oder ähnliche Öfen benutzt werden und bei der Verzinkung von Eisenblech oder Eisendraht (mit Ausnahme der Glühräume), b) in den Glasfabriken, c) in Papierfabriken, d) in Rohzuckerfabriken. §10 Den jugendlichen Arbeitern unter sechzehn Jahren müssen an jedem Arbeitstage, an dem sie länger als vier Stunden beschäftigt sind, zwischen den Arbeitsstunden regelmäßige Pausen gewährt werden. Bei einer täglichen Beschäftigungszeit von höchstens 6 Stunden muß ihnen mindestens eine halbstündige Pause, bei einer täglichen Beschäftigungszeit von mehr als sechs Stunden müssen mindestens eine einstündige oder zwei halbstündige Pausen gewährt werden. In zwei- oder mehrschichtigen Betrieben sind die Pausen in die Arbeitszeit der jugendlichen Arbeiter unter sechzehn Jahren einzurechnen. Während der Pausen darf den jugendlichen Arbeitern eine Beschäftigung im Betriebe überhaupt nicht und der Aufenthalt i n den Arbeitsräumen nur dann gestattet werden, wenn in denselben diejenigen Teile des Betriebes, in denen jugendliche Arbeiter beschäftigt sind, für die Zeit der Pausen völlig eingestellt werden, oder wenn der Aufenthalt im Freien nicht tunlich und andere geeignete Aufenthaltsräume ohne unverhältnismäßige Schwierigkeiten nicht beschafft werden können. An Sonn- und Festtagen, sowie während der von dem ordentlichen Seelsorger für den Katechumenen- und Konfirmanden-, Beicht- oder Kommunionunterricht bestimmten Stunden dürfen jugendliche Arbeiter nicht beschäftigt werden. §11 Arbeiterinnen dürfen in einschichtigen Betrieben nicht in der Nachtzeit von acht Uhr abends bis sechs Uhr morgens beschäftigt werden. An den Tagen vor Sonn- und Festtagen dürfen Arbeiterinnen in einschichtigen Betrieben nicht nach fünf Uhr nachmittags beschäftigt werden. Nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit ist den Arbeiterinnen eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden zu gewähren. In zwei- oder mehrschichtigen Betrieben dürfen Arbeiterinnen nicht in der Nachtzeit von zehn Uhr abends bis fünf Uhr morgens beschäftigt werden. Bei einer Beschäftigung bis zehn Uhr abends ist den Arbeiterinnen nach Beendigung der Arbeitszeit, abgesehen von den Tagen mit Schichtwechsel, eine ununterbrochene Ruhezeit von sechzehn Stunden zu gewähren. Zwischen den Arbeitsstunden sind den Arbeiterinnen Pausen von gleicher Dauer wie den jugendlichen Arbeitern unter sechzehn Jahren (§10 Abs. 1) zu gewähren. Arbeiterinnen, die ein Hauswesen zu versorgen haben, ist auf ihren Antrag bei mehr als sechsstündiger Arbeitszeit eine zusammenhängende Pause von mindestens ein und einer halben Stunde zu gewähren. Arbeiterinnen dürfen vor und nach ihrer Niederkunft im ganzen während acht Wochen nicht beschäftigt werden. Ihre Wiedereinstellung ist nur gestattet, wenn nachgewiesen wird, daß seit ihrer Niederkunft mindestens sechs Wochen verflossen sind.

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Arbeiterinnen dürfen nicht in Kokereien und nicht zur Beförderung von Baustoffen bei Bauten aller Art verwendet werden. Arbeiterinnen dürfen in Bergwerken, Salinen, Aufbereitungsanstalten und unterirdisch betriebenen Brüchen oder Gruben nicht unter Tage beschäftigt werden. Ihre Beschäftigung in Anlagen der vorbezeichneten Art bei der Förderung mit Ausnahme der Aufbereitung (Separation, Wäsche), bei dem Transport und der Verladung ist auch über Tage verboten. Das Verbot der Beschäftigung von Arbeiterinnen nach fünf Uhr nachmittags an den Tagen vor Sonn- und Festtagen findet auf Arbeiterinnen in Badeanstalten keine Anwendung. §12 Sollen Arbeiterinnen oder jugendliche Arbeiter beschäftigt werden, so hat der Arbeitgeber vor dem Beginn der Beschäftigung der Ortspolizeibehörde eine schriftliche Anzeige zu machen. In der Anzeige sind der Betrieb, Beginn und Ende der Arbeitszeit und der Pausen sowie die Art der Beschäftigung anzugeben. Eine Änderung hierin darf, abgesehen von Verschiebungen, welche durch Ersetzung behinderter Arbeiter für einzelne Arbeitsschichten notwendig werden, nicht erfolgen, bevor eine entsprechende weitere Anzeige der Behörde gemacht ist. In jedem Betrieb hat der Arbeitgeber dafür zu sorgen, daß in den Räumen, in denen jugendliche Arbeiter beschäftigt werden, an einer in die Augen fallenden Stelle ein Verzeichnis der jugendlichen Arbeiter unter Angabe ihres Geburtsjahres ausgehängt ist. Ebenso hat er dafür zu sorgen, daß in denjenigen Räumen, in denen Arbeiterinnen oder jugendliche Arbeiter beschäftigt werden, an einer in die Augen fallenden Stelle eine Tafel ausgehängt ist, welche in der von dem Reichsarbeitsminister zu bestimmenden Fassung und in deutlicher Schrift einen Auszug aus den Bestimmungen über die Beschäftigung der Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeiter enthält. §13 Die Bestimmungen der §§ 1 Absatz 1, 5; 9 Absatz 1 und 2; 10 Absatz 1; 11 Absatz 1 bis 3 finden keine Anwendung auf Arbeiten, die 1. in Notfällen, insbesondere zur Verhütung erheblicher Störungen des regelmäßigen Betriebes und bei nicht vorhersehbaren Unterbrechungen des regelmäßigen Betriebes durch Naturereignisse oder Unglücksfälle, 2. zur Verhütung des Verderbens von Rohstoffen und Waren oder des Mißlingens von Arbeitserzeugnissen vorübergehend unverzüglich vorgenommen werden müssen, sofern diese Arbeiten nicht in der regelmäßigen Arbeitszeit vorgenommen oder beendet werden können. Soweit jugendliche Arbeiter mit solchen Arbeiten beschäftigt werden, müssen sie über sechzehn Jahre alt sein. Unbeschadet der weitergehenden Ausnahmen des Absatzes 1 dürfen über achtzehn Jahre alte männliche Arbeiter bis zu höchstens zwei Stunden täglich über die in § 3 Absatz 1 festgesetzte Arbeitszeit in folgenden Fällen beschäftigt werden: 1. bei Arbeiten zur Bewachung der Betriebsanlagen, zur Reinigung und Instandsetzung, durch die der regelmäßige Fortgang des eigenen oder eines fremden Betriebes bedingt ist,

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2. bei Arbeiten, von denen die Aufnahme, Wiederaufnahme oder Aufrechterhaltung des vollen Betriebes abhängig ist, 3. bei der Beaufsichtigung der vorstehend unter Nr. 1 und 2 aufgeführten Arbeiten. Die in Absatz 1 und 2 bezeichneten Arbeiten sind nur gestattet, wenn sie durch eine anderweitige Einteilung während der regelmäßigen Arbeitszeit oder eine vermehrte Einstellung von Arbeitern nach Lage der Betriebsverhältnisse nicht vermieden werden können. Der Arbeitgeber hat ein Verzeichnis aller Überarbeiten mit Angaben der Vor- und Zunamen der Arbeiter, ihres Alters, der Art der Überarbeit und der Dauer der Beschäftigung zu führen und den Gewerbe- oder Bergaufsichtsbeamten auf Erfordern jederzeit zur Einsichtnahme vorzulegen. Außerdem hat er den Gewerbeoder Bergaufsichtsbeamten länger als zwei Wochen anhaltende oder regelmäßig wiederkehrende Überarbeit innerhalb drei Tagen anzuzeigen. Der Gewerbe- oder Bergaufsichtsbeamte kann die Überarbeit untersagen, falls daraus Unzuträglichkeiten entstehen oder Gesundheitsschädigungen der beteiligten Arbeiter zu befürchten sind. §14 Bei außergewöhnlicher Häufung der Arbeit kann auf Antrag des Unternehmers für einzelne Betriebe oder für eine Abteilung solcher Betriebe eine von den Bestimmungen der §§3 Absatz 1, 11 Absatz 1 bis 3 abweichende Regelung der Arbeitszeit der über achtzehn Jahre alten Arbeiter und Arbeiterinnen an sechzig Tagen im Jahr durch den zuständigen Gewerbe- oder Bergaufsichtsbeamten widerruflich genehmigt werden. Die ununterbrochene Ruhezeit der Arbeiterinnen muß jedoch mindestens elf Stunden täglich betragen; in dieser Ruhezeit müssen die Stunden zwischen zehn Uhr abends und fünf Uhr morgens liegen. Der Antrag ist schriftlich zu stellen und muß den Grund, aus welchem die Erlaubnis beantragt wird, die Zahl, das Alter und das Geschlecht der in Betracht kommenden Arbeiter und Arbeiterinnen, das Maß der längeren Beschäftigung, sowie den Zeitraum angeben, für den dieselbe stattfinden soll. Vor der Genehmigung ist der Betriebsvertretung oder, wenn eine Vertretung nicht besteht, den Arbeitern des Betriebes Gelegenheit zu geben, sich zu dem Antrag zu äußern. In dringenden Fällen kann zunächst die Genehmigung für höchstens vierzehn Tage ohne weiteres erteilt werden. Der Bescheid des Gewerbe- oder Bergaufsichtsbeamten auf den Antrag ist binnen drei Tagen schriftlich zu erteilen und muß in jedem einzelnen Falle die Höchstzahl der zulässigen Überstunden vorschreiben. Gegen die Versagung der Erlaubnis steht die Beschwerde an die vorgesetzte Behörde zu. Eine Abschrift der Genehmigung ist in den Arbeitsräumen an einer den Arbeitern leicht zugänglichen Stelle auszuhängen. Die Überarbeit ist in das nach § 13 Absatz 3 zu führende Überarbeitsverzeichnis zugleich mit den dort vorgeschriebenen Angaben einzutragen. Der Gewerbe- oder Bergaufsichtsbeamte hat über die Fälle, in denen die Erlaubnis erteilt worden ist, ein Verzeichnis zu führen, in welches der Name des Arbeitgebers und die für den schriftlichen Antrag vorgeschriebenen Angaben einzutragen sind. Für einzelne Gewerbezweige kann die höhere Verwaltungsbehörde Ausnahmen der in Absatz 1 bezeichneten Art widerruflich erteilen. Die Vorschriften des Absatzes 2 bis 5 finden auf solche Ausnahmen entsprechende Anwendung.

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§15 Die Gewerbe- oder Bergaufsichtsbeamten können Ausnahmen von den Bestimmungen des § 4 widerruflich zulassen, wenn dies im öffentlichen Interesse notwendig erscheint. Wenn die Natur des Betriebes oder Rücksichten auf die Arbeiter in einzelnen Anlagen es erwünscht erscheinen lassen, daß die Pausen der Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeiter unter Einhaltung der in § 3 Absatz 1 vorgeschriebenen Arbeitszeit in einer anderen als der durch die §§10 und 11 vorgesehenen Weise geregelt werden, so kann auf besonderen Antrag eine anderweitige Regelung durch die Gewerbe- oder Bergaufsichtsbeamten widerruflich gestattet werden. Die auf Grund der vorstehenden Bestimmungen zu treffenden Verfügungen müssen schriftlich erlassen werden. Vor Erlaß der Verfügung ist der Betriebsvertretung oder, wenn eine Vertretung nicht besteht, den Arbeitern des Betriebes Gelegenheit zu geben, sich gutachtlich zu äußern. §16 Wenn für einzelne Gewerbe oder Gewerbezweige eine von den Bestimmungen des § 3 Absatz 1 abweichende Regelung der Arbeitszeit durch einen allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrag (§ 2 der Verordnung über Tarifverträge usw. vom 23. Dezember 1918 Reichs-Gesetzbl. S. 1456) festgesetzt ist, so treten für die zugehörigen Betriebe anstelle der Bestimmungen des § 3 Absatz 1 die Bestimmungen des Tarifvertrages. Die höhere Verwaltungsbehörde kann auf Antrag widerruflich genehmigen, daß auch abweichende Bestimmungen der in § 1 der Verordnung vom 23. Dezember 1918 (Reichsgesetzbl. S. 1456) bezeichneten Tarifverträge für die angehörigen Betriebe anstelle der Bestimmungen des § 3 Absatz 1 treten. Ein Abdruck des Tarifvertrages ist von dem Arbeitgeber in den Arbeitsräumen an einer in die Augen fallenden Stelle auszuhängen. Wenn für einzelne Betriebe mehrere Tarifverträge in Betracht kommen, so steht bei Zweifeln darüber, welche Arbeitszeit für den Gesamtbetrieb maßgebend sein soll, die Entscheidung den zuständigen Gewerbe- oder Bergaufsichtsbeamten zu. Beschränkungen der Arbeitszeit, die auf Grund des § 120 e der Gewerbeordnung, des § 17 dieses Gesetzes, sowie des Gesetzes betreffend Kinderarbeit i n gewerblichen Betrieben vom 30. März 1903 (Reichs-Gesetzbl. S. 113) festgesetzt sind, werden durch Tarifverträge nicht berührt. Die Bestimmungen der §§13,15,17 Absatz 1,2,3,5 sind auch auf Betriebe anwendbar, für welche die Arbeitszeit durch Tarifvertrag geregelt ist. § 17 Der Reichsarbeitsminister ist ermächtigt, 1. für gewisse Klassen von Arbeitern, deren Arbeit ihrer Natur nach regelmäßig vorübergehende Unterbrechungen erfährt, zu bestimmen, in welchem Umfang und in welcher Art die Arbeitsunterbrechungen als Pausen anzusehen sind, 2. die Verwendung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern für gewisse Gewerbezweige, die mit besonderen Gefahren für Gesundheit oder Sittlichkeit verbunden sind, gänzlich zu untersagen oder von besonderen Bedingungen abhängig zu machen,

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3. für gewisse Gewerbe, soweit die Natur des Betriebes oder die Rücksicht auf die Arbeiter es geboten oder erwünscht erscheinen lassen, eine anderweitige Regelung der für Arbeiterinnen und jugendliche Arbeiter vorgeschriebenen Pausen zu gestatten, 4. für Gewerbe, in denen regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres ein vermehrtes Arbeitsbedürfnis eintritt, oder deren Betrieb ihrer Natur nach auf bestimmte Jahreszeiten beschränkt ist, für über achtzehn Jahre alte Arbeiter und Arbeiterinnen an höchstens sechzig Tagen im Kalenderjahr Ausnahmen von den Bestimmungen der §§ 3 Absatz 1, 11 Absatz 1 bis 3 zuzulassen. Die ununterbrochene Ruhezeit der Arbeiterinnen muß jedoch mindestens elf Stunden täglich betragen; in dieser Ruhezeit müssen die Stunden zwischen zehn Uhr abends und fünf Uhr morgens liegen. Soweit solche Ausnahmen erteilt sind, findet § 14 auf die zugehörigen Betriebe keine Anwendung, 5. für gewisse Gewerbezweige oder Betriebsarten, während der nächsten fünf Jahre auch andere erleichternde Ausnahmen von den Vorschriften der §§3 bis 8, 9 Absatz 1 und 2,11 Absatz 1 bis 3 und 5, 16 zuzulassen, sofern diese Ausnahmen im öffentlichen Interesse dringend erforderlich sind. In den Fällen zu 4 darf die Erlaubnis zur Überarbeit für mehr als sechzig Tage im Jahr dann erteilt werden, wenn die Arbeitszeit in der Weise geregelt wird, daß ihre tägliche Dauer im Durchschnitt der Betriebstage des Jahres die regelmäßige gesetzliche Arbeitszeit nicht überschreitet. Die Bestimmungen des Reichsarbeitsministers dürfen erst nach Anhörung der beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände erlassen werden und bedürfen der Zustimmung des Reichsrats. Sie sind zeitlich zu begrenzen und können auch für bestimmte Bezirke erlassen werden. Die Bestimmungen sind durch das Reichsgesetzblatt zu veröffentlichen und dem Reichstag bei seinem nächsten Zusammentritt zur Kenntnisnahme vorzulegen.

§18 Die auf Grund der §§13,14,16,17 geleisteten Überstunden müssen mit einem Aufschlag von mindestens 25 v. H. entlohnt werden.

§19 Für die Aufsicht über die Ausführung dieses Gesetzes gelten die Bestimmungen des § 139 b der Gewerbeordnung. Die Gewerbe- oder Bergaufsichtsbeamten sind befugt, zur Ausübung dieser Aufsicht mit der Betriebsvertretung oder, wenn eine Vertretung nicht besteht, mit den Arbeitern des Betriebes im Beisein des Arbeitgebers oder mit beiden Teilen allein zu verhandeln und zu diesem Zweck die Betriebsvertretimg oder die Arbeiter des Betriebes einzuberufen. Den Arbeitgebern ist auf jeden Fall vor der Einberufimg von dieser und dem Gegenstand der Verhandlung Kenntnis zu geben. Sofern die Verhandlungen während der regelmäßigen Arbeitszeit stattfinden, dürfen Lohnkürzungen für die beteiligten Arbeiter nicht stattfinden.

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§20 Mit Geldstrafen bis zu 150 M und im Unvermögensfalle mit Haft bis zu einer Woche wird bestraft, 1. wer den Vorschriften der §§ 3 Absatz 2, 12, 13 Absatz 3 Satz 2 und 3, 14 Absatz 4, 16 Absatz 3 Satz 1 zuwiderhandelt, 2. wer Aushänge im Betrieb, zu denen die Betriebsleitung nach den Vorschriften dieses Gesetzes verpflichtet ist, mutwillig beschädigt oder entfernt, 3. wer den Vorschriften des § 6 zuwider Beschäftigung gibt oder annimmt. Mit Geldstrafe bis zu 2000 M, im Unvermögensfalle mit Gefängnis bis zu sechs Monaten w i r d bestraft, wer entgegen den sonstigen Bestimmungen dieses Gesetzes oder den auf Grund derselben erlassenen Anordnungen Beschäftigung gibt oder annimmt. War der Täter zur Zeit der Begehung einer der im Absatz 2 bezeichneten Straftaten bereits wegen Zuwiderhandlung nach Absatz 2 bestraft, so tritt, falls die Tat vorsätzlich begangen wurde, Geldstrafe von 100 bis 3000 M oder Gefängnis bis zu sechs Monaten ein. Die Anwendung dieser Vorschrift bleibt ausgeschlossen, wenn seit der Rechtskraft der letzten Verurteilung bis zur Begehung der neuen Straftat drei Jahre verflossen sind. Sind die Zuwiderhandlungen durch Personen erfolgt, welche der Gewerbetreibende zur Leitung des Betriebes oder eines Teiles desselben oder zur Beaufsichtigung bestellt hatte, so trifft die Strafe diese letzteren. Der Gewerbetreibende ist neben denselben strafbar, wenn die Zuwiderhandlung mit seinem Vorwissen begangen ist. Das Gleiche gilt, wenn er bei der nach den Verhältnissen möglichen eigenen Beaufsichtigung des Betriebs oder bei der Auswahl oder der Beaufsichtigung der Betriebsleiter oder Aufsichtspersonen es an der erforderlichen Sorgfalt hatte fehlen lassen.

§21 Die Landeszentralbehörden bestimmen, welche Behörden unter der Bezeichnung höhere Verwaltungsbehörde und Ortspolizeibehörde zu verstehen sind. Solange der Reichsarbeitsminister von der ihm auf Grund des § 17 dieses Gesetzes zustehenden Ermächtigung keinen Gebrauch macht, sind die Landeszentralbehörden oder die von ihnen bestimmten Behörden befugt, bis auf weiteres entsprechende Anordnungen insoweit zu erlassen, als solche Anordnungen schon bisher auf Grund von § 139 a der Gewerbeordnung bestanden. Die erlassenen Anordnungen sind dem Reichsarbeitsminister alsbald zur Kenntnis zu bringen.

§22 Die Anordnung über die Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 23. November 1918/17. Dezember 1918 (Reichs-Gesetzbl. S. 1334/S. 1436), ferner die Bestimmungen der §§ 134 i bis 139 a, 154 Abs. 1 Nr. 4 und 6, Abs. 2 bis 5,154 a Abs. 2 der Gewerbeordnung und die auf Grund dieser Bestimmungen erlassenen Vorschriften werden aufgehoben. Soweit i n anderen Gesetzen und Verordnungen auf die aufgehobenen Bestimmungen Bezug genommen wird, tritt an deren Stelle dieses Gesetz oder die auf Grund desselben erlassenen Vorschriften.

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Im übrigen finden die Reichs- und Landesgesetze und die auf Grund dieser Gesetze erlassenen Vorschriften im bisherigen Umfang soweit Anwendung, als sie nicht den vorstehenden Bestimmungen zuwiderlaufen. Für die Bäckereien und Konditoreien und die ihnen gleichgestellten Anlagen bewendet es bei den Bestimmungen der Verordnung über die Arbeitszeit i n den Bäkkereien und Konditoreien vom 23. November 1918 (Reichs-Gesetzbl. S. 1329). §23 Die vorstehenden Bestimmungen treten am

in Kraft.

Anlage 3 Auszug aus dem Bericht des Arbeitsausschusses des sozialpolitischen Ausschusses des vorläufigen Reichswirtschaftsrates für die Vorbereitung des Gesetzentwurfes über die Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter (vom 23. Juni 1921)* IV. Ausnahmen Antrag der Arbeitnehmer: Zu § 18 Abs. 1 soll als dritter Satz hinzugefügt werden: Über den Zeitpunkt des Wiederbeginns der normalen Arbeitszeit für alle oder einzelne Arbeitnehmer hat sich der Arbeitgeber mit der Betriebsvertretimg zu verständigen. Anstelle der §§ 18 III, IV, 19, 20, 21 soll grundsätzlich folgende Regelung treten: Sonstige Ausnahmen von den Bestimmungen der § § 5 - 1 7 sind nur durch unmittelbare vertragliche Vereinbarungen zwischen den beteiligten wirtschaftlichen Organisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zulässig. Kommt eine Verständigung nicht zustande, so wird auf Anruf durch eine der Parteien auf dem Wege des gesetzlichen Schlichtungsverfahrens entschieden, wobei die Verfahrensvorschriften für die Verbindlichkeitserklärung von Schiedsprüchen Anwendimg finden. Die auf Grund der Ausnahmebestimmungen in Abschnitt IV zu leistenden Überstunden sind mit mindestens 25 v. H. Aufschlag zu bezahlen. Dr. Röhr.

