BWL für Mediziner: Betriebswirtschaftslehre im Selbststudium 9783110208634, 9783110201123

Informatively tailored to medical requirements, doctors can acquire the relevant aspects of business management with the

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BWL für Mediziner: Betriebswirtschaftslehre im Selbststudium
 9783110208634, 9783110201123

Table of contents :
Abkürzungsverzeichnis
Modul I: Grundlagen
Lernabschnitt 1: Begriff und Gegenstand der BWL
Lernabschnitt 2: Historische Entwicklung
Lernabschnitt 3: Grundlegende Theorien, Methoden und Modelle
Lernabschnitt 4: Produktionstheorie
Lernabschnitt 5: Rechtsgrundlagen
Lernabschnitt 6: Rechtsformen
Lernabschnitt 7: Unternehmenszusammenschluss
Lernabschnitt 8: Standort
Modul II: Strategisches Management
Lernabschnitt 1: Unternehmensführung
Lernabschnitt 2: Strategische Planung
Lernabschnitt 3: Operative Planung
Lernabschnitt 4: Kontrolle
Modul III: Finanzwesen
Lernabschnitt 1: Finanzierung
Lernabschnitt 2: Finanz- und Liquiditätsplanung
Lernabschnitt 3: Investitionsrechnung
Lernabschnitt 4: Kreditwesen
Modul IV: Marketing
Lernabschnitt 1: Grundlagen des Marketing
Lernabschnitt 2: Marktforschung
Lernabschnitt 3: Marketingziele
Lernabschnitt 4: Marketingstrategien
Lernabschnitt 5: Marketinginstrumente
Lernabschnitt 6: E-Marketing
Lernabschnitt 7: Exkurs: Patientenbetreuung und Patientenbindung
Modul V: Personalwesen
Lernabschnitt 1: Personalwirtschaftliche Grundlagen, Modelle und Theorien
Lernabschnitt 2: Arbeitsrecht
Lernabschnitt 3: Betriebsverfassungs- und Tarifrecht
Lernabschnitt 4: Personalführung
Lernabschnitt 5: Personalplanung
Lernabschnitt 6: Personalgewinnung
Lernabschnitt 7: Personaleinsatz
Lernabschnitt 8: Personalentwicklung
Lernabschnitt 9: Personaladministration, -fluktuation und -freisetzung
Modul VI: Organisation
Lernabschnitt 1: Organisationsbegriff und Aufbauorganisation
Lernabschnitt 2: Projektorganisation
Lernabschnitt 3: Ablauf- und Prozessorganisation
Lernabschnitt 4: Organisationsentwicklung
Lernabschnitt 5: Organisationsinstrumente
Lernabschnitt 6: Organisationslogistik
Lernabschnitt 7: Spezifische Organisationsaufgaben im Gesundheitswesen
Modul VII: Logistik
Lernabschnitt 1: Logistikbegriff und Logistikorganisation
Lernabschnitt 2: Beschaffung
Lernabschnitt 3: Produktionswirtschaft
Lernabschnitt 4: Materialwirtschaft
Lernabschnitt 5: Qualitätsmanagement
Lernabschnitt 6: Logistikcontrolling und Logistikkonzepte
Modul VIII: Rechnungswesen
Lernabschnitt 1: Finanzbuchhaltung
Lernabschnitt 2: Kosten- und Leistungsrechnung
Lernabschnitt 3: Controlling
Lösungen der Kontrollfragen
Glossar
Stichwortverzeichnis

Citation preview

Andreas Frodi BWL für Mediziner

Andreas Frodi

BWL für Mediziner Betriebswirtschaftslehre für S t u d i u m und S e l b s t s t u d i u m

W DE G Walter de Gruyter • Berlin • New York

Das Buch enthält 39 Abbildungen und 60 Tabellen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. I S B N 978-3-11-020112-3 Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. © Copyright 2008 by Walter de Gruyter G m b H & Co. KG, 10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: Meta Systems Fotosatzsysteme GmbH, Wustermark Druck und Bindung: D R U C K H A U S „THOMAS M Ü N T Z E R " GmbH, Bad Langensalza Einbandgestaltung: deblik, Berlin Titelfoto: fotolia.com

Vorwort und Einführung in das Lernprogramm

Betriebswirtschaftliche Kenntnisse gewinnen im medizinischen Bereich im zunehmenden Maße an Bedeutung. Gesundheitsreformen, die damit einhergehenden Neustrukturierungen sowie der Kostendruck im öffentlichen Gesundheitswesen machen mehr denn je eine betriebswirtschaftliche Gesundheitsökonomie erforderlich. In der medizinischen Ausbildung kommen entsprechende Themen jedoch nur am Rande oder — je nach Studien- oder Ausbildungsgang — überhaupt nicht vor. Gleichzeitig ist im medizinischen Berufsalltag kaum Zeit, betriebswirtschaftliche Weiterbildungsveranstaltungen zu besuchen. BWLfiir Mediziner wendet sich daher an medizinische Fachkräfte in Klinik und Praxis, die sich zusätzlich zu ihrem medizinischen Studium oder ihrer Ausbildung betriebswirtschaftliche Fachkenntnisse aneignen wollen. Das vorliegende Buch will allen interessierten Angehörigen der Gesundheitsberufe eine individuell nutzbare Möglichkeit zum Erwerb von BWL-Wissen bieten. Es orientiert sich inhaltlich am Curriculum des BWL-Grundstudiums betriebswirtschaftlicher Fakultäten, ist als Lernprogramm konzipiert und modular aufgebaut. Es behandelt die einzelnen Fachgebiete der Betriebswirtschaftlehre (BWL) anhand der Module • • • • • • • •

Grundlagen Strategisches Management Finanzwesen Marketing Personalwesen Organisation Logistik Rechnungswesen

Alle Module sind eigenständig und können separat gelernt werden. Es wird jedoch empfohlen, zum besseren Grundverständnis mit dem Modul I Grundlagen zu beginnen. Jedes Modul ist in einzelne Lernabschnitte untergliedert. Dadurch wird ein individuell steuerbarer Lernfortschritt ermöglicht. Die Lernabschnitte bauen zum Teil aufeinander auf und sollten daher innerhalb eines Moduls in der vorgegebenen Reihenfolge gelernt werden. Jeder Lernabschnitt endet mit Kontrollfragenfragen, anhand derer überprüft werden kann, ob die Inhalte der einzelnen Lernabschnitte verstanden wurden. Am Ende des Buches befindet sich ein Abschnitt mit allen Lösungen. Zugunsten von Literaturangaben, die sich am Ende jedes Lernmoduls befinden, wurde auf die übliche Vielzahl von Fußnoten verzichtet. Ein ausführliches Glossar und ein umfangreiches Stichwortverzeichnis am Ende des Buches helfen beim raschen Auffinden gesuchter Informationen. Mit dem vorliegenden Werk soll ausdrücklich nicht der Versuch unternommen werden, alle betriebswirtschaftlichen Sachverhalte direkt auf Krankenhäuser oder

VI

Vorwort und Einführung in das Lernprogramm

Arztpraxen zu übertragen. Auch soll keine Bevormundung der Leserinnen durch eine Beschränkung auf die Themen stattfinden, die einen unmittelbaren Bezug zur Medizin beinhalten. Vielmehr geht es darum, einen komprimierten Überblick über die Bandbreite des BWL-Instrumentariums zu geben. In Einzelfällen werden exemplarisch mögliche Anwendungsbereiche aufgezeigt (Patientenbetreuung und Patientenbindung im Rahmen des Marketings, spezifische Organisationsaufgaben im Gesundheitswesen, Medizinisches Qualitätsmanagement etc.). Erding, im Februar 2008

Inhalt

Abkürzungsverzeichnis

IX

Modul I: Grundlagen Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt

1 : Begriff und Gegenstand der BWL 2: Historische Entwicklung 3: Grundlegende Theorien, Methoden und Modelle 4: Produktionstheorie 5: Rechtsgrundlagen 6: Rechtsformen 7: Unternehmenszusammenschluss 8: Standort

. .

1 3 6 9 13 20 29 32

Modul II: Strategisches Management Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt

1: 2: 3: 4:

Unternehmensführung Strategische Planung Operative Planung Kontrolle

37 41 46 49

Modul III: Finanzwesen Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt

1: 2: 3: 4:

Finanzierung Finanz- und Liquiditätsplanung Investitionsrechnung Kreditwesen

55 64 69 78

Modul IV: Marketing Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt

1: 2: 3: 4: 5: 6: 7:

Grundlagen des Marketing Marktforschung Marketingziele Marketingstrategien Marketinginstrumente E-Marketing Exkurs: Patientenbetreuung und Patientenbindung

. . .

85 89 93 96 100 111 116

Modul V: Personalwesen Lernabschnitt 1: Personalwirtschaftliche Grundlagen, Modelle und Theorien Lernabschnitt 2: Arbeitsrecht Lernabschnitt 3: Betriebsverfassungs- und Tarifrecht

121 124 130

Vili

Inhalt

Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt

4: 5: 6: 7: 8: 9:

Personalführung Personalplanung Personalgewinnung Personaleinsatz Personalentwicklung Personaladministration, -fluktuation und -Freisetzung

133 141 145 153 159 163

Modul VI: Organisation Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt

1 : Organisationsbegriff und Aufbauorganisation . . . . 2: Projektorganisation 3: Ablauf- und Prozessorganisation 4: Organisationsentwicklung 5: Organisationsinstrumente 6: Organisationslogistik 7: Spezifische Organisationsaufgaben im Gesundheitswesen

169 175 183 187 195 202 210

Modul VII: Logistik Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt Lernabschnitt

1: 2: 3: 4: 5: 6:

Logistikbegriff und Logistikorganisation Beschaffung Produktionswirtschaft Materialwirtschaft Qualitätsmanagement Logistikcontrolling und Logistikkonzepte

217 220 230 236 242 246

Modul VIII: Rechnungswesen Lernabschnitt 1: Finanzbuchhaltung Lernabschnitt 2: Kosten- und Leistungsrechnung Lernabschnitt 3: Controlling

251 256 261

Lösungen der Kontrollfragen

269

Glossar

307

Stichwortverzeichnis

339

Abkürzungsverzeichnis

ABL ABWL ADSp AfA AG AGB AKL AktG AO AR ArbStVo ArbZG ARGE

Automatisches Behälterlager Allgemeine Betriebswirtschaftslehre Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen Absetzung für Abnutzung Aktiengesellschaft Allgemeine Geschäftsbedingungen Automatisches Kleinteilelager Aktiengesetz Abgabenordnung Aufsichtsrat Arbeitsstättenverordnung Arbeitszeitgesetz Arbeitsgemeinschaft

BAB BBiG BDE BDSG BGA BGB BIS BMG BOÄ BSC BUrlG BWL

Betriebsabrechnungsbogen Berufsbildungsgesetz Betriebsdatenerfassung Bundesdatenschutzgesetz Bundesgesundheitsamt Bürgerliches Gesetzbuch Business Intelligence System Bundesgesundheitsministerium Musterberufsordnung für Arzte Balanced Scorecard Bundesurlaubsgesetz Betriebswirtschaftslehre

CAD CAM CAP CAQ CAS CIM CM CNC

Computer Aided Design Computer Aided Manufacturing Computer Aided Planing Computer Aided Quality Assurance Computer Aided Selling Computer Integrated Manufacturing Category Management Computerized Numerical Control

DGHM DIN DMS DNC

Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie Deutsche Industrienorm, Deutsches Institut für Normung Dokumentenmanagementsysteme Direct Numerical Control

ΕΑΝ EC

European Article Number Electronic Commerce

X

Abkürzungsverzeichnis

ECR EDI EDIFACT EFQM EIS EKN EN ENP EPC EPI ERP ESA ESt EStG EU EUL

Efficient Consumer Response Electronic Data Interchange United Nations Electronic Data Interchange For Administration, Commerce and Transport European Foundation for Quality Management Executive Information System Ereignisknotennetzplan Europäische Norm Entscheidungsnetzplan Electronic Product Catalog Efficient Product Introduction Enterprise Ressource Planing, Efficient Replenishment Efficient Store Assortement Einkommensteuer Einkommensteuergesetz Europäische Union Efficient Unit Loads

FiBu Fifo FLZG FIS

Finanzbuchhaltung First-in-first-out Feiertagslohnzahlungsgesetz Führungsinformationssystem

GbR GenG GewO GewSt GG GKV GmbH GmbHG GOÄ GuV GWB

Gesellschaft bürgerlichen Rechts Genossenschaftsgesetz Gewerbeordnung Gewerbesteuer Grundgesetz Gesetzliche Krankenversorgung Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH-Gesetz Gebührenordnung für Arzte Gewinn- und Verlustrechnung Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

HABM HGB HRM HY

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt Handelsgesetzbuch Human Resources Management Hauptversammlung

ICC i.e.S. IFRS IGEL INCOTERMS ISO

International Chamber of Commerce im engeren Sinne International Financial Reporting Standards Empfehlungskatalog individueller Gesundheitsleistungen International Commercial Terms International Organization for Standardization

JArbSchG JIT

Jugendarbeitsschutzgesetz Just-in-time

Abkürzungsverzeichnis

XI

KBV KfW KG KGaA KLR KMU KrW-/AbfG KSt KTQ KündFG KündSchG KY KYK KVP KZV

Kassenärztliche Bundesvereinigung Kreditanstalt für Wiederaufbau Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Kosten- und Leistungsrechnung Kleine und mittelgroße Unternehmen Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz Körperschaftsteuer Kooperation für Transparenz und Qualität im Krankenhaus Kündigungsfristengesetz Kündigungsschutzgesetz Kassenärztliche Vereinigung Krankenversicherungskarten Kontinuierlicher Verbesserungsprozess Kassenzahnärztliche Vereinigung

LStDV

Lohnsteuerdurchführungsverordnung

MAPI MarkenG MDE MIS MitbG MontanMitbestG MPBetreibV MPG MPY MPVerschrV MPVertrV MuSchG

Machinery Allied Products Institute Markengesetz Mobilen Datenerfassung (MDE) Managementinformationssystem Mitbestimmungsgesetz Montan-Mitbestimmungsgesetz Medizinproduktebetreiberverordnung Medizinproduktegesetz Medizinprodukteverordnung Medizinprodukteverschreibungsverordnung Medizinproduktevertriebsverordnung Mutterschutzgesetz

NC

Numerical Control

OHG OSSAD

Offene Handelsgesellschaft Office Support Systems Analysis and Design

PPS PublG

Produktionsplanung und -Steuerung Publizitätsgesetz

R&D REFA

Research and Development (ehem.) Reichsinstitut für Arbeitsforschung; heute: REFA — Verband für Arbeitsgestaltung, Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung e.V. Request for Feature Request for Information Radio Frequency Identification Request for Quotation Request for Proposal Return on Investment

RFF RFI RFID RFQ RFP Rol

XII

Abkürzungsverzeichnis

SchwbG SAP SBU SCM SCOR SEP SGE SGF SOP SOP

Schwerbehindertengesetz Stock-Appriciation-Rechte Strategie Business Unit Supply Chain Management Supply Chain Operations Reference Modell Strategische Erfolgspotenziale Strategische Geschäftseinheiten Strategische Geschäftsfelder Start of Production Stock-Option-Programme

TGA TQM TVG

Trägergemeinschaft für Akkreditierung GmbH Total Quality Management Tarifvertragsgesetz

UmwG US-GAAP USt UVV UWG

Umwandlungsgesetz United States Generally Accepted Accounting Principles Umsatzsteuer Unfallverhütungsvorschrift Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

VC v. Chr. VDI VgV VKN VOB VOF VOL VPN

Venture Capital vor Christus Verein Deutscher Ingenieure Vergabeverordnung Vorgangsknotennetzplan Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen Verdingungsordnung für Leistungen Vorgangspfeilnetzplan

VVaG WFS

Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Workflowsysteme

Modul I:

Grundlagen

In diesem Modul werden zunächst der BWL-Begriff, die historische Entwicklung, sowie Theorien, Methoden und Modelle erläutert, um einen ersten Einblick in die Denk- und Arbeitsweise der BWL zu geben. Eine der wesentlichsten theoretischen Grundlagen ist die Produktionstheorie, die im Anschluss aufgezeigt wird. Neben den Rechtsgrundlagen sind für den Mediziner sicherlich insbesondere die Rechtsformen interessant, die sich auch im Gesundheitswesen wiederfinden (ζ. B. Anstalt, Eigenbetrieb, AG, GmbH). Medizinische Kooperationsformen, bspw. zwischen Kliniken, haben nicht selten ihre Grundlage in Unternehmenszusammenschlüssen. Die am Ende dieses Moduls behandelte Standortfrage ist bspw. bei jeder ärztlichen Niederlassung, Praxisneugründung oder -Übernahme von grundlegender Bedeutung.

Lernabschnitt 1:

Begriff und Gegenstand der BWL

Im System der Wissenschaften, das in Formal- und Realwissenschaften unterteilt werden kann, zählt die Betriebswirtschaftslehre (BWL) zu den so genannten Realwissenschaften, da sie über Eigenschaften von Betrieben als reale Objekte oder über reale Sachverhalte informiert. Innerhalb der Realwissenschaften lässt sich die BWL den Sozialwissenschaften zuordnen, da sie auch das menschliche Verhalten im Betrieb analysiert. Dazu zählen die Interessen und Verhaltensweisen der betrieblichen Mitarbeiter, die sich in Themen wie Sozialkompetenz, Team- und Konfliktverhalten oder Kommunikationsfähigkeit widerspiegeln. Eine Gruppe der Sozialwissenschaften sind schließlich die Wirtschaftswissenschaften, zu denen neben der Volkswirtschaftslehre schließlich auch die Betriebswirtschaftslehre zählt. Während sich die Wirtschaftswissenschaften ganz allgemein mit der Lenkung und Knappheit von Gütern beschäftigen, befasst sich die Betriebswirtschaftslehre - wie der Name vermuten lässt — hauptsächlich mit dem Wirtschaften von Betrieben. Gegenstand der BWL ist somit im Wesentlichen die Frage, wie sich optimale Entscheidungen über Mittel zur Bedarfsdeckung durch Ver- oder Bearbeitung, Verkauf oder Kauf aus Sicht eines Betriebes treffen lassen. Ziele der BWL sind, betriebliche Sachverhalte zu erläutern, Zusammenhänge zu erklären und aufgrund des Aufzeigens von Handlungsalternativen und deren Bewertung Gestaltungsempfehlungen zu geben. Ein Betrieb ist dabei als geschlossene Produktiveinheit zur Erstellung von Leistungen oder Gütern anzusehen, die dazu eine Kombination von Betriebsmitteln, Werkstoffen und Arbeitskräften einsetzt. Betriebe lassen sich nach unterschiedlichen Kriterien einteilen in (Tabelle 1):

2

Modul I: Grundlagen

Tabelle 1:

Betriebsarten.

Kriterium

Betriebsart

Größe

Kleinbetriebe, G r o ß b e t r i e b e

Wirtschaftszweig

Dienstleistungsbetriebe, Versicherungsbetriebe, H a n d e l s b e t r i e b e , Verkehrsbetriebe, B a n k b e t r i e b e , Industriebetriebe

Erstellungsart

Einzelfertigungsbetriebe, Massenfertigungsbetriebe, Serienfertigungsbetriebe

Leistungsart

Sachleistungsbetriebe, Dienstleistungsbetriebe

Rechtsform

Betriebe als P e r s o n e n - oder Kapitalgesellschaften

Einsatzfaktoren

materialintensive Betriebe, arbeitsintensive Betriebe, anlagenintensive Betriebe

Anhand des Kriteriums „Betriebsgröße" wird deutlich, dass die unterschiedlichen Betriebsarten oder -typologien nicht immer eindeutig abgrenzbar sind: So werden häufig bspw. Betriebe mit mehreren tausend Mitarbeitern auch noch zur Gruppe der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) gezählt, nur weil sie typische KMUMerkmale wie Familienbesitz oder geschäftsführende Familienmitglieder besitzen. Neben dem Begriff „Betrieb" wird somit häufig auch das Unternehmen als Erkenntnisobjekt der BWL genannt. Ein Unternehmen lässt sich ganz allgemein als System beschreiben, das aus miteinander in Beziehung tretenden Menschen als seinen Elementen besteht, sich regelmäßig verändert sowie in intensivem Austausch mit seiner Umwelt steht und nach dem ökonomischen Prinzip handelt: Mit dem Einsatz von Produktionsfaktoren einen bestimmten Output zu erzielen. Im Gegensatz zu öffentlichen und privaten Haushalten sind sie produktionsorientierte Wirtschaftseinheiten, die hauptsächlich der Fremdbedarfsdeckung dienen. Zu Unternehmen zählen jedoch auch öffentliche Einrichtungen wie Stadtwerke, Krankenhäuser oder Bildungseinrichtungen, die als Non-Profit-Organisationen auch keine Gewinnerzielungsabsicht aufweisen müssen. Innerhalb der BWL wird zwischen der Allgemeinen BWL und Speziellen Betriebswirtschaftslehren unterschieden. Die Allgemeine BWL (ABWL) behandelt Problemstellungen, die nahezu alle Betriebe betreffen, und umfasst daher Teilgebiete wie • • • • •

Marketing Personalwesen Rechnungswesen Controlling Logistik

Aufgabe der ABWL ist es dabei, die wirtschaftstheoretischen Grundlagen und Umweltzusammenhänge aufzuzeigen, den Einsatz der Faktoren Arbeit, Betriebsmittel und Werkstoffe darzustellen sowie die betrieblichen Entscheidungs- und Umsatzprozesse zu analysieren. Die Speziellen Betriebswirtschaftslehren hingegen befassen sich mit einzelnen Wirtschaftszweigen:

Lernabschnitt 2: Historische Entwicklung

• • • • •

3

Bankbetriebslehre Industriebetriebslehre Handelsbetriebslehre Versicherungsbetriebslehre Touristikbetriebslehre

Vereinzelt gibt es auch Spezielle Betriebswirtschaftslehren, die bestimmte Funktionen zum Gegenstand haben, wie etwa die BWL des Absatzes, der Produktion oder der Führung von Industriebetrieben. Neben der Betriebswirtschaftslehre gibt es noch zahlreiche andere wissenschaftliche Disziplinen, die sich häufig mit dem Betrieb als Objekt befassen: Wirtschaftsgeografie, Betriebspsychologie, Unternehmensrecht oder auch die Betriebsmedizin. Zur BWL gibt es bei diesen Disziplinen oft Anknüpfungspunkte und auch Uberschneidungen, wobei die Grenzen häufig fließend sind. Auf speziellere Ansätze, wie die Systemorientierte BWL oder die Entscheidungsorientierte BWL wird im folgenden Lernabschnitt noch näher eingegangen. Die Ökologische BWL hat sich trotz einiger theoretischer Grundlagen bislang noch nicht als eigenständige BWL etabliert, wenngleich sich ökologische Erkenntnisse in der Wissenschaft und Lehre wieder finden und vor allen Dingen auch in der unternehmerischen Praxis angewendet werden. Umweltgerechte Produkte und Produktionsverfahren sind heutzutage ein entscheidender Wettbewerbsfaktor, zu dessen Verbreitung auch die umweltrechtlichen Rahmenbedingungen beigetragen haben.

Kontrollfragen

• • • • • •

Zählt die Betriebswirtschaftslehre zu den Formal- oder Realwissenschafteiìì Warum lässt sich die BWL den Sozialwissenschaften zuordnen? Was ist ein Betrieb? Warum lassen sich Unternehmen allgemein als soziale, dynamische, offene und produktive Systeme beschreiben? Wodurch unterscheidet sich die ABWL von einer Speziellen BWLl Gibt es eine Ökologische BWLl

Lernabschnitt 2:

Historische Entwicklung

Die Ursprünge der BWL lassen sich weit zurückverfolgen. So haben wirtschaftliche Aspekte bereits immer eine wesentliche Rolle im menschlichen Leben gespielt, wie Tontafeln als Buchungsbelege aus der Zeit um ca. 3000 v. Chr. belegen. Logistische Entwicklungen, wie das Verkehrswesen mit dem Transport von unterschiedlichen

4

Modul I: Grundlagen

Gütern und Materialien, finden ebenfalls recht früh ihren Ursprung in der Menschheitsgeschichte. Im Mittelalter wurden Handelsbräuche und Rechnungswesen als Grundlagen kaufmännischer Betriebsführung entwickelt. Aus dieser Zeit stammen etwa die Practica Mercatura (1335) von F. Pégalo ti oder das Handelsbuch (1558) von L. Meeder. Mit Le Parfait Négociant (1675) von J. Savary wurde ein grundlegendes systematisches Werk der Handelswissenschaft veröffentlicht. Daraus entwickelten sich allgemeine Richtlinien für den Kaufmann und seine Handelstätigkeiten und -geschäfte. Es folgten das Kaufmannsmagazin (1710) von P. Marberger sowie ein Kaufmannslexikon (1752) von K. Ludovici. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden als Kameralwissenschaft (auch: Kameralistik) jene Wissenschaften entwickelt, die den Kammerbeamten neben den notwendigen Kenntnissen für die Tätigkeit in der Verwaltung auch die Förderung der Wirtschaft, vor allem im Bereich der Landwirtschaft vermittelte. Zu den bedeutendsten Lehrstuhlvertretern dieser Zeit gehörte L. v. Seckendorf/(1626—1692), der als einer der Hauptvertreter des preußischen Kameralismus angesehen werden kann. Die Kameralistik hatte zwei ökonomische Hauptströmungen: Das Wirtschaften, welches nicht nur die allgemeinen Haushaltungsregeln, sondern auch die Lehre von der Stadtwirtschaft (Handel, Gewerbe) und der Landwirtschaft umfasste, sowie die Pflege und Mehrung des allgemeinen Volkswohlstandes, der heutigen volkswirtschaftlichen Finanzwissenschaft. Als weitere Entwicklungsströmung, die die Entstehung der BWL als eigenständige wissenschaftliche Disziplin beeinflusst hat, kann neben der Kameralistik die Entwicklung der Volkswirtschaftslehre angesehen werden (Tabelle 2): Tabelle 2:

Meilensteine in der wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklung.

Namen

Jahre

Entwicklungen

F. Quesnay

1758

Darstellung der Abhängigkeiten von Geld- und Güterströmen als Kreislauf.

A. Smith

1776

In An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations wird der bis dahin zumeist vorherrschende Merkantilismus kritisiert und die Idee einer neuen Wissenschaftsrichtung zur Untersuchung des wirtschaftlichen Handelns vermittelt.

D. Ricardo

1809

In Principles of Political Economy and Taxation setzte sich die deduktive Methode mit quantitativer Betrachtung durch, wobei die sozialen Rahmenbedingungen zunehmend aus der Untersuchung der Politischen Ökonomie eliminiert wurden und ein rein logisch-mathematisches Verständnis der Marktverhältnisse in den Vordergrund trat.

K. Marx

1867

Entwicklung der Begriffe Entfremdung und Ausbeutung unter dem Eindruck der Industrialisierung im 19. Jahrhundert.

Lernabschnitt 2: Historische Entwicklung

Tabelle 2:

5

(Fortsetzung)

Namen

Jahre

Entwicklungen

J. M. Keynes

1936

Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes mit der These, dass die unerwünschten Wirkungen von Konjunkturzyklen durch Steuerung von Geldmenge und Staatsausgaben vermieden werden können.

M. Friedman

1962

Minimierung der Rolle des Staates, um somit politische und gesellschaftliche Freiheit zu fördern.

Bei der Betrachtung der Meilensteine der wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklung wird deutlich, dass die Volkswirtschaftslehre in der Vergangenheit und heute nicht nur grundlegende wirtschaftliche Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten in einer Gesellschaft gesamtwirtschaftlich (Makroökonomie) betrachtet, sondern auch in Bezug auf einzelne wirtschaftende Einheiten (MikroÖkonomie). Daher hat ihre Entstehungsgeschichte auch gleichzeitig die Entwicklung der BWL beeinflusst, da diese sich mit den wirtschaftlichen Zusammenhängen und Gesetzmäßigkeiten einzelner Unternehmen befasst und Erkenntnisse für betriebliche Strukturen und Prozesse liefert. Die BWL selbst ist im Vergleich mit anderen Wissenschaften eine relativ junge Disziplin, die erst etwa um 1900 ihr methodisches Fundament erhielt. Während in Paris mit der Ecole Supérieure de Commerce bereits 1819 eine Wirtschaftshochschule gegründet wurde, und an der University of Pennsylvania die Wharton School im Jahre 1881 als erste Business School in den USA ihre Arbeit aufnahm, wurden 1898 unter anderem in Aachen, Leipzig und Wien Handelshochschulen gegründet. Als Pioniere können J. Hellauer (1871-1956) mit seiner Welthandelslehre sowie Eugen Schmalenbach (1873 — 1971) mit seinen Grundlagen dynamischer Bilanzlehre angesehen werden. Heinrich Nicklisch (1876-1946) veröffentlichte die Allgemeine kaufmännische Betriebswirtschaftslehre und Wilhelm Rieger (1878—1971) seine Einführung in die Privatwirtschaftslehre. 1951 veröffentlichte Erich Gutenberg (1897—1984) mit seinem Werk Produktion erstmals eine umfassende systematische Analyse der Fertigung und Organisation eines Betriebes. Bis dahin war die BWL eher durch Themen wie Rechnungswesen, Bilanzierung und Handelswesen geprägt. Gutenberg prägte durch die Betrachtung der betrieblichen Leistungserstellung die Entwicklung der deutschen BWL maßgeblich. In der Folge wurde die BWL unter Setzung neuer Schwerpunkte in den theoretischen Grundlagen weiterentwickelt. So formulierte Edmund Heinen (1919—1996) die Entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre (1970), die betriebliche Entscheidungen in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt, und Hans Ulrich (1919 — 1997) die Systemorientierte BWL (1968), die er mit Hilfe des von ihm entwickelten St. Gallener Management Modells auf die Unternehmung als produktives soziales System übertrug. Zu den neueren Ansätzen in der Entwicklung der BWL zählt bspw. der verhaltenstheoretische Ansatz, der das Handeln des Individuums und sein Verhalten bei Entscheidungen in den Mittelpunkt stellt.

6

M o d u l I: G r u n d l a g e n

Kontrollfragen • • • •

Welche Bedeutung hat das Werk J. Savarys für die Entwicklung der BWL? Was versteht man unter der Kameralwissenschaft (Kameralistik)? Seit wann etwa gibt es die BWL als einzelwissenschaftliche Disziplin? Welche maßgebliche Weiterentwicklung der BWL ist auf Erich Gutenberg zurückzuführen?

Lernabschnitt 3:

Grundlegende Theorien, Methoden und Modelle

Als wesentlicher Maßstab des wirtschaftlichen Handelns und damit als Ausgangsbasis für die Theoriebildung der BWL kann das Prinzip rationellen Handelns (Rationalprinzip) angesehen werden: Mit möglichst geringem Einsatz versucht der Mensch sein Ziel zu erreichen. Aus dem Rationalprinzip lässt sich das für die BWL wichtige Wirtschaftliche Prinzip ableiten, das sich auf zweierlei Weise formulieren lässt: • •

Einen gegebenen Ertrag mit möglichst geringem Aufwand zu erreichen (Minimalprinzip) oder Einen möglichst maximalen Ertrag mit einem gegebenen Aufwand zu erzielen (Maximalprinzip) Minimalprinzip

vorgegebener Output

t minimaler Input

Abbildung 1:

Maximalprinzip

vorgegebener Input

\ maximaler Output

Wirtschaftliches Prinzip.

So kann die Anwendung des Maximalprinzips bedeuten, bei einem vorgegebenen Materialbudget bestmöglich den Bedarf an medizinischem Verbrauchsmaterial zu

Lernabschnitt 3: Grundlegende Theorien, Methoden und Modelle

7

decken oder die Anwendung des Minimalprinzips, einen vorgegebenen Hygienestandard unter möglichst reduziertem Einsatz von aggressiven Reinigungsmitteln zu erreichen. Da in der Praxis häufig weder der Ertrag noch der Aufwand festgelegt sind, versucht man beide möglichst optimal miteinander abzustimmen und zu variieren, so dass Minimal- und Maximalprinzip miteinander kombiniert werden. Jedoch kann nicht immer zwangsläufig eine Minimierung des Aufwandes zu einer gleichzeitigen Maximierung des Ertrages führen. Die BWL benötigt wie andere Wissenschaften auch Grundlagentheorien, die als empirisch oder deduktiv gewonnene zusammenfassende Darstellungen der gesicherten Erkenntnisse ihres Wissensbereiches die festgestellten Einzelphänomene erklären. Die auf dem Wirtschaftlichen Prinzip aufbauenden grundlegenden theoretischen Ansätze der BWL sind vielfältig (Tabelle 3): Tabelle 3:

Grundlagentheorien in der BWL.

Theorie

Beschreibung des Ansatzes

Faktorentheorie nach Erich Gutenberg (1897-1984)

Gesetz der industriellen Faktorkombination als Basis einer Produktions- und Kostentheorie: Faktoreinsatz (Arbeitsleistung und technische Einrichtungen als Produktionsfaktoren) und Faktorertrag (Produktmengen, Ausbringungsmengen) stehen in Beziehung zueinander.

Entscheidungstheorie nach Edmund Heinen (1919-1996)

Betriebliche Entscheidungssituationen werden analysiert und systematisiert, um die Elemente eine Betriebes sowie die Zusammenhänge zwischen diesen und dem Markt zu erklären und um Regeln zu entwickeln, wie die beste Entscheidung in bestimmten Entscheidungssituationen getroffen werden kann.

Systemtheorie nach Hans Ulrich (1919-1997)

Untersuchung der Gestaltungs- und Führungsprobleme von produktiven sozialen Systemen unter Nutzung der systemorientierten, interdisziplinären Betrachtungsweise, um zur Lösung von Managementproblemen beizutragen.

Verhaltenstheorie nach Günther Schanz (geb. 1943)

Betriebe als soziale Gebilde, in denen die Veranlassung zum Handeln, der Ablauf zwischenmenschlicher Handlungen, dabei entstehende Konflikte und Innovationen analysiert werden, insbesondere um die Fragen der Wahrnehmung, Motivation, Lernen und Denken zu klären.

Während die Diskussion des Ansatzes von Erich Gutenberg die BWL in eine mathematisierende, formelbasierende Entwicklungsrichtung drängte, versuchten die jüngeren Ansätze auch neuere Aspekte im Rahmen der traditionellen BWL aufzugreifen und die Zusammenhänge menschlicher und gesellschaftlicher Strukturen in den Betrieben zu berücksichtigen. Bei der Umwandlung verifizierter Hypothesen in Theorien benutzt die BWL verschiedene Modellarten, um komplexe Sachverhalte vereinfachend abzubilden.

8

Modul I: Grundlagen

So dienen Entscheidungsmodelle zur Auswahl optimaler Handlungsalternativen, Beschreibungsmodelle zur Abbildung empirischer Erscheinungen, ohne sie zu erklären oder zu analysieren, sowie Erklärungsmodelle zur Erklärung betrieblicher Prozessabläufe in Form von Hypothesen über betriebliche Zusammenhänge. Auch bedient sich die BWL unterschiedlicher Methoden, um zur Erreichung von Problemlösungen anhand definierter Verfahrensregeln, nachvollziehbarer Ergebnisse und nachprüfbarer Verfahrensschritte zu gelangen (Tabelle 4): Tabelle 4:

Erklärungsmethoden der BWL.

Methoden

Beschreibung

Induktive Methode

Verallgemeinerung von Einzelbeobachtungen durch eine induktive Schlussfolgerung, um daraus Hypothesen und Gesetzmäßigkeiten abzuleiten.

Deduktive Methode

Ableitung einer Aussage aus den Annahmen mit Hilfe vorgegebener Schlussregeln, von allgemeinen auf besondere Aussagen.

Nomologische Modellanalyse

Logische Ableitung des Explanandum aus einer erklärenden Aussagenmenge (Explanans), wobei das Explanans eine Hypothese als Wenn-Dann-Beziehung enthält sowie eine Überprüfung, ob die in der Hypothese aufgestellten Bedingungen auch vorliegen.

Axiomatische Modellanalyse

Ableitung von Schlussfolgerungen aus empirisch nicht überprüften Annahmen durch logische Verfahrensstufen.

Realtheoretische Modellanalyse

Empirisch gehaltvolle Theorien werden auf betriebswirtschaftliche Probleme konkretisiert.

Genau genommen sind die nomologische, axiomatische und realtheoretische Modellanalyse besondere Ausprägungsformen der deduktiven Methode. Nach einem längerem Methodenstreit in der BWL hat sich mehr und mehr das deduktive Vorgehen als erfolgreich erwiesen und hierbei insbesondere die nomologische Modellanalyse.

Kontrollfragen • • • •

Was versteht man unter dem Rationalprinzip und welche Bedeutung hat es für die BWL? Auf welche Weisen lässt sich das Wirtschaftliche Prinzip formulieren? Welche Faktoren stehen in der Faktorentheorie nach Erich Gutenberg in Beziehung zueinander? Was versteht man unter dem Explanans in der nomologischen Modeilanalysel

Lernabschnitt 4: Produktionstheorie

Lernabschnitt 4:

9

Produktionstheorie

In der Produktionstheorie wird versucht, die Beziehung von Input (mit r als Bezeichnung für die notwendigen Einsatzmengen) und Output (mit χ als Bezeichnung für die Ausbringungsmengen) bei der Leistungserstellung zu erfassen und sie in einer mathematischen Funktion, der Produktionsfunktion, abzubilden: χ = f(r 1 ; r 2 , r 3 ... r n ) Werden die eingesetzten Produktionsfaktoren (Arbeit, Werkstoffe Betriebsmittel etc.) variiert, so zeigt diese Funktion ihre Auswirkung auf die Ausbringungsmenge (Produkte, Erzeugnisse etc.) an. Beschränkt man sich bei der Betrachtung auf zwei Einsatzfaktoren η und r 2 und geht man davon aus, dass diese beliebig variierbar sind, so erhält man folgendes Bild (Abbildung 2): Π

X r

2

Abbildung 2:

Faktoreinsatz und Ausbringungsmenge.

Die Produktionsfaktoren X\ und r 2 sind substituierbar, das bedeutet das eine Einheit von Γ] durch eine Einheit von r 2 ersetzt werden kann, so dass der Ertrag unverändert bleibt und man, wie in Abbildung 2 ersichtlich, Kurven gleichen Ertrags (Isoquanten) erhält. Aus der folgenden Abbildung 3 ist nun ersichtlich, dass in den Punkten A und Β der gleiche Ertrag erwirtschaftet wird und zwar in A mit den Einsatzfaktoren OC von η und OD von r 2 sowie in Β mit OE von r, und OF von r 2 . Da die Einheiten D F von r 2 und EC von η den gleichen Ertrag erbringen, wird das Verhältnis von D F / E C als Durchschnittsrate der Substitution angegeben und lässt sich mit tan α bezeichnen. Da sich also mehrere Kombinationen der Einsatzfaktoren mit gleichem Ertrag ergeben, ist zu fragen, welche Kombination die geringsten Kosten aufweist. Die Minimalkostenkombination ergibt sich zunächst aus der Kostenisoquante AB, die alle Kombinationen von η und r 2 mit den gleichen Kosten aufweist, sowie durch Angabe der Steigung in E aus OC und OD, die Stelle der kostenoptimalen Kombina-

10

Modul I: Grundlagen

Abbildung 4:

Minimalkostenkombination.

tion. Durch die Parallelverschiebung der Kostenisoquante bei Variation der zur Verfügung stehenden Geldmenge möglichen Kostenhöhe ergibt sich die Minimalkostenlinie (Abbildung 4). Neben substitutionalen Produktionsfunktionen gibt es limitationale Produktionsfunktionen, bei denen die Produktionsfaktoren nicht austauschbar sind, sondern in einem festen, technisch effizienten Mengenverhältnis zueinander stehen, sowie linear-limitationale Produktionsfunktionen, die von zueinander und zum Output in einem festen Verhältnis stehenden Produktionsfaktoren ausgehen. Steht ein Faktor in nicht ausrechender Menge zur Verfügung, so ist auch die Ausbrin-

Lernabschnitt 4: Produktionstheorie

11

gungsmenge begrenzt. Input und Output sind durch feste Produktionskoeffizienten aneinander gekoppelt. Auf der Basis dieser Grundannahmen geht die Ertragsgesetzliche Produktionsfunktion (Produktionsfunktion Typ A) nach J. V. Thünen (1783-1850) davon aus, dass die Einsatzfaktorenmengen veränderlich sind und die Ausbringungsmenge zwar mit zunehmendem Faktoreinsatz zunächst ebenfalls steigt, der Zuwachs aber im Verlauf des gesteigerten Einsatzes abnimmt und letztendlich sogar negativ wird (Abbildung 5). Diese Erkenntnisse des abnehmenden Ertragszuwachses wurden von dem französischen Nationalökonom J. Turgot (1727—1781) in Zusammenhang mit der landwirtschaftlichen Produktion gewonnen und lassen sich bspw. mit dem therapeutischen Einsatz von Medikamenten vergleichen, der bis zu einem gewissen Grad heilende Wirkung entfaltet, bei einer Überdosierung jedoch negative Auswirkungen hat. Gesamtertrag, Grenzproduktivität und Durchschnittsertrag lassen sich bei der Produktionsfunktion Typ A folgendermaßen ermitteln (Tabelle 5): Tabelle 5: Ermittlung von Gesamtertrag, Grenzproduktivität und Durchschnittsertrag bei der Produktionsfunktion Typ A. Wert

Formel

Gesamtertrag

χ = f(r v , r k )

Durchschnittsertrag

„ [f(rv,rk)] 0x = X

Grenzproduktivität

^ [Df(rv, rk)rv] Gp =

Γν

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Modul I: Grundlagen

Das sich in der Produktionsfunktion vom Typ A ausdrückenden Gesetz des abnehmenden Ertragszuwachses eignet sich allerdings nur bedingt für die Abbildung der betrieblichen Realität, da die Produktionsfaktoren in der Regel begrenzt und nicht beliebig substituierbar sind und es nicht immer konstante Faktoren gibt, die sich mit variablen kombinieren lassen. Die von Erich Gutenberg entwickelte limitationale Produktionsfunktion Typ Β stellt demgegenüber industrielle Erzeugnisse in den Vordergrund und ermittelt Verbrauche (Input) in Abhängigkeit von den erbrachten Leistungen (Output). Sie geht dabei von begrenzten Produktionsfaktoren, der Abhängigkeit von technischen Eigenschaften und Prozessintensität sowie dem Verzicht auf eine Gesamtproduktionsfunktion aus. Stattdessen beschreibt sie mit Hilfe von Verbrauchsfunktionen die Abhängigkeit zwischen der technischen Leistung der Faktorkombination und dem Verbrauch an Faktoreinsatzmengen. Die Verbrauchsfunktion gibt hierbei an, wie viele Einheiten eines Einsatzfaktors benötigt werden, um bei einer Intensität d eine Einheit der Ausbringungsmenge χ zu erreichen. Die faktoroptimale Intensität kann dadurch bestimmt werden, dass der Faktor r eine Funktion der Intensität d ist: dopt = min [a(d)], wobei a die Verbrauchsfunktion für r darstellt. Edmund Heinen versuchte in seiner Produktionsfunktion Typ C zusätzliche Einflussgrößen, wie die Momentanleistung und den Momentanverbrauch zu berücksichtigen, aus denen sich anhand des Verlaufs der Intensität im Zeitablauf auf Einsatzund Ausbringungsmengen schließen lässt. Weitere Entwicklungen versuchen durch hierarchische Anordnung mehrerer Funktionen und einer Gesamtverbrauchsmatrix das gesamte Betriebsgeschehen abzubilden (Typ D), berücksichtigen die Verzögerbarkeit der Produktion (Typ E) oder zusätzlich Finanz- und Investitionsbedingungen (Typ F).

Kontrollfragen • • • • • • • •

Was ist die Aufgabe der Produktionstheorie in der BWL? Was bedeutet die Substituierbarkeit der Produktionsfaktoren? Wie lassen sich Minimaikostenkombination und Minimalkostenlinie grafisch ermitteln? In welchem Verhältnis stehen Produktionsfaktoren und Output in linear-limitationalen Prdouktionsfunktionen zueinander? Was versteht man unter der Ertragsgesetzlichen Produktionsfunktionl Warum ist die Produktionsfunktion vom Typ A nur bedingt für die Abbildung der betrieblichen Realität geeignet? Welche Rolle spielen die Verbrauchsfunktionen in der Produktionsfunktion Typ ΒΊ Welche zusätzlichen Einflussgrößen berücksichtigt die Produktionsfunktion Typ C?

Lernabschnitt 5: Rechtsgrundlagen

Lernabschnitt 5:

13

Rechtsgrundlagen

Die rechtlichen Grundlagen der BWL sind zunächst im Wirtschaftsrecht verankert, das die Gesamtheit aller privatrechtlichen, strafrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Rechtsnormen und Maßnahmen darstellt, die in irgendeiner Form die selbständige Erwerbstätigkeit von Unternehmen betreffen. (Tabelle 6). Tabelle 6:

Wirtschaftsrecht.

Teilgebiet

Beispiele

Wirtschaftsverfassungsrecht

Grundgesetz (GG) bspw. Art. 12, 14, 74, 109

Wirtschaftsverwaltungsrecht

Regulierung, Gefahrenabwehr, Subventionsrecht, Monopolverwaltung etc.

Wirtschaftsprivatrecht

Bürgerliches Recht, Handelsrecht, Wettbewerbsrecht etc.

Ein wesentliches Teilgebiet des Wirtschaftsrechts ist das Bürgerliche Recht, das im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) die Rechtsverhältnisse der Bürger untereinander regelt und damit auch zahlreiche Vorgaben für den wirtschaftlichen Verkehr enthält (Tabelle 7). Tabelle 7:

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

Bücher

Teile

Inhalte

1. Buch

Allgemeiner Teil

Grundtatbestände, Rechtsbegriffe, Fristen, Vollmachten, Rechtsgeschäfte, Stellvertretungen, natürliche und juristische Personen, Personenvereinigungen, Verjährung

2. Buch

Schuldrecht

Schuldverhältnisse, Gläubiger, Schuldner, Tausch, Kauf, Miete, Pacht, Werkvertrag, Dienstvertrag

3. Buch

Sachenrecht

Eigentum, Besitz, Pfandrecht, Grundstücke, dingliche Rechte an beweglichen und unbeweglichen Sachen

4. Buch

Familienrecht

Familienangelegenheiten, Ehe, Vormundschaft, Verwandtschaft, persönliche und wirtschaftliche Stellung von Familienmitgliedern

5. Buch

Erbrecht

Erbvertrag, Testament, Erbfolge, Vermögensübergang, rechtliche Stellung der Erben

Die Bestimmungen des BGB sehen die Vertragsfreiheit vor: So können sie bspw. im Bereich des Schuldrechts von den Erklärenden in freier Vereinbarung (dispositiv) abgeändert werden.

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Modul I: Grundlagen

Ergänzend zum BGB gelten ferner Sondergesetze, wie ζ. B. Verbraucherkreditgesetz, Beurkundungsgesetz, Gesetz über Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften etc. Das Handelsrecht regelt im Handelsgesetzbuch (HGB) die kaufmännischen Angelegenheiten der Gewerbetreibenden, wobei das BGB subsidär gilt: Das BGB kommt dann zur Anwendung, wenn das Handelsrecht keine speziellen Vorschriften enthält (Tabelle 8). Tabelle 8:

Handelsgesetzbuch (HGB).

Bücher

Teile

Inhalte

1. Buch

Handelsstand

Handelsregister, Firmenrecht, Prokura, Kaufmannseigenschaft, Handelsvertreter

2. Buch

Handelsgesellschaft und stille Gesellschaft

Recht der Personengesellschaften OHG, KG, stille Gesellschaft

3. Buch

Handelsbücher

Vorschriften zur Buchführung und Bilanzierung

4. Buch

Handelsgeschäfte

Sondervorschriften für Handelsgeschäfte, Lager-, Kommissions-, Fracht-, Speditionsgeschäfte, Handelskauf

5. Buch

Seehandel

Sondervorschriften für den Seehandel

Das Handelsrecht wird in der Regel dann angewendet, wenn mindestens ein Geschäftspartner die Kaufmannseigenschaft besitzt. Als Vollkaufmann werden nach dem HGB folgende Kaufleute angesehen: •

• • •

Muss-Kaufmann: Grundhandelsgewerbe (bspw. Bankgewerbe, Versicherungsgewerbe, Produktion, Bearbeitung, Anschaffung und Weiterveräußerung von Waren) Soll-Kaufmann: Gewerbe erfordert einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb Kann-Kaufmann: Bestimmte Betriebe der Land- und Forstwirtschaft Formkaufmann: Aufgrund der Rechtsform (bspw. GmbH, AG, KG, OHG etc.)

Mit Ausnahme der Tätigkeit in einem Grundhandelsgewerbe muss zur Erlangung der Kaufmannseigenschaft eine Eintragung ins Handelsregister erfolgen. Das Handelsregister ist ein amtliches Verzeichnis der Kaufleute, Einzelunternehmungen sowie Handelsgesellschaften und gibt Auskunft über Tatsachen, die für den Handelsverkehr bedeutsam sind. Es wird beim Amtsgericht (Registergericht) geführt, ist öffentlich und kann von jedem eingesehen werden. Handelsregistereintragungen werden in der Regel im Bundesanzeiger und den Tageszeitungen veröffentlicht. Genossenschaften werden im Genossenschaftsregister erfasst. Das Gesellschaftsrecht enthält Regelungen über die zulässigen Organisationsformen von Gesellschaften:

Lernabschnitt 5: Rechtsgrundlagen

• • • • • • • • • • •

15

Vertretungsbefugnis der Gesellschafter bzw. Organe Rechnungslegung Gewinn- und Verlustverteilung privatrechtliche Beziehungen von der Gesellschaft zu Außenstehenden Gründung und Beendigung innere Strukturen Willensbildung und das Verhältnis der Gesellschafter zueinander und zur Gesellschaft Kapitalerhöhung Haftung Unternehmenszusammenschlüsse Änderungen des Gesellschaftsvertrages

Das Gesellschaftsrecht ist nicht in einem einzigen Gesetz dargelegt. Gesellschaftsrechtliche Vorschriften finden sich in mehreren Gesetzen (Tabelle 9): Tabelle 9:

Gesellschaftsrecht.

Gesetz

Regelungsgegenstände

Aktiengesetz (AktG)

Aktiengesellschaft (AG), Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA)

GmbH-Gesetz (GmbHG)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH)

HGB

Offene Handelsgesellschaft (OHG), Kommanditgesellschaft (KG), Einzelunternehmung, Stille Gesellschaft, Kapitalgesellschaft

Genossenschaftsgesetz (GenG)

Genossenschaften

Weitere gesellschaftsrechtliche Regelungen finden sich auch im BGB, im Mitbestimmungsgesetz (MitbG) oder dem Montan-Mitbestimmungsgesetz (MontanMitbestG). Das Gesellschaftsrecht ist ferner eng mit anderen Rechtsgebieten verbunden, wie bspw. dem Steuerrecht, Wertpapierrecht, dem Arbeitsrecht oder dem Wettbewerbsrecht. Das Wettbewerbsrecht soll den freien Wettbewerb als zentrales Lenkungsinstrument in der Marktwirtschaft sichern, um dadurch wirtschaftliche Machtpositionen zu verhindern. Die wichtigsten Wettbewerbsfunktionen sind: •





Förderung der flexiblen Anpassung der Produktionsmengen und Kapazitäten an sich laufend ändernde Marktdaten, um die gesamtwirtschaftlichen Kosten notwendiger Änderungen der Wirtschaftsstrukturen zu mindern und Fehlinvestitionen zu begrenzen Steuerung der funktionalen Einkommensverteilung nach der Marktleistung auf den Märkten für Produktionsfaktoren, um die Ausbeutung Einzelner aufgrund von Marktmacht zu verhindern Beschleunigung der Durchsetzung des technischen Fortschritts, um durch Innovationen eine ständige Effizienzsteigerung zu erreichen

Modul I: Grundlagen

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Steuerung der Zusammensetzung und Verteilung des Angebots nach den Käuferpräferenzen auf den Güter- und Dienstleistungsmärkten, um dadurch ein höchstmögliches Maß an individueller Bedürfnisbefriedigung zu erreichen Lenkung der Produktionsfaktoren in ihre produktivsten Einsatzmöglichkeiten, um die Kosten der Produktion niedrig zu halten und die Wertschöpfung der Faktoreinsatzmengen zu steigern

Ebenso wie das Gesellschaftsrecht besteht das Wettbewerbsrecht aus mehreren Einzelgesetzen (Tabelle 10): Tabelle 10:

Wettbewerbsrecht.

Gesetz

Regelungsgegenstände

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) „Kartellgesetz"

Verhinderung von Wettbewerbsbeeinträchtigungen aufgrund von Kartellbildung, Preisbindung, marktbeherrschende Unternehmen, diskriminierendes Verhalten.

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)

Schutz von Mitbewerbern oder Kunden vor unfairen Geschäftspraktiken durch Schutz geschäftlicher Bezeichnungen, Regelungen bei Konkurswaren-, Aus- oder Räumungsverkauf, Unterlassung oder Schadenersatz bei: Irreführende Werbung, Unwahre Behauptungen über Mitbewerber, Lockvogelangebote, Erwecken falscher Qualitätsvorstellungen etc.

Gesetz über Preisnachlässe „Rabattgesetz"

Regelung der Gewährung von Preis-, Barzahlungs-, Mengennachlässen im Einzelhandel oder auf gewerbliche Leistungen des täglichen Bedarfs.

Zum Wettbewerbsrecht zählen ferner auch das Gebrauchsmuster-, Patent- und Warenzeichenrecht, um technische Erfindungen zu schützen und sich von Wettbewerbern durch bestimmte Produktmerkmale zu unterscheiden. Das Steuerrecht beeinflusst betriebliche Entscheidungen wesentlich (Tabelle 11): Tabelle 11:

Beeinflussung betrieblicher Entscheidungen durch die Besteuerung.

Entscheidungsbereich

Beeinflussung

Investition

Steuerliche Veränderung der Einflussgrößen von Investitionsentscheidungen

Rechtsform

Unterschiedliche Besteuerung von Personen- und Kapitalgesellschaften

Rechtsformwechsel

Unterschiedliche steuerliche Folgen aus Umwandlung und Umgründung

Lernabschnitt 5: Rechtsgrundlagen

Tabelle 11:

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(Fortsetzung)

Entscheidungsbereieh

Beeinflussung

Zusammenschlüsse

Steuerliche Förderung der Konzentration

Finanzierung

Förderung oder Hemmung von Finanzierungsformen

Standort

Lokale Steuerdifferenzen bei der Gewerbesteuer, internationales Steuergefälle, Steueroasen

Absatz

Überwälzung der Steuern auf den Kunden durch Gestaltung der Preispolitik

Rechnungswesen

Ermittlung von Steuerbemessungsgrundlagen, Aufgabenübertragung bei Einbehaltung, Berechnung und Abführung von Kirchen-, Lohn-, Umsatzsteuer

Produktion

Steuerliche Belastung von Produktionsfaktoren

Abbildung 6:

Steuerarten.

Steuern werden nach der Abgabenordnung (AO) als Geldleistungen verstanden, die zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Die wichtigsten Steuerarten sind in Abbildung 6 wiedergegeben. Zölle werden ebenfalls als Steuern betrachtet, während Gebühren geschuldete Abgaben darstellen, die als Gegenleistung für eine Amtshandlung als Verwaltungsgebühr oder als Benutzungsgebühr für die Inanspruchnahme einer Einrichtung zu

18

Modul I: Grundlagen

entrichten sind. Abgaben sind alle auf der Finanzhoheit beruhenden öffentlichen Einnahmen der Gebietskörperschaften. Dazu zählen alle Steuern, Zölle, Gebühren, Beiträge und Sonderabgaben sowie Sozialabgaben an die Träger der gesetzlichen Sozialversicherung. Eine wichtige Besteuerungsgrundlage ist der Steuerliche Gewinn, der durch eine Steuerbilanz ermittelt wird und nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) definiert ist als Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, welcher vermehrt wird um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen. Der Gewinn ist maßgeblich bei der Ermittlung der Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbeertragsteuer. Die Einkommensteuer (ESt) ist eine Steuer auf das Einkommen natürlicher Personen. Sie lässt sich charakterisieren als • • •

Direkte Steuer aufgrund der gegebenen Identität von Steuerschuldner und Steuerträger Ertragsteuer, da ihr nicht das Vermögen, sondern nur bestimmte Vermögenszuwächse unterliegen Subjektsteuer, weil ihr nur natürliche Personen unterliegen

Betriebe in der Rechtsform von Personengesellschaften sind nicht selbst, sondern ihre Gesellschafter mit den ihnen zugerechneten Anteilen am erzielten Gewinn einkommensteuerpflichtig. Kapitalgesellschaften sind als juristische Personen Steuersubjekte der Körperschaftsteuer; die anteilige Gewinnausschüttung wird jedoch beim jeweiligen Anteilseigner der Einkommensteuer unterworfen. Die Körperschaftsteuer (KSt) wird in erster Linie auf das Einkommen von juristischen Personen, insbesondere Kapitalgesellschaften, erhoben. Steuersubjekte sind: • • • • • • • • •

Kapitalgesellschaften Anstalten des öffentlichen Rechts Stiftungen Genossenschaften Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit nicht rechtsfähige Vereine Zweckvermögen des privaten Rechts Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts sonstige juristische Personen des Privatrechts

Die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich auf sämtliche inländische und ausländische Einkünfte, soweit nicht für bestimmte Einkünfte abweichende Regelungen bestehen. Die Gewerbesteuer (GewSt) besteuert den Ertrag von im Inland betriebenen Gewerbebetrieben. Die Steuer richtet sich nach dem Gewerbeertrag, der aus dem einkommen- oder körperschaftsteuerlichen Gewinn aus Gewerbebetrieb abgeleitet wird. Sie ist eine Betriebsausgabe und somit bei der Berechnung des Gewinns aus Gewerbebetrieb abzuziehen, durch Bildung einer Gewerbesteuerrückstellung in der Steuerbilanz, wobei Verluste auf die folgenden Jahre vorgetragen werden können. Der Steuertarif setzt sich aus der Steuermesszahl und dem Hebesatz zusammen. Die Höhe des Hebesatzes wird von jeder Gemeinde individuell bestimmt.

Lernabschnitt 5: Rechtsgrundlagen

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Die Umsatzsteuer (USt) ist eine Steuer auf Lieferungs- und Leistungsumsätze, die auf jeder Wirtschaftsstufe erhoben wird und den jeweiligen Umsatzmehrwert erfasst. Steuersubjekt ist der Unternehmer als natürliche Person, juristische Person oder Personenvereinigung, der eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig, nachhaltig und mit Einnahmenerzielungsabsicht ausübt. Der Umsatzsteuer unterliegen: • • •





Einfuhr von Gegenständen in das Inland Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem Unternehmer im Inland im Rahmen seines Unternehmens gegen Entgelt ausgeführt werden Lieferungen und sonstige Leistungen von Körperschaften und Personenvereinigungen im Inland im Rahmen ihres Unternehmens an ihre Anteilseigner, Gesellschafter, Mitglieder, Teilhaber oder diesen nahe stehende Personen, für die Leistungsempfänger kein besonderes Entgelt aufwenden Eigenverbrauch eines Unternehmers im Inland (Entnahme von Gegenständen oder Leistungen für unternehmensfremde Zwecke oder Tätigen nicht abziehbarer Aufwendungen) innergemeinschaftlicher Erwerb im Inland gegen Entgelt

Importe aus Nicht-EU- und aus EU-Staaten werden mithin unterschiedlich behandelt. Steuerfrei sind insbesondere: • • • • • • • •

kulturelle und bildende Leistungen Ausfuhrlieferungen und innergemeinschaftliche Lieferungen Leistungen von Heilberufen ausländische Beförderungsleistungen Umsätze von Kreditinstituten Vermietungen von Grundstücken Grunderwerbe (Grunderwerbsteuer) Versicherungsleistungen

Bemessungsgrundlage ist grundsätzlich das vereinbarte Entgelt ohne die darauf entfallende Umsatzsteuer. Das Europäische Wirtschaftsrecht gewinnt als weitere rechtliche Grundlage der BWL zunehmend an Bedeutung. Es enthält europaweite Regelungen für den Warenverkehr, das Währungswesen, den Kapital- und Zahlungsverkehr, für Verkehr und Transport, Forschung und Technologie, Außenhandel und Anti-Dumping, Monopole und Subventionen. Es umfasst ferner europäisches Niederlassungs- und Dienstleistungsrecht, Wettbewerbsregeln, Agrarrecht, Lebensmittelrecht sowie Steuer- und Energierecht. Die Grundlagen des Arbeitsrechts werden im Modul Personalwesen behandelt.

Kontrollfragen • • •

Was versteht man unter dem Wirtschaftsrechtl Was bedeutet die Vertragsfreiheit im BGB? Was bedeutet die Subsidaritcit des BGB gegenüber dem Handelsrecht?

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Modul I: Grundlagen

• • • • • •

Welche Funktionen übernimmt das Handelsregister? Welche Regelungen enthält das Gesellschaftsrechfl Welche Aufgabe hat das Wettbewerbsrechfl Welche wichtigen Wettbewerbsfunktionen sichert das Wettbewerbsrecht'Ì Wodurch unterscheiden sich Steuern, Gebühren und Abgaben? Auf welche Steuersubjekte bezieht sich die Umsatzsteuerl

Lernabschnitt 6:

Rechtsformen

Die Rechtsform bezeichnet die rechtliche Organisationsform von Unternehmen und Betrieben. Die meisten Unternehmensrechtsformen sind in eigenen Gesetzeswerken festgelegt und unterscheiden sich in wesentlichen Merkmalen voneinander. In Abbildung 7 sind die wichtigsten Rechtsformen wiedergegeben. Private Unternehmen sind Unternehmen mit privatwirtschaftlicher Zielsetzung und werden regelmäßig in privatrechtlicher Form geführt. Eingeschränkt ist die Wahl der Rechtsform bei bestimmten Wirtschaftszweigen und bei bestimmten Freien Berufen. So können private Versicherungsunternehmen nach dem Versicherungsaufsichtsgesetz nur in der Rechtsform der AG und des Versicherungsvereins

Rechtsformen

Öffentlichrechtlich

Privatrechtlich

Einzelunternehmen

Partnerschaftsgesellschaft

Personengesellschaft KG, OHG

Abbildung 7:

Gesellschaften

Juristische Personen öffentlichen Rechts

Handelsgesellschaft

BGBGesellschaft

Kapitalgesellschaft GmbH, AG, KGaA

Mischformen Stille GmbH & Co. Gesellschaft KG

Rechtsformen.

