Breslau und Krakau im Hoch- und Spätmittelalter: Stadtgestalt - Wohnraum - Lebensstil 9783412216061, 9783412221225

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Breslau und Krakau im Hoch- und Spätmittelalter: Stadtgestalt - Wohnraum - Lebensstil
 9783412216061, 9783412221225

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¨ DTEFORSCHUNG STA Vero¨ffentlichungen des Instituts fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte in Mu¨nster begru¨ndet von Heinz Stoob in Verbindung mit

U. Braasch-Schwersmann, M. Kintzinger, B. Krug-Richter, A. Lampen, E. Mu¨hle, J. Oberste, M. Scheutz, G. Schwerhoff und C. Zimmermann herausgegeben von

We r n e r F r e i t a g Reihe A: Darstellungen Band 87

BRESLAU UND KRAKAU IM ¨ TEN HOHEN UND SPA MITTELALTER STADTGESTALT – WOHNRAUM – LEBENSSTIL

herausgegeben von E d u a r d M u¨ h l e

2014 ¨ HLAU VERLAG KO ¨ LN WEIMAR WIEN BO

Eine Publikation in Kooperation mit dem Deutschen Historischen Institut in Warschau

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet u¨ber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Bu¨rgerliche Wohnbebauung am Krakauer Ringplatz an der Wende ´ vom 13. zum 14. Jahrhundert (computergestu¨tzte Rekonstruktion von Piotr Opalinski, ´ aus: Piotr Opalinski, Rekonstrukcja cyfrowa infrastruktury architektonicznej Rynku krakowskiego w XIV i XV wieku [Digitale Rekonstruktion der architektonischen Infrastruktur des Krakauer Ringplatzes im 14. und 15. Jahrhundert], in: Krzysztofory. Zeszyty Naukowe Muzeum Historycznego Miasta Krakowa 28/1 (2010), S. 113–128, hier S. 119.

© 2014 by Bo¨hlau Verlag GmbH & Cie, Ko¨ln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Ko¨ln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschu¨tzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzula¨ssig. Redaktion: Institut fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte, Mu¨nster http://www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte Layout und Satz: Peter Kramer Buch & Satz, Mu¨nster Druck und Bindung: Strauss, Mo¨rlenbach Gesetzt aus der Linotype Stempel Garamond 10pt. Gedruckt auf chlor- und sa¨urefreiem Papier. Printed in the EU ISBN 978-3-412-22122-5

INHALT

Eduard Mu¨hle Stadtgestalt, Wohnraum und Lebensstil im Breslau und Krakau des 13. bis 16. Jahrhunderts. Einleitende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Marek Słon´ Warum nur ein Breslau? Versuch eines Vergleichs der Entwicklung der Sta¨dte Breslau, Prag, Krakau und Posen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Jerzy Piekalski Die Formierung des o¨ffentlichen und privaten Raums im Breslau des 13. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

Paweł Konczewski Zur Parzellierung und Gro¨ße sta¨dtischer Grundstu¨cke im spa¨tmittelalterlichen Breslau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

Małgorzata Chorowska und Czesław Lasota Die steinerne Bebauung der Ring- und Straßenzeilen im mittelalterlichen Breslau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

Mateusz Golinski ´ Zur Dynamik der Besitzverha¨ltnisse am Breslauer Ringplatz in den Jahren 1345 bis 1420 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107

Małgorzata Chorowska Palast und Wohnhaus. Der Einfluss des Herrensitzes auf die Breslauer Wohnha¨user im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

137

Jerzy Piekalski und Krzysztof Wachowski Standard und Luxus im mittelalterlichen Breslau . . . . . . . . . . . . . . .

151

Grzegorz My´sliwski Wirtschaftsleben an der Hohen Straße. Zu den wirtschaftlichen Kontakten Breslaus mit Krakau und anderen kleinpolnischen Sta¨dten . . . . . . . . . .

173

VI

Inhalt

Farbtafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

219

Mateusz Golinski ´ Zu den Beziehungen zwischen dem Krakauer und Breslauer Patriziat im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

227

Waldemar Komorowski Die sta¨dtebaulich-architektonische Entwicklung Krakaus intra muros im 14. und 15. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

241

Sławomir Dryja, Wojciech Głowa, Waldemar Niewalda und Stanisław Sławin´ ski Die Innenbebauung des Krakauer Ringplatzes im Mittelalter . . . . . . . .

279

Marek M. Łukacz Die mittelalterlichen Bu¨rgerha¨user am Krakauer Ringplatz . . . . . . . . .

295

Waldemar Komorowski Die hoch- und spa¨tmittelalterlichen Residenzen der Krakauer Patrizier . .

319

Jakub Wysmułek Sta¨dtischer Lebensstil und Fro¨mmigkeit. Testamente und fromme Verma¨chtnisse Krakauer Bu¨rger im 14. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

337

Konkordanz der Straßennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

373

Index der Orte und Straßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

375

Verzeichnis der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

383

STADTGESTALT, WOHNRAUM UND LEBENSSTIL IM BRESLAU UND KRAKAU DES 13. BIS 16. JAHRHUNDERTS Einleitende Bemerkungen von Eduard Mu¨hle

Der vorliegende Sammelband knu¨pft an eine a¨hnliche Zusammenstellung ju¨ngerer polnischer stadthistorischer Forschungen an, die 2011 in dieser Reihe das Pha¨nomen der sta¨dtischen „Lokationen“ oder „Rechtsstadtgru¨ndungen“ im mittelalterlichen Polen zur Diskussion gestellt hat.1 Die mit diesen Termini bezeichnete Transformation a¨lterer sta¨dtischer Siedlungsagglomerationen war bekanntlich durch die Adaptierung neuer, u¨berwiegend sa¨chsisch-magdeburgischer Rechtsgewohnheiten, durch die Ansiedlung fremder, zumeist deutschsprachiger Zuwanderer, die Intensivierung sta¨dtischen Handels und Handwerks sowie die Begru¨ndung und Ausgestaltung einer kommunalen Selbstverwaltung gepra¨gt.2 Der damit verbundene Entwicklungsschub schlug sich nicht zuletzt in einer sich rasch vera¨ndernden Stadtgestalt, in der Ausbildung eines spezifischen bu¨rgerlichen Wohnraums und in einem damit verbundenen besonderen Lebensstil nieder. Diesem Pha¨nomen hat die polnische stadtgeschichtliche Forschung in den letzten Jahren vermehrte Aufmerksamkeit geschenkt.3 Gefo¨r1 Rechtsstadtgru¨ndungen im mittelalterlichen Polen, hg. v. Eduard Mu ¨ hle (Sta¨dteforschung A 81), Ko¨ln

u. a. 2011.

2 Der in Anm. 1 zitierte Sammelband bietet dazu umfassend die einschla¨gige Literatur; erga¨nzend kann

hier auf folgende neueste Arbeiten verwiesen werden: Mateusz Golinski, ´ Zagadki s´ laskich ˛ nowych ´ miast [Ra¨tsel der schlesischen Neusta¨dte], in: Swiat s´ redniowiecza. Studia ofiarowane Profesorowi Henrykowi Samsonowiczowi, hg. v. Agnieszka Bartoszewicz u. a., Warszawa 2010, S. 173–184; ´ ders., Woko´ł problematyki formowania si˛e stanu mieszczanskiego w Polsce [Zum Problem der Ausbildung des Bu¨rgerstandes in Polen], in: Studia z historii społecznej, hg. v. Mateusz Golinski/Sta´ nisław Rosik, Wrocław 2012, S. 7–76; Dominik Nowakowski, Rewolucja czy ewolucja? Przemi´ aska ´ any struktur osadniczych w po´znim s´ redniowieczu na przykładzie miast Po´łnocnej cz˛es´ ci Sl ˛ [Revolution oder Evolution? Wandlungen in der Siedlungsstruktur im Spa¨tmittelalter am Beispiel der ´ aska. Sta¨dte des no¨rdlichen Teiles von Schlesien], in: Silesia Historia. Badania nad historia˛ Sl ˛ Metody ˙ i praktyka historiografii oraz nowe poszukwania, hg. v. Sławomir Mozdzioch u. a., Wrocław 2012, S. 97–119; Jerzy Rajman, Krakowska civitas sołtyso´w Piotra i Salomona [Die Krakauer civitas der ´ Schultheißen Petrus und Salomon], in: Społeczenstwo Polski s´ redniowiecznej 12 (2012), S. 47–68; Inge Bily/Wieland Carls/Katalin Go¨nczi, Sa¨chsisch-magedeburgisches Recht in Polen. Untersuchungen zur Geschichte des Rechts und seiner Sprache, Berlin 2011. 3 Ju¨ngste U ¨ berblicke u¨ber die allgemeinen Tendenzen der ju¨ngeren polnischen stadthistorischen For´ schung bei Halina Manikowska, Miasta i mieszczanstwo na ziemiach Polski w s´ redniowieczu – pos-

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Eduard Mu¨hle

dert wurde sie dabei durch vielfa¨ltige sta¨dtische Baumaßnahmen, die oft umfangreiche archa¨ologische und bauhistorische Untersuchungen ermo¨glichten.4 Diese haben eine Fu¨lle neuer Funde und Befunde erbracht, was sich in besonderem Maße an zwei der interessantesten mittelalterlichen Sta¨dte des o¨stlichen Mitteleuropa beobachten la¨sst – an der seit 1335 zur Bo¨hmischen Krone geho¨renden Odermetropole Breslau sowie an der Kro¨nungs- und (bis ins ausgehenden 16. Jahrhundert) Hauptstadt des seit 1320 erneuerten polnischen Ko¨nigreiches, Krakau. In beiden Zentren haben die vollsta¨ndige Sanierung zentraler innersta¨dtischer Pla¨tze – des Ringplatzes in Krakau, des Ringplatzes und Neumarktes in Breslau – sowie die Restaurierung und Modernisierung zahlreicher bu¨rgerlicher Wohnbauensembles aufschlussreiche Erkenntnisse erbracht. Durch sie wird das Bild, das die Forschung von der Entwicklung beider Sta¨dte im Hoch- und Spa¨tmittelalter bislang entworfen hat, in vieler Hinsicht korrigiert, erga¨nzt und pra¨zisiert. Vor diesem Hintergrund greift der vorliegende Sammelband den Faden des den Rechtsstadtgru¨ndungen gewidmeten Bandes auf und verfolgt die sta¨dtische Entwicklung gezielt u¨ber die Phase des ‚Lokationsprozesses‘ hinaus bis ins spa¨te Mittelalter. Dabei liegt der Schwerpunkt des Interesses bei den Vera¨nderungen der topographischen, baulichen und materiellen Rahmenbedingungen sowie den damit verbundenen alltagsgeschichtlichen Wandlungen sta¨dtischen Lebens wa¨hrend des 13. bis 16. Jahrhunderts. Zwar hat auch die neuere Forschung die in der Vergangenheit traditionell bevorzugt bearbeiteten Probleme der sta¨dtischen Verfassung und Verwaltung,5

tulaty i perspektywy badawcze [Stadt und Bu¨rgertum in Polen im Mittelalter – Postulate und Forschungsperspektiven], in: Pytania o s´ redniowiecze. Potrzeby i perspektywy badawcze polskiej mediewistyki, hg. v. Wojciech Fałkowski, Warszawa 2001, S. 99–127, und Roman Czaja, Bilanz und Perspektiven der polnischen Sta¨dteforschung, in: Stadt und Region. Internationale Forschungen und Perspektiven, hg. v. Heinz Duchhardt/Wilfried Reininghaus (Sta¨dteforschung A 65), Ko¨ln u. a. 2005, S. 13–30; ders., Die Gestaltung des Stadtraumes und das Sozialgefu¨ge mittelalterlicher Sta¨dte am Beispiel Polens, in: Europa¨ische Sta¨dte im Mittelalter, hg. v. Ferdinand Opll/Christoph Sonnlechner, Innsbruck u. a. 2010, S. 203–216. 4 Zum aktuellen Stand der Methodendiskussion innerhalb der polnischen Stadtarcha¨ologie und Bauforschung vgl. Andrzej Golembnik, Urban Archaeology in Poland, in: Making a Medieval Town. Patterns of Early Medieval Urbanization, hg. v. Andrzej Buko/Mike McCarthy, Warszawa 2010, S. 35–61; Jerzy Piekalski, Current Problems in the Research of High Medieval Towns in East-Central Europe, in: ebd., S. 191–202; ders., Rola archeologii w badaniach poczatko ˛ ´ w s´ redniowiecznego domu ´ mieszczanskiego w Europie centralnej [Die Rolle der Archa¨ologie bei der Erforschung der Anfa¨nge ˙ des mittelalterlichen Bu¨rgerhauses in Mitteleuropa], in: Dom w mie´scie s´ redniowiecznym i nowozytnym, hg. v. Bogusław Gediga, Wrocław 2004, S. 52–59; Małgorzata Chorowska, Metodologia badan´ ´ s´ redniowiecznego miasta na przykładzie Swidnicy. Kamienica, parcela, plan [Die Forschungsmethodologie der mittelalterlichen Stadt am Beispiel von Schweidnitz. Wohnhaus, Parzelle, Grundriss], in: Svornı´k, Bd. 4: Pozna´va´nı´ a dokumentace historcky´ch staveb, Praha 2006, S. 137–150. 5 Vgl. Zdzisław Noga, Rola samorzadu ˛ w rozwoju miasta w XIII–XVIII wieku [Die Rolle der Selbstverwaltung in der Stadtentwicklung im 13. – 18. Jahrhundert], in: Krako´w. Nowe studia nad rozwojem miast, hg. v. Jerzy Wyrozumski, Krako´w 2007, S. 455–492; Waldemar Bukowski/Zdzisław Noga, Ustro´j miasta Krakowa w XIII–XVIII wieku, in: Krako´w. Europejskie miasto prawa magdeburskiego 1257–1791, hg. v. Gra˙zyna Lichonczak-Nurek ´ u. a., Krako´w 2007, S. 49–68; Mateusz Golin´ ski, Wrocław (Breslau) city budget in the fourteenth-fifteenth centuries, in: Acta Poloniae Historica 104 (2011), S. 71–102, sowie zuletzt die Beitra¨ge in dem Sammelband Organizacja władz miejs´ asku kich na obszarze Pierwszej Rzeczypospolitej i na Sl ˛ w XIII–XVIII w. [Die Organisation der

Stadtgestalt, Wohnraum und Lebensstil im Breslau und Krakau des 13. bis 16. Jahrhunderts

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der ethnischen und demographischen Verha¨ltnisse,6 des sta¨dtischen Handels7 und der Rechtspflege,8 der Schriftkultur9 und religio¨sen Praxis,10 der Sozialtopographie und Stadtherrschaften im Gebiet der Ersten Republik und in Schlesien im 13. – 18. Jahrhundert], hg. v. Mateusz Golinski/Krzysztof ´ Mikulski, Torun´ 2013, insbesondere: Ewa Wo´łkiewicz, Władze miejskie w Nysie w XIII–XVII w. [Die sta¨dtische Herrschaft in Neiße im 13. – 18. Jahrhundert], S. 78–110; ´ Mateusz Golinski, ´ Władze miasta Swidnicy w XIII–XVIII w. (do 1740 r.) [Die sta¨dtische Herrschaft in Schweidnitz im 13. – 18. Jahrhundert (bis zum Jahr 1740)], S. 111–133; Stanisław Jujeczka, Władze miasta Legnicy w XIII–XVIII w. [Die sta¨dtische Herrschaft in Liegnitz im 13. – 18. Jahrhundert], S. 134–165; Tadeusz Grabarczyk/Tadeusz Nowak, Ustro´j Wieluna do 1580 r. [Die Verfassung von Wielun´ bis 1580], S. 166–183; Janusz Grabowski, Zarys ustroju i organizacji władz Starej i Nowej Warszawy [Abriss der Verfassung und Organisation der Herrschaft des Alten und des Neuen Warschau], S. 184–218; Myron Kapral, Władze miasta Lwowa × XIV–XVIII w. [Die Herrschaft der Stadt Lemberg im 13. – 18. Jahrhundert], S. 219–249; Ewa Grin-Piszczek, Władze miasta Przemy´sla ´ XVIII w. [Die Herrschaft der Stadt Przemy´sl bis zum Ende des 18. Jahrhunderts], S. 250–270. do konca 6 Vgl. nur fu¨r Krakau Bozena ˙ Wyrozumska, Nationalita¨tenprobleme der mittelalterlichen polnischen Sta¨dte in der Historiographie und im Lichte der sta¨dtischen Quellen von Krakau, in: Historiographie in Polen und in der Schweiz, hg. v. Krzysztof Baczkowski/Christian Simon, Krako´w 1994, S. 19–28; Krzysztof Zamorski, Rozwo´j demograficzny Krakowa w ciagu ˛ wieko´w [Die demographische Entwicklung Krakaus u¨ber die Jahrhunderte], in: Krako´w. Nowe studia (wie Anm. 5), S. 841–888. 7 Vgl. nur fu¨r Breslau Grzegorz My´sliwski, Wrocław w przestrzeni gospodarczej Europy (XIII–XV wiek). Centrum czy peryferie? [Breslau im Wirtschaftsraum Europas (13. – 15. Jahrhundert). Zentrum oder Peripherie?], Wrocław 2009; ders., Wrocław’s Economic Links with the Upper German Lands in the Thirteenth Century, in: Acta Poloniae Historica 102 (2010), S. 5–42; ders., Breslau und die Hanse. ¨ berblick, in: Am Rande der Hanse, hg. Genese der wechselseitigen Beziehungen und geschichtlicher U v. Klaus Kru¨ger/Andreas Ranft/Stephan Selzer, Trier 2012, S. 49–70. 8 Hierzu neueste Beitra¨ge in dem Sammelband Coram iudicio. Studia z dziejo´w kultury prawnej ´ sredniowiecznej Polski [Studien zur Geschichte der Rechtskultur in den Sta¨dw miastach po´zno´ ten des spa¨tmittelalterlichen Polen], hg. v. Agnieszka Bartoszewicz, Warszawa 2013, insbesondere: ´ sreniowieczMaciej Radomski, Ipsa civitas habundat furibus ... Przest˛epcy i przest˛epczo´sc´ w po´zno´ nym Krakowie [Kriminelle und Kriminalita¨t im spa¨tmittelalterlichen Krakau], S. 11–83; zu Breslau ´ sredniowiecznym i wczesnonowozytnym ˙ Przemysław Nocun, ´ Zabytki jurysdykcji karnej w po´zno´ Wrocławiu [Denkma¨ler der Strafgerichtsbarkeit im spa¨tmittelalterlichen und fru¨hneuzeitlichen Bres˙ ˙ lau], in: Wrocław na przełomie s´ redniowiecza i czaso´w nowozytnych. Materialne przejawy zycia codziennego, hg. v. Jerzy Piekalski/Krzysztof Wachowski, Wrocław 2004, S. 25–40. 9 Vgl. Agnieszka Bartoszewicz, Pi´smienno´sc´ mieszczanska ´ sredniowiecznej Polsce [Bu¨rger´ w po´zno´ liche Schriftlichkeit im spa¨tmittelalterlichen Polen], Warszawa 2012; Ewa Wo´łkiewicz, „Viri docti et secretorum conscii“. Kanzleipersonal im spa¨tmittelalterlichen Breslau, in: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universia¨t zu Breslau 46/47 (2006/2007), S. 85–113. Erneute Aufmerksamkeit haben in den letzten Jahren auch die Stadt-, Scho¨ffen-, Zunft- und sonstigen sta¨dtischen Bu¨cher und Register erfahren, von denen in ju¨ngster Zeit einige in neuen Editionen vorgelegt wurden, vgl. Złotnicy krakowscy XIV–XVI wieku i ich ksi˛ega cechowa [Die Krakauer Goldschmiede des 14. – 16. Jahrhunderts und ihr Zunftbuch], 2 Bde., hg. v. Jerzy Pietrusinski, ´ Warszawa 2000; Ksi˛ega proskrypcji i skarg miasta Krakow 1360–1422/Liber proscriptionum et querelarum civitatis Cracoviensis 1360–1422, hg. ˙ v. Bozena Wyrozumska, Krako´w 2001; Wrocławski ksi˛egi szosu z lat 1370–1404/Die Schoßbu¨cher der Stadt Breslau von 1370 bsi 1404. Edition, hg. v. Mateusz Golinski, ´ Wrocław 2008; Ksi˛egi wo´jtowsko-ławnicze miasta Lublina z XV wieku [Die Vogt- und Scho¨ffenbu¨cher der Stadt Lublin im 15. Jahrhundert], hg. v. Grzegorz Jawor u. a., Lublin 2012; leider entha¨lt die umfangreiche Bestandsaufnahme ˇ ´ nı´ stˇredovˇeky´ch a ranˇe novovˇeky´ch mˇestsky´ch knih [Stand und PerStav a perspektivy zpˇr´ıstupnova spektiven des Zugangs mittelalterlicher und fru¨hneuzeitlicher Stadtbu¨cher], hg. v. Michaela Hruba ´ stı´ nad Labem 2010, nur einen hier interessierenden Beitrag: Winfried Irgang, Mˇestske´ knihy u. a., U we Slezsku [Stadtbu¨cher in Schlesien], S. 137–150; der Band wird in einer u¨berarbeiteten deutschen Ausgabe in der Reihe „Sta¨dteforschung“ erscheinen. 10 Vgl. die einschla¨gigen Beitra¨ge in dem Sammelband Ecclesia et civitas. Ko´scio´ł i zycie ˙ religijne w mie´scie s´ redniowiecznym [Kirche und religio¨ses Leben in der mittelalterlichen Stadt], hg. v. Halina

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Eduard Mu¨hle

sta¨dtischen Eliten11 keineswegs vernachla¨ssigt. Doch sind dank der erweiterten materiellen Quellengrundlage ju¨ngst versta¨rkt andere Fragen in den Vordergrund geru¨ckt. Davon soll die nachfolgende Auswahl neuester polnischer Arbeiten zu Aspekten der Stadtgestalt, des Wohnraums und des Lebensstils im hoch- und spa¨tmittelalterlichen Breslau und Krakau eine konkretere Vorstellung vermitteln. Zu diesem Zweck versammelt der Band 14 Texte zeitgeno¨ssischer polnischer Historiker, Archa¨ologen, Kunsthistoriker und Bauforscher, von denen drei in ihrer urspru¨nglichen polnischen Fassung 2006, 2007 und 2009, acht in den Jahren 2010–2011 erschienen sind, wa¨hrend zwei Beitra¨ge – Ergebnisse a¨lterer Arbeiten aufgreifend und fortfu¨hrend – fu¨r den Band neu verfasst wurden.12 Die getroffene Auswahl ist zwangsla¨ufig begrenzt und subjektiv, du¨rfte aber – so ist zu hoffen – einen einigermaßen repra¨sentativen Einblick in die entsprechende stadthistorische Forschung ero¨ffnen. ´ die Den Auftakt macht eine vergleichende Untersuchung von Marek Słon, zuna¨chst noch einmal explizit an die Lokationsvorga¨nge anknu¨pft. Słon´ diskutiert die Frage, warum es in Breslau (la¨sst man die von 1263 bis 1327 wa¨hrende Autonomie der Neustadt außer Betracht) im Unterschied zu Prag, Krakau und Posen nicht zur Ausbildung weiterer selbsta¨ndiger Stadtgemeinden gekommen ist. Eine Erkla¨rung dafu¨r Manikowska/Hanna Zaremska, Warszawa 2002, insbesondere: Aleksandra Witkowska, Przestrzen´ ´ sredniowiecznego Krakowa [Der sakrale Raum des spa¨tmittelalterlichen Krakau], sakralna po´zno´ ˙ w przeS. 37–48; Przemysław Tyszka, Mieszczanie, instytucje ko´scielne i pieniadze. ˛ Zapisy pobozne ´ sredniowiecznego Krakowa [Bu¨rger, kirchliche Einrichtungen und Geld. Fromme Verstrzeni po´zno´ ma¨chtnisse im Raum des spa¨tmittelalterlichen Krakau], S. 53–62; Maria Koczerska, Zwiazki ˛ kanoni´ ko´w katedry krakowskiej z mieszczanstwem Krakowa w XV wieku [Die Verbindungen der Krakauer Domkanoniker mit dem Bu¨rgertum Krakaus im 15. Jahrhundert], S. 161–174; Marek Słon, ´ Die Spita¨ler Breslaus im Mittelalter, Warszawa 2001; Halina Manikowska, La topographie sacre´e de la ville: le cas de Wrocław du XIIe au XVe sie`cle, in: Anthropologie de la ville me´die´vale, hg. v. Michał Tymowski, Warszawa 1999, S. 65–82; dies., Der Breslauer Liber indulgentiarum und andere Quellen zur Erforschung spa¨tmittelalterlicher Pilgerfahrten, in: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universia¨t zu Breslau 46/47 (2006/2007), S. 47–64; dies., Geografia sakralna miasta [Die Sakralgeographie der Stadt], in: Animarum kultura. Studia nad kultura˛ religijna˛ na ziemiach polskich w s´ redniowieczu. Tom 1: Struktury ko´scielno-publiczne, hg. v. Halina Manikowska/Wojciech Brojer, Warszawa 2008; Aleksandra Witkowska, O´srodki kultowe w geografii sakralnej s´ redniowiecznego Krakowa [Kultzentren in der Sakralgeographie des mittelalterlichen Krakau], ebd., S. 133–147; Andrzej Niewinski, ´ Przestrzen´ ko´scielna w topografii s´ redniowiecznego Krakowa. Pro´ba syntezy [Der kirchliche Raum in der Topographie des mittelalterlichen Krakau. Versuch einer Synthese], Lublin 2004. 11 Vgl. beispielhaft Mateusz Golinski, ´ sredniowiecznego Wrocławia [Sozialto´ Socjotopografia po´zno´ ´ sredpographie des spa¨tmittelalterlichen Breslau], Wrocław 1997; ders., Woko´ł socjotopografii po´zno´ ´ niowiecznej Swidnicy [Zur Sozialtopografie des spa¨tmittelalterlichen Schweidnitz], 2 Bde., Wrocław 2000–2003; Zdzisław Noga, Krakowska rada miejska w XVI wieku. Studium o elicie władzy [Der Krakauer Stadtrat im 16. Jahrhundert. Untersuchungen zur Herrschaftselite], Krako´w 2003; Marcin Starzynski, ´ Krakowska rada miejska w s´ redniowieczu [Der Krakauer Stadtrat im Mittelalter], Krako´w 2010 (diese Arbeit wird demna¨chst in der Reihe „Sta¨dteforschung“ in einer deutschen Ausgabe erscheinen) sowie die Beitra¨ge in dem Sammelband Elita władzy miasta Krakowa i jej zwiazki ˛ ˙ z miastami Europy w s´ redeniowieczu i epoce nowozytnej (do połowy XVII wieku) [Die Machtelite der Stadt Krakau und ihre Verbindungen zu Sta¨dten Europas im Mittelalter und in der fru¨hen Neuzeit (bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts)], hg. v. Zdzisław Noga, Krako´w 2011; vergleichend und aus der Perspektive der Thorner Schule, die die Thematik intensiv am Beispiel der Sta¨dte des Deutschordenslandes untersucht hat: Roman Czaja, Grupy rzadz ˛ ace ˛ w miastach nadbałtyckich w s´ redniowieczu [Die Fu¨hrungsgruppen in den Ostseesta¨dten im Mittelalter], Torun´ 2008. 12 Angaben zu den Erstdruckorten finden sich jeweils zu Beginn des einzelnen Beitrages.

Stadtgestalt, Wohnraum und Lebensstil im Breslau und Krakau des 13. bis 16. Jahrhunderts

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sieht er einerseits in der außergewo¨hnlich intensiven Unterstu¨tzung des schlesischen Herzogs fu¨r die Breslauer Hauptgemeinde, zum anderen in deren geschickter Politik, der es im Unterschied zu jener des Prager, Posener und Krakauer Patriziats auch im weiteren Verlauf der Stadtgeschichte gelang, als Sieger aus der Konfrontation mit dem Landesherrn hervorzugehen. Es schließt sich ein archa¨ologischer Blick von Jerzy Piekalski auf die Formierung des o¨ffentlichen und privaten Raumes im Breslau des 13. Jahrhunderts an. Piekalski stellt dabei nicht nur einzelne neuere Grabungsbefunde vor, sondern ordnet diese in eine allgemeinere Deutungsperspektive ein und kann auf diese Weise einzelne a¨ltere Interpretationen der topographischen Entwicklung Breslaus modifizieren. Seine Schlussfolgerung, dass die topographische Struktur der Stadt im Verlauf des 13. Jahrhunderts im Zuge einer ganzen Reihe von „Parzellierungsaktionen“ entstand, leitet u¨ber zum Beitrag Paweł Konczewskis, der dem Vorgang der Parzellierung auf der Ebene einzelner Baublo¨cke und Parzellen genauer nachgeht. Anhand neuester Grabungsergebnisse – und mit einem vergleichenden Ausblick auf andere mitteleuropa¨ische Sta¨dte – wird hier die (als Einheitsgro¨ße kaum zu ermittelnde) Breslauer ‚Urparzelle‘ ebenso diskutiert wie die individuelle Geschichte einzelner, im Laufe der weiteren Entwicklung durch Teilung verkleinerter oder durch Zusammenlegung vergro¨ßerter Grundstu¨cke und ihrer Nutzung. Zu einer Intensivierung der Bebauung der abgesteckten Parzellen kam es in Breslau, wie Konczewski zeigt, an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert, wenngleich auch noch im 16. Jahrhundert selbst im Zentrum, am Ringplatz, einzelne Lu¨cken in der dort ansonsten geschlossenen Bebauung bestanden. Die Anfa¨nge und weitere Entwicklung, Ausfu¨hrung und Gestaltung der steinernen Wohngeba¨ude am Breslauer Ringplatz beschrei´ ben Małgorzata Chorowska und Czesław Lasota.13 Mateusz Golinski erga¨nzt den von ihnen gebotenen archa¨ologisch-baugeschichtlichen Blick auf die Ringplatzbebauung aus der wirtschafts- und sozialhistorischen Perspektive eines Historikers. Anhand der sta¨dtischen Schoss- und Scho¨ffenbu¨cher bzw. des in ihnen dokumentierten Steueraufkommens untersucht er die spezifische Dynamik der sich am Ringplatz zwischen 1345 und 1420 entfaltenden Besitzverha¨ltnisse, wobei nicht wenig Licht auch auf die Geschichte der allta¨glichen Nutzung der Ringplatzimmobilien, der Wohn- und Wirtschaftsbauten fa¨llt. Dass sich Breslauer Bu¨rger am Ringplatz, aber nicht nur dort, zum Teil u¨beraus beeindruckende Wohnsitze einrichten konnten, zeigt auch der zweite Beitrag von Małgorzata Chorowska. Er geht dem Einfluss nach, den schlesische Ritter- und Herzogsresidenzen bzw. Palastbauten auf das Breslauer Patrizierhaus ausgeu¨bt haben und thematisiert damit auch den wichtigen Aspekt der repra¨sentativen Funktion bu¨rgerlicher Stadtha¨user. Eine a¨hnliche Repra¨sentativfunktion, die Hierarchien ebenso zu markieren wie Aufstiegsambitionen zu artikulieren vermochte, wurde von Luxusgegensta¨nden erfu¨llt. Jerzy Piekalski und Krzysztof Wachowski bieten mit ihrer Beschreibung und Einordnung einer Reihe eindrucksvoller Funde aus neuesten Grabungen zahlreiche Beispiele fu¨r derartiges 13 Eine interessante Vergleichsperspektive hierzu bieten die parallelen, soeben umfassend publizierten

Studien der Autoren zur schlesischen Nachbarstadt Schweidnitz: Małgorzata Chorowska/Czesław ´ ´ Lasota, Kamienica mieszczanska w Swidnicy. Karczma i mieszkanie w XIII–XVIII w. [Das bu¨rgerliche Wohnhaus in Schweidnitz. Wirtshaus und Wohnhaus im 13. bis 18. Jahrhundert], Wrocław 2013.

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Eduard Mu¨hle

Luxusstreben unter Breslauer Bu¨rgern. Die materielle Voraussetzung des in Immobilien wie Mobilien zum Ausdruck gebrachten sozialen und politischen Status der Breslauer Patrizier bildete naturgema¨ß ihr wirtschaftlicher Erfolg, in erster Linie ihre Dominanz im (Fern)Handel. Diese wirtschaftlichen Grundlagen werden eingehend von Grzegorz My´sliwski dargestellt, der dabei zugleich auf die besonderen Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen der Breslauer und Krakauer Kaufmannschaft und damit auch der kommunalen Beho¨rden beider Sta¨dte eingeht. ¨ berleitung zum zweiten, kleinpolnischen StadtDiese beziehungsgeschichtliche U ´ beispiel des vorliegenden Bandes wird von Mateusz Golinski durch eine a¨hnliche, in mancher Hinsicht mit My´sliwski polemisierende Reflexion erga¨nzt. Sie hebt sta¨rker die migrations- und sozialgeschichtlichen Aspekte der Beziehungen zwischen Krakauer und Breslauer Patriziat hervor und nimmt dabei zudem eher eine Krakauer Perspektive ein. Damit ist der Leser an die Weichsel gefu¨hrt, wo er zuna¨chst von Waldemar Komorowski mit der topographisch-urbanistisch-architektonischen Entwicklung Krakaus intra muros im 14. und 15. Jahrhundert vertraut gemacht wird.14 Ein von Sławomir Dryja geleitetes Autorenteam stellt sodann die Anfa¨nge und weitere Ausgestaltung der Innenbebauung des Krakauer Ringplatzes bzw. die Etablierung und den sukzessiven Ausbau seiner Handelseinrichtungen (Kramla¨den, Fleischba¨nke, Waage u. a¨.) vor. Die bu¨rgerliche Bebauung und Nutzung der um den Ringplatz herum gelegenen Baublo¨cke und Grundstu¨cke wird anhand konkreter Beispiele und ju¨ngst ergrabener Baubefunde detailliert von Marek M. Łukacz beschrieben, wa¨hrend Waldemar Komorowski in einem weiteren Beitrag der innersta¨dtischen Bebauung auch u¨ber den Ringplatz hinaus nachgeht. Dabei richtet sich sein Blick vor allem auf die besonders herausragenden Residenzen fu¨hrender Krakauer Patrizier. Schließlich greift ein letzter Beitrag das in den vorangegangenen Aufsa¨tzen anhand materieller Manifestationen, d. h. anhand von Grundstu¨cken und ihrer Gro¨ße, Geba¨uden und ihrer Ausfu¨hrung, Luxusgegensta¨nden oder Wirtschaftskontakten mal deutlicher mal impliziter angesprochene Thema des sta¨dtischen Lebensstils aus einer gemischten geistlich-materiellen Perspektive auf. So beleuchtet Jakub Wysmułek, indem er eingehend Testamente und fromme Verma¨chtnisse fu¨r Krakauer Kirchen analysiert, nicht nur ein spezifisches Pha¨nomen bu¨rgerlicher Fro¨mmigkeit, sondern auch einen interessanten Aspekt bu¨rgerlichen Lebensstils im Krakau des 14. Jahrhunderts. Dass mit diesem Spektrum unterschiedlicher, gleichwohl gezielt auf ein begrenztes Thema fokussierter Beitra¨ge der deutschsprachigen Stadtgeschichtsforschung ein Einblick in die neueste polnische Forschung zu zwei herausragenden Metropolen Ostmitteleuropas geboten werden kann, ist in erster Linie den Autoren der hier versammelten Beitra¨ge zu danken. Sie sind dem Projekt mit großem Interesse und

14 Der parallele Beitrag zur Krakauer Siedlungsentwicklung jenseits der inneren Stadtbefestigung von

Jacek Laberschek, Rozwo´j przestrzenny krakowskiego zespołu osadniczego extra muros XIII– XVIII wieku, in: Krako´w. Nowe studia (wie Anm. 5), S. 297–354, liegt an anderer Stelle in einer geku¨rzten deutschen Ausgabe vor: Jacek Laberschek, Anfa¨nge und territoriale Entwicklung der Krakauer Agglomeration im 13. – 14. Jahrhundert, in: Quaestiones Medii Aevi Novae 16 (2012), S. 385–410.

Stadtgestalt, Wohnraum und Lebensstil im Breslau und Krakau des 13. bis 16. Jahrhunderts

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spontaner Kooperationsbereitschaft begegnet und haben ohne Zo¨gern ihr Einver¨ bersetzung erneut zu publizieren. Auch sta¨ndnis erteilt, ihre Aufsa¨tze in deutscher U den Verlagen, in denen die abgedruckten Arbeiten im Original erschienen sind, sei fu¨r Ihre Einwilligung zur deutschsprachigen Nachvero¨ffentlichung herzlich gedankt. ¨ bersetzern, Herbert Ulrich (Lublin) und Heidemarie PeterZu danken ist den U ¨ bertragungen hervorragende Ausgangstexte geliesen (Leipzig), deren kompetente U fert haben. Dass diese Vorlagen und damit die urspru¨nglichen Textversionen vom ¨ berarbeitung, mitunter erheblichen Ku¨rzungen, Herausgeber einer sehr intensiven U Umstellungen und Erga¨nzungen unterzogen wurden, haben die Autoren mit großem Versta¨ndnis akzeptiert; auch dafu¨r und fu¨r die in einzelnen Fa¨llen von Seiten der Autoren zusa¨tzlich erfolgten Aktualisierungen und textlichen Erga¨nzungen sei allen Autoren herzlich gedankt. Eine große Hilfe waren wiederum Magdalena Dopieralska ¨ berpru¨fung (Warschau) und Kornelia Hubrich-Mu¨hle, die die bibliographische U und Erga¨nzung des Anmerkungsapparats besorgten. Fu¨r die sorgfa¨ltige Endredaktion und die Erstellung des Registers danke ich Mechthild Siekmann und fu¨r die Kartographie bzw. Bearbeitung der Abbildungen Benjamin Hamann vom Instituts fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte sowie fu¨r Layout und Satz Peter Kramer, Mu¨nster. Werner Freitag sowie die Kollegen Mitherausgeber haben den Band dankenswerter Weise in die Reihe „Sta¨dteforschung“ aufgenommen und auf diese Weise das Deutsche Historische Institut in Warschau einmal mehr in seinen Bemu¨hungen unterstu¨tzt, der deutschsprachigen Forschung Ertra¨ge der polnischen Media¨vistik na¨herzubringen.

WARUM NUR EIN BRESLAU? Versuch eines Vergleichs der Entwicklung der Sta¨dte Breslau, Prag, Krakau und Posen von Marek Słon´ *

Wie viele Stadtgemeinden gab es im mittelalterlichen Breslau? Wenn wir die verha¨ltnisma¨ßig kurze Zeit der Unabha¨ngigkeit der Neustadt (1263–1327) außer Acht lassen, ko¨nnen wir annehmen, dass es nur eine gab – zumindest im juristischen Sinne. Diese Tatsache mag Verwunderung erwecken, denn alle benachbarten Zentren a¨hnlichen Ranges funktionierten im ausgehenden Mittelalter als Agglomerationen, die aus mindestens drei Gemeinden bestanden. In Prag gab es vier Lokationssta¨dte, a¨hnlich in Posen; in Krakau, Magdeburg (seit dem 13. Jahrhundert), Danzig (bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts) und in Thorn (1424–1455) jeweils drei.1 Der vorliegende Beitrag stellt den Versuch einer vergleichenden Studie dar,2 in der ausgewa¨hlte Aspekte der Entwicklung des mittelalterlichen Breslau vor dem Hintergrund anderer ostmitteleuropa¨ischer Großsta¨dte analysiert werden. Im Mittel* Aktualisierte und u¨berarbeitete Fassung des urspru¨nglich 2002 zum Druck gegebenen Aufsatzes

„Dlaczego tylko jeden Wrocław? Pro´ba poro´wnania rozwoju aglomeracji miejskich Wrocławia, Pragi, Krakowa i Poznania“ [Warum nur ein Breslau? Versuch eines Vergleichs der sta¨dtischen Agglomerationen von Breslau, Prag, Krakau und Posen], aus: Socı´alnı´ svˇet stˇredovˇeke´ho mˇesta, hg. v. Martin ¨ bersetzung des Ausgangstextes von Herbert Ulrich. Nodl, Praha 2006, S. 119–131; U 1 Die Thematik der „Neusta¨dte“ wurde in der deutschen und polnischen Historiographie aufgegriffen bei Hans Planitz, Die deutsche Stadt im Mittelalter, Graz/Ko¨ln 1954, S. 210–217; Karlheinz Blaschke, Altstadt – Neustadt – Vorstadt. Zur Typologie genetischer und topographischer Stadtgeschichtsforschung, in: Vierteljahrschrift fu¨r Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 57 (1970), S. 350–362; Eberhard Isenmann, Die deutsche Stadt im Spa¨tmittelalter, 1200–1500. Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Stuttgart 1988, S. 44–46; Antoni Czacharowski, Die Gru¨ndung der „Neusta¨dte“ im Ordensland Preußen, in: Hansische Geschichtsbla¨tter 108 (1990), S. 1–12; Zenon Hubert Nowak, Neustadtgru¨ndungen des Deutschen Ordens in Preußen. Entstehung, Verha¨ltnisse zu den Altsta¨dten, Ende der Eigensta¨ndigkeit, in: Stadt und Orden. Das Verha¨ltnis des Deutschen Ordens zu den Sta¨dten in Livland, Preußen und im Deutschen Reich, hg. v. Udo Arnold, Marburg 1993, S. 129–142; Monika Knipper, Mittelalterliche Doppelsta¨dte. Entstehung und Vereinigung im Vergleich ausgewa¨hlter Beispiele, Darmstadt/Marburg 2010; Marek Słon, ´ Miasta podwo´jne i wielokrotne w s´ redniowiecznej Europie [Doppel- und Vielsta¨dte im mittelalterlichen Europa], Wrocław 2010, u¨ber die dritte Stadtgemeinde in Magdeburg S. 388–392. 2 Die vergleichende Sta¨dtegeschichte ist kein neues Gebiet, wovon am besten das seit 1969 bestehende Institut fu¨r vergleichende Sta¨dtegeschichte in Mu¨nster zeugt, das unter der Leitung von Heinz Stoob (1969–1979), Wilfried Ehbrecht (1979–1984), Peter Johanek (1984–2006) und Werner Freitag (seit 2006) eine rege Ta¨tigkeit entfaltet.

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punkt der Aufmerksamkeit stehen die politisch-administrative Struktur der jeweiligen Agglomerationen sowie die darin stattfindenden Raum- und Siedlungsvera¨nderungen. Unberu¨cksichtigt bleiben die fu¨r die behandelten Fragen wichtigen Handelsprivilegien der Lokationssta¨dte. Das Vergleichsmaterial entnehmen wir der Geschichte von Prag, Krakau und Posen.3 Diese Sta¨dte waren hinsichtlich ihrer Gro¨ße und ihres Rangs mit Breslau vergleichbar, wobei die schlesische Metropole ¨ ber ihre Auswahl entschied jedoch mit jeder von ihnen enge Kontakte unterhielt. U vor allem die a¨hnliche Situation an der Schwelle der Lokation, handelte es sich doch jeweils um monarchische und bischo¨fliche Herrschaftszentren. Die befestigte Residenz des Herrschers und des Ortsbischofs bildete den wichtigsten Punkt unter den um sie herum gruppierten Siedlungen. Auf die Lokation und die Entwicklungsmo¨glichkeiten letzterer hatten die natu¨rlichen Bedingungen und der von ihnen abha¨ngige Verlauf der Straßen starken Einfluss. Eine besondere Rolle spielte die Lage der Furten und Bru¨cken, weil jede dieser Sta¨dte an einem großen Fluss lag. Die Ansiedlung konzentrierte sich vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, um die Klo¨ster und andere kirchliche Einrichtungen. Man kann sagen, dass die geschilderten Umsta¨nde in allen behandelten Fa¨llen die Entwicklung von mehr als einem sta¨dtischen Zentrum begu¨nstigt haben. Die erste Etappe der Lokation beruhte auf der Konstituierung einer Kaufmannsgemeinde. Diese war ho¨chstwahrscheinlich um ihre Pfarrkirche herum konzentriert, und ihre Vertreter bewohnten ein relativ geschlossenes Gebiet in deren Umgebung. Allerdings fehlt es bisher an u¨berzeugenden Belegen dafu¨r, dass schon damals ein regula¨res Straßennetz abgesteckt wurde. Die Ansicht u¨berwiegt, dass der Herrscher auf dieser Stufe noch keinen Bereich abtrennte, fu¨r den das neue Recht galt, sondern lediglich einer bestimmten Gruppe von Personen das Privileg erteilte.4

3 Zum weiteren Vergleichskontext vgl. die Sammelba¨nde: Metropolen und Kulturtransfer im 15./

16. Jahrhundert. Prag – Krakau – Danzig – Wien, hg. v. Andrea Langer/Georg Michels, Stuttgart 2001; Krakau, Prag und Wien. Funktionen von Metropolen im fru¨hmodernen Staat, hg. v. Marina Dmitrieva/Karen Lambrecht, Stuttgart 2000 sowie Leszek Belzyt, Krako´w i Praga około 1600 roku. Poro´wnanie topograficznych i demograficznych aspekto´w struktury społecznej i etnicznej dwo´ch ´ metropolii Europy Srodkowo-Wschodniej [Krakau und Prag um das Jahr 1600. Ein Vergleich topografischer und demografischer Aspekte der sozialen und ethnischen Struktur zweier Metropolen Ostmitteleuropas], Torun´ 1999; Marek Słon, ´ Fundatio civitatis. Sta¨dtische Lokationen und kirchliches Stiftungsprogramm in Breslau, Krakau und Posen, in: Rechtsstadtgru¨ndungen im mittelalterlichen Polen, hg. v. Eduard Mu¨hle, Ko¨ln u. a. 2011, S. 107–126. Die einzige mir bekannte vergleichende Studie der zu diesen Agglomerationen geho¨renden „Neusta¨dte“ bietet Leszek Belzyt, Die Prager Neustadt und Kazimierz bei Krakau im Spa¨tmittelalter und in der Fru¨hneuzeit (1335/1348–1612). Ein Versuch des sozialgeschichtlichen Vergleichs, in: Nove´ Mˇesto prazˇske´ ve 14. – 20. stoleti, hg. v. Va´clav Ledvinka/ Jiˇr´ı Pesˇek, Praha 1998, S. 61–74. 4 Anna Rutkowska-Płachcinska, ´ Gmina miejska w poczatku ˛ XIII w. w Polsce [Die Stadtgemeinde zu Beginn des 13. Jahrhunderts in Polen], in: Wieki s´ rednie. Prace ofiarowane Tadeuszowi Manteufflowi w sze´sc´ dziesiat ˛ a˛ rocznic˛e urodzin, hg. v. Aleksander Gieysztor/Marian Henryk Serejski/Stanisław Trawkowski, Warszawa 1962, S. 143–150; Benedykt Zientara, Przemiany społeczno-gospodarcze i przestrzenne miast w dobie lokacji [Sozio-o¨konomische und ra¨umliche Vera¨nderungen der Sta¨dte in der Zeit der Lokation], in: Miasta doby feudalnej w Europie s´ rodkowo-wschodniej. Przemiany społeczne a układy przestrzenne, hg. v. Aleksander Gieysztor/Tadeusz Rosłanowski, Warszawa 1976, S. 67–97, hier S. 82–84; Krystyna Kaminska, ´ Lokacje miast na prawie magdeburskim na ziemi-

Warum nur ein Breslau?

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In Krakau ko¨nnen wir die erste Kaufmannsgemeinde mit der Dreifaltigkeitskirche in Zusammenhang bringen, ihre Entstehung fa¨llt in die letzten Jahre des zweiten Jahrzehnts des 13. Jahrhunderts.5 In Posen kann die Existenz einer Kaufmannssiedlung an der St. Margarethenkirche bereits fu¨r die dreißiger Jahre des 13. Jahrhunderts angenommen werden.6 In beiden Sta¨dten handelte es sich um ein Gebiet, das 300–500 m von der Burg entfernt lag und nur durch einen kleinen Wassergraben von ihr getrennt war. In Prag begann sich die Gemeinde dagegen in gro¨ßerer Entfernung von der Burg, auf der anderen Seite des Flusses herauszubilden. Dies geschah noch im 12. Jahrhundert. Hier entwickelte sich die mit herzoglichen Privilegien (1174/78) ausgestattete Gemeinschaft deutscher Kaufleute parallel zur Marktsiedlung. Es wird angenommen, dass der im Jahre 1212 besta¨tigte Vogt der Marktsiedlung die herzogliche Macht auch gegenu¨ber den nach Nationen organisierten Gruppen von Kaufleuten repra¨sentierte. Die Besta¨tigung des Privilegs von Herzog Sobˇeslav II. im Jahre 1231 zeugt von dem Versuch, angesichts dieser Entwicklung die Exklusivita¨t der deutschen Gemeinde zu verteidigen.7 Die von Heinrich I. dem Ba¨rtigen in Breslau gewa¨hlte Lo¨sung erinnerte in ra¨umlicher Hinsicht an die Situation in Prag, wa¨hrend die hier angewandten Organisationsund Rechtsformen denen in den erwa¨hnten polnischen Sta¨dten a¨hnelten.8 Es ist nicht sicher, ob die Wahl hier – so wie in der Hauptstadt Bo¨hmens – auf die besser entwi-

ach polskich do 1370 r. (Studium historycznoprawne) [Die Stadtgru¨ndungen nach Magdeburger Recht in den polnischen Gebieten bis 1370 (eine rechtsgeschichtliche Studie)], Torun´ 1990, S. 130; in diesen Arbeiten finden sich Hinweise auf die a¨ltere Literatur. 5 Jerzy Wyrozumski, Dzieje Krakowa. Tom 1: Krako´w do schyłku wieko´w s´ rednich [Geschichte Krakaus. Bd. 1: Krakau bis zum Ende des Mittelalters], Krako´w 1992, S. 153f.; Sławomir Gawlas, Nova Civitas in Okol. Fragment z dziejo´w Krakowa [Nova Civitas in Okol. Ein Fragment aus der ´ ´ Geschichte Krakaus], in: Społeczenstwo Polski Sredniowiecznej 6 (1994), S. 101–110, hier S. 101–106; zu Krakau vgl. auch die entsprechenden Beitra¨ge in diesem Band; insbesondere den Stadtplan in Waldemar Komorowski, Die sta¨dtebaulich-architektonische Entwicklung Krakaus intra muros im 14. und 15. Jahrhundert, Abb. 1. 6 Anna Rogalanka, Lokacja miasta na lewym brzegu Warty [Die Lokation der Stadt auf dem linken Wartheufer], in: Dzieje Poznania, Bd. 1: Do 1793 r., hg. v. Jerzy Topolski, Poznan´ 1988, S. 146–208, hier S. 147f.; Tomasz Jurek, Der Posener Lokationsprozess, in: Rechtsstadtgru¨ndungen im mittelal´ ´ dka, in: terlichen Polen, hg. v. Eduard Mu¨hle, Ko¨ln u. a. 2011, S. 221–244; P[aweł] D[embinski], ´ Sro ´ hg. v. ´ Słownik historyczno-geograficzny wojewo´dztwa poznanskiego w s´ redniowieczu, T. V, H. 1: S, Tomasz Jurek, Poznan´ 2011, S. 89–104, hier 102–103. 7 Codex juris municipalis Regni Bohemiae, Bd. 1: Privilegia civitatum Pragensium, hg. v. Jaromir Celaˇ ˇ kovsky´, Praha 1886, S. XVI–XVIII, Teil 1–2: Jo´sef Jana´cek, Dzieje Pragi [Die Geschichte Prags], Warszawa 1977, S. 46–52; Słon, ´ Miasta (wie Anm. 1), S. 229. 8 Marta Młynarska-Kaletynowa, Wrocław w XII–XIII w. Przemiany społeczne i osadnicze [Breslau im 12. – 13. Jahrhundert. Sozial- und Siedlungsvera¨nderungen], Wroclaw 1986, S. 79f.; fu¨r die Existenz eines regula¨ren Straßennetzes sprechen sich aus – u. a. auf der Grundlage noch unvero¨ffentlichter Forschungsergebnisse Cezary Bu´sko/Michał Kaczmarek, Wrocław od pradziejo´w do połowy XIII w. [Breslau von der Vorgeschichte bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts], in: Historia Wrocławia, Bd. 1: ´ czaso´w habsburskich, hg. v. Cezary Bu´sko, Wrocław Historia Wrocławia. Od pradziejo´w do konca 2001, S. 7–93, hier S. 86f.; zu Breslau vgl. auch die u¨brigen Beitra¨ge in diesem Band, insbesondere den Stadtplan bei Jerzy Piekalski, Die Formierung des o¨ffentlichen und privaten Raums im Breslau des 13. Jahrhunderts, Abb. 2 und 3.

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Marek Słon´

Kleinseite Hradschin

Altstadt

.

l Weichse

Neustadt

Vyšehrad

Abb. 1: Die Prager Siedlungsagglomeration im 13. Jahrhundert Quelle: Entwurf Marek Słon

ckelte Siedlung fiel. Auch wenn die archa¨ologischen Untersuchungen und die Lokalisierung der Breslauer Kirchen aus dem 12. Jahrhundert die Entwicklung der Ansiedlung und eine wachsende handwerkliche Produktion auf dem linken Oderufer dokumentieren, befand sich der Hauptpunkt des Handelsaustausches auf dem Breslauer Elbing, d. h. auf der gegenu¨berliegenden Seite des gesamten Siedlungskomplexes.9

9 Stanisław Trawkowski, Ołbin wrocławski w XII w. [Der Breslauer Elbing im 12. Jahrhundert],

in: Roczniki Dziejo´w Społeczno-Gospodarczych 20 (1958), S. 69–106; Młynarska-Kaletynowa, Wrocław (wie Anm. 8), S. 38–44; Bu´sko/Kaczmarek, Wrocław (wie Anm. 8), S. 73f.

Warum nur ein Breslau?

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Die zweite Etappe der Lokation war nur in Posen mit einer betra¨chtlichen Verlagerung des Zentrums der neuen Gemeinde verbunden. Die cives de Sroda mussten sich auf die andere Seite der Warthe begeben. Der 1253 abgesteckte Ringplatz (Markt) befand sich nun fast einen Kilometer von der Burg entfernt.10 Schwieriger zu charakterisieren sind die topografischen Vera¨nderungen in Prag. Vor allem kann man hier nicht u¨ber eine Stadtgru¨ndung im eigentlichen Sinne sprechen. Die Lokalisierung der alten Vicus Teutonicorum ist unsicher; es kommen die Marien-Kirche von Theyn und die St.-Peter-Kirche von Poˇrici in Frage; nur erstere befand sich innerhalb der im 13. Jahrhundert errichteten Stadtmauer. Dazu kam noch eine weitere Gemeinde, die vor 1253 um die St.-Gallus-Kirche, also auch intra muros, entstand. Die Befestigung hat in jeden Fall, obwohl nicht direkt und sofort, zu einer Unifikation des Stadtraumes auf dem rechten Moldauufer gefu¨hrt: Die Siedlung von Poˇrici verlor ihre Bedeutung und die civitas sancti Galli wurde vor 1287 mit der Gemeinde um die TheynKirche vereinigt. Die ra¨umliche Beziehung zwischen kaufma¨nnischen und herzoglichen Zentren hat sich nicht grundsa¨tzlich gea¨ndert. In Krakau fu¨hrte die Absteckung eines regula¨ren Straßennetzes zu einer nur geringen Vergro¨ßerung des Abstandes von der Wawelburg zu den Grenzen der Stadtgemeinde; innerhalb ihres Bereiches befand ¨ hnlich war es in Bressich das bisherige Zentrum, d. h. die Dreifaltigkeitskirche. A lau: Der neue Markt (Ringplatz) war etwas weiter von der Dominsel entfernt als die St.-Adalbert-Kirche, die zum Bereich der Lokationsstadt geho¨rte. Allerdings war die Ausgangssituation eine andere: nach der zweiten Etappe der Lokation, die mit einer Reorganisation des sta¨dtischen Raumes und der Einrichtung eines Scho¨ffengerichts verbunden war, blieb Krakau das einzige der vier hier besprochenen Zentren, in dem sich der Sitz der weltlichen und der kirchlichen Macht auf derselben Seite des Flusses befanden wie die kommunale Stadt. Der dazwischen liegende eng bebaute Oko´ł wurde zu einem Gebiet, in dem sich die Einflu¨sse dieser beiden Zentren rieben. Die Lokationswende vera¨nderte das Bild der mitteleuropa¨ischen Metropolen radikal. Die wichtigsten Konsequenzen fu¨r ihre weitere Entwicklung waren mit zwei Aspekten der sich vollziehenden Wandlungen verknu¨pft. Der erste betraf die Entstehung eines zweiten Agglomerationszentrums neben der Burg, das in politischer und wahrscheinlich auch in wirtschaftlicher Hinsicht immer noch schwa¨cher war als letztere, aber einen außerordentlich dynamischen Organismus darstellte. Sein rasantes demografisches und o¨konomisches Wachstum machte es bald zu einem Partner, mit dem auch im Spiel um die Macht gerechnet werden musste. Es erfu¨llte die mit ihm verbundenen Hoffnungen auf finanziellen Gewinn, wurde aber gleichzeitig zu einer potentiellen Gefahr. Einen zweiten wesentlichen Aspekt der Lokationsvera¨nderungen stellte die Herausbildung des Modells der Lokationsstadt selbst dar. Ihre mit den Siedlungen alten Typs nicht vergleichbaren Entwicklungsmo¨glichkeiten machten sie zum grundlegenden Instrument der ra¨umlichen Organisation der hauptsta¨dtischen Agglomeration. Es wurde offensichtlich, dass ihre weitere Expansion vor allem durch Einfu¨gung neuer Bereiche in die bereits bestehende Kommune oder durch Schaffung neuer, auf a¨hnliche Prinzipien gegru¨ndeter Gemeinden stattfinden wu¨rde.

10 Rogalanka, Lokacja (wie Anm. 6), S. 148–162.

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Marek Słon´

Der im Verlauf der zweiten Etappe der Lokation vorgegebene Rahmen erwies sich fu¨r die schnell wachsenden Metropolen bald als zu eng. In Prag wurde schon im Jahre 1257 eine zweite Stadt gegru¨ndet: die Kleinseite (Mala´ Strana). Sie umfasste die gut bewirtschafteten Gebiete zu Fu¨ßen der Burg und war von der Hauptsiedlung durch die Moldau getrennt.11 In Krakau wurde Oko´ł in die Stadtgemeinde einbezogen. Dies geschah viel spa¨ter als in der Hauptstadt Bo¨hmens, und zwar erst in der zweiten Dekade des 14. Jahrhunderts. Dagegen war die ra¨umliche Lo¨sung a¨hnlich, und das Stadtrecht erstreckte sich auf eine Siedlung, die zwischen der Residenz des Herrschers und der fru¨her gegru¨ndeten Gemeinde lag. Der wichtigste Unter¨ ber die Konschied bestand darin, dass in Krakau keine neue Gemeinde entstand. U sequenzen der hiesigen Stadterweiterung waren sich beide Seiten im Klaren, wovon die Ereignisse der Jahre 1305–1306 ein beredtes Zeugnis ablegen. Damals wurde die Stadtmauer errichtet, die Burg und Stadt verband, wurde die Siedlung Oko´ł mitsamt ihren Befestigungen niedergebrannt, wa¨hrend sich der Herrscher in einem Privileg verpflichtete, diese Mauern niemals wieder aufzubauen. In Reaktion auf die Rebellion der Bu¨rger im Jahre 1312 hat der Herrscher sie doch wiederhergestellt, um die Bu¨rgergemeinde gegenu¨ber einem Angriff aus der Burg wehrlos zu machen.12 ´ ´ dka gegru¨ndet. Das war, a¨hnlich wie in Prag und in KraIn Posen wurde 1288 Sro kau, eine mit der fru¨heren Burgvorstadt verbundene Siedlung. Sie verfu¨gte jedoch u¨ber andere Entwicklungsperspektiven als die Prager Kleinseite. Vor allem wurde sie nicht durch die nahe Nachbarschaft einer ma¨chtigeren Gemeinde behindert, die auf der gegenu¨berliegenden Seite der Agglomeration verblieb und war nicht nur durch einen Fluss (wie in Prag) von ihr getrennt, sondern auch durch eine betra¨chtliche Entfernung (u¨ber einen Kilometer) und die herzogliche Burg selbst. Letztere grenzte u¨brigens auch nicht an die neu gegru¨ndete Siedlung. Daru¨ber hinaus du¨rfte die Tatsache von Bedeutung sein, dass ho¨chstwahrscheinlich hier die erste Kaufmannssied´ ´ dka dem Posener Bislung existierte. Parallel zur Lokation im Jahre 1288 wurde Sro 13 tum u¨bergeben. Dies sta¨rkte die Position der kirchlichen Institutionen, die in diesem Teil Posens schon fru¨her betra¨chtliche Gu¨ter besaßen, und entschied somit u¨ber die weitere Entwicklung der Agglomeration. Auch in Breslau wurde eine zweite Gemeinde gegru¨ndet.14 Die Neustadt lag zwischen den Flu¨ssen Ohle (die sie von der Altstadt trennte) und Oder; auf der anderen 11 Va´clav Vladivoj Tomek, Dˇejepis mˇesta Prahy [Geschichte der Stadt Prag], Bd. 1, Praha 1855,

ˇ S. 224–227; Privilegia (wie Anm. 7), S. LIV–LXXIV; Jana´cek, Dzieje Pragi (wie Anm. 7), S. 56f.

12 Słon, ´ Miasta (wie Anm. 1), S. 288–306; die fru¨here Forschung nahm an, dass in Oko´ł eine Stadt gegru¨n-

det wurde.

13 Kodeks dyplomatyczny Wielkopolski [Großpolnisches Urkundenbuch], Bd. 2, hg. v. Ignacy

´ sredniowieczne [Die spa¨tZakrzewski, Poznan´ 1877, Nr. 625; Antoni Gasiorowski, ˛ Miasto po´zno´ mittelalterliche Stadt], in: Dzieje Poznania (wie Anm. 6), S. 209–284, hier S. 230; ein gesonderter Band der Chronik der Stadt Posen beru¨hrt das Problem der hier im Mittelalter existierenden Stadtgemeinde nicht. 14 Den Stand der Forschungen zur Breslauer Neustadt hat zusammengefasst Stanisław Rosik, Wrocławskie Nowe Miasto: przegrany konkurent, zbuntowany satelita metropolii czy intratna posada dla Gerharda z Głogowa? [Die Breslauer Neustadt: ein besiegter Konkurrent, ein rebellischer Satellit der Metropole oder ein eintra¨glicher Posten fu¨r Gerhard von Glogau?], in: Civitas et villa. Miasto i wie´s ´ w s´ redniowiecznej Europie Srodkowej, hg. v. Cezary Bu´sko/Jan Klapste/Lech Leciejewicz/Sławo´ mir Mozdzioch, Wrocław/Praha 2002, S. 123–134; vgl. auch Ders., Zur Genese und Funktion so

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Warum nur ein Breslau?

Seite des Oder-Hauptarms standen die herzogliche Burg und die Kathedrale. Verkehrsma¨ßig stellte die Ohle kein wesentliches Hindernis dar; sie war verha¨ltnisma¨ßig klein und fu¨hrte in dem zwischen den beiden Siedlungen gelegenen Abschnitt noch weniger Wasser, weil ein Teil ihres Wassers in die altsta¨dtischen Wallgra¨ben abgeleitet wurde. Somit befand sich die Neustadt praktisch unter den Mauern der Altstadt, ### $





 

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Abb. 2: Die Posener Siedlungsagglomeration im 13. Jahrhundert Quelle: Jurek, Der Posener Lokationsprozess (wie Anm. 6), S. 227

und die ma¨chtigen Gewa¨sser des Hauptarms der Oder trennten sie von der Burg. Der bequemste Weg von der Neustadt zum Herzogssitz fu¨hrte durch die Altstadt. ´ ´ dka – Durch die neue Siedlung verlief – im Gegensatz zur Prager Kleinseite und zu Sro auch keine Handelsstraße. Der Lokation der Neustadt (1263) ging eine Erweiterung des Territoriums der Altstadt voraus (1261). Das hinzugekommene Gebiet u¨bertraf die Fla¨che der Neustadt ganz betra¨chtlich und besaß auch eine bequemere Lage: Es wurde von den Hauptstraßen durchschnitten, die von Westen und Su¨den nach Breslau fu¨hrten. Es umfasste außerdem einen Teil der alten Siedlung wallonischer Weber. Unter sta¨dtische Jurisdiktion geriet der gro¨ßte Teil der Sandinsel. Das war ein wichtiger Bestandteil des Breslauer Siedlungsensembles: eine auf der Hauptfurt u¨ber die genannter Neusta¨dte in Schlesien im 13. und 14. Jahrhundert, in: Rechtsstadtgru¨ndungen (wie Anm. 3), S. 169–179.

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Oder zwischen Burg und Altstadt gelegene Insel mit einer reichen und gut bewirtschafteten Abtei der nach der Regel des hl. Augustinus lebenden Regularkanoniker.15 Es lohnt darauf hinzuweisen, dass sonst nur eine der u¨brigen hier analysierten Sta¨dte ihre Grenzen ausdehnte – na¨mlich Oko´ł in Krakau. Doch geschah dies nur in geringem Umfang und gegen ihren Willen und ihr Wohl.16 Diese Tatsache zeugt nicht nur davon, dass die Breslauer Altstadtgemeinde bereits Mitte des 13. Jahrhunderts u¨ber ein betra¨chtliches demografisches und wirtschaftliches Potential verfu¨gte, sondern auch von ihrer starken Position dem Herrscher gegenu¨ber. Die Neustadt stand also sofort im Schatten ihres viel ma¨chtigeren Nachbarn. Selbst die Wahrung der im Lokationsprivileg garantierten Rechte erforderte die entschiedene Unterstu¨tzung durch den Herzog. Obwohl diese Rechte im Jahre 1290 noch einmal besta¨tigt worden waren, veranlasste der Rat der Altstadt bereits 1306 ihre drastische Einschra¨nkung. Die neue Gemeinde befand sich von Anfang an in einer sehr ungu¨nstigen Situation, welche viel schwieriger war als in a¨hnlichen Siedlungen in Prag und Posen. Die na¨chste Etappe der urbanistischen Entwicklung der vier Agglomerationen ko¨nnen wir auf das zweite und dritte Viertel des 14. Jahrhunderts datieren. Einfu¨hrend ist der Vorbehalt zu machen, dass ihr Verlauf in Krakau Gegenstand von Kontroversen der Historiker ist. Umstritten sind die Lokation der in den Jahren 1321 und 1343 erwa¨hnten alta civitas, der Adressat des Privilegs vom 10. Juni 1335 fu¨r das „Neue Krakau“, das Funktionieren der Stadtgemeinde in Oko´ł sowie der Status des Siedlungsteils Kleparz vor 1366.17 Außer Zweifel steht, dass Kasimir der Große im Jahre 1335 die Lokation einer Stadt auf der su¨do¨stlich von der Burg gelegenen Insel vollzog, die durch einen Seitenarm der Weichsel von ihr getrennt war und sich auf das Knie des Hauptarms des Flusses stu¨tzte. Dieser neuen Siedlung verlieh er seinen Namen: Kazimierz. Sie umfasste bisher nur schwach bewirtschaftete Gebiete, auch wenn an die hier schon fru¨her existierenden drei Siedlungen erinnert werden muss, die sich um die wichtigen Kirchen St. Michael, St. Jakobus und St. Laurentius scharten. Nebenbei gesagt, stiftete der Herrscher in der Stadt noch zwei monumentale gotische Gottesha¨user: die Fronleichnams-Pfarrkirche und das Kloster der Augusti¨ ber die Insel fu¨hrte eine wichtige Handelsstraße aus Ungarn. Das der ner-Eremiten. U neuen Gemeinde zugeteilte Gebiet stand der Fla¨che der Altstadt nur wenig nach. Die Bu¨rger von Kazimierz erhielten auch das Recht zur Errichtung von Befestigungen,

15 Młynarska-Kaletynowa, Wrocław (wie Anm. 8), S. 37–38, 163; Mateusz Golinski, ´ Wrocław od

połowy XIII do poczatko ˛ ´ w XVI wieku [Breslau von der Mitte des 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts], in: Historia Wrocławia (wie Anm. 8), S. 95–220, hier S. 100f. 16 Hier u¨bergehe ich die hypothetische Verschiebung der Grenzen Krakaus in Richtung der St. Markusund Heiligkreuzkirche in den ersten Jahren nach der Lokation, die sowohl in zeitlicher als auch ra¨umlicher Hinsicht eine geradezu laufende Korrektur des Stadtplans dargestellt ha¨tte. 17 Diese Kontroversen trennten schon Franciszek Piekosinski ´ und Jo´zef Szujski. Janina Dziko´wna, Kleparz do 1528 roku [Kleparz bis zum Jahre 1528], Krako´w 1932, S. 16, vgl. Wyrozumski, Dzieje Krakowa (wie Anm. 5), S. 238–244, 259–266; Gawlas, Nova Civitas (wie Anm. 5), S. 108–110; Słon, ´ Miasta (wie Anm. 1), S. 288–306.

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die von jenen der Burg und der Krakauer Hauptgemeinde vo¨llig unabha¨ngig waren.18 Die mit dem Namen ihres Stifters bezeichnete neue Gemeinde, Kazimierz, trat gegenu¨ber dem an Sta¨rke zunehmenden Altstadtrat als Konkurrent in Erscheinung. Diese Konkurrenz darf freilich nicht als „gleichsam programmatische Vernichtung starker und zweifellos Einku¨nfte erbringender sta¨dtischer Organismen durch die Monarchen“ verstanden werden, „um an deren Stelle neue mit meistens zweifelhafter Zukunft zu schaffen“.19 Falsch ist die von Jan Dabrowski ˛ gestellte Alternative: Konkurrenz versus gegenseitiges Sich-Erga¨nzen beider wirtschaftlicher Organismen.20 Zweifellos war Kazimierz infolge der allgemeinen Entwicklung der Krakauer Hauptgemeinde entstanden und hemmte diese in der folgenden Zeit keinesfalls. Nur dass der Rat der Altstadt nicht alle Vorteile aus dieser Entwicklung in der Hand behielt, denn u¨ber einen betra¨chtlichen Teil von ihnen verfu¨gte nun der Rat von Kazimierz. Diese Mittel blieben nicht nur außer Reichweite fu¨r die Krakauer Ratsherren, sondern sie konnten auch gegen sie verwendet werden. Zweifellos sorgte sich der Ko¨nig um die wirtschaftliche Entwicklung Krakaus, aber ebenso wichtig war fu¨r ihn, dass diese keinen allzu großen Aufstieg der Altstadtkommune auf der politischen Bu¨hne nach sich zog. Noch vor 1366 wurde eine weitere Krakauer Stadt gegru¨ndet.21 Das Lokationsprivileg schloss die Umgestaltung der an der Gabelung der Handelsstraßen gelegenen und sich intensiv entwickelnden Nordvorstadt zu einem selbsta¨ndigen sta¨dtischen Organismus ab. Ihren Kern bildete die Siedlung an der Florianskirche, die noch aus dem 12. Jahrhundert stammte. Und von dieser Kirche erhielt sie den Namen Florenz, der jedoch bald durch die Bezeichnung Kleparz verdra¨ngt wurde. Trotz eines a¨hnlichen Umfanges von Rechten wie im etwas fru¨her gegru¨ndeten Kazimierz vollzog sich die Entwicklung dieses Zentrums unvergleichlich langsamer. Das im Lokationsprivileg enthaltene Recht auf Errichtung von Befestigungen haben die Beho¨rden von Kleparz nie in Anspruch genommen. Die ma¨chtige Altstadtgemeinde konnte nicht 18 Wanda Konieczna, Poczatki ˛ Kazimierza (do r. 1419) [Die Anfa¨nge von Kazimierz (bis zum Jahre

1419)], in: Studia nad przedmie´sciami Krakowa, Krako´w 1938, S. 7–90; Marian Friedberg, Zarys dziejo´w miasta Kazimierza [Abriss der Geschichte der Stadt Kazimierz], in: Inwentarz archiwum miasta Kazimierza pod Krakowem 1335–1802, bearb. v. Dems., Warszawa 1966, S. 9–15; Maria Borowiejska-Birkenmajerowa, Kształt s´ redniowiecznego Krakowa [Die Gestalt des mittelalterlichen Krakau], ´ Krako´w 1975, S. 157–177; Stefan Swiszczowski, Miasto Kazimierz pod Krakowem [Die Stadt Kazimierz bei Krakau], Krako´w 1981, S. 50–86; Bogusław Krasnowolski, Układ przestrzenny krakowskiego Kazimierza w wieku XIV [Die ra¨umliche Gliederung Krakaus im 14. Jahrhundert], in: Rocznik Krakowski 54 (1988), S. 17–57; Wyrozumski, Dzieje Krakowa (wie Anm. 5), S. 238–244. 19 Wyrozumski, Dzieje Krakowa (wie Anm. 5), S. 239. 20 Jan Dabrowski, ˙ ˛ Czy Kazimierz i Kleparz załozono jako miasta konkurencyjne dla Krakowa [Wurden Kazimierz und Kleparz als Konkurrenzsta¨dte fu¨r Krakau gegru¨ndet?], in: Ksi˛ega pamiatkowa. ˛ Praca z dziejo´w Polski feudalnej ofiarowane Romanowi Grodeckiemu, hg. v. Zofia Budkowa, Warszawa 1960, S. 181–187. 21 Dziko ´ wna, Kleparz (wie Anm. 17), S. 28–33; Borowiejska-Birkenmajerowa, Kształt (wie Anm. 18), S. 194–200; Wyrozumski, Dzieje Krakowa (wie Anm. 5), S. 259–269; schon auf das Jahr 1335 datiert die Gru¨ndung von Kleparz Jacek Laberschek, Anfa¨nge und territoriale Entwicklung der Krakauer Agglomeration im 13. – 14. Jahrhundert, in: Quaestiones Medii Aevi Novae 16 (2012), S. 385–410, hier 396–400, meines Erachtens nicht u¨berzeugend; die Entstehung der Stadtgemeinde kann man wohl auf das Jahr 1358 legen, Słon, ´ Miasta (wie Anm. 1), S. 305–306.

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zulassen, dass eine vor ihren Toren gelegene, auf dem ihr fru¨her zugewiesenen Gebiet entstandene und von ihr vo¨llig unabha¨ngige Siedlung an Sta¨rke gewann. Die Situation, die sich zur gleichen Zeit in Prag herausbildete, weist erstaunliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf. Auch hier waren zwei neue Sta¨dte entstanden: eine starke, die fu¨r die Altstadtgemeinde als ein zwar schwa¨cherer, aber dennoch verla¨sslicher Partner fungierte, wa¨hrend die andere Siedlung eine entschieden untergeordnete Rolle spielte. Eine von ihnen lag direkt vor den Mauern der Altstadt, die andere dagegen in betra¨chtlicher Entfernung von ihr, na¨mlich am gegenu¨berliegenden Ende der Agglomeration. Aber in Prag befand sich die sta¨rkere Stadt – die u¨bri¨ quivalent – gleich neben dem bisherigens auch viel sta¨rker war als ihr Krakauer A gen Hauptzentrum. Geplant und mit geradezu unwahrscheinlichem Elan erbaut und unter der besonderen Obhut von Karl IV. stehend, stellte sie fu¨r das bisherige Hauptzentrum eine gefa¨hrliche Herausforderung dar. Wenn man den Plan der Prager Altund Neustadt betrachtet, dann kann man den Eindruck gewinnen, dass es hier ganz einfach zu einer Erweiterung der ersteren und zur Errichtung eines neuen Mauerringes kam – allerdings war das neue Gebiet fast dreimal gro¨ßer als die bisher von Befestigungen umgebene Fla¨che.22 In Wirklichkeit kam es zu einer radikalen Vera¨nderung des Kra¨fteverha¨ltnisses im Bereich der Agglomeration, und zwar zu Ungunsten der a¨ltesten Gemeinde. Die fru¨her (wahrscheinlich unter Johann von Luxemburg) gegru¨ndete Stadtgemeinde in der westlichen Burgvorstadt am Hradschin war ein Schritt in dieser Richtung, allerdings von unvergleichlich geringerer Bedeutung.23 Im Ergebnis wa¨re die Altstadt Mitte des 14. Jahrhunderts nicht mehr imstande gewesen, selbst bei Gleichgu¨ltigkeit des sich um die neuen Gemeinden ku¨mmernden Herr¨ bernahme der Oberherrschaft u¨ber das ganze Siedlungsensemschers, Schritte zur U ble zu unternehmen. Nur die Neustadt verfu¨gte u¨ber ein ausreichendes Potential, sich solchen Gelu¨sten entschieden zu widersetzen. Am wenigsten wissen wir von den Vera¨nderungen, die sich zu dieser Zeit in Posen vollzogen; wahrscheinlich waren sie so geringfu¨gig, dass nur wenige Quellen daru¨ber erhalten sind. Aus dieser Zeit stammt eine Erwa¨hnung u¨ber die Bu¨rger (cives, 1335) und den Vogt von der Dominsel. Die vollen Stadtrechte konnte die Siedlung spa¨ter erhalten; ihre Besta¨tigung kennen wir erst aus dem Jahre 1444.24 Jedenfalls ließen sich bereits zu diesem Zeitpunkt Ambitionen des Domkapitels erkennen, das die Schaffung einer eigenen Stadtgemeinde anstrebte, die unter seiner Kontrolle stehen und 22 Zur Prager Neustadt gibt es eine reichhaltige Literatur; zu den wichtigsten Arbeiten geho¨ren: Privilegia

(wie Anm. 7), S. LXXV–XCI; Vile´m Lorenc, Nove´ Mˇesto Prazˇske´ [Die Prager Neustadt], Praha 1973; Nove´ Mˇesto prazˇske´ ve 14. – 20. stoletı´ [Die Prager Neustadt im 14. – 20. Jahrhundert], hg. v. Va´clav Ledvinka/Jirı´ Pesˇek, Praha 1998; siehe auch die wichtigen Bemerkungen zum Thema der gegenseiˇ tigen Beziehungen der Alt- und der Neustadt, Ivan Hlavacek, Stare´ a Nove´ Mˇesto Prazˇske´ a jejich spojeni na sklonku vla´dy Karla IV [Die Prager Alt- und Neustadt und ihre Verbindungen am Ausgang der Herrschaft Karls IV.], in: Documenta Pragensia 4 (1984), S. 84–98. 23 Die Stadt geho¨rte zum Amt des Burggrafen des Bo¨hmischen Ko¨nigreiches und wurde sicher auch ˇ von diesem gegru¨ndet, Tomek, Dˇejepis mˇesta Prahy, Bd. 1 (wie Anm. 11), S. 532–534; Jana´cek, Dzieje Pragi (wie Anm. 7), S. 69; Słon, ´ Miasta (wie Anm. 1), S. 232–245. 24 Gasiorowski, ˛ Miasto (wie Anm. 13), S. 231; Najmniejsze miasto Korony Polskiej. Ostro´wek, jego lokacja i trwanie [Die kleinste Stadt der Polnischen Krone: Ostro´wek – ihre Gru¨ndung und ihr Fortbestand], in: Kronika Miasta Poznania 1 (1997), S. 210–215.

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ihm Einku¨nfte bringen sollte. Das war ein weiterer Schritt dahin, in einem gewissen ¨ bergewicht der Altstadt zugunsten des auf dem linken Ufer gelegenen Grade das U Teils der Posener Agglomeration auszugleichen. In Breslau vollzogen sich in dieser Zeit a¨hnlich wichtige Vera¨nderungen wie in Krakau und Prag, die allerdings in vo¨llig entgegengesetzter Richtung verliefen. Am 9. August 1327 hob Herzog Heinrich VI. die Eigensta¨ndigkeit der Neustadt auf, die dem Gebiet der Altstadt eingegliedert wurde. Selbstversta¨ndlich stellte der Erlass des monarchischen Diploms nur den Wendepunkt eines schon la¨nger dauernden Prozesses dar. Als dessen Beginn kann bereits das Jahr 1306 angesehen werden, als die Privilegien der Neustadt zugunsten ihres sta¨rkeren Nachbarn ernstlich eingeschra¨nkt wurden. Seit dieser Zeit begann der Rat der Altstadt einen Teil der dem Herzog und dem Vogt der Neustadt zustehenden Gebu¨hren zu u¨bernehmen. Bereits nach dem Erlass des Inkorporationsaktes erfolgten weitere Rechtsregelungen, die alle Spuren der Eigensta¨ndigkeit der neusta¨dtischen Gemeinde beseitigten. Ihre Kro¨nung bildete der Aufkauf des Vogtamtes im Jahre 1329. Die Bewohner der inkorporierten, auf den Rang einer armen Vorstadt reduzierten Siedlung versuchten wahrscheinlich noch Widerstand zu leisten. Im Jahre 1333 brach in Breslau ein Weberaufstand aus, u¨ber dessen Verlauf allerdings nicht viel bekannt ist. Wir verfu¨gen lediglich u¨ber eine kurze Schilderung der Ereignisse, die den Gesichtspunkt des Altstadtrates widerspiegelt. Wahrscheinlich hat es sich kaum um eine homogene Bewegung gehandelt, doch du¨rfte der Aufstand – wie Alfred Kowalik gezeigt hat – vor allem eine Revolte der Gemeinschaft der Neustadt gewesen sein.25 Außer Zweifel steht, dass die Erhebung vergeblich war. Der Herzog stellte sich auf die Seite des Altstadtrates, und die Anfu¨hrer der Rebellion wurden zum Tode oder zur Verbannung verurteilt. Die Neustadt blieb lediglich als ein eigener Steuerbezirk der Gesamtstadt als gesonderte Einheit erhalten. Dabei zeichnete sich ihre Besonderheit auf vielen Ebenen deutlich ab. Die Bewohner der Neustadt wurden nach anderen Prinzipien besteuert, weil ihr Stadtviertel außerhalb der Mauer lag. Die Sitzungen des Scho¨ffengerichts fanden fu¨r die Alt- und die Neustadt getrennt statt. Letztere besaß auch einen eigenen Vogt, einem dem Rat unterstehenden Beamten mit bescheidenen gerichtlichen und administrativen Kompetenzen. Die Tuchmacher der Neustadt, die die Mehrheit der Grundstu¨cksbesitzer im Neustadtviertel bildeten, waren in einer gesonderten Zunft organisiert. Das Viertel stellte eine eigene Pfarrei dar, wobei die Rolle der Pfarrkirche das Spital und die Klosterkirche zum Heiligen Geist gemeinsam erfu¨llten.26 Ein Vertreter

25 Alfred Kowalik, Aus der Fru¨hzeit der Breslauer Tuchmacher, in: Beitra¨ge zur Geschichte der Stadt

Breslau 5 (1938), S. 5–74, hier S. 27–64; vgl. Roman Heck, Walki społeczne w s´ redniowiecznym Wrocławiu [Soziale Ka¨mpfe im mittelalterlichen Breslau], in: Rocznik Wrocławski 1 (1957), S. 45–81, hier S. 50–51, 55–60; Golinski, ´ Wrocław (wie Anm. 15), S. 138f.; Rosik, Wrocławskie (wie Anm. 14), S. 126. 26 Mateusz Golinski, ´ sredniowiecznego Wrocławia. Przestrzen´ – podatnicy – ´ Socjotopografia po´zno´ rzemiosło [Die Soziotopographie des spa¨tmittelalterlichen Breslau. Raum – Steuerzahler – Handwerk], Wrocław 1997, S. 220–237; Marek Słon, ´ Die Spita¨ler Breslaus im Mittelalter, Warszawa 2001, S. 101–105.

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der o¨rtlichen Elite, Johann Maurer, stiftete an der Wende des 14./15. Jahrhunderts die Friedhofskapelle St. Klemens .27 Die Entwicklung Breslaus und der u¨brigen hier analysierten Sta¨dte verlief bis zu diesem Zeitpunkt a¨hnlich. Eine grundsa¨tzliche Wende trat erst in der ersten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts ein. In Prag und Krakau kam es zur Fixierung der mehrgliedrigen Agglomerationsstruktur, und in Posen begann ein in die gleiche Richtung fortschreitender Prozess, der im 15. Jahrhundert dazu fu¨hrte, dass es auf dem rechten Ufer der Warthe ein Ensemble von drei kirchlichen Sta¨dten gab. Daher kann die Hypothese aufgestellt werden, dass das in der ersten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts jeweils bestehende Kra¨fteverha¨ltnis u¨ber die Gestalt dieser vier Zentren entschied. An erster Stelle sind diesbezu¨glich die Beziehungen zwischen der Hauptgemeinde und dem Monarchen zu nennen, sodann die Pra¨senz und Haltung anderer im Bereich der jeweiligen Agglomeration wirkender Kra¨fte. Vor allem waren alle vier „Altsta¨dte“ schon zu Beginn des 14. Jahrhunderts reif dazu, eine selbsta¨ndige Rolle auf der politischen Bu¨hne zu spielen. In Posen und Krakau kam dies in den gegen den Herzog gerichteten Rebellionen der an der Spitze der bu¨rgerlichen Elite stehenden Vo¨gte Albert (1311/12) und Przemko (1314) zum Ausdruck. Hervorgehoben werden muss, dass beide Erhebungen schnell mit einer Niederlage und mit strengen Repressionen gegen die Stadt endeten.28 Das Prager Patriziat war in den stu¨rmischen Jahren 1306/10 in zwei einander feindlich gesinnte Parteien gespalten, wobei jede von ihnen bereit war, ihrem Anwa¨rter die Tore zu o¨ffnen und den Gegenkandidaten mit allen Mitteln zu beka¨mpfen.29 Breslau rebellierte zwar nicht gegen seinen Herzog Heinrich VI., fu¨hrte aber fru¨her als dieser selbst und unabha¨ngig von ihm Verhandlungen mit den Luxemburgern u¨ber die Huldigung des Herzogtums. Es ist auch wahrscheinlich, dass die Stadt betra¨chtlich – u. a. finanziell – zum letztendlichen Abschluss des Vertrages von 1327 beigetragen hat, in dem der Breslauer Herzog Johann von Luxemburg zu seinem Erben bestimmte.30 Daher kann man sagen, dass die Breslauer Ratsherren eine Politik betrieben, die jener ihrer Posener und Krakauer Kollegen sehr a¨hnelte; allerdings taten sie das effektiver als letztere. Sie erwiesen sich nicht als treubru¨chige Rebellen, sondern als geschickte Diplomaten, und konnten daher mit der Dankbarkeit des Monarchen rechnen. In den Jahren 1327–1335, d. h. zwischen dem Abschluss des Vertrages und dem Tode Heinrichs VI., bildete sich in Breslau eine spezifische Situation heraus. Formell u¨bte der Herzog die Macht aus, z. B. hatte er unter anderem das Recht, neue Sta¨dte zu gru¨nden oder alte zu liquidieren. Gleichzeitig stellte der ihm formell unterstehende Breslauer Stadtrat

27 In – newenstat capellen gelegen, di Johannes Mawer gestiftet hat in der newestat; Archiwum Panst´

wowe we Wrocławiu, Akta m. Wrocławia, G I, 9. f. 172b., 1402. 28 Posen: Przywilej lokacyjny Poznania i dziedziczni wo´jtowie miasta [Das Lokationsprivileg Posens

und die Erbvo¨gte der Stadt], in: Kronika Miasta Poznania 1 (1999), S. 7–16, hier S. 11–13; Krakau: Wyrozumski, Dzieje Krakowa (wie Anm. 5), S. 199–212. 29 Jana´cek, ˇ Dzieje Pragi (wie Anm. 7), S. 65–67. 30 Karol Maleczynski, ´ Wrocław od czaso´w najdawniejszych do 1618 r. [Breslau seit a¨ltesten Zeiten bis zum Jahre 1618], in: Dzieje Wrocławia do roku 1807, hg. v. Dems./Wacław Długoborski/Jo´zef Gierowski, Warszawa 1958, S. 11–337, hier S. 170–175; Golinski, ´ Wrocław (wie Anm. 15), S. 133–135.

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de facto einen zumindest gleichrangigen Partner dar, besonders gegenu¨ber dem herzoglichen Souvera¨n – dem bo¨hmischen Ko¨nig. Denn es war klar, dass die ko¨nigliche Politik in Breslau bald nicht mehr vom Herzog realisiert werden wu¨rde, sondern vom Breslauer Magistrat. Die noch nicht sehr gefestigte Herrschaft der Luxemburger u¨ber Schlesien gebot ihnen, sich auf einen wertvollen Verbu¨ndeten zu stu¨tzen. Gerade in diese Jahre fallen u. a. der Abkauf der Vogtamtes beider Breslauer Gemeinden durch den Altstadtrat, die Einrichtung des Bu¨rgermeisteramtes, die Beauftragung eines der Bu¨rger mit der Landesvogtei und schließlich die Einverleibung der Neustadt. Knapp ein Jahr nach dem Abschluss des Vertrages mit den Luxemburgern fu¨hlte sich das Breslauer Patriziat soweit sicher, dass es sich offen gegen den Bischof stellte. Die Bu¨rger drangen in die Kathedrale und in die Ha¨user der Kanoniker ein, wobei sie Personen aus der na¨chsten Umgebung des Ortsbischofs beraubten und to¨teten. Dieser Konflikt endete zwar mit einer Niederlage der Breslauer, die allerdings eher einen Prestigeverlust als eine faktische Schlappe bedeutete. Die Ereignisse auf der Breslauer Dominsel lenken unsere Aufmerksamkeit – neben dem Verha¨ltnis zwischen der Altstadt und dem Herrscher – noch auf einen anderen Aspekt der Entwicklung der besprochenen Agglomerationen. Die Lokationen der Burgstadt (Hradschin) in Prag sowie der neuen Gemeinden in Posen waren kein Werk des Herrschers. Er musste ihnen zustimmen; sie durften der von ihm realisierten Politik nicht im Wege stehen, aber die Initiative musste nicht von ihm selbst ausgehen. Die Etablierung einer neuen Gemeinde konnte auch von anderen in der Stadt wirkenden Kra¨ften betrieben werden. Aber weder kirchliche Institutionen ¨ mter ausu¨bende Adlige verfu¨gten u¨ber solche Handlungsmo¨glichkeiten noch hohe A wie der Herrscher. Da wo sie neue Sta¨dte gru¨ndeten, beruhte dies praktisch darauf, einer Siedlung, die bereits u¨ber ein entsprechendes wirtschaftliches und demografisches Potential verfu¨gte, eine Selbstverwaltung zu geben.31 Die Existenz solcher Zentren, die mit der Entwicklung der ganzen Agglomeration allma¨hlich sta¨dtischen Charakter annahmen und einen entsprechend starken Go¨nner besaßen, der ihnen die Verleihung der Rechtsautonomie gewa¨hrleistete, war besonders wichtig in einer Stadt, in der sich keine Hauptresidenz des Monarchen befand. Wie wir sehen, war dies in Prag unter der Herrschaft Johanns von Luxemburg, in Posen seit 1314 und in Breslau seit 1335 der Fall. Die beiden letztgenannten Sta¨dte fungierten in der zweiten Ha¨lfte des 14. und im 15. Jahrhundert jeweils als Hauptzentrum einer der wichtigsten Provinzen des 31 Vergleichsmaterial bieten vor allem die Studien u¨ber die Vorsta¨dte: Stadterweiterung und Vorstadt, hg.

v. Erich Maschke/Ju¨rgen Sydow, Stuttgart 1969; Henryk Samsonowicz, Le „suburbium“ en Pologne, vers la fin du moyen aˆge: l’importance e´conomique et sociale des faubourgs au XIV–XVs., in: Studia Historiae Oeconomicae 13 (1978), S. 73–82; Karl Czok, Vorsta¨dte. Zu ihrer Entstehung, Wirtschaft und Sozialentwicklung in der a¨lteren deutschen Stadtgeschichte, Berlin 1979; Tomasz Jasinski, ´ Przedmie´scia s´ redniowiecznego Torunia i Chełmna [Die Vorsta¨dte des mittelalterlichen Thorn und Culm], Poznan´ 1982; zum „stadtscho¨pferischen“ Potential der Vorsta¨dte siehe Karlheinz Blaschke, Die Stellung der Vorsta¨dte im Gefu¨ge der mittelalterlichen Stadt, in: Stadtgrundriss und Stadtentwicklung. Forschungen zur Entstehung der mitteleuropa¨ischen Sta¨dte, hg. v. Peter Johanek, Ko¨ln 1997, S. 172–191, besonders S. 185; allerdings muss bemerkt werden, dass diese Autoren mit Blaschke an der Spitze den Vorsta¨dten sowohl die „Neusta¨dte“ als auch die Siedlungen um Burg und Kathedrale gegenu¨berstellen.

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Ko¨nigreiches. Unterschiedlich waren die Bedingungen der wirtschaftlichen Entwicklung, wie ein Vergleich der Bevo¨lkerungszahl nachdru¨cklich zeigt. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts za¨hlte Breslau etwa 20 000 Einwohner, wa¨hrend Posen fu¨nfmal kleiner war. Diese Proportionen a¨nderten sich im Verlauf des 15. Jahrhunderts zugunsten der Hauptstadt Großpolens, aber dennoch blieb sie eine mehr als zweimal kleinere ¨ quivalent.32 Trotz dieser Unterschiede ko¨nnen interessante Stadt als ihr schlesisches A Analogien im System beider Agglomerationen aufgezeigt werden. Fu¨r jedes der Pose¨ quivalent im Breslauer Siedlungskomplex nachgener Kirchensta¨dtchen kann ein A ´ ´ dka war eine Siedlung mit noch aus der Zeit vor der Lokation wiesen werden. Sro stammenden Traditionen rechtlicher Eigensta¨ndigkeit und mit Elementen einer sta¨dtischen Wirtschaft; von wesentlicher Bedeutung war auch der Besitz einer eigenen Pfarrei. Solche Kriterien erfu¨llte auch die bei Breslau gelegene wallonische Webersiedlung an der Mauritiuskirche, die vermutlich schon Anfang des 13. Jahrhunderts entstanden war. Bereits zur Zeit der ersten Lokation war sie zwischen kirchlichem und weltlichem Besitz aufgeteilt. Die so genannte zweite Lokation im Jahre 1261 fu¨hrte zu einer weiteren Teilung. Das bisher dem Herzog geho¨rende Gebiet befand sich teilweise innerhalb der neuen Stadtmauern, der Rest verblieb außerhalb dieser. Trotz der noch mindestens bis zum Ende des 14. Jahrhunderts bestehenden Reste einer Selbstverwaltung (Scho¨ffen und ein Vogt mit sehr beschra¨nkten gerichtlichen Kompetenzen, eine eigene Tuchmacherzunft, das wallonische Viertel innerhalb der Stadtmauern) hatte sie also keine Chance, sich zu einer eigensta¨ndigen Gemeinde zu entwickeln.33 Die Breslauer Sandinsel stellte a¨hnlich wie das Posener Chwaliszewo eine Bru¨cke zwischen der alten Burgstadt und dem Hauptzentrum dar, wo das kirchliche Eigentum dominierte. Auch hier standen der Entwicklung zu einer eigensta¨ndigen Gemeinde vor allem die Beschlu¨sse der so genannten zweiten Lokation von 1261 im Wege, die einen betra¨chtlichen Teil der Insel der Jurisdiktion der Stadt unterstellten. Die Abtei der Regularkanoniker, die hier ihren Sitz hatte und den Rest der Sandinsel besaß, versuchte spa¨ter erfolglos die Kontrolle u¨ber dieses ganze Gebiet zu gewinnen. Im Ergebnis bildete sich auf der Insel eine Doppelherrschaft heraus. Weitere Vertra¨ge zwischen dem Abt und dem Stadtrat vera¨nderten zwar deren Details etwas, aber das generelle Prinzip blieb unvera¨ndert. Jede der Seiten hatte in ihrem Teil der Sandin¨ bergewicht und verfu¨gte u¨ber Einflu¨sse im u¨brigen Territorium, was unter sel das U anderem in den Steuertarifen zum Ausdruck kam. Das Kloster besaß theoretisch weniger als die Ha¨lfte der Insel, aber gerade im bu¨rgerlichen Inselteil befanden sich u. a. der Konvent des weiblichen Zweiges dieses Ordens, ein Friedhof mit Kapelle,

32 Golinski, ´ Wrocław (wie Anm. 15), S. 207f.; Gasiorowski, ˛ Miasto (wie Anm. 13), S. 215. 33 Theodor Goerlitz, Die Breslauer Wallonenviertel, in: Beitra¨ge zur Geschichte der Stadt Breslau 3

´ asku (1937), S. 77–106; Benedykt Zientara, Wallonowie na Sl ˛ w XII–XIII wieku [Wallonen in Schlesien im 12. – 13. Jahrhundert], in: Przeglad ˛ Historyczny 66 (1975), S. 249–369, hier S. 353–357, Marek ´ Słon, ´ Poczatki ˛ osady walonskiej i ko´scioła s´ w. Maurycego we Wrocławiu [Die Anfa¨nge der wallo´ Maurycego na Przednischen Siedlung und der St.-Mauritz-Kirche in Breslau], in: Dzieje Parafii Sw. ´ mie´sciu Oławskim we Wrocławiu. Od poczatko ˛ ´ w osady walonskiej – poprzez czas Festung Breslau – ˙ do wspo´łczesno´sci, hg. v. Ro´scisław Zerelik, Wrocław 2007, S. 11–20.

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eine klo¨sterliche Scha¨nke und Mu¨hle, sowie ein Gerichtsplatz, wo der Abt Gericht u¨ber seine Untertanen von der Sandinsel hielt. Im zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts begann die Klosterkirche als Stadtpfarrei zu funktionieren, und an ihr entstand eine fu¨r die Bu¨rger offene Schule sowie ein Spital nach dem Vorbild sta¨dtischer Einrichtungen; mit dieser Zeit kann auch die Verleihung des Charakters eines Augustinerinnenkonvents fu¨r die Gemeinschaft der Beginen in Verbindung gebracht werden. An der Abtei entwickelte sich sowohl das in Zu¨nften organisierte als auch das zunftfreie Handwerk, auch wenn letzteres infolge des Druckes des Stadtrates nicht ¨ bte waren ausdru¨cklich darsehr zahlreich vertreten war.34 Die Bemu¨hungen der A auf gerichtet, die Sandinsel in einen besonderen sta¨dtischen Organismus umzugestalten; aber die dem sich entschieden widersetzende Politik des Stadtrates bewirkte, dass diese Bemu¨hungen keine Erfolgschancen hatten. Von einer sehr nahen Analogie ko¨nnen wir in Bezug auf die Dominsel sprechen; sogar der Name war in beiden Sta¨dten, Breslau und Posen, identisch. Am sta¨dtischen Charakter dieses Teils der Agglomeration kann keinerlei Zweifel bestehen, auch wenn er immer sta¨rker von den bu¨rgerlichen Standards abwich. In Breslau zeugen davon mindestens die immer noch von der Insel ausgeu¨bten zentralen Funktionen, die Anha¨ufung spezifisch sta¨dtischer Institutionen, die kontinuierliche, in hohem Maße steinerne Bebauung der Hauptstraße, das Ausmaß der zahlreichen Dienstleistungen mit dem Bierausschank an erster Stelle, die Ta¨tigkeit der Handwerker und schließlich die Entstehung einer besonderen Vorstadt. In Breslau u¨bte vor allem der mit dem Domkapitel zusammenarbeitende Bischof, der im 14. Jahrhundert als Hausherr dieses Gebietes angesehen wurde, die Kontrolle u¨ber die Insel aus. Den Bemu¨hungen, hier die volle Jurisdiktion zu erreichen, diente u. a. die Kumulierung der Besitztu¨mer im Bereich der Insel. Hindernisse bei der Realisierung dieses Ziels bildeten nicht so sehr das schrumpfende herzogliche Eigentum als vielmehr die Grundstu¨cke anderer kirchlicher Institutionen mit dem Kapitel des Heiligkreuz-Kollegiatstifts an der Spitze. In der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts versta¨rkte sich diese Aktion, was zu einem scharfen Konflikt zwischen dem Heiligkreuz-Kapitel und dem Bischof fu¨hrte. Bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts war die Insel bereits unter drei Besitzern aufgeteilt: dem Ortsbischof und zwei Kapiteln.35 Die entstandene Situation zeigt also im Vergleich mit Posen wesentliche Gemeinsamkeiten. Das gesamte Gebiet der fru¨heren Burgsiedlung und Burgvorstadt befand sich im Besitz der Kirche, mit dem Domkapitel an erster Stelle, das bemu¨ht war, hier eine Siedlung mit sta¨dtischen Eigenschaften zu entwickeln. Die unabha¨ngige und zugleich expansive Haltung der Heiligkreuz-Kanoniker besitzt beschra¨nkte Analogien in der Eigensta¨ndigkeit des dem Kapitel und dem Bischof geho¨renden Teils der Dominsel in Posen. Dazu kamen betra¨chtlich scha¨rfere Konflikte mit der kommunalen Hauptgemeinde

34 Mateusz Golinski, ´ ´ Podstawy gospodarcze mieszczanstwa wrocławskiego w XIII w. [Die wirtschaft-

lichen Grundlagen des Breslauer Bu¨rgertums im 13. Jahrhundert], Wrocław 1991, S. 10–14; ders., Socjotopografia (wie Anm. 26), S. 237–250; Słon, ´ Die Spita¨ler (wie Anm. 26), S. 247–249. 35 Die Vera¨nderungen auf der Dominsel pra¨sentiere ich auf der Grundlage bisher unvero¨ffentlichter ˙ Forschungsergebnisse von Adam Zurek, fu¨r deren Verwendung ich mich herzlich bei ihm bedanken mo¨chte; siehe auch Golinski, ´ Socjotopografia (wie Anm. 26), S. 250–256.

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Marek Słon´

als in der Stadt an der Warthe; im Verlauf des 14. Jahrhunderts wurde die Breslauer Dominsel dreimal (1328, 1340 und 1381) geplu¨ndert. Der Herrscher war bemu¨ht, die Position eines Vermittlers zu wahren, favorisierte jedoch deutlich die bu¨rgerliche Seite.36 Es ist kaum anzunehmen, dass das Kapitel in dieser Situation die Zustimmung zur Lokation der Insel erhalten ha¨tte. Die komplizierten Besitzverha¨ltnisse waren also nur einer von mehreren Faktoren, die hier die Entstehung einer eigensta¨ndigen Gemeinde erschwerten. Allerdings ist verwunderlich, warum das Kapitel dieses Privileg nicht in der Zeit des Konflikts der Stadt mit Georg von Podiebrad erhielt. Beim gegenwa¨rtigen Stand der Forschungen ist es schwierig, diese Frage zu beantworten. Zwei Hypothesen dra¨ngen sich auf, die einander keineswegs ausschließen. Die erste betrifft das fehlende Interesse der Kanoniker selbst an einer solchen Investition. Die schmerzlichen Erfahrungen des vorangegangenen Jahrhunderts mochten sie entmutigt haben, sich sta¨rker mit einem Gebiet zu verbinden, das in Reichweite eines gefa¨hrlichen Gegners lag. Die Haltung der Breslauer bewies, dass nicht einmal die ko¨nigliche Gnade eine ausreichende Sicherheitsgarantie darstellte. Gegen eine solche Interpretation sprechen jedoch die das gesamte 15. Jahrhundert hindurch andauernden Streitigkeiten zwischen dem Kapitel und dem Rathaus, die u. a. die Ta¨tigkeit der Handwerker auf der Dominsel betrafen; die Lokation ha¨tte also fu¨r die kirchliche Seite eine optimale Lo¨sung sein ko¨nnen.37 Die andere Hypothese steht gerade mit der Kraft in Verbindung, die die Breslauer Stadtkommune repra¨sentierte. Auch ¨ bermacht des Ko¨nigs beugen musste, wurde sie nie wenn sie sich letztendlich der U endgu¨ltig zerschlagen. Selbst in einer Zeit schmerzlicher Misserfolge konnte sie sich in der Stadt effektiv Lo¨sungen widersetzen, die fu¨r sie ungu¨nstig gewesen wa¨ren und fu¨r den Herrscher von zweitrangiger Bedeutung waren. Zu diesen Schwierigkeiten kamen noch die schlechten Beziehungen mit dem Heiligkreuz-Kapitel. Tatsache ist, dass es in Breslau das ganze 14. und 15. Jahrhundert hindurch zu keiner Lokation kam, obwohl in derselben Zeit in Prag und Krakau jeweils zwei neue Sta¨dte entstanden. Im 15. Jahrhundert fungierten die letzteren beiden Zentren bereits als Hauptsta¨dte von Territorialherrschaften, deren Sta¨rke und Charakter in nichts an ein Teilfu¨rstentum erinnerten. In dieser Zeit wa¨re daher vor allem Posen mit Breslau vergleichbar. Auch hier traten zwei neue Sta¨dte in Erscheinung. Das wirtschaftliche und demografische Potential der Siedlungen außerhalb der Altstadtmauern, ihre Eigensta¨ndigkeit, ihr Reichtum und die Einflu¨sse kirchlicher Institutionen, die die Schaffung eigener sta¨dtischer Organismen anstrebten – all dies war in beiden Zentren ¨ ber die Entwicklungsrichtung der Breslauer Agglomeration entschievergleichbar. U den fru¨here Ereignisse. Der Vergleich der Geschicke der hier betrachteten vier Sta¨dte verweist auf zwei Momente von besonderer Bedeutung. Das erste betrifft die Ausdehnung des Gebietes der Breslauer Hauptgemeinde im Jahre 1261, die in den u¨brigen hier betrachteten Sta¨dten keinerlei Analogien besitzt. Das war eine willku¨rliche Entscheidung 36 Tadeusz Silnicki, Dzieje i ustro´j Ko´scioła katolickiego na Sl ´ asku ´ XIV w. [Geschichte und ˛ do konca

Organisationsform der katholischen Kirche in Schlesien bis zum Ende des 14. Jahrhunderts], Warszawa 1953, S. 230–284. 37 Golinski, ´ Socjotopografia (wie Anm. 26), S. 254–255.

Warum nur ein Breslau?

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des Herzogs, welche das sta¨dtische Patriziat nicht zu erzwingen imstande war. Die Motive, von denen sich Heinrich III. der Weiße dabei leiten ließ, zeichnen sich nicht klar ab, besonders wenn man die fast gleichzeitige Gru¨ndung der Neustadt durch ihn in Betracht zieht. Man kann annehmen, dass in diesem Falle eine Politik der Fo¨rderung des Wachstums der Hauptstadt in einem breiteren Umfang realisiert wurde als dies in Großpolen, in Kleinpolen und in Bo¨hmen der Fall war. Die Breslauer Hauptgemeinde erhielt auf diese Weise außerordentlich gu¨nstige Bedingungen. Die zweite Wendezeit bildete der Beginn des 14. Jahrhunderts, als es in allen vier hier besprochenen Sta¨dten zu einer deutlichen Zunahme der Spannungen in den Beziehungen zwischen der sta¨dtischen Kommune und dem Herrscher kam. Nur in Breslau ging die ¨ ber einen solchen Ausgang entStadt aus dieser Konfrontation siegreich hervor. U schied in hohem Maße die geschickte Politik des Breslauer Patriziats, welches die gu¨nstige politische Situation in der Region auszunutzen verstand. Die Entstehung von Neusta¨dten war nicht das Ergebnis eines zufa¨lligen Zusammentreffens von Umsta¨nden, sondern eine natu¨rliche Entwicklungsstufe großer sta¨dtischer Zentren im o¨stlichen Mitteleuropa. Sie war zugleich eine Konsequenz der fu¨r diese Region charakteristischen Beziehungen zwischen dem Herrscher und der sich herausbildenden Stadtkommune. Zentrifugale Kra¨fte, die zur Entstehung autonomer Gemeinden im Bereich der Agglomeration fu¨hrten, traten in jedem der besprochenen Zentren in Erscheinung. Aber ohne Unterstu¨tzung seitens des Herrschers hatten sie keine Chance, sich der zentralistischen Politik der Altstadt zu widersetzen. Wa¨hrend die Topographie und der Charakter der „Satellitengemeinden“ in hohem Maße von sozialen und wirtschaftlichen Voraussetzungen abhingen, war die administrative Gestalt des sta¨dtischen Ensembles – vor allem die Zahl der hier funktionierenden sta¨dtischen Organismen – abha¨ngig vom Kra¨fteverha¨ltnis zwischen dem Herrscher und dem Altstadtmagistrat.38

38 Mehr dazu Słon, ´ Miasta (wie Anm. 1).

¨ FFENTLICHEN UND PRIVATEN DIE FORMIERUNG DES O RAUMS IM BRESLAU DES 13. JAHRHUNDERTS von Jerzy Piekalski*

I. Neue Forschungsansa¨tze

Sta¨dte haben ihre eigene Identita¨t. Diese wurzelt auch im Falle Breslaus im Mittelalter, in dem sich die besonders attraktiven, zentralen Bereiche der Stadt herausbildeten und ihre bis heute erhaltene Struktur entstand. Das mittelalterliche sta¨dtische Leben spielte sich in einem doppelten Rhythmus ab: in einem o¨ffentlichen und einem privaten Raum. Beide Spha¨ren waren voneinander separiert und doch miteinander verzahnt; beide waren fu¨r die Lebensfu¨hrung der Bu¨rger unentbehrlich, brachten die Interessen der Stadtgemeinde, wirtschaftliche Funktionen und privates Leben miteinander in Einklang. Der vorliegende Aufsatz will einen Beitrag zur mittelalterlichen Genese und Entwicklung des historischen Zentrums von Breslau leisten. Dazu kann er auf einen Fundus archa¨ologischer Quellen zuru¨ckgreifen, der in den letzten Jahren sprunghaft angewachsen ist. Die dank umfangreicher Bauinvestitionen und Stadtkernsanierungen lawinenartig vermehrten Quellen haben unseren bisherigen Wissenstand erheblich erweitert, zugleich aber auch vera¨ndert.1 Sie lassen einige wesentliche Pha¨nomene in neuem Licht erscheinen, so dass Probleme wie der Informationsfluss, die Handelskontakte, aber auch die Bevo¨lkerungsmigration zwischen dem westlichen und o¨stlichen Mitteleuropa wa¨hrend des 12. – 14. Jahrhunderts nach einer Neubewertung verlangen. So erweist sich beispielsweise, dass der rechtliche und gesellschaftliche Wandel sowie die Kommerzialisierung des sta¨dtischen Wirtschaftssystems offenbar fru¨her und intensiver erfolgten, als bisher angenommen. Auch das * Originalbeitrag, U ¨ bersetzung des Ausgangstextes von Heidemarie Petersen. 1 Die umfangreichen Befunde zu den Grundstu¨cken werden vorgestellt in der Studie Ze studio´w nad

˙ zyciem codziennym w s´ redniowiecznym mie´scie. Parcele przy ulicy Wi˛eziennej 10–11 we Wrocławiu [Studien zum Alltagsleben in der mittelalterlichen Stadt. Die Parzellen Stockgasse 10–11 in Breslau], hg. v. Cezary Bu´sko/Jerzy Piekalski, Wrocław 1999; zu den Quellenbesta¨nden zum Ringplatz vgl. Jolanta Bresch/Cezary Bu´sko/Czesław Lasota, Zachodnia pierzeja Rynku [Die westliche Ringzeile], in: Rynek wrocławski w s´ wietle badan´ archeologicznych, Bd. 1, hg. v. Cezary Bu´sko, Wrocław 2001, S. 15–72; Jolanta Bresch/Czesław Lasota/Jerzy Piekalski, Po´łnocna pierzeja Rynku. Stratygrafia nawarstwien´ kulturowych [Die no¨rdliche Ringzeile. Stratigraphie der Kulturschichten], in: Rynek wrocławski w s´ wietle badan´ archeologicznych, Bd. 2, hg. v. Jerzy Piekalski, Wrocław 2002, S. 11–69.

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Jerzy Piekalski

traditionell als Stadtgru¨ndung definierte bzw. als Lokation bezeichnete Pha¨nomen muss heute anders bewertet werden. Denn es stellt sich die Frage, ob der Zweck der im 13. Jahrhundert erteilten Stadtprivilegien tatsa¨chlich prima¨r darin bestand, die Wirtschaft zu beleben, oder ob es den diese Privilegien ausstellenden Herzo¨gen nicht eher darum ging, einen intensiv und unabha¨ngig ablaufenden Urbanisierungsprozess fiskalisch zu regulieren und ein System zu dessen Kontrolle zu implementieren. Neue chronologische Befunde erlauben die Feststellung, dass der Zustrom von Kaufleuten und Handwerkern aus dem Westen nach Breslau ebenso wie nach Prag, Stettin oder Krakau bereits vor der Konstituierung der Stadtgemeinden im rechtlichen Sinne eingesetzt hat. Die Diskussionen zur Struktur der Breslauer Lokationsstadt und ihrer fru¨hen Entwicklung haben in den letzten Jahren eine neue Richtung genommen. An die Stelle der statischen Methode, den Katasterplan des reguliert angelegten Teils der Stadt zu untersuchen, ist eine Analyse der Sachrelikte der a¨ltesten Bebauung auf den Grundstu¨cken getreten.2 Damit ist eine gewandelte Sicht auf die Bebauung der Lokationsstadt gewonnen worden, die mit gro¨ßerem Realismus als die a¨ltere Literatur davon ausgeht, dass dieselbe in mehreren, sich u¨ber einen la¨ngeren Zeitraum erstreckenden Etappen entstanden ist und nicht im Rahmen einer einmaligen Gru¨ndungsaktion. Dass sich die einzelnen Parzellen je nach ihrer Lage innerhalb der Stadt und je nach Wohlstand ihrer Eigentu¨mer voneinander unterschieden haben, hat Paweł Konczewski u¨berzeugend herausgearbeitet.3 Die von ihm fu¨r den su¨do¨stlichen Teil der Rechtsstadt beschriebenen Parzellen stellen sich anders dar als jene, die vom Ringplatz und dessen na¨herer Umgebung bekannt sind.4 Neben den Grundstu¨cken bilden die Straßen der Breslauer Altstadt seit langem einen Gegenstand der Forschung.5 Deren Tempo hat sich seit dem Jahr 2000 allerdings deutlich beschleunigt, da umfangreiche Kanal- und Leitungserneuerungen die Mo¨glichkeit ero¨ffneten, mittelalterliche Kulturschichten u¨ber eine La¨nge von mehreren Kilometern anzuschneiden. Von grundsa¨tzlicher Bedeutung waren dabei die entsprechenden Untersuchungen in den zum regulierten Stadtgrundriss geho¨renden Straßenzu¨gen Herrengasse, Schuhbru¨cke und Albrechtsgasse. Neben Informationen u¨ber die Art und Weise, in der die Straßen

2 Czesław Lasota, Rozwo´j zabudowy murowanej w s´ redniowieczu [Die Entwicklung der Steinbe-

bauung im Mittelalter], in: Rynek wrocławski w s´ wietle badan´ archeologicznych, Bd. 2 (wie Anm. 1), S. 69–77; Małgorzata Chorowska/Czesław Lasota, Die steinerne Bebauung der Ring- und Straßenzeilen im mittelalterlichen Breslau, in diesem Band S. 69–99. 3 Paweł Konczewski, Działki mieszczanskie ´ w południowo-wschodniej cz˛es´ ci s´ redniowiecznego i ˙ wczesnonowozytnego Wrocławia [Die bu¨rgerlichen Grundstu¨cke im su¨do¨stlichen Teil des mittelalterlichen und fru¨hneuzeitlichen Breslaus], Wrocław 2007; ders., Zur Parzellierung und Gro¨ße sta¨dtischer Grundstu¨cke im spa¨tmittelalterlichen Breslau, in diesem Band S. 45–68. 4 Małgorzata Chorowska u.a., Parcela Rynek 6/ul. Kiełba´snicza 5 we Wrocławiu. Rozwo´j zabudowy i ´ infrastruktury elitarnej działki mieszczanskiej w XIII–XIV w. [Das Grundstu¨ck Ringplatz 6/Herrengasse 5 in Breslau. Entwicklung von Bebauung und Infrastruktur eines Grundstu¨cks der sta¨dtischen ´ askie Elite im 13. – 14. Jahrhundert], in: Sl ˛ Sprawozdania Archeologiczne 54 (2012), S. 49–78. 5 Jo´zef Kazmierczyk, ´ Wrocław lewobrze˙zny we wczesnym s´ redniowieczu [Das linksufrige Breslau im Fru¨hmittelalter], T. 1–2, Wrocław 1966–1970; Cezary Bu´sko, Nawierzchnie ulic s´ redniowiecznego Wrocławia [Straßendecken im mittelalterlichen Breslau], in: Archaeologia Historica Polona 5 (1997), S. 117–132.

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Die Formierung des o¨ffentlichen und privaten Raums im Breslau des 13. Jahrhunderts

befestigt und konserviert wurden, haben diese Untersuchungen eine große Menge von beweglichen Funden erbracht, die eine Grundlage fu¨r die Analyse von Verhaltenskonventionen innerhalb des o¨ffentlichen Stadtraums bieten.6 14 13 5 11

4

21

1 19

Sand17

10

Nabitin Tschepine

insel

16

Falkenhorst Siedlungszone nach archäol. Untersuchungen Siedlungszone nach Schriftquellen ungefährerer Verlauf der Flüsse Burgwall Hauptstraßen Kirche, Lage sicher Kirche, Lage unsicher Friedhöfe Schänken nach Schriftquellen 0 Herrenhöfe nach Schriftquellen

20

12

6 Dominsel 2

3

22

15 7 pons Sancti Mauritii 9

8 18 500 m

Abb. 1: Breslau im 12. Jahrhundert 1 – Burg mit Burgkapelle, 2 – Kathedrale St. Johannes, 3 – Augustinerabtei mit Kirche Unsere Liebe Frau, 4 – Norbertinerabtei mit St. Vinzenz, 5 – St. Michaelis, 6 – St. Petri, 7 – St. Adalbert, ¨ gypten, 9 – St. Mauritius, 10 – St. Nikolai, 11 – Elbinger Jahrmarkt vor der 8 – St. Maria von A St.-Vinzenz-Kirche, 12 – Markt in der Siedlung am linken Oderufer, 13 – Hof der Familie Włostowic, 14 – Hof des Mikora, 15 – Hof des Gerung, 16 – Siedlung ad sanctum Adalbertum, 17 – ju¨dische Siedlung, 18 – wallonische Siedlung, 19 – Nabitin-Scha¨nke, 20 – Birvechnik-Scha¨nke, 21 – Scha¨nke ad finem pontis, 22 – Scha¨nke des Augustinerklosters Quelle: Piekalski, Die Lokation Breslaus (wie Anm. 42), S. 141

6 Ulice s´ redniowiecznego Wrocławia [Die Straßen des mittelalterlichen Breslaus], hg. v. Jerzy Piekal-

ski/Krzysztof Wachowski, Wrocław 2010.

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Jerzy Piekalski

II. Lokation und topographische Entwicklung – die Formierung des o¨ffentlichen Raums

Die Lokation Breslaus fand im linksufrigen Teil der fru¨hsta¨dtischen Agglomeration statt. Sie war ein zeitlich ausgedehnter Prozess, der durch mehrere Rechtsakte im ¨ berlieferung bietet keine ausrei13. Jahrhundert reguliert wurde. Die schriftliche U chenden Informationen u¨ber den Inhalt jener Regelungen. Die Mehrzahl der Historiker nimmt auf der Grundlage indirekter Indizien an, dass die erste Lokation zu deutschem Recht unter Herzog Heinrich dem Ba¨rtigen (1201–1238) oder Heinrich dem Frommen (1238–1241) vollzogen wurde. Der Lokationsvertrag wurde nicht aufgezeichnet, sondern nur in Form eines mu¨ndlichen Dekretes ausgegeben.7 Ein zweiter Rechtsakt wurde nach dem Mongoleneinfall im Jahr 1241, aber vor dem 10. Ma¨rz ¨ ber dessen Inkraftsetzung 1242 durch Herzog Bolesław den Kahlen vollzogen. U erfa¨hrt man lediglich aus Erwa¨hnungen in anderen Urkunden. Eine weitere Regelung wurde 1261 von Herzog Heinrich dem Weißen und seinem Bruder Władysław, dem Bischof von Salzburg, implementiert. Sie ist zugleich die erste sicher belegte schriftliche Regelung. Der Inhalt dieser Urkunde gilt den Beziehungen zwischen der Stadtgemeinde und dem Herzog, liefert aber keine klaren Informationen u¨ber die ra¨umlichen Transformationen der urbanen Strukturen.8 Die ju¨ngste Lokationsurkunde galt der Neustadt, die auf einem Terrain abgesteckt wurde, das im Osten an die alte Siedlung der Vorlokationszeit anschloss.9 Die media¨vistische Breslau-Forschung hat mehrere Konzepte zur Kla¨rung der in dieser Fru¨hphase vor sich gehenden Vera¨nderungen entwickelt. Einige davon sind nach neuen archa¨ologischen Funden verworfen worden, andere werden weiterhin diskutiert. Autor eines besonders originellen Konzeptes ist der Architekt Jerzy Rozp˛edowski. Er vertritt die Ansicht, dass durch die erste, sehr fru¨h – schon im ersten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts – vollzogene Lokation ein großes, innerhalb des so genannten a¨ußeren Grabens liegendes Gebiet erfasst wurde.10 Er tendiert dazu, diesen Graben mit der fossata prime locationis gleichzusetzen, die in der bereits angefu¨hrten Urkunde der Herzo¨ge Heinrich III. und Władysław aus dem Jahr 1261 erwa¨hnt wird. Die in dieser Ausdehnung reguliert angelegte Stadt habe sich lediglich 7 Marta Młynarska-Kaletynowa, Wrocław w XII–XIII wieku. Przemiany społeczne i osadnicze

[Breslau im 12. – 13. Jahrhundert. Vera¨nderungen in Gesellschaft und Siedlungsstruktur], Wrocław 1986, S. 100f. 8 Schlesisches Urkundenbuch. Bd. 2: 1231–1250, hg. v. Winfried Irgang, Wien/Ko¨ln/Graz 1977, Nr. 229; Bd. 3: 1251–1266, hg. v. dems., Ko¨ln/Wien/Graz 1984, Nr. 373–374. 9 Schlesisches Urkundenbuch, Bd. 3 (wie Anm. 8), Nr. 436; Stanisław Rosik, Wrocławskie Nowe Miasto. Przegrany konkurent, zbuntowany satelita czy intratna posada dla Gerharda z Głogowa [Die Breslauer Neustadt. Besiegter Konkurrent, aufru¨hrerischer Satellit oder eintra¨glicher Posten fu¨r Ger´ hard von Glogau], in: Civitas et Villa. Miasto i wie´s w s´ redniowiecznej Europie Srodkowej, hg. v. Cezary Bu´sko u.a Wrocław/Praha 2002; Marek Słon, ´ Miasta podwo´jne i wielokrotne w s´ redniowiecz´ nej Europie Srodkowej [Doppel- und Mehrfachsta¨dte im mittelalterlichen Zentraleuropa], Wrocław 2010, S. 150–157. 10 Jerzy Rozpedowski, ˛ Breslau zur Zeit der ersten Lokation, in: Rechtsstadtgru¨ndungen im mittelalterlichen Polen, hg. v. Eduard Mu¨hle, Ko¨ln/Weimar/Wien 2011, S. 127–138.

Die Formierung des o¨ffentlichen und privaten Raums im Breslau des 13. Jahrhunderts

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n. G

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Sand-

olen

bis zu ihrer Zersto¨rung durch die Mongolen im April 1241 dynamisch entwickelt. Die im Anschluss an den zersto¨rerischen Einfall folgende erneute Lokation durch Herzog Bolesław den Kahlen sei diesem Konzept zufolge von neuen Stadtgrenzen aus-

insel

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Falkenhorst ins

Neustadt

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Neumarkt Ringplatz

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Abb. 2: Das linksufrige Breslau um 1275 1 – Rekonstruierte Straße oder Weg, 1a – mit Holz befestigter Straßenabschnitt, 1b – unbefestigter Straßenabschnitt, 2 – Friedhof, 2a – Judenfriedhof, 3 – in schriftlichen Quellen besta¨tigte Siedlung, 3a – archa¨ologisch besta¨tigte Siedlung des 12. Jahrhunderts, 3b – archa¨ologisch besta¨tigte Siedlung aus dem 1. Drittel des 13. Jahrhunderts, 4 – Kirche, 5 – Scha¨nke, 6 – Brunnen, 7 – Turm der linksufrigen Burg, 8a – rekonstruierte Parzellierung (Parzellenbreite 60 Fuß), 9 – Trockengraben ¨ gypten, a – Augustinerabtei mit St. Marien, b – St. Adalbert, c – St. Maria-Magdalena, d – St. Maria von A e – St. Mauritius, f – Heiliggeist, g – St. Elisabeth, h – Franziskanerkloster mit St. Jakob i – Klarissenkloster mit St. Klaren, j – St. Mattha¨us, k – St. Georg (spa¨ter St. Agnes) Quelle: Chorowska, Regularna sie´c ulic (wie Anm. 20), S. 67–89, hier S. 86

gegangen, die bis auf den so genannten inneren Befestigungring eingeengt wurden. Ein Argument fu¨r Rozp˛edowskis Konzeption ko¨nnte die in einem u¨ber den inneren Graben hinausreichenden Bereich nachgewiesene Bebauung aus der ersten Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts sein, die danach innerhalb der großen Stadt der ersten Lokation gelegen ha¨tte. Ein Schwachpunkt dieser Konzeption besteht jedoch darin, dass sie die Spuren der fru¨hsta¨dtischen Siedlungsphase ignoriert, die gerade in jenem u¨ber den inneren Befestigungsring hinausreichenden Bereich auftreten.