Ströhlinger.

Vorläufiger

Schumacher.

Aufhäuser.

Vorschlag v. Siemens

Es wird vorgeschlagen, die §§18 III, IV, 19, 20 durch folgende grundsätzliche Regelung zu ersetzen:

* Quelle: ZStA/RWR/501/Bl. 175 - 178.

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1. Sonstige Ausnahmen von den Bestimmungen der § § 5 - 1 7 , soweit sie ganze Gruppen von Arbeitnehmern oder ganze Gewerbezweige betreffen, sind nur durch unmittelbare vertragliche Vereinbarung zwischen den beteiligten wirtschaftlichen Organisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zulässig. 2. Ausnahmen für einen einzelnen Betrieb oder große Teile eines solchen unterliegen der Vereinbarung mit der Arbeitnehmervertretung. Kommt eine Vereinbarung nicht zustande, so ist innerhalb 24 Stunden unter Hinzuziehung von Vertretern der beiderseitigen Organisationen erneut zu verhandeln. Erscheint zu dieser Verhandlung eine Partei nicht, so gilt damit der Vorschlag der Gegenseite als angenommen. Bleiben diese Verhandlungen ohne Ergebnis, so entscheidet die Belegschaft mit 2Δ Majorität. 3. Betreffen die Ausnahmen nur einzelne Gruppen von Arbeitern, so entscheiden die von der Überarbeit betroffenen Arbeiter. Falls keine Einigung erzielt wird, ist die Frage der Leistung von Überstunden mit der Arbeitervertretung zu verhandeln. Im übrigen gelten die Verfahrensvorschriften unter Ziff. 2. 4. Die Zahl der auf Grund der Ziffer 1 - 3 geleisteten Ueberstunden ist wöchentlich festzustellen und der Gewerbeaufsicht mitzuteilen, welche einzugreifen hat, wenn die Ueberstunden gegen die Ziffer 1 - 3 oder gegen die Schutzbestimmungen der § § 9 - 1 7 des Gesetzes verstoßen. 5. Kommt auf Grund der Bestimmungen unter Ziffer 1 - 3 eine Vereinbarung nicht zustande, so wird auf Anruf durch eine der Parteien auf dem Weg des gesetzlichen Schlichtungsverfahrens entschieden. In Fällen der Ziffer 2 - 3 fällt der Schlichtungsausschuß unter sofortiger Hinzuziehung eines unparteiischen Vorsitzenden innerhalb von drei Tagen eine für beide Parteien bindende Entscheidung. In Fällen der Ziffer 1 finden die Verfahrensvorschriften für die Verbindlichkeitserklärung von Schiedssprüchen Anwendung. 6. Jede nach den vorstehenden Bestimmungen getroffene Vereinbarung oder Entscheidung hat tarifrechtliche Bedeutung. Eine Stellungnahme zu § 21 bleibt vorbehalten.

Anlage 4 Schreiben August Thyssens an Reichskanzler Wirth vom 14. Oktober 1922* Hochverehrter Herr Reichskanzler! Gestatten Sie mir, dass ich im Nachstehenden mich mit einem offenen Wort an Sie wende: Die Entwicklung der Verhältnisse i n Deutschland muss alle ernsten Männer mit grösster Sorge erfüllen. Beinahe 4 Jahre sind nun seit Beendigung des unglücklichen Krieges verflossen, und, statt allmählich eine Besserung wahrzunehmen, müssen w i r feststellen, dass wir von Tag zu Tag tiefer ins Elend geraten und immer mehr verarmen. * Quelle: BA/R 43 I / 2 / B 1 . 12 Bischoff

5 -

1

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Gewiss, die Hauptschuld hieran trägt der unerfüllbare Diktatvertrag von Versailles. Einen grossen Teil der Schuld aber müssen wir uns selbst zuschreiben. Das Unglücklichste, das uns die Revolution bringen konnte, ist die unterschiedslose Einführung des A c h s t u n d e n t a g e s für alle Arbeiter und Angestellten gewesen, weil dadurch die Arbeitsleistung und damit die Produktion gewaltig vermindert werden. Wir haben über 4 Jahre Krieg gegen die ganze Welt geführt, unsere ganze Arbeit während dieser Zeit war wirtschaftlich unproduktiv. Wir haben den Krieg verloren. Die Entente hat unsere Flotte, unsere Kolonien, unsere ganzen Auslandswerte und einen grossen Teil unseres Landes weggenommen. Seit Jahren müssen wir dem Feinde ausserdem viele Milliarden in Gold- und Sachwerten liefern. Und da glaubt das deutsche Volk, das im Frieden 10 Stunden arbeiten musste, um sich zu ernähren, es brauche jetzt nur noch 8 Stunden zu arbeiten und könne besser leben, wie vor dem Kriege. Nicht nur das! Das deutsche Volk leistet im Stundendurchschnitt zum größten Teil nur 60 bis 70 % dessen, was es im Frieden gearbeitet hat. An der Ruhr förderten w i r vor dem Kriege mit 395.000 Bergleuten jährlich 114.000.000 t Kohlen und jetzt mit 550.000 Bergleuten knapp 100.000.000 ts. Aehnlich stellt sich die Erzeugung der übrigen Industrieen. Ich schätze, dass unsere gesamte Wirtschaft, einschliesslich der Landwirtschaft, im Durchschnitt heute kaum 60 bis 70 % der Friedensleistung hervorbringt. Mehr als es produziert, hat ein Volk nicht zu verbrauchen. Geht es darüber hinaus, so lebt es vom Kapital, wie es tatsächlich bei uns in erschreckendem Masse geschieht. Dieser Zustand lässt sich aber nur kurze Zeit aufrechterhalten, dann muss der Zusammenbruch kommen. Es ist mir unfassbar, wie Herr Reichspostminister Giesberts dieser Tage in einer öffentlichen Versammlung noch behaupten konnte, man müsse unbedingt am Achtstundentag festhalten, nachdem selbst ein Teil der sozialdemokratischen Führer erklärt hat, es gehe so nicht mehr weiter. Schon heute ist unsere Wettbewerbsfähigkeit dem Auslande gégenûber schwer bedroht. Darüber dürfen wir uns nicht hinwegtäuschen lassen, wenn vorübergehend durch einen schlechten Stand der Mark die Ausfuhr erleichtert wird. Alle Welt macht grosse Anstrengungen, die Produktion zu verbilligen und zu steigern, und wir müssen unbedingt folgen, wenn w i r den Kampf bestehen wollen. Retten kann uns nur eine grössere Gütererzeugung. Um diese zu erreichen, müssen wir eine grössere Arbeitsleistung erzielen, die ihrerseits nur durch eine Verlängerung der Arbeitszeit zu erlangen ist. Die dadurch mögliche Hebung des ganzen Lebensstandes wird auch bei den Arbeitern und Angestellten die frühere Arbeitsfreude zurückkehren lassen. Den vielen Worten, mit denen auf die Notwendigkeit der Mehrarbeit hingewiesen worden ist, muss jetzt die Tat folgen. Ich sehe keinen anderen Weg, um uns vor dem Untergang zu bewahren. Alle die kleinen Mittel, die erwogen werden zur Besserung der Lage, Einfuhrverbote, Wiedereinführung von Zwangsbewirtschaftungen etc., können uns nicht helfen, sondern wir müssen mehr produzieren. Wenn die Erzeugung der Industrie steigt, wird diejenige der Landwirtschaft automatisch folgen, und die Einfuhr von Lebensmitteln kann eingeschränkt werden. Nur hierdurch ist es möglich, unsere Handelsbilanz aktiv zu gestalten und damit die Valuta zu heben. Ich bin mir nicht im Zweifel darüber, dass heute fast alle denkenden Männer der Politik und Wirtschaft, auch die massgebenden Führer der Arbeiterschaft, davon durchdrungen sind, dass w i r ohne Mehrarbeit nicht wieder hoch kommen. Wenn aber diese Einsicht vorhanden ist, so müssen w i r auch den Mut aufbringen, die Idee in die Tat umzusetzen.

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Anlage 5

Ich las dieser Tage in der Zeitung, dass das französische Ministerium die Aufhebung des Achtstundentages bei der Eisenbahn und i n der Handelsmarine beschlossen hat. Das wird in Frankreich nur den Anfang bedeuten. In Belgien sind meines Wissens schon seit längerem Bestrebungen auf Wiedereinführung der alten Arbeitszeit im Gange. Amerika hat den Achtstundentag überhaupt nicht eingeführt. Dass wir, die wir die Arbeit am allernotwendigsten haben, deshalb nicht länger zögern dürfen, wieder zur alten Arbeitszeit zurückzukehren, ist für mich eine unumstössliche Ueberzeugung. Es ist diese Notwendigkeit aber auch eine unanfechtbare Tatsache, die umso weniger bestritten werden kann, als uns keiner zu sagen weiss, wie w i r sonst, d. h. ohne eine gewaltig erhöhte Produktion und eine entsprechend vermehrte Arbeitsleistung, die Mittel schaffen können, um die für unsere Wirtschaft und unsere Ernährung unbedingt erforderliche Einfuhr an Rohstoffen und Nahrungsmitteln zu bestreiten. Welch' riesige Summen hierfür erforderlich sind, wissen Sie ebenso gut wie ich selbst. Wie lange das Ausland noch unsere Papiermark in Zahlung nehmen wird, weiss keiner. Tatsächlich bezahlen können w i r dann nur durch Lieferung von Waren; um aber die Waren zu schaffen, müssen w i r mehr produzieren, und das wieder setzt voraus, dass wir mehr arbeiten als bisher. Nebenher muss m. E. die Ausfuhr nach jeder Richtung hin von Seiten der Regierung erleichtert und gefördert werden, anstatt sie durch hohe Abgaben zu behindern und schliesslich unmöglich zu machen. Eingeleitet muss das Erforderliche von der Regierung werden; denn nur sie hat hierzu die Mittel in der Hand. Dass es ohne Kampf nicht abgehen wird, darüber bin auch ich mir klar. Aber w i r müssen den Kampf einmal durchfechten, und je eher es geschieht, umso mehr können w i r noch retten. Es handelt sich jetzt um Sein oder Nichtsein. Die Masse des Volkes muss - notfalls gegen ihren eigenen heftigen Widerstand - vor dem vollständigen Ruin geschützt werden. An Sie, hochverehrter Herr Reichskanzler, richte ich den ergebenen Apell, sich an die Spitze der Bewegung für die Wiedereinführung einer verlängerten Arbeitszeit zu setzen, damit w i r unser Volk und Vaterland vor dem Untergang bewahren. Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Mit aller Hochachtung

Ihr sehr ergebener Aug. Thyssen

Anlage 5 Entwurf des Reichsarbeitsministeriums zu Bestimmungen über die Arbeitszeit vom 22. September 1923* Die Anordnung über die Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 23. 11./17. 12. 1918 (Reichsgesetzbl. S. 1334/S. 1436) (die Verordnung über die Regelung der Arbeitszeit der Angestellten während der wirtschaftlichen Demobilmachung vom 18. 3. 1919 (R.G.B1. S. 315)) wird unter Aufhebung der bisherigen Ziffern V I I und I (der bisherigen § 4 Abs. 1 Nr. 2, §§ 7, 10 und 18) durch folgende Vorschriften ergänzt oder geändert: * Quelle: ZStA/RAM/2939/Bl. 297 - 301 12'

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(1) Für Gewerbezweige oder Gruppen von Arbeitern (Angestellten), bei denen regelmäßig und in erheblichem Umfange blosse Arbeitsbereitschaft vorliegt, kann durch Tarifvertrag oder, soweit ein solcher nicht besteht oder doch Arbeitsverhältnisse dieser Art nicht berücksichtigt, nach näherer Bestimmung des Reichsarbeitsministers oder einer von ihm beauftragten Stelle eine von Ziffer I I (§ 1) abweichende Regelung getroffen werden. (2) Unbeschadet der Ziffer V I dürfen Arbeiter über die in Ziffer I I festgesetzte Arbeitszeit hinaus an 20 der Wahl des Arbeitgebers überlassenen Tagen im Jahr mit Überarbeit bis zu zwei Stunden täglich beschäftigt werden - (fällt bei Angestellten fort) Die für den Gesamtbetrieb zulässige Dauer der Arbeitszeit kann für Arbeiterinnen und jugendliche Arbeiter (jugendliche und weibliche Angestellte) über sechzehn Jahre um höchstens eine Stunde, für Arbeiter (Angestellte) über achtzehn Jahre um höchstens zwei Stunden täglich in folgenden Fällen überschritten werden: 1. bei Arbeiten zur Bewachung der Betriebsanlagen, zur Reinigung und Instandsetzung, durch die der regelmäßige Fortgang des eigenen oder eines fremden Betriebes bedingt ist, 2. bei Arbeiten, von denen die Wiederaufnahme oder Aufrechterhaltung des vollen Betriebes abhängig ist, 3. bei Arbeiten zum Be- und Entladen von Schiffen im Hafen und von Eisenbahnwagen, soweit die Überarbeit zur Vermeidung oder Beseitigung von Verkehrsstockungen notwendig ist, 4. bei der Beaufsichtigung der vorstehend unter Nr. 1 bis 3 aufgeführten Arbeiten. (3) Wenn durch einen Tarifvertrag die Arbeitszeit über die in Ziffer I I (in § 1) festgesetzten Grenzen ausgedehnt wird, so gelten für die Arbeiter, für die der Tarifvertrag verbindlich ist, dessen Bestimmungen anstelle der Vorschriften der Ziffer I I (des § 1). Die oberste Landesbehörde kann anordnen, daß derartige Bestimmungen in Tarifverträgen, die nicht für allgemein verbindlich erklärt sind, im Bereich des Tarifvertrages auch für Nichttarifangehörige anstelle der Vorschriften der Ziffer I I (des § 1) gelten. Die Anordnimg ist öffentlich bekanntzumachen. Der Arbeitgeber hat in den Fällen des Abs. 1 und 2 eine Abschrift der in Betracht kommenden Bestimmungen des Tarifvertrages an einer in die Augen fallenden Stelle im Betriebe anzuhängen und eine zweite Abschrift alsbald dem zuständigen Gewerbeaufsichtsbeamten oder Bergaufsichtsbeamten einzusenden. Durch Einsendung von anderer Seite wird er von seiner Verpflichtung befreit. Enthält ein weder für allgemein verbindlich erklärter, noch nach Abs. 2 in seiner Geltung erweiterter Tarifvertrag Bestimmungen über die Arbeitszeit, die mit dem Sinne des öffentlich rechtlichen Arbeitnehmerschutzes, insbesondere mit der Rücksicht auf die Schutzbedürftigkeit der Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeiter (weiblichen und jugendlichen Angestellten) unvereinbar sind, so kann der Reichsarbeitsminister sie beanstanden und, wenn sie innerhalb einer von ihr festgesetzten Frist nicht geändert werden, selbst Bestimmungen über die zulässige Dauer der Arbeitszeit treffen. Sind in einem Tarifvertrag die näheren Bestimmungen über die Arbeitszeit besonderer Vereinbarung oder der Entscheidung durch besondere Stellen vorbehalten, so kann, wenn eine Vereinbarung oder Entscheidung in angemessener Frist nicht zustandekommt, der Reichsarbeitsminister Bestimmungen über die zulässige Dauer der Arbeitszeit treffen, die solange gelten, bis die Vereinbarung oder Entscheidung vorliegt.

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I n den Fällen des Abs. 2 tritt bei Tarifverträgen, die für mehrere Länder gelten, an die Stelle dèr obersten Landesbehörde der Reichsarbeitsminister. Der Reichsarbeitsminister oder die oberste Landesbehörde kann einer anderen Behörde die Befugnisse aus Abs. 2 und 4 übertragen. Die bestehenden gesetzlichen Vorschriften über die Beschäftigung von Kindern, Jugendlichen und weiblichen Personen werden durch Tarifvertrag nicht berührt; jedoch dürfen in mehrschichtigen Betrieben die Schichten der jugendlichen Arbeiter und der Arbeiterinnen entweder zwischen 5 Uhr morgens und 10 Uhr abends oder zwischen 6 Uhr morgens und 11 Uhr abends gelegt werden. Die für Notfälle in Ziffer I I (§ 4 Abs. 1 Nr. 1, § 6) zugelassenen Ausnahmen sowie die vorstehend in Nr. 2 Abs. 1 (in § 5) gegebenen Vorschriften sind auch auf Betriebe anwendbar, für welche die Arbeitszeit durch Tarifvertrag geregelt ist. Daßselbe gilt für die vorstehende Nr. 2 Abs. 2, sofern der Tarifvertrag nichts anderes bestimmt. (4) Aus betriebstechnischen oder allgemein wirtschaftlichen Gründen kann, soweit keine tarifliche Regelung besteht, auf Antrag des Unternehmers für einzelne Betriebe oder Betriebsabteilungen eine von Ziffer I I (§ 1) abweichende Regelung der Arbeitszeit der über sechzehn Jahre alten Arbeiter (Angestellten) durch den zuständigen Gewerbeaufsichtsbeamten oder Bergaufsichtsbeamten widerruflich zugelassen werden. Für den Bereich mehrerer Gewerbeaufsichtsämter oder Bergaufsichtsämter sowie für ganze Gewerbezweige steht die gleiche Befugnis, gegebenenfalls auch ohne Vorliegen eines Antrages, der obersten Landesbehörde oder der von ihr beauftragten Verwaltungsbehörde zu. Über Fälle von grundsätzlicher Bedeutung, die sich auf mehrere Länder erstrecken, entscheidet der Reichsarbeitsminister. Vor der Entscheidung über den Antrag ist für einzelne Betriebe oder Betriebsabteilungen eine Äußerung der Betriebsvertretung oder, wenn eine Vertretung nicht besteht, der Arbeiterschaft (Angestelltenschaft) des Betriebes, für einzelne Gewerbezweige eine Äußerung der beteiligten wirtschaftlichen Vereinigungen einzuholen. Der Bescheid ist schriftlich zu erteilen; er muß die Höchstzahl der zulässigen Überstunden vorschreiben. In dringenden Fällen kann zunächst die Genehmigung ohne weiteres erteilt werden. Gegen den Bescheid ist die Beschwerde an die vorgesetzte Behörde zulässig, die endgültig entscheidet. Eine Abschrift der Genehmigung ist im Betriebe an einer den Arbeitern leicht zugänglichen Stelle auszuhängen. (5) Die in Nr. 4 Abs. 1 bezeichneten Stellen sind unter den in Nr. 4 Abs. 1 angegebenen Voraussetzungen befugt, auch von den sonstigen Beschäftigungsbeschränkungen für gewerbliche Arbeiter (Angestellte) widerruflich Ausnahmen zu bewilligen. (6) Mit Geldstrafe in unbegrenzter Höhe, im Unvermögensfalle mit Gefängnis bis zu 6 Monaten wird bestraft, wer den Bestimmungen der eingangs bezeichneten Anordnungen (Verordnungen) in der veränderten Fassung oder den auf Grund derselben erlassenen Bestimmungen zuwiderhandelt. War der Täter zur Zeit der Begehung der Straftat bereits wegen Zuwiderhandlung nach Abs. 1 bestraft, so tritt, falls die Straftat vorsätzlich begangen wurde, Geldstrafe in unbegrenzter Höhe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten ein. Die Duldung oder Annahme freiwilliger Mehrarbeit ist, soweit es sich um Arbeiter (Angestellte) über sechzehn Jahre handelt, nur strafbar, wenn der Arbeitgeber die Mehrleistung durch Ausbeutung der Notlage, der Unerfahrenheit oder des Leichtsinns des Arbeitnehmers erwirkt hat oder wenn die Mehrleistung eine gesundheitliche Gefährdung mit sich bringt.

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Anlage 6 Aufzeichnungen des Zentrumsabgeordneten ten Hompel über die Kabinettskrise in den ersten Oktobertagen 1923"' Veranlaßt wurde die Krisis durch den Vorstoss der Deutschen Volkspartei, welche eine Erweiterung nach rechts wünschte und ausserdem personelle Veränderungen, weiterhin auch die Frage des Achtstundentages gelöst sehen wollte (siehe Anlage Berliner Tageblatt Nr. 462). In der Fraktionssitzung vom 2. Oktober berichteten Minister Brauns und Dr. Höfle über die Lage. Der eine hob die Gesichtspunkte für eine bürgerliche Regierung hervor, der andere die Gesichtspunkte, welche für Beibehaltung der bisherigen Mitgliedschaft der Sozialdemokraten sprachen. In der Fraktionssitzung vom 3. Oktober morgens berichtete der Vorsitzende Marx über die Kabinettsverhandlungen. Die Differenzpunkte seien: 1. die bayerische Frage (Sozialdemokraten verlangten eventuell Vorgehen des Reiches gegen Bayern wegen des Vorgreifens in der Frage des Ausnahmezustandes und des bayerischen Verhaltens überhaupt.) 2. ob das Ermächtigungsgesetz, welches die Regierung Stresemann vom Reichstag verlangen würde, sich neben Finanzpolitik auch auf Wirtschaftspolitik erstrecken soll (die Sozialdemokratie hat verlangt, dass es sich nur auf Finanzpolitik, nicht aber auf Wirtschaftspolitik erstrecken solle, wodurch alsdann die brennende Frage des Achtstundentages, der Demobilmachungsverordnungen etc. nicht davon erfasst worden wäre.) 3. die Frage des Achtstundentages. Minister Brauns berichtete am 2. Oktober abends, dass die Lage anscheinend aussichtslos sei. Die „Demissionssitzung" von gestern abend um l h 10 Uhr hätte eine gewisse Klarheit gebracht. Es sei zu einer offenen Aussprache zwischen den bürgerlichen Ministern und den sozialdemokratischen gekommen. Die Sozialdemokratie sei wegen der Formalien unterhalten, jetzt sei man der Sache mal auf den Grund gegangen. Hilferding habe direkt die Frage gestellt, ob man die Sozialdemokratie aus dem Kabinett heraushaben wolle. Er (Brauns) habe erklärt, grundsätzlich könne davon keine Rede sein; es sei nur die Frage, ob die Sozialdemokratie die Lage meistern könne. Die Stellung Frankreichs, insbesondere Poincarés uns gegenüber sei unheilvoller denn je. Nach Mitteilungen eines Vertrauensmannes, zu dem auch die Sozialdemokraten volles Vertrauen hätten, sei dieses z.T. begründet in den bevorstehenden französischen Wahlen und werde sich vorher bestimmt nicht ändern. Auch die pazifistische Einstellung der Sozialdemokratie sei erörtert worden, insbesondere auch die Frage des Achtstundentages, wobei er (Brauns) seine Formulierung des sanitären Maximalarbeitstages vorgelegt habe. Demgegenüber habe Hilferding eine andere Formulierung eingebracht. Es sei von ihm (Brauns) betont worden, dass man bezüglich der Formulierung das weitgehendste Entgegenkommen zeigen wolle, dass es aber darauf ankomme, dass etwas Praktisches dabei heraus käme. Während die Sozialisten das Ermächtigungsgesetz in sozialpolitischen Dingen ganz abgelehnt hätten, hätten sie nachher zugegeben, dass gewisse

* Quelle: B A / N L ten Hompel/15** ** s. a. Morsey, Protokolle, S. 482 - 492.