Genossenschaft

ohne eigene Rechtspersönlichkeit

Körperschaft

Eigenbetrieb

Anstalt

Regiebetrieb

Lernabschnitt 6: Rechtsformen

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auf Gegenseitigkeit ( W a G ) geführt werden. Bei Freien Berufen ist zu beachten, dass Rechtsanwälte und Arzte Praxisgemeinschaften nicht als Handelsgesellschaften oder Kapitalgesellschaften, sondern nur als Gesellschaften bürgerlichen Rechts (BGB-Gesellschaft, GbR) führen können, jedoch kommen auch Partnerschaftsgesellschaften in Betracht. Beim Einzelunternehmen handelt es sich um einen Gewerbebetrieb, dessen Eigenkapital von einer natürlichen Person aufgebracht wird, die Kaufmann oder auch Kleingewerbetreibender ist. Der Inhaber leitet das Unternehmen verantwortlich, trägt das Risiko alleine und haftet unbeschränkt für alle Verbindlichkeiten. Die Partnerschaftsgesellschaft ist eine Personengesellschaft, zu der sich Angehörige bestimmter freier Berufe zusammenschließen können. Dazu zählen im medizinischen Bereich insbesondere Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, aber auch Hebammen, Heilpraktiker und andere mehr. Mindestens zwei natürliche Personen müssen Gesellschafter der Partnerschaftsgesellschaft sein. Sie wird durch gerichtliche Eintragung in das Partnerschaftsregister wirksam. Die Partnerschaftsgesellschaft wird grundsätzlich durch jeden Partner allein vertreten kann unter ihrem Namen Verbindlichkeiten eingehen, Rechte erwerben, klagen oder auch verklagt werden. Neben dem Gesellschaftsvermögen haften die Partner persönlich als Gesamtschuldner. Bei der BGB-Gesellschaft (auch: Gesellschaft bürgerlichen Rechts, GbR) verpflichten sich mindestens zwei Gesellschafter durch den Gesellschaftsvertrag zur Förderung eines genau bestimmten gemeinsamen Zwecks. Sie kann zu jedem gesetzlich zulässigen Zweck errichtet werden, wobei die tatsächlichen Erscheinungsformen von Verbindungen des täglichen Lebens bis zu wirtschaftlich bedeutenden Zusammenschlüssen reichen. Der Abschluss des Gesellschaftsvertrages ist grundsätzlich formfrei und kann auch konkludent (ohne ausdrückliche Absprache) erfolgen, so dass rechtlich oftmals eine GbR vorliegt, ohne dass diese Tatsache den Beteiligten bewusst ist. Die GbR ist nicht rechtsfähig und ihre Mitglieder können sowohl natürliche Personen, als auch juristische Personen und andere Personengesellschaften sein. Die Vertretung der Gesellschaft ist allen Gesellschaftern gemeinsam zugewiesen. Für die Verbindlichkeiten der GbR haftet den Gläubigern nicht nur das gemeinsame Gesellschaftsvermögen, sondern ferner die Gesellschafter unbeschränkt und unmittelbar mit ihrem Privatvermögen als Gesamtschuldner. Als Zusammenschluss von niedergelassenen Ärzten zur gemeinsamen Nutzung von Praxiseinrichtung und Personal bei der Behandlung von Patienten stellt die Praxisgemeinschaft eine GbR dar. sofern sie nicht als Partnerschaftsgesellschaft gegründet ist. Als Sonderform des Kassenarztrechts, bei der die Praxiskosten nach einem zu vereinbarenden Schlüssel verteilt werden, ist eine gemeinsame Karteiführung unzulässig: Die jeweiligen Patientengruppen sind klar voneinander zu trennen und bei einer Behandlung der jeweils anderen Kassenpatienten ist eine Uberweisung erforderlich. Bei der Praxisgemeinschaft mit Poolvertrag wird die Verteilung der Praxiskosten und -gewinne nach einem zu vereinbarenden Schlüssel geregelt. Bei der Gemeinschaftspraxis handelt es sich ebenfalls um eine GbR mit gemeinsamer Praxisführung und Patientenbehandlung. Behandlungseinrichtungen und Personal werden gemeinsam genutzt und nach einem zu vereinbarenden Gewinnschlüssel werden die Kosten und Überschüsse verteilt. Die Genossenschaft ist eine Gesellschaft mit grundsätzlich nicht beschränkter Mitgliederzahl, welche die Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft ihrer Mit-

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Modul I: Grundlagen

glieder mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebs bezweckt. Ihr Zweck ist in der Regel nicht die eigene Gewinnerzielung, sondern die Unterstützung der wirtschaftlichen Betätigung ihrer Mitglieder. Je nach verfolgtem Zweck gibt es: • • • • • •

Wohnungsbaugenossenschaften Kreditgenossenschaften Konsumgenossenschaften Einkaufsgenossenschaften Absatz- und Verwertungsgenossenschaften Dienstleistungsgenossenschaften

Sie unterliegt im Unterschied zu Kapitalgesellschaften nicht der Pflicht zur Aufbringung und Erhaltung eines gesetzlich vorgegebenen Mindestkapitals. Ihr Eigenkapital ergibt sich aus der Summe der von den Genossen entrichteten Einlagen und Rücklagen. Die Genossenschaft muss die Bezeichnung „eingetragene Gesellschaft" oder die Abkürzung „eG" tragen. Ihre Organe sind der Vorstand, der Aufsichtsrat und die Mitgliederversammlung. Erst mit der Eintragung in das Genossenschaftsregister erlangt die Genossenschaft ihre Rechtsfähigkeit. Die Personengesellschaft stellt einen Zusammenschluss mehrerer Personen zu einer Gesellschaft dar, die auf der fortgesetzten Mitgliedschaft der einzelnen Gesellschafter beruht. Sie ist im Gegensatz zur Kapitalgesellschaft keine juristische Person und auch nicht wie diese körperschaftlich organisiert. Es ist Aufgabe der Gesellschafter, für die Gesellschaft tätig zu werden und deren Geschäfte zu führen. Ihre Gesellschafter sind stärker an die Gesellschaft gebunden als die einer Kapitalgesellschaft. Ihnen obliegen daher bspw. besondere Treuepflichten. Das Vermögen einer Personengesellschaft ist Gesamthandsvermögen, über das die Gesellschafter nur gemeinsam verfügen können. Neben dem Gesellschaftsvermögen haften die Gesellschafter persönlich und unbeschränkt mit ihrem Privatvermögen für die Schulden der Gesellschaft. Steuerlich ist die Personengesellschaft ein Gewerbebetrieb, unterliegt aber nicht selbst Einkommensteuer und Vermögensteuer, da die Steuerpflicht die einzelnen Gesellschafter trifft. Die Kommanditgesellschaft (KG) ist eine Personenhandelsgesellschaft, bei der mindestens ein Gesellschafter als Komplementär voll haftet und mindestens ein weiterer Gesellschafter als Kommanditist nur mit seiner Kapitaleinlage. Sie muss in das Handelsregister eingetragen werden. Der Komplementär haftet unmittelbar sowie unbeschränkt und hat damit im Wesentlichen die gleiche Rechtsstellung wie der Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft. Der Kommanditist hingegen haftet nur mit der im Gesellschaftsvertrag festgelegten Einlage. Von einer kapitalistischen Kommanditgesellschaft (Publikums-KG) spricht man, wenn die Kommanditisten fast das gesamte Gesellschaftskapital halten und sie die Gesellschafterversammlung beherrschen. Komplementär oder Kommanditist können auch eine juristische Person oder eine andere Personenhandelsgesellschaft sein. Für die Position des Kommanditisten kommt keine GbR in Betracht. Die Offene Handelsgesellschaft (OHG) ist eine Personengesellschaft mit mindestens zwei Gesellschaftern, deren Zweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes gerichtet sein muss und bei der jeder Gesellschafter unbeschränkt, auch mit seinem Privatvermögen persönlich haftet. Die unbeschränkte Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft bedeutet grundsätzlich eine hohe Kreditwürdigkeit. Jedes gemeinschaftliche Betreiben eines Handelsgewerbes, das nicht von einer Komman-

Lernabschnitt 6: Rechtsformen

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ditgesellschaft (KG), einer Kapitalgesellschaft oder sonstigen rechtsfähigen Körperschaften vorgenommen wird, erfolgt zwingend in der Rechtsform einer OHG, selbst wenn dies den Beteiligten nicht bekannt ist. Die OHG kann Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, Eigentum oder andere Rechte an Grundstücken begründen sowie vor Gericht klagen und auch selbst verklagt werden. Als Kapitalgesellschaft werden körperschaftlich verfasste Personenvereinigungen mit eigener Rechtspersönlichkeit (juristische Person) bezeichnet. Bei Kapitalgesellschaften steht die Kapitalbeteiligung im Vordergrund und ihre Anteile sind grundsätzlich frei veräußerlich. Die Geschäftsführung und Vertretung kann durch Nichtgesellschafter vorgenommen werden und mit Ausnahme des Komplementärs einer KGaA fehlt ein persönlich haftender Gesellschafter. Kapitalgesellschaften unterliegen der Körperschaftsteuer. Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) weist eine körperschaftlich verfasste Organisationsstruktur und eine eigenen Rechtspersönlichkeit (juristische Person) auf. Sie hat ein Stammkapital, das der Summe der von den Gesellschaftern zu leistenden Stammeinlagen entspricht. Das gesetzlich vorgesehene MindestStammkapital beträgt 25.000 Euro, die Stammeinlage jedes Gesellschafters mindestens 100 Euro. Das Stammkapital der GmbH ist einer Garantiesumme zugunsten der Gläubiger vergleichbar. Für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet den Gläubigern nur das Gesellschaftsvermögen. Die GmbH kann zu jedem gesetzlich zulässigen Zweck errichtet werden, gilt unabhängig von dem verfolgten Zweck als Handelsgesellschaft und besitzt daher stets Kaufmannseigenschaften. Die Gründung der Gesellschaft erfordert den Abschluss eines Gesellschaftsvertrages in notarieller Form, der von sämtlichen Gesellschaftern zu unterzeichnen ist. Die GmbH entsteht als solche erst mit der Eintragung in das Handelsregister. Die Organe der GmbH sind ein oder mehrere Geschäftsführer sowie die Gesellschafterversammlung. Ein Aufsichtsrat (AR) ist nur zu bilden, wenn dies im Gesellschaftsvertrag oder in gesetzlichen Regelungen so vorgesehen ist. Gesellschafter einer GmbH können natürliche Personen und juristische Personen, Kommanditgesellschaften, offene Handelsgesellschaften oder auch Gesellschaften bürgerlichen Rechts sein. Die Aktiengesellschaft (AG) hat als Körperschaft eine eigene Rechtspersönlichkeit (juristische Person) und ein in Aktien zerlegtes Grundkapital, das durch die Satzung der Höhe nach bestimmt sein muss. Für die Verbindlichkeiten der AG haftet nur das Gesellschaftsvermögen. Sie kann zu jedem gesetzlich zulässigen Zweck errichtet werden, gilt unabhängig von dem verfolgten Zweck als Handelsgesellschaft und ist daher stets Kaufmann. Ihre Gründung erfordert eine durch notarielle Beurkundung festzustellende Satzung. Die AG erlangt ihre Rechtsfähigkeit erst mit der Eintragung in das Handelsregister und verfügt über drei notwendige Organe: den die Geschäfte führenden Vorstand, den Vorstand überwachenden Aufsichtsrat sowie die Hauptversammlung (HV) mit ihren durch das Aktiengesetz (AktG) bzw. die Satzung festgelegten Personal- und Sachkompetenzen. Zu den häufigsten gesellschaftsrechtlichen Mischformen zählt die GmbH & Co. KG, die eine Kommanditgesellschaft darstellt, an der eine (GmbH) als - meist einziger — Komplementär beteiligt ist. Rechtlich gesehen ist sie eine Personengesellschaft, weil die Hauptgesellschaft eine KG ist. Für ihre Verbindlichkeiten haftet die GmbH mit ihrem auf einen Haftungshöchstbetrag begrenzten Vermögen, die Kommanditisten haften grundsätzlich ebenfalls nur bis zur Höhe ihrer Einlage. In

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Modul I: Grundlagen

der Praxis wird die GmbH & Co. KG häufig einer Kapitalgesellschaft gleichgestellt, so dass bspw. nicht nur bei Zahlungsunfähigkeit, sondern auch im Falle der Überschuldung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt werden muss. Der Komplementär-GmbH obliegen die Geschäftsführung und Vertretung der KG; ihre Geschäftsführer, welche selbst nicht Gesellschafter der GmbH sein müssen, führen somit auch die Geschäfte der KG. Die Stille Gesellschaft ist eine Personengesellschaft, bei der sich jemand an dem Handelsgewerbe eines anderen beteiligt, indem die geleistete Einlage in das Vermögen des tätigen Gesellschafters übergeht und der stille Gesellschafter dafür am Gewinn des Unternehmens beteiligt ist. Sie hat kein eigenes Gesellschaftsvermögen, tritt nach außen als Gesellschaft nicht in Erscheinung und unterliegt keinen Publizitätsanforderungen. Dem Geschäftsinhaber dient sie als Instrument der mittelfristigen Geldbeschaffung und dem stillen Gesellschafter als Kapitalanlagemöglichkeit. Da die Stille Gesellschaft selbst keine Handelsgesellschaft ist, muss der nach außen tätige Geschäftsinhaber Kaufmann sein, wobei auch juristische Personen, eine OHG oder eine KG in Betracht kommen. Der stille Gesellschafter ist zur Geschäftsführung und Vertretung des Handelsgewerbes grundsätzlich nicht befugt. Als zusätzliche Unternehmensrechtsform des privaten Rechts stellt die Stiftung eine Widmung von Vermögen zu einem bestimmten Zweck dar. Es handelt sich dabei überwiegend um Kapitalstiftungen, aus deren Ertrag der Stiftungszweck erfüllt wird. Auch können Geschäftsanteile an einer Gesellschaft auf eine Stiftung übertragen werden, um den Fortbestand und die Kontinuität des Unternehmens zu sichern, denn die Stiftung ist an den Grundsatz gebunden, dass ihr Vermögen auf Dauer zu erhalten ist und die Erträge satzungsgemäßen Zwecken zuzuführen sind. Familienstiftungen haben den Stiftungszweck, bestimmte Familienangehörige materiell zu fördern, um bspw. einer Unternehmerfamilie trotz Verzichts auf das Eigentum am Unternehmen die unternehmerische Kontrolle zu erhalten. Die Stiftung ist in der Regel eine selbständige juristische Person, die durch ihren Vorstand vertreten wird. Öffentlich-rechtliche Unternehmen können sowohl Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit (juristische Personen des öffentlichen Rechts) oder Unternehmen ohne eigene Rechtspersönlichkeit sein. Zu den öffentlichen Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit zählen öffentliche Anstalten und Körperschaften. Bei der Anstalt handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Verwaltungseinheit, die einem bestimmten öffentlichen Zweck dient, die durch oder aufgrund eines Gesetzes errichtet ist und staatlicher Anstaltsaufsicht unterliegt. Die Körperschaft ist eine mitgliedschaftlich organisierte juristische Person des öffentlichen Rechts, die öffentliche Aufgaben mit hoheitlichen Befugnissen durch Verwaltungsakt unter staatlicher Rechtsaufsicht wahrnimmt. Bei Gebietskörperschaften (bspw. Gemeinden, Landkreisen) ergibt sich die Mitgliedschaft aus dem Wohnsitz, bei Personalkörperschaften folgt sie aus einer Erklärung oder einer bestimmten Eigenschaft einer Person oder Personenvereinigung. Neben der freiwilligen Mitgliedschaft in Körperschaften, wie bspw. Zweckverbänden, gibt es auch Zwangsmitgliedschaften, zu denen auch die Ärztekammern zählen. Zu den öffentlichen Unternehmen ohne eigene Rechtspersönlichkeit zählen öffentliche Eigenbetriebe und Regiebetriebe. Bei dem Eigenbetrieb handelt es sich um eine organisatorisch und finanzwirtschaftlich, aber nicht rechtlich selbständige Unterneh-

Lernabschnitt 6: Rechtsformen

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mensform des öffentlichen Rechts, in der Gemeinden oder Landkreise kommunale Aufgaben wahrnehmen (bspw. kommunale Krankenhäuser oder Betriebe zur Elektrizitäts- bzw. Wasserversorgung). Ein Regiebetrieb ist ein öffentliches Unternehmen; das Bestandteil der staatlichen oder kommunalen Verwaltung ist und von Bediensteten geführt wird. Zwar wird seine Tätigkeit finanziell besonders ausgewiesen, er ist jedoch weder rechtlich noch organisatorisch von der Verwaltung getrennt. Neben der privatrechtlichen gibt es auch die öffentliche Stiftung, die mit ihrem Vermögen ausschließlich bestimmte öffentlich-rechtliche Zwecke erfüllt. Sie entsteht üblicherweise aufgrund eines Gesetzes und unterliegt der staatlichen Aufsicht. Virtuelle Unternehmen sind Unternehmensformen ohne feste Abgrenzungen, die die Vernetzung von Unternehmen und die Nutzung vorhandener Netzwerke darstellen, um die Reduzierung von Informationsdefiziten und Reaktionszeiten auf Änderungen in der Unternehmensumgebung zu ermöglichen. Auf der Basis ihrer Nutzung lassen sich Unternehmensaufgaben dezentralisieren und auslagern. Dieser zunehmende Trend zur Externalisierung und zum Outsourcing von Aufgaben und Funktionen erfordert, alle am Wertschöpfungsprozess Beteiligten informationsund kommunikationstechnisch miteinander zu verknüpfen, um in erster Linie räumliche und zeitliche Disparitäten zu überwinden. Als wesentliche Voraussetzungen für die Schaffung Virtueller Unternehmen lassen sich ansehen: •

• •

• •



Qualifikation der Netzwerkmitglieder: Intensivierung von Teamarbeit; Systemschulungen zur effektiven und sinnvollen Nutzung der Technologien; Lernsysteme; intensivere Kooperation Informationstechnische Netzwerke: Aufbau ausgedehnter Netze zur standortübergreifenden Kommunikation von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz Integration der Wertschöpfungskette: Gemeinsame Funktionsnutzung; Funktionsintegration; Verringerung von Funktionsredundanzen; Prozess- und Wissensverbund Integration von Marktpartnern: Bedarfsorientierte Einbeziehung von Kunden, Lieferanten und freien Mitarbeitern Unternehmensübergreifende Durchdringung: Hohe Durchdringung des gesamten Unternehmens mit informations- und kommunikationstechnologischen Anwendungen Anbindung an öffentliche Netze: Gewährleistung externer Kommunikationsmöglichkeiten und des Zugriffs auf externe Medien und Datenbanken Flächendeckende Infrastruktur: Ausstattung aller Arbeitsplätze mit entsprechender Informations- und Kommunikationstechnologie

Virtuelle Unternehmen lassen sich in unterschiedlichen Formen gestalten: •



Virtuelle Verbundunternehmen: Eigenständige kleine und mittlere Firmen, deren Position sich in einer virtuellen Holding kontinuierlich ändert. Diese kann als permanente Institution die Neukombination je nach veränderten Umfeldgegebenheiten koordinieren. Sie übernimmt zentrale Funktionen für die einzelnen Mitgliedsfirmen, bspw. in Form einer Einkaufs- oder Vertriebsgemeinschaft oder einer Werbekooperation. Förderierte virtuelle Unternehmen: Sie setzen sich aus konkreten Anteilen einzelner Partnerunternehmen zusammen und besitzen gemeinsame Aufsichtsgremien und andere Organisationsstrukturen, wodurch die durch die Virtualisierung gewonnene Flexibilität abnimmt. Im Wesentlichen handelt es sich dabei

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Modul I: Grundlagen

um gemeinschaftlich betriebene Zentraleinrichtungen, die über eine längere Dauer Bestand haben. Solare virtuelle Unternehmen: Träger von Kernkompetenzen, um die als Zentrum der Organisation einzelne Mitgliedsunternehmen angesiedelt sind, die sich hinsichtlich ihrer jeweils speziellen Aufgabenbereiche voneinander unterscheiden. Solare Unternehmen sind somit in der Erfüllung der Gesamtaufgabe von ihren Subunternehmen abhängig. Sie können lediglich bestimmte Fertigungsoder Montageaufgaben übernehmen, oder auch alle Funktionen delegieren.

Allen Formen virtueller Unternehmen ist die Kombination von Spezialisierung und Flexibilität gemeinsam, um dadurch bspw. eine möglichst rationelle Fertigung bei rascher Reorganisationsfähigkeit zu erreichen. Begrenzte Zugangsmöglichkeiten zu den virtuellen Unternehmen tragen dazu bei, homogene Strukturen, die sich gebildet haben, beizubehalten und gleichzeitig Interesse bei potenziellen Neumitgliedern zu wecken. Ein weiteres Kennzeichen ist die temporär begrenzte oder unbegrenzte Konzentration der einzelnen Mitglieder auf bestimmte Funktionen, die sich aufgrund der Spezialisierung gleichzeitig die Fähigkeit zur Einzelinnovation im jeweiligen Funktionsgebiet und damit einen wesentlichen Beitrag zur Gesamtinnovationsfähigkeit der virtuellen Unternehmung bewahrt. Die Wahl der geeigneten Rechtsform bei einer Unternehmensgründung oder bei Veränderungen der Rahmenbedingungen ist von zahlreichen, in Tabelle 12 wiedergegebenen Kriterien abhängig: Tabelle 12:

Kriterien der Rechtsformwahl.

Kriterien

Auswirkungen

Gewinn/Verlust

Unterschiedliche Möglichkeiten und Auswirkungen der Ergebnisverteilung.

Finanzierung

Möglichkeit neues Eigen- oder Fremdkapital aufnehmen zu können kann eingeschränkt oder im Fall von Aktiengesellschaften über den Zugang zum Kapitalmarkt sogar erweitert sein.

Leitung

Unterschiedlichen Möglichkeiten zur Regelung der Geschäftsführung und der Vertretung: Bei Personengesellschaften durch Anteilseigner (Selbstorganschaft), bei Kapitalgesellschaften eigene Organe (Drittorganschaft).

Steuern

Unterschiedliche Steuerbelastung bei den verschiedenen Rechtsformen; an die Gesellschafter ausgeschüttete und in der Gesellschaft einbehaltene Gewinne werden unterschiedlich hoch besteuert; Unterschiede in der laufenden Besteuerung des Gewinns und Gewerbeertrags bzw. des Vermögens und des Gewerbekapitals in Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften aufgrund unterschiedlich in Frage kommender Steuern (bspw. Körperschaftsteuer bei Kapitalgesellschaften, dagegen nicht bei Personengesellschaften); unterschiedliche Ermittlung der Bemessungsgrundlagen und unterschiedliche Gestaltung der Steuertarife (bspw. Unterschiede in der Höhe des Einkommensteuerspitzensatzes und der Tarifbelastung mit Körperschaftsteuer; Freibetrag bei der Gewerbeertragsteuer für Personengesellschaften).

Lernabschnitt 6: R e c h t s f o r m e n

Tabelle 12:

TI

(Fortsetzung)

Kriterien

Auswirkungen

Haftung

Unterschiedliche Möglichkeiten zur Begrenzung der H a f t u n g der Gesellschafter; bei Kapitalgesellschaften ist nur ausnahmsweise eine Durchgriffshaftung auf diese Personen zulässig; die H a f t u n g bei Personengesellschaften und Einzelunternehmen umfasst das Betriebsvermögen und auch das Privatvermögen der Eigentümer.

Publizitätspflicht

G r ö ß e r e Kapitalgesellschaften müssen wichtige Ertrags- und Vermögensverhältnisse häufiger und umfassender veröffentlichen

Rechnungslegung/ Prüfung

Im Vergleich zu Kapitalgesellschaften Vereinfachungen f ü r kleinere Personenunternehmen, ansonsten P r ü f u n g des Jahresabschlusses durch unabhängige Prüfer und Publizitätspflicht.

Veräußerung

K a u f oder Verkauf von Eigenkapitalanteilen ist bei Kapitalgesellschaften flexibler möglich als bei Personenunternehmen.

Der Rechtsformwechsel wird als Umwandlung bezeichnet. Sie stellt eine nachträgliche Veränderung der Rechtsform von Unternehmen dar und ist hauptsächlich im Umwandlungsgesetz (UmwG) geregelt. Ein Rechtsformwechsel kann aufgrund von steuerlichen Erwägungen, Änderungen bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen, bei den persönlichen oder familiären Verhältnissen der Eigentümer, aber auch wegen des Wachstums oder Strukturverschiebungen notwendig sein. Das UmwG fasst

Abbildung 8:

Umwandlungsformen.

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Modul I: Grundlagen

mehrere Arten von Umwandlungen (Abbildung 8) zusammen und regelt diese weitgehend unabhängig von der Rechtsform der beteiligten Unternehmen. Bei der Fusion (Verschmelzung) geht das gesamte Vermögen eines oder mehrerer übertragener Rechtsträger entweder auf einen bereits bestehenden (Verschmelzung durch Aufnahme) oder auf einen neu gegründeten Rechtsträger (Verschmelzung durch Neugründung) über. Der übertragene Rechtsträger erlischt ohne Abwicklung (Liquidation) und seine Mitglieder erhalten zum Ausgleich üblicherweise Anteile des übernehmenden Rechtsträgers. Bei der Spaltung handelt es sich um eine Form der Umwandlung zur Herbeiführung von Strukturveränderungen durch Abtrennung von Vermögensteilen. Die Aufspaltung ist das Gegenstück zur Verschmelzung, da die Vermögensteile als Gesamtheit auf den übernehmenden Rechtsträger übergehen und der übertragene ohne Abwicklung untergeht. Dagegen behält bei der Abspaltung das sich spaltende und übertragende Rechtssubjekt einen Teil seines Vermögens und folglich seine rechtliche Existenz. Sowohl bei der Auf- wie auch bei der Abspaltung erhalten die Anteilsinhaber des übertragenen Rechtsträgers Anteile oder Mitgliedschaften an dem übernehmenden Rechtsträger. Die Ausgliederung gleicht der Abspaltung darin, dass der übertragende Rechtsträger fortbesteht. Sie unterscheidet sich von dieser jedoch grundlegend dadurch, dass die Beteiligung an dem übernehmenden bzw. neu gegründeten Rechtsträger dem übertragenden Rechtsträger gewährt wird und nicht etwa dessen Anteilsinhabern, deren Beteiligungsverhältnisse völlig unberührt bleiben. Die Vermögensübertragung entspricht als weitere Form der Umwandlung bei einer Vollübertragung der Fusion und als Teilübertragung der Spaltung. Eine Vermögensübertragung ist jedoch nur möglich bei Übertragungen von Kapitalgesellschaften auf den Bund sowie zwischen Versicherungsunternehmen verschiedener Rechtsformen. Der Formwechsel ist eine Veränderung der äußeren Organisationsstruktur bei gleichzeitiger Wahrung der Identität der Gesellschaften: Wechsel einer Kapitalgesellschaft in eine Kapitalgesellschaft anderer Rechtsform und umgekehrt, einer Personenhandelsgesellschaft in eine Kapitalgesellschaft und umgekehrt. Außerhalb der im UmwG ausdrücklich zugelassenen Fälle ist ein Formwechsel nur möglich, wenn er durch ein anderes Gesetz ausdrücklich zugelassen ist. Der Formwechsel setzt nicht die Übertragung von Vermögen voraus, da der Rechtsträger neuer Form mit demjenigen vor der Umwandlung als identisch angesehen wird. Grundsätzlich ist bei allen Formen der Umwandlung ein ebenfalls notariell beurkundeter Zustimmungsbeschluss (bei Formwechsel: Umwandlungsbeschluss) der Anteilseigner der beteiligten Rechtsträger notwendig.

Kontrollfragen • • • •

Was bedeutet der konkludente Gesellschaftsvertragsabschluss bei der BGB- Gesellschaft? Welchen Gesellschaftszweck verfolgen in der Regel Genossenschaften? Welche Haftung übernehmen Kommanditist und Komplementär in einer Kommanditgesellschaft? Woraus setzt sich das Stammkapital einer GmbH zusammen?

Lernabschnitt 7: Unternehmenszusammenschluss

• • • • •

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Über welche Organe verfügt die AGI Wie stellt sich die Haftungssituation bei einer GmbH & Co. KG dar? Welchen Nutzen stiftet die Stille Gesellschaft den Beteiligten? Wodurch unterscheiden sich Eigen- und Regiebetrieb? Worin unterscheiden sich Auf- und Abspaltung als Unternehmensumwandlungsformen?

Lernabschnitt 7:

Unternehmenszusammenschluss

Ein Unternehmenszusammenschluss ist die Vereinigung von Unternehmen, die im Rahmen zwischenbetrieblicher Kooperation bei grundsätzlicher Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Selbstständigkeit der beteiligten Unternehmen erfolgt oder auf eine Beschränkung bzw. vollständige Aufgabe ihrer Dispositionsfreiheit gerichtet ist, um durch bessere Bedingungen und Verhältnisse einen größeren Erfolg zu erzielen. Folgende Ziele können dabei verfolgt werden (Tabelle 13): Tabelle 13:

Ziele von Unternehmenszusammenschlüssen.

Zielbereich

Einzelne Ziele

Beschaffung

Bildung von Einkaufsgemeinschaften zur Erlangung besserer Einkaufskonditionen, Sicherung von Bezugsquellen.

Produktion

Verbesserte Kapazitätsauslastung, Senkung der Produktionskosten durch Standardisierung, Senkung der Entwicklungskosten durch Zusammenarbeit bei Forschung und Entwicklung.

Vertrieb

Bildung von Vertriebsgemeinschaften zur Senkung der Vertriebskosten, Bildung von Arbeitsgemeinschaften zur erfolgreicheren Angebotsabgabe.

Marketing

G r ü n d u n g von Interessengemeinschaften zur Verbesserung der Kommunikationspolitik.

Marktposition

Höhere Marktanteile durch verbesserte Marktposition.

Finanzierung

Verbesserte Investitionsfähigkeit durch Erhöhung der Kapitalkraft.

Folgende wichtige Arten von Unternehmenszusammenschlüssen lassen sich unterscheiden: Das Konsortium ist ein meist befristeter Zusammenschluss mehrerer rechtlich und wirtschaftlich selbstständig bleibender Unternehmen zur gemeinsamen Durchführung eines größeren Projektes (Konsortialgeschäft), in der Regel in Form einer GbR. So dient bspw. ein Industriekonsortium als Arbeitsgemeinschaft (ARGE) zur Abwicklung von Großbauprojekten.

30

Modul I: Grundlagen

Die Interessenvertretung stellt einen freiwilligen Zusammenschluss von Unternehmen oder von deren Verbänden zum Zwecke der gemeinschaftlichen Erfüllung bestimmter betrieblicher Teilaufgaben dar. Die zusammengeschlossenen Unternehmen bleiben in der Interessenvertretung meist selbständig, werden allerdings zur Wahrung und Förderung der gemeinsamen Interessen in ihrer wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit unter Umständen eingeschränkt. Eine Gewinngemeinschaft stellt den Zusammenschluss mehrerer Unternehmen zwecks Ergebnis-Poolung dar. Sie ist damit eine Sonderform der Interessenvertretung, bei der sich eine Aktiengesellschaft oder eine Kommanditgesellschaft auf Aktien verpflichtet, ihren Gewinn oder den Gewinn einzelner ihrer Betriebe ganz oder teilweise mit dem Gewinn anderer Unternehmen oder einzelner Betriebe anderer Unternehmen zur Aufteilung eines gemeinschaftlichen Gewinns zusammenzulegen. Ein Kartell ist ein Zusammenschluss rechtlich und wirtschaftlich weitgehend selbstständig bleibender Unternehmen der gleichen Wirtschaftsstufe auf der Basis eines Kartellvertrages, mit dem Ziel, den Wettbewerb auf einem Markt ganz oder teilweise einzuschränken. Vereinbarungen zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verminderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind nach dem GWB verboten. Je nach Gegenstand der Absprachen können folgende Kartellarten unterschieden werden: • • • • •

Spezialisierungskartell: Spezialisierung auf unterschiedliche Normen und Typen Preiskartell: Vereinbarung einheitlicher Preise Kontingentierungskartell: Festlegung von Absatzhöchstmengen Konditionenkartell: Einheitliche Gestaltung der Liefer-, Geschäfts- und Zahlungsbedingungen Gebietskartell: Regionale Marktaufteilung

Nach dem GWB sind Kartelle unter bestimmten Bedingungen als Ausnahmen erlaubt, wenn sie folgenden Zweck erfüllen: • • •

Erhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen Weiterentwicklung des technischen Fortschritts Förderung mittelständischer Unternehmen als Gegengewicht zu Großunternehmen



Bewältigung wirtschaftlicher Strukturkrisen

Grundsätzlich zulässig sind danach: • Exportkartelle • Konditionenkartelle • Strukturkrisenkartelle • Spezialisierungskartelle • Mittelstandskartelle • Rationalisierungskartelle Sie bedürfen einer Erlaubnis durch die Kartellbehörde und sind dieser gegenüber anzuzeigen. Das Bundeskartellamt führt ein Kartellregister, in das alle Kartellverträge bzw. -beschlüsse eingetragen werden. Verstöße gegen das Kartellverbot stellen eine Ordnungswidrigkeit dar, die hohe Bußgelder nach sich zieht und Schadensersatzansprüche geschädigter Kunden und Wettbewerber auslösen kann.

Lernabschnitt 7: Unternehmenszusammenschluss

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Bei einem Gemeinschaftsunternehmen (Joint Venture) handelt es sich um eine Form der vertraglichen, meist in Gestalt einer Gesellschaft als gemischtes Unternehmen erfolgenden Kooperation zwischen privaten und/oder staatlichen Unternehmen, häufig aus verschiedenen Ländern. Das Joint Venture ist im Falle von Direktinvestitionen in manchen Ländern für den ausländischen Investor oft die einzige Möglichkeit zur Betätigung auf dem dortigen Inlandsmarkt. Die Gesellschaftsverträge solcher Gemeinschaftsunternehmen sehen daher häufig eine (Minderheits-)Kapitalbeteiligung des ausländischen Unternehmens vor. Als Konzern wird eine Wirtschaftseinheit zwischen rechtlich weiterhin selbständigen Unternehmensträgern bezeichnet, die in Form eines herrschenden Unternehmens und eines oder mehrerer abhängiger Unternehmen gleich welcher Unternehmensrechtsform unter der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefasst sind. Bei den einzelnen als Konzernunternehmen verbundenen Unternehmen wird dadurch ein höchster Intensitätsgrad der Einflussnahme erreicht. Erfolgt eine planmäßige Koordination und eine entsprechende Einflussnahme auf wesentliche, das Gesamtbild der Unternehmen entscheidend prägende Tätigkeiten durch das leitende Unternehmen, dann liegt eine einheitliche Leitung vor. Von einem Vertragskonzern spricht man, wenn die Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung durch einen Beherrschungsvertrag vertraglich begründet oder eine Eingliederung vollzogen worden ist. Beruht die Konzernstruktur bereits auf tatsächlichen Gegebenheiten liegt ein faktischer Konzern vor. Von Bedeutung ist auch der Grad der Abhängigkeit der Konzernunternehmen von einem anderen Unternehmen. Man unterscheidet danach zwischen dem Unterordnungskonzern mit einer einheitlichen Leitung aufgrund eines Abhängigkeitsverhältnisses und dem Gleichordnungskonzern mit einer einheitlichen Leitung ohne Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses. Als horizontaler Konzern wird ein Zusammenschluss von Unternehmen auf gleicher Marktstufe bezeichnet. Der Zusammenschluss auf vor- und nachgelagerten Märkten stellt einen vertikalen Konzern dar. Mischkonzerne sind Zusammenschlüsse von Unternehmen, die in verschiedenen Wirtschaftszweigen tätig sind. Das HGB erweitert den Konzernbegriff für die Zwecke der Rechnungslegung. Danach hat in einem Konzern eine inländische Kapitalgesellschaft als Muttergesellschaft, die über andere Tochterunternehmen die einheitliche Leitung ausübt und eine entsprechende Beteiligung besitzt, einen Konzernabschluss und einen Konzernlagebericht aufzustellen. Da als Folge solcher Unternehmenskonzentrationen Wettbewerbsbeschränkungen eintreten können, unterliegen Konzerne bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen der Fusionskontrolle durch das Bundeskartellamt. Im Zuge einer Eingliederung werden bspw. die Aktien einer AG vollständig von einer anderen übernommen. Die übernehmende AG (auch Muttergesellschaft genannt) muss dabei an der einzugliedernden AG (Tochtergesellschaft) zu mindestens 95% beteiligt sein. Wegen der völligen wirtschaftlichen Integration steht die Eingliederung einer Fusion nahe, unterscheidet sich von dieser jedoch dadurch, dass die Tochtergesellschaft rechtlich selbständig bleibt und deshalb der Vorgang zur Eingliederung grundsätzlich rückgängig gemacht werden kann. Die Eingliederung beruht nicht auf einer vertraglichen Grundlage. Die reguläre Eingliederung setzt voraus, dass die zukünftige Hauptgesellschaft alle Aktien der einzugliedern-

32

Modul I: Grundlagen

den A G hält und die Hauptversammlung (HV) der Tochtergesellschaft einen Eingliederungsbeschluss fasst, dem die HV der Muttergesellschaft mit einer Kapitalmehrheit von mindestens drei Vierteln des Grundkapitals (qualifizierte Mehrheit) zustimmen muss. Eine Eingliederung durch Mehrheitsbeschluss der Tochtergesellschaft ist zulässig, sofern die Hauptgesellschaft an dem einzugliedernden Unternehmen mindestens 95% des Grundkapitals hält.

Kontrollfragen • • • • •

Wann sind Kartelle nach dem GWB unter bestimmten Bedingungen als Ausnahmen erlaubt? Wie wird ein Verstoß gegen das Kartellverbot geahndet? Welche Bedeutung hat das Joint Venture für das Auslandsgeschäft? Wodurch unterscheiden sich horizontaler und vertikaler Konzern? Worin unterscheiden sich Eingliederung und Fusion?

Lernabschnitt 8:

Standort

Als Standort wird der geografische Ort von Unternehmen bezeichnet, an dem sie ihre Leistungen erstellen, Güter produzieren oder verkaufen. Die unternehmerische Standortwahl ist zum einen für die Raumordnung und die Wirtschaftspolitik von großer Bedeutung, da die Entscheidung für oder gegen einen bestimmten Standort großen Einfluss auf die regionale Beschäftigungslage oder das Steueraufkommen haben kann. Auch kann sich die Ansiedlung bestimmter Industriebetriebe negativ auswirken, wenn deren Produktionsverfahren mit starken Emissionen verbunden ist. Im Zentrum der betriebswirtschaftlichen Standortwahl steht somit die grundsätzliche Entscheidung über den geografischen Sitz eines Unternehmens. Die Standortwahl kann durch unterschiedliche Sachverhalte ausgelöst werden: • • •

• •

Neugründung: Grundsatzentscheidung über den zukünftigen Ort eines neuen Unternehmens Dezentralisierung: Bildung von dezentralen Betriebseinheiten, bspw. bei Direktabsatz und stärkerer struktureller Kundennähe Verlagerung: Erforderlich aufgrund der Änderung wirtschaftlicher oder geografischer Rahmenbedingungen (Arbeitsmarktsituation, Verkehrsanbindung, Rohstoffzugang etc.) Aufteilung: Teilverlagerung von Betriebsteilen, bspw. um regionale Standortvorteile wahrnehmen zu können Funktionsabspaltung: Räumliche Trennung von Produktionsschritten aufgrund von Veränderungen in der Produktionsorganisation (bspw. Montage vor Ort)

Nach der geografischen Ausrichtung lassen sich bei der Art der Standortwahl unterscheiden:

Lernabschnitt 8: Standort

• • •

33

Internationale Standortwahl: Gründung eines Unternehmens oder Unternehmensteils im Inland oder Ausland Regionale Standortwahl: Festlegung, in welcher Region einer Volkswirtschaft ein Unternehmen oder Unternehmensteil angesiedelt werden soll Lokale Standortwahl: Festlegung in welcher Stadt oder Gemeinde ein Unternehmen oder Unternehmensteil gegründet werden soll

Die betriebswirtschaftliche Standortlehre geht wesentlich auf das Werk Über den Standort der Industrien von Alfred Weber (1868 — 1958) zurück, das im Jahre 1909 veröffentlicht wurde. Schon früh wurde deutlich, dass die betriebswirtschaftliche Standortwahl von zahlreichen Bestimmungsfaktoren (Standortfaktoren) abhängt, die unterschiedlichen Einfluss auf die einzelnen Wirtschaftszweige und Betriebstypen haben können (Tabelle 14).

Tabelle 14:

Standortfaktoren.

Ökonomische Faktoren

Technische Faktoren

Naturbezogene Faktoren

Soziale Faktoren

Kosten

Transportkosten Arbeitskosten Energiekosten Kapitalkosten

Marktsituation

Marktwachstum Absatzmarkt

Steuern

Gewerbesteuern

Bauliche Ausstattung

Verkehrswege Wohn- und Arbeitsstätten Versorgungseinrichtungen

MaschinelleAusstattung

Anlagen Maschinen Werkzeuge Verkehrsmittel

Biologische Umwelt

Flora Fauna

GeophysikalischeUmwelt

Bodenbeschaffenheit Bodenschätze Rohstoffe Wasser Luft Klima

Bevölkerung

Bevölkerungsstruktur Arbeitsmarkt Mobilität

Einstellungen

Sozialverhalten Politische Einstellungen

34

Modul I: Grundlagen

Für die Standortfaktoren gibt es in der BWL eine Reihe von Systematisierungsansätzen, die die sich in die zwei Kategorien Minimierung der Kosten und Maximierung der Erträge einordnen lassen und in Form von Modellen versuchen, die Standortentscheidung eines Unternehmens rational zu erklären. Je mehr Standortfaktoren bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden, desto schwieriger wird es, klare Vorhersagen für den optimalen Standort zu entwickeln. Untersuchungen haben ergeben, dass die Standortfaktoren Arbeitsmarkt mit der jeweiligen Arbeitskräftesituation sowie die Grund- und Bodensituation bei Standortentscheidungen einen relativ hohen Stellenwert einnehmen, während bspw. die allgemeine Infrastruktur einen eher geringen Beeinflussungsgrad aufweist. Insgesamt wird deutlich, dass betriebswirtschaftliche Standortentscheidungen häufig Kompromisse zwischen den einzelnen Standortfaktoren darstellen, wobei letztendlich der Standort gewählt werden muss, der bei der Gegenüberstellung von Standorterträgen und -aufwendungen den größtmöglichen Gewinn erzielt. Bei Standortentscheidungen von medizinischen Behandlungseinrichtungen spielen darüber hinaus spezielle Faktoren eine besondere Rolle. So gilt es bspw. bei der Ortswahl einer Niederlassung neben der kassenarztspezifischen Zulassungsbeschränkung auch Arztdichte und Versorgungsquote zu berücksichtigen. Die Versorgungsquote und damit die Anzahl der ärztlich zu versorgenden Einwohner ist rückläufig. So kamen nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) 1960 auf einen berufstätigen Arzt noch durchschnittlich 793 Einwohner (alte Bundesländer), während es zum 31. 12. 2005 nur noch 268 waren (Abbildung 9). 800 700 600 500 400 300 200 100 0 1960 Abbildung 9:

1970

1980

1990

2005

V e r s o r g u n g s q u o t e (Quelle K B V ) .

Die Arztdichte (auch: Versorgungsdichte) ergibt sich aus der Ärztezahl für ein feststehendes Quantum zu behandelnder Einwohner. Sie kann ebenso wie die Versorgungsquote als Maßstab für die quantitative Versorgung angesehen werden und drückt die Versorgung der Bevölkerung mit medizinischen Dienstleistungen aus. So lag die Arztdichte 2005 in der Bundesrepublik Deutschland bei 373 Ärzten je 100.000 Einwohner. Zwar ist sie bezogen auf die Flächenausdehnung in Ballungs-

Lernabschnitt 8: Standort

35

gebieten generell wesentlich höher als etwa im ländlichen Raum. Regional gesehen ist die Arztdichte bezogen auf die Einwohnerzahl allerdings in Brandenburg mit 323 am höchsten und in Hamburg mit 184 am niedrigsten.

Kontrollfragen

• • •

Wodurch hat die Standortentscheidimg Einfluss auf Raumordnung und Wirtschaftspolitik? Durch welche betrieblichen Sachverhalte kann eine Standortwahl ausgelöst werden? Nach was muss sich die Standortentscheidung letztendlich richten?

Literaturhinweise Achleitner Α., Thommen J.: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Gabler-Verlag, Wiesbaden 2006 Albach H.: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Gabler-Verlag, Wiesbaden 2007 Döring U., Wöhe G.: Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, 22. Auflage, Vahlen-Verlag, München 2005 Grass B.: Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, Verlag Neue Wirtschaftsbriefe, Herne 2003 Heinen E.: Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, Gabler-Verlag, Wiesbaden 1992 Kabst R., Weber W.: Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, Gabler-Verlag, Wiesbaden 2006 Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV): Grunddaten zur vertragsärztlichen Versorgung in Deutschland 2006, Berlin 2007 Kreuzer C.: BWL Kompakt, Linde-Verlag, Wien 2007 Rahn H., Olfert K.: Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, Kiehl-Verlag, Ludwigshafen 2005 Schäfer-Kunz J., Vahs D.: Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, Schäffer-Poeschel-Verlag, Stuttgart 2007 Schierenbeck H.: Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre, Oldenbourg-Verlag, München 2003 Scholl Α., Domschke W.: Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, Springer-Verlag, Berlin 2005 Töpfer Α.: Betriebswirtschaftslehre, Springer-Verlag, Berlin 2007 Vossebein U., Drosse V.: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Gabler-Verlag, Wiesbaden 2005 Witte H.: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Oldenbourg-Verlag, München 2007

Modul II:

Strategisches Management

Strategisches Denken und Handeln ist nicht nur in der BWL, sondern auch im Gesundheitsmanagement von wesentlicher Bedeutung. Die Nutzung von Führungsinformationssystemen, die strategische und operative Planung sowie die Entwicklung von erfolgreichen Strategien, sind entscheidend für den nachhaltigen Erfolg einer medizinischen Einrichtung. Strategische Erfolgspotenziale im Bereich der Behandlungsleistungen und Patientenbetreuung schaffen Wettbewerbsvorteile. Sie gilt es in der operativen Planung zu konkretisieren und ihre Umsetzung durch geeignete Kontrollmechanismen zu überwachen.

Lernabschnitt 1:

Unternehmensführung

Die Unternehmensführung befasst sich als Teilgebiet der Betriebswirtschaftslehre mit normativen Problemen der Führung und Organisation von Mitarbeitern sowie Betrieben und deren Anpassung an sich ständig ändernde Umweltbedingungen. Sie ist Aufgabe der Unternehmensleitung, die sich aus den obersten Führungskräften eines Betriebes zusammensetzt, welche mit den Leitungsaufgaben betraut sind. Als Synonym für Unternehmensführung wird häufig auch der Begriff Management verwendet, der sich ebenfalls als erfolgsorientiertes strategisches Handeln der Führungskräfte umschreiben lässt. Die Aufgabe der Unternehmensführung besteht darin, die verschiedenen betrieblichen Produktionsfaktoren unter Berücksichtigung der betrieblichen Umweltbedingungen zu einer effizienten und handlungsfähigen Einheit zusammenzuführen, um die Unternehmensziele zu erreichen. Dazu gehören: •

• • • • • • • •

Unternehmensentwicklung: Entwicklung von Gestaltungs- und Lenkungsaktivitäten, um die betrieblichen Strukturen durch qualitatives Lernen ständig anzupassen und gezielt zu optimieren Einsatz von Managementinformationssystemen: Beschaffung und Verwertung der notwendigen und zugänglichen internen und externen Informationen Schaffung von Rahmenbedingungen, die eine sinnvolle Unternehmensentwicklung erlauben Aufbauorganisation: Sinnvolle Einteilung der Unternehmung in passende Organisationseinheiten Förderung der unternehmerischen Innovationsfähigkeit Ablauforganisation: Prozess- und aufgabenorientierte Gestaltung der einzelnen Arbeitsprozesse Unternehmenslenkung: Erhaltung und Optimierung der bestehenden Strukturen, Schaffung neuer Strukturen, wenn es der Wettbewerb erfordert Entscheidungsfindung und Kontrolle deren Umsetzung Suche und Realisation neuer Zielvorgaben und Verhaltensweisen

38

Modul II: Strategisches Management

Die wesentlichen Funktionen der Unternehmensführung sind in der folgenden Tabelle 15 zusammengefasst: Tabelle 15:

Funktionen der Unternehmensführung.

Funktion

Beschreibung

Zielbildung

Formulierung angestrebter zukünftiger Zustände in Form eines geschlossenen Zielsystems für alle Unternehmensebenen mit möglichst widerspruchsfreien und hierarchisch klar gegliederte Zielen.

Kontrolle

Vergleich der angestrebten Ziele mit den erreichten Ergebnissen (Soll-Ist-Vergleich), um Informationen darüber zu gewinnen, was die Ursachen für eventuelle Abweichungen sind (Abweichungs- und Ursachenanalyse), um zukünftige Prognosen und Planungen treffsicherer und realistischer zu machen und um die geleistete Arbeit von Mitarbeitern zu bewerten.

Entscheidung

Wahl zwischen verschiedenen Handlungsmöglichkeiten, aufgrund rationaler Entscheidungsregeln.

Planung

Vorbereitung und Abwägung von Entscheidungen, die mit Unsicherheit behaftet sind; Abstimmung der einzelnen Teilplanungen, um eine möglichst optimale Verwendung der Ressourcen zu erzielen.

Führungsinformationssysteme (FIS) oder Executive Information Systems (EIS) spiegeln den Bedarf der Managementebene wider, möglichst schnell über entscheidungsrelevante Informationen verfügen zu können. Die Entwicklung der Informationstechnologie zeigte bereits in den 70er Jahren unter dem Begriff der Managementinformationssysteme (MIS) elektronische Unterstützungsmöglichkeiten auf. Business Intelligence und das Information Warehouse Konzept gehen jedoch weiter. Sie beziehen nicht nur die Unternehmensführung in die Informationsdistribution ein, sondern ermöglichen die unternehmensweite Nutzung zentraler Informationssysteme auf einer breiten Geschäftsdatenbasis. Während FIS und EIS in erster Linie Planungs-, Frühwarn- und Reportinginstrumente für die Unternehmensleitung darstellen und auf die spezifische Situation des jeweiligen Betriebes zugeschnitten sind, stellt das Information Warehouse eine IT-Plattform für die gezielte Informationsversorgung des gesamten Unternehmens mit externen und internen Daten dar. Business Intelligence Systeme setzen darauf auf und bieten Auswertemöglichkeiten für alle Anwender. In einem Business Intelligence System (BIS) werden dem Unternehmensmanagement die für Entscheidungen relevanten Daten und Informationen verständlich aufbereitet und zeitgerecht zur Verfügung gestellt. Dazu wird in drei Schritten das im Unternehmen vorhandene Informations- und Datenmaterial zusammengefasst, einem Aggregationsprozess unterzogen und dem Berichtswesen zugeführt (Abbildung 10). Während im Rahmen herkömmlicher Managementinformationssysteme (MIS) die Versorgung mit entscheidungsrelevanten Daten lediglich auf die Unternehmensführung beschränkt bleibt, ist es Aufgabe von Business Intelligence Systemen, mög-

Lernabschnitt 1:

Abbildung 10:

Unternehmensführung

39

Business Intelligence System.

liehst alle Daten und Informationen aus internen und externen Quellen, Datenbanken, Archiven so zu organisieren, dass sie im Bedarfsfall allen Mitarbeitern zur Verfügung stehen. Dies wird in zunehmendem Maße wichtig, um das Mitarbeiterpotenzial durch Stärkung der Eigenverantwortung besser nutzen zu können. Hierzu müssen die Mitarbeiter in immer kürzeren Zeitabständen über immer mehr Informationen und Daten verfügen, aus denen sie Entscheidungsgrundlagen zusammenstellen können. Herkömmliche Zugriffsmöglichkeiten auf die in der Regel heterogenen Datenquellen erweisen sich dabei als uneffektiv, so dass die meiste Zeit mit Informations- und Datensammlung verbracht wird. Deshalb ist es wichtig, die Geschäftsdaten möglichst auf einer zentralen Datenbank zu sammeln, um durch gezielte Analysen einen raschen Überblick über aktuelle Zustände und Entwicklungen bezogen auf einen Zeitpunkt oder -räum zu erhalten. Das Information Warehouse hat die Sammlung von entscheidungsrelevanten Informationen und Unternehmensdaten in einer speziellen Datenbank zum Ziel, um sie unterschiedlichen planungs- und entscheidungsorientierten Anwendungssystemen bedarfsgerecht zur Verfügung zu stellen. Auf der Basis eines plattformunabhängigen, einheitlichen Informationssystems mit aktuellen, qualifizierten und nicht-redundanten Datenbeständen, soll eine unternehmensübergreifende Informationsversorgung mit möglichst hoher Effizienz realisiert werden. Es stellt damit einen Lösungsansatz für das Problem der effektiven Nutzung anfallender Datenberge dar. Zudem bietet es die Möglichkeit, einer effektiveren, zielgerichteten Informationsdistribution, die im Rahmen der Restrukturierungsprozesse und zunehmender Verantwortungsdezentralisierung für die eigenverantwortlichen, sich selbst steuernden Organisationseinheiten erforderlich sind. Bislang hierarchisch ausgebil-

40

Modul II: Strategisches Management

Archivierungsfunktion

Suchfunktion

Distributionsfunktion

Zugriffsfunktion

Aggregationsfunktion Abbildung 11:

Information Warehouse — Funktionen.

dete Informations- und Kommunikationsstrukturen leisten hierzu keine ausreichende Unterstützungsfunktion. Das Information Warehouse besteht aus unterschiedlichen, in Abbildung 11 wiedergegebenen funktionalen Komponenten. Eine grundlegende Funktion ist die Zugriffsmöglichkeit auf die in unterschiedlichen internen Datenbanken befindlichen operativen Daten- und Informationsbestände, sowie auf weitere interne und externe Datenbanken, die entscheidungsrelevante Führungsinformationen enthalten. Ein weiterer funktionaler Schritt ist der Abgleich, die Aufbereitung und Aggregation dieser Daten. Dies ist notwendig, da der Anwender selten einzelne Datensätze, sondern konsolidierte Informationen zur schnellen Entscheidungsfindung benötigt. Zur bedarfsgerechten Bereitstellung dieser konsolidierten Daten wird eine Distributionsfunktion benötigt. Ferner ist als grundlegende Funktion die Archivierungsmöglichkeit der so gewonnenen konsolidierten Informationen in relationalen Datenbanken in einer multiplen Systemumwelt anzusehen. Die Speicherung und der Zugriff auf die Daten sollten jederzeit in einem günstigen Antwortzeitverhalten möglich sein. Intelligente Suchfunktionen, die die gewünschten Daten und Informationen erkennen und selektieren, sowie Steuerungs- und Analysefunktionen komplettieren das notwendige Funktionsspektrum eines Information Warehouse. Im Rahmen der Suchfunktionen ist es notwendig, dem Anwender auf einer Metainformationsebene Auskunft über das im Information Warehouse vorhandene Datenmaterial zu geben, damit dieser die für ihn notwendigen Informationen extrahieren kann. Hierzu benötigt er Metainformationen über den Aktualitätsgrad der Daten, sowie über Zugriffs- und Extraktionsmöglichkeiten, um gegebenenfalls auch eigene Selektionsanwendungen erstellen zu können. Diese Metainformationen lassen sich in eigenen Bibliotheken oder Katalogen darstellen. Kontrolle, Automatisierung und Fehlerbehebung aller ablaufenden Prozesse werden systemübergreifend durch die Steuerungsfunktion ermöglicht. Die Qualität eines Information Warehouse ist an den operativen Systemen orientiert, auf das es sich stützt. Nur die Daten und Informationen, die dort erfasst

Lernabschnitt 2:

Strategische Planung

41

werden, sind auch in ein Information Warehouse überführbar und können dort zu Führungsinformationen konsolidiert und zur Verfügung gestellt werden. Insofern ist nicht selten mit der Einführung eines Information Warehouse eine Reorganisation der unternehmensweiten Daten- und Informationserfassungsstrukturen verbunden.

Kontrollfragen • • •

Was ist die Aufgabe der Unternehmensführungl Wodurch unterscheiden sich Führungsinformationssysteme (FIS) und Information Warehouse? Was leistet ein Business Intelligence System (BIS)l

Lernabschnitt 2:

Strategische Planung

Die Notwendigkeit, angesichts knapper Ressourcen und Zeit Entscheidungen zu treffen und vorhandene Bedürfnisse zu befriedigen, macht Planung ebenso erforderlich wie die Zukunftsunsicherheit und die Unübersichtlichkeit von Umweltbedingungen und Nebenfolgen eines jeden Handelns. Planung lässt sich als gedankliche Vorwegnähme zukünftigen Handelns unter Beachtung des Rationalprinzips beschreiben. Planung bedeutet den geistigen, organisatorisch und institutionell ausgeformten Vorgang durch Entwürfe, Abschätzungen und Entscheidungen festzulegen, mit welchen Mitteln und auf welchen Wegen eine effektive Zielerreichung möglich erscheint. Sie bildet den logischen Ausgangspunkt der Unternehmensführung: Es wird darüber nachgedacht, was in und mit dem Unternehmen erreicht werden soll und wie es am besten zu erreichen ist. Dazu zählen • • • • • • •

Bestimmung der Zielrichtung Festlegung der Rahmenbedingungen Ermittlung zukünftiger Handlungsoptionen Bestimmung von Kosten und Folgen Auswahl der Handlungsoptionen Festlegen von Wegen und Schritten Bestimmung der zeitlichen und organisatorischen Abfolge

Aufgabe der Planung ist es, die Komplexität zu verringern und die für Entscheidungen, Handeln und Daseinsvorsorge notwendige Sicherheit, Stabilität und Vorausschau zu gewährleisten. Anhand unterschiedlicher Kriterien lassen sich folgende Arten der Planung herausstellen (Tabelle 16):

42

Modul II: Strategisches Management

Tabelle 16:

Planungsarten.

Kriterium

Ausprägungsformen

Rangfolge

• • •

Primärplanung Sekundärplanung Tertiärplanung

Zeitliche Reichweite

• • •

Kurzfristige P l a n u n g (bis ca. 1 Jahr): O p e r a t i v e P l a n u n g Mittelfristige P l a n u n g (1 bis 5 Jahre): Strategische P l a n u n g Langfristige P l a n u n g (über 5 Jahre): Strategische P l a n u n g

Sachgegenstand

• • • • • •

Budgetplanung Absatzplanung Beschaffungsplanung Produktionsplanung Personalplanung Finanzplanung

Konkretisierungsgrad

• • •

Rahmenplanung Globalplanung Detailplanung

Während die Strategische Planung längerfristige Aktionsziele verfolgt, geht es bei der Operativen Planung in der Regel um die kürzerfristige Disposition von Ressourcen. Die Strategische Planung umfasst am Beispiel des Gesundheitswesens insbesondere die fundierte Analyse des Medizin- und Patientenmarktes sowie das generelle und spezielle Marktpotenzial. Sie lässt sich als Prozess darstellen, bei dem eine Analyse der gegenwärtigen Unternehmenssituation sowie der zukünftigen Chancen und Risiken stattfindet und zur Formulierung von Absichten, Zielen, Strategien und Maßnahmen führt (Abbildung 12). Den Ausgangspunkt der Strategischen Planung bildet die Analyse. Dabei ist die gegenwärtige Unternehmenssituation zu untersuchen, indem sie alle internen und externen Daten auswertet, die für den Betrieb wichtig sein können. Die zu erwartende Entwicklung der betrieblichen Umwelt ist hierbei besonders zu beachten, um das Unternehmen mit seinen gegenwärtigen und zukünftigen Marktchancen beurteilen zu können. Dazu müssen die Informationen und Daten über die Bedingungen, denen sich der Betrieb nach außen hin gegenübersieht, in die strategische Planung eingehen. Die Bedingungen der Unternehmensumwelt am Beispiel einer Arztpraxis können sein: • • • • •

Medizinische Bedingungen: Medizinische Produkte, Behandlungsverfahren Wirtschaftliche Bedingungen: Gesundheitsmarkt, Patientennachfrage, Konkurrenzpraxen Ökologische Bedingungen Rechtliche Bedingungen: Rechtliches Innen- und Außenverhältnis der Praxis Sozio-kulturelle Bedingungen: Verhalten und Werte der Praxismitarbeiter und Patienten

Gegenstand der Analyse ist auch die Untersuchung der Potenziale, die die spezifischen Stärken und Schwächen gegenüber der Konkurrenz aufzeigen sollen. Daraus

Lernabschnitt 2:

Strategische Planung

43

Analyse der Umwelt der medizinischen Einrichtung und ihrer Ressourcen

Zielfindung der quantitativen und qualitativen Ziele einer Klinik oder Arztpraxis

:

Entwicklung der Strategien der medizinischen Einrichtung

:

Umsetzung der Strategien durch geeignete Pläne und Maßnahmen

Kontrolle des Umsetzungserfolges und Überprüfung der Strategien, Pläne und Maßnahmen

Abbildung 12:

Strategische Planung.

lassen sich bspw. für eine Klinik- oder Praxisleitung Anhaltspunkte gewinnen, was angesichts der sich abzeichnenden Chancen und Gefahren in den einzelnen Marktsegmenten des medizinischen Gesamtmarkts, in denen sie bereits agiert oder zukünftig agieren möchte, getan werden kann. In einem nächsten Schritt ist die langfristige Zielsetzung zu bestimmen, wobei ein Ziel als allgemein erwünschter Zustand, Zustandsfolge oder auch Leitwert für zu koordinierende Aktivitäten verstanden werden kann und von dem ungewiss ist, ob es erreicht wird. Die konkrete Zielbildung ist in einer Klinik- oder Arztpraxis ein komplexes Problem, da es eine eindimensionale Zielsetzung nicht gibt. Werden mehrere Ziele verfolgt, sind ihre Zielverträglichkeiten zu untersuchen (Tabelle 17). Tabelle 17:

Ziele einer Arztpraxis.

Kriterium

Ausprägungsformen

Soziale Ziele

• • • • • •

Entscheidungsspielräume und Selbstbestimmungsmöglichkeiten für die Praxismitarbeiter Anerkennung und Erfolg im Praxisteam Existenzsicherung durch festen Arbeitsplatz in der Praxis Verwirklichung/Entwicklung individueller Fähigkeiten der Praxismitarbeiter Angemessene Entlohnung Angenehmes Arbeitsklima im Praxisteam Fortsetzung auf Seite 44

44

Modul II: Strategisches Management

Tabelle 17:

(Fortsetzung)

Kriterium

Ausprägungsformen

Ökonomische Ziele

• • • • • •

Minimierung der Steuerlast der Praxis und Senkung der Praxiskosten Erhöhung der Anzahl an Privatpatienten Zügige Tilgung der Schulden für Praxisausstattung und Behandlungseinrichtungen Erhöhung des jährlichen Praxisgewinns Vermeidung schlecht honorierter Behandlungsleistungen Erhöhung des jährlichen Praxisumsatzes Erhöhung der Behandlungsfälle pro Quartal

Die Ziele können in unterschiedlichen Zielbeziehungen zueinander stehen. Sie können als Ober- und Unterziel einen höheren und einen niedrigeren Rang aufweisen, so dass ein Ziel nur durch Verwirklichung eines anderen Zieles erreicht werden kann. Eine weitere, bedeutende Unterscheidung ist das Verhältnis der Ziele untereinander: • • •

Komplementäre Ziele: Die Ziele ergänzen sich gegenseitig Konkurrierende Ziele: Die Ziele behindern sich gegenseitig Indifferente Ziele: Die Erreichung eines Zieles hat keinen Einfluss auf die Erfüllung eines anderen Zieles

Die Zielsetzung besteht in der Praxis immer aus einer Kombination von quantitativen und qualitativen Zielen, die aufeinander abzustimmen sind. In der Phase der Strategieentwicklung sind langfristig wirksame Maßnahmenkombinationen zu finden, die den Weg bestimmen, wie die geplanten Unternehmensziele erreicht werden sollen. Man versucht dabei diejenigen Faktoren, die die geplante Vorgehensweise beeinflussen könnten, von vornherein einzukalkulieren. Dabei ist es wichtig, zunächst Strategische Erfolgspotenziale (SEP) zu identifizieren, die es bspw. einer Klinik oder Arztpraxis durch den Aufbau von wichtigen, dominierenden Fähigkeiten ermöglichen, im Vergleich zu Konkurrenzeinrichtungen langfristig überdurchschnittliche Ergebnisse zu erzielen. Der Aufbau von SEPs ist eine Kernaufgabe der strategischen Unternehmensführung und versucht die Fragen zu beantworten, was die Klinik oder Arztpraxis „einzigartig" macht und warum Patienten gerade in diese Einrichtungen kommen sollen. Dazu können SEPs in folgenden Feldern gefunden werden: • • • •

Innovationskraft: Tempo und Nachhaltigkeit bei der Einführung neuer Behandlungsmethoden oder Medizintechnik Qualität: Zuverlässigkeit bei Behandlungsleistungen und Berücksichtigung der Fortschritte in der medizintechnischen Entwicklung Image: Ansehen, dass die medizinische Einrichtung im regionalen Gesundheitsmarkt hat Service: Neben der eigentlichen Behandlungsleistung kann auch zusätzlicher Patientenservice zu einer überdurchschnittlichen Positionierung beitragen

Lernabschnitt 2:

Strategische Planung

45

Im Mittelpunkt von Strategien für medizinische Einrichtungen steht die Abstimmung von Arztpraxis oder Klinik und ihrer jeweiligen Umwelt. Als Ausgangspunkt der Strategien können die langfristig angelegten Ziele angesehen werden, die die Einrichtungen verfolgen. Die Strategien selbst sind ebenfalls langfristig und für die gesamte medizinische Einrichtung wirksam (Tabelle 18). Tabelle 18:

Strategien medizinischer Einrichtungen.

Strategie

Inhalte

SpezialisierungsStrategie

• • • •

Innovations-Strategie

• • • •

Kosten-Strategie

• • • •

Marketing-Strategie

• • • •

Konzentration auf spezielle Behandlungsangebote Personelle und medizin-technische Ausrichtung der Ressourcen auf die speziellen Behandlungsangebote Führerschaft auf dem regionalen Gesundheitsmarkt bei speziellen Behandlungsleistungen Weiterbildung und Entwicklung der medizinischen Einrichtung auf dem Spezialgebiet Steigerung der Rate von Behandlungsinnovationen Patente, Lizenzen, Schutzrechte neuer Behandlungsmethoden Transfer und Publikation neuer Behandlungsmethoden Investition in die Entwicklung neuer Behandlungsangebote Kostenführerschaft bei vergleichbaren medizinischen Einrichtungen Senkung der Behandlungskosten Senkung der Kosten für medizinisches Verbrauchsmaterial Beschleunigung der Patientendurchlaufzeiten Einsatz von Werbemaßnahmen und Öffentlichkeitsarbeit Aufbau einer Marketing- und Serviceeinheit Entwicklung von Angeboten für spezielle Zielgruppen Zielgruppenorientierte Gestaltung der Behandlungsprogramm- und Entgeltpolitik

Die Umsetzung der Strategien erfolgt durch ein Bündel von Maßnahmenkombinationen, die für die Realisierung in einzelne, aufeinander abgestimmte Maßnahmen überführt werden müssen. Da die Praxisstrategien für nachgeordnete Planungen Führungsgrößen darstellen, besitzen sie dadurch eine Lenkungsfunktion und legen Art und Richtung der Entwicklung einer medizinischen Einrichtung fest. In der Phase der Kontrolle wir der Umsetzungserfolg überwacht, insbesondere, ob die langfristigen Ziele mit den eingeschlagenen Strategien und ergriffenen Maßnahmen erreicht werden. Bei Ergebnisabweichungen sind die Strategien und Maßnahmen zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Die Strategiequalität lässt sich daran messen, wie sehr sie das ganze Verhalten und das Leistungspotenzial einer medizinischen Einrichtung durchdringt. Die Leitung der Einrichtung trägt die Verantwortung für strategische Entscheidungen, die in einem permanenten, komplexen Abwägungs-, Informations-, Entscheidungsund Kontrollprozess getroffen werden, in den die Analyse der betriebswirtschaftli-

46

Modul II: Strategisches Management

chen Situation der Einrichtung, ihr geschätztes Marktpotenzial sowie die Wettbewerbschancen und -risiken einfließen. Richtung und Ausmaß der künftigen Entwicklung werden über den Umsetzungsprozess als Ergebnis des Vorgangs bestimmt.

Kontrollfragen • • • •

Was ist unter unternehmerischer Planung zu verstehen? Was unterscheidet operative und strategische Plan ungi Welche Zielbeziehungen beschreiben das Verhältnis von Zielen untereinander? Was sind strategische Erfolgspotenziale (SEP)1

Lernabschnitt 3:

Operative Planung

Bei der Operativen Planung wird im Zeitraum bis zu einem Jahr und in Zeitabschnitten bis zu einem Monat der Einsatz von Produktions- und Finanzmitteln sowie von Kapazitäten, Personal- und sonstigen Ressourcen hinsichtlich seines Umfangs bestimmt und festgelegt. Im Vergleich zur Strategischen Planung weist die Operative Planung folgende qualitative Unterschiede auf: • • • • • •

Größerer Informationsbedarf Wachsende Planungstiefe Zunehmende Abhängigkeiten Konkretisierende, quantitative Planungsvorgaben Geringere Ungewissheit Zunehmender Detaillierungsgrad

Im Mittelpunkt der Operativen Planung steht die Abstimmungsaufgabe-. Der Ressourceneinsatz ist zeitlich, vertikal und horizontal zu koordinieren. Die zeitliche Abstimmung umfasst die Integration der verschiedenen kurz-, mittel· und langfristigen Planungsperioden. Dazu wird bspw. das Verfahren der Fortschreibenden Planung (Rollierende Planung) angewendet, bei dem der gesamte Planungsprozess im jeweils neuen Planungszeitraum immer wieder vollständig durchlaufen und die einzelnen Planwerte bei Bedarf korrigiert werden (Abbildung 13). Bei der vertikalen Abstimmung sind die operativen Pläne mit über- und untergeordneten Einheiten zu koordinieren, um die unternehmerische Gesamt- und Einzelplanung zu realisieren. Dazu bieten sich folgende Verfahren an: • • •

Bi-polares-Verfahren: Globale Planvorgaben werden an die gegebenen Kapazitäten und Möglichkeiten angepasst Top-down-Verfahren: Vorgabe operativer Gesamtpläne durch die Leitung der medizinischen Einrichtung Bottom-up-Verfahren: Entwicklung der operativen Pläne durch einzelne Organisationseinheiten und Zusammenfassung auf der Leitungsebene

Lernabschnitt 3:

1. Planungszeitraum

Zeitabschnitt η

η+1

η+2

laufende Periode

Periode 2

Periode 3

Operative Planung

η+3

47

η +4

Planungskorrekturen

2. Planungszeitraum

laufende Periode

Periode 2

Periode 3

Planungskorrekturen

3. Planungszeitraum

Abbildung 13:

laufende Periode

Periode 2

Periode 3

Fortschreibende Planung.

Die horizontale Abstimmung umfasst in Abhängigkeit der Organisationsstruktur der Klinik- oder Praxiseinrichtung die Koordination der isoliert planenden Organisationseinheiten. Der Abstimmungsbedarf steigt mit dem Grad der funktionellen Gliederung der medizinischen Einrichtung. In die Abstimmung bei der Operative Planung mit einzubeziehen sind auch die Planungen, die unternehmensübergreifend über einzelne Organisationseinheiten hinweg erstellt werden, bspw. in Form von Projekten, etwa bei der Einführung medizintechnischer Großgeräte oder interdisziplinärer Behandlungskonzeptionen. Als Ergebnis der Operativen Planung lassen sich die verschiedenen Planerstellungen wichtigen betrieblichen Funktionsbereichen zuordnen: •

• •



Ergebnispläne: Zusammenstellung aller betrieblichen Aufwendungen und Erträge, um ihre Auswirkungen auf Höhe und Struktur des Gesamtergebnisses festzustellen und die vorgegebenen Bilanzstruktur- und Rentabilitätsziele zu erreichen Investitionspläne: Auswahl und Bewertung von Investitionsalternativen mit dem Ziel der Durchführung oder Unterlassung von Investitionen Kostenpläne: Planung von Einzel- und Gemeinkosten, Deckungsbeiträgen und Kostensenkungsmaßnahmen mit Hilfe unterschiedlicher Kostenrechnungssysteme Finanzpläne: Planung von Zahlungsmittelzu- und -abflüssen, der Anlage von Zahlungsmittelüberschüssen und der Deckung von Zahlungsmitteldefiziten

Ein wichtiges Instrument zur Umsetzung der Operativen Planung ist die Vorgabe von Budgets. Bei einem Budget handelt es sich um eine planerische Wertgröße, die einem oder mehreren Unternehmensbereichen für eine künftige Periode als Soll-Vorgabe zur Verfügung gestellt wird. Die Einhaltung der Gesamt- oder Teilbudgets wird kontrol-

48

Modul II: Strategisches Management

liert, um die Gesamtheit der damit verbundenen Zielvereinbarungen zu erreichen. Allerdings muss die Budgeteinhaltung auch im Rahmen des Möglichen liegen, um Budgetungleichgewichte und negative Motivationsauswirkungen zu vermeiden. Folgende Arten von Budgets lassen sich unterscheiden (Tabelle 19): Tabelle 19:

Budgetarten.

Budgetart

Erläuterung

Erfolgsbudgets

Zahlenmäßige Vorgaben für Kosten und Erlöse

Finanzbudgets

Zahlenmäßige Vorgaben für Erträge und Aufwendungen, Ein- und Auszahlungen sowie Geschäftsvolumina

Monats-/ Jahresbudgets

Zahlenmäßige Vorgaben mit unterschiedlicher zeitlicher Geltungsdauer

Bereichs-/ Abteil ungs-/ Projektbudgets

Zahlenmäßige Vorgaben mit unterschiedlicher Zweckbezogenheit oder aufbauorganisatorischer Zuordnung

Volumenbudgets

Zahlenmäßige Vorgaben vom Anteil am Geschäftsvolumen

Kostenbudgets

Zahlenmäßige Kostenvorgaben auf Voll- oder Teilkostenbasis

Die Budgetvorgaben umfassen somit den zahlungsmäßigen Teil der Operativen Planung und werden als Steuerungsgrößen in der Regel an die Leiter der Verantwortungsbereiche übertragen. Die Budgetierung selbst ist ein Planungsprozess, der zunächst aus einem auf der Übernahme von Planungsdaten basierenden Entwurf besteht, der mit anderen Teilbudgets abgestimmt, zum Gesamtbudget konsolidiert und schließlich von der zuständigen Entscheidungsinstanz genehmigt werden muss. Das genehmigte Budget dient schließlich den Entscheidungsträgern in den einzelnen Organisationseinheiten als Leistungsmaßstab und legt die damit verbundenen Verantwortlichkeiten fest. Das Budget wird dadurch auch zu einem Steuerungsinstrument der quantitativen Zielerreichung, das häufig im Rahmen des Unternehmenscontrollings eingesetzt wird.

Kontrollfragen • • • •

Was ist unter einer Fortschreibenden Planung (Rollierende Planung) zu verstehen? Warum sind bei der Operativen Planung die Pläne vertikal abzustimmen? Warum ist eine zu knappe Budgetbemessung zu vermeiden? Welche Funktion übernimmt das Budget gegenüber den Entscheidungsträgern?

Lernabschnitt 4:

Lernabschnitt 4:

Kontrolle

49

Kontrolle

Die betriebswirtschaftliche Kontrolle stellt einen Vergleich zwischen geplanten und realisierten Größen dar und analysiert bei auftretenden Abweichungen die Ursachen. Sie findet meist prozessbegleitend statt und gibt Hinweise, ob die Einleitung von Korrekturmaßnahmen oder die Abänderung von Plänen erforderlich ist. Dadurch bilden ihre Ergebnisse gleichzeitig den Ausgangspunkt von Neuplanungen und stoßen somit den Managementprozess der Unternehmensführung immer wieder von neuem an.

Unternehmerische Kontrolle

Externe Kontrolle

Interne Kontrolle

Ergebniskontrolle

Strategische Kontrolle

Operative Kontrolle

Prozesskontrolle

Hoheitliche Kontrolle

Pflichtkontrolle

Í Linlenaufgabe/Controlllng

Abbildung 14:

Í

bspw. Bundesamt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFln)

Wirtschaftsprüfer/ Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Unternehmerisches Kontrollsystem.

Anhand der Übersicht des unternehmerischen Kontrollsystems lassen sich folgende Arten der internen Kontrolle unterscheiden: Tabelle 20:

Kontrollarten.