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Jerzy Piekalski

Beachtenswert ist auch das schon im 19. Jahrhundert von Hermann Markgraf entwickelte Konzept,11 das davon ausgeht, dass mit der ersten Lokation ein Bereich im o¨stlichen Teil der spa¨teren Altstadt erfasst wurde, der sich mit der Ansiedlung ad sanctum Adalbertum der Vorlokationszeit deckt. Auf dieses Konzept sind Cezary Bu´sko und Jerzy Niegoda nach ihren archa¨ologischen Untersuchungen in diesem Bereich zuru¨ckgekommen.12 Ihr Versuch einer Rekonstruktion des unter Heinrich dem Ba¨rtigen entstandenen Stadtgrundrisses konnte in weiteren dort durchgefu¨hrten Grabungen jedoch nicht besta¨tigt werden. Dies bedeutet aber nicht, dass sich dieser Teil der Stadt nicht weiter entwickelt ha¨tte. Ganz im Gegenteil haben die 2010 begonnenen Untersuchungen dort eine sehr dynamische nichtagrarische Wirtschaftsta¨tigkeit und eine relativ hohe Bauqualita¨t insbesondere in den Pfostenkonstruktionen der Ha¨user festgestellt. Es gibt jedoch keine Anzeichen, die auf die Einfu¨hrung einer rechtlichen Regulierung in diesem Siedlungsteil verweisen wu¨rden. Ein weiteres Konzept, das sich seit Colmar Gru¨nhagen durch die Arbeiten vieler Autoren zieht, bringt die erste Lokation mit dem Gebiet rund um den heutigen Ringplatz in Zusammenhang.13 Dieser Bereich war in der Vorlokationszeit nicht besiedelt, ¨ berund sein Vorteil war seine relativ hohe Lage auf einer Terrasse oberhalb der U ¨ schwemmungszone, die relative Sicherheit vor Uberflutungen bot. Der Ero¨rterung bedu¨rfen im Falle dieses Konzeptes zwei Aspekte: die Datierung der a¨ltesten Siedlungsspuren und – wichtiger – der Absteckung des Marktplatzes, der mit ihm verbundenen Straßen sowie der Bebauungsblo¨cke. Das Problem der Chronologie der Siedlungsanfa¨nge und der wirtschaftlichen Nutzung des Ringplatzes und seines Umfeldes ha¨ngt mit dem Erhaltungszustand der a¨ltesten Kulturschichten zusammen. Dieser ist unterschiedlich, aber generell schlecht. Der Bereich der gro¨ßten Bauaktivita¨t der ersten Siedler, der sich, wie vermutet wird, auf die a¨ußeren Ra¨nder eines bereits abgesteckten Marktplatzes konzentrierte, wurde durch die Keller spa¨terer Bu¨rgerha¨user zersto¨rt. Auf diese Weise sind die Relikte der a¨ltesten Ha¨user und der zu ihnen geho¨renden Objekte nahezu vollsta¨ndig verschwunden. Zu den diesbezu¨glichen Ausnahmen geho¨rt die vom Hu¨hnermarkt eingenommene Fla¨che, die vom Ringplatz nach 11 Hermann Markgraf, Breslau als deutsche Stadt vor dem Mongolenbrande von 1241, Breslau 1881,

S. 532–534.

12 Jerzy Niegoda, Zmiany w strukturze przestrzennej lokacyjnego Wrocławia [Vera¨nderungen in der

Raumstruktur der Lokationsstadt Breslau], in: Medievalia Archaeologica 1 (1999), S. 51–55; ders., Zmiany w zagospodarowaniu przestrzeni w rejonie placu Nowy Targ w XII–XIV w. [Die Vera¨nderungen in der Raumnutzung im Bereich des Neumarktes im 12. – 14. Jahrhundert], in: Wschodnia strefa Starego Miasta we Wrocławiu w XII–XIII wieku. Badania na placu Nowy Targ, hg. v. Cezary Bu´sko, Wrocław 2005, S. 69–84, hier S. 78–84; Cezary Bu´sko, Wrocław u progu lokacji [Breslau an der Lokationsschwelle], in: ebd., S. 177–194, hier S. 182. 13 Colmar Gru¨nhagen, Breslau unter den Piasten als deutsches Gemeinwesen, Breslau 1861; Mateusz ´ Golinski, ´ Podstawy gospodarcze mieszczanstwa wrocławskiego w XIII wieku [Die wirtschaftliche Basis des Breslauer Bu¨rgertums im 13. Jahrhundert], Wrocław 1991, S. 165; ders., Socjotopografia ´ sredniowiecznego Wrocławia [Sozialtopographie des spa¨tmittelalterlichen Breslau], Wrocław po´zno´ ´ ´ 1997, S. 9; Małgorzata Chorowska, Sredniowieczna kamienica mieszczanska we Wrocławiu [Das mittelalterliche bu¨rgerliche Wohnhaus in Breslau], Wrocław 1994, S. 29; Jerzy Piekalski, Topographische Struktur Breslaus (Wrocław). Zwei Typen der mittelalterlichen Stadt im mitteleuropa¨ischen Binnenland, in: Urbanism in Medieval Europe. Papers of the „Medieval Europe. Brugge 1997“ Conference, Bd. 1, hg. v. Guy De Boe/Frans Verhaeghe, Zelik 1997, S. 219–226.

Die Formierung des o¨ffentlichen und privaten Raums im Breslau des 13. Jahrhunderts

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Osten in Richtung der Kirche St. Maria-Magdalena fu¨hrt. Sie wurde auf Kosten einer bereits existierenden Bebauung erweitert oder ganz neu abgesteckt. Kulturschichten und Baubefunde aus der dieser Erweiterung vorausgehenden Zeit hat Roland Mruczek untersucht.14 Er hat versucht, die aufgefundenen Konstruktionen in solche der „Vorlokationszeit“ und solche der „Lokationszeit“ zu unterscheiden, wobei Erstere seines Erachtens vor der Abmessung eines regulierten Stadtgrundrisses und der damit verbundenen Parzellierung entstanden seien. Damit scheint er den Begriff „Lokation“ mit der Parzellierung des fu¨r die Rechtsstadt vorgesehenen Terrains gleichzusetzen. Der „Vorlokationszeit“, die die a¨lteste Besiedelung des Ringplatzes markiere, rechnet Mruczek fu¨nf Objekte zu: einen Holzbau, drei zu diesem geho¨rende Gruben sowie eine ho¨lzerne Bodenabdeckung auf der Platzseite. Hervorzuheben ist, dass der Holzbau jenseits der Ringplatzkante lag und sich die von Mruczek nahegelegte Abweichung vom regulierten Grundriss auf die in einem metrologischen Verfahren rekonstruierten Parzellengrenzen bezieht.15 Auch in der als „Lokation“ bezeichneten Phase stimmten Bebauungsrand und Platzgrenzen nur anna¨hernd u¨berein. Die unterkellerten Geba¨ude wurden in Riegelbauweise ausgefu¨hrt, wa¨hrend die zu ihnen geho¨renden Tongefa¨ße in einer neuen Technik gefertigt waren, die als eine dem lokalen, fru¨hmittelalterlichen To¨pferhandwerk fremde Erscheinung interpretiert wird. Dass die von Mruczek vorgeschlagene Unterteilung in eine „Vorlokations-“ und eine „Lokations“phase nicht ausreichend begru¨ndet ist, wird durch die Siedlungskontinuita¨t belegt, die sich in der gleichen Bauweise, der gleichen Keramik, aber auch in den gleichen, in beiden Phasen auftretenden ho¨lzernen Bodenabdeckungen manifestiert, die ho¨chstwahrscheinlich einen bereits abgesteckten Platz markierten. Die Datierung der a¨ltesten Schichten auf dem Markplatz samt der fu¨r Breslau neuen Baukonstruktionen und Keramik wird durch eine Reihe dendrochronologischer Datierungen – nach 1209, nach 1224, nach 1227 und nach 1230 – erleichtert. Aus den a¨ltesten, von Mruczek der Vorlokationszeit zugeordneten Objekten wurden keine Daten gewonnen, und die Datierung nach 1209 bezieht sich auf eine Schicht im Zusammenhang mit der Nutzung einer am Ringplatz bereits existierenden privaten Parzelle. Die Datierungen aus den 1220er–30er Jahren spiegeln die Entwicklungsdynamik der Konstruktionen vor der in den 1240er oder 1250er Jahren erfolgten Anlage oder eher Erweiterung des Hu¨hnermarktes, die den Ringplatz mit der bereits zuvor existierenden Kirche St. Maria-Magdalena verband. Genau diese Dynamik, die auch durch die schnell anwachsende Kulturschicht besta¨tigt wird, widerspricht dem peripheren Charakter, den dieser Bereich bei einer Zuordnung zur Siedlung ad sanctum Adalbertum gehabt haben mu¨sste. Beachtenswert ist, dass die bei der Einmu¨ndung des Hu¨hnermarktes registrierte stratigraphische Struktur jener in anderen Abschnitten des Ringplatzes gleicht. Dabei 14 Roland Mruczek, Kurzy Targ we Wrocławiu. Uwagi o pierwotnym planie miasta [Der Hu¨hner-

markt in Breslau. Anmerkungen zum urspru¨nglichen Stadtgrundriss], in: Centrum s´ redniowiecznego ´ miasta. Wrocław a Europa Srodkowa, hg. v. Jerzy Piekalski/Krzysztof Wachowski, Wrocław 2000, S. 259–278. 15 Ebd., S. 268.

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geht es insbesondere um jene Sandschicht, die einen großen Teil einer Schicht bedeckt, die „nach 1209“ datiert wird und mit einem Geba¨ude (= Objekt 5) samt zugeho¨riger Gruben und ho¨lzerner Platzpflasterung in Verbindung gebracht wird. Vor der no¨rdlichen und der westlichen Ringzeile hat man eine mehrere Dutzend Zentimeter dicke Sandschicht in der gleichen stratigraphischen Position festgestellt – u¨ber dem urspru¨nglichen, im Laufe der Nutzung verarbeiteten Humus oder u¨ber der a¨ltesten Dungschicht. Diese Sandschicht stamme, so die Interpretation, vom Kellerbau her.16 Das Fehlen entsprechender Holzproben fu¨r eine dendrochronologische Analyse hat eine Datierung der a¨ltesten Schichten an den u¨brigen (no¨rdlichen, westlichen und o¨stlichen) Ra¨ndern des Ringes unmo¨glich gemacht. Ein Vergleich der stratigraphischen Position der Sandschicht entlang der gesamten Platzkante la¨sst u¨berall dieselbe Datierung wie an der o¨stlichen Platzfront, na¨mlich auf die Zeit nach 1209, zu, also auf das zweite oder spa¨testens das dritte Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts. Dies bietet selbstversta¨ndlich keine absolute Sicherheit, da man in der Stadt insbesondere zur Konstruktion der Straßendecken bekanntermaßen auch Holz aus abgerissenen a¨lteren Geba¨uden benutzt hat. Gleichwohl scheinen auch einige vor der westlichen Ringzeile gewonnene dendrochronologische Daten eine solche Chronologie des Nutzungsbeginns zu stu¨tzen. Vor dem Haus Ringplatz 3 hat man in der Ausschachtung fu¨r den aus Backsteinen gemauerten Beischlag ein Pfostenrelikt gefunden, aus dem dendrochronologische Datierungen nach 1241 und nach 1250 gewonnen wurden. Die stratigraphische Position des Pfostens belegt, dass er wahrscheinlich in einer Laubengangkonstruktion eingesetzt wurde, und zwar nach der Ablagerung einer Reihe von Schichten, die daher auf fru¨here Jahrzehnte zu datieren sind. Ganz a¨hnlich hat man vor dem Haus Ringplatz 8 in der neunten Schicht u¨ber dem gewachsenen Boden eine Rinne entdeckt, aus der einzelne, jeweils auf 1240, 1241, 1242 und 1244 datierte Elemente geborgen wurden. Die Position der Holzproben in der Stratigraphie gibt daru¨ber Auskunft, dass sich die Rinne in einer Schicht befand, die erst nach einer la¨ngeren Zeit der Gela¨ndenutzung entstanden ist.17 Die am westlichen Rand des Ringplatzes gewonnenen Einzelproben widersprechen nicht der Chronologie, die man an der Einmu¨ndung des Hu¨hnermarktes auf Grundlage einer Reihe von Datierungen erstellt hat, sondern besta¨tigen die Datierung des Nutzungsbeginns des Ringplatzes auf das zweite oder dritte Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts. Schon Mruczek hat darauf hingewiesen, dass mit einer solchen Datierung auch die auf der Parzelle Ringplatz 50/ Nadlergasse 18, also an der no¨rdlichen Platzfront gewonnenen Proben korrespondieren, wo man eine ho¨lzerne Geho¨ftplasterung, die a¨ltere Schichten bedeckte, auf 1245 (-6/+9 Jahre) datiert hat. Dasselbe gilt fu¨r die Parzelle Reuschegasse 2, wo eine der Proben auf das Jahr 1233 datiert worden ist.18 Auch aus dem no¨rdlich des Ring-

16 Bresch/Bu´sko/Lasota, Zachodnia pierzeja Rynku (wie Anm. 1), S. 53, 56, 61; Bresch/Lasota/Pie-

kalski, Po´łnocna pierzeja Rynku (wie Anm. 1), S. 25, 41, 45.

17 Bresch/Bu´sko/Lasota, Zachodnia pierzeja Rynku (wie Anm. 1), S. 66–68. 18 Mruczek, Kurzy Targ (wie Anm. 14), S. 30; Przemysław Guszpit/Andrzej Wi´sniewski, Działka

´ mieszczanska Rynek 50/Igielna 18 [Die Parzelle Ringplatz 50/Nadlergasse 18], in: Rynek wrocławski w s´ wietle badan´ archeologicznych, Bd. 2 (wie Anm. 1), S. 184–189, 204.

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platzes gelegenen Bereich sind dendrochronologische Daten bekannt, die eine relativ fru¨he Besiedelung belegen. Das Fa¨lldatum des Holzes fu¨r einen in den a¨ltesten Schichten der Parzelle Stockgasse 26a/Kupferschmiedegasse 26 gefundenen Stu¨tzbalken hat man auf das Jahr 1216 festgelegt. Ein direkt auf dem gewachsenen Boden aufgesetztes Haus in der Nadlergasse 8 ist auf ca. 1236 datiert worden.19 Die Konsequenz einer so fru¨hen Datierung des Nutzungsbeginns des Ringplatzes ist die Annahme, dass zur gleichen Zeit auch der Platz sowie die mit ihm verbundenen Straßen und deren Baublo¨cke abgesteckt wurden. Eine solche Annahme resultiert gleichwohl eher aus der logischen Schlussfolgerung, denn aus einer stabilen Quellengrundlage. Die Frage, ob sich ein regulierter Stadtgrundriss auch chronologisch unmittelbar mit einem der Lokationsakte in Zusammenhang bringen la¨sst, ist derzeit nicht zu beantworten. Und welcher sollte das sein? Die ra¨tselhafte, weil durch Quellen nicht besta¨tigte erste Lokation Heinrichs des Ba¨rtigen bzw. Heinrichs des Frommen? Oder die Lokation von 1242? Oder hatte der a¨lteste Markt in diesem Teil der Stadt den Charakter eines forum campestre, das man außerhalb der eigentlichen Bebauungszone anlegte, und das ein weiteres Element der polyzentrischen Fru¨hstadt gebildet hat? Małgorzata Chorowska nimmt gestu¨tzt auf jahrelange Forschungen zur Bebauung des mittelalterlichen Breslau an, dass Lokationsakt und innersta¨dtische Grundstu¨cksparzellierung keineswegs in eins gegangen sein mu¨ssen.20 Sie befu¨rwortet eine fru¨he Datierung der Lokation und einer Nutzung des Terrains um den Ringplatz, betont aber, dass die Errichtung einer großen Stadt aus versta¨ndlichen Gru¨nden ein sich u¨ber la¨ngere Zeit hinziehender Prozess gewesen sei. Der regulierte Stadtgrundriss Breslaus innerhalb des inneren Befestigungsringes sei das Ergebnis mehrerer Parzellierungsaktionen gewesen, die u¨ber mehrere Jahrzehnte hinweg organisiert worden seien. Die Analyse des Stadtgrundrisses mithilfe seiner Vermessung sei hilfreich bei Versuchen, die aufeinanderfolgenden Parzellierungszonen zu rekonstruieren. Die seit langem in der Breslauer Altstadt praktizierte Methode zeige, dass die auf diesem Weg gewonnenen Resultate durch die archa¨ologische Untersuchung der Parzellen, ihrer ho¨lzernen Bebauung, aber insbesondere der in den Kellern erhaltenen Relikte steinerner Ha¨user erfolgreich verifiziert werden ko¨nnen. Denn gerade Letztere schreiben ha¨ufig die im 13. Jahrhundert markierten Grenzen fest.21 Eine wert-

19 Jerzy Piekalski, Z badan´ drewnianej zabudowy s´ redniowiecznej działki mieszczanskiej ´ asku ´ na Sl ˛

[Untersuchungen der Holzbebauung privater Parzellen in Schlesien], in: Kwartalnik Historii Kultury Materialnej 44 (1996), S. 5–12; ders., Holzbauten im spa¨tmittelalterlichen Breslau, in: Archa¨ologisches Korrespondenzblatt 26 (1996), 363–375; Mruczek, Kurzy Targ (wie Anm. 14), S. 30. 20 Małgorzata Chorowska, Regularna sie´c ulic. Powstanie i przemiana do poczatku ˛ XIV w. [Das regula¨re Straßennetz. Entstehung und Wandel bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts], in: Ulice s´ redniowiecznego Wrocławia (wie Anm. 6), S. 67. 21 Małgorzata Chorowska/Czesław Lasota, O s´ redniowiecznej kamienicy wrocławskiej na tle socjotopografii Starego Miasta [Das mittelalterliche Haus in der Sozialtopographie der Breslauer Altstadt], in: Architektura Wrocławia. Bd. 1: Dom, hg. v. Jerzy Rozpedowski, ˛ Wrocław 1995, S. 51–73; Czesław Lasota/Małgorzata Chorowska, Działka lokacyjna we Wrocławiu [Die Lokationsparzelle in Breslau], in: Architektura Wrocławia. Bd. 2: Urbanistyka, hg. v. Jerzy Rozpedowski, ˛ Wrocław 1995, S. 65–85.

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volle Zusammenfassung dieser Unternehmungen stellt der ju¨ngste Rekonstruktionsversuch zur Entwicklung des Breslauer Stadtgrundrisses im 13. Jahrhundert dar.22 Die sich vollziehenden Vera¨nderungen werden darin in Zeitabschnitten von je 25 Jahren pra¨sentiert, der freilich angesichts der derzeit verfu¨gbaren Datierungsmo¨glichkeiten archa¨ologischer Funde (etwa der in den Kellern der Bu¨rgerha¨user erhaltenen Mauern) als etwas zu kleinteilig erscheint. Auch die von Chorowska vorgeschlagene Reihenfolge, in der die einzelnen Bereiche bebaut worden sein sollen, erscheint diskussionswu¨rdig. Sie entspricht eher der Vorstellung der Autorin, als dass sie ein Resultat reiner Quellenanalyse wa¨re. Der Wert des Vorschlags von Chorowska besteht jedoch nicht in den Details, sondern darin, dass er in realistischer Weise die generellen Entwicklungstendenzen in der Bebauung der Lokationsstadt aufzeigt. Er la¨sst ein Nebeneinander der alten Ansiedlung ad sanctum Adalbertum und der Anlage des Ringplatzes sowie der ihn umgebenden Baublo¨cke zu. Bis etwa zur Mitte des 13. Jahrhunderts kamen hier weitere Parzellenblo¨cke hinzu, die zumindest teilweise auch bebaut wurden. Außerhalb des Gebietes der Lokationsgemeinde verblieben das herzogliche Gela¨nde an der Oder und die alte Ansiedlung (Abb. 3). Nach der Lokation von 1261 wurde die alte Siedlung ad sanctum Adalbertum aufgelo¨st, der o¨stliche Bereich der Altstadt parzelliert und ein Jahr spa¨ter die Neustadt gegru¨ndet. Damals fu¨gte man der Stadt nach Su¨den und Westen auch einen breiten Gela¨ndestreifen hinzu, mit dem die ra¨umliche Entwicklung der mit Stadtrecht begabten Siedlungsteile abgeschlossen wurde (Abb. 2). Die stadtra¨umlichen Vera¨nderungen mu¨ndeten in einen regulierten, schachbrettartigen Stadtgrundriss. Dieser wies drei rechteckige Marktpla¨tze auf – den zentral gelegenen Ringplatz mit einer Gro¨ße von 180 × 200 m, den ihm su¨dwestlich benachbarten Salzmarkt mit einer Fla¨che von 80 × 120 m sowie – als ju¨ngsten – den an der Stelle der vorlokationszeitlichen Siedlung in einem Ausmaß von 85 × 120 m abgesteckten Neumarkt. Auf dem Ringplatz entstand spa¨testens in der zweiten Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts ein Komplex von permanenten Markteinrichtungen, die dem Herzog geho¨rten und von den Kaufleuten angemietet wurden.23 Die Nord-Su¨dachse des Stadtgrundrisses bildeten die Schmiedebru¨cke, die vom Ring zu der an der Oder gelegenen neuen herzoglichen Burg fu¨hrte, sowie die Schweidnitzer Gasse, die vom Ring nach Su¨den zur west-o¨stlichen Landroute fu¨hrte. Die Ost-Westachse markierten die Reuschegasse, die vom Ring u¨ber den Salzmarkt zum Nikolaitor fu¨hrte, von wo aus die Landroute nach Liegnitz und ins Reich ausging, sowie die Ohlauer Gasse, die zum einstigen Ohlauer Tor und in Richtung Krakau fu¨hrte. Die u¨brigen Straßen wurden parallel bzw. im rechten Winkel zu diesen Achsen angelegt. Abweichungen vom regulierten Grundriss resultieren aus der notwendigen Anpassung an die durch die Befestigungsanlagen markierten a¨ußeren Grenzen der Stadt sowie aus unerla¨sslichen Verku¨rzungen der Verkehrsfu¨hrung. Archa¨ologische Untersuchungen der Straßen haben ihren stabilen Verlauf wa¨hrend

22 Chorowska, Regularna sie´c ulic (wie Anm. 20), S. 78–88. 23 Rafał Czerner, Zabudowy rynko´w. Sredniowieczne ´ ˙ bloki s´ ro´drynkowe wybranych duzych miast

´ aska Sl ˛ [Marktbebauungen. Die mittelalterlichen inneren Ringbebauungsblo¨cke ausgewa¨hlter großer Sta¨dte Schlesiens], Wrocław 2002, S. 17–25.

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Abb. 3: Breslau. Topographische Struktur der Siedlung am linken Oderufer um 1250 1 – Rekonstruierte Straße oder Weg, 1a – mit Holz ausgelegter Straßenabschnitt, 1b – unbefestigter Straßenabschnitt, 2 – Friedhof, 2a Judenfriedhof, 3 – in schriftlichen Quellen belegte Siedlung, 3a – archa¨ologisch belegte Siedlung des 12. Jahrhunderts, 3b – archa¨ologisch belegte Siedlung aus dem 1. Drittel des 13. Jahrhunderts, 4 – Kirche, 5 – Scha¨nke, 6 – Brunnen, 7 – Turm der linksufrigen Burg, 8a – rekonstruierte Parzellierung (Parzellenbreite 60 Fuß), 8b – rekonstruierte Parzellierung (Parzellenbreite 50 Fuß) ¨ gypten, a – Augustinerabtei mit St. Maria, b – St. Adalbert, c – St. Maria-Magdalena, d – St. Maria von A e – St. Mauritius, f – Heiliggeist, g – St. Elisabeth, h – Franziskanerkloster mit St. Jakobi, i – Klarissenkloster mit St. Klaren, j – St. Mattha¨us, k – St. Georg (spa¨ter St. Agnes) Quelle: wie Abb. 2, S. 85

des Spa¨tmittelalters und der Neuzeit besta¨tigt.24 Der im Norden an der Oder gelegene Grundstu¨cksstreifen wurde nicht den Bu¨rgern u¨bertragen. Er blieb im unmittelbaren Besitz des Herzogs, und seine einzelnen Teile wurden schrittweise fu¨r Investitionen der Kirche freigegeben. Die bereits erwa¨hnte ju¨ngere herzogliche Burg wurde an einem neuen Oderu¨bergang angesiedelt.25 24 Bu´sko, Nawierzchnie ulic s´ redniowiecznego Wrocławia (wie Anm. 5); Paweł Konczewski/Jerzy Pie-

kalski, The streets of medieval Wrocław. Methods of construction and functions, in: Ulica, plac i ´ ˙ cmentarz w publicznej przestrzeni s´ redniowiecznego i nowozytnego miasta Europy Srodkowej, hg. v. Stefan Krabath/Jerzy Piekalski/Krzysztof Wachowski, Wrocław 2011, S. 155–162. 25 Czesław Lasota/Paweł Konczewski/Jerzy Piekalski, Zamek ksia˙ ˛z˛ecy na lewym brzegu Odry we Wrocławiu w s´ wietle badan´ z lat 2005–2006 [Die herzogliche Burg auf dem linken Oderufer in Breslau ´ askie im Licht der Untersuchungen in den Jahren 2005–2006], in: Sl ˛ Sprawozdania Archeologiczne 49 (2007), S. 225–254.

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An der nordwestlichen Ecke des Ringes entstand an der Stelle des a¨lteren Friedhofes die neue Pfarrkirche der hl. Elisabeth von Thu¨ringen. Ihre Errichtung hat man auf der Grundlage architektonischer Details in die 1220er/30er Jahre datiert.26 Allerdings legt das Patrozinium der 1231 gestorbenen und 1235 selig gesprochenen hl. Elisabeth eine geringfu¨gige Verschiebung dieser Datierung in die 1230er bis 1240er Jahre oder sogar in die Zeit nach der Lokation von 1242 durch Bolesław den Kahlen nahe. Das zweite Patrozinium dieser Kirche – jenes des hl. Laurentius – wird erst im 15. Jahrhundert erwa¨hnt; es auf die erste Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts zu beziehen, erscheint unbegru¨ndet.27 Die Elisabeth-Kirche war im Breslau des 13. Jahrhunderts eine von ¨ lter war die Pfarrei St. Maria Magdalena, die in der neuen zwei großen Pfarrkirchen. A Topographie der Stadt o¨stlich des Ringplatzes lag. Spezifisch war die Situation der Mendikanten in Breslau. Sie tauchten auch hier vor der Lokation oder in der Transformationszeit auf. Doch wurden sie anders behandelt als die bescheidenen Dominikaner- und Franziskaner-Gemeinschaften in den Sta¨dten Su¨d- und Westeuropas, wo sie gewo¨hnlich an der Peripherie angesiedelt wurden.28 In Breslau u¨bernahmen die Dominikaner 1226 die im Su¨dteil der linksufrigen Ansiedlung bereits existierende, bisherige Pfarrkirche St. Adalbert. Die Franziskaner erhielten ein Gela¨nde an der Bru¨cke zur Sandinsel, also wahrscheinlich am Markt der Vorlokationszeit. Sie erhielten das Privileg, den Herzogshof Heinrichs II. seelsorgerisch zu betreuen. Nach dessen Tod in der Schlacht bei Liegnitz (1241) wurde der Herzog in ihrer Kirche St. Jakob beigesetzt.29 Die Entwicklung der Lokationsstadt vera¨nderte die ra¨umliche Position der Klo¨ster. Erst durch die neu abgesteckten Stadtgrenzen und das neue Zentrum am Ringplatz wurde ihre periphere, der allgemeineuropa¨ischen Tendenz entsprechende Lage begru¨ndet. Eine klare Bestimmung der Grenzen der Lokationsstadt ist in Breslau nicht einfach. Diese deckten sich na¨mlich nicht mit dem nach der Lokation errichteten so genannten inneren Befestigungsring, der eine Fla¨che von ca. 40 ha einfasste und ein an das linke Oderufer anschließendes, unregelma¨ßiges Oval bildete. Innerhalb dieses Ovals lag das der Bu¨rgergemeinde zugeteilte Terrain, aber auch ein wesentlicher Teil der alten Ansiedlung der Vorlokationszeit, die auf der Basis des alten Fu¨rstenrechtes funktionierte, sowie der bereits erwa¨hnte Bereich an der Oder, der unter der unmittelbaren Kontrolle des Herzogs verblieb. Man kann versuchen, die Ausdehnung des vom Stadtrecht erfassten und den Bu¨rgern u¨bertragenen Bereiches zu rekonstruieren, indem man diesen mit den Ausmaßen des regulierten Stadtgrundrisses abgleicht. Diese a¨nderten sich jedoch bekanntermaßen im Laufe der Zeit.

26 Czesław Lasota/Jerzy Rozpedowski, ˛ Rozwo´j przestrzenny ko´scioła franciszkano´w we Wrocławiu

[Die ra¨umliche Entwicklung der Franziskanerkirche in Breslau], in: Prace Naukowe Instytutu Historii Architektury, Sztuki i Techniki Politechniki Wrocławskiej 14 (1981), S. 16–21. 27 Młynarska-Kaletynowa, Wrocław (wie Anm. 7), S. 103–104. 28 John Moorman, A History of the Franciscan Order from the Origins to the Year 1517, Oxford 1968, S. 62–72; Bernhard Stu¨deli, Minoritenniederlasungen und mittelalterlicheStadt, Werl 1969, S. 68–84. 29 Benedykt Zientara, Heinrich der Ba¨rtige und seine Zeit. Politik und Gesellschaft im mittelalterlichen Schlesien, Mu¨nchen 2002, S. 320f.; Lasota/Rozpedowski, ˛ Rozwo´j przestrzenny (wie Anm. 26).

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Ein Teil des bereits in der Vorlokationszeit besiedelten Gela¨ndes befand sich jenseits des Befestigungsringes, also sicher jenseits des stadtrechtlichen Geltungsbereiches. Hierbei handelt es sich hauptsa¨chlich um ein su¨dlich der Kirche St. Adalbert gelegenes Gebiet, das sich weiter entlang der Straßen nach Bo¨hmen und Krakau, d. h. ¨ gypterin im Su¨den bis zu den die Fru¨hstadt abschließenden Kirchen St. Maria der A und St. Mauritius im Su¨dosten erstreckte. Infolge der Absteckung und Errichtung der Befestigungsanlagen wurde deren Vorfeld von der vorhandenen Bebauung gesa¨ubert. Es ist zu beachten, dass dies auch die mit Sicherheit nichtagrarische, also in wirtschaftlicher Hinsicht sta¨dtische Ansiedlung der Wallonen betraf. Jenseits der Rechtsstadt lag außerdem die auf die ersten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts datierte Bebauung der Vorlokationszeit in dem westlich des inneren Befestigungsringes gelegenen Bereich.30 Die rechtliche und organisatorische Uneinheitlichkeit des von den sta¨dtischen Befestigungsanlagen eingefassten Bereiches war nicht nur fu¨r Breslau charakteristisch. In Schlesien findet sich eine a¨hnliche Situation auch in Glogau. Mit einer neuen Grenze und in der Konsequenz auch mit Befestigungsanlagen wurden dort die Kolonistengemeinde der 1250 konstituierten Lokationsstadt, aber auch eine an der Oder gelegene Ansiedlung der Vorlokationszeit umschlossen, die das neue Recht nicht erhielt.31 Marian Kutzner hat Letztere als „herzoglichen Rechtsbezirk [jurydyka]“ bezeichnet, um hervorzuheben, dass deren Bevo¨lkerung dem Herrscher rechtsunterta¨nig war. Es scheint, dass Kutzners Konzeption die neue Situation der aus der Vor´ lokationszeit stammenden Ansiedlung gut abbildet, obwohl, wie Mateusz Golinski mit Nachdruck betont hat, eine solide Quellenbasis fehlt.32 Die rechtliche Uneinheitlichkeit des in Breslau durch die Befestigungsanlagen umfassten Terrains wurde mit dem Lokationsakt des Jahres 1261 u¨berwiegend beseitigt. Damals wurde der Stadt ein neues Gela¨nde hinzugefu¨gt und damit die Errichtung der so genannten a¨ußeren Befestigungsanlagen ermo¨glicht.33 Jenseits der kommunalen Rechtsstadt verblieben die Dominsel mit der alten Herzogsburg, dem Dom sowie der bischo¨flichen Residenz, das Vinzenzkloster auf dem Elbing und das Marienkloster auf der Sandinsel. Die 1262 gegru¨ndete Neustadt wurde nach kurzer Zeit der ma¨chtiger werdenden Selbstverwaltung der Altstadt unterstellt.

30 Andrzej Jastrzebski/Jerzy ´ ˛ Piekalski/Irena Wysocka, Badania dawnych działek mieszczanskich

´ Mikołaja 19–25 i Nowy Swiat ´ przy ulicach Sw. 38–40 we Wrocławiu [Die Erforschung der alten priva´ askie ten Grundstu¨cksparzellen an der Nikolaigasse 19–25 und Neueweltgasse 38–40 in Breslau], in: Sl ˛ Sprawozdania Archeologiczne 43 (2001), S. 336. 31 Zenon Hendel/Sławomir Mozdzioch, ´ Die fru¨hsta¨dtischen Siedlungskomplexe und Lokationssta¨dte ¨ nderungen der Raumstruktur im Lichte der archa¨ologischen Quellen), in Schlesien im 12. – 13. Jh. (A in: Hausbau und Raumstruktur fru¨her Sta¨dte in Ostmitteleuropa, hg. v. Hansju¨rgen Brachmann/Jan Kla´psˇte, ˇ Praha 1996, S. 87–100. 32 Marian Kutzner, Głogo´w [Glogau], in: Studia nad poczatkami ˛ i rozplanowaniem miast nad s´ rodkowa˛ Odra˛ i dolna˛ Warta˛ (wojewo´dztwo zielonogo´rskie). Bd. 2, hg. v. Zdzisław Kaczmarczyk/Andrzej W˛edzki, Zielona Go´ra 1970, S. 151; Mateusz Golinski, ´ Woko´ł problematyki formowania si˛e stanu ´ mieszczanskiego w Polsce [Zur Herausbildung eines Bu¨rgerstandes in Polen], in: Scripta Historia Medievalia 2 (2012), S. 7–76, hier S. 25–27. 33 Paweł Konczewski/Roland Mruczek/Jerzy Piekalski, Mittelalterliche und fru¨hneuzeitliche Stadtbefestigung in Breslau, in: Lu¨becker Kolloquium zur Stadtarcha¨ologie im Hanseraum VII. Die Befestigungen, hg. v. Manfred Glaeser, Lu¨beck 2010, S. 597–614.

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Welche Bevo¨lkerung konstituierte die Breslauer Stadtgemeinde? Schon lange nicht mehr aktuell sind a¨ltere Interpretationen, die den autochthonen Charakter der vorlokationszeitlichen Siedlung bzw. den immigrantischen Charakter der Rechtsstadt betonen. Die Mo¨glichkeiten, dem Problem eingehender nachzugehen, sind wegen des Mangels an eindeutigen Schriftquellen nicht sehr groß; eventuelle Resultate bergen ein hohes Fehlerrisiko oder ko¨nnen zu Missversta¨ndnissen fu¨hren.34 Das Problem selbst ist jedoch von so wesentlicher Bedeutung, dass man sich schwerlich des Versuchs einer Stellungnahme enthalten kann. Historiker und Archa¨ologen stimmen darin u¨berein, dass die Transformation der Sta¨dte Ostmitteleuropas im 13. Jahrhundert mit der Zuwanderung von Kolonisten aus den deutschsprachigen Territorien verknu¨pft war.35 Die Analyse der spa¨ten Vorlokationsphase in Breslau erlaubt durchaus die Annahme, dass seine Bevo¨lkerung, a¨hnlich wie in Prag, bereits damals multiethnisch war. Die uneinheitliche Ansicht der Forschung bezu¨glich der – Ende des 12. oder auch zu Beginn des 13. Jahrhunderts erfolgten – Zuwanderung der Wallonen nach Breslau a¨ndert nichts an der Tatsache, dass ihre Siedlung als Teil der aus der Vorlokationszeit stammenden Agglomeration existierte.36 Nicht zu bezweifeln und durch die u¨berlieferten Grabsteine belegt ist auch die fru¨he Pra¨senz einer ju¨dischen Gemeinde. Schwieriger ist es dagegen, die Frage nach der Ankunftszeit der deutschen Siedler eindeutig zu beantworten. Die Information u¨ber die curia des Gerung ad sanctum Adalbertum in Wratzlau, die Herzog Heinrich I. 1202 der Zisterzienserabtei Leubus u¨bermittelte, steht allein da.37 Gro¨ßere Bedeutung besitzen demgegenu¨ber die Erwa¨hnungen von Schultheißen einer Breslauer civitas aus den Jahren 1214 und 1229, die das Vorhandensein einer organisierten Gruppe von Kolonisten in der vorlokationszeitlichen Fru¨hstadt belegen.38 Einige allgemeine Hinweise ergeben sich aus der Analyse der archa¨ologischen Quellen. Der Archa¨ologe vermag den vorsichtigen Versuch zu unternehmen, in der Sachkultur autochthone von importierten Elementen zu unterscheiden. Dabei lohnt es sich, außer den Vera¨nderungen in

34 Sebastian Brather, „Germanische“, „slawische“ und „deutsche“ Sachkultur des Mittelalters – Pro-

bleme ethnischer Interpretation, in: Ethnographisch-Archa¨ologische Zeitschrift 37 (1996), S. 177–216; ders., Ethnische Interpretationen in der fru¨hgeschichtlichen Archa¨ologie: Geschichte, Grundlagen und Alternativen, Berlin 2004. 35 Jan Piskorski, Miasta ksi˛estwa szczecinskiego ´ do połowy XIV wieku [Die Sta¨dte des Herzogtums Stettin bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts], Warszawa/Poznan´ 1987, S. 85–88; Sławomir Gawlas, Die Lokationswende in der Geschichte mitteleuropa¨ischer Sta¨dte, in: Rechtsstadtgru¨ndungen im mittelalterlichen Polen (wie Anm. 10), S. 77–105, hier S. 78–80; ders., Fu¨rstenherrschaft, Geldwirtschaft und Landesausbau. Zum mittelalterlichen Modernisierungsprozess im piastischen Polen, in: ebd., S. 13–76, bes. S. 17–24; Jerzy Piekalski, Von Ko¨ln nach Krakau. Der topographische Wandel fru¨her Sta¨dte, Bonn 2001, S. 252f. 36 Młynarska-Kaletynowa, Wrocław (wie Anm. 7), S. 59; Magdalena Konczewska/Jerzy Piekalski, Problem lokalizacji s´ redniowiecznej osady Walono´w we Wrocławiu w s´ wietle ostatnich badan´ archeologicznych [Zur Lokalisierung der mittelalterlichen Wallonensiedlung in Breslau in der neuesten ´ askie archa¨ologischen Forschung], in: Sl ˛ Sprawozdania Archeologiczne 50 (2008), S. 241–258. 37 Schlesisches Urkundenbuch, Bd. 1: 971–1230, hg. v. Heinrich Appelt, Graz/Ko¨ln 1971, Nr. 77; vgl. Młynarska-Kaletynowa, Wrocław (wie Anm. 7), S. 49, 51, 59–67. 38 Schlesisches Urkundenbuch, Bd. 1 (wie Anm. 37), Nr. 42.

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der Keramikherstellung auch der Konstruktionsweise der Holzbauten Beachtung zu schenken. Es la¨sst sich sagen, dass die Pfostenbauweise mit Stu¨tzriegeln sowie die Riegel-(Skelett)konstruktion in allen ihren Varianten aus dem Westen u¨bernommen wurden.39 Nicht zu bestimmen ist dagegen, ob dies das Resultat einer einmalig oder auch in mehreren Etappen durchgefu¨hrten Ansiedlungsaktion, oder einer permanenten und Menschen aus verschiedenen Gebieten des Deutschen Reiches erfassenden Zuwanderung war. In einer Stadt von u¨berregionaler Bedeutung sollte das Vorkommen ortsfremder Baukonstruktionen nicht verwundern. In der linksufrigen Siedlung Breslaus, deren Terrain erst in der zweiten Jahrhundertha¨lfte in die Lokationsstadt eingegliedert wurde, waren solche Ha¨user seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts weit verbreitet. Im westlichen Bereich der Altstadt, wo es in der Vorlokationszeit keine Besiedelung gegeben hatte, traten die ersten Bu¨rgerha¨user im Vorderteil der Parzellen in Riegelbauweise auf, begleitet von Nebengeba¨uden in traditioneller Balken- oder Flechtwerkkonstruktion.40 Ein im Breslau des 13. Jahrhunderts neues Element waren auch die Brunnen. In einem Bereich su¨dlich der Kirche St. Adalbert hat man zwei auf die ersten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts datierte Ansammlungen von ihnen entdeckt.41 Sie wurden gemeinsam mit der Bebauung, zu der sie wohl geho¨rt haben mu¨ssen, spa¨testens bei der Errichtung der sta¨dtischen Befestigungsanlagen zersto¨rt. Diese neuen, in der Vorlokationszeit auftretenden Pha¨nomene ku¨ndigen einen generellen Wandel in der Sachkultur des mittelalterlichen Breslaus an. Sie sind als ein wesentlicher Hinweis auf die Pra¨senz ethnisch fremder Ga¨ste (hospites) in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts zu betrachten.42

III. Parzellierung und Grundstu¨cksbebauung – die Formierung des privaten Raums

Die Lokation Breslaus war zweifellos durch das Fehlen einer scharfen Za¨sur zwischen Fru¨hstadt und Rechtsstadt gekennzeichnet. Die Transformation in eine Struktur, die fu¨r die Rechtssta¨dte neuen Typs charakteristisch war, stellte einen beschleunigten Prozess dar. Die in diesem Zusammenhng getroffenen rechtlichen Regelungen dienten der Ordnung und Kontrolle dieses Pha¨nomens durch den in Schlesien hegemonial herrschenden Herzog und Vertreter der Piastendynastie. Nach den in der Rechtsstadt geltenden Prinzipien war der Besitz einer Parzelle die Voraussetzung zur Erlangung des vollen Bu¨rgerrechtes. Unter „Parzelle“ ist dabei ein abgeteiltes Stu¨ck des sta¨dtischen Terrains zu verstehen, das einem Handwerker oder Kaufmann die

39 Jerzy Piekalski, Alte und neue Holzbauten in den mittelalterlichen Rechtssta¨dten Schlesiens, in:

Hausbau und Raumstruktur fru¨her Sta¨dte (wie Anm. 31), S. 101–112.

40 Jerzy Piekalski, Forma i konstrukcja budynko´w [Geba¨udeform und -konstruktion], in: Ze studio´w

˙ nad zyciem codziennym (wie Anm. 1), S. 37–42.

41 Konczewski, Działki (wie Anm. 3), S. 23f. 42 Jerzy Piekalski, Die Lokation Breslaus als archa¨ologisches Forschungsproblem, in: Rechtsstadtgru¨n-

dungen im mittelalterlichen Polen (wie Anm. 10), S. 139–155, hier S. 153.

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Mo¨glichkeit bot, Wohnung und Wirtschaftsta¨tigkeit miteinander zu verknu¨pfen. Die Parzelle war nicht vollsta¨ndiges Eigentum eines Bu¨rgers. Sie wurde ihm zum ewigen Nießbrauch (Erbnießbrauch, Erbpacht) u¨berlassen, d. h. sie konnte von ihm vererbt und in Teilen oder im Ganzen verkauft werden, wurde aber auch mit einer Abgabe zugunsten des Stadtherrn belastet. In den Schriftquellen des Hoch- und Spa¨tmittelalters wird sie als area, hereditas, curia oder hof bezeichnet.43 Gemeinsam mit dem auf ihr errichteten Haus stellte sie den privaten Raum des Bu¨rgers, seiner Familie und sonstigen Mitbewohner dar, der dem o¨ffentlichen Raum von Pla¨tzen und Straßen gegenu¨berstand. Es ist ziemlich sicher, dass die Verha¨ltnisse der Vorlokationszeit in Breslau keinen Einfluss auf die Form der bu¨rgerlichen Grundstu¨cksparzellen der Lokationszeit hatten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es in dieser Stadt keine „Protoparzellen“ gegeben habe. Bedeutende Teile des Burgwalls auf der Dominsel waren in als area vel curia bezeichnete Parzellen aufgeteilt.44 Die Funktion dieser Parzellen erwa¨hnt die entsprechende Schriftquelle jedoch nicht. Sie scheinen sich in den von Za¨unen begrenzten Einheiten mit je 1–2 Holzbauten und weiteren, vermutlich wirtschaftlichen Zwecken dienenden Konstruktionen widerzuspiegeln, die bei archa¨ologischen Untersuchungen aufgefunden wurden. Zur Unterscheidung von den spa¨teren bu¨rgerlichen Grundstu¨cken hat man sie als Geho¨fte bezeichnet, womit man eher an do¨rfliche Traditionen anknu¨pfte.45 Es sei hinzugefu¨gt, dass eine Verbindung dieser Geho¨fte zu Handwerk oder Handel nicht festgestellt wurde. Anders sieht es mit den fru¨hen, in der Ansiedlung ad sanctum Adalbertum abgeteilten Parzellen aus, wo ein u. a. metallverarbeitendes Handwerk eindeutig festgestellt worden ist. Entlang der rekonstruierten Hauptverkehrsachse der Siedlung hat man Sequenzen von Kulturschichten ermittelt, die nach Auffassung ihres Entdeckers Jerzy Niegoda zu der Annahme berechtigen, dass es eine Nutzungskontinuita¨t der abgeteilten Gela¨ndeteile gab. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts sollen die dortigen Parzellen durch Za¨une voneinander abgetrennt gewesen sein. In den 1220er/30er Jahren entstanden entlang des westlichen Straßenrandes mindestens sechs Geba¨ude. Eine Analyse des Abstandes zwischen diesen hat zu dem Schluss gefu¨hrt, dass sie auf Parzellen standen, die in Modulen zu 25–26 Fuß abgemessen waren. Die von den Forschern pra¨sentierte Konzeption verbindet die Parzellen mit der ersten Lokation Breslaus, die unter Herzog Heinrich I. durchgefu¨hrt worden sein soll.46 Doch findet dies nach Ansicht des Autors des vorliegenden Beitrags in den Quellen keine ausreichende Besta¨tigung; die Parzellen sind ¨ hnlich sieht Małgorzata Chowohl eher mit der Vorlokationszeit zu verbinden. A 47 rowska dieses Problem. Sie tendiert jedoch dazu, ein Parzellenmodul von 50 Fuß 43 Hans Strahm, Die Area in den Sta¨dten, in: Schweizer Beitra¨ge zur Allgemeinen Geschichte 3 (1945),

S. 22–61, hier S. 35–40.

44 Schlesisches Urkundenbuch, Bd. 2 (wie Anm. 8), Nr. 247. 45 Cezary Bu´sko/Barbara Czerska/Jo´zef Kazmierczyk, ´ Wrocławskie zagrody z XI–XII w. odkryte

na Ostrowie Tumskim z 1985 r. [Die 1985 auf der Dominsel entdeckten Breslauer Geho¨fte des ´ askie 11. – 12. Jahrhunderts], in: Sl ˛ Sprawozdania Archeologiczne 26 (1985), S. 62–70. 46 Bu´sko, Wrocław u progu lokacji (wie Anm. 12); Niegoda, Zmiany w zagospodarowaniu przestrzeni (wie Anm. 12), S. 70–80. 47 Chorowska, Regularna sie´c ulic (wie Anm. 20), S. 79–82.

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anzunehmen. Nicht besta¨tigt ist das Vorhandensein regulierter Parzellen auf dem spa¨ter vom Neumarkt eingenommenen Gela¨nde. Ra¨tselhaft bleibt die in den Quellen erwa¨hnte curia Gerungi, die Heinrich der Ba¨rtige 1202 den Zisterziensern schenkte. Man weiß weder, ob es sich bei ihr um eine bebaute oder unbebaute Parzelle handelte, noch, welchen Charakter eine Bebauung gehabt haben ko¨nnte. Klar ist nur, dass der Herzog u¨ber sie verfu¨gen konnte, sie also weder privates Eigentum war, noch in Erbpacht gehalten wurde.48 Es dra¨ngt sich daher die Frage auf, ob ein solcher Rechtsstatus fu¨r alle Parzellen im Breslau der Vorlokationszeit galt. Anders als in Prag entstand die Lokationsstadt in Breslau neben der alten Handwerker- und Handelssiedlung auf einem von fru¨herer Bebauung freien Gela¨nde. Unabha¨ngig davon, welche Zeit man genau fu¨r die Lokation annimmt, muss die Abmessung der sta¨dtischen Raumstruktur, darunter der zu Quartieren zusammengefassten Parzellen, ohne gro¨ßere Hindernisse und ohne die Beseitigung einer a¨lteren Bebauung abgelaufen sein. Von dieser Voraussetzung ausgehend nimmt die Forschung an, dass man bei der urspru¨nglichen Parzellierung eine Einteilung in Parzellen gleicher Gro¨ße vorgenommen hat. Als Ergebnis einer metrologischen Analyse der heute am Ringplatz existierenden Ha¨user und eines Abgleiches der Resultate mit einem fru¨hneuzeitlichen Steuerregister hat man den Schluss gezogen, dass die Breite der bei der Lokation projektierten curia integra 60 Fuß (a` 31,3 cm) betrug. Die Parzellenla¨nge soll am Ringplatz 240 Fuß und in den anderen Quartieren 120 Fuß betragen haben.49 Ein Modul von 60 Fuß (vier Ruten) wurde nach Janusz Pudełko auch in den anderen Bebauungsblo¨cken verwendet und zeigt demnach die Ausdehnung des bei der ersten Lokation reguliert geplanten Bereiches an. Dieselbe Parzellenbreite sei, so Pudełko, auch in anderen schlesischen Sta¨dten verwendet worden. Das von Pudełko gewonnene Bild einer kommunalen Grundstu¨cksparzelle ist ein schematisiertes Modell. Die hauptsa¨chlich von Czesław Lasota und Małgorzata Chorowska mit archa¨ologischen Methoden durchgefu¨hrte Fortsetzung und Verifizierung seiner ¨ ber Untersuchungen hat erwiesen, dass Pudełkos Befunde teilweise richtig waren. U lange Jahre und systematisch im Inneren von weit u¨ber 100 Ha¨usern durchgefu¨hrte Untersuchungen haben die Grundlage fu¨r detaillierte Analysen der Parzellenmaße geliefert. Als dafu¨r besonders geeignet hat sich eine Reihe von aus dem 13. Jahrhundert stammenden, also ho¨chstens einige Jahrzehnte nach der Lokation errichteten Backsteinbauten erwiesen. Eine Analyse des Verlaufes zahlreicher Begrenzungsmauern in den Bebauungsblo¨cken am Ringplatz und an einigen Punkten der anliegenden 48 Młynarska-Kaletynowa, Wrocław (wie Anm. 7), S. 48f. 49 Stanisław Golachowski, Głos w dyskusji nad rozplanowaniem s´ redniowiecznego Wrocławia [Dis-

kussionsbeitrag zur Aufteilung des mittelalterlichen Breslau], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 1 (1956), S. 67–78; Stanisław Golachowski/Janusz Pudełko, O analizie metrologiczno-geometrycznej plano´w osiedli s´ redniowiecznych [Zur metrologisch-geometrischen Analyse der Grundrisse mittelalterlicher Siedlungen], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 8 (1963), S. 287–298; Janusz Pudełko, Pro´ba pomiarowej metody badania plano´w niekto´rych miast s´ redniowiecznych w oparciu o zagadnienie działki [Vermessung als Methode zur Erforschung einiger mittelalterlicher Stadtgrundrisse. Versuch am Beispiel von Parzellen], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 9 (1964), 1, S. 3–26; ders., Działka lokacyjna w strukturze przestrzennej s´ redniowiecznych miast s´ laskich ˛ XIII wieku [Die Lokationsparzelle in der Raumstruktur mittelalterlicher schlesischer Sta¨dte des 13. Jahrhunderts], in: ebd., S. 115–136.

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Straßen hat gezeigt, dass dort tatsa¨chlich ein Modul von 60 Fuß verwendet wurde.50 Die im 13. Jahrhundert durch die Mauern der Ha¨user stabilisierten Grenzlinien wurden bei der Errichtung der nachfolgenden, spa¨tmittelalterlichen und neuzeitlichen Ha¨user meistens respektiert. Man nimmt daher an, dass die Mehrzahl der Parzellen tatsa¨chlich vollsta¨ndig abgemessen wurde. Dies bedeutet nicht, dass es von dieser Praxis keine Ausnahmen gab. Es ist na¨mlich festgestellt worden, dass einige Ha¨user aus dem 13. Jahrhundert das rekonstruierte Schema nicht respektieren. An der Su¨dseite des Ringplatzes, auf der heutigen Parzelle Nr. 17, entstand ein Haus – das repra¨sentativste unter den dort entdeck¨ hnlich ist es mit der heutiten – das Teile der beiden Nachbarparzellen einnahm. A gen Parzelle Nr. 7 an der o¨stlichen Platzseite, wo man ein ra¨tselhaftes Haus mit vier Zuga¨ngen zum Erdgeschoss errichtete (vgl. Abb. 1 bei Chorowska, Palast und Wohnhaus, in diesem Band). Dass die Idealaufteilung in gleiche Parzellen nicht immer erfolgte, belegt die bei Untersuchungen der Ha¨user Ringplatz 6/Herrengasse 5 im westlichen Bebauungsblock am Ring festgestellte Situation. Die Maße der mittelalterlichen Parzelle folgen nicht dem rekonstruierten lokationssta¨dtischen Grundriss. Die theoretisch markierte Grenze der urspru¨nglichen Einteilung verlief bei dieser Parzelle auf der Mittelachse (Abb. 4). Forschungsgrabungen auf dem Hof haben Sachrelikte der urspru¨nglichen Parzellengrenzen offengelegt. Die Grenzlinie zwischen der dem Ring und der der Herrengasse zugewandten Parzelle manifestiert sich in einer Reihe von Pfostenlo¨chern, die als Spuren eines entlang der Nord-Su¨dachse aufgestellten Zaunes interpretiert werden. Dessen Verlauf deckt sich mit der rekonstruierten, 120 Fuß tiefen Parzellengrenze.51 Entlang der Mittelachse der heutigen Parzelle Ringplatz 6/Herrengasse 5, also in der Linie der rekonstruierten Ost-West-Grenze, hat man einen zu Beginn der Gela¨ndenutzung ausgehobenen, anschließend mehrfach gereinigten Graben identifiziert. Er fungierte als Abwasserleitung, der man spa¨ter die Form eines mit Holz befestigten Rinnsteins verlieh. Dass der Graben tatsa¨chlich als Grundstu¨cksgrenze fungierte, scheinen die Abmessungen eines am Rande des Platzes entdeckten Holzbaues zu belegen. Die su¨dliche Wand dieses Hauses befand sich in 0,7 bis 1 m Entfernung von der vermuteten Grenzlinie. Das Geba¨ude respektierte diese Linie, und neben ihm blieb noch genug Raum fu¨r einen Durchgang zum ru¨ckwa¨rtigen Teil der Parzelle. Die Aufhebung dieser Grundstu¨cksgrenze und die Schaffung der Parzelle in ihrer bis heute bekannten Gestalt erfolgte wahrscheinlich erst im 14. Jahrhundert. Damals erfolgte der Bau eines einzigen gotischen Hauses, das die zuvor existierenden Segmente miteinander verband.52 Es ist nicht auszuschließen, dass einige Parzellen bereits wa¨hrend der Parzellierung die Gro¨ße einer halben curia integra erhielten, also auch nur mit dem halben

50 Lasota/Chorowska, Działka lokacyjna (wie Anm. 21); Chorowska, Regularna sie´c ulic (wie

Anm. 20), S. 69–72; Małorzata Chorowska/Czesław Lasota, Die steinerne Bebauung (wie Anm. 2).

51 Chorowska, Sredniowieczna ´ kamienica (wie Anm. 13), S. 24f., Abb. 39; Małgorzata Chorowska/

Czesław Lasota/Jerzy Rozpedowski, ˛ Układ przestrzenny kamienicy Rynek 6 we Wrocławiu w XIII– XIX w. [Die Raumaufteilung des Hauses Ringplatz 6 in Breslau im 13. – 14. Jahrhundert], in: Architektura Wrocławia, Bd. 1 (wie Anm. 21), S. 139–162. 52 Chorowska u. a., Rynek 6 (wie Anm. 4).

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Abb. 4: Breslau, Ringplatz 6/Herrengasse 5. Bebauungsetappe mit Holzbauten 1 – vermutete Ausdehnung der Holzbebauung, 2 – Holz, 3 – rekonstruierte Lokationsparzelle, 4 – heutige Grundstu¨cksgrenzen Zeichnung N. Lenkow

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Erbpachtzins belastet wurden. Dies scheinen Ha¨user nahezulegen, die nur die Ha¨lfte einer 60 Fuß messenden Parzelle einnehmen. Frappierend ist insbesondere das Beispiel der Parzelle Ringplatz 8 mit einem Haus, das die su¨dliche Frontha¨lfte der Lokationsparzelle einnimmt und an das von Norden ein Haus mit einer Frontbreite von 60 Fuß angebaut wurde, das wiederum zur Ha¨lfte die Nachbarparzelle einnimmt. An dieses wiederum schließt die oben erwa¨hnte und ebenfalls problematische Parzelle Nr. 6 an, die sich eher als zwei Parzellen zu je 30 Fuß betrachten ließe (Abb. 5). Geht man davon aus, dass die Rekonstruktion der urspru¨nglichen Parzellierung des Baublocks am Ring richtig ist, dann muss man akzeptieren, dass es Differenzen zwischen dem der Parzellierung zugrundeliegenden Entwurf und seiner praktischen Ausfu¨hrung gab. Das Vorhandensein sowohl von doppelten, als auch von bereits bei der Parzellierung aufgeteilten Parzellen scheint sehr plausibel. Die urspru¨ngliche Parzellenaufteilung war nicht stabil, sie wurde schnell durch testamentarische Aufteilungen und Immobilienverkehr, aber auch durch sekunda¨re Grundstu¨ckszusam¨ nderungen der Grundstu¨cksgrenzen wurden erst am menlegungen gesprengt. Die A Ende des Mittelalters, nach ihrer Festschreibung durch die vollsta¨ndige Bebauung mit Steinbauten, aufgehalten. Dies geschah teils durch die Einbindung der alten Ha¨user aus dem 13. Jahrhundert in neue Konstruktionen, teils durch die Errichtung ganz neuer gotischer Geba¨ude.53 Nicht als richtig haben sich dagegen Pudełkos Befunde hinsichtlich der weiter vom Ring entfernten Bebauungsblo¨cke herausgestellt. Der Bereich, in dem man Parzellen zu 60 Fuß verwendete, kann nur u¨ber zwei Bebauungsblo¨cke vom Marktplatz nach Norden gereicht haben. Fu¨r die weiter entfernten Blo¨cke, die nach Auffassung von Małgorzata Chorowska um die Mitte des 13. Jahrhunderts abgesteckt wurden,54 hat man eine Parzelle von 40 Fuß Breite rekonstruiert. Die Rekonstruktion dieser neuen curia integra basiert jedoch nicht auf Grenzmauern des 13. Jahrhunderts, sondern auf spa¨teren, fru¨hestens aus dem 14. Jahrhundert stammenden.55 Eine zusa¨tzliche Komplikation bei der Rekonstruktion einer Vollparzelle stellen die unregulierten Bebauungsblo¨cke im Nordteil der Altstadt dar. Die in diesem Bereich, an der Stockgasse 10–11 durchgefu¨hrten archa¨ologischen Untersuchungen haben keine Spuren einer urspru¨nglichen Aufteilung in Vollparzellen erbracht. Eine Trennung in zwei Parzellen (halbe curiae?) la¨sst sich dort erst ab ca. der Mitte des 15. Jahrhunderts feststellen, d. h. seit der Errichtung von Backsteinbauten. Der Mauerverlauf stimmt nicht mit der rekonstruierten Grenze der Lokationsparzelle u¨berein.56 Auch jene Forscher, die von einer Parzelle von 40 Fuß ausgehen, schra¨nken ein, dass hier weitere Untersuchungen erforderlich sind. Dies betrifft auch die Frage nach

53 Czesław Lasota, Rozwo´j zabudowy murowanej w s´ redniowieczu [Entwicklung der Steinbebauung

im Mittelalter], in: Rynek wrocławski w s´ wietle badan´ archeologicznych, Bd. 2 (wie Anm. 1), S. 69–77.

54 Chorowska, Regularna sie´c ulic (wie Anm. 20), Abb. 26. 55 Chorowska, Sredniowieczna ´ kamienica (wie Anm. 13), S. 21–25; Lasota/Chorowska, Działka loka-

cyjna (wie Anm. 21), S. 77. 56 Cezary Bu´sko, Rozplanowanie parceli i struktura zawodowa jej mieszkanco ´ ´ w [Parzellenaufteilung

˙ und Berufsstruktur der Bewohner], in: Ze studio´w nad zyciem codziennym (wie Anm. 1), S. 203–215, hier S. 204–210; Piekalski, Forma i konstrukcja (wie Anm. 40), S. 39–41.

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Abb. 5: Breslau, Ringplatz 6/Herrengasse 5. Bebauungsetappe mit den a¨ltesten Backsteinbauten 1 – 13. Jahrhundert, 2 – rekonstruierte Lokationsparzelle, 3 – heutige Grundstu¨cksgrenzen Zeichnung N. Lenkow

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der Parzellengro¨ße im Ostteil der Altstadt, in jenem Bereich, der ihr in der zweiten Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts auf Kosten der civitas aus der Vorlokationszeit angegliedert worden ist. Eine a¨hnliche Situation findet sich im su¨dwestlichen Teil der Altstadt. „Die Mo¨glichkeit, dass die Grundstu¨cke nach dem von der Gegend rund um den Ringplatz bekannten Parzellierungsmodell abgemessen wurden, war gering, [...] die untersuchten Parzellen waren meistens viel kleiner“, so Paweł Konczewski am Ende seiner Abhandlung zu den Parzellen in diesem Bereich der Stadt.57 Die innere Organisation einer Breslauer Parzelle haben Cezary Bu´sko, aber auch Paweł Konczewski beschrieben.58 Der Vorschlag von Bu´sko hat den Charakter eines Modells, das allgemeine Tendenzen in der strukturellen Gestaltung der Parzelle pra¨sentiert, die nicht nur fu¨r Breslau typisch waren. Er unterscheidet auf der Parzelle fu¨nf Nutzungszonen: Zone 1 – die Parzellenfront als Repra¨sentationszone. Dort befand sich das Haus des Kaufmanns oder Handwerkers, das gewo¨hnlich unterkellert oder teilweise in den Boden eingetieft war. Seine Konstruktion konnte aus Holz, Stein oder beidem gemischt sein. Es fu¨llte anfangs einen Teil der Parzellenfront aus, entwickelte sich aber mit der Zeit u¨ber die volle Breite, wobei jedoch eine Durchfahrt oder ein Durchgang zu den u¨brigen Parzellenteilen belassen wurde. Zone 2 lag hinter dem Wohnhaus und wies gewo¨hnlich Anbauten, Feuersta¨tten fu¨r die Ku¨che oder zu Produktionszwecken, Magazingruben und Werksta¨tten auf. Die Maße dieser Zone betrugen in Breslau gewo¨hnlich 5–7 m. Zone 3 wies ru¨ckwa¨rtige Geba¨ude (Mulczha¨user, Hinterha¨user) auf, die entweder als Wirtschafts- oder als Wohngeba¨ude fungierten. Teilweise wurden sie an Personen aus der Unterschicht, manchmal in Form eines Almosens vermietet. Zone 4, die sanita¨re Zone, enthielt Brunnen und Kloaken, aber auch weitere, ha¨ufig schwer zu interpretierende Gruben. Zone 5, die Gartenzone, kam in den du¨nner besiedelten Teilen großer Sta¨dte oder in kleineren Sta¨dten vor. Die genannten Nutzungszonen bildeten, wenn auch nicht immer alle vorhanden waren, ein konstantes Merkmal der Breslauer Grundstu¨cksparzellen. Ihre Grenzen waren nicht strikt, und einzelne Elemente waren austauschbar. Daher kommt auch Paweł Konczewski zu dem Schluss, dass die innere Aufteilung der Parzellen besser durch eine vereinfachte Aufteilung in drei Zonen wiedergegeben werden ko¨nne:

57 Konczewski, Działki (wie Anm. 3), S. 99. 58 Cezary Bu´sko, Zaplecze gospodarcze s´ redniowiecznej i nowozytnej ˙ kamienicy wrocławskiej. Zaopa-

trzenie w wod˛e i urzadzenia ˛ sanitarne [Die ru¨ckwa¨rtigen Wirtschaftsfla¨chen mittelalterlicher und neuzeitlicher Breslauer Ha¨user. Wasserversorgung und sanita¨re Einrichtungen], in: Architektura Wrocła´ wia, Bd. 1 (wie Anm. 21), S. 89–104; ders., Z badan´ wewn˛etrznego rozplanowania działki mieszczans´ asku kiej na Sl ˛ [Untersuchungen zur inneren Aufteilung privater Parzellen in Schlesien], in: Kultura ´ aska s´ redniowiecznego Sl ˛ i Czech. Miasto, hg. v. Krzysztof Wachowski, Wrocław 1995, S. 91–98; ´ a˛ w s´ redniowiecznych miastach s´ laskich ders., Stan badan´ nad parcela˛ mieszczansk ˛ [Der Stand der Forschung u¨ber die Bu¨rgerparzelle in den mittelalterlichen schlesischen Sta¨dten], in: Kwartalnik Historii Kultury Materialnej 43 (1995), S. 344–350; Konczewski, Działki (wie Anm. 3).

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(1) Das Vorderhaus, (2) eine daran anschließende ru¨ckwa¨rtige Zone und (3) eine Wirtschafts- und Magazinzone.59 Eine Analyse konkreter Beispiele gibt individuelle Parzellenmerkmale wieder, die abha¨ngig vom Besitzstand und Beruf des Eigentu¨mers, der Lage in der Stadt und wahrscheinlich auch anderer privater Umsta¨nde waren. Ein unvera¨nderliches Element stellte im Prinzip nur die Situierung des Hauptwohnhauses an der Straßenlinie dar. Die vollsta¨ndig erforschten Parzellen Ringplatz 6/Herrengasse 5 geho¨rten zu einem Stadtteil der Eliten, des Patriziats. Sie lagen in einer Linie und durchschnitten den westlich am Ringplatz gelegenen Block.60 An ihren Frontzeilen entstanden im 13. Jahrhundert qualitativ hochwertige Backsteinbauten. Hinter dem in mehreren Etappen errichteten Haus am Ringplatz hat man Relikte einer u¨berdachten, komplex konstruierten Ra¨ucherkammer entdeckt. Die Situierung der Ra¨ucherkammer besta¨tigt das in Breslau fu¨r spa¨tere Zeiten bekannte Pha¨nomen, dass zumindest ein Teil der Ku¨chenarbeiten außerhalb des Geba¨udes stattfand. Auf a¨hnliche Einrichtungen auf anderen Parzellen am Ringplatz hat bereits Małgorzata Chorowska hingewiesen.61 Neben der Ra¨ucherkammer fanden sich mehrere andere Gruben mit schwer zu ermittelnder Funktion, die teilweise mit Brandresten gefu¨llt waren. Ein Teil der Fla¨che hinter dem Haus wurde befestigt, indem man ein Pflaster aus schlecht gebrannten, beim Brennvorgang deformierten Ziegeln verlegte. Eine gemeinsame Einrichtung fu¨r vier (?) einander benachbarte Parzellen war der mit Holz ausgelegte Rinnstein, der entlang der im Zusammenhang mit der Lokationsparzellierung abgesteckten Grundstu¨cksgrenze verlief. Sein Anfangspunkt befand sich ca. 25 m vom Ringplatz entfernt hinter der Ru¨ckwand des Hauses. Das leicht abfallende Gela¨nde ausnutzend, leitete er das Abwasser zur Herrengasse, in der sich ein sta¨dtischer, die Abwa¨sser in die Oder ableitender Rinnstein befand. Die Kulturschichten des Hofes bestanden u¨berwiegend aus Sand und enthielten keine Abfa¨lle. Die Sauberkeit ist ein deutlich erkennbares Merkmal dieses Hofes, das ihn von anderen in Breslau untersuchten Parzellen unterscheidet. Man hat dort keinen absichtlich deponierten Unrat festgestellt. Die Sorge um den sanita¨ren Zustand dieser Parzelle am Ringplatz wird durch die Errichtung der ersten aus Breslau bekannten gemauerten Kloake im 14. Jahrhundert besta¨tigt. Um die Mitte dieses Jahrhunderts kam es zu einer grundlegenden Umgestaltung der Parzelle. Dies galt nicht nur fu¨r das Haus, sondern auch fu¨r den Hof. Der dort bis dahin vorhandene Rinnstein wurde zugeschu¨ttet und u¨ber seine gesamte La¨nge mit einem Brettersteg abgedeckt. Solche Stege sind auch von anderen Parzellen sowohl am Ringplatz als auch in anderen Teilen der Stadt bekannt. Sie deckten gewo¨hnlich einen Teil des Hofes oder auch nur einzelne Pfade ab und ermo¨glichten es so, sich auf der bei feuchter Witterung schlammigen Fla¨che fortzubewegen.62

59 Konczewski, Działki (wie Anm. 3), S. 100. 60 Chorowska u. a., Rynek 6 (wie Anm. 4).

61 Chorowska, Sredniowieczna ´ kamienica (wie Anm. 13), S. 65f. 62 Jerzy Piekalski/Tomasz Płonka/Andrzej Wi´sniewski, Badania s´ redniowiecznej posesji przy ul.

˙ Nozowniczej 13 we Wrocławiu [Erforschung des mittelalterlichen Grundstu¨ckes an der Messer´ askie gasse 13 in Breslau], in: Sl ˛ Sprawozdania Archeologiczne 32 (1991), S. 207–238, hier S. 235f.; Prze´ mysław Guszpit/Andrzej Wi´sniewski, Działka mieszczanska Rynek 50 – Igielna 18 [Die Grund-

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Dem „Zonenmodell“ entsprechen sehr viel eher die Parzellen an der Stockgasse 10–11, die bisher von allen Breslauer Parzellen am besten untersucht und durch Publikationen dokumentiert worden sind.63 Dort sind hinter dem ho¨lzernen Bu¨rgerhaus Handwerksta¨tigkeiten festgestellt worden; in diesem Falle hauptsa¨chlich die Zurichtung von Ha¨uten durch einen Gerber, aber auch deren weitere Verarbeitung, von der eine große Zahl an Lederschnipseln u¨briggeblieben ist. Spuren von Gerberei sind auch in anderen Stadtteilen hinter den Ha¨usern entdeckt worden, hauptsa¨chlich in dem an der Oder gelegenen Bereich, aber auch am su¨do¨stlichen Abschnitt des inneren Befestigungsgrabens.64 An verschiedenen Punkten der Stadt wurden auf den Parzellen Bein und Horn von Handwerkern verarbeitet.65 Lediglich gestu¨tzt auf schriftliche Quellen lassen sich einige an der Peripherie gelegene Parzellen mit Tuchmachern in Verbindung bringen, die dort ihre Produkte auf einer großen Fla¨che trockneten.66 Auf nahezu allen untersuchten Parzellen sind sanita¨re Einrichtungen unterschiedlicher Konstruktion ermittelt worden – von unbefestigten Sickergruben bis hin zu soliden, mit Brettern verschalten und in bestimmten Absta¨nden gereinigten Kloaken. Sie kamen im spa¨ten 13. Jahrhundert auf und verweisen auf die zusehends sta¨rker hervortretende sanita¨re Funktion der Ho¨fe. Neben den Kloaken wird diese auch durch Schichten deponierten Abfalls belegt. Wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Verunreinigung der Ho¨fe ho¨rte man auf, dort Brunnen zu graben. Die Wasserversorgung wurde im 14. Jahrhundert durch kommunale Wasserleitungen gewa¨hrleistet.67 Ein im 13. Jahrhundert nicht allzu ha¨ufiges Pha¨nomen waren Hofgeba¨ude. Am besten sind sie bisher an der Stockgasse 10–11 besta¨tigt, seltener begegnen sie im su¨do¨stlichen Bereich der Stadt.68 Im 14. Jahrhundert kamen dagegen Bauten auf, die man als hintere Flu¨gel der Bu¨rgerha¨user oder als Hofgeba¨ude bezeichnen ko¨nnte.69 Ga¨rten oder an den Ha¨usern gelegene Gru¨nfla¨chen konnten bei den rekonstruierten Nutzungszonen der Breslauer Parzellen mit archa¨ologischen Methoden bislang

stu¨cksparzelle Ringplatz 50/Nadlergasse 18], in: Rynek wrocławski w s´ wietle badan´ archeologicznych, Bd. 2 (wie Anm. 1), S. 183–203, hier S. 187–189, 202–203, Abb. 167; Paweł Konczewski u. a., Pierwsze ˙ wyniki badan´ kwartału mi˛edzy zamkiem lewobrze˙znym a komandoria˛ krzyzowco ´ w z gwiazda˛ we Wrocławiu (ul. Szewska/pl. Uniwersytecki) [Erste Forschungsresultate zum Quartier zwischen der linksufrigen Burg und der Kommende der Kreuzherren mit dem Roten Stern in Breslau (Schuhbru¨cke/ ´ askie Universita¨tsplatz)], in: Sl ˛ Sprawozdania Archeologiczne 52 (2010), S. 309–328, hier Abb. 3. 63 Ze studio´w nad zyciem ˙ codziennym (wie Anm. 1). 64 Konczewski u. a., Pierwsze wyniki (wie Anm. 62), S. 313; Konczewski, Działki (wie Anm. 3), S. 81. 65 Krzysztof Jaworski, Slady ´ obro´bki surowca ko´scianego i rogowego [Spuren der Bein- und Hornver˙ arbeitung], in: Ze studio´w nad zyciem codziennym (wie Anm. 1), S. 70–91; ders., Pracownie rogownicze [Werksta¨tten zur Hornverarbeitung], in: Rynek wrocławski w s´ wietle badan´ archeologicznych, Bd. 2 (wie Anm. 1), S. 213–235. 66 Golinski, ´ Socjotopografia (wie Anm. 139, S. 409; Jastrzebski ˛ u. a., Badania dawnych działek (wie Anm. 30), S. 335–341. 67 Bu´sko, Zaplecze gospodarcze (wie Anm. 58); Piekalski, Die Infrastruktur der mittelalterlichen und fru¨hneuzeitlichen Stadt Breslau, in: Lu¨becker Kolloquium zur Stadtarcha¨ologie im Hanseraum IV. Die Infrastruktur, hg. v. Manfred Gla¨ser, Lu¨beck 2004, S. 343–358, hier S. 347f. 68 Konczewski, Działki (wie Anm. 3). 69 Chorowska, Sredniowieczna ´ kamienica (wie Anm. 13), S. 30–33; Chorowska u. a., Rynek 6 (wie Anm. 4).

Die Formierung des o¨ffentlichen und privaten Raums im Breslau des 13. Jahrhunderts

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nicht eindeutig festgestellt werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es sie nicht gab. Bedient man sich des Stadtplans von Bartholoma¨us Weyhner aus dem Jahr 1562, dann la¨sst sich sagen, dass man sie auch nach der Verdichtung der sta¨dtischen Bebauung in der Fru¨hen Neuzeit in der reguliert aufgeteilten inneren Stadt sporadisch, und zwischen dem inneren und a¨ußeren Befestigungsring allgemein verbreitet findet.

***

Die bisher von Historikern, Kunst- und Architekturhistorikern, aber auch von Archa¨ologen durchgefu¨hrten Untersuchungen haben es mo¨glich gemacht, die Entwicklung der urbanen Struktur Breslaus – sowohl im o¨ffentlichen als auch im privaten Raum – zu großen Teilen zu rekonstruieren. Die Stadt liegt an der Oder, die sich an dieser Stelle in mehrere, durch Inseln voneinander getrennte Flussarme teilt. Die natu¨rlichen Faktoren hatten daher einen wesentlichen Einfluss sowohl auf die Gestaltung des Stadtraums als auch auf die allta¨glichen Lebensbedingungen. In seiner fru¨hsta¨dtischen Entwicklungsphase besaß Breslau eine polyzentrische Struktur. Die einzelnen Teile des Siedlungskomplexes lagen auf den Inseln und zu beiden Ufern des Flusses. Dabei handelte es sich um einen in Holz-Erdbauweise errichteten Burgwall mit Herzogssitz und Dom, eine Handwerker- und Kaufmannssiedlung, zwei Abteien, Ho¨fe adliger Wu¨rdentra¨ger sowie agrarische Siedlungen. Eine intensive Entwicklung dieses Komplexes und insbesondere der Handwerkersiedlung am linken Oderufer fand in der zweiten Ha¨lfte des 12. und der ersten Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts statt. In ihrer spa¨ten Entwicklungsetappe besaß diese fru¨hsta¨dtische Agglomeration einen multiethnischen Charakter. Neben Polen lebten in ihr Deutsche, Wallonen und Juden. In den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts erfolgte eine bedeutende Vergro¨ßerung des von dieser Ansiedlung eingenommenen Gela¨ndes nach Su¨den und Westen. Die seelsorgerische Betreuung wurde von der neu errichteten Kirche St. Maria-Magdalena u¨bernommen. Ihre Rechtsstellung bleibt angesichts des Fehlens schriftlicher Quellen unklar. Man weiß jedoch, dass sich die Ansiedlung mindestens bis in die 1260er Jahre weiter entwickelte, also bis in eine Zeit, zu der parallel bereits die Lokationsstadt existierte. Die Bu¨rgergemeinde zu Magdeburger Recht nahm einen o¨stlich der a¨lteren Ansiedlung gelegenen Bereich ein, ihr Zentrum wurde der als Ring (Rynek) bezeichnete Marktplatz. Archa¨ologische Forschungsresultate datieren die Anfa¨nge des Ringplatzes in das zweite oder dritte Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts. Die demographische Basis der neuen Gemeinde bildeten Kolonisten aus den Territorien des Deutschen Reiches. Die Herren der Stadt waren Herzo¨ge aus der schlesischen Linie der Piastendynastie und ab dem 14. Jahrhundert die bo¨hmischen Ko¨nige. Die schnelle strukturelle Entwicklung unter den neuen rechtlichen und o¨konomischen Rahmenbedingungen fu¨hrte noch im 13. Jahrhundert zur Auflo¨sung der a¨lteren Elemente der Agglomeration. Ein neuer, regulierter Stadtgrundriss verknu¨pfte die praktische Notwendigkeit einer einfachen Fla¨chenberechnung der Grundstu¨cke und der fu¨r sie zu

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¨ sthetik. Die Forschungserentrichtenden Steuer mit einer neuen sta¨dtebaulichen A gebnisse lassen den Schluss zu, dass diese Struktur im Ergebnis mehrerer Parzellierungsaktionen entstand, die jeweils in neu abgesteckte Parzellen mu¨ndeten. Noch im 13. Jahrhundert wurde das Stadtgebiet nach Su¨den und Westen vergro¨ßert. An seiner Ostseite entstand die Neustadt. Im Spa¨tmittelalter entwickelte sich eine Kette von Vorsta¨dten.

¨ SSE STA ¨ DTISCHER ZUR PARZELLIERUNG UND GRO ¨ TMITTELALTERLICHEN BRESLAU GRUNDSTU¨ CKE IM SPA von Paweł Konczewski*

Fragt man nach der urspru¨nglichen Form der Parzellen mittelalterlicher Rechtssta¨dte, ist zuna¨chst zu beachten, dass Historiker und Archa¨ologen unterschiedliche Zuga¨nge zu dieser Urform entwickelt haben. Denn wa¨hrend die Historiker als urspru¨ngliche Gro¨ße der Grundstu¨cke in der Regel die in den Schriftquellen notierten oder anhand ju¨ngerer Archivpla¨ne retrospektiv ermittelten Werte zugrunde legen, gehen Archa¨ologen von ihren Grabungsbefunden aus. Diese archa¨ologisch-architektonischen Forschungen ermo¨glichen – wie am Beispiel Breslaus gut gezeigt werden kann – eine Verifizierung der mit den Methoden der Historiker gewonnenen Angaben und zugleich eine genauere Verfolgung des Prozesses der Parzellierung.1 Der vorliegende Beitrag stu¨tzt sich hauptsa¨chlich auf Untersuchungen jener Archa¨ologen und Architekturhistoriker, die aktiv an den entsprechenden Untersuchungen vor Ort beteiligt waren und deren Ergebnisse fu¨r einzelne Grundstu¨cke in verschiedenen Arbeiten publiziert worden sind.2 Als entscheidender Ausgangspunkt fu¨r die Ermittlung der Parzellenbreite dienten die ergrabenen Relikte der Vorderbebauung. Die *U ¨ berarbeitete und leicht geku¨rzte Fassung des Kapitels III „Rozmiary parcel pierwotnych i zmiany

´ ˙ parcelacyjne w po´znym s´ redniowieczu i czasach wczesnonowozytnych“ [Die Ausmaße der urspru¨nglichen Parzellen und die Vera¨nderungen der Parzellen im Spa¨tmittelalter und in der fru¨hen Neuzeit] ´ aus der Monographie des Autors „Działki mieszczanskie w południowo-wschodniej cz˛es´ ci s´ rednio˙ wiecznego i wczesnonowozytnego Wrocławia“ [Bu¨rgergrundstu¨cke im su¨do¨stlichen Teil des mittel¨ bersetzung des Ausgangstextes alterlichen und fru¨hneuzeitlichen Breslau], Wrocław 2007, S. 27–41; U von Herbert Ulrich. 1 Die Gro¨ße der urspru¨nglichen Parzellen schlesischer Sta¨dte rekonstruierte Janusz Pudełko, Pro´ba pomiarowej metody badania plano´w niekto´rych miast s´ redniowiecznych w oparciu o zagadnienie działki [Vermessung als Methode zur Erforschung einiger mittelalterlicher Stadtgrundrisse], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 1 (1964), 2, S. 3–27). Mit der urspru¨nglichen Gro¨ße der Breslauer Parzellen hat sich befasst Tadeusz Kozaczewski, Rozplanowanie, układ przestrzenny i rozwo´j miasta s´ redniowiecznego [Planung, Raumstruktur und Entwicklung der mittelalterlichen Stadt], Wrocław 1973. Den aktuellen Wissensstand einschließlich der Forschungsgeschichte fu¨r das Gebiet um den ´ ´ Breslauer Ringplatz pra¨sentieren Małgorzata Chorowska, Sredniowieczna kamienica mieszczanska we Wrocławiu [Das mittelalterliche bu¨rgerliche Wohnhaus in Breslau], Wrocław 1994 und Czesław Lasota/Małgorzata Chorowska, Działka lokacyjna we Wrocławiu [Das Lokationsgrundstu¨ck in Breslau], in: Architektura Wrocławia. Bd. 2: Urbanistyka, hg. v. Jerzy Rozpedowski, ˛ Wrocław 1995, S. 65–84. 2 Es handelt sich in erster Linie um Czesław Lasota, Małgorzata Chorowska, Rafał Czerner und Artur Kwa´sniewski.

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erhaltenen Fragmente der untersuchten Ha¨user erlaubten es in der Regel, die Breite der Parzellen zum Zeitpunkt der Errichtung des a¨ltesten gemauerten Vordergeba¨udes festzustellen. Zusa¨tzliche Hilfe boten die sporadisch aufgefundenen mittelalterlichen Grenzmauern. Die Tiefe der einzelnen Parzellen stellt dagegen ein erheblich gro¨ßeres Problem dar. Mit einer geradezu komfortablen Situation haben wir es bei Grundstu¨cken zu tun, deren hintere Grenze bis an den inneren Burggraben reichte. Dank Beobachtungen zur Verengung dieses Grabens kann die Vera¨nderung der Tiefe der an ihm liegenden Parzellen relativ gut verfolgt werden. Auch dort, wo die Stadtbefestigung die hintere Grenze der Grundstu¨cke gebildet hat, ist die Tiefe der Parzellen in einem zufriedenstellenden Maß ermittelbar. Am wenigsten erkennbar bleibt sie in der Bischofsgasse und an der Su¨dfront des Ketzerberges, weil dort nur die Vorderbereiche der Grundstu¨cke archa¨ologisch untersucht werden konnten. Daher kann die Grenze des Grabungsfensters als die minimale Grenze der Ausdehnung der Parzellen angesehen werden, wenngleich gewiss davon ausgegangen werden kann, dass die Grundstu¨cke gro¨ßer waren. Wo es mo¨glich ist, werden neben den im Verlauf der archa¨ologischen Untersuchungen gewonnenen metrischen Angaben auch die aus den historischen Quellen bekannten Parzellengro¨ßen angegeben, und zwar in den alten Maßeinheiten Fuß und Elle. Diese Maße werden folgendermaßen in metrische Werte umgerechnet: 1 Fuß = 0,313 m; 1 Elle = 0,576 m. Die nach der Umrechnung von Fuß und Elle erlangten metrischen Werte werden auf eine Stelle nach dem Komma abgerundet.3 Unsere Analyse beginnt mit den Grundstu¨cken in der Bischofsgasse. Dieses Terrain wurde bereits in der Zeit vor der Lokation bewohnt und wirtschaftlich genutzt. Die innerhalb der a¨ltesten, aus dem 13. Jahrhundert stammenden sta¨dtischen Wehrmauern gelegene Bischofsgasse geho¨rte im Mittelalter zum Ku¨rschnerviertel. Als Querstraße verband sie die Ohlauer mit der St.-Albrecht-Gasse und besaß als solche lange Zeit keinen eigenen Namen. Erst seit Ende des 15. Jahrhunderts ist sie als Bischofsgasse bekannt.4 Im Verlauf der Grabungsarbeiten wurden an dieser Straße neun Parzellen aufgedeckt – zwei auf der westlichen (Bischofsgasse 15 und 16) und sieben auf der o¨stlichen Seite (Ohlauer Gasse 69/Bischofsgasse 1 bis 7). Die Parzellen auf der Westseite wurden ho¨chstwahrscheinlich in der zweiten Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts abgeteilt. Einen indirekten Beleg dafu¨r liefert die Intensivierung der Siedlungsta¨tigkeit in dieser Zeit.5 Die Ausmaße der Parzellen zu dieser Zeit kennen wir

3 Zu den fru¨heren Breslauer Maßen zuletzt Chorowska, Sredniowieczna ´ kamienica (wie Anm. 1), dort

auch a¨ltere Literatur zum Thema.

4 Mirosław Babij u. a., Wyniki kompleksowych badan´ archeologicznych przy ul. Biskupiej 2–10 na

Starym Mie´scie we Wrocławiu [Ergebnisse der archa¨ologischen Untersuchungen in der Bischofsgasse 2–10 in der Breslauer Altstadt], Typoskript 1999, Teil 2, S. 73, Archiwum Wojewo´dzkiego Konserwatora Zabytko´w we Wrocławiu. 5 Karol Bykowski u. a., Wyprzedzajace, ˛ interdyscyplinarne badania archeologiczno-architektoniczne ´ w obr˛ebie placu Dominikanskiego we Wrocławiu. Wyniki badan´ archeologicznych [Interdisziplina¨re archa¨ologisch-architektonische Voruntersuchungen im Bereich des Dominikanerplatzes in Breslau. Ergebnisse der archa¨ologischen Untersuchungen], Typoskript 2000, S. 37, Archiwum Wojewo´dzkiego Konserwatora Zabytko´w we Wrocławiu.

Zur Parzellierung und Gro¨ße sta¨dtischer Grundstu¨cke im spa¨tmittelalterlichen Breslau

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nicht. Der Gro¨ße des spa¨teren gotischen Hauses nach zu urteilen, hatte das Grundstu¨ck Nr. 15 im 15. Jahrhundert eine Breite von etwa 7,5 m. Im Verlauf der Ausgrabungen wurde es auf einer La¨nge von 24,5 m freigelegt. Da die hinter diesem Grund¨ berreste von Wirtschaftsgeba¨uden zum Profil passen, ko¨nnen wir stu¨ck gefundenen U annehmen, dass seine La¨nge gro¨ßer gewesen sein du¨rfte. Die Parzelle Nr. 16 hatte im Spa¨tmittelalter eine Breite von etwa 6,5 m und wurde ebenfalls bis auf etwa 24,5 m La¨nge ausgegraben. In der Neuzeit wurden die Parzellen Nr. 15 und 16 auf etwa 19,5 m verku¨rzt, da ein neues Grundstu¨ck vom hinteren Teil dieser Parzellen abgetrennt wurde, dessen Front zur Predigergasse gerichtet war.6 Auch im Falle der auf der Ostseite der Bischofsgasse lokalisierten Parzellen wird die Gro¨ße der einzelnen Grundstu¨cke erst mit dem Auftreten der gotischen Bebauung erkennbar. Als Ergebnis der Erforschung einer großen Zahl archa¨ologischer Objekte aus der zwei¨ berresten von Frontgeba¨uden, die a¨lter ten Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts, darunter U waren als die gemauerte Bebauung (Bischofsgasse 2, Sektor 1, Objekt 2; Bischofsgasse 4, Sektor 6, Objekt 2). ko¨nnen wir vermuten, dass dieses Terrain zu jener Zeit ebenso wie das auf der gegenu¨berliegenden Seite bereits in Wohnparzellen aufgelassen war. Die Parzelle Ohlauer Gasse 69/Ecke Bischofsgasse 1–1a war urspru¨nglich mit der Front zur Ohlauer Gasse ausgerichtet. Die aufgedeckten Geba¨uderelikte erlauben die Annahme, dass seine Breite im Spa¨tmittelalter mindestens 8, vielleicht sogar 11 m betrug. Ihre Tiefenausdehnung wurde auf 24,5 m bestimmt. Die dreifache Adresse der Parzelle ist ein Ergebnis von Eigentumsteilungen in der spa¨ten Neuzeit. Die Nachbarparzelle, Bischofsgasse 2, hatte eine Breite von etwa 7,6 m. Sie wurde in einer La¨nge von etwa 16,5 m freigelegt. Die Breite der Parzelle stimmt mit einer Notiz im so genannten Karrenregister aus dem Jahre 1564 u¨berein, in dem die von der Parzellenbreite abzufu¨hrende Steuer verzeichnet und eine Gro¨ße von 13,25 Ellen = 7,6 m angegeben wurde.7 Die anschließende Parzelle Nr. 3 war viel breiter als die benachbarten. Ihre Front bildeten zwei gotische Geba¨ude, die noch im 15. Jahrhundert mit einem gemeinsamen hinteren Trakt verbunden waren. Innerhalb dieses Grundstu¨cks, in seinem Nordteil, befand sich die so genannte „Kleine Durchfahrt“ – eine Verbindung zwischen Bischofs- und Schneidergasse.8 Die Breite des Grundstu¨cks betrug zusammen mit dieser Durchfahrt etwa 12,5 m. Aus bestimmten Konstruktionsdetails der Geba¨ude ko¨nnen wir schließen, dass die Nachbarparzelle Nr. 4 urspru¨nglich eine Einheit mit der Parzelle Nr. 3 gebildet haben ko¨nnte. Sollte dies tatsa¨chlich der Fall gewesen sein, dann ha¨tte das urspru¨ngliche große Grundstu¨ck Nr. 3–4 eine Breite von 18 m gehabt. Mit Sicherheit wissen wir, dass es mindestens 16 m breit war. Aus dem bereits erwa¨hnten Karrenregister von 1564 ist bekannt, dass es bis zur Schneidergasse reichte. Unter Verwendung des Katasterplans von 1896 wurde festgestellt, dass die Entfernung zwischen der Front der Ostseite der Bischofsgasse und der Front der Westseite der Schneidergasse (fru¨her Ma¨ntlergasse) auf der Ho¨he der 6 Ebd. 7 Babij u. a., Wyniki (wie Anm. 4), Teil 2, S. 73–76. 8 Mateusz Golinski, ´ sredniowiecznego Wrocławia (przestrzen, ´ podatnicy, ´ Socjotopografia po´zno´

rzemiosło) [Sozialtopographie des spa¨tmittelalterlichen Breslau (Raum, Steuerzahler, Handwerk)], Wrocław 1997, S. 88.

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besprochenen Parzelle etwa 58 m betrug.9 Die Bebauung an beiden Seiten soll 26,5 Ellen (etwa 15,2 m) betragen haben. Vielleicht wurde in diesem Register die Breite der Durchfahrt nicht beru¨cksichtigt, woraus die Differenz herru¨hren ko¨nnte, die zwischen den im Verlauf der Ausgrabungen gewonnenen und den im Register notierten Maßen zu beobachten ist. Wie bereits erwa¨hnt, mochte das Grundstu¨ck in der Bischofsgasse 4 urspru¨nglich ein Teil der Parzelle Nr. 3 gewesen sein. Gewiss wurde es im 14./15. Jahrhundert von letzterer abgetrennt. Den Relikten des spa¨tgotischen Hauses nach zu urteilen, hatte die neue Parzelle eine Breite von etwa 6,5 m. Dem Register von 1564 zufolge betrug ihre Breite 13 Ellen (etwa 7,6 m). Sie wurde in einer La¨nge von 16 m freigelegt. Ein weiteres großes Grundstu¨ck mit einer Breite von etwa 16 m war im Spa¨tmittelalter das Anwesen Nr. 5. Seine Gro¨ße resultierte daraus, dass in seinem Bereich die so genannte „Große Durchfahrt“ lokalisiert war – eine Verbindung zwischen der Bischofs- und der Schneidergasse. Dem Karrenregister zufolge betrug ihre Breite an der Bischofsgasse 25 Ellen (14,2 m) und an der Schneidergasse 16,25 Ellen (9,1 m). Wir haben es hier also mit einem weiteren Grundstu¨ck zu tun, das in seiner La¨nge den gesamten Baublock durchzieht (d. h. etwa 58 m). Dieses Grundstu¨ck wurde ebenfalls auf eine Tiefe von etwa 16 m freigelegt. Die Breite der anschließenden Parzelle Nr. 6 betrug im Spa¨tmittelalter etwa 6 m. Ungefa¨hr ein solcher Wert wurde im Register von 1564 angegeben (11 Ellen – 6,3 m). Aber urspru¨nglich war sie sicher 16,5 m breit. Dies ko¨nnen wir auch aus der Analyse des Bebauungsprozesses des Frontteils des Grundstu¨ckes Nr. 6 und der von Norden mit ihm benachbarten Parzelle Nr. 7 schlussfolgern, die infolge einer um die Mitte des 14. Jahrhunderts erfolgten Teilung des Anwesens Nr. 6 in zwei kleinere entstand. Die Parzelle Nr. 7 war etwa 10,5 m breit. Im Register von 1564 wurde ihre Breite auf 16,5 Ellen gescha¨tzt (d. h. etwa 9,5 m). Hinzugefu¨gt werden muss, dass im 16. Jahrhundert auch dieses Grundstu¨ck die La¨nge des gesamten Viertels zwischen der Bischofs- und der Schneidergasse einnahm. Im Verlauf der Ausgrabungsarbeiten wurden die Parzellen Nr. 6 und 7 auf einer Tiefenausdehnung von etwa 17,5 m freigelegt.10 Fu¨r alle beschriebenen Parzellen auf der Ostseite der Bischofsgasse wurde die Breite bestimmt, die sie etwa um die Mitte des 14. Jahrhunderts – mit spa¨teren Vera¨nderungen – einnahmen. Nach Ansicht der Autoren des Berichts u¨ber die architektonischen Untersuchungen wurden zum Zeitpunkt der Parzellierung vollsta¨ndige Wohngrundstu¨cke mit einer Gro¨ße von 60 × 120 Fuß (Breslauer Fuß – etwa 31,3 cm) abgesteckt. Die Vermessungsmethode, gestu¨tzt auf neuzeitliche Pla¨ne, la¨sst auf der Ostseite der Bischofsgasse ein urspru¨ngliches Anwesen erkennen, dessen Front zur Ohlauer Gasse gerichtet war (neuzeitliche Nummern: Ohlauer Gasse 69, Bischofsgasse 1–1a, 2), vier Parzellen mit ihrer Front zur Bischofsgasse und eine mit der Front zur Albrechtgasse.11 Die Intensivierung der Nutzung dieses Gebietes in der zweiten Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts scheint das Auftreten der ersten Parzellierung zu besta¨tigen. Die Fixierung der Grenzen der Grundstu¨cke erfolgte nach dem Auftreten der 9 Archiwum budowlane miasta Wrocławia, Signatur 454. 10 Babij u. a., Wyniki (wie Anm. 4), Teil 1–2. 11 Ebd., Teil 2, S. 55.

Zur Parzellierung und Gro¨ße sta¨dtischer Grundstu¨cke im spa¨tmittelalterlichen Breslau

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gemauerten Bebauung um die Mitte des 14. Jahrhunderts, als es in dem untersuchten Bereich fu¨nf Parzellen gab (Ohlauer Gasse 69/Bischofsgasse 1–1a; Bischofsgasse 2; Bischofsgasse 3–4; Bischofsgasse 5; Bischofsgasse 6–7). Noch zur Zeit der Erbauung der gotischen Ha¨user wurden die Parzellen 3–4 und 6–7 in je zwei kleinere geteilt. Im ausgehenden Mittelalter ko¨nnen wir in dem ergrabenen Fragment auf der Ostseite der Bischofsgasse sieben getrennte Parzellen erkennen. Drei von ihnen (Bischofsgasse 3, 5 und 7) erreichten infolge der Grundstu¨ckszusammenlegung in der fru¨hen Neuzeit die La¨nge des gesamten Bebauungsblocks.12 Ein weiterer untersuchter Stadtbereich ist der durch die Junkerngasse, die Altbu¨ßergasse (fru¨herer Verlauf des inneren Stadtgrabens) und die Schustergasse abgesteckte Baublock. Die Parzellen in der Junkerngasse reichten hinten bis an die a¨lteste Mauergasse.13 Als die Stadtmauer keine Wehrfunktionen mehr erfu¨llte, wurde die Mauergasse in die Parzellen integriert und spa¨ter auch das Terrain des Vorfeldes der Mauer. Die archa¨ologischen Untersuchungen liefern uns praktisch keinerlei Informationen u¨ber die mittelalterliche Gro¨ße des Anwesens Nr. 31 (archivarisch Nr. 17). Im Jahre 1902 wurde das dort stehende gotische Geba¨ude samt Fundamenten abgerissen, um einem Neubau Platz zu machen. Nur im so genannten Mauerzinsverzeichnis sind Informationen u¨ber die Breite dieses Grundstu¨cks um die Mitte des 14. Jahrhunderts zu finden. An der Stadtmauer war es 20 Breslauer Ellen breit (1 Elle = 0,576 m), d. h. etwa 11,5 m. Die Tiefe dieses Grundstu¨cks von der Straßenfront betrug mindestens 21,5 m (= die La¨nge des Grabungsfensters in diesem Bereich). Das Grundstu¨ck Nr. 33 (archivarisch Nr. 18) konnte besser erkundet werden. Die fu¨r die Frontwand des gotischen Geba¨udes gemessene Breite betrug dort etwa 14,8 m und die im Verlauf der Ausgrabungen ermittelte La¨nge mindestens 26,8 m. Im Mauerzinsverzeichnis wird fu¨r dieses Anwesen ein Wert von 32 Ellen genannt (etwa 18,4 m). An dieser Stelle muss bemerkt werden, dass die Stadtmauer schra¨g zur Junkerngasse verlief, so dass die Ru¨ckseite dieses Grundstu¨cks sicher breiter war als seine Frontseite. Das Grundstu¨ck Nr. 35 (archivarisch Nr. 19) hatte der Frontwand des gotischen Hauses zufolge eine Breite von etwa 17,5 m. Dagegen kann seine durch archa¨ologische Untersuchungen ermittelte Tiefe unter zwei Gesichtspunkten betrachtet werden. Angesichts des seinen Umfang beschra¨nkenden Verlaufs der Stadtmauer aus dem 13. Jahrhundert konnte sie urspru¨nglich maximal etwa 14,0 bis 15,7 m betragen haben. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts, nach dem Anschluss des Terrains zwischen den Mauern (zwischen der eigentlichen Mauer und der die Terrasse der Vormauer begrenzenden Kurtinenmauer) an das Grundstu¨ck, mochte sich seine Tiefe bis auf maximal 38,7 m vergro¨ßert haben. Die urspru¨ngliche Parzellierung der drei hier beschriebenen

12 Golinski, ´ Socjotopografia (wie Anm. 8), S. 88. 13 Mateusz Golinski, ´ Kwartał dawnej zabudowy mi˛edzy ulicami Szewska,˛ Ofiar O´swi˛ecimskich,

Łaciarska˛ i Kazimierza Wielkiego w s´ wietle badan´ archeologicznych [Der Altbebauungsblock zwischen der Schuhbru¨cke, Junkerngasse, Altbu¨ßergasse und Altbu¨ßerohle im Lichte archa¨ologischer Untersuchungen], in: Silesia Antiqua 39 (1998), S. 209–214, hier S. 210. Erwa¨hnt werden muss, dass die Existenz einer an der Mauer entlang verlaufenden Straße im Verlauf der archa¨ologischen Untersuchungen nicht besta¨tigt werden konnte.

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Grundstu¨cke erfolgte vermutlich in der zweiten Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts, wie dies die im hinteren Bereich der Parzellen gefundenen, fu¨r das sta¨dtische Siedlungswesen typischen archa¨ologischen Objekte nahe legen (mit Holz verschalte Kloakengruben). Diese Parzellen mu¨ssen wegen Beschra¨nkungen durch die Stadtmauer anfangs wenig attraktiv gewesen sein. Ho¨chstwahrscheinlich siedelte sich dort die arme Bevo¨lkerung an oder sie wurden gewerblich genutzt. Die Mo¨glichkeit ihrer Vergro¨ßerung um die Gebiete zwischen den Mauern trug mit Sicherheit zur Hebung ihrer Attraktivita¨t bei.14 Das Anwesen Nr. 37 (archivarisch Nr. 20) entstand ho¨chstwahrscheinlich infolge der Teilung der benachbarten Parzelle Nr. 39 in zwei kleinere. Dies geschah um die Mitte des 14. Jahrhunderts. Das auf diese Weise abgetrennte Terrain des Anwesens Nr. 37 war im Frontteil etwa 7 m breit und etwa 34,5 m tief (bis zur Kurtinenmauer). Das Anwesen Nr. 39 (archivarisch Nr. 21) wurde ebenfalls um die Mitte des 14. Jahrhunderts abgesteckt. Es entstand dort, wo die Junkerngasse auf die Befestigung des 13. Jahrhunderts stieß. Auf dem kleinen Platz befand sich einer der Basteitu¨rme der a¨ltesten Stadtmauer. Nachdem dieser seine Wehrfunktion verloren hatte, konnte er fu¨r Wohnzwecke genutzt werden. Etwa um die Mitte des 14. Jahrhunderts wurde ein Frontgeba¨ude angebaut, das die alte Stadtmauer einbezog (diese steckte die Grenze zwischen dem hinteren und dem vorderen Trakt ab); das Terrain zwischen den Mauern wurde dabei zu seinem hinteren Teil. Der Eingang in die Keller des Geba¨udes befand sich auf der Westseite, d. h. auf der Seite des Grundstu¨cks Nr. 37, was uns Grund zu der Annahme liefert, dass dieses Gela¨nde zumindest teilweise urspru¨nglich ein Teil des Anwesens Nr. 39 war. Die große Parzelle 37–39 ha¨tte somit eine Breite von ungefa¨hr 32,7 m gehabt. Nach der Teilung mochte die Parzelle Nr. 39 eine Breite von etwa 25,7 m gehabt haben. Dieser Wert konnte teilweise auf der Grundlage der stichprobenartigen architektonischen Untersuchungen rekonstruiert werden, die im Bereich der Altbu¨ßergasse durchgefu¨hrt wurden.15 Im Verlauf der Untersuchungen wurde das Grundstu¨ck auf einer Breite von etwa 13,3 m freigelegt. Die Tiefe dieser großen Parzelle betrug etwa 31 m, gerechnet von der Grenze der Kurtinenmauer an. Die Entstehung der Grundstu¨cke Nr. 37 und 39 war nach dem Abschluss des Baus des a¨ußeren sta¨dtischen Befestigungsgu¨rtels um das Jahr 1340 mo¨glich, als der innere Bezirk seinen Wehrcharakter verlor.16 Die Vera¨nderungen der sta¨dtischen Befestigungsanlagen erlaubten eine Nutzung des Terrains su¨dlich der weiter oben erwa¨hnten Kurtinenmauer. Diesen Bereich bildete die untere Terrasse der Vormauer, die von Su¨den her durch eine weitere Kurtinenmauer begrenzt wurde, welche den Nordrand des Grabens absteckte. Im Bereich

14 Golinski, ´ Kwartał (wie Anm. 13), S. 210. 15 Wojciech Brzezowski/Małgorzata Chorowska/Czesław Lasota, Kompleksowe archeologiczno-

architektoniczne badania wykopaliskowe w kwartale zabudowy ograniczonym ulicami Kazimierza Wielkiego – Szewska˛ – Ofiar O´swi˛ecimskich – Łaciarska˛ na starym Mie´scie we Wrocławiu [Komplexe archa¨ologisch-architektonische Grabungsuntersuchungen in dem durch die Straßen Altbu¨ßerohle – Schuhbru¨cke – Junkerngasse – Altbu¨ßergasse begrenzten Baublock in der Breslauer Altstadt], in: Silesia Antiqua 39 (1998), S. 157–187, hier S. 159–161. 16 Golinski, ´ Kwartał (wie Anm. 13), S. 210.

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¨ berreste eines Trockengrabens freigelegt, der a¨lter war dieser Terrasse wurden die U als die Schwarze Ohle. Er war etwa 12–14 m breit. Zum Zeitpunkt des Durchstichs der Schwarzen Ohle wurde er auf etwa 8 m verengt, jedoch weiterhin genutzt.17 Nachdem das alte Befestigungssystem auf dem Gebiet der unteren Terrasse seine milita¨rische Bedeutung verloren hatte, kam es la¨ngs der unteren Kurtinenmauer zur Entstehung einer Wohnbebauung. Auf dem Gebiet zwischen den Geba¨uden und der oberen Kurtinenmauer entstand ein Platz bzw. eine Gasse ohne Namen, die spa¨ter als Hof des barocken Arbeits- und Armenhauses genutzt wurde.18 Im Verlauf der archa¨ologischen Untersuchungen wurde der su¨dliche und o¨stliche Teil des Arbeitshauses in der Altbu¨ßergasse 62 freigelegt. Im Su¨dteil dieses großen, neuzeitlichen Grundstu¨cks, das den gesamten Bereich zwischen der Altbu¨ßergasse und der Schuhbru¨cke einnahm, befanden sich im Spa¨tmittelalter und in der fru¨hen Neuzeit mindestens zwei Parzellen: Parzelle I: Ihre Ausmaße lassen sich hauptsa¨chlich anhand ¨ berreste des gotischen Geba¨udes rekonstruieren. Als Front dieses Anwesens der U wurde die Nordwand des Wohngeba¨udes erkannt; seine hintere Grenze bildete die Schwarze Ohle. Somit ko¨nnte die Tiefe der Parzelle (Nord-Su¨d-Achse) etwa 13–15 m betragen haben und ihre Breite (Ost-West-Achse) mindestens 19,7 m. Parzelle II: ¨ hnlich wie im Fall der Parzelle I wurden die Ausmaße auf der Grundlage der A ergrabenen Bebauungsreste und der Uferlinie der Schwarzen Ohle rekonstruiert. Die La¨nge (in der Nord-Su¨d-Linie) betrug etwa 15 m, die Breite (in Ost-West-Richtung) etwa 31,5 m. Daraus ergibt sich, dass beide Parzellen in ihrer Tiefe stark reduziert wurden, jedoch ziemlich breit waren. Als Ursache dafu¨r kamen sicher die spezifischen lokalen Bedingungen in Frage. Von Norden begrenzte sie eine Gasse, die nach Zuschu¨ttung des a¨ltesten Trockengrabens entstanden war und von Su¨den das Bett der weiterhin existierenden Schwarzen Ohle. Schwieriger fassbar war die Grenze zwischen diesen Parzellen. Hier stu¨tzte man sich auf die Analyse der Bebauungsentwicklung, wobei als Moment der Teilung in zwei getrennte Anwesen die Entstehungszeit beider Frontgeba¨ude etwa um die Mitte des 14. Jahrhunderts angenommen wurde. Die Parzellierung der Grundstu¨cke in der Weidengasse 2, 3 und 4 erfolgte spa¨testens in den vierziger Jahren des 14. Jahrhunderts – nach Abschluss des Baus des Außengu¨rtels der Stadtbefestigung. Fu¨r eine solche Datierung sprechen indirekt die schriftlichen Quellen, in denen von Parzellen die Rede ist, die hinter der Kirche ¨ gypten (heute St. Christophorus) lagen. Auch der Name der Straße St. Maria von A Wydingasse (Weidengasse) erscheint zum ersten Mal im Jahre 1346.19 Dies besta¨ti-

17 Czesław Lasota/Zdzisław Wi´sniewski, Badania fortyfikacji miejskich Wrocławia z XIII wieku

[Untersuchungen der Stadtbefestigungen Breslaus des 13. Jahrhunderts], in: Silesia Antiqua 39 (1998), S. 9–30, hier S. 15. 18 Brzezowski/Chorowska/Laso ta, Kompleksowe archeologiczno-architektoniczne badania (wie Anm. 15), S. 179–186. 19 Mirosław Babij u. a. Kompleksowe badania archeologiczno-architektoniczne działki nr 3 (dawne 2, 3, 4) przy ul. Wierzbowej na Starym Mie´scie we Wrocławiu [Komplexe archa¨ologisch-architektonische Untersuchungen des Grundstu¨cks Nr. 3 (fru¨her 2,3,4) an der Weidengasse in der Breslauer Altstadt], S. 107, Archiwum Wojewo´dzkiego Konserwatora Zabytko´w we Wrocławiu.

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gen auch die Ergebnisse der archa¨ologischen Untersuchungen. Die Parzelle Weidengasse 2 wurde teilweise freigelegt – auf einer Breite von etwa 9 m im vorderen Bereich und von etwa 37 m in der Tiefe. Die Parzellen mit den neuzeitlichen Nummern 3 und 4 bildeten urspru¨nglich ganz sicher ein großes Grundstu¨ck, das in einer La¨nge von etwa 37 m und einer Breite von etwa 16 m freigelegt wurde und das in der ersten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts in zwei kleinere mit einer Breite von etwa 10 m (Nr. 3) bzw. etwa 5 m (Nr. 4) aufgeteilt wurde. Dafu¨r sprechen folgende Tatsachen: 1. das sich in dem Teil der Parzelle befindende gotische Geba¨ude, dem spa¨ter die Nr. 4 verliehen wurde, sollte in Richtung der Parzelle Nr. 3 ausgebaut werden. Davon zeugen die in ihrer nordwestlichen Ecke belassenen Einschnitte; 2. im 14. – 15. Jahrhundert war die Nutzung des hinteren Teils beider Grundstu¨cke recht gering und homogen. Die Objekte verdoppelten sich nicht in ihren Funktionen. Erst im 16. Jahrhundert, nach der Teilung in zwei getrennte Anwesen, traten zwei chronologisch parallele Kloakengruben in Erscheinung (je eine auf jeder Parzellen); 3. das Frontgeba¨ude auf dem Grundstu¨ck Nr. 3 wurde erst im 16. Jahrhundert im Stil der Fru¨hrenaissance errichtet. Die gro¨ßte Gruppe bu¨rgerlicher Grundstu¨cke in Breslau wurde wa¨hrend der Ausgrabungen su¨dlich des heutigen Dominikanerplatzes entdeckt (vgl. Abb. 1). Den Untersuchungsstandort begrenzten die Poststraße, die Ohlauer Straße und Reste des heutigen Bettes des a¨ußeren Stadtgrabens. Im Verlauf der Untersuchungen wurden 27 Grundstu¨cke an den heute nicht mehr existierenden Straßen Ketzerberg (5–18, 20, 28) und Graben (8–10, 27–29, 31, 33, 35, 37, 39, 41, 43, 45, 47–49) sowie an der Nordpartie der Neuen Gasse (36, 38, 40) vollsta¨ndig oder teilweise freigelegt. Die Parzellen an der Neuen Gasse, die im Mittelalter die hinteren Partien der am Ketzerberg befindlichen Grundstu¨cke bildeten, wurden gemeinsam mit den Parzellen aus dieser Straße Nr. 13–19 beschrieben. Die Adressen der Parzellen an der Neuen Gasse sind das Ergebnis einer erneuten Parzellierung dieses Terrains im 19. Jahrhundert.20 Die Parzelle am Ketzerberg Nr. 5 wurde auf einem kleinen Abschnitt ihrer urspru¨nglichen Fla¨che erkundet. Das gotische Geba¨ude mit einer etwa 7,9 m breiten Fassade nahm sicher fast ihre gesamte Breite ein. Vom Grundstu¨ck Nr. 3 trennten sie ho¨chstwahrscheinlich ein Zaun und ein zum Anwesen Nr. 5 geho¨render Grenzweg. Diese Situation zeigt der Stadtplan von Bartholoma¨us Weyhner aus dem Jahre 1562 (vgl. Abb. 2, große runde Markierung rechts). Die Breite der Parzelle Nr. 7 – etwa 9,2 m – wurde ebenfalls auf der Grundlage der Breite dieses Vordergeba¨udes rekonstruiert. Die Tiefe der Parzelle wurde bis auf etwa 18 m freigelegt. Die Parzelle Nr. 9 ¨ hnlich wie im Fall der Parzelle Nr. 7 wurde sie auf einer La¨nge war etwa 7,5 m breit. A von etwa 18 m erkundet. Auch hier stu¨tzte man sich bei der Bestimmung der Breite der Parzelle auf die Ausmaße der Frontwand des gotischen Hauses. Die hier beschriebenen Parzellen mochten urspru¨nglich ein Ganzes gebildet haben. Auf Weyhners Plan bildet ein großer Hof den hinteren Bereich der Geba¨ude 5, 7 und 9. Wie Mateusz ´ Golinski vermutet, ko¨nnte das Gela¨nde dieser Grundstu¨cke urspru¨nglich als Ganzes von der Zunft der wallonischen Weber erworben und spa¨testens um 1355 unter die

20 Archiwum budowlane miasta Wrocławia, Signatur T. 3147.

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Abb. 1: Mittelalterliche und fru¨hneuzeitliche Bebauung am Dominikanerplatz 1 = St. Adalbert; 2 = innerer Stadtgraben; 3 = Graben; 4 = Ketzerberg; 5 = Neue Gasse ¨ berreste der Steinbebauung: a = Verteidigungsmauer (Mitte 13. Jh.); U b = Steinha¨user (14. – 15. Jh.); c = Steinha¨user (Ende 15. – 16. Jh.)

einzelnen Zunftmitglieder aufgeteilt (parzelliert) worden sein.21 Aber auf der Grund21 Mateusz Golinski, ´ ´ deł pisa´ ´ Rejon obecnego placu Dominikanskiego w s´ wietle s´ redniowiecznych zro

nych [Das Areal des heutigen Dominikanerplatzes im Lichte der mittelalterlichen Schriftquellen], Typoskript 2000, S. 7–9, Archiwum Wojewo´dzkiego Konserwatora Zabytko´w we Wrocławiu.

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lage der ergrabenen Siedlungsreste aus der zweiten Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts kann angenommen werden, dass dies viel fru¨her geschah. Die Parzelle Ketzerberg Nr. 11 wurde vom Grundstu¨ck Nr. 13 im 15. Jahrhundert oder sogar etwas spa¨ter abgetrennt. Ihre Breite betrug etwa 8,75 m und ihre untersuchte La¨nge 26 m. Das Grundstu¨ck Nr. 13 ko¨nnte also urspru¨nglich (vor der Abtrennung des Anwesens Nr. 11) etwa 20,25 m breit gewesen sein. Nach der Teilung verringerte sich seine Breite auf 13,5 m. Im Ausgrabungsbereich wurde es auf einer La¨nge von etwa 32,5 m erkundet. Die urspru¨ngliche Parzellierung erfolgte spa¨testens um die Mitte des 14. Jahrhunderts, als auf ihm ein Frontgeba¨ude mit einem Kellereingang von der Westseite (d. h. vom Terrain des spa¨teren Anwesens Nr. 11) aus errichtet wurde. Die Parzelle Nr. 15 wurde zusammen mit der Nachbarparzelle Nr. 17–19 am besten untersucht. Der Vermessung der Frontwand des gotischen Hauses zufolge hatte das Grundstu¨ck Nr. 15 eine Breite von etwa 10 m. Wegen seiner Lage direkt am mittelalterlichen Befestigungsgu¨rtel besaß es eine unregelma¨ßige, trapeza¨hnliche Gestalt. Seine hintere Grenze bildete die Neue Gasse an der Mauer. Der Abstand von der Front des Anwesens bis zur Grenze der Neuen Gasse betrug etwa 30–36 m. Die Parzelle Nr. 17–19 nahm die Straßenecke Ketzerberg/Neue Gasse ein. Die Doppelnummer dieser Parzelle entstand erst nach 1916. Fru¨her besaß sie, obwohl zwei gotische Geba¨ude auf ihr standen, nur eine Adresse.22 Die Front dieser gotischen Bebauung orientierte sich an dem am Zusammentreffen der beiden erwa¨hnten Straßen entstandenen kleinen Platz. ¨ hnlich wie die Nachbarparzelle besaß dieses Grundstu¨ck die Gestalt eines unregelA ma¨ßigen Trapezes. Die La¨nge seiner oberen Basis an der Seite des kleinen Platzes, die gleichzeitig die Grenze zum Grundstu¨ck Nr. 15 bildete, betrug etwa 16,25 m. Eine der Trapezseiten am Ketzerberg war etwa 18 m, die andere an der Neuen Gasse etwa 22 m lang. Die Grenzen des Grundstu¨cks wurden auf der Grundlage der erhaltenen Reste der beiden gotischen Geba¨ude und des Holzzauns ermittelt, der zur Neuen Gasse hin aufgedeckt wurde. Wie im Fall der Nachbargrundstu¨cke musste die Parzellierung spa¨testens um die Mitte des 14. Jahrhunderts erfolgt sein. Die Errichtung zweier gotischer Geba¨ude auf diesem Grundstu¨ck scheint nahezu legen, dass die Teilung des Anwesens in zwei getrennte Grundstu¨cke noch im Mittelalter erfolgte. Dies ist allerdings nicht sicher. Auf Weyhners Plan sehen wir keinen Zaun, der dieses Anwesen in zwei kleinere teilen wu¨rde (vgl. Abb. 2, A). Ein solcher findet sich erst auf Merians Plan aus dem Jahre 1641. Ein zusa¨tzliches Argument, das fu¨r die Einheit dieses Anwesens im Mittelalter und in der fru¨hen Neuzeit spricht, liefert die gemeinsame Adresse. Der Hof des Grundstu¨cks in Form eines L wurde im Spa¨tmittelalter intensiv genutzt, aber der Charakter der freigelegten archa¨ologischen Objekte deutet nicht auf eine Teilung der Parzelle. Im Bereich dieses Grundstu¨cks wurden auch Bebauungsspuren aus der Zeit vor der Parzellierung gefunden (mindestens seit Beginn des 13. Jahrhunderts). Die Entdeckung von Wohnha¨usern und sie begleitender Wirtschaftsgeba¨ude auf der Su¨dseite des Ketzerberges 3, die auf die zweite Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts datiert werden, erlaubt die Annahme, dass dieses Gebiet in der Zeit ihrer Nutzung bereits bis

22 Archiwum budowlane miasta Wrocławia, Signatur 454.

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A

Abb. 2: Su¨do¨stlicher Teil Breslaus auf dem axonometrisch-perspektivischen Plan des Bartholoma¨us Weyhner von 1562 hervorgehobene Bereiche = archa¨ologisch erforschte Gebiete

zu einem gewissen Grade in Grundstu¨cke aufgeteilt gewesen sein muss. Doch haben die archa¨ologischen Untersuchungen keinerlei Grundlagen fu¨r eine Feststellung der Grenzen zu jener Zeit geboten. Das Auftreten einer steinernen Bebauung etwa um die Mitte des 14. Jahrhunderts fu¨hrte zur Fixierung der Grundstu¨cksgrenzen, und erst seit dieser Zeit werden sie fu¨r uns sichtbar.

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Die hintere Grenze der auf der Nordseite des Ketzerberges freigelegten bu¨rgerlichen Grundstu¨cke verlief am inneren Graben, der infolge des Verlusts seiner milita¨rischen Bedeutung zum Innenstadtkanal wurde. Der urspru¨ngliche Verlauf des Grabens war von der Frontlinie der spa¨teren Bebauung nur etwa 1,3–1,5 m entfernt. Erst nach der Verengung des Grabenbetts und der Nivellierung des Terrains wurde es mo¨glich, dort nicht allzu tiefe Parzellen abzustecken. Die vordere Grenze bildeten die Fassaden der mittelalterlichen und der Renaissanceha¨user (vgl. Abb. 1). Mit der schrittweisen Verengung des Grabenbetts und der Entstehung weiterer Uferbefestigungen vergro¨ßerte sich das Grundstu¨cksareal. Dieser Prozess endete an der Wende des 15./16. Jahrhunderts, als eine Uferbefestigung aus Ziegeln gebaut wurde, die am Graben mit Sandsteinplatten umkleidet wurde.23 Im Bereich des nur auf einer kleinen Fla¨che freigelegten Anwesens am Ketzerberg 6 wurde in einer Entfernung von etwa 9 m von der Frontlinie der spa¨teren Bebauung eine der Uferbefestigungen des Grabens entdeckt – das a¨lteste von der Nutzung dieses Terrains zeugende Objekt. Dabei handelte es sich um eine Holzkonstruktion, die allgemein auf das 15. Jahrhundert datiert wird. Eine weitere Modifizierung bildete die oben beschriebene Uferbefestigung in gemauerter Konstruktion. Die Entfernung von der Front des Grundstu¨cks bis zu diesem Kai betrug etwa 11 m. Im Spa¨tmittelalter und in der fru¨hen Neuzeit wurde das Terrain dieses Grundstu¨cks nicht bebaut. Sicher bildete es ein Ganzes mit der Parzelle Nr. 8. Im Bereich dieser Parzelle wurden Fundamente eines Renaissancegeba¨udes gefunden, dessen Frontpartie die Grenze des Grundstu¨cks an der Straßenseite bildete. Es war 12,5 m breit, was erlaubt, diesen Wert als die minimale Breite des Grundstu¨cks anzuerkennen. Dafu¨r kennen wir ihre Tiefe genau, na¨mlich den Abstand von der Front bis zum gemauerten Kai, d. h. 11 m. Bereits im 14. – 15. Jahrhundert wurde dieses Grundstu¨ck recht intensiv bewirtschaftet. Aus dem 15. Jahrhundert stammt das Fundament eines Holzgeba¨udes, das sich am Ufer dieses Grabens befand.24 Die a¨lteste Spur der Nutzung dieser Parzelle bildet ein dendrochronologisch auf nach 1373 datierter Brunnen. Mit einer gewissen Vorsicht ko¨nnen wir annehmen, dass die Parzellierung dieses Anwesens in der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts erfolgte. In dem uns interessierenden Zeitraum gab es auf den Grundstu¨cken Nr. 10 und 12 keine Frontgeba¨ude. Dort wurden verschiedene Objekte gefunden, die von der Nutzung dieses Gela¨ndes im Mittelalter und in der Renaissance zeugen. Die Tiefe dieser Anwesen betrug im Mittelalter etwa 7–9 m und an der Wende des 15./16. Jahrhunderts etwa 11,3 m. Wenn wir

23 Leszek Berduła u. a., Wyniki badan´ archeologiczno-architektonicznych na posesjach Kacerska

Go´rka nr 6, 8, 10, 12, 14, 16 i Zaułek Koci nr 17, 19, 21, 23, 25, 27 [Ergebnisse der archa¨ologischarchitekonischen Untersuchungen auf den Grundstu¨cken Ketzerberg Nr. 6, 8, 10, 12, 14, 16 und an der Ka¨tzelohle Nr. 17, 19, 21, 23, 25, 27], in: Silesia Antiqua 35 (1993), S. 102–127, hier 122–123; Małgorzata Chorowska/Artur Kwa´sniewski, Wyprzedzajace, ˛ interdyscyplinarne badania archeologicz´ no-architektoniczne w obr˛ebie placu Dominikanskiego we Wrocławiu. Wyniki badan´ architektonicznych [Interdisziplina¨re archa¨ologisch-architektonische Voruntersuchungen im Bereich des Dominikanerplatzes in Breslau. Ergebnisse der archa¨ologischen Untersuchungen], Typoskript 2000, S. 10–17, Archiwum Wojewo´dzkiego Konserwatora Zabytko´w we Wrocławiu. 24 Berduła u. a., Wyniki (wie Anm. 23), S. 121–122.