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Gegenstände, wie Achtstundentag, Demobilmachungsverordnungen, die sie eigentlich als sozialpolitische Angelegenheiten auffassten, eventuell auch unter Wirtschaftspolitik fallen und in das Ermächtigungsgesetz aufgenommen werden könnten. Er, Brauns, habe hiervon Kenntnis genommen mit dem Bemerken, dass dieses eventuell protokollarisch festgelegt werden müsse. - In wehrpolitischer Hinsicht hätten die Sozialdemokraten in Gesprächen zugegeben, dass ihre Partei sich hier zu weit auf pazifistische Wege habe drängen lassen. Brauns sowohl wie Höfle hatten den Eindruck gehabt, dass die Sozialdemokraten sich durch die feste Stellungnahme der bürgerlichen Minister nach und nach hätten von Position zu Position zurückdrängen lassen. v. Guerard konstatiert, dass, wie die Vorgänge zeigten, es notwendig sei, dass das Zentrum eine klare Linie einhalte und dass dann auch etwas zu erreichen sei. Er stellt die Frage, ob man Hilferding weiter in Kauf nehmen könne. Brauns glaubt, dass die Frage Hilferding sich von selbst erledigen würde. In Fragen der Aussenpolitik und der Reparationen könne man mit den Sozialdemokraten gut zu einer Verständigung kommen. Gegenüber einer Polemik des Landtagsabgeordneten Steger, der darauf hinwies, dass man die Aenderung der Arbeitszeit nur auf dem Wege der Verhandlung mit der Arbeiterschaft machen könne, wies Brauns darauf hin, dass es sich hier darum handle, die gesetzlichen Hindernisse zu beseitigen. Wirth hat Bedenken, aussenpolitisch zu erklären, dass wir jetzt nicht leisten können. Bereitwilligkeit nach einer Atempause müsse zu erkennen gegeben werden. Die Absplitterung Bayerns sei nicht nur eine deutsche Frage. Sie berühre auch Italien, welches durch die Bildung eines Donau-Rhein-Staates eventuell abgeschnürt würde. Er habe letzthin mit Mussolini über diese Dinge eingehend gesprochen. Stegerwald polemisiert gegen die Germania und Dr. Wirth. Der Standpunkt Dr. Wirths und sein Standpunkt bezüglich der Sozialdemokratie seien unvereinbar. Im übrigen sei für ihn die Kernfrage: Gewinnung einer Persönlichkeit als Ernährungsminister, der der Landwirtschaft genehm sei, damit w i r die Nahrungsmittel heraus bekämen. Stegerwaids Gedankengang, der in diesen Tagen in den Fraktionssitzungen wiederholt von ihm hervorgehoben wurde, ist im übrigen folgender: Die Notwendigkeit der Stunde ist die Schaffung einer neuen Währung. Dieses ist nur möglich, wenn gleichzeitig eine andere Produktionsgrundlage geschaffen wird. Hierzu erforderlich ist Aenderung der Arbeitszeit und mancher anderer Bestimmungen. Ohne dass die Wirtschaft sich aktiv beteiligt, ist die Schaffung und Stützung einer neuen Währung unmöglich. Positive Politik in dieser Richtung ist mit den Sozialdemokraten sehr schwer, wenn nicht undurchführbar. (Im übrigen siehe Berichte Berliner Tageblatt Nr. 463 ff.) Im weiteren Verlauf der Bsprechungen am 3., 4. und 5. Oktober entwickelte sich die Lage am Abend des 3. so weit, dass das Zentrum nach dem Referat des Herrn Dr. Brauns der Sozialdemokratie so weit entgegenkam, dass die Regelung des Achtstundentages nicht im Ermächtigungsgesetz, sondern in dem schleunigst zu verabschiedenden Arbeitszeitgesetz erfolgen solle. Durch das Ermächtigungsgesetz sollten im wesentlichen finanzpolitische Angelegenheiten und auf wirtschaftlichem Gebiete die Demobilmachungsverordnungen geregelt werden. Ausgeschlossen sein sollten vom Ermächtigungsgesetz ausdrücklich die sozialpolitischen Angelegenheiten, worunter zu verstehen seien die Fürsorgesachen, allerdings einschliesslich der Arbeitslosenunterstützung bezw. Versicherung. Diese letzteren Angelegenheiten sollten eventuell im 6. Ausschuss beschleunigt erledigt werden. Bezüglich des Arbeitszeitgesetzes ergab

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sich nun die Schwierigkeit, dass die Sozialdemokraten dieses Gesetz durchgehen lassen, aber in der Einzelberatung Gegenanträge stellen und diese mit den Kommunisten auch stimmen wollten. Die Fraktion war der Ansicht, dass die Sozialdemokratie sich in der Öffentlichkeit gegen das Arbeitszeitgesetz und die Aufhebung des Achtstundentages stelle. Wenn aber die christliche Arbeiterschaft sich auch gegen das Gesetz stelle, so wäre mit der Möglichkeit einer Ablehnung zu rechnen. Minister Brauns wurde deshalb nochmals beauftragt, von der Sozialdemokratie zu verlangen, dass die sozialdemokratischen Minister sich hinter dieses Gesetz stellten und die sozialdemokratische Fraktion, abgesehen von sachlichen Abänderungsanträgen, keine Opposition und Agitation dagegen treibe. In der am 3. Oktober spät abends stattfindenden Kabinettssitzung haben sozialdemokratische Minister es abgelehnt gegenüber einem vorher gefassten Fraktionsbeschluß, sich hinter das Gesetz zu stellen. Damit war die Kabinettskrise akut und die Demission erfolgte am 3. abends. Fraktionssitzung

5. Oktober 1923 abends 6 Uhr

Auf Drängen der Demokraten und Anregung des Zentrums hatte im Laufe des Nachmittags weitere Fühlungnahme zwischen den Parteien und dem Reichskanzler stattgefunden mit dem Ziele, eventuell doch noch die bisherige Koalition (Deutsche Volkspartei, Zentrum, Demokraten und Sozialdemokraten) zustande zu bringen. Über die anschließenden Besprechungen der Parteiführer beim Reichskanzler berichtete Präsident Marx, dass Minister Brauns seine Gedanken und Formulierungen über die Regelung der Arbeitszeit, Demobilmachungsverordnungen etc. dargelegt habe. Die Demokraten und die Volkspartei hätten zugestimmt; die Sozialdemokraten hätten sich jedoch nur auf den Boden der Note des Kanzlers Wirth vom 14. November 1922 stellen wollen. Da diese Note eine irgendwie positive Grundlage nicht gebe, sondern sich nur auf eine allgemeine Formulierung beschränke, sei dieses von den Demokraten und der Volkspartei als ungenügend bezeichnet worden. Fraktionsführer Müller von den Sozialdemokraten habe seine Ueberraschung ausgesprochen, dass seitens der bürgerlichen Parteien nicht weiteres Entgegenkommen gezeigt sei. Mit Rücksicht auf die privaten Gespräche unter den Fraktionsmitgliedern habe er geglaubt, dieses annehmen zu können. Er (Präsident Marx) habe darauf hingewiesen, dass er dieses Entgegenkommen darin sehe, dass man eventuell die sozialpolitischen Belange, vor allen Dingen die Fürsorgesachen, aus dem Ermächtigungsgesetz herauslassen wolle. Zu einer Verständigung sei man noch nicht gekommen. Bornefeld-Ettmann verlangt, dass man entweder alle politischen Belange ohne Ausnahme unter das Ermächtigungsgesetz stellen müsste oder aber es müssten auch auf steuerlichem Gebiete Vorbehalte gemacht werden. Ehrhardt weist darauf hin, dass es zunächst darauf ankäme, die Arbeitsdisziplin und dadurch die Intensität zu erhöhen. In manchen Industrien sei für die Verlängerung der Arbeitszeit zunächst noch gar kein Raum. Dieses würde erst nach einiger Zeit eintreten können. Andre präzisiert auf Anregung noch einmal den Vorschlag, den er in Privatgesprächen dem Fraktionsführer Müller gemacht habe: Arbeitszeitgesetz sofort fertig machen; soziale und Fürsorgeangelegenheiten dem 6. Ausschuß zur schnellsten Erledigung zu überweisen. Bezüglich des Bergbaues und der Dreischichten-Schwerarbeitbetriebe seien die Sozialdemokraten einverstanden, auf 8 Stunden zu gehen. Man sei aber nicht damit einverstanden, die Regelung der Arbeitszeit über acht Stunden hinaus in den anderen Gewerben dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen. Dieses sei

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bei der geschwächten Stellung der Arbeiterschaft unmöglich. Auf seine (Andres) Frage, ob man vielleicht eine Formulierung finden könne, auf deren Boden die Sozialdemokratie treten könne etwa in der Form, dass der Maximalarbeitstag etwa auf zehn Stunden begrenzt würde, habe Müller erwidert, dass er darin nicht zu überwindende Schwierigkeiten sehe. Ten Hompel weist darauf hin, dass der von Ehrhardt ausgesprochene Gedanke an sich richtig sei. Erhöhung der Arbeitsintensität sei zunächst das wichtigste und man könne sich eventuell vorerst damit begnügen, die gesetzlichen Hindernisse und Erschwernisse bei Ueberschreitung des Achtstundentages zu beseitigen; wenn man die Gewissheit hätte, dass später, wenn sich Gelegenheit für Mehrarbeit in den einschichtigen Gewerben ergäbe, dann auch praktische Erfolge zu erzielen seien. Dieses sei aber zu ungewiss und wohl nur unter dem Druck der Verhältnisse, wie sie augenblicklich vorlägen, zu erreichen. Bezüglich der sozialpolitischen Belange könne man vielleicht eher etwas entgegenkommen in Hinsicht darauf, dass hierin aller Voraussicht nach die zu erwartende internationale Finanzkontrolle noch rücksichtsloser eingreift als es uns selbst lieb sein werde. Er verwies noch auf den in Nr. 678 der Kölnischen Zeitung aus der Deutschen Rundschau übernommenen Aufsatz von besonderer Seite aus dem Wirtschaftsleben („Der Staat über der Wirtschaft! "). Zum Schluß der Fraktionssitzung wurde seitens des Herrn Herold der Vorschlag gemacht, falls es zu einer Verständigung über ein Ermächtigungsgesetz nicht kommen sollte, sich auf den Standpunkt zu stellen, einer neuen Regierung auf der Grundlage einer grossen Koalition auch ohne Sicherstellung eines Ermächtigungsgesetzes beizutreten. Die Regierung müsse dann im beschleunigten Verfahren die notwendigen Gesetze durchbringen, wozu sich dann mit einfacher Mehrheit die Möglichkeiten ergäben. Der Vorsitzende stellte durch Abstimmung die einmütige Auffassung der anwesenden Fraktionsmitglieder fest, dass sie mit dem Vorschlag Herold einverstanden seien. Die Fraktion war zu dieser Zeit verhältnismäßig gut besucht. Als praktisches Ergebnis wurde schließlich abends gegen 7 Vi Uhr die im Laufe des Tages wiederholt geäusserte Anregung i n die Tat umgesetzt, dass prominente Mitglieder der grossen Koalitions-Parteien des sozialpolitischen Ausschusses in Verbindung mit den Fraktionsführern der grossen Koalitionsparteien unter Leitung des Reichskanzlers den Versuch machen sollten, die wichtigsten Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes mit den Sozialdemokraten so festzulegen, dass eine glatte Annahme dieses Gesetzes in den nächsten Tagen sichergestellt sei. Diese Verhandlungen, an denen seitens des Zentrums ausser Minister Brauns und Becker-Arnsberg der Abgeordnete Andre teilnahm, haben sich bis zum 6. Oktober morgens gegen drei Uhr hingezogen und haben zu einem Ergebnis geführt. Fraktionssitzung

6. Oktober 1923 11 Uhr vormittags

Präsident Marx berichtet über das Ergebnis der nächtlichen Verhandlungen und verlas die Formulierung, auf welche man sich geeinigt hatte, mit folgendem Wortlaut: Die schwere Not unseres Landes lässt eine Steigerung der Gütererzeugung dringend geboten erscheinen. Das wird nur unter restloser Ausnutzung der technischen Errungenschaften bei organisatorischer Verbesserung unserer Wirtschaft und emsiger Arbeit jedes einzelnen zu erreichen sein. Neben der Produktionssteigerung durch diese Mittel wird auch die Neuregelung der Arbeitszeitgesetze unter grundsätzlicher Festhaltung des Achtstundentages als Normalarbeitstag nicht zu umgehen sein. Dabei ist auch die Möglichkeit der tariflichen oder gesetzlichen Überschreitung der

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jetzigen Arbeitszeit im Interesse einer volkswirtschaftlich notwendigen Steigerung und Verbilligung der Produktion vorzusehen. Für die öffentlichen Verwaltungen ist eine ähnliche Regelung vorgesehen. Der Abgeordnete Andre, der die Verhandlungen in der Hauptsache geführt hatte, ergänzt die Einzelausführungen etwa wie folgt: Am Normalarbeitstag würde zwar grundsätzlich festgehalten, man habe diese Konzessionen den Sozialdemokraten machen müssen. Die Sozialdemokraten hätten mit Rücksicht auf herrschende und noch zunehmende Arbeitslosigkeit die grössten Bedenken gehabt, den Achtstundentag zu durchbrechen und praktisch zum grossen Teil aufzuheben. Er habe ihnen klar gemacht, dass nur durch längere Arbeit die Rentabilität der Betriebe und damit die Wiederaufnahme der Arbeit zu erreichen sei. Im Bergbau seien die Sozialdemokraten mit der Achtstundenschicht einschließlich Einund Ausfahrt einverstanden, also mit dem Zustand, wie er vor dem Kriege war. Insbesondere sei darum gekämpft worden, ob neben der tariflichen Ueberarbeit auch durch gesetzliche Bestimmungen eine solche herbeigeführt werden könne. Die Sozialdemokraten haben es ausschließlich auf tariflichem Wege zulassen wollen. Auch bezüglich der Zuschläge zu der über acht Stunden hinausgehenden Arbeitszeit seien schwere Meinungsverschiedenheiten vorhanden gewesen. Man habe seitens der Sozialdemokratie diese Zeit als Ueberstunden im bisherigen Sinne mit Zuschlägen belasten wollen. Dieses sei von den bürgerlichen Parteien abgelehnt, weil damit praktisch eine verlängerte Arbeitszeit wieder aufgehoben sei, vor allen Dingen aber eine Verbilligung der Produktion nicht erreicht würde. Zwei von den Sozialdemokraten hätten schliesslich dieser Auffassung zugeneigt. Wissell habe jedoch seine Auffassung aufrecht erhalten und habe den Standpunkt vertreten, dass Zuschläge zum wenigsten im Wege der Tarif Verhandlungen festgelegt werden „könnten". Ueber diesen Punkt sei eine volle Einigkeit also nicht erzielt worden. Nach seiner Meinung würde dieses im Wege der Tarifverhandlung, eventuell des Kampfes ausgefochten werden müssen. Die Demobilmachungsverordnungen fielen selbstverständlich unter das Ermächtigungsgesetz, ebenso die Bestimmungen des Betriebsrätegesetzes, die die Faulenzer und Krakehler jetzt gegen Entlassung schützten. In diesem Falle solle eine Mitwirkung des Betriebsrates bei der Entlassung ausgeschaltet werden. Bezüglich der Wohnungsfragen habe Uebereinstimmung geherrscht, dass diese als wirtschaftliche Fragen anzusehen seien und damit unter das Ermächtigungsgesetz fielen. Bezüglich der sozialen Fürsorge hat nach Ansicht von Marx und Andre Einigkeit darüber bestanden, dass diese nicht unter das Ermächtigungsgesetz fallen sollten. Nach einem telefonischen Anruf des Ministers Brauns beim Präsidenten Marx am Morgen des 6. Oktober schien es allerdings, als wenn Brauns in diesem Punkte eine andere Auffassung habe. Er w i l l gewisse Dinge, zwar nicht grundsätzlicher Art, aber zur Vereinfachung des Verfahrens und zur Erledigung von Nebensächlichkeiten im Wege des Ermächtigungsgesetzes regeln können. Präsident Marx und die Fraktion haben sich in aller Form auf den in der Nacht formulierten Kompromissvorschlag gestellt und ob es bzüglich der sozialpolitischen Belange noch zu Meinungsverschiedenheiten kommt, muss sich in den nächsten Stunden zeigen. Zur Zeit, um 12 3/4 Uhr mittags, beginnt die Kabinettssitzung. Um 2 Uhr w i l l Stresemann sein Kabinett vorstellen. In der Fraktionssitzung hat Bornefeld-Ettmann noch erhebliche Bedenken geltend gemacht grundsätzlicher Art und zwar dahingehend, dass, wenn die sozialpolitischen Belange herausgenommen würden, man auch bezüglich der Abänderung der übertriebenen Steuermassnahmen eine Rückversicherung haben müsse. Er könne das Ermächtigungsgesetz nur annehmen, wenn es ohne Ausnahme gegeben würde. Die

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Zentrumspartei könne es sonst im Lande nicht tragen. Es sei vor allen Dingen den Angriffen der landwirtschaftlichen Bevölkerung ausgesetzt. Andre sucht die Bedenken zu beschwichtigen und schlägt vor, dass die Landwirtschaft die Bedenken praktisch formulieren und dem neuen Kabinett unterbreiten solle. Fehrenbach erweitert den Vorschlag, dass nicht nur Landwirtschaft, sondern auch Industrie ihre Wünsche in dieser Richtung festlegen und praktische Vorschläge machen sollen. Er schlägt vor, die Elferkommission, die seinerzeit bei Hilferding gewesen sei, solle sich unter Führung von Herold mit dieser Aufgabe befassen. Der Vorschlag findet Zustimmung. Stegerwald, ten Hompel und Herold glauben, dass Bedenken des Herrn BornefeldEttmann grundsätzlich zweifellos anzuerkennen seien, jedoch dadurch als wesentlich gemildert, wenn nicht behoben angesehen werden können, dass man es im neuen Kabinett mit einem bürgerlichen Finanzminister zu tun habe und somit überhaupt einen stärkeren bürgerlichen Einschlag haben würde, als das vorherige. Bei einheitlicher Vertretung der Politik der Fraktion könne diese sehr wohl getragen werden.

Anlage 7 Entwurf des Reichsarbeitsministeriums zu einem vorläufigen Gesetz über die Arbeitszeit vom 12. Oktober 1923* Der Reichstag hat vorbehaltlich einer späteren endgültigen Regelung das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des Reichsrats hiermit verkündet wird. §1 Die Anordnung über die Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 23. November/17. Dezember 1918 - Reichsgesetzbl. S. 1334/S. 1436 - und die Verordnung über die Regelung der Arbeitszeit der Angestellten während der Zeit der wirtschaftlichen Demobilmachung vom 18. März 1919 - Reichsgesetzbl. S. 315 - behalten mit den nachstehenden Aenderungen und Ergänzungen auch weiterhin Gesetzeskraft. Insbesondere darf die regelmässige werktägliche Arbeitszeit, ausschließlich der Pausen, die Dauer von acht Stunden nicht überschreiten. Jedoch kann der an einzelnen Werktagen eintretende Ausfall von Arbeitsstunden durch Mehrarbeit an den übrigen Werktagen der gleichen Woche ausgeglichen werden.

§2 Für Gewerbezweige oder Gruppen von Arbeitnehmern, bei denen regelmässig und in erheblichem Umfange Arbeitsbereitschaft vorliegt, kann durch Tarifvertrag, oder, soweit ein solcher nicht besteht oder doch Arbeitsverhältnisse dieser Art nicht berücksichtigt, nach näherer Bestimmung des Reichsarbeitsministers eine von § 1 abweichende Regelung getroffen werden.

* Quelle: BA/R 43 I/2058/B1. 1

- 18.

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Anhang §3

Unbeschadet der für Notfälle vorgesehenen Ausnahmen dürfen Arbeitnehmer über die im § 1 vorgeschriebene Höchstarbeitszeit hinaus an dreißig der Wahl des Arbeitgebers überlassenen Tagen im Jahre mit Mehrarbeit bis zu zwei Stunden täglich beschäftigt werden. §4 Die für den Gesamtbetrieb zulässige Dauer der Arbeitszeit kann für weibliche und jugendliche Arbeitnehmer um höchstens eine Stunde, für männliche Arbeitnehmer über sechzehn Jahre um höchstens zwei Stunden täglich in folgenden Fällen überschritten werden: 1. bei Arbeiten zur Bewachung der Betriebsanlagen, zur Reinigung und Instandsetzung, durch die der regelmässige Fortgang des eigenen oder eines fremden Betriebes bedingt ist, 2. bei Arbeiten, von denen die Wiederaufnahme oder Aufrechterhaltung des vollen Betriebes arbeitstechnisch abhängt, 3. bei Arbeiten zum Be- und Entladen von Schiffen im Hafen und Eisenbahnwagen, soweit die Ueberarbeit zur Vermeidung oder Beseitigung von Verkehrsstockungen notwendig ist, 4. bei der Beaufsichtigung der vorstehend unter Nr. 1 bis 3 aufgeführten Arbeiten.