Art/Kontrollschritt Ergebniskontrolle

Erläuterung Wertekontrolle

Erreichung von Vorgabewerten

Qualitätskontrolle

Einhaltung von Qualitätsnormen

Mengenkontrolle

Überprüfung von Mengenvorgaben

Terminkontrolle

Überwachung von Terminvorgaben Fortsetzung auf Seite 50

50

Modul II: Strategisches Management

Tabelle 20:

(Fortsetzung) Erläuterung

Art/Kontrollsehritt Strategische K o n t r o l l e

Annahmenkontrolle

Ü b e r p r ü f u n g der P r ä m i s s e n

Umsetzungskontrolle

Ü b e r w a c h u n g der D u r c h führung

Verfahrensüberwachung

Ü b e r w a c h u n g der G e s a m t planung

Abweichungserfassung

Festellen v o n S O L L - I S T Abweichungen

Anpassungskontrolle

Steuerung und Korrekturmaßnahmen

Berichtswesen

Verteilung v o n K o n t r o l l informationen

Prozesskontrolle

Revision

Laufende Verfahrenskontrolle

Hoheitliche Kontrolle / Pflichtkontrolle

Prüfung

Rückschauende Überwachung d u r c h b e t r i e b s f r e m d e Sachverständige

Operative Kontrolle

Bei der Ergebniskontrolle werden geplante Termine, Mengen, Wertgrößen oder Qualitätsstandards den tatsächlich erreichten gegenübergestellt und dadurch Ergebnisaussagen ermöglicht. Sie bildet mit dem Vergleich von erzielten Ergebnissen mit den Vorgabewerten die Grundlage für das unternehmerische Controlling, das die Leitung einer medizinischen Einrichtung mit Informationen zur betrieblichen Steuerung versorgt. Bei der strategischen Kontrolle werden zunächst die Annahmen über die externe Umweltsituation der medizinischen Einrichtung auf ihre Richtigkeit und Gültigkeit überprüft, um die Entscheidungssituationen über die grundlegenden strategischen Prämissen richtig strukturieren zu können. Anschließend wird die Umsetzung der Strategien kontrolliert, wobei anhand von strategischen Zwischenzielen und Meilensteinen Wirkungen und Abweichungen der Strategien überwacht werden. Die Verfahrensüberwachung stellt eine Gesamtkontrolle ausgewählter Geschäftsfelder und Wettbewerbskonzepte dar, um Krisenzeichen rechtzeitig erkennen zu können. Die Strategische Kontrolle erfolgt permanent. Die operative Kontrolle wird periodisch durchgeführt, d. h. laufend, aber zu vorher festgelegten Zeitpunkten und in bestimmten Zeitabschnitten. Die Abweichungserfassung erfolgt mit Hilfe von Soll-Ist-Vergleichen, die Abweichungen verhindern oder zumindest in tolerierten Grenzen halten sollen. Folgende Vergleichsarten werden dabei angewendet: • • •

Temporaler Vergleich: Vergleich von Zeitpunkten oder Zeiträumen Wertebezogener Vergleich: Vergleich von Ergebnis- oder Verbrauchswerten Objektbezogener Vergleich: Vergleich von Organisationseinheiten, Benchmarks

Lernabschnitt 4:

Kontrolle

51

Ziel der Anpassungskontrolle ist es, Störgrößen und ihre Ursachen sowie Wirkungsweisen zu erkennen, um Anpassungen an die vorgegebenen Planwerte vornehmen zu können. Dies geschieht in der Regel durch Maßnahmenpläne, die Hinweise auf situationsabhängige Korrekturmaßnahmen enthalten. Abweichungen können entstehen durch fehlerhafte • • •

Durchführung: ungeeignete Arbeitsmittel, fehlerhafte Prozesse Kontrollen: mit Fehlern behaftete Sollwerte, falsche Ermittlung der Istwerte Planung: ungeeignete Planungsmethoden, unzureichende Informationen, Fehler bei der Situationsbeschreibung

Die Berichterstattung richtet sich nach Berichtszweck und -empfänger und muss dazu die geeigneten Daten sammeln, konzentrieren und zur Verfügung stellen. Während die Leitungsorgane einer medizinischen Einrichtung eher zahlreiche Informationen mit einem hohen Verdichtungsgrad benötigen, reicht auf niedrigeren Ebenen oft ein kleinerer Informationsumfang anhand operationeller Daten aus. Auch ist darauf zu achten, ob die Informationen intern oder als Informationen für Patienten, Lieferanten oder konkurrierende Einrichtungen gedacht sind. Die Prozesskontrolle wird als permanente Verfahrenskontrolle häufig von einer eigenen Organisationseinheit ausgeführt, der Revision. Sie ist ein von den zu kontrollierenden Objekten unabhängiges Überwachungselement, das zur Unternehmenssicherung und -Steuerung der Leitungsebene in der Regel direkt berichtet und sie berät. Die Revision ist gekennzeichnet durch: • • • •

Loslösung vom betrieblichen Arbeitsprozess Geplante Kontrollen Beauftragung von der Unternehmensleitung Unabhängige Mitarbeiter

Die Revision unterscheidet sich von der Kontrolle dadurch, dass sie organisatorisch fest in den betrieblichen Ablauf eingebaut ist und parallel zu den betrieblichen Prozessen durchgeführt wird. Sie erfolgt nach den Grundsätzen der •





Ordnungsmäßigkeit: Zuverlässigkeit des Zahlenmaterials, denn die Entscheidungsunterlagen für das Management werden in großem Maße aus dem Zahlenmaterial des Rechnungswesens gewonnen. Wirtschaftlichkeit: Laufende Uberprüfung der Organisation, um die ständige Anpassung der Organisation an die wechselnden Bedingungen und Aufgaben des Betriebes sicherzustellen Rentabilität: Verlustquellen aufzeigen und Ansätze für Rentabilitätsverbesserungen sichtbar machen

Die wesentliche Aufgabe der internen Revision ist das Financial Auditing, die Prüfung des betrieblichen Rechnungswesens. Dabei geht es um die Feststellung der Ordnungsmäßigkeit und Zuverlässigkeit des Finanz- und Rechnungswesens durch einen umfassenden Soll-Ist-Vergleich, der folgendes in allen betrieblichen Bereichen mit Ausnahme der Unternehmensführung, umfasst: • •

angewandte Methoden Gesamtheit der inner- und überbetrieblichen Richtlinien und Vorschriften

52

• • •

M o d u l II: Strategisches M a n a g e m e n t

Ziel- und Mittelentscheidungen Zweckmäßigkeit der Strukturen Arbeitsabläufe

Die über das Financial Auditing hinausgehenden Aktivitäten werden als Operational Auditing bezeichnet. Erweitert man die Prüfungsobjekte um die Unternehmensführung, so handelt es sich um das Management Auditing, bei dem sowohl die Führungsinstitution als auch der Führungsvorgang einer Prüfung unterzogen wird. Dem Operational und Management Auditing gemeinsam ist die Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Arbeitsabläufe, um mit dem Ziel der Yerfahrensverbesserung daraus konstruktive Empfehlungen ableiten zu können (Abbildung 15): Management Auditing Überprüfung von Führungsinstitution und -Vorgang

Operational Auditing Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Arbeitsabläufe

Financial Auditing Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit und Zuverlässigkeit des Finanz- und Rechnungswesens

Abbildung 15:

Revisionsaufgaben.

Von der Revision zu unterscheiden ist die Prüfung, die ein überwiegend rückschauendes Uberwachungselement darstellt, das aus einem Vergleich eines Ist-Objektes mit einem Soll-Objekt besteht und mit einem Urteil über die Qualität des Ist-Objektes endet. Wie bei der Revision besteht auch bei der Prüfung weder eine unmittelbare oder direkte noch eine mittelbare oder indirekte Abhängigkeit von dem zu überwachenden betrieblichen Vorgang. Allerdings wird die Prüfungsfunktion nicht von betriebsangehörigen Personen vorgenommen, sondern von betriebsfremden unabhängigen Sachverständigen. Für große und mittelgroße Kapitalgesellschaften und Unternehmen, die unter das Publizitätsgesetz (PublG) fallen, ist sie als Jahresabschlussprüfung verpflichtend vorgeschrieben. Sie darf in der Regel nur von Wirtschaftsprüfern und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften vorgenommen werden, so dass der Jahresabschluss erst nach Durchführung der Jahresabschlussprüfung festgestellt werden kann. Überprüft werden dabei: • • •

Jahresabschluss: Bilanz, GuV und Anhang Buchführung Lagebericht

Lernabschnitt 4:

Kontrolle

53

Die Aufgabe besteht darin, festzustellen, ob die sich auf die Rechnungslegung beziehenden gesetzlichen Vorschriften und die sie ergänzenden Bestimmungen der Satzung oder des Gesellschaftsvertrages beachtet sind. Die Prüfung ist so anzulegen, dass Verstöße, die sich wesentlich auf die Darstellung der wirtschaftlichen Lage auswirken, erkannt werden, und ihr Ergebnis wird in einem Bestätigungsvermerk (Testat) zusammengefasst. Tabelle 21 fasst die wesentlichen Unterschiede zwischen Kontrolle, Revision und Prüfung zusammen: Tabelle 21:

U n t e r s c h i e d e zwischen K o n t r o l l e , Revision u n d P r ü f u n g .

Unterscheidungskriterien

Kontrolle

Revision

Prüfung

Personal

Eigene Mitarbeiter, die in die laufenden Prozesse eingebunden sind

Eigene Revisionsmitarbeiter, die nicht in die laufenden Prozesse eingebunden sind

Betriebsfremde Wirtschaftsprüfer

Abhängigkeit

Per Dienstvertrag arbeitsrechtlich abhängig

Per Dienstvertrag arbeitsrechtlich abhängig

Freiberufliche Tätigkeit

Zeitbezogenheit

Ständige, kontinuierliche Überwachung

Einmalige, punktuelle Revision, in der Regel vergangenheitsorientiert

Einmalige, punktuelle Prüfung, in der Regel vergangenheitsorientiert

Beauftragung

Laufende Kontrolle ohne gesonderten Auftrag

Revisionsauftrag nach risikoorientiertem Revisionsplan

Prüfungsauftrag nach gesetzlichen oder freien Prüfungen

Methoden

Festgelegte und in die Prozesse integrierte Kontrollschritte

Geplante Revisionen oder Sonderrevisionen mit und ohne Ankündigung

Periodische, angekündigte Prüfungen

Berichterstattung

Direkt/indirekt an die Leiter der Prozesse

Direkt an die Leitungsorgane

Direkt an die Leitungsorgane oder aufsichtführende Organe

Hoheitliche Prüfungen im medizinischen Bereich werden in der Regel vorgenommen von den Trägern einer medizinischen Einrichtung, Standesorganisationen, Krankenkassen oder Gewerbeaufsichtsämtern.

54

Modul II: Strategisches Management

Kontrollfragen • • • *• •

Welche Rolle spielt die Kontrolle im Regelkreis des Managementprozesses? Wodurch unterscheidet sich die Revision von der Kontrolle? Nach welchen Grundsätzen erfolgt die Revisioni Was ist dem Operational und dem Management Auditing gemeinsam? Was ist die Aufgabe der Jahresabschlusspriifungl

Literaturhinweise Bantleon U., Amling T.: Handbuch der Internen Revision, Erich Schmidt Verlag, Berlin 2007 Ehrmann H.: Unternehmensplanung, Kiel-Verlag, Ludwigshafen 2007 Ehrmann T.: Strategische Planung, Springer-Verlag, Berlin 2007 Fallgatter M., Becker F.: Strategische Unternehmensführung, Erich Schmidt Verlag, Berlin 2007 Frodi Α.: Management von Arztpraxen, Gabler-Verlag, Wiesbaden 2004 Frodi Α.: Managementlexikon für Mediziner, Schattauer-Verlag, Stuttgart 2007 Graumann M.: Wirtschaftliches Prüfungswesen, NWB-Verlag, Herne 2007 Grünberger H.: Grundzüge der Wirtschaftsprüfung, Schmidt-Verlag, Köln 2004 Hammer R.: Unternehmensplanung, Oldenbourg-Verlag, München 1997 Hinterhuber H.: Wettbewerbsstrategie, 2. Aufl., Walter de Gruyter-Verlag, Berlin 1990 Kiunke S.: Strategische Unternehmensplanung und Balanced Scorecard, Hampp-Verlag, Mering 2005 Koschnik W.: Management, Walter de Gruyter-Verlag, Berlin 1996 Kullmann S., Berwanger J.: Interne Revision, Gabler-Verlag, Wiesbaden 2007 Lettau H.: Strategische Planung, Gabler-Verlag, Wiesbaden 2001 Link J.: Führungssysteme, Vahlen-Verlag, München 2007 Meier H.: Unternehmensführung, NWB-Verlag, Herne 2006 Peemöller V., Förschle G.: Wirtschaftsprüfung und Interne Revision, Verlag Recht und Wirtschaft, Heidelberg 2004 Pischulti H, Olfert K : Unternehmensführung, Kiel-Verlag, Ludwigshafen 2007 Quick R., Ruhnke K , Marten K : Lexikon der Wirtschaftsprüfung, Schäffer-Poeschel-Verlag, Stuttgart 2006 Quick R., Ruhnke K , Marten K : Wirtschaftsprüfung, Schäffer-Poeschel-Verlag, Stuttgart 2007 Salfeld R., Coenenberg Α.: Wert orientierte Unternehmensführung, Schäffer-Poeschel-Verlag, Stuttgart 2007 Schreyögg G.: Unternehmensstrategie, Walter de Gruyter-Verlag, Berlin 1984 Schreyögg G., Steinemann H.: Management, Gabler-Verlag, Wiesbaden 2005 Souren R., Dyckhoff H.: Nachhaltige Unternehmensführung, Springer-Verlag, Berlin 2007 Stoi R., Dillerup R.: Praxis der Unternehmensführung, Vahlen-Verlag, München 2007 Tanski J.: Interne Revision im Krankenhaus, Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 2001 Ulrich P , Maak F.: Integre Unternehmensführung, Schäffer-Poeschel-Verlag, Stuttgart 2007 Wulf T., Hungenberg H.: Grundlagen der Unternehmensführung, Springer-Verlag, Berlin 2007

Modul III: Finanzwesen

Investitionen in Behandlungseinrichtungen und die Finanzierung derselben gehören zum medizinischen Alltag. Die Renovierung von Praxisräumen oder die Anschaffung neuer medizintechnischer Geräte stellen Investitionen dar, die es mit Hilfe geeigneter Verfahren zu bewerten gilt. Zahlreiche Finanzierungsalternativen bieten unterschiedliche Möglichkeiten, das benötigte Kapital bereitzustellen. Die Finanz- und Liquiditätsplanung sorgt dafür, dass Zahlungsengpässe möglichst vermieden werden, um eine drohende Insolvenz bei Zahlungsunfähigkeit einer medizinischen Einrichtung abzuwenden. Da die Finanzierungen häufig durch die Inanspruchnahme von Fremdkapital erfolgen, sind Kenntnisse des Kreditwesens vorteilhaft.

Lernabschnitt 1:

Finanzierung

In der betriebswirtschaftlichen Literatur und Praxis existiert kein einheitlicher Begriff der Finanzierung, so dass man im engeren Sinne darunter lediglich die Beschaffung von Eigen- und Fremdkapital verstehen kann, aber auch im weiteren Sinne die Gestaltung aller Zahlungsströme eines Unternehmens. Sie lässt sich einteilen nach der Häufigkeit des Vorkommens, der Finanzierungsdauer, der Rechtsstellung des Kapitalgebers oder der Herkunft der Finanzmittel (Abbildung 16). Die Finanzierung ist häufig durch eine Kombination der angeführten Einteilungskriterien gekennzeichnet. Bildet ein Betrieb bspw. Pensionsrückstellungen, so erwerben die Mitarbeiter Anwartschaften auf spätere Pensionszahlungen, so dass diese Rückstellungen Fremdkapitalcharakter haben. Sie erfüllen aber auch das Kriterium der Innenfinanzierung, da die durch die Rückstellungsbildung gebundenen Geldmittel intern aufzubringen sind. Oberstes Ziel der Finanzierung ist es, das finanzielle Gleichgewicht eines Unternehmens zu erreichen und zu erhalten. Zu ihren wichtigsten Aufgaben zählen daher: • • • •

Finanzierungsbedarf ermitteln: Absatz-, Produktions- und Finanzplanung durchführen Kapitalbeschaffung durchführen: Eigen- und Fremdkapitalgeber festlegen Zweckgerichtete Kapital Verwendung sicherstellen: Investitionsbewertungen und -berechnungen vornehmen Kapital verwalten: Kapitalanlage und -einsatz planen und kontrollieren

Das Kapital lässt sich in diesem Zusammenhang allgemein als die Finanzierungsmittel beschreiben, die für Investitionen zur Verfügung stehen. Es ist somit der wertmäßige Ausdruck für die Gesamtheit aller Sach- und Finanzmittel. Je nach Uberlassungsform lässt es sich unterscheiden in Eigen- und Fremdkapital, wobei

56

Modul III: Finanzwesen

Abbildung 16:

Einteilung der Finanzierung.

das Eigenkapital die Mittel umfasst, die der Eigentümer zur Verfügung stellt. Es haftet bei Verlusten zum Schutz der Gläubiger vor Forderungsausfällen und resultiert in einer Bilanz aus der Differenz zwischen Vermögen und Schulden. Bei einem Vermögensüberschuss wird es auch als Reinvermögen bezeichnet, bei einem Verbindlichkeitenüberhang als negatives Eigenkapital. Dies stellt gleichzeitig eine Uberschuldung dar, was bei Kapitalgesellschaften einen Insolvenzgrund bedeutet. Fremdkapital wird von Gläubigern zur Verfügung gestellt und weist in seiner Summe die Höhe der Verschuldung aus. Die Gläubiger haben unabhängig von der Ertragslage Anspruch auf Verzinsung und Rückzahlung und sind grundsätzlich nicht am Verlust beteiligt. Demnach steht ihnen grundsätzlich kein Recht auf Beteiligung an den Entscheidungen der Leitung einer medizinischen Einrichtung, die Fremdkapital nutzt, zu, was sich in der Realität aufgrund entstehender Abhängigkeitsverhältnisse vielfach anders darstellt. Auf der Aktivseite einer Bilanz wird die Verwendung des Kapitals aufgezeigt, in Form von Anlagevermögen, das als Gebäude oder Maschinen mehrere Produktionsprozesse überdauert, bzw. Umlaufvermögen, das als Rohstoff oder Geld einen abstrakten Wert darstellt, der stets monetär ausgedrückt wird. Die Eigentümer und Gläubiger haben somit keinen Anspruch auf bestimmte Produktionsmittel, sondern nur Ansprüche auf Kapitalrechte, die bspw. in Form von Aktien übertragbar sind. Als Preis für die Nutzung der Kapitalrechte gilt der Zins. Das Vermögen ist demnach das bilanzielle Äquivalent des Kapitals und stellt die Summe der Werte aller materiellen und immateriellen Güter, in denen das Kapital

Lernabschnitt 1:

Finanzierung

57

investiert ist, dar, bzw. zeigt an, welche konkrete Verwendung das Kapital gefunden hat. Je nach Herkunft der Mittel lassen sich die in Tabelle 22 wiedergegebenen Finanzierungsformen unterscheiden. Tabelle 22:

Finanzierungsformen.

Außenfinanzierung

Kreditfinanzierung

Persönliche Darlehen Bankdarlehen Obligationen Lieferantenkredit Patientenkredit Kurzfristige Bankfinanzierung

Beteiligungsfinanzierung

Anteile an der Klinik oder Arztpraxis Haftende Einlagen Kapitalnachschuss Aktienemission

Sonderformen

Leasing Factoring Abschreibungswerte

Innenfinanzierung

Offene Selbstfinanzierung Versteckte Selbstfinanzierung

Bei der Außenfinanzierung wird Kapital in der Regel durch Dritte (Banken, Lieferanten) leihweise zur Verfügung gestellt. Wird dabei Eigenkapital zur Verfügung gestellt, wird sie auch Beteiligungsfinanzierung (Eigenfinanzierung) genannt und wenn Fremdkapital in Anspruch genommen wird, dann Kreditfinanzierung (Fremdfinanzierung). Die Außenfinanzierungsmöglichkeiten hängen maßgeblich ab von • • • •

den Möglichkeiten zur Bereitstellung von Eigenfinanzierungsmitteln im Wege der Innenfinanzierung der rechtlichen Organisationsform den steuerlichen Gegebenheiten den Konditionen an den Finanzmärkten

Die Kreditfinanzierung stellt überlassenes Kapital dar, das gegen vereinbartes Entgelt (Zins) und ohne unmittelbare Einflussnahme auf die Leitung der medizinischen Einrichtung zur Verfügung gestellt wird. Das Darlehen ist dabei eine häufige Form der langfristigen Kreditfinanzierung und stellt einen Kredit dar, der

58

• • • •

Modul III: Finanzwesen

in einer Summe oder in Teilbeträgen zur Verfügung gestellt wird und in festgelegten Raten (Ratenkredit, Tilgungskredit) oder auf einmal nach Ablauf der vertraglich geregelten Laufzeit zurückzuzahlen ist (Kredit mit Endfälligkeit).

Die Zinsen stellen dabei das Entgelt für den Nutzungswert des Kapitals dar. Bei dem persönlichen Darlehen handelt es sich um einen Kredit, den eine Einzelperson gewährt und bei dem Laufzeit, Raten und Zinsen individuell vereinbar sind. Zu den Bankdarlehen zählen alle Formen üblicher langfristiger Bankkredite, wie zum Beispiel: • • •

Investitionsdarlehen Hypothekendarlehen Bau spardarlehen

Darlehen mit Zinsanpassung werden mit variablem Zinssatz häufig in einer Hochzinsphase aufgenommen, um später auf einen günstigeren Festzinssatz umsteigen zu können. Darlehen mit Zinsfestschreibung sind Kredite, die zu einem für eine bestimmte Periode vereinbarten Festzinssatz ausgeliehen werden, was insbesondere in einer Niedrigzinsphase von Vorteil sein kann, da der feste Zinssatz für die zugrunde liegende Investition eine sichere Kalkulationsgrundlage bildet. Obligationen stellen eine Form der langfristigen Kreditfinanzierung dar, die im Wesentlichen • • •

Teilschuldverschreibungen (Wandelschuldverschreibungen mit Umtauschrechten auf Aktien für Gläubiger) darstellen als Optionsanleihen Bezugsrechte auf Aktien verbriefen als Gewinnschuldverschreibungen einen Anspruch auf Gewinnbeteiligung in bestimmtem Verhältnis zu Gewinnanteilen von Aktionären darstellen

Zu den kurzfristigen Formen der Kreditfinanzierung zählt der Lieferantenkredit, der von Lieferanten für medizinischen Bedarf durch das Einräumen von Zahlungszielen gewährt werden kann, ebenso, wie eine Patientenanzahlung, die als vorfällige Anzahlung medizintechnischer Produkte, Behandlungs- oder Therapieleistungen ebenfalls einen Kredit darstellt. Bis zum Zeitpunkt der Leistungserstellung und der damit verbundenen Kostenentstehung kann über diesen Anzahlungsbetrag verfügt werden. Der Kontokorrentkredit zählt zur kurzfristigen Bankfinanzierung, bei dem es sich um einen Barkredit in laufender Rechnung handelt, den Banken und Sparkassen auf einem laufenden Konto (Kontokorrentkonto) zur Verfügung stellen und den der Kreditnehmer innerhalb der vereinbarten Laufzeit im Rahmen der abgesprochenen Kreditlinie in Anspruch nehmen kann. Bei einem Wechsel handelt sich um ein Orderpapier, in dem sich der Aussteller ohne Angabe des Schuldgrundes selbst verpflichtet, eine bestimmte Geldsumme an den in der Urkunde bezeichneten Wechselnehmer zu zahlen. Die Kreditfinanzierung über Wechsel basiert auf der Inzahlungnahme noch nicht fälliger Wechsel. Durch Weitergabe, insbesondere Diskontierung (Verkauf eines Wechsels an ein Kreditinstitut, um sich dadurch liquide Mittel zu beschaffen) bei einer Bank, kann

Lernabschnitt 1:

Finanzierung

59

der Wechsel in der Zeit von der Ausstellung bis zum Verfalltermin wieder in Zahlung gegeben oder zu Geld gemacht werden. Das ankaufende Kreditinstitut hat die Möglichkeit, ihn bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen (bundesbankfähige Wechsel) an die Deutsche Bundesbank weiterzugeben oder einen Lombardkredit in Anspruch zu nehmen. Der Lombardkredit ist ebenfalls eine Möglichkeit der kurzfristigen Bankfinanzierung, bei der es sich um eine Kreditgewährung gegen Verpfändung von beweglichen Sachen und Rechten handelt. Er wird daher auch häufig als ein durch Verpfändung gesicherter Kontokorrentkredit gewährt. Als Pfandobjekte, die an den Kriterien Werthaltigkeit, einfache und schnelle Verwertbarkeit zu messen sind, können in Frage kommen: • • • • • •

Lohn- und Gehaltsforderungen Medizinisch-technische Einrichtungen Forderungen aus Spareinlagen Edelmetalle und Schmuck Forderungen aus Behandlungsleistungen Rechte aus Lebensversicherungsverträgen

Während bei Gegenständen eine Sicherungsübereignung praktiziert wird, werden die Forderungen zum Zwecke der Kreditsicherung in der Regel nicht verpfändet, sondern sicherungsweise abgetreten. Ein Aval als weitere Form kurzfristiger Bankfinanzierung stellt eine Bürgschaft bzw. Garantieübernahme durch die Bank für andere Kredite dar, wobei die Bank als Avalkreditgeber gegenüber Dritten die Haftung für eine bestimmte Geldsumme durch eine Bürgschaft oder einer Garantie übernimmt. Dafür werden prozentual auf den Wert der herausgegebenen Avalurkunden Avalprovisionen berechnet, die abhängig sind von • • • • •

den gestellten Sicherheiten der Laufzeit des Avalkredits der Größenordnung der Einzelgeschäfte der Kreditnehmerbonität der Art der abzusichernden Risiken

Zur Außenfinanzierung zählt auch die Beteiligungsfinanzierung (auch: Eigenfinanzierung), bei der die Eigentümer von außen Kapital zuführen. Als Beteiligung ist dabei das Mitgliedschaftsrecht anzusehen, das durch Kapitaleinlage (Geld- oder Sacheinlage) erworben wird. Eine Stille Beteiligung ist dadurch gekennzeichnet, dass der stille Anteilsnehmer nach außen nicht in Erscheinung tritt, und stellt für ihn daher eine Kapitalanlagemöglichkeit dar. Ihm steht ein Kontrollrecht über die Jahresbilanz zu, jedoch keine Widerspruchsrechte bei Handlungen der Leitung der medizinischen Einrichtung. Auch die Beteiligung am laufenden Gewinn und Verlust ist Wesensmerkmal der typischen stillen Beteiligung. Als Anteil wird der Umfang der Beteiligung eines Anteilnehmers bezeichnet. Die Verfügungsbefugnis über den Anteil hängt von der rechtlichen Organisationsform ab. Die mit der Einlage verbundene Haftung kann bezüglich einer Verlustbe-

60

Modul III: Finanzwesen

teiligung vertraglich ausgeschlossen werden, wobei der stille Anteilsnehmer den Gläubigern gegenüber nicht haftet. Der Kapitalnachschuss stellt eine nachträgliche Erhöhung des Kapitals der durch Vertrag oder Satzung für die Anteilseigner festgelegten Beiträge bzw. Ergänzung von durch Verlust geminderten Einlagen dar. Während bei Personengesellschaften keine gesetzlich vorgesehene Nachschusspflicht besteht, kann die Satzung einer G m b H eine beschränkte oder unbeschränkte Nachschusspflicht vorsehen. Durch Preisgabe und Veräußerung (Abandonierung) seines Anteils kann sich der Anteilseigner von der unbeschränkten Nachschusspflicht befreien. Eine besondere Form der Beteiligung ist die durch Venture Capital (VC). Sie stellt eine Finanzierung von Investitionen durch Risiko- oder Wagniskapital dar, wobei die Bereitstellung von haftendem Kapital über einen bestimmten Zeitraum verbunden ist mit unternehmerischer Beratung für Risikoprojekte bspw. im Bereich von Innovationen, Forschung und Entwicklung. Die Bereitstellung des Kapitals erfolgt dabei weitgehend ohne Sicherheiten allein aufgrund der geschätzten Ertragschancen des zu finanzierenden Projektes. Kapitalgeber sind häufig spezielle Beteiligungsfonds, die aus Gründen der Risikostreuung an mehreren unterschiedlichen innovativen Projekten in verschiedenen Branchen beteiligt sind. Venture Capital Fonds beteiligen sich häufig als stiller Gesellschafter, wodurch die Möglichkeit der vertraglichen Vereinbarung eines Ausschlusses der Verlustbeteiligung besteht. Die Aktienemission stellt die Ausgabe von Aktien im Rahmen der Beteiligungsfinanzierung (Einlagenfinanzierung) bzw. Selbstfinanzierung einer Aktiengesellschaft im Zuge einer Kapitalerhöhung dar. Die Aktie ist als Wertpapier ein Bruchteil des Grundkapitals einer Aktiengesellschaft und repräsentiert einen in Euro ausgedrückten, nach der Gesamtzahl der ausgegebenen Aktien berechneten Bruchteil des Grundkapitals. Die in der Aktie verkörperte Mitgliedschaft umfasst die Rechte und Pflichten des Aktionärs • • • • •

Recht auf Gewinnanteil (Dividende) Recht zur Teilnahme an der Hauptversammlung Stimmrecht in der Hauptversammlung Bezugsrecht auf junge Aktien bei Kapitalerhöhungen Recht auf quotenmäßigen Anteil am Liquidationserlös

Die wichtigsten Aktienarten sind in Tabelle 23 wiedergegeben. Tabelle 23:

Aktienarten.

Unterscheidungskriterium

Aktienarten

Eigenschaft

Übertragungsart

Inhaberaktie

Alle Aktionärsrechte können vom Inhaber einer Aktie geltend gemacht werden.

Namensaktie

Aktionär muss zur Legitimation mit Name und Beruf im Aktienbuch der Aktiengesellschaft eingetragen sein.

vinkulierte Namensaktie

Eigentumswechsel muss von der Aktiengesellschaft genehmigt werden.

Lernabschnitt 1:

Tabelle 23:

Finanzierung

61

(Fortsetzung)

Unterscheidungskriterium

Aktienarten

Eigenschaft

Rechteumfang

Stammaktie

Enthält alle Aktionärsrechte.

Vorzugsaktie

Vorzugsrechte wie bspw. höhere Dividendenzahlungen; in der Regel eingeschränktes Stimmrecht.

Nennwertaktie

Verbriefter Nennwert, der einen bestimmten Anteil am Grundkapital ausdrückt (mindestens einen Euro oder ein Vielfaches davon).

Stückaktie

Nennwertlose Aktie, bei der sich der Anteil am Grundkapital durch Division des Grundkapitals durch die Anzahl der Aktien ergibt; Vorteil: Bei Kapitalveränderungen müssen die Aktien nicht umgestempelt oder ersetzt werden.

Nennwert

Ist die Aktiengesellschaft an der Börse notiert, wird der Wert der Aktien täglich durch den Börsenkurs ermittelt, wobei eine Aktie jedoch nicht zwangsläufig zum Börsenhandel zugelassen sein muss, wenn die Aktiengesellschaft die Börsenvorschriften nicht erfüllt oder ihre Mehrheitsverhältnisse nicht in Gefahr kommen sollen. Die Aktienausgabe über die Börse wird als Emission bezeichnet, danach wird der Kurs einer Aktie börsentäglich durch Angebot und Nachfrage an der Börse bestimmt. Dadurch können sich der Kurs und damit der Wert der Gesellschaft tagtäglich verändern. Der rechnerische Ertrag eines Aktionärs ermittelt sich folgendermaßen: Tageskurs - Kaufkurs + Dividendenzahlungen - Bankgebühren = Ertrag Die allgemeine Entwicklung am Aktienmarkt wird durch einen Aktienindex abgebildet. Im Gegensatz zur Aktie verbrieft ein Genussschein nur Vermögensrechte (Genussrechte), aber normalerweise kein Stimmrecht. Genussscheine können sehr unterschiedlich ausgestaltet sein und bspw. einen prozentualen Anteil am Gewinn bzw. Liquidationserlös garantieren oder ein Umwandlungsrecht in Aktien vorsehen. Zu den Sonderformen der Außenfinanzierung (unechte Finanzierungsformen) zählt das Factoring, das als laufender Ankauf von Geldforderungen gegen einen Drittschuldner (bspw. Patient) aus Dienstleistungen durch ein Finanzierungsinstitut (Factor) beschrieben werden kann. Das Factoringinstitut übernimmt gegen Entgelt • • •

das Mahnwesen das Ausfallrisiko die Buchführung

62

Modul III: Finanzwesen

Es stellt der die Patientenforderungen verkaufenden medizinischen Einrichtung sofort Liquidität zur Verfügung. Das Leasing gehört als kapitalsubstitutive Finanzierungsform ebenfalls zu den Sonderformen der Außenfinanzierung und bedeutet die Überlassung von Wirtschaftsgütern durch den Hersteller oder eine Finanzierungsgesellschaft, die es erwirbt und ihrerseits für eine vertragsgemäße Nutzungsdauer vermietet. Hierfür sind regelmäßige gleich bleibende Zahlungen (Leasingraten) oder auch eine Miet-Sonderzahlung zu erbringen, die insgesamt folgende Vorteile aufweisen können: • • • • •

klare Kalkulationsgrundlage für die Liquiditätsplanung aufgrund konstanter Leasingraten als gewinnmindernde Betriebsausgabe geltend machbare Miete geringer Finanzbedarf im Jahr der Anschaffung Möglichkeit der Anpassung an den stets neuesten Stand der Medizintechnik Erweiterung der Verschuldungsgrenze und damit zusätzliche Finanzierungspotenziale

Mit dem Leasing gehen jedoch in der Regel hohe Mietausgaben einher und auch eine Belastung mit ausgabewirksamen Fixkosten während der Gesamtmietzeit, welche vielfach höher sind als Zins- und Tilgungsleistungen einer vergleichbaren Fremdfinanzierung. Eine weitere Sonderform der Außenfinanzierung ist schließlich die Finanzierung aus Abschreibungswerten. Dabei handelt es sich um eine reine Vermögensumschichtung aufgrund des Rückflusses der Abschreibungen in die Umsätze, wobei die Zahlungsmittel bis zur Durchführung der Ersatzbeschaffung der Abschreibungsobjekte anderweitig verwendet werden. Die für die Ersatzbeschaffung vorgesehenen Abschreibungserlöse stehen als Finanzmittel zur Verfügung und führen erst zu einem späteren Zeitpunkt zu Ausgaben. Man bezeichnet dies auch als „Kapitalfreisetzungseffekt", wobei das freigesetzte Kapital umso größer ist, je länger die Nutzungsdauer der medizinisch-technischen Geräte und je höher deren Nutzungsintensität ist. Zu den Formen der Innenfinanzierung zählt zunächst die Selbstfinanzierung (ebenfalls eine Form der Eigenfinanzierung) aus dem Überschuss für erbrachte Leistungen, bei der keine möglichen Anteilseigner und Gläubiger beansprucht werden. Bei ihr werden Teile des in der Geschäftsperiode erzielten Gewinns einbehalten und dadurch eine Erhöhung des tatsächlich vorhandenen Eigenkapitals erzeugt. Sie ist eine rechtsformunabhängige Form der Finanzierung und stellt aufgrund der stetigen Rücklagenbildung eine Form des Sparens durch einbehaltene Gewinne dar. Die Intensität ihrer Nutzung hängt insbesondere ab von • • • •

der Entnahmepolitik der Höhe des Gewinns der Besteuerung dem Kapitalbedarf

Werden offene Rücklagen gebildet, so stellt dies die Form der Offenen Selbstfinanzierung dar. Rücklagen sind finanzielle Reserven oder auch ein Kapitalfonds, die

Lernabschnitt 1:

Finanzierung

63

zum Ausgleich von Verlusten oder für Sonderzwecke bestimmt sind. Die wichtigsten Formen sind • •

Kapitalrücklage: Gegenwert eines bei der Emission von Anteilen erzielten Aufgeldes (Agio) Gewinnrücklage: Aus dem Ergebnis gebildete Rücklagen

Ihre wesentlichen Vorteile sind die fehlenden Abhängigkeiten von den Entwicklungen des Kapitalmarkts, die sofortige Verfügbarkeit der Finanzmittel, der Wegfall der Kapitalbeschaffungskosten, die Erhaltung der Unabhängigkeit gegenüber fremden Kapitalgebern sowie die Vermeidung des Abflusses von Finanzmitteln für Fremdkapitalzinsen und Tilgung. Nachteilig wirkt sich aus, dass die Selbstfinanzierung eine Schmälerung der Gewinnausschüttung bewirkt, der allerdings später höhere Gewinnausschüttungen gegenüber stehen können, die aus einem selbstfinanzierten Wachstum resultieren. Die Verdeckte Selbstfinanzierung vollzieht sich über die Bildung stiller Rücklagen, die in der Bilanz nicht ausgewiesen werden und durch Unterbewertung von Aktiva bzw. Uberbewertung von Passiva entstehen. Dies ist durch Ausnutzung von Aktivierungs-, Passivierungs- und Bewertungswahlrechten möglich, die zu Differenzen zwischen Buchwerten und den tatsächlichen Werten führen können, aber auch zur Bildung von Zwangsreserven durch Beachtung von Bewertungsobergrenzen. Bei ihrer Bildung wird der Gewinn vermindert, bei ihrer Auflösung erhöht. Kapitalgesellschaften ist die bewusste Anlegung stiller Reserven verboten und nur die Bildung steuerrechtlicher Abschreibungen, die zu Unterbewertungen in der Bilanz führen, im Rahmen der zulässigen Ausnutzung von Bewertungswahlrechten erlaubt. Öffentliche Finanzierungshilfen werden in Deutschland im Rahmen der Wirtschaftsförderung durch Fördereinrichtungen des Bundes und der Länder angeboten. Dies sind auf Bundesebene im Wesentlichen das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, sowie die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). In den Bundesländern gibt es ebenfalls vergleichbare Förderbanken und/oder eigene Bürgschaftsbanken. In Bayern ist dies bspw. die If A Förderbank Bayern, als Kreditinstitut des Freistaats zur Förderung der gewerblichen Wirtschaft. Die Fördereinrichtungen beschaffen sich die zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Mittel am Geld- und Kapitalmarkt häufig durch Ausgabe von Schuldscheinen und durch Emission von Schuldverschreibungen. Da bei den Förderinstituten überwiegend eine staatliche Gewährträgerhaftung vorliegt, wird eine günstige Refinanzierung ermöglicht, die an die Kreditnehmer weitergegeben werden kann. Globale Zinszuschüsse aus den jeweiligen Bundes- oder Länderhaushalten ermöglichen es zusätzlich, die Darlehen auf günstige Zinssätze, die in der Regel unter dem üblichen Kapitalmarktniveau liegen, zu verbilligen. Als Förderinstrumente werden überwiegend langfristige zinsgünstige Darlehen, Bürgschaften und Garantien, Zuschüsse und stille Beteiligungen eingesetzt. Die öffentlichen Finanzierungshilfen werden üblicherweise nicht in Konkurrenz zu den Geschäftsbanken, sondern unter deren maßgeblichen Mitwirkung gewährt. Nach diesem so genannten Hausbankprinzip tritt der Kreditnehmer nur über seine frei gewählte Geschäftsbank mit der Fördereinrichtung in Verbindung.

64

Modul III: Finanzwesen

Kontrollfragen • • • • • • • • •

Was ist im engeren und weiteren Sinne unter Finanzierung zu verstehen? Warum sind Pensionsrückstellungen ein Innenfinaniierungsinstrument und weisen zugleich Fremdkapitalcharakter auf? Wie beeinflussen Hoch- und Niedrigzinsphasen die Aufnahme von Darlehen mit Zinsanpassung oder -festSchreibung1} Warum stellt eine Patientenanzahlung einen Kredit dar? Worauf basiert die Kreditfinanzierung über Wechsel ? Worin besteht die Finanzierungsfunktion eines Avals? Wann werden Aktien nicht an der Börse gehandelt? Wodurch unterscheiden sich Aktien und Genussschemel Inwiefern stellt die Selbstfinanzierung eine Form des Sparens dar?

Lernabschnitt 2:

Finanz- und Liquiditätsplanung

Finanzierungsentscheidungen sind im unternehmerischen Alltag häufig zu vollziehen. Bei der Frage der Entscheidung über Finanzierungsalternativen ist folgendes zu berücksichtigen: • • • •

Sicherheit: Minimierung der Risiken von Kapitalverlust und Überschuldung Rentabilität: Minimierung des Preises für das benötigte Kapital Liquidität: Gewährleistung der ständigen Zahlungsbereitschaft Unabhängigkeit: Vermeidung des Einräumens besonderer Rechte gegenüber Dritten bei der Kapitalbeschaffung

Im Gegenzug zur Finanzierung, die sich mit der Mittelbeschaffung im Sinne von Einnahmen befasst, stellt die Investition im Sinne von Ausgaben die Mittelverwendung dar. Mit Hilfe der Finanzplanung wird ein Abgleich von der Beschaffung und Verwendung finanzieller Mittel durchgeführt. Eine wesentliche Frage, die es dabei zu klären gilt, ist die nach der optimalen Kapitalstruktur. Der Leverage-Effekt (engl, für Hebelwirkung) ist ein häufig zitierter Ansatz, um eine optimale Kapitalstruktur unter Rentabilitätsgesichtspunkten (Rentabilität = Verhältnis zwischen einer Erfolgsgröße und dem eingesetzten Kapital) zu erzielen: FK R

EK FK i I'GK rEK

= = = = =

EK —

R

GK +

( R G K ~~ L)

Eigenkapital Fremdkapital Fremdkapitalzins Rendite auf das eingesetzte Gesamtkapital Rendite auf das eingesetzte Eigenkapital

Lernabschnitt 2:

Finanz- u n d L i q u i d i t ä t s p l a n u n g

65

Ein positiver Leverage-Effekt drückt die Erhöhung der Eigenkapitalrentabilität aufgrund einer über dem Fremdkapitalzins liegenden Gesamtkapitalrentabilität aus. Umgekehrt gilt bei einem negativen Leverage-Effekt, dass die Eigenkapitalrentabilität linear mit der Kapitalstruktur bzw. mit dem Verschuldungsgrad sinkt, wenn die Gesamtkapitalrendite unter dem Fremdkapitalzins liegt. Gleichzeitig gilt, dass die Eigenkapitalrendite linear mit dem Verschuldungsgrad steigt, wenn die Gesamtkapitalrendite größer als der Fremdkapitalzins i und dieser unabhängig von der Kapitalstruktur bzw. vom Verschuldungsgrad ist. Das Fremdkapital wird zum Zinssatz i aufgenommen, jedoch zu r G K investiert. Für den Fall r G K < i steigt die Eigenkapitalrentabilität mit steigendem Verschuldungsgrad. In modifizierten Ansätzen wird zugrunde gelegt, dass Eigen- und Gesamtkapitalrentabilität Zufallsgrößen sind, um Realität und Risiko besser zu erfassen. Dabei zeigt sich, dass nach dem Leverage-Effekt der Eigenkapitalgeber aufgrund der Hebelwirkung einen maximalen Verschuldungsgrad präferiert, mit zunehmenden Verschuldungsgrad allerdings auch das Risiko der Eigenkapitalrentabilität deutlich wächst. Der Finanzplan stellt ein Planungs-, Steuerungs- und Kontrollinstrument im Rahmen des Liquiditätsmanagements zur Sicherung der Zahlungsfähigkeit (Liquidität) dar. In ihm werden möglichst vollständig, betrags- und zeitpunktgenau diejenigen Größen erfasst, die die Zahlungsfähigkeit eines Betriebes unmittelbar bestimmen: Verfügbare Zahlungsmittelbestände sowie zukünftige kumulierte Einzahlungen und Auszahlungen des Planungszeitraums. Er lässt sich nach der Fristigkeit und dem Betriebsablauf in verschiedene Arten einteilen (Abbildung 17).

ordentlicher Finanzplan

außerordentlicher Finanzplan

Abbildung 17:

kurzfristiger Finanzplan

langfristiger Finanzplan

•Planung der laufenden Geschäftstätigkeit •Detailplan •Zeithorizont < 1 Jahr •Basis für tägliche Finanzdispositionen

•Planung der operativen Geschäftstätigkeit •Grob- bzw. Rahmenplan •Zeithorizont > 1 Jahr

•Planung größerer Investitionen oder Kapitalerhöhungen •Detailplan •Zeithorizont < 1 Jahr •Basis für tägliche Finanzdispositionen

•Planung größerer Investitionen oder Kapitalerhöhungen •Grob- bzw. Rahmenplan •Zeithorizont > 1 Jahr

Finanzplanarten.

In der Finanzplanung sind die zukünftigen Zu- und Abnahmen liquider Mittel systematisch zu erfassen, einander gegenüber zu stellen und abzugleichen. Dazu zählen in einer medizinischen Einrichtung bspw. die Bestände auf unterschiedlichen Konten der Klinik oder Arztpraxis, Termingelder, die Bestände in Handkassen,

66

Modul III: Finanzwesen

offene Forderungen an Patienten und anderes mehr. Die Finanzplanung hat dabei zum Ziel, eine optimale Liquidität zu ermitteln, zu erreichen und zu erhalten, und den dazu nötigen Bestand an Zahlungsmitteln vorauszuplanen. Dazu umfasst der Finanzplan typischerweise folgende Positionen: 1. 1.1 1.2 1.3

Zahlungsplan: Einzahlungen — Auszahlungen = Differenz Zahlungsplan

2. 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.3

Kreditplan: Kreditrahmen Kreditbewegung Anfangsbestand + Neue Schulden - Tilgungen = Differenz Kreditplan Endbestand Freie Kreditlinie (Kreditrahmen — Endbestand)

3. 3.1 3.2 3.3

Zahlungsmittelplan: Liquide Mittel (Anfangsbestand) Differenz Zahlungsplan (1.3) — Differenz Kreditplan (2.2.4) Liquide Mittel (Endbestand)

4. 4.1 4.2 4.3

Dispositionsplan: Liquide Mittel Endbestand (3.3) Freie Kreditlinie (2.3) Disponible Mittel

Da die Ein- und Auszahlungen zu Planungszwecken terminlich genau bestimmt werden müssen, dies aber bei Forderungen an Patienten oder Krankenkassen mit terminlichen Unsicherheiten behaftet ist, werden die Forderungen mit Hilfe einer Umrechnungstabelle in nach Höhe und Termin bestimmten Einzahlungen transformiert. Im Ergebnis steht dann fest, welche Einzahlungen mit welcher Wahrscheinlichkeit in welcher Periode zu erwarten sind. Häufig beurteilen externe Kapitalgeber die zukünftige Zahlungsfähigkeit an der Einhaltung von Finanzierungsregeln. Es sind normative Aussagen über das Verhältnis bestimmter Kapitalarten zueinander oder aber bestimmter Kapitalarten zu bestimmten Vermögensarten, deren Einhaltung die Liquidität gewährleisten soll. Die wichtigsten Finanzierungsregeln sind in Tabelle 24 wiedergegeben. Wenn Zahlungsverpflichtungen nicht mehr uneingeschränkt und fälligkeitsgerecht aus Bargeldbeständen, Kontoguthaben oder nicht ausgeschöpften Kreditlinien erfüllt werden können, gefährdet die mangelnde Liquidität die Existenz. Nach geltendem Wirtschaftsrecht droht die Insolvenz, die ein gerichtliches Verfahren darstellt, das auf Antrag des Schuldners oder eines Gläubigers durch Eröffnungsbeschluss des zuständigen Amtsgerichts (Insolvenzgericht) eröffnet wird und durch Zwangsvollstreckung die gleiche und gleichmäßige Verteilung des Vermögens ei-

Lernabschnitt 2:

Tabelle 24:

Finanz- u n d L i q u i d i t ä t s p l a n u n g

67

Finanzierungsregeln.

Bezeichnung

Bedeutung

„Goldene" Finanzierungsregel

Fristenkongruenz: Die Investitionsdauer soll nicht länger sein als die Finanzierungsdauer.

Eins-zu-Eins-Regel

Das Eigenkapital soll mindestens so groß sein wie das Fremdkapital.

Liquiditätsregel

Liquidität geht vor Rentabilität.

Investitionsregel

Über die gesamte Nutzungsdauer eines Investitionsgutes muss die Summe aller damit getätigten Einnahmen mindestens der Summe aller Auszahlungen entsprechen, um eine Ersatzbeschaffung für das abgenutzte Investitionsgut durchführen zu können.

nes zahlungsunfähigen Schuldners unter die Gläubiger bezweckt, soweit nicht in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung, insbesondere zum Erhalt (Sanierung), getroffen wird. Zur Insolvenzvermeidung sind daher Einnahmen und -ausgaben im Rahmen einer Finanz- und Liquiditätsplanung abzustimmen. Uber die Liquiditätslage gibt der jeweilige Bestand an Zahlungsmitteln zu jedem betrachteten Zeitpunkt Aufschluss. Dabei lässt sich für jeden Tag die vorhandene Liquidität aus der Gegenüberstellung von Zahlungsfähigkeit, die die zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhandene Yerfügungsmacht über Zahlungsmittel darstellt, und den an diesem Tag zu leistenden Ausgaben ermitteln. Die absolute Liquidität umfasst den Bestand vorhandener Zahlungsmittel sowie Vermögensteile, die bei Bedarf in Zahlungsmittel umgewandelt werden können. Dazu zählen Zahlungsmittel wie Bargeld oder Kontoguthaben, Zahlungsersatzmittel wie Schecks oder Fremdwährungen und freie, disponible Kreditlinien, die jederzeit in Anspruch genommen werden können. Die absolute Liquidität ist umso höher, je schneller ein Vermögensgegenstand in ein Zahlungsmittel umgewandelt werden kann. Das Verhältnis zwischen Zahlungsmitteln und Verbindlichkeiten wird als relative Liquidität bezeichnet (Tabelle 25).

Tabelle 25:

Liquiditätsgrade.

Grad 1. Liquiditätsgrad

Verhältnis Zahlungsmittelbestand kurzfristige Verbindlichkeiten

2. Liquiditätsgrad

Zahlungsmittelbestand + kurzfristige Forderungen kurzfristige Verbindlichkeiten

3. Liquiditätsgrad

Umlaufvermögen kurzfristige Verbindlichkeiten

68

Modul III: Finanzwesen

Als Verbindlichkeiten sind die Schulden anzusehen, die prinzipiell dem Grunde und der Höhe nach gewiss sind und kurzfristig (in wenigen Monaten) fällig werden. Das Umlaufvermögen sollte sich mehrmals innerhalb einer Periode umschlagen. Da sich der Zahlungsmittelbestand, die Forderungen und Verbindlichkeiten sowie das Umlaufvermögen ständig ändern, reicht eine einmalige, statische Betrachtung der Liquidität nicht aus. Die finanzwirtschaftliche Steuerung wird durch eine dynamische Liquiditätsplanung ermöglicht, die die jeweilige Periodenliquidität planerisch ermittelt. Hierzu ist es erforderlich einen Liquiditätsplan zu erstellen, der pro Periode den Anfangsbestand der Zahlungsmittel, die geplanten Einnahmen, die geplanten Ausgaben sowie den Endbestand der Zahlungsmittel enthält. Dabei sind die Einnahmen und Ausgaben grundsätzlich für die Perioden einzuplanen, in denen sie auch tatsächlich anfallen. Um Abweichungen zu erkennen und gegebenenfalls bei Liquiditätsengpässen frühzeitig entgegenzusteuern, aber auch um bei ausreichender Liquidität finanzielle Mittel längerfristig anlegen zu können, sind den Planwerten im Liquiditätsplan im Verlauf der Periode die Ist-Werte gegenüberzustellen. Eine kurzfristige Liquiditätsplanung schränkt den Handlungsspielraum ein, daher sollte sie für mehrere Perioden Monate im Voraus erstellt werden und gegebenenfalls zusätzlich in eine Jahresplanung münden. Mit Hilfe von geeigneten Prognoseverfcihren, wie Arithmetisches Mittel, Gewichtetes arithmetisches Mittel oder die Exponentielle Glättung lassen sich aus Vergangenheitswerten die zukünftigen Einnahmen und Ausgaben ableiten. Diese Verfahren eignen sich auch für die Prognostizierung von Werten in der Investitionsrechnung, Kostenrechnung und anderen betriebswirtschaftlichen Einsatzgebieten. Im Rahmen der Liquiditäts- und Finanzplanung gewinnen sie aufgrund ihres Beitrags zu möglichst genauen Vorhersagewerten jedoch an Bedeutung. Zur Erhöhung der Planungssicherheit lassen sich Vergleichspläne, die von zuversichtlichen Einschätzungen oder pessimistische Annahmen der Planwerte ausgehen, sowie Sicherheitszuschläge als prozentuale Aufschläge auf die prognostizierten Werte einbeziehen. Maßnahmen zur Liquiditätsverbesserung können sein: • • • • • • •

Lagerbestandsreduzierung: Vermeidung von Lagerkosten senken und Freisetzung von Kapital in Form von liquiden Mitteln Factoring: Einschaltung von Abrechnungsfirmen, an die die Forderungen abgetreten werden. Entnahmepolitik: Vermeidung zu hoher Entnahmen bei zu geringem Eigenkapital Zahlungsverhalten: Überwachung von Außenständen, Definieren von Zahlungsfristen, Mahnwesen bei Fristenüberschreitung Für die Bildung von echten Liquiditätsreserven sind ausschlaggebend Höhe eines möglichen Fehlbetrages Höhe des Risikos unvorhergesehener Ausgaben

Kontrollfragen •

Wodurch unterscheiden sich Finanzierung und Investition hinsichtlich des Finanzmitteleinsatzes?

Lernabschnitt 3:

• • • •

Investitionsrechnung

69

Was bedeutet ein positiver bzw. negativer Leverage-Effekf! Welche Größen werden in einem Finanzplan erfasst? Wodurch unterscheiden sich absolute und relative Liqaiditcitl Welche Größe gibt über die tagesaktuelle Liqaiditätslage Aufschluss?

Lernabschnitt 3:

Investitionsrechnung

Eine Investition stellt eine Auszahlung zur Anschaffung oder Herstellung von Vermögenswerten dar, welche auch den Erwerb von Beteiligungs- und Forderungsrechten einschließt, sowie die Verwendung von finanziellen Mitteln zur Beschaffung von Sachvermögen, immateriellem Vermögen oder Finanz vermögen. Anhand verschiedener Einteilungskriterien lassen sich die in Tabelle 26 wiedergegebenen Investitionsarten unterscheiden.

Tabelle 26:

Investitionsarten.

Kriterium

Arten

Erläuterung/Beispiele

Zeitpunkt

Gründungsinvestition

P r a xi s ü b e r n a h m e

L a u f e n d e Investition

Gebäudeerhaltung

Sachinvestition (Realinvestition)

Investitionen materieller oder immaterieller Art

Finanzinvestition

Erwerb von Forderungsrechten o d e r Beteiligungsrechten

Beschaffungsinvestition

Beschaffungssoftware

Marketinginvestition

Marketingkonzept

Behandlungsinvestition

Behandlungseinrichtungen

Forschungsinvestition

F o r s c h ungseinrichtungen

Ersatzinvestition (Reinvestition)

E r s a t z v e r b r a u c h t e r medizintechnischer G e r ä t e

Erweiterungsinvestition

V e r g r ö ß e r u n g der Behandlungskapazitäten

Rationalisierungsinvestition

Ersatz noch funktionsfähiger medizin-technischer G e r ä t e d u r c h kostengünstigere Neugeräte

Objekt

Funktionsbereiche

Zweck

Fortsetzung

auf Seite 70

70

Modul III: Finanzwesen

Tabelle 26:

(Fortsetzung)

Kriterium

Arten

Erläuterung/Beispiele

Zweck

Fehlinvestition

Investition, die aus verschiedenen Gründen nicht in die Prozessabläufe einbezogen werden kann, aber dennoch das Ergebnis negativ belastet

Bilanzierung

Bilanzwirksame Investition

Sach- und Finanzinvestitionen

Bilanzunwirksame Investition

Personal- und Forschungsinvestitionen

Kurzfristige Investition

PC, Drucker

Mittelfristige Investition

Medizin-technische Großgeräte

Langfristige Investition

Praxis oder Klinikgebäude

Bruttoinvestition

Investition einschließlich der reinvestierten Abschreibungsgegenwerte

Nettoinvestition

Differenz zwischen Brutto- und Ersatzinvestition

Desinvesti tion

Rückgewinnung und Freisetzung der in konkreten Vermögenswerten gebundenen finanziellen Mittel durch Verkauf, Liquidation oder Aufgabe; Umkehrung der Investition: Bruttoinvestition = 0; Abschreibungsgegenwerte werden nicht zu Investitionszwecken verwendet; Mittelbestand schrumpft

Nutzungsdauer

Abschreibungen

Beim zahlungsorientierten Investitionsbegriff lässt sich jede Investition durch die zugehörigen Ein- und Auszahlungen beschreiben. Einerseits sind die ausgehenden Zahlungen zu berücksichtigen, wie die Anschaffungszahlung für den Kaufpreis eines medizintechnischen Gerätes, andererseits tatsächliche oder fiktiv eingehende Zahlungen, wie der Yerwertungserlös aufgrund der Veräußerung des Gerätes am Ende seiner Nutzungsdauer. Durch über die Nutzungsdauer verteilte Abschreibungen wird die Wertminderung, der das Investitionsobjekt aufgrund seiner Alterung unterliegt, berücksichtigt. Die Abschreibung stellt dabei ein buchtechnisches Instrument zur rechnerischen Verteilung des Werteverzehrs zuvor angeschaffter Güter dar. Sie hat folgende Aufgaben: •

Verteilung der Anschaffungskosten und Herstellungskosten auf eine bestimmte Zeitdauer

Lernabschnitt 3:

• •

Investitionsrechnung

71

Erfassung der leistungsabhängig oder zeitbezogen auftretenden Wertminderung Berücksichtigung nicht planmäßig eintretender Wertminderungen

In der Handels- und Steuerbilanz werden die Abschreibungen zur Beeinflussung des Gewinns eingesetzt, da wegen der Unsicherheit über den zutreffenden Abschreibungspfad erhebliche Gestaltungsspielräume bestehen. Die Abschreibung erfasst den Werteverzehr von Vermögensteilen in der Regel daher folgendermaßen: •

• •

Kostenrechnung: Verursachungsgerechte Erfassung des Gebrauchsverschleißes (ist auf die Nutzung der Betriebsmittel zurückzuführen und den variablen Kosten zuzurechnen) sowie des Zeitverschleißes (entsteht unabhängig von der Betriebsmittelnutzung und gehört zu den Fixkosten) mit Hilfe kalkulatorischer Abschreibungen (Minderungen des Betriebserfolgs) Handelsbilanz: Erfassung als Aufwand, wobei die buchhalterischen Abschreibungen den Jahresüberschuss mindern Steuerbilanz: Erfassung als Betriebsausgaben (bzw. Werbungskosten), wobei steuerlichen Abschreibungen (Absetzung für Abnutzung = AfA) die Steuerbemessungsgrundlage vermindern

Planmäßige Abschreibungen dienen der Abschreibung von Vermögensgegenständen mit zeitlich begrenzter Nutzung entsprechend einem Abschreibungsplan, in dem folgendes festgelegt ist: • • • •

Abschreibungsbasis Abschreibungsvolumen Abschreibungsdauer (Nutzungsdauer) Abschreibungsverfahren

Lineare Abschreibungsverfahren gehen von gleich bleibenden Jahresbeiträgen aus, geometrisch-degressive von um einen festen Prozentsatz vom Buchwert fallende Jahresbeiträge und arithmetisch degressive von um einen festen Degressionsbetrag fallende Jahresbeiträge. Progressive Verfahren legen entweder Geometrisch steigende Jahresbeiträge oder Arithmetisch steigende Jahresbeiträge zugrunde. Der Nutzungsverschleiß basiert auf Jahresbeiträgen, die abhängig von der Leistung oder Inanspruchnahme sind: Linear:

Ab p

A η

Geometrisch degressiv:

Arithmetisch degressiv: p

Progressiv (geometrisch steigend):

Ab p = Db (1 — Db)"

Χ A

Progressiv (arithmetisch steigend):

Ab p = - + [(n - 2) (η - ρ) - 1] X Pb η

72

Modul III: Finanzwesen

Nutzungsverschleiß: Abp A Rbw η Pb Db Gl lp

= = = = = = = =

Ab p

Abschreibungsbetrag in der Periode ρ Anschaffungskosten Restbuchwert Nutzungsdauer Progressionsbetrag Degressionsbetrag Gesamtleistungsabgabe Leistungsabgabe in der Periode ρ

Da in der Kostenrechnung das Abschreibungsverfahren frei wählbar ist, kann die Methode verwendet werden, die die Abschreibungsursachen am besten erfasst. Die Verfahren, die die Anschaffungs- oder Herstellungskosten nach einem Abschreibungsplan verteilen, sind in der Handelsbilanz zulässig. Hingegen sind in der Steuerbilanz nur die lineare und die geometrisch-degressive Abschreibung erlaubt. Unplanmäßige Abschreibungen sind Sonderabschreibungen und haben die Funktion, ungeplante Wertminderungen zu erfassen oder anders begründete Abwertungen buchtechnisch durchzuführen. Aufgrund der Ein- und Auszahlungen, sowie der Abschreibungen ergibt sich eine Zahlungsreihe, mit deren Hilfe sich ein Investitionsvorhaben quantitativ erfassen lässt. Sie stellt die Grundlage für entscheidungsorientierte Verfahren der Investitionsrechnung dar. Dabei handelt es sich um überwiegend finanzmathematische Verfahren zur Beurteilung verschiedener Investitionsalternativen, die Aussagen über die Wirtschaftlichkeit einer Investition oder mehrerer Investitionsalternativen liefern sollen und hinsichtlich der quantifizierbaren Faktoren eine Grundlage von Investitions- und Finanzierungsentscheidungen darstellen können. Erfolgt ihr Einsatz vor einer Investitionsentscheidung haben sie den Charakter einer Planungsrechnung, erfolgt er danach, stellen sie eine Kontrollrechnung dar. Das Ziel der Investitionsrechenverfahren ist es, die Investitionsalternative rechnerisch zu ermitteln, die bspw. folgendes erreicht: • • •

Erzielung der höchsten Rentabilität Verursachung der geringsten Kosten Leistung des größten Gewinnbeitrags

Je nachdem, ob sie nur eine Berechnungsperiode oder den gesamten Investitionszeitraum berücksichtigen, lassen sich die verschiedenen Investitionsrechenverfahren einteilen in die • • •

Statische Investitionsrechnung Dynamische Investitionsrechnung Mischverfahren

Die Verfahren der statischen Investitionsrechnung berücksichtigen nur eine Rechnungsperiode und gehen von durchschnittlichen Jahreswerten aus. Sie werden häufig als Hilfsverfahren bezeichnet, weil sie weder die Rendite der zu vergleichenden Anlagen noch zeitlich später liegende, die Investitionsentscheidung betreffende Ereignisse berücksichtigen, da nur auf die Anfangsinvestition abgestellt wird. Die Kostenvergleichsrechnung führt einen Vergleich der in einer Periode anfallenden Kosten von Investitionsobjekten durch, wobei sie die fixen Kosten, die vari-

Lernabschnitt 3:

Tabelle 27:

Investitionsrechnung

73

Kostenvergleichsrechnung. Alternative A

Alternative Β

Anschaffungskosten

40.000 €

50.000 €

Geplante Nutzungsdauer

10 Jahre

10 Jahre

Voraussichtlicher Restwert

10.000 €

15.000 €

Marktzinssatz

4%

4%

Geplante Behandlungsfälle

1.000

1.000

2.000«

4.000 €

Berechnung: Fixe Kosten + Variable Kosten (je Behandlungsfall: 5 bzw. 4) + Kalkulatorische Abschreibungen (pro Jahr):

5.000 € (5 X 1.000 = 5.000)

4.000 € (4 X 1.000 = 4.000)

3.000 €

3.500 €

1.000 €

1.300 €

11.000 €

12.800 €

Anschaffungskosten - Restwert Nutzungsdauer + Kalkulatorische Zinsen (pro Jahr): Anschaffungskosten + Restwert Zinssatz 100 = Gesamtkosten Kosten je Behandlungsfall

11,00 €

12,80 €

able Kosten und die Kapitalkosten der zu vergleichenden Investitionsobjekte berücksichtigt (Tabelle 27): • • •

Fixe Kosten: Entstehen unabhängig bspw. von Behandlungsleistungen und fallen auch an, wenn kein Patient behandelt wird Variable Kosten: Entstehen in Abhängigkeit von Behandlungsleistungen und dem Einsatz bspw. eines Röntgengerätes, in das investiert werden soll Kapitalkosten: Bestehen aus den kalkulatorischen Abschreibungen (berücksichtigen die gleichmäßige Verteilung der Anschaffungskosten auf die gesamte Nutzungsdauer sowie den Restwert des Investitionsobjektes) sowie den kalkulatorischen Zinsen (stellen die entgehenden Erträge oder Kreditkosten dar, weil das entsprechende Kapital im Investitionsobjekt gebunden ist)

Die Kostenvergleichsrechnung eignet sich insbesondere zur quantitativen Bewertung von Erweiterungs- und Ersatzinvestitionen, berücksichtigt allerdings nicht die Ertragsseite, so dass Rentabilitätsaspekte und die Frage nach einem Gewinnbeitrag nicht geklärt werden.

74

Modul III: Finanzwesen

Tabelle 28:

Gewinnvergleichsrechnung. Alternative A

1.000

Geplante Behandlungsfälle Einnahmen je Behandlungsfall

Alternative Β

1.000

30 €

30 €

Gesamteinnahmen

30.000«

30.000«

- Gesamte Kosten

15.000«

12.000«

Gewinn

15.000 €

18.000 €

Berechnung:

Da die kostengünstigste Investitionsalternative nicht immer auch zu einem höheren Gewinn führt, hat die Gewinnvergleichsrechnung zum Ziel, die bei den verschiedenen Investitionsalternativen zu erwartenden Jahresgewinne miteinander zu vergleichen (Tabelle 28). Die gesamten Kosten sind dabei in durchschnittliche jährliche Kosten umzurechnen, wobei die Gewinngrenze Auskunft darüber gibt, ab welcher Zahl von Behandlungsfällen in einer Klinik oder Arztpraxis die Kosten gedeckt sind und die Gewinnzone erreicht wird: Durchschnittliche Kosten je Periode Einnahmen je Behandlungsfall — variable Kosten je Behandlungsfall = Gewinngrenze Die Rentabilitätsrechnung beantwortet die von der Gewinnvergleichsrechnung nicht geprüfte Frage, ob eine Investition dennoch unterbleiben sollte, weil das dafür notwendige Kapital am Kapitalmarkt eine bessere Rendite erzielen würde. Dazu wird die Rentabilität verschiedener Investitionsalternativen miteinander verglichen, genauer gesagt mit der gewünschten Mindestrendite (Tabelle 29). Sie eignet sich, wenn einzelne Investitionsalternativen einen unterschiedlichen Kapitalbedarf aufweisen oder nur begrenztes Kapital für die Investition zur Verfügung steht. Tabelle 29:

Rentabilitätsrechnung. Alternative A

Alternative Β

Gesamte Kosten

15.000 €

12.000 €

Gewinn

15.000«

18.000«

Rentabilität in %:

100

150

Berechnung:

0 erwarteter Praxisgewinn X 100 0 investiertes Kapital

Lernabschnitt 3:

Investitionsrechnung

75

Investitionen durch Eigenkapital weisen immer eine höhere Rentabilität auf, da auf Fremdkapital in der Regel Zinsen gezahlt werden und daher fiktive Zinsen als kalkulatorische Kapitalkosten in Ansatz gebracht werden müssen. Die eigentliche Rendite besteht aus dem Ertrag, der über die Verzinsung des eingesetzten Kapitals hinausgeht. Die Verfahren der statischen Investitionsrechnung sind praktikabel, einfach und rasch anwendbar. Allerdings finden bei ihrer kurzfristigen Betrachtung von jeweils nur einer Periode kosten-, mengen- oder preismäßige Veränderungen im Zeitablauf keine Berücksichtigung. Dies berücksichtigen die Verfahren der dynamischen Investitionsrechnung, indem die in den jeweiligen Perioden unterschiedlich anfallenden Einnahmen und Ausgaben in das Ergebnis eingehen. Die Kapitalwertmethode basiert auf dem Kapitalwert, den sie als Differenz zwischen dem jeweiligen Barwert (Gegenwartswert) aller Einnahmen und den Ausgaben ermittelt, wobei unter Barwert auf den Entscheidungszeitpunkt abgezinste Zahlungen zu verstehen sind. Eine Investition oder Investitionsalternativen erscheinen vorteilhaft, wenn der Barwert aller Einzahlungen größer als der aller Auszahlungen ist, bzw. im Vergleich der höhere Kapitalwert erzielt wird (Tabelle 30). Der Interne Zinsfuß ist eine Methode, bei der zwei Zinssätze (Marktzins des Investors und interner Zins der Investition) miteinander verglichen werden. Als interne Zinsfuß wird dabei der Zinssatz bezeichnet, bei dessen Ansatz der Kapitalwert einer Investition oder Finanzierung gerade gleich Null wird bzw. bei dem Ausgabe- und Einnahmebarwert einer Investition oder Finanzierung genau übereinstimmen. Erzielt eine Investition bei gegebenem Kalkulationszinssatz eine Rendite, die mindestens so hoch ist wie der Kalkulationszinsfuß, gilt sie nach dieser Methode als vorteilhaft. Tabelle 30:

Kapitalwertmethode. Alternative A

Alternative Β

Investitionssumme

40.000 €

50.000 €

Nutzungsdauer

10 Jahre

10 Jahre

Marktzins

4%

4%

Erwarteter Restwert

10.000 €

15.000 €

Erwartete Einnahmen — Ausgaben: 1. Jahr

10.000 €

15.000 €

2. Jahr

12.500 €

17.500 €

3. Jahr

15.000 €

20.000 €

4. Jahr

17.500 €

22.500 €

5. Jahr

20.000 €

25.000 €

6. Jahr

22.500 €

27.500 € Fortsetzung auf Seite 76

76

Modul III: Finanzwesen

Tabelle 30:

(Fortsetzung) Alternative A

Alternative Β

7. Jahr

25.000 €

30.000 €

8. Jahr

27.500 €

32.500 €

9. Jahr

30.000 €

35.000 €

9. Jahr

30.000 €

35.000 €

10. Jahr

32.500 €

37.500 €

Restwert 10. Jahr

10.000 €

15.000 €

Kapitalwertberechnung: Abzinsung:

1 (1 + i)°

Überschüsse Alternative A in €

1. Jahr

0,96

10.000

9.600

15.000

14.400

2. Jahr

0,92

12.500

11.500

17.500

16.100

3. Jahr

0,89

15.000

13.350

20.000

17.800

4. Jahr

0,85

17.500

14.875

22.500

19.125

5. Jahr

0,82

20.000

16.400

25.000

20.500

6. Jahr

0,79

22.500

17.775

27.500

21.725

7. Jahr

0,76

25.000

19.000

30.000

22.800

8. Jahr

0,73

27.500

20.075

32.500

23.725

9. Jahr

0,70

30.000

21.000

35.000

24.500

10. Jahr

0,68

32.500

22.100

37.500

25.500

Restwert 10. Jahr

0,68

10.000

6.800

15.000

10.200

Barwertesumme

Barwerte Alternative A in €

Überschüsse Alternative Β in €

Barwerte Alternative Β in €

172.375

216.375

- Investitionssumme

40.000

50.000

Kapitalwerte

132.375

166.375

Lernabschnitt 3:

Investitionsrechnung

77

Bei der Annuitätenmethode werden Ein- und Auszahlungsbarwerte in gleiche Jahresbeträge (Annuitäten) umgerechnet. Entsteht bei einem gegebenen Kalkulationszinsfuß ein durchschnittlicher jährlicher Überschuss, der größer oder gleich Null ist, so gilt die Investition als vorteilhaft, wobei der durchschnittliche jährliche Uberschuss als Differenz zwischen den durchschnittlichen jährlichen Einnahmen und Ausgaben anzusehen ist. Das Ziel, das das Vermögensendwertverfahren verfolgt, ist die Endwertmaximierung. Der Vermögenswert sowie alle Zahlungen werden auf das Ende des Investitionszeitraums bezogen, wobei mit einem Sollzinssatz, mit dem das bereitgestellte Fremdkapital zu verzinsen ist, gerechnet wird und einem Habenzinssatz, zu dem Eigenmittel und Einnahmen-/Ausgabenüberschüsse angelegt werden können. Das Sollzinssatzverfahren trifft eine Aussage über den Zinssatz, der bei gegebenem Habenzinssatz auf das Praxiskapital erzielt werden kann, das zu jedem Zeitpunkt während der Investitionsdauer noch gebunden ist. Zu den Mischformen der Investitionsrechnung zählt die Amortisationsrechnung, die die wichtige Frage beantwortet, wie lange die Wiedergewinnung der Investitionssumme aus den Einnahmeüberschüssen der Investition dauert. Die Vorteilhaftigkeit einer Investition lässt sich dabei durch einen Vergleich der SOLL-Amortisationsdauer mit der IST-Amortisationsdauer bewerten, wobei sich die IST-Amortisationsdauer aus der Division der Investitionssumme durch die jährlich zu erwartenden Einnahmeüberschüsse ergibt und die SOLL-Amortisationsdauer durch subjektive Schätzung. Die Investition ist vorteilhaft, wenn die IST- unter der SOLLAmortisationsdauer liegt (Tabelle 31). Tabelle 31:

Amortisationsrechnung.