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davon ausgehen, dass die Grundstu¨cke Nr. 6, 8, 10 und 12 im Mittelalter ein Ganzes bildeten, dann betrug die Breite dieses großen Grundstu¨cks mindestens 32,5 m. Eine so große Parzelle zeigt Weyhners Plan von 1562. Das auf ihm erkennbare zweite große Grundstu¨ck befand sich auf dem Gebiet der spa¨teren Parzellen Nr. 14, 16 und 18. Das zu ihm geho¨rende Frontgeba¨ude aus dem 16. Jahrhundert war in den Parzellen 16 und 18 lokalisiert. Die Tiefe des Grundstu¨cks von der Front des Hauses aus dem 16. Jahrhundert bis zur a¨lteren Uferbefestigung betrug etwa 9 m, bis zum gemauerten Kai dagegen etwa 11,3 m im westlichen Teil und etwa 16,2 m im nordo¨stlichen. Die Gesamtbreite mochte etwa 26,8 m betragen haben. Im Bereich des neuzeitlichen Anwesens am Ketzerberg 22 wurde eine Gruppe von Objekten entdeckt, die auf die Mo¨glichkeit einer Bebauung und Bewirtschaftung dieses Gebietes hindeuten, wie sie fu¨r das bu¨rgerliche Siedlungswesen der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts typisch ist.25 Dazu geho¨ren Relikte eines leicht in die Straße vorgeschobenen Wohngeba¨udes mit dazugeho¨riger Zisterne, keramischer Wasserleitung und einer Kloakengrube. Aber infolge der Zersto¨rung des gesamten Komplexes wa¨hrend der Regulierung des Grabenbetts la¨sst sich die Gro¨ße dieser a¨ltesten Parzelle nicht bestimmen. Infolge der Verengung des Grabens wurde die spa¨tmittelalterliche Besiedlung des fru¨her sein Bett bildenden Terrains ermo¨glicht. Als Beispiel dafu¨r ko¨nnen zwei Geba¨ude dienen, die auf den fru¨hmittelalterlichen Parzellen am Ketzerberg 22 und 28 errichtet wurden, deren ganze Tiefe der zwischen den Geba¨udefronten und dem Grabenbett liegende Bereich bildete. Die Tiefe der Parzelle Nr. 22 betrug etwa 12–13 m, die der Parzelle Nr. 28 dagegen nur 7,5 m, ihre Breite entsprechend 17,7 und 16 m. Gestu¨tzt auf obige Angaben ko¨nnen wir feststellen, dass die erste Parzellierung auf der Nordseite des Ketzerberges in der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts stattgefunden haben du¨rfte. Infolge der Verengung des Grabenbetts im 15. Jahrhundert und der Stabilisierung der Uferbefestigungen gegen Ende dieses Jahrhunderts wurde das Terrain auf 2 oder 3 Anwesen von recht betra¨chtlicher Breite aufgeteilt, und das Vorhandensein von vier archa¨ologisch bezeugten Frontgeba¨uden an dieser Stelle etwa um die Mitte des 16. Jahrhunderts kann davon zeugen, dass in dieser Zeit mindestens vier Parzellen existierten. Einen gewissen Hinweis, der u¨ber die Breite der Parzellen in der Zeit des Baus des gemauerten Kais informiert, kann die La¨nge der Abschnitte der errichteten Mauer liefern. Aus den archa¨ologischen Untersuchungen wissen wir, dass die Uferbefestigung in Etappen errichtet wurde, was vielleicht aus der gemeinsamen Finanzierung des Baus durch alle Eigentu¨mer der an den Graben angrenzenden Grundstu¨cke resultierte. Die einzelnen Abschnitte der Mauer decken sich teilweise mit den rekonstruierten Grenzen der Grundstu¨cke, wie dies fu¨r die Anwesen Nr. 6–8, 18–20 und 26–28–30 festgestellt wurde. In einem Fall befand sich der Beru¨hrungspunkt zweier Mauerabschnitte in der Mitte des Grundstu¨cks Nr. 10.26 25 Cezary Bu´sko/Jerzy Piekalski, Sredniowieczna ´ ˙ ´ i nowozytna parcela mieszczanska przy ul. Kacerska

Go´rka 20/Zaułek Koci 31 [Die mittelalterlichen und fru¨hneuzeitlichen Bu¨rgerparzellen Ketzerberg 20/Ka¨tzelohle 31], in: Silesia Antiqua 35 (1993), S. 166–173; Andrzej Dwojak, Kompleksowe badania archeologiczne w obr˛ebie ulic Kacerska Go´rka i Zaułek Niski [Komplexe archa¨ologische Untersuchungen im Bereich der Straßen Ketzerberg und Graben], in: Silesia Antiqua 35 (1993), S. 258–305. 26 Bei der Absteckung der Abschnitte der Uferbefestigung stu¨tze ich mich auf den Situationsplan Nr. 1 bei Chorowska/Kwa´sniewski, Wyprzedzajace ˛ (wie Anm. 23).

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Auf der Nordseite des inneren Grabens, gleichsam eingezwa¨ngt zwischen der Stadtmauer des 13. Jahrhunderts und dem Graben, befand sich eine kleine Gasse mit der Bezeichnung „Graben“. Die su¨dliche Grenze der in der Su¨dfront dieser Straße befindlichen Parzellen wurde durch die Uferbefestigung des Grabens gebildet. Wegen dieser Lage waren die Parzellierungsmo¨glichkeiten dort viel beschra¨nkter als auf dem Ketzerberg. Aber auch dieses Terrain wurde im Spa¨tmittelalter in bu¨rgerliche Grundstu¨cke aufgeteilt. Wie man aufgrund schriftlicher Quellen annehmen kann, begann der Prozess der Absteckung von Parzellen hier bereits um die Mitte des 14. Jahrhunderts.27 Eine solche Datierung scheinen auch die archa¨ologischen Untersuchungen zu besta¨tigen. Als zeitliche Za¨sur dieser Parzellierung wurde die zweite Bauphase der Uferbefestigung angenommen (vgl. Abb. 3), d. h. die Jahre 1318–1348. Diese Phase ging unmittelbar dem Auftreten der Wohnbebauung voraus.28 Also existierten erst nach 1348, d. h. nach Abschluss der Nivellierungsarbeiten (es wurde eine etwa 2 m dicke Sand- und Kiesschicht aufgeschu¨ttet) und der Stabilisierung des Grabenufers Bedingungen zur Durchfu¨hrung einer Aufteilung des Terrains in Parzellen.29 An der Nordseite der Graben-Gasse wurde eine Parzelle mit der neuzeitlichen Nummer 8–10 aufgedeckt. Die gesamte Fla¨che dieser zwischen zwei Basteitu¨rmen und der Wehrmauer eingezwa¨ngten Parzelle nahm ein im 15. Jahrhundert errichtetes Wohngeba¨ude ein (vgl. Abb. 1). Die La¨nge der Frontwand dieses Geba¨udes betrug etwa 12,6 m. Die Entfernung von der Frontwand bis zur Wehrmauer betrug etwa 3,5 m. Die Doppelnummerierung des Hauses trat erst im 19. Jahrhundert in Erscheinung.30 Auf der Su¨dseite der Straße wurden 10 aus dem Spa¨tmittelalter stammende Parzellen ermittelt. Die Parzelle Graben 27–29 (fru¨her Nr. 15) hatte im spa¨ten Mittelalter eine Breite von etwa 12,8 m. Dieser Wert wurde aufgrund der Breite des Fronthauses aus dem 14. Jahrhundert ermittelt. Ihre volle Tiefe von der Front des gotischen Hauses bis zur Uferbefestigung des Grabens betrug etwa 21,25 m. Die Parzelle Nr. 31 (bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts Nr. 16) wurde erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts abgesteckt, vorher bildete sie zusammen mit der Parzelle Nr. 33 ein Ganzes. Gestu¨tzt auf die Breite des Frontgeba¨udes kann angenommen werden, dass die Parzelle Nr. 31 zum Zeitpunkt ihrer Absteckung etwa 6,75 m breit war und ihre Tiefe

27 Golinski, ´ Rejon (wie Anm. 21), S. 7–10. 28 Zbigniew Lissak u.a, Sprawozdanie z ratowniczych badan´ archeologiczno-architektonicznych w

obr˛ebie posesji: Zaułek Niski nr 27, 29, 31, 33 i Zaułek Koci nr 26, 28, 30, 32 [Bericht u¨ber die archa¨ologisch-architektonischen Rettungsgrabungen im Bereich der Grundstu¨cke Graben Nr. 27, 29, 31, 33 und Ka¨tzelohle Nr. 26, 28, 30, 32] in: Silesia Antiqua 35 (1993), S. 61–68, hier S. 62; Romuald ˙ Piwko/Jerzy Romanow, Formy przeobrazenia i fazy zagospodarowania po´łnocno-wschodniej cz˛es´ ci ´ terenu pl. Dominikanskiego w s´ wietle wyniko´w badan´ archeologiczno-architektonicznych [Formen der Umwandlung und Bewirtschaftungsphasen des nordo¨stlichen Teils des Dominikanerplatzes im Lichte der Ergebnisse archa¨ologisch-architektonischer Untersuchungen], in: Silesia Antiqua 35 (1993), S. 71–81, hier S. 73–74. 29 Karol Maleczynski, ´ Dzieje Wrocławia od czaso´w najdawniejszych do roku 1618 [Geschichte Breslaus von der a¨ltesten Zeit bis zum Jahr 1618], in: Dzieje Wrocławia do roku 1807, hg. v. Dems./Wacław Długoborski/Jo´zef Gierowski, Warszawa 1958, S. 11–197, hier 82. 30 Archiwum budowlane miasta Wrocławia, Signatur Z. 1414.

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von der Front des Hauses bis zur Uferbefestigung des Grabens aus dem 16. Jahrhundert etwa 20 m betrug. Die Parzelle Nr. 33 (fru¨her Nr. 17) hatte urspru¨nglich (zusammen mit dem Grundstu¨ck Nr. 31) eine Breite von etwa 16 m. Ihre Tiefe von der Frontwand des gotischen Hauses bis zur Uferbefestigung des Grabens der Phase II (gemauPhase 1261-1291

Phase 1299

Phase 1299-1318

Phase 1318-1340

Phase vor 1459

Abb. 3: Entwicklungsphasen des no¨rdlichen Stadtgrabenufers nahe Graben 35–39 1 = aktueller Zustand; 2 = fru¨herer Zustand; 3 = gewachsener Boden Quelle: nach Piwko/Romanow, Formy (wie Anm. 28)

erter Kai) betrug etwa 21,75 m. Nach ihrer Aufteilung in zwei Parzellen im 16. Jahrhundert blieb ihre Tiefe unvera¨ndert, wa¨hrend sich ihre Breite auf etwa 9,5 m verringerte (den Grenzweg zum Anwesen Nr. 35 mitgerechnet). Die Relikte des gotischen Hauses deuten darauf hin, dass das Grundstu¨ck Nr. 38 (Nr. 18) im Spa¨tmittelalter etwa 7 m breit war, wa¨hrend seine Tiefe, gerechnet von der Front bis zur Uferbefestigung des Grabens der Phase II, etwa 16,5 m betrug. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts vergro¨ßerte sich seine Tiefe infolge der weiteren Verengung des Grabenbetts um etwa 2 m. Das Anwesen Nr. 37 (Nr. 19) war im Verlauf der Errichtung des

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gotischen Hauses etwa 7,5 m breit und etwa 16,5 m tief. Gegen Ende des Mittelalters vergro¨ßerte sich seine Tiefe auf etwa 19 m. Das Anwesen Nr. 39 (Nr. 20) war etwa 7 m breit und etwa 16,5 m tief. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts vergro¨ßerte sich seine Tiefe auf 19,25 m. Die durch die Frontbebauung des 14. Jahrhunderts abgesteckte Breite des Grundstu¨cks Nr. 41 (Nr. 21) betrug etwa 7 m, seine Tiefe von der Frontwand bis zur Uferbefestigung etwa 16,5 m und nach der Verengung des Grabens gegen Ende des 15. Jahrhunderts dann 18,5 m. Die Parzelle Nr. 43 (Nr. 22) hatte im Mittelalter dieselbe Tiefe wie die vorherige, wa¨hrend ihre Breite etwa 7,7 m betrug. Die anschließende Parzelle Nr. 45 (Nr. 23) war etwas breiter – 8,2 m. Ihre Tiefe bis zu der vom Ende des 15. Jahrhundert stammenden Uferbefestigung betrug 16,5 m und gegen Ende des 15. Jahrhunderts dann 17,8 m. Das letzte der in der su¨dlichen Front der Graben-Gasse freigelegten Anwesen, das Grundstu¨ck Nr. 47–49 (urspru¨nglich Nr. 25), war breiter als die u¨brigen. Die Relikte des auf dieser Parzelle errichteten gotischen Geba¨udes und die Entfernung vom Geba¨ude auf dem Grundstu¨ck Nr. 45 ¨ hnlich wie erlauben die Annahme, dass ihre Breite etwa 11 m betragen haben du¨rfte. A im Fall der benachbarten Parzellen betrug ihre Tiefe gegen Ende des 15. Jahrhunderts etwa 16,5 m, um 100 Jahre spa¨ter etwa 18,25 m zu erreichen. ¨ berblick erkennt man schon auf den ersten Blick, dass im Bereich Aus obigem U der so genannten a¨ußeren Stadt die Gro¨ße der Grundstu¨cke in hohem Maße von den dortigen topografischen Bedingungen und Eigentumsverha¨ltnissen abha¨ngig war. Die Feststellung der Breite der untersuchten Parzellen bereitete im Allgemeinen keine gro¨ßeren Schwierigkeiten und war fu¨r 40 der 47 analysierten Anwesen mo¨glich. Die Bestimmung der Tiefe der Parzellen war dagegen weitaus schwieriger. Mit voller Gewissheit konnte dieser Wert nur fu¨r 28 Grundstu¨cke ermittelt werden. Fu¨r 26 Parzellen konnte sowohl ihre Breite als auch ihre Tiefe bestimmt werden. Die sich am ha¨ufigsten wiederholende Parzellenbreite liegt zwischen 6,5 und 8 m. Die gro¨ßte Normalisierung weisen die Breiten der Parzellen auf der Su¨dseite der Graben-Gasse auf. Die Ha¨lfte der zehn dort untersuchten Parzellen wies eine Breite von beinahe 7 m auf. Auch ihre Tiefe war fast einheitlich und betrug urspru¨nglich etwa 16,5 m, um dann gegen Ende des 15. Jahrhunderts infolge der Verengung des Grabens auf etwa 18,5 m anzuwachsen. Die Breite der Parzellen auf beiden Straßenseiten der Bischofsgasse bewegte sich ebenfalls in den Grenzen von 6,5 bis 8 m, mit Ausnahme zweier gro¨ßerer Grundstu¨cke mit einer Breite von 16,5 und 18 m, auf denen sich Durchfahrten befanden, die die Bischofs- mit der Schneidergasse verbanden. Die urspru¨nglichen Tiefen der dortigen Parzellen kennen wir nicht, da nur ihre vorderen Teile Gegenstand der Untersuchungen waren. Aus historischen Quellen wissen wir jedoch, dass drei von ihnen im Fru¨hmittelalter die gesamte La¨nge des von der Bischofs- und der Schneidergasse begrenzten Viertels einnahmen. Aus den Angaben der Katasterpla¨ne des 19. Jahrhunderts wissen wir, dass diese La¨nge etwa 58 m betrug. Ein Teil der Forscher ha¨lt es fu¨r mo¨glich, dass die urspru¨ngliche Parzellierung dieses Terrains zum gleichen Zeitpunkt stattfand wie die Parzellierung der Blo¨cke am Ringplatz.31 Die in den archa¨ologischen Quellen erkennbare Intensivierung der 31 Babij u.a., Wyniki (wie Anm. 4), Teil 2, S. 55.

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Besiedlung in der zweiten Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts erlaubt die Annahme, dass diese Parzellen bereits zu diesem Zeitpunkt genutzt wurden. Verha¨ltnisma¨ßig viele Parzellen befanden sich auf der Su¨dseite der Junkerngasse. Die kleinste war etwa 11,5 m breit, die gro¨ßte 32,5 m. Anfangs waren das kleine Parzellen, die im Su¨den von der aus dem 13. Jahrhundert stammenden Stadtmauer begrenzt wurden. Jedoch wurden sie bereits seit etwa der Mitte des 14. Jahrhunderts um das sich zwischen der Hauptmauer und der Stu¨tzmauer der oberen Terrasse zwischen den Mauern liegende Gebiet verla¨ngert. Dadurch wurden sie viel gro¨ßer und besaßen nun durchschnittlich eine Fla¨che von etwa 250–400 m2. Das Anwesen Nr. 39 geho¨rte zu den gro¨ßten (31 × 32,5 m etwa um die Mitte des 14. Jahrhunderts), aber bald nach der urspru¨nglichen Parzellierung wurde es in zwei kleinere Parzellen aufgeteilt (Nr. 37 und 39). Die auf der Westseite der Weidengasse freigelegten Parzellen waren ho¨chstwahrscheinlich gro¨ßer als die im Bereich des inneren Grabens. Die gro¨ßte von ihnen war etwa 16 m breit. Im 16. Jahrhundert wurde sie in zwei kleinere aufgeteilt. Die Parzellen wurden bis in eine Tiefe von etwa 37 m untersucht, aber ihre hintere Grenze wurde nicht erfasst. Auf der Grundlage der Ergebnisse der archa¨ologischen Untersuchungen vor Ort ko¨nnen wir annehmen, dass es zu Beginn des 16. Jahrhunderts zu einer Intensivierung der Nutzung der auf diesem Terrain liegenden Parzellen kam. Sie wurden in kleinere aufgeteilt, auf denen neue Frontgeba¨ude errichtet wurden, wa¨hrend existierende Geba¨ude ausgebaut wurden. Dies fu¨hrte zur Entstehung dreier schmaler und langer Parzellen mit einer Fla¨che von mindestens 220 m2. Die Straße Ketzerberg, deren Verlauf wir aus Archivpla¨nen kennen, wurde sicher um die Mitte des 14. Jahrhunderts trassiert. Sowohl auf ihrer Nord- als auch ihrer Su¨dseite gab es anfangs große Parzellen, die mit der Zeit aufgeteilt wurden. Uns sind vier Urparzellen auf der Su¨dseite bekannt. An der westlichen Ecke befand sich ein mindestens 23,6 m breites Grundstu¨ck, das bereits im 14. Jahrhundert in drei kleinere aufgeteilt wurde (Nr. 5, 7 und 9). Die benachbarte Parzelle hatte eine Breite von etwa 20,25 m. An der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert entstanden daraus zwei kleinere Grundstu¨cke (Nr. 11 und 13). Die dritte von ihnen, die Parzelle Nr. 15 mit einer Breite von etwa 10 m, war die kleinste. Die letzte der untersuchten Parzellen hatte im Frontteil eine Breite von etwa 20,25 m. Sie wurde erst im 19. Jahrhundert in drei getrennte Grundstu¨cke aufgeteilt (Ketzerberg 17, 19 und Neue Gasse 40). Im Verlauf der Ausgrabungen auf dem hinteren Teil der Anwesen von Nr. 5 bis 13, die an den hinteren Teil der mit ihrer Front zur Ohlauer Straße gerichteten Anwesen angrenzten, wurde ein großer Hof freigelegt, aber es gelang nicht, ihre hinteren Grenzen zu bestimmen, so dass die Tiefe der beiden ersten Parzellen nicht festgestellt werden konnte. Dagegen geho¨ren die Anwesen Nr. 15 und 17–19 zu den am besten erforschten Grundstu¨cken aller in diesem Beitrag analysierten Parzellen. Beide nahmen die am Zusammenlauf der Straßen Ketzerberg und Neue Gasse geschaffene Ecke ein. Das Grundstu¨ck Nr. 15 hatte die Form eines unregelma¨ßigen Trapezes und eine Tiefe von etwa 30–36 m. Seine Fla¨che betrug etwa 400 m2. Dieselbe Fla¨che besaß auch das Grundstu¨ck Nr. 17–19. Auf der Nordseite des Ketzerberges wurden zwei Anwesen ausgegraben, die ihre urspru¨ngliche Gro¨ße u¨ber eine verha¨ltnisma¨ßig lange Zeit bewahrten. Die große Par-

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zelle mit den spa¨teren Nummern 6, 8, 10 und 12 war urspru¨nglich etwa 32,5 m breit. Sie war relativ kurz, ihre hintere Grenze bildete das Su¨dufer der Schwarzen Ohle. Zum Zeitpunkt ihrer Absteckung in der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts betrug ihre Tiefe nur 7–9 m, ihre Fla¨che etwa 230 m2. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts vergro¨ßerte sich ihre Tiefe infolge der Verengung des Grabenbetts auf etwa 11 m. Eine fru¨he Chronologie besitzt die Gruppe der auf dem Grundstu¨ck Ketzerberg 20 aufgedeckten Baudenkma¨ler. Dort wurden ein Frontgeba¨ude, eine Wasserleitung mit Zisterne und eine Kloakengrube gefunden. Diese Objekte wurden seit der Mitte des 14. Jahrhunderts genutzt. Aber im Verlauf der spa¨tmittelalterlichen Regulierung der Grabenuferbefestigung wurden sie zersto¨rt. Trotz der gut erhaltenen, fu¨r eine bu¨rgerliche Bebauung charakteristischen Relikte sind wir nicht imstande, die urspru¨ngliche Gro¨ße dieses Grundstu¨cks zu bestimmen. Seine Grenzen wurden erst zum Zeitpunkt der Errichtung des barocken Hauses fixiert. Die Parzelle Nr. 27 wurde sicher im 15. Jahrhundert abgesteckt, als auf ihr zuerst ein Holzgeba¨ude und dann ein Steinhaus errichtet wurden, das fast ihre gesamte Fla¨che einnahm, die mindestens 200 m2 betrug. Ein extremes Beispiel fu¨r die Nutzung selbst des kleinsten Eckchens freien Baugrundes bietet die Absteckung der Parzelle am Ketzerberg 28, deren gesamte Fla¨che das Vordergeba¨ude einnahm. Etwa um die Mitte des 14. Jahrhunderts wurde auf der inneren Seite des Grabens die Graben-Gasse trassiert. Ihre Bebauung wurde von Norden durch die Stadtmauer aus dem 13. Jahrhundert begrenzt. Im 15. Jahrhundert entstand dort ein Haus (Nr. 8–10), dessen hintere Wand sich auf die Mauer stu¨tzte und den Bereich zwischen den beiden Basteitu¨rmen einnahm. In diesem Falle haben wir es bereits in der ersten Nutzungsphase mit der vollsta¨ndigen Nutzung einer kaum 44 m2 großen Parzellen zur Errichtung des Frontgeba¨udes zu tun. Auf der Su¨dseite der Graben-Gasse bestanden bessere Mo¨glichkeiten zum Abstecken wertvoller Parzellen. Dieses Terrain war auf der einen Seite durch die Straße und auf der anderen durch das Grabenufer begrenzt. Mit der Verengung des Grabenbetts vergro¨ßerte sich die Fla¨che der dort liegenden Parzellen. Dieser Prozess der Verengung des Grabens begann etwa um die Mitte des 14. Jahrhunderts. Damals wurde eine etwa 2 m dicke Erdschicht aufgeschu¨ttet und eine Uferbefestigung aus Holz gebaut. An der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert entstand dann ein gemauerter Kai, der das Bett des Grabens bis zu dessen vo¨lliger Zuschu¨ttung im 19. Jahrhundert stabilisierte.32 Im Verlauf der archa¨ologischen Untersuchungen wurden dort neun aus dem Mittelalter stammende Parzellen sowie eine im 16. Jahrhundert durch Teilung einer a¨lteren entstandene Parzelle freigelegt. Innerhalb der analysierten Gruppe weisen sie die geringsten Unterschiede in der Fla¨chengro¨ße auf und sind auch am besten erforscht. Es scheint, dass die an den Enden der Straße (Nr. 27–29 und 47–49) gelegenen Parzellen nur wenig breiter waren, na¨mlich etwa 11–13 m. Urspru¨nglich war die Parzelle Nr. 33 die breiteste, aber zu Beginn des 16. Jahrhunderts zerfiel sie in zwei Grundstu¨cke. Die Breite der zwischen den am Ende gelegenen Anwesen schwankte zwischen 7 und 8 m. Im westlichen Abschnitt bog die Straße nach Norden ab, was dazu fu¨hrte, dass die dort gelegenen Grundstu¨cke eine etwas gro¨ßere Tiefe besaßen, na¨mlich etwa 20–22 m. Die im 32 Piwko/Romanow, Formy (wie Anm. 28), S. 71–81.

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o¨stlichen Abschnitt gelegenen Grundstu¨cke waren ku¨rzer und hatten urspru¨nglich eine Tiefe von etwa 16,5 m. Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts wuchs ihre Tiefe um etwa 2 m. Die durchschnittliche Fla¨che der urspru¨nglichen Parzelle betrug in diesem Abschnitt etwa 125 m2. Im Lichte obiger Ausfu¨hrungen wird deutlich, dass es die lokalen Bedingungen waren, die u¨ber die Gro¨ße der Parzellen entschieden. Mo¨glichkeiten zur Ausmessung einigermaßen gleichma¨ßiger, rechteckiger Grundstu¨cke gab es in der Bischofsgasse, der Weidengasse und teilweise auf der Su¨dseite des Ketzerberges. Auf seiner Nordseite sowie auf der Su¨dseite der Graben-Gasse und auf der Su¨dseite der Junkerngasse war die Parzellierung wegen des Verlaufs der aus dem 13. Jahrhundert stammenden Stadtbefestigung erheblich erschwert. Beispiele fu¨r eine extreme Nutzung freier Flecken des Terrains im Stadtbereich fu¨r den Wohnungsbau liefern zwei Parzellen, die auf dem Gebiet der spa¨teren Anwesen Altbu¨ßergasse 52 bzw. Ketzerberg 22 und 28 lagen, sowie das Haus Graben 8–10. In den ersten drei Fa¨llen wurde die Fla¨che der Parzelle bereits in der ersten Phase ihrer Nutzung fast vollsta¨ndig vom jeweiligen Frontgeba¨ude eingenommen, und in den beiden letzteren passte jeweils nur ein kleines Wohngeba¨ude auf das Grundstu¨ck. Die Gro¨ße der Urparzelle im Bereich der einzelnen Lokationssta¨dte stellt eine sehr komplizierte Angelegenheit dar. In betra¨chtlichem Maße hing sie vom angenommenen Modell der Parzellierung und der geltenden Maßeinheit ab. Von großer Bedeutung waren auch die Topographie des Terrains sowie die a¨ltere Siedlungsstruktur. Von der Rolle, die die beiden letzten Bedingungen spielten, ko¨nnen wir uns u¨berzeugen, wenn wir die Entwicklung der rechten Uferseite der Stadt Prag betrachten. Die Kommunalstadt bildete dort die Fortsetzung einer fru¨hmittelalterlichen Marktsiedlung, die sich auf der Altstadtterrasse befand und als solche ein sehr unregelma¨ßiges urbanistisches Ensemble bildete. Dieser Zustand wurde durch das von Ko¨nig Wenzel I. im Jahre 1234 erlassene Stadtprivileg festgeschrieben.33 Die unregelma¨ßige Planung der Straßen und Bebauungsviertel zog Unregelma¨ßigkeiten sowohl hinsichtlich der Gro¨ße als auch der Gestalt der bu¨rgerlichen Grundstu¨cke nach sich. Am Altstadtring (vgl. Abb. 4) entstanden Anwesen, die in ihrer Form verla¨ngerten Dreiecken a¨hnelten. Die Grenzen dieser Grundstu¨cke weisen hier keinerlei Regelma¨ßigkeit auf, und die Grundstu¨cke unterscheiden sich in ihrer Gro¨ße.34 Eine andere Situation ko¨nnen wir in Sta¨dten beobachten, deren Lokation, wie es hieß, „auf Neubruch“ erfolgte oder die unter Umgehung der a¨lteren Siedlungsstruktur entstanden.35 Die Regelma¨ßigkeit der Gestalt der Grundstu¨cke und die Wieo 33 Rostislav Novy´, K poˇca´tku m stˇredoveke´ Prahy [Zu den Anfa¨ngen des mittelalterlichen Prag], in:

Documenta pragensia 4 (1984), S. 27–42, hier S. 30.

34 Michal Buresˇ/Vojtech Kasˇpar/Pavel Vareka, The Formation of the High Medieval Tenements

along the Old Town Square in Prague, in: Urbanism in Medieval Europe, Papers of the „Medieval Brugge 1997“ Conference, Bd. 1, hg. v. Guy de Boe/Frans Verhaeghe, Brugge 1997, S. 205–210, hier S. 207–208. 35 Das Verha¨ltnis der a¨lteren Siedlungsstrukturen zu den neu entstehenden Kommunalsta¨dten Mitteleuropas beschreibt Jerzy Piekalski, Von Ko¨ln nach Krakau. Der topographische Wandel fru¨her Sta¨dte, Bonn 2001. Auf regionaler Ebene – im Herzogtum Westpommern – pra¨sentiert das Problem Marian Rebkowski, ˛ Pierwsze lokacje miast w Ksi˛estwie Zachodniopomorskim. Przemiany przestrzenne i kul-

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derholbarkeit ihrer Gro¨ße resultierten aus den im mittelalterlichen Mitteleuropa geltenden allgemeinen Stadtplanungsprinzipien. In den Pla¨nen dieser Sta¨dte wird ein Bestreben erkennbar, ihnen eine regelma¨ßige Form zu geben, mit einer Einteilung in gleichma¨ßige Baublo¨cke und gleich große Anwesen als kleinsten Siedlungsein-

Abb. 4: Prag, mittelalterliche Parzellierung am Altstadt-Marktplatz Quelle: nach Buresˇ/Kasˇpar/Vareka, The Formation (wie Anm. 34)

heiten. In Freiburg im Breisgau musste gema¨ß dem Stadtrecht aus dem Jahre 1152 jede Parzelle 100 Fuß lang und 50 Fuß breit sein. Von jeder so normalisierten Parzelle musste der betreffende Besitzer ja¨hrlich (am St. Martinstag) einen Zins in Ho¨he von einem Schilling zahlen. Das Vorhandensein eines Lokationsgrundstu¨cks von der oben genannten Gro¨ße wurde im Verlauf der Ausgrabungen besta¨tigt.36 Besonders wertvoll fu¨r unsere Betrachtungen ist die Tatsache, dass Grundstu¨cke mit den in den Schriftquellen erwa¨hnten Ausmaßen im inneren Teil der Stadt existierten, direkt an den Stadtmauern und am Graben. Das in Freiburg im Breisgau angewandte Par¨ chtland, zellierungsmodell wurde bei der Gru¨ndung von Sta¨dten wie Freiburg im U Bern, Diessenhofen und Flumet wiederholt. Dabei musste die Gro¨ße des Grundstu¨cks genau der Freiburger Parzelle entsprechen. Wie es scheint, war das allgemeine Verha¨ltnis zwischen der Breite und der La¨nge der Parzelle wichtiger: es betrug 1 : 2. Zum Beispiel wurden in Bern 60 Fuß breite Parzellen abgesteckt, obwohl auch dort zahlreiche Ausnahmen von diesem Wert festgestellt wurden. turowe [Die ersten Lokationssta¨dte im Herzogtum Pommern. Ra¨umliche und kulturelle Vera¨nderungen], Kołobrzeg 2001. 36 Matthias Untermann, Archa¨ologie in der Stadt. Zum Dialog der Mittelalterarcha¨ologie mit der su¨dwestdeutschen Stadtgeschichtsforschung, in: Stadt und Archa¨ologie, hg. v. Bernhard Kirchga¨ssner, Sigmaringen 2000, S. 9–44, hier S. 23–26.

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Zweifellos resultierten die Unterschiede in der Parzellengro¨ße sowohl aus den Gela¨ndebedingungen als auch aus der angenommenen Gro¨ße der Lokationsstadt. Von der Abmessung kleiner, nur 30 × 50 Fuß großer Parzellen informiert uns die Lokationsurkunde der Stadt Kenzingen.37 Die Gro¨ße der Parzellen des mittelalterlichen Goslar kann auf der Grundlage der Ergebnisse der seit den fu¨nfziger Jahren des 20. Jahrhunderts intensiv betriebenen archa¨ologischen Untersuchungen bestimmt werden. Die Bergbaustadt Goslar war aus einer a¨lteren Marktsiedlung entstanden. ¨ hnlich wie in Breslau ist die Gro¨ße der Parzellen dort erst seit der Zeit des Baus mitA telalterlicher Steinha¨user erkennbar. Diese Parzellen waren in ihrem Frontteil etwa 10–15 m breit, und ihre Tiefe war zwei- bis dreimal gro¨ßer.38 Leider verfu¨gen wir u¨ber keinerlei archa¨ologische Quellen, die zur Untersuchung der Grundstu¨cksgro¨ße fu¨r die wichtigsten Sta¨dte des mittelalterlichen Polen – Krakau und Posen – verwendet werden ko¨nnten. Im Falle Krakaus stellen die in einer Verfu¨gung des Stadtrates aus dem Jahre 1385 enthaltenen Informationen sowie die Analyse neuzeitlicher Katasterpla¨ne die grundlegenden Quellen zur Erkundung der Parzellengro¨ßen der Lokationsstadt dar. Aus diesen Quellen wissen wir, dass die vollsta¨ndige Parzelle („der ganze Hof“) in den Blo¨cken am Ringplatz 36 × 72 Ellen groß war (im Breite-La¨nge-Verha¨ltnis 1:2). Wir wissen auch, dass ein Teil der Parzellen um die Ha¨lfte kleiner war.39 Allerdings wissen wir nicht mehr, ob die Halbparzellen infolge einer Teilung der gro¨ßeren Parzellen entstanden sind oder ob dort bereits zum Zeitpunkt der Lokation kleinere Grundstu¨cke abgesteckt wurden. Fraglich bleibt auch, ob diese Wendung und der angegebene Wert die wirklichen Ausmaße der Parzellen betreffen oder aber eine bloße Abrechnungseinheit fu¨r die von ihnen gezahlten Zinsen darstellen.40 Die von Anna Rogalanka41 durchgefu¨hrte ra¨umliche Analyse der 1253 gegru¨ndeten Altstadt in Posen erlaubt den Schluss, dass die Tiefe der Parzellen am dortigen Ringplatz urspru¨nglich den ganzen Bebauungsblock durchschnitt. Das Posener Stadtbuch aus dem Jahre 1398 gibt die Gro¨ße einer vollen Parzelle mit 33 × 72 Ellen an. Winfried Schich nimmt an, dass die Notiz von der 33 Ellen breiten Parzelle auf einen Fehler des Schreibers zuru¨ckzufu¨hren ist, denn in Wirklichkeit war das Verha¨ltnis der Breite zur La¨nge sowohl in Krakau als auch in Posen identisch (36 × 72 Ellen). Fu¨r diese Vermutung spricht auch die Tatsache, dass die Notiz von der Gro¨ße des Anwesens im Posener Ratsbuch dem Vorbild des a¨lteren Krakauer Dokuments

37 Wilfried Schich, Zur Gro¨ße der area in den Gru¨ndungssta¨dten im o¨stlichen Mitteleuropa nach den

Aussagen der schriftlichen Quellen, in: Vera Lex Historiae. Studien zu mittelalterlichen Quellen, hg. v. Stuart Jenks/Ju¨rgen Sarnowsky/Marie-Luise Laudage, Ko¨ln u. a. 1993, S. 81–115, hier S. 81. 38 Hans-Gu¨nther Griep, Das Bu¨rgerhaus in Goslar, in: Fu¨hrer zu vor- und fru¨hgeschichtlichen Denkma¨lern, Bd. 35, Mainz 1978, S. 130–152, hier S. 131. 39 Jo´zef Jamroz, Układ przestrzenny miasta Krakowa przed i po lokacji 1257 r. [Die Raumordnung der Stadt Krakau vor und nach der Lokation], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 12 (1967), 1, S. 17–49. 40 Schich, Zur Gro¨ße (wie Anm. 37). 41 Anna Rogalanka, Ze studio´w nad rozplanowaniem Poznania lewobrze˙znego. O układzie i wielko´sci parcel w s´ redniowiecznym Poznaniu [Studien zur Anlage des linksufrigen Posen. Zur Ordnung und Gro¨ße der Parzellen im mittelalterlichen Posen], in: Poczatki ˛ i rozwo´j Starego Miasta w Poznaniu, hg. v. Włodzimierz Błaszczyk, Poznan´ 1977, S. 323–376.

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folgte.42 Die Fla¨che des urspru¨nglichen Lokationsgrundstu¨cks in Posen bewegte sich in den Grenzen zwischen 638 und 832 m2. Im Verlauf der Parzellierung wurden etwa 150 vollsta¨ndige Grundstu¨cke vermessen.43 Die hier angegebenen Werte wurden auf der Grundlage der Analyse von Katasterpla¨nen aus dem 19. Jahrhundert erstellt und konnten, a¨hnlich wie in Krakau, nicht durch archa¨ologisch-architektonische Untersuchungen besta¨tigt werden. Daher mu¨ssen sie als theoretische Werte angesehen werden und nicht als wirkliche.44 Auch die Gro¨ße der Lokationsparzelle in Breslau wurde theoretisch ermittelt. Die von Janusz Pudełko durchgefu¨hrte metrologische Analyse der Breite der heutigen Ha¨user am Ringplatz erlaubte, die Gro¨ße des Lokationsgrundstu¨cks theoretisch zu bestimmen. Diesem Forscher zufolge hatten die urspru¨nglichen Lokationsparzellen in den Ringplatzblo¨cken eine Gro¨ße von 60 × 240 Fuß und im u¨brigen Teil der regula¨r vermessenen Stadt eine Gro¨ße von 60 × 120 Fuß.45 Im Ergebnis intensiver architektonischer Untersuchungen der u¨ber hundert sich auf dem Terrain der Altstadt in Breslau befindenden mittelalterlichen Ha¨user wurde es mo¨glich, die von Pudełko aufgestellten Thesen zu verifizieren. Die theoretische Breite des Lokationsgrundstu¨cks, d. h. 60 Fuß, wurde durch den Verlauf der Grenzwa¨nde der aus dem 13. Jahrhundert stammenden Ha¨user in drei Ringplatzblo¨cken besta¨tigt – im no¨rdlichen, su¨dlichen und westlichen Block sowie in der Herrengasse, der Kupferschmiedegasse und in der westlichen Partie der Junkerngasse. Die urspru¨ngliche Tiefe der Parzellen am Ringplatz wurde auf 120 Fuß festgesetzt, d. h. die Ha¨lfte der La¨nge der Bebauungsblo¨cke am Ringplatz. Fu¨r einen solchen Wert spricht die Aufdeckung zahlreicher Beru¨hrungspunkte von Hinterhausgeba¨uden aus dem 14. – 15. Jahrhundert, die auf dem Gebiet der Ho¨fe im westlichen und no¨rdlichen Block errichtet wurden.46 Fu¨r den u¨brigen Teil der Altstadt ist die urspru¨ngliche Parzellengro¨ße praktisch nicht bekannt. Die von Małgorzata Chorowska und Czesław Lasota vorgeschlagene Breite von 40–42 Fuß fu¨r die urspru¨ngliche Parzelle der Bebauungsblo¨cke no¨rdlich und o¨stlich des Ringplatzbereiches basiert auf den Grenzmauern der Ha¨user aus dem 14. – 15. Jahrhundert.47 Daher kann sie nicht auf die Gro¨ße der Parzellen aus dem 13. Jahrhundert bezogen werden. Aber die Ergebnisse archa¨ologischer Arbeiten u¨berzeugen uns davon, dass diese Gebiete bereits zu dieser Zeit parzelliert und besiedelt waren. Die Ergebnisse der Untersuchung der im no¨rdlichen Teil der Stadt gelegenen Parzellen in der Stockgasse 10–11 legen den Schluss nahe, dass sie bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts ein Ganzes gebildet haben. Die urspru¨ngliche Parzelle war somit etwa 75 Fuß (22,3 m) breit und etwa 80 Fuß (24,5 m) tief. Nach der Teilung betrug die Breite der Parzelle Nr. 10 etwa 35 Fuß und die der Parzelle Nr. 11 etwa 40

42 Schich, Zur Gro¨ße (wie Anm. 37), S. 104–105. 43 Rogalanka, Ze studio´w (wie Anm. 41), S. 328–356. 44 Gegenwa¨rtig nicht bebaute Parzellen im su¨dwestlichen Teil der Altstadt in Posen geben Hoffnung,

dass es in Zukunft auch hier gelingen wird, archa¨ologische Untersuchungen durchzufu¨hren, um die von Rogalanka, Ze studio´w (wie Anm. 41) aufgestellten Thesen verifizieren zu ko¨nnen. 45 Pudełko, Pro´ba (wie Anm. 1). 46 Chorowska/Lasota, Działka (wie Anm. 1), S. 68. 47 Ebd., S. 75.

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Fuß.48 Die urspru¨ngliche Parzelle passte somit weder zum Modell des Grundstu¨cks mit 40 Fuß noch zu dem mit 60 Fuß Breite. Der deutliche Unterschied in der Gro¨ße der Parzelle erkla¨rt sich durch ihre Lage. Urspru¨nglich befanden sich diese Grundstu¨cke innerhalb der von Mitgliedern der ju¨dischen Gemeinde besiedelten herzoglichen Gebiete. Das Vorhandensein einer ju¨dischen Besiedlung auf diesem Gebiet kann auf die Anwendung anderer Muster der Bodenaufteilung als in den u¨brigen Teilen der Stadt hindeuten.49 Um auf die urspru¨ngliche Gro¨ße der Parzellen zuru¨ckzukommen, die den Gegenstand der vorliegenden Analyse bilden, muss noch einmal unterstrichen werden, dass es trotz teilweiser Erkundung der a¨ltesten Nutzungsphasen der einzelnen Grundstu¨cke in der Regel nicht mo¨glich war, ihre urspru¨nglichen Grenzen und demzufolge auch ihre Gro¨ße zu bestimmen. Die Fla¨chengro¨ße der einzelnen Grundstu¨cke wurde erst in dem Moment erkennbar, ab dem sich auf ihnen dauerhafte Wohngeba¨ude in den Frontpartien sowie Grenzmauern befanden. Ihre Bebauung begann erst Mitte des 14. Jahrhunderts. An der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert kam es zu einer Intensivierung dieses Prozesses, und im 16. Jahrhundert wurden dann nur noch die in den geschlossenen Reihen der Ringplatzbebauung belassenen Lu¨cken erga¨nzt. Eine Ausnahme bildete die Nordfront der Straße Ketzerberg, wo es noch bis zum 19. Jahrhundert Lu¨cken in der Bebauung gab. Die Breiten der Grundstu¨cke aus der Zeit der Errichtung einer dauerhaften Frontbebauung erlauben fu¨r den su¨do¨stlichen Teil der Stadt keine Schlu¨sse u¨ber die Existenz eines festen Musters der Vermessung der Anwesen. Die Breite der freigelegten Anwesen bewegte sich im 14./15. Jahrhundert meistens zwischen 7 und 10 m. Mit großer Vorsicht ko¨nnte man Spuren der urspru¨nglichen Teilungen in den etwa 20 oder 30 Fuß breiten Parzellen erkennen, was ein Drittel oder auch die Ha¨lfte der Gro¨ße der aus den Gebieten am Ringplatz bekannten Lokationsparzellen ausmachen wu¨rde. Im su¨do¨stlichen Teil des mittelalterlichen Breslau gab es im Prinzip keine Mo¨glichkeit, ein einheitliches Modul des Lokationsgrundstu¨cks anzuwenden. Auch wenn wir gewisse Wiederholungen der Breitenmaße der Parzellen beobachten ko¨nnen, scheint deren Tiefe einzig und allein von den o¨rtlichen Bedingungen determiniert worden zu sein. Auch die Tatsache, dass die rechts¨ berreste der a¨lteren vorlokationszeitlichen Besiedlung sta¨dtische Besiedlung die U u¨berlagerte, hatte anscheinend keinerlei Einfluss auf die Vermessung der zu bebauenden Viertel und der Lokationsparzellen.

48 Cezary Bu´sko, Zmiany w ukształtowaniu terenu przedlokacyjnego i lokacyjnego Wrocławia [Vera¨n-

derungen in der Gela¨ndegestaltung des vorlokations- und lokationszeitlichen Breslau], in: Mediaevalia Archaeologica, Bd. 1, hg. v. Martin Jezˇek/Jan Kla´psˇte, Praha 1999, S. 203–215. 49 Piekalski, Von Ko¨ln (wie Anm. 35), S. 222f.

DIE STEINERNE BEBAUUNG DER RING- UND STRASSENZEILEN IM MITTELALTERLICHEN BRESLAU von Małgorzata Chorowska und Czesław Lasota*

Unser Wissen u¨ber die gemauerten Wohngeba¨ude des mittelalterlichen Breslau ist etappenweise gewachsen. Den monografischen Arbeiten Rudolf Steins, dem zahlreiche steinerne Portale, Fenstereinfassungen, Gewo¨lbe und Giebel bekannt waren, ist zu entnehmen, dass sie im 14. Jahrhundert in Erscheinung traten.1 Dass einige Wohnha¨user bereits im 13. Jahrhundert entstanden sein du¨rften, haben Untersuchungen gezeigt, die wa¨hrend des Wiederaufbaus der Altstadt in der Nachkriegszeit begonnen wurden und auch die Struktur der Mauern umfassten. Bis 1976 wurden Relikte von insgesamt zwo¨lf Ha¨usern registriert, die aus Ziegeln im Zweila¨uferverband errichtet waren, der fu¨r Bauten des 13. Jahrhundert typisch war. Sie befanden sich zumeist am Ringplatz und in dessen Umgebung. Ihr Hauptentdecker Tadeusz Kozaczewski datierte die Entstehungszeit der im Nordteil der Altstadt ermittelten Geba¨ude auf das erste Viertel des 13. Jahrhunderts. Von den Ha¨usern am Ringplatz hielt er das Haus auf dem Grundstu¨ck Nr. 17 fu¨r das a¨lteste. Aufgrund der Form eines Sockels und der Kapitelle von Sa¨ulen, die das Gewo¨lbe des ersten Stockwerks trugen, bestimmte Kozaczewski den Bau auf vor 1241.2 Unter Verweis auf diese Sa¨ulen und Quellenerwa¨hnungen war Olgierd Czerner geneigt, die a¨ltesten gemauerten Ha¨user am Ringplatz auf das zweite und dritte Viertel des 13. Jahrhunderts zu datieren.3 Jerzy Rozp˛edowski zufolge waren Geba¨ude mit Wa¨nden im Zweila¨uferverband charakteristisch fu¨r das 13. Jahrhundert und wurden bereits in der ersten Ha¨lfte dieses Jahrhunderts errichtet.4 *U ¨ berarbeitete Fassung des Kapitels VII „O zabudowie murowanej w pierzejach Rynku i ulic“ [U ¨ ber

die gemauerte Bebauung der Markt- und Straßenzeilen] aus dem Band „Ulice s´ redniowiecznego Wrocławia“ [Die Straßen des mittelalterlichen Breslau], hg. v. Jerzy Piekalski/Krzysztof Wachowski, ¨ bersetzung des Ausgangstextes von Herbert Ulrich. Wrocław 2010, S. 159–177; U 1 Rudolf Stein, Das Breslauer Bu¨rgerhaus, Breslau 1931; Ders., Der Große Ring zu Breslau, Breslau 1935. 2 Tadeusz Kozaczewski, Poczatki ˛ i rozwo´j Wrocławia do roku 1263 [Anfa¨nge und Entwicklung Breslaus bis zum Jahr 1263], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 4 (1959), 3–4, S. 172–185. 3 Olgierd Czerner, Rynek wrocławski [Der Breslauer Ringplatz], Wrocław 1977, S. 14. 4 Jerzy Rozpedowski, ˛ Architektura s´ wiecka od połowy XIII do poczatku ˛ XVI w. Kamienice miesz´ czanskie [Weltliche Architektur von der Mitte des 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts. Bu¨rger´ ha¨user], in: Wrocław, jego dzieje i kultura, hg. v. Zygmunt Swiechowski, Warszawa 1978, S. 131–137, hier S. 131.

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Małgorzata Chorowska und Czesław Lasota

In den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts erho¨hte sich die Zahl der erforschten mittelalterlichen Breslauer Wohnha¨user sprunghaft. Die entsprechenden architektonischen Untersuchungen der Geba¨ude und archa¨ologisch-architektonischen Untersuchungen an Orten abgetragener Bebauung fu¨hrte eine Gruppe am Institut fu¨r Geschichte der Architektur, Kunst und Technik der Technischen Hochschule Breslau im Zusammenhang mit der Wiederbelebung der Altstadt durch. Insgesamt wurden etwa 120 Objekte untersucht, davon 23 Wohnha¨user vollsta¨ndig mit ihrem Innenraum. Auf diese Weise wuchs die Zahl der erkundeten, aus dem 13. Jahrhundert stammenden Ha¨user auf 30 an. Sie liegen mehrheitlich am Ringplatz. Małgorzata Chorowska hat die erzielten Ergebnisse in einer grundlegenden Monographie zusammengefasst.5 In ihr hat sie die mittelalterlichen Ha¨user Breslaus im Hinblick auf ihre Konstruktion, ra¨umliche Disposition, Ausschmu¨ckung und Ausstattung der Innenra¨ume ¨ ußeres in eine Chronologie gebracht, die drei Phasen unterscheidet: 1. das sowie ihr A 13. Jahrhundert, 2. die Zeit vom 14. bis zum zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts und 3. die Phase vom dritten Drittel des 15. bis zum ersten Drittel des 16. Jahrhunderts. Diese Einteilung stu¨tzt sich auf jene Vera¨nderungen, die sich in den Bauphasen der Ha¨user des am besten erkundeten Ensembles (des westlichen Blocks am Ringplatz) hinsichtlich Werkstatt, Material und Technologie beobachten lassen. Zur ersten Phase werden Geba¨ude geza¨hlt, die Wa¨nde mit einer Flucht im Zweila¨uferverband und ein in den Untergrund eingetieftes Erdgeschoss besaßen. Dabei wird angenommen, dass der Beginn ihrer Errichtung in die Zeit der Vermessung des Westteils der Rechtsstadt mit dem Ringplatz fiel und durch die Datierung der oben erwa¨hnten Sa¨ulen (Mitte des 13. Jahrhunderts) bestimmt ist.6 Zu den Phasen zwei und drei werden jene Ha¨user geza¨hlt, die von Grund auf neu erbaut bzw. unter Verwendung des Einla¨uferverbandes umgebaut wurden. Dabei wird angenommen, dass der Einla¨uferverband im Monumentalbauwesen Breslaus bereits in den achtziger Jahren des 13. Jahrhunderts in Erscheinung trat. Allerdings mag im Fall von Wohnha¨usern, d. h. bei Geba¨uden geringeren Ranges, der Ziegel-Zweila¨uferverband auch noch bis zum Ende des 13. Jahrhunderts weiterverwendet worden sein. Aus der zweiten Phase wurde daher eine Unterphase ausgesondert, die die erste Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts und solche Ha¨user umfasst, die damals unter den Bedingungen einer weiterhin intensiven Anhebung des Gela¨ndeniveaus errichtet wurden und hinsichtlich ihrer ra¨umlichen Disposition jenen aus dem 13. Jahrhundert a¨hnelten. Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts wurden Ha¨user mit einer anderen Ho¨henordnung gebaut, von einem Gela¨ndeniveau aus, das dem heutigen a¨hnelt. Die Za¨sur zwischen den Phasen zwei und drei wird von der Vera¨nderung der Zusammensetzung des Mo¨rtels bestimmt, der ab der dritten Phase stark bindend war und hohe Kalkbeimischungen enthielt. Zeitgleich zur Verwendung dieser Mo¨rtelart traten bildhauerische Details mit spa¨tgotischen Formen in ¨ ber die detaillierten UntersuchungsErscheinung, die mit Daten versehen waren.7 U 5 Małgorzata Chorowska, Sredniowieczna ´ ´ kamienica mieszczanska we Wrocławiu [Das mittelalterli-

che bu¨rgerliche Wohnhaus in Breslau], Wrocław 1994.

6 Zygmunt Swiechowski, ´ asku ´ Architektura na Sl ˛ do połowy XIII w. [Die Architektur in Schlesien bis

zur Mitte des 13. Jahrhunderts], Warszawa 1955, S. 88.

7 Chorowska, Sredniowieczna ´ kamienica (wie Anm. 5), S. 5–6.

Die steinerne Bebauung der Ring- und Straßenzeilen im mittelalterlichen Breslau

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ergebnisse zur mittelalterlichen Bebauung des westlichen Bebauungsblocks am Ringplatz sind gesonderte Publikationen erschienen.8 Die in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts erkundeten mittelalterlichen Wohnha¨user erlaubten es, die Frage der Parzellierung des westlichen Teils der Rechtsstadt im Bereich des inneren Befestigungsgu¨rtels zu behandeln und diese im Kontext der Sozialtopographie zu ero¨rtern. Gekla¨rt werden konnte die Frage der Maße der urspru¨nglichen Baugrundstu¨cke und ihrer Anordnung in den zusammen mit dem Ringplatz vermessenen Blo¨cken, wobei einige fru¨here Feststellungen besta¨tigt werden konnten.9 Bei der Betrachtung der Ha¨user im soziotopografischen Kontext wurde u. a. ein differenziertes Tempo der Zunahme der gemauerten Bebauung im vorderen Teil der einzelnen urbanistischen Innenra¨ume bzw. in Teilen der Rechtsstadt festgestellt.10 Weitere Fortschritte im Prozess der Erkundung der mittelalterlichen Breslauer Wohnha¨user haben die in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts vom Lehrstuhl fu¨r Archa¨ologie bzw. (nach dessen Reorganisation) vom Institut fu¨r Archa¨ologie der Breslauer Universita¨t, dem Archa¨ologischen Museum und von privaten Firmen durchgefu¨hrten intensiven Untersuchungen erbracht. Sie erfassten hauptsa¨chlich Gebiete, in denen die Bebauung wiederhergestellt wurde, den Ringplatz, den Salzmarkt und einige Straßen, in denen die Infrastruktur des Untergrunds und die Straßendecke erneuert wurden. Wesentlich fu¨r die Betrachtungen u¨ber die Anfa¨nge und die Ausbreitung der gemauerten Bebauung innerhalb des zentralen Teils der Rechtsstadt sind die Ergebnisse der Ausgrabungen vor den Ringzeilen, wo so genannte Beischla¨ge der a¨ltesten Wohnha¨user und eine Abfolge von Kulturschichten registriert wurden, die die Umsta¨nde der intensiven Anhebung des Bodenniveaus im 13. – 14. Jahrhundert veranschaulichen.11 Die Frage der Beischla¨ge wurde in der den

8 Małgorzata Chorowska/Czesław Lasota/Jerzy Rozpedowski, ˛ Blok zachodni Rynku wrocław-

skiego w okresie s´ redniowiecza [Der westliche Bebauungsbblock des Breslauer Ringplatzes im Mittelalter], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 39 (1994), 4, S. 285–306; Dies., Układ przestrzenny kamienicy Rynek 6 [Die Raumstruktur des Wohnhauses Ringplatz 6], in: Architektura Wrocławia, Bd. 1: Dom, hg. v. Jerzy Rozpedowski, ˛ Wrocław 1995, S. 139–162. 9 Małgorzata Chorowska/Czesław Lasota, Rekonstrukcja układu działek w blokach przyrynkowych we Wrocławiu [Die Rekonstruktion der Grundstu¨cksstruktur in den Bebauungsblo¨cken am Breslauer Ringplatz], in: Kwartalnik Historii i Kultury Materialnej 43 (1995), 3, S. 351–369. 10 Małgorzata Chorowska/Czesław Lasota, O s´ redniowiecznej kamienicy wrocławskiej na tle socjotopografii Starego Miasta [Zum mittelalterlichen Breslauer Wohnhaus vor dem Hintergrund der Sozialtopographie der Altstadt], in: Architektura Wrocławia, Bd. 1 (wie Anm. 8), S. 51–73. 11 Die Resultate der Ausgrabungen vor der su¨dlichen Ringzeile wurden bisher nicht im Rahmen einer gemeinsamen Bearbeitung der Dokumentation erfasst. Die von uns im vorliegenden Artikel beru¨cksichtigten Ergebnisse der von Mag. Ing.-Architekt Jerzy Burnita und Dr. Czesław Lasota durchgefu¨hrten architektonischen Untersuchungen erweitern und korrigieren fru¨here Feststellungen u¨ber die gemauerte Bebauung der Straßenzeile im Mittelalter; vgl. Atlas historyczny miast polskich. Tom ´ ask. 4: Sl ˛ Zeszyt 1: Wrocław /Historischer Atlas polnischer Sta¨dte. Band 4: Schlesien. Heft 1: Breslau, hg. v. Marta Młynarska-Kaletynowa/Rafał Eysymontt, Wrocław 2001, Tafel 4; Chorowska/Lasota, O s´ redniowiecznej kamienicy (wie Anm. 10), Abb. 2; Małgorzata Chorowska/Czesław Lasota, Działka lokacyjna we Wrocławiu [Das Lokationsgrundstu¨ck in Breslau], in: Architektura Wrocławia, Bd. 2: Urbanistyka, hg. v. Jerzy Rozpedowski, ˛ Wrocław 1995, S. 65–85, hier Abb. 3; Jolanta Bresch/Cezary Bu´sko/Czesław Lasota, Zachodnia pierzeja rynku [Die westliche Ringzeile], in: Rynek wrocławski w s´ wietle badan´ archeologicznych, Teil 1, hg. v. Cezary Bu´sko, Wrocław 2001,

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Małgorzata Chorowska und Czesław Lasota

Wohnha¨usern des 13. Jahrhunderts gewidmeten Publikation von Małgorzata Chorowska und Czesław Lasota beru¨cksichtigt.12 Der Stand der Erkundung der mittelalterlichen Breslauer Ha¨user auf dem Niveau der Keller erweiterte sich gegenu¨ber dem vorherigen Untersuchungszeitraum um u¨ber 100 %, wa¨hrend unser Wissen u¨ber die Disposition ihrer oberen Stockwerke durch Entdeckungen in einem guten Dutzend von Geba¨uden bereichert wurde. Gleichwohl sind die Ergebnisse der neueren Untersuchungen bislang nur zum Teil publiziert worden.13 Fassen wir den Stand der Erkundung der Relikte mittelalterlicher Ha¨user in Breslau zusammen, so kann festgestellt werden, dass wir am besten u¨ber ihren Grundriss und ihre Verbreitung in den einzelnen Stadtteilen Bescheid wissen; viel weniger aber ihre Baumaße kennen. Die Informationen u¨ber die Ho¨henordnung der Ha¨user stammen fast ausschließlich aus dem su¨dwestlichen Bereich der Altstadt in den Grenzen der inneren Stadtmauer, d. h. aus dem attraktivsten Teil des mittelalterlichen Breslau. Dagegen muss unsere Kenntnis der Fassaden als a¨ußerst gering bezeichnet werden. Was die von Małgorzata Chorowska definierten Entwicklungsphasen der mittelalterlichen Ha¨user betrifft, so wurde mit der Unterteilung der Phase II eine gewisse Korrektur vorgenommen. Diese Untergliederung, die etwa die Zeit der ersten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts umfasst, vermag die Dynamik der Zunahme der mittelalterlichen gemauerten Wohnbebauung innerhalb der Altstadt erheblich besser zu erfassen. Ein Teil der im vorliegenden Beitrag verwendeten unvero¨ffentlichten Untersuchungsergebnisse ermo¨glichte auch eine Erga¨nzung der von Chorowska angefertigten Kartierung der erforschten mittelalterlichen und fru¨hneuzeitlichen Ha¨user.14

S. 15–72; Dies., Wschodnia pierzeja rynku [Die o¨stliche Ringzeile], in: ebd., S. 73–108; Jolanta Bresch/ Czesław Lasota/Jerzy Piekalski, Po´łnocna pierzeja rynku [Die no¨rdliche Ringzeile], in: Rynek wrocławski w s´ wietle badan´ archeologicznych, Teil 2, hg. v. Jerzy Piekalski, Wrocław 2002, S. 11–69; Bogdan Kitlinski, ´ Badania przy wschodniej pierzei Rynku [Untersuchungen bei der o¨stlichen Ringzeile], in: ebd., S. 173–182; Czesław Lasota, Po´łnocna pierzeja Rynku. Rozwo´j zabudowy murowanej w s´ redniowieczu [Die no¨rdliche Ringzeile. Die Entwicklung der gemauerten Bebauung im Mittelalter], in: ebd., S. 69–78. 12 Małgorzata Chorowska/Czesław Lasota, Breslauer Patrizierha¨user im 13. Jahrhundert, in: Z ˇ ivot v archeologii stˇredovˇeku, hg. v. Jana Kubkova´, Praha 1997, S. 280–290. 13 Wojciech Brzezowski/Małgorzata Chorowska/Czesław Lasota, Kompleksowe archeologicznoarchitektoniczne badania wykopaliskowe w kwartale zabudowy ograniczonym ulicami Kazimierza Wielkiego – Szewska˛ – Ofiar O´swi˛ecimskich – Łaciarska˛ na Starym Mie´scie we Wrocławiu [Komplexe archa¨ologisch-architektonische Grabungsuntersuchungen in dem durch die Straßen Altbu¨ßerohle – Schuhbru¨cke – Junkerngasse – Altbu¨ßergasse begrenzten Baublock in der Breslauer Altstadt], in: Silesia Antiqua 39 (1998), S. 157–189; Małgorzata Chorowska, Przemiany architektoniczne zabudowy posesji i jej sasiedztwa ˛ w XIII–XX w. [Architektonische Vera¨nderungen der Grundstu¨cksbebauung und ihrer Nachbarschaft im 13. – 20. Jahrhundert], in: Rynek wrocławski, Teil 2 (wie ´ Anm. 11), S. 204–213; Czesław Lasota/Jerzy Piekalski/Irena Wysocka, Działki mieszczanskie przy s´ w. Mikołaja 47/48 i 51/52 na Starym Mie´scie we Wrocławiu [Die Bu¨rgergrundstu¨cke an der ul. s´ w. ´ askie Mikołaja 47/48 und 51/52 in der Breslauer Altstadt], in: Sl ˛ Sprawozdania Archeologiczne 43 ´ (2001), S. 345–364; Paweł Konczewski, Działki mieszczanskie w południowo-wschodniej cz˛es´ ci s´ red˙ Wrocławia [Die Bu¨rgergrundstu¨cke im su¨do¨stlichen Teil des niowiecznego i wczesnonowozytnego mittelalterlichen und fru¨hneuzeitlichen Teils von Breslau], Wrocław 2007. 14 Vgl. Atlas historyczny (wie Anm. 11), Tafel 4.

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I. Die ersten Ha¨user in den Ringzeilen

Es kann davon ausgegangen werden, dass die ersten Ha¨user am Breslauer Ringplatz eine Holzkonstruktion besaßen. Zwar wurden nur wenige solcher Konstruktionen tatsa¨chlich aufgedeckt, doch stellen diese charakteristische Beispiele dar. Die zweiphasigen, in den Boden eingetieften Holzha¨user auf den Grundstu¨cken Ringplatz 6 und Ringplatz 12/Salzmarkt 20, gingen der Konstruktion von Ziegelbauten mit Wa¨nden im Zweila¨uferverband voraus. In beiden Fa¨llen wurden anstelle der ersten, einem Brand zum Opfer gefallenen Ha¨user neue errichtet, die spa¨ter ebenfalls abbrannten.15 Ein aus dem 13. Jahrhundert stammendes Ziegelsteinhaus, das im no¨rdlichen Bereich des spa¨teren Hauses Ringplatz 6 ermittelt wurde, war das a¨lteste von vier a¨hnlichen Geba¨uden, die in einer Reihe im Mittelteil der westlichen Ringzeile standen, im Abschnitt der Ha¨user Nr. 5–7. Unter Beru¨cksichtigung dieser Tatsache ist hier die Existenz weiterer, noch nicht ermittelter Holzha¨user zu erwarten. Ein auf dem Grundstu¨ck Ringplatz 12/Salzmarkt 20 errichtetes gemauertes Haus aus dem 13. Jahrhundert ko¨nnte als Eckhaus zu den ersten Geba¨uden in der su¨dlichen Ringzeile geho¨rt haben. Auch in der Zone des Hu¨hnermarkts stand ein Holzgeba¨ude, das durch eine Liniengrabung erkundet wurde. Das a¨lteste hier entdeckte Objekt wurde als Zeugnis der vorlokationszeitlichen Besiedlung identifiziert. Aus den Bauresten beider Bewirtschaftungsphasen des mit der Front zum Ringplatz orientierten Grundstu¨cks – die a¨ltere war durch Brand zersto¨rt worden – konnten Dendrodaten gewon¨ berreste eines in den Boden nen werden. Aus der ersten Bebauungsphase wurden U eingetieften Frontgeba¨udes mit Riegel-(Fachwerk-)konstruktion registriert, dem ein a¨lteres Geba¨ude vorausging; zudem fand man Reste von Objekten, die in der Tiefe des Grundstu¨cks lagen. Die Holzprobe aus einer der Konstruktionen wurde auf das Jahr 1209 datiert. Von den Objekten der zweiten Phase im hinteren Teil des Grundstu¨cks wurden folgende Dendrodaten gewonnen: vom fru¨heren – nach 1223, von den beiden spa¨ter errichteten – nach 1224 und nach 1230. Die dendrochronologischen Analysen der Holzproben aus dem (der Abfolge nach) zweiten Straßenbelag ergaben die Daten 1258 und 1263.16 Jerzy Piekalski, der nach den Anfa¨ngen des Ringplatzes im Lichte der archa¨ologischen Quellen gesucht hat, geht davon aus, dass er wahrscheinlich in den zwanziger bis dreißiger Jahren des

15 Czesław Lasota/Łukasz Kro ´ l/Jerzy Piekalski, Sprawozdanie z ratowniczych badan´ wykopalis-

kowych w obr˛ebie piwnic kamienicy przy placu Solnym 20 we Wrocławiu [Bericht von den Rettungsgrabungen im Bereich der Keller des Wohnhauses Salzmarkt 20 in Breslau], Typoskript 2006, Instytut Archeologii Uniwersytetu Wrocławskiego, Archiwum Wojewo´dzkiego Konserwatora Zabytko´w we Wrocławiu; Małgorzata Chorowska u. a., Badania archeologiczno-architektoniczne Rynek 6/ Kiełba´snicza 5 we Wrocławiu [Archa¨ologisch-architektonische Untersuchungen Ringplatz 6/Herrengasse 5 in Breslau], Typoskript 2009, Archiwum Wojewo´dzkiego Konserwatora Zabytko´w we Wrocławiu. 16 Roland Mruczek, Kurzy Targ we Wrocławiu. Uwagi o pierwotnym planie miasta [Der Hu¨hnermarkt in Breslau. Bemerkungen u¨ber den urspru¨nglichen Stadtgrundriss], in: Centrum s´ redniowiecznego ´ miasta. Wrocław a Europa Srodkowa, hg. v. Jerzy Piekalski/Krzysztof Wachowski, Wrocław 2000, S. 259–278.

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Małgorzata Chorowska und Czesław Lasota

13. Jahrhunderts auf einem noch unbesiedelten Gebiet vermessen worden ist.17 Die Datierung der Niveaus der Holzkonstruktionen im Hu¨hnermarkt scheint auf eine Absteckung des Platzes vor dem dritten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts hinzuweisen.

II. Die Ha¨user der Phase I: zweites bis viertes Viertel 13. Jahrhundert

Der Wandel von Holzha¨usern zu gemauerten Ha¨usern im 13. Jahrhundert vollzog sich hauptsa¨chlich in den Ringzeilen, dem attraktivsten Teil der Rechtsstadt. Bisher wurden im Verlauf der innerhalb der Geba¨ude durchgefu¨hrten Untersuchungen und ¨ berreste von 23 Ha¨usern mit im Zweider Ausgrabungsarbeiten auf dem Platz die U la¨uferverband errichteten Wa¨nden aufgedeckt. In den Ha¨usern der Westzeile wurden ¨ berreste von acht Ha¨usern gefunden, und zwar in jedem der mit den Nummern 6 U ¨ berreste zweier Ha¨user. Ebenfalls acht Ha¨user wurund 8 bezeichneten Ha¨user die U den in der Su¨dzeile entdeckt.18 Hier wurden die Ha¨user Nr. 22 und 23 auf den abgeteilten Grundmauern einer Gru¨ndung aus dem 13. Jahrhundert errichtet. Eines der in der Nordzeile erkundeten fu¨nf Ha¨user wurde noch im 13. Jahrhundert in zwei aufgeteilt, die die Fronten der Grundstu¨cke Nr. 48 und 49 ausfu¨llten. Vermutlich sind die beiden in der Ostzeile registrierten Ha¨user zusammen mit den oben erwa¨hnten nicht die einzigen im 13. Jahrhundert um den Ringplatz herum errichteten Ha¨user: Bis¨ berreste von 14 Ha¨usern gefunden, die im Zweila¨uferverband gemauher wurden U erte Wa¨nde besaßen. Zehn von ihnen standen in der Herrengasse, der Kupferschmiedegasse, der Junkerngasse und der St.-Albrecht-Gasse, in Reichweite des a¨ltesten, zusammen mit dem Ringplatz regula¨r geplanten Teils der Rechtsstadt. Die Ha¨user am Ritterplatz, in der Sandgasse und der Schuhbru¨cke lagen in einem Viertel, zu dem viele Klostergeba¨ude geho¨rten.19

17 Rynek wrocławski, Teil 2 (wie Anm. 11); Jerzy Piekalski, Przemiany topografii miast Europy Srodko´

wej w XII- XIII wieku. Aktualne problemy badawcze [Vera¨nderungen in der Topographie mitteleuropa¨ischer Sta¨dte im 12. – 13. Jahrhundert. Aktuelle Forschungsprobleme], in: Civitas Cholbergiensis. Transformacja kulturowa w strefie nadbałtyckiej w XIII w., hg. v. Lech Leciejewicz/Marian Rebkow˛ ski, Kołobrzeg 2005, S. 73–82. 18 Małgorzata Chorowska, Regularna sie´c ulic. Powstanie i przemiany do poczatku ˛ XIV w. [Das regula¨re Straßennetz. Entstehung und Vera¨nderungen bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts], in: Ulice s´ redniowiecznego Wrocławia, hg. v. Jerzy Piekalski/Krzysztof Wachowski, Wrocław 2010, S. 68–89. 19 Atlas historyczny (wie Anm. 11), Tafel 4; Chorowska, Sredniowieczna ´ kamienica (wie Anm. 5), S. 27f.; Chorowska/Lasota, O s´ redniowiecznej kamienicy (wie Anm. 10), S. 51–54; Dies., Breslauer Patrizierha¨user (wie Anm. 12); Tadeusz Kozaczewski, Murowane domy z XIII w. we Wrocławiu [Gemauerte Ha¨user aus dem 13. Jahrhundert in Breslau], in: Architektura Wrocławia, Bd. 1 (wie Anm. 8), S. 9–50; Jerzy Burnita/Czesław Lasota, Piwnice kamienicy Rynek 22 we Wrocławiu. Wyniki badan´ architektonicznych i wnioski konserwatorskie [Die Keller des Wohnhauses Ringplatz 22 in Breslau. Ergebnisse der architektonischen Untersuchungen und konservatorische Schlussfolgerungen], Typoskript 1995, Archiwum Wojewo´dzkiego Konserwatora Zabytko´w we Wrocławiu; ˙ Lasota, Po´łnocna pierzeja (wie Anm. 11), S. 72; Czesław Lasota/Stefan Zalewski/J. Słuzałek, Badania archeologiczne pierwszego pi˛etra budynku Rynek 33 we Wrocławiu [Archa¨ologische Untersu-

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Die Ha¨user der Phase I im gleichzeitig mit dem Ringplatz geplanten Teil der Stadt unterschieden sich hinsichtlich ihrer Gro¨ße (sie hatten eine Fla¨che ungefa¨hr von 50 bis 200 m2), ihrem Entwurf und ihrer Anordnung in den Zeilen, was sicher durch den unterschiedlichen Wohlstand und den Beruf der Eigentu¨mer bedingt war sowie durch die bereits im 13. Jahrhundert fortgeschrittene Teilung der urspru¨nglich 60 Fuß breiten Grundstu¨cke (1 Fuß = 31,3 cm; vgl. Abb. 1). Diese wurden hauptsa¨chlich in Ha¨lften oder Drittel (40 oder 20 Fuß) aufgeteilt.20 Die meisten Ha¨user wurden auf den geteilten urspru¨nglichen Grundstu¨cken errichtet, in zwei Fa¨llen auf Teilen der Nachbarparzellen (Ringplatz 7, 17). Es u¨berwogen aneinander gereihte Giebelha¨user, mit unterschiedlich langen Seitenwa¨nden. Unter ihnen befanden sich einra¨umige Anlagen auf dem Niveau jedes Stockwerks (Ringplatz 4, 6 – zwei Ha¨user, 8 – das Nordhaus, 12, 17, 24, 26, 33, 41, 43, 59, Herrengasse 5, 7, Kupferschmiedegasse 27, Schmiedegasse 57, Junkerngasse 21 – zwei Ha¨user), zweitraktige und zweiflu¨gelige, aus einra¨umigen Ha¨usern gebaute (Ringplatz 4, 6 – Nord- und Su¨dhaus, 12, 24), zweiteilige (Ringplatz 8 – Su¨dhaus) und dreiteilige Anlagen (Ringplatz 3). Ein Eingang zu den in den Untergrund eingetieften Erdgeschossen befand sich in der vorderen, ein zweiter in der hinteren Wand. Eine Ausnahme bildeten das su¨dliche Haus auf dem Grundstu¨ck am Ringplatz 8 mit zwei Tu¨ro¨ffnungen in der Seitenwand und das in der Kupferschmiedegasse 57 entdeckte Geba¨ude, das von vorn und von der Seite betreten werden konnte. Ha¨user im Firstsystem befanden sich auf den Grundstu¨cken Ringplatz 5, 7, 22/23, 48/49, 52, 60, Kupferschmiedegasse 36, St.-Albrechts-Gasse 56/57, 53/54 (?). Mit zwei Ausnahmen (Nr. 5 und 22/23) fu¨llten sie die gesamte Front der urspru¨nglichen Grundstu¨cke aus. Die Nutzung des vorderen Grundstu¨cksteils am Ringplatz 22/23 erfolgte vor dessen Teilung durch ein Geba¨ude mit Eingang in der Seitenwand und einen Grenzweg, wa¨hrend das Haus Ringplatz 7 anfa¨nglich auf zwei Nachbargrundstu¨cke u¨bergriff. Bei den Firstha¨usern aus dem 13. Jahrhundert ko¨nnen wir zwischen zweiteiligen (Ringplatz 52, Kupferschmiedegasse 36, St.-Albrechts-Gasse 53/54 [?] und einteiligen im Riss der peripheren Ziegelwa¨nde unterscheiden. Noch im 13. Jahrhundert wurden die Geba¨ude auf den Grundstu¨cken am Ringplatz 7, 22/23 und 48/49 umgestaltet – die beiden ersten wurden um einen hinteren Flu¨gel vergro¨ßert, das dritte dagegen in zwei Ha¨user aufgeteilt – ein einra¨umiges und ein zweiflu¨geliges. Einige der Firstha¨user besaßen auf dem Niveau des ersten Stockwerks mehr als einen Eingang in der Vorderwand: das Haus Ringplatz 60 hatte zwei Einga¨nge, Ringplatz 48/49 (vor seiner Teilung) drei und Ringplatz 7 sogar vier. Zu dieser Gruppe geho¨rte auch das Eckhaus auf dem Grundstu¨ck Ringplatz 41 mit einer auf den Platz fu¨hrenden Tu¨ro¨ffnung und wahrscheinlich sieben Einga¨ngen von der Straßenseite. Vermutlich waren die Ha¨user mit mehr als einem Eingang in der Vorderwand durch Holzverschla¨ge abgeteilt, zumindest auf dem Niveau des ersten Stocks. Im Nordteil der Stadt wurden chungen des ersten Stockwerks des Geba¨udes Ringplatz 33 in Breslau], Typoskript 1997, Archiwum Wojewo´dzkiego Konserwatora Zabytko´w we Wrocławiu; Lasota/Kro´l/Piekalski, Sprawozdanie (wie Anm. 15). 20 Chorowska, Sredniowieczna ´ kamienica (wie Anm. 5), S. 36–39; Chorowska/Lasota, Rekonstrukcja (wie Anm. 10).

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Małgorzata Chorowska und Czesław Lasota

einra¨umige Ha¨user (Ritterplatz 1, Sandgasse 15, Schuhbru¨cke 33) und ein zweira¨umiges Haus mit Tu¨ro¨ffnungen in der Seitenwand entdeckt (Ritterplatz 8). Das Haus Ritterplatz 8 besaß zwei Stockwerke, die Ha¨user Ringplatz 6, 7, 8, 21, 49 und Herrengasse 7 waren um einen Stock ho¨her (vgl. Abb. 2). Die festgestellte

Abb. 1: Die a¨lteste Bebauung des westlichen Blocks am Breslauer Ringplatz 1 = Bereich der Holzbebauung, 2 = Hauswa¨nde in Zweila¨uferverband

volle Ho¨he der dreisto¨ckigen Geba¨ude betrug 7,7 m (Ringplatz 6 – Vordertrakt des Nordhauses) und 10,5 m (Ringplatz 6 – Frontflu¨gel des Su¨dhauses, Ringplatz 49). In diesen Geba¨uden wurden im allgemeinen Deckenfirste verwendet; Gewo¨lbe waren damals eine Seltenheit (Ringplatz 8, 17, 43, Ritterplatz 8). Die meisten untersuchten unteren Fassadenpartien enthielten nur Tu¨ro¨ffnungen. Sie waren durch Tu¨rpfosten verengt und mit halbkreisfo¨rmigen oder leicht zugespitzten Gurtbo¨gen bedeckt. Eine a¨hnliche Form hatten die in den Seitenwa¨nden – vom Grenzweg her – oder in den hinteren Wa¨nden befindlichen Einga¨nge. Vom Hof waren u¨brigens alle Stockwerke der Ha¨user u¨ber zusa¨tzliche Einga¨nge zuga¨nglich, was im Fall der Ha¨user auf den Grundstu¨cken Ringplatz 6 und 7 besta¨tigt werden konnte. Die Lager- und Wirtschaftszwecken dienenden Erdgeschosse der Ha¨user bekamen ihr Licht durch

Die steinerne Bebauung der Ring- und Straßenzeilen im mittelalterlichen Breslau

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Schlitzfenster. Die ho¨heren Stockwerke mit Wohnfunktionen wurden durch etwas ¨ ffnungen mit Laibungen sowie Kuppelaugen (Rauchgro¨ßere ein- oder zweiseitige O lo¨cher) beleuchtet. Die Vorderfassaden mo¨gen mit einer aus zwei Maleranstrichen – einem roten Hintergrund und weiß ausgemalten Fugen – bestehenden architektonischen Polychromie bedeckt gewesen sein.21

Abb. 2: Rekonstruktion der a¨ltesten Bebauung des westlichen Blocks am Breslauer Ringplatz

21 Chorowska, Sredniowieczna ´ kamienica (wie Anm. 5), S. 27–30, 37–38, 51–52, 54; Dies., Przemi-

any architektoniczne wrocławskich kamienic przyrynkowych na przestrzeni XIII–XVIII wieku [Die architektonischen Vera¨nderungen der Breslauer Wohnha¨user am Ringplatz im Verlauf des 13. bis 18. Jahrhunderts], in: Wrocławski Rynek. Materiały konferencji naukowej zorganizowanej przez Muzeum Historyczne we Wrocławiu w dniach 22–24 pa´zdziernika 1998 r., hg. v. Marzena Smolak, Wrocław 1999, S. 115–125, hier S. 115–116; Chorowska/Lasota, Breslauer Patrizierha¨user (wie Anm. 12); Kozaczewski, Murowane domy (wie Anm. 19); Lasota, Po´łnocna pierzeja (wie Anm. 11), S. 72; Burnita/Lasota, Piwnice kamienicy (wie Anm. 19); Lasota/Kro´l/Piekalski, Sprawozdanie (wie Anm. 15).

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Małgorzata Chorowska und Czesław Lasota

Die im Vergleich zu den spa¨teren Geba¨uden am Ringplatz relativ niedrigen Ha¨user aus dem 13. Jahrhundert hatten nur wenig geneigte Da¨cher. Die Wa¨nde des Hauses auf dem Grundstu¨ck Ringplatz 49 bekro¨nten Zinnen.22 Die Frage, ob und wie die Ha¨user Verteidigungszwecken angepasst waren, beleuchtet eine Verfu¨gung des Stadtrates aus dem Jahre 1290, die den Besitzern der Ha¨user angesichts der Bedrohung der Stadt befahl, in ihnen „Waffen und Steine zuoberst“ zu lagern.23 Zwei Geba¨ude aus dieser Zeit – das Haus Ringplatz 33 und das Haus am Zusammentreffen der St.Albrechts- und der Veitsgasse – hatten sicher die Form eines Turms. Auf dem Plan des Bartholoma¨us Weyhner von 1562 wird das zweite von ihnen als dreisto¨ckiger Turm mit einem Erker von Osten dargestellt.24 In den an dieser Stelle durchgefu¨hrten Untersuchungen wurden unterhalb des Niveaus des Gehsteiges Mauern gefunden, die viel dicker waren als die Wa¨nde anderer Wohnha¨user aus dem 13. Jahrhundert.25 Fu¨r einen Turm auf dem Grundstu¨ck Ringplatz 33 sprechen auch die in den architektonischen Untersuchungen festgestellte betra¨chtliche Ho¨he seiner Wa¨nde sowie das Vorhandensein breiter Absa¨tze auf jedem seiner Stockwerke.26 Eine spa¨tere Lo¨sung fu¨r das Problem, einen Zugang vom Ringplatz zu den in den Untergrund eingetieften ersten Stockwerken der Ha¨user zu schaffen – eine Lo¨sung, die wegen der intensiven Erho¨hung des Bodenniveaus verbreitet war –, bildeten die gemauerten Beischla¨ge, die sich u¨ber die gesamte La¨nge der Frontmauern hinzogen und etwa 4 m auf den Ringplatz hinausreichten. Zur Konstruktion dieser Beischla¨ge geho¨rten in der Regel aus Pfeilern und Arkaden bestehende Seiten- und Frontwa¨nde. Den Ha¨usern auf den Grundstu¨cken Nr. 3, 6, 7, 8, 22/23, 26, 27, 43, 48/49 und 52 wurden die Beischla¨ge erst spa¨ter hinzugefu¨gt, wa¨hrend im Fall der Beischla¨ge auf den Grundstu¨cken Nr. 59 und 60 bekannt ist, dass sie im Rahmen einer Bauinvestition zusammen mit den mit ihnen verbundenen Ha¨usern entstanden sind. In der Fassade des Hauses Nr. 60 wurde eine zum Inneren des Beischlags hin gerichtete Nische entdeckt und im Haus Nr. 59 Elemente, die zur Verbindung der Seitenwand des Beischlags mit dem Haus dienten. Beide Ha¨user geho¨rten zu den am spa¨testen im 13. Jahrhundert erbauten, worauf die Tatsache verweist, dass ihr Bau bereits von einem betra¨chtlich erho¨hten Niveau des Ringplatzes aus begonnen wurde. Beischla¨ge wurden auch vor den in der ersten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts (Phase IIa) errichteten Ha¨usern registriert. Einige Beischla¨ge, die vor den Fassaden der nach der Mitte des 19. Jahrhunderts – anstelle der abgerissenen Ha¨user mit unbekannter Chronologie – errichteten Geba¨ude (Ringplatz 1, 9, 29, 32, 34, 38, 40) entdeckt wurden, sind sicher im 13. Jahrhundert entstanden. Die Seitenwa¨nde der Beischla¨ge vor den Ha¨usern des 13. Jahrhunderts wurden aus Ziegeln im Zweila¨ufer- oder im unregelma¨ßigen Verband errichtet. Die Gurtbo¨gen der Arkaden der Vorderwa¨nde liefen auf zwei Arten von Mittelstu¨tzen herab. Der 22 Chorowska, Przemiany architektoniczne (wie Anm. 21), S. 116. 23 Georg Korn, Schlesische Urkunden zur Geschichte des Gewerberechts insbesondere des Innungswe-

sens aus der Zeit vor 1400, Breslau 1867, S. 49, Anhang 1.

24 Atlas historyczny (wie Anm. 11), Tafel 13. 25 Jerzy Piekalski, Wczesne domy mieszczan w centralnej Europie. Geneza, funkcja, forma [Fru¨he Bu¨r-

gerha¨user in Mitteleuropa. Genese, Funktion, Form], Wrocław 2004, S. 191, Anm. 462. 26 Lasota/Zalewski/Słuzałek, ˙ Badania (wie Anm. 19).

Die steinerne Bebauung der Ring- und Straßenzeilen im mittelalterlichen Breslau

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Beischlag des Hauses auf dem Grundstu¨ck Nr. 24 hatte Sa¨ulen, deren Sockel ermittelt werden konnten (vgl. Abb. 3). Die Mittelstu¨tzen der Gurtbo¨gen in den Vorderwa¨nden der Beischla¨ge der Ha¨user auf den Grundstu¨cken Nr. 22/23 und 42 bildeten Ziegelpfeiler. Auf den Wa¨nden einiger Innenra¨ume wurden Spuren eines Maleranstrichs gefunden, der aus einem roten Hintergrund und weiß angemalten Fugen bestand. In zwei Fa¨llen wurde festgestellt, dass die Beischla¨ge mit einem Firstdach bedeckt waren. Zu den Beischla¨gen fu¨hrten vom Ringplatz aus in den Untergrund modellierte und mit Holz verkleidete Stufen. Zwei von ihnen zeichneten sich durch andere Lo¨sungen aus. Die zum Beischlag des Hauses auf dem Grundstu¨ck Nr. 40 fu¨hrenden Holzstufen wurden nach einiger Zeit durch aus Findlingen bestehende Stufen ersetzt. Er reichte bis 4,5 m vor die Frontwand. Dem schmalsten der ermittelten Beischla¨ge, der sich 3,5 m vor der Front des Grundstu¨cks Nr. 29 befand, ging ein Anbau mit Holzwa¨nden voraus.27 Die Datierung der am Ritterplatz, in der Kupferschmiedegasse, der Sandgasse und der Schuhbru¨cke entdeckten Ha¨user durch Kozaczewski in das erste Viertel des 13. Jahrhunderts28 wurde in Arbeiten zur Sozialtopographie, Urbanistik und Bebauung der Stadt im 13. Jahrhundert nicht besta¨tigt.29 Das Auftreten der ersten Ha¨user in den Ringzeilen kann allgemein auf das zweite Viertel des 13. Jahrhunderts datiert werden. Eine auf diese Chronologie hindeutende Pra¨misse bilden zwei Sa¨ulen des ersten Stockwerks des Hauses auf dem Grundstu¨ck Nr. 17, die Felder des Kreuzgewo¨lbes ohne Rippen trugen – eine Seltenheit im bu¨rgerlichen Bauwesen Breslaus des 13. Jahrhunderts. Durch die Kelchform der Kapitelle sowie die etwas abgeflachte „Tellerform“ der Sockel, darunter eines mit Krallen an den Ecken, a¨hneln sie der erhaltenen Sa¨ule aus der Krypta der ersten St.-Jakob-Kirche, die aufgrund eines weiteren architektonischen Details sowie Erwa¨hnungen in den Schriftquellen auf die Jahre 1234/40 datiert wurde (vgl. Abb. 4).30 Aus den Grabungen vor den Ringzeilen konnten Dendrodaten gewonnen werden, wa¨hrend unter den Beischla¨gen Sequenzen sich abwechselnder Schichten von organischen Materialien und Sand durchschnitten wurden.31 Man kann annehmen, dass dieser Sand hauptsa¨chlich aus den Baugruben der teilweise in den Erdboden eingetieften Ha¨user und Beischla¨ge stammte. Bei der Grabung unter dem Beischlag des Nordhauses auf dem Grundstu¨ck Nr. 8, die vom 27 Bresch/Bu´sko/Lasota , Zachodnia pierzeja (wie Anm. 11); Dies., Wschodnia pierzeja (wie Anm. 11);

Bresch/Lasota/Piekalski, Po´łnocna pierzeja (wie Anm. 11), S. 11–69; Chorowska/Lasota, Breslauer Patrizierha¨user (wie Anm. 12); Lasota, Po´łnocna pierzeja (wie Anm. 11), S. 72–74. 28 Kozaczewski, Murowane domy (wie Anm. 19), S. 38–45. 29 Chorowska/Lasota, O s´ redniowiecznej kamienicy (wie Anm. 10), S. 54, Anm. 30; Mateusz Golin´ ´ sredniowiecznego Wrocławia (przestrzen, ´ podatnicy, rzemiosło) [Die Soziski, Socjotopografia po´zno´ altopographie des spa¨tmittelalterlichen Breslau (Raum, Steuerzahler, Handwerk)], Wrocław 1997, S. 124; Piekalski, Wczesne domy (wie Anm. 25), S. 192–193. 30 Czesław Lasota/Jerzy Rozpedowski, ˛ Rozwo´j przestrzenny koscioła franciszkano´w we Wrocławiu [Die ra¨umliche Entwicklung der Franziskanerkirche in Breslau], in: Prace Naukowe Instytutu Historii ´ etosŁawski, Architektury, Sztuki i Techniki Politechniki Wrocławskiej 8 (1981), S. 53–63; Witold Swi ˛ Strzemiona s´ redniowieczne z ziem Polski [Mittelalterliche Fesseln aus den polnischen La¨ndern], Ło´dz´ 1990, S. 300–302, Ill. 838. 31 Bresch/Bu´sko/Lasota, Zachodnia pierzeja (wie Anm. 11); Dies., Wschodnia pierzeja (wie Anm. 11); Bresch/Lasota/Piekalski, Po´łnocna pierzeja (wie Anm. 11).

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Małgorzata Chorowska und Czesław Lasota

Abb. 3: Sa¨ulenreste aus Bu¨rgerha¨usern am Ringplatz in Breslau a = aus Haus Ringplatz 17; b = aus dem Beischlag Haus Ringplatz 24

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Niveau des um etwa 1 m erho¨hten Platzes aus durchgefu¨hrt wurde, wurde eine mit der (von unten geza¨hlt) vierten Sandschicht zugeschu¨ttete Rinne durchschnitten. Die Zeit des Baus dieser Rinne wurde dendrochronologisch bestimmt: etwa 1240, etwa 1241, nach 1242, nach 1244. Aus dem Pfosten, der einen Teil der sich vor der Vorder-

Abb. 4: Sa¨ulen aus dem 2. Viertel des 13. Jahrhunderts Haus Ringplatz 17 (links) und Kirche St. Jakob (rechts)

wand des Beischlags des Hauses auf dem Grundstu¨ck Nr. 3 befindenden Konstruktion bildete, wurde ein Dendrodatum nach 1250 gewonnen.32 Auf eine Entstehungszeit der ersten gemauerten Beischla¨ge um die Mitte des 13. Jahrhunderts deutet auch der Sockel des an das Haus auf dem Grundstu¨ck Nr. 24 angebauten Objekts, der tellerfo¨rmig gehauen war, aber noch Klauen in Form vereinfachter Bla¨ttchen auf den Ecken besaß (vgl. Abb. 3). Die schriftlichen Quellen liefern keinerlei Informationen u¨ber die Besitzer der Ha¨user aus dem 13. Jahrhundert. Spa¨tere Quellenerwa¨hnungen erlauben die Schlussfolgerung, dass die auf dem Gela¨nde des a¨ltesten regula¨r vermessenen Teils der Stadt mitsamt dem Ringplatz errichteten Geba¨ude – vielleicht mit zwei Ausnahmen – den Vertretern der wohlhabendsten Berufsgruppen der Bu¨rgerschaft geho¨rten. Infolge

32 Bresch/Bu´sko/Lasota, Zachodnia pierzeja (wie Anm. 11), S. 23–26, 57–60, 66–70.

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der zu Steuerzwecken angeordneten und durch eine Quelle aus dem Jahre 130233 besta¨tigten Einteilung der Stadt in vier Viertel befanden sich die su¨dliche und westliche Ringzeile, die Junkerngasse (jetzt ul. Ofiar O´swi˛ecimskich) und die Herrengasse (jetzt ul. Kiełba´snicza) innerhalb des Viertels der Kaufleute. Die Ha¨user in der Kupferschmiedegasse konnten reichen Kra¨mern geho¨ren, deren Wohlstand nur noch von der Kaufmannselite u¨bertroffen wurde. Der Beginn der St.-Albrecht-Gasse befand sich im Mittelalter „Zwischen den Goldschmieden“. Im attraktivsten, zum Ringplatz fu¨hrenden Abschnitt der Kupferschmiedegasse wohnten die Waffenproduzenten.34 Es ist anzunehmen, dass auch die gro¨ßten Ha¨user in der no¨rdlichen Ringzeile Kaufleuten geho¨rten. Nicht dem Bu¨rgertum angeho¨rt haben mochten die ersten Besitzer der Geba¨ude auf den Grundstu¨cken Ringplatz 17 und 33, die sich gegenu¨ber den anderen auszeichneten – das erste durch das Vorhandensein von Sa¨ulen und das festgestellte Fehlen eines Beischlags, das zweite sicher durch seine Turmform. Bedeutsam ist, dass in den zu den Stadttoren fu¨hrenden Straßen bisher keine Relikte von Ha¨usern aus dem 13. Jahrhundert gefunden wurden. Auf dem Terrain der no¨rdlichen Bebauungsblo¨cke, in der Nachbarschaft der Klo¨ster, befanden sich die Residenzen einiger dynastischer Linien schlesischer Piasten sowie mit der Kirche verbundener Personen. Bekanntlich befand sich das Geba¨ude in der Sandgasse 15 zu Beginn des 14. Jahrhunderts im Besitz von Vertretern der Kirche, und das Haus auf dem Grundstu¨ck Ritterplatz 1 war bis 1331 Eigentum eines Bu¨rgers.35 Die Zisterzienserinnen aus Trebnitz konnten die Immobilie am Ritterplatz 8 nicht fru¨her als nach 1260 erworben haben.36

III. Die Ha¨user der Phase IIa: ca. erste Ha¨lfte 14. Jahrhundert

Die Ha¨user dieser Phase mit Wa¨nden im Zweila¨uferverband stellten hinsichtlich der ra¨umlichen Lo¨sungen eine Fortsetzung derjenigen aus dem 13. Jahrhundert dar. Erkundet wurden sie hauptsa¨chlich auf der Grundlage der Fenster- und Eingangso¨ffnungen sowie der die Erdgeschosse bedeckenden Decken, die nicht mit dem – dem heutigen angena¨herten – erho¨hten Niveau des Terrains aus der Zeit ihres Umbaus ungefa¨hr nach der Mitte des 14. Jahrhunderts korrespondierten (Abb. 5). Von den festgestellten Ha¨usern der Phase IIa entstanden auf dem Terrain des am fru¨hesten mit dem Ringplatz vermessenen Teils der Stadt: am Ringplatz 2 – zwei Geba¨ude, Ringplatz 14/15 – zwei Geba¨ude, Ringplatz 35–38, 50, in der Herrengasse 6, 20, 24, 27, ´ 29, 30, Nikolaigasse 7, 69, 70, 77, Reuschegasse 5–7, Bu¨ttnergasse (jetzt ul. Rzeznicza) je ein Geba¨ude, eins in der Na¨he (St.-Albrecht-Gasse 12) und zwei in der

33 Mateusz Golinski, ´ Zu den ra¨umlichen Vera¨nderungen Breslaus nach der Lokation, in: Rechts-

stadtgru¨ndungen im mittelalterlichen Polen, hg. v. Eduard Mu¨hle, Ko¨ln u. a. 2011, S. 157–168, hier S. 159–161. 34 Chorowska/Lasota, O s´ redniowiecznej kamienicy (wie Anm. 10), S. 52–53. 35 Golinski, ´ Socjotopografia (wie Anm. 29), S. 119–121, 125. 36 Chorowska/Lasota, O s´ redniowiecznej kamienicy (wie Anm. 10), S. 54, Anm. 20.

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Nachbarschaft der Klosterstiftungen (Schuhbru¨cke 49). Das waren einra¨umige Anlagen (Ringplatz 2 – Nordgeba¨ude, Herrengasse 6, 20, 24, 27, 29, Reuschegasse 5–7, Bu¨ttnergasse 1), flache, zweiteilige (Herrengasse 30, Nikolaigasse 7, St.-AlbrechtGasse 12), zweitraktige, im Rahmen einer Bauaktion und nach dem Ausbau der einra¨umigen realisierte (Ringplatz 2 – Su¨dhaus, 14/15 – zwei Geba¨ude, 35–37, 50, Nikolaigasse 70) sowie dreiteilige Anlagen (Nikolaigasse 77). Unter den Ha¨usern mit breiter Front waren flache, darunter einra¨umige (Herrengasse 29, Reuschegasse 7), zweiund dreiteilige (St.-Albrecht-Gasse 12, Nikolaigasse 7, 77) sowie ein zweitraktiges Haus (Ringplatz 14/15 – Westgeba¨ude).37 Die registrierten Giebelwa¨nde der Ha¨user auf den Grundstu¨cken in der Herrengasse 20 und Nikolaigasse 77 veranschaulichen, dass zumindest ein Teil der um die erste Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts errichteten Geba¨ude drei Etagen besaß, die u¨ber das teilweise im Untergrund vertiefte Stockwerk hinausreichten. Das erste von ihnen besaß zwei Schlitzfenster im zweiten Stockwerk und etwas ho¨her ein einzelnes Fenster (42 × 100 cm groß) im dritten Stockwerk – alle in Nischen situiert und von innen durch Fensterla¨den verschlossen. Das auf dem Grundstu¨ck in der Nikolaigasse 77 entdeckte Eckgeba¨ude, in dem die Ho¨he jedes der drei oberirdischen Stockwerke 3,5 bis 4 m betrug, machte den Eindruck eines Turmhauses.38 Vor den Ha¨usern in den Ringzeilen befanden sich weiterhin gebaute Beischla¨ge. Dies belegt vor allem eine aufgedeckte Seitenwand, die die Nachbarkonstruktionen abteilte und in der Verla¨ngerung der Grenzwand der Ha¨user Nr. 4 und 5 verlief, deren Errichtung die nahe beieinander gelegenen Ha¨user aus dem 13. Jahrhundert verbreiterte. Der untersuchte Teil des Beischlags, der sich an die mit mehreren Einga¨ngen versehene Seitenwand des aus dem 13. Jahrhundert stammenden Hauses auf dem Grundstu¨ck Ringplatz 41 anschloss, wurde im Einla¨uferverband gemauert. Vor den Ha¨usern Nr. 2, 14/15 und 18 wurden Vertiefungen festgestellt, die die Existenz von Beischla¨gen bezeugen. Vom Ringplatz zu dem im Untergrund eingetieften ersten Stockwerk der Anlage des Hauses Nr. 50 mit Eingang in der westlichen Seitenwand fu¨hrte wahrscheinlich eine Schra¨ge.39 Wa¨hrend um die Mitte des 14. Jahrhunderts die Ha¨user an den Straßen Enklaven bildeten, formierten sie um den Ringplatz geschlossene Bebauungsreihen und

37 Atlas historycczny (wie Anm. 11), Tafeln 4, 5a, 5b; Wojciech Brzezowski/Czesław Lasota, Stu-

dium historyczne z wnioskami konserwatorskimi budynku nr 12 przy ul. Wita Stwosza we Wrocławiu [Historische Analyse mit konservatorischen Schlussfolgerungen des Geba¨udes Nr. 12 an der ul. Wita Stwosza in Breslau], Typoskript 1995, Archiwum Wojewo´dzkiego Konserwatora Zabytko´w we Wrocławiu; Jerzy Burnita/Czesław Lasota, Wyniki badan´ architektonicznych budynko´w przy ul. Ruskiej 6, 7 i Rze´zniczej 1 [Ergebnisse der architektonischen Untersuchungen der Geba¨ude an der Reuschegasse 6, 7 und Bu¨ttnergasse 1], Typoskript 1994, Archiwum Wojewo´dzkiego Konserwatora ´ Zabytko´w we Wrocławiu; Chorowska, Sredniowieczna kamienica (wie Anm. 5), S. 30; Dies., Przemiany architektoniczne (wie Anm. 13), S. 207. 38 Chorowska, Sredniowieczna ´ kamienica (wie Anm. 5), S. 30, 56–57. 39 Bresch/Bu´sko/Lasota, Zachodnia pierzeja (wie Anm. 11), S. S. 21, 35–38; Dies., Wschodnia pierzeja (wie Anm. 11), S. 80–83, 92–93; Bresch/Lasota/Piekalski, Po´łnocna pierzeja (wie Anm. 11), S. 44–45; Chorowska, Przemiany architektoniczne (wie Anm. 13), S. 207; Lasota, Po´łnocna pierzeja (wie Anm. 11), S. 72–74.

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Małgorzata Chorowska und Czesław Lasota

wechselten mit Holzbauten ab. Vom Stand der gemauerten Bebauung um den Ringplatz zeugen die gemauerten Beischla¨ge in Form von Mauern oder mit Ziegelschutt zugeschu¨tteten Vertiefungen. Diese Realien belegen, dass sich auf mindestens 35 der 60 Grundstu¨cke am Ringplatz Ha¨user der Phasen I und IIa befanden. Von den Ring-

Abb. 5: Erdgeschoss des Hauses Schuhbru¨cke 49

zeilen zeichnete sich die westliche durch Einheitlichkeit aus; sie war mit Ha¨usern mit gemauerten Beischla¨gen bebaut, wahrscheinlich auch in Reichweite des bisher noch nicht erkundeten Su¨drandes. Der o¨stliche Abschnitt der su¨dlichen und der nordo¨stlichen Zeile zeichnete sich vielleicht ebenfalls vollsta¨ndig durch eine geschlossene gemauerte Bebauung aus. Man kann sagen, dass das Aussehen der Nordzeile am differenziertesten war, wo Ha¨user mit Beischla¨gen (Nr. 43, 48, 49, 52, 59, 60) und mit einer Schra¨ge (Nr. 50) sowie Ha¨user mit einer Skelettkonstruktion mit Beischla¨gen und ohne solche festgestellt wurden. Keine Beischla¨ge gab es vor den heutigen Ha¨usern Nr. 44–47 und wahrscheinlich Nr. 42, deren urspru¨ngliche Anlagen in der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts entstanden. Die bei den Ausgrabungen vor den Geba¨uden Nr. 53, 56 und 58 gefundenen Relikte von Beischla¨gen erlauben die Schlussfolgerung, dass sie sich vor den Skelettha¨usern befanden.40 Im westlichen Abschnitt der Su¨dzeile befanden sich drei Ha¨user mit Beischla¨gen (Nr. 12, 14/15) und eines ohne diese Konstruktion (Nr. 17); sie waren durch Skelettha¨user abgeteilt. Vor den heutigen Ha¨usern Nr. 16, 18 und 19, deren Anfa¨nge in die zweite Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts zuru¨ckreichen, wurden keine Beischla¨ge registriert.

40 Bresch/Lasota/Piekalski, Po´łnocna pierzeja (wie Anm. 11).

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IV. Die Ha¨user der Phase IIb: ca. Mitte 14. bis ca. zweites Drittel 15. Jahrhundert

Mit dem Bau der Ha¨user dieser Phase wurde in der Zeit der Stabilisierung des Niveaus des Ringplatzes und der Straßen begonnen. Zu ihrer Ho¨henordung geho¨rten tiefe, eingewo¨lbte Keller, ein Parterre, ein oder zwei Etagen sowie hohe, steile Da¨cher (vgl. Abb. 6).

heutiges Bodenniveau

Abb. 6: Vera¨nderungen der Dachho¨hen des Hauses Ringplatz 6 im Mittelalter A = 13. Jh., B = nach etwa 1350, C = spa¨tes 15. Jh

Das massenhafte Auftreten von Ha¨usern der zweiten Generation um den Ringplatz kann mit der im Jahre 1363 vom Stadtrat erlassenen Willku¨r in Zusammenhang gebracht werden. Diese ordnete an, die hier einem Brand zum Opfer gefallenen Holzha¨user unter Verwendung von Ziegeln und Steinen ohne jeglichen Widerspruch neu zu errichten.41 Die Ha¨user auf den Grundstu¨cken Nr. 44–47 entstanden im Rahmen einer Bauaktion.42 Die abgebrannten Ha¨user – von denen Brandspuren an den Wa¨nden der Beischla¨ge sowie Brandreste und Bauschutt in den Sequenzen der sie ausfu¨llenden Schichten zeugen43- wurden umgebaut. Die aus Ha¨usern der zweiten Generation zusammengesetzte geschlossene Bebauung in den Zeilen entstand erst

41 Korn, Schlesische Urkunden (wie Anm. 23), Nr. 238. 42 Lasota, Po´łnocna pierzeja (wie Anm. 11), S. 75. 43 Bresch/Bu´sko/Lasota, Zachodnia pierzeja (wie Anm. 11); Dies., Wschodnia pierzeja (wie Anm. 11);

Bresch/Lasota/Piekalski, Po´łnocna pierzeja (wie Anm. 11).

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Małgorzata Chorowska und Czesław Lasota

nach dem Brand. Im Jahre 1383 versprachen die Besitzer einer Immobilie am Liegnitzer Ringplatz Herzog Ruprecht und den Ratsherren, innerhalb von drei Jahren die Fronten der Geba¨ude nach dem Vorbild des Breslauer Ringplatzes umzugestalten, d. h. die Bogenga¨nge zu entfernen und Ha¨user mit einer Ho¨he von mindestens einem Stockwerk, bekro¨nt von Giebeln, in einer Linie zu errichten.44 Die sprunghafte Zunahme der Wohninvestitionen in Breslau in der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts war begu¨nstigt durch die Anwesenheit hoch qualifizierter Bauhu¨tten, die zu diesem Zeitpunkt zahlreiche monumentale kirchliche Investitionen realisierten.45 Die Verbreitung der fu¨r die Zeit bis zum dritten Drittel des 15. Jahrhunderts ermittelten Ha¨user erlaubt die Annahme, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt in dem von der inneren Stadtmauer begrenzten Teil der Stadt allgemein verbreitet waren. In recht großer Zahl traten sie auch in der Nikolai- und der Reuschegasse und in der Schweidnitzer Gasse, in den Abschnitten zwischen den inneren und a¨ußeren Stadttoren sowie entlang der Ufer des inneren Grabens in Erscheinung. Am ansehnlichsten waren die Ha¨user des Patriziats. Die Vertreter dieser Gruppe ´ besaßen zu Beginn des 14. Jahrhunderts im Lichte der von Mateusz Golinski durchgefu¨hrten Analyse der Steuerquellen Grundstu¨cke am Ringplatz (insgesamt 25 in der West- und Su¨dzeile sowie jeweils neun in der Nord- und Ostzeile und am Hu¨hnermarkt), am Salzmarkt (11), in der Herrengasse (4), der Kupferschmiedegasse (im mittleren Abschnitt – ?, im westlichen – 7), der Junkerngasse (14), der inneren Schweidnitzer Gasse (4) und der St.-Albrecht-Gasse 15.46 Die erkundeten Ha¨user der Phase IIb, die mit dem Eigentum des Patriziats in Verbindung gebracht werden ko¨nnen, repra¨sentierten verschiedene ra¨umliche Lo¨sungen. Darunter befanden sich zwei- und dreiflu¨gelige Anlagen mit einer Frontla¨nge zwischen 11 und 25 m (Ringplatz 5, 6, 52, 60, Herrengasse 20, 29, Junkerngasse 19, 21, 33, 35, Bischofsgasse 11). Einer der Ra¨ume des Frontflu¨gels im Parterre war ein Flur, aus dem man auf den Hof gelangte. Das Haus in der Herrengasse 20 hatte zwei Etagen. Die einsto¨ckigen Geba¨ude besaßen steile Da¨cher, die ho¨her waren als die Wa¨nde, und die unter ihnen befindlichen Dachbo¨den waren in Stockwerke aufgeteilt (Ringplatz 6, Junkerngasse 19, 21). Die breitfrontigen und einsto¨ckigen zweitraktigen Ha¨user waren durch zwei parallel zur Ringzeile angeordnete Da¨cher gesichert (Ringplatz 7, 8). Man kann zeigen, dass in der no¨rdlichen Ringzeile auch zweitraktige Giebelha¨user, die im Parterre einen Flur von der Front sowie einen Durchgang und eine Stube im zweiten Trakt enthielten, im Besitz von Patriziern waren (Nr. 44, 47, 51). Stein erinnerte in seiner Beschreibung der Stadt daran, dass sich an den Straßenkreuzungen Kra¨mer angesiedelt hatten, damit 44 Czesław Lasota/Ewa Łuzyniecka, ˙ ´ sredniowiecznej O murowanych domach mieszczan w po´zno´

¨ ber die gemauerten Bu¨rgerha¨user im spa¨tmittelalterlichen Liegnitz], in: Civitas et villa. Legnicy [U Miasto i wie´s w s´ redniowiecznej Europie s´ rodkowej, hg. v. Cezary Bu´sko, Wrocław/Praha 2002, S. 151–158, hier S. 158, Anm. 22. 45 Zygmunt Swiechowski, ´ Architektura sakralna XIII–XV w. [Sakralarchitektur des 13. – 15. Jahrhunderts], in: Wrocław, jego dzieje i kultura, hg. v. Dems., Warszawa 1978, S. 91–130, hier S. 107, 116. 46 Mateusz Golinski, ˙ ´ ´ dła podatkowe. Wybrane problemy na przy´ Socjotopografia duzego miasta a zro ´ kładzie Wrocławia i Swidnicy [Die Sozialtopographie einer großen Stadt und die Steuerquellen. Ausgewa¨hlte Probleme am Beispiel von Breslau und Schweidnitz], in: Kwartalnik Historii Kultury Materialnej 18 (1995), 1, S. 43–53, hier S. 43f.

Die steinerne Bebauung der Ring- und Straßenzeilen im mittelalterlichen Breslau

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Messergasse

¨ ffnungszeiten der Scha¨nke informierenden Zeichen weithin sichtbar die u¨ber die O waren.47 Als ihr Eigentum ko¨nnen die breitfrontigen Geba¨ude angesehen werden, die in den zu den Toren des inneren Gu¨rtels der Stadtmauern fu¨hrenden Straßen ermittelt wurden; es handelte sich um zweitraktige (Reuschegasse 1/Herrengasse 32, Reuschegasse 7/Bu¨ttnergasse 1), zweiflu¨gelige (Reuschegasse 2, 4/5, Nikolaigasse 13) und ein flaches dreiteiliges Geba¨ude (Ohlauer Gasse 12).

Schmiedebrücke

Abb. 7: Keller von Bu¨rgerha¨usern in der Schmiedebru¨cke 1 1 = 1350–1470, 2 = 1470–1530

Die Ha¨user der Handwerker zeichneten sich durch einen einfacheren Grundriss aus. Ein Abschnitts der Ostzeile der Kupferschmiedegasse (Nr. 17–22) war fast ganz mit flachen, zweiteiligen Ha¨usern mit einer La¨nge der Vorderwa¨nde zwischen 10 und 13,5 m (vgl. Abb. 7) bebaut. Der a¨ußerste no¨rdliche Abschnitt der Westzeile der Odergasse (Nr. 22–29) bestand hauptsa¨chlich aus 3,7 bis 6,5 m breiten einra¨umigen und zweitraktigen Giebelha¨usern. Ein Beispiel fu¨r den niedrigsten Standard der gemauerten Bebauung bilden die in der Messergasse (Nr. 13–17) ermittelten, nicht unterkellerten Geba¨ude mit einer

47 Bartłomieja Steina renesansowe opisanie Wrocławia [Die Beschreibung der Stadt Breslau der

˙ Renaissancezeit durch Bartholoma¨us Stein], hg. v. Ro´scisław Zerelik, Wrocław 1995, S. 24.

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Małgorzata Chorowska und Czesław Lasota

Stube im Parterre und mit 4 m langen Front- und 6 m langen Seitenwa¨nden. Steins Bericht zufolge wohnten in der St.-Albrecht-Gasse mehr vorzu¨gliche Bu¨rger als Scharen schmutziger Handwerker.48 Letztere bewohnten sicher die zwischen 5,75 und 8,25 m breiten einra¨umigen und zweitraktigen Giebelha¨user, die auf den Grundstu¨cken Nr. 4, 5, 15 und 18 untersucht wurden. So geplante Ha¨user mit a¨hnlichen Ausmaßen wurden auch in der Junkerngasse (Nr. 19, 30) festgestellt. Sie befanden sich in der Nachbarschaft von breitfrontigen Geba¨uden. Der Standard der gemauerten Bebauung auf dem Gela¨nde zwischen dem inneren und dem a¨ußeren Gu¨rtel der Stadtbefestigungen repra¨sentierte ein Niveau der Bebauung, wie es in der Kupferschmiedegasse, der Messergasse und der Odergasse festgestellt wurde.49 Unsere geringfu¨gige Kenntnis von den Fassaden der nach der Mitte des 14. Jahrhunderts errichteten Ha¨user wird durch Erkenntnisse aus Bu¨rgerha¨usern anderer schlesischer Sta¨dte der Ziegelbauzone erga¨nzt: aus Ha¨usern in Brieg50 sowie aus den Ratha¨usern von Namslau51 und Neumarkt.52 Die Farbgestaltung der Keramikfassaden schuf ein zweifarbiges Motiv mit dunklen Ko¨pfchen. Der erste Stock war vom Parterre durch einen Flachfries oder einen Fries mit einem das Geba¨ude kro¨nenden Gesims getrennt. Ein zweiter Flachfries verlief unter dem Kronengesims. Gegliedert waren die Stockwerke durch nahe beieinander situierte Blenden und Fenstero¨ffnungen mit unterschiedlich profilierten Kanten: rechteckige (durch ein lateinisches Kreuz mehrfeldrig unterteilt) sowie mit einem spitzbogigen, Abschnitts-, dreibla¨ttrigen oder Eselsgurt bedeckte. Die Blenden und Fenstero¨ffnungen korrespondierten nicht mit der Gliederung des Parterres, die auf die Fenster und Einga¨nge beschra¨nkt war. Die verputzten Flachfriese und Blenden besaßen eine Malerdekoration, die im Allgemeinen aus einem schwarzen oder grauen Hintergrund und sich durch eine

48 Ebd., S. 23. 49 Atlas historyczny (wie Anm. 11), Tafeln 4, 5a, 5b; Brzezowski/Chorowska/Lasota, Parcelacja i

zabudowa kwartału w wiekach XIII–XVIII [Parzellierung und Bebauungsblock im 13. – 18. Jh.], in: Kompleksowe archeologiczno-architektoniczne badania wykopaliskowe w kwartale zabudowy ograniczony ulicami Kazimierza Wielkiego – Szewska – Ofiar O´swi˛ecimskich – Łaciarska˛ na Starym Mie´scie we Wrocławiu, hg. v. J. Lodowski, Wrocław 1998, S. 157–168; Brzezowski/Lasota, Studium ´ (wie Anm. 37); Chorowska, Sredniowieczna Kamienica (wie Anm. 5), S. 33, 35, 38, 90–98; Dies., Przemiany architektoniczne (wie Anm. 21), S. 117–118; Chorowska/Lasota, O s´ redniowiecznej (wie Anm. 10); Lasota, Po´łnocna pierzeja (wie Anm. 11), S. 74–77f.; Lasota/Piekalski/Wysocka, Działki ´ mieszczanskie (wie Anm. 13), S. 345f. 50 Rafał Czerner, Relikty po´znogotyckiej ¨ berreste der spa¨t´ fasady domu nr 2 przy Rynku w Brzegu [U gotischen Fassade des Hauses Nr. 2 am Ringplatz in Brieg], Typoskript 1999, Archiwum Wojewo´dzkiego Konserwatora Zabytko´w w Opolu; Jerzy Burnita/Czesław Lasota/Jerzy Skarbek, Wyniki badan´ archeologicznych kamienicy nr 10 w Brzegu i odkrytych w wykopie relikto´w zabudowy tylnej działki [Ergebnisse der archa¨ologischen Untersuchungen des Wohnhauses Nr. 10 in Brieg und der im Grabungsfenster aufgedeckten Baureste des hinteren Grundstu¨cks], Typoskript 2005, Archiwum Wojewo´dzkiego Konserwatora Zabytko´w w Opolu. 51 Czesław Lasota/Andrzej Legendziewicz, Badania gotyckiej architektury Namysłowa, blok ratuszowy [Untersuchungen der gotischen Architektur Namslaus, der Rathausblock], in: Architektus. Pismo Wydziału Architektury Politechniki Wrocławskiej 1–2 (2007), S. 41–56, hier S. 45–53. 52 Rafał Czerner/Jacek Ko´sciuk, Po´znogotyckie ´ ´ askiej ´ elewacje ratusza w Srodzie Sl ˛ [Die spa¨tgotische Fassade des Rathauses in Neumarkt], in: Prace Naukowe Instytutu Historii Architektury, Sztuki i Techniki Politechniki Wrocławskiej 22 (1989), S. 38–53.

Die steinerne Bebauung der Ring- und Straßenzeilen im mittelalterlichen Breslau

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andere Farbe auszeichnenden Motiven bestand. Die Flachfriese belebten die Maßwerkmotive und die Blenden die Imitationen von Fensterla¨den oder einer Verglasung in Form von Butzenscheiben und Rauten. In der Bekro¨nung der Fassaden der Ha¨user in Brieg erkannte man verkro¨pfte Giebel. Auch die Giebel der Ratha¨user in Namslau und Neumarkt wurden durch Blenden in abgetrennte Stockwerke geteilt. Einen derartigen Fassadenschmuck kennen wir in Breslau vom Eckhaus am Hu¨hnermarkt 2/ Schuhbru¨cke 74, das sicher einem Patrizier geho¨rte; auf der aus der Ecke herausragenden Konsole steht unter einem Baldachin eine Figur der Gottesmutter mit Kind (vgl. Abb. 8). Auf beiden Fassaden des Hauses wurden Relikte von Fenstero¨ffnungen mit Teilungsspuren in Form eines schra¨gen Gitters freigelegt. Die Fenster der ersten Etage waren in dekorative spitzbogige Blenden gefasst und zu einem Eselsgurt gebogen, mit steinernen Kanten auf beiden Seiten der Figur. Zur Dekoration der zweiten Etage geho¨rten einzelne, zu zweien oder zu dreien zusammengefasste DreipassNischen.53 In der ersten Etage der Fassade des Hauses am Ringplatz 8 wurden Blenden gefunden.54 ¨ ffnungen in den Fassaden der im Besitz der Stadtelite befindlichen Ha¨uDie O ser besaßen ebenfalls Sandsteinumrahmungen. In der fu¨nfachsigen Frontfassade des Hauses in der Herrengasse 29 sind exponiert: ein Flachfries u¨ber dem Parterre mit weißen Linien des Maßwerkmotivs auf schwarzem Hintergrund sowie eine Sandsteinumrahmung der Fenster des ersten und zweiten Stocks – im unteren Stockwerk mit Birnenprofil und im oberen mit einander kreuzenden Sta¨ben in den Ecken. Die Profile der Fensterumrahmungen der zweiten Etage erlauben die Schlussfolgerung, dass sie in der Phase III aufgestockt wurden. Das aus der Ikonographie und von Archivzeichnungen bekannte Geba¨ude des so genannten Neuen Rathauses in der Neustadt (vgl. Abb. 9) zeigte auf dem Niveau der ersten Etage eine sich abwechselnde Reihe spitzbogiger und rechteckiger, in vier Felder geteilte Fenstero¨ffnungen. Darunter befand sich der Streifen eines Frieses, der das Stockwerk vom urspru¨nglich sehr hohen Parterre trennte, das in der Neuzeit an einigen Stellen von Fenstern durchbrochen wurde, die im Zusammenhang mit der vera¨nderten Ho¨he der Stockwerke im Geba¨ude entstanden waren. Den auf die fru¨here Polnische Straße hinausgehenden dreieckigen Giebel fu¨llten fu¨nf schlanke Blenden aus. Untersuchungen an dem im Nordteil der Altstadt gelegenen Haus Schuhbru¨cke 35 belegen, dass die weiter oben vorgestellten Lo¨sungen der Komposition und Dekoration der Fassaden gotischer Bu¨rgerha¨user in Breslau verbreitet waren. Dieses Haus entstand infolge der Verbindung zweier einsto¨ckiger Ha¨user aus gotischer Zeit, eines First- und eines Giebelhauses, mit einer La¨nge der Frontwa¨nde von 9 und 6 m. ¨ ffnungen in den Fassaden beider Ha¨user, zweifarbig mit dunklen Die Kanten der O Ko¨pfchen, waren aus Ziegelformstu¨cken gefertigt. In der Fassade des schmaleren,

53 Maciej Małachowicz, Architektura XIV- wiecznej kamienicy Pod Złota˛ Maria˛ na ul. Kurzy Targ we

Wrocławiu [Die Architektur des Wohnhauses aus dem 14. Jahrhundert „Unter der Goldenen Maria“ ˙ am Hu¨hnermarkt in Breslau], in: Dom w mie´scie s´ redniowiecznym i nowozytnym, hg. v. Bogusław Gediga, Wrocław 2004, S. 110–120. 54 Czerner, Rynek (wie Anm. 3), S. 58.

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zweitraktigen Geba¨udes war das Su¨dparterre vom ersten Stock durch einen verputzten Flachfries getrennt, unter dem sich drei durch Pfeiler abgetrennte rechteckige ¨ ffnungen befanden: ein Eingang zum Flur sowie Fenster zu dessen beiden Seiten. O ¨ ffnungen. Die am Im Erdgeschoss des zweiteiligen Firstgeba¨udes befanden sich vier O

Abb. 8: Rekonstruktion der Fassade des Haus „Unter der Goldenen Maria“, Hu¨hnermarkt 2

Rand der Fassade situierte Tu¨ro¨ffnung, die zum Flur fu¨hrte, wurde mit einem Eselsgurt abgeschlossen, das rechteckige Fenster neben diesem war in vier Felder geteilt. Die Stube neben dem Flur wurde durch zwei Fenster mit zu Eselsru¨cken gebogenen ¨ berreste der Etageneinteilung der Fassade Gurten beleuchtet. Die aufgefundenen U erlauben die Feststellung, dass es hier eng verteilte Fenstero¨ffnungen und Blenden gab, die sich auf das Gesims zwischen den Stockwerken stu¨tzten, die nicht mit dem Fensterabstand im Parterre korrespondierten.55 Die a¨lteren Betrachtungen zu den Proportionen der gotischen Fassaden der Breslauer Ha¨user ko¨nnen als verfehlt gelten. Man kann nicht unreflektiert Steins Beschreibung wiederholen, nach der die Ha¨user am Ringplatz angeblich drei bis fu¨nf Stock-

55 Die Untersuchungen des Hauses in der Schuhbru¨cke 35 wurden durchgefu¨hrt von Mag. Ing.-Architekt

Jerzy Burnita, Dr. Czesław Lasota und Dr. Ing.-Architekt Andrzej Legendziewicz.