§5 Durch Tarifvertrag kann die Arbeitszeit über die im § 1 Satz 2 und 3 festgesetzten Grenzen ausgedehnt werden. In diesem Fall gelten für die Arbeitnehmer, für die der Tarifvertrag verbindlich ist, dessen Bestimmungen anstelle der Vorschriften des § 1. Die oberste Landesbehörde kann anordnen, dass derartige Bestimmungen in Tarifverträgen, die nicht für allgemein verbindlich erklärt sind, im Bereich des Tarifvertrages auch für Nichttarifangehörige gelten. Die Anordnung ist öffentlich bekanntzumachen. Enthält ein weder für allgemein verbindlich erklärter noch nach Abs. 2 in seiner Geltung erweiterter Tarifvertrag Bestimmungen über die Arbeitszeit, die mit dem Sinne des öffentlich-rechtlichen Arbeitnehmerschutzes, insbesondere mit der Rücksicht auf die Schutzbedürftigkeit der weiblichen und jugendlichen Arbeitnehmer unvereinbar sind, so kann die oberste Landesbehörde sie beanstanden und, wenn sie innerhalb einer von ihr festgesetzten Frist nicht geändert werden, selbst Bestimmungen über die zulässige Dauer der Arbeitszeit treffen. Sind in einem Tarifvertrag die näheren Bestimmungen über die Arbeitszeit besonderer Vereinbarung oder der Entscheidung durch besondere Stellen vorbehalten, so kann, wenn eine Vereinbarung oder Entscheidung in angemessener Frist nicht zustande kommt, die oberste Landesbehörde Bestimmungen über die zulässige Dauer der Arbeitszeit treffen, die solange gelten, bis die Vereinbarung oder Entscheidung vorliegt. In den Fällen der Abs. 2 bis 4 tritt bei Tarifverträgen, die für mehrere Länder gelten, an die Stelle der obersten Landesbehörde der Reichsarbeitsminister.

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Die für Notfälle zugelassenen Ausnahmen sowie die über Zulassung von dreissig freien Mehrarbeitstagen angegebenen Vorschriften (§ 3) sind auch auf Betriebe anwendbar, für welche die Arbeitszeit durch Tarifvertrag geregelt ist. Dasselbe gilt für § 4, sofern der Tarifvertrag nichts anderes bestimmt.

§6 Soweit keine tarifliche Regelung besteht, kann aus betriebstechnischen oder allgemein wirtschaftlichen Gründen, insbesondere wenn Mehrarbeit Voraussetzung für die Verringerung oder Verhinderung der Arbeitslosigkeit ist, auf Antrag des Unternehmers für einzelne Betriebe oder Betriebsabteilungen eine von § 1 Satz 2 und 3 abweichende Regelung der Arbeitszeit durch den zuständigen Gewerbeaufsichtsbeamten oder Bergaufsichtsbeamten widerruflich zugelassen werden. Für den Bereich mehrerer Gewerbeaufsichtsämter oder Bergaufsichtsämter sowie für ganze Gewerbezweige steht die gleiche Befugnis, gegebenenfalls auch ohne Antrag, der obersten Landesbehörde zu. Ueber Fälle, die sich auf mehrere Länder erstrecken, bestimmt der Reichsarbeitsminister. Gegen den Bescheid ist, soweit er nicht von einer obersten Reichs- oder Landesbehörde erlassen ist, die Beschwerde an die vorgesetzte Behörde zulässig, die endgültig entscheidet. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung^ §7 Eine Ueberschreitung der im § 1 Satz 2 und 3 festgesetzten Grenzen auf Grund tariflicher Vereinbarung (§ 5) oder behördlicher Zulassung (§ 6) ist für Arbeiter, die unter besonderen Gefahren für Leben oder Gesundheit arbeiten, insbesondere Arbeiter im Bergbau unter Tage sowie Arbeiter, die in außergewöhnlichem Grade der Einwirkung von Hitze, giftigen Stoffen, Staub und dergleichen ausgesetzt sind, nur vorübergehend zulässig, wenn die Ueberschreitung aus Gründen des Gemeinwohls dringend erforderlich ist.

§8 Für den Bergbau unter Tage gelten weiter folgende besondere Vorschriften: Als regelmässige tägliche Arbeitszeit gilt die Schichtzeit; sie wird gerechnet vom Beginn der Seilfahrt bei der Einfahrt bis zum Wiederbeginn bei der Ausfahrt oder vom Eintritt des einzelnen Arbeiters in das Stollenmundloch bis zu seinem Wiederaustritt. Für Betriebspunkte mit einer Wärme über 28 Grad Celsius ist durch Tarifvertrag eine Verkürzung der Arbeitszeit zu vereinbaren. Kommt eine derartige Vereinbarung nicht zustande, so ordnet die zuständige Bergbehörde nach Anhörung der beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände die Verkürzung an. Weitergehende bergpolizeiliche Bestimmungen bleiben unberührt. §9 Die Arbeitszeit darf auch bei Anwendimg der i n den §§ 3 bis 7 bezeichneten Ausnahmen zehn Stunden täglich nicht überschreiten; eine Ueberschreitung dieser Grenze ist im Falle des § 7 nicht gestattet und sonst nur aus dringenden Gründen des Gemeinwohls und nur in Form von Ueberstunden zulässig.

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Anhang §10

Mit Geldstrafe, deren Höhe nicht beschränkt ist, im Unvermögensfalle mit Gefängnis bis zu sechs Monaten wird bestraft, wer den Vorschriften dieses Gesetzes oder den daraufhin erlassenen Bestimmungen zuwider Arbeitnehmer beschäftigt. War der Täter zur Zeit der Begehung der Straftat bereits wegen Zuwiderhandlung nach Absatz 1 bestraft, so tritt, falls die Straftat vorsätzlich begangen wurde, Geldstrafe in unbegrenzter Höhe oder Gefängnis bis zu sechs Monaten ein. Die Duldung oder Annahme freiwilliger Ueberarbeit ist, soweit es sich um Arbeitnehmer über sechzehn Jahren handelt, nur strafbar, wenn der Arbeitgeber die Mehrleistung durch Ausbeutung der Notlage des Arbeitnehmers erwirkt hat oder wenn die Mehrleistung offensichtlich eine gesundheitliche Gefährdung mit sich bringt. §11 Bestimmungen von Tarif- und Arbeitsverträgen, die beim Inkrafttreten dieses Gesetzes gelten und eine geringere als nach diesem Gesetz zulässige Arbeitszeit vorsehen, können mit Frist von einem Monat gekündigt werden.

§ 12 Die Gewerbe- oder Bergaufsichtsbeamten sind befugt, aus betriebstechnischen oder allgemein wirtschaftlichen Gründen auf Antrag Ausnahmen auch von den sonstigen Beschäftigungsbeschränkungen (ζ. B. Vorschriften über Pausen, Verbot der Verwendung von Frauen und Jugendlichen zu bestimmten Arbeiten) widerruflich zu bewilligen. §13 Für Betriebe der Körperschaften des öffentlichen Rechts steht die Ausübung der durch dieses Gesetz dem Reichsarbeitsminister oder anderen Behörden übertragenen Befugnisse den der Verwaltung dieser Betriebe vorgesetzten Dienstbehörden zu. Das gleiche gilt für die Aufsicht in Betrieben des Reichs und der Länder. §14 Der Reichsarbeitsminister ist ermächtigt, Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetz zu erlassen. Der Reichsarbeitsminister ist ferner ermächtigt, die sonstigen ihm durch dieses Gesetz übertragenen Befugnisse auf eine andere Stelle zu übertragen. Das Gleiche gilt für die oberste Landesbehörde hinsichtlich der ihr übertragenen Befugnisse. §15 Die Ziffern II, V I I und X der Anordnung über die Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 23. November 1918/17. Dezember 1918, die §§ 1, 5, 7, 10 und 18 sowie Nr. 2 des § 4 Absatz 1 der Verordnung über die Regelung der Arbeitszeit der Angestellten während der Zeit der wirtschaftlichen Demobilmachung vom 18. März

Anlage 8

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1919 und das Gesetz über die Arbeitszeit im Bergbau unter Tage vom 17. Juli 1922 Reichsgesetzblatt I Seite 628 - werden aufgehoben. Die im § 12 Nr. 2 der Verordnung vom 18. März 1919 festgesetzte Grenze von siebentausend Mark wird durch die im Versicherungsgesetz für Angestellte für die Versicherungspflicht jeweils bestimmte Höchstgrenze des Jahresarbeitsverdienstes ersetzt.

§16 Der Reichsarbeitsminister ist ermächtigt, die in § 1 Satz 1 bezeichneten und die in der Reichsgewerbeordnung enthaltenen Vorschriften über die Arbeitszeit mit den aus diesem Gesetz sich ergebenden Aenderungen in einheitlicher Fassung als „Arbeitszeitgesetz" zu veröffentlichen. Berlin, den Der Reichspräsident Der Reichsarbeitsminister

Anlage 8 Schreiben des Reichswirtschaftsministers Hamm an den Reichsarbeitsminister vom 6. Dezember 1923* In der Anlage beehre ich mich eine Aufzeichnung über die Regelung der Arbeitszeit zu übersenden, in der ich meinen grundsätzlichen Standpunkt zu diesem drängendsten der gegenwärtigen Wirtschaftsprobleme niedergelegt habe. Nach reiflicher Erwägung halte ich aus rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Gründen eine unverzügliche reichsgesetzliche Regelung für unumgänglich. Zum einzelnen darf ich noch bemerken, daß mir von besonderer Wichtigkeit erscheint, durch eine Eingangsformel oder besser in § 1 den Zweck einer solchen gesetzlichen Regelung deutlich dahin zu unterstreichen, daß bei grundsätzlicher Festhaltung am Gedanken des Achtstundentages die Wiedererreichung der Friedensleistung nicht zuletzt aus Gründen der außenpolitischen Lage, unumgängliche Grundbedingung für die wirtschaftliche Wiedergesundung ist. Ich darf die Bitte aussprechen, falls Sie meiner Darlegung nicht durchweg zustimmen sollten, umgehend eine Aussprache hierüber herbeiführen zu wollen. In jedem Falle möchte ich mir die Anregung gestatten, die weiteren Verhandlungen über den Gegenstand möglichst auf der Grundlage eines formulierten Gesetzentwurfs führen und auf Abschluß der Verhandlungen noch in dieser Woche hinwirken zu wollen. Die politische und wirtschaftliche Wirkung einer solchen Gesetzgebung würde m. E. wesentlich verstärkt werden, wenn gleichzeitig die von Ihnen geplanten Maßnahmen auf dem Gebiete der Erwerbslosenfürsorge verordnet und verkündet würden. Berlin, den 6. Dezember 1923 Hamm * Quelle: BA/R 43 I/2058/B1. 21 - 2 1 .

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Aufzeichnung über die Regelung der Arbeitszeit 1. Zweckmäßigkeit einer gesetzlichen Regelung Obwohl nach Ablauf der Demobilmachungsverordnungen, soweit es sich nicht um Bergbau handelt, rechtliche Gründe zu einer gesetzlichen Neuregelung der Arbeitszeit nicht unmittelbar zwingen, erscheint eine solche Rechtsanordnung sehr erwünscht, um rechtlich die einzelnen Fragen freizustellen, wirtschaftlich eine gewisse Gleichmäßigkeit zu befördern und politisch im In- und Ausland den Glauben an Deutschlands Arbeitswillen zu wecken. Worauf es ankommt, ist die Wiedererreichung der Vorkriegsleistung. Dafür ist die Leistungszunahme, auf Zeiteinheit berechnet, von mindestens ebenso großer Bedeutung wie die einfache Verlängerung der Arbeitszeit. Eine solche Intensivierung der Arbeitszeit kann aber nur ereicht werden, wenn sie vom Arbeitnehmer freiwillig gewährt wird. Dies darf am ehesten erwartet werden, wenn auf dem Wege gesetzlicher Anordnung eine allgemein gültige Regelung der Arbeitszeit eintritt, die auf einheitlicher Grundlage eine den verschiedenen örtlichen und sachlichen Interessen angepaßte Behandlung ermöglicht; es wird erleichtert werden, wenn der Gedanke der Notregelung und des grundsätzlichen Anstrebens des 8 Stundentages in geeigneter Weise zum Ausdruck gebracht werden kann. 2. Der Regierungsentwurf

als Grundlage

Als geeignete Grundlage für die gesetzliche Regelung erscheint der Regierungsentwurf, der unter der Regierung der großen Koalition mit einem Ausschuß der damaligen Koalitionsparteien eingehend durchberaten und von ihnen gebilligt worden ist. Der Umstand, daß die größte deutsche Arbeiterpartei hierbei positiv mitgewirkt hat, dürfte für das erwähnte seelische Moment nicht ohne Bedeutung sein. Der Regierungsentwurf sollte allerdings im Interesse größerer Übersichtlichkeit und Volkstümlichkeit möglichst gekürzt werden. Alle Durchführungsbestimmungen sollten in eine Ausführungsverordnung aufgenommen werden, die der Reichsarbeitsminister zu erlassen hätte. 3. Aenderungsvorschläge Die seit der Aufstellung des Regierungsentwurfs eingetretene wirtschaftliche Entwicklung läßt gewisse Aenderungen als notwendig erscheinen. a) Für die Arbeitszeit der Bergarbeiter müssen die Grundsätze festgelegt werden, die durch freiwillige Abkommen zwischen den beteiligten Wirtschaftsgruppen aufgestellt worden sind. b) Das Verfahren des § 6 des Regierungsentwurfs, nach welchem mangels Tarifvertrags eine Verlängerung der Arbeitszeit der vorherigen Einwilligung der Gewerbeaufsichtsbehörde bedarf, erscheint zeitraubend und daher unzweckmäßig. In all denjenigen Fällen, in denen eine Einigung zwischen der Betriebsleitung und der Gesamtheit der Arbeitnehmerschaft des Betriebes über eine Arbeitszeitverlängerung erzielt ist, erscheint die Mitwirkung der Gewerbeaufsichtsbehörde entbehrlich. In den übrigen Fällen muß die Pflicht der Betriebsleitung, die vorherige Einwilligung der Gewerbeaufsichtsbehörde herbeizuführen, ersetzt werden durch die unverzügliche Anmeldepflicht bei Arbeitszeitverlängerung, auf Grund deren die Gewerbeaufsichtsbehörde aus wichtigem Grund Einspruch erheben kann.

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Anlage

Um der Einheitlichkeit der Entscheidungen der Gewerbeaufsichtsbehörden und der Entscheidungen, die die obersten Landesbehörden als Beschwerdeinstanzen zu fällen haben, zu gewährleisten, erscheint es zweckmäßig, durch den Reichsarbeitsminister Richtlinien für die gleichmäßige Handhabung durch die Länder aufzustellen. Diese Richtlinien, die den wechselnden Konjunkturen angepaßt werden können, bieten die Sicherheit dafür, daß nicht ζ. B. ein Land wie Sachsen auf Grund seiner besonders schwierigen Arbeitsmarktlage hinter vielleicht begreiflichen sozial-politischen Erwägungen die Belange der Gesamtwirtschaft zurückstellen kann. c) Für die Fertigstellung der Ausführungsbestimmungen sind die Vorschläge des Deutschen Industrie- und Handelstages zu prüfen, insbesondere die Vorschläge zu § 3 (Erhöhung der Zahl der Ausnahmetage), § 5 Abs. 2 (Gültigkeit von Betriebs Vereinbarungen auch gegenüber Tarifverträgen), § 10 (Notfälle). Unbedingt ist der § 10 Abs. 3 der alten Regierungsvorlage wiederherzustellen, der die Annahme freiwilliger Ueberarbeit außer Strafe stellt. Die Wirtschaft legt gerade auf diese Bestimmung allgemein das größte Gewicht, da sie hiervon eine Förderung des Arbeitswillens erwartet. d) Jedenfalls müssen bestehende tarifliche Regelungen, die in der Festlegung der Arbeitszeit hinter den neuen gesetzlichen Bestimmungen zurückbleiben, insoweit gesetzlich aufgehoben bezw. abgeändert werden. Hamm

Anlage 9 Entwurf des Reichsarbeitsministeriums zu einer Verordnung über die Arbeitszeit vom 15. Dezember 1923* Auf Grund des Ermächtigungsgesetzes vom 8. Dezember 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 1179) verordnet die Reichsregierung nach Anhörung eines Ausschusses des Reichsrates und eines aus 15 Mitgliedern bestehenden Ausschusses des Reichstages vorbehaltlich einer späteren endgültigen Regelung:

§1 Die Anordnimg über die Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 23. November 1918/17. Dezember 1918 - Reichsgesetzbl. S. 1334/1436 - und die Verordnung über die Regelung der Arbeitszeit der Angestellten während der Zeit der wirtschaftlichën Demobilmachung vom 18. März 1919 - Reichsgesetzbl. S. 315 - erhalten mit den nachstehenden Aenderungen und Ergänzungen von neuem Gesetzeskraft. Insbesondere darf bei den in Ziffer I der Anordnung vom 23. November 1918 und in den §§ 1 ff. der Verordnung vom 18. März 1919 bezeichneten Arbeitnehmern die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit, ausschließlich der Pausen, die Dauer von acht Stunden nicht überschreiten. Jedoch kann der an einzelnen Werktagen für den Betrieb oder eine Betriebsabteilung eintretende Ausfall von Arbeitsstunden nach Anhörung der gesetzlichen Betriebsvertretung durch Mehrarbeit an den übrigen Werktagen der gleichen oder folgenden Woche ausgeglichen werden. * Quelle: BA/R 43 I/2058/B1. 215 - 218. 13 Bischoff

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Anhang

§2 Für Gewerbezweige oder Gruppen von Arbeitnehmern, bei denen regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft vorliegt, kann durch Tarifvertrag, oder, soweit ein solcher nicht besteht oder doch Arbeitsverhältnisse dieser Art nicht berücksichtigt, durch den Reichsarbeitsminister nach Anhörung der beteiligten wirtschaftlichen Vereinigungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine von § 1 Satz 2 und 3 abweichende Regelung getroffen werden. §3 Unbeschadet der in § 10 vorgesehenen Ausnahmen dürfen die Arbeitnehmer eines Betriebes oder einer Betriebsabteilung nach Anhörung der gesetzlichen Betriebsvertretung über die im § 1 Satz 2 und 3 vorgeschriebene Höchstarbeitszeit hinaus an dreissig der Wahl des Arbeitgebers überlassenen Tagen im Jahr mit Mehrarbeit bis zu zwei Stunden beschäftigt werden. §4 Die für den Gesamtbetrieb zulässige Dauer der Arbeitszeit kann nach Anhörung der gesetzlichen Betriebs Vertretung für weibliche und jugendliche Arbeitnehmer um höchstens eine Stunde, für männliche Arbeitnehmer über sechzehn Jahre um höchstens zwei Stunden täglich in folgenden Fällen überschritten werden: 1. bei Arbeiten zur Bewachung der Betriebsanlagen, zur Reinigung und Instandhaltung, durch die der regelmäßige Fortgang des eigenen oder eines fremden Betriebes bedingt ist, 2. bei Arbeiten, von denen die Wiederaufnahme oder Aufrechterhaltung des vollen Betriebes arbeitstechnisch abhängt, 3. bei Arbeiten zum Be- und Entladen von Schiffen im Hafen und zum Be- und Entladen sowie zum Verschieben von Eisenbahnwagen, soweit die Mehrarbeit zur Vermeidung oder Beseitigung von Verkehrsstockungen oder zur Innehaltung der gesetzten Ladefristen notwendig ist, 4. bei der Beaufsichtigung der vorstehend unter Nr. 1 bis 3 aufgeführten Arbeiten. §5 Wird durch Tarifvertrag die Arbeitszeit über die in § 1 Satz 2 und 3 festgesetzten Grenzen ausgedehnt, so gelten für die Arbeitnehmer, für die der Tarifvertrag verbindlich ist, dessen Bestimmungen an Stelle der Vorschriften des § 1. Enthält ein nicht für allgemein verbindlich erklärter Tarifvertrag Bestimmungen über die Arbeitszeit, die mit dem Sinne des öffentlichrechtlichen Arbeitnehmerschutzes, insbesondere mit der Rücksicht auf die Schutzbedürftigkeit der weiblichen und jugendlichen Arbeitnehmer unvereinbar sind, so kann die oberste Landesbehörde sie beanstanden und, wenn sie innerhalb einer von ihr festgesetzten Frist nicht geändert werden, selbst Bestimmungen über die zulässige Dauer der Arbeitszeit treffen. Dies gilt auch für die im § 2 erwähnten Tarifverträge. Sind in einem Tarifvertrag die näheren Bestimmungen über die Arbeitszeit besonderer Vereinbarung oder der Entscheidung durch besondere Stellen vorbehalten, so kann, wenn eine Vereinbarung oder Entscheidung in einer von der obersten Landes-

Anlage 9

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behörde bestimmten angemessenen Frist nicht zustande kommt, die oberste Landesbehörde Bestimmungen über die zulässige Dauer der Arbeitszeit treffen, die solange gelten, bis die Vereinbarung oder Entscheidung vorliegt. In den Fällen der Abs. 2 und 3 tritt bei Tarifverträgen, die für mehrere Länder gelten, an die Stelle der obersten Landesbehörde der Reichsarbeitsminister. Die Ausnahmen der §§3,4 und 10 gelten auch neben Tarifverträgen.