Investitionssumme

50.000 €

Einnahmen — Ausgaben

15.000 €

SOLL-Amortisationsdauer

10 Jahre

Berechnung: Investitionssumme

50.000

Einnahmen — Ausgaben

15.000

IST-Amortisationsdauer

3 V3 Jahre

Bei dem MAPI-Verfahren (MAPI = Machinery Allied Products Institute) wird die betriebliche Situation nach der durchgeführten Investition mit der ohne Durchführung der Investition verglichen. Dabei wird durch die Berücksichtigung mehrerer zusätzlicher Einflussgrößen eine relative Rentabilität ermittelt, die zugleich ein Dringlichkeitsmaß für die Vornahme der Investition darstellt und sich in einem Rentabilitätswert nach Steuern in Prozent ausdrücken lässt. Dieser Wert gibt Auskunft darüber, wie dringlich oder vorteilhaft eine Investition gegenüber einer anderen erscheint.

78

Modul III: Finanzwesen

Tabelle 32:

M API-Verfahren.

A

Netto-Investitionssumme: Anschaffungskosten — Kapitalfreisetzung

50.000 €

Β

Laufender Gewinn des Folgejahres: Ertragssteigerung + Kostensenkung gegenüber dem Zustand ohne Investition

15.000 €

C

Vermiedener Kapitalverzehr des Folgejahres: Restwert der alten Anlage — Restwert des Investitionsobjekts am Ende der Nutzungsdauer

D

Ertragssteuern

E

Entstehender Kapitalverzehr des Folgejahres

10.000 €

β MAPI-Rentabilität

4.800 €

+

c

β

£

A

X 10

5.000 € 9,6%

Kontrollfragen • • • • • • •

Durch welches buchungstechnische Instrument wird die Wertminderung eines Investitionsobjektes berücksichtigt? Inwiefern bieten Abschreibungen Gestaltungsspielräume in der Handels- und Steuerbilanzl Worin unterscheiden sich planmäßige und unplanmäßige Abschreibungen? Haben Investitionsrechenverfahren planenden oder kontrollierenden Charakter? Warum werden die Verfahren der Statischen Investitionsrechnung auch als Hilfsverfahren bezeichnet? Warum weisen Investitionen aus Eigenkapital in der Regel eine höhere Rentabilität im Vergleich zu Fremdkapital aus? Wann erscheint bei der Kapitalwertmethode eine Investition vorteilhaft?

Lernabschnitt 4:

Kreditwesen

Die häufigste Finanzierungsform, die für Investitionen genutzt wird, ist die Kreditfinanzierung. Dies setzt zunächst voraus, dass ein potenzieller Kreditnehmer auch kreditfähig ist. Die Kreditfähigkeit bezeichnet dabei die Fähigkeit, rechtswirksame Kreditverträge abzuschließen und wird von voll geschäftsfähigen natürlichen Personen sowie juristischen Personen in der Regel ohne Einschränkungen erfüllt. Die

Lernabschnitt 4:

Kreditwesen

79

Bankprüfung erstreckt sich demnach auf die Rechts-, Geschäfts- und sich daraus ergebend die Kreditfähigkeit des Kreditnehmers. Bei Personengemeinschaften in Form von Gesellschaften bürgerlichen Rechts ist grundsätzlich die Zustimmung aller Beteiligten erforderlich, die sich insoweit als Gesamtschuldner gegenüber der Bank verpflichten. Die Kreditwürdigkeit (Bonität) umschreibt die von dem Kreditnehmer erwarteten Eigenschaften und Fähigkeiten und liegt vor, wenn erwartet werden kann, dass den aus dem Kreditvertrag sich ergebenden Verpflichtungen (Erbringung des Kapitaldienstes) nachgekommen wird und die Kreditvergabe damit unter persönlichen und sachlichen Gesichtspunkten vertretbar erscheint. Dazu werden die persönlichen Verhältnisse des Kreditnehmers überprüft, wie bspw. Fachkenntnisse, unternehmerische Fähigkeiten, sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse, wie bspw. Vermögens- und Kapitalsituation, Liquiditätssituation, Ertragslage, Umsatzentwicklung etc. Aufgrund der zunehmenden Risikominimierung der Geldinstitute gewinnt die Kreditabsicherung an Bedeutung. Der Blankokredit repräsentiert dabei aus Sicht der Bank die niedrigste Absicherungsstufe, da er ausschließlich aufgrund der Bonität (Kreditwürdigkeit) des Kreditnehmers in der Regel über eine niedrige Summe gewährt wird und die Bank auf weitere Sicherheiten, die über die üblichen Verzugs- und Zahlungsvereinbarungen hinausgehen, verzichtet. Darüber hinaus hat die Bank jedoch die Möglichkeit bei Zahlungsunfähigkeit gerichtliche Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einzuleiten. Die Sicherungsübereignung ist eine Möglichkeit, Sicherheiten für Kredite zu gewähren, da sie eine Übertragung von treuhänderischem Eigentum an Sachen durch den Sicherungsgeber an den Sicherungsnehmer zur Absicherung von Kreditforderungen darstellt. Der Sicherungsnehmer ist dabei nur im Rahmen des Sicherungszwecks zur Verwertung des Sicherungsgutes berechtigt, hat aber im Verhältnis zu außenstehenden Dritten das volle Eigentum darüber, während der Kreditnehmer das wirtschaftliche Eigentum an der Sache behält. Der Sicherungsgegenstand wird durch Übergabe der Sache oder durch Übergabeersatz (Vereinbarung eines Verwahrungsvertrags) übereignet, so dass der Kreditgeber mittelbarer, treuhänderischer Besitzer wird und der Kreditnehmer ihn als unmittelbarer Besitzer weiterhin nutzen kann. Bei der Forderungsabtretung (Zession) wird eine Forderung von dem Kreditnehmer als bisherigen Gläubiger durch Vertrag auf den Kreditgeber als neuen Gläubiger übertragen. Da die Kenntnis des Schuldners dabei nicht erforderlich ist, erfährt er vom Bestehen einer derartigen Abtretungsvereinbarung erst, wenn sie bei drohender Rückzahlungsgefährdung offen gelegt werden muss. Der Forderungsabtretung liegt meist ein Forderungskauf, wie bspw. beim Factoring zugrunde. Es besteht ein Abtretungsverbot, wenn die Forderungsleistung gegenüber einem anderen als dem ursprünglichen Gläubiger nicht ohne Veränderung ihres Inhalts erfolgen kann. Die Verpfändung stellt die Bestellung eines Pfandrechts an Sachen oder Rechten durch Vertrag dar, wobei alle übertragbaren Vermögensrechte sich grundsätzlich als Verpfändungsobjekte eignen. Die Verpfändung ist für Kreditgeber vorteilhaft, da die Beleihung durch einfache Abtretungserklärung möglich ist und sich die verpfändeten Guthaben meist recht einfach verwerten lassen. Eine stille Form der

80

Modul III: Finanzwesen

Verpfändung von Geldforderungen wie bei der Forderungsabtretung ist nicht möglich, da die Verpfändung gegenüber dem Schuldner angezeigt werden muss. Bei der Hypothek handelt es sich um ein Grundpfandrecht zur Sicherung der Forderung eines Gläubigers, wobei sie damit zu den Sachsicherheiten zählt. Da die zwischenzeitliche Verminderung des Kredits auch zu einer Verringerung der Sicherung führt, erlischt die Hypothek mit der letzten Rate des Darlehens. Die Hypothek kann daher nicht wieder aufleben, kann aber als bestehende Hypothek durch Grundbucheintragung zur Sicherung einer anderen Forderung herangezogen werden. Die Grundschuld ist demgegenüber vom eigentlichen Darlehen unabhängig und stellt ein Grundpfandrecht dar, wonach das belastete Grundstück für die Zahlung einer bestimmten Geldsumme haftet. Sie ist in das Grundbuch einzutragen, wodurch dem Kreditgeber das Anrecht entsteht, die Immobilie bei Zahlungsunfähigkeit zum Zwecke der Schuldentilgung zwangsversteigern zu lassen. Die Grundschuld wird in Ränge unterteilt, die die Reihenfolge, in der die Darlehensgeber bei einer Zwangsversteigerung bedient werden, festlegt. Bis sie aufgrund einer Freistellungserklärung im Grundbuch gelöscht wird, bleibt sie auch nach der Laufzeit des Darlehens bestehen. Die Bürgschaft eignet sich für den Fall, dass Sachwerte nicht in ausreichendem Umfang als Sicherheiten zur Verfügung stehen, als einseitig verpflichtender Vertrag, durch den sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger bereit erklärt, für die Erfüllung der Verbindlichkeiten des Schuldners einzustehen. Da sich die Höhe einer Bürgschaftsverpflichtung nach der Hauptschuld bemisst, kann eine nachträgliche Erhöhung der Hauptschuld ohne Einverständnis des Bürgen nicht wirksam erfolgen. Auch kann er seine Haftung nach Umfang oder nach Zeit begrenzen. Im Einzelnen stehen folgende Bürgschaftsarten zur Verfügung: • • • • • • •

Gewöhnlichen Bürgschaft Ausfallbürgschaft Selbstschuldnerische Bürgschaft Bankbürgschaft Nach dem Haftungsumfang: Unbegrenzte Bürgschaft, Teilbürgschaft oder Höchstbetragsbürgschaft Nach der Bürgenzahl: Mitbürgschaft oder Nebenbürgschaft Nach der Zeitdauer: Unbefristete Bürgschaft oder Zeitbürgschaft

Bei der Schuldmitübernahme, die bei einem Kreditvertrag oft auch vom Ehepartner des Schuldners verlangt wird, handelt es sich um eine Sicherheit, durch die der Ehepartner sich gegenüber der Bank verpflichtet, zusätzlich zum Schuldner für dieselbe Verbindlichkeit einzustehen. Der Mitübernehmende haftet somit für eine eigene Schuld im Gegensatz zum Bürgen, der für eine fremde Schuld einsteht. Durch eine Haftungsfreistellung kann eine gänzliche oder teilweise Befreiung von der Verpflichtung, für eine Schuld aufgrund eines Schuldverhältnisses einstehen zu müssen erfolgen. Sie stellt ein Sicherungssteuerungsinstrument im Rahmen von Finanzierungen dar, an der mehrere Kreditgeber beteiligt sind (Konsortialfinanzierungen). Die Gestaltung der Kreditrückzahlung und damit die Art und Weise der vereinbarten Tilgung von Krediten kann wesentlich zur Liquiditätssicherung und Erhal-

Lernabschnitt 4:

Kreditwesen

81

tung von Finanzierungsspielräumen beitragen. Die Tilgung stellt die Rückzahlung von Geldkapital aller Art in Teilbeträgen dar und kann planmäßig oder außerplanmäßig erfolgen. Je nach Art der Tilgung lassen sich Annuitäten-, Abzahlungs- oder Festdarlehen unterscheiden (Abbildung 18). Kreditrate

Annuitätendarlehen Zeit Kreditrate konstanter Tilgungsanteil

Abzahlungsdarlehen fallender Zinsanteil Kreditrate

Zeit Endfällige Tilgung

Festdarlehen Zeit Abbildung 18:

Kreditrückzahlung.

Das Annuitätendarlehen wird durch gleich bleibende Jahresleistungen (Annuitäten) zurückgezahlt, wobei die einzelnen Raten aus einem Zinsanteil und einem Tilgungsanteil bestehen. Aufgrund der Tilgungsverrechnung wird mit fortschreitender Darlehenslaufzeit der zu verzinsende Darlehensbetrag geringer, so dass jährlichen Tilgungsbeträge um die „eingesparten" Zinsen steigen. Bei dem Abzahlungsdarlehen (Ratenkredit) wird der Kredit durch fallende Jahresleistungen (gleich bleibender Tilgungsanteil, aber fallender Zinsanteil) zurückgezahlt. Das Festdarlehen (Darlehen mit Endfälligkeit) stellt einen Kredit dar, der erst am Ende der Laufzeit in einer Summe zurückgezahlt wird. Neben der Kreditrückzahlung kommt auch der Kreditgestaltung hinsichtlich ihres Einflusses auf Finanzierungsspielräume große Bedeutung zu. Ein wichtiger Bestandteil des Kreditvertrages ist der Effektivzins, der in der Regel folgende Informationen enthält: • • •

Tilgungskonditionen: Zeitpunkt für Tilgungsverrechnung, Tilgungssatz, Zahlungsrhythmus für Tilgungen, Anzahl von Tilgungsfreijahren Zinskonditionen: Zinsfestschreibungsdauer, Zinssatz, Zahlungszeitpunkt für Zinsen, Zahlungsrhythmus für Zinsen Allgemeine Konditionen: Wertermittlungsgebühren, Verwaltungskosten, Darlehenslaufzeit in Jahren, Auszahlungssatz, sonstige Kosten

82

Modul III: Finanzwesen

Unter einem Disagio ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem Rückzahlungs- und dem Ausgabebetrag von Krediten zu verstehen. Die Vereinbarung eines Disagios findet häufig Anwendung bei Festzinsvereinbarungen, wobei der Kreditausgabebetrag dabei geringer ist als die tatsächliche Kredithöhe, was durch einen verringerten Nominalzinssatz beglichen wird. Eine Sondertilgung bietet die Möglichkeit durch außerplanmäßige Rückzahlungen Aufwendungen für Zinsen zu sparen. Dadurch kann größere finanzielle Flexibilität zurückgewonnen werden. Eine Umschuldung ist dann in Erwägung zu ziehen, wenn das Marktzinsniveau seit Abschluss des Kreditvertrages gefallen ist. Die Vorfälligkeitsgebühr wird dem Kreditnehmer bei vorzeitiger Kündigung eines langfristigen Kredits in Rechnung gestellt, sofern die Möglichkeit, den Kredit vor Fälligkeit zurückzuzahlen, nicht im Kreditvertrag vereinbart ist. Sie fällt umso höher aus, je größer die Differenz zwischen ursprünglichem Kredit- und aktuellem Marktzins und je länger die Restlaufzeit des Kredits ist. Zu ihrer Ermittlung darf ausschließlich der aktuelle Marktzins herangezogen werden, daher ist im Einzelfall zu prüfen, ob das Entrichten einer Vorfälligkeitsgebühr oder das Weiterführen des Kredits kostengünstiger ist.

Kontrollfragen • • • • *• •

Welche Gesellschafter müssen bei einer GbR einem Kreditvertrag zustimmen? Was ist Gegenstand einer Bonitcitsprüfungl Wer ist Besitzer des Sicherungsgegenstandes bei einer Sicherungsübereignung? Wann besteht bei einer Forderungsabtretimg ein Abtretungsverbotl Wodurch unterscheidet sich die Haftung bei Schuldmitübernahme und Bürgschaft? Von was hängt die Höhe einer Vorfälligkeitsgebühr wesentlich ab?

Literaturhinweise Bank M., Gerke W.: Finanzierung, Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 2003 Beinert C., Henne Α., Reichling P.: Praxishandbuch Finanzierung, Gabler-Verlag, Wiesbaden 2005 Bilstein J., Wöhe G.: Grundzüge der Unternehmensfinanzierung, Vahlen-Verlag, München 2002 Breuer W.: Finanzierung, Gabler-Verlag, Wiesbaden 2007 Busse F.: Grundlagen der betrieblichen Finanzwirtschaft, Oldenbourg-Verlag, München 2003 Eckstein P , Schmeisser W., Heger G.: Finanzierung und Investition, Hampp-Verlag, Mering 2006

Lernabschnitt 4:

Kreditwesen

83

Frodi Α.: Managementlexikon für Mediziner, Schattauer-Verlag, Stuttgart 2007 Frodi Α.: Management von Arztpraxen, Gabler-Verlag, Wiesbaden 2004 Hill M., Pfaue M., Wolf B.: Strukturierte Finanzierungen, Schäffer-Poeschel-Verlag, Stuttgart 2003 Hirt H.: Grundzüge der Finanzierung und Investition, Oldenbourg-Verlag, München 2005 Jahrmann F.: Finanzierung, NWB-Verlag, Herne 2003 Kirspel M., Schmidt Α., Drees-Beherns C.: Finanzmathematik, Investition und Finanzierung, Oldenbourg-Verlag, München 2007 Kobabe R., Werner H.: Finanzierung, Schäffer-Poeschel-Verlag, Stuttgart 2007 Koss C.: Basiswissen Finanzierung, Gabler-Verlag, Wiesbaden 2006 Kraschwitz L.: Finanzierung und Investition, Oldenbourg-Verlag, München 2007 Peppmeier Α., Becker H.: Investition und Finanzierung, Gabler-Verlag, Wiesbaden 2007 Reichel C., Olfert K.: Finanzierung, Kiehl-Verlag, Ludwigshafen 2005 Schmidt-Graumann Α., Graumann M: Rechnungslegung und Finanzierung der Krankenhäuser, NWB-Verlag, Herne 2007 Schneck O.: Finanzierung, Vahlen-Verlag, München 2004 Schuch K., Benesch T.: Basiswissen zu Investition und Finanzierung, Linde-Verlag, Wien 2005 Spremann K.: Wirtschaft, Investition und Finanzierung, Oldenbourg-Verlag, München 2007 Terberger E., Schmidt R.: Grundzüge der Investitions- und Finanzierungstheorie, GablerVerlag, Wiesbaden 2006

Modul IV:

Marketing

Das Marketing im Gesundheitswesen gewinnt zunehmend an Bedeutung. Um die Angebote ökonomisch effizient und erfolgreich auf gegenwärtige und zukünftige Patientenmärkte, Zielgruppen und Märkte für Behandlungsleistungen zuschneiden zu können, sind Marktforschung zu betreiben, sowie Marketingziele und -Strategien zu entwickeln. Der Einsatz der Marketinginstrumente reicht über den traditionellen Marketingmix hinaus, über die Patientenbetreuung und -bindung bis hin zu den modernen Formen des Electronic Marketing (E-Marketing).

Lernabschnitt 1:

Grundlagen des Marketing

Es ist davon auszugehen, dass es Marketing spätestens seit dem Einsetzen von erwerbswirtschaftlichem Handel, von An- und Verkauf von Gütern und Dienstleistungen gegeben hat, ohne dass dafür eine einheitliche Bezeichnung benutzt wurde. Schon von den venezianischen Kaufleuten oder etwa auch von den Welsern und Fuggern wurde der Verkauf und damit die Werbung für Dienstleistungen oder Produkte beherrscht. Der Begriff der Reklame lässt sich bereits im 19. Jahrhundert in der deutschen kaufmännischen Literatur nachweisen. Der Marketingbegriff trat nach dem Zweiten Weltkrieg erstmalig auf, als die betriebswirtschaftliche Fachsprache mit einer Reihe von angelsächsischen Begriffen durchsetzt wurde. Marketing bezeichnete seinerzeit die Vermarktung von Gütern und Dienstleistungen und wurde mit dem Begriff Absatzwirtschaft gleichgesetzt: Darunter ist die Gesamtheit aller Maßnahmen, die unmittelbar auf den Verkauf, den Vertrieb und die Distribution von Gütern und Dienstleistungen gerichtet sind, zu verstehen. Marketing wird heute als Ausdruck eines marktorientierten unternehmerischen Denkstils verstanden. Als Konzeption der Unternehmensführung verstanden bedeutet es, dass sich alle Unternehmensaktivitäten zur optimalen Erfüllung der Unternehmensziele an den Bedürfnissen des Marktes auszurichten haben. Es lässt sich somit als alle Unternehmensbereiche durchdringende Philosophie begreifen und stellt marktorientierte und marktgerechte Unternehmenspolitik dar. Das Marketing ist heutzutage eine eigene betriebswirtschaftliche Disziplin, in der soziologische, betriebswirtschaftliche, volkswirtschaftliche, psychologische und verhaltenswissenschaftliche Elemente zusammengefasst sind. Grundlage des Marketings ist der Marktbegriff, der sich allgemein definieren lässt als das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage für Güter oder Dienstleistungen. Der Markt ist in der Regel begrenzt durch die bedarfsseitig festgelegte Aufnahmefähigkeit (Marktkapazität). Bedürfnisse alleine erzeugen noch keine Nachfrage am Markt. Die Nachfrage stellt die durch Kaufkraft belegten Bedürfnisse dar (Marktpotenzial). Unter dem Marktvolumen lässt sich die Gesamtheit aller im Markt befindlichen Produkte und Leistungen verstehen. Das Verhältnis

86

M o d u l IV:

Marketing

Markterfolg durch Absatzvolumen

Absatzorientierung

Unternehmen

Unternehmen

fertige Produkte

Bedarfsorientierte Produktentwicklung

Abss und Ver förder

Bedürfnisse

Marktorientierung

A b b i l d u n g 19:

Markt

A b s a t z - u n d M a r k t o r i e n t i e r u n g in A n l e h n u n g a n

Markt

-V

Markterfolg durch Befriedigung der Kundenbedürfnisse

Kotler.

zwischen Marktvolumen und Marktpotenzial wird als Marktsättigungsgrad bezeichnet. Ein Marktsättigungsgrad von 100% entspricht einem vollkommen gesättigten Markt, wobei in diesem Fall das Marktvolumen dem -potenziai entspricht. Der Umsatz eines Unternehmens in Relation zum am Markt erzielten Gesamtumsatz stellt den Marktanteil dar, der sich sowohl in der Wertgröße Umsatz wie auch in der abgesetzten Stückzahl ausdrücken lässt. Im Gegensatz zur Absatzorientierung, die als Ausgangspunkt die Absatz- und Verkaufsförderungsaktivitäten der real existierenden Produkte hat, bedeutet die Marktorientierung des Marketing einen umgekehrten Ansatz: Sie stellt die Bedürfnisse des Kunden in den Mittelpunkt, an denen das Unternehmen konsequent ausgerichtet wird und sich auch die Produktentwicklung orientieren muss (Abbildung 19). Die Abkehr vom produktions- oder verkaufsorientierten unternehmerischen Denken hin zu einer konsequenten Kundenorientierung der Unternehmenspolitik beinhaltet im Hinblick auf den Einsatz von Marketing zwei Stoßrichtungen: • •

Market-push-Konzept: Kreative Entwicklung neuer marktorientierter Produkte Market-pull-Konzept: Entdeckung von bislang unbefriedigten Bedürfnissen der Verbraucher

Dieser, von dem Mitbegründer des modernen Marketing, Philip Kotler (geb. 1931), entwickelte Ansatz bildet die Grundlage heutiger Marketingphilosophien. Nach ihm sind die Bedürfnisse von den Wünschen zu unterscheiden, wobei auch nicht der Wunsch nach einem konkreten Produkt im Mittelpunkt stehen muss, sondern dies erst das Ergebnis der Marketingaktivitäten ist. Auch sind die konkreten Wünsche zur Bedürfnisbefriedigung oftmals gar nicht bewusst. Marketingaktivitäten werden daher gerade im Gesundheitsbereich oft als ethisch fragwürdig empfunden, insbesondere ihr manipulativer Charakter durch

Lernabschnitt 1:

Grundlagen des Marketing

87

das Eingehen auf Bedürfnisse, die dem Kunden bzw. Patienten nicht bewusst sind. Demgegenüber steht die Auffassung, dass erfolgreiches Marketing auf ein langfristiges Eingehen auf die Bedürfnisse aufbaut und damit langfristig zufriedene Kunden voraussetzt. Diese sind aber nicht durch Manipulation dauerhaft zu gewinnen, ebenso wie sich daraus resultierendes gesellschaftsschädigendes Verhalten langfristig nicht auszahlt. Auf dieser Grundlage ist das Produktprogramm (Leistungsangebot) der Unternehmung unter Berücksichtigung der eigenen Wettbewerbsposition an die Bedürfnisse der Abnehmergruppen anzupassen. Da Unternehmen nicht den gesamten Markt undifferenziert bearbeiten können, ist dieser in relativ homogene Gruppierungen aufzuteilen, die sich dann gezielt ansprechen lassen. Ein Teil des Gesamtmarktes mit einer homogenen Käufergruppe wird als Marktsegment bezeichnet. Die Marktsegmentierung lässt sich nach unterschiedlichen Kriterien vornehmen: • • •

Verhalten: Fernsehgewohnheiten, Freizeitgestaltung, Einkaufsgewohnheiten, Konsumverhalten, Nutzung neuer Medien Demografie: Schuldbildung, Einkommen, Alter, Haushaltsgröße, Familienstatus, Beruf, Geschlecht, Konfession Geografie: Länder, Regionen, Städte, Bevölkerungsdichte, Klimazonen

Die Marktorientierung in Bezug auf eine Klinik oder Arztpraxis bedeutet, bedürfnisgerechte Behandlungs- und Patientenserviceleistungen zu entwickeln und anzubieten. Da die Nachfrage nach bestimmten Behandlungsleistungen gerade im therapeutischen oder auch präventiven Bereich im Wesentlichen auch von medizinischen und medizintechnischen Entwicklungen abhängt, stellt das Ausrichten auf den Patientenmarkt einen ständigen Anpassungsprozess dar. Da der Patient als umworbener Kunde im Mittelpunkt steht, stellt die Patientenorientierung eine wichtige Ausrichtung einer Klinik oder Arztpraxis im Rahmen eines speziellen Marketingansatzes dar. Als ihre Ziele können angesehen werden: •

• •

Steigerung des individuellen Nutzens des Patienten durch die Berücksichtigung künftiger Entwicklungen im Bereich der Behandlungsmethoden und Medizintechnik Weitestgehende Erfüllung der Patientenbedürfnisse unter Berücksichtigung des ökonomisch Vertretbaren Langfristige Patientenbindung durch die damit verbundene Erzielung von Zufriedenheit

Das Marketing im Gesundheitswesen ist in besonderer Weise dadurch gekennzeichnet, dass neben den prophylaktischen oder therapeutischen Behandlungsleistungen auch besondere „Produkte" angeboten werden: Sie stellen keine physischen Güter dar, sondern bestehen vielmehr aus dem Verhalten des Klinik oder Praxispersonals, das aufgrund seiner Qualifikationen und Fähigkeiten eine Leistung erbringt, die im Wesentlichen aus der Beratung, Betreuung und Führung der Patienten besteht. Auch das Marketing im Gesundheitswesen ist somit ein Mittel zur Schaffung von Präferenzen bei den Patienten und damit der Erringung von Wettbewerbsvorteilen gegenüber konkurrierenden Einrichtungen durch gezielte Maßnahmen. Das Marketing aus der Konsumgüterindustrie lässt sich hierzu nicht ohne weiteres di-

88

M o d u l IV:

Marketing

rekt anwenden. Vielmehr ist aufgrund der besonderen Rolle des medizinischen Personals, seinem ethischen Selbstverständnis sowie seiner Einbindung in das öffentliche Gesundheitswesen eine Überarbeitung des hauptsächlich kommerziell orientierten Marketingansatzes und die Übernahme von Ansätzen aus dem Non-profitBereich notwendig. Eine weitere Besonderheit des Marketings im Gesundheitswesen sind die standesspezifischen Regelungen im Bereich der Werbung. Während das allgemeine Werbeverbot in den letzten Jahren weitest gehend gelockert wurde, sind bis dahin Verstöße gegen Werbevorschriften als Berufspflichtverletzung standesrechtlich geahndet worden. Nach wie vor bilden die maßgebliche Grundlage für die ärztliche Berufsausübung und damit auch das Marketing im Gesundheitswesen die Bundesärzteordnung sowie die Kammergesetze, Heilberufsgesetze und Berufsordnungen der Länder. Die Bundesärzteordnung stellt allgemeines, verbindliches Bundesrecht dar und wird durch die Regelungen der einzelnen Bundesländer ergänzt. Dies gilt vor allem für die Regelung der Standesvertretung, der Berufsordnung und der Bundesgerichtsbarkeit. Zusätzlich gelten die Gesetze des Heilmittel-Werberechts und des allgemeinen Wettbewerb rechts. Die Berufsordnungen sind Satzungen der (Landes-)Ärztekammern. Sie regeln die Pflichten der Ärzte und damit auch rechtsverbindliche Verbote, insbesondere die Musterberufsordnung (BOÄ). Auch nach dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG), dem auch die Angehörigen der freien Berufe, insbesondere Ärzte, unterliegen, gelten Verstöße gegen die standesärztlichen Werberegeln als unlauter. Der Marketingprozess stellt den strukturierten Ablauf des Marketing dar und beginnt mit der Marktforschung, die externe und interne Rahmenbedingungen bzw. Einflussfaktoren des Marketing analysieren soll, um daraus die Stärken und Schwächen zu ermitteln, sowie mögliche Marktrisiken und -chancen abzuleiten (Abbildung 20). Korrekturen

Marktforschung

Marketingziele

I

Begleitende Erfolgskontrolle

Abbildung 20:

) Marketingstrategie)

Erfolgskontrolle

Marketingprozess.

Im Anschluss an die Festlegung der Marketingziele und der zu erreichenden Zielgruppen ist die geeignete Marketingstrategie daraus zu ermitteln, damit die zukünftigen Absichten und die sich daraus ergebende Marketingpolitik sich definieren und festlegen lassen. Danach findet die Auswahl und Anwendung der für die Umsetzung der festgelegten Marketingstrategie geeigneten Marketinginstrumente statt. Nicht nur am Ende des Marketingprozesses, aber spätestens dann, ist schließlich eine Erfolgskontrolle durchzuführen. Damit frühzeitig festgestellt werden kann, ob

Lernabschnitt 2:

Marktforschung

89

sich der mit den Marketing-Aktivitäten verbundene Aufwand auch lohnt oder nur zusätzliche Kosten verursacht werden, muss sie vielmehr ständig und kontinuierlich bei der Umsetzung der Marketinginstrumente erfolgen. Das Marketing ist langfristig angelegt, denn der Erfolg einmaliger Maßnahmen ist zeitlich begrenzt. Im Lebenszyklus eines Unternehmens oder einer medizinischen Einrichtung ergibt sich die Notwendigkeit, dass einmal festgelegte Marketingkonzepte überarbeitet und dem sich verändernden Umfeld angepasst werden müssen. Das Marketing basiert daher in der Umsetzung auf der Kontinuität angewendeter Einzelmaßnahmen und damit auf einer dauerhaften Marktbearbeitung.

Kontrollfragen • • • • •

Was bedeutet, Marketing als Ausdruck eines marktorientierten unternehmerischen Denkstils zu verstehen? Welches Verhältnis bezeichnet der Marktsättigungsgrad 1 Wodurch unterscheiden sich Absatz- und Markt Orientierung! Wodurch lässt sich eine undifferenzierte Bearbeitung des Gesamtmarktes vermeiden? Warum ist das Marketing ein Prozess dauerhafter Marktbearbeitimgl

Lernabschnitt 2:

Marktforschung

Die Marktforschung steht an erster Stelle des Marketingprozesses und umfasst wissenschaftliche Methoden zur planmäßigen und systematischen Untersuchung des Absatzmarktes, um Marketingentscheidungen treffen zu können. Sie dient zur Analyse der gegenwärtigen und zukünftigen Unternehmenssituation und erstreckt sich hierzu auf interne und externe Rahmenbedingungen bzw. Einflussfaktoren. Es sind Informationen darüber zu sammeln, wie sich der Markt und die Nachfrage entwickeln werden, wie das Unternehmen im Vergleich zu anderen gegenwärtig zu sehen ist bzw. welche Rolle es zukünftig im Konkurrentenfeld spielen wird. Hinsichtlich des Forschungsgegenstandes lässt sich die Marktforschung einteilen in die Werbe-, Konkurrenz-, Absatzwege- und Konsumentenforschung (Abbildung 21). Die Werbeforschung befasst sich insbesondere mit den Einsatzmöglichkeiten verschiedener Werbemittel, dem Erreichungspotenzial einzelner Werbeträger sowie der Erwartungshaltung an das Unternehmensimage. Im Zentrum der Konkurrenzforschung stehen die Verhaltensweisen der Mitbewerber und die Absatzwegeforschung befasst sich mit der Erkundung geeigneter Vertriebsstrukturen. Gegenstände der Konsumentenforschung sind die Bedürfnisse und Motivationen der Verbraucher, um Marktanteile, -potenziai und -volumen bestimmen zu können. Je nach Dauer der Erhebung lässt sich die Marktforschung einteilen in die Marktanalyse und die Marktbeobachtung.

90

Modul IV:

Abbildung 21:

Marketing

Marktforschungsarten.

Die Marktanalyse ist eine statische Bestandsaufnahme von Marktgegebenheiten zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt. Wie in einer Momentaufnahme wird hierbei etwa kurz vor dem Zeitpunkt einer Entscheidung über die zukünftige Marketingstrategie eine möglichst umfassende Aufnahme aller relevanten Marktdaten durchgeführt. Eine Marktbeobachtung ist notwendig, um bspw. Entwicklungen über einen längeren Zeitraum hin in Erfahrung zu bringen. Die Marktbeobachtung als dynamische Bestandsaufnahme ist zweckmäßigerweise dann anzuwenden, wenn langfristige, schwer korrigierbare Marketingentscheidungen getroffen werden sollen. Bezüglich der Erhebung des Datenmaterials lässt sich die Marktforschung unterscheiden in Primär- und Sekundärforschung. Primärmarktforschung liegt vor, wenn neues Datenmaterial im Markt erhoben, aufbereitet und ausgewertet wird. Dazu ist zunächst festzulegen, in welchem Umfang die Erhebung durchzuführen ist, um möglichst aussagekräftige Informationen zu erhalten. Da eine Vollerhebung des Gesamtmarktes meist aus Kostengründen ausscheidet, ist bei einer Teilerhebung in Abhängigkeit vom Untersuchungsgegenstand die Grundgesamtheit zu definieren, die die Menge der Untersuchungseinheiten darstellt, über die eine Aussage getroffen werden soll. Mit Hilfe von Auswahlverfahren ist daraus eine Teilmenge (Stichprobe) auszuwählen, die die wesentlichen Merkmale der Grundgesamtheit möglichst gut repräsentiert. Während willkürliche und konzentrierende Auswahlverfahren die Aussagekraft aufgrund ihrer möglichen Beeinflussbarkeit und Ungenauigkeit einschränken, haben Zufallsauswahlverfahren (Randomverfahren) die Möglichkeit, dass alle Elemente der Grundgesamtheit die gleiche und berechenbare Chance erhalten, in die Stichprobe zu gelangen. Die Datenerhebung lässt sich durch Befragung durchführen und kann schriftlich mit Hilfe von Fragebogen, mündlich als Interview oder technisch unterstützt am Bildschirm erfolgen. Um einen Fragebogen möglichst aussagekräftig zu gestalten, ist die Einhaltung von Gestaltungsregeln sinnvoll:

Lernabschnitt 2:

• • • • • • •

Marktforschung

91

Umfang: Maximal 30 Fragen Suggestivfragen: Vermeidung von Suggestivfragen, die die Antwort nahe legen Fragengestaltung: Zusammenziehung von Einzelfragen zu Fragenkomplexen Fragestellung: Vermeidung abstrakter Fragen Formulierung: Deutliche und klar verständliche Frageformulierungen Beantwortung: Vermeidung von Fragen ohne Antwortalternativen Befragte: Berücksichtigung von Bildungsstand und sozialer Herkunft bei der Fragenformulierung

Das Interview ist eine relativ aufwendige Erhebungsmethode. Zu ihrer Vorbereitung ist ein Katalog der benötigten Informationen zusammenzustellen und ein Interviewplan festzulegen. Bei der Durchführung wird im Rahmen der Einführungsphase zunächst versucht eine positive Gesprächsatmosphäre zu erreichen, Aufgabe und Zweck des Gesprächs werden erläutert. In der Befragungsphase versucht der Interviewer alle benötigten Informationen zu erlangen. Die Schlussphase wird dazu benutzt, die Einstellung der Befragten in Erfahrung zu bringen. Im Rahmen der Auswertung muss das Interview zunächst auf Vollständigkeit im Hinblick auf die benötigten Informationen und die Interviewaussagen auf Fehler (Plausibilität) geprüft werden. Die wichtigsten Interviewergebnisse sind zweckmäßigerweise aufzuzeichnen bzw. schriftlich festzuhalten. Bei der Beobachtung als geplante, systematische Wahrnehmung des zeitlich dynamischen Verhaltens von Beobachtungsobjekten ist zwischen der teilnehmenden und nicht-teilnehmenden Variante zu unterscheiden, bei der der Beobachter aktiv in das Geschehen einbezogen ist bzw. dies nicht der Fall ist. Eine weitere wichtige Möglichkeit der Datenerhebung ist die Panelforschung, bei der mit einer definierten, unveränderten Menge von Untersuchungseinheiten in bestimmten Abständen Erhebungen zu gleich bleibenden Fragen und mit Beibehaltung der Methoden durchgeführt werden. Typische Beispiele sind Einkaufs-, Verbraucher- oder Handelspanel. Der Test stellt ebenfalls ein Instrument zur Informationsgewinnung dar. Er wird zur Überprüfung von Markthypothesen eingesetzt, um Erkenntnisse über Wirkungen oder Reaktionen auf bestimmte Produkte, Konzepte, Reize, Verpackungen oder Werbemittel zu gewinnen. Je nach Durchführungszeitpunkt lassen sich Pre- oder Posttest unterscheiden. Häufig wird auch in einem Testmarkt als lokal oder regional abgegrenzter Markt ein Produkt oder Verkaufskonzept probeweise eingeführt. Die Sekundärmarktforschung greift auf bereits erhobenes Datenmaterial zurück und benutzt es für eigene Auswertungszwecke. Sie greift dazu auf externe und interne Datenquellen zurück: •



Externe Quellen: Wirtschaftsdatenbanken, Informationsdienste, Berichte von Forschungsinstituten, Statistiken Veröffentlichungen, Kataloge, Angebote kommerzieller Datenanbieter etc. Interne Quellen: Kostenrechnung, Absatzplanung, Vertriebsauswertungen, Buchhaltung, interne Statistiken etc.

Derartige Datenquellen für das Gesundheitswesen können bspw. sein: medizinische Fachbücher und -Zeitschriften, Statistische Jahrbücher (Fachreihe 12, Gesundheitswesen), Nachrichten der ärztlichen und kassenärztlichen Vereinigungen, Verbände

92

Modul IV:

Marketing

und Gesellschaften, Statistiken der Berufsgenossenschaften und Unfallversicherer, Prospekte und Kataloge der Medizingerätehersteller und Vertriebsunternehmen. Die Marktforschung bezieht sich in der Regel auf einen Gegenstand oder ein Forschungsobjekt. Arn Beispiel des Gesundheitswesens lassen sich unterschiedliche Objekte identifizieren: Zum einen ist dies der Gesamtmarkt für Behandhmgsleistungen, der in Form des öffentlichen Gesundheitswesens der Bundesrepublik Deutschland Veränderungen unterliegt. So führt eine zunehmende Anzahl von Anbietern medizinischer Behandlungsleistungen insbesondere in Städten und Ballungsgebieten zu einem Angebotsüberschuss und damit von einem Angebots- zu einem Nachfragermarkt. In einer derartigen durch Nachfragesättigung sowie anspruchsvolle, kritische und besser informierte Patienten gekennzeichneten Marktsituation sind medizinische Einrichtungen gezwungen, sich der steigenden Wettbewerbsintensität durch Werbung, Differenzierung von der Konkurrenz und neuen Behandlungsangeboten zu stellen. Ferner nimmt die Häufigkeit bestimmter Krankheiten, wie etwa Allergien, zu, die Zahl anderer Krankheiten nicht zuletzt aufgrund des medizinischen Fortschritts hingegen ab. So lassen sich nicht zuletzt durch die rasante Entwicklung der Mikrochirurgie immer mehr Eingriffe ambulant verrichten, neue Behandlungsmethoden lösen alte Verfahren ab und die Anwendung neuer Arznei- und Heilmittel verbessert oder beschleunigt gar die Heilprozesse. Der lokale Markt einer medizinischen Einrichtung wird durch das individuelle Umfeld bestimmt. Hierbei spielen die Konkurrenzverhältnisse mit anderen Einrichtungen, die zukünftigen allgemeinen medizinischen und medizintechnischen Entwicklungen, die Bevölkerungsanzahl im Einzugsgebiet sowie deren Alters- und Sozialstruktur eine wesentliche Rolle. Je nach veränderter Patientenstruktur ändert sich auch der Bedarf an einzelnen Behandlungsleistungen. Bei der Analyse der Konkurrenzsituation ist festzustellen, dass in der Regel direkt und indirekt konkurrierende Einrichtungen vorhanden sind, die mit einem gleichen oder ähnlichen Behandlungsangebot auf denselben Patientenmarkt abzielen. Zu diesem Zweck ist über die Analyse der Konkurrenzverhältnisse hinaus ein Vergleich der möglichen Behandlungs- und Patientenserviceangebote notwendig. Um die Patientenbedürfnisse in den Mittelpunkt aller Marketingaktivitäten stellen zu können, ist zuvor eine Erforschung der Bedürfnisstrukturen erforderlich. Eine marktorientierte Marketingpolitik für das Gesundheitswesen kommt nicht umhin, den Patienten zu Rieht- und Angelpunkt aller Überlegungen zu machen. Nur dann, wenn eine Klinik oder Arztpraxis ihre Patienten und Nicht-Patienten, deren Verhalten und Bedürfnisse wirklich kennt, ist sie in der Lage, Marktlücken zu entdecken und zu schließen. Schließlich ist es nicht nur wichtig zu wissen, wie die medizinische Einrichtung im externen Umfeld zu sehen ist. Auch die interne Einschätzung der Situation, die insbesondere von den Mitarbeitern zu erfahren ist, sollte in die Erforschung des Marktes und in die darauf begründete Entscheidungsfindung einbezogen werden.

Kontrollfragen • •

Wodurch unterscheiden sich Marktanalyse und Marktbeobachtung? Wodurch unterscheiden sich Primär- und Sekundärmarktforschungl

Lernabschnitt 3:

• •

Marketingziele

93

Warum erzielen Zufallsauswahlverfahren aussagekräftigere Ergebnisse? Wozu wird das Testverfahren angewendet?

Lernabschnitt 3:

Marketingziele

Ein weiterer Ausgangspunkt des Marketings sind die Marketingziele. Ein Marketingziel stellt einen angestrebten, zukünftigen Zustand dar und wird auf der Basis der in der Marktforschung ermittelten internen und externen Rahmenbedingungen definiert. Ihm kommt eine besondere Steuerungs- und Koordinationsfunktion zu, denn es kennzeichnet den für das Marketing festgelegten Endzustand, der durch den Einsatz absatzpolitischer Instrumente erreicht werden soll. Zweckmäßigerweise basiert marktorientiertes Handeln zunächst auf einer Art Oberziel, dem Marketingleitbild. Es stellt als eine Art kollektives Vorbild die oberste Zielmaxime des Marketing dar, an dem sich die Marketingziele ausrichten sollen, um einen abgestimmten, kombinierten Einsatz der Marketinginstrumente zu ermöglichen. Als Zielmaximen lassen sich üblicherweise Marktführerschaft, Kostenführerschaft und Bekanntheitsgrade formulieren, oder, am Beispiel medizinischer Einrichtungen, Leitbilder in den Bereichen Patientenfreundlichkeit, Behandlungsmethoden, Modernität medizintechnischer Ausstattung etc. beschreiben. Die Marketingziele können grundsätzlichen einen höheren Rang oder einen niedrigeren Rang aufweisen. Besonders wichtig ist das Verhältnis der Ziele untereinander. Problemlos und für den Erfolg der Marketingaktivitäten von großer Bedeutung sind komplementäre Ziele. Problematischer und auch realistischer ist jedoch die Annahme, dass die Marketingziele auch in einem konkurrierenden Verhältnis zueinander stehen können: Die Ziele behindern sich und lassen sich nicht gleichzeitig verwirklichen. Indifferente Marketingziele liegen dann vor, wenn die Erreichung des einen Zieles keinerlei Einfluss auf die Erfüllung eines anderen Zieles hat. Auf dieser Basis lassen sich zunächst Zielfelder für die Marketingziele entwickeln (Tabelle 33). Die Ableitung der Marketingziele aus den einzelnen Zielfeldern muss folgendes leisten: Eine möglichst genaue und messbare (operationalisierte) Zielformulierung, um die Wirksamkeit bzw. Effizienz der zu entwickelnden Strategien und Maßnahmen im Rahmen der Marketingkontrolle beurteilen zu können. Die letztendliche Festlegung der Marketingziele unterliegt oft vielerlei Restriktionen. Langjährige Traditionen können ein Hindernis darstellen, aus seinen angestammten Tätigkeitsgebieten auszubrechen. Kernkompetenzen, Grundeinstellungen und Grundhaltungen können dazu führen, dass bestimmte Angebote von vorneherein ausgeschlossen werden, auch wenn sie noch so erfolgversprechend und ohne allzu großen Aufwand zu realisieren wären. Eine weitere Restriktion kann die Identifizierung von Zielgruppen darstellen. Ist eine eindeutige Identifizierung möglich, so lässt sich daraus eine mögliche Spezialisierungsstrategie ableiten, um genau dieser Zielgruppe gerecht zu werden. Steht

94

Modul IV:

Tabelle 33:

Marketing

Marketingziele im Gesundheitswesen.

Kriterien Marktteilnehmer

Zielfelder Patienten

Zusätzliche Patientengewinnung Stärkere Patientenbindung

Marketinginstrumente

Leistungen

Märkte

Konkurrierende Einrichtungen

Konkurrenz ausweichen

Behandlungsangebot

Angebotserweiterung

Patientenservice

Serviceoptimierung

Patienteninformation

Informationsverbesserung

Derzeitige Behandlungsleistungen

Diversifikation

Neue Behandlungsleistungen

Entwicklung neuer Behandlungsleistungen

Bisherige Märkte

Stärkere Marktdurchdringung

Neue Märkte

Neue Marktentwicklung

Konkurrenz stellen

hingegen keine eindeutige Identifizierung von erfolgversprechenden Zielgruppen in Aussicht, so bleibt im Grunde genommen nur der Weg einer Generalistenstrategie, um die gesamte Bandbreite möglicher Bedürfnisse abzudecken. Das Vorhaben, Zielgruppen zu entwickeln, ist in der Regel mit großem Aufwand und entsprechenden Risiken behaftet. Unter der Zielgruppe sind jene Bevölkerungsteile zu verstehen, die durch die Marketingaktivitäten bevorzugt angesprochen werden sollen. Sie bilden im Allgemeinen keine homogene Einheit, sondern unterscheiden sich unter anderem hinsichtlich ihrer Bedürfnisse, Präferenzen und der ihnen zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel. Der Markt ist daher in der Regel nicht als Einheit zu betrachten, sondern als Gebilde, das aus einzelnen Bevölkerungsgruppierungen besteht, die sich hinsichtlich bestimmter nachfragerelevanter Merkmale unterscheiden und auf die die Marketingaktivitäten auszurichten sind. Die Frage, ob die Marketingaktivitäten auf eine Zielgruppe, wenige oder mehrere Zielgruppen ausgerichtet werden sollen, hängt im Wesentlichen von den vorhandenen finanziellen Mitteln, der Bedeutung der einzelnen Zielgruppen und vom Konkurrenzverhalten ab. Der Vorteil der Beschränkung auf eine Zielgruppe liegt vor allem in der Bündelung der Kräfte, denn die Marketingaktivitäten lassen sich voll auf die ausgewählte Zielgruppe konzentrieren. Eine solche Vorgehensweise scheint auch deswegen besonders attraktiv, weil sie in der Regel mit geringeren finanziellen Auf-

Lernabschnitt 3:

Marketingziele

95

Wendungen verbunden ist, als die gleichzeitige Ausrichtung auf mehrere Gruppierungen. Dabei ist allerdings darauf zu achten, dass die ausgewählte Zielgruppe Wachstumschancen bietet und bei der Ausrichtung auf diese Zielgruppe auch Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz aufgebaut werden können. Die Ausrichtung auf eine einzelne Zielgruppe ist zudem aufgrund der hohen Abhängigkeit von der Entwicklung dieser Zielgruppe mit einem hohen Risiko verbunden. Durch die Berücksichtigung mehrerer Zielgruppen lassen sich größere Teile des Marktes erreichen, indem auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der einzelnen Zielgruppen differenziert eingegangen wird. Eine Umsatzstagnation oder gar ein Umsatzrückgang bei einer Zielgruppe hat zudem geringere Auswirkungen. Der mit einer Ausrichtung auf mehrere Zielgruppen verbundene Marketingaufwand für Planung, Durchführung und Kontrolle der differenzierten Marketingaktivitäten ist allerdings vergleichsweise hoch. Mitunter schließt sich gleichzeitige Ausrichtung auf Zielgruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Interessenlagen auch aus, insbesondere dann, wenn Zielkonflikte vorliegen. In der Feststellung von Zielkonflikten besteht nicht nur ein marketingspezifisches Problem. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass eine bestimmte Marketingmaßnahme die Erreichung eines Marketingzieles fördert, gleichzeitig aber die eines anderen Zieles beeinträchtigt oder gefährdet. Hinzu kommt, dass sich die Auswirkungen der Verfolgung unterschiedlicher Marketingziele zum einen sachlich und zum anderen auch zeitlich nicht immer genau beurteilen lassen. Wird versucht, die Bedeutung einzelner Marketingziele abzuwägen, und im Anschluss daran eine Entscheidung zugunsten des ein oder anderen Zieles zu treffen, so kann dies zu folgenden Möglichkeiten zur Lösung derartiger Zielkonflikte führen: •

• •

Abschwächung: Bevorzugung der Erreichung eines bestimmten Marketingzieles und Berücksichtigung aller anderen Ziele nur als begrenzende Faktoren bei der Zielerreichung des favorisierten Zieles Kompromiss: Verzicht auf einzelne konkurrierende Marketingziele und Festlegung eines gemeinsamen Oberziels Vernachlässigung: Bevorzugung der Erreichung eines bestimmten Marketingzieles und Vernachlässigung aller anderen Ziele

Kontrollfragen • • • •

Inwiefern haben Marketingziele Steuerungs- und Koordinationsfunktionen im Marketing? Was ist unter einem Marketingleitbild zu verstehen? Warum ist eine möglichst operationalisierte Formulierung der Marketingziele nötig? Was ist unter einer Zielgruppe zu verstehen?

96

Modul IV:

Marketing

Lernabschnitt 4:

Marketingstrategien

Eine Marketingstrategie stellt eine mittel- bis langfristige Grundsatzentscheidung dar, wie, mit welcher Vorgehensweise und unter Einsatz welcher Instrumente die festgelegten Marketingziele erreicht werden sollen. Das strategische Marketing ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Weg vorgegeben wird, auf dem sich der Einsatz der Marketinginstrumente vollzieht. Marketingstrategien sind somit als Richtlinien oder Leitmaximen anzusehen, durch welche ein Rahmen sowie eine bestimmte Stoßrichtung der Marketingmaßnahmen vorgegeben sind. Sie stellen einen langfristigen Verhaltensplan dar, dessen Hauptzielsetzung es ist, im Markt die richtigen Entscheidungen zu treffen. Zur Ableitung möglichst erfolgversprechender Marketingstrategien tragen verschiedene Analysemethoden bei (Abbildung 22). Bei der Portfolioanalyse wird das Produkt- bzw. Leistungsangebot nach den Kriterien Marktanteil und Marktwachstumschancen eingeordnet, um daraus geeignete Vorgehensweisen ableiten zu können. Im Segment A ergeben sich ein hoher Marktanteil und große Marktwachstumschancen. Die daraus ableitbare Strategie lautet, den Umsatz weiter zu steigern und den Marktanteil auszubauen. Dies geht in der Regel allerdings nur, wenn das Angebot durch gezielte Investitionen auf

Marktwachstum hoch

A

niedrig

Β 3ε

C

D

Zeit

Portfolioanalyse

Lebenszyklusanalyse

Absatzmenge

Erfahrungskurvenanalyse Abbildung 22:

Ableitung von Marketingstrategien.

Lernabschnitt 4:

Marketingstrategien

97

hohem Niveau bleibt. Das Segment Β ist gekennzeichnet durch einen hohen Marktanteil aber niedrigen Wachstumschancen. Es werden hohe Erträge erwirtschaftet, größere Investitionen in das Produkt- oder Leistungsangebot unterbleiben jedoch. Das Angebot hat bereits eine gute Marktposition, der Gesamtmarkt wächst allerdings nicht mehr. Als Strategie lässt sich hieraus ableiten, den bereits erreichten Marktanteil zu halten, durch gezielte Kostensenkungs- bzw. Rationalisierungsmaßnahmen den Gewinn abzuschöpfen und Investitionen weitestgehend zu vermeiden. Im Segment C sind üblicherweise Neueinführungen angesiedelt, die einen bisher geringen Marktanteil haben, sich jedoch auf einem Markt mit aussichtsreichen Zuwachsraten bewegen. Das Produkt- bzw. Leistungsangebot wirft bislang niedrige Gewinne ab, da die Investitionen sich noch amortisieren müssen. Da dieses Angebot hervorragende Zukunftsaussichten hat, ist die nahe liegende Strategie, den Marktanteil auszubauen und durch gezielte Investitionen einen deutlichen Vorsprung zu erzielen. Im Segment D trifft ein niedriger Marktanteil mit geringen Marktwachstumschancen zusammen. Da mit diesen Produkten oder Leistungen nur geringe Umsätze und, wenn überhaupt, auch nur geringe Gewinne erzielt werden, ist zu überlegen, ob dieses Angebot aufrechterhalten werden soll. Die Lebenszyklusanalyse geht davon aus, dass die Entwicklung von Produkten oder Leistungen einem mehr oder weniger regelmäßigen Zyklus unterliegt, anhand dessen einzelner Zyklusphasen sich die jeweils geeigneten Strategien ableiten lassen. Die Einführungs- und Wachstumsphasen sind durch Investitionen und umfangreiche Marketingaktivitäten gekennzeichnet, die Phase der Konsolidierung, die die Produktreife umfasst, aber auch bereits Anzeichen einer Marktsättigung erkennen lässt, durch gezielte Investitionen in die Erhaltung des Marktanteils und die Phase der Degenerierung durch die letztendliche Entscheidung aufgrund der Schrumpfung und des Rückgangs das Produkt vom Markt zu nehmen. Eine spezielle Marketingstrategie in der Konsolidierungsphase ist bspw. der Relaunch, der den Versuch darstellt, durch Modernisierung eines Produktes oder die Entwicklung neuer Werbekonzeptionen, dem stagnierenden oder rückläufigen Absatz entgegenzuwirken. Durch dieses Revitalisierungsmarketing werden insbesondere Markenartikel durch Maßnahmen der Produktvariation am Markt gehalten. Die Erfahrungskurvenanalyse geht aufgrund von empirischen Untersuchungen zu Preis- und Kostenentwicklungen davon aus, dass Unternehmen mit langjährig auf dem Markt etablierten Produkten bzw. Leistungen und einem hohen Marktanteil sich auf der Erfahrungskurve nach unten bewegen und damit geringere Kosten aufweisen, als Mitbewerber mit einem geringeren Marktanteil und weniger Erfahrungswerten. Die empirischen Ergebnisse belegen einen durchschnittlich 25%igen Stückkostenrückgang mit jeder Verdopplung der Absatzmengen im Zeitablauf. Für die Marketingstrategien lassen sich daraus Prognosen über die zukünftigen Kostenentwicklungen und Gewinnpotenziale ableiten. Weitere Informationen über die Situation sowie externe und interne Bestimmungsfaktoren als wichtige Basis für die Entwicklung von Marketingstrategien können auch Branchenstruktur-, Konkurrenz-, Stärken/Schwächen- oder Wertkettenanalysen liefern. Auf der Grundlage der Situationsanalyse lassen sich nun Strategiealternativen entwickeln, deren Ziel die Schaffung eines strategischen Wettbewerbsvorteils ist,

98

Modul IV:

Marketing

um durch den bewussten Aufbau von wichtigen und dominierenden Fähigkeiten langfristig und dauerhaft einen überdurchschnittliche Erfolg zu gewährleisten. Eine Ausrichtung an den wichtigen Elementen Markt, Zielgruppe und Produktbzw. Leistungsangebot ergibt folgende Strategiealternativen: • • • •

Minimalstrategie: Marktdurchdringung unter Beibehaltung von Angebot und Zielgruppe Intensivierungsstrategie: Marktentwicklung unter Beibehaltung des Angebots und Erschließung neuer Zielgruppen Innovationsstrategie: Erneuerung des Angebots unter Beibehaltung der Zielgruppe Diversifikationsstrategie: Erweiterung des Angebots und Erschließung neuer Zielgruppen

Die Minimalstrategie stellt gleichzeitig eine Bewahrungsstrategie dar, wenn das bisherige Angebot auf den bisherigen Märkten auch weiterhin beibehalten wird, insbesondere wenn diese Vorgehensweise bislang erfolgreich war und die Ziele dadurch auch erreicht wurden. Im Zusammenhang mit der Diversifikationsstrategie ist die Streustrategie zu nennen, bei der gleichzeitig mehrere neue Angebote verstreut werden, ohne zu wissen, welches Angebot ein sicherer Erfolg wird. Diese Strategie ist aufgrund der notwendigen umfangreichen Angebotserweiterung natürlich ungeheuer aufwendig und mit erheblichen Kosten verbunden. Dem steht die Konzentrationsstrategie gegenüber, bei der man sich ganz gezielt auf eine bestimmte Erweiterung der Angebotspalette festlegt. Die Gefahr, dass bei dieser Einengung durch Fehleinschätzungen ein Misserfolg zu erwarten ist, ist dabei natürlich groß. Anhand von Angebot und Zielgruppe lassen sich die Marketingstrategien folgendermaßen abgrenzen (Tabelle 34). Die Entwicklung von Marketingstrategien ist eine kreative Aufgabe, denn durch das Aufstellen möglichst vieler Strategievarianten steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Strategie finden lässt, die dicht neben der besten liegt. Auch besteht die Gefahr, dass die Konkurrenz mit Gegenstrategien reagiert. Eine weitere Aufgabe ist es daher, mögliche Gegenstrategien zu antizipieren, um auch hierfür alternative Antworten bereitzuhalten und spätere Reaktionszeiten zu verkürzen. Die Positionierung am Markt ist das Ergebnis der strategischen Überlegungen zum Marketing und beschreibt die Stellung, die gegenüber den Kunden bzw. Patienten und dem Wettbewerb eingenommen wird. Ziel ist es dabei, eine möglichst Erfolg versprechende Positionierung anzustreben, einzunehmen, sie zu festigen und auszubauen. Je nach Ausrichtung ergibt sich das individuelle Unternehmensprofil. Es zeichnet sich idealerweise durch ein unverwechselbares Erscheinungsbild, standesgemäßes Auftreten, klare Akzente und glaubwürdige Vermittlung gegenüber dem relevanten Umfeld aus. Das Unternehmensprofil hat entscheidenden Einfluss darauf, welche Position am Markt und damit im Wettbewerb eingenommen wird.

Lernabschnitt 4:

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Marketingstrategien

100

Modul IV:

Marketing

Kontrollfragen • • • • •

Was ist unter einer Marketingstrategie zu verstehen? Nach welchen Kriterien werden bei einer Portfolioanalyse das Produkt· bzw. Leistungsangebot eingeordnet? Wodurch sind die einzelnen Phasen bei der Lebenszyklusanalyse gekennzeichnet? Durch welche spezielle Marketingstrategie werden insbesondere Markenartikel am Markt gehalten? Wodurch zeichnet sich ein Unternehmensprofil idealerweise aus?

Lernabschnitt 5:

Marketinginstrumente

Der Einsatz der Marketinginstrumente dient dazu, die Marketingziele und -Strategien operativ umzusetzen. Mit ihrer sachgerechten Anwendung sollen die Zielgruppen dazu gebracht werden, das Produkt- und Dienstleistungsangebot wahrzunehmen und den dafür geforderten Preis zu akzeptieren. Nach einem der bedeutendsten deutschen Marketingforscher, Heribert Meffert (geb. 1937), unterscheidet man bei den Instrumenten zwischen • • • •

Product: Produkt- und Programmpolitik, bzw. Leistungspolitik Price: Kontrahierungspolitik, bzw. Preis- oder Entgeltpolitik Place: Distributionspolitik Promotion: Kommunikationspolitik

Im Bereich der Produkt- und Programmpolitik, bzw. Leistungspolitik geht es um die marktgerechte Gestaltung aller am Markt angebotenen Produkte und Leistungen. Sie umfasst folgende Aufgabengebiete: • • • • •

Produktpolitik (i. e. S.): Einführung neuer Produkt- oder Leistungsangebote, einschließlich ihrer Gestaltung (Verpackung, Kennzeichnung als Marke etc.) Markenpolitik: Aufbau und Pflege von Produkt- oder Leistungsangeboten als Markenartikel Sortimentspolitik: Planmäßige Steuerung des Sortiments und Integration der Einzelangebote in einen größeren Angebotszusammenhang Servicepolitik: Ergänzung des Produkt- oder Leistungsangebotes durch zusätzliche Leistungen die Reduzierung des bisherigen Leistungsangebotes.

Die Produktpolitik (i. e. S.) ist eine Kernaufgabe des Marketing und des Einsatzes der Marketinginstrumente, da sie eine möglichst attraktive, Erfolg versprechende Gestaltung des Absatzprogrammes zum Gegenstand hat. Im Rahmen der Produktinnovation geht es um die Entwicklung von neuen Produkten und Dienstleistungen, wie etwa im medizinischen Bereich um die Einführung neuer Behandlungsange-

Lernabschnitt 5:

Marketinginstrumente

101

bote. So kann bspw. überlegt werden, ob etwa zusätzliche Leistungen, neue Behandlungsmethoden oder neben den schulmedizinischen Methoden etwa auch Naturheilverfahren angeboten werden sollen. Die Produktgestaltung ist dabei von großer Bedeutung, da Forschung und Entwicklung, Design und Produktplanung in einem interdisziplinären Prozess an der bestmöglichen Produktrealisierung arbeiten. Im Zentrum der Produktgestaltung steht der Produktnutzen für den Kunden. Er setzt sich nach Meffert zusammen aus verschiedenen Nutzenarten, die es zu berücksichtigen gilt: • • • •

Grundnutzen: Aus den physikalisch-funktionellen Eigenschaften eines Produktes resultierende Bedürfnisbefriedigung Zusatznutzen: Uber den Grundnutzen hinausgehende Bedürfnisbefriedigung Erbauungsnutzen: Aus den ästhetischen Eigenschaften eines Produktes resultierende Bedürfnisbefriedigung Geltungsnutzen: Aus den sozialen Eigenschaften eines Produktes resultierende Bedürfnisbefriedigung

Bei der Produktdifferenzierung wird versucht, sich durch Erweiterung der Angebotspalette von der Konkurrenz abzugrenzen. Das bisherige Angebot wird dabei um abgestimmte, zueinander passende Produkte ergänzt. Im medizinischen Bereich lassen sich bei der Leistungsdifferenzierung neben standardmäßigen Behandlungsleistungen bspw. auch Sonderleistungen, etwa im Bereich therapeutischer oder kosmetischer Behandlung anbieten. Insbesondere ist hierbei auch ein verstärkter Bedarf an medizinischen Produkten und Behandlungsleistungen zu verzeichnen, die dem Wunsch nach allgemeiner Gesundheit, Wellness und Vitalität Rechnung tragen. Die Produktvariation stellt eine Veränderung des bisherigen Produkt- und Leistungsangebotes dar. Als Beispiele im Gesundheitswesen können die Behandlung in einer neu angeschafften Behandlungseinheit oder die wahlweise Setzung von Oberflächenanästhesien bei Injektionsverabreichung genannt werden. Bei der Produkteliminierung werden ertragsschwache Produkt- und Leistungsangebote zum Zwecke der Programmerneuerung aus der Angebotspalette entfernt. So kann bspw. im medizinischen Bereich über einen Verzicht auf chirurgische Leistungen und Instrumente oder über eine Abschaffung des vorhandenen Eigenlabors nachgedacht werden. Die Markenpolitik ist ein Spezialgebiet der Produktpolitik, bei der es darum geht, bestimmte Produkt- und Leistungsangebote dauerhaft als Marke zu etablieren. Markenartikel sind standardisierbare Erzeugnisse für den differenzierten Massenbedarf. Sie sind gekennzeichnet durch • • •

Intensive, sich gegenüber anonymer Ware abgrenzende Werbung Hohen Bekanntheitsgrad und Marktgeltung Produktadäquates Absatzsystem

Um ihre Herkunft von einem bestimmten Hersteller oder einem Handelsbetrieb zu kennzeichnen und dem Käufer gegenüber für gleich bleibende Ausstattung und Verpackung sowie hohe Qualität zu bürgen, werden sie unter einer Marke vertrieben. Sie stellt ein Mittel zur Kennzeichnung von Waren oder Dienstleistungen eines bestimmten Unternehmens mit dem Ziel dar, diese Produkte von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Das Markengesetz (MarkenG) schützt neben Marken auch sonstige im geschäftlichen Verkehr benutzte geschäftliche Bezeichnungen

102

Modul IV:

Marketing

und geografische Herkunftsangaben. Zur Eintragung als Marke sind alle zur Unterscheidung geeigneten Zeichen zugelassen: • • • • • •

Wortzeichen Bildzeichen mehrdimensionale Gestaltungen Personennamen Abbildungen der Ware Hörzeichen

Der Markeninhaber hat das ausschließliche Recht, die Marke im geschäftlichen Verkehr zu benutzen und Markenlizenzen (Markenrechte) zu übertragen. Das Schutzrecht an einer Marke wird durch Eintragung in das Markenregister beim Deutschen Patent- und Markenamt erworben. Die Schutzdauer der Marke beträgt zehn Jahre und kann um weitere zehn Jahre verlängert werden. Durch Anmeldung einer Marke als Gemeinschaftsmarke beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM) kann ein einheitlicher Schutz auf dem gesamten Gebiet der EU erworben werden. Die Sortimentspolitik befasst sich mit der Größe, Struktur und Anpassung des angebotenen Produkt- und Leistungssortiments, sowie mit dessen Konzeptionierung und Überwachung. Als Sortiment wird üblicherweise die Zusammensetzung des Angebotsprogramms eines Handelsbetriebs bezeichnet, das Angebot eines Industriebetriebs als Produktionsprogramm. Es handelt sich dabei um Produkte, die unter Absatzgesichtspunkten in einem Zusammenhang stehen. Während die Sortimentsbreite die Anzahl der verschiedenen Produkte oder Dienstleistungen innerhalb eines Sortiments widerspiegelt, gibt die Sortimentstiefe Auskunft über Anzahl der Waren innerhalb einer bestimmten Produktklasse. Ziele der Sortimentspolitik sind Kosteneinsparungen aufgrund der Nutzung gemeinsamer Fertigungskapazitäten (Baukastenprinzip), Werbung und Distribution, sowie Umsatzsteigerungen durch die Veräußerung von aus mehreren, aufeinander abgestimmten Komponenten bestehenden Problemlösungen, anstatt einzelner Produkte. Die Servicepolitik gewinnt mit zunehmender Komplexität und Austauschbarkeit der Produkte an Bedeutung. Sie hat zur Aufgabe, die Attraktivität des eigentlichen Hauptproduktes oder der Hauptleistung zu erhöhen. Durch produktbegleitende Leistungen soll das Angebot ergänzt und der Kundennutzen gesteigert werden. Serviceleistungen können in Zusammenhang mit dem Produkt- oder Leistungserwerb angeboten werden: • • •

Vor dem Kauf: Beratung, Kundeninformation Während des Kaufs: Finanzierung, Produktinstallation, kostenlose Lieferung Nach dem Kauf: Garantieleistungen, Kundendienst

Zur Kontrahierungspolitik gehören alle Vereinbarungen über das Entgelt des Produkt· oder Leistungsangebotes. Dazu gehören auch Preisnachlässe, Skonti und Rabatte, sowie alle Lieferungs- und Zahlungsbedingungen. Im Mittelpunkt der Kontrahierungspolitik stehen somit die Preis- und Konditionengestaltung. Bei der Preisgestaltung wird von Geldeinheiten als einheitliche Bezugsgröße ausgegangen, in denen der Tauschwert eines Gutes angegeben wird. Die Preisbestimmung kann auf verschiedene Arten erfolgen:

Lernabschnitt 5:

• •

• •

Marketinginstrumente

103

Kostenorientiert: Selbstkosten pro Stück plus Gewinnaufschlag (Cost-plus-Methode) auf der Basis von Deckungsbeitrags- oder Prozesskostenrechnungen Konkurrenzorientiert: Festlegung des Preises auf der Basis des Entgeltes, dass die Konkurrenz verlangt (in oligopolistischen Situationen, bei wenigen Anbietern im Markt) Nutzenorientiert: Preisfestlegung auf der Basis des Nutzens, den das Produkt für den Kunden stiftet Nachfrageorientiert: Analytische Ableitung aus der Preis-Absatz-Funktion, um festzustellen, welche Mengen bei verschieden hohen Preisforderungen absetzbar sind (Cournot'scher Punkt in monopolartigen Situationen)

Der Cournot'sche Punkt ist nach dem französischen Wirtschaftswissenschaftler A. Cournot (1801 — 1877) benannt und bezeichnet das Gewinnmaximum eines Monopolunternehmens. Er wird bei einer verkauften Menge zu einem verlangten Preis eines Produktes minus den Produktionskosten errechnet. Dabei wird das Gewinnmaximum vor dem Umsatzmaximum erreicht. Die gewinnmaximale Absatzmenge und der zugehörige Preis bilden zusammen den Cournot'schen Punkt (Abbildung 23). Der Monopolist kann den Verkaufspreis gewinnmaximierend festsetzen, im Gegensatz zu einem Unternehmen im vollkommenen Wettbewerb, das für sein Produkt den am Markt erzielbaren Preis akzeptieren muss. Er muss sich dafür langsam mit seiner Preispolitik dem Gewinnoptimum nähern oder einer Nachfragefunktion, die bestimmt, zu welchem Preis er wie viel von dem Produkt absetzen kann. U m bei einer nachfrageorientierten Preisgestaltung die Preise in Übereinstimmung mit der Kostenstruktur zu bringen, wird üblicherweise das Target-Costing angewandt. Es handelt sich dabei um ein Zielkostenrechnungsverfahren des Kostenmanagements zur Kostensteuerung durch die Vorgabe von Zielkosten für geplante Produkte oder Leistungen. Die Zielkosten ergeben sich aus dem Preis, den der Kunde zu zahlen bereits ist, abzüglich der Gewinnspanne. Man erhält dadurch Gewinn-

Preis/Kosten

Erlösmaximum

Opimaler Preis

0 Abbildung 23:

Optimale Menge

Cournot'scher Punkt.