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Abb. 9: Das nicht mehr existierende Neue Rathaus in der Breslauer Neustadt

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werke besessen ha¨tten.56 Die Fassadenproportionen bildeten die Resultante zweier Dimensionen, und zwar der jeweiligen Breite des Grundstu¨cks (die sich durch eine betra¨chtliche Spannweite von 4,5 bis hin zu 25 m auszeichnete) und die Ho¨he des Hauses, je nach der Zahl der Stockwerke – eines oder zweier. Stein beru¨cksichtigte in seiner Schilderung der Ha¨user am Ringplatz auch die Niveaus der Fenster in den Giebeln, „die sich bis zum Gipfel selbst hinzogen.“57 Aus den bisher untersuchten Giebeln ergibt sich, dass die Ha¨user in gotischer Zeit nicht mehr als zwei Etagen besaßen. Man kann nachweisen, dass die Fassaden der Breslauer Ha¨user aus kompositionell voneinander unabha¨ngigen Teilen zusammengesetzt waren, die durch einen Flachfries oder ein Gesims abgetrennt waren. Die Anordnung der Tu¨r- und Fenstero¨ffnungen in der Zone des Parterres war abha¨ngig von der funktionalen Lo¨sung dieses Stockwerks. Im Falle einzoniger Geba¨ude befand sich der Eingang zum Flur am Rand der Fassade (vgl. Abb. 10) oder auf ihrer Achse (das bereits erwa¨hnte Beispiel der Fassade in der Schuhbru¨cke 35). Im zweizonigen Haus am Ringplatz 6 befanden sich zwei an der Seitenwand situierte Tu¨ro¨ffnungen, eine neben der anderen.58 Nicht ausgeschlossen werden darf die Variante eines zweizonigen Hauses im vorderen Trakt, mit einem Eingang in der Na¨he der Achse der Frontfassade. Dagegen zeichnete sich das Niveau der Fassadenetagen durch eine zweckma¨ßige, horizontale Konstruktion aus, mit einer starken Gliederung durch die Fenstero¨ffnungen und die diese imitierenden Blenden. Dass die Fassaden der Ha¨user wohlhabender Bu¨rger verkro¨pfte Giebel bekro¨nten, die durch eine Artikulation der Stockwerke gegliedert waren, darauf verweisen die o¨stlichen Seitengiebel des Breslauer Rathauses und die weiter oben angefu¨hrten Beispiele bu¨rgerlicher Bauta¨tigkeit in anderen Sta¨dten Schlesiens. Ein durch einen so genannten Katzenlauf abgeschlossener und durch vertikale Blenden aufgegliederter dreieckiger Giebel, wie er auch von Zeichnungen und Fotographien bekannt ist, begegnet im Frontgiebel einsto¨ckiger gotischer Ha¨user (Ketzerberg 5, Neumarkt 22, Bu¨ttnergasse 19 oder 20, Schuhbru¨cke 57).59

V. Die Ha¨user der Phase III: ca. drittes Drittel 15. bis erstes Drittel 16. Jahrhundert

Im Verlauf der dritten Phase wurden auf dem Gebiet, das von der inneren Stadtmauer begrenzt wurde, die Lu¨cken in der Bebauung der gemauerten Straßenzeilen ausgefu¨llt, wahrscheinlich zuna¨chst in seinem su¨dlichen Teil. Im nordwestlichen Teil 56 Bogusław Czechowicz, Po´znogotycka ´ kamieniarka i rze´zba architektoniczna domo´w wrocław-

skich [Die spa¨tgotische Steinmetzarbeit und Architekturgestaltung der Breslauer Ha¨user], in: Miesz´ czanstwo wrocławskie, hg. v. Halina Oko´lska, Wrocław 2003, S. 25–45, hier S. 25. 57 Bartłomieja Steina (wie Anm. 47), S. 21. 58 Chorowska, Sredniowieczna ´ kamienica (wie Anm. 5), S. 33. 59 Ebd., S. 70–73; Czechowicz, Po´znogotycka ´ kamieniarka (wie Anm. 56), S. 27.

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Abb. 10: Fassade des nicht mehr bestehenden Hauses Bu¨ttnergasse 19 oder 20

geschah dies dagegen erst in der Zeit der Renaissance. In den Patrizierha¨usern am Ringplatz 5–8, die um eine weitere Etage aufgestockt wurden (vgl. Abb. 6), wurde fu¨r das Parterre eine definitive funktionale Lo¨sung gefunden. Dazu geho¨rten ein gera¨umiger repra¨sentativer Flur, ein Kontor im vorderen, eine gewo¨lbte Schatzkam-

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Małgorzata Chorowska und Czesław Lasota

mer und eine Stube im hinteren Teil sowie ein Durchgang zwischen ihnen. Eine solche Raumlo¨sung erhielten auch die breitfrontigen Ha¨user am Ringplatz 52 und 60. Betrachtet man die ra¨umlichen Lo¨sungen der in den Straßenzeilen erkundeten Geba¨ude allgemein, so kann gesagt werden, dass in der Zeit der Phase III ein Teil der existierenden Ha¨user um einen hinteren Flu¨gel oder einen zweiten Trakt erweitert (ausgebaut) wurde. Unter den neu errichteten befanden sich flache zweiteilige, zweitraktige sowie einra¨umige Geba¨ude.60 Wie aus einem Steuerregister des Jahres 1564 hervorgeht, erstreckten sich die Grundstu¨cke in den mittleren Teilen des Nord-, West- und Su¨dblocks des Ringplatzes vom Platz bis zu den parallelen Querstraßen.61 Drei von ihnen im Westblock (Ringplatz 6/Herrengasse 5, Ringplatz 7/Herrengasse 3/4, Ringplatz 8/Herrengasse 2) geho¨rten herausragenden Patriziergeschlechtern. In den Ha¨usern am Ringplatz wurden im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts und spa¨ter auch Monarchen als Ga¨ste aufgenommen, die die Stadt besuchten.62 Die Bebauung dieser Grundstu¨cke besaß den Charakter einer repra¨sentativen Residenz, die aus zwei Ha¨usern in der Ringzeile hinter der Herrengasse sowie aus Seiten- und Hintergeba¨uden bestand, die den Hof umrahmten. Auf den Hof fu¨hrte ein Durchfahrtsflur im hinteren, von vorn dreiteiligen, einsto¨ckigen Haus.63 Vom hohen Standard der Dekoration der Innenra¨ume und Fassaden dieser Anlagen zeugen architektonische Skulpturdetails (innere Portale – Ringplatz 7 mit Datum von 1494, Ringplatz 8, Umrahmungen der Fenster in der Hinterfassade – Ringplatz 6, Umrahmungen der Fenster in der Hinterhausfassade, davon eines mit dem Datum 1503 – Ringplatz 8) und Fragmente von Polychromien an den verputzten Innenraumwa¨nden (Ringplatz 6).64 In den Ringzeilen u¨berwogen eindeutig die Giebelha¨user. Es wurde festgestellt, dass die Ha¨user Nr. 12 und 13 ebenfalls um eine weitere Etage aufgestockt wurden65 und im vorderen Teil des Grundstu¨cks am Ringplatz 50/Nadlergasse 18 ein einsto¨ckiges Geba¨ude stand.66 Von den Ha¨usern mit einem Stockwerk auf den schmalsten Grundstu¨cken mag es mehr gegeben haben. Durch das Vorhandensein zweisto¨ckiger Geba¨ude zeichneten sich auch die von der gesellschaftlichen Elite bewohnten Straßenzeilen an anderen traditionellen Orten aus. In Steins Bericht vom Beginn des

60 Chorowska, Sredniowieczna ´ (wie Anm. 5), S. 39, 90f.; Dies., Przemiany architektoniczne (wie

Anm. 21), S. 119; Chorowska/Lasota, O s´ redniowiecznej Kamienica (wie Anm. 10), S. 57–67; Chorowska/Lasota/Rozpedowski, ˛ Blok zachodni (wie Anm. 8), S. 295–305; Lasota, Po´łnocna pierzeja ´ (wie Anm. 11), S. 75; Lasota/Piekalski/ Wysocka, Działki mieszczanskie (wie Anm. 13). 61 Archiwum Panstwowe ´ we Wrocławiu, Akta miasta Wrocławia, Signatur K85. 62 Wojciech Brzezowski, Przemiany architektoniczne kamienicy „Pod Bł˛ekitnym Słoncem“ ´ w okresie ˙ nowozytnym [Architektonische Vera¨nderungen des Wohnhauses „Unter der Blauen Sonne“ in der Neuzeit], in: Wrocławski rynek (wie Anm. 21), S. 144–151, hier S. 145, Anm. 5, 8–13, 15–16; Chorowska, Przemiany architektoniczne (wie Anm. 21), S. 119, Anm. 32–33. 63 Chorowska/Lasota/Rozpedowski, ˛ Blok zachodni (wie Anm. 8), S. 294f. 64 Brzezowski, Przemiany architektoniczne (wie Anm. 62), S. 144–145; Czerner, Rynek (wie Anm. 3), ´ S. 60–61; Chorowska, Sredniowieczna Kamienica (wie Anm. 5), S. 59, 63–65. 65 Lasota/Kro ´ l/Piekalski, Sprawozdanie (wie Anm. 15). 66 Chorowska, Przemiany architektoniczne (wie Anm. 13), S. 208.

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Abb. 11: Rekonstruktion der mittelalterlichen Bebauung zweier westlich des Ringplatzes gelegenen Bebauungsblo¨cke

16. Jahrhunderts zog die St.-Albrecht-Gasse „wegen der auf ihren beiden Seiten stehenden hohen Ha¨user den Blick auf sich.“67 Daher kann gefolgert werden, dass in dieser Straße zweisto¨ckige Ha¨user u¨berwogen. Zu den ermittelten zweisto¨ckigen Ha¨usern geho¨ren die Nr. 12 und 18.68 Zweisto¨ckig in der Westzeile der Herrengasse waren die Ha¨user mit den Nummern 20, 67 Bartłomieja Steina (wie Anm. 47), S. 23. 68 Chorowska, Sredniowieczna ´ kamienica (wie Anm. 5), S. 35, 98; Brzezowski/Lasota, Studium (wie

Anm. 37).

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26, 2869 und 29, deren mittelalterliche Ho¨henordnung von den in der Fassade exponierten Dekorationselementen bekannt ist. Im Falle der su¨dlichen, elita¨ren Straßenzeile der Junkerngasse ist uns in der Phase III die Aufstockung der Ha¨user Nr. 21 und 23 auf zwei Etagen bekannt.70 Hier lagen ebenfalls im Besitz der Elite befindliche einsto¨ckige Ha¨user, wie z. B. das an der Kreuzung mit der Schuhbru¨cke stehende Haus „Zum Haupt Johannes“, dessen Fassade mit Flachreliefs geschmu¨ckt war.71 Zweisto¨ckige Geba¨ude befanden sich auch in den Zeilen der zu den inneren Stadttoren fu¨hrenden Straßen. Es wurde festgestellt, dass solche Ha¨user, die an den Blockecken standen und Kra¨mern geho¨rten, nach der Aufstockung in der Phase III auf den Grundstu¨cken Schweidnitzer Gasse 7/Junkerngasse 23, Herrengasse 32/Reuschegasse 1, Reuschegasse 7/Bu¨ttnergasse 1 entstanden.72 Die Frage der Baumaße der spa¨tmittelalterlichen Ha¨user im Su¨dteil der Stadt, bis zum inneren Gu¨rtel der Befestigungsanlagen, wird uns durch die Rekonstruktion der Bebauung der beiden am umfassendsten untersuchten Blo¨cke na¨hergebracht, die sich westlich des Ringplatzes befanden (vgl. Abb. 11). Ein Novum in den modernisierten Fassaden bildete die Verwendung einer gro¨ßeren Zahl von Sandsteindetails in Form von Fensterumrahmungen, Portalen, Tympana sowie Tafeln, die oft mit Daten, Inschriften, Wappen und Hausmarken (Gemerken) versehen waren. Verbreitet waren Portale mit einem Sturz mit zweiarmigem ¨ ffnungen mit Schnitt. Im Allgemeinen stellten die rechteckigen Umrahmungen der O dem universalen Motiv sich in den Ecken kreuzender Profilierungen eine Nachahmung Lausitzer Steinmetzarbeiten dar. Ein Beispiel fu¨r die engeren Verbindungen mit der Werkstatt von Bricius Gauske, die die Arbeiten am Umbau des Rathauses durchfu¨hrte, bildeten die imposanten, dreiteiligen Fenster im Haus am Ringplatz 1/ Nikolaigasse 81, die auf etwa 1500 datiert werden. Im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts begann man die Portale mit Fru¨hrenaissancemotiven anzureichern. Die allgemein verbreitete Anwendung von Einfassungen mit dem Motiv sich in den Ecken kreuzender Sta¨be bezeugen Befunde, die auf dem Gela¨nde der abgerissenen Bebauung zwischen der inneren und der a¨ußeren Stadtmauer ermittelt wurden.73 Die Sandsteindetails waren zuna¨chst von einem Maleranstrich bedeckt, was Relikte aus den Kellern nicht mehr existierender Ha¨user in der Junkerngasse 35 und 39 belegen.74 Durch ihre Anwendung auf den schon fru¨her farbigen Ziegelfassaden a¨nderte sich bis zu ihrer Verputzung im Wesentlichen nichts. Noch im Jahre 1512 notierte Stein, dass

69 Atlas historyczny (wie Anm. 11), Tafel 5b; Chorowska, Sredniowieczna ´ kamienica (wie Anm. 5),

S. 59, 91.

70 Jerzy Burnita u. a., Wyniki ratowniczych badan´ archeologiczno-architektonicznych przy ul. Swid´

nickiej 7/Ofiar O´swi˛ecimskich 23 [Ergebnisse der archa¨ologisch-architektonischen Rettungsuntersu´ chungen an der ul. Swidnicka 7/Ofiar O´swi˛ecimskich 23, Typoskript 1996, Archiwum Wojewo´dzkiego Konserwatora Zabytko´w we Wrocławiu. 71 Brzezowski/Chorowska/Lasota, Parcelacja (wie Anm. 49), S. 163–164. 72 Atlas historyczny (wie Anm. 11), Tafel 5b; Burnita u. a., Wyniki (wie Anm. 70); Burnita/Lasota, Piwnice kamienicy (wie Anm. 19). 73 Chorowska, Sredniowieczna ´ ´ kamienica (wie Anm. 5), S. 58–59; Czechowicz, Po´znogotycka kamieniarka (wie Anm. 56), S. 29–33. 74 Brzezowski/Chorowska/Lasota, Parcelacja (wie Anm. 49), S. 164–165.

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die Ha¨user am Ringplatz farbige Fassaden besaßen, welche mit „vielfa¨ltigen Malereien“ geschmu¨ckt waren, sowie dass die Ha¨user in den Seitenstraßen „vor Alter stark geschwa¨rzt waren.“75 Die Geba¨ude in den Ringzeilen waren daher nicht so verschmutzt, dass der Autor die grelle Farbgebung der Flachfriese, Gesimse, Blenden und Sandsteindetails nicht bemerkt ha¨tte. Sicher waren ihre Fassaden vor nicht allzu ferner Zeit erneuert worden. Ein Novum bildeten auch die Giebel mit vertikaler Fla¨chengliederung mit Hilfe von im Schnitt dreieckigen Pilastern und mit Giebelchen bekro¨nten Feldern zwischen ihnen (Ringplatz 5, 14, 58; Altbu¨ßergasse 27). Auf der Grundlage einer Analogie zu den Giebeln der Fronleichnams- und der St.Adalbert-Kirche wird deutlich, dass dies bereits im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts bekannte Formen waren.76 Die Erker bildeten wahrscheinlich ein beila¨ufiges Element in den Lo¨sungen der Frontfassaden der Geba¨ude. Einer von vier bekannten Erkern befand sich in der Residenz der Oelser Herzo¨ge am Zusammentreffen der St.¨ brigen in den das Gebiet der MagdalenenAlbrecht-Gasse und der Veitsgasse, die U 77 kirche umgebenden Straßenzeilen.

75 Bartłomieja Steina (wie Anm. 47), S. 20, 35. 76 Chorowska, Sredniowieczna ´ ´ kamienica (wie Anm. 5), S. 70–71; Czechowicz, Po´znogotycka kamie-

niarka (wie Anm. 56), S. 26.

77 Czechowicz, Po´znogotycka ´ kamieniarka (wie Anm. 56), S. 28–29.

ZUR DYNAMIK DER BESITZVERHA¨ LTNISSE AM BRESLAUER RINGPLATZ IN DEN JAHREN 1345 BIS 1420 ´ * von Mateusz Golinski

I. Quellenlage und methodische Fragen

Bisherige Darstellungen zu den Vorga¨ngen am Breslauer Ringplatz wa¨hrend der ersten Jahrhunderte seines Bestehens stu¨tzen sich vor allem auf materielle Quellen. Dabei steht uns zur Beantwortung der Frage, was sich auf den einzelnen Grundstu¨cken am Ringplatz im Mittelalter in baulicher und besitzgeschichtlicher Hinsicht ¨ berlieferung zur Verfu¨gung. Die abgespielt hat, eine erfreulich gute archivalische U Schwierigkeit ihrer Auswertung besteht darin, dass die erhaltenen Quellen in ihrer Gesamtheit herangezogen werden mu¨ssen, will man zu belastbaren Aussagen gelan¨ bergen. Das aber ist angesichts ihres Umfangs kein leichtes Unterfangen. Die U windung dieser Barriere verspricht freilich Informationsreihen von bislang einmaliger La¨nge und Detailliertheit und damit auch fu¨r Breslau weiterfu¨hrende soziotopographische Einblicke.1 Auf diese Weise werden zugleich vertiefte prosopographische Studien mo¨glich, die fu¨r das spa¨tmittelalterliche Breslau, insbesondere mit Blick auf die sta¨dtischen Fu¨hrungsgruppen, bislang nur ansatzweise unternommen worden sind.2 Zumindest theoretisch sollten sich alle notwendigen Informationen u¨ber die Breslauer Privatgrundstu¨cke und die sie betreffenden Eigentumsverha¨ltnisse in den Scho¨ffenbu¨chern finden. Die seit 1345 gefu¨hrten Bu¨cher verzeichnen insbesondere ¨ bertragungen von Eigentumsrechten an Grundstu¨cken und Geba¨uden,3 verschieU *U ¨ berarbeitete Fassung der Einfu¨hrung und der Schlussfolgerungen aus der Monographie des Autors

„Przy wrocławskim rynku. Rekonstrukcja dziejo´w własnow´sci posesji. Cz˛es´ c´ 1: 1345–1420“ [Der Breslauer Ringplatz. Rekonstruktion der Geschichte seiner Besitzverha¨ltnisse. Teil 1: 1345–1420], ¨ bersetzung des Ausgangstextes von Herbert Ulrich. Wrocław 2011, S. 7–19, 319–341. U 1 Vgl. beispielsweise Urszula Sowina, Sieradz. Układ przestrzenny i społeczenstwo ´ miasta w XV–XVI w. [Sieradz. Raumgliederung und Gesellschaft der Stadt im 15. – 16. Jahrhundert], Warszawa/Sieradz 1991, S. 49–155. 2 Als Vorbild dienen ko¨nnen die Befunde von Zdzisław Noga, Krakowska rada miejska w XVI wieku. Studium o elicie władzy [Der Krakauer Stadtrat im 16. Jahrhundert. Eine Studie u¨ber die Herrschaftselite], Krako´w 2003, S. 208–212. 3 Vgl. Theodor Goerlitz, Die U ¨ bertragung liegenden Gutes in der mittelalterlichen und neuzeitlichen Stadt Breslau, Breslau 1907, S. 77–127.

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´ Mateusz Golinski

dene Gu¨terverfu¨gungen, Besta¨tigungen von Eigentumsrechten, Entscheidungen u¨ber Nachbarschaftsstreitigkeiten sowie Belastungen von Grundstu¨cken und Geba¨uden mit Renten.4 Fu¨r die a¨ltere Zeit liegen dagegen nur sehr wenige Nachrichten u¨ber einzelne Grundstu¨cke vor; sie begegnen in 17 Urkunden aus den Jahren 1274 bis 1344; nur eine von ihnen betrifft dabei den Ringplatz. Unsere Untersuchung kann daher erst kurz vor Mitte des 14. Jahrhunderts einsetzen. Sie soll an dieser Stelle aus arbeitstechnischen Gru¨nden zuna¨chst nur bis zum Jahr 1420 gefu¨hrt werden. Mit diesen Za¨suren – 1345 und 1420 – werden aber sowohl die Phase der unumschra¨nkten Herrschaft des so genannten alten Patriziats sowie ihrer Krise und der anschließende, durch die Ereignisse von 1418 symbolisierte Untergang als auch der Beginn der Restauration der alten Ordnung in neuer personaler Zusammensetzung erfasst. Fu¨r diesen Zeitraum bieten die Scho¨ffenbu¨cher rund 3700 Nachrichten u¨ber die Grundstu¨cke am Breslauer Ringplatz und ihre Eigentu¨mer. In den Jahren 1345 bis 1420 wurden auf verschiedenen Bla¨ttern oder in verschiedenen Bu¨chern Eintragungen vorgenommen, die zu einem uns nicht na¨her bekannten Zeitpunkt in zwo¨lf Scho¨ffenbu¨chern zusammengefasst wurden.5 Eines von ihnen, das elfte, ist verloren gegangen; die dadurch eintretende, spu¨rbare Lu¨cke im Material fu¨r die Jahre 1411–1415 kann leider durch andere zeitgeno¨ssische und spa¨tere Quellen aus der Zeit bis 1420 nicht ausgeglichen werden. Neben den Scho¨ffenbu¨chern erweisen sich auch die Scho¨ffenbriefe als hilfreich fu¨r unsere Fragestellung, wenn auch von den urspru¨nglich gewiss zu Tausenden ausgestellten Briefen nur vergleichsweise wenige erhalten sind; der a¨lteste datiert aus dem Jahr 1299.6 Allerdings vermo¨gen sie nur in geringfu¨gigem Maße die oben angesprochene Lu¨cke auszufu¨llen; o¨fter ko¨nnen sie zur Verifizierung und Erweiterung der Informationen dienen, die sich aus den knapp formulierten Eintragungen der Scho¨ffenregister ergeben. Die allgemeinsta¨dtischen Bu¨cher (Ratsbu¨cher) geben fu¨r unsere Fragestellung nichts her, da die uns interessierenden Angelegenheiten nur vom Scho¨ffengericht registriert wurden; das gilt auch fu¨r Fa¨lle, in denen die Berichterstatter Ratsherren waren bzw. die 4 Das a¨lteste, 1328 angelegte so genannte „allgemeinsta¨dtische Buch“ ist als Ganzes leider verloren

gegangen; aus seinen erhaltenen Fragmenten geht heute nicht mehr hervor, ob es Informationen zu ´ Grundstu¨cken und Besitzverha¨ltnissen enthielt; Archiwum Panstwowe we Wrocławiu, Akta miasta Wrocławia, Ksi˛egi [Staatsarchiv Breslau. Akten der Stadt Breslau, Stadtbu¨cher], Nr. 635 [fru¨her: G 3, Auszu¨ge aus dem verlorenen Breslauer Stadtbuch Hirsuta hilla). Die Stadtbu¨cher werden im Folgenden konsequent mit ihren alten, gegen Ende des 19. Jahrhunderts eingefu¨hrten Signaturen zitiert [G 1, 1–12], die gegenu¨ber der heutigen, fortlaufenden Nummerierung innerhalb des Bestandes „Akten der Stadt Breslau“ [= Nr. 611–619, 621–622] den Vorteil einer besseren Lesbarkeit und einer Vermei¨ ber die Bresdung von Missversta¨ndnissen aufweisen. Zu den Stadtbu¨chern vgl. auch Paul Rehme, U lauer Stadtbu¨cher, Halle 1909, S. 65; Theodor Goerlitz, Breslauer Ratsbu¨cher, Straßen und Stadttore, vorwiegend nach Funden in der Reichsgra¨flich Hochbergschen Majoratsbibliothek, in: Zeitschrift des Vereins fu¨r Geschichte Schlesiens 74 (1940), S. 149–153. 5 Die drei ersten Bu¨cher enthalten im Original sechs „Register“ oder „Registerbu¨cher“, wie sie wechselweise bezeichnet wurden. 6 Fu¨r den Ringplatz Archiwum Panstwowe ´ (wie Anm. 4), Rep. 57: Dokumenty klasztoru Domini´ Wojciecha we Wrocławiu [Urkunden des Dominikanerklosters St. Adalbert in Breslau]; kano´w Sw. ´ Katarzyny we Wrocławiu [Urkunden des DominiRep. 58: Dokumenty klasztoru Dominikanek Sw. ´ Krzyza ˙ we Wrocłakanerinnenklosters St. Katharina in Breslau]; Rep. 64: Dokumenty kolegiaty Sw. wiu [Urkunden des Kollegiatstifts zum Heiligen Kreuz in Breslau].

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Zur Dynamik der Besitzverha¨ltnisse am Breslauer Ringplatz in den Jahren 1345 bis 1420

Parteien zuerst vor Ratsherren erschienen waren. Die unter der Schirmherrschaft der Ratsherren entstandenen Zinsbu¨cher haben wiederum lediglich den Verkehr der von der Stadt bezahlten Renten registriert, d. h. die „auf dem Rathaus“ lastenden Renten, wa¨hrend die auf dem Grundstu¨ck lastenden Renten – das sei noch einmal betont – in den Scho¨ffenbu¨chern aufgezeichnet wurden. Auch in den Zinsverzeichnissen, die bestimmte Typen obligatorischer Leistungen fu¨r die Stadt umfassen, finden wir keine 60

Anzahl

50 40 30 20 10 1408

1405

1402

1399

1396

1393

1390

1387

1384

1381

1378

1375

1372

1369

1366

1363

1360

1357

1354

1351

1345

1348

1418

Jahr

0

Diagramm 1: Ja¨hrliche Scho¨ffenbuch-Eintragungen zu Grundstu¨cken am Ringplatz und am Hu¨hnermarkt

Posten, die sich auf Grundstu¨cke am Ringplatz beziehen. Als außerordentlich wertvoll erweisen sich dagegen zwei Steuerbu¨cher, die so genannten Schossbu¨cher. Eines stammt aus dem Jahr 1374 und betrifft eine der Straßenzeilen am Ringplatz; ein zweites aus den Jahren 1403–1404 nennt alle Steuerzahler, jedoch ohne die Angeho¨rigen der ho¨heren Steuerklasse.7 Dieser Typus eines oft zufa¨llig erhalten gebliebenen Quellenmaterials ist mit seinem mehr oder weniger selektiven Charakter bislang in hohem Grade „stumm“ geblieben. Erst seine Konfrontation mit den Ergebnissen unserer systematischen Auswertung der Scho¨ffenbu¨cher ermo¨glicht es, auch diese Steuerverzeichnisse umfassend zum „Sprechen“ zu bringen. In den erhaltenen Scho¨ffenbriefen und Scho¨ffenbu¨chern konnten fu¨r den Untersuchungszeitraum bis 1420 etwa 1320 Eintragungen identifiziert werden, die sich auf Grundstu¨cke am Ringplatz beziehen; etwa 50 weitere betreffen Parzellen am so genannten Hu¨hnermarkt. Aufgrund ihres beachtlichen Umfangs ko¨nnen diese Eintragungen als eine maßgebliche Widerspiegelung jener Prozesse angesehen werden, die sich im Verlauf des untersuchten Dreivierteljahrhunderts am zentralen Platz der

7 Archiwum Panstwowe ´ (wie Anm. 4), Akten der Stadt Breslau Nr. 1133, 1136 [= K 5 und 8]; Edi-

tion in: Wrocławskie ksi˛egi szosu z lat 1370–1404 [Libri exactionis civitatis Wratislaviensis de anno 1370–1404. Editio/Die Breslauer Schoßbu¨cher der Stadt Breslau von 1370 bis 1404. Edition], hg. v. Mateusz Golinski, ´ Wrocław 2008.

110

´ Mateusz Golinski

Stadt abgespielt haben. Allerdings fallen die Angaben fu¨r die einzelnen Jahre durchaus unterschiedlich aus; die Eintragungen schwanken fu¨r die einzelnen Jahre regelma¨ßig zwischen 4 und 48 (Diagramm 1). Die wenigsten Informationen (um nicht zu sagen: verda¨chtig wenige) liegen fu¨r die Jahre 1348, 1354, 1379, 1382 und 1384 vor; die meisten fu¨r die Jahre 1388 und 1409–1410, was bereits eine chronologische Regelma¨ßigkeit ergibt. Die sichtbaren Schwankungen spiegeln nur in geringem Maße die Vera¨nderungen der Intensita¨t im Immobilienverkehr wider. Das im Diagramm 1 erkennbare Bild wurde vor allem durch den Verkehr der mit Grundstu¨cken abgesicherten Zinsen, genauer durch die unterschiedliche Intensita¨t der daru¨ber informierenden Eintragungen in den Scho¨ffenbu¨chern gestaltet; letztere boten in vielen Jahren die ha¨ufigste Gelegenheit, konkrete Immobilien zu erwa¨hnen. Vor diesem Hintergrund stellt sich das Problem, in welchem Maße die Eintra¨ge der Scho¨ffenbu¨cher verla¨sslich mit den uns interessierenden Grundstu¨cken identifiziert werden ko¨nnen. Fu¨r den Beginn des Untersuchungszeitraums scheint diese Mo¨glichkeit eher gering zu sein. Denn wa¨hrend ein Teil der Eintragungen eine allgemeine Beschreibung des betreffenden Grundstu¨cks am Ringplatz oder am Hu¨hnermarkt bietet (bzw. auf eine andere, alternative Weise zum Ausdruck bringt) enthalten andere Eintra¨ge keine solche Beschreibung. Im zweiten Fall konnte sich unsere Identifizierung lediglich auf personale Assoziationen der Eigentu¨mer und der in der Quelle begegnenden Nachbarn stu¨tzen. Der Untersuchungszeitraum kann in informatorischer Hinsicht also in zwei Etappen eingeteilt werden. In der ersten bleibt die Frage der Identifizierung der Grundstu¨cke vor allem das Ergebnis von Untersuchungen des Forschers, wa¨hrend sich sein Anteil in der zweiten – ab Mitte der achtziger Jahre des 14. Jahrhunderts – zugunsten der unmittelbaren Aussage der Quellenu¨berlieferung verringert, wie z. B. die vera¨nderliche Popularita¨t des theoretisch grundlegenden Begriffs zur Bezeichnung des Ringplatzes – „der Ring“ (circulus) – unter den Scho¨ffenschreibern belegt. Erst im Jahre 1350 beschlossen diese (oder die interessierten Personen selbst, die die Angaben u¨ber ihre Grundstu¨cke ja dem Gericht diktierten) erstmals, Immobilien „an dem Ring“ (an deme ringe) zu lokalisieren.8 Doch scheint dies nicht auf gro¨ßere Anerkennung gestoßen zu sein, da weitere solche Benennungen auch die na¨chsten zwanzig Jahre lang nur sporadisch auftraten. Erst ab den siebziger Jahren des 14. Jahrhunderts fand diese Art der allgemeinen Lokalisierung sta¨ndigen Eingang in das Vokabular der Breslauer, um dann seit den 1380–90er Jahren bis in die neueste Zeit hinein zur meistgebrauchten Formulierung zu werden. Dabei wurden sich mehrende alternative Lo¨sungen nicht verdra¨ngt, die eine gro¨ßere Pra¨zision bei der Benennung der Lage eines Grundstu¨cks erlaubten. Doch bewirkte dies umgekehrt keineswegs einen Sieg der formalen Disziplin, denn es kam auch weiterhin vor, dass man

8 Archiwum Panstwowe ´ (wie Anm. 4), G 1, 1, K. 142, 144; Hermann Markgraf, Die Straßen Breslaus

nach ihrer Geschichte und ihren Namen, Breslau 1896, S. 165. Eine umfassende Analyse der Begriffe Ringplatz – Ring – Zirkel – Kreis, die die bisherige Etymologie zu entkra¨ften scheint, hat Przemysław ´ ´ w [Das Tyszka, Obraz przestrzeni miejskiej Krakowa XIV–XV wieku w s´ wiadomo´sci jego mieszkanco Bild des sta¨dtischen Raumes Krakaus im 14. – 15. Jahrhundert im Bewusstsein seiner Bewohner], Lublin 2001, S. 71–87, durchgefu¨hrt.

Zur Dynamik der Besitzverha¨ltnisse am Breslauer Ringplatz in den Jahren 1345 bis 1420

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sich sorglos damit zufrieden gab, lediglich den Namen des Nachbarn des betreffenden Grundstu¨cks anzugeben, da dieser fu¨r die Lokalisierung des letzteren angeblich vollauf genu¨gte.

Gäßchen

Schmiedebrücke

† St. Elisabeth

Unter den Sattlern

RINGPLATZ

Unter den Huterlauben

Unter den Leinwandlauben Brotmarkt

Hühnermarkt

Gäßchen

Schweidnitzer Gasse

Salzmarkt

Kohlmarkt

Rathaus

Abb. 1: Zur Bezeichnung der Grundstu¨ckslage am Ringplatz verwendete Namen und Bezugspunkte

Die alternativen Lokalisierungen lassen sich allgemein zu zwei Varianten zusammenfassen: Entweder wurde ein Grundstu¨ck nach einem Raum benannt, der kleiner war als der ganze Ringplatz und seinen eigenen Namen hatte, oder die Bezeichnung seiner Lage erfolgte bezogen auf ein allgemein bekanntes Objekt bzw. einen allgemeinen bekannten Ort. In der Praxis sind beide Varianten nicht voneinander zu unterscheiden. Das von uns analysierte Quellenmaterial erlaubt freilich eine pra¨zise Identifizierung jener Namen, die sich auf zwei „untergeordnete“ Ringplatzzeilen bzw. auf die Nord- und Su¨dostecke des Platzes sowie die Straße beziehen, die die o¨stliche Straßenzeile schneidet. Bei der Auswertung der Namen dieser drei letztgenannten Orte, die das Glied „Markt“ enthielten, d. h. sich sowohl auf die Form als auch auf die Funktion des Raumes beriefen, zeigt sich, dass die Pra¨positionen „an“ und „auf“ ungeachtet ihres widerspru¨chlichen Sinnes wechselweise gebraucht wurden. Eine noch komplexere Struktur besaßen die Adressen in den beiden genannten Zeilen – die Grund-

112

´ Mateusz Golinski

stu¨cke wurden hier na¨mlich „unter“ (aber in der lateinischen Version inter – zwischen) den konkret bezeichneten Lauben oder „unter“ konkreten, mit dem betreffenden Ort assoziierten Handwerkern lokalisiert. Die Namen der genannten Ecken des Ringplatzes – Korn- und Brotmarkt – traten erst 1374 und 1397 in Erscheinung; beide waren seit dem Ende des 14. Jahrhunderts gleichermaßen verbreitet. Seit 1374 ist auch der Name Hu¨hner- oder Vogelmarkt belegt. Bemerkenswerterweise diente er zuna¨chst zur Bezeichnung der Adressen von nur zwei Eckha¨usern am Ringplatz; erst ab 1392 wurde der Name auf die gesamte La¨nge der Querstraße ausgedehnt, die den Ringplatz mit dem Bereich um die Magdalenen-Kirche verband (genauer gesagt auf die Adressen der Grundstu¨cke in der Nordzeile dieser Querstraße). So wurde aus einem Namen, der sich aus der Anordnung der fu¨r bestimmte Verkaufsarten bestimmten Ra¨ume an den Ra¨ndern des Ringplatzes ergab, ein gewo¨hnlicher Straßenname (der als Hu¨hnermarkt bis in die heutige Zeit u¨berdauert hat). Die u¨brigen beiden engeren Querstraßen, die die su¨dliche und no¨rdliche Ringzeile schneiden (Verla¨ngerungen der Stock- und der Dorotheengasse), brauchten keine individuellen Bezeichnungen, so dass sie in den Beschreibun¨ hnlich anonym blieben im gen anonyme „enge“ und „kleine“ „Ga¨sschen“ blieben. A Untersuchungszeitraum im Allgemeinen auch die Straßen hinter den Blo¨cken der Zeilenbebauung – ho¨chstens wurden, allerdings selten, Eigennamen fu¨r Gassen auf der Nordseite verwendet, z. B. fu¨r die Nadlergasse. Unbekannt bleibt, warum der Nordabschnitt der Ostzeile „Unter den Huterlauben“ oder ku¨rzer „Unter den Hutern“ (inter piliatores), der Ostabschnitt der Nordzeile „Unter den Leinwandlauben“ (auch „Unter den Leinwandba¨nken“) oder „Unter den Leinewebern“ (undir den litwotirn) und der Westabschnitt dieser Zeile „Unter den Sattlern“ (inter sellatores) genannt wurden. Mo¨glicherweise hat ein Zusammenhang mit ihnen vermutlich gegenu¨berliegenden Reihen ho¨lzerner Handelseinrichtungen bestanden, deren Relikte auf der Ost- und Nordseite des Ringplatzes entdeckt wurden. Die Marktbuden oder Kramla¨den, die u¨ber zehn Meter vor der Bebauungslinie, in der Verla¨ngerung der Straßen lagen, waren jedoch nicht von Dauer, weil sie mit den Verkehrsfunktionen des Platzes kollidierten.9 Es kann hier

9 Zu den Kramla¨den aus den a¨lteren Phasen der Bewirtschaftung des Ringplatzes Jolanta Bresch/

Cezary Bu´sko/Czesław Lasota, Wschodnia pierzeja Rynku [Die o¨stliche Ringzeile], in: Rynek wrocławski w s´ wietle badan´ archeologicznych, Teil 1, hg. v. Cezary Bu´sko, Wrocław 2001, S. 73–108, hier S. 75, 93, 106, 108; zu den Kramla¨den aus dem 13./14. und 14./15. Jahrhundert vor dem Grundstu¨ck Ringplatz 31/32 und zu denen vom Ende des 14. Jahrhunderts vor dem Grundstu¨ck Ringplatz 33 vgl. Bogdan Kitlinski, ´ Badania przy wschodniej pierzei Rynku [Die Untersuchungen an der o¨stlichen Ringzeile], in: Rynek wrocławski a. a. O., Teil 2, hg. v. Jerzy Piekalski, Wrocław 2002, S. 173–182, hier S. 176f.; zu den fru¨hen Kramla¨den, aber auch den im Spa¨tmittelalter liquidierten Kramla¨den vor dem Grundstu¨ck Ringplatz 44 vgl. Jolanta Bresch/Czesław Lasota/Jerzy Piekalski, Po´łnocna pierzeja Rynku. Stratygrafia nawarstwien´ kulturowych [Die no¨rdliche Ringzeile. Stratigraphie der Kulturschichten], in: Rynek wrocławski a. a. O., Teil 2, S. 11–68, hier S. 25, 41, 45, 55, 68; zu den Kramla¨den aus dem 14. Jahrhundert vor der heutigen Zeilenlinie des inneren Ringplatzblockes vgl. Aleksander Limisiewicz u. a., Po´łnocna strona bloku s´ ro´drynkowego. Stratygrafia nawarstwien´ kulturowych [Die Nordseite des inneren Ringplatzblocks. Stratigraphie der Kulturschichten], in: Rynek wrocławski a. a. O., Teil 2, S. 79–108, bes. S. 98 und 108.

Zur Dynamik der Besitzverha¨ltnisse am Breslauer Ringplatz in den Jahren 1345 bis 1420

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auch nicht von Handelsfunktionen ausgegangen werden, wie sie – auch durch archa¨ologische Grabungsergebnisse – fu¨r die so genannten Beischla¨ge bekannt sind, d. h. fu¨r jene Konstruktionen, durch die die in unterschiedlicher Ho¨he oder Tiefe gelegenen Hauseinga¨nge mit dem Niveau der Oberfla¨che des Platzes verbunden waren und die noch bis etwa zur Mitte des 14. Jahrhunderts auf allen Seiten des Ringplatzes existier¨ bereinstimmung zwischen der Nennung von ten.10 Im Allgemeinen la¨sst sich eine U Berufsbezeichnungen (etwa der Hutmacher und Sattler) in den Bezeichnungen der Zeilenabschnitte und dem Wohnort der Vertreter dieser Berufe feststellen. Im Falle ¨ bereinstimmung jedoch nicht der Weber und auch der Tuchverka¨ufer ist eine solche U bekannt.11 Zu denken gibt auch, dass die seit 1345, d. h. seit dem fru¨hesten fassbaren Moment besta¨tigte Verwendung des Namens „Unter den Huterlauben“ den ganzen Untersuchungszeitraum hindurch andauerte, wa¨hrend Bezeichnungen wie „Unter den Leinwandlauben“ oder „Unter den Sattlern“ nur fu¨r die Jahre 1346–1369 und 1352–1366 belegt sind und offenbar machen, dass die urspru¨nglichen Hintergru¨nde fu¨r die Verwendung dieser Namen in der Zwischenzeit entfallen sind. Mit den Leinwandlauben ist noch ein weiteres Problem verbunden – das ihrer Verlagerung. In den bisherigen Rekonstruktionen zur Bewirtschaftung des so genannten Bebauungsblockes der Ringplatzmitte sind sie in der Reihe der heutigen To¨pferpassage zwischen den Reichen Kramla¨den und dem Schmetterhaus lokalisiert worden.12 Ohne diese Lokalisierung der Leinwandlauben grundsa¨tzlich in Frage stellen zu wollen, la¨sst sich feststellen, dass sie sich anfangs woanders befunden haben mu¨ssen, da sie dem Ostabschnitt der Nordzeile den Namen gaben. Ihr erneutes Vorkommen in den Quellen ist erst fu¨nfzig Jahre spa¨ter, zum Jahr 1419 bezeugt. Zu diesem Zeitpunkt du¨rften sich hinter diesem Namen sicher bereits die Kramla¨den inmitten des Ringplatzes verborgen haben.13 Mit einer a¨hnlichen Situation, zumindest was die Verwendung der Namen betrifft, haben wir es bei der Bezeichnung „Unter den Sattlern“ zu tun. Im 16. Jahrhundert verbargen sich hinter der Bezeichnung „Unter den Riemern und Sattlern“ Ha¨user auf der Nordseite des so genannten Schmetterhauses im Block inmitten des Ringplatzes, wo Handwerker-Kramla¨den schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts bestanden.14 Somit betraf die uns interessierende Bezeichnung im 14. Jahrhundert ganz gewiss andere, gegenu¨bergelegene Grundstu¨cke. Doch ist unklar, ob dies das Ergebnis einer Verschiebung der bisherigen, spa¨ter zu Ha¨usern 10 Vgl. Małgorzata Chorowska/Czesław Lasota, Die steinerne Bebauung der Markt- und Straßenzeilen

im mittelalterlichen Breslau, in diesem Band, hier S. 86f., 92f.

11 Der fu¨r einen Leinenweber und seine Frau zum Ringplatz 47 vorliegende Hinweis reicht unseres

Erachtens in dieser Hinsicht nicht aus.

12 Zum Beispiel Markgraf, Die Straßen (wie Anm. 8), S. 110; Rudolf Stein, Der Große Ring zu Breslau,

Breslau 1935, S. 82f., und der vielfach reproduzierte kleine Plan: Olgierd Czerner, Rynek wrocławski ´ sred[Der Breslauer Ringplatz], Wrocław 1977, S. 38–39; Mateusz Golinski, ´ Socjotopografia po´zno´ niowiecznego Wrocławia (przestrzen´ – podatnicy – rzemiosło) [Die Soziotopographie des spa¨tmittelalterlichen Breslau (Raum – Steuerzahler – Handwerk)], Wrocław 1997, S. 24f. 13 Stefan Kynast u¨bertrug seiner Frau Anna die Ha¨lfte seines beweglichen und Immobilienbesitzes undir ´ den leynwotlewben; Archiwum Panstwowe (wie Anm. 4), G 1, 12, K. 157. Hans Lantow u¨berschrieb nach seinem Tode seiner Gattin, Frau Anna, den neben Hans Semel liegenen Kramladen undir den lymotlowben, a. a. O. G 1, 12, K. 181. 14 Vgl. Markgraf, Die Straßen (wie Anm. 8), S. 164f.; Golinski, ´ Socjotopografia (wie Anm. 12), S. 25f.

114

´ Mateusz Golinski

umgestalteten Krambuden der Sattler in etwas su¨dliche Richtung war15 oder ob sich diese Krambuden die ganze Zeit an derselben Stelle befunden haben und vielleicht nur der Name des von Sattlern und Riemern bewohnten Grundstu¨cks „gewandert“ ist. An dieser Stelle sei hinzugefu¨gt, dass die anderen auf dem Platz gelegenen (in Abbildung 2 u¨bergangenen) Objekte bei der Lokalisierung der in den Ringzeilen gelegenen Ha¨user nicht als Bezugspunkte verwendet wurden. Dafu¨r dienten sie zur Feststellung der Adressen der Wohnha¨user, die gegen Ende des Zeitraums neben, hinter oder u¨ber den Handelseinrichtungen im Nordteil des Platzes in Erscheinung zu treten begannen. Die auf der skizzierten Quellengrundlage vorgenommene Rekonstruktion der Besitzverha¨ltnisse am Breslauer Ringplatz kann nur in einigen wenigen Fa¨llen hinter das Jahr 1345 zuru¨ckgefu¨hrt werden. Dabei werden ausschließlich Grundstu¨cke von „Patriziern“ (Ringplatz 4, 6, 7, 17 und 20/21) fassbar. Fu¨r andere Grundstu¨cke (Ringplatz 5, 9, 18, 19, 22, 23, 25, 26, 28, 30, 31, 32, 33 Su¨dgrundstu¨ck, 34, 50/51, 52, 58) ko¨nnen fu¨r die Zeit vor 1345 nur einige wenige Vermutungen angestellt werden, wa¨hrend das Ende des 13. Jahrhunderts in jedem Fall eine unu¨berwindbare Grenze fu¨r den rekonstruierenden Ru¨ckgriff darstellt. Gewissermaßen den Gegenpol unserer Befunde bilden all jene Grundstu¨cke, deren Geschichte erst seit den fu¨nfziger oder gar erst seit den sechziger Jahren des 14. Jahrhunderts in den Quellen hervortritt. Die Analyse wird zusa¨tzlich durch Lu¨cken in den Rekonstruktionen und unauflo¨sbare Widerspru¨che zwischen den verfu¨gbaren Informationen erschwert. Nicht immer ist es zudem mo¨glich, die Situation auf einem bestimmten Grundstu¨ck exakt bis zum Jahre 1420 zu verfolgen, vielmehr bedarf es in manchen Fa¨llen einer Weiterfu¨hrung der Archivrecherchen u¨ber diesen Zeitpunkt hinaus, um die Situation vor 1420 zu kla¨ren.16 Die im Titel genannten zeitlichen Za¨suren – 1345–1420 – sind insofern nicht allzu wo¨rtlich zu nehmen.

II. Der Raum und die Menschen

Infolge fortwa¨hrender Zusammenlegungen und anschließend erneut erfolgter Teilungen von Grundstu¨cken war die Zahl der Grundstu¨cke am Ringplatz wa¨hrend des Untersuchungszeitraums nicht konstant, vielmehr variabel. Die Folgen der bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts erfolgten Vera¨nderungen haben sich in jenem Material niedergeschlagen, das den Gegenstand architekturhistorischer Forschungen bildet. ¨ berraschung stellte sich jedoch heraus, dass einige spa¨ter eingetretene Zu unserer U Vera¨nderungen bei der Untersuchung der materiellen Bebauungsrelikte bisher nicht

15 Eine solche Verschiebung mag fu¨r die erwa¨hnte Freira¨umung des Verkehrsweges entlang der no¨rdli-

chen Ringzeile erforderlich geworden sein. 16 Trotz fortgesetzter Recherchen nicht lokalisierbar bleibt der 1416 erwa¨hnte Kal am Ringe, Archiwum

´ Panstwowe (wie Anm. 4), G 1, 12, K. 44v.

Zur Dynamik der Besitzverha¨ltnisse am Breslauer Ringplatz in den Jahren 1345 bis 1420

115

erkannt worden sind. Von ihnen erfahren wir nur aus der von uns vorgenommen Auswertung der schriftlichen Quellen. So mu¨ssen zwei Ha¨user, die bisher jeweils als ein homogener Komplex verstanden worden sind, in Wirklichkeit jeweils zwei Ha¨user in sich geborgen haben (Ringplatz 44, 46), was selbstversta¨ndlich die Mo¨glichkeit nicht ausschließt, dass sie von zwei Nachbarn in einer gemeinsamen Bauaktion, vielleicht sogar nach einem Plan errichtet worden sind; was den Forscher naturgema¨ß verwirren kann. Die Zahl der urspru¨nglichen Lokationsparzellen am Ringplatz hat (nach Absteckung des Hu¨hnermarktes) nach heutiger Rekonstruktion 35 betragen.17 Dank des so genannten Karrenregisters wissen wir, dass es im Jahre 1564 am Ringplatz 62 Grundstu¨cke gab,18 wa¨hrend die in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts eingefu¨hrte Nummerierung 60 Parzellen um den Platz herum za¨hlt. Indem wir unsere Rekonstruktion an dieses letztere System angepasst haben, konnten wir fu¨r die Zeit um 1345 etwa 58 Grundstu¨cke ermitteln; nach 1350 waren es 61 und um 1410 dann 60 (Abb. 2). Die grundlegenden Unterschiede gegenu¨ber dem uns bekannten Stand bestehen 1. in der die ganze Zeit u¨ber beibehaltenen Einheit des heutigen Grundstu¨cks Ringplatz 20/21, 2. in der dauerhaften Teilung des heutigen Grundstu¨ckes Ringplatz 33 in zwei Grundstu¨cke (was noch 1564 aktuell war), 3. in der Einheit des Grundstu¨ckes Ringplatz 40/41 bis etwa 1408 sowie 4. in der dauerhaften Teilung des heutigen Grundstu¨ckes Ringplatz 44 in zwei Grundstu¨cke und des heutigen Grundstu¨ckes am Ringplatz 46 ebenfalls in zwei Grundstu¨cke (ebenfalls noch 1564 aktuell). Die Teilung der heutigen Grundstu¨cke Ringplatz 14 und 15 erfolgte sicher ab 1350, derjenigen Ringplatz 22 und 23 vor 1349 und derjenigen Ringplatz 50 und 51 spa¨testens 1349. Die geringen Schwankungen und die insgesamt nur minimale Erho¨hung der Parzellenzahl besta¨tigen die Vermutung der Architekturhistoriker, dass die meisten Teilungen schon viel fru¨her erfolgten und anschließend festgeschrieben wurden, und dass dies bereits im Verlauf des ersten Jahrhunderts nach der Lokation geschah. Diese Verallgemeinerungen spiegeln noch nicht die sich vera¨ndernden Details, d. h. die zeitweiligen Zusammenlegungen (Ringplatz 1/2 in den Jahren 1352–1375, Ringplatz 8/9 in den Jahren 1356–1359, Ringplatz 27/28 in den Jahren 1360–1366, Ringplatz 55/56 in den Jahren 1368–1384) und Teilungen der Grundstu¨cke, von denen sich einige gewiss auch auf die Innenaufteilung der Ha¨user und die Organisation des ru¨ckwa¨rtigen Grundbereichs ausgewirkt haben. Die Teilung eines Grundstu¨ckes zog die – in den Quellen dokumentierte – Notwendigkeit nach sich, die Ho¨fe der Nachbarn erneut abzugrenzen und in Anknu¨pfung an die ra¨tselhaften „Schwellen“ (die manchmal ergraben wurden)19 Holzza¨une zu errichten, um die Grenzen der Grundstu¨cke abzustecken. 17 Atlas historyczny miast polskich. Tom 4: Sl ´ ask. ˛ Zeszyt 1: Wrocław/Historischer Atlas der polnischen

Sta¨dte. Band 1: Schlesien. Heft 1: Breslau, hg. v. Marta Młynarska-Kaletynowa/Rafała Eysymontt, Wrocław 2001, Nr. 3. 18 Archiwum Panstwowe ´ (wie Anm. 4), K 85, K. 5–7v (Ringplatz 1 wurde u¨bergangen), 23–24, 60–61. 19 Die Vorschriften fu¨r die Jahre 1335–1346 verordneten na¨mlich ihre Wartung auf gleichbleibendem Niveau, unabha¨ngig vom anwachsenden Bodenniveau, wobei die Straßendecke zur Determinante

116

´ Mateusz Golinski

Anschließend mussten Mauern errichtet und schließlich auch Festlegungen hinsichtlich der Lokalisierung und Nutzung der sanita¨ren Einrichtungen, wie des Verlaufs der Abwassergra¨ben usw. getroffen werden (belegt z. B. fu¨r Ringplatz 8 und 9,

13 14 1

?

?

16 17 18 19 20 20 ?

?

60 59 58 57 56 55 54 53

79

80

22

52 51 50 49 48 47 46 46 45 44 44 43 42

41

1

40 2

39

3

38 37

7 4

36 35

6 5

34 33

5 6

33

4 7

3 2 1 1a

32

?

8

31

?

9 10 11

30

77

29

12 13 14 15 16 17

?

?

4

6

18

19 20/21 22 23 24 25 26 27

8

10

12

14 14

16 18

28

18

Abb. 2: Schema der Parzellen in den Ringzeilen

40 und 41, 55 und 56 sowie am Hu¨hnermarkt hinter dem Grundstu¨ck Ringplatz 33). Eine besondere Herausforderung fu¨r den Forscher stellen die schwer rekonstruierbaren Querteilungen der „handwerklichen“ Grundstu¨cke dar, die in der Phase der Holzbebauung innerhalb des no¨rdlichen und o¨stlichen Ringblocks aufgetreten sind. Ihre hier angenommene Existenz ist momentan nicht mehr als eine Hypothese, die es jedoch ermo¨glicht, die aus den Quellen erkennbaren komplizierten Eigentumsver-

gemacht wurde: (...) nullus exaltet limen super alium, et limen ultra pontes non leuent, et in sua grenicia quiuis super suum edificet. (...) Item nullus exaltet limen vltra pontes lapideos, Breslauer Urkundenbuch. Erster Theil, bearb. v. Georg Korn, Breslau 1870, S. 254f. Nr. 4.

Zur Dynamik der Besitzverha¨ltnisse am Breslauer Ringplatz in den Jahren 1345 bis 1420

117

ha¨ltnisse innerhalb der bereits extrem la¨ngs geteilten Parzellen wa¨hrend der ersten Jahrzehnte zu erkla¨ren (vgl. Ringplatz 33 Nord, 35, 38, 44 Ost, 45, 46 West, 47, 56).20 Die generelle Kurzlebigkeit des Grundstu¨ckbesitzes, wie sie aus den Eintragungen der Scho¨ffenbu¨cher ersichtlich wird, spiegelt die große Dynamik des Verkehrs auf dem bu¨rgerlichen Immobilienmarkt und damit auch die Mobilita¨t der Bu¨rger selbst, besonders der Vertreter der niederen Schichten.21 Diese Erscheinungen decken sich mit demographischen Tatsachen und bieten ein Gesamtbild, das allerdings durch die Folgen der Aufteilung des Erbes auf mehrere Erben, darunter Minderja¨hrige und junge Witwen, getru¨bt wird. Tatsa¨chlich zogen sich die Teilungs-, Abkaufs-, Verzichts- und Auszahlungsprozesse bzw. die Vererbung von Grundstu¨cksanteilen gewo¨hnlich etwa zehn oder gar zwanzig Jahre lang hin. Erst danach kristallisierte sich der neue Grundstu¨ckseigentu¨mer endgu¨ltig heraus, dem dann oft nicht mehr viel Lebenszeit verblieb. Fu¨r das Breslauer Bu¨rgertum (und das anderer schlesischer Sta¨dte) sind diese Probleme bislang noch nicht eingehend untersucht worden. Unsere durch Auswertung der Scho¨ffenbu¨cher und anderer Schriftquellen gewonnenen Beobachtungen bleiben daher einstweilen ohne Vergleichsmo¨glichkeiten und in gewisser Weise aus ihrem weiteren Kontext gerissen. Die Frequenz des Wechsels der Eigentu¨mer von ganzen Grundstu¨cken, Grund¨ bergangs in fremde Ha¨nde, d. h. an stu¨cksteilen oder nur von Geba¨uden infolge des U nicht zum Kreis der Erbberechtigten geho¨rende Personen, fiel in Abha¨ngigkeit vom Charakter der Umgebung unterschiedlich aus: An der westlichen Ringzeile erfolgte ein Eigentumswechsel durchschnittlich alle 21,8 Jahre mit einem Median von 15 Jahren; an der Su¨dzeile durchschnittlich alle 15 Jahre mit einem Median von etwa 11 Jahren; an der Ostzeile durchschnittlich alle 12,1 Jahre mit einem Median von 7 Jahren; an der Nordzeile durchschnittlich alle 12,3 Jahre mit einem Median von ebenfalls etwa 7 Jahren. Der Durchschnittswert fu¨r alle Ringplatzzeilen (Vera¨nderungen alle 14,2 Jahre) mag vielleicht auch fu¨r die Gesamtheit der Hauptstraßen und Hauptpla¨tze des zentralen Teils der Stadt gegolten haben. Die Erho¨hung der einzelnen Mittelwerte ergab sich durch die ungleiche Verteilung derjenigen Immobilien, die sich lange in Familienbesitz befanden, was in den wohlhabenden Schichten o¨fter der Fall war als in der Gesamtheit des Bu¨rgertums. Deshalb geben die Mediane, die Mittelwerte jeder Menge, den Durchschnitt besser wider. Wie dem auch sei, beide Kennziffern fu¨hren deutlich die am Ringplatz bestehenden sozialen Unterschiede vor Augen. Der elita¨re Charakter der westlichen und su¨dlichen Ringzeile spiegelt sich in einer deutlich ho¨heren Stabilita¨t des Besitzes, wa¨hrend sich der hinsichtlich Besitzstand und Berufsstruktur gemischte Charakter der o¨stlichen und no¨rdlichen Ringzeilen in

20 Zum Pha¨nomen der Querteilungen sowie anderer extremer Formen der Abtrennung von Immobilien-

´ fragmenten in den polnischen Sta¨dten vgl. Urszula Sowina, Sredniowieczna działka miejska w s´ wietle ´ ´ deł pisanych [Das mittelalterliche Stadtgrundstu¨ck im Lichte der schriftlichen Quellen], in: Kwarzro talnik Historii Kultury Materialnej 43 (1995), 3, S. 323–331 hier S. 327f. 21 Mateusz Golinski, ´ srednio´ Woko´ł społecznych uwarunkowan´ obrotu nieruchomo´sciami w po´zno´ wiecznych miastach s´ laskich ˛ [Zu den sozialen Bedingungen des Immobilienverkehrs in den spa¨tmittelalterlichen schlesischen Sta¨dten], in: Obro´t nieruchomo´sciami na ziemiach polskich od s´ redniowieczna ´ do XXI wieku, hg. v. Franciszek Kusiak, Poznan/Wrocław 2008, S. 27–43, hier S. 27–32.

118

´ Mateusz Golinski

einer betra¨chtlichen Beschleunigung des Umsatzes der dortigen Grundstu¨cke niederschlug. Das Tempo dieses Umsatzes bzw. Verkaufs in fremde Ha¨nde unterlag, wie Diagramm 2 zeigt, auch in zeitlicher Hinsicht einer Vera¨nderung. Das Niveau, das im Verlauf des Untersuchungszeitraums am la¨ngsten beibehalten wurde, normalisierte sich in der zweiten Ha¨lfte der 1360er Jahre. Seit diesem Zeitpunkt wurden innerhalb von Fu¨nfjahreszeitra¨umen zwischen einem guten hal-

Anzahl

45 40 35 30 25 20 15 10 5 0

Jahre 50

6-

4 13

65

60

55

1-

5 13

6-

5 13

1-

6 13

75

70

6-

6 13

1-

7 13

90

85

80

6-

7 13

1-

8 13

6-

8 13

00

14

95

1-

9 13

6-

9 13

10

05

1-

0 14

6-

0 14

20

6-

1 14

Diagramm 2: Der Immobilienverkehr am Ringplatz nach Fu¨nfjahreszeitra¨umen

ben und einem Dutzend Immobilien verkauft, wobei es sich meistens um weniger als zehn Verka¨ufe handelte. Die la¨ngsten Ru¨ckgangstendenzen begegnen in den siebziger und achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts, wa¨hrend es um die Jahrhundertwende zu einer erneuten Belebung kam, die ab 1409 geradezu sprunghaft war. Vermutlich spiegelt sich in dieser Entwicklung eine allgemeine Tendenz auf dem Breslauer Immobilienmarkt. Erkla¨rungsbedarf besteht dagegen in Bezug auf den nach 1365 einsetzenden Umschwung, der den Untersuchungszeitraum geradezu in zwei verschiedene „Epochen“ teilt, na¨mlich in eine Zeit des massenhaften und eine Zeit des beschra¨nkten Immobilienverkehrs. Fu¨r die beiden ersten quellenma¨ßig fassbaren Jahrzehnte sind ganze Serien (in den Jahren 1346, 1349–1351, 1355, 1357, 1359–1365) von Verka¨ufen selbst kleinster Teile von Grundstu¨cken belegt, die oft unmo¨glich definiert und lokalisiert werden ko¨nnen; hinzukommen Verka¨ufe von einzelnen auf den Grundstu¨cken gelegenen Geba¨uden, die zur Vermietung bestimmt waren, sowie von gesonderten Parzellen, auf denen solche Geba¨ude standen. Wahrscheinlich haben wir es hier mit einer Verknu¨pfung mehrerer Pha¨nomene zu tun. Eines dieser Pha¨nomene ist die objektive Stabilisierung der Eigentumsverha¨ltnisse, die dadurch eintrat, dass die Teilungen in der Tiefe der Grundstu¨cke aufho¨rten, eine Verbindung von Grundund Geba¨udeeigentum erfolgte und die Grenzen durch die Verbreitung von Grenzmauern bzw. eine gemauerte Bebauung festgeschrieben wurden. Schließlich setzte anstelle der Zersplitterung eine Tendenz zur Vergro¨ßerung der Grundstu¨cksfla¨che ein. Ein zweites Pha¨nomen betrifft Vera¨nderungen bei der Buchfu¨hrung hinsichtlich

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der Eigentumsverfu¨gungen; hier kam es zu einer gro¨ßeren Pra¨zision bei der Definition von Rechtsgescha¨ften, wodurch fa¨lschlich als Verka¨ufe interpretierte Eintragungen eliminiert werden konnten; zudem wurde eine genauere Feststellung der Adresse einer Immobilie als am Ringplatz liegend mo¨glich. Drittens gab es schließlich tatsa¨chliche Schwankungen in der Intensita¨t des Immobilienhandels, die fu¨r die gesamte Stadt untersucht werden mu¨ssten.

III. Die Menschen und der Raum

Aus den untersuchten Schriftquellen tritt ein gewisser Gegensatz zwischen einem sich u¨ber mehrere Generationen in Familieneigentum befindlichen Grundbesitz und dem beobachteten Trend zu einer schnellen Vera¨ußerung von Immobilien auf. Ein langja¨hriger, d. h. u¨ber 30 Jahre wa¨hrender Immobilienbesitz, wie er durch Vererbung im Kreis der weit verstandenen – d. h. Witwen, Kinder, Geschwister, Schwiegerso¨hne und -to¨chter, Stiefkinder, Enkel umfassenden – Familie erfolgte, ist fu¨r folgende Grundstu¨cke am Ringplatz bzw. folgende sie bewohnende Familien belegt:22 2 Tile 1371–1420 ... – 3 ? Generationen 4 Slanz (Schlanz) 1363–1409 – 3 Generationen 5 Scheiteler1368–1409 – 2 Generationen 6 Banz vor 1300?–1349 – 2 Generationen, Schwarz 1349–1418 ... – 3 Generationen 7 Glockner – vom Berge 1347–1398 – 3 Generationen 8 Schreiber um 1374–1419 ... – 2 Generationen 9 Glesel 1364–1418 ... – 2 Generationen 11 Preuße – Kenthener 1351–1394 – 3 Generationen 14 Bok (Bock) 1367–1418 ... – 2 Generationen 17 von Sitten – Bunzlau 1368–1416 ... – 2 Generationen 18 Frise 1360–1399 – 3 Generationen 19 Beyer – Seidlitz 1355–1420 ... – 4 Generationen 20/21 Steinkeller 1357–1420 ... – 3 Generationen 22 Jonsdorf 1362–1399 – 3 Generationen 25 von der Neisse – Gotke (Gatke) ... 1347–1420 ... – 3 Generationen 30 Domnik ...1345–1410 (1420) ... – 3 Generationen 32 Rothe 1350–1420 ... – 3 Generationen 33 Su¨d Libing 1387–1420 ... – 2 Generationen 42 Kestner – Helias 1378–1409 ... – 2 Generationen 43 Prager (Proger) 1346–1410 ... – 3 Generationen 22 Ohne jene Fa¨lle, in denen das Grundstu¨ck jahrzehntelang nur einer Person geho¨rte, wie dies fu¨r fol-

gende Grundstu¨cke bezeugt ist: Ringplatz 31 Heinrich Gurteler 1382–1420, Ringplatz 55 Hans Bresemer 1384–1416, Ringplatz 3 Hans Seidenberg 1374–1405 und Ringplatz 28 Hans Hartlieb 1374–1403.

120

´ Mateusz Golinski

46 West Riemer – Willusch ... 1347–1381 ... – Generationen 48 Molschreiber – Raster ... 1380–1420 ... – 2 Generationen 51 Riemer – Scho¨nhals 1359–1407 – 2 Generationen 52 Daumlose 1367–1410 ... – 2 Generationen 58 Sachse ... 1358–1416 ... – 2 Generationen Mit Ausnahme eines nicht repra¨sentativen Falles, der sich auf eine fru¨here Zeit als den Untersuchungszeitraum bezieht, fielen die Anfa¨nge des sich u¨ber mehrere Generationen erstreckenden Familienbesitzes in je sechs Fa¨llen auf die vierziger und fu¨nfziger, in acht auf die sechziger, in dreien auf die siebziger und in zwei Fa¨llen auf die achtziger Jahre des 14. Jahrhunderts. Die beschriebene Situation gestaltete sich also ungefa¨hr im Verlauf der ersten dreißig Jahre des quellenma¨ßig erfassbaren Zeitraums heraus. Damals wurden die Grundlagen des Besitzstatus und der sozialen Position der Familien gelegt, die eine stabile Bewohnung der ererbten Sitze mindestens durch die Generation der Kinder ihrer Ka¨ufer erlaubte (der Weiterverkauf erfolgte oft erst in der Enkelgeneration). Beru¨cksichtigt man, dass die meisten von ihnen aus dem Kreis der kaufma¨nnischen sta¨dtischen Elite stammten, kann angenommen werden, dass das geschilderte Pha¨nomen ein Echo der in dieser Schicht stattfindenden Prozesse war, d. h. der Spiegel eines Personenaustausches, durch den die alten dominierenden Familien durch neue ersetzt wurden. Nachdem dieser Austausch in den 1360er Jahren seinen Ho¨hepunkt erreicht hatte, verringerten sich die Mo¨glichkeiten weiterer dauerhafter Familienaufstiege nachhaltig. Ganz offensichtlich wurde die Wahrung der Besitzstabilita¨t durch die Erben der schließlich immer noch Ha¨user am Ringplatz kaufenden „neuen Leute“ seit dem Ende des 14. Jahrhunderts immer schwieriger. Aber es traten auch keine Kra¨fte in Erscheinung, die eine gro¨ßere Gruppe von Vertretern der a¨lteren Elite gewaltsam um den Besitz dieser Ha¨user gebracht ha¨tten. Innerhalb der zweiten Ha¨lfte unseres Untersuchungszeitraumes verteilen sich die belegten Momente des Erlo¨schens eines sich u¨ber mehrere Generationen erstreckenden Familienbesitzes in einem Fall auf die 1380er, in vier Fa¨llen auf die 1390er, in fu¨nf Fa¨llen auf das erste Jahrzehnt und in mindestens einem Fall auf das zweite Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts. Soweit auf der Grundlage so kleiner Zahlen eine Verallgemeinerung zula¨ssig ist, la¨sst sich feststellen, dass das Ende der 1390er Jahre und die erste Ha¨lfte des ersten Jahrzehnts des 15. Jahrhunderts offenbar die schwierigste Zeit fu¨r die Aufrechterhaltung des von den Vorfahren ererbten Status war. Dies korrespondiert allgemein mit dem fu¨r diese Zeit beobachteten sozial-politischen Wandel innerhalb der Stadt, der in Versuchen der Zu¨nfte oder des bo¨hmischen Ko¨nigs zum Ausdruck kam, einen personellen Wechsel innerhalb der im Rathaus herrschenden Gruppe zu erzwingen.23 Diese als „Patriziat“ bezeichnete Gruppe, die sich – wie wir seit den Untersuchungen von Gerhard Pfeiffer wissen – vor allem aus der Kaufmannschaft rekrutierte, sich wohl auch mit Kreditgescha¨ften befasste und in Landbe-

23 Vgl. Cezary Bu´sko/Mateusz Golinski/Michał ´ Kaczmarek/Leszek Ziatkowski, ˛ Historia Wrocła-

´ czaso´w habsburskich [Die Geschichte Breslaus. Band 1: Von wia. Tom 1: Od pradziejo´w do konca der Vorgeschichte bis zum Ende der Habsburgerherrschaft], Wrocław 2001, S. 1674f.

Zur Dynamik der Besitzverha¨ltnisse am Breslauer Ringplatz in den Jahren 1345 bis 1420

121

Abb. 3: Verteilung der Wohnsitze der Ratsherren und Scho¨ffen am Ringplatz in den Jahren 1345–1420 O = mehrmalige Rats- und Scho¨ffenfunktion, X = ehemalige mehrmalige Rats- und Scho¨ffenfunktion o = einmalige Rats- und Scho¨ffenfunktion, x =ehemalige einmalige Rats- und Scho¨ffenfunktion

sitz investierte (und der dort manchmal auch rittera¨hnliche Wehrburgen geho¨rten),24 besaß ihre Wohnsitze um den Ringplatz herum in ungleichma¨ßiger Verteilung. Die in Abbildung 5 dargestellten Ergebnisse unserer Untersuchung lassen klar erkennen, dass der Raum am Ringplatz nach sozialen Kategorien gegliedert war, erweisen zum anderen aber auch, dass die in dieser Frage bislang entwickelten Schemata zum Teil modifiziert werden mu¨ssen. Unsere Ergebnisse knu¨pfen durchaus an die Pra¨missen a¨lterer Untersuchungen, insbesondere zu Grundstu¨cksgro¨ßen und Grundstu¨ckseinteilung, zum Charakter 24 Gerhard Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat im Mittelalter, Breslau 1929, S. 6–48, 122–225, 243–321; vgl.

auch Małgorzata Chorowska, Palast und Wohnhaus. Der Einfluss des Herrensitzes auf die Breslauer Wohnha¨user im Mittelalter, in diesem Band, S. 137–150.

122

´ Mateusz Golinski

der steinernen Bebauung sowie zu der fu¨r das 16. Jahrhundert bezeugten Situation an.25 Sie besta¨tigen fu¨r unseren Untersuchungszeitraum den spezifischen „Patriziercharakter“ der westlichen und su¨dlichen Ringzeilen sowie des Su¨dabschnittes der o¨st¨ berraschung stellt vor dem Hintergrund des bishelichen Ringzeile. Eine gewisse U rigen Wissens allerdings die besondere Konzentration von Vertretern der die Stadt regierenden Elite im Ostabschnitt der Su¨dzeile, d. h. gegenu¨ber dem Rathaus bzw. in einem dem Rathaus am na¨chsten gelegenen Abschnitt dar. Selbstversta¨ndlich besta¨tigt sich bei der individuellen Untersuchung nicht in jedem Fall der Zusammenhang zwischen den materiellen und ra¨umlichen Attributen des betreffenden Grundstu¨cks und der durch Mitgliedschaft im Scho¨ffengericht oder im Stadtrat bezeichneten sozialen Position seiner konkreten Eigentu¨mer. Daraus ru¨hrt die sonderbar niedrige „Bewertung“ einiger Ha¨user im „besten“ Abschnitt der westlichen Ringzeile (Ringplatz 2–9), von denen man doch annehmen ko¨nnte, sie wu¨rden innerhalb der Stadt das ho¨chste Prestige genießen, oder auch von anderen pra¨chtigen Bu¨rgerha¨usern in der no¨rdlichen und o¨stlichen Ringzeile, die bisher scheinbar auf Wohnsitze der regierenden Elite hingedeutet haben. Umgekehrt la¨sst sich eine gewisse Konzentration solcher Ha¨user im mittleren Abschnitt der eigentlich von „Handwerkern“ bewohnten Nordzeile feststellen. Dieses Bild stellt mithin eine Verallgemeinerung dar, die den Rang und die familia¨ren Verbindungen der einzelnen Personen, besonders derjenigen, die kein Amt bekleideten, nicht hinreichend zum Ausdruck bringt. Sie exponiert andererseits vielleicht zu stark jene Fa¨lle, in denen eine eher „zufa¨llige“ oder ausschließlich politisch bedingte Karriere vorlag (Vertreter der Zu¨nfte erhielten etwa fu¨r zwei Amtszeiten Anteil an der Macht auf den letz¨ mter des Ratsherren ten Pla¨tzen im Scho¨ffengericht und im Rat). Die sta¨dtischen A ¨ brigen unseren Blick auf andere Formen der formalen oder Scho¨ffen verdecken im U Erhebung u¨ber den eigenen Stand hinaus, etwa auf die Nobilitierung, wie sie zum Beispiel im Fall des Herrn von der Wede am Ringplatz 9 erfolgte, oder auf Fa¨lle von Verschwa¨gerungen mit dem Adel (durch die es auch vorkam, dass nichtbu¨rgerliche Erben kurzzeitig ein Grundstu¨ck erbten), schließlich auf Fa¨lle, in denen Gu¨ter erworben wurden, die durch Ritterdienste belastet waren. An dieser Stelle geht es uns nicht um die Feststellung der Verteilung der Vertreter der Herrschaftselite u¨ber das Gebiet der gesamten Stadt. Unser Anliegen beschra¨nkt sich vielmehr darauf, die Verbindung dieser Gruppe mit den Grundstu¨cken am Ringplatz zu beleuchten. Eine Einscha¨tzung ihrer Bedeutung als so genanntes Patriziat bzw. fu¨r die im Untersuchungszeitraum erfolgenden sozial-politischen Vera¨nderungen kann durch eine Analyse der Wohnsta¨tten der Mitglieder der einzelnen Rats- und Scho¨ffengerichtskohorten in zufa¨llig ausgewa¨hlten, in Zehnjahresabsta¨nde gegliederten Zeitquerschnitten vorgenommen werden (Tabelle 1). Dabei mu¨ssen sich die aus-

25 Małgorzata Chorowska/Czesław Lasota: O s´ redniowiecznej kamienicy wrocławskiej na tle socio-

topografii Starego Miasta, in: Architektura Wrocławia, Bd. 1: Dom, hg. v. Jerzy Rozpedowski ˛ u. a., Wrocław 1995, S. 51–73, bes. S. 54–63; Golinski, ´ Socjotopografia (wie Anm. 12), S. 15–23.

Zur Dynamik der Besitzverha¨ltnisse am Breslauer Ringplatz in den Jahren 1345 bis 1420

123

Tab. 1: Ratsherren und Scho¨ffen am Ringplatz in Zeitquerschnitten 1360-141026 Jahr

Ratsherr/Scho¨ffe am Ring wohnend (aktuelle Adresse)

1360

1370

1380

1390

1400

Verha¨ltnis am Ring : andernorts wohnend

Anteil der am Ring wohnenden Ratsherren/Scho¨ffen

Nicolaus de Cracovia (R. 2) Peczo Beyer (R. 19) Paulus pellifex (R. 29) Otto de Nyssa (R. 52) Rudgerus Steinkeler (R. 20/21) Peczo Niger (R. 6)

6:13

31,6 %

Hanco Dominici (R. 30) Nicolaus Gatke (R. 25) Petrus Nigri (R. 6) Petrus Bavari (R. 19) Michael de Oppavia (R. 28) Nicolaus Czadilmayt (R. 24?)27

6:13

31,6 %

Peczko Bavari (R. 19) Henricus Slancz (R. 4) Nicolaus Saxo (R. 58) Petrus Doring (R. 23) Petrus Nigri (R. 6) Nicolaus Gatko (R. 25) Johannes Zydinberg (R. 3)

7:12

36,8 %

Johannes Sydenberg (R. 3) Henicus Schonhals (R. 1) Johannes Bavari (R. 19) Johannes de Monte (R. 7) Johannes Rote (R. 32) Allexius Saxo (R. 60) Petrus Kentener (R. 11) Petrus Bavari (R. 2)6 Nicolaus Strelyn (R. 50)

12:10

54,5 %

Jacobus Niger (R. 6) Heinrich Gurteler (R. 31) Dytwin Dumloze (R. 52) Johannes Nigri (R. 6)

26 Die Zusammensetzung des Rates und des Scho¨ffengerichts wird hier wiedergegeben nach den Eintra¨-

gen in: Breslauer Stadtbuch enthaltend die Rathslinie von 1287 ab und Urkunden zur Verfassungsgeschichte der Stadt, hg. v. Hermann Markgraf/Otto Frenzel, Breslau 1882, S. 15, 16, 18, 20, 21, 23. In den Jahren 1360, 1370 und 1380 war sie typisch und za¨hlte jeweils 19 Personen (8 Ratsherren und 11 Scho¨ffen). Im Jahre 1390 wurde sie auf 22 (11 und 11) und 1400 und 1410 auf 21 Personen (10 und 11) vergro¨ßert. Gema¨ß dem in Breslau angenommenen Wahlsystem wechselte die Gremienzusammensetzung jedes Jahr, und ihre Mitglieder saßen in der Regel in beiden Kollegien abwechselnd. 27 Wahrscheinlich bei seinem Vater.

124

1410

´ Mateusz Golinski

Pulus Stewbe (R. 7) Johannes Cunrat (R. 22) Johannes Saxonis (R. 58) Jeschko Dominici (R. 30?) Johannes Beyr (R. 19) Johannes Zydenberg (R. 3) Dytwinus Dumelos (R. 52) Johannes Rote (R. 32) Johannes Dominici (R. 1628) Allexius Zachse (R. 60)

11:10

52,4 %

Allexius Saxonis (R. 60) Mathias Jenkewicz (R. 1) Nicolaus Steynkeler (R. 28) Henricus Schurgast (R. 44 o¨stl.) Jacobus Nigri (R. 6) Balthazar Beyr (R. 19)

6:15

28,6 %

gewa¨hlten Beispiele allerdings wegen betra¨chtlicher Lu¨cken, die unsere Rekonstruktionen fu¨r die ersten zwanzig und (zeitweise) fu¨r die letzten zehn Jahre des Untersuchungszeitraums aufweisen, auf jene Momente beschra¨nken, fu¨r die eine solche Analyse als vollsta¨ndig angesehen werden kann. Die Konzentration der Eliten am Ringplatz unterlag im Verlauf der untersuchten fu¨nfzig Jahre wesentlichen Vera¨nderungen. Eine la¨ngere Phase der Stabilita¨t und geringer Zunahme, in der etwa ein Drittel der regierenden Elite am Ring wohnte, deckte sich mit jenem Zeitabschnitt, in dem der Rat in der fu¨r Breslau traditionellen ¨ brigen die Anha¨uachtko¨pfigen Zusammensetzung agierte. In dieser Zeit stellte im U fung des „Patriziats“ in der St.-Albrecht-Gasse eine ernsthafte „Konkurrenz“ fu¨r den Ringplatz dar (was, wie es scheint, in einer fru¨heren Phase wohl noch sta¨rker der Fall war). Als die sozialen Spannungen – der „Kampf der Zu¨nfte“, wie sie in der deutschen historiografischen Tradition genannt wurden – gegen Ende des 14. Jahrhunderts eine voru¨bergehende zahlenma¨ßige Vergro¨ßerung des Rates erzwangen, begann eine Zeit der Schwankungen, deren Dynamik dem Zusammenhang mit gewissen sozio-topografischen Vera¨nderungen zu widersprechen scheint. Denn zuerst stellte sich heraus, dass u¨ber die Ha¨lfte der regierenden Gruppe ihre Wohnsitze am Ringplatz hatte, und als dieser Zustand nach einem weiteren Jahrzehnt schon stabil geworden zu sein schien, kam es zu einem scharfen Abbruch dieser Tendenz – nun wohnte nur noch weniger als ein Drittel der Ratsherren und Scho¨ffen am Ringplatz. Mit weiterreichenden Schlussfolgerungen sollten wir freilich noch so lange warten, bis auch die Entwicklung der Besitzverha¨ltnisse am Ringplatz fu¨r die darauffolgenden Jahrzehnte genauer untersucht ist. Die Eigentumsgeschichte bestimmter Grundstu¨cke zeigt wiederholt, dass der politische Aufstieg – die Wahl ins Rathaus – mit einem Aufstieg auf materiellem oder

28 Eventuell Ringplatz 30.

Zur Dynamik der Besitzverha¨ltnisse am Breslauer Ringplatz in den Jahren 1345 bis 1420

125

vielleicht symbolischem Gebiet verbunden war, was im Erwerb einer entsprechenden Residenz am Ringplatz zum Ausdruck kam. Im Untersuchungszeitraum lassen sich 65 Fa¨lle des Kaufes eines zum eigenen Wohnsitz bestimmten Grundstu¨cks am Ringplatz durch einen ehemaligen, aktuellen oder ku¨nftigen Ratsherren oder Scho¨ffen nachweisen. Dabei bestand in 37 Fa¨llen kein erkennbarer unmittelbarer Zusam¨ bernahme des jeweilimenhang zwischen dem Erwerbsdatum und dem Beginn der U gen Amtes, wa¨hrend in 13 Fa¨llen der soziale bzw. politische Aufstieg und der Ankauf fast gleichzeitig erfolgten, so dass sich zumindest in diesen Fa¨llen ein solcher Zusammenhang aufdra¨ngt.29 Fu¨r die u¨brigen 15 Fa¨lle fehlen genaue Angaben zum Zeitpunkt des Immobilienerwerbs. Ein nachweislich unerla¨sslicher Bestandteil der jeweiligen Karriere wurde der Kauf eines am Ringplatz gelegenen Hauses fu¨r Hans Seidenberg, Nicolaus Merboth, Hanke Verber, Kunze Steinkeller, Hans Dominik von Wirrwitz, ¨ lteren, Nicolaus Scho¨nhals, Hans von Sitten (von der Sittow), Peter Jonsdorf den A Paul Kursner (von Bartuschow), Nicolaus Ferkil, Michael Sarwochter, Andreas Peiserer und Nicolaus Strehlen. Die Genannten bildeten ein Viertel (26 %) der Gruppe, die wir in dieser Hinsicht analysieren ko¨nnen. Dazu ko¨nnten noch einige weitere Personen geza¨hlt werden, die etwa zwei Jahre nach ihrem Umzug an den Ringplatz auch noch einen Platz im Rathaus erhielten. Der beschriebene Mechanismus bzw. Zusammenhang zwischen dem Erfordernis einer Repra¨sentation durch Grundbesitz und der Manifestation des soeben erreichten politischen Potentials oder der entsprechenden Ambitionen, ha¨tte bei denjenigen Ratsherren und Scho¨ffen eigentlich nicht in Erscheinung treten du¨rfen, denen das Schicksal selbst durch einen Erbfall (oder durch Einheiratung) eine Residenz am Ringplatz zugespielt hatte. Das betraf immerhin eine ¨ bernahme der ganzen oder zumindest der weitere Gruppe von 29 Personen. Da die U Ha¨lfte der ererbten Immobilie gewo¨hnlich mit einer Auszahlung der u¨brigen Erben bzw. mit einem oft langja¨hrigen, heiklen Abkauf ihrer Anteile verbunden war, fa¨llt es heute schwer, diejenigen Aktivita¨ten, die in solchen Situationen eine Notwendigkeit (eine Pflicht) darstellten, von solchen zu unterscheiden, die aus bewusstem Stre¨ bernahme des fraglichen Grundstu¨cks gerade auf diesem Wege erfolgten. ben nach U Schließlich ko¨nnen wir diese anderen Absichten potentiell so manchem vorsorglichen Schwiegersohn oder Sohn eines Grundstu¨ckseigentu¨mer am Ringplatz unterstellen, der seine Ambitionen auf eine a¨hnliche Weise manifestieren wollte wie die oben genannten Ratsherren. Obwohl wir also in dieser zweiten Gruppe fu¨r die u¨ber¨ bereinstimmung zwischen wiegende Mehrheit der Fa¨lle (23) keine unmittelbare U dem Zeitpunkt des Erbfalles (oder des Ankaufs) eines Grundstu¨cks am Ringplatz und dem ersten Aufstieg ins Rathaus feststellen ko¨nnen, u¨berrascht das Auftreten von fu¨nf Fa¨llen keineswegs, in denen das Haus am Ringplatz und der Sitz im Rathaus oder im Scho¨ffengericht ungefa¨hr gleichzeitig erlangt wurden oder die Wahl nicht fru¨her ¨ bernahme des Grundstu¨ckes erfolgte (ein weiterer Fall entzieht als im Jahr vor der U sich der Untersuchung). Zu den oben erwa¨hnten Beispielen mu¨ssen als vermutliche Repra¨sentanten des hier vorgeschlagenen „gekoppelten“ Modells sozialen Aufstiegs also auch noch Jakob Schwarz, Hans Beyer (hinsichtlich seiner Ru¨ckkehr ins Rat29 Die Ha¨ufigkeit beider Reihenfolgen – zuerst Hauskauf und dann Aufstieg oder zuerst Aufstieg und

dann Hauskauf – war die gleiche.

126

´ Mateusz Golinski

haus), Peter Jonsdorf der Ju¨ngere, Arnold Fusel und Nicolaus Steinkeller hinzugeza¨hlt werden. Die Grenzen der soziotopografischen Einteilungen waren nicht stabil. Wir beob¨ bernahme eines achten Fa¨lle, in denen hochgestellte Kreise des Bu¨rgertums auf U vorher von Handwerkern besessenen Grundstu¨ckes dra¨ngten (seit 1409 Wechsel des Eigentu¨merstatus Ringplatz 37), aber auch das umgekehrte Pha¨nomen, dass ho¨here Kreise das Interesse an einem engen Bu¨rgerhaus verloren und dieses dann von Handwerkern u¨bernommen wurde (Ringplatz 50 seit 1398). Vor allem aber gewann die ¨ bererste der signalisierten Tendenzen im Untersuchungszeitraum kein deutliches U gewicht u¨ber die anderen, so dass in der Gesamtbilanz das Verha¨ltnis zwischen der Zahl der Vertreter der kaufma¨nnischen Elite und dem Ha¨user am Ringplatz besitzenden „gemeinen Volk“ keinen drastischen Vera¨nderungen unterlag. Dagegen nahm die Pra¨senz von Vertretern der „Mittelschichten“ zu (aber das ist eine intuitive, nicht auf Zahlenangaben gestu¨tzte Beobachtung). Sie besetzten, wie es scheint, einen Teil des fru¨heren Besitzes der a¨rmeren Zunft, ohne diese unbedingt zu unterstu¨tzen (die Handwerker waren meistens Mieter). Einen kleinen Beitrag zur Aufhellung der sozialen Stratifizierung der Ringplatzbewohner bietet der Umstand, dass einzelne der Grundstu¨ckseigentu¨mer am Ringplatz fu¨r die Erhebung der Steuern in ihrem Quartier (Quaternus = eine polizeiliche und fiskalische Gliederungseinheit der Stadt) zusta¨ndig waren. Diejenigen Vertreter der „Elite des gemeinen Volkes“, die sich eines besonderen gesellschaftlichen Vertrauens erfreuten, wohnten meistens an der no¨rdlichen Ringzeile. In den Jahren 1386/87 wohnten dort vier von ihnen (Ringplatz 43, 49, 55 und 56), an der „kaufma¨nnischen“ Su¨dzeile dagegen keiner. An der westlichen Ringzeile waren sie nur auf kleinen Grundstu¨cken in der Na¨he der Ecke zum Salzmarkt pra¨sent (zwei: Ringplatz 10 und 11), und an der Ostzeile finden wir nur einen (Ringplatz 33 Nord) und dann noch einen zweiten in der Na¨he (Hu¨hnermarkt 4). Dort, wo regelma¨ßig die Handwerker bestimmter Spezialrichtungen in Erscheinung traten – sowohl unter den Eigentu¨mern als auch unter den stichprobenartig fassbaren Mietern (Pa¨chtern, Bewohnern der Hinterha¨user) –, kann nicht von einer traditionellen beruflichen Charakteristik der Gegend gesprochen werden, weil sie ganz einfach keine (oder die nicht mehr?) dominierende oder geschlossene Gruppe bildeten (z. B. die Schuster an der Schuhbru¨cke oder sogar die Kaufleute an der westlichen und su¨dlichen Ringzeile) und auch zahlenma¨ßig entschieden hinter den Vertretern aller mo¨glichen Berufe zuru¨ckstanden, mit denen sie vermischt lebten. Dennoch ko¨nnen wir, dem Namen des Ortes „Unter den Huterlauben“ entsprechend, im Nordabschnitt der Ostzeile von einem gruppenhaften Auftreten der Hutmacher und in einem fru¨heren Zeitraum (bis 1360) vielleicht auch der Glaser sprechen. An der Nordzeile spiegelte der im dritten Viertel des 14. Jahrhunderts verschwundene Name „Unter den Leinwandlauben“ nicht die Spezifik des Ostabschnittes wider – regelma¨ßig begegnen wir dort Goldschmieden, Riemern und Sattlern. Dagegen scheint die verschwundene Bezeichnung des Westabschnittes „Unter den Sattlern“ unserem Wissen zu entsprechen – denn tatsa¨chlich wohnte dort bis in die sechziger Jahre des 14. Jahrhunderts eine Gruppe von Sattlern. Nicht ohne Einfluss auf den beruflichen Querschnitt der Bewohner des Ringplatzes blieb auch die Nachbarschaft einer starken Ansammlung von Metallberufen an der Einmu¨ndung der Schmiedegasse sowie von Ku¨rschnern in

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Abb. 4: Verteilung der gema¨ß Steuerverzeichnis von 1403–1404 in der niederen Steuerklasse veranlagten Grundstu¨ckseigner am Ringplatz (= X)

der Ku¨rschnergasse. Zur Absorbierung von hinteren Grundstu¨cke in der Nadlergasse durch Grundstu¨cke in der no¨rdlichen Ringzeile mag es in jener Zeit gekommen sein, als Vertreter der urspru¨nglich fu¨r diese Gegend typischen, mit der Knochen- und Hornverarbeitung verbundenen Berufe (Kammmacher) am fru¨hesten unter den Mietern in Erscheinung traten. Am nachdru¨cklichsten zeugen die Steuerregister von der sozialen Stratifikation der Eigentu¨mer. Abbildung 6 illustriert das sich aus dem Verzeichnis fu¨r die Jahre 1403/04 ergebende Bild: Diejenigen Parzellen sind mit einem × bezeichnet, deren Eigentu¨mer nach diesem Register der so genannten niederen Steuerklasse angeho¨rten und den ihre Ha¨user besuchenden Steuereintreibern einen Schoss in Ho¨he bis zu einer halben Mark zahlten.30 30 Wrocławskie ksi˛egi (wie Anm. 7), K 8–1. 120–121; K 8–2. 109, 111–112, 120–122, 126, 128, 132, 135,

139; K 8–4. 171, 175, 178, 182–193, 184.

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´ Mateusz Golinski

Hier erhalten wir das genaue Gegenbild zu der in Abbildung 5 erfassten Situation, die die regierende Gruppe betraf, die zum gro¨ßten Teil der ho¨heren Steuerklasse angeho¨rte (und ihren ho¨heren Schoss perso¨nlich im Rathaus entrichtete), im Augenblick ¨ bernahme eines Ratsamtes aber von der Steuerzahlung befreit wurde. Es zeigt der U sich, dass es diese Gruppe war, die an der Schwelle zum 15. Jahrhundert ganz und gar im Besitz der Grundstu¨cke an der Su¨dzeile und des gro¨ßten Teils der Westzeile war. Die relativ a¨rmeren Bu¨rger – auch wenn sie die absolute Mehrheit der Schosszahler in Breslau bildeten (scha¨tzungsweise u¨ber 90 %)31 – pachteten etwas mehr als die Ha¨lfte der Parzellen an der Nordzeile sowie im no¨rdlichen Abschnitt der Ostzeile. Diese Gliederung entspricht einerseits vo¨llig unseren Vermutungen, die sich auf die bisherigen soziotopografischen Erkenntnisse stu¨tzen,32 u¨berrascht andererseits jedoch auch etwas, weil sie auf eine viel sta¨rkere Nuancierung der sozialen und besitzlichen Situation im Zentrum der Stadt verweist als dies ein vereinfachtes Schema erfassen ko¨nnte. Denn die Stratifizierung des Bu¨rgertums beschra¨nkte sich keineswegs auf den Gegensatz zwischen den Handwerkern und der Geld- und Machtelite. Auch ein wohlhabender, aber politisch nicht privilegierter Teil des Bu¨rgertums – kleine Kaufleute, so genannte reiche Kra¨mer oder Personen mit nicht identifizierten beruflichen Funktionen, die im allgemeinen in der Zunft der Kra¨mer organisiert waren (d. h. die Eigentu¨mer von Grundstu¨cken mit Braurecht) – dra¨ngten ebenfalls an den wichtigsten Platz der Stadt. Eine geringfu¨gige Verzerrung des pra¨sentierten Bildes wird durch Ha¨user bewirkt, deren Eigentu¨mer in einer anderen Stadt lebten (z. B. Ringplatz 59). Leider bleiben ihre Bewohner wie auch alle anderen Bewohner und Mieter der Bu¨rgerha¨user, Seiten- und Hinterha¨user oder „Keller“ außerhalb unserer Kenntnisse. Die einzigen Quellen, die wenigstens zu jenem Teil von ihnen, der getrennte Hauswirtschaften bildete, regelma¨ßig Auskunft geben – das sind gerade einmal zwei Steuerregister – ermo¨glichen nur fu¨r ausgewa¨hlte Personen eine pra¨zise Zuordnung zu konkreten Parzellen (die schwa¨chste Identifizierung betrifft die „elita¨re“ westliche und su¨dliche Ringzeile). Mehr noch, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ist keine Lokalisierung dieser Bewohner in einem bestimmten Teil des Raumes innerhalb der Parzelle (Front, Magazinbereich, Ru¨ckraum) mo¨glich, ganz zu schweigen davon, ihnen eine bestimmte Art von Objekt oder Ra¨umlichkeit zuordnen zu ko¨nnen. Unsere Vorstellungen von der Sozialstruktur der Gruppe der Nichtbesitzer bleiben also – von Details abgesehen – vo¨llig losgelo¨st vom Ort ihres Wohnsitzes. Die soziale Stratifizierung innerhalb des Grundstu¨ckes selbst wird – egal ob in horizontaler oder (mit Blick auf die Hausgeschosse) vertikaler Hinsicht – von den verfu¨gbaren Schriftquellen nicht erhellt. Der materielle und politische Status der Individuen war unbesta¨ndig, und es gab schließlich auch solche, deren Reichtum sich nicht unbedingt in den Abrechnungen mit dem Fiskus widerspiegelte. Von letzter Bemerkung ausgehend wollen wir die Situation an der o¨stlichen Ringzeile betrachten, an der die Eigentumsdifferenzen (und

31 Vgl. Golinski, ´ Socjotopografia (wie Anm. 12), S. 309, 329. 32 Ebd., S. 19, 21, 328f.

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damit auch die steuerlichen) aufgrund des gegensa¨tzlichen Charakters der Su¨d- und der Nordzeile am sta¨rksten sein sollten. Tabelle 2 verzeichnet Angaben u¨ber die Ho¨he des von den dortigen Eigentu¨mern im Jahre 1374 gezahlten Schosses auf Immobilien (gema¨ß der Fla¨che der Parzelle) sowie auf Sachen, der den Wert der beweglichen Gu¨ter, Waren, Kapitalanlagen und Zinsen u¨ber die Schwellenwerte der Steuerbefreiung hinaus widerspiegelt.33 Hinter dem in den Quellen vorkommenden Begriff taberna verbirgt sich hier das Privileg Bier zu brauen. Tab. 2: Besteuerung der Hauseigentu¨mer an der o¨stlichen Ringzeile 1374 Grundstu¨ckNr.

Eigentu¨mer

Immobiliensteuer

Mobiliensteuer

29 30 31 32 33 su¨dl.

Hanke Cromer [Hanco Dominici, Ratsherr] Nicze Swarot [Hans Rote] Johannes Malczmeler

11 [befreit] 9,5 Skot [fehlt] 7 Skot

von der Taverne 7 Schock

33 no¨rdl. 34 35 36 37 38 39 40/41

Johannes de Swidnicz Johannes Vusil Henricus Czucz Vlurich de Tochow Petir Nymandis [Hutmacher] Dobelin Schneider Wolfhart Petrs Sybot de Lignicz

2,5, Skot 4,375 Skot 1,875 Skot 2,5 Skot 2,5 Skot 5 Skot 5,5 Skot 9,5 Skot

von der Taverne 8 Skot von der Taverne 8 Skot + Mutter 1 + Bruder 6 und vom Kram 4 Skot 8 Skot 7 4 12? und von der Taverne 6 und von der Taverne 7 und von der Taverne 7

Quelle: Schoßbuch der Stadt Breslau von 1374 (vgl. Anm. 7)

Wie sich zeigt, hat die erwartete Differenzierung auf dem Gebiet der Eigentumsbesteuerung u¨berhaupt nicht stattgefunden. Die Eigentu¨mer großer und teurer Grundstu¨cke zahlten aufgrund der beweglichen Bestandteile ihres Besitzes und ihrer Rechte fast die gleichen Abgaben wie ihre (wie wir aus anderen Quellen wissen, zweifellos a¨rmeren) Mitbu¨rger, die kleinere Parzellen besaßen. An der Aussagekraft dieser Beobachtung – die gleichsam einen Teil des sachlichen Wertes der Quelle desavouiert – a¨ndert auch die Vermutung nichts, dass den Handwerkern zur Steuer „auf Sachen“ hier noch Leistungen de opere hinzugefu¨gt wurden – auf den ausgeu¨bten Beruf, so wie sie im Falle der „Schankwirte“ und des Kra¨mers dann auch tatsa¨chlich hinzugefu¨gt wurden. Wu¨rde also die Differenzierung bei der Ho¨he der gezahlten Steuern nicht durch die Disproportionen in der Fla¨chengro¨ße der Parzellen diktiert, dann wu¨rden die Lasten zugunsten der Gemeinde sowohl bei den wohlhabenderen als auch den a¨rmeren Bu¨rgern viel ausgeglichener sein! Das Problem kann noch

33 Wrocławskie ksi˛egi (wie Anm. 7), S. 55f.; zu den Gegensta¨nden und Prinzipien der Besteuerung ebd.,

S. 7–11.

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´ Mateusz Golinski

von einer anderen Seite aus betrachtet werden. Die Ho¨he der Immobiliensteuer hing auch von der Lage ab. Wie unsere Untersuchungen ergeben haben, lag der Steuersatz (der Schoss) am Ringplatz zweimal ho¨her als im u¨brigen Stadtgebiet – die Fiskalgrenze verlief mitten durch die Tiefe der Blo¨cke am Ringplatz. Daher nahmen diejenigen, die sich fu¨r den Erwerb und Unterhalt eines Grundstu¨cks gerade hier entschieden, ganz bewusst eine doppelt so hohe Steuerlast auf sich. Dafu¨r muss es ausdru¨ckliche o¨konomische Gru¨nde gegeben haben, die sich jedoch unserer Kenntnis entziehen. Denn die oben pra¨sentierte Argumentation hinsichtlich des Bedu¨rfnisses nach Repra¨sentation besonders bei neuen Vertretern der kaufma¨nnischen Elite, die ihre Karriere im Rathaus mit dem Kauf eines angemessenen Hauses begannen, kann schwerlich auf die niederen Schichten u¨bertragen werden. Lassen wir einmal mo¨glicherweise u¨berschießende Ambitionen außer Betracht, wie sie sich vielleicht noch der ein oder andere Vertreter der oberen Mittelschicht geleistet haben mochte, mussten die u¨brigen Eigentu¨mer, darunter Personen, die u¨ber keine in Renten angelegten Kapitalu¨berschu¨sse verfu¨gten oder zumindest einen Verdienst im Handwerksbereich deklarierten, fu¨r ihren Grundbesitz am Ringplatz gut kalkulieren. Die Frage kann in Zukunft vielleicht mit Hilfe eines Vergleiches der Immobilienpreise am Ringplatz mit jenen in anderen Stadtteilen eingehender gekla¨rt werden; leider sind letztere in den Breslauer Quellen nur sehr schwach belegt. Weiterfu¨hren ko¨nnte auch ein a¨hnlicher Vergleich bezu¨glich der Verallgemeinerbarkeit des am Ringplatz beobachteten Pha¨nomens eines kurzzeitigen Immobilienerwerbs durch Bu¨rger aus anderen Sta¨dten, die in Breslau kaufma¨nnische Gescha¨fte betrieben (Peschko Reichebeme – Ringplatz 16, Wenzel Sachenkirche – Ringplatz 29; jene Auswa¨rtigen, die in Breslau das Bu¨rgerecht erwarben, nicht mitgerechnet).

IV. Die Grundstu¨cke

Die Annahme eines Zusammenhanges zwischen der Parzellengro¨ße und ihrem Besitz durch reiche Kaufleute wird von der erforschten Besitzgeschichte einzelner Grundstu¨cke vollauf besta¨tigt. Das gilt besonders fu¨r jene Parzellen, die durch Annexion der ru¨ckwa¨rtigen Grundstu¨cke verdoppelt oder mindestens um einen Streifen erweitert wurden, der eine bequeme Durchfahrt nach hinten ermo¨glichte. Am offensichtlichsten trat dieser Zusammenhang in der su¨dlichen Ringzeile in Erscheinung, wo er fu¨r Grundstu¨cke begegnet, deren Nutzung durch Fernhandel treibende Kaufleuten zur Herausbildung der von den Architekturhistorikern beschriebenen so genannten „Passagen“ fu¨hrte. Als vo¨llig neue Entdeckung erwies sich die weit fortgeschrittene Querparzellierung einiger Eckgrundstu¨cke, die wir noch in die Phase der Holzbebauung zuru¨ckfu¨hren. Zu solchen Teilungen kam es zweifellos an der Ecke Ringplatz/Schmiedegasse (Ringplatz 42 und ru¨ckwa¨rtiges Grundstu¨ck) sowie an der Ecke zum Salzmarkt hin (ru¨ckwa¨rtige Grundstu¨cke Ringplatz 11 und 12). Ein damit verwandtes Pha¨nomen bildete die gleich hinter der Ecke (d. h. hinter Ringplatz 29) in der Ku¨rschnergasse (heute ul. Oławska) erfolgte Parzellierung sowie die spa¨te, sekunda¨re

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Parzellierung der Nordzeile des Hu¨hnermarktes (1370/72). Die Abtrennung kleiner und nicht sehr tiefer Parzellen war in hohem Maße, aber nicht ausschließlich, ¨ bergang an Vertreter bedeutend weniger vermo¨gender Schichten vermit ihrem U bunden, die gegenu¨ber den oben erwa¨hnten Kaufleuten den entgegengesetzten Pol in der Besitzstratifikation der Gruppe der Hauseigentu¨mer am Ringplatz bildeten. Selbstversta¨ndlich stellte diese Schicht im Maßstab der gesamten Stadt keine „Unterschicht“ dar, sondern geho¨rte eher zum „unteren Mittelstand“. Die Analyse der Eintragungen der Scho¨ffenbu¨cher hat auch Licht auf ein bislang nicht bekanntes Pha¨nomen geworfen: die Trennung des Grundeigentums von dem auf ihm stehenden gebude, wie im zweiten und dritten Viertel des 14. Jahrhunderts die zur Verpachtung oder Vermietung bestimmten Wohnha¨user genannt wurden.34 Eine derartige Zweistufigkeit tritt im Quellenmaterial am besten fu¨r die Eckgrundstu¨cke Ringplatz 40/41 und 42 hervor; am wenigsten fu¨r das Grundstu¨ck Ringplatz 11 sowie in der Ku¨rschnergasse auf dem mit dem Grundstu¨ck Ringplatz 30 verbundenen Grundstu¨ck. Bei einem gebude konnte es sich auch um gemauerte, teils sogar (zumindest im Erdgeschoss des Hauses am Ringplatz 40/41) aus dem 13. Jahrhundert stammende Objekte handeln; was hier za¨hlte, war also ihr Status und nicht ihre Form. ¨ berraschung stellte der ermittelte Umstand dar, dass ein gebude mitEine gewisse U unter von seinem ku¨nftigen Mieter oder Pa¨chter selbst errichtet wurde (Ringplatz 39, 40/41), wobei es vorkam, dass dies nicht einmal fu¨r ihn selbst, sondern bewusst zur Weitervermietung geschah (z. B. Ringplatz 40/41). Neben dem gebude gab es im Falle zweier Eckgrundstu¨cke in der fru¨hesten Etappe des Untersuchungszeitraums noch Kramla¨den: Ringplatz 42 im Jahre 1345 und Ringplatz 40/41 in 1353. Leider ist dies die einzige Spur dafu¨r, dass am Ringplatz im Widerspruch zur allgemein beachteten Norm, Handelsgeba¨ude auf privaten Wohnparzellen errichtet wurden. Doch werden diese Beobachtungen durch die Ergebnisse architekturhistorischer Untersuchungen ¨ berresten der Steinbauten in gewissem Umfang besta¨tigt. Mindestens einer an den U der oben erwa¨hnten Kramla¨den kann im Lichte der architekturhistorischen Erkenntnisse kein gesondertes Objekt gewesen sein (Ringplatz 41). Aus den Schriftquellen haben wir auch Kenntnis von bisher unbekannten Investitionen wohlhabender Stadtbu¨rger in Form des Grundstu¨ckserwerbs an der o¨stlichen und seltener auch an der no¨rdlichen Ringzeile, der ganz unabha¨ngig von der Lage ihres eigenen Wohnsitzes war. Zum Beispiel erwarb Nicolaus Banz das Grundstu¨ck (heute) Ringplatz 42, Petze Schwarz Ringplatz 39, Hanke Dominik u¨bernahm neben der Ausdehnung seines Grundstu¨cks nach hinten und zur Seite ein Grundstu¨ck Ringplatz 39. Eine von Petze Schwarz, Hanke Dominik und Petze Beyer gebildete Gesellschaft u¨bernahm die Grundstu¨cke Ringplatz 39 und 40/41; ebendort wirkte fru¨her Tylon Schreiber und Nicolaus von Neisse. Allerdings waren diese Investitionen nicht von langer Dauer, so dass sich bestimmte Adressen wiederholen konnten. Vor allem bildeten sie nur einen Aspekt der allgemeinen Tendenz zur Konzentration von

34 In unserer, den hier vorgestellten Analysen zugrunde liegenden Datenbank wiederholt sich dieser

Begriff in der Zeit vor 1380 130 mal, wa¨hrend er spa¨ter ho¨chstens noch sporadisch begegnet.

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Eigentum beim Vorhandensein vieler Immobilien, darunter solchen, die ausdru¨cklich zur Vermietung an Angeho¨rige niederer Schichten bestimmt und dementsprechend angepasst waren (insbesondere in der „a¨ußeren Stadt“ in der Weidengasse, Taschengasse, Groschengasse und Hundegasse). Eine verbreitete und stabile Einnahmequelle wohlhabender Grundstu¨ckseigentu¨mer waren zur Vermietung bestimmte Ha¨user in der Tiefe oder im ru¨ckwa¨rtigen Gela¨nde ihres Grundstu¨ckes. Die Chronologie des Auftretens von – wo¨rtlich – „Mietsha¨usern“ (mithewser) auf Grundstu¨cken am Ringplatz gestaltete sich wie folgt: Ringplatz 46 West – im Jahre 1369, Ringplatz 58 (Odergasse 1) – 1382, Ringplatz 43 – 1402, Ringplatz 33 Su¨d (Hu¨hnermarkt) – 1408, Ringplatz 3 (Nikolaigasse 79) – 1418, Ringplatz 30 (Schuhbru¨cke oder Ohlauer Gasse) – 1420. Die angegebenen Jahreszahlen bezeichnen dabei nicht den Zeitpunkt der Errichtung dieser Objekte (der gewo¨hnlich schwer feststellbar ist), son¨ bernahme des zitierten Begriffes in die Sprache ihrer Eigentu¨mer. Obwohl dern die U das Wort mittehus in Breslau schon seit langem in Gebrauch war (der erste bekannte Fall stammt aus dem Jahre 1348),35 verbreitete er sich im eigentlichen Zentrum erst im 15. Jahrhundert und wurde zumeist nicht so sehr auf die Ha¨user im ru¨ckwa¨rtigen Grundstu¨cksbereich bezogen (wo ganz einfach ein hindirhus, hindirste steinhus lokalisiert war),36 sondern auf die an der Seite (an der jeweiligen zum Ringplatz fu¨hrenden Straße) gelegenen Objekte. ¨ bereinstimDie sich aus unserer Analyse im Großen und Ganzen ergebende U mung der aus den schriftlichen und materiellen Quellen gewonnenen Interpretationen kann in erster Linie als Ergebnis des enormen Fortschritts angesehen werden, den die Breslauer Architekturgeschichte und Urbanistik in den letzten Jahrzehnten gemacht hat. Ohne den Umfang und die Genauigkeit dieser Forschungen wu¨rden die vom Historiker aus den Scho¨ffenbu¨chern und anderen Schriftquellen gewonnenen Angaben in der Luft ha¨ngen. Im Kontext der architekturhistorischen und urbanistischen Forschungen besta¨tigen sie aber die Richtigkeit der a¨lteren Erkenntnisse und Schlussfolgerungen, die sie lediglich erga¨nzen und sporadisch korrigieren. So gelang es uns, den Zeitpunkt des Auftretens einer gemauerten Bebauung fu¨r eine verha¨ltnisma¨ßig geringe Zahl von Grundstu¨cken zu konkretisieren; denn ein Teil von ihnen erhielt eine Steinbebauung bereits zu einem Zeitpunkt, fu¨r den sie architekturhistorisch noch nicht ermittelt werden kann. Im Falle des Hauses Ringplatz 13 war dies das Jahr 1367, Ringplatz 18 – 1369 (?), im Fall der „Westplombe“ Ringplatz 22 – vor 1365, Ringplatz 39 – 1371/76 (?) anstelle eines nicht na¨her bestimmten Geba¨udes von vor 1350, Ringplatz 42 – um 1374, Ringplatz 44 West – vor 1369, Ringplatz 46 West – 1372, Ringplatz 47 – 1372, Ringplatz 51 – 1373 (?) und in der Odergasse 1 – 1379. Dieses Bild erga¨nzen Belege fu¨r den Ausbau a¨lterer Objekte, z. B. Ringplatz 20/21 – nach 35 Archiwum Panstwowe ´ (wie Anm. 4), G 1, 1, K. 78v; weitere Beispiele aus den Jahren 1357–1358: ebd.

G 1, 2, K. 20, 28, 36v–37, 46v. 36 Die Verbreitung des Begriffs „Hinterhaus“ geschah verha¨ltnisma¨ßig spa¨t. In Bezug auf einen Besitz am

Ringplatz wurde er erstmals im Jahre 1391 verwendet, auch wenn in der St.-Albrecht-Gasse schon 1366 ´ von hindirste huschin die Rede war; Archiwum Panstwowe (wie Anm. 4), G 1, 7, K. 10; G 1, 2, K. 345. Der uns interessierenden Pra¨zisierung begegnen wir im Jahre 1391 aus Anlass eines nicht na¨her lokalisierten Hauses (haus), das zusammen mit vorhuze und hindirhauze verstanden wurde, ebd. G 1, 7, K. 25v.

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1365, Ringplatz 27 – 1366/69, Ringplatz 29 – nach 1377, Ringplatz 58 ru¨ckwa¨rtiger Bereich – 1371. Diese Angaben belegen eindeutig, dass der Ho¨hepunkt der intensiven Bauta¨tigkeit – innerhalb der so genannten gotischen Phase – im Fall von drei Ringplatzzeilen (Su¨d-, Ost- und Nordzeile) exakt in die sechziger und siebziger Jahre des 14. Jahrhunderts fiel. Die Ausfu¨llung der letzten Lu¨cken in den geschlossenen Zeilenreihen, die sich am la¨ngsten in der Nordzeile hielten, erfolgte im Laufe der siebziger Jahre des 14. Jahrhunderts, d. h. um mehr als ein Dutzend Jahre nach Erlass der Willku¨r vom 26. August 1363, die den Wiederaufbau der niedergebrannten Holzha¨user am Ringplatz in gemauerter Form anordnete.37 Der Brand selbst und der anschließende Wiederaufbau haben in den von uns ausgewerteten Schriftquellen interessanterweise u¨berhaupt keine Widerspiegelung gefunden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es den Stadtva¨tern mit der besagten Willku¨r gar nicht um die Bewa¨ltigung der Folgen einer konkreten Brandkatastrophe ging,38 sondern um sukzessive Handlungen, die auch in Zukunft nach unvermeidlichen Ereignissen eintreten sollten. Einer nachbarschaftlichen Regelung bedurften ha¨ufig die in der Literatur bereits behandelten Fragen der Ru¨ckerstattung von Baukosten und die Erlaubnis zur Nutzung gemeinsamer Grenzmauern, die Anlegung von Rinnen und deren Benutzung, die Ausrichtung des Wasserabflusses von der Dachtraufe sowie allgemein die Ableitung des Regenwassers und der Abwa¨sser.39 Verha¨ltnisma¨ßig selten gehen damit Pra¨zisierungen einher, die das Ausstemmen von Mauero¨ffnungen erlaubten bzw. ausschlossen, wobei ausdru¨cklich die darin liegenden Gewo¨lbestu¨tzen und Mauernischen, so genannte Almarien (Ringplatz 2 und 19), sowie die auf den Hof des Nachbarn hinausgehenden Fenster genannt werden; die Nutzung letzterer war vom guten Willen des Nachbarn abha¨ngig (Ringplatz 10, 25, 28, 51). Interessant erscheinen Eintragungen, die den auf den Wa¨nden des Nachbarhauses ruhenden „Giebel“ betrafen.

37 Breslauer Urkundenbuch (wie Anm. 19) Nr. 238: decretum est per dominos consules, iuratos et seniores,

quod omnes domus lignee post combustionem, in circulo situate debent lateribus uel lapidibus reedificari sine omni renitencia. Vgl. hierzu Małgorzata Chorowska/Czesław Lasota, Die steinerne Bebauung der Ring- und Straßenzeilen im mittelalterlichen Breslau, in diesem Band, S. 77–105, hier S. 93: „Das massenhafte Auftreten von Ha¨usern der zweiten Generation um den Ringplatz kann mit der im Jahre 1363 vom Stadtrat erlassenen Willku¨r in Zusammenhang gebracht werden. Diese ordnete an, die hier einem Brand zum Opfer gefallenen Holzha¨user unter Verwendung von Ziegeln und Steinen ohne jeglichen Widerspruch neu zu errichten.“ 38 Vgl. Marek L. Wo ˙ ´ jcik, Chwile strachu i trwogi. Kl˛eski zywiołowe, konflikty zbrojne i tumulty w s´ redniowiecznym Wrocławiu [Augenblicke der Angst und Bangnis. Naturkatastrophen, bewaffnete Konflikte und Tumulte im mittelalterlichen Breslau], Racibo´rz 2008, S. 49–55. 39 Vgl. Breslauer Urkundenbuch (wie Anm. 19), Nr. 306 (Breslauer Bauvorschriften von 1377); Małgo´ ´ rzata Chorowska, Sredniowieczna kamienica mieszczanska we Wrocławiu [Das mittelalterliche bu¨r´ gerliche Wohnhaus in Breslau], Wrocław 1994, S. 77; Sowina, Sredniowieczna działka (wie Anm. 20), S. 325f.; Dies., Sasiedztwo ˛ a infrastruktura miejska w XV–XVI wieku (przyczynek do badan´ nad rola˛ wody w przestrzeni sasiedzkiej) ˛ [Nachbarschaft und sta¨dtische Infrastruktur im 15. – 16. Jahrhundert (Ein Beitrag zur Untersuchung der Rolle des Wassers im nachbarschaftlichen Raum)], in: Studia nad ´ dziejami miast i mieszczanstwa w s´ redniowieczu, Bd. 1, Torun´ 1996, S. 219–227; Mateusz Golinski, ´ Mur i s´ ciana w s´ widnickich układach sasiedzkich ˛ [Mauer und Wand in den Schweidnitzer Nachbarschaftsbeziehungen], in: Budownictwo i budowniczowie w przeszło´sci. Studia dedykowane Profesorowi Tadeuszowi Poklewskiemu w siedemdziesiat˛ a˛ rocznic˛e urodzin, hg. v. Andrzej Abramowicz, Ło´dz´ 2002, S. 173–184.

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Sie vermitteln eine gewisse Vorstellung vom a¨ußeren Aussehen einiger Bu¨rgerha¨user, etwa von ihrer traufsta¨ndigen Ausrichtung (Wurstgasse 3, Ringplatz 18 und vielleicht 17; Hinterha¨user zu Ringplatz 20/21 und 22, Ringplatz 44 Westgrundstu¨ck, Ringplatz 52 und vielleicht 51).40 Ein in den Eintra¨gen der Scho¨ffenbu¨cher wiederholt begegnendes Pha¨nomen stellen ra¨tselhafte „Stuben“ (stoben) dar (im Bereich der Grundstu¨cke Ringplatz 8, 15, 20/21, 22 oder 23, 28, 30, 44, 51, am Hu¨hnermarkt hinter Ringplatz 33). Sie stellten in ihrer Mehrheit, anders als ihr Name suggeriert, ¨ hnlich mehrdeugar keine Ra¨umlichkeiten dar, sondern waren gesonderte Objekte. A tig erscheint der Begriff „Keller“, der ein gesondertes, vielleicht sogar freistehendes Objekt (z. B. Ringplatz 15 und 28 sowie in der Junkerngasse wohl hinter Ringplatz 25), aber auch vermietbare Wohnungen (Ringplatz 30 und Hu¨hnermarkt 2), tatsa¨chliche Keller (Ringplatz 37 und 48) oder einen unbekannten Bauko¨rper (Ringplatz 10) bezeichnen konnte. Im ru¨ckwa¨rtigen Grundstu¨cksbereich wurden wiederholt Sta¨lle (vgl. Ringplatz 10, 17, 22, 23, 29, 40/41, 47, 58) und Ku¨chen genannt (Ringplatz 10, 20/21, 51, 55 und 56, auch Ringplatz 33 Nord).41 Durchfahrten fu¨hrten von der Straße ins Hinter- oder Seitengela¨nde (der Begriff durchuart wurde im Scho¨ffenbuch seit 1346 verwendet).42 Relativ selten sind in den Scho¨ffenbu¨chern – wie im gesamten Breslauer Quellenmaterial – Hinweise, die die Lage oder gemeinsame Nutzung von Kloakengruben bzw. ganzer Abtritte betrafen. Fu¨r den Ringplatz fast ga¨nzlich unbeleuchtet bleiben ergrabene Brunnen, die aber auch in Bezug auf Grundstu¨cke in anderen Straßen nur sehr selten in den Quellen angesprochen werden. Deutlicher erkennbar werden dagegen Fragen der Wasserversorgung mit Rohrleitungen. Die Chronologie der ersten Erwa¨hnungen privater Wasserleitungsanschlu¨sse legt nahe, dass in den ru¨ckwa¨rtigen Grundstu¨cksbereichen dreier Ringplatzzeilen der Bau einer Wasserleitung fast gleichzeitig, na¨mlich innerhalb von etwa zehn Jahren erfolgte. Am fru¨hesten wurden die besagten Wasseranschlu¨sse fu¨r die Nordseite erwa¨hnt: am Ringplatz 55–56 zum Jahre 1384, am Ringplatz 57 zum Jahr 1391 und in der Nadlergasse 20 zum Jahr 1384 (wahrscheinlich ist dies u¨berhaupt die erste Erwa¨hnung einer Wasserleitung in Breslau).43 Fu¨r das Jahr 1387 sind Wasseranschlu¨sse auf der Westseite, Ringplatz 7, belegt, fu¨r das Jahr 1393 auf der Su¨dseite, Ringplatz 22–23. Dieses Leitungsnetz wurde anschließend weiter erga¨nzt (Schmiedegasse und Ringplatz 43–44 im Jahre 1410), doch finden sich zu Grundstu¨cken auf der Ostseite innerhalb unseres Untersuchungszeitraums keine sicheren Eintragungen. Am wichtigsten bleibt hier das Fehlen einer Verbindung zwischen der Installation dieser Wasseranschlu¨sse und der sozialen

40 Vgl. Chorowska, Sredniowieczna ´ kamienica (wie Anm. 39), S. 70–72 und Ill. 71, wo Ha¨user mit First

oder mit Frontgiebel gemeinsam vorkommen.

41 Zu den Außenku¨chen hinter den Ha¨usern siehe Chorowska, Sredniowieczna ´ kamienica (wie

Anm. 39), S. 65f.; dies., Palast und Wohnhaus (wie Anm. 24), S. 145.

42 Archiwum Panstwowe ´ (wie Anm. 4), G 1, 1, K. 45. 43 Die sta¨dtischen Rechnungen besta¨tigen infolge ihrer zufa¨lligen U ¨ berlieferung die Existenz von Was-

serleitungen nur indirekt und erst ab 1387; vgl. Henricus Pauper: Rechnungen der Stadt Breslau von 1299–1358, nebst zwei Rationarien von 1386 und 1387, dem Liber imperatoris vom Jahre 1377 und den a¨testen Breslauer Statuten, hg. v. Colmar Gru¨nhagen, Breslau 1860, S. 147.

Zur Dynamik der Besitzverha¨ltnisse am Breslauer Ringplatz in den Jahren 1345 bis 1420

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und Besitzposition der Eigentu¨mer der einzelnen Grundstu¨cke. Obwohl es sich bei den entsprechenden Installationen zweifellos um kostspielige und schwierige Unternehmungen handelte, die neue Formen nachbarschaftlicher Zusammenarbeit erforderten, ist der Zeitpunkt der Verlegung der Rohrleitungen ganz offensichtlich durch die technischen Mo¨glichkeiten bestimmt worden, sich der na¨chstgelegenen Hauptwasserleitung anschließen zu ko¨nnen. Der Verlauf dieser Anschlu¨sse entsprach dabei nicht immer den Vorstellungen, die die Forschung bisher auf der Grundlage zeitlich viel spa¨terer Beispiele entwickelt hat.

PALAST UND WOHNHAUS Der Einfluss des Herrensitzes auf die Breslauer Wohnha¨user im Mittelalter von Małgorzata Chorowska*

¨ bernahme des ritterlichen Es ist kein Zufall, dass die bekannte These von der U Lebens- und Kulturstils durch Bu¨rger fu¨r das o¨stliche Mitteleuropa vor allem von Kunsthistorikern gru¨ndlich ero¨rtert worden ist. Gerade durch das Prisma der seit dem 15. Jahrhundert von Bu¨rgern gestifteten Kunst- und Architekturwerke – wie Familienkapellen, Heilig-Grab-Kapellen, Epitaphen, Portal-Wappenkartuschen und sogar Schlo¨ssern – trat dieses Ma¨zenatentum am augenscheinlichsten hervor.1 Dagegen werfen die historischen Quellen deutlich weniger Licht auf diese Prozesse. Sie widmen weitaus mehr Aufmerksamkeit dem Adel, der in ihnen betra¨chtlich mehr Raum einnimmt als seiner tatsa¨chlichen Bedeutung entsprach. Ein gutes Beispiel dafu¨r bietet die von Johan Huizinga angefu¨hrte unterschiedliche Wahrnehmung der Position des Großfinanziers Jacques Cœur. Wa¨hrend er nach Ansicht seines Zeitgenossen, des Chronisten Chastellain, nur mit Mu¨he zu jenen Personen geza¨hlt werden konnte, die es verdienten, dass man ihnen irgendeine gro¨ßere Aufmerksamkeit schenkte,2 erscheint er in den Augen der heutigen Kunsthistoriker, die ihn durch das *U ¨ berarbeitete Fassung des Aufsatzes „Pałac i kamienica. Wpływ siedziby panskiej ´ na wrocławskie i

podwrocławskie domy mieszczan w s´ redniowieczu“ [Palast und Wohnhaus. Der Einfluss des Herrensitzes auf die Wohnha¨user in Breslau und außerhalb Breslaus im Mittelalter], aus: Dom, majatek, ˛ klient, sługa. Manifestacja pozycji elit w przestrzeni materialnej i społecznej (XIII–XIX wiek), hg. v. ¨ bersetzung des Ausgangstextes Marcin Rafał Pauk/Monika Saczynska, ´ Warszawa 2010, S. 63–80. U von Herbert Ulrich. 1 Georges Duby/Robert Mandrou, Historia kultury francuskiej (wiek X–XX) [Geschichte der franzo¨sischen Kultur (10. – 20. Jahrhundert], Warszawa 1967, S. 248f.; Johan Huizinga, Herbst des Mittelalters. Studien u¨ber Leben und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, Stuttgart 1962, S. 55f.; Maria Bogucka/Henryk Samsonowicz, Dzieje miast i miesz´ czanstwa w Polsce przedrozbiorowej [Geschichte der Sta¨dte und des Bu¨rgertums in Polen in der Zeit vor den Teilungen], Wrocław 1986, S. 253, 476; Mieczysław Zlat, Nobilitacja przez sztuk˛e – ´ jedna z funkcji mieszczanskiego mecenatu w XV i XVI w. [Nobilitierung durch die Kunst – eine der Funktionen des bu¨rgerlichen Ma¨zenatentums im 15. und 16. Jahrhundert], in: Sztuka miast i miesz´ ´ czanstwa XV–XVIII wieku w Europie Srodkowowschodniej, hg. v. Jan Harasimowicz, Warszawa ´ 1990, S. 77–101; Marian Kutzner, Po´znogotycka rezydencja patrycjuszowska w Wojnowicach [Die spa¨tgotische Patrizierresidenz in Zindel], in: ebd., S. 103–130; Ernst-Heinz Lemper, Jerzy Emmerich i Hans Krenze – dwaj mieszczanie z Go¨rlitz jako fundatorzy budowli sakralnych [Georg Emmerich und Hans Krenze – zwei Bu¨rger aus Go¨rlitz als Stifter von Sakralbauten], in: ebd., S. 149–169. 2 Huizinga, Herbst des Mittelalters (wie Anm. 1), S. 58.