§6 Soweit die Arbeitszeit nicht tariflich geregelt ist, kann auf Antrag des Unternehmers für einzelne Betriebe oder Betriebsabteilungen eine vom § 1 Satz 2 und 3 abweichende Regelung der Arbeitszeit durch den zuständigen Gewerbeaufsichtsbeamten oder Bergaufsichtsbeamten nach Anhörung der gesetzlichen Betriebsvertretung widerruflich zugelassen werden, sofern sie aus betriebstechnischen Gründen, insbesondere bei Betriebsunterbrechungen durch Naturereignisse, Unglücksfälle oder andere unvermeidliche Störungen, oder aus allgemein wirtschaftlichen Gründen geboten ist. Für den Bereich mehrerer Gewerbeaufsichtsämter oder Bergaufsichtsämter sowie für ganze Gewerbezweige oder Berufe steht die gleiche Befugnis nach Anhörung der beteiligten wirtschaftlichen Vereinigungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer der obersten Landesbehörde, für Fälle, die sich auf mehrere Länder erstrecken, dem Reichsarbeitsminister zu. Gegen den Bescheid ist, soweit er nicht von einer obersten Reichs- oder Landesbehörde erlassen ist, jederzeit die Beschwerde an die vorgesetzte Behörde zulässig, die endgültig entscheidet. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. Kommt nachträglich eine tarifliche Regelung zustande, so tritt diese ohne weiteres an die Stelle der behördlichen. §7 Eine Ueberschreitung der im § 1 Satz 2 und 3 festgesetzten Grenzen auf Grund tariflicher Vereinbarung (§ 5) oder behördlicher Zulassung (§ 6) ist für Gewerbezweige oder Gruppen von Arbeitern, die unter besonderen Gefahren für Leben oder Gesundheit arbeiten, insbesondere für Arbeiter im Steinkohlebergbau unter Tage sowie für Arbeiter, die in außergewöhnlichem Grade der Einwirkung von Hitze, giftigen Stoffen, Staub und dergleichen oder der Gefährdung durch Sprengstoffe ausgesetzt sind, nur zulässig, wenn die Ueberschreitung aus Gründen des Gemeinwohls dringend erforderlich ist. Der Reichsarbeitsminister bestimmt, für welche Gewerbezweige oder Gruppen von Arbeitern diese Beschränkung Platz greift.

§8 Für den Bergbau unter Tage gelten weiter folgende besondere Vorschriften: Als regelmäßige tägliche Arbeitszeit gilt die Schichtzeit; im Steinkohlenbergbau wird sie gerechnet vom Beginne der Seilfahrt bei der Einfahrt bis zum Wiederbeginne bei der Ausfahrt oder vom Eintritt des einzelnen Arbeiters in das Stollenmundloch bis zu seinem Wiederaustritt. 13'

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Anhang

Für Betriebspunkte mit einer Wärme über 28 Grad Celsius ist durch Tarifvertrag eine Verkürzung der Arbeitszeit zu vereinbaren. Kommt eine derartige Vereinbarung nicht zustande, so ordnet die zuständige Bergbehörde nach Anhörung der beteiligten wirtschaftlichen Vereinigungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Verkürzung an. Weitergehende bergpolizeiliche Bestimmungen bleiben unberührt. §9 Die Arbeitszeit darf auch bei Anwendung der in den §§ 3 bis 7 bezeichneten Ausnahmen zehn Stunden täglich nicht überschreiten; eine Ueberschreitung dieser Grenze ist im Falle des § 7 überhaupt nicht und sonst nur aus dringenden Gründen des Gemeinwohls zulässig. Die sonstigen gesetzlichen Vorschriften über den Schutz der Arbeitnehmer, insbesondere von weiblichen und jugendlichen Arbeitnehmern, bleiben unberührt. §10 Die nach dieser Verordnung sich ergebenden Beschränkungen der Arbeitszeit finden keine Anwendung auf vorübergehende Arbeiten, die in Notfällen oder zur Verhütung des Verderbens von Rohstoffen oder des Mißlingens von Arbeitserzeugnissen unverzüglich vorgenommen werden müssen. §11 Wer den Vorschriften dieser Verordnung oder den in Kraft bleibenden Bestimmungen der im § 1 bezeichneten Verordnungen oder den daraufhin erlassenen Anordnungen zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bestraft. Wer wegen einer im Abs. 1 unter Strafe gestellten Handlung bestraft worden ist und darauf· vorsätzlich abermals eine dieser Handlungen begeht, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft. Der Arbeitgeber ist bei Duldung oder Annahme freiwilliger Mehrarbeit, soweit es sich um männliche Arbeitnehmer über sechszehn Jahre handelt, nicht strafbar, wenn die Mehrarbeit durch besondere Umstände vorübergehender Art veranlaßt ist und wenn sie weder durch Ausbeutung der Notlage oder der Unerfahrenheit des Arbeitnehmers von dem Arbeitgeber erwirkt wird noch auch offensichtlich eine gesundheitliche Gefährdung mit sich bringt. § 12 Bestimmungen von Tarif- und Arbeitsverträgen, die beim Inkrafttreten dieser Verordnung gelten und eine geringere als nach dieser Verordnung zulässige Arbeitszeit vorsehen, können mit dreißigtägiger Frist gekündigt werden. Ist in solchen Verträgen der Lohn als Zeitlohn bemessen, so wirkt die Kündigung auch für diese Bestimmungen. Arbeitsverträge, die in der Zeit vom 18. November 1923 bis zum Inkrafttreten dieser Verordnungen abgeschlossen sind, bleiben unberührt, soweit die nach den §§ 3 bis 9 zulässigen Höchstgrenzen nicht überschritten werden.

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Anlage §13

Für Betriebe und Verwaltungen des Reichs und der Länder (auch der Reichsbank) sowie für Verwaltungen der Gemeinden und Gemeindeverbände steht die Ausübung der durch dieses Gesetz dem Reichsarbeitsminister oder anderen Behörden übertragenen Befugnisse den diesen Betrieben oder Verwaltungen vorgesetzten Dienstbehörden zu. Dabei können die für Beamte gültigen Dienstvorschriften auf die übrigen Arbeitnehmer übertragen werden, auch soweit laufende Verträge dem entgegenstehen.

§14 Die Ziffern II, VI, V I I Abs. 1, 2 und X der Anordnung über die Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 23. November 1918/17. Dezember 1918, die §§ 1, 4, 5, 6, 7 und 18 der Verordnung über die Regelung der Arbeitszeit der Angestellten während der Zeit der wirtschaftlichen Demobilmachung vom 18. März 1919 bleiben aufgehoben. Das Gesetz über die Arbeitszeit im Bergbau unter Tage vom 17. Juli 1922 (Reichsgesetzbl. I S. 628) tritt außer Kraft. An die Stelle der in den vorbezeichneten Verordnungen genannten Demobilmachungskommissare treten die obersten Landesbehörden. Die im § 12 Nr. 2 der Verordnung vom 18. März 1919 festgesetzte Grenze von siebentausend Mark wird durch die im Versicherungsgesetze für Angestellte für die Versicherungspflicht jeweils bestimmte Höchstgrenze des Jahresarbeitsverdienstes ersetzt. Für die Bäckereien und Konditoreien und die ihnen gleichgestellten Anlagen bewendet es bei der Verordnung über die Arbeitszeit in den Bäckereien und Konditoreien vom 23. November 1918 (Reichsgesetzbl. S. 1329). § 15 Der Reichsarbeitsminister ist ermächtigt, Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetze zu erlassen. Der Reichsarbeitsminister ist ferner ermächtigt, die sonstigen ihm durch dieses Gesetz übertragenen Befugnisse auf eine andere Stelle zu übertragen. Das gleiche gilt für die oberste Landesbehörde hinsichtlich der ihr übertragenen Befugnisse. Der Reichsarbeitsminister kann die im § 1 Satz 1 bezeichneten und die in der Reichsgewerbeordnung enthaltenen Vorschriften über die Arbeitszeit mit den aus diesem Gesetze sich ergebenden Änderungen in einheitlicher Fassung als „Arbeitszeitverordnung" veröffentlichen. §16 Diese Verordnung tritt am 1. Januar 1924 in Kraft. Berlin, den Der Reichspräsident Der Reichsarbeitsminister

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Anhang

Anlage 10 Verordnung über die Arbeitszeit vom 21. Dezember 1923* Auf Grund des Ermächtigungsgesetzes vom 8. Dezember 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 1179) verordnet die Reichsregierung nach Anhörung eines Ausschusses des Reichsrates und eines aus 15 Mitgliedern bestehenden Ausschusses des Reichstages vorbehaltlich einer späteren endgültigen Regelung: §1 Die Anordnung über die Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 23. Dezember 1918/17. Dezember 1918 (Reichsgesetzbl. S. 1334/1436) und die Verordnung über die Regelung der Arbeitszeit der Angestellten während der Zeit der wirtschaftlichen Demobilmachung vom 18. März 1919 (Reichsgesetzbl. S. 315) erhalten mit den nachstehenden Änderungen und Ergänzungen von neuem Gesetzeskraft. Insbesondere darf bei den in Ziffer I der Anordnung vom 23. November 1918 und in den §§ 1 ff. der Verordnung vom 18. März 1919 bezeichneten Arbeitnehmern die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit, ausschließlich der Pausen, die Dauer von acht Stunden nicht überschreiten. Jedoch kann der an einzelnen Werktagen für den Betrieb oder eine Betriebsabteilung eintretende Ausfall von Arbeitsstunden nach Anhörung der gesetzlichen Betriebsvertretung durch Mehrarbeit an den übrigen Werktagen der gleichen oder der folgenden Woche ausgeglichen werden.

§2 Für Gewerbezweige oder Gruppen von Arbeitnehmern, bei denen regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitbereitschaft vorliegt, kann durch Tarifvertrag, oder, soweit ein solcher nicht besteht oder doch Arbeitsverhältnisse dieser Art nicht berücksichtigt, durch den Reichsarbeitsminister nach Anhörung der beteiligten wirtschaftlichen Vereinigungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine vom § 1 Satz 2 und 3 abweichende Regelung getroffen werden. §3 Unbeschadet der im § 10 vorgesehenen Ausnahmen dürfen die Arbeitnehmer eines Betriebes oder einer Betriebsabteilung nach Anhörung der gesetzlichen Betriebsvertretung über die im § 1 Satz 2 und 3 vorgeschriebene Höchstarbeitszeit hinaus an 30, der Wahl des Arbeitgebers überlassenen Tagen im Jahr mit Mehrarbeit bis zu zwei Stunden beschäftigt werden. §4 Die für den Gesamtbetrieb zulässige Dauer der Arbeitszeit kann nach Anhörung der gesetzlichen Betriebs Vertretung für weibliche und jugendliche Arbeitnehmer um höchstens eine Stunde, für männliche Arbeitnehmer über 16 Jahre um höchstens zwei Stunden täglich in folgenden Fällen überschritten werden:

* Quelle: RGBl. 1923 I, S. 1249 - 1251.

Anlage 10

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1. bei Arbeiten zur Bewachung der Betriebsanlagen, zur Reinigung und Instandhaltung, durch die der regelmäßige Fortgang des eigenen oder eines fremden Betriebes bedingt ist, 2. bei Arbeiten, von denen die Wiederaufnahme oder Aufrechterhaltung des vollen Betriebes arbeitstechnisch abhängt, 3. bei Arbeiten zum Be- und Entladen von Schiffen im Hafen und zum Beladen und Entladen sowie zum Verschieben von Eisenbahnwagen, soweit die Mehrarbeit zur Vermeidung oder Beseitigung von Verkehrsstockungen oder zur Innehaltung der gesetzten Ladefristen notwendig ist, 4. bei der Beaufsichtigung der vorstehend unter Nr. 1 bis 3 aufgeführten Arbeiten.

§5 Wird durch Tarifvertrag die Arbeitszeit über die im § 1 Satz 2 und 3 festgesetzten Grenzen ausgedehnt, so gelten für die Beschäftigung der Arbeitnehmer, für die der Tarifvertrag verbindlich ist, dessen Bestimmungen an Stelle der Vorschriften des § 1. Enthält ein nicht für allgemein verbindlich erklärter Tarifvertrag Bestimmungen über die Arbeitszeit, die mit dem Sinne des öffentlich-rechtlichen Arbeitnehmerschutzes, insbesondere mit der Rücksicht auf die Schutzbedürftigkeit der weiblichen und jugendlichen Arbeitnehmer unvereinbar sind, so kann die oberste Landesbehörde sie beanstanden und, wenn sie innerhalb einer von ihr festgesetzten Frist nicht geändert werden, selbst Bestimmungen über die zulässige Dauer der Arbeitszeit treffen. Dies gilt auch für die im § 2 erwähnten Tarifverträge. Sind in einem Tarifvertrag die näheren Bestimmungen über die Arbeitszeit besonderer Vereinbarung oder der Entscheidung durch besondere Stellen vorbehalten, so kann, wenn eine Vereinbarung oder Entscheidung in einer von der obersten Landesbehörde bestimmten angemessenen Frist nicht zustande kommt, die oberste Landesbehörde Bestimmungen über die zulässige Dauer der Arbeitszeit treffen, die solange gelten, bis die Vereinbarung oder Entscheidung vorliegt. In den Fällen der Abs. 2 und 3 tritt bei Tarifverträgen, die für mehrere Länder gelten, an die Stelle der obersten Landesbehörde der Reichsarbeitsminister. Die Ausnahmen der §§ 3, 4 und 10 gelten auch neben Tarifverträgen.

§6 Soweit die Arbeitszeit nicht tariflich geregelt ist, kann auf Antrag des Unternehmers für einzelne Betriebe oder Betriebsabteilungen eine vom § 1 Satz 2 und 3 abweichende Regelung der Arbeitszeit durch den zuständigen Gewerbeaufsichtsbeamten oder Bergaufsichtsbeamten nach Anhörung der gesetzlichen Betriebsvertretung widerruflich zugelassen werden, sofern sie aus betriebstechnischen Gründen, insbesondere bei Betriebsunterbrechungen durch Naturereignisse, Unglücksfälle oder andere unvermeidliche Störungen, oder aus allgemein wirtschaftlichen Gründen geboten ist. Für den Bereich mehrerer Gewerbeaufsichtsämter oder Bergaufsichtsämter sowie für ganze Gewerbezweige oder Berufe steht die gleiche Befugnis nach Anhörung der beteiligten wirtschaftlichen Vereinigungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer der obersten Landesbehörde, für Fälle, die sich auf mehrere Länder erstrecken, dem Reichsarbeitsminister zu.

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Anhang

Gegen den Bescheid ist, soweit er nicht von einer obersten Reichs- oder Landesbehörde erlassen ist, jederzeit die Beschwerde an die vorgesetzte Behörde zulässig, die endgültig entscheidet. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. Kommt nachträglich eine tarifliche Regelung zustande, so tritt diese ohne weiteres an die Stelle der behördlichen. §7 Eine Überschreitung der im § 1 Satz 2 und 3 festgesetzten Grenzen auf Grund tariflicher Vereinbarung (§ 5) oder behördlicher Zulassung (§ 6) ist für Gewerbezweige oder Gruppen von Arbeitern, die unter besonderen Gefahren für Leben oder Gesundheit arbeiten, insbesondere für Arbeiter im Steinkohlebergbau unter Tage sowie für Arbeiter, die in außergewöhnlichem Grade der Einwirkung von Hitze, giftigen Stoffen, Staub und dergleichen oder der Gefährdung durch Sprengstoffe ausgesetzt sind, nur zulässig, wenn die Überschreitung aus Gründen des Gemeinwohls dringend erforderlich ist, oder wenn sie sich in langjähriger Übung als unbedenklich erwiesen hat und eine halbe Stunde nicht übersteigt. Der Reichsarbeitsminister bestimmt, für welche Gewerbezweige oder Gruppen von Arbeitern diese Beschränkung Platz greift.

§8 Im Bergbau unter Tage ist für Betriebspunkte mit einer Wärme über 28 Grad Celsius durch Tarifvertrag eine Verkürzung der Arbeitszeit zu vereinbaren. Kommt eine derartige Vereinbarung nicht zustande, so ordnet die zuständige Bergbehörde nach Anhörung der beteiligten wirtschaftlichen Vereinigungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Verkürzung an. Weitergehende bergpolizeiliche Bestimmungen bleiben unberührt. Im Steinkohlenbergbau gilt als regelmäßige tägliche Arbeitszeit die Schichtzeit; sie wird gerechnet vom Beginn der Seilfahrt bei der Einfahrt bis zum Wiederbeginn bei der Ausfahrt oder vom Eintritt des einzelnen Arbeiters in das Stollenmundloch bis zu seinem Wiederaustritt. §9 Die Arbeitszeit darf auch bei Anwendung der in den §§ 3 bis 7 bezeichneten Ausnahmen zehn Stunden täglich nicht überschreiten; eine Überschreitung dieser Grenze ist im Falle des § 7 überhaupt nicht und sonst nur aus dringenden Gründen des Gemeinwohls zulässig. Die sonstigen gesetzlichen Vorschriften über den Schutz der Arbeitnehmer, insbesondere von weiblichen und jugendlichen Arbeitnehmern, bleiben unberührt. Weibliche Arbeitnehmer sind auf ihren Wunsch während der Schwangerschaft und der Stillzeit tunlichst von einer die Grenzen des § 1, Satz 2 überschreitenden Arbeit zu befreien. § 10 Die nach dieser Verordnung sich ergebenden Beschränkungen der Arbeitszeit finden keine Anwendung auf vorübergehende Arbeiten, die in Notfällen oder zur Verhü-

Anlage 10

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tung des Verderbens von Rohstoffen oder des Mißlingens von Arbeitserzeugnissen unverzüglich vorgenommen werden müssen. §11 Wer den Vorschriften dieser Verordnung oder den in Kraft bleibenden Bestimmungen der im § 1 bezeichneten Verordnungen oder den daraufhin erlassenen Anordnungen zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bestraft. Wer wegen einer im Absatz 1 unter Strafe gestellten Handlung bestraft worden ist und darauf vorsätzlich abermals eine dieser Handlungen begeht, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft. Der Arbeitgeber ist bei Duldung oder Annahme freiwilliger Mehrarbeit, soweit es sich um männliche Arbeitnehmer über 16 Jahre handelt, nicht strafbar, wenn die Mehrarbeit durch besondere Umstände veranlaßt und keine dauernde ist, und wenn sie weder durch Ausbeutung der Notlage oder der Unerfahrenheit des Arbeitnehmers von dem Arbeitgeber erwirkt wird noch auch offensichtlich eine gesundheitliche Gefährdung mit sich bringt. §12 Bestimmungen von Tarif- und Arbeitsverträgen, die beim Inkrafttreten dieser Verordnung gelten und eine geringere als nach dieser Verordnung zulässige Arbeitszeit vorsehen, können mit dreißigtägiger Frist gekündigt werden. Ist in solchen Verträgen der Lohn als Zeitlohn bemessen, so wirkt die Kündigung auch für diese Bestimmungen. Arbeitsverträge, die in der Zeit vom 18. November 1923 bis zum Inkrafttreten dieser Verordnung abgeschlossen sind, bleiben unberührt, soweit die nach den §§3 bis 9 zulässigen Höchstgrenzen nicht überschritten werden. §13 Für Betriebe und Verwaltungen des Reichs (auch der Reichsbank) und der Länder sowie für Verwaltungen der Gemeinden und Gemeindeverbände steht die Ausübung der durch dieses Gesetz dem Reichsarbeitsminister oder anderen Behörden übertragenen Befugnisse den diesen Betrieben oder Verwaltungen vorgesetzten Dienstbehörden zu. Diese können die für Beamte gültigen Dienstvorschriften über die Arbeitszeit auf die übrigen Arbeitnehmer der genannten Betriebe und Verwaltungen übertragen, auch soweit laufende Verträge dem entgegenstehen. §14 Die Ziffern II, VI, V I I Absatz 1, 2 und X der Anordnung über die Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 23. November 1918/17. Dezember 1918, die §§ 1, 4, 5, 6, 7 und 18 der Verordnung über die Regelung der Arbeitszeit der Angestellten während der Zeit der wirtschaftlichen Demobilmachung vom 18. März 1919 bleiben aufgehoben. Das Gesetz über die Arbeitszeit im Bergbau unter Tage vom 17. Juli 1922 (Reichsgesetzblatt I S. 628) tritt außer Kraft. An die Stelle der in den vorbezeichneten Verordnungen genannten Demobilmachungskommissare treten die obersten Landesbehörden.

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Anhang

Die im § 12 Nr. 2 der Verordnung vom 18. März 1919 festgesetzte Grenze von 7000 Mark wird durch die im Versicherungsgesetz für Angestellte für die Versicherungspflicht jeweils bestimmte Höchstgrenze des Jahresarbeitsverdienstes ersetzt. Für die Bäckereien und Konditoreien und die ihnen gleichgestellten Anlagen bewendet es bei der Verordnung über die Arbeitszeit in den Bäckereien und Konditoreien vom 23. November 1918 (Reichsgesetzblatt S. 1329). § 15 Der Reichsarbeitsminister ist ermächtigt, Ausführungsbestimmungen zu dieser Verordnung zu erlassen. Der Reichsarbeitsminister ist ferner ermächtigt, die sonstigen ihm durch diese Verordnung übertragenen Befugnisse auf eine andere Stelle zu übertragen. Das gleiche gilt für die oberste Landesbehörde hinsichtlich der ihr übertragenen Befugnisse. Der Reichsarbeitsminister kann die im § 1 Satz 1 und die in der Reichsgewerbeordnung enthaltenen Vorschriften über die Arbeitszeit mit den aus dieser Verordnung sich ergebenden Änderungen in einheitlicher Fassung als „Arbeitszeitverordnung" veröffentlichen. §16 Diese Verordnung tritt am 1. Januar 1924 in Kraft. Berlin, den 21. Dezember 1923 Der Reichskanzler

Der Reichsarbeitsminister

Marx

Dr. Brauns

Anlage 11 Allgemeine Vorschriften über die Arbeitszeit nach dem vorläufigen Referentenentwurf des Reichsarbeitsministeriums zu einem Arbeitsschutzgesetz vom 16. April 1926* Dritter Abschnitt Arbeitszeit Erster Unterabschnitt Allgemeine Vorschriften über die Arbeitszeit §9 Regelmäßige Arbeitszeit (1) Die Arbeitszeit des einzelnen Arbeitnehmers darf die Dauer von 8 Stunden täglich und 48 Stunden wöchentlich nicht übersteigen. Nicht als Arbeitszeit gelten die innerhalb der Arbeitszeit liegenden Pausen. * Quelle: BA/R 43 I/2019/B1. 106 - 129.