Menge

104

Modul IV:

Marketing

die Allowed-Costs, denen die tatsächlichen Kosten, die Drifting-Costs, gegenübergestellt werden müssen. Diese gilt es so zu gestalten, dass sie die Allowed-Costs nicht übersteigen. Ist der Markt in isolierte Teilmärkte aufteilbar, kann, wenn die Konkurrenzsituation dies zulässt, eine Preisdifferenzierung nach Absatzmengen, Zeiträumen, Kundengruppen etc. vorgenommen werden. Bezieht sich die Preisänderung auf den Gesamtmarkt, liegt eine Preisvariation vor. Die Konditionengestaltung umfasst die Gestaltung der Liefer- und Zahlungsbedingungen. Bei den Zahlungsbedingungen ist insbesondere das Gestaltungsinstrument der Preisnachlässe zu nennen. Der Rabatt stellt einen Preisnachlass dar, der dem Käufer auf den geforderten Preis gewährt wird. Er bietet im Vergleich zu niedrigeren Nettopreisen psychologische Vorteile, weil er dem Käufer eine gewisse Bevorzugung suggeriert und eine differenzierte Absatzsteuerung ermöglicht. Üblicherweise werden Rabatte für Wiederverkäufer und für Endverbraucher unterschieden: • • • • •

Skonto (Barzahlungsrabatt): Prozentualer Abschlag vom Preis einer Ware oder Dienstleistung bei sofortiger oder kurzfristiger Zahlung Mengenrabatt: Nachlass bei großen Abnahmemengen Sonderrabatt: Preisnachlässe für Gewerbetreibende oder Mitarbeiter Treuerabatt: Preisnachlass beim häufigen Einkauf oder Kauf von Markenartikeln Zeitrabatt: Nachlässe in Form von Einführungs-, Saison oder Auslaufrabatten

Preisnachlässe dürfen weder sittenwidrig noch irreführend sein, da die Gefahr einer Diskriminierung besteht, wenn Rabatte nicht mehr durch sachliche Gründe zu rechtfertigen sind oder die Rabattspreizung zwischen dem höchstem und niedrigstem Bezugspreis zu Konzentrationsprozessen führt. Neben der Zahlungshöhe lassen sich Zahlungsart und Zahlungsfrist (Zahlungsziel) gestalterisch beeinflussen. Die Lieferbedingungen regeln vor allem die Art und Weise der Lieferung von Gütern. Sie legen bspw. fest, welche Transportkosten der Verkäufer, welche der Käufer zu tragen hat und wer im Falle eines Verlustes der Ware das finanzielle Risiko trägt. Zu diesem Zweck wurden 1936 von der Internationalen Handelskammer (International Chamber of Commerce, ICC) erstmalig die Internationalen Handelsklauseln (International Commercial Terms, INCOTERMS) aufgestellt, um eine gemeinsame Basis für den internationalen Handel zu schaffen (Tabelle 35). Die INCOTERMS werden im Rechtsverkehr, von Geschäftsleuten, Regierungen und Gerichten anerkannt. Sie haben keine Gesetzeskraft, gelten aber als Vereinbarung, die von den Vertragsparteien akzeptiert wird. Ihre Verwendung ist freiwillig, mit dem Ziel, mögliche Missverständnisse und Streitigkeiten auszuschließen. Im Bereich des Gesundheitswesens ist der Spielraum der Preisgestaltung im Wesentlichen durch Gebührenordnungen eingeschränkt, wie bspw. die Gebührenordnung für Ärzte (GOÀ). Maßnahmen aus dem Bereich der Kontrahierungspolitik sind bspw. die Stundung von Honorarrechnungen oder das Angebot von Ratenzahlungsweisen.

Lernabschnitt 5: Tabelle 35:

Marketinginstrumente

105

INCOTERMS.

Bezeichnung

Bedeutung

Erläuterung

EXW

ex w o r k s

ab Werk

Bereitstellung der Ware d u r c h d e n Verkäufer a u f dessen G r u n d s t ü c k ; alle weiteren K o s t e n f ü r Verladung, T r a n s p o r t , Versicherung etc. t r ä g t der K ä u f e r .

FCA

free carrier

frei Frachtführer

Ü b e r g a b e der W a r e einem Frachtführer am benannten Ort u n d F r e i m a c h u n g f ü r die A u s f u h r d u r c h den Verkäufer; K o s t e n f ü r V e r l a d u n g im Werk trägt Verkäufer, alle a n d e r e n der K ä u f e r (gilt f ü r alle T r a n s p o r t m i t t e l , a u c h f ü r Containerverkehr und Luftfracht).

FAS

free alongsideship

frei Längsseite Schiff

V e r k ä u f e r m u s s die W a r e längsseits eines b e s t i m m t e n Schiffs im b e n a n n ten Verschiffungshafen bereitstellen; A u s f u h r - u n d sonstige K o s t e n u n d G e f a h r e n des T r a n s p o r t s v o m Verschiffungshafen bis z u m E m p f a n g s o r t trägt der K ä u f e r .

FOB

free on b o a r d

frei an Bord

V e r k ä u f e r ist verpflichtet, die W a r e an B o r d des vereinbarten Schiffs zu verladen; Pflicht zur K o s t e n t r a g u n g , sowie die G e f a h r des T r a n s p o r t s gehen an B o r d a u f K ä u f e r über.

CFR

cost a n d freight

Kosten und Fracht

Verkäufer m u s s Ware in o r d n u n g s g e m ä ß e n Z u s t a n d auf das Schiff bringen u n d h a t K o s t e n u n d F r a c h t (einschließlich A u s f u h r ) zu zahlen; G e f a h r der Beschädigung oder Z e r s t ö r u n g a u f d e m Schiff geht a u f den K ä u f e r über.

CIF

cost, insurance, freight

Kosten, Versicherung, Fracht

E n t s p r i c h t F O B , der Verkäufer m u s s zusätzlich f ü r K o s t e n der Lieferung, Z o l l a b f e r t i g u n g im A u s f u h r l a n d , Versicherung u n d F r a c h t bis z u m B e s t i m m u n g s hafen aufkommen.

CPT

carriage p a i d to

Frachtfrei

V e r k ä u f e r trägt die K o s t e n des H a u p t t r a n s p o r t s ; alle übrigen K o s t e n trägt der K ä u f e r ; G e f a h r v o n Verlust u n d B e s c h ä d i g u n g gehen m i t Ü b e r g a b e a n den F r a c h t f ü h r e r auf den K ä u f e r über. Fortsetzung

auf Seite

106

106

Modul IV:

Tabelle 35:

Marketing

(Fortsetzung)

Bezeichnung

Bedeutung

Erläuterung

CIP

carriage and insurance paid to

Frachtfrei, versichert

Verkäufer trägt die Kosten für Transport und Transportversicherung; Gefahr der Beschädigung oder des Verlusts trägt der Käufer (ab Übergabe an den Frachtführer, im Schadensfall Ersatz aus der Versicherung.

DAF

delivered at frontier

geliefert bis Grenze

Verkäufer verpflichtet sich, die Ware bis zur Grenze zu liefern und die Ausfuhrzollabfertigung zu erledigen.

DES

delivered ex ship

geliefert ab Schiff

Verkäufer ist verpflichtet, die Ware per Schiff zum Zielhafen zu transportieren; Entladung, Kosten und Gefahr ab Entladung trägt der Käufer.

DEQ

delivered ex quay

geliefert ab Kai

Verkäufer muss die per Schiff gelieferte Ware bis an den Kai entladen; ab dort gehen Gefahr und Kosten (auch Einfuhrzollabfertigung) auf den Käufer über.

DDU

delivered duty unpaid

geliefert unverzollt

Verkäufer muss die Ware für die Einfuhr freimachen und am bestimmten Ort zur Verfügung zu stellen. Zoll und Abladung geht zu Lasten des Käufers.

DDP

delivered duty paid

geliefert, verzollt, versteuert

Verkäufer muss alle Kosten und Gefahren des Transports einschließlich Zoll bis zum Bestimmungsort tragen; Abladung trägt Käufer.

Die Distributionspolitik umfasst alle Handlungen der Übermittlung von materiellen oder immateriellen Leistungen im aquisitorischen Absatzkanal, auf dem Weg vom Hersteller zum Endkunden. Man unterscheidet hierbei die Gestaltung der Absatzwege und die Einbeziehung von Absatzorganen. Der direkte Absatzweg (Direktmarketing) liegt vor, wenn der Hersteller direkt an den Endkunden mit seinem Angebot herantritt. Dies ist häufig der Fall, wenn die Produkte oder Leistungen stark erklärungsbedürftig, hochpreisig oder sehr individuell sind und die vergleichsweise hohen Distributionskosten dies rechtfertigen. Beispiele für direkte Absatzwege sind:

Lernabschnitt 5:

• • • • • • •

Marketinginstrumente

107

Verkaufsniederlassungen Filialsysteme Fabrikverkauf (Factory Outlet) Shop-in-the-shop-Konzepte Telefon verkauf (Telefonmarketing) Versandhandel Internethandel

Der indirekte Absatzweg, über Groß- und Einzelhandel, eignet sich hingegen eher für Standardprodukte oder Massenware. Hierbei ist zusätzlich die Frage zu klären, ob ein Händler das Gesamtsortiment vertreiben darf (Universaldistribution), ob die Zahl der Handelsbetriebe begrenzt wird (Selektivdistribution) oder ob die Zahl der Händler durch qualitative und quantitative Kriterien bestimmt wird (Exklusivdistribution). Beispiele für indirekte Absatzwege sind: • • • • • • •

Großhandel Einzelhandel Kaufhäuser Fachgeschäfte Supermärkte Cash-and-carry-Märkte Hypermarkets

Eine Sonderform des Absatzweges ist das Franchising. Es handelt sich dabei um eine vertraglich geregelte Kooperation zwischen juristisch selbstständigen Unternehmen, wobei der Franchisegeber im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses dem Franchisenehmer gegen Entgelt bestimmte Rechte überlässt, wie bspw. • • • •

Namensrechte Herstellung und Vertrieb eines Markenartikels Markenauftritt Dienstleistungen

Der Franchisegeber behält sich in der Regel weit reichende Weisungs- und Kontrollrechte vor und leistet dem Franchisenehmer Unterstützung beim Aufbau und bei der Führung seines Unternehmens. Als Absatzorgan wird ein unternehmenseigener oder -fremder Absatzmittler als Aquisitor von Aufträgen bezeichnet: • • • •

Außendienstmitarbeiter (Reisender): Fachberater als Angestellter des Unternehmens Key-Account-Manager: Großkundenbetreuer, deren Tätigkeit auch auf die Prozessoptimierung ausgerichtet ist und über das reine Verkaufen hinaus geht Handelsvertreter: Selbständiger, der in fremden Namen und auf fremde Rechnung arbeitet Kommissionäre: Selbständige, die im eigenen Namen kaufen und verkaufen, jedoch auf Rechnung und Gefahr ihrer Auftraggeber

Im Rahmen des Verkaufsmanagements sind die Verkaufsorgane auszuwählen, zu schulen und zu betreuen. Dies erfolgt in der Regel im Rahmen einer Außendienst-

108

Modul IV:

Marketing

organisation, die unter Einsatz von Computer-Aided-Selling (CAS) die Planung, Steuerung und Kontrolle des Verkaufs unter konzeptionellen und operativen Gesichtspunkten durchführt. Die Kommunikationspolitik umfasst alle zielgerichteten Informationsmaßnahmen, die zur Beeinflussung und Steuerung von Einstellungen, Meinungen, Erwartungen und Verhaltensweisen der Zielgruppen eingesetzt werden. Während die ökonomischen Kommunikationsziele auf monetäre Erfolgsgrößen (Absatzmengen, Umsatzgrößen etc.) ausgerichtet sind, sollen die psychologischen Ziele den Produktbekanntheitsgrad oder das Produktwissen der Konsumenten steigern, ihr Empfinden gegenüber dem Produkt verbessern und ihr Verhalten nachhaltig beeinflussen. Zu diesem Zweck lassen sich zahlreiche Instrumente einsetzen: Die Werbung (Reklame) stellt die Meinungsbeeinflussung durch besondere Kommunikationsmittel dar. Sie wird unterteilt in die Absatzwerbung und Public Relations, der Werbung um öffentliches Vertrauen. Die Absatzwerbung ist ein wichtiges absatzpolitisches Instrument und dient der Einführung neuer Produkte und Dienstleistungen sowie der Sicherung bzw. Erhöhung des Marktanteils gegenüber Konkurrenten. Je nach Aufgabenstellung und Inhalt der Werbung unterscheidet man verschiedene Werbungsarten. Die gewünschten Informationen werden mit Hilfe von Werbemitteln und Werbeträgern an die jeweilige Zielgruppe adressiert. Werbemittel sind die gestaltete, an die Zielgruppen gerichtete Form der Werbebotschaft. Werbeträger sind das Medium zu ihrer Übertragung (Tabelle 36). Tabelle 36:

Werbung.

Werbearten

Werbemittel

Werbeträger

Direktwerbung

Ausstellungen

Postwurfsendung

Einführungswerbung

Kataloge

Zeitungen

Erinnerungswerbung

Anzeigen

Internet

Stabilisierungswerbung

Vorführungen

Hörfunk

Expansionswerbung

Plakate

Fernsehen

Informativwerbung

Drucksachen

Prospekte

Suggestivwerbung

Werbefilme

Anzeigenblätter

etc.

Verkaufsgespräche

Zeitschriften

etc.

etc.

Die Absatzwerbung wird in der Regel durch einen Werbeetat finanziert, der die Gesamtheit der in einem festgelegten Zeitraum bereitgestellten finanziellen Mittel zur Deckung der Werbungskosten darstellt und dessen Verwaltung oft Werbeagenturen obliegt. Sie wird nur bei homogenen Produkten als Verbraucherinformation und Mittel zur Markttransparenz wahrgenommen, bei denen eine Veränderung des Marktanteils über die Preisgestaltung erfolgt (bspw. Gemeinschaftswerbung zugunsten der Gesamtbranche und zu Lasten konkurrierender Branchen). Sind die

Lernabschnitt 5:

Marketinginstrumente

109

Verbraucher bereits über Qualität und Preis eines Produktes hinreichend informiert, ist die Erhöhung des Marktanteils des eigenen Produktes gegenüber konkurrierenden Produkten innerhalb derselben Branche einziges Werbeziel. Anwendungsgrenzen der Werbung ergeben sich aus Wettbewerbs- und Schutzgesetzen, wobei vergleichende Werbung grundsätzlich zulässig ist, sofern der Vergleich nicht irreführend oder verunglimpfend ist. Die Motivation von Kaufentschlüssen und die Herausbildung von Interessen-, Käufergruppen und Meinungsführen ist Aufgabengebiet der Werbepsychologie bzw. -Soziologie. Als Public Relations (PR) wird die Pflege der Beziehungen zwischen einem Auftraggeber und einer für ihn wichtigen Öffentlichkeit bezeichnet, wobei versucht wird, in der Öffentlichkeit ein Klima des Einverständnisses und Vertrauens zu schaffen, das dem Unternehmen förderlich ist. Im Gegensatz zur Werbung wird PR nicht unmittelbar zur Veräußerung von Produkten oder Dienstleistungen eingesetzt, sondern vielmehr außerhalb des ökonomischen Bereichs durch die Förderung wissenschaftlicher, kultureller oder künstlerischer Vorhaben. Der persönliche Verkauf und die Verkaufsförderung sind weitere Instrumente der Kommunikationspolitik, wobei unter der Verkaufsförderung (sales promotion) ergänzende Maßnahmen zur absatzsteigernden Beeinflussung von Verkäufern, Handelsbetrieben bzw. Konsumenten verstanden werden. Es handelt sich dabei um absatzstimulierende Maßnahmen am Ort des Verkaufs (Point of sales): • • • • • • •

Warenproben Gutscheine Prämien Preisausschreiben Verlosungen bei Verbraucherpromotions Displaywerbung bei Handelspromotions Wettbewerbe, Seminare, Schulungen bei Promotions für Verkaufspersonal

Das Sponsoring stellt eine Zuwendung von Finanzmitteln, Sach- oder Dienstleistungen an Einzelpersonen, Personengruppen, Organisationen oder Institutionen aus dem gesellschaftlichen Umfeld des Unternehmens gegen Gewährung von wirtschaftlichen Rechten für Marketingzwecke dar. Je nach Bereich, in dem das Sponsorship stattfindet, unterscheidet man: • • • •

Soziales Sponsoring Kultursponsoring Sportsponsoring Umweltsponsoring

Aus Sicht des Sponsors stellt es ein Kommunikationsinstrument dar, aus Sicht des Gesponserten eine Finanzierungsmöglichkeit. Das Sponsoring grenzt sich vom Mäzenatentum und vom Spendenwesen durch das Prinzip des Geschäfts auf Gegenseitigkeit ab. Die Messe oder Ausstellung ist ein klassisches Instrument der Kommunikationspolitik. Sie ist eine Veranstaltung mit Marktcharakter, auf der Waren eines oder mehrerer Wirtschaftszweige an besonderen Orten angeboten werden. Man unterscheidet • •

Fachmessen: Angebote eines Wirtschaftszweiges Universalmessen: Angebote mehrerer Wirtschaftszweige

110

• • • • •

Modul IV:

Marketing

Warenmessen: Dienen zum unmittelbaren Warenaustausch Mustermessen: Geschäftsabschlüsse werden nur aufgrund ausgestellter Warenmuster getätigt Frühjahrs-, Herbstmessen: Turnusgebundene Veranstaltungen Internationale Messen: Internationale Anbieter und Besucher Regionale Messen: Anbieter und Besucher aus dem regionalen Umkreis

Der Zutritt ist in der Regel Fachbesuchern als Wiederverkäufer oder Großabnehmer vorbehalten oder auch einem allgemeinen Publikum zur Information möglich. Ihre Bedeutung liegt im Uberblick über das Marktangebot und aktuellen Innovationen, sowie im Vergleich der Wettbewerbsfähigkeit von Anbietern bzw. sie dienen der Kontakt- und Imagepflege. Neuere Instrumente der Kommunikationspolitik sind das Eventmarketing, das die erlebnisorientierte Inszenierung von Unternehmens- oder produktbezogenen Ereignissen darstellt, oder das Viral Marketing, welches eine moderne Form der Mund-zu-Mund-Propaganda auf Basis des Internet durch die Weitergabe von Werbebotschaften in witzigen Emails ist. Wichtige Formen der Kommunikationspolitik im Gesundheitswesen sind das Image einer medizinischen Einrichtung, welches ein Vorstellungsbild darstellt, das die Erwartungen, die subjektiv mit der Klinik oder Arztpraxis verbunden sind, umfasst, die Coporate Identity, die die unverwechselbare Unterscheidung gegenüber Konkurrenzeinrichtungen durch eine eigene Identität sowie ein unverwechselbares Erscheinungsbild (Coporate Design) darstellt, sowie das Empfehlungsmarketing, welches die Werbung durch zufriedene Patienten umfasst. Das Empfehlungsmarketing ist besonders erfolgreich, da es in hohem Maße auf der Glaubwürdigkeit der dem Umworbenen nahestehenden Person aufbaut, ohne dass er den Eindruck einer direkten Werbebotschaft erhält. Als Marketingmix wird die optimale Kombination und damit der koordinierte, gleichzeitige Einsatz der Marketinginstrumente bezeichnet. Der Kommunikationspolitik wird dabei eine Sonderstellung zugeschrieben, da sämtliche Elemente im Marketing kommunikative Wirkungen entfalten können, und sie daher als Bindeglied zwischen allen Instrumenten des Marketingmixes gilt.

Kontrollfragen • • • • • • • •

Was ist unter einer Marke zu verstehen? Welche Ziele hat die Sortimentspolitikl Welche Rolle spielt der Coumot'sche Punkt bei der Preisgestaltung eines Monopolisten? Was versteht man unter Target Costing? Welche Vorteile bieten Rabatte gegenüber reduzierten Nettopreisen? Welche Rolle spielen die INCOTERMS im Handelsverkehr? Welche Ziele verfolgt die Kommunikationspolitikl Welche Wahrnehmungswirkung hat die Absatzwerbung beim Verbraucher?

Lernabschnitt 6:

Lernabschnitt 6:

E-Marketing

111

E-Marketing

Das Elektronische Marketing (E-Marketing) beinhaltet die Anwendung der Marketinggrundsätze in Form einer kommerziell ausgerichteten informations- und kommunikationsintensiven Onlinepräsenz in öffentlich zugänglichen Netzen mit dem Ziel der aktiven Gestaltung elektronischer Märkte. Dabei stehen nicht nur das dadurch erzielbare innovative Image, sondern vielmehr auch der konkrete betriebswirtschaftliche Nutzen eines derartigen Engagements im Vordergrund strategischer Überlegungen. Als ursprüngliche Antriebsfeder für elektronische Marketingaktivitäten sind die Aussicht auf globale Unternehmenspräsenz und die gezielte Ansprechbarkeit technikorientierter Käuferschichten zu sehen. Grundlage des E-Marketing sind Elektronische Märkte. Sie stellen Koordinationsformen autonomer Partner dar, die auf der Basis von Marktpreisen und unterstützt durch Informations- und Kommunikationstechnik ihre Leistungen tauschen. Die technische Unterstützung erlaubt Marktformen, die von Anbieter und Nachfrager ortsunabhängig genutzt werden können. Elektronische Märkte entstehen dadurch, dass Unternehmen ihre Leistungen über orts- und zeitunabhängige interaktive Medien verfügbar machen und die entsprechenden Produktinformationen dem Kunden elektronisch darbieten. Diese Funktion übernehmen Elektronische Produktkataloge (Electronic Product Catalog, EPC). Häufigste Anwendungsplattform von EPC ist das Internet, in dem Produktinformationen durch Suchfunktionen, Animationen oder Abbildungen unterstützt interaktiv dargeboten werden. Der Nachfrager erhält die gewünschten Informationen durch maschinell unterstützte Browsingfunktionen, wobei programmierte Suchmaschinen eine automatische Suche ermöglichen oder über spezielle Beschreibungs- und Suchlogiken gezielte Anfragen an entsprechende Angebotsdatenbanken gerichtet werden können. Eine weitere Alternative ist die Definition produktspezifischer elektronischer Marktsegmente, deren Spezialisierung das Zusammentreffen von Nachfrager und gesuchtem Angebot beschleunigt. Um über die Präsentationsfunktion hinaus interaktiv einen Kaufprozess anstoßen zu können, sind relationale Beziehungen des EPC zu weiteren Unternehmensfunktionen des Anbieters sowie zu weiteren Diensten notwendig, die eine elektronische Kaufabwicklung ermöglichen. Elektronische Marktplätze stellen für den Nachfrager integrierte informationstechnische Plattformen für alle mit einem Kaufprozess zusammenhängenden Aktionen dar. Neben der Streuung von Produktinformationen lassen sich über elektronische Bestellungen Kostenreduzierungen erreichen und neue Kundengruppen gewinnen. In einem elektronischen Marktplatz werden branchen-, produktoder marktsegmentspezifisch sowohl die Kunden als auch die unternehmerischen Distributionsstufen zusammengeführt und der gesamte Kaufprozess von der Produktinformation über Preisverhandlungen, bis hin zur Auftragserteilung und zum Zahlungsverkehr abgewickelt. Das kombinierte Phasen- und Schichtenmodell elektronischer Märkte geht von den aufeinander folgenden Informations-, Yerhandlungs- und Abwicklungsphasen eines herkömmlichen Kaufprozesses aus (Abbildung 24).

112

ι

Modul IV:

Marketing

Informationsphase

Verhandlungsphase

Abwicklungsphase

Nachfragerschicht Anwendungsorientierte Suchfunktion

Elektronische Bestellung

Elektronische Bank

Auftragsabwicklung

•π - -h1 11 I

Anbieterschicht Anbieterverzeichnis

Elektronische Produktkataloge

Elektronischer Zahlungsverkehr

Integration bestehender Verfahren

Netzwerkschicht logische Absicherung

Abbildung 24:

Netzwerkprotokoll

Nachrichtenübertragung

Elektronischer Markt.

Die Phasen finden auf der technischen Basis unterschiedlicher Schichten statt, wobei das Netzwerk mit entsprechenden Absicherungsmaßnahmen und kompatiblen Übertragungsdiensten und -Protokollen die Grundlage bildet. In der nächsten übergeordneten Schicht sind die elektronischen Marktdienste des Anbieters angesiedelt. Hier wird insbesondere die technische Basis für die Integration des elektronischen Zahlungsverkehrs sowie die Einbindung bestehender Datenaustauschverfahren realisiert. Auf der Grundlage von Netzdiensten und kommunikationstechnischen Anwendungen werden dem Nachfrager über Anbieterverzeichnisse und elektronische Produktkataloge die gewünschten Informationen dargeboten. Uber die Nachfrageschicht wird die Realisierung des Kaufprozesses ermöglicht. Die dort angesiedelten Anwendungen basieren auf den in den vorhergehenden Schichten angelegten Diensten, Verzeichnissen und Datenbanken. Sie stellen insbesondere die kundenorientierten Funktionalitäten des elektronischen Marktes zur Verfügung. Eine weitere Automatisierungsstufe elektronischer Märkte ist der Einsatz von intelligenten, Elektronischen Maklern für automatische Produkt- und Preisrecherchen. Sie können auch auf der Anbieterseite zum Einsatz gelangen und dort Kundeninformationen sammeln, den Nachfrager identifizieren und mit ihm Lieferkonditionen und Preise vereinbaren. Insbesondere bei komplexen Recherchen und Geschäftsanbahnungen ist die Eigenschaft künstlicher Intelligenz zur Speicherung aufwendig zu beschaffender Informationen von Vorteil. Insbesondere die Zeitersparnis sowie die komprimierte, bedarfsorientierte Information stellen im Hinblick auf den Wettbewerb strategische Erfolgsfaktoren dar.

Lernabschnitt 6:

E-Marketing

113

Die Anwendungsformen elektronischer Märkte reichen von Finanz- und Tourismusmärkten bis hin zum elektronischen Beschaffungsplatz, Tagungsservice oder zur elektronischen Abfallbörse. Für Unternehmen sind nicht nur die Absatzchancen elektronischer Märkte von Interesse, sondern auch deren beschaffungsmarktspezifische Eigenschaften. Elektronische Beschaffungs- und Ausschreibungsvorgänge lassen sich besonders effizient abwickeln und insbesondere im interbetrieblichen Bereich günstig einsetzen. Bei regelmäßiger Nutzung der Märkte zur Abfrage von Produktinformationen ergeben sich für die Beschaffungsorganisation erweiterte Nutzenpotenziale. So können im elektronischen Handel auch etwa für die Beschaffung wichtige Informationen über Lieferbereitschaft, Lagerbestände oder aktuelle Abverkäufe abgerufen werden. Um diese Daten verwerten zu können, ist ein Produktinformationssystem in die Beschaffungsorganisation des Unternehmens zu integrieren. Dieses ist als Teil des Intranet für einen geschlossenen Benutzerkreis zum Zwecke von Produkt- und Beschaffungsformationen zu realisieren. Wird auch bei Ausschreibungen der elektronische Weg genutzt, so lassen sich durch einen für die Lieferanten wesentlich geringeren Aufwand bei der Angebotserstellung in Verbindung mit kürzeren Verhandlungszeiten die Beschaffungszyklen deutlich reduzieren. Für die elektronische Ausschreibung eignen sich grundsätzlich alle Produkte und Leistungen, die hinreichend genau beschrieben werden können. In erster Linie sind dies standardisierte, industrielle Halb- und Fertigfabrikate. Elektronische Vermittlungssysteme sind darüber hinaus in der Lage, einen direkten Kontakt zwischen dem Beschaffer und dem Lieferanten herzustellen. Hierzu kann der Beschaffer sein Interesse an einem bestimmten Produkt annoncieren und sich über ein Alertsystem bei eingehenden Angeboten automatisch informieren lassen. Elektronische Tagungsmärkte bieten Tagungs- und Kongressveranstaltern die Möglichkeit, den informationellen Nutzen einer Veranstaltung in Form von bedarfsorientierter Wissensvermittlung, Kommunikationsmöglichkeiten und Kooperationsunterstützung zu intensivieren. Dazu eignen sich interaktive Dienste, die von den Teilnehmern einer Tagung bedarfsorientiert genutzt werden können. Hierzu zählen: • • • • • • • •

Programmübersichten Erfahrungsaustausch Feedback zu einzelnen Vorträgen Veröffentlichungen Teilnahme an Diskussionsforen Zusatzinformationen über Referenten Abfragen aktueller Liveinformationen Nachrichtendienste

Uber den individuellen Nutzen für den Tagungsteilnehmer hinaus lassen sich die Veranstaltungsorganisation, die Tagungsleitung, Unterkunfts- und Verpflegungseinrichtungen oder auch externe Kunden, die nicht vor Ort teilnehmen können, einbinden. Zudem lassen sich die Tagungsdokumentationen auf elektronischem Weg versenden und das Veranstaltungspersonal auf diese Weise entlasten. Elektronische Tagungsmärkte eröffnen auch neue Möglichkeiten des Tagungssponsorings, indem den Sponsoren verstärkt Möglichkeiten geboten werden können, sich in

114

Modul IV:

Marketing

einzelnen Diensten, Anwendungen oder durch die Bereitstellung von Soft- oder Hardwareequipment zu präsentieren. Elektronische Abfallbörsen versetzen Unternehmen in die Lage, bereits vor dem Erwerb von Anlagen oder der Entscheidung für ein neues Fertigungsverfahren festzustellen, ob es für die dabei entstehenden Emissionen Grenzwerte gibt, welche Kosten sie verursachen und ob sie überhaupt durch einen Yerwerter entsorgt werden, wenn ja, zu welchen Konditionen. Abfälle und Gebrauchtwaren lassen sich auf diese Weise einfacher in den Güterkreislauf zurückführen und der Einsatz von Rohstoffen lässt sich aufgrund der einfach einzuholenden Kenntnis über gleichwertige Reststoffe verringern. Durch Abgabe an einen Interessenten reduzieren sich zudem die Kosten für die eigene Entsorgung. In elektronischen Abfallbörsen sind in erster Linie im Umweltbereich tätige Unternehmen angesiedelt. Auf diese Weise kann das Angebot des Abfallerzeugers auf entsprechende Nachfragen von Entsorgern, Yerwertern und Transportunternehmen stoßen. Damit wird gleichzeitig der umweltschutzrechtlichen Forderung des Abfallgesetzes Rechnung getragen, die im Abfallgesetz die Vermeidung von Abfällen der Verwertung und der Entsorgung präferiert. Das abfallerzeugende Unternehmen kann in der elektronischen Abfallbörse eine Annonce aufgeben, für die automatisch ein passendes Verwertungs- oder Entsorgungsunternehmen gesucht wird. Entsprechend können auch gebrauchte Altgeräte vermittelt werden, was dazu beiträgt, nicht nur Entsorgungskosten zu sparen, sondern auch noch mögliche Verwertungserlöse zu erzielen. Elektronisches Marketing kann den herkömmlichen Marketingmix nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Erst der Einsatz von zusätzlichen Diensten, die eine vollständige elektronische Abwicklung eines Kaufprozesses ermöglichen, stellen im Hinblick auf die dadurch mögliche Zeit- und Aufwandseinsparung einen Anreiz dar, auf traditionelle Angebotseinholungs- und Kaufvorgänge zu verzichten. Die Darstellung von Produkten etwa im Internet stellt isoliert betrachtet zunächst nur einen Medienwechsel in der Darbietungsfunktion dar. Ansatzpunkt des E-Marketing ist somit zunächst insbesondere die klassische Komunikationspolitik. Das E-Marketing ist dabei der Massenkommunikation zuzuordnen und daher mit der medialen Werbung vergleichbar. Es lässt sich dort in erster Linie zur Imagebildung von Unternehmen, einzelnen Produkten oder Marken einsetzen. Eine gezielte Ansprache einzelner Käufergruppen im Sinne einer Individualkommunikation ist in der Regel aufgrund fehlender Benutzerprofile und allgemeiner Zugänglichkeit der Netze nicht möglich. Im Rahmen der Distributionspolitik bleibt das elektronische Marketing auf die Überwindung räumlicher und zeitlicher Disparitäten bei der Bereitstellung von informations- und kommunikationstechnischen Dienstleistungen beschränkt. Im Rahmen der Leistungspolitik lassen sich insbesondere zeitliche Leistungsveränderungen, im Hinblick auf sich für den Nachfrager verkürzende Informations-, Transaktions- und Abwicklungszeiten bei der Teilnahme an elektronischen Märkten herausstellen. Ein wichtiges Marketingmerkmal tritt bei dem elektronischen Marketing in den Hintergrund: das aktive Auftreten des Anbieters. In einer vernetzten Systemumwelt wird der Anbieter in eine eher passive Rolle gedrängt. Der Nachfrager entscheidet, ob, wann und welche Produktinformationen er sich per Internet auf seinem Bildschirm anzeigen lässt. Diese Situation ist vergleichbar mit der Werbung über Printmedien, wobei sich da zumindest die Zielgruppe bei der Schaltung von Anzeigen

Lernabschnitt 6:

E-Marketing

115

in bestimmten Zeitungen oder Zeitschriften vergleichen lässt. Erst durch die Schaffung strukturierter elektronischer Marktsegmente ist eine zielgruppenspezifische Ansprache möglich. Individualkommunikation im Sinne eines Direct Mailing lässt sich im Rahmen des elektronischen Marketings nur durch die gezielte Onlineübertragung von Werbebotschaften, bspw. per E-mail, erreichen. Der Elektronische Handel (Electronic Commerce, EC) baut auf elektronischen Märkten auf und wird durch das E-Marketing mitgestaltet. Er stellt die umfassende, digitale Abwicklung von Geschäftsprozessen von Unternehmen über öffentliche Netze dar. Während umfangreiche Rationalisierungsmaßnahmen in den letzten Jahren insbesondere die Fixkosten in den Produktionsbereichen gesenkt haben, sind die variablen Vertriebskosten durch den Trend zu verstärkter Kundennähe und damit den Ausbau flächendeckender Verkaufs- und Servicestrukturen eher angestiegen. Der elektronische Handel kann dazu beitragen, diesen variablen Gesamtkostenanteil zu senken und gleichzeitig eine größtmögliche Präsenz in unmittelbarer Nähe des Kunden zu erzielen. Aufgrund der durch die Netzwerkstrukturen möglichen globalen Ausweitung der Handelsaktivitäten von Unternehmen, lassen sich zudem neue Märkte erschließen, in denen bislang aufgrund zu hoher Kosten keine Marktbearbeitungs-, Vertriebs- und Distributionsmaßnahmen ergriffen wurden. Bei dem Vertrieb digitaler Produkte, der aufgrund einer grundsätzlich vollständigen Digitalisierbarkeit aller Geschäftsprozesse einen kostenoptimalen Extremfall des elektronischen Handels darstellt, können die wesentlichen Kostenfaktoren für die Werbung über die Kaufabwicklung bis hin zur Distribution nahezu umfassend reduziert werden. Elektronische Handelsformen ermöglichen nicht nur die Erschließung neuer Märkte, sondern die Möglichkeit, bei verminderten Distributionskosten größere Mengen abzusetzen und damit positive Ertragseffekte zu erzielen. Ein weiterer Vorteil ist die verbesserte Time-to-Market, die das Problem immer kürzerer Verfallszeiten von Informationen ausgleicht, welches aufgrund zunehmenden Innovationsdruckes und sich ausweitender globaler Konkurrenzsituationen entsteht. Der Vertrieb hochwertiger Produkte und leistungsfähiger Standardprodukte erfordert einen permanent hohen Aufwand für ihre Einführung, die Vorbereitung der Vertriebsorganisation und die unternehmensinterne Kommunikation im Hinblick auf die Qualifizierung des eigenen Personals für die Kundenberatung und den Support. Dieser hohe Aufwand ist gegenläufig zu der Lebensdauer der Produkte und der mit ihrem Verkauf zu erzielenden Margen. Im elektronischen Handel lassen sich Reaktionen auf den Markt durch veränderte Produkt- oder Preisangebote wesentlich schneller realisieren. Dabei kehrt sich die Relation zwischen kreativer Konzeption zur Herstellung der Informationen im Vergleich zu den herkömmlichen Werbemedien um. Stets müssen jedoch jeweils geeignete Kommunikationswege gewählt werden, um die einzelnen am elektronischen Markt Beteiligten zu erreichen. Sie müssen ohne zeitliche Disparitäten auf den gleichen Informationsstand zugreifen können. Auch das ist durch die Nutzung entsprechender Informations- und Kommunikationssysteme möglich. Wesentlich ist die Integration des elektronischen Handels in die bestehenden Betriebsabläufe. Dies wird bspw. dadurch ermöglicht, dass an Stelle des einfachen Zugriffs auf Tabellen und Datenbanken aus den öffentlich zugänglichen Netzplattformen elektronischer Märkte heraus gezielte Funktionen des elektronischen Wa-

116

Modul IV:

Marketing

renwirtschaftssystems angesprochen werden können. Auf diese Weise werden Statusabfragen, Lagerbestandsabfragen oder eine Auskunft über den Stand der Auftragsbearbeitung online ermöglicht.

Kontrollfragen • • • • •

Was kann als ursprünglicher Zweck des Elektronischen Marketing angesehen werden? Wie entstehen Elektronische Märkte? Welche Funktion haben Elektronische Makler? Warum kann Elektronisches Marketing den herkömmlichen Marketingmix nicht ersetzen? Wie wirkt sich der Einsatz des Elektronischen Handels auf die Vertriebskosten aus?

Lernabschnitt 7:

Exkurs: Patientenbetreuung und Patientenbindung

Aus Sicht des Marketings im Gesundheitswesen ist eine konsequente Patientenorientierung für den Erfolg einer medizinischen Einrichtung von besonderer Bedeutung. Das Ziel ist dabei die langfristige Patientenbindung, die durch das Erreichen von Zufriedenheit in einer Behandlung den Anfang einer Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patienten sieht. Dies lässt sich erzielen, in dem die Erwartungen und Vorstellungen des Patienten dauerhaft erreicht oder übertroffen werden. Die Qualität der ärztlichen Behandlung ist dabei so darzustellen, dass der Patient sie auch bewusst wahrnimmt, was für den Einsatz aller Marketinginstrumente gilt. Die Patientenbindung setzt emotionale Reaktionen voraus, die den Vergleich zwischen den Erwartungen und den tatsächlichen Erfahrungen, die die Patienten machen, begleiten. Das Ergebnis des komplexen Vergleichsprozesses ist eine subjektive Einschätzung, die mit einem Vergleichsmaßstab bewertet wird. Dieser Maßstab setzt sich aus dem Anteil des Patienten an der Behandlung, aus dem Vergleich mit anderen Patienten und aus dem Nutzen, den er aus dem Besuch in der medizinischen Einrichtung zieht, zusammen: • • •

Patientennutzen: Diagnosesicherheit, Heilungserfolg, Beschwerdefreiheit Patientenanteil an der Behandlung: Honorarhöhe, Wartezeiten, Anfahrtsweg Patientenvergleich: Qualität und Anzahl der Verschreibungen, Terminvergabe, Behandlungs- bzw. Besprechungsdauer

Patientenbindung ist somit keine einmalige Werbeaktion, sondern ein dauerhaftes Bemühen um den Patienten mit einer konsequenten Patientenorientierung und ei-

Lernabschnitt 7:

Exkurs: Patientenbetreuung und Patientenbindung

117

nem wirksamen Qualitätsmanagement, welches die Grundlage für ein langfristig gesichertes Leistungsniveau und damit eine hohe Patientenzufriedenheit bietet. Die Erwartungshaltung von Patienten ist für die Patientenbindung insgesamt von großer Bedeutung. Sie beruht auf der eigenen Erfahrung, die der Patient mit der medizinischen Einrichtung oder auch mit anderen Ärzten gemacht hat. Grundlage seiner Erwartungshaltung können auch Empfehlungen sein, die bereits ein gewisses Erwartungsspektrum erzeugen. Auch der allgemeine Wissens- und Informationsstand über Krankheitsverläufe, Behandlungsmethoden oder medizinische Entwicklungen ist dabei von Bedeutung. Ferner beeinflusst die individuelle Bedürfnisstruktur die Erwartungshaltung der Patienten. Die Erwartungen des Patienten werden mit den konkreten Erfahrungen und Wahrnehmungen in Zusammenhang mit seinem Aufenthalt in der medizinischen Einrichtung abgeglichen, wobei er häufig unbewusst minimale und maximale Erwartungswertgrenzen definiert. Die Erfahrungswerte, die außerhalb der von ihm tolerierten Grenzen liegen, können sich im Spektrum von nichterfüllten bis weit übertroffenen Erwartungen bewegen. Häufig erfolgen die Wahrnehmungen und subjektiven Empfindungen unabhängig vom objektiven Qualitätsniveau der Behandlungsleistung: Es fehlt dazu das notwendige Urteilsvermögen oder die ärztliche Leistung wird unter dem Eindruck der persönlichen gesundheitlichen Situation emotional bewertet. Daher ist zu berücksichtigen, mit welchen Außerungsformen der Patient auf die Erfüllung oder Nichterfüllung seiner Erwartungen reagiert, damit entsprechende Maßnahmen der Patientenbetreuung und Patientenbindung ergriffen werden können. Werden die Erwartungen erfüllt oder übertroffen, äußert sich die Zufriedenheit in einer Referenz (Weiterempfehlung) der medizinischen Einrichtung. Dies ist im Sinne der Patientenbindung erfolgreich und führt im Sinne eines Empfehlungsmarketing zu neuen Patienten. Auch ist eine gewisse Treue die Folge, zumindest so lange der Patient keine Veranlassung zu einem Wechsel sieht. Diese Treue gilt es im Rahmen der Patientenbindung zu halten. Bei Beanstandungen besteht die Möglichkeit, rechtzeitig korrigierend eingreifen zu können. Durch das Abstellen eines einzelnen Beanstandungsanlasses kann die Bindung aller Patienten intensiviert werden. Die Abwanderung des Patienten zu einem anderen Arzt ist die absolute Form der Äußerung von Unzufriedenheit. Dies hängt nicht zwangsläufig mit der eigentlichen Behandlungstätigkeit zusammen, sondern kann auch aus einem nachlassenden Patientenservice resultieren. Die Anwendung von Maßnahmen zur Patientenbindung setzt die Kenntnis über die Zufriedenheit der Patienten voraus. Die Messung der Patientenzufriedenheit kann über verschiedene Methoden und Indikatoren erfolgen: • • • •



Anzahl von Beschwerden Anzahl erforderlicher Nachbehandlungen Patientenstand: Anzahl der in einer Periode neu hinzugekommenen Patienten oder auch die Anzahl der Abwanderungen Patientenbefragung: Befragung über den Ablauf des Aufenthaltes einschließlich vor- und nachgelagerter Tätigkeiten, Terminvergabe, Patientenservice, Behandlungsangebot etc. Vergleich mit Referenzzahlen: Vergleich von Patientenstand und Umsatz mit von Standesorganisationen regelmäßig ermittelten Referenzwerten, um allgemeine Trends oder eigene Problem einschätzen zu können

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Modul IV:

Marketing

Die Maßnahmen zur Patientenbindung müssen die Erwartungshaltung der Patientenbindung erfüllen. Grunderwartungen stellen die Basis für die Patientenzufriedenheit dar, daher sollte ihre Nichterfüllung auf jeden Fall vermieden werden, denn alle darüber hinaus gehenden Leistungen führen nicht mehr zur Zufriedenheit des Patienten. Zusatzerwartungen richten sich an die Potenziale der medizinischen Einrichtung und ihres Personals: • • • •

Beherrschung neuer Heilmethoden Behandlungsleistung Behandlungsqualität Qualität der ärztlichen Beratung

Sie bieten eine Möglichkeit zur Abgrenzung und Hervorhebung gegenüber dem Wettbewerb. Unerwartete, positive Erfahrungen prägen sich ein und tragen in hohem Maße zur Patientenzufriedenheit bei. Ihr Ausbleiben ist kein Anlass für Unzufriedenheit, da diese Leistungen vom Patienten nicht ausdrücklich formuliert und gefordert wurden. Dazu zählen insbesondere Leistungen aus dem Bereich des Patientenservice und spezielle zielgruppenorientierte Angebote für • • • • •

Sportler Allergiker Senioren Familien Singles

Ein spezieller Angebotsbereich ist die Selbstzahlermedizin. Sie basiert auf der Grundlage von medizinischen Leistungsangeboten, die außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht und privat liquidiert werden. Die Selbstzahlermedizin umfasst ärztliche Maßnahmen, die nicht Gegenstand der Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) sind und damit auch nicht zur kassenärztlichen Versorgung zählen. Ihr Ziel ist es, dem Patienten gezielte Wahlentscheidungen zur Realisierung individueller Gesundheitsbedürfnisse zu ermöglichen und solche ärztliche Leistungen auszuwählen, die zwar nicht zum Leistungsumfang der GKV gehören, die aber ärztlich empfehlenswert oder zumindest ärztlich vertretbar erscheinen. Sie grenzen sich vom Kostenerstattungsverfahren ab, bei dem die Krankenkassen einen Teil der für eine gewünschte Art der Behandlung entstehenden Behandlungskosten übernehmen. Individuelle Gesundheitsleistungen sind vom Grundsatz her nicht erstattungsfähig, da sie als Wunsch- und Komfortleistungen ausschließlich in die Eigenverantwortung des Patienten fallen. Der Empfehlungskatalog individueller Gesundheitsleistungen (IGEL) wurde von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zusammen mit ärztlichen Fach- und Berufsverbänden entwickelt. In ihm sind ärztliche Leistungen zusammengestellt, die nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehören, aber dennoch von Patienten nachgefragt werden und ärztlich empfehlenswert oder zumindest vertretbar erscheinen. Der IGEL-Katalog übernimmt auch dadurch, dass er ärztlich empfehlenswerte oder vertretbare Wunschleistungen von den medizinisch notwendigen Leistungen der GKV einerseits und eher umstrittenen, medizi-

Lernabschnitt 7:

Exkurs: Patientenbetreuung und Patientenbindung

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nisch machbaren Leistungen andererseits abgrenzt, eine Ordnungsfunktion. Auch lässt er sich als Grundlage für einen qualitätsteigernden medizinischen Leistungswettbewerb ansehen, der als Chance gegenüber Konkurrenten genutzt werden kann.

Kontrollfragen • •



Was ist die Grundlage der Erwartungshaltung von Patienten? Warum erfolgen die Wahrnehmungen und subjektiven Empfindungen häufig unabhängig vom objektiven Qualitätsniveau der Behandlungsleistung? Was ist unter Selbstzahlermedizin zu verstehen?

Literaturhinweise Bolz J., Meffert H.: Internationales Marketing-Management, Gabler-Verlag, Wiesbaden 2007 Dichtl E., Hörschgen H., Nieschlag R.: Marketing, Duncker & Humblodt Verlag, Berlin 2002 Ebert S.: Marketing und Werbung für Mediziner, VDM Verlag Dr. Müller, Saarbrücken 2006 Esch F.: Strategie und Technik der Markenführung, Vahlen-Verlag, München 2007 Freter H.: Marktsgementierung, Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 2007 Frodi Α.: Management von Arztpraxen, Gabler-Verlag, Wiesbaden 2004 Frodi Α.: Managementlexikon für Mediziner, Schattauer-Verlag, Stuttgart 2007 Hausegger V.: Erfolgreiches Marketing für die Arztpraxis, Springer-Verlag, Wien 2007 Held D., Scheier C.: Wie Werbung wirkt, Haufe-Verlag, Freiburg 2006 Kiendl S., van Overloop C., Hermanns Α.: Marketing, Vahlen-Verlag, München 2007 Kleinken B., Krimmel L.: MEGO, MedWell-GebührenVerzeichnis für individuelle Gesundheitsleistungen, Ausgabe 2007, Ecomed-Verlag, Landsberg 2006 Koschnik W.: Marketing-Wörterbuch, Verlag Walter de Gruyter, Berlin 2000 Kotler P.: Philip Kotlers Marketing-Guide, Campus-Verlag, Frankfurt a. M. 2004 Kreyher V.: Handbuch Gesundheits- und Medizinmarketing, Decker-Verlag, Heidelberg 2000 Köln Langner S.: Viral Marketing, Gabler-Verlag, Wiesbaden 2007 Meffert H., Bruhn M.: Exzellenz im Dienstleistungsmarketing, Gabler-Verlag, Wiesbaden 2002 Nebert M.: Praxishandbuch Werbeartikel, Verlag moderne industrie, Landsberg am Lech 2006 O.V.: IGEL-Kompendium für die Arztpraxis, Deutscher Arzte-Verlag, Köln 2005 Pepels W.: Grundlagen der Werbung, Verlag moderne industrie, Landsberg am Lech 2004 Sander M.: Marketing-Management, UTB-Verlag, Stuttgart 2004 Schneider H., Backhaus K : Strategisches Marketing, Schäffer-Poeschel-Verlag, Stuttgart 2007 Schrattenecker G.; Schweiger G.: Werbung, UTB-Verlag, Stuttgart 2005 Weis H.: Marketing, Kiehl-Verlag, Ludwigshafen 2007 Wendt G., Schnettler J.: Werbung planen, Cornelsen-Verlag, Berlin 2007

Modul V:

Personalwesen

In dienstleistungsorientierten medizinischen Einrichtungen wie Kliniken oder Arztpraxen ist das Personalwesen eines der wichtigsten Aufgabenbereiche. Insbesondere für Mediziner in der Vorgesetztenrolle sind Kenntnisse im Arbeitsrecht und in der Personalführung nahezu unabdingbar. Eine vorausschauende Personalplanung und -gewinnung trägt dazu bei, Engpässe zu vermeiden. Ziel des Personaleinsatzes ist es, geeignetes medizinisches Personal am richtigen Ort, zur richtigen Zeit zum Einsatz zu bringen. Fort- und Weiterbildung im Rahmen der Personalentwicklung sind gerade im medizinischen Bereich besonders wichtig. Zur Administration medizinischen Personals zählen auch die Themen Personalverwaltung, -fluktuation und -freisetzung.

Lernabschnitt 1: Perso na Iwirtschaftl ¡che Grundlagen, Modelle und Theorien In der traditionellen Betriebswirtschaftslehre wird die menschliche Arbeit neben dem Einsatz von Betriebsmitteln und Werkstoffen als dritter Produktionsfaktor angesehen. Neben Maschinen, Werkzeugen, Transporteinrichtungen (Betriebsmittel) einerseits, sowie Roh-, Hilfs- und Betriebstoffen (Werkstoffe) andererseits, geht die menschliche Arbeitsleistung sowohl als ausführende Tätigkeit wie auch als dispositive Tätigkeit (planen, leiten, entscheiden etc.) in die Erstellung von Produkten und Leistungen ein (Abbildung 25). Diese Reduzierung des arbeitenden Menschen auf seine Rolle als Produktionsfaktor und damit seine reine Arbeitsfunktion stand im Zentrum früher personaltheoretischer Ansätze zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts. So entstand im Zusammenhang mit der Einführung der Fließbandfertigung das mechanistische Grundmodell des arbeitenden Menschen nach F. W. Taylor (1856—1915), das den arbeitenden Menschen maschinen- oder werkzeugähnliche Eigenschaften zuschrieb oder lediglich als Bediener von Maschinen charakterisierte. Ergebnisse dieser Sichtweise waren die getaktete Fließbandarbeit sowie Arbeitsmethoden, die aufgrund von Zeit- und Bewegungsstudien ein maximales Arbeitsergebnis gewährleisteten. In einem System von Leistungsnormen und Entlohnungsregeln existierte ein starrer Zusammenhang zwischen Entlohnung, Arbeitsgestaltung und Arbeitsleistung. In dieser Zeit wurde auch die Grundlage der Arbeitsergonomie geschaffen, die die optimale Gestaltung des Arbeitsplatzes im Hinblick auf physiologische Merkmale des Arbeitnehmers zum Ziel hatte. Die sog. Human-Relations-Bewegung erkannte aufgrund von Untersuchungen, die zwischen 1924 und 1932 in der Hawthorne-Fabrik der Western Electric Company in Chikago ( USA) durchgeführt wurden, dass Menschen, im Gegensatz zu der bis dahin vorherrschenden mechanistischen Sichtweise in Betrieben, nicht als isolierte

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Modul V:

Abbildung 25:

Personalwesen

Menschliche Arbeit als Produktionsfaktor nach Wöhe.

Individuen handeln, sondern, dass ihr Arbeitsverhalten von sozialen Beziehungen stark beeinflusst wird. So bilden sich neben der geplanten Arbeitsgruppenstruktur informelle Gruppengefüge, die eigene Regeln, Erwartungen und Verhaltensnormen aufstellen, welche von den betrieblichen abweichen können. Dieses sozialwissenschaftliche Grundmodell des arbeitenden Menschen basierte auf der Annahme, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen Arbeitszufriedenheit und Arbeitsleistung besteht und deshalb durch Förderung sozialer Interaktionen und Zufriedenheit der Mitarbeiter auch eine Steigerung der Arbeitsleistung ermöglicht wird. Auf der Grundlage der sozialwissenschaftlichen Annahmen, wurden in den 80er Jahren entscheidungs- und verhaltensorientierte Ansätze entwickelt, die nach R. Marr (1983) das Arbeitsverhalten als das Ergebnis bewusster Entscheidungen des arbeitenden Menschen auffassen. Sie erklären das Verhalten des arbeitenden Menschen aus den sozialen Beziehungen innerhalb der Organisation und aus seinen subjektiven Bedürfnissen und Wertvorstellungen, wobei seine Verhaltensweisen aufgrund von Beeinflussungs-, Verhandlungs-, Anpassungs-, Motivierungs- und Problemlösungsprozessen entstehen. Daraus lassen sich ökonomische und soziale Effizienz als zentrale Zielgrößen von Strategien und Maßnahmen des Personalmanagements ableiten, wobei ökonomische Effizienz die Leistungserfüllung durch den Einsatz von Mitarbeitern nach dem Prinzip der sparsamen Verwendung knapper Mittel bedeutet. Ebenso, wie sich das Bild des arbeitenden Menschen im Laufe der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema gewandelt hat, ist auch der Begriff des Personalwesens häufigen Veränderungen unterzogen. Während die Betriebswirt-

Lernabschnitt 1:

Personalwirtschaftliche Grundlagen, Modelle und Theorien

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schaftslehre das Aufgabengebiet lange Jahre als Personalwirtschaft oder Personalmanagement bezeichnet hat, die alle mitarbeiterbezogenen Institutionen und Maßnahmen mit dem Ziel umfassen, dem Unternehmen zur Erfüllung seiner Aufgaben Arbeitskräfte in der erforderlichen Quantität und Qualität zum richtigen Zeitpunkt und für die benötigte Dauer am jeweiligen Einsatzort bereitzustellen, sowie das Leistungsverhalten der Menschen und dessen Bestimmungsgründe im Betrieb zu analysieren, versuchen neuere Ansätze neben dem Leistungsziel des Betriebes auch die Humanziele der Mitarbeiter einzubeziehen und dadurch auftretende Konflikte zu lösen. Heutzutage wird für die Beschreibung des Aufgabengebietes auch der weit verbreitete Anglizismus Human Resources Management (HRM) verwendet, wobei sich HRM generell mit der menschlichen Arbeit und ihren Rahmenbedingungen befasst. Entsprechend vielfältig gestalten sich die Aufgabenbereiche: • • • • • • •

Berücksichtigung des Arbeits-, Betriebsverfassungs- und Tarifrechts Personalplanung Personalführung Personalgewinnung Personaleinsatz Personalentwicklung Personaladministration

Diese weit gefasste Sichtweise trägt der Entwicklung Rechnung, die das Personalwesen gerade in dienstleistungsorientierten Einrichtungen wie einer Klinik oder Arztpraxis in den vergangenen Jahren genommen hat. Dieser auffällige Wandel beruht einerseits auf sich immer schneller verändernden medizin-technologischen, ökonomischen, rechtlichen und sozialen Bedingungen der Klinik- und Praxisumwelt und andererseits auf speziellen Einflussgrößen, die von veränderten Strukturen des öffentlichen Gesundheitssystems, höheren Erwartungen der Patienten und verstärkten Bedürfnissen der Klinik- und Praxismitarbeiter beruhen. Da das Tempo des medizintechnischen Fortschritts zunimmt und damit auch die Notwendigkeit zur verbesserten Qualifikation der Klinik- und Praxisangehörigen, sowie die Komplexität der Gesetzgebung in arbeits-, sozial- und tarifgesetzlicher Hinsicht, wird eine immer raschere Anpassung des Personalwesens an neue Anforderungen sowie ein vermehrtes Denken und Handeln des Mediziners als Vorgesetzen und Arbeitgebers in organisatorischen, betriebswirtschaftlichen, psychologischen und soziologischen Zusammenhängen erforderlich. Während früher die Personalarbeit überwiegend aus verwaltungsmäßiger Tätigkeit bestand, erfordern heute die sich rasch verändernden Faktoren im öffentlichen Gesundheitssystem einen möglichst effizienten und wirtschaftlichen Einsatz des Personals. Zur Erfüllung dieser Aufgabe des Personalwesens sind die Klinik- und Praxisangehörigen unter Berücksichtigung der betrieblichen Bedürfnisse zu führen, zu leiten und zu steuern, um die Einrichtung bestmöglich mit geeigneten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen auszustatten. Gleichzeitig ist den Bedürfnissen der Mitarbeiter Sorge zu tragen. Dazu müssen sie betreut, in ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickelt und in ihrer Arbeit administrativ unterstützt und angemessen entlohnt werden. Wie in kaum einer anderen Dienstleistungsorganisation machen die Klinikoder Praxismitarbeiter einen wesentlichen Teil der Leistungsfähigkeit der Einrich-

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Modul V:

Personalwesen

tung aus. Sie stellen ein großes Potenzial für die Bewältigung der derzeitigen und zukünftigen hohen Anforderungen an die medizinische Gesundheitsversorgung dar. Erfolgreiche medizinische Arbeit kann nur dann langfristig und dauerhaft erreicht werden, wenn alle Klinik- und Praxisangehörigen besondere Anstrengungen unternehmen und in vertrauensvoller Zusammenarbeit gemeinsam die gestellten Aufgaben im Rahmen ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten bestmöglich erfüllen. Dieses Ziel zu Erreichen, stellt die Hauptaufgabe des Personalwesens in der Klinik und Arztpraxis dar.

Kontrollfragen • • •

In welcher Form geht die menschliche Arbeit in die Erstellung von Produkten und Leistungen ein? Auf welcher wesentlichen Annahme basierte das sozialwissenschaftliches Grundmodell des arbeitenden Menschen? Was ist unter Personalwirtschaft zu verstehen?

Lernabschnitt 2:

Arbeitsrecht

Sowohl das Grundgesetz (GG), wie auch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) und das Handelsgesetzbuch (HGB) bilden wichtige Rechtsgrundlagen, an denen sich das Personalwesen zu orientieren hat. So gibt es bspw. Ausführungen im GG in Artikel 12 über die freie Arbeitsplatz- und Berufswahl, im HGB in den §§ 59 ff. über Handelsgehilfen und Handelslehrlinge und im BGB in den §§611 ff. über den Dienstvertrag. Im Dienstvertrag verpflichtet sich eine Person zur Leistung von vereinbarten Diensten und der Auftraggeber zur Zahlung der vereinbarten Vergütung. Gesetzlich erlaubte Dienste jeglicher Art können Gegenstand eines Dienstvertrages sein. Der Dienstpflichtige hat dabei in der Regel die Leistungen persönlich zu erbringen, soweit nicht etwas anderes vereinbart wurde. Er endet durch Erfüllung, Aufhebung oder Kündigung. Der Dienstvertrag unterscheidet sich vom Werkvertrag dadurch, dass nur die Dienstleistung geschuldet wird, nicht jedoch deren Erfolg. Im Unterschied zur Geschäftsbesorgung stellt die Dienstleistung nicht zwangsläufig eine selbstständige, höher qualifizierte wirtschaftliche Tätigkeit dar, so dass in erster Linie die Bestimmungen über den Geschäftsbesorgungsvertrag entsprechende Anwendung finden. Der Arbeitsvertrag ist ein Unterfall des Dienstvertrages, der weitgehend eigenen Regeln folgt, auf den die Bestimmungen des Dienstvertrages jedoch ergänzend Anwendung finden. Ausführlicher regelt das Arbeitsrecht die das Arbeitsleben und die Beschäftigungsverhältnisse berührenden Rechtsfragen. Es stellt damit die wichtigste rechtli-

Lernabschnitt 2:

Arbeitsrecht

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che Rahmenbedingung der Personalarbeit dar. Die vielfältigen rechtlichen Grundlagen sind allerdings nicht in einem einheitlichen „Arbeitsgesetzbuch" zusammengefasst. Das Arbeitsrecht setzt sich vielmehr aus einer Vielzahl von Gesetzen zusammen, die verschiedene Problemkreise des Arbeitsrechts regeln. Die wichtigsten rechtlichen Grundlagen des Arbeitsrechts sind: • • •

• •

• • •

Allgemeine Grundlagen: Grundgesetz (GG), Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), Handelsgesetzbuch (HGB) Arbeitszeit: Arbeitszeitgesetz (ArbZG) Arbeitnehmerschutz: Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG), Kündigungsschutzgesetz (KündSchG), Mutterschutzgesetz (MuSchG), Schwerbehindertengesetz (SchwbG), Kündigungsfristengesetz (KündFG) Aus-/Weiterbildung: Ausbildungsverordnungen, Berufsbildungsgesetz (BBiG) Lohn/Gehalt: Einkommensteuergesetz (EStG), Feiertagslohnzahlungsgesetz (FLZG), Tarifvertragsgesetz (TYG), Lohnsteuerdurchführungsverordnung (LStDV) Urlaub: Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) Arbeitsstätte/Gewerbe: Arbeitsstättenverordnung (ArbStVo), Gewerbeordnung (GewO) Personaldatenschutz: Bundesdatenschutzgesetz (BDSG)

Das Arbeitsrecht setzt sich aus dem individuellen und kollektiven Arbeitsrecht zusammen. Das individuelle Arbeitsrecht regelt das Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Im Mittelpunkt des individuellen Arbeitsrechtes steht der Arbeitsvertrag. Während das individuelle Arbeitsrecht die Rechtsverhältnisse zwischen Arbeitgeber und den einzelnen Arbeitnehmern regelt, bezieht sich das kollektive Arbeitsrecht auf das Recht zwischen allen Mitarbeitern und Arbeitgeber, somit auf alle Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnisse. Es gliedert sich im Wesentlichen in das Tarifvertragsrecht und das Betriebsverfassungsrecht. Im Mittelpunkt des individuellen Arbeitsrechts steht das Arbeitsverhältnis. Es ist ein zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehendes Rechtsverhältnis und kann durch einen Arbeitsvertrag oder auch bereits lediglich durch Arbeitsaufnahme begründet werden. Je nach arbeitsvertraglicher Regelung lassen sich verschiedene Arten des Arbeitsverhältnisses unterscheiden: Für einen kalendermäßig festgelegten Zeitraum kann der befristete Arbeitsvertrag abgeschlossen werden, wenn hierfür ein sachlicher Grund vorliegt. Ohne Ausspruch einer Kündigung endet er automatisch mit dem Ablauf der Zeit, für die er eingegangen wurde. Dem Arbeitgeber wird durch den Abschluss eines Arbeitsverhältnisses auf Probe die Möglichkeit gegeben, Bewerber hinsichtlich Leistung und Eignung für den vorgesehenen Arbeitsplatz zu beurteilen. Während dieser Zeit können die Bewerber ebenfalls den Entschluss überprüfen, das Arbeitsverhältnis auf Dauer einzugehen. Das Arbeitsverhältnis auf Probe stellt ebenfalls ein echtes Arbeitsverhältnis dar, mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten. Es ist allerdings mit einer kürzeren Frist (in der Regel 2 Wochen) kündbar. Ein Probearbeitsverhältnis muss vor Arbeitsbeginn eindeutig als solches vereinbart werden. Wenn Arbeitgeber oder -nehmer vor Ablauf nicht fristgerecht gekündigt haben und ist der Vertrag auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, so geht das Probearbeitsverhältnis nach Ablauf der Probezeit in ein Dauerarbeitsverhältnis über.