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Małgorzata Chorowska

Prisma seines pra¨chtigen, mit allen Attributen eines feudalen Sitzes ausgestatteten Palastes in Bourges betrachten, als ein großer Herr, dessen Position jener von Fu¨rsten gleichkam. Roman Czaja zufolge war die Kultivierung ritterlicher Verhaltensnormen, gemeinsamer Festma¨hler und Memoria fu¨r die gesamte Kaufmannsschicht des 13./14. Jahrhunderts charakteristisch.3 Somit stellt sich die Frage, ob die ho¨fische Wohnkultur auf die Bu¨rger gleich stark eingewirkt hat. Um sie zu beantworten, erscheint es erforderlich, die aus dem 13. Jahrhundert bekannten Relikte herzoglicher und ritterlicher sowie bu¨rgerlicher Baukunst unter dem Gesichtspunkt gegenseitiger Beeinflussungen und Abha¨ngigkeiten einer erneuten Analyse zu unterziehen.4 Des Weiteren ist daru¨ber nachzudenken, wie die Aneignung der von ho¨heren Sta¨nden bevorzugten Baukunstmuster durch das Bu¨rgertum in Schlesien verlief, von welchem Zeitpunkt an sich ein solches Pha¨nomen beobachten la¨sst, wie intensiv sein Verlauf war und ob es ausschließlich auf einer Rezeption fertiger Lo¨sungen beruhte oder im Prozess der Rezeption vielleicht auch neue Bautypen, wie z. B. eine besondere Form des Wohnhauses, entstanden sind. Bei Letzterem geht es um nichts anderes als um die Genese der Wohnha¨user, mithin um eine von den Architekturund Stadthistorikern recht oft gestellte Frage. Bisherige Untersuchungen zur Genese der Wohnha¨user wurden in zwei Richtungen verfolgt. Im Norden Europas, in Gebieten, in denen ho¨lzerne Hallen- und Sta¨nderbauten auftreten, wurde die These von der do¨rflichen Herkunft des Stadthauses formuliert. Dagegen sehen Forscher, die sich mit den Baurealita¨ten su¨dlich des niederdeutschen Bereichs, im Gebiet zwischen dem Rheinland im Westen und Bo¨hmen im Osten befassen, die Vorbilder der Wohnha¨user eher in der Baukunst der ho¨heren Schichten, d. h. im Wohnturm oder Palas (palatium). Eine ausfu¨hrliche Auseinandersetzung mit diesen beiden Ansichten hat unla¨ngst Jerzy Piekalski in einer tiefgru¨ndigen Arbeit u¨ber die fru¨hen Ha¨user des Bu¨rgertums in Europa vorgelegt. Dabei gelangte er zu dem Schluss, dass Idee und Form des Wohnhauses als etwas ga¨nzlich Origina¨res, als eine aus den neuen Bedingungen, Bedu¨rfnissen und Mo¨glichkeiten der kommunalen Rechtstadt heraus entwickelte eigensta¨ndige Erscheinung angesehen werden mu¨ssen.5 Piekalski zufolge ko¨nne das Wohnhaus nicht vom ba¨uerlichen 3 Roman Czaja, Korporacyjne formy organizacji grup rzadz ˛ acych ˛ w miastach nadbałtyckich w s´ red-

niowieczu [Korporative Organisationsformen der regierenden Gruppen in den Ostseesta¨dten des Mittelalters], in: Zapiski Historyczne 19 (2004), 2/3, S. 7–23. 4 Wrocław, jego dzieje i kultura [Breslau, seine Geschichte und Kultur], hg. v. Zygmunt Swiechowski, ´ Warszawa 1978; Jerzy Rozpedowski, ˛ Palatium w Legnicy [Das Palatium in Liegnitz], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 6 (1961), 3, S. 177–202; Edmund Małachowicz, Wrocławski zamek ˙ na Ostrowie [Das Breslauer Herzogsschloss und das Kollegiatstift zum ksia˙ ˛z˛ecy i kolegiata s´ w. Krzyza ´ Heiligen Kreuz auf der Dominsel], Wrocław 1993; Małgorzata Chorowska, Sredniowieczna kamie´ nica mieszczanska we Wrocławiu [Das mittelalterliche Wohnhaus in Breslau], Wrocław 1994; Dies., ´ asku. Rezydencje s´ redniowieczne na Sl ˛ Zamki, pałace, wie˙ze mieszkalne [Mittelalterliche Residenzen in Schlesien. Schlo¨sser, Pala¨ste, Wohntu¨rme], Wrocław 2003; Tadeusz Kozaczewski, Murowane domy z XIII w. we Wrocławiu [Gemauerte Ha¨user aus dem 13. Jahrhundert in Breslau], in: Architektura Wrocławia, Bd. 1: Dom, hg. v. Jerzy Rozpedowski, ˛ Wrocław 1995, S. 9–50. 5 Jerzy Piekalski, Wczesne domy mieszczan w Europie Srodkowej. ´ Geneza – funkcja – forma [Fru¨he Ha¨user der Bu¨rger in Mitteleuropa. Genese, Funktion, Form], Wrocław 2004, S. 203–208.

Palast und Wohnhaus

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Geho¨ft abgeleitet werden, weil sich beide Typen in Mitteleuropa parallel herausgebildet und ho¨chstens gemeinsame vorgeschichtliche Vorga¨nger besessen ha¨tten. Das Wohnhaus habe seinen Ursprung aber auch nicht in der ho¨fischen Baukunst, da zwischen beiden Pha¨nomenen tiefgreifende funktionale Unterschiede bestu¨nden. Dage¨ bernahme lokaler, im ho¨fischen und kirchlichen Milieu erargen ha¨lt Piekalski die U beiteter Bau-, Steinmetz- und Maurertechniken sowie von Arten der Innenbeheizung durch das Bu¨rgertum durchaus fu¨r mo¨glich. Eine so formulierte Ansicht la¨sst sich schwerlich in Frage stellen, erinnert sie doch an eine Situation, in der auf die Frage, welchem Elternteil das Kind denn nun a¨hnlich sehe, geantwortet wird, dass es sich selbst a¨hnele. Dennoch soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, unter ¨ bernahme Beru¨cksichtigung der von den Historikern festgestellten Tendenz zur U ho¨fischer kultureller Muster durch Bu¨rger bereits im 13. Jahrhundert sowie des einfachen, u¨berzeitlichen Strebens der Menschen nach immer besseren Lebensbedingungen, am Beispiel Breslaus zu zeigen, dass das Bu¨rgertum aus dem ho¨fischen Bauwesen tatsa¨chlich nicht nur die Bautechnik, sondern auch gewisse funktionale Aspekte u¨bernommen hat. Beginnen wir mit den technischen Aspekten. Es steht außer Zweifel, dass sich das Breslauer Patriziat beim Bau der ersten gemauerten Ha¨user die Erfahrungen jener Werksta¨tten zunutze gemacht hat, die zuvor monumentale – sakrale oder weltliche – Objekte errichtet hatten. Hier wie dort finden wir Ziegelmauern mit Fluchten im Zweila¨uferverband, durchsetzt mit Steindetails, wobei letztere in Wohngeba¨uden außerordentlich selten waren. Nur in einem Haus u¨berdauerten zwei Granitsa¨ulen, in einem anderen versta¨rkten steinerne Quader die Pfosten des Portals. Der Wechsel des ¨ bergang von den hoher BrandgeBaumaterials bedeutete jedoch mehr als nur den U fahr ausgesetzten, somit wenig Sicherheit bietenden Sta¨nderkonstruktionen aus Holz und Lehm hin zu feuerfesten Ziegelwa¨nden. Die gemauerten Ha¨user konnten auch um ein Vielfaches gro¨ßer sein als ihre ho¨lzernen Nachbarbauten, die durchschnittlich eine Fla¨che von 30–40 m2, maximal 70 m2 erreichten, wa¨hrend die Fla¨che gemauerter Wohnha¨user zwischen 56 m2 (Ringplatz 59) und 300 m2 (Ringplatz 7 nach der Erweiterung des Hauses um einen Seitenflu¨gel) betrug. Sicher waren die Wohnha¨user auch ho¨her, denn am Ringplatz wurden sie als zwei- bis dreisto¨ckige Geba¨ude errichtet, wa¨hrend die Breslauer Holzha¨user im 13. Jahrhundert in der Pfostenversion, d. h. als Erdgeschossgeba¨ude, oder in der Sta¨nderversion vorkamen und nur als letztere zwei, mitunter auch drei Etagen erreichen konnten. Vor allem aber unterschieden sich die ersten gemauerten Ha¨user von den aus Holz und Lehm bestehen¨ hnlich den grauen Geba¨uden durch die rote Farbe ihrer unverputzten Ziegelwa¨nde. A markant pra¨sentierten sich nur die Blo¨cke des herzoglichen Schlosses auf der Dominsel und der modernen Ziegelkirchen. Außer durch eine vergleichbare handwerkliche Ausfu¨hrung a¨hnelten sich die Pala¨ste und Wohnha¨user des 13. Jahrhunderts auch in ihrer Gestaltung, etwa in Form einer quaderfo¨rmigen Ziegelhu¨lle, die im Inneren durch ho¨lzerne Balkendecken in Etagen, auf den einzelnen Etagen wiederum durch du¨nne Holzwa¨nde in kleinere Ra¨ume unterteilt war. Ein gutes Beispiel fu¨r eine solche Gestaltung bietet das zweite Stockwerk des Palastes in Liegnitz, das urspru¨nglich durch leichte Bretterverschla¨ge in sechs Stuben oder Module von fast gleicher Gro¨ße unterteilt war, von denen

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Albrechtstraße

ein jedes u¨ber ein Fenster und einen eigenen Eingang vom Schlosshof aus verfu¨gte. Fast identisch sah das untere Stockwerk des Wohnhauses an der Nordostecke des Ringplatzes (heute Nr. 41) mit sechs Einga¨ngen von der St.-Albrecht-Gasse aus (vgl. Abb. 1).

Abb. 1: Erdgeschosse der Wohnha¨user Ringplatz 7 und 41 Gestrichelte Linie = mutmaßliche ho¨lzerne Trennwa¨nde Quelle: Entwurf der Autorin

Selbstversta¨ndlich war das Ausmaß beider Anlagen nicht miteinander vergleichbar. Wenn wir den 61,5 × 16 m großen Palast Heinrichs des Ba¨rtigen in Liegnitz mit einem der gro¨ßten Wohnha¨user in Breslau vergleichen, dem urspru¨nglich 18 × 12 m großen Geba¨ude am Ringplatz 7, dann betra¨gt der Fla¨chenunterschied fast das Fu¨nffache. Dennoch erhalten wir beim Vergleich der Gro¨ße vieler Wohnha¨user6 mit der des Bischofspalastes auf der Dominsel in Breslau (28,5 × 11,4 m = 325 m2) oder jener des Palastes in Jeltsch einen nur anderthalbfachen Unterschied. Man kann sagen, dass sowohl die herzoglichen und bischo¨flichen Herrenha¨user als auch die ersten Wohnha¨user eine stark reduzierte Version großer herzoglicher Residenzen darstellten. Dies betraf insbesondere Ha¨user mit rechteckigen verla¨ngerten Grundrissen, die die u¨berwiegende Mehrheit bildeten. Ha¨user mit viereckigem, fast quadratischem Grund¨ hnlichkeit mit Wohntu¨rmen, auch als Efriss wu¨rde ich, trotz ihrer scheinbaren A

6 Zum Beispiel betrug die Fla¨che der Ha¨user am Ringplatz 52 201 m2, am Ringplatz 7 – vor dem Aus-

bau – 216 m2 und nach der Erweiterung um einen Hinterflu¨gel 300 m2; am Ringplatz 24 231 m2; in der Albrechts-/Adalbertsstraße 234 m2; vgl. Kozaczewski, Murowane domy (wie Anm. 4), S. 14.

Palast und Wohnhaus

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fekt einer extremen Reduktion eines Palastgeba¨udes verstehen, weil sie die gleiche Ho¨he besaßen wie die sie umgebende Bebauung und weil sie schon binnen kurzer Zeit zusammen mit den Nachbargeba¨uden geschlossene Reihen gemauerter Ha¨user schufen. Die Gro¨ße der Ha¨user resultierte aus den Bedu¨rfnissen und finanziellen Mo¨glichkeiten ihrer Nutzer, war aber auch stark eingeschra¨nkt durch die La¨nge der Grundstu¨cksfront. Diese betrug im Falle vollsta¨ndiger Grundstu¨cke 18,8 m und im Falle halber etwa 9 m, aber bald entstanden auch mittelgroße Anwesen, die zwei Dritteln oder einem Drittel der Frontla¨nge des Gesamtgeho¨fts entsprachen.7 Die Ha¨user wurden auf engen Parzellen errichtet und entweder beliebig lang in die Tiefe des Grundstu¨cks hinein (in der Praxis bis zu 20–25 m) verla¨ngert oder aber als kleine Geba¨ude mit quadratischem Grundriss belassen. Unter den a¨ltesten Ha¨usern befanden sich auch solche, die nicht die gesamte Breite des Grundstu¨cks einnahmen und an der Seite Raum fu¨r einen Eingang oder eine Einfahrt frei ließen. Die Vielfalt der Grundrissmaße der ersten Wohnha¨user und ihre differenzierte Aufstellung – giebel- oder traufsta¨ndig – schließt eine Herkunft von demselben Muster, d. h. vom Palast, nicht aus. Wenn wir das Terrain eines bu¨rgerlichen Grundstu¨cks und seine Grenzen mit dem Innenhof eines mit einer Mauer oder einem Wall umgebenen Schlosses vergleichen, dann erkennen wir eine a¨hnliche Platzierung der Geba¨ude – sie lagen stets auf der Seite, gleichgu¨ltig, ob an der Vorder- oder Seitengrenze des Terrains. Dieses Prinzip wird durch jene Ha¨user besonders gut illustriert, die auf der gesamten Frontbreite des Grundstu¨cks errichtet wurden und sich spa¨ter entlang seiner Seitengrenzen zu zweioder dreiflu¨geligen Anlagen weiterentwickelten. Erst die tiefen Ha¨user mit Zweitraktgrundrissen besitzen keine Analogien mehr mit der mittelalterlichen ho¨fischen Bebauung. Bezeichnenderweise kennen wir Fa¨lle tiefer Ha¨user aus dem 13. und dem beginnenden 14. Jahrhundert, die urspru¨nglich einteilig waren (Herrengasse 6 und 7) und erst nachtra¨glich, d. h. in der zweiten Phase ihrer Nutzung, in zwei Trakte unterteilt wurden. Eine weitere Gemeinsamkeit ist in der Gestaltung des Aufrisses der Pala¨ste und Wohnha¨user erkennbar. Der in dieser Hinsicht am besten erforschte Liegnitzer Palast verfu¨gte u¨ber drei Stockwerke, die (von unten geza¨hlt) eine Ho¨he von 3 m, 2,5 m und 6 m aufwiesen und durch Balkendecken voneinander getrennt waren. Der Palast auf der am linken Flussufer gelegenen Burg in Militsch besaß Stockwerke mit Ho¨hen von 3,2 m, 3,3 m und u¨ber 5 m; in beiden Fa¨llen war das obere Stockwerk als das repra¨sentative Stockwerk ausgestaltet. Im zweisto¨ckigen Bischofspalast auf der Breslauer Dominsel maß das Erdgeschoss aufgrund von Gewo¨lben eine Ho¨he von 6 m und das mit einer Decke u¨berzogene Erdgeschoss eine von 5 m. Das Erdgeschoss des ma¨chtigen Geba¨udes, dessen Relikte auf dem Gela¨nde des herzoglichen Schlosses auf der Breslauer Dominsel entdeckt wurden, war gewo¨lbt, durch mindestens zwei Einga¨nge

7 Diese Maßangaben mu¨ssen als anna¨hernd verstanden werden; dennoch hatten von den 110 untersuch-

ten mittelalterlichen Wohnha¨usern auf dem Gebiet der Altstadt 78 eine Frontbreite, die der ganzen, der halben, zwei Dritteln oder einem Drittel der Geho¨ftla¨nge gleichkam (± 2 Fuß).

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vom Hof aus zuga¨nglich und um etwa 1,2 m in den Boden eingetieft.8 Da solche Eintiefungen auch in den Erdgeschossen der a¨ltesten Wohnha¨user in Breslau und vielen anderen Sta¨dten begegnen – egal ob es sich um gemauerte oder ho¨lzerne Ha¨user handelte –, kann festgestellt werden, dass die Eintiefung der Erdgeschosse und ihre Nutzung zu Wirtschaftszwecken ein allgemeines Merkmal des damaligen Wohnbaus darstellte. Doch was ist mit einem Haus wie jenem am Ringplatz 6, das in der Ho¨he der Stockwerke Pala¨sten a¨hnelte: 3,3 m, 2,6 m und u¨ber 4,5 m?9 Die Stube in der obersten Etage muss repra¨sentativen Charakter gehabt haben, auch wenn es sich dabei gewiss nicht um einen Saal gehandelt haben du¨rfte. In den hinteren Wa¨nden der Ha¨user sind Relikte von Einga¨ngen erhalten, was zeigt, dass der Zugang zu den Stockwerken von der Seite des Hofes u¨ber ho¨lzerne Außentreppen, Holzstufen, Galerien, Umga¨nge und Bru¨cken verlief (vgl. Abb. 2), ¨ hnlichkeiten wies auch genauso wie im ho¨fischen Bauwesen des 13. Jahrhunderts. A die Form der Standardo¨ffnungen fu¨r Eingangstu¨ren und Fenster auf. Eine charakteristische Ausnahme bilden die 2,5 m breiten Biforien des Palastsaales in Liegnitz, fu¨r die es in den Wohnha¨usern Breslaus keine Analogien gibt. Dagegen wiederholten sich die kleinen Ochsenaugen, die sowohl an den oberen Stockwerken der Pala¨ste als auch der Wohnha¨user angebracht waren und die Funktion von Ventilationso¨ffnungen fu¨r die Wohnra¨ume erfu¨llten, sowie die kleinen, mit einem Schirm bedeckten Beleuchtungsnischen. ¨ ber die Bedachungen der analysierten Geba¨ude la¨sst sich nicht viel sagen. Im U Falle des Palastes in Liegnitz kann aufgrund der spa¨teren Ikonographie auf das Vorhandensein von Wehrga¨ngen und Zinnen geschlossen werden, die ein Satteldach bedeckten.10 Das einzige bekannte Dachelement eines Hauses aus dem 13. Jahrhundert kann ebenfalls vorsichtig als Zinne interpretiert werden. Dabei handelte es sich um einen 1,1 m breiten Schild, der in einer Ho¨he von vier Ziegelschichten erhalten ¨ ber die ist und aus der Seitenwand des Hauses am Ringplatz 48/49 herausragt.11 U 8 Małachowicz, Wrocławski zamek ksia˙ ˛z˛ecy (wie Anm. 4), S. 95. Es handelt sich um ein Geba¨ude aus

der zweiten Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts, das Małachowicz als Kapelle interpretiert, die Autorin des ¨ ffnungen im Erdgeschoss ist eine Granitvorliegenden Beitrages dagegen als Palast. In einer der O schwelle erhalten, die 1,2 m unter dem festgestellten Nutzungsniveau des Schlosses aus der ersten Phase liegt, d. h. aus der Zeit vom 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts stammt. 9 Dieses Haus verband in seinen Mauern zwei Ha¨user aus dem 13. Jahrhundert, wobei jedes aus zwei zu verschiedenen Zeiten entstandenen Sektionen bestand. Die Ho¨he der Etagen im Vorderteil des Nordhauses betrug 2,7 m, 2,6 m und 2,4 m; im hinteren Teil 3,3 m, 2,8 m, (die Ho¨he der dritten Etage kennen wir nicht); im vorderen Teil des Su¨dhauses 3,3 m, 2,6 m und 4,5 m; im hinterenTeil 2,65 m, 2,6 m und u¨ber 3,5 m; vgl. Małgorzata Chorowska/Czesław Lasota, Układ przestrzenny kamienicy Rynek 6 we Wrocławiu [Die Raumstruktur des Hauses am Ringplatz 6 in Breslau], in: Architektura Wrocławia (wie Anm. 4), S. 139–162. Die obere Etage des Hauses am Ritterplatz 8 besaß eine Ho¨he von etwa 4 m. 10 Vgl. das Bild des Schlosses in der Bildlegende der hl. Hedwig von 1353, die den Mongolenu¨berfall auf Liegnitz zeigt. 11 Diese Scheibe reichte mindestens 40 cm in die Mauer hinein. Ihre Kanten waren einfach, glatt und ohne ´ Laibung, vgl. Małgorzata Chorowska, Działka mieszczanska Rynek 50 – Igielna 18. Przemiany architektoniczne zabudowy posesji i jej sasiedztwa ˛ w XIII–XX w. [Das Bu¨rgergrundstu¨ck Ringplatz 50/ Nadlergasse 18. Architektonische Vera¨nderungen der Bebauung des Grundstu¨cks und seiner Nachbarschaft im 13. – 20. Jahrhundert], in: Rynek Wrocławski w s´ wietle badan´ archeologicznych, Teil 2, hg. v. Jerzy Piekalski, Wrocław 2002, S. 204–213.

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Abb. 2: Wohnhaus am Breslauer Ringplatz 6, hintere Fassade der beiden a¨ltesten Teile mit Rekonstruktion der urspru¨nglichen Einga¨nge und Leiterstufen Quelle: Entwurf der Autorin

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volle La¨nge dieser Wand (11,6 m) mo¨gen sieben solcher Scheiben in Absta¨nden von 65 cm angebracht gewesen sein und u¨ber die La¨nge der Frontwand elf Scheiben. Das Vorhandensein von um die Hausda¨cher laufenden Ga¨ngen (vgl. Abb. 3) wu¨rde es erlauben, den Sinn eines nicht allzu klaren Befehls des Breslauer Stadtrates aus dem Jahre 1290 zu verstehen; dieser sah im Zusammenhang des erwarteten Tatarenu¨berfall vor, dass „jeder Gast [der Hausbesitzer] in seinem Haus eine Armbrust, einen Bogen und Steine oben auf seinem Haus haben soll“.12 Jedenfalls sind auf den steilen Fla¨chen von Sattelda¨chern ruhende Steine wenig vorstellbar. Wenn wir dagegen von einer Dachversion ausgehen, die aus einem von einem Umgang und Zinnen umgebenen Walmdach bestand, dann gewinnt die Tatsache große Bedeutung, dass kein Dachrelikt irgendeines der untersuchten Wohnha¨user des 13. Jahrhunderts erhalten ist – a¨hnlich wie im Falle der Da¨cher der Pala¨ste in Liegnitz, Jeltsch und Militsch oder des Bischofspalastes in Breslau. Offen bleibt das Verha¨ltnis der Ku¨che zum Wohnhaus. Diese vom Gesichtspunkt der genetischen Abha¨ngigkeiten vielleicht wichtigste Frage betrifft die Funktion des Hauses sowie die Lebensweise und die Gewohnheiten seiner Bewohner. Berechtigt scheint die Annahme, dass die Lage der Ku¨che innerhalb oder außerhalb eines Geba¨udes von der Herkunft der u¨bernommenen Lo¨sungen zeugt – einer ba¨uerlichen Herkunft im Falle einer im Haus eingebauten Ku¨che oder einer ho¨fischen im Falle einer Ku¨che außerhalb des Hauses. Genauso sah das auch der aus dem 17. Jahrhundert stammende anonyme Autor der „Kurzen Lehre des Baus von Herrenha¨usern, Pala¨sten und Schlo¨ssern nach dem Himmel und polnischem Brauch“, der die Unterscheidung zwischen Armeleutegeho¨ften mit Rauchku¨che und Herrenha¨usern ohne Ku¨che einfu¨hrte, wobei er als wesentlichen Nachteil der ersteren Lo¨sung den das ganze Haus durchziehenden u¨blen Geruch gekochten Kohls nannte.13 In Breslau wurde unter den untersuchten Relikten von Wohnha¨usern des 13. Jahrhunderts nichts gefunden, was die Rekonstruktion einer Ku¨che innerhalb dieser erlauben wu¨rde. Dagegen stieß man in den Ecken der Stuben in der zweiten Etage ¨ berreste von einiger Ha¨user (Ringplatz 6, Kupferschmiedegasse, Ritterplatz 8) auf U ¨ Schornsteinen zur Ableitung des Rauches aus Kaminen oder Ofen. Auch viele spa¨tere Funde auf dem Gela¨nde der Altstadt zeigen, dass in den mittelalterlichen Wohnha¨usern aus dem ho¨fischen und klo¨sterlichen Bauwesen stammende Heizungssysteme zur Anwendung kamen, wie Kamine, Kachelo¨fen und die hypokaustische Beheizung.14 Bezeichnend ist auch das Fehlen von Ku¨chen- oder Feuerstellenspuren in den Innenra¨umen der untersuchten Wohnha¨user des 14./15. Jahrhunderts, die zumindest

12 Breslauer Urkundenbuch, hg. v. Georg Korn, Breslau 1870, S. 49, Anhang I. 13 Kro´tka nauka budownicza dworo´w, pałaco´w, zamko´w podług nieba i zwyczaju polskiego [Kurze

Lehre des Baus von Herrenha¨usern, Pala¨sten und Schlo¨ssern nach dem Himmel und polnischem ´ Brauch], bearb. v. Adam Miłobedzki, ˛ Wrocław 1957; a¨hnlich Jakub Kazimierz Haur, Ziemianska ¨ konomik], Cracovia2 1679. Generalna ekonomika [Generelle Landbesitzer-O 14 Katarzyna Dymek, Sredniowieczne ´ i renesansowe kafle s´ laskie ˛ [Schlesische Kacheln aus der Zeit des ´ Mittelalters und der Renaissance], Wrocław 1995; Cezary Bu´sko, Sredniowieczne piece typu „hypo´ asku ¨ fen „hypokaustischen“ Typs in Schlesien], in: Archaeologia caustum“ na Sl ˛ [Mittelalterliche O Historica Polona 1 (1995), S. 149–183.

Palast und Wohnhaus

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Abb. 3: Rekonstruktion der Seitenmauer des Wohnhauses Ringplatz 48/49 1 = Mauer des 13. Jh. Quelle: Entwurf der Autorin

bis zum Niveau der ersten Etage erhalten geblieben sind. Die a¨ltesten, in den Untersuchungen besta¨tigten Relikte, die irgendwie mit einer Ku¨che in Verbindung gebracht werden ko¨nnen – geschmiedete Abzugshauben und Schornsteine –, wurden im Erdgeschoss von Hinterha¨usern im Inneren des Westblocks des Ringplatzes gefunden; sie werden in das 16. Jahrhundert datiert.15 Auf der Basis dieser Beobachtungen sowie 15 Chorowska, Sredniowieczna ´ kamienica (wie Anm. 4), S. 65–69; Kozaczewski, Murowane domy (wie

Anm. 4), S. 18–19; Małgorzata Chorowska/Czesław Lasota/Jerzy Rozpedowski, ˛ Blok zachodni

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ikonografischer Quellen, die typisch mittelalterliche Ku¨chen als kleine, in die Biegungen der Hinterha¨user eingezwa¨ngte Anbauten mit flaschenfo¨rmigen Schornsteinen darstellen, wurde festgestellt, dass sich die Ku¨chen fru¨her auch außerhalb des Hauptgeba¨udes befunden haben mu¨ssen, d. h. auf dem Hof – nach dem Muster, wie wir es von Feudalsitzen oder Klo¨stern kennen. Die Feldforschungen der letzten Jahre haben zur Entdeckung von Fundamenten einiger solcher kleiner, fast quadratisch gemauerter Geba¨ude aus dem 14. – 16. Jahrhundert gefu¨hrt, die die fru¨her angenommene Hypothese besta¨tigen.16 Wesentliche Argumente dafu¨r, dass sich die Ku¨chen in Schlesien außerhalb der ersten gemauerten Ha¨user befanden, liefern Beobachtungen zur mittelalterlichen sta¨dtischen Bebauung in Schweidnitz. Hier gelang es, die Verlagerung der Ku¨che vom Hof ins Innere der Wohnha¨user zu verfolgen.17 Dieser Prozess vollzog sich in der zweiten und dritten Phase der Herausbildung einer gemauerten Stadtbebauung, d. h. zwischen den 1380/90er Jahren und dem 16. Jahrhundert. In den Breslauer Holzha¨usern, die entweder in der fu¨r Schlesien traditionellen Blockbautechnik oder der neueren, an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert aus Westeuropa u¨bernommenen Pfosten- oder Sta¨nderbautechnik ausgefu¨hrt waren, fand eine Lo¨sung mit innerer Feuerstelle bzw. Ku¨che Anwendung. Ein Beispiel hierfu¨r bietet ein auf dem Gela¨nde des Neumarktes entdecktes ErdgeschossPfostengeba¨ude. Dieses Haus, das mit nur 5,2 × 7,4 m eine viel kleinere Fla¨che als viele Steinha¨user aufwies, war in zwei etwa gleich große Ra¨ume unterteilt, wobei der Nordteil mit einer soliden, festen Feuerstelle ausgestattet war, die von Jerzy Piekalski als Ku¨che interpretiert wurde.18 Leider ermo¨glichen die gegenwa¨rtig verfu¨gbaren archa¨ologischen Quellen noch keine eindeutige Identifizierung von Feuerstellen in den zweisto¨ckigen, im 13./14. Jahrhundert in Breslau zahlenma¨ßig am sta¨rksten vertretenen Sta¨nderbauten. Wir ko¨nnen lediglich feststellen, dass ihre um 1 m bis 1,7 m eingetieften unteren Stockwerke im Allgemeinen ebenfalls in zwei Ra¨ume geteilt waren. An dieser Stelle sei auf den Typ des mit einer Hallen- oder Flurku¨che19 ausgestatteten Hauses aufmerksam gemacht, der wa¨hrend des 12./13. Jahrhunderts im nordwestlichen Europa u¨blich wurde. Sein Wesen bestand in einem großen, multifunktionalen Erdgeschossflur, in dessen Tiefe sich eine gera¨umige Feuerstelle befand, die

rynku wrocławskiego w okresie s´ redniowiecza [Der Westblock des Breslauer Ringplatzes in der Zeit des Mittelalters], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 39 (1994), 4, S. 285–306, hier S. 304. 16 Auf folgenden Anwesen: Reuschegasse 2, Kupferschmiedegasse 27, Schuhbru¨cke 8, Schuhbru¨cke 72, Nikolaigasse 76/Herrengasse 26; vgl. Chorowska, Rezydencje s´ redniowieczne (wie Anm. 4), S. 286–287. 17 Małorzata Chorowska/Czesław Lasota/Maciej Małachowicz, Zabudowa s´ redniowiecza kwartału ´ zachodniego przy Rynku w Swidnicy [Die mittelalterliche Bebauung des Westblocks am Ringplatz in Schweidnitz], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 42 (1997), 2, S. 141–165. 18 Piekalski, Wczesne domy (wie Anm. 5), S. 176–178. 19 Jerzy Piekalski, Organizacja wn˛etrza domo´w mieszczanskich ´ ´ w Europie Srodkowej w XII–XIII wieku [Die Binnenorganisation der Wohnha¨user in Mitteleuropa im 12./13. Jahrhundert], in: Mate´ ˙ riały z VII Sesji Naukowej Uniwersyteckiego Centrum Archeologii Sredniowiecza i Nowozytno´ sci ˙ „Wyposazenie wn˛etrz w s´ redniowieczu“, hg. v. Jerzy Olczak, Torun´ 2004, S. 29–49.

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Abb. 4: Grundrisse von Erdgeschossen in Breslauer Wohnha¨usern des 13. Jahrhunderts 1 – Ringplatz 52, 2 – Ringplatz 7, 3 – Ringplatz 60, 4 – Albrechtsgasse 57, 5 – Ringplatz 7 nach Umbau, 6 – Kupferschmiedegasse 26/27, 7 – Schmiedebru¨cke 57, 8 – Ringplatz 17, 9 – Ringlatz 48, 10 – Ringplatz 4, 11 – Ringplatz 22, 12 – Ringplatz 3, 13 – Ringplatz 59, 14 – Ringplatz 8, 15 – Ringplatz 43, 16 – Kupferschmiedegasse 7, 17 – Ringplatz 23, 18 – Ritterplatz 8 Quelle: Entwurf der Autorin

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zugleich das Zentrum des Familienlebens bildete und als Ort der Nahrungszubereitung diente. Aus diesem Raum konnte zur Straße hin ein fu¨r Kaufmanns- oder Handwerksta¨tigkeiten bestimmter Bereich abgeteilt werden. Der u¨brige Teil des urspru¨nglich bis zum Dach offenen Raumes wurde vom Feuer der Herdstelle beheizt und beleuchtet. Der Rauch sammelte sich unter dem First. Der Herausbildung dieses Haustyps gingen nach archa¨ologischen Erkenntnissen folgende Etappen voraus: 1. das einsto¨ckige Pfostenhaus, 2. das große, ein- oder zweisto¨ckige Sta¨nderhaus, 3. das Haus mit gemauerten Wa¨nden. Die Funktion und die Art der Nutzung des Innenraumes waren a¨hnlich, unabha¨ngig von der angewandten Konstruktion und vom Material, so dass kaum anzunehmen ist, dass zum Zeitpunkt ¨ berganges zu dauerhaften Baustoffen ein prinzipieller Wandel der Art und des U Weise der Bewohnung stattgefunden ha¨tte. Vom Gesichtspunkt unserer vorherigen Ausfu¨hrungen u¨ber den Einfluss der ho¨fischen Baukunst auf das Wohnhaus wu¨rde dies also eine Antithese darstellen. Dennoch verblieben die no¨rdlichen Gebiete Westeuropas unter dem Einfluss großer anglo-normannischer Erdgeschoss-Sa¨le (hall), die in ihren mehrschiffigen Innenra¨umen u¨ber zentrale Feuerstellen verfu¨gten.20 Selbst wenn sie keinen direkten Einfluss auf die Verbreitung der Konzeption des Hallenhauses hatten, stand die Idee vom im Hausinneren situierter Ku¨chen und Feuerstellen gewiss nicht im Widerspruch zu dem auf diesem Gebiet geltenden baulichen Muster niederer Schichten. ¨ bernahme ho¨fischen Lebensstils und ho¨fischer Entscheidend fu¨r die Frage einer U Wohnkultur durch das Breslauer Patriziat ist meiner Meinung nach das Argument der außerhalb des Wohnhauses situierten Ku¨che. Wir du¨rfen allerdings nicht vergessen, dass diese Feststellung nicht alle Bu¨rger betrifft, sondern gerade die Patrizier – die Scho¨ffen und Ratsherren, die Scho¨ffen herzoglicher Gerichte, Notare, die Lokatoren herzoglicher Do¨rfer und Sta¨dte, die Zeugen in den Urkunden – d. h. Personen, die ´ sich ha¨ufig an den schlesischen Ho¨fen und in Pala¨sten aufhielten. Wie Mateusz Golinski gezeigt hat, besaßen diese Patrizier bereits in der zweiten Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts nahe Breslau gelegene und weiter entfernte Do¨rfer. Diese Gu¨ter bildeten einen wichtigen Bestandteil ihrer materiellen Existenzgrundlage.21 In den Quellen wird von der Existenz von Wehrsitzen berichtet; erwa¨hnt seien beispielhaft die nahe Breslau gelegenen Orte Strachwitz (1330 – propungnaculum), Stabelwitz (1330, 1353), Protsch (1342), Schweinern (1341) oder Schmolz (medietas areae propugnaculi quod vulgariter ein Wahl dicitur – 1357) mit Relikten eines vierseitigen Wohnturmes. Ein gut erhaltener Turm, wahrscheinlich vom Ende des 14. Jahrhunderts, befindet sich ´ eza-Lasowo). ˙ auf dem Terrain des Renaissanceschlo¨sschens in Lohe (Sl˛ Dieses Objekt befand sich ebenfalls im Besitz von Personen, die mit dem Milieu des Breslauer Patriziats in Verbindung standen.22 Solche Tu¨rme kamen auch – allerdings selten – in der 20 Jean Mesqui, Chaˆteaux forts et fortifications en France, Paris 1997, S. 190. 21 Mateusz Golinski, ´ ´ Podstawy gospodarcze mieszczanstwa wrocławskiego w XIII wieku [Die wirt-

schaftlichen Grundlagen des Breslauer Bu¨rgertums im 13. Jahrhundert], Wrocław 1991; Ders., Bio´ XIII wieku [Biogramme Breslauer Bu¨rger bis zum Ende des gramy mieszczan wrocławskich do konca 13. Jahrhunderts], Wrocław 1995. 22 Kurt Degen, Die Bau- und Kunstdenkma¨ler des Landkreises Breslau, Frankfurt am Main 1965, S. 278; Chorowska, Rezydencje s´ redniowieczne (wie Anm. 4), S. 147–148.

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Bebauung schlesischer Sta¨dte vor. Im mittelalterlichen Breslau begegnen wir ihnen an mehreren Stellen. Fu¨nf Tu¨rme hat Bartholoma¨us Weyhner auf seinem Stadtplan aus dem Jahre 1562 verzeichnet, zwei weitere sind durch archa¨ologische Befunde belegt, und einen weiteren – den Turm der Ku¨rschner aus dem Jahre 1516 – erwa¨hnt der Chronist Benjamin Klose.23 Allerdings geho¨rten solche Tu¨rme ha¨ufiger Vertretern des Klerus oder der Ritterschaft als Bu¨rgern. Seit dem 15. Jahrhundert finden wir Vertreter des Bu¨rgertums unter den Besitzern gemauerter Herrenha¨user und Schlo¨sser, deren Pracht jener von Adelssitzen in nichts nachstand, ja die letztere mitunter hinsichtlich der Ansammlung aller mo¨glichen Attribute des Ritterstandes wie Wappen, Zinnen oder massiver Silhouetten der Basteien und Tu¨rme sogar noch u¨bertrafen. Das erste Schloss im Besitz eines Bu¨rgers war das fru¨here herzogliche Herrenhaus in Deutsch-Lissa. 1420 erwarb es der Breslauer Michael Banke, der im selben Jahr von Ko¨nig Sigismund von Luxemburg die Besta¨tigung seines Wappens und die Zustimmung zur Errichtung einer Feste erhielt. Die damalige ra¨umliche Anordnung des Schlosses wurde jedoch bisher nicht verla¨sslich erforscht – vielleicht schuf er ein großes, mit einem Viereck von Wehrmauern abgeschlossenes Haus. Auch der gemauerte Palast in Jeltsch – der fru¨here bischo¨fliche und herzogliche Hof aus dem 13. Jahrhundert – wurde bereits nach der Mitte des 15. Jahrhunderts von Bu¨rgern (den Kotulinskys, dann den Sauermanns und erneut von den Kotulinskys) erworben, dann mit einer Mauer umgeben und sukzessiv um Seitenflu¨gel erweitert. Das gemauerte dreiflu¨gelige Schlo¨sschen in Komorowitz mit einem Herrenhaus, das ein komplexes funktional-ra¨umliches Programm auszeichnete, wurde 1529 von dem reichen Breslauer Melchior Hirsch von Kaltenbrunn errichtet, dem Besitzer eines großen Wohnhauses in der Stadt in der Altbu¨ßergasse. Nicht viel fru¨her – im Jahre 1523 – baute Konrad Sauermann das Wasserschlo¨sschen in Schmolz um, indem er dem alten, sicher nicht sehr hohen Turm einen schlanken Torturm und Wohnflu¨gel hinzufu¨gte. Das scho¨nste Schloss geho¨rte Lukrezia und Jakob Boner, der beru¨hmten Krakauer und Breslauer Bankiersfamilie. In Zindel (Wojnowice) „auf dem Wasser“ errichtet, bot es mit seinen schlanken Giebeln und Zinnen und einem Treppentu¨rmchen an der Ecke den Anblick einer wahren Ritterfestung, und die zahlreichen Wappen in dekorativen, bereits Renaissancecharakter tragenden Kartuschen zeugten von der hohen Stellung der Besitzer.24 Die angefu¨hrten, u¨brigens bereits des o¨fteren zitierten Beispiele zeigen, auf welche Weise die Ambitionen der Breslauer Bu¨rger, nicht hinter dem Adel zuru¨ckzustehen, im ausgehenden Mittelalter in Bauvorhaben umgesetzt wurden. Wie es scheint, trat ein a¨hnliches Pha¨nomen schon im 13. Jahrhundert in Erscheinung, gleich

23 Der Plan von Weyhner aus dem Jahre 1562 ist abgedruckt als Tafel 13 in: Atlas historyczny miast pol-

´ ask, skich. Tom 4: Sl ˛ Zeszyt 1: Wrocław/Historischer Atlas polnischer Sta¨dte. Band 4: Schlesien. Heft 1: Breslau, hg. v. Marta Młynarska-Kaletynowa/Rafał Eysymontt, Wrocław 2001; Zlat, Nobilitacja (wie Anm. 1), S. 83; Samuel Benjamin Klose, Darstellung der inneren Verha¨ltnisse der Stadt Breslau vom Jahre 1458 bis zum Jahre 1526, Breslau 1847, S. 260. 24 Degen, Die Bau- und Kunstdenkma¨ler (wie Anm. 22), S. 314–315; Zlat, Nobilitacja (wie Anm. 1), ´ S. 77–81; Kutzner, Po´znogotycka rezydencja (wie Anm. 1), S. 103f.; Chorowska, Rezydencje s´ redniowieczne (wie Anm. 4), S. 180–185.

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zu Beginn der Existenz von Lokationssta¨dten und gemauerten Wohnha¨usern. Der damals u¨bernommene Bautyp – der Palast – wurde infolge der Einschra¨nkungen, die aus der Gestalt und den Bedingungen des sta¨dtischen Grundstu¨cks und seiner Anpassung an die Bedu¨rfnisse des Patriziats resultierten, einer Reduktion unterworfen. Damit begann eine Zeit langfristiger Evolution des Wohnhauses hin zu Lo¨sungen, die fu¨r die betreffende Stadt spezifisch waren – in diesem Fall fu¨r Breslau. Ein allgemeines Merkmal bildete die Situierung des Geba¨udes an der Grundstu¨cksfront, so dass dessen gesamte Breite eingenommen wurde, wodurch eine geschlossene Reihenbebauung mit direktem Zugang vom Ringplatz oder von der Straße ins Hausinnere entstand. Lokale Breslauer Merkmale waren: die Verwendung von Ziegeln als grund¨ sthetik der Fassaden hatte; das legender Baustoff, was wesentlichen Einfluss auf die A ¨ berwiegen von Decken gegenu¨ber Gewo¨lben; die beliebige Situierung des Hauses U mit Giebel oder First zur Straße hin; die Herausbildung differenzierter Raumstrukturen, wobei wir die zweitraktigen, fu¨nfteiligen Wohnha¨user als die gro¨ßten und hinsichtlich der funktionalen Spezialisierung der Innenra¨ume fortgeschrittensten unterscheiden. Diese waren so groß und pra¨chtig, dass sie im 14./15. Jahrhundert die Landsitze des schlesischen Adels hinsichtlich ihres Wohnkomforts bei weitem u¨bertrafen. Vielleicht gru¨ndeten die hervorragendsten Vertreter des damaligen Patriziats deshalb nach dem Vorbild der Herzo¨ge auch ansehnliche fromme Stiftungen.

STANDARD UND LUXUS IM MITTELALTERLICHEN BRESLAU von Jerzy Piekalski und Krzysztof Wachowski*

In jeder Epoche und jedem Kulturkreis zeichnet die Menschen ein Streben nach Verbesserung ihrer Existenzbedingungen aus. Der Erfolg dieses Strebens wird durch wirtschaftliche, natu¨rliche und politische Faktoren sowie durch ein kompliziertes System ethischer Ge- und Verbote, von Traditionen sowie den jeweiligen Scho¨nheitsund Modestandards determiniert. Die mittelalterliche Stadt im Westen Europas mit ihren umfangreichen wirtschaftlichen und perso¨nlichen Freiheiten bot – zum ersten Mal in der Geschichte des europa¨ischen Kontinents – relativ vielen Personengruppen u¨ber die eigentlichen sozialen Eliten hinaus die Mo¨glichkeit, einen hohen Lebensstandard zu erlangen. Der vorliegende Beitrag versucht zum einen die Grenze zwischen Standard und Luxus im Bewusstsein der Bu¨rger des mittelalterlichen Breslau zu bestimmen, zum anderen eine Antwort auf die Frage zu geben, wem Luxus in welchem Maße zuga¨nglich war.1 Die Realisierung von Luxus war ein wesentliches Instrument zur Errichtung und Demonstration von Hierarchien, aber auch ein wichtiger oko¨nomischer Konjunkturfaktor.2 Sehr allgemein la¨sst sich sagen, dass als Luxus diejenigen Gu¨ter und Verhaltensweisen bezeichnet werden ko¨nnen, die u¨ber die unerla¨sslichen Grundbedu¨rfnisse hinausreichen und den Komfort sowie den Status derjenigen erho¨hen, die sie besitzen und zeigen. Eine pra¨zise definitorische Unterscheidung zwischen Standard und Luxus gibt es jedoch nicht. Fu¨r die Bedu¨rfnisse der vorliegenden Analyse werden zwei unterschiedliche, von Wirtschaftshistorikern vorgeschlagene Herangehensweisen beru¨cksichtigt. Nach Fernand Braudel3 existieren Grund- und Luxuskon* Auf der Grundlage zweier a¨lterer Beitra¨ge (vgl. Anm. 1) erstellte Originalfassung; U ¨ bersetzung von

Heidemarie Petersen.

1 Vgl. Jerzy Piekalski/Krzysztof Wachowski, Standard i luksus w s´ redniowiecznym Wrocławiu. Moz˙

liwo´sci identyfikacji [Standard und Luxus im mittelalterlichen Breslau. Mo¨glichkeiten der Identifizie´ askie rung], in: Sl ˛ Sprawozdania Archeologiczne 51 (2009), S. 77–95; Jerzy Piekalski, Wohlstand und Luxus in der mittelalterlichen Stadt Breslau, in: Luxus und Lifestyle. Lu¨becker Kolloquium zur Stadtarcha¨ologie im Hanseraum VI, hg. v. Manfred Gla¨ser, Lu¨beck 2008, S. 545–556. 2 Marian Dygo, Wscho´d i Zacho´d: Gospodarka Europy w XIV–XV wieku [Ost und West: Wirtschaft in Europa im 14./15. Jahrhundert], in: Ziemie polskie wobec Zachodu. Studia nad rozwojem s´ redniowiecznej Europy, hg. v. Dems. u.a, Warszawa 2006, S. 117–194, hier 131–138. 3 Fernand Braudel, Sozialgeschichte des 15. – 18. Jahrhunderts, Bd. 1: Der Alltag, Sonderausgabe Mu¨nchen 1990, S. 189–357 [in der poln. Ausgabe, Warszawa 1992, S. 157–275].

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sum als separate Modelle, die beide als allgemeingesellschaftliche Pha¨nomene aufzufassen sind. Die Grenzen beider Modelle sind nach Braudel flexibel, abha¨ngig vom Wohlstandsniveau einer Gesellschaft; das Streben nach Luxus sei ein Faktor des Fortschritts. Einen Versuch, diese beiden Kategorien fu¨r das spa¨tmittelalterliche und fru¨hneuzeitliche Mitteleuropa zu definieren, ist bereits vor la¨ngerer Zeit von Witold Kula unternommen worden.4 Zum Grundbedarf za¨hlte er Getreideprodukte, Salz, einheimische Getra¨nke, die Kosten fu¨r das Wohnen in einem Haus aus Holz sowie ¨ berfluss stellten ihm zufolge tierische Produkte, imporgewo¨hnliche Kleidung. U tierte Getra¨nke, Kolonialwaren, die Kosten fu¨r das Wohnen in einem Haus aus Stein und aufwa¨ndige, elegante Kleidung dar. Fu¨r Christopher Berry5 za¨hlen zum Luxus Gu¨ter, die allgemein begehrt, aber dem massenhaften Konsum nicht zuga¨nglich sind. Sie bildeten keine separate Kategorie von Gu¨tern. Luxus sei subjektiv und im Kontext der Bedu¨rfnisse des konkreten Konsumenten zu interpretieren. Luxus sei also nicht immer eindeutig zu identifizieren. Grundlegend fu¨r das hier aufgeworfene Problem erscheint die Frage, welcher Wohnstandard im mittelalterlichen Breslau als durchschnittlich galt und welcher u¨ber die gewo¨hnlichen Bedu¨rfnisse und Mo¨glichkeiten eines Bu¨rgers hinausging. Der gegenwa¨rtige Wissensstand u¨ber die Bauten des mittelalterlichen Breslaus erlaubt es, Beispiele zur Illustrierung der unterschiedlichen Niveaus aufzuzeigen. Es scheint, dass im 13. Jahrhundert fu¨r eine Bu¨rgerfamilie zweigeschossige, in Riegelbauweise aus Holz errichtete Ha¨user als ausreichend galten. Die von einem solchen Haus eingenommene Fla¨che betrug durchschnittlich etwa 30 m2. Das untere, teilweise in den Boden eingetiefte Geschoss diente als Werkstatt oder Magazin. Das von einem Ofen beheizte Obergeschoss diente Wohnzwecken. Es ist nicht genau bekannt, wann man eine innere Aufteilung des Wohnbereichs einfu¨hrte, und wann eine solche zum unerla¨sslichen Standard wurde. Die Ha¨user standen an der Straße, aber die Einga¨nge brachte man an der Hofseite an. Eine Außentreppe fu¨hrte in das Obergeschoss. Die vielfache, durch Funde an verschiedenen Punkten der Stadt besta¨tigte Wiederholung dieses Bauschemas legt es nahe, dass dieses Schema im 13. Jahrhundert in Breslau der allgemein angenommene Standard fu¨r ein Haus war.6 Infolge neuer Funde weiß man, dass auch die urspru¨ngliche Bebauung am Ringplatz aus solchen Ha¨usern bestand. Gleichzeitig jedoch baute man in Breslau, hauptsa¨chlich in der Umgebung des Ringplatzes, auch Ha¨user wesentlich ho¨herer Qualita¨t. Sie zeichneten sich durch ihre aus Ziegeln konstruierten Mauern aus und hatten zwei oder drei Geschosse, deren

4 Witold Kula, O pewnym aspekcie post˛epu gospodarczego [U ¨ ber einen bestimmten Aspekt des o¨ko-

nomischen Fortschritts], in: Roczniki Dziejo´w Społecznych i Gospodarczych 10 (1948), S. 173–183.

5 Christopher Berry, The idea of luxury: a conceptional and historical investigation, Cambridge 1994. 6 Jo´zef Kazmierczyk, ´ Wrocław lewobrze˙zny we wczesnym s´ redniowieczu [Das linksufrige Breslau im

Fru¨hmittelalter], Teil 1, Wrocław 1966, S. 164–168; Jerzy Piekalski, Holzbauten im spa¨tmittelalterlichen Breslau, in: Archa¨ologisches Korrespondenzblatt 26 (1996), S. 363–375; Jerzy Niegoda, Zmiany w zagospodarowaniu przestrzeni w rejonie placu Nowy Targ w XII–XIV w. [Vera¨nderungen in der Raumnutzung im Bereich des Neumarktes im 12. – 14. Jahrhundert], in: Wschodnia strefa Starego Miasta we Wrocławiu w XII–XIV wieku. Badania na placu Nowy Targ, hg. v. Cezary Bu´sko, Wrocław 2005, S. 69–84, hier S. 70–71.

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unterstes teilweise in den Boden eingetieft wurde. Ihre Grundfla¨che war in Abha¨ngigkeit von der Parzellenbreite unterschiedlich groß. Die gro¨ßten Ha¨user nahmen im 13. Jahrhundert eine Fla¨che von etwa 200 m2 ein, also wesentlich mehr als die Holzha¨user. Besonders repra¨sentativ waren die Ha¨user an der westlichen, der „Kauf-

Abb. 1: Breslau, Ringplatz 6: Rekonstruktion des dritten Geschosses eines Hauses aus dem 13. Jahrhundert Quelle: Chorowska, Przemiany architektoniczne wrocławskich (wie Anm. 8), S. 115–128

mannsseite“ des Ringplatzes, darunter zwei gut erhaltene Geba¨ude auf der Parzelle Nr. 6 (vgl. Abb. 2 bei Chorowska, Palast und Wohnhaus, in diesem Band). Jedes von ihnen hatte eine Grundfla¨che von etwa 106 m2, und Forscher haben sie als dreigeschossig rekonstruiert.7 Ein Ausbau der Ha¨user noch im 13. Jahrhundert sowie deren anschließende Zusammenlegung zu einer Einheit vergro¨ßerten die Fla¨che auf 379 m2. Dies zeigt die Richtung auf, in die sich Komfort und Status entwickelten. Das funktional differenzierte Hausinnere war an die Bedu¨rfnisse der Eigentu¨mer angepasst und unterschiedlich hoch. Im no¨rdlichen Haus war das Erdgeschoss am ho¨chsten und erreichte 2,70 m, die erste Etage hatte eine Ho¨he von 2,60 m und die zweite von 2,40 m. Im su¨dlichen Haus konnte eine andere Regelung ermittelt werden: Das Erdgeschoss hatte eine Ho¨he von 3,50 m, die erste Etage war um 80 cm niedriger, aber die 7 Małgorzata Chorowska/Cezary Lasota/Jerzy Rozpedowski, ˛ Blok zachodni Rynku wrocławskiego

w okresie s´ redniowiecza [Der Westblock am Breslauer Ringplatz im Mittelalter], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 39 (1994), S. 285–306; Dies., Układ przestrzenny kamienicy Rynek 6 we Wrocławiu w XIII–XIX w. [Die Raumstruktur des Hauses Ringplatz 6 in Breslau im 13. – 19. Jahrhundert], in: Architektura Wrocławia, Bd. 1: Dom, hg. v. Jerzy Rozpedowski, ˛ Wrocław 1995, S. 139–162.

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zweite Etage erreichte ganze 4,50 m, was als Merkmal von Repra¨sentation, mithin von Luxus interpretiert wird. Die zweiten und dritten Geschosse wurden durch Kamine geheizt. Licht erhielten sie durch die Fenster und abends durch in Wandnischen angebrachte Kerzen. Die

Abb. 2: Breslau, Ringplatz 6: Wappenmotiv der Familie Boner an einer Innenwand, spa¨tes Mittelalter, Zustand 1984 Quelle: Chorowska, Przemiany architektoniczne wrocławskich (wie Anm. 8), S. 115–128

Ziegelwa¨nde waren innen rot bemalt, die Fugen durch weiße Kalkfarbe hervorgehoben. Die repra¨sentativen Funktionen des Hauses Ringplatz Nr. 6, aber auch der ihm benachbarten Geba¨ude, wurden im Spa¨tmittelalter und in der Neuzeit ausgebaut. Im 15./16. Jahrhundert geho¨rte es der beru¨hmten Kaufmannsfamilie Boner, die in Breslau, Nu¨rnberg und Krakau aktiv war. In der Dekoration des Hauses hat man Motive ihres Familienwappens entdeckt (Abb. 2). Der Stadtrat empfing dort hochstehende Ga¨ste wie die bo¨hmischen Ko¨nige Ladislaus Jagiełło (1511) und Ferdinand I. von Habsburg (1527).8 Die Vorstellungen von Wohnkomfort unterlagen freilich auch im mittelalterlichen Breslau einem Wandel. So nahmen etwa die Anforderungen an 8 Małgorzata Chorowska, Przemiany architektoniczne wrocławskich kamienic przyrynkowych na

przestrzeni XIII–XVIII wieku [Architektonische Vera¨nderungen der Ha¨user am Breslauer Ringplatz im 13. – 18. Jahrhundert], in: Wrocławski Rynek. Materiały konferencji naukowej zorganizowanej przez Muzeum Historyczne we Wrocławiu w dniach 22–24 pa´zdziernika 1998 r., hg. v. Marzena Smolak, Wrocław 1999, S. 115–128.

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Abb. 3: Breslau, Neumarkt: romanischer Kerzenleuchter aus einem Haus, 13. Jahrhundert Fotographie B. Miazga

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die konstruktive Solidita¨t eines Bauwerkes, an seine Brandsicherheit, die Qualita¨t der Beheizung und die Rauchableitung im Verlauf des 14./15. Jahrhunderts immer weiter zu. Besonders reiche Patrizierfamilien errichteten auf ihren Landgu¨tern außerhalb der Stadt Residenzen nach adligem Vorbild.9

cm

Abb. 4: a–b Breslau, Stockgasse 11: Ofenkacheln mit ho¨fischen Ornamenten, 15. Jahrhundert Zeichnung T. Demidzuk

Das Streben nach Luxus gab es nicht nur unter den Patriziern, deren finanzielle Mo¨glichkeiten es ihnen erlaubten, in ihren Ha¨usern ein hohes Maß an Luxus und Pracht zu entfalten. Einzelne luxurio¨se Elemente konnten auch in die bescheidenen Ha¨user nicht vermo¨gender Bu¨rger aufgenommen werden. Beispiele dafu¨r finden sich bereits in den Holzha¨usern des 13. Jahrhunderts. Lichtquelle waren dort gewo¨hnli¨ llampen oder Kerzen in eisernen Kerzenhaltern. In einem der Ha¨user, die dort che O vor dem Abstecken des Neumarktes errichtet wurden, fand man jedoch einen repra¨sentativen, im romanischen Stil gestalteten Leuchter aus einer Legierung von Kupfer 9 Marian Kutzner, Po´znogotycka ´ rezydencja patrycjuszowska w Wojnowicach [Eine spa¨tgotische

´ ´ Patrizierresidenz in Zindel], in: Sztuka miast i mieszczanstwa XV–XVIII wieku w Europie Srodkowowschodniej, hg. v. Jan Harasimowicz, Warszawa 1990, S. 103–130; Małgorzata Chorowska/ ´ Czesław Lasota, Po´znogotycki dwo´r w Komorowicach. Wiejska siedziba mieszczanina [Ein spa¨tgotisches Geho¨ft in Komorowice. Der Landsitz eines Stadtbu¨rgers], in: Civitas et villa. Miasto i wie´s w ´ s´ redniowiecznej Europie Srodkowej, hg. v. Cezary Bu´sko u. a., Wrocław/Praha 2002, S. 397–404.

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mit Zinn, Zink und Blei (Abb. 3). Ein anderes Beispiel fu¨r einen „Hauch von Luxus“ bietet ein a¨sthetisch hochwertiger Kachelofen, den man bei den Relikten des Scharfrichterhauses in einem schlecht beleumdeten Stadtteil, in der Stockgasse 10–11, entdeckt hat (Abb. 4 a–b).10 Fundsta¨tten an unterschiedlichen Punkten des mittelalterlichen Breslau erlauben die Schlussfolgerung, dass ein durchschnittlich vermo¨gender Bu¨rger es sich erlauben konnte, sein Alltagsleben durch den Gebrauch oder auch nur den Besitz von Objekten abwechslungsreicher zu gestalten, deren Qualita¨t u¨ber das unbedingt notwendige Maß hinausreichte; und sei es auch nur bei der Ausstattung seiner Tafel mit metallenem Geschirr, Glas und luxurio¨ser Keramik. Das Ritual, seine Ga¨ste vor einem Gastmahl zu begru¨ßen, geho¨rt zur ho¨fischen Kultur im weitesten Sinne. Es manifestierte sich u. a. darin, dass man den Ga¨sten zur symbolischen Handwaschung ein Lavabo (zwei Schu¨sseln oder eine Schu¨ssel und einen Krug bzw. ein Aquamanile) reichte. Bislang sind aus Breslau keine Aquamanilen aus Metall, sondern lediglich solche aus Keramik bekannt. Besonders prachtvoll und imposant ist ein glasiertes Keramikgefa¨ß in Gestalt eines Pferdes (Farbtafel 1), wahrscheinlich ein Import des 13. Jahrhunderts, der mo¨glicherweise aus den su¨dlichen Niederlanden stammt. Andere Aquamanilen wurden wahrscheinlich vor Ort gefertigt; sie sind jedoch von ungleich geringerer Qualita¨t. Daru¨ber hinaus hat man mehrere kleine Bruchstu¨cke von Aquamanilen entdeckt, deren vollsta¨ndige Rekonstruktion jedoch schwierig ist. In Breslau hat man außerdem eine Bronzeschu¨ssel aus dem 13. Jahrhundert mit so genannter romanischer Gravur, einem geometrischen Ornament, gefunden (Abb. 5), sowie eine hochwandigere Schu¨ssel aus dem 15. Jahrhundert mit beinahe senkrechten Seitenwa¨nden, wie sie fu¨r den Einflussbereich der Hanse typisch sind. Typisch fu¨r das Breslau des Fru¨h- und Hochmittelalters war Tafelgeschirr aus Keramik oder Holz; allein gewo¨hnliche Eisenmesser stellten eine gewisse Bereicherung dar. Die Keramikgefa¨ße verschwinden auch im Spa¨tmittelalter nicht, aber ihre Qualita¨t wird eine andere. Es tauchen Importe nicht nur aus nahegelegenen Regionen, wie etwa die Losˇtice-Keramik aus Ma¨hren11 oder Gefa¨ße der „Falke-Gruppe“ aus der Oberlausitz (Abb. 6)12 auf, sondern auch vermutlich britische Gefa¨ße mit Verzierungen des Bartmann-Typs oder eine spanische Schale aus Me´rida (Farbtafel 2).13 10 Katarzyna Dymek, Sredniowieczne ´ ´ askie i renesansowe kafle Sl ˛ [Schlesische Kacheln der Renaissance

und Fru¨hen Neuzeit], Wrocław 1995, S. 29–31, 247–249; Dies., Piec kaflowy [Der Kachelofen], in: Ze ˙ studio´w nad zyciem codziennym w s´ redniowiecznym mie´scie. Parcele przy ulicy Wi˛eziennej 10–11 we Wrocławiu, hg. v. Cezary Bu´sko/Jerzy Piekalski, Wrocław 1999, S. 44–53. o 11 Vladimı´r Gosˇ, Losˇtice. Mˇesto stˇredovˇeky´ch hrnˇciˇru [Losˇtice. Eine mittelalterliche To¨pferstadt], Opava 2007. 12 Hans-Georg Stephan/David Gaimster, Die „Falke-Gruppe“. Das reich verzierte Lausitzer Steinzeug der Gotik und sein archa¨ologisch-historisches Umfeld, in: Zeitschrift fu¨r Archa¨ologie des Mittelalters 30 (2003), S. 107–163; Hans-Georg Stephan, Badania nad ceramika˛ „grupy Falkego“. Bogato ˙ zdobiona gotycka kamionka łuzycka i jej s´ rodowisko archeologiczno-historyczne [Forschungen zur Keramik der „Falke-Gruppe“. Das reich verzierte Lausitzer Steinzeug der Gotik und sein archa¨olo˙ gisch-historisches Umfeld], in: Wrocław na przełomie s´ redniowiecza i czaso´w nowozytnych. Mate˙ rialne przejawy zycia codziennego, hg. v. Jerzy Piekalski/Krzysztof Wachowski, Wrocław 2004, S. 293–330. 13 Beata Miazga, A unique ceramic bowl from the Old Town in Wroclaw. The results of Archeometric ´ askie Analysis, in: Sl ˛ Sprawozdania Archeologiczne 51 (2009), S. 253–267.

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Abb. 5: Breslau, Ohlauerstraße (Ohlauer Tor), Lavabo (Schu¨ssel), so genannte romanische Bronzeschu¨ssel, graviert, 13. Jahrhundert Zeichnung N. Lenkow

Aus dem Westen kommen auch vorher vo¨llig unbekannte, mo¨glicherweise eher in der Ku¨che gebrauchte ho¨lzerne so genannte Drechselkannen (Deckel mit Ringgriff, Abb. 7). Relativ ha¨ufig finden sich Glasgefa¨ße,14 und ganz sporadisch Gefa¨ße aus

14 Katarzyna Nowosielska, Sredniowieczne ´ ˙ i nowozytne wyroby szklane z badan´ na Starym Mie´scie

we Wrocławiu [Mittelalterliche und neuzeitliche Glaserzeugnisse aus Untersuchungen in der Breslauer ´ sredniowieczne Altstadt], in: Wrocław na przełomie (wie Anm. 12), S. 57–88; Jadwiga Biszkont, Po´zno´ ´ asku szklarstwo na Sl ˛ [Spa¨tmittelalterliche Glasfertigung in Schlesien], Wrocław 2005.

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Abb. 6: Breslau, Nikolaigasse: Importiertes Keramikgefa¨ß der „Falke-Gruppe“, 15. Jahrhundert Zeichnung N. Lenkow

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Abb. 7: Breslau, Neumarkt: Ho¨lzerner Deckel mit Griff einer Drechselkanne Fotographie B. Miazga

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Zinn, wie sie ha¨ufig in Testamenten erwa¨hnt werden.15 Aus Breslau sind lediglich eine zinnerne Saucie`re und einige Hansekannen (Abb. 8) bekannt.16 Im Fall der Letzteren u¨bernahm man aus dem Westen nicht nur die Form und die Fertigkeit, sie zu produzieren, sondern auch die Funktion. Unserer Ansicht nach dienten diese Gefa¨ße na¨mlich zum Ausschenken von Wein bzw. – genauer gesagt – zur hauptsa¨chlich ha¨uslichen sakralen Verwendung des Weins. Dafu¨r sprechen die auf dem Kannenboden oder an der Deckelinnenseite vorkommenden Devotionsplaketten und manchmal auch Wallfahrtszeichen. Eine Neuheit sind im Spa¨tmittelalter Vorlegemesser. Das Klingenende ist hier gewo¨hnlich stumpf, der Griff in der Regel ganz aus Bein gefertigt, ha¨ufig mit figurativen Darstellungen (Abb. 9a-c), oder mit Pla¨ttchen aus Bein und Zinnblech verziert. Es ist schwer zu beurteilen, ob die im Spa¨tmittelalter auftauchenden metallenen Mo¨rser eher fu¨r die Tafel, die Ku¨che oder fu¨r den Gebrauch in Apotheken bestimmt waren. Der Ku¨che zuzuordnen sind dagegen Bratspießhalterungen aus Keramik, die wahrscheinlich aus dem Einflussgebiet der Hanse nach Schlesien gelangten, wenngleich sich auch Spuren einer lokalen Produktion feststellen lassen. Aus Edelmetallen, insbesondere aus Gold gefertigte Objekte za¨hlen traditionell zu den Luxuserzeugnissen. Insgesamt sind aus Breslau einige goldene Ringe bekannt. Aus a¨lteren Untersuchungen stammt außerdem ein ju¨discher Siegelring (Abb. 10). Sehr selten kommen in Polen die so genannten „kołtki“ oder „kołty“ vor, ein fu¨r den ostslavischen Raum typischer Schmuck weiblicher Kopfbedeckungen. In Breslau hat man einen solchen Schmuck aus Zinn entdeckt, der mit Filigran und Granulat verziert sowie mit Besa¨tzen versehen ist (Abb. 11). Dieser Fund ist, neben zwei Enkolpien, vermutlich auf Kontakte mit Groß Novgorod, einem wichtigen Zentrum der Hanse, zuru¨ckzufu¨hren. Aus Breslau bislang unbekannt sind die auf bildlichen Darstellungen auftauchenden, aus Edelmetallen gefertigten und als Tassel bezeichneten Mantelschließen. Lediglich ein ziemlich einfaches Exemplar aus Zinn stammt vom Ringplatz. Es sei daran erinnert, dass in allen Kodizes der Hedwigslegende Herzog Heinrich der Ba¨rtige ha¨ufig mit Tasseln in Form eines Wappenschildes mit Adler und Binde auftritt. Interessant ist ein als Ajourarbeit aus einer Zinn-Bleilegierung gegossenes Objekt in Gestalt eines Wappenschildes mit gekro¨ntem Lo¨wen (Farbtafel 3). Es handelt sich dabei wahrscheinlich um eine Darstellung des bo¨hmischen Wappens, um eine Art Applikation an der Schabracke eines Pferdes oder am Mantel eines Mannes. Aus Breslau ebenfalls unbekannt sind aus Edelmetallen gefertigte, als Haftel bezeichnete Schmuckschließen von Untergewa¨ndern, wie sie aus Schriftquellen und seltener von bildlichen Darstellungen bekannt sind. Unla¨ngst hat man jedoch viele Imitate solcher Hafteln aus Zinn entdeckt. Bisher aus Polen nicht bekannt waren Gu¨rtelschnallen mit einem oben offenen Rahmen und einem Bu¨gel in anthropomorpher Gestalt. Ein Fragment einer solchen Schnalle ist vor einiger Zeit am Neumarkt in Breslau gefunden worden (Abb. 12). 15 Alwin Schultz, Excerpte aus Breslauer Stadtbu¨chern, bezu¨glich der Privatalterthu¨mer, in: Anzeiger

fu¨r Kunde der deutschen Vorzeit, N. F. 18 (1871), No. 1–5, Sp. 12–16, 44–47, 75–80, 100–104. 16 Krzysztof Wachowski/Jacek Witkowski, Wrocław wobec Hanzy [Breslau und die Hanse], in:

Archeologia Polski 48 (2003), S. 201–221.

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Abb. 8: Breslau, Judengasse: Hansekanne aus Zinn, 15. Jahrhundert Fotographie J. Szajt

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Abb. 9: Breslau: Beinerne Messergriffe mit figurativer Darstellung links: Universita¨tsplatz (nach Piekalski/Wachowski, Standard i luksus [wie Anm. 1]); Mitte: pl. Polski; rechts: Ringplatz Quelle: nach Aleksander Limisiewicz u. a., Stratygrafia nawarstwien´ kulturowych [Stratigraphie der Kulturschichten], in: Rynek wrocławski w s´ wietle badan´ archeologicznych, Teil 2, hg. v. Jerzy Piekalski, Wrocław 2002, S. 79–108, hier S. 107

Abb. 10: Breslau, Altstadt: ju¨discher Siegelring, 14./15. Jahrhundert Quelle: Wodzinski, ´ Hebrajskie inskrypcje (wie Anm. 25), S. 167–197

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cm Abb. 11: Breslau, links: Neumarkt, Kołtka, Zinn rechts: Ringplatz, Mantelschließe, so genannte Tassel, Zinn Fotographie B. Miazga

Abb. 12: Breslau, Neumarkt: Fragment einer Gu¨rtelschnalle Fotographie R. Szczerek

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In Westeuropa waren im Mittelalter kleine, in Elfenbein eingefasste Spiegel ziemlich popula¨r. In die Ru¨ckseite waren zumeist Darstellungen biblischer Themen oder Szenen aus dem Themenkreis der ho¨fischen Minne eingeschnitzt. Aus Breslau ist eine solche Einfassung mit einer Verku¨ndigungsszene bekannt. Objekte, die zur figu¨rlichen Kleinplastik za¨hlen, sind in Polen eine große Seltenheit. Außer Acht gelassen werden sollen hierbei die kleinen Heiligenfiguren aus Holz oder Metall, die zur Ausstattung der Gottesha¨user geho¨rten, sowie die lediglich in Schlesien beliebten Figu¨rchen aus Ton.17 Von den Parzellen der Bu¨rgerha¨user oder den Pla¨tzen in Breslau stammen lediglich vier Zinnfigu¨rchen: zwei Devotionsfiguren – eine Madonna mit Kind (Farbtafel 4) und ein nicht identifizierter Bischof; eine Figur mit Harfe, wahrscheinlich David darstellend sowie ein Pferd. Dieser Sammlung hinzufu¨gen la¨sst sich eine beinerne Schachfigur, die einen knienden Krieger mit Panzerhemd und Helm darstellt, der wahrscheinlich ein Schwert in der Hand ha¨lt (Farbtafel 5). In der Fru¨hen Neuzeit tauchen immer ha¨ufiger in der Auflagetechnik verzierte Keramikgefa¨ße ¨ berresten u. a. von Pra¨geauf. In der Breslauer Neustadt hat man eine To¨pferei mit U formen sowie von misslungenen Werkstu¨cken entdeckt (Farbtafel 6). Dort wurden sowohl Gefa¨ße als auch Kacheln produziert.18 An die Schriftkundigkeit ihrer Benutzer war eine Gruppe von Objekten gebunden, die jedoch in ihrer Gesamtheit schwerlich als Luxuserzeugnisse zu betrachten sind. Importierte oder westliche Exemplare nachahmende Schreibgriffel kommen in Breslau geha¨uft in der Na¨he der Gottesha¨user vor, bei denen es Schulen gab und wo die Schu¨ler sie ho¨chstwahrscheinlich verloren haben. In Elfenbein gefasste Wachstafeln, verziert mit religio¨sen Motiven oder mit solchen aus der ho¨fischen Minne, sind aus Schlesien bislang nicht bekannt. In diesem Kontext la¨sst sich ein ju¨ngst gemachter Fund auf dem Neumarkt zu den Luxuserzeugnissen za¨hlen; dabei handelt es sich um in Holz gefasste Wachstafeln, deren Vorder- und Ru¨ckseite mit auf Pergament gemalten und eingeklebten farbigen Illustrationen religio¨sen Inhalts verziert sind. Sie waren zusammen in einem mit Pflanzenornamenten verzierten Lederfutteral aufbewahrt worden. Aus Museumssammlungen stammt dagegen ein gro¨ßeres Futteral fu¨r Wachstafeln, das mit eingepra¨gten biblischen Darstellungen (David, Samson) sowie den Wappen der schlesischen und bo¨hmischen Pˇremyslidenherzo¨ge verziert ist (Farbtafel 7). Die Idee der ho¨fischen Minne gelangte zweifellos von außen nach Schlesien. Sie wurde auch von den schlesischen Herzo¨gen selbst propagiert. Soweit es um Breslau geht, ist hier in erster Linie Heinrich IV. der Gerechte zu erwa¨hnen, der auf einer Miniatur des beru¨hmten Manesse-Codex, in dem auch zwei seiner in deutscher Sprache geschriebenen Liebesgedichte aufgezeichnet sind, als Minnesa¨nger dargestellt ist. Es gibt auch materielle Zeugnisse der Minne, so etwa eine Plakette (badge), die ein Paar unter dem Minnebaum darstellt (Abb. 13) und eine a¨hnliche Szene auf einem Lo¨ffel aus Zinnguss, ein Objekt aus Zinn in Gestalt eines Lindenblatts und einen 17 Tomasz Borkowski, Produkcja figurek ceramicznych w po´zno´ ´ sredniowiecznym Wrocławiu [Die

Produktion von Keramikfigu¨rchen im spa¨tmittelalterlichen Breslau], in: Wrocław na przełomie (wie Anm. 12), S. 207–244. 18 Dymek, Sredniowieczne ´ (wie Anm. 10); Dies., Piec kaflowy (wie Anm. 10).

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cm Abb. 13: Breslau, Neumarkt, Abzeichen mit Darstellung eines Paares unter dem Minnebaum, Zinn Fotographie R. Szczerek

Ledergu¨rtel mit ausgeschnittenen und mit Goldfolie unterlegten Herzen. Es ist nicht sicher, ob ein Lederband mit aufgemaltem Wappenschild und stilisierten, an die spa¨ berbleibsel einer Minnetruhe ist. Ein absonische Kunst anknu¨pfenden Lilien das U

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cm Abb. 14: Breslau, Neumarkt: Plakette mit Verku¨ndigungsszene, im Mittelalter zu einer Minneszene umgearbeitet, Zinn Zeichnung Autoren

lutes Unikat ist eine Metallplakette mit religio¨ser Darstellung, die noch im Mittelalter zu einer Minneszene umgearbeitet wurde (Abb. 14). Oft bestehen erhebliche Schwierigkeiten, Objekte der ho¨fischen Minne von solchen zu unterscheiden, die mit einer Verma¨hlung zusammenhingen. In Breslau hat man einige Bruchstu¨cke von aus einer Zinnlegierung gefertigten Diademen entdeckt. Auf zweien von ihnen haben sich Adlerdarstellungen erhalten (Abb. 15), die stilistisch ziemlich eindeutig an ein

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cm Abb. 15: Breslau, Neumarkt: Hochzeitsdiadem mit Adlerdarstellung Fotographie R. Szczerek

bekanntes goldenes Hochzeitsdiadem aus einem Schatzfund in Neumarkt/Schlesien anknu¨pfen.19 Ein Beispiel einer bildlichen Turnierdarstellung20 begegnet uns in der bereits erwa¨hnten Miniatur aus dem Manesse-Codex, die Heinrich IV. den Gerechten als Sie19 Klejnoty monarsze. Skarb ze Srody ´ ´ askiej Sl ˛ [Die Kleinodien eines Monarchen. Ein Schatzfund aus

Neumarkt/Schlesien], hg. v. Jerzy Pietrusinski/Jacek ´ Witkowski, Wrocław 1996, hier Tab. I–III.

20 Jacek Witkowski, Ksia˙ ˛z˛e i dama na turnieju. Przejawy obyczajowo´sci turniejowej w sztuce s´ laskiego ˛

s´ redniowiecza [Herzog und Dame beim Turnier. Turnierszenen in der mittelalterlichen schlesischen Kunst], in: Quart 1/15 (2010), S. 3–17.

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ger eines Turniers darstellt, der seine Belohnung, einen Kranz, aus den Ha¨nden einer Dame entgegennimmt. Mit der Turnierthematik verbindet sich anscheinend auch ein erhaltenes Diadem aus Zinn mit einer Pferdedarstellung, die wahrscheinlich Teil einer Ritterszene war (Farbtafel 8). Die in Westeuropa ziemlich beliebten Lo¨ffel aus Zinnguss21 sind ku¨rzlich auch in Breslau entdeckt worden. Leider ist die Bedeutung der auf ihnen zu sehenden Darstellungen nicht immer klar. Es scheint jedoch, dass sich die:Lo¨ffel mit den Darstellungen von Fischen – dem Symbol fu¨r Christus oder allgemeiner fu¨r das Christentum – mit der Taufe in Verbindung bringen lassen.

cm Abb. 16: Breslau, Neumarkt: Abzeichen (badge), Zinn, mit Darstellung von Tricktrack- und Mu¨hlespielbrettern Quelle: Entwurf der Autoren; Fotographie R. Szczerek

Noch bis vor Kurzem schien es, als ka¨men in Polen keine Abzeichen aus Zinn, die so genannten badges vor.22 Funde in Danzig und ju¨ngst auch in Breslau haben jedoch eine ziemlich bedeutende Anzahl von ihnen zum Vorschein gebracht. Nur in wenigen Fa¨llen la¨sst sich heutzutage ihre Funktion bestimmen. Nichtsdestoweniger scheint ¨ bernahme der Idee, Objekte zu tragen oder vielleicht auch herzustellen, allein die U die keine praktische Bedeutung besaßen, im Mittelalter eine Art Luxus dargestellt zu haben (Abb. 16). Auf bildlichen Darstellungen bemu¨hte man sich in der Regel, die soziale Position durch das Zeigen von Wertgegensta¨nden zu markieren. Dazu geho¨rten u. a.

21 Stefan Krabath, Die hoch- und spa¨tmittelalterlichen Buntmetallfunde no¨rdlich der Alpen, Bd. 1: Text,

Rahden 2001.

22 Michael Mitchiner, Medieval Pilgrim & Secular Badges, London 1986; Heilig en Profan: 1000 laat-

middeleeuwse insignes uit de collectie van H. J. E. van Beuningen, hg. v. Hendrik J. E. van Beuningen/Adrianus Maria Koldeweij, Cothen 1993; Heilig en Profan 2: 1200 laatmiddeleeuwse insignes uit openbare en particuliere collecties, hg. v. Hendrik J. E. van Beuningen/Adrianus Maria Koldeweij/ Dory Kicken, Cothen 2001; Brian Spencer, Pilgrim Souvenirs and Secular Badges, London 1998; Jos Koldeweij, Geloof & Geluk. Sieraad en Devotie in middeleeuws Vlaanderen, Brugie 2006.

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die aus Edelmetallen gefertigten und manchmal in Breslauer Testamenten erwa¨hnten so genannten Riech- oder Bisama¨pfel. Solche Objekte wurden auch in Zinn imitiert. Allerdings haben in Ajourtechnik gearbeitete Kugeln, in denen sich manchmal Muscheln o. a¨. befanden, bei denen es sich also um eine Art Schellen oder Rasseln handelt, ein identisches Aussehen (Farbtafel 9). Wallfahrten an nicht allzu weit entfernte Orte lassen sich schwerlich als ein Luxuspha¨nomen betrachten. Doch Reisen zu besonders wichtigen Wallfahrtssta¨tten, etwa in das Heilige Land, nach Rom oder nach Santiago de Compostela erforderten bedeutende finanzielle Aufwendungen. Aus a¨lteren Untersuchungen waren aus Breslau lediglich vier Wallfahrtsabzeichen bekannt; sie stammten aus Rom, Ko¨ln, Santiago de Compostela und von der regionalen Wallfahrtssta¨tte in Trebnitz.23 Neueste Funde auf dem Neumarkt haben etwa 30 weitere Abzeichen zum Vorschein gebracht. Die Mehrzahl stammt aus dem Westen, in erster Linie aus u¨berregionalen Wallfahrtszentren wie Aachen, Ko¨ln und Maastricht, einzelne auch aus dem Su¨den (u. a. aus Lucca) sowie aus dem Su¨dwesten (Rocamadour, Santiago de Compostela). Ein Kennzeichen der mittelalterlichen Stadt war die bedeutende Binnendifferenzierung ihrer Gemeinde und die schwer zu durchbrechende Trennung in Patriziat, einfache Handwerker und schließlich das gemeine Volk, das kein Bu¨rgerrecht besaß. In den Begra¨bnisbra¨uchen setzten sich die hierarchischen Verha¨ltnisse der Welt der Lebenden fort. Arme Stadtbewohner wurden gewo¨hnlich auf den Friedho¨fen von Franziskaner- oder Dominikanerkirchen begraben. Beisetzungsort eines Durchschnittsbu¨rgers war der Friedhof der Pfarrkirche. Eine Grablege im Kirchenschiff der Pfarrkirche war eine Auszeichnung, und die Ehre, im Chor beigesetzt zu werden, war Patriziern vorbehalten, die sich besonders um die Stadt und die Kirche verdient gemacht hatten. In der Breslauer Pfarrkirche St. Elisabeth fanden die Angeho¨rigen der Patrizierfamilien des 14./15. Jahrhunderts ihre letzte Ruhesta¨tte in aus Ziegeln gemauerten Familienbegra¨bnissen. Als Ausnahme ist in dieser Hinsicht das Grab des Wollha¨ndlers, Scho¨ffen und Ratsherrn Merkel Grasevingir zu betrachten, das unmittelbar vor dem Hauptaltar der Kirche (in ihrer a¨lteren Bauphase) lag und mit einer Granitplatte bedeckt war, in die sein Name und das Todesdatum eingraviert waren: MERKELO GRASEVINGIR DIE TRINITATIS+ANNO DOMINI MCCCXXXIII OBIIT. 24 Es sei hinzugefu¨gt, dass dies die a¨lteste Grabplatte eines christlichen Stadtbewohners in Breslau ist (Abb. 17). In der Zeit davor wurden – bereits seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts – nur Mitglieder der ju¨dischen Gemeinde durch Grabplatten mit Inschriften kenntlich gemacht.25

23 Krzysztof Wachowski, Wallfahrten schlesischer Bu¨rger im Mittelalter, in: Jahrbuch fu¨r Volkskunde

28 (2005), S. 137–158.

24 Czesław Lasota/Jerzy Piekalski, St. Elisabeth zu Breslau (Wrocław) – die Pfarrkirche der mittelal-

terlichen Stadt im Lichte der archaeologischen Untersuchungen, in: Zˇivot v archeologii stˇredovˇeku. o ˇ Smeta´nkovi, hg. v. Jana Kubkova´ u. a. Sbornı´k pˇrispˇevku vˇenovany´ch Miroslavu Richterovi a Zdenku Praha 1997, S. 408–415, hier S. 413. 25 Marcin Wodzinski, ´ asku ´ Hebrajskie inskrypcje na Sl ˛ XIII–XVIII wieku [Hebra¨ische Inschriften in Schlesien im 13. – 18. Jahrhundert], Wrocław 1996, S. 167–197.

Standard und Luxus im mittelalterlichen Breslau

Abb. 17: Breslau, Elisabethkirche: Grabplatte des Merkel Grasevingir, 1333 Fotographie R. Sierka

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*** ¨ bersicht u¨ber Pha¨nomene und Zeugnisse von Luxus erlaubt die Die vorangehende U Annahme, dass im mittelalterlichen Breslau und vermutlich auch in anderen Sta¨dten Mitteleuropas das Streben nach einer Verbesserung des Lebensstandards alle Gruppen der sta¨dtischen Gesellschaft auszeichnete. Die Grenze zwischen dem, was u¨blich war, und dem, was u¨ber die allgemein akzeptierten Grundbedu¨rfnisse hinausging, war nicht fest. Was im Haus eines Patriziers zur allta¨glichen Ausstattung geho¨rte, konnte in den Ha¨usern a¨rmerer Handwerkerfamilien oder des gemeinen Volkes als Luxus gelten. Eine angemessene qualitative Analyse der aufgefundenen beweglichen Luxusgu¨ter wird durch die Tatsache erschwert, dass Objekte von hohem Wert von ihren Nutzern besonders behu¨tet wurden und selten in die Kulturschicht gelangten. Nichtsdestoweniger la¨sst sich feststellen, dass auch auf den Parzellen a¨rmerer Bu¨rger zumindest vereinzelt Objekte und Einrichtungsgegensta¨nde begegnen, die durch ihre Qualita¨t hervorstechen. Sie dienten nicht allein einem verbesserten Lebenskomfort, sonder auch der Bereicherung des Alltags und der Statuserho¨hung ihres Benutzers, und manchmal hoben sie die Bedeutung einer Zeremonie hervor und dienten als Symbol. Zierrat konnte dem eigenen Vergnu¨gen dienen oder das Prestige in den Augen der Umgebung erho¨hen. Dies galt fu¨r viele Lebensbereiche: von Wohnung, Nahrung und Kleidung u¨ber die allta¨gliche Hygiene, die Hervorhebung von Feiertagen und besonderen Ereignissen bis hin zu Begra¨bnis und letzter Ruhesta¨tte, denen man besonderen Glanz verleihen wollte.

WIRTSCHAFTSLEBEN AN DER HOHEN STRASSE Zu den wirtschaftlichen Kontakten Breslaus mit Krakau und anderen kleinpolnischen Sta¨dten von Grzegorz My´sliwski*

I. Das 13. Jahrhundert – eine Wende in der Wirtschaftsgeschichte Ostmitteleuropas

Die ersten Hinweise auf wirtschaftliche Kontakte zwischen Breslau und Krakau stammen aus dem 13. Jahrhundert, das fu¨r die europa¨ische Wirtschaftsgeschichte ein außergewo¨hnliches Jahrhundert war. Damals vollzog sich im Westen der Ho¨hepunkt der so genannten commercial revolution.1 Zugleich hatten der Vierte Kreuzzug, die Gru¨ndung des Lateinischen Kaiserreiches im Jahre 1204 und sein Untergang (1261) sowie die Mongoleneinfa¨lle in Ost- und Mitteleuropa (1240–1242) langfristige wirtschaftsgeschichtliche Folgen. Die pax mongolica und die wirtschaftliche Beherrschung des Schwarzmeerbeckens durch die Republik Genua fu¨hrten zur Herausbildung o¨konomischer Verbindungen Europas mit den La¨ndern des Fernen Ostens, die fortan weit intensiver und enger waren als in fru¨heren Jahrhunderten.2 * Aktualisierte und um Abschnitte aus drei anderen Kapiteln (S. 55–92, 232–237 und 325–362) erwei-

terte Fassung des Kapitels „Blaski i cienie zwiazko ˛ ´ w z Krakowem i Małopolska˛ po 1335 r.“ [Lichtund Schattenseiten der Verbindungen mit Krakau und Kleinpolen nach 1335] aus der Monographie des Verfassers „Wrocław w przestrzeni gospodarczej Europy (XIII–XV wiek). Centrum czy peryferie?“ [Breslau im europa¨ischen Wirtschaftsraum (13. – 15. Jahrhundert) – Zentrum oder Peripherie?], ¨ bersetzung des Ausgangstextes von Herbert Ulrich. Wrocław 2009, S. 288–324; U 1 Aus der umfangreichen Literatur vgl. Robert S. Lopez, The Commercial Revolution of the Middle Ages (950–1350), 17. Aufl. Cambridge 1998, passim; Carlo M. Cipolla, Before the Industrial Revolution. European Society and Economy (1000–1700), New York/London 31994, S. 183–198; Norman J. G. Pounds, An Economic History of Medieval Europe, New York 21994, S. 407–442; Yves ˆ ge, Paris 1949, S. 26–28, 30, 38, 81; Lynn White Renouard, Les hommes d’affaires italiens du Moyen A jr., Medieval Technology and Social Change, Oxford 1994, S. 69–73, 88–89; Michael M. Postan, The Trade of Medieval Europe: The North, in: The Cambridge Economic History of Europe, Bd. 2, hg. v. dems./Edward Miller, Cambridge 1987, S. 168–305, hier S. 208–239. 2 So z. B. Federic C. Lane, Venice. A Maritime Republic, London/Baltimore 1973, S. 79; a¨hnlich, wenn auch mit Betonung der dunklen Seite der Mongoleneinfa¨lle Marian Małowist, Wscho´d a Zacho´d Europy w XIII–XVI wieku. Konfrontacja struktur społeczno-gospodarczych [Der Osten und der Westen Europas im 13. – 16. Jahrhundert. Eine Konfrontation der sozio-o¨konomischen Strukturen], ¨ ber die genuesischen Kolonien und ihre Rolle vgl. Michel Balard, Geˆnes Warszawa 1973, S. 27–29. U et la mer Noire, in: Revue Historique 270 (1983), S. 31–54, hier S. 31–35.

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Um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstand ein transkontinentales Wirtschaftssystem, das von Flandern bis China reichte, das etwa 100 Jahre u¨berdauerte.3 In ihm haben zweifellos auch (ost)mitteleuropa¨ische Sta¨dte eine Rolle gespielt. In Ostmitteleuropa selbst setzte sich die bereits fru¨her begonnene wirtschaftliche Entwicklung trotz der kurzen (Polen) oder la¨ngeren (Ungarn) Unterbrechung durch den Mongoleneinfall – im 13. Jahrhundert fort. Die Intensivierung der do¨rflichen Siedlung und der Urbanisierung nach deutschem Recht, die Anfa¨nge der Tuchmacherei, die Entwicklung des Bergbaus sowie des Fernhandels vera¨nderten die wirtschaftliche Landschaft der polnischen Gebiete vo¨llig.4 Die wirtschaftsgeschichtliche Wende des 13. Jahrhunderts, die in Schlesien intensiver verlief als in Kleinpolen, wo sie ihren Ho¨hepunkt erst im darauffolgenden Jahrhundert erreichte,5 fu¨hrte zum Anschluss der polnischen Gebiete und damit auch der Sta¨dte Breslau und Krakau an das europa¨ische Wirtschafts- und Handelssystem. Die schrittweise o¨konomische Integration des Kontinents trug zu einer Aufgabenteilung zwischen den seit dem 13. Jahrhundert entstehenden großen Wirtschaftszonen bei.6 Legen wir die Konzeption von Marian Małowist, Henryk Samsonowicz und Antoni Maczak ˛ zugrunde, muss davon ausgegangen werden, dass sowohl Breslau als auch Krakau zur Sudeten-Karpaten-Zone geho¨rte, die nicht nur Schlesien und 3 Janet Abu-Lughod, Before European Hegemony. The World System A. D. 1250–1350, New York/

Oxford 1989, S. 33–36, 353–359.

4 Aus der sehr umfangreichen Literatur vgl. Jan Rutkowski, Poland, Lithuania and Hungary, in:

The Cambridge Economic History of Europe, Bd. 1, hg. v. Michael M. Postan, Cambridge 1986, S. 487–506, hier S. 491–506; Marian Małowist, The Trade of Eastern Europe in the Later Middle Ages, in: The Cambridge Economic History (wie Anm. 1), S. 525–612, hier S. 528–582; Ders., Wscho´d (wie Anm. 2), S. 11–252; Henryk Samsonowicz, L’e´conomie de l’Europe du Centre-Est du Haut Moyen ˆ ge au XVIe sie`cle, in: Histoire de l’Europe du Centre-Est, Paris 2004, S. 3–106, 609–630, 667–695 hier A 621–641; Gyo¨rgy Sze´kely, Wallons et Italiens en Europe Centrale aux XIe-XVIe sie`cles, in: Annales Universitatis Scientiarum Budapestensis 6 (1964), S. 3–71; Jo¨rg Hoensch, Geschichte Bo¨hmens. Von der slavischen Landnahme bis zur Gegenwart, Mu¨nchen 31997, S. 98–101; Jan Kla´psˇte, ˇ Studies of structural change in medieval settlement in Bohemia, in: Antiquity: a quarterly review of archaeology 65 (1991), S. 396–405, hier S. 396f., 400, 405; Pa´l Engel, The Realm of St. Stephen. A History of Medieval Hungary, London/New York 2001, S. 49–65, 101–123; Adrienne Ko¨rmendy, Melioratio terrae. Vergleichende Untersuchungen u¨ber die Siedlungsbewegung im o¨stlichen Mitteleuropa im 13. – 14. Jahrhundert, Poznan´ 1995; Maria Bogucka/Henryk Samsonowicz, Dzieje miast i miesz´ czanstwa w Polsce przedrozbiorowej [Die Geschichte der Sta¨dte und des Bu¨rgertums in Polen vor der Teilungszeit], Wrocław 1986, S. 45–88; Piotr Go´recki, Economy, Society, and Lordship in Medieval Poland. New York/London 1992, S. 193–284; Sławomir Gawlas, O kształt zjednoczonego Kro´lestwa. Niemieckie władztwo terytorialne a geneza społecznoustrojowej odr˛ebno´sci Polski [Fu¨r die Gestalt des vereinigten Ko¨nigreiches. Die deutsche Territorialherrschaft und die Genese der Besonderheit des polnischen Gesellschaftssystems], Warszawa 1996, S. 81–95; Ders., Komercjalizacja jako mechanizm europeizacji peryferii na przykładzie Polski [Die Kommerzialisierung als Mechanismus zur Europa¨isierung der Peripherien am Beispiel Polens], in: Ziemie polskie wobec Zachodu. Studia nad rozwojem Europy, hg. v. Dems., Warszawa 2006, S. 25–116, hier S. 72–116. 5 Hermann Aubin, Die Wirtschaft im Mittelalter, in: Geschichte Schlesiens, Bd. 1, hg. v. Dems., ´ aska Stuttgart2 1961, S. 322–387; Historia Sl ˛ [Die Geschiche Schlesiens], Bd. 1, Teil 1, hg. v. Karol Maleczynski, ´ Wrocław 1960, S. 397; Bogucka/Samsonowicz, Dzieje (wie Anm. 4), S. 78, 85–87. 6 Małowist, Wscho´d (wie Anm. 2), S. 25–31; Antoni Maczak/Henryk ˛ Samsonowicz, Feudalism and Capitalism: a balance of changes in East-Central Europe, in: East-Central Europe in Transition. From the fourteenth to the seventeenth century, hg. v. Antoni Maczak/Henryk ˛ Samsonowicz/Peter Burke, Cambridge 1985, S. 6–23, hier S. 7; Samsonowicz, L’e´conomie (wie Anm. 4), S. 629.

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Kleinpolen umfasste, sondern auch die Gebiete Bo¨hmens und Ma¨hrens sowie das ausgedehnte Ko¨nigreich Ungarn (mit der Slowakei und Siebenbu¨rgen).7 Samsonowicz rechnete auch noch Moldawien, Ruthenien und voru¨bergehend Podolien dazu.8 Charakteristisch fu¨r diese Zone, die eine wesentliche Rolle im europa¨ischen Fernhandel spielte, waren ihre Bodenscha¨tze: das ungarische und schlesische Gold, das bo¨hmische und schlesische Silber sowie das kleinpolnische Blei und Salz.9 Damit verbunden war die Herausbildung eines großen Handelsweges, der Hohen Straße, die an den alten Handelsweg von Regensburg u¨ber Krakau nach Kiew anschloss. In der ersten Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts erfasste dieser neue Handelsweg auch Schlesien.10 Er reichte anfa¨nglich von Rothreußen bis Ko¨ln und wurde um 1340 in die Niederlande verla¨ngert (bis nach Deventer).11 Von besonderer Bedeutung fu¨r unser Thema waren die Verkehrsverbindungen von Breslau in die westruthenischen Sta¨dte. Im Zentrum Niederschlesiens begann ein mehrere Hundert Kilometer langer Abschnitt, der u¨ber Krakau nach Lemberg fu¨hrte.12 Zwischen Breslau und Krakau lagen an diesem Weg u. a. Brieg, Oppeln, Tost, Beuthen, Bendzin und Olkusz.13 Manchmal wurden auch Umwege genutzt: u¨ber Hundsfeld, Namslau, Kreuzburg, Kschepitz und Tschenstochau zum Bleibergbauzentrum in Olkusz.14 Es gab auch eine Parallelverbindung zur Hohen Straße, fu¨r die Neiße die Hauptrolle spielte, der nach Breslau wichtigste Verkehrsknotenpunkt Schlesiens.15 Dieser Neißer Arm erstreckte sich nach Westen u¨ber Leobschu¨tz, Ratibor, Sohrau, Auschwitz 7 Małowist, Wscho´d (wie Anm. 2), S. 25. 8 Henryk Samsonowicz, Relations commerciales Polono-Italiennes dans le bas Moyen A ˆ ge, in: Studi

in memoria di Federigo Melis, Bd. 2, hg. v. Luigi De Rosa, Napoli 1978, S. 287–301, hier S. 291.

9 Małowist, Wscho´d (wie Anm. 2), S. 25. 10 Aubin, Die Wirtschaft (wie Anm. 5), S. 427–428. 11 Friedrich Bruns/Hugo Weczerka, Hansische Handelsstraßen. Textband, Weimar 1967, S. 467–470,

539–548, 550–552, 568–570, 681–690; Stefan Weymann, Cła i drogi handlowe w Polsce piastowskiej [Zo¨lle und Handelsstraßen im piastischen Polen], Poznan´ 1938, S. 113–116; Janina Nowakowa, Roz´ asku ´ XIV wieku [Die Verteimieszczenie komo´r celnych i przebieg dro´g handlowych na Sl ˛ do konca lung der Zollkammern und der Verlauf der Handelsstraßen in Schlesien bis zum Ende des 14. Jahrhunderts], Wrocław 1951, S. 54–69, 78–87, 96–99; My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 75–80. Zur Verbindung mit Deventer Willem Pieter Blockmans, Das westeuropa¨ische Messenetz im 14. und 15. Jahrhundert, in: Bru¨cke zwischen den Vo¨lkern – Zur Geschichte der Frankfurter Messe, Bd. 1: Frankfurt im Messenetz Europas. Ertra¨ge der Forschung, hg. v. Hans Pohl, Frankfurt a. M. 1991, S. 37–51, hier S. 47. 12 Stanisław Kutrzeba, Handel Krakowa w wiekach s´ rednich na tle stosunko´w handlowych Polski [Der Handel Krakaus im Mittelalter vor dem Hintergrund der Handelsbeziehungen Polens], Krako´w 1902, S. 106; Marian Małowist, Le de´veloppement des rapports e´conomiques entre la Flandre, la Pologne et les pays limitrophes du XIIIe au XIVe sie`cle, in: Revue belge de Philologie et d’Histoire 10 (1931), 4, S. 1013–1066, hier S. 1052; Friedrich Lu¨tge, Strukturwandlungen im ostdeutschen und osteuropa¨ischen Fernhandel des 14. bis 16. Jahrhunderts, Mu¨nchen 1964, S. 13–14. 13 Konrad Wutke, Die Versorgung Schlesiens mit Salz wa¨hrend des Mittelalters, in: Zeitschrift des Vereins fu¨r Geschichte und Alterthum Schlesiens 27 (1893), S. 238–290, hier S. 284; Kutrzeba, Handel Krakowa (wie Anm. 12), S. 12; Nowakowa, Rozmieszczenie (wie Anm. 11), S. 59–66. 14 Nach Wutke, Die Versorgung, (wie Anm. 13), S. 284, wurden sie oft fu¨r den Transport von Salz aus der Krakauer Gegend nach Breslau genutzt. 15 Jo´zef Leszczynski, ´ Zarys dziejo´w miasta do roku 1740 [Abriss der Stadtgeschichte bis zum Jahre 1740], in: Miasto Nysa. Szkice monograficzne, hg. v. Janusz Kroszel/Stefan Popiołek, Wrocław 1970, S. 17–61, hier S. 28.

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und Skawina bei Krakau.16 Von Krakau aus verliefen zwei alte Straßen nach Ruthenien: die a¨ltere u¨ber Opatowiec, eventuell u¨ber Wi´slica bis nach Sandomir,17 von dort u¨ber Gorzyce, Racławice, Kopki, Krzeszo´w, Lubaczo´w und Gro´dek bis nach Lemberg.18 Der andere Weg fu¨hrte u¨ber Bochnia, Tarno´w, Rzeszo´w und Przemy´sl.19 Von dort war es dann nicht mehr weit bis zu den wichtigsten Handelssta¨dten Rutheniens. Vielleicht erhielt diese Straße erst im 14. Jahrhundert mehr Bedeutung fu¨r den Handel.20 Im Spa¨tmittelalter entstanden neue Verbindungen21 und Lublin gewann ¨ brigens ist nicht auszuschließen, dass Lublin auch an Bedeutung fu¨r den Transit. U schon im 13. Jahrhundert als ein alternativer Transitpunkt genutzt worden ist (Krakau – Zawichost – Lublin – Wladimir, danach Lemberg).22 In Lemberg begann die via Tartarica, die bis zur Krim fu¨hrte, auf der zu dieser Zeit zwei Handelszentren domi˙ das andere Kaffa, die Hauptnierten. Eines davon war Sudak (auch Soldaia, Suroz), stadt der genuesischen Schwarzmeerkolonie.23 Die Tatarische Straße zur Krim bildete einen Arm des großen Weges, der von Lemberg noch weiter nach Osten reichte, bis nach Tana, einer venezianischen Kolonie am Asowschen Meer, von dort bis ans Kaspische Meer und dann – wie Pegolotti in der ersten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts schrieb – „auf sicherem Wege“ bis nach Peking.24 Das 13. Jahrhundert stellte auch fu¨r Breslau und Krakau eine Zeit der Wende dar. Beide Sta¨dte u¨bernahmen das Magdeburger Recht und wurden damit zu autonomen Stadtkommunen.25 Der Mongoleneinfall von 1241, durch den beide Sta¨dte teilweise zersto¨rt wurden, machte die Effekte der ersten Lokationen (Krakau 1226, Breslau 16 Nowakowa, Rozmieszczenie (wie Anm. 11), S. 96–99. 17 Weymann, Cła (wie Anm. 11), S. 113. 18 Ebd.; Feliks Kiryk, Zwiazki ´ ˛ Lwowa z Krakowem w po´znym s´ redniowieczu [Die Verbindungen Lem-

´ bergs mit Krakau im Spa¨tmittelalter], in: Lwo´w: miasto, społeczenstwo, kultura, Bd. 2, hg. v. Henryk ˙ Wojciech Zali nski/Kazimierz ´ Karolczak, Krako´w 1998, S. 9–39, hier S. 10. 19 Bozena ˙ ´ XVI wieku [Die Straßen im Krakauer Wyrozumska, Drogi w ziemi krakowskiej do konca Land bis zum Ende des 16. Jahrhunderts], Wrocław 1977, S. 51. 20 Ebd., S. 54. 21 Kutrzeba, Handel Krakowa (wie Anm. 12), S. 14. 22 Kazimierz My´slinski, ´ Lublin a handel Wrocławia z Rusia˛ w XIV i XV w. [Lublin und der Handel Breslaus mit Ruthenien im 14. und 15. Jahrhundert], in: Rocznik Lubelski 3 (1960), S. 5–36, hier S. 17, 21–22. 23 Marian Małowist, Kaffa – kolonia genuenska ´ na Krymie i problem wschodni w latach 1453–1475 [Kaffa – eine genuesische Kolonie auf der Krim und das Ostproblem in den Jahren 1453–1475], Warszawa 1947; Ders., The Trade of Eastern Europe (wie Anm. 4), S. 531; Lane, Venice (wie Anm. 2), S. 129; Balard, Geˆnes (wie Anm. 2), S. 35, 41, 46–47, 50; Danuta Quirini-Popławska, Włoski han´ del czarnomorskimi niewolnikami w po´znym s´ redniowieczu [Der italienische Handel mit Schwarzmeersklaven im Spa¨tmittelalter], Krako´w 2002, S. 77–78, 81, 88, 92, 131; Rafał Hryszko, Z Genui ˙ ´ nad Morze Czarne. Z kart genuenskiej obecno´sci gospodarczej na po´łnocno-zachodnich wybrzezach Morza Czarnego u schyłku s´ redniowiecza [Von Genua zum Schwarzen Meer. Zur genuesischen Wirtschaftspra¨senz an den nordwestlichen Ku¨sten des Schwarzen Meeres im ausgehenden Mittelalter], Krako´w 2004, S. 91–93. 24 Lu ¨ tge, Strukturwandlungen (wie Anm. 12), S. 15; Robert S. Lopez, The Trade of Medieval Europe: The South, in: The Cambridge Economic History of Europe, vol. II, Cambridge 1952, S. 257–354, hier S. 353. 25 Aus der umfangreichen Literatur vgl. Theodor Goerlitz, Verfassung, Verwaltung und Recht der Stadt Breslau, Bd. 1: Mittelalter, Wu¨rzburg 1962, S. 15, 19; Karol Maleczynski, ´ Dzieje od czaso´w najdawniejszych do roku 1618 [Die Geschichte seit der a¨ltesten Zeit bis zum Jahre 1618], in: Wacław

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um 1230) zuna¨chst wieder zunichte. Doch erfolgten bald dauerhafte Neugru¨ndungen (Breslau 1241/1242 und definitiv 1261, Krakau 1257). Dabei wurde die Neugru¨ndung Krakaus von Lokatoren aus Schlesien vollzogen, unter denen sich auch der Breslauer Bu¨rger Gedko befand.26 Wa¨hrend der Zeit der teilfu¨rstlichen Zersplitterung geho¨rten Breslau und Krakau zu den wichtigsten Sta¨dten der piastischen La¨nder. Krakau gewann zudem eine besondere Bedeutung als politisch-ideologisches Zentrum des regnum Poloniae,27 wa¨hrend Breslau bis 1290 als Hauptstadt der schlesischen Piasten fungierte, deren hervorragendste Vertreter (Heinrich der Ba¨rtige, Heinrich II. der Fromme und Heinrich VI. „Probus“ – der Gerechte) sich mit gewissen Teilerfolgen um die Vereinigung der polnischen Gebiete, die Eroberung Krakaus und – dies letztlich erfolglos – um den Erwerb der polnischen Krone bemu¨hten.28 Die Wiedergeburt des Ko¨nigreiches Polen erfolgte etwas spa¨ter, zuna¨chst auf Initiative des bo¨hmischen Ko¨nigs Wenzel II. (1300–1305), dann 1320 durch Władysław Ellenlang,29 der Krakau zur Hauptstadt des erneuerten Ko¨nigreiches machte. Charakteristisch ist jedoch, dass sowohl die Krakauer wie Breslauer Bu¨rger eher mit dem weiterentwickelten bo¨hmischen Ko¨nigreich sympathisierten, mit dem sie im Verlauf des 13. Jahrhunderts zahlreiche Verbindungen, auch wirtschaftliche, unterhielten.30 Den pro-bo¨hmischen Sympathien der Krakauer, die 1311 etwa im so genannten Aufstand des Vogtes Albert zum Ausdruck kamen, vermochte Władysław Ellenlang freilich Einhalt zu gebieten. Dagegen konnte Długoborski/Jo´zef Gierowski/Karol Maleczynski, ´ Dzieje Wrocławia do roku 1807, Warszawa 1958, S. 11–336, hier S. 71, 74; Marta Młynarska-Kaletynowa, Wrocław w XII–XIII wieku. Przemiany społeczne i osadnicze [Breslau im 12. – 13. Jahrhundert. Soziale und Siedlungsvera¨nderungen], Wrocław 1986, S. 8, 101, 121, 125, 130, 168; Cezary Bu´sko, Wrocław u progu lokacji [Breslau an der Schwelle der Lokation], in: Wschodnia strefa Starego Miasta we Wrocławiu w XII–XIV wieku. Badania na placu Nowy Targ, hg. v. Dems., Wrocław 2005, S. 177–194, hier S. 177, 193–194; Jerzy Piekalski, Die Lokation Breslaus als archa¨ologisches Forschungsproblem, in: Rechtstadtgru¨ndungen im mittelalterlichen Polen, hg. v. Eduard Mu¨hle, Ko¨ln u. a. 2011, S. 139–156. Zu den Lokationen Krakaus Jerzy Wyrozumski, Dzieje Krakowa. Tom 1: Krako´w do schyłku wieko´w s´ rednich [Die Geschichte Krakaus. Bd. 1: Krakau bis zum Ausgang des Mittelalters], Krako´w 1992, S. 147–175; ders., Eine Lokation oder mehrere Lokationen Krakaus nach deutschem Recht, in: Rechtstadtgru¨ndungen im mittelalterlichen Polen, a. a. O., S. 245–274; Marcin Starzynski, ´ Krakowska rada miejska w s´ redniowieczu [Der Krakauer Stadtrat im Mittelalter], Krako´w 2010, S. 23–44. 26 Gerhard Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat im Mittelalter, Breslau 1929, S. 67–68; Bogucka/Samsonowicz, Dzieje (wie Anm. 4), S. 49–50. Detailliert zu Gedko Mateusz Golinski, ´ Biogramy mieszczan ´ XIII wieku [Biogramme Breslauer Bu¨rger bis zum Ende des 13. Jahrhunderts], wrocławskich do konca Wrocław 1995, S. 20. 27 Wyrozumski, Dzieje Krakowa (wie Anm. 25), S. 110–146. 28 Benedykt Zientara, Heinrich der Ba¨rtige und seine Zeit. Politik und Gesellschaft im mittelalterlichen Schlesien, Mu¨nchen 2002, S. 279–297; Henryk Łowmianski, ´ Poczatki ˛ Polski. Polityczne i społeczne procesy kształtowania si˛e narodu do poczatku ˛ XIV wieku [Die Anfa¨nge Polens. Politische und soziale Prozesse der Herausbildung der Nation bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts], Bd. 6, Warszawa 1985, S. 840–854. 29 Edmund Długopolski, Władysław Łokietek na tle swoich czaso´w [Władysław Ellenlang vor dem Hintergrund seiner Zeit], Wrocław 1951, S. 178–201; Łowmianski, ´ Poczatki ˛ Polski (wie Anm. 28), S. 919–925. 30 Henryk Samsonowicz, Miasta wobec zjednoczenia Polski w XIII/XIV wieku [Die Sta¨dte angesichts der Vereinigung Polens im 13./14. Jahrhundert], in: Ars historica. Prace z dziejo´w powszechnych i Polski, hg. v. Marian Biskup, Poznan´ 1976, S. 425–436, hier S. 430–431, 434.

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sich die Abneigung der Breslauer gegen eine Verbindung mit Polen insofern durchsetzen, als 1327 ein Lehnsvertrag zwischen dem Breslauer Herzog Heinrich IV. und dem bo¨hmischen Ko¨nig Johann von Luxemburg u¨ber die politische Zugeho¨rigkeit Breslaus zu Bo¨hmen entschied und die Stadt zusammen mit dem gesamten Herzogtum Breslau 1335 unmittelbar der Herrschaft des bo¨hmischen Ko¨nigs unterstellt wurde.31 Seither wirkten auf die Kontakte zwischen Breslau und Krakau auch die politischen Beziehungen zwischen dem Ko¨nigreich Polen und dem Ko¨nigreich Bo¨hmen ein.

II. Die wirtschaftlichen Verbindungen Breslaus und Krakaus vor 1327/35 ¨ ber den Handelsaustausch zwischen Breslau und Krakau vor der Einverleibung U Breslaus in das Ko¨nigreich Bo¨hmen (1327/35) wissen wir nicht viel. Bereits in der zweiten Ha¨lfte des 10. Jahrhunderts fungierte Krakau als ein wichtiger Transitpunkt auf der großen Straße zwischen Kiew und Prag bzw. Regensburg,32 wa¨hrend Breslau von den bo¨hmischen Herzo¨gen, die zu diesem Zeitpunkt u¨ber Schlesien herrschten, gerade erst (in den 980er Jahren) als Milita¨rstu¨tzpunkt gegru¨ndet worden war.33 Vielleicht belegt der Zustrom von Regensburger Denaren und Seide nach Breslau spa¨testens seit dem 11. Jahrhundert34 den Eintritt der Oderstadt in den Handelsaustausch entlang der erwa¨hnten Straße; wobei Breslau noch ausschließlich als Konsumentenstadt in Erscheinung getreten sein du¨rfte. Dies a¨nderte sich gewiss im Verlauf des 12. Jahrhunderts. Breslau wurde zu einer wichtigen Transitstation an der von der Ostsee nach Prag fu¨hrenden Handelsroute.35 Vielleicht begannen Kaufleute aus 31 U ¨ ber den Konflikt in Krakau: Długopolski, Władysław (wie Anm. 29), S. 138–150; Wyrozumski,

Dzieje Krakowa (wie Anm. 25), S. 199–211; zur Einstellung der Breslauer Bu¨rger Maleczynski, ´ Dzieje (wie Anm. 25), S. 171–172; Gawlas, O kształt (wie Anm. 4), S. 55, 95; Mateusz Golinski, ´ Wrocław od połowy XIII do poczatko ˛ ´ w XVI wieku [Breslau von der Mitte des 13. bis zum Beginn des 16. Jahr´ czaso´w habsburskich, hunderts], in: Dems. u. a., Historia Wrocławia, Bd. 1: Od pradziejo´w do konca Wrocław 2001, S. 95–220, hier S. 133–135. 32 Aubin, Die Wirtschaft (wie Anm. 5), S. 410; Henryk Samsonowicz, Przemiany osi droznych ˙ w Pol´ sce po´znego s´ redniowiecza [Vera¨nderungen der Straßenachsen im spa¨tmittelalterlichen Polen], in: Przeglad ˛ Historyczny 64 (1973), S. 697–716, hier S. 701; Jerzy Wyrozumski, Handel Krakowa ze Wschodem w s´ redniowieczu [Der Handel Krakaus mit dem Osten im Mittelalter], in: Rocznik Krakowski 50 (1980), S. 57–64, hier S. 59. Untersuchungen u¨ber die Anfa¨nge der Stadt pra¨sentierte unla¨ngst Andrzej Buko, Archeologia Polski wczesno´sredniowiecznej [Die Archa¨ologie des fru¨hmittelalterlichen Polen], Warszawa 2005, S. 260–265. 33 Cezary Bu´sko/Michał Kaczmarek, Wrocław od pradziejo´w do połowy XIII w. [Breslau von der Vorgeschichte bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts], in: Historia Wrocławia (wie Anm. 31), S. 7–93, hier S. 33. 34 Ferdinand Friedensburg, Schlesiens Mu¨nzgeschichte im Mittelalter, in: Codex diplomaticus Silesiae, ´ asku ´ XIV w. [Mu¨nzen in SchleBd. 13, Breslau 1888, S. 6; Michał Gumowski, Moneta na Sl ˛ do konca ´ aska sien bis zum Ende des 14. Jahrhunderts], in: Historja Sl ˛ od najdawniejszych czaso´w do roku 1400, ´ aska, Bd. 3, hg. v. Władysław Semkowicz, Krako´w 1936, S. 533–717, hier S. 569; Historia Sl ˛ Bd. 1, Teil ´ ask ´ 1 (wie Anm. 5), S. 178–180; Sławomir Mozdzioch, Sl ˛ mi˛edzy Gnieznem a Praga˛ [Schlesien zwischen Gnesen und Prag], in: Ziemie polskie w × wieku i ich znaczenie w kształtowaniu si˛e nowej mapy Europy, hg. v. Henryk Samsonowicz, Krako´w 2000, S. 169–198, hier S. 179. 35 Młynarska-Kaletynowa, Wrocław (wie Anm. 25), S. 38.