Anlage 1

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(2) Als Arbeitszeit ist auch diejenige Zeit anzusehen, in der ein im übrigen Betrieb beschäftigter Arbeitnehmer in seiner eigenen Wohnung oder Werkstätte für den gleichen Arbeitgeber tätig ist. Wird ein Arbeitnehmer von mehreren Arbeitgebern ständig in erheblichem Maße beschäftigt, so ist die Dauer der hauptsächlichen Beschäftigung auf die Arbeitszeit bei den übrigen Arbeitgebern anzurechnen; bei mehreren Beschäftigungen, von denen keine als Hauptbeschäftigung anzusehen ist, ist die zeitlich frühere Beschäftigung auf die spätere anzurechnen. §10 Andere Verteilung der Arbeitszeit (1) Eine von den Vorschriften des § 9 abweichende Verteilung der dort vorgesehenen Arbeitszeiten ist in folgenden Fällen zulässig: 1. Bleibt die Arbeitszeit der Arbeitnehmer eines Betriebes, einer bestimmten Betriebsabteilung oder einzelner Arbeitnehmer an bestimmten Tagen regelmäßig unter der vorgesehenen Grenze, so darf an den übrigen Tagen der gleichen Woche entsprechend länger gearbeitet werden. 2. Ist es in einem Betrieb oder einer Betriebsabteilung aus besonderen wirtschaftlichen Gründen notwendig, in einer Woche regelmäßig nur an 5 Tagen oder innerhalb zweier Wochen regelmäßig nur an 11 Tagen zu arbeiten, so darf die dadurch ausfallende Arbeitszeit auf die Arbeitstage dieses Zeitraumes verteilt werden. 3. Wird in mehreren Schichten gearbeitet, so darf die Arbeitszeit der zur gleichen Schicht gehörenden Arbeitnehmer so geregelt werden, daß die zulässige Arbeitszeit im Durchschnitt von höchstens drei Wochen nicht überschritten wird. 4. Fällt wegen eines nicht unter § 27 fallenden Festtages in einem Betriebe oder einer Betriebsabteilung Arbeit aus, so darf der Ausfall binnen zweier Wochen vor oder nach dem Festtag durch Mehrarbeit ausgeglichen werden; wird infolgedessen in einer Woche länger als 48 Stunden gearbeitet, so findet auf die Bezahlung der Mehrarbeit die Vorschrift des § 14 Abs. 6 Anwendung. 5. Ist infolge außergewöhnlicher Ereignisse in einem Betrieb oder in einer Betriebsabteilung Arbeit ausgefallen, so darf die bei einem Ausfall bis zur Dauer eines Arbeitstages binnen einem Monat, bei einem Ausfall von mehr als einem Arbeitstag binnen drei Monaten und bei einem Ausfall von mehr als einer Woche binnen sechs Monaten nach dem Ausfall nachgeholt werden. 6. Ist die Ausübung eines Gewerbes ihrer Art nach auf bestimmte Jahreszeiten beschränkt oder nötigt sie in gewissen Zeiten des Jahres zu einer außergewöhnlich verstärkten Tätigkeit oder erscheint in sonstigen Fällen die regelmäßige Verteilung der Arbeitszeit wegen besonderer Umstände unzweckmäßig, so darf die Arbeitszeit für alle Arbeitnehmer oder für bestimmte Gruppen von ihnen so geregelt werden, daß die zulässige Arbeitszeit im Durchschnitt von höchstens einem Jahr nicht überschritten wird. (2) In dem Falle der Nr. 1 darf die Verlängerung der Arbeitszeit eine Stunde täglich nicht überschreiten. In den übrigen Fällen des Abs. 1 darf die Verlängerung zwei Stunden täglich und zwölf Stunden wöchentlich nicht überschreiten. Die im Satz 2 vorgesehene Begrenzung gilt auch bei Zusammentreffen mehrerer Ausnahmen auf Grund des Abs. 1; ihre Ueberschreitung ist in diesem Falle nur aus besonderen Gründen und nur mit Genehmigung des Arbeitsaufsichtsamtes zulässig.

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Anhang

(3) Die Verteilung der Arbeitszeit auf Grund des Abs. 1 kann nur durch Tarifvertrag vorgenommen oder zugelassen werden. In den Fällen der Nummern 1 bis 5 ist die Verteilung mangels einer tarifvertraglichen Regelung auch durch die Arbeitsordnung oder eine sonstige Betriebs Vereinbarung zulässig, im Falle der Nr. 5 jedoch nur, falls die außergewöhnlichen Ereignisse sich auf einzelne Betriebe beschränken. In den Fällen der Nummern 1, 4 und 5 ist die Verteilung mangels einer tarifvertraglichen Regelung auch durch Arbeitsvertrag zulässig, wenn es sich um einen Betrieb handelt, für den weder eine Arbeitsordnung vorgeschrieben ist, noch eine Betriebsvertretung besteht. (4) In den Fällen der Nummern 2 und 6 bedarf die Vereinbarung, soweit sie nicht in einem Tarifvertrag getroffen und dieser für allgemeinverbindlich erklärt ist, der Genehmigung der Landesbehörde oder, wenn sich der Geltungsbereich der Vereinbarung über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt, der Genehmigung des Reichsarbeitsministers. Das gleiche gilt im Falle der Nr. 5, wenn die Nachholung die Dauer einer Woche überschreitet. §11 Ununterbrochene Arbeit (1) Bei Arbeiten, die ihrer Art nach einen ununterbrochenen Fortgang erfordern, tritt anstelle der 48stündigen Wochenarbeitszeit eine solche von 56 Stunden. Zur Ermöglichung des Schichtwechsels darf die auf einen Zeitraum von drei Wochen entfallende Gesamtarbeitszeit ungleichmäßig verteilt werden, jedoch darf die tägliche Arbeitszeit höchstens um 8 Stunden verlängert werden. Im übrigen ist eine andere Verteilung der Arbeitszeit nur auf Grund des § 10 Abs. 1 Nr. 3 zulässig. (2) Eine Verlängerung der 56stündigen Wochenarbeitszeit ist nur bei Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten nach § 12 Abs. 1 Nr. 4, bei Arbeitsbereitschaft nach §13 und in außergewöhnlichen Fällen nach § 15 zulässig. (3) Der Reichsarbeitsminister erläßt nach Anhörung des in § 1 Abs. 3 genannten Ausschusses Bestimmungen darüber, inwieweit Arbeiten unter Abs. 1 fallen.

§12 Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten (1) Ueber die für den Betrieb oder die Betriebsabteilung allgemein zulässige Arbeitszeit hinaus dürfen einzelne Arbeitnehmer mit folgenden Arbeiten beschäftigt werden: 1. Bedienung von Kraft-, Beleuchtungs-, Heizungs- und Aufzugsanlagen, sowie Arbeiten an Öfen und sonstigen Feuerstellen, soweit sie erforderlich sind, um den eigenen oder einen fremden Betrieb in vollem Umfange aufzunehmen oder weiterzuführen, 2. Vorbereitung von Hilfsstoffen und Instandsetzung von Hilfsgeräten und sonstigen Betriebseinrichtungen, soweit die Arbeit erforderlich ist, um den vollen Betrieb in der nächsten Schicht aufzunehmen, 3. Reinigung und Instandhaltung von Maschinen, Öfen und anderen Betriebseinrichtungen, soweit sich die Arbeit während des regelmäßigen Betriebes nicht ohne dessen Störung oder Unterbrechung ausführen läßt,

Anlage 1

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4. Arbeiten von Vorarbeitern, Werkführern und sonstigen bei der Beaufsichtigung der Arbeitnehmer oder des Arbeitsvorgangs beteiligten Personen, soweit ihre Tätigkeit zur Vorbereitung oder zum Abschluß der Arbeit oder zur Verbindung der Arbeit zweier unmittelbar aufeinanderfolgender Schichten unerläßlich ist, 5. Beendigung der ordnungsgemäßen Bedienung der Kundschaft, 6. Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten anderer Art, deren Vornahme außerhalb der allgemeinen Arbeitszeit der Reichsarbeitsminister durch Verordnung für zulässig erklärt hat. Der Reichsarbeitsminister darf in die Verordnung nur solche Arbeiten aufnehmen, von deren Vornahme die geregelte Tätigkeit eines Betriebes oder einer Betriebsabteilung abhängt und deren Vornahme außerhalb der allgemeinen Arbeitszeit unerläßlich ist. Vor Erlaß der Verordnung ist der in § 3 bezeichnete Ausschuß zu hören. (2) Die Überschreitung der täglichen Arbeitszeit darf bei den unter den Nummern 1 und 2 bezeichneten Arbeiten höchstens 2 Stunden, bei den unter den Nummern 3 und 4 bezeichneten Arbeiten höchstens 1 Stunde und bei den unter Nr. 5 bezeichneten Arbeiten höchstens eine Viertelstunde betragen. Die zulässige Wochenarbeitszeit verlängert sich entsprechend. Bei den unter Nr. 6 bezeichneten Arbeiten bestimmt der Reichsarbeitsminister nach Anhörung des in § 1 Abs. 3 bezeichneten Ausschusses die Höchstgrenze der zulässigen Überschreitung. §13 Arbeitsbereitschaft (1) Die Arbeitszeit von Feuerwehrleuten, Heilgehilfen, Personen in Speise-, Wasch-, Bade- und Aufenthaltsräumen, von Führern und Begleitern von Kraftwagen und Fuhrwerken sowie von Ausläufern darf bis auf zehn Stunden täglich und sechzig Stunden wöchentlich verlängert werden, soweit die Tätigkeit dieser Personen nur eine Hilfstätigkeit und einem in der Hauptsache anderen Zwecken dienenden Betrieb ist. Diese Regelung gilt auch für Wächter und Pförtner, sowie für Maschinenwärter, wenn die Bedienung der Maschine hauptsächlich in ihrer Beobachtung besteht und nicht eine dauernde angestrengte Aufmerksamkeit verlangt. (2) Bei einer Verlängerung der Arbeitszeit auf Grund des Abs. 1 darf die Schichtdauer (Arbeitszeit zuzüglich der Pausen) zwölf Stunden täglich nicht überschreiten. Dies gilt nicht für die Führer und Begleiter von Kraftwagen und Fuhrwerken; jedoch ist ihnen, vorbehaltlich der außerordentlichen Fälle des § 15, eine ununterbrochene und bei ihrem Beginn feststehende Ruhezeit von täglich mindestens 8 Stunden zu gewähren. (3) Der Reichsminister kann mit Zustimmung des Reichsrats für sonstige Gruppen von Arbeitnehmern, deren Arbeit ihrem Wesen nach Unterbrechungen erfährt, durch Verordnung eine Verlängerung der Arbeitszeit bis auf 10 Stunden täglich und 60 Stunden wöchentlich zulassen; in der Verordnung ist die Höchstgrenze der Schichtdauer zu bestimmen. (4) Für Eisenbahnbetriebe können der Reichsarbeitsminister und der Reichsverkehrsminister durch Verordnung bestimmen, bei welchen Arbeitnehmergruppen Arbeitsbereitschaft anzunehmen ist, und welche Arbeitszeit und Schichtdauer für sie gelten. (5) Die nach den Absätzen 1 bis 4 zulässigen Höchstarbeitszeiten dürfen auch bei Zusammentreffen mit Ausnahmen auf Grund der §§ 10, 11 und 14 nicht überschritten werden.

206

Anhang §14 Mehrarbeit

(1) Besteht innerhalb eines Betriebes oder einer Betriebsabteilung ein dringender Bedarf nach Mehrarbeit, so ist diese bis zu zwei Stunden täglich oder bis zu zwölf Stunden wöchentlich, jedoch höchstens bis zu 60 Stunden während eines Kalenderjahres zulässig. Auf die zulässige Dauer der Mehrarbeit ist die in dem Betriebe oder der Betriebsabteilung geleistete Mehrarbeit auch dann anzurechnen, wenn nicht alle Arbeitnehmer des Betriebes oder der Betriebsabteilung daran teilgenommen haben. (2) Durch Tarifvertrag kann die zulässige Mehrarbeit bis zu einer Gesamtdauer von 250 Stunden innerhalb eines Kalenderjahres ausgedehnt werden, wobei jedoch die in Abs. 1 für den Tag und die Woche vorgesehenen Höchstgrenzen nicht überschritten werden dürfen. (3) Ist die Frage der Mehrarbeit nicht tarifvertraglich geregelt, so kann das Arbeitsaufsichtsamt sie bis zu der in Abs. 2 vorgesehenen Höchstgrenze widerruflich oder auf bestimmte Zeit zulassen, falls dies aus Gründen des Gemeinwohls erforderlich ist. Handelt es sich um Betriebe im Bezirk mehrerer Arbeitsaufsichtsämter, so ist eine höhere Landesbehörde, handelt es sich um Betriebe in Gebieten mehrerer Länder, so ist der Reichsarbeitsminister zuständig. Vor der Zulassung ist den beteiligten wirtschaftlichen Vereinigungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Kommt nach der Zulassung eine tarifliche Regelung zustande, so tritt sie innerhalb ihres Geltungsbereichs an die Stelle der behördlichen. (4) Eine Ueberschreitung der nach den Absätzen 1 - 3 zulässigen täglichen und wöchentlichen Höchstarbeitszahlen wegen Zusammentreffens mit Ausnahmen auf Grund anderer Verteilung der Arbeitszeit nach § 10 ist nur mit Zustimmung des Arbeitsaufsichtsamtes zulässig. (5) Die nach den Absätzen 1 - 3 geleistete Mehrarbeit ist über den Lohn für die regelmäßige Arbeit hinaus mit einem Zuschlag von fünfundzwanzig von Hundert zu bezahlen. §15 Außergewöhnliche Fälle (1) Zur Verhütung oder Beseitigung einer ernstlichen Störung des Unternehmens dürfen Arbeitnehmer über die sonst zulässige Arbeitszeit hinaus beschäftigt werden: 1. bei unaufschiebbaren Arbeiten an Maschinen, Öfen und anderen Betriebseinrichtungen. 2. Zur Beendigung von Arbeiten, deren Unterbrechung das Ergebnis der Arbeit gefährden oder einen unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Schaden zur Folge haben würde, sofern es sich um Ausnahmefälle handelt und dem Arbeitgeber andere Vorkehrungen nicht zugemutet werden können. 3. In sonstigen Notfällen und in außergewöhnlichen Fällen, die unabhängig vom Willen des Arbeitgebers eintreten und die nicht auf andere Weise zu beseitigen sind, insbesondere, wenn Rohstoffe zu verderben oder Arbeitserzeugnisse zum mißlingen drohen.

Anlage 1

207

§16 Einschränkung des Geltungsbereichs (1) Die Vorschriften dieses Abschnitts finden keine Anwendung auf die Beschäftigung: 1. Von Arbeitnehmern im Bergbau, soweit diese unter Tage stattfindet. 2. Von Arbeitnehmern in Betrieben, in denen nur Mitglieder des Familienhaushaltes des Betriebsunternehmers beschäftigt sind (Familienbetriebe). Gehören dem Familienhaushalt mehr als drei nicht mit dem Unternehmer verwandte Personen an, so ist der Betrieb nicht als Familienbetrieb anzusehen. 3. Von Arbeitnehmern, deren Arbeit nicht in erster Linie ihrem Erwerb, sondern überwiegend ihrer körperlichen Heilung, Wiedereingewöhnung, sittlichen Besserung oder Erziehung dient, oder durch Beweggründe der Nächstenliebe oder der Religion bestimmt wird. 4. Von Pflegepersonal in Krankenpflegeanstalten. (2) Der Reichsarbeitsminister kann nach Anhörung des in § 1 Abs. 3 bezeichneten Ausschusses bestimmen, ob einzelne Gruppen von Arbeitnehmern unter Abs. 1 fallen. Er kann mit Zustimmung des Reichsrats Bestimmungen über die Arbeitszeit des Pflegepersonals in Krankenpflegeanstalten erlassen. (3) In den Verwaltungen des Reichs, der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände, sowie in den Betrieben und Verwaltungen der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft und der Reichsbank können die für Beamten gültigen Dienstvorschriften über die Arbeitszeit von der Dienstbehörde auch auf die Arbeiter und Angestellten übertragen werden. Insoweit finden die allgemeinen Vorschriften über die Arbeitszeit (§§ 9 - 1 5 ) keine Anwendung. §26 Strafvorschriften (1) Arbeitgeber und die nach § 3 verantwortlichen Personen, die Vorschriften dieses Abschnittes oder der auf Grund dieses Abschnittes erlassenen Verordnungen über die Beschäftigungsdauer der Arbeitnehmer, über den erhöhten Schutz der weiblichen und jugendlichen Arbeitnehmer oder über das Nachtbackverbot, zuwiderhandeln, werden mit Geldstrafen bestraft. (2) Auch die fahrlässige Zuwiderhandlung ist strafbar. (3) Wer nach rechtskräftiger Verurteilung auf Grund dieser Vorschriften ihnen vorsätzlich erneut zuwider handelt, kann neben der Geldstrafe oder an ihrer Stelle mit Gefängnis bis zu drei Monaten, oder, falls es sich um eine erneute Zuwiderhandlung gegen Vorschriften über den erhöhten Schutz für weibliche oder jugendliche Arbeiter handelt, mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft werden. Die Anwendung der Vorschrift bleibt ausgeschlossen, wenn seit der Rechtskraft der letzten Verurteilung bis zur Begehung der neuen Straftat drei Jahre verflossen sind. (4) Arbeitgeber und die nach § 3 verantwortlichen Personen, die die Vorschriften dieses Abschnittes oder der auf Grund dieses Abschnittes erlassenen Verordnungen über Aushänge, Verzeichnisse und Anzeigen vorsätzlich oder fahrlässig übertreten, werden mit Geldstrafe bis zu 150 Reichsmark bestraft.

208

Anhang A n l a g e 12 Entschließung des ADGB, AfA, DGB und H.D.-Gewerkvereins vom 28. Oktober 1926* Ein Notgesetz über den Achtstundentag

Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund, der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Gewerkschaftsring Deutscher Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenverbände und der Allgemeine freie Angestelltenbund haben in einer Konferenz am 28. Oktober folgende gemeinsame Entschließung angenommen: Die herrschende Arbeitslosigkeit ist nicht zuletzt in der modernen wirtschaftlichen Entwicklung begründet. Es bedarf daher positiver Maßnahmen, um einen wesentlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit, die zwangsläufig durch die fortschreitende technische und betriebsorganisatorische Vervollkommnung verursacht wird, herbeizuführen. Die unterzeichneten Spitzenverbände erklären, daß es nicht genügt, die Oeffentlichkeit auf den Gegensatz zwischem dem heute herrschenden Ueberstundenwesen und der völligen Arbeitslosigkeit von Millionen hinzuweisen und vor dem System der Arbeitszeitverlängerung zu warnen, sondern daß es gesetzlichen Zwanges bedarf, um die Durchführung des Achtstundentages zu sichern. Die Verkürzung der derzeitigen Arbeitszeit liegt im Zuge der technischen und organisatorischen Entwicklung und ist die Vorbedingung für die Rückführung des Arbeitslosenheeres in die Betriebe. Die unterzeichneten Spitzenverbände stimmen aber auch darin überein, daß es nicht angeht, sich mit einer späteren Neuregelung der Arbeitszeit durch das endgültige Arbeitsschutzgesetz zufrieden zu geben, zumals mit dessen baldiger Verabschiedung nicht gerechnet werden kann. Es bedarf vielmehr sofortiger gesetzlicher Maßnahmen, um der gegenwärtigen Not zu steuern. Aus diesem Grunde fordern die unterzeichneten Spitzenorganisationen die sofortige Abänderung der geltenden Arbeitszeitbestimmungen im Wege eines Notgesetzes zur Wiederherstellung des Achtstundentages.

Anlage 13 Erklärung der deutschen Unternehmerverbände zur Arbeitszeit vom 1. November 1926* * Die Spitzenorganisationen der deutschen Arbeitnehmer haben sich mit einer gemeinsamen Entschließung an die Öffentlichkeit gewendet, in der zur Hebung der Arbeitslosigkeit die sofortige Wiederherstellung des Achtstundentages im Wege eines Notgesetzes verlangt wird. Hierzu erklären wir, daß ein solcher Eingriff in die Produktionsgrundlagen der deutschen Wirtschaft nach der wirtschaftlichen Seite eine Verminderung der Produktionsleistung und damit letzten Endes eine Preisverteuerung mit allen ihren verhäng* Quelle: GewZ Nr. 45 vom 6. Nov. 1926. ** Quelle: BA/R 43 I/2019/B1. 199.

Anlage 1

209

nisvollen Folgen nach innen und außen nach sich ziehen müßte. Vor allem aber würde dieser Schritt keine irgendwie ins Gewicht fallende Wiedereinstellung von Arbeitslosen zur Folge haben, wohl aber in seinen weiteren Auswirkungen die aufs tiefste zu beklagende jetzige Arbeitslosigkeit sicher nur noch verstärken. Die Arbeitszeit, wie sie jetzt in der deutschen Wirtschaft gehandhabt wird, ist auf gesetzlicher Grundlage im Einvernehmen mit den deutschen Arbeitnehmern so gestaltet worden, wie es den Lebensbedürfnissen der deutschen Wirtschaft zur Überwindung der aus dem Kriege, der Inflation und den weltwirtschaftlichen Veränderungen hervorgegangenen Schwierigkeiten entspricht. Die heutige, leider vielfach zu optimistisch angesehene, unserer Überzeugung nach noch durchaus ernste und nicht gesicherte Lage der deutschen Wirtschaft erlaubt es nicht, unsere Produktion so schweren Erschütterungen auszusetzen, wie sie die von den Gewerkschaften verlangte gesetzgeberische Maßnahme unserer festen Überzeugung nach mit sich bringen würde. Wir wenden uns daher mit größten Ernst warnend sowohl an die Reichsregierung wie auch an die politischen Parteien mit der dringenden Bitte, das dem gesamten Volke drohende Unheil abzuwehren. Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände gez. Ernst von Borsig Reichsverband der Deutschen Industrie gez. Dulsberg Deutscher Industrie- und Handelstag gez. v. Mendelssohn Hansabund für Gewerbe, Handel und Industrie gez. Dr. Fischer Reichsverband der Bankleitungen gez. Mosler Zentralverband des Deutschen Bank- und Bankiersgewerbes gez. Rießer Hauptgemeinschaft des deutschen Einzelhandels gez. Heinrich Grünfeld Zentralverband des deutschen Großhandels gez. Ravené Vereinigung der Arbeitgeberverbände des Großhandels gez. Dr. Lustig Reichsverband des Deutschen Handwerks gez. Derlien Arbeitgeberverband Deutscher Versicherungsunternehmen gez. Nordhoff Reichsverband der Privatversicherung gez. Dr. Schmitt Reichsverband der deutschen Forst- und landwirtschaftlichen Arbeitgebervereinigungen gez. Schur ig

14 Bischoff

210

Anhang Anlage 14 Gewerkschaftsentwurf eines Notgesetzes zur Verkürzung der Arbeitszeit*

Die Verordnung über die Arbeitszeit vom 21. Dezember 1923 ist wie folgt zu ändern: §2

erhält folgenden Wortlaut: Für Gruppen von Arbeitnehmern, bei denen regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft vorliegt, kann nur durch Tarifvertrag eine vom § 1, Satz 2 und 3 abweichende Regelung getroffen werden. Was als Arbeitsbereitschaft zu gelten hat, bestimmt der Reichsarbeitsminister durch eine Ausführungsbestimmung.