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Modul V:

Personalwesen

Wird ein Arbeitsverhältnis durch einen Arbeitsvertrag begründet, der nicht auf Probe oder befristet, sondern auf unbestimmte Zeit abgeschlossen ist und damit den gesetzlichen Kündigungsfristen unterliegt, stellt dies ein Dauerarbeitsverhältnis dar. Das befristete Arbeitsverhältnis (Zeitarbeitsverhältnis) ist ein auf bestimmte Zeit begründetes Arbeitsverhältnis. Sachliche Gründe für ein Zeitarbeitsverhältnis sind bspw. ein vorübergehender betrieblicher Bedarf, eine Befristung im Anschluss an eine Ausbildung oder eine Schwangerschaftsvertretung. Ein Zeitarbeitverhältnis liegt vor, wenn seine Dauer kalendermäßig bestimmt ist (kalendermäßig befristeter Arbeitsvertrag) oder sich aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt (zweckbefristeter Arbeitsvertrag). Eine kalendermäßige Befristung ohne sachlichen Grund ist in der Regel begrenzt, der Vertrag kann innerhalb dieser Frist jedoch auch verlängert werden, sofern es hierzu keine abweichenden tarifvertraglichen Vereinbarungen gibt. Ausgeschlossen ist die kalendermäßige Befristung ohne sachlichen Grund, wenn zuvor mit demselben Arbeitgeber ein unbefristetes oder befristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Die Befristung bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Ein kalendermäßig befristeter Arbeitsvertrag endet mit Ablauf der vereinbarten Zeit. Ein zweckbefristeter Arbeitsvertrag endet mit Erreichen des Zwecks, frühestens jedoch zwei Wochen nach Zugang der schriftlichen Unterrichtung des Arbeitnehmers über das Erreichen dieses Zeitpunkts. Ist die Befristung unwirksam, gilt der befristete Arbeitsvertrag als auf unbestimmte Zeit geschlossen ; er kann vom Arbeitgeber grundsätzlich frühestens zum vereinbarten Ende ordentlich gekündigt werden. Das Teilzeitarbeitsverhältnis ist ein Arbeitsverhältnis mit einer kürzeren als der regelmäßigen Arbeitszeit. Teilzeitkräfte haben den gleichen Urlaubsanspruch wie Vollzeitbeschäftigte und dürfen gegenüber Vollzeitkräften nicht benachteiligt werden. Ihr Urlaubsentgelt bemisst sich nach dem Verhältnis ihrer Arbeitszeit zur betriebsüblichen Arbeitszeit. Teilzeitbeschäftigte arbeiten oft regelmäßig nur an bestimmten Wochentagen. Fällt auf einen dieser Tage ein gesetzlicher Feiertag, so steht ihnen für diesen Tag die entsprechende Feiertagsvergütung zu, ohne dass diese Zeit vor- oder nachgearbeitet werden muss. Rechte und Pflichten von Arbeitgeber und -nehmer sind inhaltlich im Arbeitsverhältnis geregelt: Die Arbeitsleistung ist im Rahmen der Arbeitnehmerpflichten als Hauptpflicht anzusehen. So wie sie im Arbeitsvertrag vorgesehen ist, muss sie auch am Ort der Arbeitsleistung (im Allgemeinen die Betriebsstätte des Betriebes) erbracht werden. Die Mitarbeiter müssen den entsprechenden Weisungen des Arbeitgebers folgen, wenn derartige Vereinbarungen fehlen. Die Leistungen sind jedoch nur ihm gegenüber zu erbringen und keinem anderen. So müssen sich die Mitarbeiter von diesem keinen anderen Arbeitgeber aufdrängen lassen, auch nicht nur zeitweise. Aus dem Arbeitsvertrag ergibt sich auch die Art der zu leistenden Arbeit. Ausschließlich zu der dort vereinbarten Arbeitsleistung sind die Mitarbeiter verpflichtet. Bei einem weiter gefassten Arbeitsbereich, sind dagegen alle Arbeiten zu erbringen, die innerhalb dieses erweiterten Aufgabengebietes anfallen. Im Arbeitsvertrag wird auch oft die Arbeitszeit unter Berücksichtigung der gesetzlichen Bestimmungen (bspw. Arbeitszeitgesetz ArbZG) sowie die Verpflichtung zur Leistung von Überstunden festgelegt. Die Arbeitszeit ist dabei die durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarungen

Lernabschnitt 2:

Arbeitsrecht

127

oder Arbeitsvertrag geregelte Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit. Bei den Arbeitszeitarten wird unterschieden zwischen der geleisteten Arbeitszeit, der tariflich festgelegter Arbeitszeit, sowie der bezahlten Arbeitszeit. Letztere schließt auch bspw. Urlaub, Krankheit etc. ein. Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) regelt den öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutz, wie Mindestruhepausen, gesetzliche Höchstarbeitszeiten und Nachtarbeitnehmerschutz. Es gilt grundsätzlich für alle Arbeitnehmer in sämtlichen Beschäftigungszweigen. Mehrarbeit liegt vor, wenn die Arbeitszeit die gesetzlich festgelegte, regelmäßige werktägliche Arbeitszeit übersteigt. Von dem gesetzlichen Mehrarbeitsverbot gibt es zahlreiche Ausnahmen. Für Mehrarbeit kann bzw. muss unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen oder aufgrund Tarifvertrags ein zusätzliches Arbeitsentgelt gezahlt oder ein Ausgleich in Freizeit gestattet werden. Überstunden liegen vor, wenn die für das Arbeitsverhältnis übliche, einzel- oder tarifvertraglich geregelte Arbeitszeit überschritten wird. Überstunden sind die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleisteten Arbeitsstunden. Für sie ist ein Überstundenzuschlag zu zahlen, wenn dies tariflich oder anderweitig vereinbart wurde. Wenn die Überstunden gleichzeitig die normale gesetzliche Arbeitszeit überschreiten liegt Mehrarbeit vor. Die Mitarbeiter haben neben der Arbeitspflicht als Hauptpflicht auch Treue- und Verschwiegenheitspflichten zu erfüllen. Diese erstrecken sich auf: •



• • •

Haftungspflicht: Sie haften nach den Grundsätzen des Bürgerlichen Gesetzbuches BGB für Schäden, die aus einer unerlaubten Handlung entstehen, wobei sich die Haftung auch bei Vorsatz und Fahrlässigkeit ergibt Treuepflicht: Es dürfen keine Sachgeschenke und sonstige Vorteile von Außenstehenden angenommen werden, es sei denn, es handelt sich um kleine Aufmerksamkeiten von geringem wirtschaftlichen Wert Unterlassungspflicht: Es ist alles zu unterlassen, was dem Ruf des Arbeitgebers schaden könnte Schweigepflicht: Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse dürfen nicht an Außenstehende weitergegeben werden Sorgfaltspflicht: Die Mitarbeiter sind verpflichtet, drohende Schäden abzuwenden bzw. drohende Schäden ihrem Arbeitgeber mitzuteilen

Bei den Arbeitgeberpflichten ist die Bezahlung für die vom Arbeitnehmer erhaltene Leistung als Hauptpflicht anzusehen. Dazu zählen auch Naturallöhne, wie etwa das Bereitstellen einer Wohngelegenheit oder freie Kost. In den Tarifverträgen ist üblicherweise die Höhe des Arbeitsentgeltes geregelt. Die Bezahlung kann auch in Anlehnung an einen Tarifvertrag erfolgen und zusätzliche Komponenten erhalten. Grundsätzlich gilt im Arbeitsrecht, dass ohne Arbeitsleistung auch keine Lohnzahlung erfolgt. Davon abweichend gibt es die Lohn- oder Entgeltfortzahlungspflicht: Der Anspruch auf das Arbeitsentgelt geht bei angestellten Mitarbeitern nicht verloren, wenn sie nur für eine kurze Zeit durch einen in ihrer Person liegenden Grund ohne ihr Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert sind. Zu den häufigsten Fällen der Verhinderung an der Arbeitsleistung im Sinne der Lohn- oder Entgeltfortzahlungspflicht zählen: Familienereignisse, wie schwere Erkrankung oder Tod des Ehegatten oder naher Verwandter, Arztbesuche, soweit der Arztbesuch nicht außerhalb der Arbeitszeit möglich ist, Wohnungswechsel, Geburt von Kindern, Vorladungen zum Gericht oder zu Behörden, Verkehrsstörungen, Wahrnehmung

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Modul V:

Personalwesen

staatsbürgerlicher Pflichten, Pflege eines erkrankten Kindes, wenn eine andere im Haushalt lebende Person die Pflege nicht übernehmen kann. Für Pflege von Kindern gibt es zusätzlich auch einen versicherungsrechtlichen Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeit bei Zahlung von Krankengeld. Auf die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall haben die Mitarbeiter einen Anspruch bis zur Dauer von sechs Wochen. Hat der Versicherungsträger eine Kur gewährt, besteht dieser Anspruch in der Regel auch und zusätzlich für eine anschließende eventuelle Schonungszeit. Wird an Feiertagen, die nicht auf einen Sonntag fallen, gearbeitet, greift ebenfalls das Lohnfortzahlungsprinzip, so dass der volle Arbeitsverdienst zu zahlen ist. Gleiches gilt für Dienste an Sonn- und Feiertagen. Wird an diesen Tagen Arbeit geleistet, so erhalten die Mitarbeiter hierfür das an Werktagen übliche Entgelt. Oft kommt ein Sonn- bzw. Feiertagszuschlag hinzu, der nicht gesetzlich geregelt ist, aber aufgrund von tariflichen oder betrieblichen Regelungen 50 bis 100% betragen kann. Auch der Urlaub ist eine zeitlich befristete Dienstbefreiung des Mitarbeiters zur Erholung unter Fortzahlung des regelmäßigen Arbeitsentgelts. Nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) beträgt die gesetzliche Mindesturlaubsdauer unabhängig vom Lebensalter 24 Werktage im Kalenderjahr, wobei der Samstag aufgrund tarifoder einzelvertragliche Bestimmungen nicht als Werktag zählt. Abweichend davon gelten für einige Arbeitnehmergruppen (Auszubildende, Beamte, Schwerbehinderte, Bergleute, Soldaten etc.) besondere Regelungen. Über 90 % aller Arbeitnehmer haben einen tarif- oder arbeitsvertraglichen Anspruch auf mehr als 5 Wochen Jahresurlaub. Teilzeitbeschäftigte - auch solche, die nur einige Tage in der Woche oder im Monat arbeiten — haben Anspruch auf den vollen Jahresurlaub. Den Auszubildenden sollte der Urlaub in der Zeit der Berufsschulferien gewährt werden. Geschieht dies nicht, dürfen eventuell in den Urlaub fallende Berufschultage nicht auf den Urlaub angerechnet werden. Bei Erkrankung (ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit) des Arbeitnehmers im Urlaub, werden die Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet. Nach einer Wartezeit von sechs Monaten seit Bestehen des Arbeitsverhältnisses wird der volle Urlaubsanspruch erstmalig erworben. Unter bestimmten Voraussetzungen besteht vorher ein Anspruch auf Teilurlaub in Form eines Zwölftels des Jahresurlaubs für jeden vollen Monat seit Bestehen des Arbeitsverhältnisses. Betriebliche Belange oder sozial bevorrechtigte Belange anderer Arbeitnehmer gehen bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs vor. Allerdings sind die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber zu berücksichtigen. Der Urlaub ist jeweils im laufenden Kalenderjahr zu nehmen und zu gewähren. Wenn dringende betriebliche oder persönliche Gründe dies rechtfertigen, ist eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr zulässig. Er ist jedoch spätestens bis zum 31.3. des Folgejahres anzutreten und verfällt danach, sofern nicht Tarifverträge eine andere Regelung vorsehen. U m Doppelansprüche zu vermeiden, besteht kein Anspruch auf Urlaub, soweit bereits von einem früheren Arbeitgeber für das laufende Kalenderjahr Urlaub gewährt wurde. Die Eigenmächtigkeit des Arbeitnehmers, seinen Urlaub unerlaubt anzutreten oder zu verlängern, berechtigt den Arbeitgeber zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Der Bildungsurlaub dient der beruflichen oder staatsbürgerlich-politischen Bildung der Arbeitnehmer. Er ist zusätzlich zum Erholungsurlaub in Tarifverträgen und einigen Landesgesetzen vorgesehen. Betriebsratsmitglieder haben nach dem Betriebsverfassungsgesetz Anspruch auf Bildungsurlaub zur Teilnahme an Schulungs- und Bil-

Lernabschnitt 2:

Arbeitsrecht

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dungsveranstaltungen, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind. Während des Elternurlaubs (auch: Erziehungsurlaub, Erziehungszeit) bleibt das Arbeitsverhältnis bestehen. Alle Arbeitnehmer, die Anspruch auf Elterngeld (Erziehungsgeld) haben oder dieses nur wegen Überschreitung der Einkommensgrenze nicht erhalten, können Elternurlaub in Anspruch nehmen. Während des Elternurlaubs genießt der Arbeitnehmer in der Regel Kündigungsschutz. Der Elternurlaub kann vorzeitig beendet werden, wenn der Arbeitgeber dem zustimmt. Ist eine Ersatzkraft eingestellt worden, so endet der Urlaub erst, wenn das befristete Arbeitsverhältnis gekündigt werden kann. Das Urlaubsentgelt ist im Bundesurlaubsgesetz als Weiterzahlung der Bezüge für die Zeit des Urlaubs geregelt. Ein zusätzliches Urlaubsgeld wird durch einzel- und kollektivvertragliche Regelungen begründet und in der Regel in Form einer Pauschale, eines prozentualen Anteils am Urlaubsentgelt oder in Form eines Betrages je Urlaubstag gezahlt. Der Arbeitgeber hat auch besondere Fürsorgepflichten, wie die Geheimhaltung der ihm anvertrauten und bekannt gewordenen persönlichen Daten, die korrekte Behandlung der Mitarbeiter, die Sicherung des von den Mitarbeitern an die Arbeitstelle üblicherweise mitgebrachten persönlichen Eigentums durch geeignete Maßnahmen, ausreichende Belüftung und Beheizung der Pausen- und Arbeitsräume etc. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgt in der Regel durch Auflösung in gegenseitigem Einvernehmen, Kündigung, Zeitablauf, Betriebsübernahme oder den Tod des Arbeitnehmers. Das individuelle Arbeitsverhältnis wird durch den Arbeitsvertrag geregelt. Er stellt eine privatrechtliche Vereinbarung dar, durch die sich ein Arbeitnehmer zur Leistung von Arbeit und der Arbeitgeber zur Zahlung der Arbeitsvergütung und anderer Leistungen verpflichten. In ihm werden die Rechte und Pflichten von Arbeitgeber und -nehmer geregelt. Zu seinen wichtigsten Inhalten zählen: • • • • •

• • • •

Vertragsparteien: Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit Vorname, Name und Anschrift Beginn: Vertragsbeginn Probezeit: Dauer und Kündigungsfrist während der Probezeit Tätigkeit: Berufs-/Tätigkeitsbezeichnung, Tätigkeitsbeschreibung mit Aufführung aller Tätigkeiten und eventuellen Vollmachten Vergütung: Vergütung mit Höhe, Steigerung, Art, Fälligkeit und Auszahlungsweise des Gehaltes, zusätzliche Leistungen, wie bspw. Beiträge zur Vermögensbildung, Unfallversicherung, Verpflegungszuschuss, Gratifikationen, Arbeitskleidung etc. Arbeitszeit: Überstundenregelung, regelmäßige Arbeitszeit Urlaub: Urlaubsregelung Kündigungsfristen: Kündigungsfrist des Arbeitsverhältnisses, die sich an der gesetzlichen Kündigungsfrist orientiert Unterschriften: Ort, Datum und Unterschrift von Arbeitgeber und -nehmer

Jeder voll Geschäftsfähige besitzt die Fähigkeit zum Abschluss von Arbeitsverträgen. Gesetzliche Vertreter können für Geschäftsunfähige einen Arbeitsvertrag abschließen. Beschränkt Geschäftsfähige können entweder selbst mit Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters einen Arbeitsvertrag abschließen oder der gesetzliche Vertreter handelt für sie und schließt einen Arbeitsvertrag ab.

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Modul V:

Personalwesen

Ausländer benötigen für den Abschluss eines Arbeitsvertrages in der Regel eine Aufenthaltsgenehmigung und, bei Arbeitnehmern außerhalb der EU, zusätzlich: eine Arbeitserlaubnis. Da der Arbeitsvertrag grundsätzlich formlos ist, kann er durch die formlose Willenserklärung von Arbeitgeber und -nehmer durch das Vertragsangebot und dessen Annahme auch mündlich zustande kommen. Bei Ausbildungsverträgen ist zu deren Wirksamkeit zwar ebenfalls keine Schriftform vorgeschrieben. Allerdings ist die Ausbildungseinrichtung nach dem Berufsbildlingsgesetz (BBiG) jedoch verpflichtet, nach Vertragsabschluss den wesentlichen Inhalt des Arbeitsvertrages schriftlich niederzulegen. Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen gelten ergänzend zum Arbeitsvertrag. Nach ihnen hat bei einem nicht schriftlich abgeschlossenen Arbeitsvertrag der Arbeitgeber mindestens die wesentlichen Arbeitsbedingungen schriftlich zu fixieren und die Niederschrift dem Arbeitnehmer auszuhändigen, soweit nicht nur eine vorübergehende Beschäftigung vorliegt.

Kontrollfragen • • • •

Wodurch unterscheiden sich Dienst- und Werkvertrag wesentlich? Wodurch unterscheiden sich individuelles und kollektives Arbeitsrechtl Was ist die Folge, wenn ein Probearbeitsverhältnis nicht rechtzeitig gekündigt wird? Können beschränkt Geschäftsfähige einen Arbeitsvertrag abschließen?

Lernabschnitt 3:

Betriebsverfassungs- und Tarifrecht

Das kollektive Arbeitsrecht bezieht sich auf das Recht zwischen allen Mitarbeitern und Arbeitgeber, somit auf alle Arbeitgeber/Arbeitnehmer-Verhältnisse. Es gliedert sich im Wesentlichen in das Betriebsverfassungsrecht und das Tarifvertragsrecht. Im Betriebsverfassungsrecht werden in erster Linie durch das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) die Mitwirkungsmöglichkeiten der Mitarbeiter geregelt. Die betriebliche Mitbestimmung ist für die private Wirtschaft im Betriebsverfassungsgesetz (Betriebsrat) geregelt und für den öffentlichen Dienst im Personalvertretungsgesetz (Personalrat). Der Betriebsrat wird alle vier Jahre in geheimer und unmittelbarer Verhältnisoder Mehrheitswahl von der Belegschaft gewählt. Arbeitnehmer, die mindestens 18 Jahre alt sind und dem Betrieb mindestens seit einem halben Jahr angehören sind wahlberechtigt. In Betrieben ohne Betriebsrat kann dessen Wahl durchgesetzt werden entweder durch wenigstens drei Wahlberechtigte oder durch die im Betrieb vertretene Gewerkschaft. Betriebsräte genießen besonderen Kündigungsschutz und

Lernabschnitt 3:

Betriebsverfassungs-und Tarifrecht

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dürfen wegen ihrer Tätigkeit beruflich nicht benachteiligt werden. Sie sind für die Betriebsratsarbeit freizustellen und haben für Schulung und Fortbildung ein Recht auf bezahlte Freistellung. Betriebsräte wachen darüber, dass Gesetze und Vorschriften zum Schutze der Arbeitnehmer sowie Tarifverträge eingehalten werden. Nach dem Grad der Einflussnahme unterscheidet man Mitwirkungsrechte, Mitentscheidungsrechte und Informationsrechte. Die Mitbestimmungsrechte eines gewählten Betriebsrates in einem Betrieb, d. h. dass ohne sein Einverständnis eine Maßnahme durch den Arbeitgeber nicht durchgeführt werden kann, erstrecken sich im Einzelnen auf: • •



• • •

Kontrolle: Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen zur Überwachung des Verhaltens oder der Leistung von Betriebsangehörigen Arbeitszeit: Pausenregelung; Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit; vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der üblichen Arbeitszeit; Uberstunden; Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage; Einführung von Schichtplänen Sozialleistungen: Bereitstellung von Getränken; Form, Ausgestaltung und Verwaltung von Sozialleistungen; Möglichkeit der Zubereitung von Mahlzeiten; Verpflegungszuschüsse Betriebliche Ordnung: Benutzung des Telefons; Alkohol- und Rauchverbot; Parkplatzvergabe Urlaub: Betriebsurlaub; Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze und des Urlaubsplans Lohn/Gehalt: Fragen der Lohngestaltung; Zeit, Ort und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte; Mitbestimmung bei der Einführung von Treueprämien, Gratifikationen, Leistungsprämien

Der Betriebsrat hat somit keinen unmittelbaren Einfluss auf die wirtschaftliche Führung des Betriebes und den damit zusammenhängenden Entscheidungen. Wichtig ist das Einspruchsrecht in Fällen, in denen wesentliche Neuerungen geplant sind, die zu einer wesentlichen Änderung der Lage der Arbeitnehmer führen können. Um wirtschaftliche Nachteile auszugleichen oder zu mildern, die den Arbeitnehmern durch Betriebsänderungen entstehen, kann ein Betriebsrat auf Abschluss eines Sozialplans drängen. Der Betriebsrat verfügt auch über Unterrichtungs- und Beratungsrechte. Er ist vom Arbeitgeber rechtzeitig zu unterrichten über geplante Neu-, Um- und Erweiterungsbauten, die Planung neuer Arbeitsabläufe und -verfahren, die Planung neuer Arbeitsplätze, sowie neue technische Anlagen und Einrichtungen, die eingeführt werden sollen. Vor jeder beabsichtigten Kündigung ist der Betriebsrat anzuhören, wobei ihm der Arbeitgeber die Gründe der Kündigung mitzuteilen hat. Eine Kündigung, die ausgesprochen wurde, ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats, ist aus formalen Gründen unwirksam. Gegen die beabsichtigte Kündigung kann der Betriebsrat Bedenken erheben und ihr auch widersprechen, wobei der Widerspruch innerhalb einer Woche schriftlich erfolgen muss. Mitbestimmungspflichtige Regelungen werden oft in Betriebsvereinbarungen festgehalten. Die Betriebsvereinbarung ist eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über eine betriebliche Angelegenheit, die betriebsverfassungsrecht-

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Modul V:

Personalwesen

lieh zu regeln ist. Sie gilt somit für alle Mitarbeiter unmittelbar, wird in der Regel in einer Niederschrift festgehalten und ist im Vergleich zu Gesetzen und Tarifvertrag nachrangig. Sie endet durch Zeitablauf oder durch Kündigung. Oft werden einzelne Regelungen zur Arbeitszeit oder Arbeitszeiterfassung durch eine Betriebsvereinbarung fixiert. In medizinischen Einrichtungen mit öffentlich-rechtlicher Trägerschaft tritt an die Stelle der Betriebsvereinbarung die Dienstvereinbarung. Während die betriebliche Mitbestimmung für die private Wirtschaft im Betriebsverfassungsgesetz geregelt ist, gilt für den öffentlichen Dienst das Personalvertretungsgesetz (Personalrat). Das Personalvertretungsgesetz regelt die Teilnahme der Beamten, Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst (Personalvertretung) am Willensbildungs- und Entscheidungsprozess in öffentlichen Einrichtungen, Betrieben oder Unternehmen. Nach dem Gesetz haben die Arbeitnehmer sowohl bloße Mitwirkungs- als auch echte Mitbestimmungs- oder Mitentscheidungsrechte bei der Gestaltung ihrer Arbeitsbeziehungen und Arbeitsbedingungen, die sie durch gewählte Personalräte wahrnehmen. Das Bundespersonalvertretungsgesetz regelt im Einzelnen die Personalversammlung, die Wahl, Zusammensetzung, Amtszeit, Geschäftsführung des Personalrates, die Jugendvertretung und Jugendversammlung, die Vertretung der nicht ständig Beschäftigten sowie Form und Verfahren der Mitbeteiligung, Mitbestimmung und Mitwirkung. In den einzelnen Ländern gelten darüber hinaus die jeweiligen Landespersonalvertretungsgesetze. Das Tarifvertragsrecht beruht auf Tarifverträgen, die zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften (Tarifvertragsparteien) die arbeitsvertraglichen Bedingungen sowie die betriebsverfassungsrechtlichen Fragen regeln. Grundlage hierfür ist das Tarifvertragsgesetz (TVG) und die im Grundgesetz garantierte Tarifautonomie. Tarifverträge bedürfen der Schriftform und können nur zwischen tariffähigen Parteien vereinbart werden, wie einzelnen Handwerksinnungen, Arbeitgebern, Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften sowie Spitzenorganisationen der jeweiligen Tarifparteien. Generell ist der Geltungsbereich im Tarifvertrag festgelegt. Man unterscheidet dabei: • • •

Persönlicher Geltungsbereich: Festlegung, auf welche Personen der Tarifvertrag Anwendung findet Räumlicher Geltungsbereich: Gebiet, in dem der Tarifvertrag gilt Fachlicher/betrieblicher Geltungsbereich: Tätigkeit/Wirtschaftszweig für die/ den der Tarifvertrag gilt

Bei den Tarifverträgen lassen sich der Manteltarifvertrag, der einen Rahmentarifvertrag darstellt, und der Lohntarifvertrag, welcher überwiegend Lohn- und Gehaltsfragen regelt, unterscheiden. Tarifverträge enthalten als wesentliche Bestandteile Regelungen der Rechtsbeziehungen der Tarifvertragsparteien zueinander, sowie zentrale Regelungen der arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten. Ein Tarifvertrag besitzt für die tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer solange Gültigkeit, bis seine Regelungen bei Außerkraftsetzung durch eine andere Abmachung ersetzt wird. Er enthält Mindestregelungen, von denen nur zugunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden kann und Öffnungsklauseln, die eine Abweichung durch gesonderte Betriebsvereinbarungen zulassen.

Lernabschnitt 4:

Personalführung

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Sind beide Tarifvertragsparteien organisiert (Organisationszugehörigkeit), gilt der Tarifvertrag unmittelbar und zwingend wie ein Gesetz. Auch können der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit und die Länderarbeitsminister auf Antrag einzelne Tarifverträge für allgemein verbindlich erklären (Allgemeinverbindlicherklärung). Er findet auch Anwendung, wenn er einzelarbeitsvertraglich vereinbart ist oder er im Betrieb allgemein angewendet wird (Betriebliche Übung).

Kontrollfragen • • • •

Durch welche Rechte sind Betriebsräte besonders geschützt? Was bedeutet ein Mitbestimmungsrechtl Welchen Einfluss hat der Betriebsrat auf eine Kündigung? Wie erfährt ein Tarifvertrag seine Gültigkeit?

Lernabschnitt 4:

Personalführung

Die Arbeit in einem Unternehmen hat keinen Selbstzweck. Der Zweck wird durch die Ziele des Betriebes in formeller und sachlicher Hinsicht bestimmt. Die individuelle Leistung des Mitarbeiters ist zunächst abhängig von den Anreizen, die ihm geboten werden und den Arbeitsmitteln, die ihm zur Verfügung stehen. Die Erfassung und Beeinflussung der Leistungsbereitschaft setzt darüber hinaus die Kenntnis der Bedürfnisse der Mitarbeiter voraus. Allerdings sind die persönlichen Bedürfnis· und Zielstrukturen sehr unterschiedlich und der Einzelne ist oft nicht in der Lage, diese hinreichend genau zu definieren. Die Personalführung stellt einen Prozess der steuernden Einflussnahme von Personen (Führer, Führende) auf das Verhalten anderer Personen (Geführte) zum Zweck der Erreichung bestimmter Ziele dar. Unter Personal- oder Mitarbeiterführung sind somit alle jene Aktivitäten des Vorgesetzten zu verstehen, die er im Umgang mit seinen Mitarbeitern verwirklicht, um diese im Sinne der Aufgabenerfüllung zu beeinflussen. Dazu zählen alle planenden, leitenden, koordinierenden und kontrollierenden Tätigkeiten von übergeordneten Mitgliedern in einer Organisation gegenüber untergeordneten Mitgliedern. Es geht dabei zum einen um die positive Beeinflussung des Leistungsverhaltens der Mitarbeiter zur Erfüllung der wirtschaftlichen Ziele. Ferner geht es um die Förderung ihrer persönlichen, sozialen Ziele zur Herbeiführung von Arbeitszufriedenheit. Die Arbeitszufriedenheit ist Gegenstand vieler motivationstheoretischer Ansätze. Motivation ist hierbei als Oberbegriff für jene Vorgänge zu verstehen, die in der Umgangssprache mit Streben, Wollen, Begehren, Drang usw. umschrieben, als Ursache für das Verhalten angesehen werden können und sich als interne Bereitschaft für ein bestimmtes Verhalten oder die Erreichung eines bestimmten Zieles

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Modul V:

Personalwesen

bezeichnen lassen. Das Motivieren selbst ist somit ein aktives zielgerichtetes Steuern des Verhaltens, um das Streben, Wollen usw. zu erreichen. Einerseits wird Motivation durch den Einsatz von Führungsinstrumenten beeinflusst. Andererseits stellt das Motivieren als Verhaltenssteuerung selbst ein weiteres Führungsinstrument dar. Somit ist die Frage entscheidend, wie auf die Mitarbeiter eingewirkt werden kann, damit diese sich für die Ziele und Problemlösungen des Unternehmens bestmöglich einsetzen. Motivation beantwortet die Frage, wie ein bestimmtes, gewünschtes Verhalten aktiviert und dieses Verhalten möglichst dauerhaft beibehalten werden kann. Die Verhaltensbereitschaften oder Beweggründe der Mitarbeiter selbst werden dabei als Motive im engeren Sinne bezeichnet. Motivationstheorien versuchen eine Erklärung menschlichen Verhaltens zu liefern und auf die grundlegende Frage, wie und was Menschen zur Arbeitsleistung antreibt oder motiviert, Antworten zu geben. Die Bedürfnishierarchie des amerikanischen Psychologen A. Mas low (1908—1970) ist ein erster motivationstheoretischer Ansatz. Diese Theorie geht davon aus, dass der Mensch zunächst seine Primärbedürfnisse (physiologische Bedürfnisse wie Essen, Trinken, Schlafen etc.) zu befriedigen sucht und sich danach den Sekundärbedürfnissen zuwendet, wobei er in folgender Reihenfolge zunächst Sicherheitsbedürfnisse, auf der nächsten Stufe soziale Bedürfnisse, danach Wertschätzung und schließlich auf der höchsten Stufe seine Selbstverwirklichung zu erreichen versucht. Nach der Zwei-Faktoren-Theorie der Arbeitszufriedenheit des Arbeitswissenschaftlers F. Herzberg (1923—2000) gibt es einerseits so genannte Motivatoren, wie bspw. Leistung, Anerkennung, Verantwortung, die sich auf den Arbeitsinhalt beziehen und die Arbeitszufriedenheit erzeugen und andererseits so genannte Hygienefaktoren (Rand- und Folgebedingungen der Arbeit: Entlohnung, Führungsstil, Arbeitsbedingungen etc.), die Unzufriedenheit vermeiden. Bei der Anreiz-Beitrags-Theorie der Organisations- und Sozialwissenschaftler J. March (geb. 1928) und H. Simon (1916-2001) empfangen die Mitarbeiter von der Organisation Anreize, die nicht nur monetärer Natur sein müssen, und für die sie gewisse Beiträge (bspw. Arbeitsleistung) erbringen. Obwohl die individuellen Motivstrukturen der Menschen sehr unterschiedlich sind, erfordert die Aktivierung des Leistungspotenzials der Mitarbeiter somit ein breites System von Anreizen, die ihnen angeboten werden müssen, um sie zu motivieren und zu belohnen. Dabei kann man materielle und immaterielle Motivationsanreize unterschieden. Zu den materiellen Anreizen zählen Sachleistungen und monetäre Zahlungen, wie Lohn, Gehalt, Zulagen usw. Als immaterielle Motivationsanreize lassen sich soziale Anreize und Ausbildungs- bzw. Aufstiegsanreize zusammenfassen. Zu den sozialen Anreizen zählen bspw. der ausgeübte Führungsstil, Mitwirkungsmöglichkeiten, Arbeitsumfeldgestaltung. Die Gruppe der Ausbildungs- bzw. Aufstiegsanreize umfasst Beförderungsmöglichkeiten, die Gewährung von Fortbildungsmaßnahmen etc. Die Motivation ist allerdings nur dann erfolgreich, wenn die gewährten Anreize auch den Motiven der Mitarbeiter entsprechen. Entscheidend ist somit, wie die Anreize von den Mitarbeitern wahrgenommen werden und nicht, welche Wirkung mit ihnen beabsichtigt ist.

Lernabschnitt 4:

Personalführung

135

Die Motivation wird durch den Einsatz der Führungsinstrumente beeinflusst. Führungsinstrumente unterstützen die Personalführung und beeinflussen die Motivation der Mitarbeiter. Der optimale Einsatz der Führungsinstrumente ist dann gewährleistet, wenn eine Identifikation der Zielsetzung des Betriebes mit den persönlichen Wünschen der Mitarbeiter herbeigeführt werden kann. Zu den wesentlichen Führungsinstrumenten zählen der Führungsstil und die Arbeitsgestaltung. Im Bereich der Arbeitsgestaltung gibt es zunächst die Möglichkeit des Job enlargement (Aufgabenerweiterung). Es stellt als Führungsinstrument die Veränderung der Arbeitsstrukturierung durch Aufgabenerweiterung dar, die in erster Linie die Wertschätzung der Arbeitskraft zum Ausdruck bringen soll. Beim Job enlargement handelt es sich um eine Arbeitsgestaltungsmaßnahme, die durch eine Erweiterung der Arbeit zu einer Erhöhung der Vielfältigkeit der Arbeitsaufgaben und -inhalte sowie zu einer Verringerung der Arbeitsteilung führt. Auch mit Job enrichement (Arbeitsbereicherung) soll eine ähnliche Wirkung erzielt werden. Job enrichement stellt als Führungsinstrument die Veränderung der Arbeitsgestaltung durch Arbeitsbereicherung dar. Dabei wird die Verantwortung mit Hilfe erhöhter Entscheidungs- und Kontrollbefugnisse erweitert, was zu einer qualitativen Aufwertung der Stelle führt. Typische Beispiele sind die Ernennung oder Beförderung von bewährten Arbeitskräften, aber auch die nach außen dokumentierte Beauftragung mit Sonderaufgaben und -funktionen. Job rotation (Arbeitsplatzwechsel) stellt als Führungsinstrument die Veränderung der Arbeitsgestaltung durch Arbeitsplatzwechsel dar. Die Möglichkeit eines Arbeitsplatzwechsels innerhalb der betrieblichen Organisation kann ebenfalls als gezielt einsetzbares Führungsinstrument angesehen werden. Ihr Einsatz ist insbesondere dann angebracht, wenn verschiedene Mitarbeiter sich gegenseitig vertreten und die gleichen Tätigkeiten wahrnehmen sollen. Der Arbeitsplatzwechsel trägt auch dazu bei, die Eintönigkeit der Arbeitsabläufe zu verringern und durch die Aufgabenwahrnehmung unterschiedlicher Personen in der Summe auch Qualitätsverbesserungen zu erzielen. Bei der Gruppenarbeit (autonome Arbeitsgruppen) wird eine bestimmte Arbeitsaufgabe mehreren Mitarbeitern zur gemeinsamen Erledigung übertragen. Dabei wird auf die Selbstorganisation dieser Gruppe abgestellt, die in der Regel umfassende Entscheidungsspielräume bei der Ablauforganisation der ihr übertragenen Aufgaben erhält: • • • • •

Pausenregelung Qualitätskontrolle Arbeitsablaufgestaltung Urlaubsplanung Arbeitsgeschwindigkeit

Ein Mitglied der Gruppe wird als Sprecher eingesetzt, der die Koordination der Gruppenarbeit übernimmt, aber keine Vorgesetztenfunktion ausübt. Leistungsabhängige Gehaltsbestandteile werden nicht auf die individuelle Arbeitsleistung, sondern auf das Gruppenergebnis abgestimmt. Beim Einsatz dieses Führungsinstruments ist ein Anstieg der Arbeitszufriedenheit und -Produktivität zu verzeichnen. Jedoch sind nur dann nachhaltig positive Effekte zu erzielen, wenn die Arbeitsgruppe in die Organisationsstruktur des Unternehmens eingebunden ist. Denn die

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Modul V:

Personalwesen

übergeordneten Ebenen verlieren dabei an Einfluss und Macht, weil ihre Tätigkeiten von der Gruppe selbst vorgenommen werden. Ein weiteres wichtiges Führungsinstrument ist der Führungsstil. Führungsstile sind dauerhafte, häufig zu beobachtende Yerhaltungsmuster führender Personen. Sie bewegen sich in der Regel zwischen zwei extremen Ausprägungsgruppen: Je nachdem, ob die vorgesetzte Person mehr mit den Mitteln des Drucks, der Autorität und des Zwangs oder mehr mit den Mitteln der Uberzeugung, der Kooperation und Partizipation am Führungsprozess vorgeht, wendet sie einen eher autoritären oder einen eher kooperativen Führungsstil an. Der Führungsstil zählt damit zu den wichtigen Führungsinstrumenten (Tabelle 37). Tabelle 37:

Führungsstile.

Stil

Ausprägungen

Despotisch

Absoluter Machtanspruch, Einschüchterungen, Willkür

Patriarchalisch

Absolutheitsanspruch, väterliches Leitbild, Treue- und Versorgungspflicht gegenüber Mitarbeitern

Charismatisch

Ausstrahlungskraft gegenüber Mitarbeitern als prägende Komponente und Quelle der Macht

Konsultativ

Einholung von Rat bei Mitarbeitern, Entscheidung trifft die Führungsperson

Partizipativ

Mitentscheiden der Geführten, Entscheidungsvorbehalt im Zweifel bei Führungsperson

Demokratisch

Entscheidung der Mitarbeiter auch gegen den Willen der Führungsperson

Laissez-faire

Führungsperson bleibt weitestgehend passiv und lässt die Dinge laufen

Bürokratisch

Starke Orientierung an Anträgen, Formularen, Akten

Bei autoritären Führungsstilen trifft der Vorgesetzte sämtliche Entscheidungen und gibt sie in Form von unwiderruflichen Anweisungen oder Befehlen weiter. Die Weisungen werden durch den Vorgesetzten aufgrund der mit seiner Stellung verbundenen Macht erteilt. Er erzwingt deren Befolgung durch die Anordnung von Sanktionen. Eine extreme Ausprägung des autoritären Führungsstils, ist der militärische Befehl und Gehorsam. Der persönliche Freiheitsbereich der Geführten ist dabei minimal. Autoritäre Führungsstile werden geprägt von Ausführungsanweisungen, klaren Verhältnissen der Über- und Unterordnung, sozialer Distanz zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern sowie engen Kontrollen. Von einer Beteiligung der Mitarbeiter an den Entscheidungen des Vorgesetzten gehen dagegen kooperative Führungsstile aus. Sie kann soweit gehen, dass der Führende nur den Entscheidungsrahmen absteckt. Dadurch wächst der persönliche Freiheitsbereich der Mitarbeiter und die Übernahme von Verantwortung wird auf

Lernabschnitt 4:

Personalführung

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sie delegiert. Wichtige Kennzeichen für kooperative Führungsstile sind daher Delegation, verstärkte Kommunikation und Information, Partizipation, Kollegialität sowie ein Verhältnis gegenseitiger Achtung und Anerkennung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern. Eng verknüpft mit der Anwendung eines bestimmten Führungsstils als Führungsinstrument ist die Verwirklichung von Führungsprinzipien (Führungsmodellen). Sie bauen in der Regel alle auf dem kooperativen Führungsstil auf. Führungserfolge hängen somit von den spezifischen Wertorientierungen, Zielen und Aufgaben sowie von der Struktur und dem soziokulturellen Umfeld des zu führenden Unternehmens ab. Eine Vielzahl von Führungsmodellen belegt meist unter der Bezeichnung „Management by ..." zum Teil längst bekannte Prinzipien mit neuen Namen. Andererseits sind im Laufe der letzten Jahre aber auch neue Konzepte erstellt worden. In ihrem Mittelpunkt stehen dabei oft organisatorische Probleme und ihre Lösung im Rahmen der Führungsaufgabe. Bei dem Prinzip Führung durch Aufgabendelegation (Management by delegation) werden Entscheidungsfreiheit und Verantwortung konsequent auf die Mitarbeiter übertragen. Es ist dabei darauf zu achten, dass die übertragenen Aufgabenbereiche hinsichtlich Kompetenz und Verantwortung klar abgegrenzt sind, um mögliche Konflikte zu vermeiden. Unter Anwendung dieses Prinzips überträgt der Vorgesetzte Entscheidungsfreiheit und Verantwortung für eine Aufgabe, die er vorher selbst durchgeführt hat. Er kontrolliert dabei nicht jeden einzelnen Arbeitsvorgang, sondern behält sich nur stichprobenartige Kontrollen vor. Das System der Führung nach dem Ausnahmeprinzip (Management by exception) ist dadurch geprägt, dass der Vorgesetzte nur bei unvorhergesehenen Ausnahmesituationen und in ungewöhnlichen Fällen eingreift. Im Normalfall liegt die Verantwortung alleine bei dem mit der Aufgabe betrauten Mitarbeiter. Dies setzt zum einen das Vertrauen in die Aufgabenlösung durch den Mitarbeiter, aber auch ständige Kontrollen der Aufgabenwahrnehmung voraus. Das Eingreifen durch den Vorgesetzten bedeutet dabei ein deutliches Signal für den Mitarbeiter, Fehler begangen zu haben, denn im Idealfall ist kein Eingriff notwendig. Vorgesetze und Unterstellte legen beim Führungsprinzip Führen durch Zielvereinbarung (Management by objectives) gemeinsam bestimmte Ziele fest, die der Mitarbeiter in seinem Arbeitsbereich realisieren soll. Auf welchem Weg die vorgegebenen Ziele erreicht werden, kann der Mitarbeiter dabei im Rahmen seines Aufgabenbereichs selbst entscheiden. Der Vorgesetzte beschränkt sich auf die Kontrolle der Zielerreichung. Das Prinzip Führung durch Ergebnisorientierung (Management by results) stellt die stärker autoritäre Ausrichtung der Führung durch Zielvereinbarung dar. Der Vorgesetzte gibt die Ziele vor und kontrolliert insbesondere die Ergebnisse der Aufgabenwahrnehmung durch den Mitarbeiter. Dadurch, dass die Ziele nicht gemeinsam vereinbart werden, bringt ausschließlich der Vorgesetzte seine Ergebnisvorstellung ein und kann entsprechend auf Ergebnisabweichungen reagieren. Zahlreiche Führungstheorien und die damit verbunden Untersuchungen haben gezeigt, dass es nicht möglich ist, den schlechthin erfolgreichen Führungsstil zu ermitteln und damit auf einfache Weise zu einem erfolgreichen Vorgesetzten zu werden. Viele einschlägige Ratgeber versuchen gerade dies fälschlicherweise zu ver-

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Modul V:

Personalwesen

mittein. Vielmehr lassen sich jedoch folgende gemeinsame Merkmale erfolgreichen Führens aus vielen Forschungsergebnissen ableiten: •





Der Führungserfolg ist häufig situativ bedingt: Das gleiche Führungsverhalten kann in einer Situation richtig, in einer anderen jedoch falsch sein. Es kommt somit in hohem Maße darauf an, den für die jeweilige Situation richtigen Führungsstil zu erkennen und anzuwenden. Neuere Ansätze betonen auch sehr stark das Vertrauensverhältnis zwischen Führungskraft und Mitarbeiter: Fehlendes Vertrauen führt zu Reibungsverlusten und kann gravierende ökonomische Auswirkungen haben. Gemeinsam erreichte Erfolge können die Vertrauenswürdigkeit der Führungskraft erhöhen. Eine offene Kommunikation wirkt vertrauensfördernd, wobei die Führungskraft auch nach den Grundsätzen handeln sollte, die sie kommuniziert.

Das Telemanagement stellt eine besondere, informations- und kommunikationstechnisch unterstützte Form der Personalführung dar. Die Anwendungen von Formen der Telearbeit machen ein spezielles Management im Hinblick auf die Führung und den effizienten Einsatz der Telearbeiter notwendig. Dieses Management hat die Aufgabe, den Umgang mit den dazu notwendigen informations- und kommunikationstechnischen Medien zu steuern und die Führung der räumlich entfernten Mitarbeiter zu gestalten. Das Telemanagement gewinnt insbesondere im Hinblick auf den langfristigen Erfolg globalen Managements multinationaler Unternehmen an Bedeutung, der eng mit dem erfolgreichen Steuern räumlich entfernter Mitarbeitergruppen verknüpft ist und im internationalen Wettbewerb als Erfolgsfaktor angesehen werden kann. Die Kooperation mit räumlich dislozierten Mitarbeitern erfordert für die jeweilige Führungskraft technische Möglichkeiten, die die Personalführung unterstützen: Weitestgehend standortunabhängige Kommunikationsmedien, die von der Führungskraft selbst und damit direkt oder indirekt über Sekretariate oder Mitarbeiter zur Lenkung der externen Gruppe eingesetzt werden können. Die intensive Mediennutzung durch die Führungskraft ist als wesentliche Voraussetzung für die räumlich dezentralisierte Arbeitsorganisation anzusehen. Sie ermöglicht den dislozierten Mitarbeitergruppen eine vergleichsweise intensive Partizipation wie den lokal anwesenden Mitarbeitern. Um dies zu erreichen, ist die persönliche Kommunikation der Führungskraft mit den Telearbeitern über die entsprechenden technischen Medien erforderlich. Dies wiederum erfordert den direkten Umgang und die direkte Nutzung der Medien durch die Führungskraft. Im Vordergrund eines effektiven Telemanagements steht somit nicht nur die Erreichbarkeit oder das Hinterlassen wichtiger Nachrichten, sondern vielmehr der persönliche Kontakt, der durch den Einsatz jeweils geeigneter informations- und kommunikationstechnischer Medien ermöglicht wird. Das erfolgreiche Telemanagement findet seinen Niederschlag weniger in teamorientierter Gruppensteuerung als vielmehr in direkter Face-to-Face-Kommunikation unter Berücksichtigung einer dem jeweiligen Mitarbeiter eindeutig zugeordneten Aufgabenansprache. Die direkte Kommunikation trägt dazu bei, über Unternehmenshierarchien und aufbauorganisatorischen Barrieren hinweg kooperative Netzwerke aufzubauen. Konflikte stellen gegensätzliches Verhalten dar, das auf mangelnder gegenseitiger Sympathie, unterschiedlichen Interessen, Widerstreit von Motiven oder Kon-

Lernabschnitt 4:

Personalführung

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kurrenzdenken beruht. Konflikte müssen in Verhandlungs- und Schlichtungsprozessen einer zumindest vorläufigen Lösung zugeführt werden, damit das Arbeitsergebnis und damit der wirtschaftliche Erfolg nicht darunter leiden. Häufige Konfliktursachen liegen in der Tatsache begründet, dass die einzelnen Mitarbeiter nicht gleichzeitig alle ihre Vorstellungen und Erwartungen verwirklichen können. Die Ursache von Zielkonflikten liegt bspw. oft in der Auseinandersetzung darüber, welche Ziele erreicht werden sollen. Bei einvernehmlich geregelten Zielen gibt es häufig Konflikte darüber, wie diese Ziele erreicht werden sollen. Ein Anlass zu einem Konflikt ist in der Regel dann gegeben, wenn die eine Seite gewollt oder ungewollt Maßnahmen ergreift, die die Interessen der anderen Seite beeinträchtigen. Auf Kosten der Ziele anderer wird dann die Erfüllung der eigenen Ziele vorangetrieben. Einen Konfliktanlass stellt oft bereits auch nur die Vermutung oder Erwartung dar, dass die andere Seite derartige Maßnahmen ergreifen könnte. Als unangemessen empfundene Kritik stellt ebenfalls eine weitere häufige Ursache für Konflikte dar. Persönlichkeitsmerkmale sind meist nicht die alleinige Ursache von personellen Konflikten, sie können aber Auslöser bzw. Verstärker von Konflikten sein, oder aber auch, trotz objektiv vorhandenem Anlass, die Entstehung von Konflikten verhindern bzw. den Verlauf und die Auswirkungen von Konflikten glätten. Unterschiedliche Konflikttypen resultieren daraus, dass Konflikte zwischen zwei und mehreren Personen vorliegen, aber auch in einer Person selbst begründet sein können. Treten Konflikte zwischen zwei oder mehreren Mitarbeitern auf, so bezeichnet man sie als interpersonelle Konflikte. Sie zählen zu den häufigsten Konflikttypen. Bei den interpersonellen Konflikten sind zu unterscheiden Konflikte zwischen zwei Mitarbeitern, zwischen einer Gruppe von Mitarbeitern und einzelnen Personen oder zwischen Gruppen von Mitarbeitern. Neben den interpersonellen Konflikten zwischen mehreren Personen gibt es auch Konflikte, die in einer einzelnen Person begründet sind. Dieser Konflikttyp wird häufig als intrapersoneller Konflikt bezeichnet. Ein intrapersoneller Konflikt liegt oft dann vor, wenn eine Person in Bezug auf eine Handlung unentschlossen ist und/oder gleichzeitig unterschiedliche Rollen wahrnimmt. Die Konfliktverlaufsformen sind unterschiedlich und können gravierende Auswirkungen auf die zukünftige Zusammenarbeit haben. Wenn beide Konfliktseiten ihre gegensätzlichen Interessen ganz oder teilweise zu verwirklichen versuchen, liegt eine offene Konfliktaustragung vor, wobei der Versuch, die eigenen Interessen völlig durchzusetzen, zu regelrechten „Machtkämpfen" führen kann und der erlangte Vorteil der einen Seite dabei völlig zu Lasten der anderen Seite geht oder durch Kompromisse und damit einem „Zurückstecken" beider Seiten eine Problemlösung erzielt wird. Wird ein Konflikt mit einer anderen als der Anlass gebenden Seite ausgetragen, so liegt eine Konfliktumleitung vor. Dies ist häufig der Fall, wenn zunächst eine Konfliktvermeidung gegenüber der eigentlichen Gegenseite aufgrund einer zu gering eingeschätzten „Macht" und zu geringen Aussichten auf Erfolg vorliegt, das aufgestaute Frustrationspotenzial aber an anderen Mitarbeitern ausgelassen wird. Insbesondere gegenüber Mitarbeitern, zu denen günstigere „Machtverhältnisse" bestehen, kann dadurch ein aggressives Verhalten hervorgerufen werden. Häufig erfolgen Konfliktumleitungen oft auch in den privaten Bereich oder in das persönliche, familiäre Umfeld hinein. Dieses Verhalten wird daher auch als Konfliktübersprung bezeichnet. Werden trotz eines vorhandenen „Spannungspotenzi-

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Modul V:

Personalwesen

als" keine Konfliktaktivitäten ergriffen, so liegt eine Konfliktvermeidung vor. Häufig bedeutet dies für die den Konflikt vermeidende Seite, dass sie sich durch Vorwegnahme des für sie negativen Ergebnisses in die Verlierer-Position begibt. Daraus resultierend kann es zu einem Rückzugsverhalten kommen, dass im Extremfall bis zur Kündigung führen kann. Lässt eine Seite, die die entsprechende Macht besitzt (bspw. der Vorgesetzte), einen offenen Konflikt nicht zu oder setzt ihre Interessen unmittelbar durch und beendet den Konflikt dadurch, so liegt eine Konfliktunterdrückung vor. Die Konfliktunterdrückung ist somit dadurch gekennzeichnet, dass im Ergebnis eine Seite unterlegen ist, was für diese verständlicherweise keine Konfliktlösung darstellt. Vor dem Hintergrund der geschilderten Konfliktverlaufsformen ist daher eine offene Konfliktaustragung, auch wenn sie noch so heftig verlaufen sollte, vorzuziehen. Das Ergebnis einer offenen Konfliktaustragung kann durchaus auch positive Folgen für die zukünftige Zusammenarbeit aller Mitarbeiter haben. Bei der Konfliktbewältigung wird versucht, Konflikte durch Schlichtung zwischen den konträren Seiten zumindest zeitweise beizulegen, ihre Ursachen zu ermitteln und diese soweit möglich zum Zwecke einer langfristigen Beruhigung der Situation und eines möglichst konfliktfreien Arbeitens zu beseitigen. Bei einer Konfliktschlichtung werden beide Seiten gezwungen, die vom Schlichter genannte Problemlösung zu akzeptieren. Eine Konfliktschlichtung kann dann erforderlich sein, wenn zu befürchten ist, dass durch die Auseinandersetzung die gesamte Organisationseinheit in Mitleidenschaft gezogen wird. Wenn keine Seite durch die Schlichtung Voroder Nachteile erhält, ist eine derartige Problemlösung auch für die sich gegenüberstehenden Parteien in der Regel akzeptabel. Eine wirkungsvolle und ratsame Alternative zur erfolgreichen Handhabung von Konflikten stellt das gemeinsame Problemlösen unter Beteiligung eines Schlichters dar. Dazu müssen sich beide Seiten gemeinsam an einen Tisch setzen, das Problem definieren und Lösungsmöglichkeiten entwickeln. Erst, wenn für beide Seiten eine akzeptable Problemlösung gefunden wurde, endet der Prozess des gemeinsamen Problemlösens. Nicht immer soll und muss dabei der Vorgesetzte die Rolle des Schlichters einnehmen. Auch ältere, erfahrene Mitarbeiter eignen sich dazu. Wichtig ist dabei, dass sich der Schlichter neutral verhält und von beiden Seiten als solcher uneingeschränkt akzeptiert wird. Wird der Versuch unternommen, erkannte Konfliktpotenziale und deren Ursachen zu beseitigen, so handelt es sich um eine vorweggenommene Schlichtung. So kann der Schlichter versuchen, Mitarbeiter, die sich nicht besonders gut leiden können, zu trennen und in anderen Teams mit anderen Mitarbeitern arbeiten zu lassen. Die Vorgabe von Konfliktverlaufsregeln hat zum Ziel, dass durch Auseinandersetzungen von Mitarbeitern bspw. nicht die Leistungen des Unternehmens beeinträchtigt werden. Durch Verdeutlichung, dass unter internen Streitigkeiten keinesfalls der Betrieb leiden darf, kann der Konflikt gesteuert werden. Durch das Aufzeigen bisher in der Auseinandersetzung nicht berücksichtigter Lösungsalternativen kann aktiv eine Steuerung des Konfliktverlaufs bei bereits aufgetretenen Konflikten betrieben werden. Dadurch zählt auch das Schaffen neuer Randbedingungen, durch die sich auch eine Auseinandersetzung erübrigen kann. Der Vorgesetzte oder Schlichter kann die Randbedingungen so verändern, dass dadurch das Konfliktpotenzial beseitigt wird. Der Konflikt soll durch diese Form der Konflikthandhabung nicht unterdrückt, sondern den gegenüberstehenden Seiten bei der Beilegung des Streites

Lernabschnitt 5:

Personalplanung

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geholfen werden. Häufig werden bei Konflikten zwischen Vorgesetzten und Untergebenen Strafandrohungen, als Durchsetzungsinstrumente verwendet. Sie stellen keine geeigneten Alternativen der Konflikthandhabung dar, da vorhandene Konfliktursachen dadurch nicht beseitigt, sondern in ihrer Wirkung oft verstärkt werden. Die „Konfliktlösung" sieht so aus, dass die vorgesetzte Person droht, im Falle der Nichtbefolgung von Anweisungen aufgrund ihrer „Machtstellung" Sanktionen gegenüber unterstellten Personen zu verhängen, in Form von Verweigerung von Gehaltserhöhungen, Zurechtweisungen oder Drohung mit Abmahnung oder Versetzung. Auch Zufallsurteile stellen eine unzuverlässige Konfliktlösung dar, weil die unterlegene Seite oftmals weiterhin an der von ihr vertretenen Position festhält, so dass eine erneute Auseinandersetzung wahrscheinlich ist. Der Münzwurf ist daher keine geeignete Alternative einer erfolgreichen Konflikthandhabung.

Kontrollfragen • • • • • •

Welche Rolle spielen Motivatoren und Hygienefaktoren in der ZweiFaktoren-neorie nach F. Herzbergl Aus welchen Anreizen setzen sich betriebliche Motivationsanreize zusammen? Was ist unter Gruppenarbeit als Führungsinstrument zu verstehen? Durch welche Merkmale ist ein autoritärer Fiihrungsstil gekennzeichnet? Worin unterscheiden sich inter- und intrapersonelle Konflikte? Warum stellen Strafandrohungen keine geeigneten Alternativen zur Konfliktbewältigung dar?

Lernabschnitt 5:

Personalplanung

Die Personalplanung umfasst die Feststellung des quantitativen, qualitativen und zeitlichen Personalbedarfs. Der Personalbedarf gibt somit darüber Auskunft, wann wie viel Personal mit welchen Qualifikationen benötigt wird. Ziele der Personalplanung sind: • • • •

Den zukünftigen Bedarf an Mitarbeitern möglichst frühzeitig und realistisch feststellen Maßnahmen zur Deckung des künftigen Personalbedarfs planen und rechtzeitig einleiten Ermittlung von zukünftigem Weiterbildungsbedarf Anregungen für die Beförderungs- bzw. Versetzungspolitik

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• •

Modul V:

Personalwesen

Erreichen einer kontinuierlichen Personalpolitik und eines zuverlässigen Mitarbeiterstammes Vermeiden von kurzfristigen personalpolitischen Reaktionen wie Entlassungen, Probezeitkündigungen, Uberstunden

Als wesentliche Einflussgrößen auf den Personalbedarf können angesehen werden: • • • • • • •

Arbeitszeitveränderungen Fluktuationsrate Änderungen im Ausbildungsplan Veränderungen im Einsatz von medizinisch-technischen Einrichtungen Prozess- und Ablaufänderungen Änderungen der Aufbauorganisation Veränderte Arbeitsplatzanforderungen

Die Personalplanung basiert auf einer soliden betriebswirtschaftlichen Gesamtplanung. Aus ihr leitet sie sich letztendlich ab und muss auch kurzfristig auf Abweichungen reagieren können. Kurzfristige Personalmaßnahmen verhindern eine kontinuierliche Personalplanung. Als weitere Ausgangsbasis und Grundlage einer gesicherten Personalplanung wird ein breites Spektrum an Personaldaten benötigt. Aus ihnen lassen sich bspw. Alterstruktur, geplante Fluktuation, Qualifikationsmerkmale, Zeitpunkte von Arbeitsaufnahme oder Ausscheiden, Angaben zur Belegschaftsstärke aufgeschlüsselt nach Organisationseinheiten und vieles mehr entnehmen und systematisiert für die Planung zur Verfügung stellen. Das Ergebnis der Personalplanung sind Personalanforderungen, aus denen sich konkrete Personalrekrutierungsmaßnahmen ableiten lassen. Bleiben die Aufgabeninhalte nahezu unverändert, steht die quantitative Personalplanung im Vordergrund. Bei der qualitativen Personalplanung muss in der Regel von einer Neudefinition der benötigten Mitarbeiterqualifikationen ausgegangen werden. In der temporalen Bedarfsplanung wird festgelegt, wann die qualitativen oder quantitativen Anforderungen erfüllt werden müssen. Bei der quantitativen Planung des Personalbedarfs steht die Ermittlung des gegenwärtigen und künftigen Bedarfs an Arbeitsleistungen und seine vorhandenen Deckungsmöglichkeiten im Vordergrund. Dazu ist eine Prognose von Bedarfs- und Deckungsziffern durchzuführen. Zu ermitteln ist der Nettopersonalbedarf unter Berücksichtigung von • • •

SOLL-Bestand: Geplanter Personalbestand am Ende der Planungsperiode (= Bruttopersonalbedarf) IST-Bestand: Gegenwärtiger Personalbestand Zu erwartende Veränderungen des IST-Bestandes

Der IST-Bestand entspricht dabei der gegenwärtigen Belegschaft und die zu erwartenden Veränderungen setzen sich zusammen aus voraussichtlichen Zu- bzw. Abgängen (Ersatzbedarf) sowie Zusatzbedarfen. Der quantitative Personalbedarf lässt sich somit folgendermaßen berechnen: Gegenwärtige Belegschaft - voraussichtliche Abgänge + voraussichtliche Zugänge + Zusatzbedarf = gesamter quantitativer Personalbedarf

Lernabschnitt 5:

Personalplanung

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Der Ersatzbedarf entsteht durch das Ausscheiden von Mitarbeitern infolge von Kündigung, Pensionierung, Elternurlaub usw. Die ausscheidenden Mitarbeiter sind als Arbeitskräfte zu ersetzen. Der Zusatzbedarf ergibt sich als Folge von Ausweitungen von Produktions- oder Leistungserstellungskapazitäten, kann sich aber auch aufgrund von Arbeitszeitverkürzungen oder neuen Aufgaben, die durch das vorhandene Personal nicht abgedeckt werden können, ergeben. Neben der Personalbedarfsdeckung ist es auch Aufgabe der quantitativen Personalbedarfsermittlung den optimalen Personalbestand zu ermitteln. Zur Errechnung des optimalen Personalbestandes sind zunächst die unterschiedlichen zu verrichtenden Aufgaben und Tätigkeiten zu ermitteln. Die einzelnen Aufgaben sind mengenmäßig zu bewerten, um die durchschnittliche Arbeitsmenge zu ermitteln. Die durchschnittliche Arbeitsmenge ist anschließend mit der durchschnittlichen Bearbeitungszeit je Aufgabe oder Tätigkeit zu multiplizieren. Ferner ist ein Ausfallzeitfaktor zu berücksichtigen, der sich als Erfahrungswert aus im Arbeitsprozess unregelmäßig anfallenden Ausfallzeiten, wie Pausen, Wartezeiten, Nebenarbeiten usw. zusammensetzt. Zum Schluss ist durch die durchschnittlichen Arbeitsstunden zu teilen. Zur Ermittlung von Arbeits-, Pausen- oder Wartezeiten lassen sich bspw. nach REFA (ehem. Reichsinstitut für Arbeitsforschung; heute: REFA — Verband für Arbeitsgestaltung, Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung e.V.) Zeitstudien zu Rate ziehen oder Zeitmessungen durchführen. Schwieriger ist die Ermittlung in Teilbereichen des Unternehmens, in denen sich die Aktivitäten nicht ohne weiteres quantifizieren lassen. Hier bieten sich als Lösung bspw. Kennzahlen an, die einen gewissen Zusammenhang zum Personalbedarf erwarten lassen. Am Beispiel eines Klinik- oder Praxisbetriebes wären dies: durchschnittliches Patientenaufkommen pro Zeitperiode, Umsatzzahlen, oder Behandlungsfallzahlen. Allerdings kann dabei auch nicht immer davon ausgegangen werden, dass sich die Bedarfssteigerung proportional zu Steigerung der Kennzahl verhält. Aufgrund sog. Skalenerträge kann sie auch unterproportional sein, wenn sich bspw. Rationalisierungsvorteile ergeben. Als weitere, häufig vorkommende und verhaltensbedingte Probleme bei der quantitativen Personalbedarfsermittlung lassen sich feststellen: • •



„Horten" von Mitarbeitern als Reserve für eventuelle Personalkosteneinsparungen Mit der Anzahl der unterstellten Mitarbeiter steigt in der Regel die Bedeutung der Führungskraft, so dass in der Regel überhöhte Bedarfsmeldungen zu erwarten sind Eine großzügig bemessene Anzahl von Mitarbeitern lässt neben der Tagesarbeit die Beschäftigung mit prestigeträchtigen Projekten zu

Die qualitative Personalplanung hat die Erfassung der Arbeitsanforderungen an die einzelnen Arbeitsplätze zum Gegenstand, um dadurch das benötigte Qualifikationspotenzial zu ermitteln. Dabei sind fachliche und persönliche Qualifikationsmerkmale gleichermaßen zu berücksichtigen. Die Arbeitsanalyse bildet dabei die Grundlage für die Gewinnung von Informationen über die fachlichen und persönlichen Leistungsanforderungen eines Aufgabenbereichs. Sie umfasst die systematische Untersuchung der Arbeitsplätze bzw. Arbeitsvorgänge und dient zur Ermittlung jener

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Modul V:

Personalwesen

persönlichen Eigenschaften, die die Mitarbeiter als Stelleninhaber zur Erfüllung der an sie gerichteten Leistungserwartungen besitzen sollten. Die Arbeitsanalyse hat im Einzelnen folgende Aufgaben: • • • • •

Ermittlung sowohl der Arten als auch des jeweiligen Ausmaßes der Arbeitsplatzanforderungen Ableitung von Anforderungsprofilen Entwurf von Arbeitsplatzbeschreibungen Arbeitsablaufgestaltung Einarbeitung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Die qualitative Personalplanung kann in folgenden Schritten ablaufen: • • •

Anforderungsprofil festlegen: SOLL-Qualifikation der Mitarbeiter bestimmen Eignungsprofil festlegen: IST-Qualifikation der Mitarbeiter bestimmen Abweichung bestimmen: Abweichung zwischen Anforderungs- und Eignungsprofil ermitteln

Das Anforderungsprofil lässt sich für jeden Arbeitsplatz (Stelle) festlegen und wird Bestandteil der Stellenbeschreibung. Es umfasst fachliche, physische, psychische und sozialpsychologische Kriterien und dient auch als Grundlage der Entlohnung. Das Anforderungsprofil wird unabhängig von einer konkreten Person festgelegt und in einem zweiten Schritt mit dem persönlichen Eignungsprofil der in Frage kommenden Mitarbeiter verglichen. Ist der Arbeitsplatz mit vorhandenen Mitarbeitern auch unter Berücksichtigung von Personalentwicklungsmaßnahmen nicht zu besetzen, so sind Personalbeschaffungsmaßnahmen in Erwägung zu ziehen. Der temporale Personalbedarf ergibt sich im Wesentlichen aus den Veränderungen des Personalbestandes und aus Veränderungen des Arbeitsanfalls (Abbildung 26).

Abbildung 26:

Temporaler Personalbedarf.

Lernabschnitt 6:

Personalgewinnung

145

Die Veränderungen des Personalbestandes resultieren aus Zu- und Abgängen der Belegschaft. Diese Personalfluktuation, die den Ersatzbedarf verursacht, ist in der Regel zeitlich absehbar. So können rechtzeitig bei Bekanntwerden des Ausscheidens von Mitarbeitern entweder eine Regeneration mit vorhandenen Auszubildenden oder Neueinstellungen geplant werden. Bei der Regeneration sind die noch zu absolvierenden Ausbildungszeiten der Auszubildenden, die übernommen werden sollen, zu berücksichtigen. Ferner sind die dann frei werdenden Ausbildungsplätze wieder zu besetzen. Bei Neueinstellungen ist der Zeitraum zwischen der Personalbeschaffung und dem tatsächlichen Arbeitsbeginn zu berücksichtigen. Auch der Zusatzbedarf ist in der Regel absehbar. Anders verhält es sich mit unvorhergesehenen Veränderungen des Arbeitsanfalls, die unterschiedliche Ursachen haben können. Handelt es sich dabei nur um vorübergehende Erscheinungen, so muss geprüft werden, ob tatsächlich mehr Personal zur Bewältigung der zusätzlichen Arbeit benötigt wird, oder, bei geringerem Arbeitsanfall, ob auf Personal verzichtet werden soll. Kurzfristig lässt sich ein höherer Arbeitsanfall auch durch Mehrarbeit (Uberstunden, verkürzte Pausenzeiten, Verkürzung von Leerlaufzeiten, Arbeitsintensivierung, Schwerpunktsetzung etc.) bewältigen. Es auch sinnvoll, vorübergehende Veränderungen der Arbeitsauslastung durch kurzfristig verfügbares Personal (auf Abruf, Zeitarbeit) oder auch durch zeitlich befristete Arbeitsverhältnisse (Zeitvertrag) zu bewältigen. Bei dauerhaften Veränderungen des Arbeitsanfalls ist einer erhöhten Arbeitsbelastung aus den bereits genannten Gründen durch zusätzliches Personal Rechnung zu tragen, bei einer dauerhaften Verringerung des Arbeitsaufkommens durch Personalabbau.

Kontrollfragen • • •

Welche Einflussgrößen sind bei der Ermittlung des Nettopersonalbedarfs zu berücksichtigen? Worin unterscheiden sich Personalersatz und -zusatzbedarfl Mit welchen Maßnahmen lässt sich auf eine unvorhergesehene Erhöhung des Arbeitsanfalls reagieren?

Lernabschnitt 6:

Personalgewinnung

Die Personalgewinnung (Personalrekrutierung, -bedarfsdeckung) befasst sich mit der Bereitstellung der erforderlichen Arbeitskräfte. Sie wird ebenfalls als Personalbeschaffung bezeichnet, wobei sich dahinter in erster Linie das Verständnis menschlicher Arbeitskraft als Produktionsfaktor verbirgt, den es zu beschaffen gilt. Die Personalgewinnung baut auf der Ermittlung des Personalbedarfs auf und gehört zu den wichtigsten Aufgaben des Personalwesens. Schließlich stellt die Einstellungund der Einsatz einer jeden Arbeitskraft eine Investition dar, deren wirtschaftliche

146

Modul V:

Tabelle 38:

Personalwesen

Vorteile von i n t e r n e m u n d externem P e r s o n a l m a r k e t i n g .

Interne Anwerbung

Externe Anwerbung

Positive M o t i v a t i o n s w i r k u n g a u f Mitarbeiter

Möglichkeit, d u r c h die Bewerber Informationen über Konkurrenten zu gewinnen

Kentnisse der Stärken u n d Schwächen des Bewerbers

G r ö ß e r e Auswahl an qualifizierten Fachkräften

Geringere Einarbeitungskosten

Bewerber sind nicht „ b e t r i e b s b l i n d "

Steigerung der innerbetrieblichen Mobilität

Vermeidung v o n K e t t e n r e a k t i o n e n bei interner N a c h b e s e t z u n g

Geringeres Risiko von Fehlbesetzungen

V e r m e i d u n g von F r u s t r a t i o n abgelehnter interner Bewerber

Vorteilhaftigkeit - als Kosten-Nutzen-Verhältnis - sorgfältig geprüft werden sollte. Entsprechend hoch ist auch das finanzielle Risiko, das im Falle einer nicht erfolgreich absolvierten Probezeit eingegangen wird. Insofern ist es überraschend, dass derartige Investitionsentscheidungen im Vergleich zu sonstigen Entscheidungsprozessen häufig recht wenig systematisch und unstrukturiert ablaufen. Damit der Personalgewinnungsprozess sich nicht intuitiv vollzieht, lässt er sich in die Teilaufgaben Personalmarketing, -auswahl und -integration strukturieren. Aufgabe des Personalmarketing (Personalanwerbung) ist es, geeignete Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zur Bewerbung um einen freien Arbeitsplatz zu bewegen. Ihr Ziel ist dabei nicht eine möglichst große Anzahl an Bewerbungen zu erzielen, sondern möglichst qualifizierte zu erhalten. Zunächst lässt sich grundsätzlich zwischen internem und externem Personalmarketing unterscheiden. So kann eine interne Stellenausschreibung bspw. sogar mit dem Betriebsrat vereinbart sein, um eigenen Mitarbeitern die Bewerbung auf eine höherwertige Stelle zu ermöglichen und ihnen grundsätzlich den Vorzug gegenüber externen Bewerbern zu geben. Die externe Anwerbung erfolgt in der Regel dann, wenn die Stelle intern nicht besetzt werden kann oder soll. In Tabelle 38 sind die möglichen Vorteile von internem und externem Personalmarketing gegenübergestellt. Als eine Möglichkeit des direkten Personalmarketing bietet sich die öffentliche Ausschreibung in Form von Stellenanzeigen in Zeitungen und Zeitschriften an. Bei der Gestaltung einer Stellenanzeige sind unterschiedliche Strukturierungsmöglichkeiten gegeben (Tabelle 39). Stellenanzeigen sollten darüber hinaus folgende wesentliche Informationen enthalten • •

Kontaktaufnahme: Telefonnummer eines Ansprechpartners für erste Informationen, die aus der Stellenanzeige nicht hervorgehen Informationen über Arbeitgeber: Beschreibung sollte den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen; unrichtige Beschreibungen und überzogene Darstellungen führen zu Enttäuschungen und mangelndem Vertrauen in den neuen Arbeitgeber

Lernabschnitt 6:

Tabelle 39:

Personalgewinnung

147

Strukturierung von Stellenanzeigen.

AIDA

konventionell

Grundstruktur

Attention

Wir sind

Schlagzeile

Interest

Wir suchen

Informationen über den Arbeitgeber

Desire

Wir erwarten

Anlass der Personalsuche

Action

Wir bieten

gesuchtes Berufsbild Erwartungen Angebote Kontaktaufnahme

• • • • •

Schlagzeile: treffend formuliert, auffallend und sich von anderen positiv abhebend, Emotionen weckend Angebote: Beschreibungen sollten realistisch und nicht zu viel versprechend abgefasst sein Anlass der Personalsuche: Nennung zeugt von Offenheit sowie Transparenz und lässt keinen Raum für Spekulationen zu, Erwartungen an Bewerber: Anforderungen sollten realistisch und nicht zu hoch gesteckt sein Gesuchtes Berufsbild: Möglichst präzise Beschreibung, um auch die richtigen Bewerbungen zu erhalten

Der Erfolg einer Personalanwerbung hängt auch von der Anzeigenart ab (Tabelle 40). Die Anzeigengröße orientiert sich in der Regel nach der Dringlichkeit der Stellenbesetzung, der Arbeitsmarktsituation, der Bedeutung des Arbeitgebers, der Wichtigkeit der ausgeschriebenen Stelle, der Budgethöhe für PersonalmarketingTabelle 40:

Arten von Stellenanzeigen.

Arten

Kennzeichen

Offene Stellenanzeigen

Namentliche Nennung des Arbeitgebers; Möglichkeit zur direkten Ansprache durch den Bewerber.

Chiffreanzeigen

Keine namentliche Nennung des Inserierenden; Einsatz bei Vorliegen wichtiger Gründe.

Wortanzeigen

in Fließsatzform als Kleinanzeige oder Gelegenheitsanzeige; meist einspaltig, werden im laufenden Text abgesetzt und nach der Zahl der enthaltenen Wörter berechnet.

Gesetzte Anzeigen

mehrspaltig; werden auf der Grundlage eines Spaltenpreises pro mm nach der belegten Fläche berechnet.

148

Modul V:

Personalwesen

kosten sowie der Konkurrenzsituation. Bei der Platzierung von Stellenanzeigen ist zu beachten, dass nach Marketingstudien die Aufmerksamkeit bei Lesern auf den ersten zehn Seiten am größten und eine Platzierung rechts oben auf einer rechten Seite besonders vorteilhaft ist. Zum direkten Personalmarketing zählt auch die Nutzung des Internet durch das so genannte Ε-Recruiting. Das Ε-Recruiting kann sowohl über die eigene Website des Arbeitsgebers laufen, als auch über eine Jobbörse (www.jobscout.de, www.job.de,www.arbeitsagentur.de,www.stellenmarkt.de,www.monster.de etc.) Die Möglichkeiten des indirekten Personalmarketing erstrecken sich im Wesentlichen auf die Vermittlungsleistungen der Arbeitsagenturen, auf die Einschaltung von Personalberatern und das Personalleasing. Die Vermittlung von Arbeitnehmern wird in den örtlich zuständigen Stellen der Bundesagentur für Arbeit ( BA ) durchgeführt. Hier sind die von der Arbeitgeberseite gemeldeten offenen Stellen ebenso registriert, wie gemeldete Arbeitssuchende. Auch Arbeitende mit befristeter und in Kürze auslaufender Stelle können sich arbeitsuchend melden. Die Erteilung eines Vermittlungsauftrages in Form des Stellenangebotes eines Arbeitgebers ist nicht an eine bestimmte Form gebunden und in der Regel kostenlos. Die Einschaltung von Personalberatern (Personalvermittler, Headhunter) ist eine weitere Möglichkeit. Sie gestalten und formulieren Stellenanzeigen, führen die notwendige Korrespondenz mit den Bewerbern, erarbeiten Arbeitsplatzanforderungen, führen Bewerbergespräche durch und werten diese aus, beraten bei der Auswahlentscheidung und Erstellung des Arbeitsvertrages. Für ihre Leistungen berechnen Personalberater Beratungshonorare, die üblicherweise nicht erfolgsabhängig sind, sowie Sachkosten. Auch ist Personalberatern die direkte Arbeitsvermittlung erlaubt, sofern sie dazu eine Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit besitzen. Diese Stellenvermittlung ist üblicherweise für die Stellensuchenden kostenlos. Das Personalleasing (Leiharbeit, Zeitarbeit) kann angewendet werden, wenn kurzfristig oder zeitweise Personal zur Überbrückung von Engpässen benötigt wird. Dabei wird von Zeitarbeit- und Verleihfirmen Personal zeitweilig zur Arbeitsleistung gegen Entgelt überlassen. Die Arbeitskräfte werden von der Zeitarbeits- oder Verleihfirma eingestellt und alle Arbeitgeberpflichten werden von dieser übernommen. Zwischen der Verleihfirma und dem Auftraggeber wird ein Arbeitnehmerüberlassungsvertrag geschlossen, in dem Rechte und Pflichten beider Vertragspartner festgehalten werden. Das Bruttoentgelt fließt vom Auftraggeber zur Verleihfirma und wird nach dem Abzug von Lohnnebenkosten, Verwaltungskosten und Gewinnspanne als Nettolohn von der Verleihfirma an die Arbeitskräfte ausgezahlt. Auch die Beantwortung von Initiativbewerbungen stellt letztendlich eine indirekte Form des Personalmarketing da, wobei das tatsächliche Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses in diesem Fall vom zufälligen Ubereinstimmen von Eignungsprofil und Anforderungsprofil bzw. freier Stelle abhängt. Die Personalauswahl setzt eine erfolgreiche Personalanwerbung voraus und hat zur Aufgabe, durch Analyse der eingehenden Bewerbungsunterlagen und dem Führen von Vorstellungsgesprächen geeignetes Personal zu finden. Der richtigen Bewerber sollte dabei dem Anforderungsprofil bestmöglich entsprechen und dabei weder unter- noch überqualifiziert sein. Überqualifizierung kann früher oder später zu Unzufriedenheit, Langeweile oder gar Kündigungen führen. Im Hinblick auf eingereichte Bewerbungsunterlagen bestehen Pflichten, bei deren Verletzung Scha-

Lernabschnitt 6:

Personalgewinnung

149

densersatzansprüche entstehen können. So ist die Weitergabe an alle Mitarbeiter oder an fremde Personen verboten, die Unterlagen sind sorgfältig und sicher aufzubewahren, der Datenschutz im Hinblick auf die persönlichen Bewerberdaten ist zu berücksichtigen, die Unterlagen sind in ordnungsgemäßem Zustand unverzüglich zurückzusenden. Online-Bewerbungen haben den Vorteil, dass sie oft bereits in der gewünschten Form vorliegen und datentechnisch direkt weiterverarbeitet werden können. Bei der Bewerbungsunterlagenanalyse sind die eingehenden Bewerbungen anhand der schriftlichen Unterlagen zu überprüfen. Ziel ist es dabei die Bewerbungen auszusortieren, die die Anforderungen offensichtlich nicht erfüllen (Tabelle 41). Im Anschluss an die Bewerbungsunterlagenanalyse wird ungeeigneten Bewerbern unverzüglich ein Absageschreiben unter Rückgabe aller eingereichten Bewerbungsunterlagen zugestellt, geeignete Bewerber mit fehlenden Unterlagen werden aufgefordert, diese unverzüglich nachzureichen und uneingeschränkt geeignete Bewerber werden unter Vorschlag eines Termins zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Das Vorstellungsgespräch hat folgende Ziele: • • • •

Feststellung von Eignungspotenzialen Vermittlung von Informationen sowie eines positiven Gesamteindrucks über den zukünftigen Arbeitsplatz Gewinnung von persönliche Eindrücken über die Bewerber Interessen und Wünsche des Bewerbers eruieren

Das unstrukturierte Vorstellungsgespräch ist gekennzeichnet durch einen nicht vorgegebenen Gesprächsinhalt und -ablauf sowie einen flexibel und situationsabhängig gestaltbaren Verlauf, wobei allerdings Gesprächsauswertung und -vergleich mit anderen Vorstellungsgesprächen häufig Schwierigkeiten bereiten. Der Verlauf sowie die einzelnen Gesprächsthemen werden bei einem strukturierten Vorstellungsgespräch vorgegeben: • • • • • • •

Begrüßung Klärung der persönlichen Situation mit Fragen nach Herkunft, Familie und Wohnort Besprechung des Bildungswegs mit Fragen nach Schulbildung und Weiterbildungsabsichten Erläuterung der bisherigen Tätigkeiten und berufliche Entwicklung Informationen über den Arbeitgeber, Arbeitszeiten, Arbeitsplatz Fragen des Bewerbers Abschluss des Vorstellungsgesprächs mit Hinweis auf die weitere Vorgehensweise

Ein Einstellungstest kann zusätzliche Informationen über den Bewerber liefern: • • •

Leistungstest: Messung von Merkmalen wie Konzentrationsfähigkeit, Leistungsfähigkeit, Aufmerksamkeit Persönlichkeitstest: Bestimmung von Wesensmerkmalen des Bewerbers, die weitgehend situationsunabhängig sind Intelligenztest: Graduelle Bestimmung der einzelnen Fähigkeiten des Bewerbers

150

Modul V:

Tabelle 41:

Personalwesen

Bewerbungsunterlagenanalyse.