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Breslau nun nach Kiew zu reisen, das damals eines der wichtigsten Handelsemporien Osteuropas war.36 Seither verband Breslau und Krakau auf wirtschaftlichem Gebiet immer mehr. Auch die Geographie der Handelsbeziehungen beider Sta¨dte a¨hnelte sich. Beide Sta¨dte waren dank ihrer Lage an großen Flu¨ssen (Weichsel bzw. Oder) mit der Ostsee verbunden. Doch wa¨hrend Breslau in dieser Verbindung zum Meer eher in der passiven Rolle eines Abnehmers von Salz und Heringen aus Pommern auftrat, u¨bernahm Krakau spa¨testens seit dem 13. Jahrhundert die Funktion eines wichtigen Transitpunktes im Export von Kupfer aus der Slowakei nach Danzig37 und von dort weiter nach Westen. Seit der Integration Breslaus in das Netz der großen Handelsrouten begannen beide Zentren auch fu¨reinander die Funktion von Transitpunkten zu erfu¨llen. So u¨bernahm Krakau lange Zeit die Rolle als Transitpunkt Breslaus auf dem Weg nach Kiew, wohin nicht nur Krakauer, sondern auch Breslauer Kaufleute reisten. In dem bekannten Bericht des Giovanni di Piano di Carpini u¨ber seine Gesandtschaft zum mongolischen Großchan (1245–1247) werden sowohl die ihn dorthin begleitenden Breslauer Kaufleute als auch solche aus Polen erwa¨hnt, hinter denen sich auch Krakauer verborgen haben du¨rften (vielleicht auch Kaufleute aus anderen Sta¨dten).38 Sicher begegneten sich Breslauer und Krakauer Kaufleute auch auf den nach Westen fu¨hrenden Wegen. So werden polnische Kaufleute beispielsweise in Ko¨ln (in Form eines Verbots fu¨r nullus mercatorum de (...) Polonia, 1259)39 und in Bru¨gge 36 Dies vermutete Karol Maleczynski ´ aska, ´ in: Historia Sl ˛ Bd. 1, Teil 1 (wie Anm. 5), S. 35. Die Bedeu-

tung Kiews in den letzten Jahrzehnten vor dem Mongoleneinfall bildete den Gegenstand einer Kontroverse. Ein Teil der Forscher sprach sich weiterhin fu¨r die erstrangige Bedeutung dieser Stadt aus, wa¨hrend andere den relativen Niedergang ihrer Bedeutung hervorhoben, vgl. Boris Rybakov, Pervye veka russkoj istorii, Moskva 1964, S. 190–191, 195; Samsonowicz, Przemiany (wie Anm. 32), S. 700; Małowist, Wscho´d (wie Anm. 2), S. 11; Rainer Go¨mmel, Bayerisch-ukrainische Handelsbeziehungen wa¨hrend des Mittelalters, in: Zeitschrift fu¨r bayerische Landesgeschichte 68 (2005), 1, S. 243–254, hier S. 250. 37 Andrzej Zbierski, Gdansk ´ w okresie panowania kro´lo´w polskich i ksia˙ ˛zat ˛ pomorskich [Danzig in der ´ Zeit der Herrschaft polnischer Ko¨nige und pommerscher Herzo¨ge], in: Historia Gdanska, Bd. 1, hg. ´ 1985, S. 71–259, hier S. 207, 209. v. Edmund Cie´slak, Gdansk 38 Insuper testes sunt mercatores Wratislavie, qui usque in Kioviam venerunt nobiscum [et] sciverunt quod nos manus intravimus Tartarorum; et multi alii mercatores, tam de Polonia, quam de Austria, qui venerunt in Kioviam postquam ad Tartaros ieramus; Giovanni di Pian di Carpine, Historia Mongalorum, hg. v. Enrico Menesto`, Spoleto 1987. Mit dieser Erwa¨hnung befassten sich u. a. Heinrich Wendt, ¨ berblick, Breslau 1916, S. 6; Pfeiffer, Das Breslauer Schlesien und der Orient. Ein geschichtlicher U Patriziat (wie Anm. 26), S. 44; Aubin, Die Wirtschaft (wie Anm. 5), S. 450; Hektor Ammann, Zur Geschichte der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Oberdeutschland und dem deutschen Nordosten im Mittelalter, in: Schlesische Geschichtsbla¨tter (1927), 3, S. 48–57, hier S. 50; Maleczynski, ´ ´ aska, Dzieje (wie Anm. 25), S. 60; Historia Sl ˛ Bd. 1, Teil 1 (wie Anm. 5), S. 306; Joseph Gottschalk, Ein Fu¨rstenmantel der Herzogin Hedwig von Schlesien (†1243) aus chinesischem Goldbrokat. Beitra¨ge zur Handelsgeschichte des Ostens, in: Zeitschrift fu¨r Ostforschung 15 (1966), S. 403–456, hier S. 429–431; Wolfgang von Stromer, Nu¨rnberg-Breslauer Wirtschaftsbeziehungen im Spa¨tmittelalter, in: Jahrbuch fu¨r fra¨nkische Landesforschung, 34–35 (1974/75), S. 1079–1100, hier S. 1080; Grzegorz My´sliwski, Breslau und Regensburg: Wirtschaftskontakte in der Zeit vom 13. – 15. Jahrhundert, in: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universita¨t zu Breslau 47–48 (2006/2007), S. 171–199, hier S. 176–177. 39 Hansisches Urkundenbuch, Bd. 1, hg. v. Constantin Ho ¨ hlbaum, Halle 1876, Nr. 523, S. 183; zu dieser Urkunde Aubin, Die Wirtschaft (wie Anm. 5), S. 450; Wolfgang Kehn, Der Handel im Oderraum im 13. und 14. Jahrhundert, Ko¨ln 1968, S. 39; Gu¨nther Hirschfelder, Die Ko¨lner Handelsbeziehun-

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(Dou royaume de Polane) erwa¨hnt.40 Eine an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert im Hauptemporium des europa¨ischen Alpenvorraums41 erstellte Notiz informiert u¨ber die Einfuhr von Gold, Silber, Kupfer, Wachs sowie Eichho¨rnchen- und Siebenschla¨ferpelzen aus polnischen Gebieten.42 Es wurde u¨berzeugend nachgewiesen, dass schlesische Kaufleute (d. h. hauptsa¨chlich Breslauer) diese Waren nach Flandern brachten, denn Gold und Silber wurden damals in Schlesien gefo¨rdert.43 Aber das Kupfer, das Wachs und die Pelze stammten von außerhalb der polnischen Gebiete: Kupfer aus dem Ko¨nigreich Ungarn (Slowakei), das Wachs und die Pelze ho¨chstwahrscheinlich aus Ruthenien. Es scheint sehr wahrscheinlich zu sein, dass das Kupfer von Krakauer Kaufleuten nach Bru¨gge gebracht wurde, obwohl auch die Vermittlung von Danziger und Lu¨becker Kaufleuten nicht ausgeschlossen werden kann, die seit den 1220er Jahren zahlreiche Handelsprivilegien in Pommerellen genossen.44 Wahrscheinlich, wenn auch nicht sicher belegt ist die Durchreise von nach Ko¨ln und nach Bru¨gge reisenden Krakauer Kaufleuten durch Breslau. Nach Flandern begaben sie sich schließlich u¨ber das Meer, wie Aussagen der im ersten Prozess zwischen Polen und dem Deutschen Orden in den Jahren 1320/21 angeho¨rten Zeugen belegen.45 Fu¨r etwas spa¨tere Zeiten steht der Transitcharakter Breslaus fu¨r Krakau, z. B. bei Reisen nach Frankfurt am Main (1346)46 oder in andere Zentren, außer Zweifel. Das Fehlen entsprechender Quellenerwa¨hnungen scheint dafu¨r zu sprechen, dass Breslauer Kaufleute bis zum 14. Jahrhundert Ka¨ufern in Krakau anscheinend nicht allzuviel zu bieten hatten. Von den zahlreichen Waren, die nach Breslau gelangten und in Krakau verkauft werden konnten, mu¨ssen im 13. Jahrhundert Tuchwaren aus Ko¨ln und ostdeutschen Sta¨dten in Betracht gezogen werden.47 Seit Beginn des 14. Jahrhun-

gen im Spa¨tmittelalter, Ko¨ln 1994, S. 140, 156, 240; Grzegorz My´sliwski, Strefa sudecko-karpacka i ´ aska, Lwo´w. Miejsce Sl ˛ Małopolski i Rusi Czerwonej w gospodarce Europy Zachodniej (połowa XIII w. – poczatek ˛ XVI w.) [Die Sudeten-Karpaten-Zone und Lemberg. Der Ort Schlesiens, Kleinpolens und Rothreußens in der Wirtschaft Westeuropas], in: Ziemie polskie (wie Anm. 4), S. 247–319, hier S. 253–254. 40 Hansisches Urkundenbuch, Bd. 3, hg. v. Constantin Ho ¨ hlbaum, Halle 1882–1886, S. 419, Anm. 1; Małowist, Le de´veloppement (wie Anm. 12), S. 1020. 41 Jan Alvert van Houtte, The Rise and Decline of the Market of Bruges, in: Economic History Review 19 (1966), S. 29–47, hier S. 31–32; James M. Murray, Bruges, cradle of capitalism: 1280–1390, Cambridge 2005, S. 216–299. 42 Hansisches Urkundenbuch, Bd. 3 (wie Anm. 40), S. 419–420, Anm. 1. Zur Diskussion u¨ber den Zeitpunkt der Niederschrift des Textes, welcher zwischen der Mitte des 13. und dem Beginn des 14. Jahrhunderts angesetzt wurde, siehe Danuta Molenda, Polski oło´w na rynkach Europy s´ rodkowej [Polnisches Blei auf den Ma¨rkten Mitteleuropas], Warszawa 2001, S. 90, Anm. 14. 43 Karol Maleczynski, ´ Aus der Geschichte des schlesischen Bergbaus in der Epoche des Feudalismus, in: Beitra¨ge zur Geschichte Schlesiens, hg. v. Ewa Maleczynska, ´ Berlin 1958, S. 236–283, hier S. 239–241. 44 Zbierski, Gdansk ´ (wie Anm. 37), S. 207, 209, 211; Henryk Samsonowicz, Lubeczanie a ziemie Polski w XIII w. [Die Lu¨becker und die polnischen Gebiete im 13. Jahrhundert], in: Acta Universitatis Nicolai Copernici, Historia 14, Nauki Humanistyczno-Społeczne 204 (1990), S. 143–153. 45 Kutrzeba, Handel Krakowa (wie Anm. 12), S. 22. 46 Hektor Ammann, Wirtschaftsbeziehungen zwischen Oberdeutschland und Polen im Mittelalter, in: Vierteljahrschrift fu¨r Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 48 (1961), S. 433–443, hier S. 437. 47 Hermann Markgraf, Zur Geschichte des Breslauer Kaufhauses, in: Zeitschrift fu¨r Geschichte Schlesiens 22 (1888), S. 249–280, hier S. 269; Kehn, Der Handel (wie Anm. 39), S. 35–39; Quellen zur schlesischer Handelsgeschichte bis 1526, hg. v. Marie Scholz-Babisch/Heinrich Wendt, Breslau 1940,

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derts kamen auch Tu¨cher aus Flandern in Frage.48 Zwar wurde in der Historiographie eher davon ausgegangen, dass diese Waren auf dem Seeweg nach Krakau gelangten,49 aber es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Krakauer Nachfrage zumindest teilweise auch von Breslauer Kaufleuten befriedigt worden ist. Haben sie vielleicht auch noch andere ausla¨ndische Waren an die Weichsel gebracht? Durch einen glu¨cklichen Umstand verfu¨gen wir u¨ber eine hervorragende Quelle, die bereits fu¨r die Zeit vor 1327/35 Aufschlu¨sse u¨ber den Breslauer Fernhandel bietet – den großen Maut- und Zolltarif aus dem Jahre 1327.50 In dieser Quelle werden fast achtzig Waren erwa¨hnt, die nach Breslau eingefu¨hrt wurden. Neben zahlreichen Tucharten (auch aus Bo¨hmen und England)51 und Kleidung geho¨rten dazu auch zahlreiche Gewu¨rze ¨ sterreich, und exotische Fru¨chte, Pelze, Wachs, Wein aus Norditalien, Ungarn und O ¨ l, Produkte des Metallhandwerks, Ku¨chengera¨te, Wolle und Garn usw. Ich bin weit O davon entfernt, diese Liste unbesehen fu¨r das aus Breslau nach Krakau exportierte Sortiment von Waren zu halten. Aber deren Vielfalt, die relative Na¨he beider Sta¨dte und die Lage an der gleichen Handelsstraße sowie die bekannte Praxis, sich mit denselben Waren aus vielen Zentren zu versorgen, erlaubt die Hypothese, dass einige der im Maut- und Zolltarif aufgefu¨hrten Waren bereits vor 1327/35 von Breslau auch nach Krakau eingefu¨hrt worden sein du¨rften. Eine analoge Vermutung kann bezu¨glich des Re-Exports einiger Produkte von Krakau nach Breslau angestellt werden (z. B. Pelze und Wachs). Sicher ist dagegen die Versorgung Breslaus mit Salz aus den in der Na¨he von Krakau gelegenen Salzbergwerken in Wieliczka und Bochnia (salcz von Cracow).52 Sehr wahrscheinlich ist, dass das nach Schlesien eingefu¨hrte Kupfer aus der damals ungarischen Slowakei stammte, denn der Kupferbergbau war im mittelalterlichen Schlesien nur sehr

´ Nr. 236 – vor 1266, S. 164; Mateusz Golinski, ´ Podstawy gospodarcze mieszczanstwa wrocławskiego [Die wirtschaftlichen Grundlagen des Breslauer Bu¨rgertums], Wrocław 1991, S. 43. 48 Zum Import flandrischer Tuchwaren nach Breslau im 14. Jahrhundert Wendt, Schlesien (wie Anm. 38), S. 12; Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 26), S. 76, 137; Maleczynski, ´ Dzieje (wie Anm. 25), S. 199; Kehn, Der Handel (wie Anm. 39), S. 73, 80–82; Ders., Der Oderraum und seine Beziehungen zur Hanse im 13. und 14. Jahrhundert, in: Pommern und Mecklenburg. Beitra¨ge zur mittelalterlichen Sta¨dtegeschichte, hg. v. Roderich Schmidt, Ko¨ln/Wien 1981, S. 89–109, hier S. 101; My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 563. 49 Wyrozumski, Dzieje Krakowa (wie Anm. 25), S. 181. 50 Breslauer Urkundenbuch, Bd. 1, hg. v. Georg Korn, Breslau 1870, Nr. 122, S. 111–114; u¨ber die´ aska, sen Tarif schrieben u. a. Maleczynski, ´ Dzieje (wie Anm. 25), S. 120–121; Historia Sl ˛ Bd. 1, Teil 1 (wie Anm. 5), S. 470–471; Goerlitz, Verfassung (wie Anm. 25), S. 57; Kehn, Der Handel (wie Anm. 39), S. 68, 79–80; Danuta Poppe, Pannus polonicalis. Z dziejo´w sukiennictwa polskiego w s´ redniowieczu [Pannus polonicalis. Zur Geschichte des polnischen Tuchmacherhandwerks im Mittelalter], in: Kwartalnik Historii Kultury Materialnej 36 (1988), S. 617–636, hier S. 630; Golinski, ´ Podstawy (wie Anm. 47), S. 26; My´sliwski, Strefa (wie Anm. 39), S. 285–286; Ders., Wrocław (wie Anm. *), S. 121, 184–185, 232, 233, 235, 237, 244, 328–330, 370, 372, 403–404, 455, 503, 544. 51 Irena Turnau, Historia europejskiego wło´kiennictwa odzie˙zowego od XIII do XVIII w. [Die Geschichte des europa¨ischen Textilhandwerks vom 13. bis zum 18. Jahrhundert], Wrocław 1987, S. 74; My´sliwski, Strefa (wie Anm. 39), S. 284; Ders., Wrocław (wie Anm. *), S. 235. 52 Breslauer Urkundenbuch, Bd. 1 (wie Anm. 50), Nr. 122, S. 113 (pkt. 27); Kutrzeba, Handel Krakowa (wie Anm. 12), S. 82. Zum Salzhandel in dieser und fru¨herer Zeit insbesondere Wutke, Die Versorgung (wie Anm. 13), S. 247, 282; Kehn, Der Handel (wie Anm. 39), S. 40–41, 80.

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schwach entwickelt.53 Auch ungarische (ungerische) und „heidnische“ (heydenische) Ochsen konnten u¨ber Krakau transportiert worden sein, wie dies fu¨r spa¨tere Zeiten ¨ hnlich konnte das Blei aus Olkusz, das bereits in den 1270er eindeutig bezeugt ist. A Jahren nach Breslau kam,54 auch von Krakauer Kaufleuten dorthin gebracht worden sein, obwohl auch Initiativen der Breslauer selbst nicht ausgeschlossen werden ko¨nnen. Von deren stetigen Interesse an dem kleinpolnischen Zentrum zeugt die Tatsache, dass ein nicht na¨her bekannter Breslauer Bu¨rger schon vor 1317 in Olkusz ein Haus besaß.55 Dass der Handel mit Blei laufend fortgesetzt wurde, besta¨tigt der große Maut- und Zolltarif von 1327.56 Und sicher ist, dass auch Kaufleute von außerhalb Breslaus Waren aus Kleinpolen, Bo¨hmen und Ungarn nach Breslau brachten. Die Kaufleute, die die genannten Waren in die Oderstadt brachten, wurden in dieser Quelle als gast bezeichnet, was in diesem Zusammenhang als „fremder [Kaufmann]“ u¨bersetzt werden kann.57 Alles in Allem pra¨sentiert sich das Warensortiment des Handelsaustausches zwischen beiden Zentren im fru¨hen 14. Jahrhundert noch als recht bescheiden. Doch haben wir es hier erst mit den Anfa¨ngen des Handels zwischen Breslau und Krakau sowie anderen Sta¨dten Kleinpolens zu tun. Dieser sollte sich im Verlauf des 14. und 15. Jahrhunderts betra¨chtlich entwickeln.

III. Bedingungen, Tendenzen und Wendepunkte im Handel Breslaus mit den Sta¨dten Kleinpolens nach 1327/35

Bereits Samuel Benjamin Klose hielt in seiner Geschichte Breslaus, einem Klassiker der Breslauer Historiographie aus dem 18. Jahrhundert, den Handel mit Polen fu¨r sehr alt und u¨beraus profitabel.58 Wenn auch der kategorische Charakter der letz53 Maleczynski, ´ Aus der Geschichte (wie Anm. 43), S. 244–245. 54 Es handelt sich um Urkunden Heinrichs des Gerechten (Probus) von 1273 und 1274; Schlesisches

Urkundenbuch, Bd. 4: 1267–1281, hg. v. Winfried Irgang, Ko¨ln/Wien 1988, Nr. 209, S. 147; Nr. 256, S. 174; zur Urkunde von 1274 Kutrzeba, Handel Krakowa (wie Anm. 12), S. 73; Leon Koczy, Zwiazki ˛ ´ XVI wieku [Die Handelsverbindungen Breslaus mit Polen handlowe Wrocławia z Polska˛ do konca bis zum Ende des 16. Jahrhunderts], Katowice 1936, S. 9; Aubin, Die Wirtschaft (wie Anm. 5), S. 451; Maleczynski, ´ Dzieje (wie Anm. 25), S. 123; Kehn, Der Handel (wie Anm. 39), S. 41; Golinski, ´ Wrocław (wie Anm. 31), S. 110; Molenda, Polski oło´w (wie Anm. 42), S. 75; My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 99. Allgemein zum Bleibergbau in Kleinpolen Małowist, The Trade (wie Anm. 4), S. 531. 55 (...) Curia Fridrici de Wratislavia...; Bozena ˙ Wyrozumska, Fragmenty najstarszej ksi˛egi miejskiej Olkusza [Fragmente des a¨ltesten Stadtbuches von Olkusz], in: Studia Historyczne 2 (1958), 83, S. 49–57, hier S. 55. Nach Wyrozumska bildet das Jahr 1317 den terminus ante quem der Niederschrift dieser Quelle (a. a. O. S. 53). Es lohnt sich auch, das Beispiel des Besitzes einer anderen Immobilie – eines Hauses in Krakau – durch einen Breslauer zu erwa¨hnen; Liber actorum, resignationum nec non ordinationum civitatis Cracoviae (1300–1375) in: Najstarsze ksi˛egi i rachunki m. Krakowa od 1300 do 1400, hg. v. Franciszek Piekosinski/Jo ´ ´ zef Szujski, Krako´w 1878, S. 1–209, hier, S. 10, Nr. 45 – 1307. 56 Breslauer Urkundenbuch, Bd. 1 (wie Anm. 50), Nr. 122, S. 112. 57 Matthias Lexer, Mittelhochdeutsches Handwo¨rterbuch, Bd. 1, Leipzig 1872 (neue Aufl. 1974), S. 742. 58 „Der a¨lteste, betra¨chtlichste, wichtigste, eintra¨glichste und ausgebreitetste Handel der Breslauer war der nach Polen (...).“ Samuel Beniamin Klose, Von Breslau. Dokumentirte Geschichte und Beschrei-

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teren Feststellung gewisse Zweifel wecken mag, stehen doch weder das hohe Alter noch die große Intensita¨t der gegenseitigen Handelsbeziehungen im Spa¨tmittelalter außer Zweifel. Auch Stanisław Kutrzeba und Jan Pta´snik waren der Ansicht, dass das hauptsta¨dtische Krakau gerade mit Schlesien die engsten Kontakte pflegte.59 Unter den Sta¨dten Kleinpolens, der Hauptregion des Ko¨nigreiches Polen im spa¨ten Mittelalter, spielte eine Zeitlang auch Lublin eine bedeutsame Rolle. Wichtige Orte fu¨r den Handel Breslaus waren auch die Bergbausta¨dte Olkusz, Wieliczka und Bochnia. Die Breslauer Kaufleute unterhielten daru¨ber hinaus intensive wirtschaftliche Kontakte mit Bu¨rgern von Sandomir, Tarno´w, Ropschitze, Krosno, Przeworsk, Neu-Sandez und Wi´slica, vielleicht auch mit Kazimierz bei Krakau. Radom dagegen war nur als Transitpunkt von Bedeutung. Die intensiven schlesisch-kleinpolnischen Wirtschaftskontakte des 13. – 15. Jahrhundert ko¨nnen in fu¨nf Phasen eingeteilt werden.60 Nach einem langen Zeitraum eher ungesto¨rter (wenn auch sicher nicht allzu intensiver) wirtschaftlicher Kontakte, der die Jahre nach dem Mongoleneinfall bis in die 1340er Jahre umfasste, begann eine Zeit der Konflikte. Die Jahre von 1345 bis zur ersten Ha¨lfte der 1360er Jahre waren vom Krieg um die Wiedergewinnung Schlesiens fu¨r das Ko¨nigreich Polen (1345–1348) sowie von einem von Kasimir dem Großen und von Krakau hauptsa¨chlich gegen Breslau gefu¨hrten Handels- und Zollkrieg gepra¨gt. Von dessen Ende (in den 1360er Jahren) bis in die 1440er Jahre wa¨hrte die dritte – von einer relativen Stabilisierung gepra¨gte – Phase. Seit 1354 galt in Krakau jedoch das „Gastrecht“,61 das fremden Kaufleuten unmittelbare Transaktionen untersagte. Mehr noch, nachdem 1370 der ungarische Ko¨nig Ludwig der Große auf den polnischen Thron gelangt war, verlieh dessen Mutter Elisabeth (als Regentin in Polen) Krakau 1372 das volle Stapelrecht, das spa¨ter (1387) von Władysław Jagiełło besta¨tigt wurde.62 Es war u. a. gegen schlesibung. In Briefen, Bd. 2, Teil 2, Breslau 1781, S. 355. Die erstrangige Bedeutung der polnischen Gebiete fu¨r den Handel Schlesiens unterstrichen auch Jan Pta´snik, Bonerowie [Die Familie Boner], in: Rocznik Krakowski 7 (1905), S. 1–134, hier S. 20, Marian Wolanski, ´ Schlesiens Stellung im Osthandel vom 15. bis zum 17. Jahrhundert, in: Der Außenhandel Ostmitteleuropas (1450–1650). Die ostmitteleuropa¨ischen Volkswirtschaften in ihren Beziehungen zu Mitteleuropa, hg. v. Ingomar Bog, Ko¨ln/ Wien 1971, S. 120–138, hier S. 137 und Hugo Weczerka, Breslaus Zentralita¨t im Ostmitteleuropa¨ischen Raum um 1500, in: Metropolen im Wandel. Zentralita¨t in Ostmitteleuropa an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, hg. v. Evamaria Engel/Karen Lambrecht/Hanna Nogossek, Berlin 1995, S. 245–262, hier S. 255. 59 Stanisław Kutrzeba/Jan Pta´snik, Dzieje handlu i kupiectwa krakowskiego w wiekach s´ rednich [Die Geschichte des Krakauer Handels und der Krakauer Kaufmannschaft im Mittelalter], in: Rocznik Krakowski 14 (1910), S. 1–183, hier S. 4. 60 Kutrzeba, Handel Krakowa (wie Anm. 12), S. 91, 103, 105; Koczy, Zwiazki ˛ (wie Anm. 54), S. 18. 61 Stefania Kalfas-Piotrowska, Stosunki handlowe polsko-´slaskie ˛ za Kazimierza Wielkiego [Die polnisch-schlesischen Handelsbeziehungen unter Kasimir dem Großen], in: Roczniki Towarzystwa Przy´ asku jacio´ł Nauk na Sl ˛ 5 (1936), S. 227–281, hier S. 255; Marian Magdanski, ´ Organizacja kupiectwa i ´ handlu torunskiego do roku 1403 [Die Organisation der Kaufmannschaft und des Handels in Thorn bis zum Jahre 1403], Torun´ 1939, S. 69; Wolfgang von Stromer, Nu¨rnberger Unternehmer im Karpatenraum. Ein oberdeutsches Buntmetall-Oligopol 1396–1412, in: Kwartalnik Historii Kultury Materialnej 16 (1968), S. 641–662, hier S. 645; Ders., Oberdeutsche Hochfinanz (1350–1450), Bd. 1, Wiesbaden 1971, S. 95; Golinski, ´ Wrocław (wie Anm. 31), S. 152. 62 Kutrzeba, Handel Krakowa (wie Anm. 12), S. 31, 33; Kutrzeba/Pta´snik, Dzieje (wie Anm. 59), S. 16; Stromer, Oberdeutsche Hochfinanz (wie Anm. 61), S. 96; Wyrozumski, Handel Krakowa (wie

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sche Kaufleute gerichtet, die mit ihren Waren nach Ruthenien reisten, wa¨hrend Ko¨nig Ludwig 1372 Kaufleuten aus den von ihm regierten Ko¨nigreichen Polen und Ungarn freie Durchreise nach Lemberg erlaubte. Das Stapelprivileg blieb kein toter Buchstabe, kam vielmehr auch gegenu¨ber Kaufleuten aus Breslau zur Anwendung, die fu¨r ¨ bertretung bestraft wurden.63 Symptomatisch ist, dass sich diese Kaufleute seine U dabei als Bu¨rger des slowakischen Bartfeld ausgaben, einer Stadt, die freundschaftliche Kontakte mit Krakau pflegte.64 Das Vorgehen der Breslauer hatte sicher zum Ziel, das Privileg Ludwigs des Großen fu¨r sich zu nutzen, da es schließlich auch die Bewohner der Slowakei umfasste. Insofern u¨berrascht das bekannte Privileg Władysław Jagiełlos von 1417, das Breslauer Kaufleuten Handelsreisen ad partes gentilium Tartarorum ceu Walachorum unter der Auflage erlaubte, dass sie die festge¨ ffnung legten Straßen u¨ber Lemberg und Luzk benutzten.65 Doch wa¨hrte diese O nicht lange; schon gegen Ende des zweiten Jahrzehnts des 15. Jahrhunderts eskalierten die Spannungen und bewirkten Reaktionen auf ho¨chster Ebene. Aus Briefen Sigismunds von Luxemburg und Władysław Jagiełłos (1420) geht hervor, dass damals neue Zollbestimmungen eingefu¨hrt wurden, die Kaufleute aus dem Ko¨nigreich Polen und Ruthenien benachteiligten.66 Die instabile Situation dauerte mindestens bis 1430, als Jagiełło eine Gesandtschaft an den Ko¨nig von Ungarn und Bo¨hmen sandte, u. a. in der Angelegenheit dieses Zolls noviter institutum.67 Dass diese Sto¨rungen la¨nger auftraten, bezeugen u. a. die noch andauernden Schwierigkeiten Go¨rlitzer Kaufleute.68 Anm. 32), S. 60; Ders., Dzieje Krakowa [wie Anm. 25], S. 372, macht darauf aufmerksam, dass Elisabeth mit der Urkunde von 1372 die Praxis aus der Zeit Kasimirs des Großen bekra¨ftigte. 63 Archiwum Panstwowe ´ w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 1 [Sign. 427], S. 239 (1406); vgl. auch die Notiz von 1411, in der vom Verkauf beschlagnahmter Waren aus diesem Grunde u. a. an Clemens von Kaaden (einen ehemaligen Bu¨rger Breslaus und seit August 1410 Bu¨rger von Lemberg) die Rede ist, und zwar von Tuchwaren aus Ko¨ln und aus Zittau, ebd., S. 389 (1411). Zu Klemens von Kaaden vgl. Jo´zef Skoczek, Studja nad patrycjatem lwowskim wieko´w s´ rednich [Studien zum Lemberger Patriziat des Mittelalters], Lwo´w 1929, S. 62; Wolfgang von Stromer, Handel zum Schwarzen Meer der Gesellschaft Clemens von Cadan, Johannes Zindrich und Nikolaus Zornberg von Breslau und Lemberg, in: Oriente e Occidente tra Medioevo ed Eta` Moderna. Studi in onore di Geo Pistarino, hg. v. Laura Balletto, Genova 1997, S. 1167–1186, hier S. 1174. 64 (...) nennende sich ewir bu¨rger, dy do weder hof werp noch erbe czu euch haben (...) scho¨tczen sy sich mit ewirm burgerrecht und brifen, dy sy haben, von dreyer iaren und lenger (...); Dokumenty polskie z archiwum dawnego Kro´lestwa W˛egier [Polnische Dokumente aus dem Archiv des fru¨heren Ko¨nigreiches Ungarn], Bd. 1, hg. v. Stanisław Sroka, Krako´w 1998, Nr. 91 – 1448, S. 118). 65 My´slinski, ´ Lublin (wie Anm. 22), S. 11; My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 340–343. Ein Fragment dieses Dokuments wurde abgedruckt in: Przyczynki do Dziejo´w Polskich (wie Anm. 69), S. 91. Zum ´ vollsta¨ndigen Text im Breslauer Kopialbuch aus dem 15. Jahrhundert vgl. Archiwum Panstwowe we Wrocławiu, Liber buculatus, [Sign. D 20], Bd. 2, fol. 15v. 66 Ausfu¨hrlicher dazu Łucja Charewiczowa, Handel s´ redniowiecznego Lwowa [Der Handel des mittelalterlichen Lemberg], Lwo´w 1925, S. 97; vgl. auch die einschla¨gigen Urkunden, insbesondere die von Jagiełło fu¨r die ruthenischen Kaufleute ausgestellte; Codex epistolaris Vitoldi magni ducis Lithuanie (1376–1430), hg. v. Antoni Prochaska, Krako´w 1882, Nr. 12 – 1420, S. 1042. Aus ihr geht hervor, dass sie den neuen Zo¨llen auf dem Jahrmarkt zur Fastenmitte begegnet waren (pro suis negociacionibus nuper circa medium quadragesime civitatem accesserant, ebd.). Dieses Schreiben war die Antwort des polnischen Ko¨nigs auf einen Brief Sigismunds von Luxemburg, der die Einfu¨hrung neuer Zo¨lle erkla¨rte, ebd., Nr. 11 – 1420, S. 1041. 67 Codex epistolaris (wie Anm. 66), Nr. 1421 – 1430, S. 910f. 68 My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 367.

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Im Jahre 1432 informierte der polnische Ko¨nig die Beho¨rden Breslaus u¨ber einen zeitweiligen Exportstopp nach Schlesien, und zwar aus Furcht vor einem Zustrom von Falschgeld.69 Daher war eine weitere Verschlechterung der Kontakte zwischen dem schlesischen Zentrum und den Sta¨dten Kleinpolens, insbesondere Krakau, nicht weiter verwunderlich. Der Beginn der 1440er Jahre brachte dann dauerhafte Vera¨nderungen zu Ungunsten der Entwicklung der bilateralen Handelsbeziehungen. Trotz des Privilegs Władysławs III., das den Breslauern den freien Handel in Polen, Litauen und Ungarn garantierte (1441),70 fa¨llte der polnische Ko¨nig gleichzeitig Entscheidungen, die dem Handel Breslaus schadeten. Im selben Jahr begru¨ndete er in Posen den St.-Johannis-Jahrmarkt (ab dem 24. Juni), der die Kaufleute vom gleichzeitig stattfindenden Jahrmarkt in Breslau abziehen sollte.71 Danach erneuerte er 1444 auf dem Reichstag von Petrikau das Stapelrecht in Posen, Kalisch und Wielun´ fu¨r einen Zeitraum von fu¨nf Jahren, was ebenfalls dem Handel Breslaus Schaden zufu¨gte.72 Mit diesen Ereignissen begann die vierte Phase der Wirtschaftskontakte zwischen Breslau und Kleinpolen. Einen weiteren Schritt in Richtung einer Verschlechterung dieser Beziehungen bedeuteten die Ereignisse des Jahres 1457, als Krakau den Versuch unternahm, die Kontakte Breslaus mit Ruthenien und anderen kleinpolnischen Kaufleuten einzuschra¨nken, die sich nach Schlesien begaben.73 Dies geschah ungefa¨hr zu der Zeit, als der gesamte Breslauer Handel in eine Krise geriet, deren Beginn auf das Jahr 1459 datiert wird.74 Ein Ausdruck der sich verschlechternden Kontakte zwischen den beiden Hauptsta¨dten war die Erneuerung des Krakauer Stapelrechts u. a. in Bezug auf Kaufleute aus Schlesien (1473, 1485).75 Hierin lag sicher eine Motivation fu¨r Breslau, seinerseits (in Zusammenarbeit mit Frankfurt an der Oder) 1490 das Stapelrecht wieder einzufu¨hren, das u. a. kleinpolnische Kaufleute benachteiligte.76 69 August Mosbach, Wst˛ep [Einfu¨hrung], in: Przyczynki do Dziejo´w Polskich z Archiwum Miasta

Wrocławia, hg. v. Dems., Poznan´ 1860, S. 17–18; Quelle ebd., S. 96 – 1432.

70 Kutrzeba/Pta´snik, Dzieje (wie Anm. 59), S. 17; der vollsta¨ndige Text der Urkunde in: Listy i doku-

menty Jagiellono´w w WAP we Wrocławiu (1413–1503) [Briefe und Dokumente der Jagiellonen in der WAP in Breslau (1413–1503)], hg. v. Roman Stelmach, in: Teki Archiwalne 18 (1981), 4, Nr. 5, S. 19. 71 Leon Koczy, Handel Poznania do poł. XVI w. [Der Handel Posens bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts], Poznan´ 1930, S. 163, 164, 166. 72 Kutrzeba, Handel Krakowa (wie Anm. 12), S. 95; Aubin, Die Wirtschaft (wie Anm. 5), S. 480; Wyrozumski, Dzieje Krakowa (wie Anm. 25), S. 381–382. 73 Kutrzeba, Handel Krakowa (wie Anm. 12), S. 101; Kutrzeba/Pta´snik, Dzieje (wie Anm. 59), S. 18; Wyrozumski, Dzieje Krakowa (wie Anm. 25), S. 373. 74 My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 502. 75 Zur U ¨ bereinkunft von 1473 vgl. Kutrzeba/Pta´snik, Dzieje (wie Anm. 59), S. 18; zur Urkunde von 1485 Max Rauprich, Der Streit um die Breslauer Niederlage (1490–1515), in: Zeitschrift des Vereins fu¨r Geschichte und Alterthum Schlesiens 27 (1893), S. 54–116, hier S. 55. Siehe Przyczynki do Dziejo´w Polskich (wie Anm. 69), S. 114–115; vgl. Kodeks dyplomatyczny miasta Krakowa (1357–1506), Bd. 1, hg. v. Franciszek Piekosinski, ´ Krako´w 1879, Nr. 183, S. 257; Nr. 195, S. 275–276. 76 Max Rauprich, Breslaus Handelslage am Ausgang des Mittelalters, in: Zeitschrift des Vereins fu¨r Geschichte und Alterthum Schlesiens 26 (1892), S. 1–26, hier S. 9; Alfred Wielopolski, Z przeszło´sci handlu Odra˛ [Aus der Vergangenheit des Oderhandels], in: Szczecin. Miesi˛ecznik Pomorza Zachod´ niego 4–5 (1960), S. 5–24, hier S. 11–12. Zur Urkunde von Matthias Corvinus vgl. Archiwum Panstwowe we Wrocławiu, Dokumenty miasta Wrocławia [Dokumente der Stadt Breslau], Nr. 6072. Zur Urkunde des Markgrafen Johann von Brandenburg fu¨r Frankfurt an der Oder vgl. Hansisches Urkundenbuch, Bd. 11, hg. v. Walher Stein, Mu¨nchen/Leipzig 1916, Nr. 327, S. 235–237.

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Damit war der Keim zu einem weiteren Zoll- und Handelskrieg gelegt, der bis 1515 anhielt. Auch wenn einige Krakauer Kaufleute die gegen Breslau gerichteten Verbote unterliefen (wie z. B. der wohlhabende Johann Boner), verlor Breslau diesen Krieg.77 Im Jahre 1490 begann also die letzte, fu¨nfte Phase in der mittelalterlichen Geschichte der Kontakte zwischen Breslau und Kleinpolen, die dann bis in die Neuzeit hinein andauerte. Die Geschichte der Wirtschaftsbeziehungen Breslaus und der Sta¨dte Kleinpolens wurde mithin nicht allein von den Kaufleuten dieser Sta¨dten und den herrschenden Kreisen der gro¨ßten Zentren Breslau, Krakau und Lublin geschrieben.78 Eine große Rolle spielten auch die Ko¨nige Polens, Bo¨hmens und Ungarns (Matthias Corvinus, der in den Jahren 1469–1490 u¨ber Schlesien herrschte). Die polnischen Ko¨nige forderten beispielsweise fu¨r ihre Untergebenen stets die Ru¨ckzahlung von Krediten und die Auszahlung von Renten.79 Meistens jedoch brachten sie Fragen der Reiseund Handelssicherheit zur Sprache. Dies betraf insbesondere auf dem Gebiet des Ko¨nigreiches Polen zu Schaden gekommene Breslauer Kaufleute, in deren Angelegenheit sowohl Sigismund von Luxemburg und Matthias Corvinus als auch die u¨ber ¨ berfa¨lle informierten Ko¨nige Władysław Jagiełło und Kasimir Jagiellonczyk ´ die U intervenierten.80 Auf unterschiedliche Weise unterstu¨tzte Władysław Jagiełło auch die nach Breslau reisenden Kaufleute aus Krakau sowie Tarno´w.81 77 Rauprich, Der Streit (wie Anm. 75), S. 101, 112, 116. U ¨ ber die Durchbrechung der Handelssperre

Pta´snik, Bonerowie (wie Anm. 58), S. 12–13. 78 My´slinski, ´ Lublin (wie Anm. 22), S. 23; vl. auch Materiały do historii miasta Lublina (1317–1792)

[Materialien zur Geschichte der Stadt Lublin (1317–1792)], bearb. v. Jan Riabinin, Lublin 1938, S. 2 (1410). 79 Zum Beispiel Przyczynki do Dziejo´w Polskich (wie Anm. 69), S. 96 (1437); zur Unterstu¨tzung der ´ Forderungen der Morsztyns durch Kasimir Jagiellonczyk vgl. unten. 80 Zu den Aktivita¨ten Sigismunds im Jahre 1429 vgl. Codex epistolaris (wie Anm. 66), Nr. 1360, S. 850; Nr. 1374, S. 859; Nr. 1375, S. 861; vgl. auch die Regesten in Regesta Historico-diplomatica Ordinis S. Mariae Theutonicorum (1198–1525), Bd. 1: Index Tabularii Ordinis S. Mariae Theutonicorum Regesten zum Ordensbriefarchiv, Teil 1 (1198–1454), hg. v. Erich Joachim/Walter Hubatsch, Go¨ttingen 1948, Nr. 5159 – 1429, S. 322; Regesta imperii, Bd. 11, Teil 2, hg. v. Wilhelm Altmann, Inns¨ berfa¨lle des polnischen bruck 1897–1900, Nr. 7439 – 1429, S. 101. Hierbei handelte es sich um die U Ritters Wierusz von Grabo´w (im ersten Fall auch von Peter Szafraniec) auf Breslauer Kaufleute. Das ¨ berfa¨lle beru¨hrte Sigismund auch in seinem Brief an Vitold im Jahre 1430; Codex Problem dieser U epistolaris (wie Anm. 66), Nr. 1406, S. 896. Zu den Interventionen von Matthias Corvinus vgl. Przyczynki do Dziejo´w Polskich (wie Anm. 69), S. 114–115 (1485); Kehn, Der Handel (wie Anm. 39), S. 114; ´ Kazimierz My´slinski, ´ Rola miast małopolskich w handlu mi˛edzynarodowym po´znego s´ redniowiecza ´ [Die Rolle kleinpolnischer Sta¨dte im internationalen Handel des Spa¨tmittelalters], in: Czas, przestrzen, praca w dawnych miastach. Studia ofiarowane Henrykowi Samsonowiczowi w sze´sc´ dziesiat ˛ a˛ rocznic˛e urodzin, hg. v. Andrzej Wyrobisz/Michał Tymowski, Warszawa 1991, S. 417–429, hier S. 428. Ein Beispiel fu¨r Jagiełłos Interventionsmaßnahmen in: Codex epistolaris (wie Anm. 66), Nr. 907 – 1420, S. 501; ¨ berfa¨lle. Zum Vorgehen Kasihier handelte es sich um die von einem gewissen Fritz Soko´ł veru¨bten U mirs vgl. Listy i dokumenty Jagiellono´w (wie Anm. 70), Nr. 10 – 1455, S. 27–28; Nr. 13 – 1472, S. 30–31. 81 Den Kaufleuten aus Tarno´w bestimmte er eine Reiseroute und erlaubte ihnen den Handel mit Breslau; ´ Akta grodzkie i ziemskie z czaso´w Rzeczypospolitej Polskiej z Archiwum tak zwanego bernardynskiego we Lwowie [Burg- und Landakten aus der Zeit der Polnischen Adelsrepublik im so genannten Bernhardinerarchiv in Lemberg], hg. v. Galicyjski Wydział Krajowy, Bd. 4, Lwo´w 1873, Nr. 44 – 1419, S. 99–100. Den Breslauer Stadtrat bat er um Schutz fu¨r Kaufleute aus Krakau, die eine Reise zum Johannisjahrmarkt planten, Listy i dokumenty Jagiellono´w (wie Anm. 70), Nr. 4 – 1425, S. 18.

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IV. Der Zollkrieg von 1348–1361/64

Der von 1348 bis in die erste Ha¨lfte der 1360er Jahre hinein andauernde Zollkrieg stellte bis 1490 den ernsthaftesten Konflikt in der Geschichte der bilateralen Kontakte Breslaus und Krakaus dar.82 Diese Kontakte hatten bis 1345 friedlichen Charakter.83 Nach dem erfolglosen Krieg um Schlesien (1345–1348) und dem unvorteilhaften Friedensschluss mit dem bo¨hmischen Ko¨nig in Namslau (22. November 1348)84 beschloss Kasimir der Große jedoch, den Osthandel der probo¨hmischen schlesischen Herzogtu¨mer und insbesondere jenen Breslaus zu beschra¨nken.85 Kasimirs Absicht, Breslaus Handel mit den Sta¨dten Westrutheniens zu schaden, trat umso deutlicher hervor, als er zu Beginn des Jahres 1345 demonstrativ der Hauptstadt des antibo¨hmischen Herzogtums Schweidnitz ein Privileg fu¨r den Freihandel mit Ruthenien verlieh.86 Noch im Jahr des Friedensschlusses von Namslau (1348) begannen Schikanen gegen Kaufleute aus Breslau in den Gebieten des su¨dlichen Polen.87 Allerdings scheint Kasimir der Große nicht sofort eine vo¨llige Blockade der Straßen nach Ruthenien angeordnet zu haben.88 Der Handelskonflikt verscha¨rfte sich nur allma¨hlich. Im August 1348 signalisierte der Stadtrat von Breslau dem bo¨hmischen Ko¨nig Karl IV. die Einfu¨hrung neuer Zo¨lle durch Kasimir den Großen sowie andere, nicht na¨her

82 Kalfas-Piotrowska, Stosunki (wie Anm. 61), S. 258–261; u¨ber diesen Krieg schrieben bereits etwas

ausfu¨hrlicher Kutrzeba, Handel Krakowa (wie Anm. 12), S. 74–79; Georg Juritsch, Handel und Handelsrecht in Bo¨hmen bis zur husitischen Revolution. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte der o¨sterreichischen La¨nder, Leipzig/Wien 1907, S. 63–64; Kutrzeba/Pta´snik, Dzieje (wie Anm. 59), S. 14–15; ˇ Frantisˇek Graus, Cesky ´ obchod se suknem ve 14. a poˇca´tkem 15. stoletı´ [Der bo¨hmische Handel mit Tuch im 14. und beginnenden 15. Jahrhundert], Praha 1950, S. 50–52; Kehn, Der Handel (wie Anm. 39), S. 114; Golinski, ´ Wrocław (wie Anm. 31), S. 151–152; Krzysztof Kopinski, ´ Gospodarcze i ´ społeczne kontakty Torunia z Wrocławiem w po´znym s´ redniowieczu [Die wirtschaftlichen und sozialen Kontakte Thorns mit Breslau im Spa¨tmittelalter], Torun´ 2005, S. 17–18. 83 Zwar soll Kasimir der Große nach Karol Maleczynski ´ aska, ´ in: Historia Sl ˛ Bd. 1, Teil 1 (wie Anm. 5), S. 571, bereits 1340 den Breslauern den Handelsweg nach Osten blockiert haben, doch werden fu¨r diese ´ Behauptung keine Belege angegeben, die dies besta¨tigen wu¨rden. Dagegen bezeichnete Maleczynski die Jahre 1341–1345 fu¨r sehr gu¨nstig, was die Kontakte zwischen Bo¨hmen, Breslau und Polen betraf. 84 Zu den Verhandlungen von Namslau und der Interpretation der dortigen Beschlu¨sse vgl. Historia ´ aska, Sl ˛ Bd. 1, Teil 1 (wie Anm. 5), S. 574–575. 85 Um eine Verfolgung der Prager Kaufleute, wie Juritsch, Handel (wie Anm. 82), S. 63 vermutet, scheint es ihm dabei nicht gegangen zu sein. Denn diese reisten damals im allgemeinen u¨berhaupt nicht nach Ruthenien; auch spa¨ter, zu Beginn des 15. Jahrhunderts, traten sie dort nur ausnahmsweise in Erscheinung, vgl. My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 361. 86 Kalfas-Piotrowska, Stosunki (wie Anm. 61), S. 251; Aubin, Die Wirtschaft (wie Anm. 5), S. 473; Wyrozumski, Dzieje Krakowa (wie Anm. 25), S. 380; Stanisław Kotełko, W s´ redniowieczu – od ´ poczatko ˛ ´ w miasta do 1526 [Im Mittelalter – von den Anfa¨ngen der Stadt bis 1526], in: Swidnica. Zarys ´ monografii miasta, hg. v. Wacław Korta, Wrocław/Swidnica 1995, S. 37–96, hier S. 50, 69. 87 Kutrzeba, Handel Krakowa (wie Anm. 12), S. 74. 88 Juritsch, Handel (wie Anm. 82), S. 63, war der Ansicht, dass die Initiative dazu bei der Krakauer Kaufmannschaft lag. Aber es scheint kaum vorstellbar, dass eine einzelne, noch dazu eine ko¨nigliche Stadt in einer solchen politischen Situation eigenma¨chtig Schritte unternommen haben soll, die unweigerlich zu einem internationalen Konflikt gefu¨hrt ha¨tten.

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genannte Erschwernisse fu¨r ihre Handelsreisen nach Ruthenien. Gleichzeitig enthielt das Breslauer Schreiben an den bo¨hmischen Ko¨nig die Bitte, diese Angelegenheit bei einem eventuellen Treffen mit dem polnischen Ko¨nig zur Sprache zu bringen.89 Das Problem stand dann 1349 tatsa¨chlich auf der Tagesordnung, wenn auch in etwas verschleierter Form. In einem weiteren Schreiben an den Luxemburger verliehen die Breslauer ihrer Bitte Ausdruck, dass im Falle eines Konfliktes zwischen Polen und dem Deutschen Orden beide Seiten permittant mercatores Wratislavienses salvos transire.90 Gleichzeitig informierten sie daru¨ber, dass de transitu Russie ein gewisser Ritter, Krige de Rydenburg deturpavit regem Polonie verbis et litteris.91 Bringt man diesen Zwischenfall mit den fru¨heren Interventionen der Breslauer Ratsherren in Verbindung, liegt die Hypothese nahe, dass Karl IV. eben in der Angelegenheit der ungehinderten Reise Breslauer Kaufleute nach Ruthenien eine Gesandtschaft zu Kasimir schickte. Die nervo¨se, beleidigende Reaktion des schlesischen Ritters scheint das Fiasko der bo¨hmischen Gesandtschaft widerzuspiegeln. Wurden die Kaufleute aus Breslau finanziell und prozedural schikaniert, ohne dass ihnen die Reise nach den ruthenischen Sta¨dten ga¨nzlich unmo¨glich gemacht wurde, oder begann die polnische Seite schon damals mit der vo¨lligen Blockade des Transits nach dem Osten? Fu¨r 1349 kann darauf keine eindeutige Antwort gegeben werden. Aus der Korrespondenz zwischen den Breslauern und Karl IV. geht klar hervor, dass der polnische Ko¨nig beschlossen hatte, den regula¨ren Handelsreisen der Breslauer Kaufleute nach dem Osten Einhalt zu gebieten.92 Der Versuch ihrer ga¨nzlichen Vereitelung durch den polnischen Herrscher erfolgte nicht spa¨ter als im Sommer 1350. Damals verscha¨rften sich die Methoden des Kampfes mit dem Osthandel Breslaus betra¨chtlich. Bereits in einer Urkunde vom 18. Juli stellte Karl IV. fest, dass die Breslauer Kaufleute nicht nur durch neue Vorschriften (sicher handelte es sich dabei um die erho¨hten Zolltarife) sowie auf andere, nicht na¨her definierte Weise (violenter impediunt) bedra¨ngt wu¨rden, sondern dass ihnen auch der Weg nach Ruthenien versperrt werde (eisque stratas et vias huiusmodi precludunt).93 Dies widerspricht der Ansicht mancher Forscher,

89 (...) littera directa est per Johannem, quod pro nobis dignetur meditari, si ipsum [tj. Karol Luksemburg]

cum rege Polonie venire contingeret, quod mercatores nostri [cum] suis mercibus Russyam sine solucionibus novi theolonii et aliis gravaminibus inconsuetis procedere valeant (...); Breslauer Urkundenbuch, Bd. 1, (wie Anm. 50), Nr. 189, S. 169. 90 Ebd. 91 Tomasz Jurek, Obce rycerstwo na Sl ´ asku ˛ do połowy XIV w. [Die fremdsta¨mmige Ritterschaft in Schlesien bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts], Poznan´ 1996, S. 274, zufolge war das Johann Krieg, ein Ritter, Landbesitzer und Nachkomme von Einwanderern wahrscheinlich aus Reideburg bei Halle. Doch irrt Jurek, wenn er vermutet, dass dieses Ereignis im Verlauf der zum Namslauer Frieden fu¨hrenden Verhandlungen stattgefunden haben kann. Denn die besprochene Notiz stammt bereits aus dem Jahre 1349. 92 Ich teile daher die Ansicht der Autoren in: Historia Sl ´ aska ˛ [Geschichte Schlesiens], Bd. 1, Teil 2, hg. v. Roman Heck/Ewa Maleczynska, ´ Wrocław 1961, S. 137, dass in der ersten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts regelma¨ßige Handelsreisen Breslauer Kaufleute nach Ruthenien stattgefunden haben. 93 Gravem fidelium Mercatorum nostrorum de Boemia et Moravia querelam recepimus continentem, quod cives et mercatores de Cracovia contra approbatam et antiquitus semper observatam consuetudinem a tempore, cuius in contrarium memoria non existit, per novas et abusivas ipsarum constituciones iuri contrarias eosdem mercateres [sic – G. M.] hucusque contra Deum et iustitiam impediverint et vio-

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die diese Entscheidung des polnischen Ko¨nigs auf spa¨tere Jahre datierten.94 Besonderen Eifer, die Handelsreisen der Breslauer zu verunmo¨glichen, entfalteten die Krakauer Bu¨rger, wa¨hrend die Breslauer gewiss Versuche unternommen haben werden, die Blockaden zu umgehen. Die Beeintra¨chtigungen von polnischer Seite betrafen aber auch jene Breslauer, die sich nach Preußen begaben.95 Dies musste Gegenreaktionen des bo¨hmischen Ko¨nigs auslo¨sen. So befahl Karl IV. in der bereits zitierten Urkunde von 18. Juli 1350 den Bewohnern aller Sta¨dte Bo¨hmens und Ma¨hrens, alle Kaufleute aus dem Ko¨nigreich Polen zu behindern und zur Ru¨ckkehr zu zwingen.96 In diesem Zusammenhang verwundert eine am 1. Januar 1351 ausgestellte Urkunde des Markgrafen von Ma¨hren Johann, mit der er die Krakauer Kaufleute an das seit alters geltende Stapelrecht in Olmu¨tz und an den Wegezwang auf dem Gebiet Ma¨hrens erinnerte und sie aufforderte, beide Vorschriften zu beachten.97 Die Krakauer Kaufleute hatten also augenscheinlich trotz der Drohungen Karls ihre Handelsreisen durch die Gebiete des Ko¨nigreiches Bo¨hmen fortgesetzt. Bemerkenswert ist der Tonfall des Schreibens, der sich von jenem des Diploms Karls aus dem Jahre 1350 betra¨chtlich unterschied. Markgraf Johann war keineswegs daran gelegen, die Kaufleute aus Polen abzuschrecken. Im Gegenteil, er wollte, dass sie nach Olmu¨tz kamen und hier ihre Waren verkauften. Dies zeugt von einem gewissen Zwiespalt in der bo¨hmischen Politik gegenu¨ber den polnischen Kaufleuten.98 Nicht allen gefielen die gegen sie gerichteten Repressionen. Aus der Perspektive der ma¨hrischen Sta¨dte wurde das Ausbleiben von Besuchen polnischer Kaufleute offenbar negativ beurteilt.

lenter impediunt, ne ipsi cum eorum rebus et mercacionibus versus Russiam et Prussiam procedere presumant eisque stratas et vias huiusmodi precludunt (...).; Codex diplomaticus et epistolaris Moraviae, Bd. 8, hg. v. Vincenc Brandl, Bru¨nn 1874, Nr. 33 – 1350, S. 20. Zu Karls Repressionen vgl. Juritsch, ˇ Handel (wie Anm. 82), S. 63; Graus, Cesky obchod (wie Anm. 82), S. 50; Golinski, ´ Wrocław (wie Anm. 31), S. 152. 94 Kutrzeba/Pta´snik, Dzieje (wie Anm. 59), S. 14; Golinski, ´ Wrocław (wie Anm. 31), S. 152; Stanisław Szczur, Praski zjazd Kazimierza Wielkiego z cesarzem w 1356 roku [Das Prager Treffen Kasimirs des ´ Großen mit dem Kaiser im Jahre 1356], in: Polska i jej sasiedzi ˛ w po´znym s´ redniowieczu, hg. v. Dems./ ˙ ´ g, Krako´w 2000, S. 81–122, hier S. 91. Krzysztof Ozo 95 Somit hat Juritsch, Handel (wie Anm. 82), S. 63, Unrecht, wenn er meint, dass die polnische Seite sofort damit begonnen habe, den Kaufleuten aus dem Ko¨nigreich Bo¨hmen die Durchreise nach Preußen zu blockieren. Dem widerspricht u¨brigens auch die Urkunde Kasimirs des Großen vom 19. Juni 1349, in der er den Kaufleuten aus Thorn einen Weg bis zur Grenze mit Schlesien bestimmte; Preußisches Urkundenbuch, Bd. 4, hg. v. Hans Koeppen, Marburg 1960, Nr. 424, S. 385. 96 (...) districte precipimus (...), quatenus universos et singulos cives et mercatores de Cracovia et aliis civitatibus et terris Regis Polonie, quandocunque vel quocienscunque ad vos et loca vestra cum ipsorum mercibus applicuerint, ipsos statim nullo alio expectato mandato cum omnibus eorum mercibus a vobis recedere et redire, unde venerant, cogatis et modis omnibus faciatis, non permittentes eosdem mercatores res ipsorum apud vos dissolvere, religare, aut vendere, aut quaslibet alias negociaciones exercere tamdiu, quousque id expresse per literas nostras revocaverimus (...); Codex diplomaticus et epistolaris Moraviae, Bd. 8 (wie Anm. 93), Nr. 33 – 1350, S. 20; vgl. auch Kalfas-Piotrowska, Stosunki (wie Anm. 61), S. 259; Golinski, ´ Wrocław (wie Anm. 31), S. 152. 97 (...) volumus (...) ut mercatores Cracovienses merces suas et res vendibiles, quas ad ipsam civitatem adduxerint, ibidem vendere teneantur (...); Codex diplomaticus et epistolaris Moraviae, Bd. 8 (wie Anm. 93), Nr. 33 – 1350, Nr. 65 – 1351, S. 33. 98 Nur Graus, Cesky ˇ obchod (wie Anm. 82), S. 51, hat auf diese Urkunde hingewiesen.

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Das Ringen beider Reiche dauerte jedoch an und Karl IV. entschied sich bald fu¨r eine weitere Verscha¨rfung der Kampfmethoden. In einem Schreiben an den Breslauer Stadtrat vom 22. Februar 1352 gestattete er den Breslauern, sich alle Verluste, die sie auf dem Territorium des Ko¨nigreiches Polen bei ihren offensichtlich immer wieder unternommenen Versuchen erlitten, nach Ruthenien und Preußen zu gelangen, von jenen polnischen Kaufleuten zuru¨ckzuholen, denen sie auf dem Territorium des Deutschen Reiches und Bo¨hmens begegneten.99 Außerdem befahl er seinen Beamten und Magnaten, die Breslauer Kaufleute zu unterstu¨tzen. Zugleich sandte er ein Schreiben an den Hochmeister des Deutschen Ordens Winrich von Kniprode u¨ber die Scha¨digung polnischer Kaufleute auf dem Territorium Preußens. Die Situation wurde fu¨r die polnische Seite ungu¨nstig. Auf la¨ngere Sicht waren Krakau und Kasimir der Große nicht im Stande, sich den gemeinsamen Gegenmaßnahmen des bo¨hmischen (und zugleich ro¨misch-deutschen) Ko¨nigs und Hochmeisters des Deutschen Ordens zu widersetzen. Die Polen hatten nichts getan, um einer engeren Zusammenarbeit zwischen Deutschen, Bo¨hmen und dem Ordensstaat gegen Kasimirs Blockade vorzubeugen. Zu dieser Konsolidierung der Gegner des Ko¨nigreiches Polen kam es um so leichter, als Kasimir bereits in den 1340er Jahren den Zustrom preußischer Kaufleute nach Ruthenien eingeschra¨nkt hatte.100 Bald nach 1352 wurden die Verhandlungen u¨ber den Transit nach Ruthenien wieder aufgenommen, jedoch ohne dass die wechselseitigen Behinderungsaktionen eingestellt worden wa¨ren. Die Gespra¨che blieben erfolglos. In diesem Zusammenhang gewinnt die 1354 (vermutlich im Januar) erfolgte Besta¨tigung des Stapelrechts fu¨r Olmu¨tz durch den ma¨hrischen Markgrafen Johann und des Wegezwangs durch Karl IV. zusa¨tzlich an Bedeutung.101 Letzterer befahl, dass alle ko¨niglichen und lokalen Beamten u¨ber die Einhaltung des Wegezwanges u. a. durch die Kaufleute aus Krakau wachen sollten (quicumque mercator de ... Cracovie). Offensichtlich versuchten die Krakauer auch weiterhin, auf Seitenwegen durch das Ko¨nigreich Bo¨hmen zu reisen, u¨brigens nicht nur um Olmu¨tz zu umgehen. So schlossen Krakauer Kaufleute zum Beispiel in Bru¨nn, dem eine Schlu¨sselrolle im System der Verkehrs- und Handelsverbindungen zukam, wa¨hrend der Dauer des Zollkrieges nur zwei Transaktionen ab.102 Kasimir der Große fu¨hlte sich dagegen weiterhin stark genug und blockierte die Durchreise von Kaufleuten aus Breslau nach Ruthenien. Als Antwort auf 99 Klose, Von Breslau, Bd. 2, Teil 1 (wie Anm. 58), S. 198; Colmar Gru¨nhagen, Schlesien unter Kai-

ser Karl IV, in: Zeitschrift des Vereins fu¨r Geschichte und Alterthum Schlesiens 17 (1883), S. 1–43, hier S. 28; Kalfas-Piotrowska, Stosunki (wie Anm. 61), S. 259; Golinski, ´ Wrocław (wie Anm. 31), S. 152; oberfla¨chlich Ludwig Petry, Breslau und Krakau vom 13. bis 16. Jahrhundert. Zwei Sta¨dteschicksale auf Kolonialboden, in: Zeitschrift des Vereins fu¨r Geschichte und Alterthum Schlesiens 68 (1934), S. 48–68, hier S. 61; Aubin, Die Wirtschaft (wie Anm. 5), S. 467. Im Breslauer Kopialbuch aus dem 15. Jahrhundert wurde diese Urkunde ihrem Wortlaut entsprechend zusammengefasst, ohne etwas Interessantes hinzuzufu¨gen; Liber buculatus (wie Anm. 65), Bd. 1, fol. 18–18v. 100 Er zwang sie zum Kauf von Waren in vorgegebenen polnischen Sta¨dten: in Krakau, Sandomir und Lublin; Magdanski, ´ Organizacja (wie Anm. 61), S. 59; Henryk Samsonowicz, Handel Lublina na przełomie XV i XVI w. [Der Handel Lublins an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert], in: Przeglad ˛ Historyczny, 59 (1968), S. 612–628, hier S. 613. 101 Codex diplomaticus et epistolaris Moraviae, Bd. 8 (wie Anm. 93), Nr. 257–1354, S. 192–193. 102 Pamˇetnı´ kniha mˇesta Brna z let 1343–1376 (1379) [Gedenkbuch der Stadt Bru¨nn aus den Jahren 1343–1376 (1379)], hg. v. Miroslav Flodor, Brno 2005, Nr. 976 – 1353, S. 356; Nr. 1522 – 1353,

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die Klagen der Abgesandten soll er im Jahre 1354 den beru¨hmten, provozierenden Satz gea¨ußert haben, da er Ruthenien mit Hilfe seiner Untertanen erobert habe, du¨rften auch nur diese die Straßen nach Osten benutzen.103 Der Weg nach Ruthenien blieb den Breslauern also weiterhin verschlossen. Bekanntlich schlug Kasimir der Große etwa zur gleichen Zeit dem Hochmeister des Deutschen Ordens einen Feldzug gegen das heidnische Litauen vor.104 Dies geschah sicher infolge des Appells von Papst Innozenz VI. aus dem Jahre 1354.105 Doch besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass dem polnischen Ko¨nig auch ¨ bereinkunft zwischen Bo¨hmen daran gelegen war, einen Keil in die antipolnische U und dem Ordensstaat zu treiben. Wie Jerzy Wyrozumski bemerkt, kam es tatsa¨chlich zu einem Kriegszug gegen Litauen, jedoch ohne Beteiligung der Deutschordensritter.106 Dies ko¨nnte bedeuten, dass es Kasimir nicht gelang, das Bu¨ndnis zu zersto¨ren. ¨ bereinkunft zwiBekannt ist dagegen, dass es noch in den 1350er Jahren zu einer U schen dem Ko¨nigreich Polen und dem Großfu¨rstentum Litauen kam.107 Allerdings wissen wir nicht, ob damals auch irgendwelche Beschlu¨sse zu Handelsfragen gefasst worden sind. Das Gleiche gilt fu¨r die Begegnung Kasimirs mit Karl IV. in Prag vom Jahr 1356.108 Der durch das Bu¨ndnis zwischen Bo¨hmen und dem Deutschen Orden ausgeu¨bte Druck begann jedoch Wirkung zu zeigen. Davon zeugt die Entwicklung in der Argumentation Kasimirs in der Frage der Schließung der Wege nach Ruthenien fu¨r ausla¨ndische Kaufleute. Zwar behielt er seinen negativen Standpunkt bei, aber bereits im Jahre 1355 begru¨ndete er die Bevorzugung seiner Kaufleute mit der Hilfe, die sie ihm im Kampf gegen die Tataren und andere Feinde geleistet hatten.109 Die Verwendung solcher Argumente, in denen ein Echo des Kreuzzugsgedankens und der Keim einer propagandistischen Antemurale-Konzeption sowie die Berufung auf einen der

S. 523–524. Zur Bedeutung Bru¨nns fu¨r den Handel vgl. Theodor Mayer, Der auswa¨rtige Handel des ¨ sterreich im Mittelalter, Innsbruck 1909; S. 29; Frantisˇek Graus, Die HandelsbeziehunHerzogtums O ¨ sterreich im 14. und zu Beginn des 15. Jahrhunderts, in: Historica gen Bo¨hmens zu Deutschland und O 2 (1960), S. 77–110, hier S. 103. 103 Item quod rex Polonie dixerit, se terram Russye propriis suis hominibus expugnasse, et quod illa via solum suis hominibus et mercatoribus patere deberet (...) ; Breslauer Urkundenbuch, Bd. 1 [wie Anm. 50], Nr. 169, S. 170. Kutrzeba/Pta´snik, Dzieje (wie Anm. 59), S. 15; Charewiczowa, Handel ´ aska, (wie Anm. 66), S. 97; Historia Sl ˛ Bd. 1, Teil 2 (wie Anm. 92), S. 137; Samsonowicz, Przemiany (wie Anm. 32), S. 704; Wyrozumski, Handel Krakowa (wie Anm. 32), S. 62, Anm. 30; Ders., Dzieje Krakowa (wie Anm. 25), S. 380; Golinski, ´ Wrocław (wie Anm. 31), S. 152. 104 Jerzy Wyrozumski, Kazimierz Wielki [Kasimir der Große], Wrocław 1986, S. 95. 105 Ebd. 106 Ebd. 107 Ebd. 108 Zu diesem Prager Treffen: Historia Sl ´ aska, ˛ Bd. 1, Teil 2, (wie Anm. 92), S. 218; Szczur, Praski zjazd (wie Anm. 94), S. 91, der vermutet, dass der Kaiser von der Verteidigung der Interessen der Breslauer Bu¨rger Abstand nehmen konnte, um seine Kontakte mit dem polnischen Ko¨nig zu verbessern. Aber ob ihm damals wirklich so sehr daran gelegen war? Der polnische Ko¨nig befand sich in einer viel schwierigeren politischen Situation. 109 De stratis versus Russyam, quomodo rex Polonie dedit responsum occasione stratarum earundem, ita quod nulli hominum vellet favere nisi suis, qui sibi adiuti fuissent contra Tartaros et ad alios sibi inimicantes; Breslauer Urkundenbuch, Bd. 1 (wie Anm. 50), Nr. 169, S. 172.

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gesamten Christenheit feindlich gesinnten Gegner erkennbar wurden,110 war symptomatisch. Sie war nichts anderes als der Versuch des polnischen Ko¨nigs, seinen weiterhin unnachgiebigen Standpunkt in der Frage des Transits nach Ruthenien zu rationalisieren und zu objektivieren. Außerdem scheint diese Argumentation auch mit Ru¨cksicht auf den Deutschen Orden formuliert worden zu sein, dem die Idee des Kampfes gegen das Heidentum besonders nahestand und der sie in den Gebieten Litauens auch mit Leben fu¨llte.111 Dies hinderte Karl IV. nicht daran, eine diplomatische Aktion zur Umgehung der Blockade der Wege nach Osten innerhalb des polnischen Staates zu starten. Nicht spa¨ter als 1355 also wurde der Gedanke einer Versta¨ndigung zwischen Kaiser, Deutschem Orden und den litauischen Fu¨rsten daru¨ber geboren, u. a. den Breslauer Kaufleuten einen alternativen Weg nach Ruthenien zu ero¨ffnen. Dieser sollte das Territorium des Ko¨nigreiches Polen umgehen und durch die weitra¨umigen litauischen Gebiete fu¨hren.112 Dieses Ziel wurde erreicht, auch dank der Beho¨rden der Stadt Thorn. Nicht spa¨ter als am 20. November 1355 richteten die litauischen Fu¨rsten Kiejstut und Lubart ein Schreiben an die Thorner, in dem sie den Verlauf der eventu¨ ber Drohiczyn, Mielnik und Brest sollte sie nach ellen Durchreiseroute festlegten. U 113 Luzk fu¨hren. Unweit davon lag Wladimir (etwa 70 km Luftlinie entfernt), das weiterhin die Rolle eines wichtigen Zentrums im Handel zwischen dem Osten und Mitteleuropa spielte.114 Zu diesem Zeitpunkt geho¨rte es noch zum Ko¨nigreich Polen (bis 1366). Wa¨hrend dies fu¨r die Thorner eine vielversprechende Alternative darstellte, stellte sich die Reise u¨ber die litauischen Wege fu¨r die Breslauer weniger attraktiv dar. Um sie zu erreichen, mussten sie sich zuna¨chst einmal durch polnisches Territorium durchschlagen. Zudem war die Entfernung von Breslau ins Großfu¨rstentum Litauen und weiter ins su¨dwestliche Ruthenien viermal la¨nger als u¨ber die „Hohe Straße“ und Krakau.115 Dennoch bot die Alternative in der damaligen Situation eine gewisse Lo¨sung. 110 Vgl. Bronisław Geremek, Obco´sc´ i ekskluzja w s´ redniowieczu [Fremdheit und Ausgrenzung im Mit-

telalter], in: Narody. Jak powstawały i jak wybijały si˛e na niepodległo´sc´ ?, hg. v. Marcin Kula, Warszawa 1989, S. 65–81, hier, S. 68. 111 Konnte es auch darum gegangen sein, mit solchen Argumenten den Papst zu erreichen? Vielleicht gab es damals solche Pla¨ne noch nicht. Bekannt ist jedoch, dass sich die Angelegenheit des Konflikts zwischen Polen, Bo¨hmen und dem Deutschen Orden in der ersten Ha¨lfte der sechziger Jahre auf das Oberhaupt der abendla¨ndischen Kirche stu¨tzte; vgl. Kalfas-Piotrowska, Stosunki (wie Anm. 61), S. 261. 112 Breslauer Urkundenbuch, Bd. 1 (wie Anm. 50), Nr. 189, S. 172; Graus, Cesky ˇ obchod (wie Anm. 82), S. 52. ¯ 113 (...) a koli kotoryj torgovec pojdet’ torgovat’ iz Torunja cˇ erez Berestie do Luˇc’ska bez peˇcali budet, a kto pojdet’ s’ seju gramotoju cˇ erez Dorogyˇcin’ cˇ ez’ Melnik’ i cˇ erez Berestie do Luˇc’ska torgovat’ iz Torunja jaz’ knjaz’ Kestuti ne belju ich’ zaimati [(...) wenn ein Kaufmann aus Thorn u¨ber Brest nach Luzk kommt, wird er keine Schwierigkeiten bekommen, und diejenigen, die mit dieser Urkunde aus Thorn u¨ber Drohiczyn und u¨ber Brest nach Luzk kommen, befehle ich, Fu¨rst Kiejstut, nicht gefangenzunehmen]; Ukrainsky hramoty, hg. v. Volodymyr Rozov, Kyı¨v 1928, Bd. 1, S. 1–2; vgl. auch das Regest zu dieser Urkunde mit der von mir angenommenen Datierung in: Preußisches Urkundenbuch, Bd. 5, hg. v. Klaus Conrad, Marburg 1969, Nr. 379, S. 214–215: Magdanski, ´ Organizacja (wie Anm. 61), S. 68–69. 114 Władysław Andrzej Serczyk, Historia Ukrainy [Die Geschichte der Ukraine], Wrocław3 2001, S. 41; Jerzy Ochmanski, ´ Historia Litwy [Die Geschichte Litauens], Wrocław2 1982, S. 51. 115 Kalfas-Piotrowska, Stosunki (wie Anm. 61), S. 261.

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Wie es scheint, versuchte auch der polnische Ko¨nig Verbu¨ndete zu gewinnen. Zwischen 1356 und 1360 gewa¨hrte er der Hansestadt Rostock das Privileg der freien Durchreise in die ruthenischen Gebiete.116 Auf diese Weise mag er auch anderen west- und zentralpommerschen Hansesta¨dten sein Wohlwollen signalisiert haben, in der Hoffnung, seine internationale Position zu sta¨rken. Aber die Rostocker nah¨ hnlich wird eine spa¨tere U ¨ bereinkunft mit dem men Kasimirs Angebot nicht an.117 A o¨sterreichischen Herzog Rudolf IV. interpretiert, die 1362 den Handel Wiens privilegierte.118 Der weitere Verlauf des Konflikts und der genaue Zeitpunkt seiner Beendigung sind unklar. In der einschla¨gigen Literatur werden die Jahre um 1360 bzw. 1364 oder allgemein die sechziger Jahre genannt.119 Allerdings muss betont werden, dass sich die in der Historiographie angefu¨hrten Quellenindizien nur auf die preußischen Kaufleute beziehen.120 Aber den Kaufleuten aus Breslau gelang es nicht spa¨ter als 1361, Kontakte mit Wladimir anzuknu¨pfen. Damals verpflichtete sich der ruthenische Kaufmann Nikolai vor dem Breslauer Stadtrat, dem Breslauer Nikil Kreuwel oder zu Ha¨nden von Peter Reusse aus Thorn eine Rente in Ho¨he von 22 preußische Mark zu zahlen.121 Die beiden letzteren scheinen also eine Gesellschaft gebildet zu 116 (...) nostre regie maiestatis insonuit, quod per regnum et terras nostras cum rebus et mercimoniis vestris

versus Russiam et Tartariam transire vester esset intencionis, dummodo transitum securitatis habere possetis; Ernst Dragendorff, Hansische Findlinge im Ratsarchiv zu Rostock, in: Hansische Geschichtsbla¨tter 30 (1902), S. 216–222, hier S. 219–220. Der Herausgeber geht von dem Datum 1360 aus, womit Stromer, Nu¨rnberger Unternehmer (wie Anm. 61), S. 645, einverstanden ist. Dagegen nimmt Magdanski, ´ Organizacja (wie Anm. 61), S. 71, vielleicht auf der Grundlage einiger von Dragendorff in ´ einer Anmerkung zitierter Angaben 1356 an; Magdanskis Hypothese teilt Kopinski, ´ Gospodarcze i społeczne kontakty (wie Anm. 82), S. 18. Kehn, Der Handel (wie Anm. 39), S. 263 dagegen a¨ußert in dieser Frage hauptsa¨chlich Zweifel, indem er die zehnte Dekade des 14. Jahrhunderts (sic!) ausschließt und die These u¨ber das Jahr des Friedensschlusses in Kalisch (1343) als Datum der Erteilung des Privilegs fu¨r die Rostocker nicht verwirft. Eine bu¨ndige Charakteristik der damaligen Handelspolitik Kasimirs des Großen findet sich bei Kutrzeba, Handel Krakowa (wie Anm. 12), S. 78–79. 117 Kehn, Der Handel (wie Anm. 39), S. 263. 118 So Stromer, Oberdeutsche Hochfinanz (wie Anm. 61), Bd. 1, S. 95–96. Die U ¨ bereinkunft stand jedoch nur auf dem Papier; Kutrzeba, Handel Krakowa (wie Anm. 12), S. 87. 119 Kutrzeba, Handel (wie Anm. 12), S. 79, verwies auf Symptome des Konflikts im Jahre 1360. Hier muss unterstrichen werden, dass Kutrzeba die Nummer des Bandes des Hansischen Urkundenbuches (5), der die ihn interessierenden Urkunden (Nr. 532–533) enthielt, fehlerhaft angab. In Wirklichkeit befinden sie sich in Bd. 3 dieser Reihe (wie Anm. 40). Dagegen konstatierte Juritsch, Handel (wie Anm. 82), S. 64, eindeutig, dass „kurz danach (1360) der Friede hergestellt“ war. Dem gleichen Datum scheint Golinski, ´ Wrocław (wie Anm. 31), S. 152, zuzuneigen, demzufolge die Zeit von 1356 bis 1360 durch eine Abschwa¨chung des Konfliktes zwischen Polen und Bo¨hmen (und dem Kaiser und Breslau) gekennzeichnet war. Fu¨r das Datum von 1364 scheint sich Kalfas-Piotrowska, Stosunki (wie Anm. 61), S. 261, auszusprechen, die die Besprechung des Zollkrieges mit dem Brief von Papst Urban V. an den Deutschen Orden abschließt, in dem er die Mahnung ausspricht, seine Kaufleute durch die ˇ Gebiete des Ko¨nigreiches Polen nach Ruthenien reisen zu lassen; Graus, Cesky obchod (wie Anm. 82), S. 52, dagegen datiert das Ende des Zollkrieges ganz allgemein auf die sechziger Jahre. 120 Im ersten Fall handelt es sich um zwei Urkunden, in denen die Thorner sich beim polnischen Ko¨nig und dem Breslauer Stadtrat daru¨ber beklagen, dass ihre Kaufleute u¨berfallen wurden; Hansisches Urkundenbuch, Bd. 3 (wie Anm. 40), Nr. 532 und 533 – 1360, S. 286–288; das genaue Regest der zweiten Urkunde zuletzt in: Preußisches Urkundenbuch, Bd. 5 (wie Anm. 113), Nr. 910 – 1360, S. 516–517. Gleichzeitig wurde die zweite Urkunde ebenfalls an den Breslauer Stadtrat gerichtet. 121 Nicol de Ladimiria negociator promissus [est] Petrum Ruthenum civem Thorunensem aut Nicol Creuwil expedire de XXII marcarum denariorum pruthenicalium de anno ad annum seu de die ad diem

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haben. Ho¨chstwahrscheinlich erschien der Ruthene perso¨nlich in Breslau, obwohl die Blockade der Verkehrsverbindungen zwischen Breslau und den o¨stlich von Krakau gelegenen Gebieten wohl noch andauerte. Auch aus diesem Grunde muss die Rolle des Thorner Kaufmanns unterstrichen werden. Er war nicht nur Kreuwels Partner, sondern in der schwierigen internationalen Situation zugleich ein Vermittler von unscha¨tzbarem Wert. Beru¨cksichigt man die damaligen Handelsbedingungen und politischen Umsta¨nde, so kann angenommen werden, dass der Thorner Reusse entweder auf dem von Kiejstut und Lubart abgesteckten Weg nach Wladimir gelangte (und von Luzk dann bis ins Zentrum von Wolhynien) oder aber auf der alten Straße von Thorn durch Masowien.122 Doch erscheint die zweite Variante weniger wahrscheinlich, weil Masowien inzwischen Kasimir dem Großen gehuldigt hatte (1351) und die Thorner Kaufleute gezwungen wurden, auf einem neuen Weg, der durch Gebiete des Ko¨nigreiches Polen fu¨hrte, nach Ruthenien bzw. Lemberg zu reisen.123 Das Fehlen einer Beschreibung dieses eventuellen zweiten, neuen Weges von Thorn nach Wladimir im Thorner Zollkammerverzeichnis von etwa 1350–1360 kann nur bedeuten, dass die Thorner aufgrund der gro¨ßeren Attraktivita¨t Lembergs ganz einfach aufgeho¨rt hatten, Wladmir aufzusuchen. Vielleicht traf sich Reusse eben in Lemberg mit dem Wladimirer Kaufmann? Die Notiz von 1361 muss nicht bedeuten, dass die Blockade des ruthenischen Handels beendet war, auch wenn dies wahrscheinlich ist. Sie zeugt jedoch davon, dass nicht spa¨ter als eben damals die Mo¨glichkeit entstand, wirtschaftliche Kontakte zwischen Breslau und Ruthenien anzuknu¨pfen. Außer Zweifel steht auch, dass nicht spa¨ter als nach der Ratsversammlung in Krakau (September 1364)124 der Weg durch die polnischen Gebiete nach Ruthenien fu¨r weitere Kaufleute offen stand. Deshalb datiere ich den Zeitabschnitt der Beendigung der Blockade auf die Jahre 1361–1364. Nach dieser Zeit sind Aktivita¨ten der Herrscher Mitteleuropas zugunsten einer Belebung des Handels erkennbar. Im Jahre 1365 erlaubte Kasimir der Große auf Bitten Karls IV. Kaufleuten aus Nu¨rnberg, nach Ruthenien zu reisen.125 Zur gleichen

in proximo festo sancti Johannis baptiste inchoando et quidquid unum ipsorum deditum [erit ] de hoc ´ ab alio liber erit (...); Archiwum Panstwowe we Wrocławiu, Akta miasta Wrocławia [Akten der Stadt Breslau], Laurentius Nudus [Sign. G 4], S. 12); vgl. das Regest in: Preußisches Urkundenbuch, Bd. 5 (wie Anm. 113), Nr. 967, S. 554; vgl. auch Kopinski, ´ Gospodarcze (wie Anm. 82), S. 135, Anm. 609. 122 Hansisches Urkundenbuch, Bd. 3 (wie Anm. 40), Nr. 559 – 1350/60, S. 312–313; Weymann, Cła (wie ´ Anm. 11), S. 102; Henryk Samsonowicz, Gospodarka i społeczenstwo (XIII-poczatek ˛ XVI w.) [Wirtschaft und Gesellschaft (vom 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts], in: Dzieje Mazowsza do 1526 roku, hg. v. Dems./Aleksander Gieysztor, Warszawa 1994, S. 249–293, hier S. 250; Ders., Die Handelsstraße Ostsee-Schwarzes Meer im 13. und 14. Jahrhundert, in: Der Hansische Sonderweg? Beitra¨ge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Hanse, hg. v. Stuart Jenks/Michael North, Ko¨ln/Weimar 1993, S. 23–30, hier S. 24. 123 Henryk Samsonowicz, Warszawa w handlu s´ redniowiecznym [Warschau im mittelalterlichen Handel], in: Warszawa s´ redniowieczna, Bd. 2, hg. v. Aleksander Gieysztor, Warszawa 1975, S. 9–31, hier S. 11. 124 Roman Grodecki, Kongres krakowski w roku 1364 [Der Krakauer Kongress im Jahre 1364], Warszawa 1939, passim. 125 Quellentext in: Akta norymberskie do dziejo´w handlu z Polska˛ w wieku XV [Nu¨rnberger Akten zur Geschichte des Handels mit Polen], hg. v. Jan Pta´snik, Krako´w 1909–1913, Nr. 1, S. 296–297.

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Zeit gewa¨hrte der ungarische Ko¨nig Ludwig der Große den Kaufleuten aus Breslau Handelsfreiheit in seinem ausgedehnten Ko¨nigreich.126 An dieser Stelle dra¨ngt sich folgende Frage auf: War der Ko¨nig von Ungarn, ein Verbu¨ndeter des polnischen Ko¨nigs, vorher an den Reisebeschra¨nkungen fu¨r Kaufleute aus dem Ko¨nigreich Bo¨hmen nach Ruthenien beteiligt gewesen? Oder waren die Breslauer nicht vielleicht bemu¨ht, Kasimirs Blockade zu umgehen, indem sie u¨ber Ungarn reisten? Die zeitliche Na¨he der Krakauer Ratsversammlung und des Privilegs Ludwigs scheint davon zu zeugen, dass es sich hier nicht um einen Zufall gehandelt haben mag.127

V. Handel und Kreditwesen nach 1361/64

In der Zeit der Zugeho¨rigkeit Breslaus zum Ko¨nigreich Bo¨hmen und spa¨ter zur Monarchie von Matthias Corvinus (1469–1490) entwickelte sich der Handel zwischen dem Hauptzentrum Schlesiens und den Sta¨dten Kleinpolens gut (zu den spa¨tmittelalterlichen Handelswegen vgl. Farbtafel 1, S. 225). Der ein gutes Dutzend Jahre wa¨hrende Zollkrieg und die Rechtsbeschra¨nkungen waren nicht im Stande, ihn auf la¨ngere Frist zu hemmen. Da Krakau von allen Sta¨dten Kleinpolens die gro¨ßte Bedeutung fu¨r Breslau besaß, mu¨ssen die Beziehungen mit der Hauptstadt des Ko¨nigreiches Polen zum Ausgangspunkt genommen werden, um den Warenaustausch zwischen dem Oderzentrum und den kleinpolnischen Sta¨dten zu charakterisieren. Den bislang besten Versuch einer synthetisierenden Zusammenfassung der Struktur des Warenaustausches Krakaus mit Schlesien hat Stanisław Kutrzeba vorgelegt. Ihm zufolge wurden Salz aus den Gruben bei Krakau, Ochsen (seit dem 15. Jahrhundert), Wachs und auch aus dem Ko¨nigreich Ungarn stammendes Kupfer und Stahl nach Schlesien geliefert, wa¨hrend Schlesien nach Krakau hauptsa¨chlich niederla¨ndische Tuchwaren exportierte.128 Aus der reichhaltigen Literatur zu diesem Thema vgl. Jan Pta´snik, Studya nad patrycyatem krakowskim wieko´w s´ rednich [Studien zum Krakauer Patriziat im Mittelalter], [Teil 1], in: Rocznik Krakowski 15 (1913), S. 23–95, hier S. 25; Koczy, Handel Poznania (wie Anm. 71), S. 223–224; Friedrich Lu¨tge, Der Handel Nu¨rnbergs nach dem Osten im 15./16. Jahrhundert, in: Beitra¨ge zur Wirtschaftsgeschichte Nu¨rnbergs, Bd. 1, hg. v. Stadtarchiv Nu¨rnberg, Nu¨rnberg 1967, S. 318–376, hier S. 326–327, 345; Stromer, Oberdeutsche Hochfinanz (wie Anm. 61), S. 94, 95; Wyrozumski, Handel Krakowa (wie Anm. 32), S. 62. 126 Breslauer Urkundenbuch, Bd. 1 (wie Anm. 50), Nr. 243, S. 209–210. Diese Urkunde war bereits Klose, Von Breslau, Bd. 2, Teil 1 (wie Anm. 58), S. 354, bekannt, der sie zusammenfasste; vgl. auch Wendt, ˇ Schlesien (wie Anm. 38), S. 56, Graus, Cesky ´ obchod (wie Anm. 82), S. 58, Stromer, Nu¨rnberger Unternehmer (wie Anm. 61), S. 643, und My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 271. 127 Die Schwachstelle dieser Feststellung besteht darin, dass Ludwig vorher eine identische Erlaubnis den Kaufleuten aus Prag erteilt hatte, die Kasimir ebenfalls blockiert ha¨tte, falls sie durch sein Territorium nach Ruthenien ha¨tten reisen wollen. Zu den ungarischen Privilegien fu¨r die Prager vgl. Graus, Die Handelsbeziehungen (wie Anm. 102), S. 90; Wolfgang von Stromer, Der kaiserliche Kaufmann – Wirtschaftspolitik unter Karl IV., in: Kaiser Karl IV. Staatsman und Ma¨zen, hg. v. Ferdinand Seibt, Mu¨nchen 1978, S. 63–73, hier S. 66. 128 Kutrzeba, Handel Krakowa (wie Anm. 12), S. 81–84.

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Als eine Art Beschreibung des kleinpolnischen Exports im 15. Jahrhundert mag ein Schreiben Władysław Jagiełłos an den Breslauer Stadtrat (1432) gelten, in dem der Ko¨nig u¨ber die Entscheidungen der Zusammenkunft von Sieradz informierte. Dort wurde eine befristete Unterbrechung der Ausfuhr von Salz, Blei, Kupfer, Eisen (Stahl) und Eisenerz (?) aus Polen beschlossen.129 Dennoch wurde in Breslau weiterhin Salz eingefu¨hrt, da an der Oder hierfu¨r eine stete Nachfrage bestand.130 Dagegen sind nur sehr wenige Aufzeichnungen u¨ber die Menge der importierten Speisewu¨rzen erhalten.131 Andere Aufzeichnungen bezeugen, dass die Waren mit Fuhrwerken aus Krakau gebracht (und außerhalb der von den Beho¨rden der Stadt Breslau dazu bestimmten Pla¨tze verkauft)132 wurden, aber auch aus Lublin.133 Sicher handelten jene Betru¨ger, die sich in Krakau als Beamte Władysław Jagiełłos ausgaben, ebenfalls ¨ brigen gerieten die Breslauer selbst mit dem Recht racione furti in mit Salz.134 Im U Sale in Konflikt.135 Des Weiteren wurde nach Schlesien Blei exportiert, das in riesigen Mengen befo¨rdert wurde; so kaufte 1481 beispielsweise ein Bevollma¨chtigter von Hans Rindfleisch junior in Krakau 42 Zentner (etwa 2500 kg) dieses Rohstoffes.136 Breslau fungierte auch als Transitpunkt auf dem Exportweg von Blei aus Olkusz nach Westen.137 Zu den fu¨r den Breslauer Markt bestimmten Artikeln geho¨rte auch Leder, das aus Lublin eingefu¨hrt wurde (II-c ledir ane × ledir).138 Wir wissen nicht, von welchen Tieren dieses Leder stammte und wo sie gezu¨chtet wurden. Nicht ausgeschlossen werden kann ihre kleinpolnische Herkunft, umso mehr als die fragliche Quelle nichts von einer ausla¨ndischen Herkunft berichtet. Vielleicht stammte das Leder aus Kleinpolen; fu¨r das Salz und das Blei ist dies gewiss. Alle u¨brigen Artikel wurden aus Regionen eingefu¨hrt, die o¨stlich und su¨dlich Kleinpolens lagen. Dies gilt insbesondere fu¨r das slowa129 Przyczynki do Dziejo´w Polskich (wie Anm. 69), S. 96. Mosbach, Wst˛ep (wie Anm. 69), S. 17; Wutke,

Die Versorgung (wie Anm. 13), S. 284 (mit dem fehlerhaften Datum von 1437).

130 Vgl. hierzu die grundlegende Arbeit von Wutke, Die Versorgung (wie Anm. 13), S. 247, 284, 290;

Kutrzeba, Handel Krakowa (wie Anm. 12), S. 30; Kalfas-Piotrowska, Stosunki (wie Anm. 61), S. 266; Goerlitz, Verfassung (wie Anm. 25), S. 74; Kehn, Der Handel (wie Anm. 39), S. 15. 131 Salz ist ein Massenartikel, so dass die Transporte betra¨chtlich gewesen sein mu¨ssen. Zum Beispiel wurde im Jahre 1397 der Ankauf von 42 Ko¨pfen Salz verhandelt; Acta consularia nec non proscriptiones ab anno 1392 ad annum 1400, hg. v. Jo´zef Szujski, in: Najstarsze ksi˛egi i rachunki m. Krakowa od 1300 do 1400 (wie Anm. 55), Teil 2, S. 77–225, hier S. 159. Jerzy Topolski, Rola Gniezna w handlu europejskim od XV do XVII wieku [Die Rolle Gnesens im europa¨ischen Handel vom 15. bis zum 17. Jahrhundert], in: Studia i materiały do dziejo´w Wielkopolski i Pomorza 7 (1962), S. 5–78, hier S. 12, zufolge wog ein Kopf etwa 7 kg, d. h. der gesamte Salztransport ha¨tte etwa 300 kg gewogen. 132 Archiwum Panstwowe ´ we Wrocławiu, Sign. G 5, Libri excessuum et signaturarum, Bd. 29, S. 93 (1433); Bd. 30, S. 4 (1434). 133 Ebd., Bd. 31, S. 135 (1437). 134 Archiwum Panstwowe ´ we Wrocławiu, Dokumenty miasta Wrocławia (wie Anm. 76), Nr. 1193 (1410). 135 Ksi˛ega proskrypcji i skarg miasta Krakowa (1360–1422) [Proskriptions- und Beschwerdebuch der ˙ Stadt Krakau (1360–1422)], hg. v. Bozena Wyrozumska, Krako´w 2001, Notiz 904 – 1393, S. 94. 136 Archiwum Panstwowe ´ w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 3 [Sign. 429], S. 712 (1483). Zu den hier verwendeten Gewichtsmaßen vgl. My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 542. 137 Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 50, S. 83 (1472), vgl. die Fortsetzung auf S. 116; der Transport enthielt 13 Zentner und 43 Pfund, was bei Anwendung des Breslauer Umrechnungsfaktors 665,5 kg ergeben wu¨rde; My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 542–543. 138 Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 46, S. 180 (1467).

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kische Kupfer, dessen Transport nach Breslau durch Hinweise auf seinen Re-Export von der Oder in die Sta¨dte Vorpommerns und nach Stettin im 14. Jahrhundert139 sowie nach Thorn im 15. Jahrhundert140 indirekt bezeugt ist. Auch slowakisches Silber wurde im 15. Jahrhundert von Krakau ins Zentrum Schlesiens gebracht.141 Kleinpolnische Kaufleute brachten auch die gro¨ßten Mengen an Pelzen und Wachs nach ¨ ber Krakau wurde so genanntes „Scho¨nwerk“ nach Breslau gebracht (darBreslau. U unter Eichho¨rnchenfelle)142 sowie Hamsterfelle zu Hunderten (in schwarzer) und zu Tausenden (in roter Fa¨rbung).143 „Schwarze Felle“ (wahrscheinlich Marderfelle) kamen auch aus Ungarn u¨ber Krakau und durch Vermittlung eines Krakauer Kaufmanns nach Breslau.144 Aus Lublin gelangte Wachs in verschiedenen Mengen und unbestimmter (sicher ruthenischer) Herkunft nach Breslau.145 Etwas verwunderlich ist, dass kaum Breslauer Ochsen-Importe belegt sind. Doch man darf nicht vergessen, dass die noch im 14. Jahrhundert aus Ungarn eingefu¨hr¨ sterreich, ten Ochsen im 15. Jahrhundert hauptsa¨chlich entlang der Donau nach O 146 Deutschland und teilweise nach Venedig exportiert wurden, dass die Preisverha¨ltnisse fu¨r den Ochsentrieb von Ungarn nach Schlesien im 15. Jahrhundert ungu¨nstig 139 Zum Kongress der Hanse und dem Brief Kehn, Der Oderraum (wie Anm. 48), S. 103. 140 Vgl. Kopinski, ´ Gospodarcze (wie Anm. 82), S. 113. 141 Dokumenty i listy miasta Krakowa z drugiej połowy XV wieku z archiwum w Bardiowie [Urkunden

und Briefe der Stadt Krakau aus der zweiten Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts aus dem Archiv in Bartfeld], hg. v. Wojciech Krawczuk/Stanisław Sroka, in: Rocznik Krakowski 71 (2005), S. 55–65, hier S. 57–60, Nr. 4 – 1458. Angefu¨hrt werden kann hier auch das Beispiel des Vertrages eines Nachkommens des beru¨hmten Wierzynek (Wirsing), der dem Breslauer Kaufmann Lucas Dompnig um 1432 etwa 1,5 kg ´ Silber liefern sollte; Archiwum Panstwowe we Wrocławiu, Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 29, S. 59 (1432). Auch wenn dieses Silber die Stadt an der Oder nicht erreicht hat, kann dieser Vertrag zwischen einem Breslauer und einem Krakauer als Beleg fu¨r den Import dieses Erzes nach Breslau in der ersten Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts angesehen werden. 142 Ebd. Bd. 29, S. 59 (1432). Es handelte sich um drei Fa¨sser „Scho¨nwerk“, d. h. die besten Winterfelle von verschiedenen Tieren, nach Koczy, Handel Poznania (wie Anm. 71), S. 341; vgl. auch My´sliwski, Strefa (wie Anm. 39), S. 278–279; ein weiteres Beispiel aus dem 15. Jahrhundert, das u¨ber den Transport von 10. 000 Stu¨ck Winterfelle aus Krakau u¨ber Breslau nach Posen informiert, in: Der Rechte Weg, Bd. 1, hg. v. Friedrich Ebel, Ko¨ln u.a 2000, S. 623, Nr. 84. 143 Im Jahre 1491 wurden 8. 000 rote Hamsterfelle (grustschin) und 350 Stu¨ck schwarze Hamsterfelle ´ nach Breslau gebracht; Archiwum Panstwowe we Wrocławiu; Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 59, S. 100 (1491). Zu den Hamstern und ihrer Bedeutung im Handel Ostmitteleuropas vgl. Agnieszka Samsonowicz, Łowiectwo w Polsce Piasto´w i Jagiellono´w [Das Jagdwesen im Polen der Piasten und Jagiellonen], Wrocław 1991, S. 101–102. 144 My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 278. 145 Im Jahre 1420 zahlte der Breslauer Stadtrat Niklos Brendel aus Lublin 230 Mark Groschen, was bei den damaligen Preisen etwa 2. 760 kg Wachs entsprach; Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 23, S. 99; vgl. auch zu dem deutlich geringeren Transport ebd., Bd. 46, S. 180 (1467). Weitere Beispiele bei Marie Scholz-Babisch, Oberdeutscher Handel mit dem deutschen und polnischen Osten nach Gescha¨ftsbriefen von 1444, in: Zeitschrift des Vereins fu¨r Geschichte und Alterthum Schlesiens 64 (1930), S. 56–74, hier S. 60; My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 347, 547. 146 Engel, The Realm (wie Anm. 4), S. 324; zum Bedarf Nu¨rnbergs an ungarischen Ochsen im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts vgl. Ma´rta Bele´nyesy, Viehzucht und Hirtenwesen in Ungarn im 14. und 15. Jahrhundert, in: Viehzucht und Hirtenleben in Ostmitteleuropa. Ethnographische Studien, hg. v. La´szlo´ Fo¨ldes, Budapest 1961, S. 13–82, hier S. 20; vgl. Fernand Braudel, Kultura materialna, gospodarka i kapitalizm (XV–XVIII w.) [Die materielle Kultur, die Wirtschaft und der Kapitalismus (15. – 18. Jahrhundert], Warszawa 1992, Bd. 2, S. 22, 292.

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waren,147 unter den Waren, die in dem erwa¨hnten Schreiben Jagiełlos von 1432 aufgeza¨hlt wurden, kein Vieh erwa¨hnt wurde und schließlich die nach Schlesien importieren Ochsen noch im 15. Jahrhundert oft nach Brieg und nicht nach Breslau gelangten.148 Aber es wa¨re falsch, aus der geringen Zahl entsprechender Quellenhinweise gleich auf einen nur geringen Import zu schließen. Schließlich geho¨rten Ochsen im 15. Jahrhundert zu den wichtigsten polnischen Exportwaren nach dem Westen.149 Schon Theodor Goerlitz bemerkte, dass im Breslauer Rechnungsbuch von 1445 der Zoll fu¨r das hergetriebene Vieh eine der Haupteinnahmen der Stadt bildete.150 Daru¨ber hinaus verfu¨gen wir u¨ber (allerdings nur wenige) Erwa¨hnungen aus dem zweiten und dritten Viertel des 15. Jahrhunderts u¨ber große Anka¨ufe von Ochsen in Breslau.151 Die Stadt war also auch ein wichtiger Punkt im Transit dieser Tiere von Kleinpolen nach Deutschland; das belegt u. a. ein Hinweis darauf, dass ein Bu¨rger Sandomirs 400 Stu¨ck Vieh u¨ber Breslau nach Meißen getrieben hat.152 Ho¨chstwahrscheinlich handelte es sich dabei um Ochsen aus Ruthenien, die regelma¨ßig nach Krakau gebracht wurden.153 Dafu¨r dass unter den in Jagiełłos Schreiben erwa¨hnten nach Breslau exportierten Waren Vieh fehlte, ko¨nnte es verschiedene Gru¨nde gegeben ha-

147 Ein Ochse kostete in Ungarn 3–4 Florinen; Engel, The Realm (wie Anm. 4), S. 250, wa¨hrend er in

Breslau nur 1 Mark kostete, d. h. 1,71–2 ung. Fl; vgl. My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 522–523, 554. 148 Aubin, Die Wirtschaft (wie Anm. 5), S. 481; Stromer, Handel zum Schwarzen Meer (wie Anm. 63), S. 1174; vgl. auch die Notiz von 1487 u¨ber den Kauf von mehreren Hundert Ochsen durch die Gesellschaft von Hieronymus Scheurlein und Blasius Krig in Brieg in: Der Rechte Weg (wie Anm. 142), Bd. 2, S. 873–874, Nr. 58). 149 Henryk Samsonowicz, Jarmarki w Polsce na tle sytuacji gospodarczej w Europie w XV–XVI wieku [Die Jahrma¨rkte in Polen vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Siuation im 15. – 16. Jahrhundert], ´ in: Europa – Słowianszczyzna – Polska. Studia ku uczczeniu Profesora Kazimierza Tymienieckiego, hg. v. Juliusz Bardach, Poznan´ 1970, S. 523–532, hier S. 528; Ders., Przemiany (wie Anm. 32), S. 704. 150 Goerlitz, Verfassung (wie Anm. 25), S. 58. 151 Zum Verkauf von 104 Stu¨ck vgl. Archiwum Panstwowe ´ we Wrocławiu, Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 32, S. 224 (1439); vgl auch die Erwa¨hnungen aus den Jahren 1469/70, aus denen hervorgeht, dass Breslauer Metzger von Johann Rzeszowski, dem Ka¨mmerer des Ko¨nigreiches Polen, fu¨r 456 Florinen Ochsen kauften (vielleicht u¨ber den Handelsvertreter des bekannten Kaufmanns Niklas ´ Kreidler); zu Rzeszowski vgl. Wojciech Fałkowski, Elita władzy za panowania Kazimierza Jagiellonczyka (1447–1492) [Die Herrschaftselite in der Regierungszeit Kasimirs des Jagiellonen (1447–1492)], Warszawa 1992, S. 120, 121. Der Stu¨ckpreis ist mir unbekannt, aber der Gesamtsumme zufolge konnte diese Herde mehrere Hundert Stu¨ck za¨hlen; Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 47, S. 173 – 1469; Bd. 48, S. 47, 1470. 152 Otto Stobbe, Mittheilungen aus Breslauer Signaturbu¨chern, in: Zeitschrift des Vereins fu¨r Geschichte und Alterthum Schlesiens 7 (1886), 2, S. 176–191, 344–362, hier Nr. 226 – 1426, S. 357. 153 Vgl. die Aussage der Breslauer Kaufleute in Sachen der Handelsstraßen; Kodeks dyplomatyczny miasta Krakowa (wie Anm. 75), Bd. 1, wie Anm. Nr. 256, S. 220, Pkt. 1, wo die Rede davon ist, dass zum Verkauf bestimmte Ochsen durch Sandomir getrieben wurden, im Unterschied zu den zum Schlachten in Krakau bestimmten Ochsen, die auf einem anderen Weg dorthin gelangten. Zum Handel u¨ber San´ aska, ´ domir Historia Sl ˛ Bd. 1, Teil 2 (wie Anm. 92), S. 146; Zbigniew Morawski, Sandomierz od konca XIII do poczatko ˛ ´ w XV wieku [Sandomir vom Ende des 13. bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts], in: Dzieje Sandomierza, Bd. 1, hg. v. Stanisław Trawkowski, Warszawa 1993, S. 115–136, hier S. 134; u¨ber diese Urkunde My´slinski, ´ Lublin (wie Anm. 22), S. 14.

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ben.154 Dagegen erfolgte ein Ru¨ckschritt, als 1499 Johann Albrecht auf Bitten der Krakauer hin den Befehl erließ, dass polnische Kaufleute Ochsen nicht mehr u¨ber Breslau, sondern u¨ber Posen nach Leipzig und in andere deutsche Sta¨dte treiben sollten.155 Aus dem Verkauf von Pferden in Kazimierz nahe Krakau durch einen Gast aus Breslau, wie er in einem Fall bezeugt ist, la¨sst sich kaum auf einen regula¨ren Pferdehandel zwischen Breslau und Kleinpolen schließen.156 ¨ berraschend erscheint das Fehlen von Hinweisen auf eine Breslauer Einfuhr oriU entalischer Waren (Gewu¨rze und Textilwaren) durch kleinpolnische Kaufleute. Ein¨ berbringung einiger Ko¨rbe (eventuell Kisten) Feizelne Erwa¨hnungen u¨ber die U gen durch einen Krakauer Bu¨rger,157 u¨ber die Absicht der Einfuhr von schwarzem Samt,158 u¨ber die Beteiligung eines Krakauers an der Einfuhr von Indigo159 oder auch u¨ber die Entscheidung eines Geistlichen aus Skarbimierz, einem Breslauer Apotheker seine Gu¨ter zu vermachen, u. a. cum (...) pexidibus aromaticarum,160 stellen Ausnahmen dar. Dies erstaunt umso mehr, als sich Feliks Kiryk zufolge der Import von „Spezereien“ aus Lemberg nach Krakau das ganze 15. Jahrhundert u¨ber auf einem hohen Niveau bewegte.161 Ohne die Mo¨glichkeit eines Imports von Gewu¨rzen und anderen orientalischen Waren u¨ber Ruthenien nach Breslau vo¨llig auszuschließen, muss davon ausgegangen werden, dass es in der Regel nicht Kaufleute aus Kleinpolen waren, die in Breslau als Vermittler dieser Waren fungierten. Die Breslauer kauften die exotischen Kra¨uter weder in Krakau noch in Lublin. Im Gegenteil, eher brachten sie ihrerseits derartige Waren nach Krakau. Eher eine Ausnahme stellte wohl auch die Einfuhr von Perlen nach Breslau dar, wie sie in einem Fall (sicher als Pfand) bezeugt ist;162 dies du¨rfte auch fu¨r jenen Fall gelten, in dem Breslauer Kaufleute in Lublin

154 Dies ko¨nnte mit der Zunahme des Exports von Ochsen erkla¨rt werden, die nach diesem Datum erfolgte

(die a¨lteste dieser Informationen u¨ber das Durchtreiben von Ochsen stammt aus dem Jahre 1439). Vielleicht wurde wegen der grundlegenden Bedeutung von Lebensmitteln eine Ausnahme fu¨r den Ochsenexport gemacht. 155 Rauprich, Der Streit (wie Anm. 75), S. 55. 156 Ksi˛ega ławnicza kazimierska (1407–1427) [Das Scho¨ffenbuch von Kazimierz (1407–1427)], hg. v. ˙ Bozena Wyrozumska, Nr. 2845 – 1424 , S. 372. 157 Nach der Lesart von Jo´zef Szujski lautet das zitierte Fragment wie folgt: (...) octo cosini ficuum; Acta consularia (wie Anm. 131), S. 177 – 1398. Aber die Lektu¨re der Handschrift erlaubt, die Lesart des Ausdruckes cosinus sowohl aus sachlichen (die Bedeutung dieses Ausdruckes und seiner Abko¨mmlinge passt u¨berhaupt nicht in den Kontext) als auch aus pala¨ografischen Gru¨nden in Frage zu stellen. In Wirklichkeit wurde er als cofini niedergeschrieben, was bedeutet: „ein großer Korb“ oder „eine Art Kiste fu¨r den Wagen, die aus zwei besonderen Ko¨rben zusammengesetzt ist“, so Słownik Łaciny ´ Sredniowiecznej w Polsce [Wo¨rterbuch des mittelalterlichen Latein in Polen], hg. v. Marian Plezia, ´ Bd. 2, Wrocław 1959, S. 1314, von cofinus, cophinus; vgl. Archiwum Panstwowe w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 1 (wie Anm. 63), S. 104. 158 Otto Stobbe, Mittheilungen aus Breslauer Signaturbu¨chern, in: Zeitschrift des Vereins fu¨r Geschichte und Alterthum Schlesiens 6 (1864), S. 335–356, hier Nr. 46 – 1413, S. 352. 159 My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 348. 160 Archiwum Panstwowe ´ w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 4 [Sign. 430], S. 14 (1484). 161 Kiryk, Zwiazki ˛ (wie Anm. 18), S. 13, 20, 23–27, 37. 162 Die Rede ist na¨mlich von der Erhebung der Rechte auf Perlen, die beim Breslauer Stadtrat deponiert wurden; Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 41, S. 191 – 1457.

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als „bernisch“ bezeichnete (vielleicht aus Bern stammende) Tuchwaren abholen lassen wollten.163 Ob auch noch andere verarbeitete Waren importiert wurden, ist ungewiss.164 Wie Stanisław Kutrzeba zu Recht bemerkte, bildeten schlesische und ausla¨ndische Tuchwaren den Hauptexportgegenstand Schlesiens bzw. Breslaus nach Krakau.165 Es handelte sich um Leinen,166 Breslauer167 sowie in Namslau hergestellte Tuche168, vielleicht auch um Tuchwaren aus Striegau und Schweidnitz, die von Breslauer Kaufleuten dorthin (bezeugt nach Krakau und Bochnia) gebracht wurden.169 Außer Zweifel steht, dass aus Breslau auch Tuchwaren ausla¨ndischer Herkunft eingefu¨hrt wurden: aus Go¨rlitz (ostdeutsche),170 aus Tienen, Mechelen, Maastricht (niederla¨ndische),171 aus London (leichtes Tuch: lyndische halbetuch)172 und aus Arras 163 Ebd., Bd. 46, S. 180 (1467). Es ko¨nnte sich um Tuchwaren handeln, die entweder im franzo¨sischen

Bernai oder in Bern hergestellt wurden, einem bedeutenden Zentrum des europa¨ischen Tuchmacherhandwerks; Turnau, Historia (wie Anm. 51), S. 88. Die zweite Mo¨glichkeit scheint wahrscheinlicher zu sein, weil in Lublin ein Handelsvertreter der Schweizer Firma Diesbach-Watt ta¨tig war, die sich mit dem Tuchhandel auf dem Gebiet des Ko¨nigreiches Polen befasste, Hektor Ammann, Die Diesbach-Watt-Gesellschaft. Ein Beitrag zur Handelsgeschichte des 15. Jahrhunderts, St. Gallen 1928, S. 82, 88. Fu¨r die „franzo¨sische“ Interpretation des zitierten Begriffs sprach sich Rauprich, Der Streit (wie Anm. 75), S. 97, aus, auch wenn er dies in Bezug auf die an der Wende des 15./16. Jahrhunderts nach Frankfurt an der Oder gebrachten Tuchwaren tat. 164 Im Jahre 1436 wurde vor dem Gericht des Breslauer Stadtrates bekundet, dass einem Schwerttra¨ger nach seiner Ru¨ckkehr vom Jahrmarkt in Lublin 14 Schwerter geraubt wurden; Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 31, S. 55. 165 Kutrzeba, Handel Krakowa (wie Anm. 12), S. 84. 166 Zum Export nach Lublin: Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 39, S. 173 (1453). 167 Zum Export nach Krakau: Kodeks dyplomatyczny miasta Krakowa, Bd. 2, hg. v. Franciszek Pieko´sin´ ´ ski, Krako´w 1882, S. 393 (1396); S. 421–422, Nr. 310; Archiwum Panstwowe w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 2 [Sign. 428], S. 298 (200 Ballen im Jahre 1431). 168 Zum Export nach Lublin: Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 46, S. 180 (1467). 169 Maleczynski, ´ Dzieje (wie Anm. 25), S. 108; Poppe, Pannus (wie Anm. 50), S. 621, 623, 627. 170 Zum Export nach Krakau: Archiwum Panstwowe ´ w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 1 (wie Anm. 63), S. 242 (120 Ballen im Jahre 1405). Horst Jecht, Zur Handelsgeschichte der Stadt Go¨rlitz im Mittelalter, in: Oberlausitzer Forschungen. Beitra¨ge zur Landesgeschichte, hg. v. Martin Reuther, Leipzig 1961, S. 121–127, 332, hier S. 126 wies darauf hin, dass Go¨rlitzer Tuchwaren schon in der Mitte des 14. Jahrhunderts in die Gebiete des Ko¨nigreiches Polen gelangten. Allerdings ist nicht bekannt, ob sie von Breslauer Kaufleuten herbeigeschafft wurden. 171 Zum Import von Tuchwaren aus Tienen in Krakau: Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 30, S. 42 (16 „lange“ Ballen im Jahre 1434); Tuchwaren aus Mechelen ebenfalls nach Krakau, eventuell nach NeuSandez, Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 40, S. 195 (1452/56); Das Jahresdatum ist unsicher, weil die Notiz aus einer gesonderten Abteilung mit dem Titel Signaturae Invente post mortem magistri Johannis Magdeburg stammt, die sich am Ende des hier erwa¨hnten Bandes befindet, der die Jahre 1452–1455 und die ersten Monate des Jahres 1456 umfasst; Johann Magdeburg war ein Stadtschrei´ sredniowiecznego Wrocławia (podatnicy – przeber, vgl. Mateusz Golinski, ´ Socjotopografia po´zno´ strzen´ – gospodarka) [Die Sozialtopographie des spa¨tmittelalterlichen Breslau (Steuerzahler – Raum – Wirtschaft)], Wrocław 1997, S. 104. Als Beweis dafu¨r, dass Mechelener Tuchwaren von Breslauern nach Krakau gebracht wurden, kann auch eine undatierte, ho¨chstwahrscheinlich aus dem 15. Jahrhundert stammende Notiz aus: Der Rechte Weg (wie Anm. 142), Bd. 2, S. 809 (Nr. 23) angesehen werden. Dagegen wurden die Tuchwaren aus Maastricht nach Lublin gebracht; Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 46, S. 180, 1467. Zur Identifizierung des Namens Ludwig Petry, Die Popplau. Eine schlesische Kaufmannsfamilie des 15. und 16. Jahrhunderts, Breslau 1935, S. 163, 165. 172 Zum Import in Lublin: Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 39, S. 173 (1453). Zur Bedeutung von halbetuch Lexer, Mittelhochdeutsches Handwo¨rterbuch (wie Anm. 57), S. 1153.

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(wobei es sich hier vielleicht um ein Synonym fu¨r billiges Tuch handelte).173 Hinzukommt noch ein Hinweis auf den Kauf von Tuch unbekannter Produktion, vielleicht aus Sankt Gallen, durch einen Bewohner von Wi´slica.174 In Breslau wurden auch weiterverarbeitete Textilstoffe gekauft (ein blauer Vorhang und ein birthethin – d. h. ein Barett).175 Die Einfuhr aus Breslau beschra¨nkte sich aber nicht nur auf Textilien. Davon zeugt ein Zolltarif aus Bendzin in Oberschlesien (1432), einem wichtigen Transitpunkt, der die Krakauer Ratsherren lebhaft interessierte.176 Dem fu¨r unseren Zusammenhang interessanten Teil dieses Zolltarifs verlieh man die charakteristi¨ berschrift Den Czol czw Banden von dy aws der Slezie kommen, zal man alzo sche U ynnemen gewonlich. Die nicht allzu lange Liste von Waren enthielt: Tuchwaren von hoher Qualita¨t (schonen tuch), Tuch aus Schlesien (polneschen tucher),177 vielleicht Produkte des Metallhandwerks (cromerey) sowie Heringe, Wachs, Leder, Blei, Kupfer und Zink (heringe, wachs, bley, kopper, czin, leder). Die Einfu¨hrung von Minera¨ berlieferung wissen wir auch von der Einlien u¨berrascht nicht. Aus einer anderen U 178 fuhr von Gold im 15. Jahrhundert. Mit Ausnahme dieses edlen Erzes handelte es sich hierbei wohl nicht um niederschlesische Bodenscha¨tze. Die schlesischen Kaufleute konnten ihre Einka¨ufe in Beuthen und in Tarnowitz ta¨tigen, oder auch, was aufgrund des nur schwach entwickelten schlesischen Kupferbergbaus weniger wahrscheinlich ist, in den dortigen Gruben.179 Dagegen u¨berraschen die anderen Waren. Krakau versorgte sich mit Heringen aus Danzig,180 obwohl schon Kutrzeba davon ausging, dass diese Waren auch aus Westpommern u¨ber Breslau und weiter bis nach Krakau gelangten.181 Dies und der Bendziner Zolltarif erlauben einen Hinweis aus dem Jahre 1452 richtig zu deuten, dem zufolge Hans Popplau in Kschepitz Heringe 173 Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 39, S. 173 (1453). Zur Bedeutung von arras siehe Petry, Die

Popplau (wie Anm. 171), S. 49; Turnau, Historia (wie Anm. 51), S. 74.

174 Archiwum Panstwowe ´ w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 2 (wie Anm. 167), S. 423 (1440). Es

handelt sich um 1 Terling Tuch fu¨r 57 Mark, d. h. mehrere Ballen; zum Verha¨ltnis von Terling und Ballen My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 535–536; vgl. auch ebd. S. 563–568, zum Preis fu¨r einen Ballen. Zugunsten der Annahme einer Schweizer Herkunft dieser Tuchwaren kann die Tatsache zeugen, dass sie von Katherina Stolz geliefert wurden, der Handelsverteterin der Firma Diesbach-Watt, vgl. Ammann, Die Diesbach-Watt-Gesellschaft (wie Anm. 163), S. 56; Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 26), S. 352. 175 Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 39, S. 173 (1453). Den Begriff slatuch ploe verstehe ich als „Schlagtuch blau“ (zum Begriff „Schlagtuch“ siehe Deutsches Wo¨rterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 9, Leipzig 1899, S. 426). 176 Kodeks dyplomatyczny miasta Krakowa, Bd. 2 (wie Anm. 167), Nr. 310, S. 422. U ¨ ber den Tarif oder eher u¨ber den Kontext der Kontakte mit Ungarn Kutrzeba, Handel Krakowa (wie Anm. 12), S. 59; Wyrozumski, Dzieje Krakowa (wie Anm. 25), S. 388. 177 Poppe, Pannus (wie Anm. 50), S. 623–624. 178 (...) ein fas mit unczem golt (...); Der Rechte Weg (wie Anm. 142), Bd. 1, S. 225, Nr. 55. 179 Maleczynski, ´ Aus der Geschichte (wie Anm. 43), S. 240–241, 244–245; Danuta Molenda, Powsta´ wanie miast go´rniczych w Europie Srodkowej w XIII–XVIII [Die Entstehung von Bergbausta¨dten ´ praca (wie Anm. 80), S. 157–175, hier in Mitteleuropa im 13. – 18. Jahrhundert], in: Czas, przestrzen, S. 162. 180 Jan Dabrowski, ˛ Krako´w a W˛egry w wiekach s´ rednich [Krakau und Ungarn im Mittelalter], in: Rocznik Krakowski 13 (1911), S. 187–250, hier S. 221. 181 Kutrzeba, Handel Krakowa (wie Anm. 12), S. 86. A ¨ hnlich zu verstehen ist die Ansicht von Kehn, Der Handel (wie Anm. 39), S. 88, der einen Transit von Heringen u¨ber Breslau nach Ungarn annahm.

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beschlagnahmt wurden. Da dieser Vorfall zu einem Thema der Korrespondenz zwischen den Krakauer und den Breslauer Ratsherren wurde,182 ko¨nnen wir sicher sein, dass dieser bekannte Grossist Fische nach Krakau lieferte. Dagegen wurden Wachs und Leder in umgekehrter Richtung nach Niederschlesien gebracht. Bekannt ist aber auch, dass Wachs nach Breslau nicht nur aus Kleinpolen und durch diese Region eingefu¨hrt wurde, sondern auch aus Litauen.183 Bekannt ist das Beispiel des Ankaufs einer Kugel Wachs in Breslau zu einem a¨hnlichen Zeitpunkt (1436) eben durch einen Krakauer Kaufmann.184 Dagegen ko¨nnten die Breslauer das Leder von den hergetriebenen Ochsen verarbeitet und nach dem Osten weiterverkauft haben. Charakteristisch scheint der in Breslau von einem Krakauer geta¨tigte Ankauf eines Zobelpelzes zu sein, denn diese Pelze wurden im Allgemeinen in Ost-West-Richtung verbreitet.185 Die Breslauer Kaufleute haben sich bei der Einfuhr nach Krakau also nicht auf Waren heimischer oder westeuropa¨ischer Herkunft beschra¨nkt. Unterwegs kauften sie Mineralien, und sicher reexportierten sie einen Teil dieser Naturalwaren auch wieder, weil sie wussten, dass in Kleinpolen Nachfrage danach bestand. Aber es kann angenommen werden, dass solche Dinge wie Wachs und Leder viel ha¨ufiger und in gro¨ßeren Mengen nach Schlesien eingefu¨hrt wurden als in umgekehrter Richtung. Die Breslauer brachten auch mediterrane und exotische Waren nach Krakau. Aus dem 15. Jahrhundert stammt eine Erwa¨hnung u¨ber den Transport eines Fasses mit Artikeln im Wert von 300 ungarischen Florinen, in dem sich außer dem bereits erwa¨hnten Gold auch Taft und andere venedische ware befand.186 Der Warenaustausch zwischen Breslau und den Sta¨dten Kleinpolens war viel umfangreicher als aus den erhaltenen Aufzeichnungen hervorgeht. Die Waren, die Breslauer Kaufleute von Lubliner Jahrma¨rkten mitbrachten, wurden nicht genau benannt, und auch ihre Menge wurde nur allgemein angegeben (Multa ... bona).187 Wir wissen nichts u¨ber die Transaktionen der Kaufleute aus Tarno´w, Krossen und Pilzno, obwohl diese, wenigstens eine gewisse Zeit lang, ebenfalls regelma¨ßig zu Handelszwecken nach Breslau reisten.188 Bekannt sind auch Erwa¨hnungen nicht

182 Przyczynki do Dziejo´w Polskich (wie Anm. 69), S. 106. 183 Scholz-Babisch, Oberdeutscher Handel (wie Anm. 145), S. 60; Adam Kersten, Kontakty gospod-

arcze Wielkiego Nowogrodu z Litwa,˛ Polska˛ i miastami południowoniemieckimi w XV wieku [Die Wirtschaftskontakte Groß-Nowgorods mit Litauen, Polen und den su¨ddeutschen Sta¨dten im 15. Jahrhundert], in: Slavia Orientalis 1 (1958), S. 130–166, hier S. 160–161. 184 Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 31, S. 37 (1436). 185 Ebd., Bd. 31, S. 58 (1436); zum Handel mit Zobelpelzen und ihrer Bedeutung Harry Miskimin, The Economy of Early Renaissance Europe (1300–1460), Prentice Hall 1969, S. 124; Samsonowicz, Łowiectwo (wie Anm. 143), S. 96–97. 186 Der Rechte Weg (wie Anm. 142), Bd. 1, S. 225–226 (Nr. 55). 187 Peter Eschenloer, Historia Wratislaviensis et que post mortem regis Ladislai sub electo Georgio de Podiebrat Bohemorum rege illi acciderant prospera et adversa, Scriptores Rerum Silesiacarum, Bd. 7, hg. v. Hermann Markgraf, Breslau 1872, S. 239 (1471). Noch allgemeiner gehalten sind die Bezeichnungen der Waren, die Breslauer Kaufleuten auf dem Weg zum St.-Stanislaus-Jahrmarkt im Jahre 1466 geraubt wurden (ebd., S. 115); vgl. Ders., Geschichte der Stadt Breslau, Bd. 1, hg. v. Gunhild Roth, Mu¨nster u. a. 2003, S. 528–529. 188 Den nach Breslau reisenden Kaufleuten aus Tarno´w schrieb Władysław Jagiełło die Reiseroute vor; Akta grodzkie i ziemskie, Bd. 4 (wie Anm. 81), Nr. 44 – 1419, S. 99; hinsichtlich der Kaufleute aus Kros-

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na¨her bekannter „Breslauer“ Waren (bona wratislavienses)189 und von Krediten, die Breslauern fu¨r den Ankauf nicht na¨her genannter Waren erteilt wurden.190 Eine besondere Quellengruppe bilden Sicherheitsgarantien, die der Breslauer Stadtrat konkreten Kaufleuten aus Krakau und Lublin gewa¨hrte.191 Sie belegen z. T. Transporte von – nach mittelalterlichen Begriffen – großen Warenmengen. So wurden 1431 in der Hundsfelder Zollkammer die Waren von achtzehn Krakauer Kaufleuten beschlagnahmt.192 Der Wert ihrer Waren belief sich nach der bei dieser Gelegenheit erstellten Liste auf insgesamt 2000 Mark Prager Groschen; das entsprach unter Zugrundelegung der Krakauer Warenpreise jener Zeit etwa 240 Tonnen Blei oder 17 Tonnen Wachs.193 Eine gleichwertige Alternative wa¨ren 1777 Stu¨ck Ochsen gewesen.194 Der Handelsaustausch zwischen Breslau und den Sta¨dten Kleinpolens umfasste also durchaus große Warenmengen. Seit dem Ende des 14. und das gesamte 15. Jahrhundert hindurch bestanden im ¨ brigen auch sehr intensive Kreditverbindungen. Dies betraf vor allem Krakau, U das die anderen kleinpolnischen Sta¨dte auf diesem Gebiet in noch ho¨herem Maße u¨berflu¨gelte als im Warentausch. Unbekannt sind die Ho¨hen der verliehenen Summen. Letztere du¨rften u¨berwiegend im Handel verwendet worden sein. Entweder haben wir es hier mit gebundenen Gescha¨ften zu tun, wenn der Waren vera¨ußernde Kaufmann einem Ka¨ufer (d. h. einem anderen Kaufmann) Kredit fu¨r diesen Ankauf gewa¨hrte, oder der Kreditgeber arbeitete mit dem Kreditnehmer nicht im Bereich des Handels zusammen, sondern lieh ihm das Geld wie ein Bankier seinem Kunden. Ohne andere Bestimmungszwecke der Kredite auszuschließen (Erwerb von Immobilien, Bergbauinvestitionen, Geldspekulationen), darf vermutet werden, dass die meisten Kredite fu¨r den Warenhandel bestimmt waren. Mit Ausnahme der 1440er Jahre, die diesbezu¨glich eine tote Zeit darstellten, erteilten die Breslauer und die Krakauer

´ sen schra¨nkte Kasimir Jagiellonczyk ihnen gegenu¨ber die beschwerliche Pflicht ein, auf der Ru¨ckkehr nach Breslau in Krakau Halt zu machen cum suis mercanciis; ebd., Bd. 3, Lwo´w 1872, Nr. 221 – 1464, S. 236, wozu sie einige Jahre zuvor zusammen mit Kaufleuten aus dem kleinpolnischen Pilzno gezwungen worden waren, die ebenfalls zu Handelszwecken in die Stadt an der Oder reisten; Kodeks dyplomatyczny miasta Krakowa, Bd. 1 (wie Anm. 75), Nr. 168 – 1459, S. 236; zu den die Bewohner von Krossen und Pilzno betreffenden Urkunden Poppe, Pannus (wie Anm. 50), S. 631; Wyrozumski, Dzieje Krakowa (wie Anm. 25), S. 373. 189 Archiwum Panstwowe ´ w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 3 [Sign. 190], S. 675 (1480). Dies entscheidet das von Wyrozumski, Dzieje Krakowa (wie Anm. 25), S. 373–374, signalisierte Dilemma u¨ber die Richtung des Warenflusses zwischen Breslau und Krossen und Pilzno. 190 Archiwum Panstwowe ´ w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 2 (wie Anm. 167), S. 334 (1434). 191 Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 33, S. 307 (1441); Bd. 36, S. 249 (1447); Bd. 41, S. 248 (1457); fu¨r die ´ Lubliner Kaufleute siehe ebd., Bd. 30, S. 90 (1434). Krzysztof Kopinski verwies auch auf ein Dokument des Krakauer Stadtrates, der sich im Jahre 1483 wegen Sicherheitsgarantien fu¨r seine eigenen Kaufleute sowie die aus Lublin und Tarno´w an den Rat der Stadt Breslau wandte (Kopinski, ´ Gospodarcze [wie Anm. 82], S. 55). 192 Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 28, S. 114–115. 193 Julian Pelc, Ceny w Krakowie w latach 1369–1600 [Die Preise in Krakau in den Jahren 1369–1600], Krako´w 1935, entsprechend: S. 64 (durchschnittlicher Preis von 1434), 69 (durchschnittlicher Preis von 1410). 194 Ebd., S. 75 (gema¨ß dem Preis von 1432).

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im 15. Jahrhundert einander in jedem Jahrzehnt Kredite. Geliehen wurde in Prager Groschen und etwas spa¨ter in ungarischen Florinen. Nur einmal wurden rheinische Florinen verliehen. Als Schuldner der Breslauer Kaufleute traten Bewohner von Krakau und Lublin sowie die Beho¨rden von Bochnia und der Vorsteher der dortigen Salzgrube auf. In einem Fall wurde die Verschuldung zweier Bewohner Lublins, eines Krakauers und eines Breslauers zusammen angegeben.195 Sicher bildeten diese Schuldner eine Gesellschaft, die mit der Ru¨ckzahlung ihrer Schulden an den Breslauer Kreditgeber (Heinrich Jenkewicz) im Ru¨ckstand war. Die Gesamtsumme der von Breslauer Kaufleuten gewa¨hrten, in den Quellen belegten Anleihen betrug 11969 2/3 Florinen.196 In drei Krakau betreffenden Fa¨llen wurde die Ho¨he der Forderungen nicht angegeben.197 Auch die Erteilung von Vollmachten zur Eintreibung der Schulden kann als Besta¨tigung weiterer Forderungen von Breslauern auf dem Gebiet von Krakau angesehen werden.198 Zumindest ein Teil von ihnen musste Bewohner Krakaus betreffen. Von weiteren Breslauer Forderungen scheinen einzelne Sicherheitsgarantien zu zeugen, die der Breslauer Stadtrat Kaufleuten aus Krakau und Lublin erteilte. Mit ihnen wurde den kleinpolni195 Das waren Niklos Brendel und Jakub Schriebfanke aus Lublin, Wening Mersten aus Krakau und der

´ Breslauer Peter Raster alias Mu¨hlschreiber (Archiwum Panstwowe we Wrocławiu, Libri excessuum [wie Anm. 132], Bd. 15, S. 107 (1405). 196 In chronologischer Reihenfolge und nach den Wa¨hrungen: [1.] Betra¨ge in Mark, Archiwum Panst´ wowe Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 1 (wie Anm. 63), S. 188 (1403 – 169 Mark); S. 266 (1406 – 348 1/2 Mark, 6 1/2 Groschen); S. 286/292 (doppelte Nummerierung, 1407 – 214 Mark, 12 Groschen); Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 17, S. 64 (1408 – 10 Mark und 9 Scot); S. 121 (1410 – ´ 100 Mark); Archiwum Panstwowe w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 2 (wie Anm. 167), S. 19 (1412 – 122 Mark); S. 131 (1414 – 48 Mark, 16 Groschen); S. 99 (1417 – 139 Mark, 33 Groschen); S. 132 (1420 – 56 Mark); Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 27, S. 84 (1428 – 1006 1/2 Mark, 59 Groschen); ´ Archiwum Panstwowe w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 2 (wie Anm. 167), S. 332 (1434 – 24 Mark); Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 31, S. 198 (1437 – 9 1/2 Mark); Bd. 33, S. 109 (1440 – 20 Mark Heller); Bd. 43, S. 127 (1461 – 34 Mark, 16 Groschen); Bd. 45, S. 203 (1466 – 41 Groschen); Archi´ wum Panstwowe w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 3 (wie Anm. 189), S. 519 (1474 – 36 Groschen); S. 709 (1481 – 13 Groschen); Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 58, S. 106 (1491 – 24 1/2 Gro´ schen); [2.] in ungarischen Florinen, Archiwum Panstwowe w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 3 (wie Anm. 189), S. 100 (1454 – 375 Fl); Bd. 45, S. 35 (1464 – 40 Fl); S. 230 (1466 – 46 Fl); ebd., S. 582 (1477 – 416 Fl); S. 595 (1477 – 229 Fl); Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 55, S. 78 (1477 – 528 Fl); ´ Archiwum Panstwowe w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 3 (wie Anm. 189), S. 601 (1477 – 150 Fl); S. 612 (1478 – 29 Fl); S. 627 (1479 – 162 Fl); S. 700 (1481 – 396 Fl); S. 709 (1481 – 124 Fl); S. 724 (1481 – 155 Fl); Consularia Cracoviensia, Bd. 4 (wie Anm. 160), S. 56 (1485 – 100 Fl); Libri excessuum ´ (wie Anm. 132), Bd. 58, S. 106 (1491 – 72 Fl); Bd. 59, S. 163 (1491 – 199 1/2 Fl); Archiwum Panstwowe w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 4 (wie Anm. 160), S. 315 (1492 – 600 Fl); S. 349 (1492 – 261 Fl); S. 350 (1492 – 200 Fl); Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 62, S. 56–57 (1494 – 1522 1/2 Fl); [3.] in rhei´ nischen Florinen, ebd., Bd. 54, S. 41 (1476 – 30 rhein. Fl); Archiwum Panstwowe w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 1 (wie Anm. 63), S. 242 (1406 – 300 Mark); S. 260 (1406 – 150 Mark); Ebd. (1406 – 50 Mark); Libri excessuum (wie Anm. 133), Bd. 15, S. 107, 1405; ebd., Bd. 24, S. 51 (1422 – 10 ´ Schock Groschen, d. h. 12 1/2 Mark); Archiwum Panstwowe w Lublinie, Akta miasta Lublina, Ksi˛ega sadu ˛ wo´jta dziedzicznego, fol. 27 (1467 – 175 ung. Fl); fol. 82 (1470 – 202 3/4 ung. Fl). 197 Archiwum Panstwowe ´ w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 1 (wie Anm. 63), S. 165 (1400); S. 412 (1404); Consularia Cracoviensia, Bd. 3 (wie Anm. 189), S. 92 (1454). 198 Archiwum Panstwowe ´ w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 2 (wie Anm. 167), S. 331 (1434); ´ Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 38, S. 114 (1450); Archiwum Panstwowe w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 4 (wie Anm. 160), S. 295, 306 (1491).