§3

kommt in Wegfall.

§4

Die für den Gesamtbetrieb zulässige Dauer der Arbeitszeit kann durch Tarifvertrag für weibliche und jugendliche Arbeitnehmer um höchstens eine Stunde, für männliche Arbeitnehmer über 16 Jahre um höchstens zwei Stunden täglich in folgenden Fällen überschritten werden: 1. bei Arbeiten zur Bewachung der Betriebsanlagen, zur Reinigung und Instandhaltung, durch die der regelmäßige Fortgang des eigenen oder eines fremden Betriebes bedingt ist, 2. bei Arbeiten, von denen die Wiederaufnahme oder Aufrechterhaltung des vollen Betriebes arbeitstechnisch abhängt, 3. bei Arbeiten zum Be- und Entladen von Schiffen in Häfen und zum Bé- und Entladen sowie zum Verschieben von Eisenbahnwagen, soweit die Mehrarbeit zur Vermeidung oder Beseitigung von Verkehrsstockungen oder zur Innehaltung der gesetzten Ladefristen notwendig ist, 4. bei der Beaufsichtigung der vorstehend unter Nummer 1 bis 3 aufgeführten Arbeiten. Soweit der Tarifvertrag die Einzelheiten nicht regelt, sind sie mit der Betriebsvertretung zu vereinbaren. Kommt eine Einigung nicht zustande, oder besteht keine Betriebsvertretung, so ist der gesetzliche Schlichtungsausschuß anzurufen, welcher bindend im Rahmen der Bestimmungen des Tarifvertrages die notwendige Überarbeit bestimmt.

§5

kommt in Wegfall.

§6

kommt in Wegfall.

§7

erhält folgende Fassung: Eine Überschreitung der im § 1, Satz 2 und 3 festgesetzten Grenzen ist für Gewerbezweige oder Gruppen von Arbeitern, die unter besonderen Gefahren für Leben oder Gesundheit arbeiten, insbesondere für Arbeiter im Bergbau unter Tage sowie für Arbeiter, die in außergewöhnlichem Grade der Einwirkung von Hitze, giftigen Stoffen, Staub und dergleichen oder der Gefährdung durch Sprengstoffe ausgesetzt sind, unzulässig.

* Quelle: BA/R 43 I/2059/B1. 297 f.

Anlage 15

211

Der Reichsarbeitsminister bestimmt, für welche Gewerbezweige oder Gruppen von Arbeitern diese Beschränkung Platz greift. §9

erhält folgende Fassung: Die Arbeitszeit darf auch bei Anwendung der in den vorangehenden Paragraphen zulässigen Ausnahmen einschließlich der Arbeitsbereitschaft zehn Stunden täglich nicht überschreiten. Die sonstigen gesetzlichen Vorschriften über den Schutz der Arbeitnehmer, insbesondere der weiblichen und jugendlichen Arbeitnehmer, bleiben unberührt. Weibliche Arbeitnehmer sind auf ihren Wunsch während der Schwangerschaft und der Stillzeit von einer die Grenze des § 1, Satz 2 überschreitenden Arbeit zu befreien.

§11 Absatz 3 kommt in Wegfall. §12 erhält folgende Fassung: Bestimmungen von Tarif- und Arbeitsverträgen, die eine längere als nach diesem Gesetz zulässige Arbeitszeit vorsehen, gelten mit dem Inkrafttreten dieses Notgesetzes als aufgehoben. §13 kommt in Wegfall. §15 Absatz 1 erhält folgende Fassung: Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetz erläßt der Reichsarbeitsminister nach Anhörung der wirtschaftlichen Vereinigungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Artikel 3 und Artikel 7, Absatz 3 der Demobilmachungsverordnung über die Arbeitszeit vom 23. November 1918 kommen in Wegfall.

Anlage 15 Niederschrift über die Parteiführerbesprechung am 30. November 1926 im Reichstag* Anwesend: die Herren Reichskanzler Marx Reichsarbeitsminister Dr. Brauns Reichswirtschaftsminister Dr. Curtius Staatssekretär i. D. Reichskanzlei Dr. Pünder Pressechef Ministerialdirektor Dr. Zechlin Ferner: Ministerialdirektor Dr. Sitzler Ministerialrat Dr. Fessier Oberregierungsrat Dr. v. Stockhausen als Protokollführer.

* Quelle: BA/R 43 I/2059/B1. 308 - 310. 14*

212

Anhang

Ausserdem die Abgeordneten: Scholz, v. Guérard, Leicht, Moldenhauer, Stegerwald, Fischer, Becker, Pfeffer, Brüning, Schneider, Schwarzer. Gegenstand: Arbeitszeitgesetz Zur Erörterung stand die Frage, ob in Anbetracht der von Seiten der Arbeitnehmer ständig vorgebrachten Klagen über die Handhabung der Ueberstundenmöglichkeiten durch die Arbeitgeber eine Regelung durch eine Ergänzung der Verordnung über das Arbeitszeitgesetz vom 21. Dezember 1923 angebahnt werden solle, noch ehe das vom Kabinett kürzlich beschlossene Arbeitsschutzgesetz verabschiedet sei. Der Reichsarbeitsminister erklärte, dass er glaube, man käme an einer Abänderung gewisser Bestimmungen der Verordnung vom 21. 12. 1923 nicht vorbei. Es müsse etwas zur Eindämmung des Ueberstundenwesens geschehen. Er legte sodann als Diskussionsgrundlage den in der Anlage beigefügten, mit A bezeichneten Entwurf vor. Der Reichswirtschaftsminister ist der Auffassung, dass es möglich wäre, auf dem Verwaltungswege durch folgende Massnahmen Abhilfe zu schaffen: 1. Anweisung an die Gewerbeaufsichtsbeamten, keine Ueberstunden zuzulassen. 2. Erhebungen durch die Gewerbeaufsichtsbeamten über die wahre Lage der Arbeitsverhältnisse. 3. Eine Verordnung auf Grund des § 7 der Arbeitszeitverordnung vom 1923 zu erlassen. Die Frage, ob es für die Gesamtwirtschaft notwendig sei, ein Notgesetz zu erlassen, könne nur auf einer gemeinsamen Besprechung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern nach Feststellung der tatsächlichen Verhältnisse in den Hauptwirtschaftszweigen beantwortet werden. An die Ausführungen des Ministers schloss sich eine eingehende Besprechung, an der sich die Parteiführer der vertretenden Regierungsparteien beteiligten, an. Eine Einigung über die Frage, ob eine Regelung auf Grund des vom Reichsarbeitminister vorgelegten Entwurf stattfinden sollte, konnte nicht erzielt werden. Der Parteivorsitzende der Volkspartei erklärte, dass er einer Aufhebung des § 11 Abs. 3 der Verordnung vom Dezember 1923 nicht zustimmen könne. Es wurde daraufhin beschlossen, eine Kommission auszuwählen, die eine neue Formulierung für den Absatz 3 des § 11 genannter Verordnung suchen soll, die es ermöglicht, die freiwillige Mehrarbeit so weit einzuschränken, wie es die gegenwärtige Wirtschaftslage erheischt. Zu Mitgliedern der Kommission wurden gewählt: die Abgeordneten Moldenhauer, Pfeffer, Becker, Brüning, Schneider, Fischer und Schwarzer. Die erste Sitzung der Kommission wird stattfinden am Mittwoch, den 1. Dezember, vormittags 9 Uhr.. Für die Niederschrift: Stockhausen

Anlage 1

213

Vorschlag A 1. Dem § 6 ist ein neuer Absatz 3 beizufügen: War die Arbeitszeit tariflich geregelt, und ist der Tarifvertrag nicht seit mehr als drei Monaten abgelaufen, so dürfen die in Abs. 1 bezeichneten Behörden nur Arbeitszeiten zulassen, die auch nach dem Tarifvertrag zulässig gewesen wären. 2. § 6 erhält folgenden Abs. 4: Die auf Grund einer Zulassung nach Abs. 1 von Arbeitern geleistete Ueberarbeit ist über den Lohn für die regelmäßige Arbeitszeit hinaus mit einem angemessenen Zuschlag zu bezahlen. Als angemessen gilt ein Zuschlag von 25 v. H., falls nicht durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung etwas anderes vereinbart wird. 3. Der bisherige Abs. 3 des § 6 wird Abs. 5. 4. Im § 9 Abs. 1 treten an Stelle der Worte „des Gesamtwohls" die Worte „und sonst nur in Ausnahmefällen von besonderer Dringlichkeit mit befristeter Genehmigung der im § 6 Absatz 1 bezeichneten Behörde". 5. Der § 11 Abs. 3 wird gestrichen.

Anlage 16 Niederschrift über eine Parteiführerbesprechung am 1. Dezember 1926 im Reichstag* Gegenstand: Arbeitsschutzgesetz* * Anwesend: Von der Reichsregierung: Reichskanzler Dr. Marx Reichswirtschaftsminister Dr. Curtius Reichsarbeitsminister Dr. Brauns Staatssekretär Dr. Pünder Oberregierungsrat Dr. von Stockhausen als Protokollführer. Abgeordnete: Lammers, Stegerwald, v. Guérard, Brüning, Dr. Pfeffer, Scholz, Moldenhauer, Erkelenz, Fischer, Ziegler, Leicht. Der Vorsitzende der Fraktion der Deutschen Volkspartei, Herr Abg. Scholz, teilt mit, dass seine Fraktion mit geringer Mehrheit dem von dem Unterausschuß formulierten Vorschlage der Reichsregierung (s. Anlage B) zugestimmt habe. Sie verlange jedoch, dass die Worte „und geringfügiger" im § 11 Abs. 3 der Formulierung gestri* Quelle: BA/R 43 I/2019/B1. 415 - 417. * * Gemeint war Arbeitszeitgesetz.

214

Anhang

chen würden. Abg. Stegerwald berichtete, dass auch seine Fraktion der vom Unterausschuß gefundenen Neufassung zustimme, dass sie aber bitte, im § 11 Abs. 3 die Worte „einzelne Arbeitnehmer" hinzuzusetzen. Dafür stimme sie zu, dass gemäss Antrag des Abg. Scholz die Worte „und geringfügiger" gestrichen würden. Nach längerer Aussprache über die Formulierung des § 11 Abs. 3 wird beschlossen, die Worte „und geringfügiger" wie beantragt zu streichen, und statt der Worte „einzelne Arbeitnehmer", die Worte „eine geringe Zahl von Arbeitnehmern" hinzuzufügen. (Endgültige Fassung siehe Anlage C.) Der Herr Reichskanzler stellte nunmehr fest, dass innerhalb der Regierungsparteien Einigkeit über den vom Reichsarbeitsminister zur Beratung gestellten Vorschlag bestehe. Er seinerseits werde nunmehr mit der sozialdemokratischen Partei in Verbindung treten und ihre Auffassung über den genannten Vorschlag feststellen. Für das Protokoll: Stockhausen

Anlage Β Die Verordnung über die Arbeitszeit vom 21. Dezember 1923 (Reichsgesetzblatt I S. 1249) wird wie folgt geändert: 1. § 6 erhält folgenden Absatz 3: War die Arbeitszeit tarifvertraglich geregelt und ist der Tarifvertrag nicht seit mehr als 3 Monaten abgelaufen, so dürfen die in Abs. 1 bezeichneten Behörden nur Arbeitszeiten zulassen, die nach dem Tarifvertrag zulässig gewesen wären. 2. § 6 erhält folgenden Abs. 4: Wird nach Absatz 1 Ueberarbeit aus allgemein wirtschaftlichen Gründen zugelassen, so hat die Zulassungsbehörde diese von der Zahlung einer angemessenen Sondervergütung abhängig zu machen. Kommt über ihre Höhe unter den Beteiligten keine Einigung zustande, so bestimmt darüber die zulassende Behörde. 3. Der bisherige Abs. 3 des § 6 wird Absatz 5. 4. Im § 9 Absatz 1 ist hinter den Worten „aus dringenden Gründen des Gemeinwohls" einzuschieben: „mit befristeter Genehmigung der im § 6 Absatz 1 bezeichneten Behörde." 5. Der § 11 Absatz 3 erhält folgende neue Fassung: „Bei nur gelegentlicher und geringfügiger Mehrarbeit von Arbeitnehmern über 16 Jahren ist der Arbeitgeber nicht strafbar, wenn der Arbeitnehmer die Mehrarbeit freiwillig übernommen hat und wenn er nach Lage der gesamten Verhältnisse nicht zu befürchten brauchte, dass ihm aus der Nichtleistung der Mehrarbeit eine Benachteiligung seitens des Arbeitgebers erwachsen würde. "

Anlage C Die Verordnung über die Arbeitszeit vom 21. Dezember 1923 (Reichsgesetzblatt I S. 1249) wird wie folgt geändert:

Anlage 1

215

1. § 6 erhält folgenden Absatz 3: War die Arbeitszeit tarifvertraglich geregelt und ist der Tarifvertrag nicht seit mehr als 3 Monaten abgelaufen, so dürfen die in Abs. 1 bezeichneten Behörden nur Arbeitszeiten zulassen, die nach dem Tarifvertrag zulässig gewesen wären. 2. § 6 erhält folgenden Absatz 4: Wird nach Absatz 1 Ueberarbeit aus allgemein wirtschaftlichen Gründen zugelassen, so hat die zulassende Behörde diese von der Zahlung einer angemessenen Sondervergütung abhängig zu machen. Kommt über ihre Höhe unter den Beteiligten keine Einigung zustande, so bestimmt darüber die zulassende Behörde. 3. Der bisherige Abs. 3 des § 6 wird Absatz 5. 4. Im § 9 Absatz 1 ist hinter den Worten „aus dringenden Gründen des Gemeinwohls" einzuschieben: „mit befristeter Genehmigung der im § 6 Absatz 1 bezeichneten Behörde". 5. Der § 11 Absatz 3 erhält folgende neue Fassung: „Bei nur gelegentlicher Mehrarbeit einer geringen Zahl von Arbeitnehmern über 16 Jahren ist der Arbeitgeber nicht strafbar, wenn der Arbeitnehmer die Mehrarbeit freiwillig übernommen hat und wenn er nach Lage der gesamten Verhältnisse nicht zu befürchten brauchte, dass ihm aus der Nichtleistung der Mehrarbeit eine Benachteiligung seitens des Arbeitgebers erwachsen würde."

Anlage 17 Entwurf des Reichsarbeitsministeriums zu einem Gesetz zur Abänderung der Arbeitszeitverordnung vom 23. März 1927* Entwurf eines Gesetzes zur Abänderung der Arbeitszeitverordnung Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des Reichsrats hiermit verkündet wird: Die Verordnung über die Arbeitszeit vom 21. Dezember 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 1249) wird, vorbehaltlich der endgültigen Regelung, wie folgt geändert: 1. Der § 6 erhält folgenden Abs. 3: „War die Arbeitszeit tarif vertraglich geregelt und ist der Tarifvertrag seit nicht mehr als drei Monaten abgelaufen, so dürfen die im Abs. 1 bezeichneten Behörden nicht längere Arbeitszeiten zulassen, als nach dem Tarifvertrag zulässig gewesen wäre." 2. Der bisherige Abs. 3 des § 6 wird Abs. 4. 3. Hinter den § 6 wird folgender § 6 a eingeschaltet: Wird auf Grund der §§ 3, 5, 6, 9 oder 10 Abs. 2 Mehrarbeit geleistet, so haben die Arbeitnehmer mit Ausnahme der Lehrlinge für die über die Grenzen des § 1 Satz 2 und 3 hinausgehende Arbeitszeit Anspruch auf eine angemessene Vergütung über * Quelle: BA/R 43 I / / B 1 .

22.

216

Anhang

den Lohn für die regelmäßige Arbeitszeit hinaus. Dies gilt nicht, soweit die Mehrarbeit auch nach den §§2,4 oder 10 Abs. 1 zulässig wäre oder lediglich infolge von Naturereignissen, Unglücksfällen oder anderen unvermeidlichen Störungen erforderlich ist. Als angemessene Vergütung gilt, sofern die Beteiligten nicht nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eine andere Regelung vereinbaren oder besondere Umstände eine solche rechtfertigen, ein Zuschlag von fündundzwanzig vom Hundert. Im Streitfall entscheidet bindend der Schlichter. War die Mehrarbeit schon am 1. April 1927 tariflich vereinbart oder behördlich zugelassen, so gelten die Vorschriften der Absätze 1 und 2 erst vom Ablauf des Tarifvertrages oder der Genehmigung, spätestens jedoch vom 1. Juli 1927 an. Wird in Gewerben, die ihrer Art nach in gewissen Zeiten des Jahres regelmäßig zu erheblich verstärkter Tätigkeit genötigt sind, in diesen Zeiten über die Grenzen des § 1 Satz 2 und 3 hinaus gearbeitet, so kann der Reichsarbeitsminister nach Anhörung der wirtschaftlichen Vereinigungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestimmen, daß die Vorschriften der Absätze 1 und 2 keine Anwendung finden, soweit die Mehrarbeit durch Verkürzung der Arbeitszeit in den übrigen Zeiten des Jahres ausgeglichen wird. 4. Der § 9 Abs. 1 erhält folgenden Wortlaut: „Die Arbeitszeit darf bei Anwendung der in den §§3 bis 7 bezeichneten Ausnahmen zehn Stunden täglich nicht überschreiten; eine Überschreitung dieser Grenze ist nur in Ausnahmefällen aus dringenden Gründen des Gemeinwohls mit befristeter Genehmigung der im § 6 Abs. 1 bezeichneten Behörde oder dann zulässig, wenn es sich um Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten handelt, bei denen eine Vertretung des Arbeitnehmers durch andere Arbeitnehmer des Betriebs nicht möglich ist und die Heranziehung betriebsfremder Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden kann. Was als Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten anzusehen ist, bestimmt der Reichsarbeitsminister nach Anhörung der wirtschaftlichen Vereinigungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer." 5. Der § 10 erhält folgenden Wortlaut: „Die nach dieser Verordnung sich ergebenden Beschränkungen der Arbeitszeit finden keine Anwendung auf Arbeiten in Notfällen und in außergewöhnlichen Fällen, die unabhängig vom Willen des Betroffenen eintreten und nicht auf andere Weise zu beseitigen sind, besonders wenn Rohstoffe und Lebensmittel zu verderben oder Arbeitserzeugnisse zu mißlingen drohen. Das gleiche gilt, wenn eine geringe Zahl von Arbeitnehmern an einzelnen Tagen mit Arbeiten beschäftigt wird, deren Nichterledigung das Ergebnis der Arbeit gefährden oder einen unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Schaden zur Folge haben würde, und wenn dem Arbeitgeber andere Vorkehrungen nicht zugemutet werden können. " 6. Der § 11 Abs. 3 und der § 12 fallen weg. Berlin, den

März 1927

Der Reichspräsident Der Reichsarbeitsminister

Anlage 18

217

Anlage 18 Eingabe des ADGB, AfA und H. D.-Gewerkvereins an die Reichsregierung vom 4. März 1927* Betr.: Abänderung der Verordnung über die Arbeitszeit vom 21. Dezember 1923 Der dem Reichstag vorgelegte Regierungsentwurf zur Abänderung der geltenden Arbeitszeitverordnung lässt die von den Gewerkschaften aller Richtungen erhobene Forderung nach Wiederherstellung des Achtstundentages völlig unberücksichtigt. Er ändert nichts an der unerträglichen Rechtslage, dass die regelmässige tägliche Arbeitszeit bis zu 10 Stunden und darüber hinaus ausgedehnt werden kann. Von ihm ist daher in keiner Weise der Erfolg zu erwarten, den die Gewerkschaften mit ihrer Forderung insbesondere erreichen wollten: die Verminderung des Arbeitslosenheeres. Der Regierungsentwurf bringt weder Arbeitenden noch Arbeitslosen nennenswerte Vorteile, er bringt sogar teilweise erhebliche Verschlechterungen. Die Gewerkschaften erklären daher einmütig, dass diese von der Regierung geplante Arbeitszeitregelung nicht im mindesten den berechtigten Wünschen der Arbeiter und Angestellten entspricht und dass sie nichts von dem erfüllt, was alle Gewerkschaften einschl. der christlichen gefordert haben. Sie geben ihrer Erwartung Ausdruck, dass hinter den Forderungen der Gewerkschaften auch heute noch der einmütige Wille der gesamten Arbeiter und Angestellten steht, wenn auch aus politischen Gründen der christliche Deutsche Gewerkschaftsbund glaubt, diese Erklärung nicht unterzeichnen zu können. Der Vorstand des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes Leipart Gewerkschaftsring deutscher Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenverbände F. Neustedt Der Vorstand des Allgemeinen freien Angestelltenbundes S. Aufhäuser

* Quelle: BA/R 43 I / 2 0 / B 1 .

2 .