Analysesehritt

Erläuterung

Vorläufige Durchsicht

Diejenigen Bewerbungen aussortieren, die vorher festgelegte Mindestanforderungen nicht erfüllen (Unterlagen mit einer Mitteilung, dass die Bewerbung nicht berücksichtigt werden konnte, unverzüglich zurückgeben). Eingangsbestätigung: Bei positiv aufgenommenen Bewerbungen Eingang bestätigen oder auch eine unmittelbare schriftliche oder telefonische Kontaktaufnahme mit dem Ziel der Vereinbarung eines Vorstellungsgespräches durchführen.

Äußerer Eindruck

Heftung, Ordnung, Zustand, Art, Qualität der Unterlagen.

Bewerbungsschreiben

Gibt einen ersten Aufschluss über die Persönlichkeit des Bewerbers und sollte Informationen zum bestehenden Arbeitsverhältnis bzw. zur letzten Beschäftigungsstelle, zum Grund der Bewerbung, zu besonderen Fähigkeiten, bisheriger Bewältigung gleiche oder ähnlicher Aufgaben und dem frühestmöglichen Beginn der Arbeitsaufnahme enthalten.

Bewerbungsfoto

Vermittelt optischen Eindruck des Bewerbers, lässt allerdings nur Rückschlüsse auf Art, Herstellung, Datum des Fotos und Äußerlichkeiten der Person zu.

Lebenslauf

Gibt Aufschluss über die persönliche und berufliche Entwicklung der Bewerberinnen und Bewerber und sollte zweckmäßigerweise Angaben zum Familienstand, Geburtsort und -datum, und unter Nennung der jeweiligen Zeiträume schulische und berufliche Ausbildung, Prüfungen, berufliche Tätigkeiten und Weiterbildungsmaßnahmen enthalten; aus der Zeitabfolge lassen sich Lücken sowie häufige Arbeitsplatzwechsel aufspüren.

Schulzeugnisse

Geben Auskunft über die allgemeine Eignung.

Arbeitszeugnisse

Informieren über die vorhergehende Beschäftigung, geben Aufschluss über die Dauer, Art und Umfang der bisherigen Tätigkeiten, Leistung und Führung sowie Termine und Gründe der Beendigung; auf Formulierungen ist zu achten: • Sehr gut: „stets vollste Zufriedenheit, in jeder Hinsicht und in allerbester Weise entsprochen" • Gut: „stets volle Zufriedenheit, in jeder Hinsicht und in bester Weise entsprochen" • Befriedigend: „volle Zufriedenheit; in jeder Hinsicht entsprochen" • Ausreichend: „zur Zufriedenheit" • Mangelhaft: „im großen und ganzen zur Zufriedenheit; hat den Erwartungen entsprochen"

Lernabschnitt 6:

Personalgewinnung

151

Diese Tests sind aufgrund der Fragestellungen, der Testsituation etc. in ihrer Durchführung und Auswertung nicht unproblematisch. Sie sollten daher nur durch erfahrene Psychologen durchgeführt werden und auch nur dann, wenn dadurch ein wesentlicher Erkenntnisgewinn zu erwarten ist. Das Assessment Center ist ein Gruppenauswahlverfahren, um Probleme wie die Vergleichbarkeit einzelner Vorstellungsgespräche zu verbessern. Bei diesem Verfahren nehmen alle Bewerber an einem in der Regel mehrtägigen Verfahren teil, bei dem mehrere Beurteilungsmethoden zur Anwendung gelangen: • • • • • •

Präsentationen Gruppendiskussionen Interviews Leistungstests Posteingangsbearbeitung Rollenspiele

Die Beurteilung wird dabei von mehreren Personen durchgeführt, die zum Ende des Assessment Centers in einer Beobachterkonferenz die einzelnen Leistungen diskutieren. Üblicherweise wird das Ergebnis den einzelnen Bewerbern in persönlichen Feedback-Gesprächen erläutert. Das Assessment Center bietet folgende Vorteile: • • • • •

Erhöhung der Objektivität bei der Bewerberauswahl Bewertung der einzelnen Bewerber durch mehrere Beurteiler Vorgabe praxisnaher Fälle und Situationen Gleichzeitige Beurteilung aller Bewerber Einsatz mehrerer Auswahlmethoden

Assessment Center weisen im Gegensatz zum Vorstellungsgespräch in der Regel eine höhere Erfolgsquote bei der Auswahl der geeignetesten Bewerber auf. Das Assessment Center ist darüber hinaus auch als ein systematisches Verfahren zur Auswahl und Entwicklung von Führungskräften einsetzbar. Eine Arbeitsprobe vermittelt einen unmittelbaren Eindruck in die fachlichen Qualifikationen und praktischen Fähigkeiten des Bewerbers. Sie sollte unter Aufsicht des zukünftigen Arbeitgebers erfolgen und hinsichtlich Dauer und Intensität beschränkt sein, denn längere unentgeltliche Beschäftigungen, die als Arbeitsproben deklariert werden, sind unzulässig. Arbeitsproben sind zweckmäßigerweise vor Ort abzuleisten oder, je nach Tätigkeit, als einzureichende Arbeitsprobe abzuverlangen. Die Personalintegration beginnt mit der Einstellung und umfasst alle Maßnahmen, die zur Arbeitsaufnahme eines neuen Mitarbeiters erforderlich sind. Hierbei ist zunächst der Arbeitsvertrag bzw. bei Auszubildenden der Berufsausbildungsvertrag zu formulieren und abzuschließen. Dazu lassen sich vorformulierte Vordrucke verwenden. Bei freier Formulierung ist auf das Vorhandensein wichtiger Inhalte zu achten: Vertragsbeginn, Vertragsparteien, Berufs-/Tätigkeitsbezeichnung, Tätigkeitsbeschreibung, regelmäßige Arbeitszeit, Uberstundenregelung, Urlaub, Vergütung, zusätzliche Leistungen, besondere Pflichten, Probezeit, Kündigungsfrist.

152

Modul V:

Personalwesen

Zur Integration zählt auch die Einführung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die neue Tätigkeit und ihren neuen Arbeitsplatz. Sie soll sie mit dem Arbeitsplatz vertraut machen, das Zusammenleben mit den Kolleginnen und Kollegen erleichtern und sie möglichst rasch auf das erforderliche Leistungsniveau bringen. Die soziale Integration setzt Kenntnisse über die formellen Normen und informellen Einstellungen und Verhaltensweisen der Belegschaft voraus. Hierzu sollten alle Mitarbeiter vorab über den neuen Kollegen, seine Ausbildung und seine zukünftigen Aufgaben informiert werden. Diese Phase ist besonders wichtig, da hier erste emotionale Beziehungen und Einschätzungen entstehen. Allerdings ist die Sozialisation nur eingeschränkt gestalt- und kontrollierbar. Sie läuft überwiegend in informellen Verhaltens- und einstellungsgesteuerten Prozessen ab und wird auch durch den neuen Mitarbeiter selbst geprägt. Um diese Phase der Mitarbeiterintegration möglichst erfolgreich zu gestalten, bieten sich folgende organisatorische Möglichkeiten zur Unterstützung an: • • • • • •

Richtlinien für Vorgesetzte zur Vorbereitung der Mitarbeiter, des Arbeitsplatzes und des ersten Arbeitstages Vorbereitete Unterlagen: Einstellungsschreiben, Arbeitsvertrag, Merkzettel, was mitzubringen ist Einführungsschrift über Geschichte, Leitbild, Angebote des Betriebes Vertrauensbildendes Einführungsgespräch Bestimmung von Paten, die dem neuen Mitarbeiter am Anfang für Fragen zur Verfügung stehen Merkblatt mit wichtigen Telefonnummern, Ansprechpartnern, innerbetrieblichen Regelungen

Die eigentliche Arbeitseinweisung umfasst in der Regel folgende Punkte: • • • • • • • •

Informationen über Unfallschutz und sonstige Ordnungsvorschriften Einführung in die Organisationsstrukturen des Betriebes (Arbeitszeiten, Urlaubsplanung, Pausenzeiten, Arbeitsabläufe, Räumlichkeiten etc.) Darstellung der einzelnen Arbeitsaufgaben Aufzeigen und Abgrenzen des Arbeitsbereiches Anlernen durch Vor-, Nachmachen Selbständige Einarbeitung Umgang mit Einrichtungen und technischen Ausstattungen Regelmäßige Kontrolle des Einarbeitungsfortschritts

Im Rahmen der Einstellung sind auch unterschiedliche Unterlagen auszutauschen: Lohnsteuerkarte, Sozialversicherungsheft, Urlaubsbescheinigung und bei ausländischen Arbeitskräften die Arbeitserlaubnis. Die neue Arbeitskraft erhält im Gegenzug Betriebsausweis, Schlüssel, Berufskleidung etc.

Kontrollfragen • •

Worin besteht der Unterschied zwischen internem und externem Personalmarketingl Nach welchen Kriterien richtet sich die Größe von Stellencinzeigenl

Lernabschnitt 7:

• •

Personaleinsatz

153

Welche Pflichten bestehen im Umgang mit eingereichten Bewerbungsunterlagen? Welche Bedeutung hat die Einführungsphase neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

Lernabschnitt 7:

Personaleinsatz

Der Personaleinsatz umfasst die quantitative, qualitative, zeitliche und räumliche Organisation der Mitarbeiter sowie die Zuordnung ihrer Arbeitsaufgaben. Dazu sind die Fragen nach der Personalorganisationsstruktur und nach der möglichst effizienten Personaleinsatzorganisation zu klären. Die Personalorganisationsstruktur richtet sich nach der gesamten betrieblichen Aufbauorganisation. Durch sie wird festgelegt, welche Aufgaben der einzelne Mitarbeiter wahrzunehmen hat und in welcher Rangordnung die Mitarbeiter zueinander stehen. Die Stelle ist die kleinste, selbstständig handelnde Einheit in einer Aufbauorganisation. Die Stellenstruktur ist so zu bemessen, dass Aufgabenumfang und -komplexität durch den Stelleninhaber auch bewältigt werden können. Bei den Aufgaben handelt es sich um die Verpflichtung zur Vornahme bestimmter, einer Stelle zugewiesener Verrichtungen. Die Aufgabeninhalte und die Aufgabenzuordnung ergeben sich aus dem Arbeitsvertrag und der Stellenbeschreibung. Bei der Stellenbildung werden Einzelaufgaben zu Aufgabenpaketen zusammengefasst und einem Arbeitsplatz zugeordnet. Dazu wird in der Aufgabenanalyse eine schrittweise Zerlegung oder Aufspaltung der Gesamtaufgabe in ihre einzelnen Bestandteile anhand von alternativen Gliederungsmerkmalen wie Objekt, Verrichtung, Rang, Phase, Zweckbeziehung durchgeführt. Daran schließt sich die Aufgabensynthese an, in der die in der Aufgabenanalyse ermittelten Elementaraufgaben zu Stellen zusammengefügt werden. Durch Aufgabenanalyse und -synthese werden die Aufgaben eines fiktiven Organisationsmitgliedes festgelegt, die in einer Stellenbeschreibung zusammen mit den fachlichen und persönlichen Anforderungen an den Stelleninhaber, den Kompetenzen, Verantwortungsbereichen sowie der Bezeichnung und hierarchischen Einordnung der Stelle dokumentiert sind. Als weiteres Instrument zur Aufgabendokumentation eignet sich der Stellenbesetzungsplan. Aus ihm geht die personelle Besetzung der eingerichteten Stellen hervor. Durch die Ablauforganisation wird festgelegt wann, wie und wo die einzelnen Aufgaben verrichtet werden. Grundlage hierzu ist die Aufgabenzerlegung aus der Aufbauorganisation. Die dabei gewonnenen Teilaufgaben werden in einzelne Arbeitsschritte zerlegt, die dann in eine zeitlich und räumlich richtige Reihenfolge gebracht werden. Bei der Frage nach der möglichst effizienten Personaleinsatzorganisation steht zunächst das Ergebnis der Arbeitsanalyse als Analyse der Anforderungen einzelner Tätigkeiten an die sie verrichtenden Mitarbeiter im Mittelpunkt. Die aus der Arbeitsanalyse gewonnenen Anforderungsprofile einzelner Tätigkeiten sind bei der Organisation des Personaleinsatzes zu berücksichtigen. Das Personal kann dort am

154

Modul V:

Personalwesen

effizientesten eingesetzt werden, wo persönliche Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten am idealsten mit dem jeweiligen Anforderungsprofil übereinstimmen. Unter Arbeitsplatzanforderung ist zunächst die Beherrschung gewisser Teilarbeitsvorgänge zu verstehen, die aus der Zerlegung der Aufgaben und Tätigkeiten in einzelne Arbeitsschritte gewonnen werden. Die einzelnen Anforderungsarten lassen sich unterschiedlich klassifizieren: •

• •

Allgemeine Klassifizierung: Handfertigkeit, Gewandheit, Ausbildung, Erfahrung, dynamische / statische / einseitige Arbeit, Aufmerksamkeit, Denktätigkeit, Ansteckungsgefahr, Unfallgefahr, Nässe, Schmutz, Dämpfe, Klima, Lärm, Staub, Hitze GENFER-Konzept: Können, Belastung, Verantwortung, Einflüsse der Umgebung REFA-Konzept: Geschicklichkeit, Kenntnisse, physische und psychische Belastung, Umgebungseinflüsse

Die Anforderungsprofile für das Personal lassen sich nun aus diesen Anforderungsarten entwickeln. Die einzelnen Profile können je nach Aufgaben und Tätigkeiten unterschiedlich aussehen. Die Ermittlung der persönlichen Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten setzt eine Beurteilung der Mitarbeiter voraus. Hierzu ist die Arbeitsqualifikation, die geistigen Fähigkeiten, das persönliche Auftreten sowie das Verhalten gegenüber Kunden und den übrigen Kolleginnen und Kollegen einzubeziehen. Das Ergebnis der Beurteilung ist mit den Anforderungsprofilen zu vergleichen. Im Hinblick auf die Frage, wer im Rahmen der Personaleinsatzorganisation wo am effizientesten einzusetzen ist, bietet sich das Erstellen eines Personaleinsatzplanes an. Die Arbeitszeitplanung richtet sich zunächst nach dem Zeitbedarf für die Aufgabenerledigung und nach den gesetzlichen Rahmenbedingungen des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG). Die Auftragszeit (Arbeitszeit je Vorgang) umfasst nach REFA die Zeitspanne vom Beginn bis zum Ende eines Vorganges ohne Liege- und Transportzeiten. Die Summe der Arbeitszeiten aller Vorgänge ergibt die Gesamtarbeitszeit und damit den gesamten Zeitbedarf für die Aufgabenerledigung einer einzelnen Stelle. Die Arbeitszeit des einzelnen Mitarbeiters muss daran angepasst werden und zusätzlich berücksichtigen, wann diese Aufgaben anfallen. Die Arbeitszeitverteilung betrifft die Regelung von Arbeitsbeginn und -ende, Schichten und Pausen, auch um den optimalen Arbeitsrhythmus zu finden. Aufgrund von arbeitsphysiologischen Untersuchungen lassen sich folgende allgemeine Aussagen zur täglichen Leistungskurve treffen: • • • • •

Anlaufzeit zu Arbeitsbeginn Maximum am Vormittag Abfall der Leistung vor der Mittagspause Geringeres Maximum am Nachmittag Schneller Leistungsabfall zum Arbeitsende

Bei Unternehmen mit 24-Stunden-Betrieb werden die Leistungshöhepunkte am Vormittag zwischen 9 und 11 Uhr und am Abend zwischen 18 und 22 Uhr erreicht. Zwischen 2 und 4 Uhr nachts werden die schlechtesten Leistungswerte erzielt.

Lernabschnitt 7:

Personaleinsatz

155

Gleichzeitig treten die meisten Fehler während Nachtschichten auf. Positiv wirkt sich auch folgende Pausengestaltung aus: • • • • •

Kurze Pausen von 5 bis 10 Minuten, je nach Arbeitsbelastung im Abstand von ca. 1,5-2 Stunden Mittagspausen von mindestens 45 Minuten 20 Minuten Ruhe im Anschluss nach der Mittagsmahlzeit Möglichkeit zum kurzen Mittagsschlaf (Power-nap) zur Steigerung der Leistungsfähigkeit Start nach der Mittagspause mit wenig beanspruchenden Tätigkeiten

Die Berücksichtigung der aufgezeigten arbeitsphysiologischen Erkenntnisse und auch die Anpassung an die individuellen Arbeits- und Freizeitbedürfnisse des Mitarbeiters, kann durch Maßnahmen der Arbeitszeitflexibilisierung erleichtert werden: • • •

Gleitzeit Teilzeitarbeit Schichtarbeit

Die Gleitzeit (gleitende Arbeitszeit) stellt die Abkehr von einer starren Arbeitszeitregelung dar, da die Mitarbeiter um eine feste Kernzeit ihre Arbeitsstunden (bei Einhaltung einer Gesamtstundenzahl) variieren können. Ihre Ausgestaltung hinsichtlich Kernarbeitszeit, Geltungsbereich, Rahmenzeit, Verhältnis zur tariflichen Arbeitszeit, Regelarbeitszeit bzw. Sollstundenzahl, Mittagspause, Abwesenheit sowie Arbeitszeitausgleich wird meist in einer Betriebsvereinbarung geregelt. Die Teilzeitarbeit (Teilzeitbeschäftigung) liegt dann vor, wenn die regelmäßige Wochenarbeitszeit kürzer ist als die vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer. Sie ist damit eine wichtige Möglichkeit zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung, da ihr wesentlicher Vorteil vor allem in den vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten der Arbeit von Teilzeitbeschäftigten mit der von Vollzeit- bzw. anderen Teilzeitbeschäftigten liegt, die wiederum erhebliche Möglichkeiten für die Ausdehnung der Gesamtarbeitszeiten eröffnen. Die Teilzeitbeschäftigung kann in folgender Form vorliegen: • • • • • • •

Geringfügige Beschäftigung Reduzierung der täglichen Arbeitszeit Wegfall ganzer Arbeitstage Anpassung der Arbeitszeit an den Arbeitsanfall (Abrufarbeit) Stellenteilung (Job sharing) Abgeltung der über mehrere Jahre geleisteten Mehrarbeit in einem längeren Urlaub mit Hilfe eines Arbeitszeitkonto (Sabbatmonat/-jahr) Altersteilzeitarbeit

Die Halbtagsarbeit ist eine der häufigsten Formen der Reduzierung täglicher Arbeitszeit. Bei ihr wird die Hälfte der betrieblichen Arbeitszeit gleich bleibend voroder nachmittags erbracht. Eine geringfügige Beschäftigung liegt in den Formen der geringfügig entlohnten Beschäftigung bzw. der kurzfristigen Beschäftigung vor (Tabelle 42).

156

Modul V:

Tabelle 42:

Personalwesen

Geringfügige Beschäftigung.

Arten

Regelungen

Geringfügig entlohnte Beschäftigung

Weniger als 15 Std. wöchentlich Hinzuverdienstgrenze Arbeitsentgelt < 1/6 des Gesamteinkommens

Kurzfristige Beschäftigung

Nicht berufsmäßig ausgeübt Bei weniger als 5 Arbeitstagen pro Woche auf 50 Tage innerhalb eines Kalenderjahres begrenzt Bei 5 Arbeitstagen pro Woche auf 2 Monate begrenzt

Beim Job sharing teilen sich zwei oder mehrere Mitarbeiter bei vorgegebener Gesamtarbeitszeit einen Arbeitsplatz. Die Dauer und Lage der Arbeitszeit teilen sich die Mitarbeiter selbst ein. Auch das so genannte Sabbatical steht in Zusammenhang mit Teilzeitarbeit und stellt einen Langzeiturlaub dar. Er wird für mehrere Monate oder auch Jahre genommen, auch zu Weiterbildungszwecken oder sozialem Engagement. Schichtarbeit ist die Aufteilung der Gesamtarbeitszeit in einen Arbeitsrhythmus mit regelmäßig wechselnder Besetzung der Arbeitsplätze. Sie dient zur Steigerung der Kapazitätsauslastung, Senkung der Stückkosten, Einrichtung von Bereitschaftsleistungen, durchgehenden Öffnungszeiten und Steigerung des Dienstleistungsangebotes. Zur Einrichtung eines Schichtsystems sind zunächst die Rahmenbedingungen (erforderliche Ausdehnung der Gesamtarbeitszeit, ausreichende Anzahl der Mitarbeiter, Vorhandensein der Akzeptanz bei den Mitarbeitern) zu klären. Anschließend sind die neue Gesamtarbeitszeit in Tagen bzw. Stunden pro Tag zu definieren und Pausen zu berücksichtigen. Bei der Festlegung der Anzahl und Zeiten einzelner Schichten sind die Zeitdauer der einzelnen Schichten, die Art des Schichtsystems (Zwei-, Drei- oder Mehrschichtsystem) sowie die erforderlichen Uberlappungszeiten für einzelne Schichten zu definieren. Im Anschluss an die Festlegung der Schichtstärken sind die Schichtpläne unter Berücksichtigung regelmäßiger Wechsel, Urlaubszeiten und Feiertage zu entwickeln. Schichtsysteme sind in der Regel mit tariflichen oder durch Betriebsvereinbarung festgelegten Erholungszeiten, sowie mit Sonderregelungen für Jugendliche, werdende und stillende Mütter verbunden. Die Arbeitszeiterfassung dient zur Dokumentation von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit sowie der Pausen. Mit ihrer Hilfe lassen sich die tatsächlich geleisteten Arbeitzeiten genau erfassen und berechnen. Sie trägt dazu bei, die gesetzlich vorgeschriebenen Arbeits-, Pausen- und Ruhezeiten einzuhalten, Streitfälle zu vermeiden und die Entlohnung nicht erbrachter Arbeitsleistung zu reduzieren. Für die Einführung von Zeiterfassungssystemen ist häufig der Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung notwendig. Die wichtigsten Zeiterfassungssysteme sind:

Lernabschnitt 7:

• • • • •

Personaleinsatz

157

Zeiterfassung am PC Selbstaufschreibung mit anschließender manueller Auswertung Stempelkarte mit Stempeluhr ohne elektronische Auswertung Stempelkarte mit Stempeluhr und elektronischer Auswertung Elektronische Zeiterfassung mit Hilfe von Ident-Karten

Neben der Arbeitszeitflexiblisierung spielt auch die Arbeitsortflexibilisierung eine zunehmend wichtigere Rolle. Da sich mit dem verstärkten Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien auch die Formen der Leistungserstellung, der Arbeitsteilung und des Austauschs von Leistungen verändern, wird die Verfügbarkeit der menschlichen Arbeitskraft durch Telemanagement, Telekooperation und Telearbeit auf eine neue Basis gestellt. Im Vordergrund steht dabei der Gedanke der verstärkten räumlichen und zeitlichen Verteilung menschlicher Arbeitskraft mit den Zielen größerer Flexibilität und ökonomischer Effizienz. Telearbeit bezeichnet dabei eine rechnergestützte Arbeitsleistung, die mit Hilfe elektronischer Hilfsmittel an einem von dem Arbeitgeber räumlich getrennten Arbeitsplatz verrichtet wird. Sie eignet sich dann, wenn organisatorisch keine physische Präsenz des Mitarbeiters im Betrieb erforderlich ist, die durchzuführenden Tätigkeiten eine ergebnisorientierte Führung erlauben und die Verantwortlichkeiten eindeutig geregelt sind. Anhand des Merkmals des Arbeitsortes lassen sich die einzelnen Formen der Telearbeit unterscheiden: • • • •

Teleheimarbeit: Ausschließliche Telearbeit zuhause in der Wohnung des Telearbeiters Mobile Telearbeit: Telearbeit, die an keinen festen Ort gebunden ist Alternierende Telearbeit: Regelmäßig wechselnde Arbeit sowohl zu Hause oder im Betrieb Telecenter: Infrastrukturelle Einrichtungen, die von unterschiedlichen Unternehmen und Freiberuflern gleichermaßen zu Telearbeitszwecken genutzt werden

Ein weiteres wichtiges Merkmal ist die Arbeitszeit, die nicht mehr wie bislang durch herkömmliche stationäre gebundene Arbeitszeiterfassungsmethoden kontrolliert werden kann. Ein zusätzliches Merkmal, welches alle Formen der Telearbeit kennzeichnet, ist das Vorhandensein einer informations- und kommunikationstechnischen Anbindung an den Betrieb. Telearbeit liegt auch dann vor, wenn diese Verbindung nicht permanent geschaltet ist und der Telearbeiterin zeitweise im Offlinebetrieb arbeitet. Nach den rechtlichen Rahmenbedingungen der Telearbeit, die sich auf das Verhältnis zwischen Telearbeiter und Arbeit- bzw. Auftraggeber beziehen, kann der Telearbeiter als Arbeitnehmer grundsätzlich als angestellter Heimarbeiter, als freier Mitarbeiter oder als Selbständiger beschäftigt werden, wobei hinsichtlich der Rechtsprechung insbesondere die Abgrenzungsmerkmale Weisungsgebundenheit, Eingliederung in das betriebliche Geschehen und Qualifikation der auszuführenden Tätigkeit eine ausschlaggebende Rolle spielen. Das Telecommuting stellt die Fokussierung auf eine alternierende Form der Telearbeit dar, der regelmäßige Wechsel zwischen dem Arbeitsplatz im Büro und dem Arbeitsplatz zu Hause bzw. unterwegs. Folgende Grundtypen des Telecommuting lassen sich unterscheiden:

158









Modul V:

Personalwesen

Isoliertes Telecommuting: Eigenständiges, unabhängiges Arbeiten auf vorhandenen Daten; die Frequenz der Übertragung von Daten und damit die Bedeutung der Anbindung an das Unternehmensnetz bzw. zentrale Rechnereinrichtungen ist eher gering Gekoppeltes Telecommuting: Eigenständiges, unabhängiges Arbeiten, welches jedoch mit häufigem Zugriff auf zentrale Datenbestände verbunden ist; die Datenübertragungsfrequenz und damit der Bedarf, über Datenbestände und Ubertragungsmedien verfügen zu können, ist wesentlich größer Gesteuertes Telecommuting: Ablauforientiertes, prozessgebundenes Arbeiten, welches informationstechnisch koordiniert und kontrolliert wird; der Austausch von Daten ist dabei in als Workflow organisierte Prozesse integriert Integriertes Telecommuting: Kooperative, informations- und kommunikationstechnisch unterstützte Teamarbeit, wie sie bspw. in virtuellen Organisationsformen praktiziert wird; sie ist verbunden mit häufigem Informationsaustausch, gemeinsamen Datenzugriff, elektronisch unterstützten Diskussionsforen und Besprechungen

Die Arbeitsergonomie (Arbeitswissenschaft) befasst sich mit der Anpassung der Arbeitsbedingungen an die Eigenschaften des menschlichen Organismus. Sie soll dazu beitragen, Arbeitsprozesse aufgrund von Messungen und Analysen der Beanspruchungen und Erkenntnissen der Arbeitsphysiologie, -psychologie und -medizin sowohl hinsichtlich humanitärer wie auch ökonomischer Ziele optimal zu gestalten. Dazu zählen die ergonomische Gestaltung von Arbeitsplätzen, aber auch körpergerechte Konstruktionen von Arbeitsmitteln und Optimierung von Arbeitsabläufen. Dazu enthält die Deutsche Industrienorm (DIN) 33400 Anforderungen an Arbeitsplätze und -mittel, wie die Vermeidung statischer Muskelarbeit, die Verstellbarkeit der Arbeitsflächen-, Sitz- oder Standhöhe, die weitestgehende Vermeidung von Zwangshaltungen durch Wechsel mit entlastenden Körperhaltungen und -bewegungen, die Vermeidung unnötig hoher Belastungen von Muskeln, Gelenken, Bändern, Herz- und Kreislaufsystemen, die Anpassung von Sitzgelegenheiten an anatomische und physikalische Gegebenheiten, ausreichenden Bewegungsraum für Arme, Beine und Füße, die Berücksichtigung individueller und genereller Abmessungen, das Ermöglichen eines häufigen Wechsels zwischen Sitzen und Stehen, die Angleichung von Krafteinsatz und Bewegungsmaß oder die Anpassung der Bewegungsanforderungen an die natürlichen Bewegungen. Je nach Intensität, Frequenzbereich und Dauer der Einwirkung gehen von Lärm unterschiedliche psychische und körperliche Reaktionen aus. Ab einer dauerhaften Lärmeinwirkung von ca. 30 deb lassen sich psychische Reaktionen des menschlichen Organismus annehmen. Da ungefähr 80% aller Sinneseindrücke, die im Laufe eines Arbeitstages auf den Menschen am Arbeitsplatz einwirken, optischer Natur sind und von den Augen wahrgenommen werden müssen, spielt der Sehprozess und in diesem Zusammenhang insbesondere die richtige Beleuchtung eine wesentliche Rolle. Für den Produktionsbereich ist eine Beleuchtungsstärke von mindestens 500 Lux bis 2000 Lux angebracht. Für den Verwaltungsbereich, in dem vorwiegend Büroarbeit verrichtet wird, reicht eine Beleuchtungsstärke von 250 bis 500 Lux aus. In Räumen, in denen nicht dauernd gearbeitet wird, genügt eine Beleuchtungsstärke von 80 bis 125 Lux.

Lernabschnitt 8:

Personalentwicklung

159

Auch bei dem Raumklima tragen zu kalte oder überhitzte Räume, die Höhe der Luftfeuchtigkeit sowie die Raumbe- und -entlüftung zu Arbeitsermüdung, aber auch zur Entstehung von Krankheiten bei. Als optimale Arbeitstemperatur bei als körperlich leicht einzustufenden Arbeiten werden zwischen 19 und 23 °C angesehen. Die Luftwechselrate - das ist das Verhältnis der in einer Stunde zugeführten Frischluftmenge zum Rauminhalt — sollte in normalen Arbeitsräumen 3 bis 6, in geruchsintensiven, mit Emissionen behafteten Räumen zwischen 6 bis 16 betragen.

Kontrollfragen • • • • •

In welchem Zusammenhang stehen die Personalorganisationsstruktur sowie die betriebliche Aufbau- und Ablauforganiscitionl Wie lässt sich der Zeitbedarf für die Aufgabenerledigung einer einzelnen Stelle ermitteln? Was ist unter Job sharing zu verstehen? Unter welchen Bedingungen eignet sich die Telearbeit zur Aufgabenerledigung? Was ist ein wesentliches Ziel der Arbeitsergonomiel

Lernabschnitt 8:

Personalentwicklung

Bei der Personalentwicklung handelt es sich um ein umfassendes Konzept der Einwirkung auf die Mitarbeiter mit dem Ziel, die Qualifikationen aufzubauen und weiterzuentwickeln, die sie für die Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen. Sie ist die systematisch vorbereitete, durchgeführte und kontrollierte Förderung der Anlagen und Fähigkeiten der Mitarbeiter in Abstimmung mit ihren Erwartungen und den Veränderungen der Arbeitsplätze und Tätigkeiten. Im Einzelnen befasst sich die Personalentwicklung mit: • • • • • •

Ziele und Grundsätze der Personalentwicklung: Betriebliche Situation, Umfeldbedingungen, Stellenwert der Personalentwicklung Beteiligte: Grundsatz der Beteiligung aller betroffenen Mitarbeiter, Aufgabenverteilung Planungsgrundlagen und Handlungsfelder: Entwicklungsbedarf, Mitarbeiterbeurteilung, Handlungsbedarf Maßnahmen: Zusammenstellung, Zeit, Ort, Durchführung Lernziele und Inhalte: Grundsätze der Erwachsenenbildung, Verhältnis Fach-/ Verhaltensqualifikation, Lernziele und -methoden Organisation: Zeitrahmen, Kosten, Planung, Ablauf

Im Mittelpunkt moderner Personalentwicklung steht nicht das Faktenlernen, sondern das Verhaltenslernen. Nicht die Stoffvermittlung durch Unterricht, sondern

160

Modul V:

Personalwesen

Hilfestellung und Anwendungsberatung vor Ort sowie die Organisation und Moderation selbständiger Lernprozesse sind die Aufgaben der Personalentwicklung. Dazu sind die Mitarbeiter anzuregen, sich Kenntnisse und Fähigkeiten selbständig zu erarbeiten. Folgende grundlegende Ausrichtungen der Personalentwicklungsmaßnahmen lassen sich unterscheiden: • • • •

Hinführung zu einer neuen Tätigkeit (into the job) Maßnahme am Arbeitsplatz durch planmäßigen Arbeitsplatzwechsel, Urlaubs-/ Krankheitsvertretung oder Sonderaufgaben (on the job) Regelmäßige Abwechslung von externer Schulung und praktischer Umsetzung am Arbeitsplatz durch duales Ausbildungssystem (near the job) Externe Weiterbildung durch Seminare, Lehrgänge, Tagungen (off the job)

Die Einschätzung der Fähigkeiten und des Leistungsvermögens der Mitarbeiter ist erforderlich, um die Personalentwicklung zielgerichtet und effizient durchführen zu können. Dazu dient die Personalbeurteilung als zentrales Instrument des Personalwesens. Sie umfasst folgende Beurteilungsarten: • •

Leistungsbeurteilung: Vergangenheitsbezogene Überprüfung der IST-Leistung einer Person Eignungs- und Entwicklungsbeurteilung: Erfassung des Entwicklungspotenzials einer Person im Hinblick auf eine zukünftige Aufgabenstellung

Bei einem zusammenfassenden Beurteilungsverfahren wird die Person über einen Gesamteindruck meist in Form eines freien Kurzgutachtens bewertet, während bei einer analytischen Vorgehensweise das Gesamturteil aus bewerteten Einzelmerkmalen über vorgegebene Eigenschaftskataloge, Rangreihen oder Einstufungen gebildet wird. Wesentliche Beurteilungskriterien können sein: •

• • • • •

Unternehmerische Orientierung: Identifikation mit Unternehmenszielen und -Strategien, Erkennen und Berücksichtigen von Gesamtzusammenhängen, Effizienz und Kostenbewusstsein, Offenheit für Veränderungen Zielorientierung: Umsetzung von Zielvorgaben, Organisationseffizienz, Anwendung von Fachwissen, Durchsetzung von Qualitätsansprüchen Kundenorientierung: Erzeugung von Kundenbindung, Schnelligkeit und Präzision in der Kundenbetreuung Teamorientierung: Kommunikationsfähigkeit, Konflikthandhabung, Teamförderung Führungsorientierung: Motivationsfähigkeit, Zielerarbeitung, Durchsetzungsvermögen Persönliche Orientierung: Zielstrebigkeit, Ausdauer, Selbstmanagement, Stabilität

Damit anhand der Kriterien eine Bewertung des jeweiligen Erreichungsgrades erfolgen kann, sind Beurteilungsstufen festzulegen, die die Beurteilung graduell einordnen. Mit Hilfe von zugeordneten Beurteilungsfeststellungen lässt sich die Bewertung ausdrücken (Tabelle 43).

Lernabschnitt 8:

Tabelle 43:

Personalentwicklung

161

Beurteilungsfeststellungen und -stufen.

Beurteilungsfeststellungen

Beurteilungsstufe

Ziffer

Aufgabengebiet wird weit überragt; arbeitet in jeder Hinsicht fehlerfrei

Leistung und Befähigung übertreffen bei weitem die Anforderungen

1

Aufgabengebiet wird überragt; arbeitet selbständig, sorgfältig und termingerecht

Leistung und Befähigung reichen über die Anforderungen hinaus

2

Aufgabengebiet wird beherrscht; arbeitet meist selbständig, sorgfältig und termingerecht

Leistung und Befähigung entsprechen den Anforderungen

3

Aufgabengebiet wird überwiegend beherrscht; arbeitet manchmal flüchtig und dadurch fehlerhaft; muss gelegentlich an Termine erinnert werden

Leistung und Befähigung müssen teilweise den Anforderungen noch angepasst werden

4

den Aufgaben nicht gewachsen; arbeitet fehlerhaft; unselbständig; hält Termine nicht ein

Leistung und Befähigung entsprechen (noch) nicht den Anforderungen

5

Beurteilungsfehler stellen die Gefahr dar, dass bestimmte positive oder negative Ereignisse sich zu Unrecht auf das Gesamtbild der zu beurteilenden Person auswirken: • • • • • • • • • •

Sympathie: Sympathische Mitarbeiter werden besser beurteilt Antipathie: Unsympathische Mitarbeiter werden schlechter beurteilt Ein Beurteilungsmerkmal strahlt auf andere aus (Halo-Effekt) Es wird auf Ereignisse Bezug genommen, die erst kürzlich stattgefunden haben (Recency-Effekt) Es wird auf Ereignisse Bezug genommen, die vor langer Zeit stattgefunden haben (Primacy-Effekt) Mitarbeiter, die längere Zeit schlecht beurteilt wurden, werden unterschätzt (Kleber-Effekt) Mitarbeiter in höheren Positionen erhalten bessere Beurteilungen Tendenz zur Mitte: Bevorzugung mittlerer Urteilswerte Tendenz zur Strenge: Anspruchsniveau ist zu hoch Tendenz zur Milde: Anspruchsniveau ist zu niedrig

Da die Personalbeurteilung als Standortbestimmung für den Vorgesetzten und den Mitarbeiter gilt, gewinnt das regelmäßige, unter vier Augen stattfindende Beurteilungsgespräch eine besondere Bedeutung im Hinblick auf die Personalentwicklung. Es hat zur Aufgabe, Kritik und Anerkennung ausdrücklich anzusprechen, einen Einblick in den Leistungsstand zu vermitteln, die eigene Leistungseinschätzung des Mitarbeiters kennen zu lernen, verborgene Fähigkeiten aufzuzeigen, das Vorgesetzten-Mitarbeiter-Verhältnis zu verbessern sowie Leistungsziele und Maßnahmen als Personalentwicklungsmaßnahmen zur Leistungsverbesserung festzuhalten.

162

Modul V:

Personalwesen

Die Personalentwicklung baut auf der beruflichen Ausbildung auf. Am Beispiel der Ausbildung zur Arzthelferin in einer Arztpraxis lässt sich das duale Ausbildungssystem aufzeigen: Dabei wird die praktische Ausbildung in der Arztpraxis durch einen ausbildungsbegleitenden Berufsschulbesuch ergänzt. Ziel ist es, jede Arzthelferin so auszubilden, dass sie in der Lage ist, generell alle Aufgaben in einer ärztlichen Praxis gleichermaßen gut auszuüben. Die Ausbildungsinhalte und die Ausbildungsdauer sind in Ausbildungsverordnungen rechtsverbindlich geregelt, die den in der Arztpraxis stattfindenden Teil der Ausbildung abdecken. Die schulische Ausbildung richtet sich nach dem jeweiligen Lehrplan für die berufsbildenden Schulen der einzelnen Bundesländer. Es handelt sich dabei um Mindestqualifikationen, die zur Erlangung des Berufsausbildungsabschlusses notwendig sind. Der ausbildende Arzt hat auf der Grundlage des Ausbildungsrahmenplanes einen sachlich und zeitlich gegliederten Ausbildungsplan zu erstellen. Die Durchführung der Abschlussprüfung regeln die Prüfungsordnungen der einzelnen Ärztekammern. Zu den üblichen Ausbildungsmethoden der betriebspraktischen Ausbildung zählt zunächst die Arbeitsunterweisung. Sie dient der Vermittlung von praktischem Wissen, zur Erläuterung einzelner Arbeitsverfahren, zur Schulung des Arbeitsverhaltens und zum Üben der einzelnen Tätigkeiten: • • • • • • •

Erläuterung der Arbeitsaufgabe und ihrer Bedeutung Darstellung der einzelnen Arbeitsschritte Zunächst langsame, dann mit der üblichen Arbeitsgeschwindigkeit vormachende Arbeitsdurchführung durch den Ausbilder Arbeitsausführung durch den Auszubildenden unter Kontrolle des Ausbilders Klärung von dabei auftretende Fragen und Unklarheiten Ausführung der Arbeitsaufgabe durch Auszubildenden ohne direkte Aufsicht Kontrolle der Arbeitsergebnisse durch den Ausbilder

Eine weitere Ausbildungsmethode ist das Lehrgespräch, das einen gesteuerten Dialog zwischen Ausbilder und dem Auszubildenden darstellt. Es eignet sich besonders für: • • •

Erkennen und Verstehen von Zusammenhängen Umsetzung praktischer Tätigkeiten in gesichertes Wissen Abrundung und Ergänzung vorhandener Kenntnisse

Die Anwendung des Lehrgesprächs hat dabei zum Ziel, vorhandene Kenntnisse zu ergänzen und zu festigen, den Auszubildenden zur Aufmerksamkeit und Mitarbeit zu aktivieren, die sprachliche Ausdrucksweise zu üben und durch den persönlichen Kontakt individueller auf den Auszubildenden eingehen zu können. Um langfristig ein hohes Qualitätsniveau der Arbeitsleistungen sicherzustellen, ist eine ständige Weiterentwicklung der Mitarbeiter in fachlicher und persönlicher Hinsicht notwendig. Hierzu umfasst die berufliche Weiterbildung die auf einer Berufsausbildung oder auf beruflicher Erfahrung aufbauende Erweiterung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten. Sie stellt eine Investition zur Schaffung qualitativen Personalpotenzials dar, das dazu dient, zukünftige Anforderungen besser bewältigen zu können. In der Fachliteratur wird mitunter zwischen Fort- und Weiterbildung unterschieden: Während Fortbildung die Verbreiterung der Wissensbasis und

Lernabschnitt 9:

Personaladministration, -fluktuation und -freisetzung

163

der Erwerb zusätzlicher Qualifikationen darstellt, wird unter Weiterbildung die Vertiefung vorhandener Fachkenntnisse verstanden. Folgende Weiterbildungsarten lassen sich unterscheiden: • • •

Erhaltungsweiterbildung: Ausgleich von Kenntnis- und Fertigkeitsverlusten, welche durch fehlende Berufsausübung entstanden sind Erweiterungsweiterbildung: Erwerb von zusätzlichen Berufsfähigkeiten und Spezialisierungen Anpassungsweiterbildung: Angleichung an veränderte Anforderungen am Arbeitsplatz

Als Weiterbildimgsinstnimente • • • • • •

lassen sich festhalten:

Betriebsinterne Schulungen durch externe oder interne Trainer Besuch von Kongressen und Fachmessen Kurse und Seminare von Fachverbänden oder Fachveranstalter Fachzeitungen und -Zeitschriften Eigene Bibliothek mit Fachliteratur Teilnahme an zweckgerichteten Volkshochschulkursen

Kontrollfragen • • • • •

Was ist unter Personalentwicklung zu verstehen? Welche Art des Lernens steht im Mittelpunkt moderner Personalentwicklung'} Wodurch unterscheiden sich zusammenfassendes und analytisches Beurteilimgsverfahreifì Welche Aufgaben hat das Beurteilungsgesprächl Wodurch unterscheiden sich Fort- und Weiterbildung?

Lernabschnitt 9:

Personaladministration, -fluktuation und -freisetzung

Die Personaladministration (Personalverwaltung) umfasst die Abwicklung der administrativen, routinemäßigen Aufgaben innerhalb des Personalwesens. Zu ihren wesentlichen Aufgaben gehören: • • •

Personalaktenführung Entgeltwesen mit Lohn- und Gehaltsabrechnung Krankenstandsüberwachung

164

• • •

Modul V:

Personalwesen

Urlaubsnachweis Meldewesen gegenüber Finanzamt und Sozialversicherung Einzelaufgaben im Rahmen der Personalbetreuung, -einstellung, -fluktuation

In der Personalakte werden alle Unterlagen gesammelt und geordnet aufbewahrt, die für den betreffenden Mitarbeiter und sein Arbeitsverhältnis von Bedeutung sind. Die Lohn- und Gehaltsunterlagen werden aus Gründen ordnungsgemäßer Buchführung üblicherweise in der Lohn- und Gehaltsabrechnung aufbewahrt. In der Personalakte sollten alle wesentlichen Daten und Veränderungen des Mitarbeiters vollständig, aktuell und schriftlich festgehalten sein, sie darf nicht für jedermann zugänglich aufbewahrt werden und neben ihr darf keine weitere Personalakte geführt werden, da die Mitarbeiter hierauf Einsichtsrechte, jedoch keine Überlassungsrechte haben. Nach dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) unterliegen personenbezogene Daten, die maschinell verarbeitet und gespeichert werden, zur Sicherung der Privatsphäre der Mitarbeiter, der Vertraulichkeit ihrer persönlichen Daten sowie der Verhütung des Missbrauchs dieser Daten dem Datenschutz. Dies bedeutet, dass Unbefugte keinen Zugang zu Datenverarbeitungsanlagen haben dürfen, auf denen personenbezogene Daten verarbeitet werden, dass die unbefugte Eingabe, Speicherung und Löschung personenbezogener Daten verhindert wird und dass jederzeit nachvollziehbar ist, wer welche personenbezogenen Daten wann eingegeben oder verändert hat. Während früher zwischen Lohn, als Entgeltzahlung an Arbeiter im gewerblichen Bereich und Gehalt, als Zahlungen an Angestellte bzw. im nicht-gewerblichen Bereich unterschieden wurde, trifft diese Unterscheidung heutzutage immer weniger zu, so dass bis auf einige Ausnahmen in der Regel der Begriff Gehalt einheitlich verwendet wird. Zur Gehaltsfmdung oder Ermittlung des „angemessenen" Arbeitsentgelt wird eine Arbeitsbewertung durchgeführt, bei der Arbeitsinhalt und -anforderungen als Maßstäbe zur Beurteilung der „Schwierigkeit" des Arbeitsplatzes dienen. Der Vergleich der verschiedenen Arbeiten und Arbeitsplätze untereinander führt zu einer quantitativen Einstufung. Neben der anforderungsabhängigen Gehaltsdifferenzierung sind eine verbesserte Arbeitsgestaltung sowie die genauere Zuordnung der Mitarbeiter auf die Arbeitsplätze weitere Ziele der Arbeitsbewertung. Das Fixgehalt (Zeitlohn) ist das Entgelt, das für eine bestimmte, zu leistende Arbeitszeit periodisch regelmäßig gezahlt wird. Es wird häufig dort gezahlt, wo die Arbeitsqualität im Vordergrund steht, die Leistungsbasis schlecht errechenbar oder der Leistungsgrad des Mitarbeiters gesichert ist. Beim Akkordlohn wird der Arbeitnehmer nach Maßgabe der erbrachten, leicht messbaren und defmierbaren Leistung entlohnt. Bei dem Stückgeldakkord richtet sich das Entgelt nach der Anzahl der geschaffenen Mengeneinheiten und beim Stückzeitakkord hängt es von der Größe der Leistung in einer Zeiteinheit ab. Die Basis von Akkordlöhnen bilden Vorgabezeiten, die meist nach arbeitswissenschaftlichen Grundsätzen unter Berücksichtigung betrieblicher Bedingungen, besonders durch Arbeits-, Zeit- und Leistungsstudien, ermittelt werden. Die Prämie ist ein variables, leistungsabhängiges Entgelt, wobei die Leistung häufig auch qualitativer Natur ist. Variable Gehaltsbestandteile sind in der Regel an Zielerreichungsgrade geknüpft.

Lernabschnitt 9:

Personaladministration, -fluktuation und -freisetzung

165

Die Provision zählt zu den variablen Prämien und kommt überwiegend im Vertrieb zum Einsatz. Dort orientiert sie sich an Umsatzgrößen oder Verkaufszahlen. Zu den variablen Entgeltformen gehört auch die Gewinnbeteiligung, als Form der Erfolgsbeteiligung am Unternehmen. Sie ist in der Regel nicht von individuellen Leistungen der Mitarbeiter abhängig, sondern vom Gesamterfolg des Unternehmens. Ihr Ziel ist es, die Identifikation der Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen zu steigern, sie langfristig zu binden und ihr unternehmerisches Denken zu fördern. Der Begriff Tantieme wird im Unterschied zu den Gewinnbeteiligungsprogrammen für die erfolgsabhängigen Zahlungen an Führungskräfte verwendet. Deren Höhe ist häufig vertraglich geregelt. Stock-Option-Programme (SOP) sind als Aktienoptionsprogramme eine Form der Erfolgsbeteiligung für Führungskräfte und können daher nur in börsennotierten Aktiengesellschaften eingesetzt werden. Sie stellen das Recht dar, eine bestimmte Anzahl an Aktien, an einem festgelegten Datum und zu einem bestimmten Kurs zu erwerben, um durch künftige Kurssteigerungen einen Wertzuwachs zu erzielen. Bei Stock-Appriciation-Rechten (SAR) werden keine Aktienoptionen erworben oder gehandelt, sondern die Beträge bar ausgezahlt, was den administrativen Aufwand erheblich vereinfacht. Betriebliche Sozialleistungen sind häufig Bestandteil der Vergütung und werden in Form von Weihnachts- oder Urlaubsgeld, Jubiläumszuwendungen, Essenszuschüsse, betriebliche Altersversorgung etc. gewährt. Im Rahmen der Gehaltsabrechnung ist zur Ermittlung des Auszahlungsbetrags zunächst vom Bruttogehalt auszugehen, das sich aus dem arbeitsvertraglich vereinbarten Gehalt und den ebenfalls vertraglich festgelegten oder frei gewährten Sozialleistungen und sonstigen Zuschlägen zusammensetzt. Das Nettogehalt ergibt sich aus dem Bruttogehalt abzüglich Lohnsteuer, Kirchensteuer, Rentenversicherungsbeitrag, Krankenversicherungsbeitrag, Arbeitslosenversicherungsbeitrag und Pflegeversicherungsbeitrag. Diese sind an das jeweilige Finanzamt sowie an die Sozialversicherungsträger abzuführen. Mit Personalfluktuation wird die Summe aller zwischenbetrieblichen Arbeitsplatzwechsel bezeichnet, wobei die Zahl der Austritte, bezogen auf den durchschnittlichen Personalbestand (Fluktuationsrate) als Indikator für Arbeitszufriedenheit dient. So ist das altersbedingte Ausscheiden als natürliche Fluktuation ein Mittel, den Personalbestand ohne Personalfreistellungen zu verringern. Die Personalfreisetzung stellt die durch den Arbeitgeber initiierte Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar. Die häufigsten Ursachen sind die Kündigung, die NichtVerlängerung von befristeten Arbeitsverträgen oder die Auflösung im gegenseitigen Einvernehmen durch Aufhebungsverträge. Die Kündigung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, durch die das Arbeitsverhältnis von einem bestimmten Zeitpunkt an aufgehoben wird. Sie kann sowohl vom Arbeitgeber als auch vom Arbeitnehmen ausgesprochen werden und muss dem jeweils anderen zugegangen sein, damit sie rechtswirksam ist. Mündliche Kündigungen sind grundsätzlich ebenfalls gültig, jedoch kann aufgrund besonderer Vereinbarungen im Arbeitsvertrag, in einer Betriebsvereinbarung oder in dem jeweils gültigen Tarifvertrag die Schriftform vorgeschrieben sein. Zu den wesentlichen Kündigungsarten zählen die ordentliche und außerordentliche Kündigung, sowie die Änderungskündigung.

166

Modul V:

Personalwesen

Die ordentliche Kündigung stellt die Auflösung von auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Arbeitsverträgen unter Berücksichtigung wichtiger Kündigungsbedingungen dar: • •

Einhaltung der Kündigungsfristen Einhaltung der Bestimmungen des Kündigungsschutzes

Wichtige Kündigungsvoraussetzungen sind: • • •

Kündigungen aus einem geringfügigen Grund sind nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Arbeitsrechts unzulässig Vor jeder Kündigung ist eine Anhörung des Betriebsrates durchzuführen, ansonsten ist die Kündigung rechtsunwirksam Vor der ordentlichen Kündigung muss in der Regel eine Abmahnung erfolgt sein

Eine Abmahnung wird ausgesprochen, um den Mitarbeiter nachdrücklich auf ein Fehlverhalten hinzuweisen und ihn aufzufordern, dieses abzustellen. Häufige Abmahnungsgründe sind: Störung des Betriebsfriedens, häufig vorkommende Arbeitsfehler, Unfreundlichkeit gegenüber Kunden, Unpünktlichkeit oder verbotener Alkoholgenuss während der Arbeitszeit. Die Abmahnung kann mündlich oder schriftlich erfolgen und muss das Fehlverhalten genau bezeichnen, die Missbilligung dieses Verhaltens deutlich aussprechen und einen Hinweis auf die Gefährdung des Arbeitsverhältnisses im Wiederholungsfall geben. Sie ist den Personalakten hinzuzufügen und der Arbeitskraft zwischen zwei Abmahnungen oder einer Abmahnung und der Kündigung ausreichend Zeit und Gelegenheit einzuräumen, das Fehlverhalten zu korrigieren. Der ordentlichen Kündigung kann durch den Betriebsrat widersprochen werden, wenn bei der Auswahl der zu Kündigenden soziale Gesichtspunkte nicht berücksichtigt wurden, sie an einem anderen Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden können oder nach zumutbaren Weiterbildungsmaßnahmen bzw. unter geänderten Vertragsbedingungen eine Weiterbeschäftigung mit Einverständnis der betroffenen Arbeitskraft möglich ist. Wird die ordentliche Kündigung trotz Widerspruch ausgesprochen, besteht eine Weiterbeschäftigungsverpflichtung bis zu einem rechtskräftigen Abschluss vor dem Arbeitsgericht. Für die außerordentliche Kündigung muss ein wichtiger Grund vorliegen, da sie eine fristlose Kündigung darstellt. Sie ist innerhalb von 2 Wochen nach Kenntnis dieses Grundes in schriftlicher Form und unter dessen Angabe auszusprechen, ansonsten ist sie ausgeschlossen. Sie kann in der Regel ausgesprochen werden bei Diebstahl, Preisgabe von Firmendaten und -geheimnissen, unerlaubtem Verlassen des Arbeitsplatzes, groben Fahrlässigkeiten, Tätlichkeiten, Beleidigungen, Unehrlichkeit und Untreue im Arbeitsverhältnis, Arbeitsverweigerung. Auch vor einer außerordentlichen Kündigung ist der Betriebsrat anzuhören, der sich innerhalb von 3 Tagen äußern muss, ansonsten gilt seine Zustimmung als erteilt. Die Änderungskündigung hat die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter anderen arbeitsvertraglichen Bedingungen zum Ziel. Gegen ihre Wirksamkeit kann beim Arbeitsgericht geklagt werden. Finden die neuen Bedingungen auf der Arbeitgeber- oder -nehmerseite keine Akzeptanz, kann die Auflösung nur über eine ordentliche Kündigung angestrebt werden.

Lernabschnitt 9:

Personaladministration, -fluktuation und -freisetzung

167

Kontrollfragen

• • • • •

Was bedeutet der Schutz personenbezogener Daten für die Personaladministration? Worin besteht der Unterschied zwischen Lohn und Gehalt? Worin unterscheiden sich Stückgeld- und Stiickzeitakkorciï Worin unterscheiden sich Stock-Option-Programme und Stock-Appriciation-Rech te ? Was ist das Ziel einer Abmahnungl

Literaturhinweise Albert G.: Betriebliche Personalwirtschaft, Kiehl-Verlag, Ludwigshafen 2007 Becker M.: Lexikon der Personalentwicklung, Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 2007 Beckerle K.: Die Abmahnung, Haufe-Verlag, Freiburg 2005 Bisani F.: Personalwesen und Personalführung, Gabler-Verlag, Wiesbaden 2002 Breisig, T.: Personal, Verlag Neue Wirtschaftsbriefe, Herne 2005 Bröckermann R.: Personal Wirtschaft, Schäffer-Poeschel-Verlag, Stuttgart 2007 Els J.: Mitarbeitermotivation, VDM Verlag Dr. Müller, Saarbrücken 2007 Falk S.: Personalentwicklung, Wissensmanagement und Lernende Organisation in der Praxis, Hampp-Verlag, Mehring 2007 Frodi Α.: Personalmanagement, Quintessenz-Verlag, Berlin 2000 Frodi Α.: Personalmanagement in der Arztpraxis, Thieme Verlag, Stuttgart 1996 Frodi Α.: Personalmanagement in der Zahnarztpraxis, Thieme Verlag, Stuttgart 1995 Holtbrügge D.: Personalmanagement, Springer-Verlag, Berlin 2007 Jung H.: Personalwirtschaft, Oldenbourg-Verlag, München 2006 Kaiser S., Ringlstetter M.: Humanressourcen-Management, Oldenbourg-Verlag, München 2007 Kleinbek U., Schmidt K.: Führen mit Zielvereinbarung, Hogrefe Verlag, Göttingen 2006 Kuhn-Fleuchaus C.: Das Mitarbeitergespräch - Verbesserung der Kommunikation im Unternehmen, Verlag Dr. Müller, Saarbrücken 2007 Link J.: Führungssysteme, Vahlen-Verlag, München 2007 Martin Α.: Personal - Theorie, Politik, Gestaltung, Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 2001 Meifert M.: Mitarbeiterbindung, Hampp-Verlag, Mehring 2005 Naegler H.: Personalmanagement im Krankenhaus, MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin 2007 Obermann C.: Assessment Center, Gabler-Verlag, Wiesbaden 2006 Olesch G., Hohlbaum Α.: Human Resources, Merkur-Verlag, Rinteln 2006 Olfert K : Personalwirtschaft, Kiehl-Verlag, Ludwigshafen 2006 Reuschenbach B.: Personalgewinnung und Personalauswahl für die Pflege, Urban & Fischer Verlag, München 2004 Ridder H.: Personalwirtschaftslehre, Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 2007 Spinzig M., Maschke K.: Ε-Recruiting für jedes Unternehmen, VDM Verlag Dr. Müller, Saarbrücken 2006 Stopp U.: Betriebliche Personalwirtschaft, Expert Verlag, Renningen 2004 Wahren H.: Gruppen- und Teamarbeit im Unternehmen, Walter de Gruyter Verlag, Berlin 1994 Wahren H.: Theorie und Praxis des organisationalen Lernens, Walter de Gruyter Verlag, Berlin 1996

Modul VI:

Organisation

Möglichst effiziente organisatorische Abläufe und Prozesse gewinnen im Gesundheitswesen zunehmend an Bedeutung. Eine gut funktionierende Aufbau- und Ablauforganisation dient nicht nur ökonomischen Zielen, sondern trägt auch dazu bei, die Motivation der Mitarbeiter zur erhöhen und das Wohlbefinden der Patienten zu verbessern. Eine Vielzahl von Organisationsinstrumenten lassen sich dazu einsetzen und die Prozesse lassen sich durch den Einsatz moderner Instrumente der Organisationslogistik unterstützen. Aufgabe der Organisationsentwicklung ist es, die Aufbau- und Ablauforganisation aktuell zu halten und notwendige Veränderungen in medizinischen Einrichtungen voranzutreiben. Zu speziellen Organisationsaufgaben im Gesundheitswesen zählen bspw. die Behandlungs-, Abrechnungs- und Hygieneorganisation.

Lernabschnitt 1:

Organisationsbegriff und Aufbauorganisation

Der Organisationsbegriff wurde in der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre in Zusammenhang mit der zunehmenden Industrialisierung geprägt, als sich ein verstärktes Interesse an der Strukturierung, Gestaltung und Steuerung betrieblicher Systeme herausbildete. So beschrieb F. Nordsieck (1906-1984) Organisation als ein „System von betriebsgestaltenden Regelungen" und später E. Grochla (geb. 1921) als die „Strukturierung von Systemen zur Erfüllung von Daueraufgaben". Heutzutage bilden drei Sichtweisen das Verständnis betrieblicher Organisation: • • •

Funktionell: Organisation als Managementfunktion des Organisierens, des Strukturierens und Gestaltens von Systemen Institutionell: Organisation als strukturiertes, soziotechnisches System Instrumentell: Organisation als Werkzeug zur Beschreibung von Strukturen

Die Aufbauorganisation stellt die formale Zuordnung von Aufgaben, Personen und Sachmitteln dar, wobei sie einerseits als Gestaltungsaufgabe und andererseits als fertiges oder gegebenes strukturiertes Beziehungsgefüge aufgefasst werden kann. Ausgangspunkt der Aufbauorganisation ist die Stellenbildung. Dazu ist in der Aufgabenanalyse eine Zerlegung der Gesamtaufgabe in einzelne Teilaufgaben vorzunehmen. Gliederungsmerkmale können dabei sein: •

• •

Zweck: Aufgabenzerlegung in Zweckaufgaben, die primär und unmittelbar den Unternehmenszielen dienen und Verwaltungsaufgaben, die nur sekundär und indirekt den Zielen nützen Verrichtung: Gliederung der Gesamtaufgabe nach Tätigkeitsarten Phase: Gliederung der Gesamtaufgabe nach Planung, Durchführung und Kontrolle

170

• •

M o d u l VI:

Organisation

Objekt: Zerlegung der Gesamtaufgabe anhand der Objekte, an denen sie verrichtet wird Rang: Unterteilung der Gesamtaufgabe in Entscheidungs- und Ausführungsaufgaben nach zeitlichen und qualitativen Aspekten

In der anschließenden Aufgabensynthese werden die in der Aufgabenanalyse ermittelten Teilaufgaben zu einer Stelle zusammengefügt. Sie ist kleinste organisatorische Einheit zur Erfüllung von Aufgaben, beinhaltet den Aufgabenbereich einer gedachten, abstrakten Person und bezieht sich auf deren Normalkapazität mit der erforderlichen Eignung und Übung. Stellen sind gekennzeichnet durch Aufgabe, Aufgabenträger, Dauer und Abgrenzung. Bei der Aufgabensynthese kann eine Zentralisation angestrebt werden, die die Zusammenfassung gleichartiger Aufgaben in einer Stelle vorsieht oder eine Dezentralisation, bei der gleichartige Aufgaben auf mehrere Stellen verteilt werden. Bei der Stellenstruktur ist darauf zu achten, Aufgabenkomplexität und Aufgabenumfang so zu bemessen, dass sie auch durch eine Person bewältigt werden können. Das Ergebnis der Stellenbildung ist eine Anzahl von Stellen, die zu strukturieren sind, um die Aufbauorganisation zu gestalten. Diese Strukturierungsaufgabe wird durch die Aufbaugestaltung wahrgenommen, bei der immaterielle und materielle Stellenelemente den einzelnen Stellen zuzuordnen sind. Die immateriellen Stellenelemente umfassen • • • • • • •

Aufgabe: Verpflichtung zur Vornahme bestimmter, der Stelle zugewiesener Verrichtungen Verantwortung: Einstehen für die das eigene, betriebliche Handeln im zugewiesenen Aufgabenbereich Informationsbefugnis: Anspruch auf den Bezug bestimmter Informationen Entscheidungsbefugnis: Treffen von Entscheidungen Verpflichtungsbefugnis: Unterschriftsvollmacht und rechtskräftige Außenvertretung Anordnungsbefugnis: Erteilung von Weisungen Verfügungsbefugnisse: Zugriff auf betriebliche Sachen und Werte

Zu den materiellen Stellenelementen zählen • • • • •

Aufgabenträger: Ein oder mehrere Mitarbeiter Stellenbeschreibung: Für die Aufgabenerfüllung benötigte Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, Erfahrungen und erforderliche Kapazitäten Basissachmittel: Ausstattung, die zu Aufgabenerfüllung nötig ist (Büromöbel, Werkbank etc.) Entlastende Sachmittel: Ausstattung, die bei der Aufgabenerledigung unterstützt, ohne jedoch von ihr zu befreien (Werkzeug, Terminplaner etc.) Automatische Sachmittel: Ausstattung, die von der Aufgabenerledigung befreit, ohne dass Kontrollfunktionen und Verantwortung abgegeben wird (PC, Fertigungsautomaten etc.)

Die Stellenarten unterscheiden sich hauptsächlich in Stellen mit Leitungsaufgaben (Leitungsstellen, Instanzen) und Ausführungsstellen, die keine Leitungsbefugnis besitzen. Die Unterteilung richtet sich im Wesentlichen nach den Kriterien • • •

Aufgabenart: Ausführungsaufgaben, Leitungsaufgaben Befugnisumfang: Entscheidungsbefugnis, Anordnungsbefugnis Aufgabenumfang: Hauptaufgabe, Nebenaufgabe

Lernabschnitt 1:

Organisationsbegriff und Aufbauorganisation

Geschäftsleitung

F + E

171

Geschäftsleltung

Produktion

Vertrieb Controlling F + E

Controlling Produktion

Controlling Vertrieb

Stablinienorganisation

Linienorganisation Controlling

Personal

F +E

Produktion

Vertrieb

Matrixorganisation Abbildung 27:

Organisationsformen.

Die Struktur der Aufbauorganisation ergibt sich durch die Zusammenfassung von mehreren Stellen zu hierarchischen Einheiten, wobei die Leitungsspanne (Führungsspanne, Kontrollspanne) ein wesentliches Kriterium ist. Sie beschreibt die Anzahl der optimal betreubaren, direkten Untergebenen. Ihre Größe ist von verschiedenen Merkmalen abhängig • • • •

Qualifikation der Mitarbeiter Komplexität der Aufgaben Umfang und Art des Sachmitteleinsatzes Art des angewendeten Führungsstils

Die hierarchischen Einheiten bauen aufeinander auf und werden häufig bezeichnet als • • • •

Gruppe, Team Abteilung Hauptabteilung Bereich, Division

Das Ergebnis der Strukturierung kann verschiedene Organisationsformen annehmen (Abbildung 27).

172

M o d u l VI:

Organisation

Eine funktionale Organisation entsteht, wenn die Gesamtaufgabe des Unternehmens nach Sachaufgaben gegliedert wird. Die Linienorganisation ist die klassische Organisationsform der funktionalen Organisation, die sich durch klare Zuständigkeitsabgrenzung und einen einheitlichen Instanzenweg auszeichnet. Sie ist in der Regel übersichtlich, jedoch durch eine gewisse Schwerfälligkeit und einer Überlastung der Führungskräfte gekennzeichnet. Beim Einliniensystem erhält die einzelne Stelle nur von einer übergeordneten Instanz Anordnungen, beim Mehrliniensystem können mehrere Instanzen vorgesetzt sein. Die Stablinienorganisation wird hauptsächlich eingesetzt, um den Nachteil der Überlastung der Führungskräfte zu mindern. Dabei werden Stabstellen eingesetzt, die weder Leitungs- noch Ausführungsfunktionen in der Linie haben, sondern fachlich beraten und Entscheidungen vorbereiten. Der einheitliche Instanzenweg sowie die klare Zuständigkeitsabgrenzung werden beibehalten und die Linieninstanz durch die Stabsstelle entlastet. Die Matrixorganisation ist durch eine Überlagerung der nach Funktionen gegliederten Organisation mit Querschnittfunktionen gekennzeichnet. Auch können einzelne Produktlinien oder Kernprozesse die Querschnittsfunktion darstellen. Die Überschneidung von zwei Kompetenzsystemen führt zur Abkehr vom Prinzip der Einheit der Auftragserteilung. Bei der Zentralstellenorganisation werden bestimmte Funktionen (bspw. Personal, Recht, Controlling, Finanzen etc.) aus der Linie herausgenommen und zentral, für alle Funktionsbereiche übergreifend organisiert. Eine Spartenorganisation (divisionale Organisation) liegt vor, wenn an die Stelle der Gliederung nach Funktionen eine Gliederung nach Objekten, wie Produkte oder Leistungen, tritt. Diese einzelnen Sparten stellen oft Profitcenter dar und damit Unternehmensbereiche mit eigener Verantwortung für den wirtschaftlichen Erfolg. Die Strategie Business Unit (SBU) stellt eine weitere Variante der divisionalen Organisation dar. Die auch Strategische Geschäftseinheiten (SGE) oder Strategische Geschäftsfelder (SGF) genannten Organisationseinheiten stellen klar voneinander abgrenzbare Produkt/Marktkombinationen dar, die bspw. nach verschiedenen Kundengruppen oder Regionen unterteilt sind. Als Holding wird die Organisationsstruktur solcher Unternehmen bezeichnet, deren betrieblicher Hauptzweck im Halten einer auf Dauer angelegten Beteiligung an einem oder mehreren anderen rechtlich selbständigen Unternehmen liegt. Es lassen sich folgende Holdingarten unterscheiden: •



• •

Stammhauskonzern: Traditionelle Organisationsform von Großunternehmen, die als Muttergesellschaft die wesentlichen zum Leistungserstellungsprozess notwendigen Aktivitäten entfalten und deren Tochtergesellschaften der Ergänzung bzw. Unterstützung dienen und von der Muttergesellschaft strategisch, strukturell und personell abhängig sind. Führungsholding (Dachholding, Dachgesellschaft): Sie hat kein eigenes operatives Geschäft, hält die Beteiligungen an den Tochtergesellschaften und führt diese auch durch die Festlegung der strategischen Geschäftsfelder, die strategische Steuerung, die Besetzung von Führungspositionen und die Steuerung des Kapitalflusses innerhalb der Gruppe. Mischholding: Obergesellschaft, die weitgehend einer Führungsholding gleicht und zusätzlich operative Tätigkeiten entfaltet. Finanzholding (Vermögensholding): Vermögensverwaltende Tätigkeit durch Wahrnehmung der Gesellschafterrechte oder Aufsichtsratsmandate ohne Ausübung von Führungsfunktionen bei Tochtergesellschaften.