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schen Kaufleuten Schutz vor Bela¨stigungen durch Gla¨ubiger der Krakauer Ratsherren gewa¨hrt,199 oder auch umgekehrt: Es wurde erkla¨rt, dass die Garantie ihres sicheren Aufenthaltes in Breslau sie vor Forderungen gegen ihre Stadt schu¨tze, jedoch mit Ausnahme ihrer privaten Schulden.200 Es darf also angenommen werden, dass die Gesamtsumme der kleinpolnischen Schulden bei Breslauer Kaufleuten, die archivalisch belegten rund 12 000 Florin u¨berschritten haben wird. Der Anteil der Krakauer Schulden am Kreditvolumen der Kleinpolen wa¨re also noch ho¨her. Allerdings ist zu beachten, dass die Quellengrundlage fu¨r die Kontakte Breslaus mit Krakau unvergleichlich besser ist als die fu¨r seine Verbindungen mit Lublin. Die Kaufleute aus Breslau behandelten die Sta¨dte Su¨dpolens andererseits auch als Kreditquellen. Dabei liehen sich die Breslauer Geld hauptsa¨chlich in Krakau,201 aber auch in Lublin und ausnahmsweise auch in Lelo´w. In den Quellen belegt sind Schulden in einer Ho¨he von 6863 2/3 Florinen.202 Die Gesamtsumme der Breslauer Schulden du¨rfte aber tatsa¨chlich noch ho¨her gewesen sein, denn mindestens bei zwei Verschuldungen in Krakau wurden keine Summen genannt.203 Die Kreditbilanz gestaltete sich fu¨r Breslau mithin entschieden gu¨nstiger. Das geht auch aus dem Umfang der 199 Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 41, S. 248 (1457); Bd. 42, S. 96, 98 (1458). 200 Ebd., Bd. 30, S. 91 (1434); Bd. 36, S. 249 (1447). 201 Ich u¨bergehe hier die geldlichen Verpflichtungen fu¨r die Betreuung minderja¨hriger Personen aus Kra-

kau, denen ihr Vormund aus Breslau nach Erreichen ihres Erwachsenenalters das Geld zuru¨ckzahlen ´ sollte; Archiwum Panstwowe w Krakowie, Consularia Cracoviensia (wie Anm. 63), S. 36–37, 1484 – 650 ung. Fl; ich u¨bergehe auch die Information u¨ber die Ru¨ckgabe von 450 Florinen an die Morsztyns ˙ durch den Breslauer Stadtrat im Jahre 1455 bei Stanisław Krzyzanowski, Morsztynowie w XV wieku. Karta z dziejo´w krakowskiego patrycjatu [Die Familie Morsztyn im 15. Jahrhundert. Ein Kapitel aus der Geschichte des Krakauer Patriziats], in: Rocznik Krakowski 1 (1898), S. 326–358, hier S. 345; vgl. Przyczynki do Dziejo´w Polskich (wie Anm. 69), S. 107. Dabei handelte es sich um die Ru¨ckzahlung einer ausstehenden Rente von betra¨chtlicher Ho¨he. Wegen des unsicheren Rechtsgrundes der Zahlung lasse ich auch die 200 Mark Groschen unberu¨cksichtigt, wegen der Vincenz aus Breslau vor das Gericht des Krakauer Vogtes gestellt werden sollte; Ksi˛ega wo´jtowska krakowska (1442–1443) [Das ˙ Buch der Krakauer Vogtei (1442–1443)], hg. v. Bozena Wyrozumska, Krako´w 1995, Nr. 1482 – 1442, S. 110. Diese Verpflichtung war die Folge einer unbestimmten Transaktion (vielleicht des Kaufs einer Immobilie oder einer Rente), die sein Vater geta¨tigt hatte. 202 In chronologischer Reihenfolge und nach den Wa¨hrungen: [1.] Schulden in Mark Groschen: Acta consularia, (wie Anm. 131), S. 120 (1394 – a. 117 Mark; b. 100 Mark); S. 162 (1397 – 450 Mark); Libri exces´ suum (wie Anm. 132), Bd. 15, S. 67 (1405 – 40 Mark), S. 68 (8 Mark, 10 Ferding); Archiwum Panstwowe w Krakowie, Consularia Cracoviensia Bd. 1 (wie Anm. 63), S. 208 (1405 – 16 Groschen, der Rest der Schulden in Ho¨he von 862 ung. Fl; Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 17, S. 119 (1410 – ´ 30 Mark); Archiwum Panstwowe w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 2 (wie Anm. 167), S. 132 (1420 – 56 Mark); S. 223 (1425 – 138 Mark); S. 306 (1432 – 59 Mark); Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 42, S. 61 (1458 – 9 Groschen, die den Rest einer hohen Schuldsumme von 1112 Florin bildete; [2.] in ´ ungarischen Florin: Archiwum Panstwowe w Krakowie, Consularia Cracoviensia Bd. 1 (wie Anm. 63), S. 208 (1405 – 862 Fl; die u¨brigen 16 Groschen siehe weiter oben, in derselben Anmerkung; Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 42, S. 61 (1458 – 1112 ung. Fl, die u¨brigen 9 Groschen siehe weiter oben, in derselben Anmerkung; Bd. 44, S. 35 (1462 – 160 Fl); Bd. 47, S. 173 (1469 – 456 Fl) (fu¨r den Ka¨mme´ rer des Ko¨nigreiches Polen); Archiwum Panstwowe w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 4 (wie Anm. 160), S. 82 (1486 – 25 Fl); S. 212 (1489 – 217 Fl); S. 360 (1493 – 20 Fl); S. 394 (1494 – 60 Fl); S. 178 (1495 – 25 Fl); Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 14, S. 83 (1403 – 294 Mark); Bd. 39, S. 178 (1453 – 170 ung. Fl); ebd., Bd. 39 (1453 – 19 ung. Fl). 203 Archiwum Panstwowe ´ w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 3 (wie Anm. 189), S. 92 (1464); Dokumenty polskie z archiwum dawnego Kro´lestwa W˛egier (wie Anm. 64), Bd. 3, hg. v Stanisław Sroka, Krako´w 2003, S. 20–21 (1483).

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Kontakte mit den einzelnen Zentren hervor: Krakau (11,965. 4 ung. Fl/6239 2/3 ung. Fl), Bochnia (1000 ung. Fl/0) und auch Przeworsk (4 1/4/0). Dagegen ist eine passive Kreditbilanz besonders mit Lublin (402 3/4 ung. Fl/605 ung. Fl) und auch mit Lelo´w (0/19 ung. Fl) erkennbar. Die Krakauer haben sich ha¨ufger mit Krediten in Breslau versorgt als umgekehrt.204 Offenbar verfu¨gten die Breslauer in dieser Zeit u¨ber alternative Mo¨glichkeiten, an Kredite zu gelangen. Vielleicht belegt dieses Verha¨ltnis auch, dass der Handel der Krakauer Kaufleute in einem engen Zusammenhang mit der Außenpolitik der polnischen Ko¨nige stand.

VI. Kauf und Verkauf von Renten und andere Formen wirtschaftlicher Verbindungen

Obwohl der Rentenverkehr im Allgemeinen als eine Form der Krediterteilung bzw. -erlangung interpretiert wird, scheint er ein viel komplexeres Pha¨nomen dargestellt zu haben als die gewo¨hnliche Kreditierung. Eine Person, die den Zins fu¨r eine bestimmte Summe kauft, verha¨lt sich genauso wie der Kunde einer Bank, der ihr seine Ersparnisse anvertraut und dafu¨r regelma¨ßige Zinsen ausgezahlt bekommt, und nicht wie ein Bankier. Dagegen verha¨lt sich die andere Seite, die denselben Zins verkauft, zwar so, als ob sie eine bestimmte Summe zum Eigentum erhalten wu¨rde, u¨ber die sie willku¨rlich verfu¨gen kann. Aber im Unterschied zur Situation des Kreditnehmers ist sie zur Auszahlung der Zinsen nicht bis zum Zeitpunkt der Bezahlung der Gesamtsumme und der Zinsen verpflichtet, sondern sie zahlt diese entweder bis zu ihrem Tode oder in perpetuum aus.205 Rentenvertra¨ge haben die Breslauer hauptsa¨chlich mit Bewohnern Krakaus abgeschlossen, seltener mit Lublinern. Interessant ist, dass die Breslauer nach Auskunft der untersuchten Breslauer und Krakauer Quellen nicht am Ankauf von Renten in anderen kleinpolnischen Sta¨dten interessiert waren. Im Vordergrund steht der Ankauf von Renten durch das Krakauer Patriziergeschlecht der Morsztyns.206 Die Geschichte seiner Rentenverbindungen mit Breslau reicht bis 1403 zuru¨ck, als Georg 204 Es begegnen weitaus mehr Lu¨cken in den Nennungen von Krediten, die Breslauer Bu¨rgern von Kra-

kauern gewa¨hrt wurden, so fu¨r die Jahre 1411–1419, 1433–1454, 1470–1483.

205 Zur Typologie der Rente Bruno Kuske, Die Entstehung der Kreditwirtschaft und des Kapitalver-

kehrs, in: Ders., Ko¨ln, der Rhein und das Reich. Beitra¨ge aus fu¨nf Jahrzehnten wirtschaftgeschichtlicher Forschung, Ko¨ln/Graz 1956, S. 48–137, hier S. 108–109; Janusz Tandecki, Działalno´sc´ kredy˙ ´ ´ towa mieszczanstwa torunskiego we Wrocławiu w okresie konflikto´w polsko-krzyzackich w XIV i XV wieku [Die Kreditaktivita¨ten des Thorner Bu¨rgertums in Breslau in der Zeit der Konflikte zwi˙ ´ schen Polen und dem Deutschen Orden], in: Prace z dziejo´w panstwa i zakonu krzyzackiego, hg. v. Antoni Czacharowski, Torun´ 1984, S. 83–105, hier S. 84. 206 U ¨ ber die Familie Morsztyn Krzyzanowski, ˙ Morsztynowie (wie Anm. 201), passim; u¨ber die einzelnen Aktivita¨ten bestimmter Mitglieder dieser Familie siehe auch Kutrzeba, Handel Krakowa (wie Anm. 12), S. 157; Jan Pta´snik, Kultura włoska wieko´w s´ rednich w Polsce [Die italienische Kultur des Mittelalters in Polen], Warszawa 1959 (2. Aufl.), S. 97; Kutrzeba/Pta´snik, Dzieje (wie Anm. 59), S. 77; Charewiczowa, Handel (wie Anm. 66), S. 90.

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Morsztyn 14 Mark Jahreszins fu¨r eine unbekannte Summe erwarb.207 Vielleicht kam dieser Summe der Betrag von 176 Mark nahe, fu¨r den der Breslauer Stadtrat diesen Zins abkaufen konnte. Bis 1414 ta¨tigte Georg Morsztyn weitere Rentenanka¨ufe in Ho¨he von 262 1/2 Mark fu¨r die riesige Summe von 3637 1/2 Mark, was dem Wert von 5–10 Ha¨usern am Breslauer Ringplatz entsprach (nach den Preisen etwa um die Mitte des 15. Jahrhunderts).208 Die Zinsen gingen auf seine So¨hne aus zweiter Ehe u¨ber – Stanislaus und Johann,209 die allerdings von den Breslauer Beho¨rden keine entsprechenden „Prozente“ erhielten, d. h. keine Auszahlung der Zinsen. Auf ihre Bit´ ten wandte sich Kasimir Jagiellonczyk 1450 an den Breslauer Stadtrat mit der Bitte, dieser mo¨ge den Morsztyns die Außensta¨nde auszahlen.210 Die Breslauer Beho¨rden reagierten schnell und noch im selben Jahr kam es vor dem Ratsgericht in Krakau zu einer Einigung, in der sich der Breslauer Stadtrat verpflichtete, den Morsztyns 1400 Mark Prager Groschen fu¨r die ru¨cksta¨ndigen Zinsen auszuzahlen.211 Wie es scheint, erfolgte in den fu¨nfziger Jahren die ratenweise Ru¨ckzahlung dieser riesi˙ gen Summe.212 Stanisław Krzyzanowski war im Unrecht, wenn er diesen Betrag als Summe der Zinsen und der Einlagen verstand.213 Aus den weiter oben pra¨sentierten Angaben geht eindeutig hervor, dass die Morsztyns viel gro¨ßere Betra¨ge in die Breslauer Rente investiert hatten. Da sich die ru¨cksta¨ndigen Zinsen auf 1400 Mark beliefen, mu¨ssen die Morszyns viel mehr eingezahlt haben als aus den uns zur Verfu¨gung stehenden Quellen hervorgeht. Aus den erwa¨hnten Transaktionen wird deut207 Archiwum Panstwowe ´ we Wrocławiu, Antiquarius [Sign. K 115], Bd. 2, S. 121 (1403). 208 Im Jahre 1409 kaufte Georg Morsztyn 100 Mark Rente fu¨r 1200 Mark (ebd., S. 172). Fu¨nf Jahre spa¨ter kaufte er 62 1/2 Mark fu¨r 937 1/2 Mark (ebd., S. 314) und noch einmal 100 Mark fu¨r 1. 500 Mark (ebd.,

S. 331). An der gleichen Stelle wurde eine Notiz u¨ber den Kauf einer Rente durch Breslauer Ratsherren und den Abschluss eines Vertrages im Jahre 1452 hinzugefu¨gt. Zu den Ha¨userpreisen Otto Stobbe, Mittheilungen aus Breslauer Signaturbu¨chern, in: Zeitschrift des Vereins fu¨r Geschichte und Alterthum Schlesiens 9 (1868), 1, S. 165–181, hier S. 178; Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 36, S. 203 (1447). 209 Dies wissen wir aus einer Urkunde aus dem Jahre 1435, in der Stanislaus Morsztyn den Herren Niklas Skopp und Jorge Schwarz aus Krakau einen 13 1/2 Mark betragenden Breslauer Zins verkaufte, den er ´ von seinem Vater geerbt hatte; Archiwum Panstwowe we Wrocławiu, Dokumenty miasta Wrocławia ¨ ber die Intervention Władysławs III. in Sachen Bezahlung der ausstehen(wie Anm. 76), Nr. 2018. U den Prozentzinsen an Schwarz durch den Breslauer Stadtrat Przyczynki do Dziejo´w Polskich (wie Anm. 69), S. 96 (1437). 210 Listy i dokumenty Jagiellono´w (wie Anm. 70), Nr. 9 – 1450, S. 26. 211 Krzyzanowski, ˙ Morsztynowie (wie Anm. 201), S. 348. Allerdings irrte sich der Autor hinsichtlich der Summe, die er auf 400 Mark Groschen scha¨tzte. In Wirklichkeit waren es jedoch 1400 Mark (virczen´ hundirt marg gutter bemisch groschen polnischer czal, Archiwum Panstwowe w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 3 (wie Anm. 189), S. 20, 1450. 212 Davon wu¨rde die Erhebung des Geldes fu¨r Morsztyn durch Johann Banke (junior) in den Jahren 1452–1456 zeugen; 480 Fl, bezeichnet als die leczte beczalung, Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 40, S. 194; zu den Gru¨nden der Ungewissheit des Datums siehe Anm. 171. Der Empfang erfolgte sicher in den Jahren 1454/55, wovon die Quittierung der letzten Rate der Morsztyns durch die Beho¨rden Breslaus zu zeugen scheint; Przyczynki do Dziejo´w Polskich (wie Anm. 69), S. 107 – 1454; ein Jahr spa¨ter die Bevollma¨chtigung von Johann Banke jr. zum Empfang der letzten Rate, allerdings in einer anderen ˙ Ho¨he – von 450 ung. Fl (ebd.). Zu dieser letzten Quellenu¨berlieferung Krzyzanowski, Morsztynowie (wie Anm. 201), S. 345. Diese beiden letzten Ereignisse sind widerspru¨chlich (die Bevollma¨chtigung zum Empfang erfolgte nach der Quittierung), es sei denn, dass die Quittierung durch einen Vorschuss erfolgte (was seltsam wa¨re) und es nicht zur Bezahlung der Schuld kam. 213 Krzyzanowski, ˙ Morsztynowie (wie Anm. 201), S. 348.

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lich, dass die Krakauer Kaufleute ja¨hrlich 6,2–7,9 % erhalten sollten, wie dies damals im Ko¨nigreich Bo¨hmen allgemeiner Brauch war.214 Legen wir einen etwas niedrigeren Prozentsatz zugrunde, dann ko¨nnte also von Gesamteinzahlungen der Morsztyns in Ho¨he von etwa 8680 Mark Groschen ausgegangen werden. Erga¨nzend muss noch erwa¨hnt werden, dass es noch eine weitere Linie dieses Geschlechts gab, die ˙ Krzyzanowski als die „Beuthener“ bezeichnete und deren Mitglied Leonhard ebenfalls den Ankauf einer Rente in Breslau ta¨tigte.215 Auch andere Krakauer investierten in Breslauer Renten. Im Lichte der Angaben, die sowohl die Ho¨he der Zinsen als auch den dafu¨r bezahlten Betrag enthalten, kauften Bu¨rger aus Krakau in den Jahren 1409–1453 noch einen Zins von 154 Mark fu¨r 1850 Mark (8,32 %).216 Dass sich die Investitionen der Krakauer nicht auf die oben angefu¨hrten Beispiele beschra¨nkten, davon zeugen sowohl die Erwa¨hnungen, die nur die Ho¨he der Zins-Rente enthalten (insgesamt 865 Mark),217 als auch Aufzeichnungen, die andere Rententransaktionen bezeugen, ohne dabei Zahlenangaben zu machen.218 Wenn sich die gescha¨tzte und hypothetische Berechnung der von den Morsztyns in Breslauer Zinsen investierten Gesamtsumme als zutreffend erweisen wu¨rde, dann mu¨ssten wir davon ausgehen, dass die Krakauer in der zweiten Ha¨lfte des 14. und der ersten Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts viel mehr als 10. 000 Mark ausgelegt haben. Vor diesem Hintergrund fallen die Rententransaktionen von Lubliner Bu¨rgern weit bescheidener aus. Alle hier bekannten (ledglich vier) Rentenanka¨ufe waren mit der Person des Michil Wenig verbunden, der 1415 fu¨r 1200 Mark einen Jahreszins von 100 Mark erwarb.219 Das war immerhin eine Transaktion, die eine betra¨chtliche Summe betraf.220 Sowohl die Breslauer als auch das Bu¨rgertum der beiden gro¨ßten Sta¨dte Kleinpolens waren nicht nur an den Zinsen von Immobilien interessiert, sondern auch ¨ hnlich wie vor 1327 erwarben die Bresam Kauf unbeweglichen Eigentums selbst. A lauer Ha¨user in den Sta¨dten Kleinpolens, obwohl dies genauso sporadisch vorkam

214 Juritsch, Handel (wie Anm. 82), S. 92, zufolge schwankte die Rente zwischen 7,1 % und 10 % des

Gesamtkaufwertes. Fast identische Angaben bei Kopinski, ´ Gospodarcze (wie Anm. 82), S. 141, in Bezug auf die Rentenkontrakte der Breslauer und der Bu¨rger aus Thorn. 215 Er kaufte einen Zins von 14 Mark fu¨r 126 Mark, d. h. 11,1 % des Kaufwertes, Archiwum Panstwowe ´ we Wrocławiu, Antiquarius (wie Anm. 207), Bd. 2, S. 334, 1415. Zur Beuthener Linie der Morsztyns ˙ Krzyzanowski, Morsztynowie (wie Anm. 201), S. 331. 216 Archiwum Panstwowe ´ we Wrocławiu, Antiquarius (wie Anm. 207), Bd. 2, S. 165 (1409 – 100 Mark fu¨r 1. 200 Mark, Johann, Nikolaus und Georg Slepkogil); S. 175 (1409 – 50 Mark fu¨r 600 Mark, Nikolaus Gleser); Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 39, S. 213, 214 (1453 – 4 Mark fu¨r 50 Mark, Eustach, Krakauer Stadtschreiber. 217 Archiwum Panstwowe ´ we Wrocławiu, Antiquarius (wie Anm. 207), Bd. 2, S. 369 (1423 – 2 Mark von ´ Bu¨rgern aus Brieg); S. 400 (1426 – 6 Mark); Archiwum Panstwowe w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 2 (wie Anm. 167), S. 296 (1431 – 7 Mark); S. 336 (1435 – 100 Mark); S. 500 (1447 – 750 Mark). 218 Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 32, S. 208 (1439). 219 Archiwum Panstwowe ´ we Wrocławiu, Antiquarius (wie Anm. 207), Bd. 2, S. 336 (1415); vgl. die Notiz zu diesem Thema in: Der Rechte Weg (wie Anm. 142), Bd. 2, S. 971 (Nr. 70). 220 Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 29, S. 46 (1432); Archiwum Panstwowe ´ w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 2 (wie Anm. 167), S. 313 (1432); Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 32, S. 195 (1437); Bd. 34, S. 85 (1442).

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wie damals. Bezeugt ist ihr Besitz von Immobilien in Krakau221 und Lublin.222 Von den kleinpolnischen Bu¨rgern hatten nur die Bewohner Krakaus ein Interesse an guten Immobilien in Breslau.223 Aber die Wirtschaftskontakte der Bu¨rger der Hauptstadt Schlesiens und der kleinpolnischen Sta¨dte blieben nicht auf den Erwerb von sta¨dtischen Immobilien beschra¨nkt. Die Krakauer besaßen Do¨rfer in der Umgebung von Breslau224 und investierten in den Bau von Mu¨hlen (Nikolaus Wierzynek senior).225

VII. Die an den Wirtschaftskontakten beteiligten Breslauer und Krakauer

Trotz intensiver Kontakte (insbesondere mit Krakau) und vieler Vertra¨ge haben die Breslauer – mit einer einzigen, oben erwa¨hnten Ausnahme – augenscheinlich keine Gesellschaften mit Bewohnern kleinpolnischer Sta¨dte gegru¨ndet. Wir kennen nur ein Beispiel, in dem der nicht na¨her bekannte Hanusz de Wratislavia, der Schreiber von Stanislaus Zalasowski aus Tarno´w, im Namen seines Brotherrn im slowakisch-ungarischen Bartfeld Handel trieb und Geldgescha¨fte abwickelte.226 In den unmittelbaren Wirtschaftskontakten Breslaus mit den Sta¨dten Kleinpolens waren auf beiden Seiten viele Personen mit ganz unterschiedlichem Wohlstandsniveau sowie sozialem und beruflichem Status engagiert. Von Breslauer Seite waren nicht weniger als 141 Personen beteiligt. Aber diese Zahl muss in Wirklichkeit viel gro¨ßer gewesen sein, und zwar aus mehreren Gru¨nden. Ganz abgesehen davon, dass wir nur u¨ber unvollsta¨ndige Angaben zum Warenaustausch verfu¨gen, muss das Fehlen von Vor- und Nachnamen bei den nach Kleinpolen reisenden Kaufleute in den Quellen des 13. Jahrhundert erwa¨hnt werden (mit Ausnahme von Gedko Stilvoit). Dabei ziehe ich diejenigen nicht in Betracht, die lediglich Vermittlerfunktionen zwischen Breslau und z. B. Kaschau erfu¨llten. Außerdem beru¨cksichtige ich nur Personen, deren Wirtschaftsta¨tigkeit direkt erwa¨hnt wird. Auch andere, wie z. B. die Fuhrleute aus Bochnia, Pilzno

221 Ebd., Nr. 119 – 1333 , S. 119; Archiwum Panstwowe ´ w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 3 (wie

Anm. 189), S. 61 (1453).

222 Archiwum Panstwowe ´ w Lublinie, Akta miasta Lublina, Ksi˛ega sadu ˛ wo´jta dziedzicznego, fol. 97, 102

v (1471).

223 Archiwum Panstwowe ´ we Wrocławiu, Libri scabinorum [Sign. G 1], Bd. 6, fol. 208 (1390); Akta

miasta Wrocławia (wie Anm. 121), Liber Magnus [Sign. E 1,1], fol. 24v (1397); Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 17, S. 121 (1410); Liber Magnus, S. 45 (1415). 224 Archiwum Panstwowe ´ we Wrocławiu, Akta miasta Wrocławia (wie Anm. 121), Sign. G 3, Hirsuta Hilla, fol. 2v (1348); Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 31, S. 95 (1436). 225 Stanisław Kutrzeba, Historya rodziny Wierzynko´w [Die Geschichte der Familie Wierzynek], in: Rocznik Krakowski 2 (1899), S. 29–87, hier S. 40, 46–47; Roman Heck, Struktura społeczna s´ redniowiecznego Wrocławia na przełomie XIV/XV w. [Die Sozialstruktur des mittelalterlichen Breslau an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert], in: Sobo´tka 7 (1952), S. 57–94, hier S. 66. 226 Dokumenty polskie z archiwum dawnego Kro´lestwa W˛egier (wie Anm. 64), Bd. 3 (wie Anm. 203), Nr. 338 – 1483, S. 26–27.

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und Ropczyce, die 1437 im Zusammenhang mit einer nicht na¨her bekannten Angelegenheit vor dem Ratsgericht in Breslau standen,227 u¨bergehe ich, auch wenn vermutet werden kann, dass sie zu Handelszwecken an die Oder gekommen waren. Es u¨berrascht, dass unter den Breslauern, die die wirtschaftlichen Verbindungen ihrer Stadt mit Kleinpolen begru¨ndeten, viele Mitglieder des Patriziats begeg¨ mter bekleidenen, wenn auch nicht unbedingt zu dem Zeitpunkt, als sie sta¨dtische A ten, sowie deren Verwandte: zwei Peter aus dem Geschlecht Rote,228 vier Reichels – Johann, Hans und zweimal Wenzel,229 vier Dompnigs: Franczke, Hans und zweimal Heinz,230 zwei Jenkewiczs: Heinrich und Ambrosius,231 zwei Bankes: der beru¨hmte Johann senior und dessen Sohn, ebenfalls Johann,232 die Hornigs – Paul, Balthasar und Anton,233 sowie Peter Raster-Mu¨hlschreiber,234 Niklas Merboth,235 Niklas

227 Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 31, S. 118 (1437). 228 Rudolf Stein, Der Rat und die Ratsgeschlechter des alten Breslau, Wu¨rzburg 1962, S. 105 (Nr. 3, 4); nur

einen erwa¨hnt Oskar Pusch, Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter in der Zeit von 1241 bis 1741, ¨ ber die Anfa¨nge dieses Geschlechts siehe Hans Ju¨rgen von WitzenBd. 3, Dortmund 1988, S. 417. U dorff-Rehdiger, Herkunft und Verbleib Breslauer Ratsfamilien im Mittelalter. Eine genealogische Studie, in: Jahrbuch der schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universita¨t zu Breslau 3 (1958), S. 111–135, hier S. 125. 229 Stein, Der Rat (wie Anm. 228), S. 128 (Nr. 1, 3); zu Wenzel II. und Wenzel III. vgl. ebd., S. 130; vgl. auch Stromer, Nu¨rnberg-Breslauer Wirtschaftsbeziehungen (wie Anm. 38), S. 1092; Pusch, Die Breslauer, Bd. 3 (wie Anm. 228), S. 325–327; Krzysztof Kopinski, ´ Mieszczanin Dawid Rosenfeld w dyplomaty˙ ˙ cznej i gospodarczej słuzbie zakonu krzyzackiego w Prusach w pierwszej połowie XV w. [Der Bu¨rger David Rosenfeld im diplomatischen und wirtschaftlichen Dienst des Deutschen Ordens in Preußen in der ersten Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts], in: Zapiski Historyczne 66 (2001), 2–3, S. 39–56, hier S. 49; zur Ankunft der Familie Reichel aus Liegnitz in Breslau Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 26), S. 120. 230 Stein, Der Rat (wie Anm. 228), S. 86 (Nr. 6, 9, 10, 11); zur Genese des Geschlechts Domenick-Dompnig Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 26), S. 138, 145; Maleczynski, ´ Dzieje (wie Anm. 25), S. 150; Witzendorff-Rehdiger, Herkunft (wie Anm. 228), S. 122; u¨ber Heinz Dompnig siehe auch Hermann Markgraf, Heinz Dompnig. Der Breslauer Hauptmann, in: Zeitschrift fu¨r Geschichte und Alterthum Schlesiens 20 (1886), S. 157–197; Golinski, ´ Wrocław (wie Anm. 31), S. 200, 202. 231 Stein, Der Rat (wie Anm. 228), S. 115 (Nr. 2, 6); zur Genese dieses Geschlechts siehe Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 26), S. 255; Maleczynski, ´ Dzieje (wie Anm. 25), S. 138; WitzendorffRehdiger, Herkunft (wie Anm. 228), S. 127. 232 Biogramme beider großer Kaufleute aus dem Geschlecht Banke bei Stein, Der Rat (wie Anm. 228), S. 141–143; Oskar Pusch, Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter in der Zeit von 1241 bis 1741, Bd. 1, Dortmund 1986, S. 76–79. In der Historiographie wurden mehrere Personen als Hans Banke ¨ ber den Vater u. a. Wendt, Schlesien (wie Anm. 38), S. 48; Pta´snik, Kultura (wie bezeichnet. U Anm. 206), S. 134, 137, 146–151; Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 26), S. 164, 294; Stromer, Nu¨rnberg-Breslauer (wie Anm. 38), S. 1091–1092; Tandecki, Działalno´sc´ (wie Anm. 205), S. 97; My´sliwski, Strefa (wie Anm. 39), S. 278–279; Ders., Wrocław (wie Anm. *), S. 622 (zahlreiche Verweise im ¨ ber den Sohn siehe ebd. S. 622 (zahlreiche Verweise im Personenregister). Personenregister). U 233 U ¨ ber die Familie Hornig siehe Stein, Der Rat (wie Anm. 228), S. 155–156 (Nr. 1, 2, 4, 5). U ¨ ber Paul und Balthasar sowie andere Mitglieder der Familie Hornig My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 285–286, 355–356. 234 Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 26), S. 276; Stein, Der Rat (wie Anm. 228), S. 147; My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 150, 446. 235 Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 26), S. 152; My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 210–211, 384, 388.

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Bunzlau,236 Johann Peseler,237 Hans Engelhard,238 Balthasar und Niklas Ungeroten,239 drei Geschworene der Breslauer Gilde: Niklas Stolz, Heinz Tiele und Kunz Michilsdorf,240 sowie Hans Krapp,241 Sebald Sauermann,242 Kaspar Kober243 und ein Vertreter des Geschlechts Utman.244 Die Kontakte mit Kleinpolen wurden zudem ¨ mter in den Breslauer von Verwandten dieser Personen mitbegru¨ndet, die keinerlei A Beho¨rden bekleideten.245 Einer von ihnen, Niklas Gossinger, war allerdings Meister der Stadtwaage (wogmeister).246 Hier begegnen wir auch Vertretern der wohlha¨ mterposten (den Rindfleischs: zweimal Hans – Vater benden Kaufmannschaft ohne A und Sohn, Hieronymus, Christoff,247 vielleicht auch Hans Schwarz)248 sowie dem

236 Stein, Der Rat (wie Anm. 228), S. 137; Pusch, Die Breslauer, Bd. 1 (wie Anm. 232), S. 206–207; My´s-

liwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 255, 261, 446.

237 Stein, Der Rat (wie Anm. 228), S. 134 (Nr. 3); Pusch, Die Breslauer, Bd. 3 (wie Anm. 228), S. 209. 238 Stein, Der Rat (wie Anm. 228), S. 182 (Nr. 1); Pusch, Die Breslauer, Bd. 1 (wie Anm. 232), S. 388; My´s-

liwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 414, 442.

239 Stein, Der Rat (wie Anm. 228), S. 153 (Nr. 2). Niklas bekleidete keinerlei Funktion in den Stadtbeho¨r-

den (ebd., S. 155).

240 My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 145–146. 241 Ebd., S. 192 (Nr. 1); Oskar Pusch, Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter in der Zeit von

1241–1741, Bd. 2, Dortmund 1987, S. 406; Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 26), S. 300; Golinski, ´ Socjotopografia (wie Anm. 171), S. 201. 242 Oskar Pusch, Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter in der Zeit von 1241–1741, Bd. 4, Dortmund 1990, S. 34–35. 243 Stein, Der Rat (wie Anm. 228), S. 189. Pusch, Die Breslauer, Bd. 2 (wie Anm. 241), S. 383; er war auch Schreiber am sta¨dtischen Scho¨ffengericht. 244 Das Fehlen der Vornamen erschwert die Identifizierung mit einer der Linien des Geschlechts; Stein, Der Rat (wie Anm. 228), S. 205, 208. 245 Das waren Friedrich Reichard, ebd., S. 139, Nr. 2; Fritz, Dominik und Lucas Dompnig, Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 26), S. 327; Peter Jenkewicz, ebd., S. 333; Peter und Hedwig Banke, ebd., S. 323; Heinze Mu¨hlschreiber, Stein, Der Rat (wie Anm. 228), S. 147; Blasius Krig, ebd., S. 160–161; und Katherina Stolz geborene Merboth war die Gattin von Niklas Stolz, ebd., S. 163. Vielleicht waren Wenzlaw Sachenkirche, Patricius Siebenwirt und Johannes Hartlieb sehr weit entfernte Verwandte einst pra¨chtiger Ratsfamilien, und Franz Gatke war z. B. mit Niklas Gotke verwandt, Stein, Der Rat (wie Anm. 228), S. 67, 69, 70, 76. Keinerlei Informationen fand ich u¨ber: Gregor Reichel, der im Jahre 1491 Hamsterfelle in Krakau kaufte und sich verpflichtete, eine Besta¨tigung dieses Ankaufs zu liefern, ´ Archiwum Panstwowe we Wrocławiu, Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 59, S. 100; zu Andreas Hornig, der einem Kaufmann aus Krakau um 1494 Geld lieh, ebd. Bd. 62, S. 57, sowie u¨ber Hieronymius Merboth, der zusammen mit dem Ratsherrn Niklas Merboth (seinem Bruder?) im Jahre 1414 von ´ einem gewissen Krakauer die Ru¨ckgabe seines Geldes forderte: Archiwum Panstwowe w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 2 (wie Anm. 167), S. 131. 246 Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 50, S. 83 (1472). Zu Gossinger, allerdings ohne Angaben u¨ber die von ihm ausgeu¨bte Funktion und mit einem fehlerhaften, spa¨teren Datum der ersten Erwa¨hnung in Libri vgl. Stein, Der Rat (wie Anm. 228), S. 169; Pusch, Die Breslauer, Bd. 2 (wie Anm. 241), S. 47. 247 Zu Hans Witzendorff-Rehdiger, Herkunft (wie Anm. 228), S. 133; Pusch, Die Breslauer, Bd. 3 (wie Anm. 228), S. 386–387; Stella Maria Szacherska, Płock czy Połock? Rzekomy dokument rady płockiej z 1501 w sprawie kupca wrocławskiego [Płock oder Polock? Die angebliche Urkunde des Pło´ praca (wie Anm. 80), cker Stadtrates von 1501 in Sachen eines Breslauer Bu¨rgers], in: Czas, przestrzen, S. 361–372, hier S. 361, 369–370; zu Christoff ebd. S. 361. Hans senior starb um 1478, ebd., S. 365. 248 Es ist nichts daru¨ber bekannt, ob er der beru¨hmten Familie Schwarz angeho¨rte, Stein, Der Rat (wie Anm. 228), S. 83. Aber seine Forderung in Ho¨he von 100 Mark, die ihm 1410 ein Bewohner Krakaus schuldig war, scheint davon zu zeugen, dass dieser Breslauer mehr als bloß ein einfacher Ha¨ndler war, ´ Archiwum Panstwowe we Wrocławiu, Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 17, S. 121.

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¨ ber wirtschaftliche Verbindungen (nur noch mit KraStadtschreiber Mornburg. U kau) verfu¨gten auch die Geschworenen der Kaufmannsgilde249 und der Zu¨nfte – der Schankwirte und vielleicht auch der Kra¨mer.250 Viel weniger repra¨sentiert sind die Vertreter beruflicher und sozialer Gruppen mit niedrigerem Status: Handelsvertreter,251 Handwerker (Tuchscherer,252 ein Goldschmied,253 Apotheker,254 ein Kannegießer255). Mit dem Ko¨nigreich Polen trieben auch die Breslauer Juden Zachar und Wachem Handel.256 Vereinzelt waren auch Vertreter der Geistlichkeit257 und der Ritterschaft beteiligt.258 Die u¨brigen Teilnehmer (etwa 80 Personen), u¨ber die mir nichts na¨her bekannt ist, halte ich fu¨r Gescha¨ftsleute ohne sta¨dtische Funktionen, die ich mit Kaufmanns-, Kra¨mer- und Schankberufen in Verbindung bringen wu¨rde.259 Einige von ihnen waren am Fernhandel und an Finanzkontakten auch außerhalb der Sudeten-Karpaten-Zone beteiligt.

249 Niklas Schadendorf, ebd., Bd. 20, S. 20 – 1414; vielleicht auch Peter Freiberg, ebd., Bd. 34 – 1442, S. 48,

der 1431 fu¨r die Waren der Krakauer Kaufleute bu¨rgte, My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 147, 150.

250 Entsprechend: Peter Czirwicz aus der Zunft der Kra¨mer, Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 15,

S. 34 – 1404, der gleichzeitig ein Tuchscherer war (rasor), ebd., Bd. 20, S. 85, 1415; auch Lorenz Richter aus dem Kreis der Kra¨mer, ebd., Bd. 33, S. 48 – 1440; Bd. 36, S. 56 – 1446. 251 Johannes Henzmann (Sachenkirches Handelsvertreter), Johannes Knauer (Handelsvertreter von Johann Banke sen.). 252 Kristel, Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 32, S. 58 – 1438; sowie der bereits erwa¨hnte Peter Czirwicz. 253 Bernhard Opitzer, Archiwum Panstwowe ´ w Krakowie, Consularia Cracoviensia Bd. 4 (wie Anm. 160), S. 82, 1486. 254 Beide trugen den Namen Jakob, lebten aber in verschiedenen Zeiten, ebd., Bd. 17, S. 105 – 1409, Archi´ wum Panstwowe w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 4 (wie Anm. 160), S. 14 – 1484. 255 Hans Hofmann, Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 50, S. 83, 1472. 256 Historia Sl ´ aska, ˛ Bd. 1, Teil 2 (wie Anm. 92), S. 150. 257 Dominik Hering, Pfarrer der St.-Elisabeth-Kirche, Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 27, S. 68, 1429. 258 Katherina Schellendorff, ebd., Bd. 31, S. 198, 1437. Zu ihrer Zugeho¨rigkeit zum Ritterstand Stein, Der Rat (wie Anm. 228), S. 62. 259 Verbindungen mit Krakau hatten auch: Tilon, Hermann, Nitsche Briger, Heinrich Becker, Martin Schops, Lewe, Stanislaus Welz, Paszko Begler, Fridel Schiffman, Vincenz Fisch, Niklos Knoten, Niklot Gruneberger, Hannus Fleischen, Niklos Kegil, Elisabeth Burkenschuh, Johannes Melis, Niklas Langewillusch, Else, die Gattin von Piskorza (Piskorynne), Niklas Ferber, Matthias Witchenau, Peter Potrzeba, Hans Schramme, Hans Vetter, Vincenz Kammerwechter, Hans Voit, Laurentius Thanewalt, Michael Gleiwitz, Niklos Siweg, Peter Lewener, Niklas Lerpen, Frau Heyde, Niklas Klugehaupt, Johannes Kopernik, Stamberska, Mattha¨us Tinz (ein Verwandter von Clemens Tinz?, des Geschworenen der Kra¨merzunft u. a. in den Jahren 1434 und 1438; Libri excessuum [wie Anm. 132], Bd. 30, S. 34; Bd. 32, S. 38); Anna Herfart, Gurteler, Christian aus Breslau, Christian Kelner, Holekro, Teophil Time, Hans Kromer, Peter Girdan, die Gattin von Michael Stedor, Margarethe Stenzel, Hieronim Lefler, Ju¨rgen Hartenberg, Matthis Pheil, Matthis Ziner, Georg Hirsch, My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 286, 384; Lorenz Herbigik, Andris Biechowsky, der Meister Gregor Lengisfelt, Jakob Jentsch, Hieronymus Schindler, Hans Rotichen, Hans Aislinger, Hans Hubener, Hans Hornung (ein Nu¨rnberger?), Hieronymus Lofler. Handels- und Finanzkontakte mit Lublin unterhielten auch: Mattha¨us Kreuzburg, Hans Tylchen, Stefan Schwertfeger, die Salzverka¨ufer: der Pole Gregor, Ju¨rgen Kromer und Nikolaus Krausse sowie auch Peter Peysche, Jakob Guthler, Nikolaus Meisner, Matthias Hahn, Johann Forhengist, Nikil Zimmerman; mit Sandomir – auch Frankenstein; mit Neu-Sandez genauer gesagt: mit dem Neu-Sandezer Pfarrer, der zugleich Domherr der Kathedralkirche in Krakau war) – auch Matthias Nosag; mit Tarno´w – Kunze Ensiger, Lorenz Roseler, Hansi Bernolt, Johann.

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Ko¨nnen a¨hnliche Proportionen auch auf der anderen Seite beobachtet werden, die u¨ber 150 Personen umfasste? Hier mu¨ssen wir sogleich einra¨umen, dass wir im Falle der meisten kleinpolnischen Sta¨dte u¨ber keine genauen Angaben zur sozialen Position und Berufszugeho¨rigkeit der an den Wirtschaftskontakten mit Breslau beteiligten Personen verfu¨gen. Von den Kaufleuten aus Krossen und Pilzno ist mir niemand namentlich bekannt. Dagegen wissen wir, dass sich der Stadtrat von Bochnia von einem Breslauer Kaufmann Geld lieh.260 Vielleicht geho¨rte Niklas Kreidler aus Lublin einem Patriziergerschlecht an.261 Keinerlei Zweifel an den Funktionen, die sie in den sta¨dtischen Beho¨rden ausu¨bten, bestehen im Falle der Hauptstadt Kra´ ´ kau dank der von Franciszek Piekosinski und Marcin Starzynski zusammengestellten Listen der Beamten des Stadtrats und des Scho¨ffengerichts.262 Hauptsa¨chlich auf ihre Befunde gestu¨tzt, kann verwiesen werden auf die Wierzyneks (Wirsing – zweimal Nikolaus und Andreas),263 die Morsztyns (Morstein, Morrenstein), Niklas Bochner264 und Klaus Kezinger,265 Nikolaus Dambrow, Peter Geitan, Mersten Wening, Heinrich Schmedt, Niklas Gleser, Johann Slepkogil, Johann Schweidnitzer,266 Jorge Schwarz, Michel de Czirla,267 Wilhelm Willand,268 Georg Orient, Hans Gerstman, Stanislaus Zygmunt (die Zygmuntowiczs), Martin Belze sowie Jakob Andreas und Johann Boner269, schließlich Friedrich Schilling.270 Ein Teil der an den Handels-, Kredit- und Rentengescha¨ften mit Breslau Beteiligten geho¨rte ho¨chstwahrscheinlich Patriziergeschlechtern an.271 Einige ko¨nnen mit Krakauer Scho¨ffen verwandt gewe260 Archiwum Panstwowe ´ w Krakowie, Consularia Cracoviensia Bd. 1 (wie Anm. 63), S. 260 (1406). 261 Bekanntlich war Jakob Kreidler ein Lubliner Ratsherr, Archiwum Panstwowe ´ w Lublinie, Akta miasta

Lublina, Ksi˛ega sadu ˛ wo´jta dziedzicznego, fol. 97 (1471). Zugleich muss gefragt werden, ob Verwandtschaftsbande zwischen den Lubliner Kreidlers und den Patriziern aus Krakau mit demselben Namen bestanden, Dabrowski, ˛ Krako´w (wie Anm. 180), S. 231; Jan Pta´snik, Studya nad patrycjatem krakowskim wieko´w s´ rednich [Studien zum Krakauer Patriziat im Mittelalter], [Teil 2] in: Rocznik Krakowski 16 (1914), S. 1–90, hier S. 23–25. 262 Franciszek Piekosinski, ´ Rajcy miasta, Wo´jtowie, Ławnicy [Ratsherren der Stadt, Vo¨gte und Scho¨ffen], in: Kodeks dyplomatyczny miasta Krakowa, Bd. 1 (wie Anm. 75), bes. S. XXVI–XXXIX; Starzynski, ´ Krakowska rada (wie Anm. 25), S. 271–301. 263 Kutrzeba, Historya (wie Anm. 225), S. 32–42, 48–58; zu Nikolaus Wierzynek auch Stromer, Oberdeutsche Hochfinanz (wie Anm. 61), S. 97. 264 Pta´snik, Studya (wie Anm. 125), S. 63–68; Stromer, Nu¨rnberger Unternehmer (wie Anm. 61), S. 654–666; Ders., Oberdeutsche Hochfinanz, Bd. 1 (wie Anm. 61), S. 148. 265 Krzyzanowski, ˙ Morsztynowie (wie Anm. 201), S. 336, 343; Jan Pta´snik, Studya (wie Anm. 261), S. 28–32. 266 Kutrzeba, Handel Krakowa (wie Anm. 12), S. 157. 267 Pta´snik, Studya (wie Anm. 125), S. 70. 268 My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 242–243. 269 Siehe insbesondere Pta´snik, Bonerowie (wie Anm. 58), S. 8–9, 12; sowie auch Rauprich, Der Streit (wie Anm. 75), S. 54; Kutrzeba, Handel Krakowa (wie Anm. 12), S. 157; Kutrzeba/Pta´snik, Dzieje (wie Anm. 59), S. 77; Charewiczowa, Handel (wie Anm. 66), S. 90; Petry, Die Popplau (wie Anm. 171), S. 43; Kiryk, Zwiazki ˛ (wie Anm. 18), S. 30; My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 359. 270 Koczy, Handel Poznania (wie Anm. 71), S. 31; My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 436. 271 Johann und Mattha¨us Wierzynek, Hieronymus Morsztyn. Die u¨brigen wie z. B. Georg Slepkogil, Niklas Ederer, Stanislaus Weingarten, Niklas Czeiskendorff, Nickil Schilling und Johann Zarogowski konnten Verwandte der Ratsherren mit denselben Namen gewesen sein, vgl. entsprechend Piekosin´ ski, Rajcy (wie Anm. 262), S. XXXI, XXVII, XXIX, XXX, XXXV, XXXVIII; Starzynski, ´ Krakowska rada (wie Anm. 25), S. 132, 167, 169, 248, 249, 250, 255, 261, 270, 276, 279, 290, 295, 299, 300.

214

Grzegorz My´sliwski

sen sein.272 Die Krakauer Stadtschreiber unterhielten ebenfalls wirtschaftliche Kontakte mit Breslau.273 Wir begegnen auch Geistlichen und einem ko¨niglichen Bu¨chsenschmied sowie einem Apotheker.274 Dagegen fehlen Vertreter des Handwerks. Die u¨brigen Beteiligten ko¨nnen somit als Gescha¨ftsleute im weitesten Sinne verstanden werden: Kaufleute, ihre Handelsvertreter (hauptsa¨chlich aus Lublin)275 und sicher auch Kra¨mer. Erwa¨hnt werden muss auch der Sandomirer Jude Jakob.276 Trotz der intensiven Kontakte zwischen Breslau und Krakau kam es nicht zu einer gro¨ßeren Migration schlesischer Kaufleute in die Hauptstadt Polens. Unter den Breslauern, die das Krakauer Stadtrecht annahmen, begegnen wir einigen Personen mit bekannten Namen (Gurteler, Kreidler, Gossinger, Kal, Opitz, Bank).277 Dies waren jedoch nicht die beru¨hmten Kaufleute selbst, sondern ho¨chstens spa¨tere Nachkommen von ihnen. Einige, wie Hans Merboth, zogen nach Krakau, ohne jedoch das dortige Bu¨rgerrecht anzunehmen.278

VIII. Breslau und Krakau als Orte von Transaktionen und Abrechnungen

Fu¨r Krakauer und andere kleinpolnische Kaufleute war Breslau ein Ort, an dem auch Kontakte mit Kaufleuten bzw. „Ga¨sten“ von außerhalb des schlesischen Zentrums angeknu¨pft werden konnten. Auch in dieser Hinsicht dominierten die Krakauer. Neben Breslau war Brieg fu¨r sie die wichtigste Stadt in Schlesien: nicht nur aufgrund seiner Bedeutung als Marktzentrum,279 sondern auch wegen seiner finanzi272 U ¨ ber die hypothetischen Verwandten von Niklas Leipniger Piekosinski, ´ Rajcy (wie Anm. 262),

S. LIII, LIX.

273 Johann, Acta consularia (wie Anm. 131), S. 177, 1398 und Eustach, Libri excessuum (wie Anm. 132),

Bd. 39, S. 213 – 1453.

274 Niklas Ortulan, Krakauer Stadtkaplan, Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 32, S. 208, 1439 und Kas-

par Rockenberg (Scholasticus der Krakauer Kirche und Pfarrer in Neu-Sandez), ebd., Bd. 40, S. 195 – 1452–1456; zur Erkla¨rung des ungenauen Datums vgl. Anm. 171. Der ko¨nigliche Bu¨chsenschmied war ´ Johann Stosch, Archiwum Panstwowe w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 2 (wie Anm. 167), ´ S. 332 – 1434 und der Apotheker ein gewisser Paul, Archiwum Panstwowe we Wrocławiu, Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 31, S. 98 – 1436. 275 Peter Zigesteicher (Handelsvertreter von Niklos Brendel), Johann Klemet (Handelsvertreter von Kreidler, schwer zu sagen, ob von Niklas, was wahrscheinlicher ist, oder von Clemens Kreidler) und Heinrich Fritschen (Handelsvetrter von Morgenberg, dessen Vorname mir unbekannt ist). Aus Krakau dagegen stammte Albrecht, der Handelsvertreter des Apothekers Paul. 276 Archiwum Panstwowe ´ w Krakowie, Consularia Cracoviensia Bd. 2 (wie Anm. 167), S. 334 – 1434. 277 Ksi˛egi przyj˛ec´ do prawa miejskiego w Krakowie (1392–1506) [Aufnahmebu¨cher fu¨r das Stadtrecht in Krakau (1392–1506)], hg. v. Kazimierz Kaczmarczyk, Krako´w 1913, Nr. 6015 – 1451, S. 197; Nr. 6156 – 1453, S. 203; Nr. 7218 – 1470, S. 251; Nr. 7821 – 1479, S. 284; Nr. 8585 – 1491, S. 330; Nr. 8678 – 1493, S. 336. 278 My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 210–211. 279 Zur Bedeutung der Jahrma¨rkte im mittelalterlichen Brieg Stromer, Handel zum Schwarzen Meer (wie Anm. 63), S. 1174; Samsonowicz, Handel Litwy z Zachodem w XV wieku [Der Handel Litauens mit dem Westen im 15. Jahrhundert], in: Przeglad ˛ Historyczny 90 (1999), S. 453–458, hier S. 458; My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 132–134.

Wirtschaftsleben an der Hohen Straße

215

ellen Verbindungen – sowohl der nicht na¨her genannten280 als auch der Rententransaktionen und des mit seinen Bewohnern in Breslau abgewickelten Rententransfers.281 Einige taten dies als Repra¨sentanten der Bu¨rger von Brieg.282 Die Krakauer nahmen hier auch Geld von den Bewohnern von Liegnitz283 sowie von der Liegnitzer Herzo¨ bereinkunft u¨ber gin entgegen;284 sie schlossen mit ihren Schuldnern aus Sagan eine U ihre Forderungen,285 und auch mit denen aus dem schlesischen Lo¨wenberg, denen sie vorher Ochsen verkauft hatten.286 Die Krakauer kauften Waren (auch orientalische) von den Ratsherren von Ohlau287 und einem Kaufmann aus Thorn;288 schließlich nutzten sie die Vermittlung der Glogauer zur Wiedererlangung der Schulden von einem Bewohner Breslaus289 oder von einem Bewohner von Klebanowice bei Liegnitz, um das Geld einem Kaufmann aus Breslau fu¨r den Einkauf von Waren in Go¨rlitz zu geben.290 Was dagegen den Verkauf von Waren durch kleinpolnische Kaufleute via Breslau anbelangt, so betraf das einzige mir bekannte Beispiel den Verkauf von u¨ber 600 Fellen durch einen Kaufmann aus Lublin an einen Abnehmer aus dem schlesischen Jauer.291 Wichtiger war die Hauptstadt Schlesiens fu¨r die Kleinpolen jedoch als Ort der Kontakte mit Kaufleuten aus entfernteren Sta¨dten und La¨ndern. Besonders viele Kontakte knu¨pften die Krakauer mit ihnen an. Hier sei an die Beispiele der Handelsund Finanzverbindungen der Krakauer mit den Bewohnern Prags292 sowie deren Vermittlung im Warenaustausch zwischen Breslau und einem Kaufmann aus Kaschau erinnert.293 Letztere Bemerkung betrifft auch die Vermittlung in rein finanziellen Angelegenheiten.294 Wie es scheint, verband die Gescha¨ftsleute aus Krakau viel mit Bu¨rgern in Go¨rlitz. Erinnert werden muss an die Abrechung einer Rente durch die Go¨rlitzer, die Kaufleute aus Krakau bei ihnen in der Stadt gekauft hatten, sowie an den Export der sich an der Weichsel einer starken Nachfrage erfreuenden Go¨rlitzer Tuchwaren.295 Die Krakauer kamen in Breslau nicht selten auch mit Ga¨sten aus

280 Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 13, S. 30 (1431). 281 Archiwum Panstwowe ´ we Wrocławiu, Antiquarius (wie Anm. 207), Bd. 2, S. 369 (1423); S. 400 (1426),

Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 42, S. 40 (1458); Bd. 44, S. 35 (1462). 282 Ebd., Bd. 43, S. 140 (1461). 283 Ebd., Bd. 29, S. 43 (1432). 284 Ebd., Bd. 59, S. 124 (1491). U ¨ ber Ludmilla siehe Kazimierz Jasinski, ´ Rodowo´d Piasto´w s´ laskich ˛ [Der

Stammbaum der schlesischen Piasten], Krako´w 22007, S. 207. 285 Libri excessuum (wie Anm. 132), S. 151 (1491). 286 Ebd., Bd. 51, S. 77 (1473). 287 Es handelte sich um 20 Pfund Pfeffer und 20 Mu¨tzen, motczin, ebd., Bd. 26, S. 59, 1427; U ¨ bersetzung

nach: Lexer, Mittelhochdeutsches Handwo¨rterbuch (wie Anm. 57), S. 2210, 2260. 288 Kopinski, ´ Gospodarcze (wie Anm. 82), S. 106. 289 Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 17, S. 119 (1410). 290 Ebd., Bd. 15, S. 108 (1405). 291 Ebd., Bd. 31, S. 37 (1436). 292 Ebd., Bd. 29, S. 114 (1433). 293 Ebd., Bd. 53, S. 63 (1475). 294 Ebd., Bd. 45, S. 184 (1465). 295 Entsprechend: Ebd., Bd. 26, S. 69 (1426); Bd. 36, S. 90–91 (1446); u¨ber die Go¨rlitzer Tuchwaren: Bd. 36,

S. 91; S. 101 (1446).

216

Grzegorz My´sliwski

oberdeutschen Gebieten in Kontakt.296 Ihre wichtigsten Partner waren Kaufleute aus Nu¨rnberg, von denen sie u. a. nicht na¨her genannte Waren kauften, die Zusicherung der Schuldenru¨ckzahlung und schließlich den gesamten ihnen zustehenden Betrag entgegennahmen sowie auch selbst versprachen, den Nu¨rnberger Gla¨ubigern ihre Schulden zu begleichen.297 Daru¨ber hinaus lo¨sten die Krakauer in Breslau den Vertrag mit einem Regensburger und bezahlten einem bekannten Kaufmann aus Nu¨rnberg, Kilian Auer, ihre Schulden.298 Breslau war fu¨r das Krakauer Bu¨rgertum auch ein Ort der Abrechnungen mit Kaufleuten aus der Lausitz, aus Sachsen und Thu¨ringen299 sowie aus dem Baltikum.300 Zusammen mit ihren Kollegen aus dem sa¨chsischen Freiberg regelten sie Erbund Rentenangelegenheiten und holten Schulden ein.301 Die Krakauer zahlten an der Oder ihren Kreditgebern aus Posen und Thorn Schulden zuru¨ck302 und u¨bergaben ihnen daru¨ber hinaus Waren, fu¨r die sie Verpflichtungen fu¨r die Zukunft entgegennahmen. Erwa¨hnt werden mu¨ssen auch ihre Kontakte mit Kaufleuten aus Ko¨ln, an die sie in Breslau fremde Schulden weitergaben.303 Die Hauptstadt Schlesiens fungierte auch als Kontaktpunkt der Krakauer mit einem Brabanter aus Herenthals, fu¨r den zu Ha¨nden eines Breslauer Vermittlers Geld u¨bergeben wurde.304 Breslau war – wie bereits erwa¨hnt – ho¨chstwahrscheinlich auch ein Transitpunkt fu¨r die Krakauer auf dem Wege nach Westen und fu¨r Gescha¨ftsleute aus Sandomir, fu¨r die es auch als Ort von Transaktionen fungierte. Hier erwarben sie Go¨rlitzer Tuchwaren von Leipziger Kaufleuten, denen sie Ochsen verkauften;305 hier verkauften sie dem Meister der Stadtwaage Blei, eine Ware, die in ihrem Namen oder von ihnen perso¨nlich dann weiter nach Westen transportiert wurde.306 Der Handel mit Bodenscha¨tzen (hier mit Kupfer) bildete den Gegenstand von Breslauer Gespra¨chen zwischen Fuhrleuten aus

296 U ¨ ber den wirtschaftlichen Umfang der oberdeutschen Zone siehe Ammann, Die Diesbach-Watt-

Gesellschaft (wie Anm. 163), S. 3–4; anders: My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 67–68.

297 Entsprechend: ebd., Bd. 6, S. 40–41 (1394); Bd. 43, S. 117, 143 (1461); Bd. 62, S. 56–57 (1494). 298 Zu Auer Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 26), S. 228, 241; Historia Sl ´ aska, ˛ Bd. 1, Teil 2 (wie

Anm. 92), S. 157; Pusch, Die Breslauer, Bd. 1 (wie Anm. 232), S. 59; My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 436. 299 Zur Konzeption dieser Wirtschaftszone My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 65–66. 300 Zur Konzeption und Wirtschaftsgeschichte der baltischen Zone Antoni Maczak/Henryk ˛ Samsonowicz, La zone baltique: l’un des e´le´ments du marche´ europe´en, in: Acta Poloniae Historica 11 (1965), S. 71–99. Ausgewa¨hlte Beispiele der Kontakte von Krakauern mit Kaufleuten aus der baltischen Zone in Breslau, Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 27, S. 9 (1430). 301 Ebd., Bd. 39, S. 213 (1453); Bd. 42, S. 61 (1458). Wie es scheint, war der hier erwa¨hnte Holikro (sicher Hans) noch nicht Breslauer Bu¨rger, My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 385–386. 302 Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 61, S. 62 (1493); Stobbe, Mittheilungen (wie Anm. 158), Nr. 38 – 1411, S. 349. 303 Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 17, S. 119 (1410); Bd. 35, S. 129 (1445). 304 Ebd., Bd. 33, S. 265 (1441). 305 Otto Stobbe, Mittheilungen aus Breslauer Signaturbu¨chern, in: Zeitschrift des Vereins fu¨r Geschichte und Altherthum Schlesiens 7 (1866), 2, S. 344–362, hier Nr. 126 – 1426, S. 357. 306 Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 50, S. 83, 116 (1472).

Wirtschaftsleben an der Hohen Straße

217

Olkusz und einem Kaufmann aus Nu¨rnberg.307 Und Kaufleute aus Leipzig forderten in Breslau von Kreditnehmern aus Sankt Gallen die Begleichung ihrer Schulden.308 Die fu¨r eine Erhellung der Kontakte der Breslauer Kaufmannschaft mit den kleinpolnischen Sta¨dten gu¨nstige Quellenlage erlaubt die Frage, welche Bedeutung diese fu¨r die Breslauer selbst besaßen. Abgesehen von den in Krakau gemachten Kontakten mit Schlesiern309 (fu¨r die Breslau ein viel bequemerer Ort war), unterhielten die Breslauer in Krakau wirtschaftliche Kontakte mit Kaufleuten aus unterschiedlichen Zentren. So verkauften sie einem Kaufmann aus Nu¨rnberg verschiedene Waren310 und erlangten von einem Schuldner aus Thorn ihr Geld zuru¨ck.311 Aus Verwandtschaftsgru¨nden repra¨sentierten sie vor dem Krakauer Stadtrat einen Kreditnehmer aus einer preußischen Stadt.312 Hier nahm auch ein von den Breslauer Ratsherren bevollma¨chtigter Vermittler von den Beho¨rden der Stadt Leutschau den einer gewissen Gesellschaft gebu¨hrenden Geldbetrag entgegen.313 Und in Krakau fu¨hrte schließlich Johann Banke senior einen Rechtsstreit mit Antonio Ricci aus Florenz, nota bene einem das ˙ Stadtrecht besitzenden Bu¨rger Breslaus (der zugleich Krakauer Zupan war).314 Aber aufgrund der weitreichenden Verbindungen der Hauptstadt Polens mag es viel mehr Kontakte gegeben haben. Trotz fehlender Quellen ko¨nnen wir davon ausgehen, dass Lublin eine a¨hnliche Funktion fu¨r Breslau erfu¨llte. Bekanntlich verfu¨gte diese Stadt nicht nur u¨ber Verbindungen mit polnischen und oberdeutschen Zentren,315 sondern auch mit Litauen, Lembe rg und Kaffa.316 Die erhaltenen Quellen bezeugen außerdem Kontakte mit Danzig.317 Erwa¨hnt werden mu¨ssen die Kontakte Abrahams mit Lublin, eines ju¨dischen Kaufmanns aus Konstantinopel, der auch nach dem Fall von

307 My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 175. 308 Hans Conrad Peyer, Leinwandgewerbe und Fernhandel der Stadt Sankt Gallen von den Anfa¨ngen

bis 1520, Bd. 1, Sankt Gallen 1960, S. 98 (Nr. 214); Ammann, Die Diesbach-Watt-Gesellschaft (wie Anm. 163), S. 82. 309 Sie schlossen Vertra¨ge mit den Bewohnern von Oppeln: Liber actorum, resignationum nec non ordinationum civitatis Cracoviae (1300–1375) (wie Anm. 55), Nr. 45 – 1307, S. 10, Leobschu¨tz: ebd., ´ Nr. 1171 – 1335, S. 123, und Sagan: Archiwum Panstwowe w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 2 (wie Anm. 167), S. 400, 1439. 310 My´sliwski, Wrocław (wie Anm. *), S. 425. 311 Archiwum Panstwowe ´ w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 2 (wie Anm. 167), S. 293 (1431); Libri excessuum (wie Anm. 132), Bd. 29, S. 114 (1433). 312 Archiwum Panstwowe ´ w Krakowie, Consularia Cracoviensia, Bd. 1 (wie Anm. 63), S. 188 (1403); S. 429 (1404). 313 Ebd., Bd. 3 (wie Anm. 63), S. 427 (1473). 314 Pta´snik, Kultura (wie Anm. 206), S. 146–151. 315 Zu den Kontakten mit Sankt Gallen Ammann, Die Diesbach-Watt-Gesellschaft (wie Anm. 163), S. 82; zu Nu¨rnberg Hermann Kellenbenz, Gewerbe und Handel am Ausgang des Mittelalters, in: Nu¨rnberg – Geschichte einer europa¨ischen Stadt, hg. v. Gerhart Pfeiffer, Mu¨nchen 1971, S. 176–193, hier S. 180. 316 Zu den Kontakten mit Wilna Kersten, Kontakty (wie Anm. 183), S. 145; zu Lemberg My´slinski, ´ Lublin (wie Anm. 22), S. 33; Stromer, Handel zum Schwarzen Meer (wie Anm. 63), S. 1142; zu Kaffa My´slinski, ´ Lublin (wie Anm. 22), S. 23–24. 317 Archiwum Panstwowe ´ w Lublinie, Akta miasta Lublina, Ksi˛ega sadu ˛ wo´jta dziedzicznego, fol. 132 (1472); vgl. auch My´slinski, ´ Rola (wie Anm. 80), S. 424.

218

Grzegorz My´sliwski

Byzanz weiterhin orientalische Waren nach Lemberg brachte.318 Und obwohl aus den Quellen nichts u¨ber seine Kontakte mit Breslauer Kaufleuten hervorgeht, spricht Vieles dafu¨r, dass Lublin und Krakau im Handel Breslaus weiterhin eine wichtige Rolle gespielt haben. Beide kleinpolnischen Sta¨dte waren wichtige Transitpunkte und Verbindungsglieder zwischen der schlesischen Hauptstadt und Ruthenien sowie mit dem Wirtschaftsgebiet am Schwarzen Meer.

318 Zu Abraham Charewiczowa, Handel (wie Anm. 66), S. 85. Im Jahre 1480 verpflichteten sich zwei

Armenier, Iwaszko und Tarchosza, Abrahams Schulden auf dem Lubliner Jahrmarkt zu bezahlen, Central’nyj derzˇavnyj istoryˇcnyj archyv Ukraı¨ny m. L’vyv, Acta officii consularis, Nr. 1063, S. 394.

FARBTAFELN

zu Piekalski/Wachowski (S. 151–172)

Farbtafel 1: Breslau, Neumarkt: Lavabo (Aquamanile), Keramik, 13. Jahrhundert Fotographie L. Marek

Farbtafel 2: Breslau, Schuhbru¨cke/Universita¨tsplatz: Spanische Schale, 15. Jahrhundert Fotographie Jerzy Piekalski/Krzysztof Wachowski

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Farbtafeln

Farbtafel 3: Breslau, Neumarkt: Applikation oder Tassel, Zinn, mit Darstellung des bo¨hmischen Lo¨wen Fotographie R. Szczerek

Farbtafeln

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Farbtafel 4: Breslau, Nikolaigasse: Madonna mit dem Kinde, Zinn ´ ´ Quelle: Jerzy Piekalski/Krzysztof Wachowski, Mieszczanski Wrocław w po´znym s´ redniowieczu ˙ [Das bu¨rgerliche Breslau im Spa¨tmittelalter], in: Archeologia Zywa 2 (2006), S. 76–82

222

Farbtafeln

cm Farbtafel 5: Breslau, Universita¨tsplatz: Schachfigur, Hirschhorn Quelle: Krzysztof Wachowski/Jacek Witkowski, Henryk IV Prawy – homo economicus czy homo ludens [Heinrich der IV, der Gerechte – homo economicus oder homo ludens], ´ ask in: Sl ˛ w czasach Henryka IV Prawego, hg. v. Krzysztof Wachowski, Wrocław 2005, S. 71–83

223

Farbtafeln

cm

cm Farbtafel 6: Breslau, Neumarkt: Kachelmodeln, Form zur Herstellung von Auflagen, misslungene Keramikgefa¨ße mit Verzierung in Auflagetechnik Fotographie M. Mackiewicz

Farbtafel 7: Breslau, Nationalmuseum: Lederfutteral fu¨r Wachstafeln Quelle: Tadeusz Fercowicz, Futerał na tablic˛e przysiag ˛ rze´zniko´w z Wrocławia [Ein Futeral fu¨r die ´ askich, Schwurtafel der Metzger aus Breslau], in: Zabytki cecho´w Sl ˛ Wrocław 2000, S. 426–427

224

Farbtafeln

cm Farbtafel 8: Breslau, Neumarkt: Turnierdiadem? Fotographie R. Szczerek

225

Farbtafeln

cm Farbtafel 9: Breslau, Neumarkt: Bisamapfel Fotographie R. Szczerek

zu My´sliwski (S. 173–218) Wilna Königsberg Lauenburg

Te Ga er, rn

Thorn

Pinsk

Płock

Koło

Czersk

Łęczyca

Sieradz Breslau

Piotrków

r, Bie in, We tall- e, Me dukt o pr Tuch

i, Ble sen, h Oc Salz

Prag

Olmütz

Sandomir Rzeszów

Polen

Terebovlja

Przemyśl Neu-Sandez Wein, Kupfer

, Heringe Häute, Wachs, lz Sa

KamjanezPodilskyj

Halič

Oc

hs

en

Suceava

Import

Ungarn Export

Luck Meta prod llukte

Lemberg

Krakau

Kuttenberg Brünn

Vladimir

Lublin

Radom

Königreich

Oppeln

Böhmen

Großfürstentum Litauen

BrestLitowsk

Masowien

Posen

Glogau

Vaukavysk Ciechanów , ch Tu nen i Le

Wachs, Honig, Getreide , Pottasch e, Holz

Pyzdry

Frankfurt

Grodno

Deutscher Orden

Heringe, Salz, Tuch

Stettin

Berlin

Danzig Marienburg Allenstein Bütow

Stolp

S G eid Sp ewü e, ez rz ere e, ien

Kolberg Wolgast

Fürstentum Moldau

Bilhorod

Bacău

Haupthandelswege

Kilija

Farbtafel 1: Spa¨tmittelalterliche Handelswege in Ostmitteleuropa ´ sredniowiecznej (1370–1506) Quelle: nach einer Karte in Krzysztof Baczkowski, Dzieje Polski po´zno´ [Geschichte des spa¨tmittelalterlichen Polen], Krako´w 1999, S. 165; Entwurf IStG

226

Farbtafeln

zu Komorowski, Entwicklung (S. 241–277)

Farbtafel 1: Krakau in der Weltchronik des Hartmann Schedel, 1493 Quelle: Hartmann Schedel, Weltchronik. Kolorierte Ausgabe von 1493, eingel. und komm. von Stephan Fu¨ssel, Augsburg 2004, Blatt CCLXV

ZU DEN BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEM KRAKAUER UND BRESLAUER PATRIZIAT IM MITTELALTER ´ * von Mateusz Golinski

Am Beginn der Beziehungen zwischen den Krakauer und Breslauer Stadtbu¨rgern stand die am 5. Juni 1257 formalisierte Lokation Krakaus nach Magdeburger Recht. Die Krakauer „Rechtsstadtgru¨ndung“ wurde, wie es in der Lokationsurkunde Herzog Bolesławs des Schamhaften hieß, nach dem Vorbild Breslaus vollzogen. Sie fu¨hrte unter den drei beauftragten Lokatoren auch einen Gedcon Stilvoyt nach Krakau, den die Historiographie als jenen Gotkin (Godinus, Gotke) identifiziert, der 1254 Scho¨ffe in Breslau war. Die erste Generation der Stillevoit (Stillvogt), die in Breslau Fernhandel und danach das Goldschmiedehandwerk mit Landbesitz und einer aktiven Teilnahme an der Stadtregierung verbanden, waren typische Repra¨sentanten des a¨ltesten Breslauer Patriziats. Dieses funktionierte in einem u¨berregionalen Netz gescha¨ftlicher und sozialer Verbindungen, denen sowohl eine u¨berdurchschnittliche Mobilita¨t als auch die deutsch-kulturelle Verbundenheit ihrer Stammva¨ter zugrunde lagen.1 Gedko/Godekin, der sein Glu¨ck in Gru¨ndungsinvestitionen suchte und sicher – wie der in seinem Namen verewigte Vorfahre – ein stiller Vogt war, veranschaulicht sehr scho¨n, wie der geografische Rekrutierungsbereich der Lokatoren stufenweise erweitert wurde und die weitere Rezeption des deutschen Rechts bzw. die Kolonisierung in Mitteleuropa voranschritt. Dieser Zusammenhang stellt eine hinreichende Erkla¨rung fu¨r Gedkos „Abstecher“ von Schlesien nach Kleinpolen dar. Seine Ru¨ckkehr nach Breslau wiederum zeugt bereits von dem komplizierten Charakter derartiger *U ¨ berarbeitete Fassung des Aufsatzes „Relacja patrycjatu krakowskiego z Wrocławiem w s´ rednio-

wieczu“ [Die Beziehungen des Krakauer Patriziats mit Breslau im Mittelalter] aus: Elita władzy miasta ˙ Krakowa i jej zwiazki ˛ z miastami Europy w s´ redniowieczu i epoce nowozytnej (do połowy XVII wieku) [Die Herrschaftselite der Stadt Krakau und ihre Verbindungen mit den Sta¨dten Europas im Mittelalter und in der Fru¨hen Neuzeit (bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts)], hg. v. Zdzisław Noga, ¨ bersetzung des Ausgangstextes von Herbert Ulrich. Krako´w 2011, S. 33–48; U 1 Gerhard Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat im Mittelalter, Breslau 1929, S. 55, 67–69; Benedykt Zientara, Działalno´sc´ lokacyjna jako droga awansu społecznego w Europie s´ rodkowej XII–XIII w. [Die Lokationsta¨tigkeit als Weg zum sozialen Aufstieg in Mitteleuropa im 12. – 13. Jahrhundert], in: Sobo´tka 36 (1981), S. 43–57, hier S. 53; Jerzy Wyrozumski, Dzieje Krakowa [Die Geschichte Krakaus], Bd. 1: Krako´w do schyłku wieko´w s´ rednich [Krakau bis zum Ende des Mitelalters], hg. v. Janina Bieniarzo´wna/Jan Marian Małecki, Krako´w 1992, S. 164, 166, 187; Mateusz Golinski, ´ Bio´ XIII wieku [Biogramme Breslauer Bu¨rger bis zum Ende des gramy mieszczan wrocławskich do konca 13. Jahrhunderts], Wrocław 1995, Nr. 57.

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Unternehmungen. Offenbar hatte die Ta¨tigkeit als Vogt keineswegs, wie manchmal angenommen wird, einen direkten besitzlichen und sozialen Aufstieg zur Folge und die Wege der Migration fu¨hrten keineswegs nur in Richtung Osten. ¨ ber die Herkunft jener Ansiedler, deren Herbeiholung das Krakauer LokatiU onsprivileg anku¨ndigte, ko¨nnen nur Vermutungen angestellt werden. Erste verla¨ssliche Hinweise, die eine gewisse Widerspiegelung dieser Ansiedlungsaktion bzw. spa¨terer Zuwanderungen nach Krakau darstellen, begegnen – wie Jerzy Rajman ku¨rzlich zu Recht betont hat – nicht vor dem mit dem Jahr 1300 einsetzenden a¨ltesten erhaltenen Stadtbuch.2 Es u¨berrascht nicht, dass die gro¨ßte der von Rajman fu¨r das erste Drittel des 14. Jahrhunderts ermittelte Gruppe von Zuwanderern aus Schlesien kam. Was jedoch sehr wohl u¨berrascht, ist der Umstand, dass sich unter ihnen nur zwei Breslauer befanden, d. h. zu diesem Zeitpunkt weitaus weniger Zuwanderer aus ¨ ber die Breslau nach Krakau kamen als aus Teschen, Ratibor, Neiße oder Brieg. U Ursachen dieses Pha¨nomens kann – lassen wir die geografische Na¨he einmal außer Betracht – nur spekuliert werden.3 Die beschriebene Situation scheint zudem keine bloße Episode gewesen zu sein, verzeichnet das Krakauer Stadtbuch fu¨r die Jahre 1300–1375 doch insgesamt nur drei aus Breslau zugewanderte Personen.4 Dass es im 14. Jahrhundert nicht zu einer sta¨rkeren Zuwanderung aus Breslau nach Krakau gekommen ist, das ein Zentrum mit gleichwertigem Charakter darstellte, mag sich aus der anfangs vorteilhaften wirtschaftlichen Situation der gro¨ßten schlesischen Stadt erkla¨ren – selbstversta¨ndlich nur, insofern die verwendete Quelle den tatsa¨chlichen Sachverhalt nicht verwischt; ihre Aussagen widersprechen na¨mlich den Schlussfolge¨ berlieferungen rungen, die in der Historiographie aus anderen, vor allem spa¨teren U gezogen werden. Eine so ku¨mmerliche Breslauer Zuwanderung hat Jan Pta´snik seinerzeit in seinen Untersuchungen u¨ber das Krakauer Patriziat nicht wahrgenommen. Er hat statt ihrer quantitativen eher ihre qualitative Dimension betont, obwohl unterstrichen werden muss, dass die beiden Beispiele, mit denen er in Bezug auf die Fru¨hzeit dieser Kontakte operierte, nicht mehr als Vermutungen bzw. Spekulationen darstellen. Die Ansicht, die Krakauer Familie Borek (Borch, Borg, Burg) sei – ich betone: wahrscheinlich – aus Breslau gekommen (vor 1353, als Henslinus Borek das Haus am Kra¨ bereinstimmung ihres Namens mit dem kauer Ringplatz erwarb), resultiert aus der U Namen einer Familie oder von Personen, die seit dem 13. Jahrhundert ihre Karriere in der Oderstadt entfalteten.5 Doch der Name scheint wenig originell zu sein; er ko¨nnte

2 Jerzy Rajman, Krako´w, zespo´ł osadniczy, proces lokacji, mieszczanie do roku 1333 [Krakau – Sied-

lungsensemble, Lokationsprozess und Bu¨rger bis zum Jahre 1333], Krako´w 2004, S. 212, mit Berufung auf Wyrozumski, Dzieje Krakowa (wie Anm. 1). 3 Ebd., S. 212–213. 4 Najstarsze ksi˛egi i rachunki miasta Krakowa [Die a¨ltesten Bu¨cher und Rechnungen der Stadt Krakau], hg. v. Franciszek Piekosinski, ´ Krako´w 1878, S. 10, Nr. 45, 1307: ein halbes Grundstu¨ck erwarb Tylo von Bresla; S. 119, Nr. 1138, 5. Februar 1333: ein halbes Grundstu¨ck in der Floriansgasse erwarb Herman de Wratislavia; S. 145, Nr. 1329, 1339: einen halben Kramladen erwarb Ieklo de Wratislavia. 5 Jan Pta´snik, Studia nad patrycyatem krakowskim wieko´w s´ rednich [Studien zum Krakauer Patriziat im Mittelalter], in: Rocznik Krakowski 15 (1913), S. 27–95, hier S. 56; vgl. Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 1), S. 7; Golinski, ´ Biogramy (wie Anm. 1), Nr. 86, 194; Tomasz Jurek, Obce

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auch von popula¨ren – sowohl deutschen als auch polnischen – Ortsnamen abgeleitet sein. Auch die Annahme Pta´sniks, der in den Jahren 1316/18 in Krakau erwa¨hnte Simon Gallicus sei aus Breslau in diese Stadt gekommen, noch dazu zusammen mit Heinrich IV. dem Gerechten (d. h. irgendwann in den Jahren 1289/90), gru¨ndet allein auf seiner Assoziierung mit dem gleichnamigen Wu¨rdentra¨ger am schlesischen Hof des jugendlichen Herzogs Heinrich IV., d. h. auf der Annahme einer entsprechenden Verwandtschaft.6 Indessen mussten zwischen den verschiedenen, den Namen Gallus tragenden Personen, die zudem unterschiedlichen Sta¨nden angeho¨rten, Ritter und Bu¨rger waren (auch in Breslau), keineswegs familia¨re Verbindungen bestehen. Viel klarer zeichnet sich, zumindest in der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts, die Frage der Migration Breslauer Frauen aus Kaufmanns- und Patrizierkreisen ab, die Ehegatten außerhalb ihrer Vaterstadt fanden (oder fu¨r die solche gefunden wurden). Insbesondere bei Wiederverheiratungen hatte die Kompliziertheit der Erbschaftsfragen in solchen Fa¨llen in beiden Zentren eine relativ große Zahl von entsprechenden Quellenaufzeichnungen zur Folge. So verzichtete die Tochter des Magisters Peter, des Rektors der St.-Elisabeth-Schule und Witwe des Martin von Woitsdorf, die zusammen mit ihren Kindern nach Krakau gezogen war, im Jahre 1367 auf die ihr von ihrem Gatten 1347 auf Lebenszeit u¨berschriebenen La¨ndereien.7 Ein gewisser Krakauer Landschreiber (Jocusch der lantschriber von Crokaw) heiratete im Jahre 1375 Margarethe primo voto Smarsow, als diese u¨ber ihr Breslauer Erbe verfu¨gte.8 Derartige Beispiele ließen sich vermehren. Offensichtlich mu¨ssen die entsprechenden Eheschließungen in gewissem Grade die Folge einer Intensivierung der Handels- und Finanzkontakte zwischen den ma¨nnlichen Breslauer Verwandten und den Krakauer Gatten dieser Frauen gewesen sein. Wie Grzegorz My´sliwski unla¨ngst bemerkte, unterliegt die schon von Stanisław Kutrzeba und Jan Pta´snik gea¨ußerte Ansicht von der besonderen Intensita¨t der Handelsverbindungen Krakaus mit Schlesien keinem Zweifel. Sie findet auch in der neuzeitlichen Tradition der Breslauer Historiographie eine zusa¨tzliche Besta¨tigung.9 My´sliwski verifizierte Kutrzebas Analyse und besta¨tigte in gewissem Maße den Anteil der Krakauer am Export von Salz, Kupfer, Eisen, Fellen und Pelzen nach Breslau sowie den Anteil der Breslauer am Krakauer Import von schlesischem Tuch und Leinen sowie ausla¨ndischer Tuche, Kramwaren, Heringen und gegerbtem Leder.10

´ asku rycerstwo na Sl ˛ do połowy XIV wieku [Fremde Ritter in Schlesien bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts], Poznan´ 1996, S. 206 (u¨ber die Ritterfamilie von Bork aus der Oberlausitz, deren Vertreter zu Beginn des 14. Jahrhunderts in Schlesien ta¨tig waren). 6 Pta´snik, Studia (wie Anm. 5), S. 87. Zur Ritterfamilie der Gall siehe Jurek, Obce (wie Anm. 5), S. 223–225. 7 Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 1), S. 103. 8 Archiwum Panstwowe ´ we Wrocławiu, Akta miasta Wrocławia, Ksi˛egi, G 1,4, k. 45 (aus praktischen Gru¨nden verwenden wir die a¨lteren Archivsignaturen). 9 Grzegorz My´sliwski, Wirtschaftsleben an der Hohen Straße. Zu den wirtschaftlichen Kontakten Breslaus mit Krakau und anderen kleinpolnischen Sta¨dten, in diesem Band, S. 182f. 10 Ebd., S. 200. Zu den Handelsverbindungen von Vertretern der einzelnen Patrizierfamilien mit Krakau vgl. Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 1), S. 84, 147, 194, 258, 261, 268, 290, 300, 308.

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Allgemein muss es sich um eine große Warenmasse gehandelt haben, was in der Konsequenz zu einer Rationalisierung der Handelsorganisation und Intensivierung der Kreditverbindungen fu¨hrte. So sollen im 15. Jahrhundert – My´sliwskis Berechungen zufolge – die Krakauer fu¨r die Breslauer etwa 85 % ihrer kleinpolnischen Schuldner und zugleich etwa 91 % ihrer kleinpolnischen Gla¨ubiger gestellt haben, was ganz offensichtlich die zentrale wirtschaftliche Rolle Krakaus in dieser Region widerspiegelt. Dabei gestaltete sich die Gla¨ubigerbilanz fu¨r die Breslauer deutlich gu¨nstiger. Sie nutzten seltener das Geld der Krakauer, gaben diesen aber o¨fter Kredit.11 Die letztere Schlussfolgerung ist jedoch nicht zutreffend, weil auch die Rententransaktionen beru¨cksichtigt werden mu¨ssen. Die Breslauer waren nicht am Kauf von Renten in Krakau interessiert, der Strom der Zinsinvestitionen floss dagegen in umgekehrter Richtung, in die Stadtkasse und die Schatullen der Breslauer Unternehmer. Nach den Scha¨tzungen und hypothetischen Berechungen My´sliwskis gaben die Krakauer – und hier vor allem die Familie Morsztyn – in der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts und insbesondere in der ersten Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts mehr als 10 000 Mark fu¨r den Ankauf von Zinsleistungen in Breslau aus.12 Dies erinnert an die umfangreichen und aus der Literatur gut bekannten Investitionen der Thorner, die im Zusammenhang mit den Einschra¨nkungen der Entfaltungsmo¨glichkeiten der Kaufmannsta¨tigkeit ihre im Handel erworbenen Kapitalien auf den scheinbar sicheren Rentenmarkt in Breslau verschoben. Dieses Problem erfordert mithin noch weitere Untersuchungen, sowohl im breiteren Vergleichskontext als auch hinsichtlich einer deutlicheren Unterscheidung zwischen den von den Stadtbeho¨rden erworbenen Renten, die auf diese Weise Mittel zur Deckung ihres Haushaltsdefizits bekamen, und den von Privatpersonen erworbenen Renten, die zur Deckung ihrer Investitionen dienten, auch wenn wir nicht wissen welcher. Die wechselseitigen Kontakte du¨rften zudem auch durch ein beiderseitiges Interesse am Erwerb von Immobilien gefestigt worden sein, auch wenn My´sliwski nur drei Beispiele fu¨r den Ankauf oder den Besitz von Grundstu¨cken durch Breslauer in Krakau (in den Jahren 1307, 1333 und 1453) sowie vier stichprobenartige Beispiele eines umgekehrten Engagements der Krakauer anfu¨hrt (in den Jahren 1390, 1397, 1410 und 1415). Dagegen verweist er auf die Inbesitznahme eines Dorfes bei Breslau durch Krakauer Bu¨rger und auf Investitionen in Breslauer Mu¨hlen, wobei er in diesem Fall ¨ lteren im die spektakula¨ren Investitionen von Nikolaus Wirsing/Wierzynek dem A 13 Sinne hat, mit denen wir uns im weiteren Verlauf noch befassen werden. Als eine Spezifik der gegenseitigen Beziehungen muss mit My´sliwski anerkannt werden, dass die Krakauer und Breslauer eher keine eigentlichen Handelsgesellschaften gegru¨ndet haben, obwohl sich fu¨r die wechselseitigen Kontakte viele Personen engagierten, die sich mit Gescha¨ften unterschiedlicher Gro¨ßenordnung abgaben. Auf Breslauer Seite hat My´sliwski im Verlauf des 14. und 15. Jahrhunderts 141 Personen geza¨hlt, die

11 My´sliwski, Wirtschaftsleben (wie Anm. 9), S. 205f. 12 Ebd., S. 208. 13 Ebd., S. 209.

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am Handel mit Kleinpolen teilnahmen, darunter viele Patrizier und ihre Verwandten sowie Kaufleute mit bekannten Namen.14 Auf Seiten der Kleinpolen waren es 150 Personen, darunter auch Krakauer Patrizier mit den Wirsings/Wierzyneks und ihren Verwandten an der Spitze. Insgesamt ergab sich auf beiden Seiten ein a¨hnliches Bild, wenn auch mit Ausnahme der Handwerker auf kleinpolnischer Seite, deren einzelne Vertreter den Breslauern zugerechnet wurden. Auch Juden hatten einen gewissen Anteil an den Wirtschaftsbeziehungen in beide Richtungen.15 Eine zweite Besonderheit bestand darin, dass es trotz intensiver Kontakte zu keiner gro¨ßeren Migration von Kaufleuten nach Krakau kam, wobei dieses Pha¨nomen, wie wir uns erinnern, nicht neu war. Hier sei angemerkt, dass My´sliwski die oben zitierten Auszu¨ge aus dem Immobilienmarkt im 14. Jahrhundert dem Ankauf von Gu¨tern durch Breslauer zurechnet und nicht ihrer Migration, was offensichtlich eine willku¨rliche Annahme ist, denn es ging dabei schließlich auch um Erwerbungen von Personen, die zwar aus Breslau stammten, aber bereits, wie Rajman zeigt, Krakauer waren. Da die Krakauer Stadtbu¨cher im Gegensatz zu den Breslauern, die 1945 verloren gingen, ehe sie richtig genutzt worden waren, publiziert und ausgewertet sind, bleibt das Problem der Migration fu¨r beide Sta¨dte in der Historiographie weiterhin vo¨llig unsymmetrisch beleuchtet. Grzegorz My´sliwski findet unter den in Krakau als Bu¨rger aufgenommenen Breslauern Personen mit bekannten Namen – in der zweiten Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts waren das die Gurteler, Kreidler, Gossinger, Kal, Opitz und Bank (1451, 1453, 1470, 1479, 1491, 1492) – und betont gleichzeitig, dass es sich bei ihnen nicht um die beru¨hmtesten Vertreter dieser Kaufmannsfamilien han¨ berdies waren einige, wie z. B. Hans delte, sondern lediglich um spa¨tere Verwandte. U Merboth, zugezogen, ohne die Stadtbu¨rgerschaft angenommen zu haben.16 Selbstversta¨ndlich mu¨ssen ‚ju¨ngere‘ Verwandte nicht unbedingt immer auch ‚arme oder nicht auf Erfolg erpichte‘ Personen gewesen sein. Der aus Breslau stammende Kaufmann Niclas Kreidler etwa erhielt 1453 das Krakauer Stadtrecht und saß dann schon sechs Jahre spa¨ter im Rat. Im selben Jahr pachtete er Salinen in Olkusz und 1462 den Krakauer Zoll.17 Der Umstand, dass er eine zweite Stadtbu¨rgerschaft annahm oder dauerhaft emigrierte, resultierte, wie My´sliwski unterstreicht, aus o¨konomischem Kalku¨l. Schließlich bestand die Gescha¨ftstaktik in der geographischen Verteilung der Familie und der Aufrechterhaltung der Kontakte innerhalb ihres Bereiches. Eben dies taten die Merboths – Niclas blieb in Breslau, und Hans zog nach Krakau.18 In seiner hervorragenden prosopografischen Studie u¨ber die sta¨dtische Herrschaftselite Krakaus im 16. Jahrhundert hat Zdzisław Noga lediglich – oder vielleicht: sogar – drei aus Breslau zugezogene Ratsherren identifiziert: Franz Bank, Hanus

14 Ebd., S. 209f. 15 Ebd., S. 212. 16 Ebd., S. 214. 17 Seine Tochter Katharina wurde zweimal mit einem Adligen verheiratet; Pta´snik, Studia (wie Anm. 5),

Teil 2, in: Rocznik Krakowski 16 (1914), S. 1–90, hier S. 4, 23–25; u¨ber seine hypothetischen Verwandten, darunter einen Namensvetter, einen Lubliner Patrizier, vgl. My´sliwski, Wirtschaftsleben (wie Anm. 9), S. 213. 18 Ebd., S. 214.

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Beck und Melchior Weigel.19 Selbstversta¨ndlich besteht das Problem im Falle so reifer Bu¨rgergesellschaften wie Krakau nicht in den Zahlen allein, sondern schon in der Tatsache des Auftretens von Mechanismen, die Immigranten bereits innerhalb der ersten Generation den Aufstieg ins Rathaus ermo¨glichten. Wie Noga zeigt, bestand der Krakauer Stadtrat zu Beginn des 16. Jahrhunderts in der Mehrheit aus neuen Leuten, und zwar aufgrund eines in der zweiten Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts stattgefundenen „grundsa¨tzlichen Austausches der Herrschaftselite“.20 Ein Opfer des Pha¨nomens der Verdra¨ngung alter Familien wurde u¨brigens die Familie Borelo (Borg), die, wie wir uns erinnern, hypothetisch dem Breslauer Patriziat entstammte und nach 1500 aus dem Stadtrat verschwand.21 Wenn wir also unsererseits bemerken, dass der Aufstieg dreier Breslauer in den Stadtrat gerade einmal den Zeitraum der Jahre 1483 bis 1513 betraf, und die erwa¨hnten Personen in den Jahren 1507 bis 1530 diese Welt verließen, dann bleibt als wichtigste Beobachtung, dass danach, zumindest bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, uns solche Karrieren nicht mehr begegnen – was den im damaligen Krakau stattfindenden politischen Prozessen entsprechen du¨rfte. Deshalb hatte die Anwesenheit neu aufgestiegener Familien im Stadtrat, wie Noga bemerkt, sicher auch einen vorwiegend kurzfristigen, nur eine Generation wa¨hrenden Charakter,22 woran auch der Fall der zwei Generationen umspannenden Karriere der Banks kaum etwas a¨ndern konnte.23 Die im Rathaus stattfindenden Prozesse mu¨ssen selbstversta¨ndlich von der allgemeinen Situation unterschieden werden. Nach den von Kutrzeba und Pta´snik angefertigten Auszu¨gen aus den Stadtbu¨chern stammten unter den Anko¨mmlingen aus Schlesien vom Ende des 16. bis zum ersten Viertel des 18. Jahrhunderts ganze 25 Personen aus Breslau, die konkret in den Jahren 1590–1685 verzeichnet wurden.24 An der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert versta¨rkte sich die Migration geradezu, und erst nach der Mitte des 17. Jahrhunderts ging der Zustrom von Breslauern deutlich zuru¨ck, ja kam zu einem beinahe vo¨lligen Erliegen, was sicher mit der wirtschaftlichen Situation Krakaus und der gesamten Adelsrepublik zusammenhing. Wie My´sliwski betont, war Breslau fu¨r die Krakauer ein Ort der Anknu¨pfung von Kontakten mit Kaufleuten nicht nur aus Schlesien, sondern vor allem auch aus entfernteren, in erster Linie deutschen Zentren. Umgekehrt erfu¨llte Krakau genau dieselbe Funktion fu¨r die Breslauer: Es wurde als Begegnungspunkt fu¨r Handeltreibende aus verschiedenen Regionen Europas aufgesucht.25 Beide Sta¨dte schienen sich

19 Zdzisław Noga, Krakowska rada miejska w XVI wieku. Studium o elicie władzy [Der Krakauer Stadt-

rat im 16. Jahrhundert. Eine Studie u¨ber die Herschaftselite], Krako´w 2003, S. 168.

20 Ebd., S. 111. 21 Ebd., S. 112. 22 Ebd., S. 114, 122, 296, 350; Hans Beck aus Breslau, Ratsherr seit 1483, 15 Jahre nach Erhalt des Bu¨rger-

rechts (1468), gest. 1507; Melchior Weigel, Ratsherr seit 1513, gest. 1530; seine Kinder machten keine Karriere. 23 Ebd., S. 118, 294; Franz Bank erhielt 1475 das Bu¨rgerrecht und war Ratsherr seit 1498, er starb im Jahre 1527 und sein Sohn Erasmus Bank war von 1541 bis 1563 Ratsherr. 24 Stanisław Kutrzeba/Jan Pta´snik, Dzieje handlu i kupiectwa krakowskiego [Zur Geschichte des Handels und der Kaufmannschaft in Krakau], in: Rocznik Krakowski 14 (1912), S. 1–183, hier S. 88–89. 25 My´sliwski, Wirtschaftsleben (wie Anm. 9), S. 215.

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in dieser Beziehung das Gleichgewicht zu halten, obwohl ihre Funktionen im Bereich der Organisation des Verkehrs zwischen den Regionen nicht dieselben waren. Deshalb muss ein Teil der uns interessierenden Migrationen und a¨ußeren Investitionen dem Bereich der Taktik von Unternehmern zugerechnet werden, die auf einem gro¨ßeren Gebiet aktiv waren als nur im Austausch (selbst dem Transit) zwischen Kleinpolen und Schlesien. Ihre eindeutige Verbindung mit nur einem konkreten Zentrum wa¨re nur die halbe Wahrheit, trotz formaler Voraussetzungen in Gestalt des vorhandenen Bu¨rgerrechts. Ein Beispiel dafu¨r liefert der Kaufmann Antonio Ricci, der sich aus Florenz oder „der Wale“ schrieb. Er war Repra¨sentant einer bekannten Florentiner Familie und zugleich im Besitz des dortigen Bu¨rgerrechts; seit 1419 war er zugleich als Bu¨rger von Breslau und in Bo¨hmen, Ungarn und Polen aktiv, aber gescha¨ftlich auch weiterhin eng mit Venedig und Rom verbunden. Im Jahre 1425 pachtete er zusammen mit vier Bru¨dern fu¨r vier Jahre die Salzgruben in der Na¨he von Krakau, was ihm allerdings keinen finanziellen Erfolg brachte. Obwohl er seit 1434 von Schuldnern verfolgt wurde, auch aus Krakau, wurde er im Jahre 1439 von Ko¨nig Albrecht von Habsburg dem neu besetzten Breslauer Stadtrat aufgezwungen, aus dem er 1443 wegen allzu langer Abwesenheit in der Stadt wieder entfernt wurde.26 Dagegen war der Deutsche Hans Boner, der erste Tra¨ger dieses beru¨hmten Namens in Polen, erst ab 1483 Bu¨rger von Krakau. Damals trieb er Handel mit Breslau, wo sich sein Bruder Jakob um seine Gescha¨fte ku¨mmerte. Mehr noch, er erwarb dort Ha¨user, aber das gleiche tat er in anderen Sta¨dten auch.27 Das von uns mehrfach angesprochene Problem, dass die historiographischen Deutungen durch den unterschiedlichen Erhaltungszustand und die unterschiedliche Zuga¨nglichkeit der Quellen sowie durch die unterschiedliche Intensita¨t ihrer Auswertung beeinflusst werden, kehrt auf beunruhigende Weise im Zusammenhang mit einer wichtigen Frage wieder. Denn die Pra¨senz aus Krakau stammender Personen in Breslau war, zumindest in der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts, ha¨ufiger und intensiver als diejenige, die in der Historiographie fu¨r Breslauer Bu¨rger in Krakau festgestellt wird. Werfen wir einen Blick in die Breslauer Scho¨ffenbu¨¨ bertragungen von Eigentumsrechten auf Immobilien und Einku¨nfte dokucher, die U mentieren, dann begegnen uns neben dem bekannten Finanzpotentaten Nikolaus von Krakau und seinem spa¨teren Namensvetter mu¨helos auch weitere aus Krakau stammende Personen: Lorencz (Laurentius, seit 1365),28 Hannus (Johann, 1368 und wieder 1416),29 Franczke (Franz, 1366–1377), Frycze Kursener (Ku¨rschner),30 Lan26 Ebd., S. 217; nach Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 1), S. 232, hatte bis zum Auftreten von

Antonio in Breslau kein einzelner Kaufmann so viele Geld- und Wechselvertra¨ge abgeschlossen.

27 Kutrzeba/Pta´snik, Dzieje (wie Anm. 24), S. 77–79. 28 Ratsherr und Scho¨ffe in den Jahren 1378–1386, Landbesitzer; Codex Diplomaticus Silesiae, Bd. 11:

Breslauer Stadtbuch enthaltend die Rathslinie von 1287 ab, hg. v. Hermann Markgraf/Otto Frenzel, ´ Breslau 1882, S. 107; Katalog dokumento´w przechowywanych w archiwach panstwowych Dolnego ´ aska Sl ˛ [Katalog der in den Staatsarchiven Niederschlesiens aufbewahrten Urkunden], Bd. 5, bearb. v. Roman Stelmach, Wrocław 1991, Nr. 471. 29 Nicht unbedingt identisch mit Hanek, der in den Jahren 1337–1359 Ratsherr und Scho¨ffe sowie Land´ askie besitzer war; Codex Diplomaticus Silesiae, Bd. 11 (wie Anm. 28), S. 107; Regesty Sl ˛ [Schlesische Regesten], Bd. 5, bearb. v. Janina Gilewska-Dubis, Wrocław/Warszawa 1992, Nr. 90. 30 Nikolaus von Krakau selbst war der Vormund seiner To¨chter Margarethe und Katharina (1369–1370).

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geheinrich (1373), Opecz (1374), Nikolaus Parmynter (Pergamenter, 1376), Stenczlaw (Stanislaus, 1389), Apecz (1390) oder Michael.31 Von den aufgefu¨hrten Personen weckt insbesondere letzterer, auch der Reiche Michael genannt (Reychmichil, in den Jahren 1393 bis etwa 1400 wohnhaft an der Nordseite des Ringplatzes), unsere Aufmerksamkeit, und zwar weil er abwechselnd als aus Kazimierz oder aus Krakau stammend erwa¨hnt wird (Kaschemer/von Cazemir, von Cazemar/von Crocow), also zweifellos aus dem nahe Krakau gelegenen Kazimierz stammte.32 Unter den Besitzern von Grundstu¨cken auf der Su¨dseite des Breslauer Ringplatzes trat in den Jahren 1382–1397 auch ein Peter Beme (Bemen, Beymen) in Erscheinung, der zu einem bestimmten Zeitpunkt als der Krakauer Bu¨rger Peschko der Reiche (Reichebeme) bezeichnet wurde. Dieser große Unternehmer wirkte zuvor in Lublin und Lemberg und war parallel dazu in Krakau pra¨sent.33 Diese Sachlage und die mit ihr verbundenen „Schwierigkeiten bei der Dokumentierung der Immigration“ sind auch der Aufmerksamkeit fru¨herer Forscher nicht entgangen. So suchte sie Gerhard Pfeiffer etwa durch gewisse fru¨here Ereignisse zu erkla¨ren, die zwar eine logische Begru¨ndung in unbestrittenen Tatsachen finden, gleichwohl in recht naiver Weise als Zeugnis fu¨r den Beginn eines langfristigen Prozesses verstanden werden. Pfeiffers Ausgangspunkt bildete weiterhin die Annahme, dass es nach der blutigen Niederschlagung der Krakauer Rebellion des Vogtes Albert im Jahre 1312 (korrekt: 1311)34 durch Władysław Ellenlang zu einem Ru¨ckzug der Deutschen aus Krakau gekommen sei.35 Dabei wird jedoch der Umstand ignoriert, dass die finanzielle und politische Elite, die aus jenen angeblichen Krakauer Emigranten in Breslau hervorgegangen sein soll, in Gestalt der Kaufmannsfamilie von Krakau tatsa¨chlich erst im Jahre 1337, also ein Vierteljahrhundert nach dem Krakauer Aufstand, durch die Aufnahme des Hanek von Krakau in den Breslauer Stadtrat in Erscheinung getreten ist.36 Sollte aber die Beobachtung einer versta¨rkten Migration von Krakauern nach Breslau im 14. Jahrhundert bzw. von deren Pra¨senz an der Oder 31 Archiwum miasta Wrocławia (wie Anm. 8), G 1,2–12, passim. Auch ein Bartholoma¨us tritt in Erschei-

nung (1393). Katalog (wie Anm. 28), Bd. 7, Wrocław 1993, Nr. 83. Und dass wir es mit einem Namen und nicht mit dem Herkunftsort zu tun haben, davon zeugt nachdru¨cklich das Beispiel eines Breslauer Hausbesitzers aus dem Jahre 1416, der sich „Hannos Crocaw von Legenicz“ schrieb, Archiwum miasta Wrocławia (wie Anm. 8), G 1,12, k. 2v. 32 Wa¨hrend seine Witwe und So¨hne in Breslau blieben, fanden seine To¨chter Dorothea und Margarethe Ma¨nner in Krakau: Ulman und Nikolaus Frankensberg, einen Rotgerber, und erbten die va¨terlichen Immobilien in Kazimierz. Archiwum miasta Wrocławia (wie Anm. 8), G 1,7, k. 128; G 1,8, k. 155V; G 1,9, k. 45, 143; G 1,10, k. 169, 240v, 340, 340v, 341v; K 8 k. 10. 33 Ebd., G 1,5, k. 39, 120v; G 1,8, k. 145V; E 1,1, k. 24V; Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 4), II, S. 89, 130, 134, 145, 162, 199, 342; Pta´snik, Studia (wie Anm. 5), S. 74–75; Kazimierz My´slinski, ´ Wo´jt dziedziczny i rada miejska w Lublinie. 1317–1504 [Erbvogt und Stadtrat in Lublin. 1317–1504], Lublin 1962, S. 30. 34 Vgl. Wyrozumski, Dzieje (wie Anm. 1), S. 199–211. 35 Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 1), S. 106, u¨berinterpretiert zweifellos die Schlussfolgerungen von Colmar Gru¨nhagen, Geschichte Schlesiens, Bd. 1, Gotha 1884, S. 131–132, 390 u¨ber die Folgen der Rebellion der Krakauer Deutschen. 36 Fast parallel dazu, na¨mlich im Jahre 1338, wurde Nikolaus von Krakau Mitglied des Stadtrates; in der darauf folgenden Generation wurde dann nur noch Haneks Sohn Laurentius Ratsherr (1378); vgl. Codex Diplomaticus Silesiae, Bd. 11 (wie Anm. 28), S. 107; Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 1), S. 106.

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in dieser Zeit in methodisch verla¨sslichen Untersuchungen eine Besta¨tigung finden, die Zahl der Krakauer Zuwanderer nach Breslau also tatsa¨chlich in einem deutlichen Missverha¨ltnis zum Grad des Einwanderns von Breslauern in Krakau stehen, dann ha¨tten wir es mit einem wirtschaftlichen Pha¨nomen zu tun, das einer zusa¨tzlichen Erkla¨rung bedu¨rfte. Sein deutlichster Ausdruck wu¨rde sich in den bereits erwa¨hnten gescha¨ftlichen Unternehmungen des Breslauers Nikolaus von Krakau sowie des Krakauers Nikolaus Wirsing finden. In beiden Fa¨llen handelt es sich um Zeitgenossen, deren Ta¨tigkeit in der polnischen Historiographie miteinander verknu¨pft, in der deutschen sogar miteinander identifiziert worden ist.37 Hier la¨sst sich auch das bezeichnende Pha¨nomen beobachten, dass mitunter unreflektierte und unbedacht geta¨tigte Entlehnungen gegenu¨ber der Gesamtheit der vollsta¨ndig oder wenigstens in Zusammenfassungen im Druck erschienenen, allgemein zuga¨nglichen und vor allem eindeutigen Quellen bei den Historikern die Oberhand gewinnen.38 Es genu¨gt, an dieser Stelle daran zu erinnern, dass Nikolaus von Krakau, in den Jahren 1338/73 Breslauer Ratsherr und Scho¨ffe, u¨ber betra¨chtliche Geldmittel verfu¨gte, die er effektiv vermehrte. In den Jahren 1338–1340 erwarb die von ihm und Arnold von Kreuzburg39 gebildete Handelsgesellschaft die Zo¨lle in Le´snica und Breslau, die ihnen dann fu¨r 1200 Mark vom Ko¨nig abgekauft wurden.40 Vor dem 1. Mai 1353 kofinanzierten sie den Ankauf der Rechte auf das Namslauer Land von den Herzo¨gen von Brieg und Liegnitz durch Karl IV.,41 indem sie dem Ko¨nig zusammen mit Peter Schwarz, einem weiteren Breslauer, 3000 Schock Prager Groschen liehen (d. h. 3750 Mark). Auf das erwa¨hnte Datum ist eine Urkunde ausgestellt, aus der wir erfahren, dass dem Monarchen noch 1700 Schock (2125 Mark) zuru¨ckzuzahlen blieben, die mit einem 12,5-prozentigen „Zinssatz“ ja¨hrlich belastet wurden (u¨ber 265 Mark), den die Gla¨ubiger ab dem 29. September aus den Regalien im Herzogtum Breslau auswa¨hlen konnten.42 Gema¨ß einer Urkunde vom 30. Mai nahmen die Breslauer Rats37 Vgl. Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 1), S. 108, der sich auf die Autorita¨t von Hermann

Markgraf, Colmar Gru¨nhagen und Hermann Reichert berief und dann auch selbst wieder Einfluss auf die polnischen Historiker der Nachkriegszeit ausu¨bte. 38 Vgl. die Breslauer Stadtrechungen, in denen die Personen pra¨zise unterschieden werden, oder auch den Umstand, dass Nikolaus von Krakau in den Urkunden immer als ein Breslauer Bu¨rger vorgestellt wurde. Beide wurden gleichzeitig am 24. Januar 1365 erwa¨hnt; Archiwum miasta Wrocławia (wie Anm. 8), G 1,2, k. 286. 39 In einer Urkunde (siehe Anmerkung weiter unten) wird Arnold, in einer anderen Noldil aus Kreuzburg genannt. Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 1), S. 107, zufolge handelte es sich um Arnold Noldel aus Kreuzburg, den Stammvater der diesen Namen tragenden Breslauer Familie. 40 Breslauer Urkundenbuch, hg. v. Georg Korn, Breslau 1870, Nr. 159 (17. Ma¨rz 1338), 164 (24. Mai 1340); vgl.: Codex Diplomaticus Silesiae, Bd. 30: Regesten zur schlesischen Geschichte, hg. v. Konrad Wutke/Erich Randt, Breslau 1930, S. 31, Anm. 2; Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 1), S. 107. 41 Das Datum des Kaufes bleibt unbekannt, aber einer lokalen Namslauer Tradition zufolge geschah dies im Jahre 1348; vgl. Mateusz Golinski/El˙ ´ zbieta Ko´scik/Jan Kesik, ˛ Namysło´w. Z dziejo´w miasta i okolic [Namslau. Zur Geschichte der Stadt und ihrer Umgebung], Namysło´w 2006, S. 88–89. 42 Colmar Gru ¨ nhagen/Hermann Markgraf, Lehens- und Besitzurkunden Schlesiens und seiner einzelnen Fu¨rstenthu¨mer im Mittelalter, Th. 1, Leipzig 1883, S. 71, Nr. 16; kurz: Regesty s´ laskie ˛ [Schlesische Regestem], Bd. 2, bearb. v. Kazimierz Bobowski u. a., Wrocław 1983, Nr. 853; Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 1), S. 107. Das war aber nicht die einzige gemeinsame Unternehmung mit Peter Schwarz, andere sind fu¨r das Jahr 1349 besta¨tigt; Regesty s´ laskie, ˛ Bd. 2, a. a. O., Nr. 74, 108.

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herren die Auszahlung der gesamten Verpflichtungen auf sich und bestimmten festgelegte Einku¨nfte des Monarchen dafu¨r.43 Aus den erhalten gebliebenen Fragmenten sta¨dtischer Rechnungen geht hervor, dass diese Garantien realisiert wurden – allein in den Jahren 1354–1356 zahlte der Stadtrat Nikolaus insgesamt 1701,25 Mark aus.44 Zusammen mit Tilko Rothe, einem anderen Breslauer, gewa¨hrte Nikolaus auch dem Liegnitzer Herzog Wenzel ein Darlehen, das ja¨hrlich 125 Mark an Zinsen erbrachte. Angelockt vom „Goldrausch“ im Herzogtum Liegnitz besaß er in den fu¨nfziger Jahren des 14. Jahrhunderts als Pfand Anteile an den Einku¨nften der dortigen Gruben und erwarb diese dann in Gesellschaft mit anderen Patriziern. Er spekulierte mit Grundstu¨cken (drei fu¨r 900 Mark erworbene Do¨rfer vera¨ußerte er fu¨r 1100 Mark), erwarb Renten und ha¨ufte Landbesitz an, wodurch er in den Kreis der monarchischen Lehnsma¨nner geriet. Seine Erben spielten dann keine so herausragende Rolle mehr, sie konzentrierten sich auf den Besitz von Landgu¨tern und Zinseinnahmen, was nota bene den Geschicken zumindest eines Teils der Nachkommen seines Zeitgenossen Wirsing entsprach.45 Bis 1371 hatte Nikolaus seinen Wohnsitz am Breslauer Ringplatz, auf der prestigereichen Westseite, und obwohl dies vielleicht nicht die gro¨ßten Anwesen waren, so waren es doch immerhin zwei (die heutigen Nr. 1 und 2).46 ¨ lteren ist bereits wiederholt detailliert Die Karriere von Nikolaus Wirsing dem A beschrieben worden, und Krakau wa¨re der letzte Ort, an sie nicht zu erinnern. Vielleicht hatte er Verwandte in Niederschlesien (in den Jahren 1320–1339 trat in der Umgebung des Herzogs von Jauer ein Lutold Wirsing in Erscheinung),47 aber wir wissen nicht, ob dies irgendeine Rolle bei der Anknu¨pfung von Kontakten des Krakauer Zweiges zu den Breslauern gespielt hat.48 Es ist heute schwierig, den Kern der Interessen und Gescha¨fte dieses beru¨hmten Krakauer Bu¨rgers zu rekonstruieren. Auf jeden Fall aber brachten sie ihn bis in den Stadtrat (1327) und ins Amt des Vogtes

43 Die Garantien umfassten Landstraßen aus der Stadt, die Mu¨nzabgabe, Zinseinnahmen aus den Tuch-

hallen, den Zoll in der Stadt, in Le´snica, an der Oder, fu¨r das geflo¨ßte Holz sowie die Zinseinnahmen aus dem Fischfang. Hermann Markgraf, Zur Geschichte des Breslauer Kaufhauses, in: Zeitschrift des Vereins fu¨r Geschichte und Alterthum Schlesiens 22 (1888), S. 249–280, hier S. 268; vgl. ungenau: Codex Diplomaticus Silesiae, Bd. 3: Henricus Pauper. Rechnungen der Stadt Breslau von 1299–1358, hg. v. Colmar Gru¨nhagen, Breslau 1860, S. 85 Anm. 2; genauer: Regesty (wie Anm. 42), Nr. 861. 44 Codex Diplomaticus Silesiae, Bd. 3 (wie Anm. 43), 3, S. 84, 85, 87. Diese Angelegenheit betraf auch die Korrespondenz zwischen dem Stadtrat und dem Monarchen im Jahre 1355; Breslauer Urkundenbuch (wie Anm. 40), Nr. 189, S. 172. 45 Codex Diplomaticus Silesiae, Bd. 11 (wie Anm. 28), S. 107; Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 1), S. 107–109, ebd. (Tafel 20) der Versuch einer Skizzierung des Stammbaumes der Familie von ¨ ber die Nachkommen von Nikolaus Wirsing dem A ¨ lteren Stanisław Kutrzeba, Historya Krakau. U rodziny Wierzynko´w [Die Geschichte der Familie Wirsing], in: Rocznik Krakowski 2 (1899), S. 29–87, hier S. 43–44; polemisch: Gra˙zyna Lichonczak, ´ Najstarsze dzieje rodziny Wierzynko´w w Krakowie [Die a¨lteste Geschichte der Familie Wirsing in Krakau], in: Krzysztofory 8 (1981), S. 38–55, hier S. 47–50. 46 Archiwum miasta Wrocławia (wie Anm. 8), G 1,2, k. 231v, 239, 318, 351, 354, 402; G 1,3, k. 55, 120v. 47 Codex Diplomaticus Silesiae, Bd. 30 (wie Anm. 40), Nr. 4080, 4239, 6277; u¨ber die Mutmaßungen zur Herkunft der Familie und ihrer Anwesenheit in Schlesien siehe: Lichonczak, ´ Najstarsze (wie Anm. 45), S. 38–39; Jurek, Obce (wie Anm. 5), S. 306. 48 Die Behauptung von Jurek, Obce (wie Anm. 5), S. 306, ein Wirsing habe das Bu¨rgerrecht der Stadt Breslau erhalten und sei von dort nach Krakau gegangen, stellt eine rein intuitive Hypothese dar.

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von Wieliczka (1336), sodann in das Amt des Truchsess von Sandomir (1341) und brachten ihm schließlich die Vergabe von Landgu¨tern ein.49 Schon als Truchsess lieh er – a¨hnlich wie dies spa¨ter auch sein Breslauer Namensvetter tat – Karl IV. Geld; im Jahre 1343 wurde die Summe der Schulden festgelegt, und die Angelegenheit ihrer Begleichung sollte Kasimir der Große selbst erledigen.50 Aber uns braucht an dieser Stelle nur zu interessieren, das Nikolaus Wirsing seit 1334 am Bau der Odermu¨hlen in Breslau beteiligt war. In der Historiographie wurde schon fru¨h auf die Bedeutsamkeit dieser Unternehmung hingewiesen – es waren die ersten Investitionen in Mu¨hlen im 14. Jahrhundert, die ohne Genehmigung des Territorialherrn erfolgten51 (daher ¨ bernahme der Regalien durch die Stadt auf ihrem Gebiet war geradezu von einer U die Rede), noch dazu nach dem Grundsatz einer „o¨ffentlich-privaten Partnerschaft“, d. h. mit Nutzung sta¨dtischen Kapitals und des erwa¨hnten Unternehmers aus Krakau.52 Wir wissen nicht, warum dies so geschah, und besonders ra¨tselhaft ist, dass sich der Breslauer Stadtrat gerade Wirsing zum Teilhaber wa¨hlte, wo es doch angeblich unter den Breslauern selbst auch nicht an reichen Finanziers fehlte. Auch scheint wenig wahrscheinlich, dass die Wahl des Krakauers durch den Unwillen gegen eine Investition lokalen Kapitals diktiert worden wa¨re, denn letzteres wurde ja vom Stadtrat selbst repra¨sentiert. Vielleicht wurde der Rat von jemandem oder infolge irgendwelcher Umsta¨nde dazu gezwungen, so zu handeln? Oder Nikolaus Wirsing befand sich im Besitz einer einzigartigen Technologie oder war ganz einfach der Urheber und ¨ berredungskraft auch die „Triebfeder“ der ganzen Unternehmung? dank seiner U Wir wissen nicht, welche Art Gescha¨fte Wirsing nach Breslau gezogen hatten,53 aber diese standen zweifellos im Zusammenhang mit Kontakten zu den Stadtva¨tern. Unter den Einku¨nften der Stadtkasse fanden sich gema¨ß den von den Ratsherren ausgestellten Rechnungen fu¨r die Jahre 1138 und 1342 solche u¨ber 200 bzw. 40 Mark von Nikolaus, allerdings wissen wir nicht wofu¨r; seine Person erscheint neben den Ratsherren auch unter den Adressaten der im Jahre 1351 aufgewandten Repra¨sentationskosten fu¨r Hafer und Wein. Seine Korrespondenz mit dem Stadtrat im Jahre 1354 wurde zur Grundlage der beru¨hmten Mitteilung u¨ber die angeblichen Pla¨ne Kasimirs des Großen, sich eine Frau unter den Tataren zu suchen. Im Jahre 1356 schuldete

49 Kutrzeba, Historya (wie Anm. 45), S. 32–36; allgemeiner: Kutrzeba/Pta´snik, Dzieje (wie Anm. 24),

S. 67–71; detailliert: Lichonczak, ´ Najstarsze (wie Anm. 45), S. 39–45.

50 Kutrzeba, Historya (wie Anm. 45), S. 40–41 (2333 Mark 16 Groschen); Lichonczak, ´ Najstarsze (wie

Anm. 45), S. 43 (1333 Mark 16 Groschen).

51 Bis 1335 war dies der Breslauer Herzog Heinrich VI., danach der bo¨hmische Ko¨nig Johann von

Luxemburg.

52 Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 1), S. 33. 53 Nach Vermutungen von Grzegorz My´sliwski, Wrocławskie inwestycje energetyczne Mikołaja Wier-

zynka [Die Investitionen des Nikolaus Wirsing in Breslauer Energieanlagen], in einem bei der Begegnung der Arbeitsgruppe zur Erforschung des mittelalterlichen und neuzeitlichen Breslau 2009 gehaltenen Referat, konnte es sich um den Handel mit Salz aus Wieliczka und mit Blei aus Olkusz gehandelt haben; Olkusz war neben Krakau der zweite Familiensitz der Wirsings, wa¨hrend Nikolaus in Wieliczka das Vogtamt erwarb, vgl. Lichonczak, ´ Najstarsze (wie Anm. 45), S. 39; daru¨ber hinaus mag es um den Transfer des Peterspfennigs gegangen sein (in Verbindung mit anderen Vertretern der Famile – ebd., S. 45, 48, 50). Vgl. auch die Bemerkungen von Lichonczak, ´ Najstarsze (wie Anm. 45), S. 55 Anm. 195, u¨ber seinen Anteil am Silberhandel.

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Nikolaus der Stadt 306 Mark; diese Summe umfasste u. a. auch seine Schulden bei Juden, die einschließlich der hohen Zinsen (26,66 %) von der Stadt beglichen wurden.54 Auf jeden Fall dokumentierte der Rat am 23. Juni 1334 den Abschluss eines Vertrages u¨ber den Bau einer Odermu¨hle auf einem ihm geho¨renden Grundstu¨ck, und die Lasten dieser Investition sollte er sich zur Ha¨lfte mit dem erwa¨hnten Krakauer Bu¨rger teilen.55 Im Jahre 1342 wurden, wie berichtet wird, zu diesem Zweck 32 Mark und 2 Scot ausgegeben, und genauso viel soll in dem Wirsing geho¨renden Teil ausgegeben worden sein. Bereits vorher, im Jahre 1337, erneuerten beide Seiten ¨ berihre Kooperation zwecks Errichtung einer Walkmu¨hle am Graben sowie zur U gabe von 30 Mark und Baumaterial an den Mu¨ller Hermann, der fu¨nf Mu¨hlra¨der errichten sollte.56 Wir verzichten an dieser Stelle auf eine Rekonstruktion der weiteren Geschichte ihrer gemeinsamen Investitionen, umso mehr als sie in den Quellen zusammen mit der Verrechung anderer Breslauer Gescha¨fte Wirsings behandelt werden (die erwa¨hnten Schulden in Ho¨he von 306 Mark aus dem Jahre 1356 wurden mit einem Teil der Mu¨hle abgesichert, die Nikolaus dem Rat u¨bergeben musste, um sie dann zuru¨ckzukaufen; im Jahre 1356 betrug die Absicherung des Rates fu¨r die beiden „neuen“ Mu¨hlen Wirsings 613 Mark Groschen und 4 Scot, was indirekt ebenfalls von ihrem ungeheuren Wert zeugt).57 Wie es scheint, ist dank dieser Investitionen aus den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts der Keim eines Ensembles ma¨chtiger hydrotechnischer Anlagen entstanden, die noch bis ins 19. Jahrhundert hinein die Oderlandschaft im nordwestlichen Teil der Stadt dominierten, und die Einku¨nfte aus der Mu¨hle erreichten im Stadthaushalt eine Ho¨he von mehreren Hundert Mark. Wir wol¨ lteren (gest. 1360) noch len lediglich bemerken, dass die Erben von Nikolaus dem A einige Zeitlang in der geschilderten, fu¨r sie allerdings bereits heiklen Unternehmung engagiert blieben. Nach einer Reihe von Verrechnungen zogen sie erst zu Beginn der achtziger Jahre ihre Anteile an den Mu¨hlen zuru¨ck.58 Danach besaßen die Handelsbeziehungen der Wirsings mit den Breslauern wohl nur noch einen sporadischen Charakter.59 54 Codex Diplomaticus Silesiae, Bd. 3 (wie Anm. 43), S. 64, 68, 80, 88; Breslauer Urkundenbuch (wie

Anm. 40), Nr. 189, S. 171; Kutrzeba, Historya (wie Anm. 45), S. 40; Lichonczak, ´ Najstarsze (wie Anm. 45), S. 43. 55 Codex Diplomaticus Silesiae, Bd. 3 (wie Anm. 43), S. 64 Anm. 5; Codex Diplomaticus Silesiae, Bd. 30 (wie Anm. 40), Nr. 534; Lichonczak, ´ Najstarsze (wie Anm. 45), S. 49. 56 Codex Diplomaticus Silesiae, Bd. 3 (wie Anm. 43), S. 69, 92; Lichonczak, ´ Najstarsze (wie Anm. 45), S. 49. 57 Regesty s´ laskie ˛ [Schlesische Regestem], Bd. 3, bearb. v. Janina Gilewska-Dubis, Wrocław 1990, Nr. 389 (16. Dezember 1356), 437 (7. Februar 1357), 445 (10. Februar 1357); A. n. Wr. G 1,2, k. 244, 286 (24. Januar 1365); Kutrzeba, Historya (wie Anm. 45), S. 40, gibt 650 Mark als weitere Quellengrundlage an und bestimmt den Wert von Wirsings Anteil an den Mu¨hlen auf etwa 1000 Mark. 58 Wie Kutrzeba, Historya (wie Anm. 45), S. 46–47, berichtete, ordnete der auf dem Lande niedergelassene Thomas Wirsing die Angelegenheit der Mu¨hlen, die den drei ju¨ngeren So¨hnen von Nikolaus zugefallen waren. Im Jahre 1382 verkauften dieser Thomas, Nicze und die Kinder ihres Bruders Hanek ihre Anteile fu¨r je 150 Mark an den Breslauer Stadtrat, und dieses Geld ließen sie dann durch Bevollma¨chtigte in Breslau abholen; vgl. Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 1), S. 108, unter dem Datum 1383. 59 U ¨ ber eine Gescha¨ftsunternehmung des Hans Wirsing mit Lucas Dompnig (1432) Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 1), S. 147; My´sliwski, Wirtschaftsleben (wie Anm. 9), S. 197.