Quellen- und Literaturverzeichnis I. Unveröffentlichte Quellen 1. Zentrales Staatsarchiv Potsdam (ZStA) RAM

Akten des Reichsarbeitsministeriums

290-292

Arbeitszeit im Bergbau Juli 1923-Mai 1924

682

Änderung des passiven Widerstandes Juli 1923 - Nov. 1923

923

Regelung der Arbeitszeit Juli 1921 - März 1927

972 - 973

Allgemeine Demobilmachungsbestimmungen März 1921 - Jan. 1925

1699

Gesetzgebungsarbeiten der Abt. IV Jan. 1920 - Dez. 1926

1712-1713

Gesetzgebungsarbeiten anderer Abt. Juli 1921 - Juni 1922

1845

Arbeitszeit Aug. 1924 - Aug. 1927

1863

Entwurf eines Arbeitsschutzgesetzes Sept. 1924 - Juli 1927

2128

Arbeitszeit Okt. 1919-März 1924

2939

Allgemeines Aug. 1923 - Okt. 1923

RT

Reichstagsakten

137

Arbeitszeit Nov. 1918 - April 1924

1623

Verhandlungen des Ausschusses gemäß § 1 des Ermächtigungsgesetzes Dez. 1923-Feb. 1924

Präs.

Akten der Präsidialkanzlei

176

Arbeitszeit 1919 - 1 9 3 1

RWR

Akten des vorläufigen

499

Sozialpolitischer Ausschuß, Generalia Sept. 1921 - F e b . 1922

501 - 503

Sozialpolitischer Ausschuß, Specialia Mai 1922 - April 1925

522 - 523

Sozialpolitischer Ausschuß, Sitzungsberichte Sept. 1922 - Feb. 1923

Reichswirtschaftsrates

2. Bundesarchiv Koblenz (BA) R43 I

Akten der Reichskanzlei

1132

Handel und Wirtschaft, Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsaufbau, April 1921-Okt. 1922

1388

Reichsministerium, Kabinettsprotokolle Okt. 1923

I. Unveröffentlichte Quellen 1390

Reichsministerium, Kabinettsprotokolle Dez. 1923

1416-1419

Reichsministerium, Kabinettsprotokolle Nov. 1926 - April 1927

219

2019 - 2021

Gewerbewesen, Arbeiterschutz Mai 1919 - Dez. 1930

2039

Gewerbewesen, Arbeitslosenfürsorge und Arbeitsbeschaffung Dez. 1930-Mai 1931

2043

Gewerbewesen, Arbeitslosenfürsorge und Arbeitsbeschaffung Mai Okt. 1932

2058 - 2060

Gewerbewesen, Arbeitszeit und Urlaub März 1919 - Dez. 1930

2170

Berg-und Hüttenwesen Jan. 1919-Juni 1930

R 13 I

Verein Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller

97

Unterlagen, Protokolle über die Hauptvorstandssitzungen Juli - Dez. 1921

101

Unterlagen, Protokolle über die Hauptvorstandssitzungen 1913,1924 -1925,1926

202

Wirtschaftspolitische Unterrichtung der Mitglieder Aug. 1923 - März 1924

R13 XX

Wirtschaftsgruppe Bergbau des Reichsverbandes der Deutschen Industrie

97

Arbeitszeit der Angestellten 1921 - 1923

kleine Erwerbungen (kl. Erwerbungen) 461-1

Handakten Bernhard Otte, Rundschreiben und Mitteilungen an einzelne Gewerkschaftsfunktionäre und angeschlossene Verbände 1922 1927

Nachlaß ten Hompel (NL ten Hompel) 15

Zentrumsfraktion des Deutschen Reichstages, Fraktionssitzungen 1920-1924

Nachlaß Stresemann (NL Stresemann) Film 7162 H

Politische Akten Sept. - Okt. 1923

Film 7394 H

DVP, Fraktionssitzungen Aug. - Nov. 1923 3. Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA)

MA

Akten des Außenministeriums

103982

Arbeitszeit, Allgemeines 1919 -1928

220

Quellen- und Literaturverzeichnis 4. Hamburger Staatsarchiv (HmbStA)

Senat

Akten des Senats

C1I, LitT Nr. 8 Arbeitszeitregelung 1919 - 1923 Vol. 295 b Fasc.l

II. Veröffentlichte Quellen, Verbandspublikationen und Handbücher Akten der Reichskanzlei, Weimarer Republik, hrsg. für die Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften von Karl Dietrich Erdmann, für das Bundesarchiv von Hans Booms (bzw. Wolfgang Mommsen): - Das Kabinett Scheidemann, 13. Feb. bis 20. Juni 1919, bearb. von Hagen Schulze, Boppard 1971 - Das Kabinett Bauer, 21. Juni 1919 bis 27. März 1920, bearb. von Andreas Golecki, Boppard 1980 - Das Kabinett Fehrenbach, 25. Juni 1920 bis 4. Mai 1921, bearb. von Peter Wulf, Boppard 1972 - Die Kabinette Wirth I und II, 10. Mai bis 26. Okt. 1921, 26. Okt. 1921 bis 22. Nov. 1922, bearb. von Ingrid Schulze-Bidlingmaier, 2 Bde., Boppard 1973 - Das Kabinett Cuno, 22. Nov. 1922 bis 12. Aug. 1923, bearb. von Karl-Heinz Harbeck, Boppard 1968 - Die Kabinette Stresemann I und II, 13. Aug. bis 6. Okt. 1923, 6. Okt. bis 30. Nov. 1923, bearb. von Karl Dietrich Erdmann und Martin Vogt, 2. Bde., Boppard 1978 - Die Kabinette Marx I und II, 30. Nov. 1923 bis 3. Juni 1924, 3. Juni 1924 bis 15. Jan. 1925, bearb. von Günther Abramowski, 2 Bde., Boppard 1973 - Die Kabinette Luther I und II, 15. Jan. 1925 bis 20. Jan. 1926, 20. Jan. 1926 bis 17. Mai 1926, bearb. von Karl-Heinz Minuth, 2 Bde., Boppard 1977 - Das Kabinett Müller II, 28. Juni 1928 bis 27. März 1930, bearb. von Martin Vogt, 2 Bde., Boppard 1970 - Die Kabinette Brüning I und II, 30. März 1930 bis 10. Okt. 1931, 10. Okt. 1931 bis 1. Juni 1932, bearb. von Tilmann Koops, 2 Bde., Boppard 1982 25 Jahre Arbeitnordwest 1904 - 1929, hrsg. aus Anlaß seines 25jährigen Bestehens vom Arbeitgeberverband für den Bezirk der nordwestlichen Gruppe des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller, Berlin 1929 Ausschuß zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft, Verhandlungen und Bericht des 4. Unterausschusses für Arbeitsleistung, Bd. 1 - 9 , Berlin 1927 - 1930 Bericht des Arbeitsausschusses zur Beratung des Entwurfs eines Verzeichnisses zu § 7 der Arbeitszeitverordnung an den sozialpolitischen Ausschuß des vorläufigen Reichswirtschaftsrates, Berlin 1925 Drucksachen des Reichsrates 1922

II. Veröffentlichte Quellen, Verbandspublikationen und Handbücher

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Drucksachen des vorläufigen Reichswirtschaftsrates Nr. 275 - 383, 1920 - 1933, Berlin Geschäftsbericht des christlichen Metallarbeiterverbandes Deutschlands, Duisburg - vom 1. Jan. 1922 bis 31. Dez. 1924 - vom 1. Jan. 1925 bis 31. Dez. 1927 Geschäftsbericht der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände - 1920, Berlin 1921 - 1921, Berlin 1922 - 1922, Berlin 1923 - 1923/24, Berlin 1925 - 1925/26, Berlin 1927 Gesetzessammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1839, 1853, 1904/1905 Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsens 1861 Großherzoglich badisches Regierungsblatt 1840, 1862 Hauschild, Harry: Der vorläufige Reichwirtschaftsrat 1920 - 1926, Denkschrift, Berlin 1926 Huber, Ernst: Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 3: Dokumente der Novemberrevolution und der Weimarer Republik 1918-1933, 2. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1966 Jahrbuch des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes - 1923, Berlin 1924 - 1924, Berlin 1925 - 1925, Berlin 1926 - 1926, Berlin 1927 Jahrbuch der christlichen Gewerkschaften für 1925, Berlin-Wilmersdorf Niederschriften über die Vollsitzungen des Reichsrates, 1921, 1923 - 1924, 1927 1929, 1931 Protokoll der Verhandlungen des zehnten Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands, abgehalten zu Nürnberg vom 30. Juni bis 5. Juli 1919, Berlin 1919 Protokoll der Verhandlungen des elften Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands, abgehalten zu Leipzig vom 19. bis 24. Juni 1922, Berlin 1922 Protokoll über die Verhandlungen der elften Generalversammlung des christlichen Metallarbeiterverbandes Deutschlands, abgehalten zu Osnabrück vom 16. bis 20. Aug. 1925 Protokoll der Reichstagsfraktion der Deutschen Zentrumspartei 1920 - 1925, bearb. von Rudolph Morsey und Karsten Ruppert, Mainz 1981 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe A: Quellen, Bd. 33) Die Regierung der Volksbeauftragten 1918/19, bearb. von Susanne Miller unter M i t arbeit von Heinrich Potthoff, 1. Teil, Düsseldorf 1969 (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, 1. Reihe, Bd. 6) Regierungsblatt für das Königreich Bayern 1840, 1854 Regierungsblatt für das Königreich Württemberg 1862 Reichert, Jakob: Entstehung, Bedeutung und Ziel der Arbeitsgemeinschaft, Vortrag, gehalten vor der Handelskammer des rheinisch-westfälischen Industriebezirks zu Essen-Ruhr am 30. Dez. 1918, Berlin 1919

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Reichsarbeitsblatt, Amtsblatt des Reichsarbeitsministeriums und der Reichsarbeitsverwaltung, amtlicher und nichtamtlicher Teil, Berlin 1918 - 1922, 1924 Reichsgesetzblatt 1878, 1891, 1903, 1908, 1914, 1918- 1927, 1929, 1931, 1934, 1938 Reichskanzler-Amt, Ergebnisse der über die Frauen- und Kinderarbeit in den Fabriken auf Beschluß des Bundesraths angestellten Erhebungen, Berlin 1877 Schriften der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Heft 8, Die Arbeitszeitfrage in Deutschland, Eine Denkschrift, 2. Aufl., Berlin 1924 Schulthess: Europäischer Geschichtskalender, Neue Folge, 43. Jahrgang (1927), München 1928 10. Sonderheft zum Reichsarbeitsblatt, Die Tarifverträge im Deutschen Reich am Ende des Jahres 1913, Berlin 1914 28. Sonderheft zum Reichsarbeitsblatt, Vorarbeiten zum Arbeitsgesetzbuch zwangsloser Folge, Berlin 1923

in

37. Sonderheft zum Reichsarbeitsblatt, Entwurf eines Arbeitsschutzgesetzes mit amtlicher Begründung, Berlin 1927 44. Sonderheft zum Reichsarbeitsblatt, Entwurf eines Arbeitsschutzgesetzes in der vom Reichsrat abgeänderten Fassung mit der amtlichen Begründung, Berlin 1928 Schwarz, Salomon: Handbuch der Deutschen Gewerkschaftskongresse, Berlin 1930 Sonderveröffentlichung des Reichsarbeitsblattes, Gutachten zur Arbeitslosenfrage, erstattet von der Gutachterkommission zur Arbeitslosenfrage, Berlin 1931 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des vorläufigen Reichswirtschaftsrates 1922 - 1923, Berlin Stinnes, Hugo: Mark-Stabilisierung und Arbeitsleistung, Rede, gehalten am 9. Nov. 1922 im Reichswirtschaftsrat, Berlin 1923 Stresemann, Gustav: Vermächtnis, Der Nachlaß in drei Bänden, Bd. 1: Vom Ruhrkrieg bis London, Berlin 1932 Ursachen und Folgen, Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart, hrsg. von Herbert Michaelis und Ernst Schraepler, Bd. V: Die Weimarer Republik, Das kritische Jahr 1923, Berlin 1960 Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Stenographische Berichte, 1919, Bd. 330 Verhandlungen des Bundestages, 10. Wahlperiode, 1983 - 1987, Bd. 313 Verhandlungen des Reichstages, Stenographische Berichte und Anlagen - 1. Legislaturperiode - IV. Session, 1873, Bd. 1 - 9. Legislaturperiode - IV. Session, 1895/97, Bd, 6 - 12. Legislaturperiode - 1 . Session, 1907/09, Bd. 229 - 1. Wahlperiode 1920 - 1924, Bd. 357, 361, 364 - 365, 380 - 2. Wahlperiode 1924, Bd. 382 - 383 - 3. Wahlperiode 1924 - 1928, Bd. 384, 391, 393, 397, 410 - 411, 413 - 414 - 4. Wahlperiode 1928 - 1930, Bd. 424, 434 - 5. Wahlperiode 1930 - 1932, Bd. 448, 450 Der vorläufige Reichswirtschaftsrat 1927 - 1932, hrsg. vom Büro des vorläufigen Reichswirtschaftsrates, Berlin 1933

III. Sekundärliteratur

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III. Sekundärliteratur Abbe, Ernst: Gesammelte Abhandlungen, Bd. 3, Vorträge, Reden und Schriften sozialpolitischen und verwandten Inhalts, Jena 1906 Anton, Günther K. : Geschichte der preußischen Fabrikgesetzgebung bis zu ihrer Aufnahme durch die Reichsgewerbeordnung, hrsg. von Horst Bülter, Berlin 1953 Bauer, Stefan: Arbeiterschutzgesetzgebung, in: Handwörterbuch für Staats Wissenschaften Bd. 1, 4. Aufl., Jena 1923, S. 401 - 701 Bieber, Hans Joachim: Gewerkschaften in Krieg und Revolution, Arbeiterbewegung, Industrie, Staat und Militär 1914 - 1920, 2 Bde., Hamburg 1981 Bismarck, Otto Fürst von: Gedanken und Erinnerungen, Bd. 3, Berlin 1922 Böhme, Helmut: Prolegomena zu einer Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1968 Brauns, Heinrich: Wirtschaftskrisis und Sozialpolitik, Mönchengladbach 1924 Brentano, Lujo: Über das Verhältnis von Arbeitslohn und Arbeitszeit zur Arbeitsleistung, Leipzig 1876 Deneke, J. / Neumann, Dirk: Arbeitszeitordnung, Kommentar, 9. Aufl., München 1972 Dimanstein, Jakob: Die Arbeitszeit der gewerblichen Arbeiter in Deutschland und ihre gesetzliche Regelung, Phil. Diss., Göttingen 1914 Erdmann, Gerhard: Die deutschen Arbeitgeberverbände im sozialgeschichtlichen Wandel der Zeit, Neuwied, Berlin 1966 — Die Verordnung über die Arbeitszeit vom 21. Dezember 1923 nebst dem Gesetz zur Abänderung der Arbeitszeitverordnung vom 14. April 1927, 3. Aufl., Berlin 1927 Erdmann, Lothar: Die Gewerkschaften im Ruhrkampf, Verlagsgesellschaft des ADGB, Berlin 1924 Farthmann, Friedhelm: Arbeitszeit und Arbeitsverhältnis, in: Arbeitsrecht - Blattei, Arbeitszeit I C, Wiesbaden 1973 — Grundlagen, Geltungsbereich und Grundbegriffe, in: Arbeitsrecht Arbeitszeit I B, Stuttgart-Degerloch 1963

Blattei,

Faul, Erich: Die staatliche Beeinflussung der täglichen Arbeitsdauer in Deutschland bis zum allgemeinen Achtstundentag, Jur. Diss., Tübingen 1937 Feldman, Gerald D.: Arbeitszeitkonflikte im Ruhrbergbau 1919 - 1922, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 1980, S. 168 - 233 — The origins of the Stinnes-Légien-Agreement: A documentation w i t h the assistance of Irmgard Steinisch, in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Heft 19/20 (Dez. 1973), S. 45 - 103 — / Steinisch, Irmgard: Die Weimarer Republik zwischen Sozial- und Wirtschaftsstaat, Die Entscheidung gegen den Achtstundentag, in: Archiv für Sozialgeschichte 18 (1978), S. 353 - 439 François-Poncet, André / Mireaux, Emile: La France et les Huit Heures, Paris 1922 Hartwich, Hans Hermann: Arbeitsmarkt, Verbände und Staat 1918 - 1933, Die öffentliche Bindung unternehmerischer Funktionen in der Weimarer Republik,

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Berlin 1967 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin zum Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, Bd. 23) Hattenhauer, Hans: Zwischen Hierarchie und Demokratie, Eine Einführung in die geistesgeschichtlichen Grundlagen des geltenden deutschen Rechts, Karlsruhe 1971 Henning, Friedrich-Wilhelm: Die Industrialisierung in Deutschland 1800 - 1914, Paderborn 1973 Herkner, Heinrich: Die Arbeiterfrage, Eine Einführung, Bd. 1: Arbeiterfrage und Sozialreform, 7. Aufl., Berlin, Leipzig 1921 Her schei Wilhelm: Vom Arbeiterschutz zum Arbeitsrecht, in: Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages 1860 - 1960, Bd. 1, S. 305 - 315, Karlsruhe 1960 Hertz, Paul / Seidel, Richard: Arbeitszeit, Arbeitslohn und Arbeitsleistung, Berlin 1923 Hueck, Alfred / Nipperdey, Hans Carl: Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 1, 7. Aufl., Berlin, Frankfurt am Main 1963 Jäkel, Gerhard: Die gesetzliche Regelung der Arbeitszeit, Berlin 1926 Kaskel, Walter / Dersch, Hermann: Arbeitsrecht, 5. Aufl., Berlin, Göttingen, Heidelberg 1957 Kastning, Alfred: Die deutsche Sozialdemokratie zwischen Koalition und Opposition 1919 - 1923, Paderborn 1970 Klehmet, Gerhard: Arbeitszeitrecht, Berlin 1924 Kolb, Eberhard: Die Weimarer Republik, München 1984 Kranig, Andreas: Lockung und Zwang, Zur Arbeitsverfassung im Dritten Reich (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Nr. 47), Stuttgart 1983 Leipart, Theodor: Carl Légien, Ein Gedenkbuch, Berlin 1929 — Die 40 Stundenwoche, Untersuchung über Arbeitsmarkt, Arbeitsertrag und Arbeitszeit, hrsg. im Auftrag des ADGB, Berlin 1931 — / Nörpel, Clemens: Die gesetzliche Regelung der Arbeitszeit nach dem Stand vom 16. Juli 1927, 4. Aufl., Berlin 1928 Leuchten, Alexius: Der Kampf um den Achtstundentag - Auseinandersetzungen um die gesetzliche Regelung der Arbeitszeit in der Weimarer Republik, Ein Beitrag zur Geschichte des Arbeits- und Sozialrechts 1918 - 1933, Jur. Diss., Augsburg 1978 Lucas, Erhard: Ursachen und Verlauf der Bergarbeiterbewegung in Hamborn und im westlichen Ruhrgebiet 1918/19, Zum Syndikalismus in der Novemberrevolution, in: Duisburger Forschungen, hrsg. vom Stadtarchiv Duisburg, Heft 15 (1971), S. 1 -119 — / Tedesco, Claus: Zur Bergarbeiterbewegung in Hamborn 1918/19, in: Duisburger Forschungen, hrsg. vom Stadtarchiv Duisburg, Heft 22 (1975), S. 141 - 168 Meinert, Ruth: Die Entwicklung der Arbeitszeit in der deutschen Industrie 1820 1956, Wirt. Diss., München 1958 Meisel, Peter / Hiersemann, Walter: Arbeitszeitordnung, Kommentar, 2. Aufl., München 1977

III. Sekundärliteratur

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Quellen- und Literaturverzeichnis

bedingungen in Deutschland, hrsg. von Wolfgang Zapf und Erich Wiegand, Frankfurt, New York 1982, S. 17 - 64 Stürmer, Michael: Koalition und Opposition in der Weimarer Republik 1924 bis 1928, Düsseldorf 1967 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 36) Syrup, Friedrich: Die gesetzlichen Bestimmungen über die Regelung der Arbeitszeit nach dem Gesetz vom 14. April 1927 (Arbeitszeitnotgesetz), Berlin 1927 — Hundert Jahre Staatliche Sozialpolitik 1839 - 1939, bearb. von Otto Neuloh, Stuttgart 1957 — Verordnung über die Arbeitszeit vom 21. Dezember 1923, Berlin 1924 Tänzler, Fritz: Die deutschen Arbeitgeberverbände 1904 - 1929, Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Berlin 1929 Thun, Alphons: Die Industrie am Niederrhein und ihre Arbeiter, Erster Theil: Die linksrheinische Textilindustrie, Leipzig 1879, in: Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen, Bd. 2 Umbreit, Paul: Sozialpolitische Arbeiterforderungen der deutschen Gewerkschaften, Ein sozialpolitisches Arbeitsprogramm, im Auftrage der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands, Berlin 1918 Weisbrod, Bernd: Schwerindustrie in der Weimarer Republik, Interessenpolitik zwischen Stabilisierung und Krise, Wuppertal 1978 Wolff, Wilhelm: Der Achtstundentag, Seine Geschichte und die Erfahrungen mit seiner gesetzlichen Einführung in Deutschland, Berlin 1926 Zöllner, Wolfgang: Arbeitsrecht, Ein Studienbuch, 3. Aufl., München 1983

IV. Zeitschriften und Zeitungen Die Arbeit, Zeitschrift für Gewerkschaftspolitik und Wirtschaftskunde, hrsg. von Theodor Leipart Der Arbeitgeber, Zeitschrift der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Der Betriebs-Berater Berliner Tageblatt Correspondenzblatt des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, ab 29. Jg. (1920): Korrespondenzblatt des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, ab 34. Jg. (1924): Gewerkschaftszeitung Deutsche Allgemeine Zeitung, im Besitz von Hugo Stinnes Deutsche Arbeitgeber-Zeitung, Zentralblatt der deutschen Arbeitgeber Kölnische Zeitung, DVP und Schwerindustrie Juristische Wochenschrift Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Rote Fahne

IV. Zeitschriften und Zeitungen Sozialistische Monatshefte Vorwärts, Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Vossische Zeitung Zentralblatt der christlichen Gewerkschaften

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