Lernabschnitt 1:

Organisationsbegriff und Aufbauorganisation

173

Virtuelle Organisationsformen sind netzwerkförmige, informationstechnisch unterstützte und zeitlich befristete Kooperationen zwischen mehreren rechtlich selbständigen Firmen und Personen zur Erfüllung konkreter Aufträge. Dazu zählen nicht nur Unternehmensformen, bei denen herkömmliche organigrammbasierte physische und organisatorische Merkmale fehlen, sondern auch elektronische Marktund Arbeitsformen. Sie unterscheiden sich von herkömmlichen Organisationsformen nicht zuletzt durch das Fehlen typischer physischer und juristischer Eigenschaften: • • •

Keine Raum- oder Ortsgebundenheit Fehlen dokumentierter, hierarchischer Strukturen Keine herkömmlichen Rechtsformen und rechtlichen Organe.

Sie entstehen in der Regel durch Auslagerung oder Dezentralisierung von Unternehmensaktivitäten und beschränken sich in ihrer Leistungserstellung nahezu ausschließlich auf die dazu notwendigen Kernfunktionen. Die Abgrenzung herkömmlicher und virtueller Organisationsformen ist nicht eindeutig. So lassen sich temporär begrenzte Projektorganisationen, die häufig neu gebildet oder wieder aufgelöst werden, zumindest ansatzweise ebenso als virtuell charakterisieren wie die vollständige Verlagerung der Produktion in Zulieferunternehmen, die Auflösung der Bankschalter im Electronic Banking oder die online verrichtete Heimarbeit. Allen aufgezeigten Formen ist das Fehlen einzelner oder mehrerer typischer Merkmale herkömmlicher Organisationsformen gemeinsam: Die Bindung an Zeiten, Standorte, Personen, Hierarchien und feste Ablaufstrukturen. Dies sind gleichzeitig die Vorteile, die virtuelle Organisationen kennzeichnen: In einer dynamischen, sich aufgrund von Marktgegebenheiten oder Gesetzgebung häufig ändernden Umwelt, weisen sie eine größtmögliche Flexibilität und Anpassungsfähigkeit auf. Gerade in unsicheren, risikobehafteten Entwicklungsumgebungen ermöglichen sie schnelle Reaktionen auf sich verändernde Bedingungen. Ein weiterer wesentlicher Vorteil ist ihre Minimierung der Kosten für unproduktive Bereiche. Da sich virtuelle Organisationen in ihrer Zusammensetzung auf die zur Aufgabenerfüllung wesentlichen Funktionen konzentrieren, sind die dazu verwendeten Ressourcen im Idealfall bedarfsorientiert optimal eingesetzt. Personelle und materielle Kapazitäten werden nicht zentral vorgehalten, sondern in Form von Netzwerken bereitgestellt. Die Teilnehmer im Netzwerk einer virtuellen Organisation bleiben autark und flexibel. Sie können ihre Ressourcen so einsetzen und steuern, wie es für die Erfüllung der gemeinsamen Aufgabe erforderlich ist. Dennoch stehen aufgrund der grundsätzlichen Erweiterbarkeit des Netzwerkes auch erweiterbare Kapazitäten bei Bedarf zur Verfügung. Neben dieser quantitativen Zuwachsmöglichkeit besteht auch die Möglichkeit der qualitativen Erweiterung durch Wachstum in Form von stärkerem Einbringen der einzelnen Teilnehmer in die gemeinsame virtuelle Organisation. Diese grundsätzliche Erweiterbarkeit oder auch Reduzierung setzt faktisch und rechtlich durchlässige Organisationsgrenzen voraus. Die engere Einbeziehung von Lieferanten, Partnern und Subunternehmern einerseits, aber auch andererseits die Lockerung ursprünglich fester Bindungen an die Organisation sind die Konsequenzen aus der Bildung virtueller Organisationsformen. Dies bedeutet zugleich Öffnung der Organisation auch gegen Angriffe und abnehmende Verbindlichkeit im

174

M o d u l VI:

Organisation

GL MF I

•ArbeitsplaWStellenanforderungen •ArbeitsplaWStellenbezeichnung •Besondere Befugnisse •Rang •Sonstige Aufgaben • U nterstell u ngsverhältn is •Überstellungsverhältnis •Ziel des Arbeitsplatzes/der Stelle •Aufgabenbereich im einzelnen •Stellvertretungsregelung

MF II WM

E I Organigramm Gruppenleitung (GL)

Meier

Maschinenführer (MF) I

Müller

Maschinenführer II

Huber

Stellenbeschreibung Einrüstung GL

N.N.

MF I

Einrichter (E) I

Konrad

MF II

Einrichter II

Will

EI

Einrichter III

Marx

WM

Werkzeugmacher (WM)

Schiller

Maschinenführer III

Stellenbesetzungsplan Abbildung 28:

Werkzeug

Produktion

Abnahme

E

Κ

E

A

Κ

E

A

Κ

E

A A

E=Entscheidung, A=Ausführung, K=Kontrolle

Funktionendiagramm

Dokumentation der Aufbauorganisation.

Hinblick auf periphere, außerhalb der gemeinsamen Aufgabenstellung liegende Interessenswahrnehmungen. Da die Koordinations- und Kommunikationsfunktionen bei der Funktionsfähigkeit virtueller Organisationen im Mittelpunkt stehen, sind keine traditionellen hierarchischen Strukturen mit Vorgesetzten- und Untergebenenverhältnissen notwendig, sondern vielmehr Koordinationsstellen, die die gemeinsame Aufgabenerfüllung gleichberechtigter Partner steuern. Insofern ist in virtuellen Organisationen keine eigenständige Organisationskultur anzutreffen, die im Wesentlichen auf zwischenmenschlichen Beziehungen basiert. Virtuelle Organisationen sind vielmehr durch eine Kultur des Vertrauens im Hinblick auf die Zusammenarbeit der einzelnen Mitglieder gekennzeichnet. Die Handhabung möglicher Konflikte kann sich aufgrund der fehlenden sozialen Beziehungen somit auch als schwierig gestalten. Ein häufig genutztes Instrument zur Dokumentation der Aufbauorganisation ist das Organigramm (Organisationsplan, Organisationsschaubild). Es handelt sich dabei um eine grafische Darstellung der Aufbauorganisation, die das Verteilungssystem der Aufgaben und die Zuordnung von Teilaufgaben auf die einzelnen Stellen veranschaulicht. Da die Symbolik von Organigrammen nicht genormt ist, lassen sich in der Regel vertikale oder horizontale Darstellungsarten sowie Mischformen vorfinden, aus denen sich die Stellengliederung, die Zusammenfassung von Stellen, die hierarchische Ordnung sowie das System der Informationswege entnehmen lassen (Abbildung 28).

Lernabschnitt 2:

Projektorganisation

175

Die Stellenbeschreibung (Tätigkeitsdarstellung, Arbeitsplatzbeschreibung) stellt eine formularisierte Fixierung aller wesentlichen Merkmale einer Stelle dar und dient somit der aufbauorganisatorischen Dokumentation, der Vorgabe von Leistungserfordernissen und Zielen an den Stelleninhaber sowie der Objektivierung der Lohn- und Gehaltsstruktur. Aus dem Stellenbesetzungsplan gehen die Stellenbezeichnungen sowie die Namen der Stelleninhaber hervor, so dass er als Übersicht über die personale Besetzung der eingerichteten Stellen dient. Bei einem Funktionendiagramm (Funktionsmatrix, Aufgabenverteilungsplan) werden die Aufgaben und Befugnisse mit den Stellen in einer Matrix miteinander verknüpft. In den Spalten und Zeilen werden Aufgaben und Stellen ausgewiesen und in ihrem Schnittpunkt mit Hilfe eines Symbols die Art der Aufgaben dargestellt. Kriterien zur Gestaltung der Aufbauorganisation können sein: •

• •

• •

Minimierung von Schnittstellen: Reduzierung von Koordinationsbedarf und Fehlerhäufigkeit durch Bündelung zusammengehöriger Tätigkeiten in einer Organisationseinheit Flache Hierarchien: Reduzierung des Koordinations-, Informations- und Kommunikationsbedarfs Zentralisierung bzw. Dezentralisierung: Rationalisierungsgewinne durch die Vermeidung von Doppelarbeiten bzw. größere Gestaltungsfreiheit, Flexibilität und Marktnähe One Face to the Customer: Kunden sollen mit möglichst wenigen, im besten Fall einem einzigen Ansprechpartner auskommen können Economies of Scale: Rationalisierung durch Größenvorteile

Kontrollfragen • • • •

Was ist unter einer Stelle zu verstehen? Wodurch unterscheiden sich funktionale und divisionale Organisation? Was ist das Wesen einer Führungsholdingi Welche Informationen gehen aus einem Stellenbesetzungsplan hervor?

Lernabschnitt 2:

Projektorganisation

Ein Projekt ist ein Verfahren zur Lösung einer einmaligen und fest definierten Aufgabe, die ein fachübergreifendes Zusammenwirken erfordert und erhebliche Auswirkungen auf Situation und Abläufe des Betriebes hat. Projekte haben einen festgelegten Anfang und werden nach einer Realisierungsphase durch die Zielerreichung beendet. Sie lassen sich folgendermaßen abgrenzen:

176

M o d u l VI:

Tabelle 44:

Organisation

Abgrenzung von Projekten.

Merkmale

Linienaufgabe

Arbeitskreis

Projekt

Häufigkeit

einmalig/ständig

ständig

einmalig

Fachbezug

fachintern

fachübergreifend

fach übergreifend

Beendigung

fest definiert

offen

fest definiert

Auswirkung auf Arbeitsabläufe

mittel

ungewiss

groß

Der Projektablauf beginnt in der Regel mit der Feststellung, dass die Lösung einer Aufgabe nicht als Linienaufgabe möglich und ein Projekt erforderlich ist. Der Bedarfsträger erstellt hierzu notwendigerweise einen Projektantrag, der bspw. folgende Angaben enthält: • • • •

Formulierung der Aufgabenstellung und Zielsetzung Vorläufige Aufwandsschätzung (interne und externe Kosten) Kosten-Nutzen-Yergleich Vorgesehener Zeitrahmen

Über den Projektantrag entscheidet üblicherweise ein Projektausschuss, der die Notwendigkeit des Projektes bewertet, es priorisiert und in das Projektportfolio des Unternehmens einordnet. Er entscheidet auch über die Feindefinition und Abgrenzung des Projektzieles, die personelle Besetzung (Projektleiter und Lenkungsausschuss) und erteilt den Projektauftrag an den Projektleiter, der dann die Projektvereinbarung ausarbeitet. Die Projektvereinbarung legt in der Regel folgende Punkte fest: • • • •

Personelle Besetzung der Projektgruppe bzw. weiterer Arbeitsgruppen Geplante Vorgehensweise Terminplanung und Kostenrahmen Sonstige Rahmenbedingungen

Die Projektvereinbarung wird zwischen Projektleiter und Lenkungsausschuss abgeschlossen. Der Projektleiter konzipiert üblicherweise das Projekt und trägt die Verantwortung für die erfolgreiche Durchführung hinsichtlich Terminen, Kosten und Qualitätsanforderungen. Er stellt die Projektgruppe zusammen, gegenüber der er im Rahmen der Projektaufgaben weisungsberechtigt ist. Zu seinen weiteren Aufgaben gehören: • • •



Information über den Projektfortschritt durch Statusberichte Berichterstattung gegenüber dem Lenkungsausschuss zu den Meilensteinen Außerplanmäßige und unverzügliche Information, sobald erkennbar ist, dass genehmigte Ressourcen nicht eingehalten werden können oder sich wesentliche inhaltliche oder terminliche Abweichungen vom geplanten Projektverlauf abzeichnen Erstellen des Abschlussberichts

Der Lenkungsausschuss, der sich aus einer bestimmten Anzahl von Führungskräften zusammensetzt, ist gegenüber dem Projektleiter weisungsbefugt und zuständig für:

Lernabschnitt 2:

• • • •

Projektorganisation

177

Unterstützung des Projektleiters Kontrolle des Projektfortschritts Abnahme der Meilensteine Projektabschlussbeurteilung

Die Mitglieder der Projektgruppe beraten und unterstützen den Projektleiter und erledigen die ihnen übertragenen Aufgaben sach- und termingerecht. Sie sind dafür in ausreichendem Maße von Aufgaben in ihren Fachabteilungen freizustellen. Für Aufgabenstellungen, die von der Projektgruppe allein nicht lösbar sind, können Personen oder Gruppen mit Spezialwissen hinzugezogen werden. Die Inanspruchnahme und Aufgaben einer Arbeitsgruppe sind vom Projektleiter zu definieren und mit dem Lenkungsausschuss bzw. mit dem jeweiligen Fachvorgesetzten abzustimmen. Für die Dauer ihres Projektengagements ist der Projektleiter diesen Personen gegenüber weisungsbefugt. Die typischen Projektphasen sind in Tabelle 45 wiedergegeben. Tabelle 45: Nr.

Projektphasen.

Arbeitsschritt

Erläuterung

1

Ä n d e r u n g s b e d a r f feststellen

Abgeleitet aus U n t e r n e h m e n s z i e l e n , -Strategie; a u f g r u n d g e ä n d e r t e r R a h m e n b e d i n g u n g e n , eigener Aktivitäten.

2

Voruntersuchung durchführen

Vorschläge u n t e r b r e i t e n .

3

P r o j e k t a n t r a g stellen

Mit A u f g a b e n s t e l l u n g u n d Zielsetzung; Vorschlag Projektleiter u. Z u s a m m e n s e t z u n g Lenkungsausschuss; vorläufige A u f w a n d s s c h ä t z u n g .

4

Projektvereinbarung schließen

Mit Meilensteinplan, A r b e i t s p a k e t e n , P r o j e k t organisation, geplante Vorgehensweise, T e r m i n p l a n u n g , K o s t e n r a h m e n etc.

5

IST-Analyse d u r c h f ü h r e n

U n t e r H e r a u s a r b e i t u n g von Schwachstellen.

6

SOLL-Vorstellungen formulieren

L ö s u n g s m ö g l i c h k e i t e n suchen u n d bewerten (hinsichtlich K o s t e n , D u r c h f ü h r b a r k e i t , Integrationsfähigkeit).

7

F e i n k o n z e p t erarbeiten

K o m p a t i b i l i t ä t mit v o r h a n d e n e n Systemen herstellen.

8

M a ß n a h m e n realisieren

Realisierung von E i n z e l m a ß n a h m e n d u r c h die P r o j e k t g r u p p e selbst; umfangreiche fachübergreifende Maßnahmen gegebenenfalls d u r c h neue P r o j e k t e ; Ü b e r w a c h u n g der U m s e t z u n g v o n L i n i e n m a ß n a h m e n d u r c h die P r o j e k t g r u p p e .

9

Abschlussbericht erstellen

Geplanter/tatsächlicher Aufwand.

P r o j e k t u n t e r l a g e n archivieren

Aufbewahrungfristen beachten.

10

178

M o d u l VI:

Organisation

Projektausschuss •Steuerung •Priorisierung •Genehmigung

Projektkoordination •Projektberatung •Projektverwaltung

Abbildung 29:

Multiprojektorganisation.

Häufig laufen in Unternehmen mehrere oder eine Vielzahl von Projekten gleichzeitig ab. Eine Multiprojektorganisation hat in diesem Fall die übergreifende Priorisierung, Koordinierung und Steuerung aller Projekte zur Aufgabe: • • • • • • • • •

Priorisierung laufender und geplanter Projekte Orientierung an den Unternehmenszielen Ubersicht über Ablauf und Fortschritt (Status) aller Projekte Bessere Nutzung knapper Ressourcen für die Projektarbeit Zielgerichteter Einsatz der verfügbaren Mittel Durchgängiges Steuerungsinstrumentarium für alle Projekte Einheitliche Projektmethoden, -verfahren und -abläufe Beratung bei Projektbeantragung und -durchführung Besseres Erkennen der Grenzen des Machbaren

Die Multiprojektorganisation besteht aus einem Projektausschuss und der ihm zuarbeitenden Projektkoordinationsstelle (Abbildung 29). Der Projektausschuss ist die Genehmigungsinstanz und das übergeordnete Koordinierungsgremium für alle Projekte. Er stellt gleichzeitig das Bindeglied zwischen Projektorganisation und Linienorganisation mit dem Ziel einer zentralen Gesamtkoordination von Projekten und Linienmaßnahmen dar. Das Gremium steuert zentral das Gesamtprojektportfolio. Der Projektausschuss ist eine ständige Einrichtung und hat folgende Aufgaben:

Lernabschnitt 2:













Projektorganisation

179

Entscheidungen zu Projektanträgen: ° Prüfung und Entscheidung von Projektanträgen im Abgleich mit der Unternehmensstrategie sowie der finanziellen und ressourcenmäßigen Machbarkeit o Zweifelsfallentscheidungen bei der Unterteilung von Vorhaben in Projekte und LinienaufgabenErteilung von Projektaufträgen und Beauftragung der Projektbeteiligten (inkl. Besetzung des Lenkungsausschusses und des Projektleiters, Beauftragung von externen Beratern Entscheidungen zu Projektänderungen: o Entscheidung über eingehende Änderungsanträge ° Entscheidung über Konsequenzen bei Prioritätsänderungen und Projektunterbrechungen Beendigung von Projekten: o Auflösung der Projektorganisationen nach erfolgreichem Projektabschluss o Abbruch von Projekten bei Veränderung der ursprünglichen Rahmenbedingungen oder bei voraussichtlicher Projektzielverfehlung aus der Gesamtsicht o Auflagenerstellung bei unvollständiger Zielerreichung aus der Gesamtsicht Gesamtkoordination aller Projekte: o Priorisierung aller Projekte mit dem Projektportfolio o Regelmäßige Überprüfung der Priorisierung o Regelung der inhaltlichen/zeitlichen Abhängigkeiten und Schnittstellen zwischen den Projekten Konfliktmanagement: ° Lösung von projektübergreifenden Ressourcenkonflikten ° Lösung von sämtlichen Konfliktsituationen, die sich aus der Projektarbeit ergeben, als letzter Eskalationsstufe (insbesondere bei Konflikten zwischen Lenkungsausschuss und Projektleiter oder zwischen einzelnen Projekten Budgetierung: o Abstimmung des Projektbudgets mit dem Gesamtvorstand im Rahmen der operativen Jahresgesamtplanung o Koordination und Verteilung des Gesamtprojektbudgets auf die einzelnen Projekte o Uberprüfung und Einhaltung des Gesamtprojektbudgets

Die Projektkoordinationsstelle sammelt die Informationen aus den einzelnen Projekten und führt für den Projektausschuss die Projektverwaltung sowie die Projektberatung durch. Sie hat keine Weisungsbefugnis gegenüber einzelnen Projekten und umfasst folgende Aufgabenbereiche: • •

Projektberatung Projektverwaltung

Die Projektberatung kann individuell von Projektleitern und Auftraggebern von Projekten angefordert werden. Die Mitarbeiter der Projektkoordinationsstelle stehen von der Projektidee über die Vorhabensplanung, Projektbeantragung und -durchführung bis zum Projektende als Ansprechpartner zur Verfügung und leisten Unterstützung bei: • • •

Zieldefmition von Projekten Ausarbeitung von Projektanträgen Strukturierung von Arbeitspaketen und deren Terminierung

180

• • • • • • •

M o d u l VI:

Organisation

Erarbeitung von Projektplänen Zusammenstellung von Projektteams, der Ressourcenplanung und der anschließenden Abstimmung mit den Vorgesetzten der geplanten Projektmitarbeiter Auswahl von externen Beratern und deren Einbindung in das Projekt Vorbereitung und Moderation von Startsitzungen Auftretenden Problemen (Vermittlerfunktion) Anwendung von Methoden für die Projektarbeit Abschlussanalyse und der Erstellung des Projektabschlussberichtes

Durch die Projektverwaltung werden die Termin- und Kosteninformationen aller Projekte zu verdichteten Informationen und Berichten für den Projektausschuss zusammengefasst. Hierzu werden vom jeweiligen Projektleiter sowie aus dem Projektleitermeeting Daten zur Verfügung gestellt, die dann für die Beurteilung der Zielerreichung und der übergreifenden Steuerung der Termin-, Kosten- und Ressourcensituation genutzt werden. Hierfür erfüllt die Projektkoordinationsstelle folgende Aufgaben: •





Neubeantragte Projekte: o Überprüfung des Projektantrages auf formelle Richtigkeit und Vollständigkeit sowie auf inhaltliche Überschneidungen zu anderen Projekten o Erarbeitung von erläuternden Unterlagen für die Projektausschusssitzung Laufende Projekte: 0 Überprüfung sämtlicher Änderungsanträge auf formelle Richtigkeit und Vollständigkeit o ggfs. Erläuterungen zu den Auswirkungen der Änderungen o Überwachung des planmäßigen Einganges aller Statusberichte o Überprüfung des Fortschritts von jedem einzelnen Projekt (Soll-Ist-Vergleich) anhand der Statusberichte o Überwachung von Zielerreichung, Meilensteinplan, Terminplan, Kosten, Ressourcen o Erarbeitung von Unterlagen für die Projektausschusssitzung Abgeschlossene Projekte: o Veranlassen der Archivierung der Projektdaten nach Projektabschluss

Für die Projektverwaltung müssen im Rahmen des Projektberichtswesens verschiedene Informationen und Unterlagen an die Projektkoordinationsstelle weitergeleitet werden (Tabelle 46). Tabelle 46:

Projektberichtswesen.

Zeitpunkt

Unterlagen/Informationen

Absender

Projektstart

Projektantrag

Projektauftraggeber

Projektdurchführung

Statusberichte, Protokolle von Lenkungsausschusssitzungen, Änderungsanträge

Projektleiter

Projektende

Abschlussbericht

Projektleiter

Lernabschnitt 2:

Projektorganisation

181

Auf der Basis dieser Informationen führt die Projektkoordinationsstelle folgende Aufgaben durch: •





Pflege des Informationssystems zur Multiprojektorganisation: o Aktualisierung und Pflege des Gesamtprojektplans ° Aktualisieren des Projektportfolios o Pflege des Projekthandbuchs. Kontinuierliche Unterstützung des Projektausschusses bei: o Kontrolle des Gesamtprojektbudgets o Verdichten der Daten aller Projekte zu aussagekräftigen Projektinformationen o Erkennung von projektübergreifenden Redundanzen und Ressourcenkonflikten ° Einteilung von Vorhaben in Projekte und Linienmaßnahmen ° Gewährleistung der Einheitlichkeit hinsichtlich Methodeneinsatz bei allen Projekten Durchführung der Ressourcenverwaltung

Auf der Projektebene findet eine regelmäßige Zusammenkunft der Projektleiter (Projektleitermeeting) statt, das durch die Projektkoordinationsstelle moderiert wird. Aufgabe des Projektleitermeetings ist es, Überschneidungen und Konfliktpotenziale zwischen einzelnen Projekten zu erkennen und sich gegenseitig Informationen über den Stand der einzelnen Projekte zu geben.

Projektausschuss priorisiert

^

Projektportfolio

fragt an [ ^ b e r i c h t e t

legtvor^'

il

entscheidet

li

^

aktualisiert Gesamtprojektplan

Projekt 1 Neue Projekte

PL

O

Projekt 2 PL

O

Projekt η PL

A>> Projektteam

Projektteam

Laufende Projekte

Abbildung 30:

Ablauf der Multiprojektorganisation.

O

Λ Projektteam

Projektantrag

182

Modul VI:

Organisation

Zu den Instrumenten der Multiprojektorganisation zählt zunächst das Projektportfolio. Es ist das zentrale Instrument zur Priorisierung und Steuerung aller Projekte. Aus ihm wird abgeleitet, welche Projekte mit welcher Priorität im Rahmen der vorhandenen Ressourcen umgesetzt werden. Eingehende Projektanträge werden hierzu bewertet und entschieden. Beschlossene Projekte werden im Portfolio positioniert. Im Gesamtprojektplan werden von der Projektkoordinationsstelle die einzelnen Projektpläne zusammengefasst und die Projektentwicklung grafisch dargestellt. Er stellt eine Übersicht zum Bearbeitungsstand einzelner Projekte dar. Die Ressourcenverwaltung der Multiprojektorganisation bildet die Basis für eine effiziente Projektarbeit. Die Datenbasis besteht aus verschiedenen Datenbanken, in der alle relevanten Projektinformationen gespeichert werden. Die Datenbanken werden durch die Projektkoordinationsstelle laufend aktualisiert und gepflegt. In einem Projekthandbuch werden die gesamte Projektarbeit und die einsetzbaren Methoden einheitlich beschrieben. Der Ablauf der Multiprojektorganisation ist in Abbildung 30 wiedergegeben. Die Projektarbeit ist von zahlreichen Erfolgsfaktoren abhängig und stellt aufgrund des teilweise immensen Koordinations- und Steuerungsumfangs eine äußert komplexe Form der Aufgabenerfüllung dar (Tabelle 47). Tabelle 47:

Erfolgsfaktoren der Projektarbeit.

Grundbedingungen

• • •

Ganzheitliches, vernetztes Denken und Handeln Verzicht auf hierarchisches Machtdenken zugunsten des Projekterfolges Transparenz des Projektverlaufes

Projektziel

• • •

Klare Definition / schriftliche Fixierung Realistisch hinsichtlich Leistung, Zeit, Kosten Risikofaktoren berücksichtigen

Projektausschuss



Durchsetzung der Projektergebnisse ist auf allen Führungsebenen gewährleistet Bereitschaft zur Minimierung aufwendiger Einzelabstimmungen Akzeptanz bei Projektbeteiligten und betroffenen Fachabteilungen Konsens über Projektziel auf Führungsebene herbeiführen

• • •

Lenkungsausschuss

• • •

Projektdurchführung aktiv unterstützen Bürokratie und Formalismus vermeiden Außenstörungen des laufenden Projektes verhindern

Projektleiter

• • • • • •

Alle Mitglieder der Projektgruppe einbeziehen Lenken ohne Führen Gruppenwertung anstreben Minderheitenstandpunkte berücksichtigen Ziel- und terminorientiert arbeiten Informationsgleichheit herstellen

Lernabschnitt 3:

Tabelle 47:

Ablauf- und Prozessorganisation

183

(Fortsetzung)

Projektgruppe

• • • • • •

Konstruktiv mitarbeiten Konkurrenz- und Hierarchiedenken zügeln (Teamgeist) Persönliche Eitelkeiten zurückstellen Mit dem Projekt und seinen Inhalten identifizieren Standpunkte nach außen als Teammeinung vertreten Themendiskussion außerhalb der Gruppe vermeiden

Kontrollfragen • • • •

Wie lassen sich Projekte definieren? Welche Aufgaben hat ein Projektleiter? Was ist unter einer Multiprojektorganisation zu verstehen? Welche Funktion hat das Projektportfoliol

Lernabschnitt 3:

Ablauf- und Prozessorganisation

Als Ablauforganisation wird die Ermittlung und Definition von Arbeitsprozessen unter Berücksichtigung von Raum, Zeit, Sachmitteln und Personen und ihre zielgerichtete Strukturierung bezeichnet. Die klassische Aufteilung der Organisation in Aufbau- und Ablauforganisation hat sich vorwiegend im deutschsprachigen Raum durchgesetzt, obwohl in der praktischen Organisationsgestaltung aufbau- und ablauforganisatorische Fragen eng miteinander verbunden sind. Im angelsächsischen Sprachraum werden ablauforganisatorische Sachverhalte nicht in vergleichbarer Weise als eigenständige organisatorische Tatbestände bearbeitet. Die Ablauforganisation verfolgt im Wesentlichen das Ziel, die Aufgabenkomplexität durch Standardisierung und Routinisierung von Abläufen zu beherrschen: • • • • •

Termintreue erhöhen Kapazitätsauslastung maximieren Durchlauf-, Warte- und Liegezeiten minimieren Arbeitsplatzanordnung optimieren Kosten der Vorgangsbearbeitung reduzieren

Die Strukturierung der Abläufe beginnt mit der Ermittlung der einzelnen Vorgänge. Ein Vorgang (Arbeitsgang, Arbeitspaket) ist nach DIN 69900 ein Ablaufelement, das ein bestimmtes Geschehen beschreibt und als abgegrenzte Arbeitseinheit zu einem bestimmten Zeitpunkt begonnen und zu einem bestimmten späteren Zeit-

184

M o d u l VI:

Organisation

punkt beendet wird. Er stellt als einzelner Arbeitsschritt einen Teilabschnitt einer Aufgabe dar, wobei Aufgaben, die bspw. unterschiedliche Maschinen oder Ressourcen benötigen, in arbeitsplatzbezogene Vorgänge aufgeteilt werden, die in der Regel nacheinander durchlaufen werden müssen. In der Produktion unterscheidet man üblicherweise Fertigungs- und Montagevorgänge. Im medizinischen Bereich kann man bspw. die Aufgabe Privatliquidation in die Vorgänge Leistungserfassung, Abrechnung, Rechnungserstellung und Zahlungsüberwachung aufteilen. Die Vorgänge werden in einer bestimmten Reihenfolge durchgeführt, die festzulegen ist. Anschließend sind für jeden Vorgang die zugehörigen Arbeitsplätze und deren aufbauorganisatorische Einordnung zu ermitteln. Jeder Vorgang wird in der Regel durch bestimmte Eingaben (Input) ausgelöst, die es festzuhalten gilt: • • • •

Informationseingaben Eintreffen von Bedingungen Formulare Belege

So kann bspw. für die Patientenliquidation aus der Patientenakte entnommen werden, welche Behandlungsleistungen erbracht wurden. Da die einzelnen Vorgänge durch bestimmte Arbeitsaufträge gekennzeichnet sind, muss diese Verarbeitung nach zu beschreibenden Arbeits- oder Entscheidungsregeln für die Durchführung der Vorgänge erfolgen. In unserem Beispiel können dies Abrechnungsregelungen und Gebührenordnungen sein. Die Ergebnisse, die als Ausgabe (Output) aus dem Vorgang hervorgehen sollen, sind in Form von Informationen, Ergebnissen, Belege zu definieren. In unserem Fall ist dies die Honorarrechnung an den Patienten. Das Festhalten der Mengen, die bei dem Ablauf bearbeitet werden, ist wichtig, um den Ablauf auch quantitativ richtig zu gestalten. Dazu sind zunächst repräsentative Bezugsgrößen festzulegen, um die einzelnen Vorgänge quantifizieren zu können. • •

Aktuelle Mengen: Ermittlung von Arbeitsmengen, die zum Zeitpunkt der Analyse bzw. Gestaltung der Ablauforganisation gegeben sind Zukünftige Mengen: Veränderungen der aktuellen Menge, da Ablaufsysteme für einen längeren Zeitraum geplant werden und sich daher während ihrer Einsatzdauer Änderungen ergeben können

Zur Zeitermittlung bei Arbeitsabläufen ist zunächst die Arbeitszeit (Auftragszeit) je Vorgang zu definieren, die nach REFA die Zeitspanne vom Beginn bis zum Ende eines Vorganges ohne Liege- und Transportzeiten umfasst und als Summe der Arbeitszeiten aller Vorgänge die Gesamtarbeitszeit ergibt. Die Durchlaufzeit stellt nach REFA die Differenz zwischen End- und Starttermin eines Vorganges dar und ist somit die Summe aus Arbeitszeit, Liege- und Transportzeit je Vorgang. Neben der Arbeitszeit ist auch der Zeitpunkt zu berücksichtigen, an dem Arbeiten vorgenommen werden: • •

Kontinuierliche Arbeitsdurchführung: Ständige, andauernde Arbeitsdurchführung während der ganzen Arbeitszeit Diskontinuierliche Arbeitsdurchführung: Stapelbearbeitung, die unterbrochen und immer wieder neu aufgenommen wird

Neben dem Zeitpunkt ist schließlich auch noch die Häufigkeit bzw. Frequenz der Arbeitsdurchführung von Bedeutung. Zur Strukturierung des Ablaufs sind auch

Lernabschnitt 3:

Ablauf- und Prozessorganisation

185

A jjtelegj»

Β C D

Flussdiagramm Tätigkeitsart Stelle



E ^FormularJ

F G

H

*

Bearbeitung

Hilfstätigkeit

Θ

Blockschaltbild Abbildung 31:

Ablaufdiagramm Lfd.Nr. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Vorgang A Β C D E F G H

Stelle Vorarbeiter Arbeiter 1 Arbeiter 2 Arbeiter 2 Vorarbeiter Arbeiter 1 Arbeiter 2 Vorarbeiter

Liste

Ablauforganisation.

die ablaufspezifischen Sachmittel anhand der Merkmale Sachmittelart, Einsatzart, verfügbare und benötigte Kapazität, Menge sowie Mehrfacheinsatz bei anderen Arbeitsabläufen zu erfassen. Ferner ist die verfügbare und benötigte Personalkapazität für jeden Vorgang zu ermitteln und anhand der benötigten Qualifikationen, Erfahrungen und Kenntnisse zuzuordnen. Ein Arbeitsablaufplan dient zur Dokumentation und als Hilfsmittel für die Darstellung und Verdeutlichung der Ablauforganisation. Folgende Arten von Ablaufplänen lassen sich unterscheiden (Abbildung 31): •

• •



Flussdiagramm: Häufig eingesetzte und an die Symbolik eines Datenflussplanes nach DIN 66001 angelehnte Dokumentationstechnik, mit der Alternativen, Schleifen und Parallelbearbeitungen dargestellt werden können Ablaufdiagramm: Kombination zwischen tabellarischer und symbolischer Darstellungstechnik Blockschaltbild: Verknüpfung von Tätigkeiten, Stellen und Aufgaben in einer Matrix zur Darstellung linearer Abläufe, einfacher Alternativen oder Schleifen, in deren Schnittpunkte von Zeilen und Spalten Aufgaben, Eingabedaten, Ergebnisdaten oder Datenträger genannt werden können Liste: Darstellung linearer Abläufe, die keine Alternativbearbeitung, Schleifenbearbeitungen oder Parallelbearbeitungen aufweisen

Die Prozessorganisation stellt die dauerhafte Strukturierung von Arbeitsprozessen durch Integration vor- und nachgelagerter Vorgänge zu einer Vorgangskette dar.

186

M o d u l VI:

Organisation

Ziel ist es dabei, das Unternehmen nach durchgehenden, abteilungsübergreifenden Prozessen zu organisieren. Unter einem Prozess wird dabei ein System von Aktivitäten verstanden, die über einen durchgängigen Leistungsfluss miteinander verknüpft sind und in einer klar definierten Folgebeziehung zueinander stehen. Im Gegensatz zur vertikalen hierarchischen Sichtweise, bei der üblicherweise die Aufbauorganisation im Vordergrund steht, wird in der Prozessorganisation in einem horizontalen, ganzheitlichen Blick auf das Unternehmen die Ablauforganisation in den Fokus gestellt. Es werden Prozesse betrachtet, wobei die Betrachtung über die Unternehmensgrenzen hinausreicht und neben den Kunden, auch die Lieferanten mit einbezieht. Diese Ausrichtung hat zum Ziel, dass die Prozesse für möglichst alle Beteiligten Wertschöpfung erzeugen. Die folgenden Prozessarten werden dabei üblicherweise unterscheiden: • • • •

Geschäftsprozesse: Durchgängige, funktionsübergreifende Prozesse, die vom Kunden bis zum Lieferanten reichen Kernprozesse: Hauptprozesse, die sich an den wesentlichen Produkt- oder Kundensegmenten orientieren Managementprozesse: Prozesse unternehmerischer Querschnittsfunktionen (Personal, Finanzen, Controlling, Recht etc.) Supportprozesse: Prozesse, die die Hauptprozesse bzw. Leistungserstellung unterstützen

In der Regel werden die Prozesse einem Prozessverantwort liehen unterstellt, der für die Ergebnisse verantwortlich ist und die Koordination innerhalb eines und zwischen mehreren Prozessen übernimmt. Das Prozessteam betreut einen kompletten Prozess vom Anfang bis zum Ende. Mit der Prozessorganisation werden in der Regel folgende Ziele verfolgt: • • • • • • • • • •

Erhöhung der Flexibilität im Hinblick auf wechselnden Anforderungen des Marktes Verbesserung der Koordination durch weniger Schnittstellen und damit weniger Fehlern bei der zeitlichen und sachlichen Abstimmung von Teilleistungen Verkürzung der Durchlaufzeiten Motivationssteigerung, da Leistungen eigenständig erbracht werden und kundenspezifisch Prozessteams zugerechnet werden können Konzentration auf die wertschöpfenden und damit vom Kunden honorierten Aktivitäten Klar definierte Prozessverantwortung Erhöhung der Transparenz in der Organisation der Abläufe Zusammenfassung der Prozesse zu übersichtlichen Organisationseinheiten Optimierung der Arbeitsabläufe Dynamisches Prozessdenken und Abkehr von der arbeitsteiligen Problemlösungsfindung

Kontrollfragen • •

Was ist unter der Ablauforganisation zu verstehen? Wodurch unterscheiden sich Auftragszeit und Durehlaufzeifl

Lernabschnitt 4:

• •

Organisationsentwicklung

187

Wodurch unterscheiden sich kontinuierliche und diskontinuierliche Arbeitsdurchführungl Was bedeutet die horizontale Sichtweise der Prozessorganisa tionl

Lernabschnitt 4:

Organisationsentwicklung

Die Organisationsentwicklung ist ein sozialwissenschaftliches, organisationstheoretisches Konzept, das mit Methoden der Kommunikation, der Arbeitsorganisation und des Trainings die Veränderung einer Organisation zum Ziel hat, um die Effektivität der Organisation zu erhöhen und gemeinsam mit den betroffenen Mitarbeitern Ursachen vorhandener Schwierigkeiten zu erforschen und verbesserte Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln. Nach Lauterburg unterscheidet sich die Organisationsentwicklung von den üblichen Formen der allgemeinen Organisationsplanung oder der Managemententwicklung (Tabelle 48): Die Organisationsentwicklung trägt der Feststellung Rechnung, dass die Organisationsaufgabe nicht als einmalig abschließender Prozess anzusehen ist: • • • •

Betriebliche Bereiche und Arbeitsabläufe lassen sich aufgrund neuer Entwicklungen und Erfahrungen ständig besser gestalten Organisationsmängel führen oft zu Unzufriedenheit bei Kunden und Mitarbeitern Erhöhungen des Arbeitstempos ersetzen nicht wichtige organisatorische Maßnahmen und führen nicht zu grundlegenden Änderungen Der Nutzeneffekt vereinzelter, sporadisch durchgeführter organisatorischer Optimierungsmaßnahmen ist nicht sehr hoch

Es lässt sich feststellen, dass sich dauerhafte und möglichst erfolgreiche Organisationsveränderungen nicht durch Einzelmaßnahmen und stärkeren Druck auf die Mitarbeiter erreichen lassen. Notwendig sind vielmehr Offenheit für Veränderungen sowie eine gemeinsame Vision, wie die Organisation in der Zukunft ausschauen soll. Der Kunde ist dabei ein wesentlicher Bestandteil des unternehmerischen Gesamtsystems, an dem sich die Organisationsentwicklungsmaßnahmen ausrichten müssen. Als wesentliche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Organisationsentwicklung lassen sich daher ansehen: • • • • • •

Kundenorientierung Offenheit für Veränderungen Veränderungswille Systemdenken Gemeinsame Vision Lernbereitschaft

188

M o d u l VI:

Tabelle 48:

Organisation

Organisationsentwicklung nach Lauterburg.

Merkmale

Organisationsentwicklung

Managemententwicklung

Organisationsplanung

Ziel

Nachhaltige Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Organisation (Produktivität), Qualität des Arbeitslebens (Humanität), Motivation/ Kooperation, Selbständigkeit/ Beteiligung

Aufbau von Wissen und Fertigkeiten bei ausgewählten Mitarbeitern

Steigerung der Unternehmenseffizienz, Verbesserung von Kennzahlen

Akteure

Organisatorische Einheiten, Abteilungen, Teams, Gruppen

Gruppe von Mitarbeitern, die wenig oder gar nichts miteinander zu tun haben

Beratungsfirma, Unternehmensleitung

Gegenstand

Konkrete Probleme der täglichen Zusammenarbeit und der gemeinsamen Zukunft, Sachprobleme/ Kommunikationsprobleme

Theoretischer Wissensstoff

organisatorische Strukturen und Abläufe

Methode

Offene Information und aktive Beteiligung der Betroffenen, direkte Mitwirkungsmöglichkeit

Vorgegebene Methoden, Fallstudien, Testszenarien

Vorgaben von der Unternehmensleitung (hierarchische Macht)

Zeitpunkt

Fortlaufend, regelmäßig, kontinuierlicher Prozess

Kurz befristete Trainings- und Lernprozesse

Einzelmaßnahmen und spontane Aktionen

Ort

Arbeitsplatz, Betrieb, On-thejob, Bestandteil der täglichen Arbeit

Workshop, Bildungsinstitut, Schulungseinrichtung

Vorstandsebene, Stabsabteilung Unternehmensplanung

Lernabschnitt 4:

Organisationsentwicklung

189

Der Organisationsentwicklungsprozess kann sich je nach Rolle der Unternehmensleitung und der Gestaltungsmöglichkeiten der Mitarbeiter autoritär oder partizipativ ausrichten: •



Autoritärer Prozess: Geringer Entscheidungsaufwand; rasche Entscheidungsfindung; erhöhter Aufwand in der Umsetzungsphase aufgrund von Konflikten, Reibungsverlusten, Widerständen Partizipativer Prozess: Erhöhter Aufwand bei der Entscheidungsfindung; längere Dauer des Entscheidungsprozesses aufgrund von Diskussionen und Abstimmungen; reduzierter Aufwand in der Umsetzungsphase, die überwiegend gekennzeichnet ist durch Optimierungen und Feinabstimmungen

Der idealtypische Ablauf des Organisationsentwicklungsprozesses beginnt mit einer Vorphase, in der sich bspw. aufgrund eines Problems ein Veränderungsbedürfnis ergibt. Unter Einbeziehung der betroffenen Mitarbeiter sind die zu ändernden Abläufe oder Unternehmensbereiche zu definieren. In der Diagnosephase sind je nach Problemstellung Daten zu den Arbeitsabläufen, zur Organisationsstruktur oder zum Arbeitsklima zu sammeln und aufzubereiten und in gemeinsamen Diskussionen und Analysen Ansätze von Veränderungen zu entwickeln. In der anschließenden Entwicklungsphase geht es um die Planung der erforderlichen Änderungen, die Konkretisierung der personellen und strukturellen Maßnahmen sowie die Durchführung der Veränderungsaktionen. Die abschließende Stabilisierungsphase hat die Aufgabe, den Entwicklungserfolg durch Weiterbildungsmaßnahmen, Erfahrungsaustausch, Belohnungssysteme etc. abzusichern und eine Erfolgskontrolle durchzuführen. In allen Phasen des Organisationsentwicklungsprozesses besteht die Gefahr, dass die Meinungen der Mitarbeiter über Art und Ausmaß des Problems und die Lösungsmöglichkeiten auseinander gehen. Mit Hilfe einer Moderation kann versucht werden, die unterschiedlichen Wahrnehmungen und Vorstellungen zu strukturieren. Die Moderation hat dabei nicht die Aufgabe zu leiten, zu führen und inhaltliche Empfehlungen auszusprechen, sondern vielmehr dafür zu sorgen, dass der Weg zu einer Problemlösung und die dabei erforderliche Kommunikation zustande kommen (Tabelle 49). Für den erfolgreichen Verlauf eines Organisationsentwicklungsprozesses ist es wichtig, wie die Strategie, mit der er angestoßen wird, angelegt ist und von welcher Position er im Unternehmen ausgeht. Je nachdem, wer Motor und Antreiber des Prozesses ist, desto größer oder geringer sind seine Erfolgschancen: • • •

Multiple-nucleus-Stratgie: Organisationsentwicklungsprozess geht von mehreren Positionen im Unternehmen aus, die an Veränderungen interessiert sind Keil-Strategie: Mittlere Führungsebene ist Auslöser des Organisationsentwicklungsprozesses Top-down-Strategie: Unternehmensleitung ist Auslöser für den Organisationsentwicklungsprozess, was aufgrund der Konzentration der Macht in der Leitungsebene eine gute Prozesssteuerung zulässt, jedoch müssen die Veränderungen auch bei der Unternehmensleitung ansetzen und dort vorgelebt werden, damit alle Mitarbeiter als Betroffene zu Beteiligten gemacht werden können

190

M o d u l VI:

Tabelle 49:

Organisation

Moderation des Organisationsentwicklungsprozesses.

Maßnahme

Erläuterung

Auffassung von Äußerungen der Beteiligten als Signale

Auf moralische Appelle verzichten; Teilnehmern ihr eigenes Verhalten bewusst machen, so dass Störungen und Konflikte bearbeitet werden können.

Zurückstellen eigener Meinungen, Ziel und Werte

Es gibt kein „richtig" oder „falsch" während der Moderation; weder Meinungsäußerungen noch Verhaltensweisen bewerten.

Bewusstsein eigener Stärken und Schwächen

Den anderen Teilnehmern helfen, möglichst selbstverantwortlich zu reagieren; Bewusstsein über eigene Einstellung zu Menschen und Themen.

Einnehmen einer fragenden Haltung

Durch Fragen die Beteiligten füreinander und für das Thema öffnen und aktivieren; keine behauptende Haltung einnehmen.

Vermeidung von Rechtfertigungen für Handlungen und Aussagen

Schwierigkeiten klären, die hinter Angriffen und Provokationen stecken.

Vermeidung von Diskussionen über die eigene Methode

Moderationsmethoden anwenden.





Bottom-up-Strategie: Beginn des Yeränderungsprozesses geht auf der unteren Basis von den Mitarbeitern aus, was zu einer optimalen Identifikation mit dem Organisationsentwicklungsprozess führt, allerdings die Gefahr beinhaltet, dass die Unternehmensleitung von dem Veränderungsbedarf überzeugt werden muss Bi-polare-Strategie: Organisationsentwicklungsprozess geht gleichzeitig von der Unternehmensleitung und von den Mitarbeitern aus, was eine ideale Unterstützung der organisatorischen Veränderungen erwarten lässt

Die Organisationsentwicklungsmaßnahmen setzen sich in der Regel aus aufeinander abgestimmte Weiterbildungs-, Trainings- oder Umstrukturierungsmaßnahmen zusammen, die auf verschiedenen Ebenen durchführbar sind: •



Organisatorische, technologische und Aufgabenstruktur: Änderung von technostrukturellen Bedingungen, die Einfluss auf das Arbeitsverhalten haben, zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Erzielung eines reibungslosen und effizienten Arbeitsablaufs, klarer Kompetenz- und Aufgabenabgrenzung Einzelne Mitarbeiter: Aus-, Fort- und Weiterbildung, gruppendynamische Veranstaltungen, Führungs- und Verhaltenstraining, Sensitivitytraining, zur Erweiterung des fachlichen und technischen Wissens, Erhöhung der physischen Belastbarkeit, Steigerung der sozialen, kommunikativen und Führungsqualifikation, Stressstabilität

Lernabschnitt 4:



Organisationsentwicklung

191

Soziale Beziehungen der Mitarbeiter: Teamentwicklungsveranstaltungen, Beratung, Coaching, zur Verbesserung der Zusammenarbeit und Effizienz, Konfliktund Problemlösung, Aufgabenklärung und -abgrenzung

Eine besonders bekannte Methode, die auch im Rahmen der Organisationsentwicklung angewendet wird, ist KAIZEN. Sie kann nach dem Japaner M. Imai (geb. 1930) als eine kundenorientierte Yerbesserungsstrategie beschrieben werden, die im Bewusstsein der Mitarbeiter verankert sein soll und davon ausgeht, dass das Arbeitsleben, das soziale Leben oder das häusliche Leben einer ständigen Verbesserung bedarf. Dazu steht eine Reihe standardisierter Werkzeuge bereit, in Form von Checklisten und angepasst an die konkreten Erfordernisse, die einfach und effizient den Organisationsentwicklungsprozess unterstützen können. Mit Hilfe der 3-MuCheckliste werden Ansatzpunkte für Verbesserungen im Arbeitsprozess ermittelt: • • •

MUDA: Verschwendung MURI: Überlastung MURA: Abweichungen

Die 4-M-Checkliste dient der Gliederung des Arbeitsprozesses, der Analyse der Einhaltung vorgegebener Standards und der Prognose zukünftiger Entwicklungen nach den beteiligten Elementen: • • • •

Mensch Maschine Material Methode

Die 5-S-Bewegung soll positive Werte in den Mittelpunkt der Vorgehensweise stellen und am Arbeitsplatz visualisieren: • • • • •

SEIRI: Ordnung schaffen SEITON: Ordnung halten SEISO: Sauberkeit SEIKETSU: Persönlicher Ordnungssinn SHITSUKE: Disziplin

Die 6- W-Leitfragen stellen schließlich einen umfassenden Katalog qualitätsrelevanter Fragen nach dem Wer, Was, Wo, Wann, Warum und Wie im Betrieb dar. Unter Veränderungsmanagement (Change Management) ist die Institutionalisierung der Organisationsentwicklung zu verstehen und damit alle Aufgaben, Maßnahmen und Tätigkeiten, die eine umfassende, bereichsübergreifende und inhaltlich weit reichende Veränderung zur Umsetzung von neuen Strukturen, Strategien, Systemen, Prozessen oder Verhaltensweisen in einer Organisation bewirken sollen. Ahnlich wie beim Organisationsentwicklungsprozess geht das Veränderungsmanagement in einer ersten Phase des „Auftauens" (Unfreezing) von der Einsicht aus, dass Veränderungen notwendig werden. Das alte Verhalten wird in Frage gestellt, gleichzeitig werden die nach Veränderung strebenden Kräfte unterstützt, um ein Veränderungsbewusstsein auszulösen. In der Veränderungs- oder Bewegungsphase (Moving) werden Problemlösungen entwickelt und ausprobiert. In der dritten Phase wird die erfolgreiche Implementierung der gefundenen Problemlösungen „eingefroren" (Refreezing) und damit dauerhaft integriert.

192

M o d u l VI:

Organisation

Umsetzungsverantwortliche (Change Agents) sollen diesen Veränderungsprozess überwachen und sind zu diesem Zweck in Konfliktmanagement, Projektmanagement und Kommunikationstechniken geschult. Bisweilen werden sie durch Veränderungsteams (Change Teams) unterstützt. In Zusammenhang mit der Organisationsentwicklung sind in den vergangenen Jahren vielfach neue Konzepte aufgetaucht, von denen einige vorgestellt werden: Lean Management stellt die Unternehmensführung nach einem schlanken Organisationskonzept dar, das auf den Abbau unnötiger Kostenbereiche ausgerichtet ist. Diese Form der Unternehmensführung stammt aus Japan, ist durch flache Hierarchien, die Vermeidung von Verschwendung und der Konzentration auf die wertschöpfenden Tätigkeiten gekennzeichnet. Aufgespürt und vermieden werden sollen insbesondere: • • • • •

Vermeidbare Liege- und Wartezeiten Uberproduktion Umständliche Bewegungen im Arbeitsablauf Unnötiger Mehrfachtransport Herstellung von überflüssigen Teilen

Zu diesem Zweck werden im Lean Management alle Abläufe im Unternehmen auf ihren Beitrag zur Wertschöpfung untersucht und gegebenenfalls verbessert. Ziel ist dabei in Anlehnung an das ökonomische Prinzip mit einem minimalen Einsatz von Personal, Zeit und Investitionen ein durch den Kunden vorgegebenes Ergebnis bzw. bei gegebenem Einsatz ein optimales Produkt für den Kunden zu erreichen. Als wichtige Kriterien für eine Struktur mit optimierten Abläufen des Lean Management werden häufig genannt: • • • • • • • •

Dezentrale Kundenorganisation Prozesse mit niedriger Fehleranfälligkeit Transparente Informations- und Rückkopplungsprozesse Einsatz von Gruppenarbeit Verstärktes Mitarbeiterengagement durch Eigenverantwortung und Teamarbeit Verstärkte Kundenorientierung Interne Leitprinzipien, wie Kundenorientierung und Führung als Service am Mitarbeiter Permanente Qualitätsverbesserung

Der Begriff des Business Process Reengineering (Geschäftsprozessneugestaltung) wurde 1993 von den Amerikanern M. Hammer und J. Champy geprägt. Im Mittelpunkt stehen dabei nicht die verschiedenen organisatorischen Unternehmenseinheiten, sondern die Geschäftsprozesse. Es bedeutet eine grundlegende, radikale Neugestaltung und Flexibilisierung aller im Unternehmen ablaufenden Prozesse, um die Kostensituation und die Handlungsgeschwindigkeit des Unternehmens zu verbessern. Im Gegensatz zu einer Geschäftsprozessoptimierung, die eine effektivere Gestaltung der Geschäftsprozesse zum Ziel hat, findet ein grundlegendes Überdenken des Unternehmens und seiner gesamten Prozessorganisation statt.

Lernabschnitt 4:

Organisationsentwicklung

193

Ziele des Reengineerings sind dabei: • • • •

Verkürzung der Durchlauf- und Lieferzeiten Beschränkung der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens auf seine Kernkompetenzen Steigerung von Qualität, Service und Produktivität Beschleunigung der Leistungsprozesse durch Abbau von Hierarchien

Es bedient sich folgender Grundregeln, nach denen die Neugestaltung erfolgen soll: • •

• •

Restrukturierung (Restructuring): Neugestaltung und Änderung des Leistungsportfolios Erneuerung (Renewing): Verbesserung der Schulung und organisatorischen Einbindung von Mitarbeitern in die Unternehmung durch Erwerb von Fertigkeiten und Fähigkeiten sowie verbesserter Motivation Einstellungsänderungen (Reframing): Überwindung herkömmlicher Denkmuster durch neue Visionen und Entschlusskraft Revitalisierung (Revitalizing): Grundlegende Neugestaltung aller Prozesse

Die Kritik an diesem Konzept erstreckt sich auf die Missachtung der erworbenen Erfahrungswerte, die in den bestehenden Geschäftsprozessen abgebildet sind sowie auf die zu geringe Berücksichtigung des notwendigen Lernprozesses der Mitarbeiter des Unternehmens. Total Quality Management (TQM) wurde in den 1940er Jahren von dem Amerikaner W. Deming begründet, überwiegend in der japanischen Autoindustrie weiter entwickelt und stellt ein funktionsübergreifendes Konzept dar, das die Optimierung der Qualität von Produkten, Dienstleistungen, Verfahren und Arbeitsabläufen auf den verschiedenen Ebenen eines Unternehmens durch Einbeziehung aller Mitarbeiter und stärkere Kundenorientierung zum Ziel hat, was ein hohes Qualitätsbewusstsein in sämtlichen Phasen der Leistungserstellung voraussetzt. Es erfasst alle Bereiche einer Organisation mit dem Ziel, einer dauerhaft garantierten Qualität. Qualitätsmanagement soll sich dabei nicht auf die technischen Funktionen zur Sicherstellung der Produktqualität beschränken, sondern wird auf die Beziehung zwischen dem Unternehmen und seinen Kunden ausgeweitet. Um erfolgreich zu sein, benötigt TQM daher die volle Unterstützung aller Mitarbeiter. Die Grundgedanken der TQM-Philosophie sind: • • • • •

Alle Unternehmensbereiche und -ebenen tragen zur Leistungs- und Produktqualität bei Aktives Handeln zur Qualitätssicherung ist notwendig Kundenorientierung setzt Qualitätsmaßstäbe Mehrdimensionalität der Qualität, die durch Kriterien operationalisiert werden muss Dauerhafter Qualitätssicherungprozess statt einmalige Endkontrolle

1988 gründeten große Unternehmen in Europa das weitverbreitete TQM-Konzept EFQM-Modell der European Foundation for Quality Management. Das EFQM-Modell kann als Checkliste angesehen werden, die anhand einiger Kriterien wie Führung, Mitarbeitereinbindung, Prozesse, Ergebnisse etc. eine Umsetzungplanung, -durchführung und -kontrolle sowie einen ständigen Vergleich mit den Besten im Wettbewerb vorsieht.

194

M o d u l VI:

Tabelle 50: Schritte

Organisation

Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP). Aufgabe

Einzelheiten

1

Verbesserungsbereich

Festlegen und Abgrenzen, was verbessert werden soll

2

Zustandsbeschreibung

Beschreibung des Ist-Zustandes und Soll-Zustandes anhand von Kennzahlen

3

Problemdefinition

Problembeschreibung anhand von Beispielen

4

Problembewertung

Auswirkungen, Zeitbedarf, Kostenaufwand

5

Problemanalyse

Zusammenhänge, Ursachen, Schnittstellen

6

Alternativensammlung

Sammeln von Lösungen durch Brainstorming etc.

7

Alternativenbewertung

Lösungsbewertung und -Vorschlag

8

Maßnahmenkatalog

Maßnahmen ableiten und Nutzen/Kosten bewerten

9

Entscheidungsfindung

Ergebnispräsentation vor Entscheidungsgremium

10

Maßnahmenvereinbarung

Verantwortungszuordnung, Zeitrahmen bestimmen, notwendige Ressourcen klären

11

Umsetzung

Maßnahmendurchführung

12

Kontrolle

Erfolgskontrolle und Rückkopplung

Als deutsche Anpassung des japanischen KAIZEN wurde in den 1980er Jahren der Kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP) entwickelt, der eine stetige Verbesserung der Produkt-, Prozess- und Servicequalität darstellt. Ausgehend von der Anwendung in der Automobilindustrie, ist er mittlerweile in vielen Arbeits- und Wirtschaftsbereichen verbreitet. Die Mitarbeiter analysieren dabei ihren Arbeitsbereich in Teams und erarbeiteten konkrete Verbesserungsvorschläge (Tabelle 50). Eine wesentliche Voraussetzung für einen erfolgreichen KVP-Prozess ist der Wille im Unternehmen, die Ergebnisse unmittelbar umzusetzen, die Mitarbeiter zur Umsetzung ihrer Ideen zu ermächtigen und dazu die notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Notwendig ist somit eine Unternehmenskultur, in der die Ideen der Mitarbeiter ausdrücklich erwünscht sind und die Mitarbeiter dafür wirksam Unterstützung und öffentlich Anerkennung erhalten.

Lernabschnitt 5:

Organisationsinstrumente

195

Kontrollfragen • • • •

Warum ist die Organisationsaufgabe ein dauerhafter Prozess? Welche Aufgabe hat die Moderation in einem Organisationsentwickhmgsprozessl Was sind wesentlichen Vor- und Nachteile der Top-down-Strategie in der Organisationsentwicklungl Was ist unter Business Process Reengineering zu verstehen?

Lernabschnitt 5:

Organisationsinstrumente

Die Organisationsinstrumente lassen sich üblicherweise in Organisationstechniken und Organisationshilfsmittel aufteilen. Die Organisationstechniken setzen sich aus Erhebungs-, Planungs- und Bewertungstechniken zusammen. Die Erhebungstechniken stellen Methoden dar, die durch das systematische Einholen von Informationen versuchen, den aktuellen Zustandes einer Organisation zu ermitteln. Das Multimomentverfahren ist eine Erhebungstechnik, die mittels Stichproben aus einer Vielzahl von Augenblickbeobachtungen statistisch gesicherte Mengenoder Zeitangaben ableitbar macht. Dazu sind zunächst die Beobachtungsobjekte festzulegen: • • • •

Arbeitsplätze Arbeitsabläufe Sachmittel Tätigkeiten

Zum festgelegten Zeitpunkt wird die jeweilige Beobachtung in eine Strichliste eingetragen, um daraus im Rahmen der Auswertung Häufigkeiten hinsichtlich des Zeitbedarfs, der Arbeitsauslastung oder der Arbeitsstruktur ermitteln zu können. Aus der Art der Erhebung können mögliche Akzeptanzprobleme resultieren, da bei den Mitarbeitern der Eindruck entstehen kann, ihre Tätigkeit würde gemessen. Die wichtigsten Vorteile des Multimomentverfahrens sind hingegen: • • •

Unwesentliche Störungen im betrieblichen Ablauf Verwertbare Ergebnissen durch Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung Vergleichsweise geringer Erhebungsaufwand

Bei der OSSAD-Methode (Office Support Systems Analysis and Design) handelt es sich ursprünglich um eine Analyse- und Designmethode für Informationssysteme im Büro, um für den bestmöglichen Einsatz neuer Technologien organisatorische Systeme und Abläufe zu optimieren. Sie eignet sich für die Erhebung und Dokumentation von betrieblichen Abläufen. Dazu beschreiben alle Teilnehmer in einer Gruppensitzung den gefragten Ablauf unter Zeitbegrenzung schriftlich Vorgang für Vorgang jeweils auf Kärtchen, welche gesammelt und anschließend im Team disku-

196

M o d u l VI:

Organisation

tiert werden. Der Gesamtablauf ergibt sich anhand der diskutierten und an einer Pinwand angebrachten Karten, was gleichzeitig die Grundlage für weitere Optimierungsmaßnahmen bietet. Das Interview ist eine häufig verwendete Erhebungstechnik, um Datenflüsse, Arbeitsabläufe oder komplexe Sachverhalte zu erheben. Dazu sind zunächst die zu stellenden Fragen festzulegen, die relevanten Gesprächspartner auszuwählen und ein Interviewplan aufzustellen. Das eigentliche Interview gliedert sich in folgende Phasen: • • •

Einführungsphase: Positive Gesprächsatmosphäre erzeugen und Aufgabe bzw. Zweck des Gesprächs erläutern Befragungsphase: Benötigte Informationen durch die Befragung erlangen Schlussphase: Einstellungen des Befragten in Erfahrung bringen und Versuch, ihn positiv für beabsichtigte Organisationsmaßnahmen zu motivieren

Das durchgeführte Interview ist anschließend auszuwerten und dabei auf Vollständigkeit im Hinblick auf die benötigten Informationen und auf Plausibilität der Interviewaussagen zu prüfen. Als Vor- und Nachteile des Interviews als Erhebungsmethode lassen sich ansehen: • •

Vorteile: IST-Zustandsermittlung aus Sicht der unmittelbar Betroffenen, Flexible Möglichkeiten der Vertiefung durch Zusatz- und Verständnisfragen Nachteile: Hoher Zeitaufwand, Störung der interviewten Person und Arbeitsunterbrechung, Erhebung subjektiver Meinungsäußerungen

Bei der Selbstaufschreibung handelt es sich um die Erstellung von Aufzeichnungen oder Berichten über ausgeführte Tätigkeiten durch die Mitarbeiter. Dazu sind die in die Aufschreibung einzubeziehenden Mitarbeiter festzulegen und ein mit möglichst geringem Aufwand ausfüllbares Formular zu erstellen. Die regelmäßige Selbstaufschreibung von Tätigkeiten, Zeitbedarf, Mengen etc. umfasst in der Regel einen Zeitraum von mehreren Wochen, um möglichst repräsentative Ergebnisse zu erhalten. Die anschließende Auswertung geschieht in Abhängigkeit von Aufgaben, Qualifikation, Sachmitteleinsatz zur Ermittlung von Auslastungsgrad oder Zeitbedarf. Als wesentliche Vorteile der Selbstaufschreibung sind die Möglichkeit einer Totalaufnahme mit relativ geringem Aufwand sowie die durch die Mitarbeiter selbst aufgeschriebenen und damit autorisierten Ergebnisse anzusehen. Auf der anderen Seite besteht dabei die Gefahr von bewussten und gezielten Ergebnisverfälschungen. Eine der wichtigsten organisatorischen Planungstechniken ist die Netzplantechnik. Sie umfasst unter Berücksichtigung von Aufgaben, Zeiten, Kosten, Ressourcen etc. grafische oder tabellarische Verfahren zur Planung, Analyse, Steuerung und Kontrolle von Abläufen und deren Abhängigkeiten auf der Grundlage der Graphentheorie. Mit Hilfe von Netzplänen lassen sich die logischen Beziehungen zwischen den Vorgängen und ihre zeitliche Lage darstellen. Dadurch können Dauer, zeitliche Risiken, kritische Aktivitäten und Maßnahmenauswirkungen von Abläufen Aufträgen oder Projekten ermittelt werden: • •

Identifizierung von kritische Pfaden und Ressourcenengpässen, welche die Einhaltung des Endtermins gefährden können Übersichtliche Darstellung logischer Zusammenhänge von Vorgängen vom Anfang bis zum Abschluss eines Auftrags oder Projektes

L e r n a b s c h n i t t 5:

Organisationsinstrumente

197

Spätester notwendiger

Anfang

Frühester möglicher • Anfang

Bezeichnung

Spätestes notwendiges Ende

Dauer Frühestes mögliches Ende

Pufferzeit

Pufferzeit

Kurzbezeichnung

Vorgang

A

Auftragsannahme

-

2

Β

Konstruktion

A

15

C

Material bedarsvermittlung

A

10

D

Materialbeschaffung

C

10

E

Fertigung

Β, D

30

F

Versand

E

2

Χ Χ A 2

Abbildung 32:

7

2

Β

15

Vorgänger

22X22 17

/

5

\

22

Dauer

Ε

52

30

52

V

ζ°\

52

52

F 2

54

V

54

54

Netzplantechnik.



Möglichkeit zur laufenden Fortschrittskontrolle und Terminüberwachung



Entwicklung von Zeitplänen für alle Vorgänge

Die Netzplantechnik umfasst folgende Planungsaufgaben: • • • •

Struktur: Planung der Reihenfolge und Zusammenhänge der einzelnen Vorgänge Zeit: Zuordnung der jeweiligen Zeitdauer Kosten: Zuordnung der jeweiligen Kosten Kapazitäten: Zuordnung der erforderlichen Arbeitskräfte, Maschinen, Werkzeuge zu den Vorgängen

Sie hat unter Berücksichtigung der Dauer der einzelnen Vorgänge und unter Berücksichtigung ihrer Abhängigkeiten zu ermitteln, wann die jeweiligen Vorgänge stattfinden. Dazu bedient sie sich folgender Methoden: •



Vorwärtsplanung: Planungsprozess beginnt bei den Startvorgängen und setzt von diesen ausgehend den frühestmöglichen Starttermin der nachfolgenden Vorgänge fest Rückwärtsplanung: Planungsprozess beginnt bei den letzten Vorgängen des Netzes (die keinen Nachfolger mehr haben), und setzt dann die spätesten Fertigstellungstermine der jeweils vorgelagerten Vorgänge fest

Ausgehend von einem definierten Start- und einem definierten Endtermin lassen sich so die frühesten und spätesten Anfangs- und Endzeitpunkte der einzelnen Vorgänge ermitteln (Abbildung 32).

198

M o d u l VI:

Organisation

Auch lassen sich Pufferzeiten festhalten, die als Zeitreserven den zeitlichen Spielraum für die Ausführung von Vorgängen darstellen: • • •



Gesamtpufferzeit: Zeitspanne, die ein Vorgang gegenüber seinem frühesten Beginn verschoben werden kann, ohne das Projektende zu gefährden Freie Pufferzeit: Zeit, die den frühest möglichen Beginn bzw. das Ende des nachfolgenden Vorgangs nicht gefährdet Freie Rückwärtspufferzeit: Maximale Zeitspanne, um die ein Vorgang ausgehend von seinem frühest möglichen Anfangszeitpunkt verschoben werden kann, unter der Bedingung, dass alle vorhergehenden Vorgänge auf dem spätestmöglichen Termin liegen Unabhängige Pufferzeit: Maximale Zeitspanne um die ein Vorgang verschoben werden darf, wenn alle vorhergehenden Vorgänge zum spätestmöglichen Termin enden und alle nachfolgenden Vorgänge zum frühestmöglichen Termin beginnen sollen

Als kritischer Pfad wird die Verkettung derjenigen Vorgänge bezeichnet, bei deren zeitlicher Änderung sich der Endtermin des Netzplanes verschiebt. Ein Vorgang ist kritisch, wenn sein Gesamtpuffer gleich 0 ist. Der Anfang und das Ende eines Vorganges sind Ereignisse, die allgemein als Zeitpunkte beschrieben werden können, zu denen bestimmte Teilvorgänge beendet sind oder andere beginnen sollen. Anordnungsbeziehungen kennzeichnen in der Netzplantechnik die logischen Abhängigkeiten zwischen Ereignissen oder Vorgängen: • • • •

Normalfolge: Ein Vorgang kann begonnen werden, sobald der Vorgänger beendet worden ist Anfangsfolge: Ein Vorgang kann begonnen werden, sobald der Vorgänger begonnen wurde Sprungfolge: Ein Vorgang kann beendet werden, sobald der Vorgänger begonnen wurde Endfolge: Ein Vorgang kann beendet werden, sobald der Vorgänger beendet worden ist

Die Darstellungsmöglichkeiten von Netzplänen sind vielfältig: Bei einem Ereignisknotennetzplan (EKN) werden Ereignisse als Knoten und die zeitliche Abhängigkeiten als Pfeile dargestellt. Der Vorgangsknotennetzplan (VKN) enthält Vorgänge in Form von Knoten und Pfeile zur Darstellung der Anordnungs- und Reihenfolgebeziehungen. Bei einem Vorgangspfeilnetzplan (VPN) werden Vorgänge als Pfeile dargestellt und die logische Reihenfolge geht aus der Anordnung der Knoten mit dem Beginn bzw. Ende der Vorgänge hervor. Der Entscheidungsnetzplan (ENP) enthält zusätzlich als stochastisches Element Entscheidungsknoten mit wahlweise benutzbaren Aus- und Eingängen, denen Wahrscheinlichkeitswerte zugeordnet werden können. Bei den Bewertungstechniken handelt es sich um Methoden zur Beurteilung von organisatorischen Sachverhalten mit dem Ziel, möglichst quantitativ begründbare Entscheidungen zu erreichen. Die ABC-Analyse (Programmstrukturanalyse) ist eine Methode zur Bewertung der Bedeutung von betrieblichen Objekten, um die Ressourcen auf jene Objekte zu konzentrieren, die den höchsten Erfolgsbeitrag erwarten lassen. Hierzu werden die Objekte nach ihrer Wertigkeit, Dringlichkeit, Bedeutung etc. sortiert und in Klassen eingeteilt (Tabelle 51).

Preis pro Stück

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ο ο C-1

2.800

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0,22

4.500

3.800

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