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Die Verbindungen mit Krakau selbst, sei es durch den Besitz des Bu¨rgerrechts oder auch durch Herkunft aus dieser Stadt, waren fu¨r die eventuellen Kontakte beider, den Namen Nikolaus tragenden Personen nicht entscheidend. Wir wissen ganz einfach nichts zu diesem Thema. Um so erstaunlicher erscheint deshalb die weiter oben bereits erwa¨hnte Identifizierung beider mit einer einzigen Person, wie sie von den serio¨sesten Historikern angenommen wurde.60 Doch das war bloße Assoziierung, wenn nicht eine regelrechte Verdrehung der Tatsachen – da Nikolaus Wirsing im Jahre 1343 ein Gla¨ubiger Karls IV. war, schrieb man ihm automatisch die Transaktionen des Nikolaus von Krakau mit demselben Monarchen im Jahre 1353 zu.61 Unsere rein handwerklichen Vorbehalte sollen freilich nicht den Blick auf das Wesen des im vorliegenden Beitrag behandelten Problems verstellen, na¨mlich auf die je nach Zeit wohl vera¨nderlichen Richtungen und Disproportionen in den Wanderbewegungen zwischen beiden Sta¨dten sowie auf die zwischen ihren Eliten bestehenden Handels- und Finanzverbindungen. Die durch familia¨re Bande geknu¨pften (oder durch Heirat hergestellten) wirtschaftlichen Verbindungen du¨rfen nicht die Kontakte auf anderen Ebenen ausblenden: auf der politischen, kirchlichen, kulturellen und ku¨nstlerischen, von denen das die jeweilige Stadt regierende kaufma¨nnische Patriziat schließlich nicht isoliert war. Auch Bu¨rgerso¨hne wurden fu¨r geistliche Karrieren bestimmt, und diese waren eng mit dem Erwerb einer entsprechenden Ausbildung verbunden. Große Bedeutung kam diesbezu¨glich der Gru¨ndung der Krakauer Universita¨t zu, deren Anziehungskraft nach der Selbsteliminierung von Prag im 15. Jahrhundert als mitteleuropa¨isches Zentrum akademischer Bildung stark zunahm. Viele Breslauer haben ein Studium in Krakau absolviert, selbst wenn dieses nicht abgeschlossen wurde oder nur eine Etappe im Bildungsgang darstellte. Unter den Krakauer Studenten waren auch Mitglieder der Breslauer sta¨dtischen Elite,62 die seit den 60 Vgl. Colmar Gru¨nhagen in Codex Diplomaticus Silesiae, Bd. 3 (wie Anm. 43), S. 163 (Personen-

verzeichnis); Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 1), S. 108; Lichonczak, ´ Najstarsze (wie Anm. 45), S. 43, 55 Anm. 193; Jurek, Obce (wie Anm. 5), S. 306 Anm. 6, der erkannt haben muss, dass eine solche Identifizierung zu Schwierigkeiten mit der Interpretation der Quellen fu¨hrt, da er gleichzeitig bemerkte, Nikolaus aus Krakau vel Wirsing habe mit der Familie von Krakau nichts gemeinsam. Mit einer Identifizierung beider Personen war auch die Annahme der Identita¨t ihrer So¨hne verbunden, die ebenfalls den Namen Nikolaus trugen, und zwar im Zusammenhang mit dem Verkauf des bei ´ eza ˙ (Lohe) im Jahre 1383 durch Nikolaus den Ju¨ngeren aus Krakau; PfeifBreslau gelegenen Ortes Sl˛ fer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 1), S. 108. Die Identifizierung des Krakauers mit dem Breslauer fu¨hrte auch zur missbra¨uchlichen Bezeichnung des Nikolaus Wirsing als Breslauer Bu¨rger im Personenverzeichnis zum Codex (wie Anm. 40), Bd. 30, obwohl dieser in der von ihm aufgezeigten Quelle mit keinem Wort erwa¨hnt wird. 61 Kutrzeba, Historya (wie Anm. 45), S. 41: Nikolaus Wirsing (!) und Peczko Niger leihen Karl IV. ´ 1760 (!) Mark. Dem folgt z. B. Ewa Maleczynska, ´ Miasta i mieszczanstwo [Die Sta¨dte und das Bu¨rger´ aska, tum], in: Historia Sl ˛ Bd. 1, Teil 2, hg. v. Karol Maleczynski, ´ Wrocław 1961, S. 120–201, hier S. 164; Lichonczak, ´ Najstarsze (wie Anm. 45), S. 43; Grzegorz My´sliwski, Wrocław w przestrzeni gospodarczej Europy (XIII–XV wiek). Centrum czy peryferie? [Breslau im europa¨ischen Wirtschaftsraum (13.–15. Jahrhundert). Zentrum oder Peripherie?], Wrocław 2009, S. 181 Anm. 497: Nikolaus Wirsing leiht Karl IV. zusammen mit Peter Schwarz 1760 (!) Mark im Jahre 1343. Dieser Fehler in Bezug auf die Summe (statt 1700 Schock) wurde nach den Angaben von Colmar Gru¨nhagen in Codex Diplomaticus Silesiae, Bd. 3 (wie Anm. 43), S. 85, Anm. 2, wiederholt. 62 In Krakau studierte Kaspar von Popplau, der ku¨nftige Kaufmann und Bruder des Ritters und Reisenden Nikolaus; Pfeiffer, Das Breslauer Patriziat (wie Anm. 1), S. 235; vgl. auch die Anwesenheit

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ersten Regungen des Humanismus gebildete Menschen immer besser zu scha¨tzen lernte. Die fu¨r weltliche Kreise neuen akademischen Ambitionen boten im 16. Jahrhundert Mo¨glichkeiten zur Schaffung anderer Kontaktebenen als nur wirtschaftlicher, familia¨rer oder politischer, auch wenn dies, wie die misslungene Aktion zur Gru¨ndung einer Universita¨t in Breslau durch den dortigen Stadtrat (1505) lehrt, unerwartete Animosita¨ten nach sich ziehen konnte. Matthias von Miecho´w zufolge sei die Ursache der Vereitelung der Breslauer Initiative dem Neid der Krakauer Akademie zuzuschreiben gewesen – oder auch umgekehrt: Die Abneigung der Breslauer Ratsherren gegen die in Krakau ausgebildeten Geistlichen soll in Breslau eine Distanzierung des Domkapitels gegenu¨ber der sta¨dtischen Unternehmung zur Folge gehabt haben.63

Krakauer Studenten in den Stammba¨umen der Breslauer Patrizierfamilien, ebd. Tafel 2, 8, 13, 21, sowie Gustav Bauch, Schlesien und die Universita¨t Krakau im 15. und 16. Jahrhundert, in: Zeitschrift des Vereins fu¨r Geschichte Schlesiens 41 (1907), S. 99–180; Metryka uniwersytetu krakowskiego z lat 1400–1508 [Die Matrikel der Krakauer Universita¨t aus den Jahren 1400–1508], Bd. 2: Indeksy [Verzeichnisse], hg. v. Antoni Gasiorowski/Tomasz ˛ Jurek/Izabela Skierska, Krako´w 2004, S. 556–561; ´ Krzysztof Broda, Studenci Uniwersytetu Krakowskiego w po´znym s´ redniowieczu [Die Studenten der Krakauer Universita¨t im Spa¨tmittelalter], Krako´w 2010, S. 74–78. 63 Vgl. Mieczysław Pater, Historia Uniwersytetu Wrocławskiego do roku 1918 [Die Geschichte der ˙ Breslauer Universita¨t bis 1918], Wrocław 1997, S. 20–22; Marek L. Wo´jcik, Pro´ba załozenia Uniwersytetu Wrocławskiego w 1505 roku [Der Versuch der Gru¨ndung einer Breslauer Universita¨t im Jahre 1505], in: Cztery poczatki. ˛ Dokumenty fundacyjne Uniwersytetu Wrocławskiego, hg. v. Ro´scisław ˙ Zerelik, Wrocław 2002, S. 13–27, hier S. 16–17.

¨ DTEBAULICH-ARCHITEKTONISCHE ENTWICKLUNG DIE STA KRAKAUS INTRA MUROS IM 14. UND 15. JAHRHUNDERT von Waldemar Komorowski*

I. Umgestaltung und Ausbau im 14. Jahrhundert

Die Kro¨nung Władysław Ellenlangs zum polnischen Ko¨nig (1320) festigte Krakaus Rolle als Hauptstadt des wiedervereinigten polnischen Ko¨nigreiches.1 Unter seinen Nachfolgern – Kasimir dem Großen (1333–1370) und Ludwig I. von Ungarn (1370–1382) – wuchs die kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung der Stadt kra¨ftig weiter.2 Im 14. Jahrhundert besaß Krakau zusammen mit seinen Vor- bzw. Nebensta¨dten Kazimierz und Kleparz ungefa¨hr 12 000 bis 15 000 Einwohner. Etwa die Ha¨lfte von ihnen waren Polen, etwas weniger als die Ha¨lfte Deutsche, die vor allem die wohlhabende Schicht des Patriziats und somit auch mehrheitlich die Mitglieder des Stadtrats sowie die Zunfta¨ltesten stellten; Italiener und Juden machten hingegen * Aktualisierte und u¨berarbeitete Fassung des Aufsatzes „Rozwo´j urbanistyczno-architektoniczny Kra-

kowa intra muros w s´ redniowieczu (od połowy XlV wieku)“ [Urbanistisch-architektonische Entwicklung Krakaus intra muros im Mittelalter (seit der Mitte des 14. Jahrhunderts)], aus: Krako´w. Nowe stu¨ bersetzung des Ausdia nad rozwojem miast, hg. v. Jerzy Wyrozumski, Krako´w 2007, S. 153–188; U gangstextes Herbert Ulrich. 1 Zur allgemeinen Stadtgeschichte vgl. Jerzy Wyrozumski, Dzieje Krakowa. Tom 1: Krako´w do schyłku wieko´w s´ rednich [Geschichte Krakaus. Bd. 1: Krakau bis zum Ausgang des Mittelalters], Krako´w 1992; Janina Bieniarzo´wna/Jan M. Małecki, Dzieje Krakowa. Tom 2: Krako´w w wiekach XVI–XVIII [Geschichte Krakaus. Bd. 2: Krakau im 16. – 18. Jahrhundert], Krako´w 1984; zur architektur- und kunsthistorischen Entwicklung der Stadt vgl. Tadeusz Dobrowolski, Sztuka Krakowa [Die Kunst Krakaus], 5. Aufl. Krako´w 1978 (obwohl in Detailfragen bereits weitgehend u¨berholt noch immer das einzige vollsta¨ndige Kompendium mit zahlreichen treffenden Verallgemeinerungen); Marian Fabianski/Jacek ´ Purchla, Historia architektury Krakowa w zarysie [Abriss der Architekturgeschichte Krakaus], Krako´w 2001; Bogusław Krasnowolski, Architektura krakowska do 1795 r.: zjawiska kluczowe i pro´ba periodyzacji [Die Krakauer Architektur bis 1795: Schlu¨sselpha¨nomene und Versuch einer Periodisierung], in: Sztuka Krakowa dzisiaj (im Druck). 2 Maria Bogucka, Krako´w – Warszawa – Gdansk: ´ tro´jkat ˛ stołeczno´sci jako wyraz policentryzmu polskiej urbanizacji [Krakau – Warschau – Danzig: das Hauptstadtdreieck als Ausdruck des Polyzen´ trismus der polnischen Urbanisierung], in: Krako´w – Małopolska w Europie Srodka. Studia ku czci profesora Jana M. Małeckiego w siedemdziesiat˛ a˛ rocznic˛e urodzin, hg. v. Krzysztof Bronski/Jacek ´ Purchla/Jan Szpak, Krako´w 1996, S. 73–77; Roman Grodecki, Kongres krakowski w roku 1364 [Der Krakauer Kongress im Jahre 1364], Warszawa 1939 (Reprint Krako´w 1995), S. 62–65; Wyrozumski, Dzieje (wie Anm. 1), S. 514–518.

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Waldemar Komorowski

nur einen geringen Prozentsatz der Stadtbevo¨lkerung aus.3 Die wohlhabendsten und einflussreichsten Bu¨rger besaßen Immobilien im Zentrum der Stadt. Am Ringplatz besaßen die Vertreter der ersten Siedler und ihrer Familien ihre Wohnha¨user oder Grundstu¨cke; hier lagen die Ha¨user der a¨ltesten Krakauer Vo¨gte, und hier wohnten auch Kaufleute und reiche Handwerker sowie sta¨dtische Beamte. Die Anwesen der Ratsherren und Scho¨ffen außerhalb des Ringplatzes konzentrierten sich in der Bru¨der-, der Tischler- und der Stefansgasse. Die Kaufleute bewohnten hauptsa¨chlich die Florians-, die Johannis- und die Sławkowskagasse. Die aus Goldschmieden und Ku¨rschnern hervorgegangene Finanzelite wohnte in der Burggasse.4 Die Straßennamen zeugen von Verbindungen mit bestimmten Berufsgruppen (Schusteroder Metzgergasse), doch von einer Aufteilung der Berufe in sta¨dtische Bezirke kann kaum die Rede sein.5 Die Anwesen der Ritter (der Adligen) und des Klerus waren im Stadtteil Oko´ł konzentriert; nur ausnahmsweise besaßen Vertreter dieser Gruppe Grundstu¨cke auf dem Gebiet der hauptsa¨chlich vom Bu¨rgertum bewohnten Rechtsstadt.6 Die schnelle Entwicklung von Handwerk und Handel im 14. Jahrhundert sta¨rkte die wirtschaftliche Funktion der Stadt und ihre politische Bedeutung. Die gu¨nstige Lage an der Kreuzung wichtiger Handelsstraßen und zahlreiche ihr von Władysław Ellenlang, Kasimir dem Großen und Ludwig I. von Ungarn gewa¨hrte Privilegien (Stapelrecht, Wegezwang, Zollbefreiung) befo¨rderten Krakaus aktive Teilnahme am internationalen Handel. Im Jahre 1306 erhielt die Stadt das Stapelrecht fu¨r Kupfer; seither hatte sie im Ko¨nigreich Polen wachsenden Anteil und mit der Zeit beinahe eine vo¨llige Monopolstellung im Handel mit diesem Metall. Dessen Anfa¨nge gingen in Gestalt eines Exports des aus Nordungarn (Slowakei) stammenden Kupfers via Danzig nach Flandern und England in die 1290er Jahre zuru¨ck. In der Gegenrichtung wurde Ungarn zu einem Hauptabnehmer der u¨ber Nord- und Ostseee nach Danzig gebrachten Tuchwaren.7 Die Krakauer Kaufleute nahmen erfolgreich eine Mitt-

3 Stanisław Kutrzeba/Jan Pta´snik, Dzieje handlu i kupiectwa krakowskiego [Geschichte des Handels

und der Kaufmannschaft in Krakau], in: Rocznik Krakowski 14 (1912), S. 1–183, hier S. 66–73, 96–98; Jan Pta´snik, Studia nad patrycjatem krakowskim wieko´w s´ rednich [Studien zum Krakauer Patriziat im Mittelalter], in: Rocznik Krakowski 15 (1913), S. 23–95, hier S. 87–92; Ders., Włoski Krako´w za Kazimierza Wielkiego i Władysława Jagiełły [Das italienische Krakau unter Kasimir dem Großen und Władysław Jagiełło], in: Rocznik Krakowski 13 (1911), S. 49–110; Wyrozumski, Dzieje (wie Anm. 1), ´ S. 314–327; Ders., Gospodarcze podstawy Polski jagiellonskiej [Wirtschaftliche Grundlagen des jagiellonischen Polen], in: Krako´w – Małopolska (wie Anm. 2), S. 61–72, hier S. 63, 68. 4 Jerzy Pietrusinski, ´ Złotnicy krakowscy XIV–XVI wieku i ich cech [Die Krakauer Goldschmiede des 14. – 16. Jahrhunderts und ihre Zunft], Bd. 1, Warszawa 2000, S. 25; Jerzy Rajman, Zespo´ł osadniczy, proces lokacji, mieszczanie do roku 1333 [Siedlungsensemble, Lokationsprozess, Bu¨rgerschaft bis zum Jahre 1333], Krako´w 2004, S. 244–350. 5 Ebd., S. 358–359. 6 Waldemar Niewalda/Halina Rojkowska, Zabudowa rezydencjonalna (moznowładcza) ˙ dawnego Okołu w XVI wieku [Die Residenzbauten (der Magnaten) des fru¨heren Oko´ł im 16. Jahrhundert], in: Mi˛edzy gotykiem i barokiem. Sztuka Krakowa XVI i XVII wieku, hg. v. El˙zbieta Fiałek, Krako´w 1997, S. 167–190, hier S. 168; Rajman, Zespo´ł (wie Anm. 4), S. 342–343. 7 Jan Dabrowski, ˛ Krako´w a W˛egry w wiekach s´ rednich [Krakau und Ungarn im Mittelalter], in: Rocznik Krakowski 13 (1911), S. 187–250, hier S. 221–223.

Die sta¨dtebaulich-architektonische Entwicklung Krakaus intra muros

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lerstellung in diesem Transithandel ein und na¨herten sich auf diese Weise auch der Hanse an. Schließlich ist Krakau seit 1387 auch als Hansestadt bezeugt.8 Ihre grundlegende Gestalt nahm die Stadt im Verlauf der ersten hundert Jahre nach der Lokation an. Damals entstand ihr Grundriss mit einem regelma¨ßigen Straßennetz und einem großen Ringplatz, entstanden ein Rathaus, die a¨ltesten Handelsgeba¨ude, neue Kirchen und bereits zahlreiche gemauerte Ha¨user; alle diese Geba¨ude legten die ra¨umliche Struktur der Stadt fest.9 Krakau absorbierte den unfertigen Organismus des Stadtteils Oko´ł (die letzte, wohl auf diesen bezogene Erwa¨hnung einer Nova civitas stammt aus dem Jahre 1346)10 und verband sich mit der ko¨niglichen Wawelburg durch Wehrmauern, die eine Fortentwicklung des seit u¨ber einem halben Jahrhundert entwickelten Befestigungssystems darstellten.11 Damit ergab sich zwangsla¨ufig die Notwendigkeit einer Rekapitulierung der bisherigen Entwicklung einschließlich eventueller Umwertungen. Beides kam sowohl symbolisch wie faktisch in dem großen Privileg von 1358 zum Ausdruck, in dem Ko¨nig Kasimir der Große die bisherigen Rechte und den ¨ berzeugung Besitzstand der Stadt neu ordnete und erweiterte, womit er seiner U von der außergewo¨hnlichen Rolle und Bedeutung Krakaus Ausdruck verlieh. Der in dieser außergewo¨hnlichen Urkunde gea¨ußerte ko¨nigliche Wunsch, dass „die Stadt an den vortrefflichsten Orten nicht durch unscho¨ne Geba¨ude verunstaltet wird“,12

8 Stanisław Kutrzeba, Handel Krakowa w wiekach s´ rednich [Der Handel Krakaus im Mittelalter],

Krako´w 1902; Kutrzeba/Pta´snik, Dzieje handlu (wie Anm. 3), S. 3–21; Danuta Molenda, Eksploa´ ˙ tacja rud miedzi i handel miedzia˛ w Polsce w po´znym s´ redniowieczu i poczatkach ˛ nowozytno´ sci (do 1795 r.) [Die Ausbeutung der Kupfererzvorkommen und der Kupferhandel in Polen im Spa¨tmittelalter und am Beginn der Neuzeit (bis 1795)], in: Przeglad ˛ Historyczny 80 (1989), 4, S. 801–814, hier S. 811–813; Michał Niezabitowski/Jacek Salwinski, ´ Mi˛edzy Hanza˛ a Lewantem. Europejskie centrum handlowe i kupiectwa. Katalog wystawy w Muzeum Historycznym Miasta Krakowa. XII 1995 – III 1996 [Zwischen Hanse und Levante. Ein europa¨isches Handels- und Kaufmannszentrum. Katalog der Ausstellung im Historischen Museum der Stadt Krakau, Dezember 1995 bis Ma¨rz 1996], Krako´w 1995, S. 14–17; Wyrozumski, Dzieje (wie Anm. 1), S. 212–237; Ders., Gospodarcze podstawy (wie Anm. 3), S. 69–72; Ders., Krako´w a Hanza w wiekach s´ rednich [Krakau und die Hanse im Mittelalter], in : Zeszyty Naukowe UJ. Prace Historyczne 74 (1985), S. 57–66; Ders., Krako´w s´ redniowieczny jako o´srodek produkcji i handlu tekstylnego [Das mittelalterliche Krakau als Zentrum der Textilproduktion und des Tuchhandels], in: Z przeszło´sci Krakowa, hg. v. Jan M. Małecki, Warszawa/Krako´w 1989, S. 25–49, hier S. 31–36. 9 In der Mitte des 14. Jahrhunderts gab es in Krakau ungefa¨hr 100–120 gemauerte Ha¨user, was ihm den Rang einer mit keinem anderen sta¨dtischen Zentrum in Polen vergleichbaren Stadt verlieh; Waldemar Komorowski, Najstarsze kamienice krakowskie [Die a¨ltesten Krakauer Ha¨user], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 42 (1997), 2, S. 107–119. 10 Wyrozumski, Dzieje (wie Anm. 1), S. 261. 11 Jarosław Widawski, Miejskie mury obronne w panstwie ´ polskim do poczatku ˛ XV w. [Sta¨dtische Wehrmauern im polnischen Staat bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts], Warszawa 1973, Tafeln 117–120; Wyrozumski, Dzieje (wie Anm. 1), S. 184–185, 275; Halina Rojkowska/Waldemar Niewalda, Mury obronne Krakowa do czasu ich wyburzenia [Die Befestigungsmauern Krakaus bis zu ihrer Niederlegung], Krako´w 1997, S. 501, 511, 520. 12 Bozena ˙ Wyrozumska, Dwa wielkie przywileje s´ redniowiecznego Krakowa [Zwei große Privilegien des mittelalterlichen Krakau], Krako´w 1994, S. 14. Siehe Wyrozumski, Dzieje (wie Anm. 1), S. 232–233, 237.

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Abb. 1: Die Lokationsstadt Krakau Mitte 14. Jahrhundert 1 – Ko¨nigsschloss, 2 – Kathedrale, 3 – Rotunde St. Felix und Adaukt, 4 – St. Michael, 5 – St. Georg, ¨ gidius, 7 – St. Martin, 8 – St. Andreas, 9 – Allerheiligenkirche, 10 – Franziskanerkirche und 6 – St. A -kloster, 11 – Dominikanerkirche und -kloster, 12 – St. Adalbert, 13 – Marienkirche, 14 – Rathaus, 15 – Tuchhallen und Kramla¨den, 16 – Große Waage, 17 – St. Stephanus, 18 – St. Markus, 19 – St. Johannes, 20 – Heiligkreuzkirche, 21 – Hl.-Geist-Kirche, 22 – St. Hedwig, 23 – Kloster und Kirche auf dem „Felsen“, 24 – St. Laurentius, 25 – Corpus-Cristi-Kirche und -Kloster (im Bau), 26 – St. Jakobus, 27 – St. Maria-in-Arena und Karmelitenkloster, 28 – St. Florian, 29 – St. Nikolaus

Die sta¨dtebaulich-architektonische Entwicklung Krakaus intra muros

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bewies einerseits die Sorge des Monarchen um das in a¨sthetischen Kategorien gemessene Aussehen der Stadt und zeugte andererseits davon, dass wesentliche Vera¨nderungen in ihrer Substanz in Gang gesetzt werden sollten oder bereits begonnen hatten.13 Dies besta¨tigen zahlreiche materielle Spuren, insbesondere im zentralen Teil Krakaus. Die a¨lteste Phase der Bewirtschaftung des Ringplatzes, die mit der Zeit der ersten hundert Jahre des Bestehens der Rechtsstadt identisch ist, zeichnete sich durch eine deutliche urbanistische Unordnung aus, die sich in einer unterschiedlichen Situierung der errichteten Objekte und einem der Straßenfront gegenu¨ber schra¨gen Verlauf der gepflasterten Verkehrswege a¨ußerte. Eine Ausnahme bildeten das Geba¨ude der Tuchhallen mitsamt der westlich von ihnen liegenden Holzbebauung sowie das Geba¨ude des Rathauses, das mit seiner Orientierung an die Ringplatzfronten anknu¨pfte.14 Die 13 Andrzej Wyrobisz, Budownictwo murowane w Małopolsce w XIV i XV wieku [Der Steinbau in

Kleinpolen im 14. und 15. Jahrhundert], Wrocław u. a. 1963, S. 61.

14 Nach Cezary Bu´sko, der mit einem Team die U ¨ berreste der im 19. Jahrhunderts zersto¨rten Geba¨ude

am Ringplatz untersucht hat, waren die ersten dauerhaften Handelsgeba¨ude einige der in der zweiten Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts entstandenen gemauerten Ha¨user, die sich etwas o¨stlich der heutigen Tuchhallen befanden. Dieses Ensemble bestand aus zwei (durch ein 5–6 m breites Ga¨sschen getrennten) ungefa¨hr parallelen Reihen mit je drei oder vier selbsta¨ndigen zweisto¨ckigen Geba¨uden im Ausmaß von 16 × 6 m. Im Erdgeschoss jedes dieser Geba¨ude befanden sich urspru¨nglich 3 und schließlich 6 in den Boden eingetiefte Lagerra¨ume, u¨ber denen sich die eigentlichen Verkaufsra¨ume befanden. Wenn wir annehmen, dass sie die im unteren Stockwerk festgestellte ra¨umliche Gliederung wiederholten, dann muss damit gerechnet werden, dass es in dem gesamten besprochenen Komplex 36 oder 48 Kramla¨den gab. Auf der westlichen Seite (an der Stelle der heutigen Tuchhallen) grenzte an diesen Komplex ein Ensemble von Holzgeba¨uden bzw. -zellen an, die ebenfalls in zwei Reihen standen, die durch einen etwa 6 m breiten gepflasterten Weg getrennt waren. Die Funktion dieser Geba¨ude ist immer noch Gegenstand der Diskussion. Die Ergebnisse der letzten Untersuchungen legen es nahe, dass es sich bei den gemauerten Objekten um die a¨ltesten ‚Reichen Kramla¨den‘ und bei denjenigen aus Holz um Tuchhallen handelte. Nach Aldona Sudacka mu¨ssen die aufgedeckten Reste von Steinbauten hingegen nach aus anderen Sta¨dten bekannten Analogien als die ersten Tuchhallen, genauer als die in der Loaktionsurkunde genannten „Tuchkammern“ gedeutet werden, wa¨hrend der a¨lteste Holzbau an der Stelle der heutigen Tuchhallen als Handelsplatz (Bank) der Ba¨cker interpretiert werden mu¨sse. Die Bebauung mit steinernen Handelsha¨usern wurde durch a¨hnliche Funktionen erfu¨llende Holzgeba¨ude erga¨nzt. Bisher konnten zwei solcher Objekte in Form (u¨ber 15 m) langer Geba¨ude identifiziert werden, die zu Beginn des 14. Jahrhunderts parallel zum nordwestlichen Teil der Tuchhallen errichtet wurden. Die Verkehrsfunktion des Ringplatzes machte die Schaffung entsprechender Wege notwendig, die die Durchfahrt von Wagen u¨ber den oft schlammigen Platz ermo¨glichten. Außer der bereits erwa¨hnten Pflasterung, die durch die Mitte der Tuchhallen verlief, haben die archa¨ologischen Untersuchungen drei weitere, sorgfa¨ltig gepflasterte und mit Bordkanten aus Holz eingefasste Wege mit einer Breite von 5–7 m zu Tage gefo¨rdert. Der erste fu¨hrte vom Nordteil des Platzes in Richtung der Schustergasse, der zweite von der Mu¨ndung der Johannisgasse zu dem durch die Mitte der Reichen Kramla¨den verlaufenden Ga¨sschen, und der dritte von der Mu¨ndung der Stefans- und der Sławkowskagasse in Richtung der Marienkirche, an der er ho¨chstwahrscheinlich zur Burggasse hin abbog. Die neuesten Befunde in der Frage der ersten Bebauung des Ringplatzes gru¨nden sich auf die Ergebnisse archa¨ologischer Untersuchungen aus den Jahren 2004–2011; dazu Emil Zaitz, Sprawozdanie z badan´ archeologicznych prowadzonych w Krakowie w 2004 r. przy przebudowie nawierzchni płyty Rynku Gło´wnego po zachodniej stronie Sukiennic [Bericht u¨ber die 2004 in Krakau durchgefu¨hrten archa¨ologischen Untersuchungen beim Umbau des Ringplatzes auf der westlichen Seite der Tuchhallen], in: Materiały Archeologiczne 36 (2006), S. 79–142; Waldemar Komorowski/Aldona Sudacka, Rynek Gło´wny w Krakowie [Der Ringplatz in Krakau], Wrocław u. a. 2008; Aldona Sudacka, Wyniki kwerendy archiwalnej dotyczacej ˛ zabudowy handlowej Rynku w Krakowie [Ergebnisse der Archivrecher-

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Handelsgeba¨ude machten nach der Mitte des 14. Jahrhunderts eine so bedeutsame Metamorphose durch, dass man geradezu von einer Wende sprechen kann; die Entscheidung u¨ber die Aufgabe und den teilweisen Abriss der urspru¨nglichen so genannten ‚Reichen Kramla¨den‘ und die Errichtung neuer an ihrer Stelle zeugt von der Entschlossenheit der Stadtbeho¨rden, die besten Bedingungen fu¨r den sich dynamisch entwickelnden Handel zu gewa¨hrleisten, besonders fu¨r den Fernhandel, der eine der Sa¨ulen des sta¨dtischen Wohlstands bildete. Die neuen Reichen Kramla¨den bestanden aus 64 Zellen, die symmetrisch entlang der von Su¨den nach Norden fu¨hrenden Gasse situiert waren und in der Mitte von einem Quertrakt durchschnitten wurden. Die aus Holz errichteten Tuchhallen wurden durch ein gemauertes Geba¨ude ersetzt.15 Sie besaßen die gleiche innere Anordnung wie die Kramla¨den – den Zugang zu den einzelnen Kammern ermo¨glichte eine innere Gasse, die sich auf halber La¨nge mit einem Querdurchgang kreuzte. Aber die innere Gestalt der Reichen Kramla¨den und der Tuchhallen war unterschiedlich. Die Tuchhallen hatten die Form eines basilikaa¨hnlichen Geba¨udes mit einem u¨ber der Straße gelegenen mittleren Etagenteil, wa¨hrend die Reichen Kramla¨den aus zwei parallelen Reihen von Parterregeba¨uden bestanden, die jeweils eigene Da¨cher besaßen, so dass die Gasse zwischen ihnen keine eigene Bedachung beno¨tigte. Die Tuchhallen waren nicht nur imposanter, sondern auch mit architektonischen Dekorationen geschmu¨ckt. In den Giebelfassaden befanden sich bis heute erhaltene spitzbo¨gige Torpaare. Die westliche Reihe der Tuchhallen-Kramla¨den wurde von Norden und Su¨den durch Etagengeba¨ude der Tuchscherer abgeschlossen, in denen sich auch das Kontrollamt fu¨r den Tuchverkehr befand. Die Arbeiten an den Tuchhallen wurden die ganze zweite Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts hindurch in zwei Etappen durchgefu¨hrt und in den ersten Jahren des darauffolgenden Jahrhunderts abgeschlossen (Martin Lindintolde, dem die Errichtung des gesamten

chen zur Bebauung des Ringplatzes in Krakau mit Handelsha¨usern], in: Krzysztofory. Zeszyty Naukowe Muzeum Historycznego Miasta Krakowa 26 (2008), S. 77–102; Dies., Sukiennice – s´ wiadek dziejo´w Krakowa [Die Tuchhallen – Zeugen der Geschichte Krakaus], in: Urbs celeberrima. Ksi˛ega z okazji jubileuszu 750-lecia lokacji Krakowa, hg. v. Andrzej Grzybowski u. a., Krako´w 2008, S. 203–233; Cezary Bu´sko, Krakowski Rynek Gło´wny w s´ wietle badan´ archeologicznych przeprowadzonych w latach 2005–2007 [Der Krakauer Ringplatz im Licht der archa¨ologischen Untersuchungen der Jahre 2005–2007], in: Florencja i Krako´w. Miasta partnerskie w Europie – wspo´łczesne dziedzictwo kultury, Krako´w 2010, S. 49–65; Sławomir Dryja u. a., Sukiennice krakowskie – fazy budowy [Die Krakauer Tuchhallen – Bauphasen], in: Krzysztofory. Zeszyty Naukowe Muzeum Historycznego Miasta Krakowa 28, 1 (2010), S. 173–198; Piotr Opalinski, ´ Rekonstrukcja cyfrowa infrastruktury architektonicznej rynku krakowskiego w XIV i XV wieku [Digitale Rekonstruktion der architektonischen Infrastruktur des Krakauer Ringplatzes im 14. und 15. Jahrhundert], in: ebd., S. 113–128; Sławomir Dryja/Wojciech Głowa/Waldemar Niewalda/Stanisław Sławinski, ´ Die Innenbebauung des Krakauer Ringplatzes im Mittelalter, in diesem Band, S. 279–294; Cezary Bu´sko u. a., Gło´wne kierunki rozwoju krakowskiego Rynku Gło´wnego od połowy XIII po poczatek ˛ XVI wieku [Die Hauptentwicklungslinien des Krakauer Ringplatzes von der Mitte des 13. bis zu Beginn des 16. Jahrhunderts], in: II Forum Architecturae Poloniae Medievalis 2009 (Czasopismo Techniczne 7-A), hg. v. Klaudia Stala, Krako´w 2011, S. 49–65. 15 Bu´sko u. a., Gło´wne kierunki (wie Anm. 14), S. 56; Dryja u. a., Sukiennice (wie Anm. 14), S. 185–187; nach Ansicht von Sudacka, Wyniki kwerendy (wie Anm. 14), S. 85–87; Dies., Sukiennice (wie Anm. 14), S. 208 war dies eine weitere Umgestaltung der a¨lteren Tuchhallen.

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Geba¨udes zugeschrieben wird, ist in den Quellen zum Jahr 1392 lediglich als Baumeister eines der Gewo¨lbe der Tuchscherer belegt).16 Die mehrere Jahrzehnte dauernde Vera¨nderung des Ringplatzes wurde durch die Errichtung gemauerter Geba¨ude fu¨r die Große Waage (an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert)17 und die Kleine Waage (um 1405)18 abgeschlossen. Beide Waagen waren die gro¨ßten Geba¨ude dieser

16 Vgl. Architektura gotycka w Polsce. Cz˛es´ c´ 2: Katalog zabytko´w [Gotische Architektur in Polen.

Teil 2: Katalog der Denkma¨ler], hg. v. Andrzej Włodarek, Warszawa 1995, S. 119, 315; Paul Crossley, Gothic Architecture in the Reign of Kazimir the Great. Church Architecture in Lesser Poland 1320–1380, Krako´w 1985, S. 397; Teofil Debowski, ˛ Badania archeologiczne Sukiennic krakowskich [Archa¨ologische Untersuchungen der Krakauer Tuchhallen], in: Kwartalnik Historii Kultury Materialnej 29 (1981), S. 451–458; Jo´zef S. Jamroz, Układ przestrzenny miasta Krakowa przed i po lokacji 1257 roku [Die ra¨umliche Ordnung der Stadt Krakau vor und nach der Lokation von 1257], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 12 (1967), 1, S. 17–49, hier S. 31; Waldemar Komorowski/ Bogusław Krasnowolski, Architektoniczny pejza˙z Krakowa około roku 1400 [Die architektonische Landschaft Krakaus um das Jahr 1400], in: Sztuka około 1400. Materiały Sesji Stowarszyszenia His´ Bd. 1, Warszawa 1996, S. 105–126, hier S. 108 und Anm. 22; toryko´w Sztuki, listopad 1995, Poznan, Andrzej B. Krupinski, ´ Hala Sukiennic w s´ wietle badan´ architektonicznych [Das Geba¨ude der Tuchhallen im Lichte archa¨ologischer Untersuchungen], in: Kwartalnik Historii Kultury Materialnej 29 (1981), 4, S. 459–462; Władysław Łuszczkiewicz, Sukiennice krakowskie. Dzieje gmachu [Die Krakauer Tuchhallen. Geschichte des Geba¨udes], Krako´w 1899, S. 6–20; Adam Miłobedzki, ˛ Zarys dziejo´w architektury w Polsce [Abriss der Geschichte der Architektur in Polen], Warszawa3 1978, S. 83; Najstarsze ksi˛egi i rachunki miasta Krakowa od r. 1300 do 1400 [Die a¨ltesten Bu¨cher und Rechnungen der Stadt Krakau von 1300 bis 1400], Teil 2, hg. v. Franciszek Piekosinski/Jo ´ ´ zef Szujski, Krako´w ´ 1878, S. 300–301; Stefan Swiszczowski, Sukiennice na Rynku Krakowskim w epoce gotyku i renesansu [Die Tuchhallen auf dem Krakauer Ringplatz in der Zeit der Gotik und der Renaissance], in: Biuletyn Historii Sztuki i Kultury 10 (1948), S. 285–309, hier S. 287–294; Stanisław Tomkowicz, Ulice i place Krakowa w ciagu ˛ dziejo´w, ich nazwy i zmiany postaci [Die Straßen und Pla¨tze Krakaus im Laufe der Geschichte, ihre Namen und Gestaltvera¨nderungen], Krako´w 1926, S. 23–24; Przemysław Tyszka, ´ ´ w [Das Bild Obraz przestrzeni miejskiej Krakowa XIV–XV wieku w s´ wiadomo´sci jego mieszkanco des sta¨dtischen Raumes von Krakau im 14. – 15. Jahrhundert im Bewusstsein seiner Bewohner], Lublin 2001, S. 91–126; Tomasz W˛ecławowicz, Małopolska i Ziemie Ruskie Korony [Kleinpolen und die ruthenischen Gebiete der Krone], in: Architektura gotycka w Polsce. Synteza (wie oben), S. 61–81, hier S. 63; Wyrobisz, Budownictwo murowane (wie Anm. 13), S. 64; Wiktor Zin/Władysław Grabski, Niekto´re problemy stratygraficzne Rynku krakowskiego [Einige stratigrafische Probleme des Kra´ kauer Ringplatzes], in: Sprawozdania z Posiedzen´ Komisji PAN Oddział w Krakowie, styczen-czer´ ´ dła do dziejo´w zabudowy zwiazanej wiec 1966, Krako´w 1967, S. 355–357, hier S. 357; Zro ˛ z handlem we wschodniej cz˛es´ ci Rynku Gło´wnego w Krakowie (XIV–XIX w.) [Quellen zur Geschichte der mit dem Handel verbundenen Bebauung im Ostteil des Ringplatzes in Krakau (14. – 19. Jahrhundert)], hg. v. Kamila Follprecht/Krystyna Jelonek-Litewka, Krako´w 2007, Nr. 152 (betrifft die Tuchschererei?); Sudacka, Wyniki kwerendy (wie Anm. 14), S. 85–86; Dies., Sukiennice (wie Anm. 14), S. 208; Bu´sko u. a., Gło´wne kierunki (wie Anm. 14), S. 56; Dryja u. a., Sukiennice (wie Anm. 14), S. 185–187. 17 Waldemar Komorowski, Krakowska Waga Wielka w s´ redniowieczu [Die Krakauer Große Waage im Mittelalter], in: Rocznik Krakowski 72 (2006), S. 33–44, hier S. 35; Stanisław Kutrzeba, Finanse Krakowa w wiekach s´ rednich [Die Krakauer Finanzen im Mittelalter], in: Rocznik Krakowski 3 ´ ´ Wielka Waga na krakowskim (1900), S. 27–149, hier S. 52–58; Katarzyna Schejbal-Deren/Marek Deren, Rynku w s´ wietle badan´ archeologicznych [Die Große Waage auf dem Krakauer Ringplatz im Licht der archa¨ologischen Untersuchungen], in: Krzysztofory. Zeszyty Naukowe Muzeum Historycznego Miasta Krakowa 28, 2 (2010), S. 7–30, hier S. 18. 18 Aldona Sudacka, Budynek Małej Wagi na Rynku krakowskim na podstawie zro ´ ´ deł historycznych [Das Geba¨ude der Kleinen Waage auf dem Krakauer Ringplatz auf der Grundlage historischer Quellen], in: Rocznik Krakowski 72 (2006), S. 45–55, hier S. 49; Dies., Wyniki kwerendy (wie Anm. 14), S. 94–95; Wojciech Głowa/Waldemar Niewalda/Stanisław Sławinski, ´ Budynek Małej

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Art im ganzen Ko¨nigreich (Abb. 2),19 was von der Bedeutung des Handels im Leben der Stadt und von der Dominanz Krakaus u¨ber andere sta¨dtische Zentren Polens auch auf diesem Gebiet zeugt.

Abb. 2: Ergrabene Mauerreste (2005) der Großen Waage, 15. Jahrhundert, am Ringplatz in Krakau Quelle: Waldemar Niewalda/Stanisław Sławinski, ´ Wielka waga na Rynku w Krakowie – interpretacja odkry´c i pro´ba rekonstruktcji [Die Große Waage auf dem Krakauer Ringplatz – Interpretation der Funde und Rekonstruktionsversuch], in: Krzysztofory. Zeszyty Naukowe Muzeum Historyczneoge Miasta Krakowa 28 (2010), 1, S. 265–274

Den Ho¨hepunkt des Umbaus des Ringplatzes im ideologischen Sinn bildete die Umgestaltung des Rathausturmes, der betra¨chtlich erho¨ht wurde und dadurch einen der imposantesten mittelalterlichen Tu¨rme bildete, womit der Ehrgeiz der Hauptstadt zum Ausdruck gebracht wurde.20 Aus der Umbauzeit stammt die Steindekoration des Turmes, die an Ausschmu¨ckungen ko¨niglicher Stiftungen erinnert. Hier Wagi na Rynku krakowskim – pro´ba rekonstrukcji [Das Geba¨ude der Kleinen Waage – Rekonstruktionsversuch], in: Krzysztofory. Zeszyty Naukowe Muzeum Historycznego Miasta Krakowa 28, 2 (2010), S. 51–64, hier S. 53–57; vgl. auch Kutrzeba, Finanse Krakowa (wie Anm. 17), S. 58. 19 Vgl. Komorowski, Krakowska Waga (wie Anm. 17), S. 43. 20 Architektura gotycka w Polsce. Katalog zabytko´w (wie Anm. 16), S. 118–119, 315; Waldemar Komorowski, Krakowski ratusz w s´ redniowieczu i domniemany Dwo´r Artusa w Krakowie [Das Krakauer Rathaus im Mittelalter und der mutmaßliche Artushof in Krakau], in: Rocznik Krakowski 64 (1998), S. 7–34, hier S. 13, 25; Ders., Ratusz krakowski [Das Krakauer Rathaus], in: Urbs celeberrima (wie

Die sta¨dtebaulich-architektonische Entwicklung Krakaus intra muros

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haben wir es mit einem der fru¨hesten Belege fu¨r das Bestreben des Patriziats zu tun, dem Monarchen und den Magnaten nicht nachzustehen.21 Beim Rathaus wurden auch neue Geba¨ude fu¨r die ihre Kompetenzen ausweitenden sta¨dtischen Beho¨rden errichtet. So entstand in den Jahren 1397/99 u. a. ein Haus fu¨r den Notar, dessen Gestalt heute unbekannt ist, in seiner Gro¨ße aber dem Sitz des Magistrats wahrscheinlich nicht nachstand.22 Der Ringplatz wurde neu geordnet23 und feste Stellen fu¨r den Handel festgelegt. Außer in den Tuchhallen und den Reichen Kramla¨den wurden auch in vielen kleineren Objekten Waren verkauft. Die kleineren freien Ra¨ume zwischen der bereits dichten Bebauung in der Mitte des Ringplatzes und den Ha¨usern wurde fu¨r Spezialma¨rkte genutzt – als Bleimarkt (depositorium plumbi), Salzmarkt (forum salis), Kohlenmarkt (forum carbonarium) oder Hu¨hnermarkt (forum gallorum). Ihre Lage war vera¨nderlich, aber allgemein kann festgestellt werden, dass der Lebensmittelhandel im no¨rdlichen und westlichen Teil des Ringplatzes stattfand, der Handel mit den u¨brigen Waren dagegen hauptsa¨chlich im Su¨d- und Ostteil.24 In die zweite Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts fa¨llt der Ho¨hepunkt der Entwicklung der mittelalterlichen Sakralarchitektur. Die Verbindung der verfeinerten Baukunst mit dem bereits fundierten Pfeiler- und Strebensystem, das die Anwendung von Stu¨tzbo¨gen u¨berflu¨ssig machte (in der a¨lteren Literatur wird es als „Krakauer System“ bezeichnet), trug zur Entstehung der besten Werke der Hochgotik bei. Der fru¨her ausgebildete Kirchentyp mit verla¨ngertem Presbyterium und basilikafo¨rmigem Anm. 14), S. 174–201, hier S. 176–178; Marek Walczak, Przyczynek do badan´ nad wie˙za˛ Ratuszowa˛ w Krakowie [Ein Beitrag zu den Forschungen u¨ber den Krakauer Rathausturm], in: Folia Historiae Artium 12 (2009), S. 21–53; Marcin Fabianski, ´ Heretycy a sprawa domniemanej kaplicy ratusza krakowskiego [Die Ha¨retiker und die Frage der vermeintlichen Krakauer Rathauskapelle], in: Rocznik Krakowski 76 (2010), S. 145–147; Stanisław Tomkowicz, Wie˙za dawnego ratusza na rynku krakowskim [Der Turm des fru¨heren Rathauses auf dem Krakauer Ringplatz], in: Rocznik Krakowski 23 (1932), S. 1–16, hier S. 2. 21 Andrzej Grzybkowski, Architektura polska około roku 1400 [Die polnische Architektur um 1400], ´ ´ in: Polska około roku 1400. Panstwo, społeczenstwo, kultura, hg. v. Wojciech Fałkowski, Warszawa 2001, S. 83–125, hier S. 111; Adam Miłobedzki, ˛ Architektura Kro´lestwa Polski w XV wieku [Die Architektur des Ko¨nigreiches Polen im 15. Jahrhundert], in: Sztuka i ideologia XV wieku. Materiały sympozjum Komitetu Nauk o Sztuce Polskiej Akademii Nauk, Warszawa 1–4 grudnia 1976 r., hg. v. Jerzy Skubiszewski, Warszawa 1978, S. 461–477, hier S. 472 und Anm. 40. 22 Bozena ˙ Wyrozumska, Kancelaria miasta Krakowa w s´ redniowieczu [Die Kanzlei der Stadt Krakau im Mittelalter], Krako´w 1995, S. 46–47. 23 In der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts verschwinden die schra¨g verlaufenden und mit Bordkanten umrahmten Pflasterungen. Wahrscheinlich wurde der Verkehr in die Nachbarschaft der den Platz umgebenden Straßenfronten verlegt; bei dem einzigen wa¨hrend der archa¨ologischen Untersuchungen auf der Fla¨che des Ringplatzes freigelegten Verkehrsweg handelt es sich um einen 12 m breiten gepflasterten Weg, der vom Geba¨ude der Tuchhallen nach Su¨den, zur Mu¨ndung der Bru¨dergasse, und nach Norden, zur Johannisgasse, fu¨hrte. Im zweiten dieser Abschnitte wurden Kra¨mersta¨nde identifiziert, die sich ideal in die regula¨re Ordnung einschrieben. Das waren u¨berdachte Ba¨nke, die in parallel zum Verlauf der gepflasterten Straße ausgerichteten Reihen aufgestellt waren; vgl. Bu´sko u. a., Gło´wne kierunki (wie Anm. 14), S. 56; Dryja u. a., Sukiennice krakowskie (wie Anm. 14), S. 183. 24 Tomkowicz, Ulice i place (wie Anm. 16), S. 17–20. Siehe Janina Bieniarzo ´ wna, Krakowskie targi w dawnych wiekach [Die Krakauer Ma¨rkte in den vergangenen Jahrhunderten], in: Krako´w, przestrzenie kulturowe, hg. v. Jan Bijak u. a., Krako´w 1993, S. 51–62, hier S. 51; Tyszka, Obraz przestrzeni (wie Anm. 16), S. 87–88, 102; Sudacka, Wyniki kwerendy (wie Anm. 14), S. 99; Bu´sko u. a., Gło´wne kierunki (wie Anm. 14), S. 54–55.

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dreischiffigen Korpus erfuhr in Krakau eine imponierende Verwirklichung in zwei monumentalen Gottesha¨usern – der Dominikanerkirche zur Hl. Dreifaltigkeit und in der Marienkirche.25 Die Datierung des Umbaus der urspru¨nglichen hallenfo¨rmigen Bauko¨rper beider Kirchen wird von verschiedenen Autoren unterschiedlich angesetzt. Wir ko¨nnen an dieser Stelle daher lediglich allgemein feststellten, dass die Bauarbeiten sowohl in der Dominikaner-26 als auch in der Stadtpfarrkirche St. Marien vor dem Ende des Jahrhunderts abgeschlossen wurden. Im Fall der Marienkirche fu¨hrte sie in den Jahren 1395/97 der Prager Meister Nicolaus Werner durch.27 Das schlanke Presbyterium der Marienkirche (eine Privatstiftung des Nicolaus Wirsing), die mit der in Kleinpolen gro¨ßten Gruppe von Figuralskulpturen geschmu¨ckt ist, wurde sicher in den Jahren 1350/60 erbaut. Mehr oder weniger zu dieser Zeit wurde

25 Crossley, Gothic Architecture (wie Anm. 16), S. 383–384, 392–397; Grzybkowski, Architektura

polska (wie Anm. 21), S. 85, 90, 92, 94; Krasnowolski, Architektura krakowska (wie Anm. 1), S. 14; ´ Adam Miłobedzki, ˛ Po´znogotyckie typy sakralne w architekturze ziem polskich [Spa¨tgotische Sakral´ gotyk. Studia nad sztuka˛ przełomu s´ redtypen in der Architektur der polnischen Gebiete], in: Po´zny ˙ niowiecza i czaso´w nowozytnich. Materiały Sesji Stowarzyszenia Historyko´w Sztuki, hg. v. Henryk Białosko´rski, Wrocław 1962, Warszawa 1965, S. 83–112, hier S. 85, 90; Ders., Zarys dziejo´w architektury (wie Anm. 16), S. 70; Ders., Architektura ziem Polski. Rozdział europejskiego dziedzictwa [Die Architektur der polnischen La¨nder. Ein Kapitel des europa¨ischen Erbes], Krako´w 1998, S. 22, 24, 26; Paweł Pencakowski, Gotyk w Krakowie [Die Gotik in Krakau], Krako´w 1986, S. 63; ˙ konstrukcj˛e ko´scioło´w krakowTomasz W˛ecławowicz, Gotyckie bazyliki Krakowa. „Czy mozna skich XIV wieku uwa˙za´c za cech˛e specjalna˛ ostrołuku w Polsce“ [Die gotischen Basiliken Krakaus. „Kann die Konstruktion der Krakauer Kirchen des 15. Jahrhunderts als spezielles Merkmal des Spitzbogens in Polen angesehen werden?“], Krako´w 1993, S. 45–46; Ders., Małopolska i Ziemie Ruskie (wie Anm. 16), S. 68–69; Ders., Fazy budowy ko´scioła Mariackiego: Modele rekonstrukcyjne dla Muzeum Historycznego Miasta Krakowa [Die Bauphasen der Marienkirche. Rekonstruktionsmodelle fu¨r das Historische Museum der Stadt Krakau], in: Krzysztofory. Zeszyty Naukowe Muzeum Historycznego Miasta Krakowa 28, 2 (2010), S. 65–76, hier S. 69–73. 26 Architektura gotycka w Polsce. Katalog zabytko´w (wie Anm. 16), S. 128–129, 317; Crossley, Gothic ´ ´ Architecture (wie Anm. 16), S. 395, 416; Jo´zef S. Jamroz, Sredniowieczna architektura dominikanska w Krakowie [Die mittelalterliche dominikanische Architektur in Krakau], in: Rocznik Krakowski ´ 41 (1970), S. 5–28, hier S. 26; Feliks Kopera, Sredniowieczna architektura ko´scioła i klasztoru OO. Dominikano´w w Krakowie [Die mittelalterliche Architektur der Kirche und des Klosters der Dominikanerpatres in Krakau], in: Rocznik Krakowski 20 (1926), S. 57–76, hier S. 72; Jo´zef Muczkow´ Tojcy w Krakowie [Die Dreifaltigkeitskirche in Krakau], in: Rocznik Krakowski 20 ski, Ko´scio´ł Sw. (1926), S. 40–57, hier S. 44–46, 49; W˛ecławowicz, Gotyckie bazyliki (wie Anm. 25), S. 9, 35; Ders., Małopolska i Ziemie Ruskie (wie Anm. 16), S. 71. 27 Architektura gotycka w Polsce. Katalog zabytko´w (wie Anm. 16), S. 124–125, 316; Marian Fried˙ berg, Załozenie i poczatkowe ˛ dzieje ko´scioła N. Panny Marii w Krakowie (XIII–XV w.) [Gru¨ndung und Anfangsgeschichte der Kirche Unserer Lieben Frau in Krakau (13. – 15. Jahrhundert)], in: Rocznik Krakowski 22 (1929), S. 1–131, hier S. 2–14; Crossley, Gothic Architecture (wie Anm. 16), S. 398–399; Jo´zef Lepiarczyk, Fazy budowy ko´scioła Mariackiego w Krakowie w wiekach XIII– XIV [Die Bauphasen der Marienkirche in Krakau im 13. – 14. Jahrhundert], in: Rocznik Krakowski 34 (1959), 3, S. 179–226, hier S. 207–215; Miłobedzki, ˛ Zarys dziejo´w architektury (wie Anm. 16), S. 77; Paweł Pencakowski, Kiedy powstał gotycki korpus ko´scioła Mariackiego w Krakowie i kto go budował [Wann entstand der gotische Korpus der Marienkirche in Krakau und wer erbaute ihn?], in: Magistro et amico – amici discipulique. Lechowi Kalinowskiemu w osiemdziesi˛eciolecie urodzin, hg. v. Jerzy Gadomski, Krako´w 2002, S. 245–255; W˛ecławowicz, Gotyckie bazyliki (wie Anm. 25), S. 12, 20, 28; Ders., Małopolska i Ziemie Ruskie (wie Anm. 16), S. 70; Wyrozumski, Dzieje (wie Anm. 1), S. 282–283.

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auch die westliche Vorhalle hinzugefu¨gt und im Wesentlichen der Nordturm aufgerichtet.28 ¨ gidius,29 Heiligkreuz,30 St. Markus,31 Im Fall der kleineren Kirchen – St. A 32 33 St. Stephanus und Allerheiligen – endete der langja¨hrige Bauprozess mit der Errichtung einer zweischiffigen Halle, einer fu¨r die zweite Stro¨mung des kleinpolni28 Crossley, Gothic Architecture (wie Anm. 16), S. 399–403; Andrzej Grzybkowski, Małopolskie ko´s-

cioły XIV wieku [Die kleinpolnischen Kirchen des 14. Jahrhunderts], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 31 (1986), 2, S. 201–218, hier S. 204–206; Lepiarczyk, Fazy budowy (wie Anm. 27), S. 195–207; Miłobedzki, ˛ Zarys dziejo´w architektury (wie Anm. 16), S. 71; Pencakowski, Gotyk (wie Anm. 25), S. 65–67; Marek Walczak, Rze´zba architektoniczna w Małopolsce za czaso´w Kazimierza Wielkiego [Die architektonische Plastik in Kleinpolen zur Zeit Kasimirs des Großen], Krako´w 2006, S. 175–236; Tomasz W˛ecławowicz, Dekoracja figuralna przebiterium ko´scioła Mariackiego w Krakowie a zagadnienie mecenatu Mikołaja Wierzynka Starszego [Die figurale Dekoration des Presbyte¨ lteren], riums der Marienkirche in Krakau und die Frage des Ma¨zenats von Nicolaus Wirsing dem A in: Rocznik Krakowski 56 (1990), S. 233–235; Ders., Gotyckie bazyliki (wie Anm. 25), S. 11–14, 16, ˙ 19, 31–32; Ders., Krakowski ko´scio´ł katedralny w wiekach s´ rednich. Funkcje i mozliwo´ sci interpretacji [Die Krakauer Kathedralkirche im Mittelalter. Funktionen und Interpretationsmo¨glichkeiten], Krako´w 2005, S. 143–152; Ders., Małopolska i Ziemie Ruskie (wie Anm. 16), S. 70; Ders., Mikołaja ˙ za grzechy na ko´sciele Mariackim przedstawiony [Nicolaus Wirsings Reue u¨ber seine Wierzynka zal ˙ Godula, Krako´w Su¨nden in der Marienkirche dargestellt], in: Teksty z antropologii miasta, hg. v. Ro´za ´ acym 1994, S. 153–172; Ders., Zagadnienie funkcji wsporniko´w figuralnych pod gzymsem wiencz ˛ prezbiterium ko´scioła Mariackiego w Krakowie [Die Frage nach der Funktion der figuralen Konsolen unter dem das Presbyterium der Marienkirche in Krakau bekro¨nenden Gesims], in: Folia Historiae Artium 21 (1985), S. 55–63; Tomasz W˛ecławowicz/Małgorzata Pietrzyko´wna, Maswerki w ko´sciołach Małopolski [Maßwerke in den Kirchen Kleinpolens], in: Rocznik Krakowski 55 (1989), S. 45–74, hier S. 57–58. Marek Walczak, Rze´zba architektoniczna w Małopolsce za czaso´w Kazimierza Wielkiego [Das architektonische Schnitzwerk in Kleinpolen zur Zeit Kasimirs des Großen], Krako´w 2006, S. 175–236. 29 Magdalena Goras, Zaginione gotyckie ko´scioły Krakowa [Verschollene gotische Kirchen Krakaus], ´ Idziego w Krakowie i jego stallach Krako´w 2003, S. 93; Zygmunt Hendel, Komunikat o ko´sciele S. ¨ gidius in Krakau und ihr Chorgestu¨hl], in: Sprawozdania Komisji [Mitteilung u¨ber die Kirche St. A ´ Idziego w KrakoHistorii Sztuki 5 (1896), S. CXXV; Zygmunt Hendel/Feliks Kopera, Ko´scio´ł Sw. ¨ gidius in Krakau], Krako´w 1905, S. 10–12. wie [Die Kirche St. A 30 Ojcumiła Sieradzka, Sredniowieczna ´ ´ Krzyza ˙ w Krakowie [Die mittelalterarchitektura ko´scioła Sw. liche Architektur der Heiligkreuzkirche in Krakau], in: Rocznik Krakowski 57 (1991), S. 37–60, hier ´ Krzyza. ˙ Historia badan´ i nowe pytania S. 44–48; Tomasz W˛ecławowicz, Architektura ko´scioła Sw. badawcze [Die Architeltur der Heiligkreuzkirche. Untersuchungsgeschichte und neue Forschungsfra´ Krzyza ˙ w Krakowie, Teil 1, hg. v. Zdzisław Kli´s, Krako´w 1996, gen], in: Studia z dziejo´w ko´scioła Sw. ´ Krzyza ˙ w wiekach s´ rednich. Rezultaty prac badawczych S. 31–46; Ders., Architektura ko´scioła Sw. z lat 1995–1997 [Die Architektur der Heiliggeistkirche im Mittelalter. Resultate der Forschungsarbei´ Krzyza ˙ w Krakowie, Teil 3, hg. v. ten aus den Jahren 1995–1997], in: Studia z dziejo´w ko´scioła Sw. Zdzisław Kli´s/Gra˙zyna Lichonczak-Nurek, ´ Krako´w 1999, S. 55–69, hier S. 62–64. 31 Aldona Sudacka/Waldemar Niewalda, Ko´scio´ł Sw. ´ Marka w s´ redniowieczu. Badania historyczne i architektoniczne [Die St.-Markus-Kirche im Mittelalter. Historische und architektonische Forschun´ Marka, hg. v. Zdzisław Kli´s, Krako´w 2001, S. 159–170, hier gen], in: Studia z dziejo´w ko´scioła Sw. ´ Marka w Krakowie [Die St.-Markus-Kirche in Krakau], S. 165–169; Jerzy Szablowski, Ko´scio´ł Sw. in: Rocznik Krakowski 22 (1929), S. 80–96, hier S. 91. 32 Goras, Zaginione gotyckie ko´scioły (wie Anm. 29), S. 57; Michał Rozek, ˙ Nie istniejace ˛ ko´scioły Kra´ kowa [Nicht mehr existierende Kirchen Krakaus], in: Biuletyn Biblioteki Jagiellonskiej 33 (1983), S. 95–120, hier S. 101; Ders., Nieistniejacy ˛ ko´scio´ł s´ w. Szczepana w Krakowie [Die nicht mehr existierende St.-Stephanus-Kirche in Krakau], in: Biuletyn Historii Sztuki 36 (1974), 3, S. 215–226. 33 Goras, Zaginione gotyckie ko´scioły (wie Anm. 29), S. 69; Rozek, ˙ Nie istniejace ˛ ko´scioły (wie ´ etych w Krakowie [Die Allerheiligenkirche in Anm. 32), S. 97; Jadwiga Klepacka, Ko´scio´ł WW. Swi˛

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schen Sakralbaus charakteristischen Form.34 Die Hallenkirchen waren viel kleiner als die beiden die Stadt majesta¨tisch dominierenden Basiliken – die Dominikaner- und die Marienkirche. Gedrungen und nicht viel ho¨her als die sie umgebende Wohnbe-

Abb. 3: Nordfassade der Marienkirche in der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts, digitale Rekonstruktion Quelle: Opalı´nski, Rekonstrukcja cyfrowa (wie Anm. 14), S. 126

bauung, unterschieden sie sich hauptsa¨chlich durch schlanke, hohe Da¨cher; nur die Heiligkreuzkirche besaß einen Kirchturm. Am Ausgang des 14. Jahrhunderts kam zu dem bereits ausgebildeten Kirchenensemble noch ein weiterer Komplex hinzu – die fru¨here Friedhofskapelle der Marienpfarrei wurde nach 1394 durch Hinzufu¨gen eines Jochs von Westen zur Kapelle St. Barbara umgebaut.35 In den letzten zwanzig Krakau], in: Kronika Miasta Krakowa 1959–1960, Krako´w 1962, S. 33–66, hier S. 40; Wiktor Zin, Z ´ etych w Krakowie [U ¨ ber die Forschungen zur Allerheiligenkirbadan´ nad ko´sciołem Wszystkich Swi˛ che], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 8 (1974), S. 5–17. 34 Eigentlich sind dies wegen der Einheitlichkeit des Interieurs „pseudo-zweischiffige“ Hallen; vgl. Fabianski/Purchla, ´ Historia architektury Krakowa (wie Anm. 1), S. 20, 23; Grzybkowski, Mało´ polskie ko´scioły (wie Anm. 28), S. 209–215; Miłobedzki, ˛ Po´znogotyckie typy sakralne (wie Anm. 25), S. 90; W˛ecławowicz, Małopolska i Ziemie Ruskie (wie Anm. 16), S. 72–73. 35 Jerzy Paszenda, Budowle jezuickie w Polsce XVI–XVII w. [Die Geba¨ude der Jesuiten in Polen aus ´ Barbary w Krakowie z dem 16. – 17. Jahrhundert], Bd. 3, Krako´w 2006, S. 111–117; Ders., Ko´scio´ł Sw.

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Jahren des 14. Jahrhunderts entstand die jetzige Sakristei der St.-Andreas-Kirche, die in der a¨lteren Literatur als fru¨heres Oratorium der Franziskaner interpretiert wurde, die die Klosterkirche der Klarissen betreuten. Unla¨ngst wurde ihr auch die Funktion einer klo¨sterlichen Grabkapelle zugeschrieben36, wa¨hrend sich zuletzt erwies, dass es sich wohl um die mit einer Grablege ausgestattete Privatkapelle des Jan von T˛eczyn gehandelt hat. Von den Sakralbauten vera¨nderten sich nur die kleinsten nicht, d. h. die Magdalenenkirche, die St.-Adalbert-Kirche und die St.-Johannis-Kirche. Die gemauerten Klosterbauten hielten mit den Kirchen nur in gewissem Maße Schritt. In der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts wurde der erste dominikanische Klostergarten angelegt und das Kapitelhaus vergro¨ßert.37 An der Schwelle des darauffolgenden Jahrhunderts wurde das a¨lteste Klostergeba¨ude zum Refektorium umgebaut.38 Die Dominikaner brachen mit den urspru¨nglichen Ordensprinzipien und schufen ein abgeschlossenes claustrum.39 Parallel zu den Vera¨nderungen von Handels- und Sakralbauten dauerte der allgemeine Prozess der Umgestaltung von Wohnobjekten an, der ein immer ho¨heres Tempo annahm.40 Die stabilisierte urbanistische Grundlage erhielt nun eine Reihenbebauung, was eine bessere Ausnutzung der Fla¨che der Grundstu¨cke fu¨r die Bedu¨rfnisse der schnell wachsenden Bevo¨lkerung ermo¨glichte.41 Einen indirekten Beleg fu¨r die rege Bauta¨tigkeit bietet eine Willku¨r aus dem Jahr 1367, die die bis dahin gewohnheitsrechtlich geregelten Bauvorschriften kodifizierte und die Prinzipien des Baus von Grenzmauern festlegte.42 Dies bedeutete eine Regulierung der Errichtung

˙ jezuito´w. Historia i architektura [Die St.-Barbara-Kirche in Krakau mit dem domem zakonnym ksi˛ezy Ordenshaus der Jesuiten. Geschichte und Architektur], Krako´w 1985, S. 27–28, 175–208, Ill. 16–91. 36 Paweł Pencakowski, Zakrystia przy ko´sciele Sw. ´ Andrzeja w Krakowie. Architektura – typ – funkcja [Die Sakristei an der St.-Andreas-Kirche in Krakau. Architektur, Typ und Funktion], in: Rocznik Krakowski 57 (1991), S. 61–69. 37 Architektura gotycka w Polsce. Katalog zabytko´w (wie Anm. 16), S. 129 (das Stichwort bearbeitete ´ ´ Andrzej Włodarek); Jamroz, Sredniowieczna architektura (wie Anm. 26), S. 15; Kopera, Sredniowieczna architektura (wie Anm. 26), S. 72, 74; Marcin Szyma, Ko´scio´ł i klasztor dominikano´w w Krakowie. Architektura zespołu klasztornego do lat dwudziestych XIV wieku [Die Kirche und das Kloster der Dominikaner in Krakau. Die Architektur des Klosterensembles bis in die zwanziger Jahre des 14. Jahrhunderts], Krako´w 2004, S. 124–126. 38 Kopera, Sredniowieczna ´ architektura (wie Anm. 26), S. 59, 76. 39 Grzybkowski, Architektura polska (wie Anm. 21), S. 110. 40 Zur Wohnbebauung vor Mitte des 14. Jahrhunderts Komorowski, Najstarsze kamienice (wie Anm. 9), S. 107–119; Marek Łukacz, Pierwsze przemiany przestrzenne krakowskiej kamienicy w s´ wietle jej zwiazko ˛ ´ w z kamienica˛ Europy Po´łnocnej [Die ersten ra¨umlichen Vera¨nderungen des Krakauer Bu¨rgerhauses im Lichte seiner Verbindungen mit dem Bu¨rgerhaus Nordeuropas], in: Kamienica w krajach ´ 2004, S. 96–113. Europy Po´łnocnej, hg. v. Jolanta Sołtysik, Gdansk 41 Wyrobisz, Budownictwo murowane (wie Anm. 13), S. 61; Władysław Grabski, Wybrane zagadnienia z urbanistyki s´ redniowiecznego Krakowa [Ausgewa¨hlte Fragen zur Urbanistik des mittelalterlichen Krakau], in: Biuletyn Krakowski 3 (1961), S. 80–110, hier S. 107–110. 42 Najstarszy zbio´r przywilejo´w i wilkierzy miasta Krakowa [Die a¨lteste Sammlung von Privilegien und Willku¨ren der Stadt Krakau], hg. v. Stanisław Estreicher, Krako´w 1936, S. 20–21, Teil 2, Nr. 1. Die Willku¨r behandelt detailliert Wyrozumski, Dzieje (wie Anm. 1), S. 286–291. Zahlreiche Beispiele ihrer Anwendung bei Marek Łukacz, Pierwsze fazy kształtowania si˛e dominujacego ˛ typu kamienicy krakowskiej [Die ersten Phasen der Herausbildung des dominierenden Typus des Krakauer Bu¨rgerhauses], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 22 (1988), S. 9–18, hier Ill. 4, 5, der die Datierung

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von Wohnha¨usern und fu¨hrte zur Festlegung eines Standardmodells von Bu¨rgerha¨usern, bei dem die Form strikt aus der Funktion resultierte. Die Planung der Innenra¨ume des Wohnhauses und der mit ihm verbundenen Nebengeba¨ude eines Grundstu¨cks erfolgte nun nach einem fast obligatorischen Muster: Das einsto¨ckige und zweitraktige Frontgeba¨ude nahm die Ha¨lfte des Grundstu¨cks ein; auf dessen u¨brigem Teil befanden sich die Wirtschaftsgeba¨ude sowie das Hinterhaus. Bei den Seiten- und Hinterha¨usern handelte es sich um architektonische Objekte, die viel kleiner waren als die Vordergeba¨ude. In der Regel einsto¨ckig, eintraktig und mit einer geneigten Dachfla¨che versehen, nahmen sie den hinteren Teil des Hofes ein. Seitengeba¨ude waren im Mittelalter selten und traten in gro¨ßerer Zahl erst in der fortgeschrittenen Neuzeit in Erscheinung. Diese Hintergeba¨ude dienten in der Regel Wirtschaftszwecken; in ihnen befanden sich Pferde- und Viehsta¨lle, Wagenremisen und Lagerra¨ume, wa¨hrend Wohnungen hier nur selten eingerichtet wurden.43 Einige die¨ berbauung die Form von viereckigen Wohntu¨rmen ser Geba¨ude nahmen durch U der Bebauung mit den in der Willku¨r enthaltenen Prinzipien verbindet. Damit entwickelt er die von Władysław Grabski, Ze studio´w nad zabudowa˛ mieszkalna˛ s´ redniowiecznego Krakowa [Studien zur Wohnbebauung des mittelalterlichen Krakau], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 2 (1968), S. 187–206, hier S. 195f., angewandte Methode weiter. 43 Zu den mittelalterlichen Bu¨rgerha¨usern u. a. Architektura gotycka w Polsce. Katalog zabytko´w (wie Anm. 16), S. 119–121; August Essenwein, Die mittelalterlichen Kunstdenkmale der Stadt Krakau, ´ Leipzig 1869, S. 153–154; Jo´zef Tomasz Frazik, Kamienice mieszczanskie w Małopolsce do połowy XVII wieku [Die Bu¨rgerha¨user in Kleinpolen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 30 (1985), 2, S. 153–179; Władysław Grabski, Ewolucja s´ redniowiecznej zabudowy Krakowa w s´ wietle badan´ urbanistycznych i architektonicznych [Die Evolution der mittelalterlichen Bebauung Krakaus im Lichte urbanistischer und architektonischer Untersuchungen], in: ´ Biblioteka Muzealnictwa i Ochrony Zabytko´w, Serie B, Bd. 7, Warszawa 1963, S. 68–76; Ders., Sredniowieczna kamienica krakowska. Zale˙zno´sci mi˛edzy typem działki a rozplanowaniem [Das mittelalterliche Krakauer Bu¨rgerhaus. Abha¨ngigkeiten zwischen Grundstu¨ckstyp und Planung], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 4 (1970), S. 163–179; Ders., Wybrane zagadnienia z urbanistyki s´ redniowiecznego Krakowa [Ausgewa¨hlte Fragen zur Urbanistik des mittelalterlichen Krakau], in: Biuletyn Krakowski 3 (1961), S. 80–110; Ders., Ze studio´w nad zabudowa˛ mieszkalna˛ s´ redniowiecznego Krakowa [Studien zur Wohnbebauung des mittelalterlichen Krakau], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 2 (1968), S. 187–205; Grzybkowski, Architektura polska (wie Anm. 23), S. 113; Jo´zef Stanisław Jamroz, Gotycka kamienica krakowska [Das gotische Krakauer Bu¨rgerhaus], in: Ochrona Zabytko´w 8 (1955), 4, S. 221–236: Ders., Kamienice Starego Miasta w Krakowie – zamierzenia konserwatorskie i realizacja [Die Bu¨rgerha¨user der Altstadt in Krakau – konservatorische Absichten und ihre Realisierung], in: Biblioteka Muzealnictwa i Ochrony Zabytko´w, Serie B, Bd. 7, War´ szawa 1963, S. 77–85; Ders., Mieszczanska kamienica krakowska, wiek XIII–XV [Das Krakauer Bu¨rgerhaus im 13. – 15. Jahrhundert], Krako´w/Wrocław 1983; Ders., Układ przestrzenny (wie Anm. 16), S. 30–49; Henryk Jasienski, ´ Dawna kamienica krakowska, jej układ i wn˛etrze [Das fru¨here Krakauer Bu¨rgerhaus, seine Anordnung und sein Interieur], Krako´w 1934; Waldemar Komorowski, Kamienice i pałace Rynku krakowskiego w s´ redniowieczu [Die Ha¨user und Pala¨ste des Krakauer Ringplatzes im Mittelalter], in: Rocznik Krakowski 67 (2002), S. 53–74; Ders., Najstarsze kamienice (wie Anm. 9), S. 107–119; Ders., Die hoch- und spa¨tmittelalterlichen Residenzen der Krakauer Patrizier, in diesem Band, S. 319–336; Komorowski/Krasnowolski, Architektoniczny pejza˙z Krakowa (wie Anm. 16), S. 105–126; Marek Łukacz, Geneza ukształtowania si˛e najcz˛es´ ciej realizowanego typu kamienicy krakowskiej [Die Genese der Herausbildung des am ha¨ufigsten realisierten Typus des Krakauer Bu¨rgerhauses], in: Wiadomo´sci Konserwatorskie. Pismo Stowarzyszenia Konserwatoro´w Zabytko´w 14 (2003), S. 11–20; Ders., Pierwsze fazy (wie Anm. 42); Ders., Die mittelalterlichen Bu¨rgerha¨user am Krakauer Ringplatz, in diesem Band, S. 295–318; Andrzej Swaryczewski, Gotycki blok lokacyjny nr 9 [Der gotische Lokationsblock Nr. 9], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 22 (1988),

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an, die ihre Umgebung u¨berragten (u. a. Johannisgasse 9, Floriansgasse 17, Kleiner Markt 4).44 Doch du¨rfen sie nicht mit den Turmha¨usern aus der ersten Bauphase der Stadt verwechselt werden. Das beschriebene Bebauungsmodell wurde nicht nur auf den meisten Grundstu¨cken verwirklicht, die eine modulare Halb-Geho¨ft-Parzelle als Grundlage hatten (regula¨re Baublo¨cke im zentralen und no¨rdlichen Teil der Stadt), sondern auch auf Grundstu¨cken, die infolge von Abweichungen vom Lokationsplan deformiert waren (so zwischen Ringplatz und Tischlergasse sowie in den Randpartien der peripheren Blo¨cke und in den nach anderen Prinzipien abgesteckten Blo¨cken im Stadtteil Oko´ł).45 Von den etwa 500 im 14. Jahrhundert existierenden Grundstu¨cken wiesen ungefa¨hr 350 die typischen Merkmale dieses Modells auf.46 Das Muster wurde unabha¨ngig vom sozialen Status des Besitzers realisiert; Unterschiede a¨ußerten sich in der architektonischen Skala, im Standard der Ausstattung und im ku¨nstlerischen Niveau der Dekoration. In den Ha¨usern am Ringplatz und am Kleinen Markt wurde das funktionale Programm um so genannte Beischla¨ge erweitert. Dabei handelte es sich um architektonische Strukturen in Form gewo¨lbter, etwas u¨ber das Bodenniveau erho¨hter Keller, die an die Ha¨userfassaden angebaut wurden und auf denen sich Terassen befanden; sie breiteten sich in der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts massenhaft aus. Ihre Genese stand sicher im Zusammenhang mit der sehr schnellen Anhebung des Terrains im 14. Jahrhundert, durch die die Erdgeschosse der a¨ltesten Bu¨rgerha¨user zu Kellern wurden.47 Ein zweites Stockwerk stellte im 14. Jahrhundert noch eine Seltenheit dar, und sein Bau unterlag besonderen rechtlichen Auflagen.48 Die S. 19–24; Ders., Historyczne przekształcenia urbanistyczne jednego z przyrynkowych bloko´w Krakowa [Die historische urbanistische Umgestaltung einer der Blo¨cke am Krakauer Ringplatz], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 10 (1976), S. 15–25; W˛ecławowicz, Małopolska i Ziemie Ruskie (wie Anm. 16), S. 63–64; Wyrobisz, Budownictwo murowane (wie Anm. 13), S. 59–61. 44 Adam Chmiel, Domy krakowskie. Ulica Florianska, ´ cz˛es´ c´ 1 [Krakauer Ha¨user. Die Floriansgasse, ´ Teil 1], Krako´w 1917, S. 69; Jamroz, Mieszczanska kamienica (wie Anm. 43), S. 140; Jan Pachonski, ´ ´ Dawne mury florianskie [Die fru¨heren Floriansmauern], Krako´w 1956, S. 19; Pencakowski, Gotyk (wie Anm. 25), S. 92–94. 45 Jamroz, Mieszczanska ´ kamienica (wie Anm. 43), S. 76–77; Komorowski, Kamienice i pałace (wie Anm. 43), S. 57; Łukacz, Pierwsze fazy (wie Anm. 42), S. 11–12, 14–17; Swaryczewski, Historyczne przekształcenia (wie Anm. 43), S. 22, 24, Ill. 2. 46 Komorowski, Kamienice i pałace (wie Anm. 43), S. 57; Łukacz, Geneza ukształtowania (wie Anm. 43), S. 18, ist der Ansicht, dass dieser Anteil noch ho¨her war und 80 % erreichte. Die a¨ltere Literatur unterschied zwischen mehreren Typen der Anordnung des Hausinterieurs auf dem Halb´ Geho¨ft-Grundstu¨ck: Grabski, Sredniowieczna kamienica (wie Anm. 43), S. 174, Ill. 11) nennt vier ´ Typen, Jamroz, Mieszczanska kamienica (wie Anm. 43), S. 11, 107–140, noch mehr. Nach heutigem Stand kann von der Existenz nur eines Typus mit zahlreichen Varianten ausgegangen werden, vgl. Łukacz, Pierwsze fazy (wie Anm. 42), S. 11, Ill. 2. 47 Dies sind Feststellungen der letzten Jahre, anders Władysław Grabski, Sredniowieczne ´ ˙ przedproza domo´w krakowskich [Die mittelalterlichen Beischla¨ge der Krakauer Ha¨user], in: Biuletyn Krakowski ´ 2 (1960), S. 25–46, hier S. 26. Siehe auch Jamroz, Mieszczanska kamienica (wie Anm. 43), S. 76–77. Am Ringplatz hatten (bzw. haben) Beischla¨ge die Ha¨user Nr. 4–11, 18, 19A, 20, 25A, 31 und 35–46; am besten erkennbar ist die Konstruktion im Fall des Hauses Ringplatz 35; vgl. Stanisław Cechosz/Łukasz ´ ˙ przed pałacem „Pod Krzysztofory“ – najnowsze odkrycia [Der Holcer, Sredniowieczne przedproze mittelalterliche Beischlag vor dem Christophorus-Palais – neueste Entdeckungen], in: Krzysztofory. Zeszyty Naukowe Muzeum Historycznego Miasta Krakowa 25 (2007), S. 7–24, hier S. 22. 48 Wyrozumski, Dzieje (wie Anm. 1), S. 288–290.

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Vordergeba¨ude besaßen hohe Da¨cher in der fu¨r das Mittelalter typischen Balkenkonstruktion. Unklar ist, welcher Dachtyp vorherrschte – das zum Ringplatz und Hof abfallende Firstdach oder das Giebeldach.49 Um das Jahre 1400 gab es in Krakau wahrscheinlich u¨ber 300 gemauerte Ha¨user.50 Am Ende des 14. Jahrhunderts besaßen die Geba¨ude fast aller Anwesen am Ringplatz Vordertrakte aus Stein, auch wenn ihre Hintertrakte zu einem Drittel immer noch aus Holz bestanden.51 In den vom Ringplatz abgehenden Straßen war die gemauerte Bebauung weniger intensiv und auch der Grad dieser Intensita¨t war unterschiedlich: Die relativ gro¨ßte Dichte besaß neben dem Ringplatz noch die Burggasse im Abschnitt vom Ringplatz bis zum Allerheiligenplatz. Hier waren in der westlichen Straßenfront alle Ha¨user in der der Straße zugewandten Partie aus dauerhaften Materialien errichtet, in der o¨stlichen Straßenfront nur jedes zweite. Durch a¨hnliche Proportionen zeichnete sich die Wohnbebauung der vom Ringplatz nach Norden fu¨hrenden Straßen aus. In der Sławkowska-, der Johannis- und der Floriansgasse u¨berwog die gemauerte Frontbebauung jene aus Holz (im Verha¨ltnis zwei Drittel zu ¨ ber eine nur zur Ha¨lfte gemauerte Bebauung verfu¨gten die Bru¨dereinem Drittel). U gasse sowie der Westteil der Nikolaigasse sowie die o¨stliche Zeile des Kleinen Marktes. Ein a¨hnliches Verha¨ltnis betraf wahrscheinlich auch die Spitalgasse, auch wenn hier die Situation ungewiss ist, weil keine Informationen zum Nordteil dieser Straße vorliegen. Dennoch war die Bebauung, sowohl die gemauerte als auch die ho¨lzerne, ¨ berwiegen der ho¨lzernen Bebauung in den Frontparhier generell sehr dicht.52 Ein U tien der Grundstu¨cke begegnet in der Taubengasse und im Ostteil der Nikolaigasse, was angesichts ihrer peripheren Lage nicht weiter erstaunlich ist. Ein gleich niedriger, nur etwa 30 % betragender gemauerter Anteil begegnet auch in der Schustergasse, die vom Ringplatz zu einem der wichtigsten Stadttore fu¨hrte. Vielleicht spiegelt sich darin die soziale Ordnung, die sich bereits ein Jahrhundert zuvor herausgebildet hatte, als die Straße von Vertretern handwerklicher Berufe bewohnt war, die in der Regel nicht der Finanzelite angeho¨rten und sich daher auch nicht auf solche kostspielige Bauunternehmungen stu¨rzten, zumindest nicht in einem solchen Tempo wie am Ringplatz. Der so festgeschriebene Zustand dauerte in der Schustergasse fu¨r Jahrhunderte an, wovon u. a. das Fehlen von Residenzobjekten in dieser Straße zeugt. Ein verschwindend geringer Prozentsatz gemauerter Ha¨user charakterisierte die Heiligkreuz- und die Jagiellonengasse sowie den westlichen Abschnitt der Thomasgasse (der im Gegensatz zu anderen Krakauer Querstraßen als gesonderte Straße galt, die

49 Grabski, Sredniowieczna ´ kamienica (wie Anm. 43), Ill. 14; Jamroz, Kamienice Starego Miasta (wie

´ Anm. 43), S. 81; Ders., Mieszczanska kamienica (wie Anm. 43), S. 92–98; Swaryczewski, Historyczne przekształcenia (wie Anm. 43), S. 24; Ders., Gotycki blok (wie Anm. 43), S. 19–22; W˛ecławowicz, Małopolska i Ziemie Ruskie (wie Anm. 16), S. 64; Jan Sas Zubrzycki, Architektura Rynku Krakowskiego z czaso´w Kro´lestwa Polskiego [Die Architektur des Krakauer Ringplatzes aus der Zeit des Ko¨nigreiches Polen], Krako´w 1909, S. 12–14; Łukacz, Zabudowa pierzei (wie Anm. 43), S. 92, 94. 50 Komorowski/Krasnowolski, Architektoniczny pejza˙z Krakowa (wie Anm. 16), S. 112 und Anm. 30. 51 Komorowski, Kamienice i pałace (wie Anm. 43), Ill. 1. 52 Andrzej Swaryczewski, Nowo odkryte drewniane stropy gotyckie w Krakowie [Die neu entdeckten gotischen Holzdecken in Krakau], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 15 (1981), S. 41–48, hier S. 42.

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damals Judengasse hieß). Gemauerte Hintertrakte waren nur sporadisch anzutreffen, außerhalb des Ringplatzes gab es sie ho¨chstens bei einem guten Dutzend Geba¨ude.53 Zum Zeitpunkt der Eingliederung des Oko´ł in die Rechtsstadt bestand der u¨berwiegende Teil seiner Wohnbebauung aus Holz. Die Ha¨user der Bu¨rger befanden sich hauptsa¨chlich in der Burggasse im Abschnitt vom Allerheiligenplatz bis zur Andreaskirche sowie auf dem Platz selbst. Bis zur Wende des 14./15. Jahrhunderts entstanden auf fast allen Grundstu¨cken der Burggasse gemauerte Fronttrakte. Im Abschnitt zwischen der Gesandtengasse und der Magdalenenkirche wurden ihnen die fru¨heren Kramla¨den von Oko´ł einverleibt.54 Die Residenzobjekte (Pala¨ste, Herrenha¨user, ansehnliche Bu¨rgerha¨user) waren um den Ringplatz und in dessen unmittelbarer Nachbarschaft sowie im Gebiet su¨dlich vom Allerheiligenplatz (fru¨herer Oko´ł) konzentriert. Die Anwesen am Ringplatz befanden sich in der Regel im Besitz von Patriziern, wa¨hrend das Gebiet nahe der Wawelburg eine Doma¨ne fu¨r Herrenha¨user der Ritter und Adligen sowie – seit der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts – fu¨r Wohnsitze der Kathedralkanoniker war. In der Struktur des mittelalterlichen Krakau war theoretisch kein Platz fu¨r Pala¨ste, aber die schnell zunehmenden Unterschiede im Besitzstatus der Eigentu¨mer sowie die Herausbildung der Schicht des Patriziats bewirkte, dass ein bestimmter Teil der Ha¨user noch im 14. Jahrhundert den Charakter von Residenzen annahm (Ringplatz 6, 20, 27, 35, 47). Bei diesen Ringplatzpala¨sten handelte es sich um zweitraktige Geba¨ude, oft mit einem Flu¨gel la¨ngs der vom Ringplatz abgehenden Straße. In den Stockwerken befanden sich repra¨sentative Sa¨le, palatium oder Flur genannt.55 Die Pala¨ste der Bu¨rger konkurrierten, zumindest hinsichtlich ihrer Gro¨ße, mit den ko¨niglichen Residenzen.56 Außer privaten Wohnsitzen errichtete die Bu¨rgerschaft auch o¨ffentliche Bauwerke, darunter ein großes, repra¨sentatives Geba¨ude in der o¨stlichen Ringzeile (heute 53 Vgl. Waldemar Niewalda/Halina Rojkowska/Danuta Czapczynska/Waldemar ´ Komorowski, Stu-

dium urbanistyczno-konserwatorskie terenu dawnego Okołu [Eine urbanistisch-konservatorische ˙ Studie u¨ber das Gebiet des fru¨heren Okol], Typoskript, Krako´w 1987–1989; Joanna Hizycka/Waldemar Komorowski/Bogusław Krasnowolski/Jolanta Laskownicka/Stanisław Sławinski, ´ Studium historyczno-urbanistyczne Krakowa lokacyjnego [Eine historisch-urbanistische Studie zur Lokationsstadt Krakau], Typoskript, Krako´w 1992–1998; die hier gebotenen Informationen liegen auch der Karte „Entwicklung der Steinbebauung von der Mitte des 13. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts“ zugrunde, die sich findet in Waldemar Komorowski/Waldemar Niewalda/Halina Rojkowska, Rozwo´j zabudowy murowanej do połowy XVII wieku [Entwicklung der Steinbebauung bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts], in: Atlas historyczny miast polskich. Tom 5: Małopolska. Zeszyt 1: Krako´w [Historischer Atlas der polnischen Sta¨dte. Bd. 5: Kleinpolen, Heft 1: Krakau], hg. v. Zdzisław Noga, Krako´w 2007, Tafel 4.12. 54 Maria Bicz-Suknarowska/Waldemar Niewalda/Halina Rojkowska, Zabudowa ulicy Kanoniczej na tle urbanistyki s´ redniowiecznego Okołu [Die Bebauung der Kanonikergasse auf dem Hintergrund der mittelalterlichen Urbanistik], in: Sztuka około 1400 (wie Anm. 16), S. 87–104, hier S. 99, Ill. 2. 55 Pta´snik, Studia nad patrycjatem (wie Anm. 3), S. 42; Komorowski, Kamienice i pałace (wie Anm. 43), S. 60–61, 64–65, 67–69; Stanisław Cechosz/Łukasz Holcer, O poczatkach ˛ pałacu „Pod Krzysz¨ ber die Anfa¨nge des Christophorustofory“ w s´ wietle najnowszych badan´ architektonicznych [U Palais im Lichte der neuesten architektonischen Untersuchungen], in: Krzysztofory. Zeszyty naukowe Muzeum Historycznego Miasta Krakowa 24 (2006), S. 7–20; Komorowski, die hoch- und spa¨tmittelalterlichen Residenzen (wie Anm. 43), S. ... [im Original S. 271]. 56 Komorowski/Krasnowolski, Architektoniczny pejza˙z Krakowa (wie Anm. 16), S. 114.

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Nr. 7), das wahrscheinlich als Kommunalpalast fungierte und eine zweischiffige Halle im Erdgeschoss und große Sa¨le in den oberen Stockwerken besaß.57 Das ebenso imposante Geba¨ude an der Einmu¨ndung der Burggasse auf den Ringplatz (Ringplatz 17; Abb. 4) stand offenbar in einer Verbindung zur Ko¨nigsherrschaft, wovon

Abb. 4: Ringplatz 17. Grundriss des Erdgeschosses und des ersten Obergeschosses

das heraldische Programm der Gewo¨lbeschlusssteine in einem seiner Parterresa¨le zeugt (der unla¨ngst auf die letzten Jahre der Herrschaft Kasimirs des Großen datiert wurde).58 Die dreischiffige Halle mit vier Pfeilern im urspru¨nglichen Erdgeschoss und die großen Sa¨le der oberen Stockwerke sowie die reichhaltige (nicht erhaltene) Dekoration der Fassade mit skulpturalen architektonischen Details deuten auf einen repra¨sentativen Charakter dieses Geba¨udes hin, bei dem es sich vielleicht sogar um einen ko¨niglichen Palast gehandelt haben ko¨nnte.59 Residenzen der Ritter und der Magnaten im zentralen Teil der Stadt sind nicht bekannt, was jedoch nicht bedeutet, dass es solche nicht gegeben hat. Hinsichtlich Gro¨ße und Repra¨sentativita¨t außergewo¨hnlich war der sta¨dtische Wohnsitz des

57 Komorowski, Krakowski ratusz (wie Anm. 20), S. 28–33. 58 Walczak, Rze´zba architektoniczna (wie Anm. 28), S. 237–286. 59 Architektura gotycka w Polsce. Katalog zabytko´w (wie Anm. 16), S. 120; Komorowski, Krakowski

ratusz (wie Anm. 20), S. 29; Walczak, Rze´zba architektoniczna (wie Anm. 28), S. 286; Ders., Domniemany pałac kro´lewski z drugiej połowy XIV wieku przy Rynku Gło´wnym nr 17 w Krakowie [Der vermeintliche Ko¨nigspalast aus der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts am Ringplatz 17 in Krakau], in: Documenta Pragensia 28 (2009), S. 355–370.

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Spytko von Melsztyn und der Familie Melsztyn (Mehlstein) in der Bru¨dergasse 3/5, der infolge des Ausbaus eines fru¨heren Herrenhauses entstand, das dem Krakauer Vogt geho¨rt hatte.60 Der zweite Sitz des Vogtes, das Fortalitium in Gro´dek, erfu¨llte bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts wahrscheinlich die Rolle der Burgstarostei. Sie hatte ihre urspru¨nglichen Wehrfunktionen nicht verloren, weil der Turm erhalten geblieben war, in dem nun eine, die Polizeifunktion ausu¨bende Besatzung stationiert wurde. Nur der fru¨here Burggraben wurde zugeschu¨ttet und das Gela¨nde fu¨r ein Wohngeba¨ude bestimmt (dessen Gestalt im Verlauf der Straßen Heiligkreuzgasse und Nikolaigasse erhalten geblieben ist).61 Von den gro¨ßeren Herrenha¨usern der Ritterschaft auf dem Gebiet des fru¨heren Oko´ł ist u. a. der Sitz des Gniewosz von Dalewice aus der Zeit der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert bekannt (1610 dem Kloster der Barfu¨ßigen Karmeliter einverleibt, heute innerhalb der Mauern des Archa¨ologischen Museums in der Senatsstraße 1)62, sowie zwei gera¨umige Residenzen in den Eckha¨usern der Kanonikergasse unterhalb der Wawelburg, die etwa um das Jahr 1400 entstanden sind; im westlichen Eckhaus (Kanonikergasse 25) befand sich das Haus des ko¨niglichen Hofmeisters Krystyn von Ostro´w, im o¨stlichen (Kanonikergasse 24) das Haus des Vizekanzlers Klemens von Moskorzew.63 Auf dem planierten Gela¨nde der fru¨heren Befestigungsanlagen an der Dreifaltigkeitskirche grenzten die Anwesen der Ritterschaft an das Eigentum der Dominikaner, die hier Mietsha¨user errichteten.64

60 Komorowski/Krasnowolski, Architektoniczny pejza˙z Krakowa (wie Anm. 16), S. 118; Waldemar

´ Komorowski/Marek Łukacz, Bursa W˛egierska w Krakowie w okresie Sredniowiecza i Renesansu [Die Ungarische Burse in Krakau in der Zeit des Mittelalters und der Renaissance], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 19 (1985), S. 175–183, hier S. 179–181, Ill. 5, 8, 9; Piotr W˛ecowski, Działal˙ ´ no´sc´ publiczna moznowładztwa małopolskiego w po´znym s´ redniowieczu. Itineraria kasztelano´w i wojewodo´w krakowskich w czasach panowania Władysław Jagiełły (1386–1434) [Das o¨ffentliche Wirken des kleinpolnischen Magnatentums im Spa¨tmittelalter. Die Itinerare der Krakauer Kastellane und Wojewoden wa¨hrend der Herrschaftszeit Władysław Jagiełłos], Warszawa 1998, S. 44–45. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts war das Geba¨ude ein 32 m breites dreisto¨ckiges Anwesen mit einer Tiefe von 56 m. 61 Mieczysław Niwinski, ´ Wo´jtostwo krakowskie w wiekach s´ rednich [Das Krakauer Vogtamt im Mit´ telalter], (Biblioteka Krakowska, Nr. 95), Krako´w 1938, S. 44–47; Stefan Swiszczowski, Gro´dek krakowski i mury miejskie mi˛edzy Gro´dkiem i Wawelem [Der Krakauer Stadtteil Gro´dek und die Stadtmauer zwischen Gro´dek und dem Wawel], in: Rocznik Krakowski 32 (1960), 1, S. 1–41, hier S. 20–22; Wyrozumski, Dzieje (wie Anm. 1), S. 215–216. 62 Anna Strzelecka, Z przeszło´sci powi˛eziennych budynko´w Sw. ´ Michała w Krakowie [Aus der Vergangenheit der ehemaligen Gefa¨ngnisgeba¨ude von St. Michael in Krakau], in: Biuletyn Historii Sztuki 18 (1956), S. 281–286, hier S. 285–286. 63 Bicz-Suknarowska/Niewalda/Rojkowska, Zabudowa ulicy Kanonicznej (wie Anm. 54), S. 97, ´ 99–100; Waldemar Komorowski/Bogusław Krasnowolski, Sredniowieczne i renesansowe pałace krakowskie [Krakauer Pala¨ste des Mittelalters und der Renaissance], in: Mecenat artystyczny a oblicze miasta. Materiały LVI Ogo´lnopolskiej Sesji Naukowej Stowarzyszenia Historyko´w Sztuki, Krako´w 8–10 XI 2007, Krako´w 2008, S. 77–99, hier S. 80; Marek Daniel Kowalski, Uposa˙zenie krakowskiej kapituły katedralnej w s´ redniowieczu [Die Ausstattung des Krakauer Domkapitels im Mittelalter], Krako´w 2000, S. 207–250. 64 Waldemar Komorowski/Iwona Keder, ˛ Ikonografia ko´scioła Dominikano´w i ulicy Grodzkiej w Krakowie [Die Ikonographie der Dominikanerkirche und der Burggasse in Krakau], Krako´w 2005, S. 14; ˙ Domy dominikanskich ´ Jan Spiez, sufragano´w w Krakowie [Die Ha¨user der Krakauer Suffragane in ˙ Krakau], in: Dom w mie´scie s´ redniowiecznym i nowozytnym, hg. v. Bogusław Gediga, Wrocław 2004, S. 193–202, hier S. 196–199.

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Waldemar Komorowski

Die ersten Sitze der Krakauer Kanoniker waren kleine Anwesen mit Stein- und Holzgeba¨uden, die u¨ber weitra¨umige Grundstu¨cke verstreut waren. Am Ende des 14. Jahrhunderts standen in der Kanonikergasse elf aus Stein und Ziegeln errichtete einsto¨ckige Ha¨user, die dem Kapitel geho¨rten, sowie eine gewisse Anzahl von Wohngeba¨uden, die sich im Besitz von Rittern befanden, diesen mit der Zeit aber von den Kanonikern abgekauft wurden.65 Außer den Sitzen der Kanoniker und der Kathedralvikare, die in der Kanonikergasse und in der Gesandtengasse konzentriert waren, gab es in Krakau noch zahlreiche Ha¨user des Pfarrklerus sowie Residenzsitze der ¨ bte von Konventen außerhalb Krakaus. Das a¨lteste archivalisch besta¨tigte derartige A Anwesen war die bereits am Ende des 13. Jahrhunderts erwa¨hnte Kurie des Abtes von Mogiła, die das ganze Viertel an den Stadtmauern zwischen der Thomas-, der Heiligkreuz- und der Markusgasse einnahm. Sie bestand aus einem gemauerten Haus, einer Reihe von Wirtschaftsgeba¨uden sowie einem Garten.66 No¨rdlich der Kurie befanden ¨ btissin von Staniatki ¨ bte von Koprzywnica. Zusamsich die Ha¨user der A ˛ sowie der A men mit den Besitztu¨mern des Ordens vom Heiligen Geist de Saxa geho¨rte zu diesem Eigentum ein großer Komplex von Anwesen Geistlicher im nordo¨stlichen Teil ¨ bte wechselten mehrfach; in der Regel befanden sie der Stadt. Die Sitze der anderen A sich in gemieteten oder ka¨uflich erworbenen bu¨rgerlichen bzw. dem Klerus geho¨ren¨ bte von Tyniec und Łysa Go´ra (Heiligden Ha¨usern, wie im Falle der Residenz der A 67 kreuz). In der Gesandtengasse befand sich der Sitz des Legaten, d. h. des pa¨pstlichen Gesandten (erwa¨hnt im Jahre 1354), von dem der Straßenname abgeleitet war.68 In der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts kam es gegenu¨ber der ersten Ha¨lfte mindestens zu einer Verdreifachung des gemauerten Wohnraums.69 Ziegelmauern dominierten u¨ber Bruchsteinmauern sowie Holz (zumindest von den Straßen aus gesehen, denn die in den hinteren Grundstu¨cksteilen gelegenen Wirtschaftsgeba¨ude waren fast ausschließlich aus Holz). In Abwandlung eines bekannten polnischen Sprichwortes kann man sagen, dass Kasimir der Große ein ho¨lzernes und steinernes Krakau vorfand und eines mit Ziegelbauten hinterließ. Durch die sich verdichtende Bebauung wurde eine urbanistische Ordnung festgelegt, die sich aus drei noch in der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts deutlich voneinander getrennten Elementen zusammensetzte: 1. der Lokationsstadt mit ihrer regelma¨ßigen Gestalt, 2. unre-

65 Bicz-Suknarowska/Niewalda/Rojkowska, Zabudowa ulicy Kanonicznej (wie Anm. 54), S. 95–99,

Ill. 2–5; Andrzej Swaryczewski, Gotyckie domy ulicy Kanonicznej w Krakowie [Die gotischen Ha¨user der Kanonikergasse in Krakau], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 16 (1982), S. 7–16, hier ´ S. 9–10. Komorowski/Krasnopolski, Sredniowieczne i renesansowe pałace (wie Anm. 63), S. 80–81. 66 Sławomir Dryja, Podsumowanie badan´ przy ul. Sw. ´ Tomasza w Krakowie [Zusammenfassung der Untersuchungen in der Thomasgasse in Krakau], in: Krzysztofory 23 (2006), S. 41–62, hier S. 33, 35–36; ¨ bte Michał T. Gronowski, Rezydencje opato´w w s´ redniowiecznym Krakowie [Die Residenzen der A im mittelalterlichen Krakau], in: Lapides viventes. Zaginiony Krako´w wieko´w s´ rednich. Ksi˛ega dedy˙ kowana Profesor Klementynie Zurowskiej, hg. v. Jerzy Gadomski, Krako´w 2005, S. 223–235, hier S. 225–226. 67 Ebd., S. 228–229, 231–232. 68 Tomkowicz, Ulice i place (wie Anm. 16), S. 144–145; Kowalski, Uposa˙zenie krakowskiej kapituły (Anm. 63), S. 214. 69 Komorowski/Krasnowolski, Architektoniczny pejza˙z Krakowa (wie Anm. 16), S. 116.

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gelma¨ßigen Annexen an ihrer no¨rdlichen und o¨stlichen Seite (die im Augenblick der Erweiterung der Stadt vor dem Ende des 13. Jahrhunderts hinzugefu¨gt wurden) und 3. dem fru¨heren Oko´ł.70 Wa¨hrend die Annexe (mit Ausnahme der Gegend von Gro´dek) keinen gro¨ßeren Einfluss auf die Gestalt Krakaus ausu¨bten, bewahrte der fru¨here Oko´ł eine gewisse Eigenheit. Daru¨ber entschieden hauptsa¨chlich die dort vor der Rechtstadtgru¨ndung sowie in der ersten Zeit ihres Bestehens herrschenden Eigentumsverha¨ltnisse. Der von den Bu¨rgern besetzte mittlere Abschnitt der Burggasse zwischen der Allerheiligen- und der Magdalenenkirche fu¨llte sich noch vor dem Ende des 14. Jahrhunderts mit typisch sta¨dtischen, eine geschlossene Straßenzeile bildenden Ha¨usern, wa¨hrend der im Besitz von Rittergeschlechtern befindliche Streifen des Gebietes la¨ngs der o¨stlichen Fortifikationen71 fast unvera¨ndert bis zum Ende des Mittelalters u¨berdauerte und die sich erst formierende Kanonikergasse nur langsam sta¨dtischen Charakter erhielt. Die kleinen Ha¨user der Ritter oder die bescheidenen Residenzen der Kanoniker konnten nicht einmal teilweise mit den imposanten Pala¨sten der Kaufleute im Zentrum der Stadt mithalten.72 Krakau trat als eines der Hauptzentren mitteleuropa¨ischer Architektur ins na¨chste Jahrhundert ein. Seine stabilisierten Bauwerksta¨tten bestimmten nicht nur das architektonische Antlitz in Krakau selbst, sondern auch in ganz Su¨dpolen.73 Es pra¨gten sich typische Lo¨sungen im Sakral-, Wohnungs- und kommunalen Bauwesen

70 Vgl. Bogusław Krasnowolski, Lokacyjne układy urbanistyczne na obszarze Ziemi Krakowskiej w

XIII i XIV wieku [Urbanistische Lokationsanordnungen auf dem Gebiet des Krakauer Landes im 13. und 14. Jahrhundert], Krako´w 2004, S. 86–106. 71 Vgl. Janusz Kurtyka, Latyfundium T˛eczynskie. ´ Dobra i wła´sciciele (XIV–XVII wiek) [Das Latifun´ dium der Familie T˛eczynski. Gu¨ter und Besitzer (14. – 17. Jahrhundert)], Krako´w 1999, S. 129–131. 72 Bicz-Suknarowska/Niewalda/Rojkowska, Zabudowa ulicy Kanonicznej (wie Anm. 54), S. 87–101, Ill. 1–3; Komorowski/Krasnowolski, Architektoniczny pejza˙z Krakowa (wie Anm. 16), S. 120–121; ´ Dies., Sredniowieczne i renesansowe pałace (wie Anm. 63), S. 81; Waldemar Niewalda/Bogusław Krasnowolski, Układy urbanistyczne krakowskiego Okołu – pro´ba rekonstrukcji [Die urbanistischen Muster des Krakauer Oko´ł – Versuch einer Rekonstruktion], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 15 (1981), S. 69–83, hier Tafel 3. Bereits die a¨ltesten gemauerten Ha¨user, die vor der Mitte des 14. Jahrhunderts am Ringplatz errichtet wurden, waren gro¨ßer als viele der in den damals entstehenden polnischen Schlo¨ssern errichteten Kirchen und Wohngeba¨ude, die Wawelburg nicht ausgenommen. Bereits ein einziger Raum des „Grauen Hauses“ (Ringplatz 6) hatte ein Volumen von bis zu 400 m3 – Komorowski, Najstarsze kamienice (wie Anm. 9), S. 115 –, wa¨hrend das gesamte Innere der romanischen Magdalenenkirche nicht das Volumen von 800 m3 u¨berschritt. Dasselbe „Graue Haus“ war Ende des 14. Jahrhunderts ein 20 m breites Geba¨ude mit einer Tiefe von 30 m, dessen Ho¨he mindestens 12 m betrug; Komorowski/Krasnowolski, Architektoniczny pejza˙z Krakowa (wie Anm. 16), S. 114. Im 14. Jahrhundert wurden fu¨r ein Haus am Ringplatz durchschnittlich 163 Mark gezahlt, wobei die teuersten Ha¨user 500 Mark kosteten (die Preise der Ha¨user in anderen Teilen der Stadt blieben deutlich dahinter zuru¨ck). Als Jan Długosz in der Mitte des darauffolgenden Jahrhunderts ein Haus in der Kanonikergasse erwarb, zahlte er dafu¨r 100 Mark (bei einem bereits geringeren Wert des Geldes). Das Dorf Zabłocie kostete im Jahre 1357 120 Mark; vgl. Jerzy Rajman, O cenach ¨ ber die Immobilienpreise im mittelalterlichen Kranieruchomo´sci w s´ redniowiecznym Krakowie [U kau], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 24 (1990), S. 7–13. 73 Crossley, Gothic Architecture (wie Anm. 16), S. 456–457; Krasnowolski, Architektura krakowska (wie Anm. 1), S. 14; Miłobedzki, ˛ Architektura Kro´lestwa Polski (wie Anm. 21), S. 462–463; Ders., ´ Po´znogotyckie typy sakralne (wie Anm. 25), S. 91; Ders., Zarys dziejo´w architektury (wie Anm. 16), S. 108; Pencakowski, Gotyk (wie Anm. 25), S. 117–118; W˛ecławowicz, Małopolska i Ziemie Ruskie (wie Anm. 16), S. 74.

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aus, und es entstanden die wichtigsten Geba¨ude, die die na¨chsten Jahrhunderte hindurch u¨ber das Aussehen der Metropole mitentscheiden sollten.74

II. Der Ho¨hepunkt der architektonischen Entwicklung im 15. Jahrhundert

Mit seinen etwa 13 000 bis 14 000 Einwohnern war Krakau im Jahre 1400 nur eine mittelgroße europa¨ische Stadt,75 aber ihre damaligen internationalen Verbindungen als Hauptstadt des polnischen Ko¨nigreiches und eines Bistums, als Sitz zahlreicher Orden sowie einer sich entwickelnden Universita¨t, aber auch als Handelszentrum waren zweifellos u¨berdurchschnittlich. Ihr architektonisches Bild erinnerte, im Gegensatz zu anderen Sta¨dten des Ko¨nigreiches, an den Anblick betra¨chtlich gro¨ßerer und scho¨nerer Metropolen im Westen. Mit seiner Stadtgestalt und imposanten Steinarchitektur u¨berbot Krakau eindeutig alle anderen Sta¨dte nicht nur in Kleinpolen, sondern im gesamten damaligen polnischen Ko¨nigreich. Eine derart große Differenz zwischen der Pracht der Hauptstadt und dem Zustand der u¨brigen Sta¨dte der Monarchie war damals in keinem der benachbarten lateinischen La¨nder zu beobachten. Mit dem 15. Jahrhundert begann der erfolgreichste Zeitraum in der Geschichte der Stadt, der in der Krakauer Tradition nicht umsonst als felix saeculum bezeichnet wird. Krakau war weiterhin Mittelpunkt des regionalen Handels und eines der wichtigsten Zentren des ostmitteleuropa¨ischen Transithandels. Die gu¨nstigen ko¨niglichen Privilegien ermo¨glichten intensive Handelsbeziehungen mit deutschen und fla¨mischen Sta¨dten. Zwar brachen in der zweiten Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts die Handelskontakte mit Nu¨rnberg ab und der Handel mit den no¨rdlichen Landesteilen beschra¨nkte sich auf Danzig, aber dafu¨r belebte sich der Austausch mit Schlesien und mit Ungarn. Eine besondere Bedeutung besaßen weiterhin der Kupfertransit und der Handel mit Tuchwaren sowie mit Blei und Salz; und auch Handwerksprodukte wurden von den Krakauern außerhalb der Grenzen des Ko¨nigreiches verkauft.76

74 Siehe Komorowski/Krasnowolski, Architektoniczny pejza˙z Krakowa (wie Anm. 16), S. 108. 75 Tadeusz Ładogo ´ rski, Studia nad zaludnieniem Polski XIV wieku [Studien zur Bevo¨lkerung Polens

im 14. Jahrhundert], Wrocław 1958, S. 196; Wyrozumski, Dzieje (wie Anm. 1), S. 314–318. Prag za¨hlte u¨ber 35 000 Einwohner, Danzig etwa 30 000. Die Fla¨che Krakaus innerhalb der Stadtmauern betrug etwa 55 ha, vgl. Andrzej Niewinski, ´ Przestrzen´ ko´scielna w topografii s´ redniowiecznego Krakowa. Pro´ba syntezy [Der kirchliche Raum in der Topographie des mittelalterlichen Krakau. Versuch einer Synthese], Krako´w 2004, S. 27; Krzysztof Zamorski, Rozwo´j demograficzny Krakowa w ciagu ˛ wieko´w [Die demographische Entwicklung Krakaus im Verlauf der Jahrhunderte], in: Krako´w. Nowe studia nad rozwoju miasta. Praca zbiorowa, hg. v. Jerzy Wyrozumski, Krako´w 2007, S. 841–887, hier S. 856–857. 76 Janina Bieniarzo ´ wna, Krako´w w dobie studio´w Mikołaja Kopernika [Krakau wa¨hrend der Studienzeit von Nikolaus Kopernikus], in: Krako´w – Małopolska (wie Anm. 2), S. 85–91, hier S. 88–89; Kutrzeba/Pta´snik, Dzieje handlu (wie Anm. 3), S. 73, 85–86, 88–89, 92–95, 98; Wyrozumski, Dzieje (wie Anm. 1), S. 320–355, 371–396; Ders., Gospodarcze podstawy (wie Anm. 3), S. 71–72.

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Im 15. Jahrhundert kam es zu einer schrittweisen Polonisierung der Stadt, auch wenn die Deutschen weiterhin das Patriziat dominierten77 und der Zustrom von Ausla¨ndern, hauptsa¨chlich von Deutschen und Italienern, zunahm. Die Eigentumsverha¨ltnisse gestalteten sich so wie in der Zeit davor; die Anwesen des Adels und des Klerus befanden sich in unmittelbarer Umgebung der Wawelburg, die Stadt blieb prinzipiell bu¨rgerlich, und die reichsten Bu¨rger wohnten traditionell am Ringplatz und in dessen unmittelbarer Umgebung.78 An der Schwelle zum 15. Jahrhundert war Krakau bereits eine vollsta¨ndig ausgebildete mittelalterliche Stadt. Im Laufe des vorangegangenen halben Jahrhunderts hatte die „Revolution“ der sta¨dtischen Landschaft zur Verdra¨ngung oder Umgestaltung der urspru¨nglichen und in hohem Grade vorla¨ufigen Bebauung gefu¨hrt, die im Verlauf der ersten hundert Jahre der rechtssta¨dtischen Entwicklung entstanden war. An der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert waren die großen Investitionen abgeschlossen, und die materielle Substanz der Stadt konnte von nun an nur noch erga¨nzt werden. Der gotische Stil in der Architektur und in den bildenden Ku¨nsten wirkte fort und ging in seine reife Form u¨ber. Erst am Ende der Epoche begannen Motive und Themen der Fru¨hrenaissance in Erscheinung zu treten. Nach einer u¨ppigen Blu¨tezeit im 14. Jahrhundert wurde der Kirchenbau nun erheblich eingeschra¨nkt. Dafu¨r ko¨nnen zweierlei Ursachen genannt werden. Erstens war der Bedarf an Neubauten oder an einem gru¨ndlichen Ausbau a¨lterer Kirchen zuru¨ckgegangen, weil die großen sakralen Investitionen ja erst vor kurzem vollendet worden waren. Ein zweiter Grund war die allgmeine Hemmung der Entwicklung der kirchlichen Architektur im gesamten Kleinpolen.79 Einen beredten Beweis dafu¨r liefert die Tatsache, dass die gro¨ßte damalige Unternehmung auf dem Gebiet der Sakralarchitektur – die Errichtung der steinernen St.-Anna-Kirche anstelle der a¨lteren aus Holz) im Jahre 1407 – nur ein verha¨ltnisma¨ßig kleines Geba¨ude von einfacher Gestalt hervorbrachte,80 obwohl das Ma¨zenatentum Władysław Jagiełłos die Mo¨g-

77 Zdzisław Noga, O elicie politycznej miasta Krakowa XV–XVIII wieku [U ¨ ber die politische Elite Kra-

kaus des 15. – 18. Jahrhunderts], in: Krako´w europejskie miasto prawa magdeburskiego 1257–1791. ˙ Katalog wystawy, hg. v. Grazyna Lichonczak-Nurek, ´ Krako´w 2007, S. 91–98, hier S. 91–94. 78 Maria Koczerska, Siedziby krakowskich urz˛edo´w ko´scielnych w XV w. [Die Sitze der Krakauer ´ praca w dawnych miastach, hg. v. Andrzej Kirchena¨mter im 15. Jahrhundert], in: Czas, przestrzen, Wyrobisz/Michał Tymowski, Warszawa 1991, S. 81–91; Bicz-Suknarowska/Niewalda/Rojkowska, Zabudowa ulicy Kanonicznej (wie Anm. 54), S. 97. 79 Fabianski/Purchla, ´ Historia architektury Krakowa (wie Anm. 1), S. 23; Miłobedzki, ˛ Architektura ´ Kro´lestwa Polski (wie Anm. 21), S. 463; Ders., Po´znogotyckie typy sakralne (wie Anm. 25), S. 90–91; Ders., Zarys dziejo´w architektury (wie Anm. 16), S. 76; W˛ecławowicz, Małopolska i Ziemie Ruskie (wie Anm. 16), S. 73. 80 Julian Bukowski, Ko´scio´ł akademicki s´ w. Anny. Monografia historyczna [Die Universita¨tskirche St. Anna. Eine historische Monographie], Krako´w 1900, S. 4–7; Krasnowolski, Architektura krakowska (wie Anm. 1), S. 16; Tomkowicz, Ulice i place (wie Anm. 16), S. 79; Niewinski, ´ Przestrzen´ ko´scielna (wie Anm. 75), S. 87. Die Holzkirche brannte wa¨hrend der antiju¨dischen Unruhen ab. Dazu Wyrozumski, Dzieje (wie Anm. 1), S. 326, 328. Die neuesten Untersuchungen haben hinsichtlich des ´ Anny Kirchenbaus keine wesentlichen neuen Erkenntnisse erbracht, vgl. Studia z dziejo´w ko´scioła Sw. w Krakowie, hg. v. Zdzisław Kli´s/Tomasz W˛ecławowicz, Krako´w 2009.

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lichkeit geboten ha¨tte, ein viel bedeutenderes Werk zu schaffen. Geringe Ausmaße hatte auch die Kapelle der hll. Matthias und Mattha¨us, die im Jahre 1425 no¨rdlich der Stephanskirche errichtet wurde.81 Eine Reihe weiterer Arbeiten auf dem Gebiet der Sakralarchitektur stand im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau von Kirchen und Klo¨stern, die den zahlreichen Bra¨nden zum Opfer gefallen waren, die im 15. Jahrhundert insbesondere den su¨dlichen Teil der Stadt heimsuchten. Beim Brand von 1455 (als u¨ber 100 Ha¨user in der Burg- und in der Kanonikergasse in Flammen aufgingen) wurden die Andreas-, die Martins- und die Magdalenenkirche sowie die Petrikapelle zersto¨rt.82 Die erste dieser Kirchen wurde ohne gro¨ßere Vera¨nderungen wiederaufgebaut,83 wa¨hrend der Umfang der Vera¨nderungen der u¨brigen drei Gottesha¨user unbekannt ist, jedoch sicherlich nicht sehr groß war; die Magdalenenkirche wurde um 1474 wiedererrichtet.84 In einem weiteren Brand wurden 1462 die Kirchen- und Klosterensembles der Franziskaner und der Dominikaner in Mitleidenschaft gezogen.85 Die Mauern des Turmes der Franziskanerkirche hatten unter dem Brand gelitten und stu¨rzten drei Jahre spa¨ter ein. Der Turm wurde nicht wieder aufgebaut; seine Funktion nahm nun ein kleiner Dachreiter wahr.86 Die nach dem Brand erneuerte Dreifaltigkeitskirche erhielt einen neuen Ostgiebel sowie neue Chorgewo¨lbe.87 Im Jahre 1473 brannte das Klosterensemble der Klarissen bei der Kirche St. Andreas nieder,88

81 Rozek, ˙ Nie istniejace ˛ ko´scioły (wie Anm. 32), S. 105. 82 Stanisław S. Sroka, Kl˛eski elementarne w Krakowie w XV wieku [Elementarkatastrophen in Krakau

im 15. Jahrhundert], in: Rocznik Krakowski 67 (2001), S. 13–18, hier S. 16.

83 Władysław Łuszczkiewicz, Architektura romanskiego ´ Andrzeja w Krakowie. Studium ´ ko´scioła Sw.

na podstawie badan´ i zdj˛ec´ na miejscu dokonanych [Die Architektur der romanischen Andreaskirche in Krakau. Eine Studie auf der Grundlage von vor Ort geta¨tigten Untersuchungen und Aufnahmen], in: Sprawozdania Komisji do Badania Historii Sztuki w Polsce 7 (1906), S. 1–38, hier S. 31. 84 Bicz-Suknarowska/Niewalda/Rojkowska, Zabudowa ulicy Kanonicznej (wie Anm. 54), Ill. 5 (Magdalenenkirche); Janusz Firlet, „Capella murata tituli Sanctae Mariae Magdalenae“ ... Z dziejo´w dawnego ko´scioła Uniwersytetu Krakowskiego [„Capella murata tituli Sanctae Mariae Magdalenae“ ... Zur Geschichte der fru¨heren Krakauer Universita¨tskirche], in: Civitas et villa. Miasto i wie´s w ´ s´ redniowiecznej Europie Srodkowej, hg. v. Cezary Bu´sko u. a., Wrocław/Prag 2002, S. 249–256, hier S. 252; Teresa Lenkiewicz, Ko´scio´ł Marii Magdaleny w Krakowie w s´ wietle ostatnich odkry´c archeologicznych [Die Krakauer Magdalenenkirche im Lichte der letzten archa¨ologischen Entdeckungen], ˙ in: Biuletyn Krakowski 1 (1959), S. 78–98, hier S. 80; Rozek, Nie istniejace ˛ ko´scioły (wie Anm. 32), S. 100 (Magdalenenkirche), S. 101 (Petrikapelle); Sroka, Kl˛eski elementarne (wie Anm. 82), S. 17; ´ Andrzej Włodarek, Architektura s´ redniowiecznych kolegio´w i burs Uniwersytetu Jagiellonskiego [Die Architektur der mittelalterlichen Kollegien und Bursen der Jagiellonenuniversita¨t], Krako´w 2000, S. 194 (Magdalenenkirche). 85 Sroka, Kl˛eski elementarne (wie Anm. 82), S. 17. 86 Architektura gotycka w Polsce. Katalog zabytko´w (wie Anm. 16), S. 130; Kazimierz Rosenbaiger, Dzieje ko´scioła oo franciskano´w w Krakowie w wiekach s´ rednich [Die Geschichte der Kirche der Franziskanerpatres in Krakau im Mittelalter], Krako´w 1933, S. 104. 87 Architektura gotycka w Polsce. Katalog zabytko´w (wie Anm. 16), S. 128; Jamroz, Sredniowieczna ´ architektura (wie Anm. 26), S. 27; Leonard Lepszy/Stanisław Tomkowicz, Zabytki sztuki w Polsce, 1: Krako´w, ko´scio´ł i klasztor OO. Dominikano´w [Kunstdenkma¨ler in Polen. 1. Krakau, Kirche und ´ Tojcy (wie Anm. 26), Kloster der Dominikanerpatres], Krako´w 1924, S. 2; Muczkowski, Ko´scio´ł Sw. S. 50. 88 Łuszczkiewicz, Architektura romanskiego ´ ko´scioła (wie Anm. 83), S. 31.

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und 1476 zersto¨rte ein Brand das Dach der Franziskanerkirche.89 Im Jahre 1494 bescha¨digte ein Feuer auch die Markuskirche ernstlich.90 All diese Bra¨nde zersto¨rten zwar viel, beschleunigten aber auch die Modernisierung. Die Maßnahmen zum Wiederaufbau wurden mit geplanten Investitionen verknu¨pft. Wir wissen zum Beispiel, dass der Altarraum der Franziskanerkirche in der ersten Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts (vor 1436) verla¨ngert und mit einer fu¨nfseitigen Apsis abgeschlossen wurde.91 In den Jahren 1423/36 wurde der Kreuzgang des ersten Klostergartens der Franziskaner errichtet,92 und sicher in der zweiten Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts entstand die achteckige Kapelle St. Klara an deren westlichem Arm.93 Das Klarissenkloster wurde nach den erwa¨hnten beiden Brandkatastrophen gru¨ndlich umgebaut,94 das Klosterensemble der Dominikaner entwickelte sich trotz der Bra¨nde das ganze Jahrhundert hindurch sukzessiv in Richtung Norden.95 Der Korpus der Dreifaltigkeitskirche erhielt Familien- und Bruderschaftskapellen.96 An die Heiligkreuzkirche wurden Kapellen angebaut, die der hl. Sophie (um 1440) und der Verkla¨rung Christi gewidmet waren.97 All diese Vera¨nderungen in der Sakralbebauung trugen zu einer betra¨chtlichen Vergro¨ßerung des mit Steinbauten besetzten Raumes bei, besonders der Klo¨ster, aber sie blieben ohne bedeutsamen Einfluss auf die Entwicklung der Architektur, weil sie eher utilitaristischer Natur waren. Wesentlich waren dagegen die Umgestaltungen der Pfarrkirche St. Marien. In den Jahren 1435/46 wurden an ihren Korpus Seitenkapel´ 98 was die Proportionen des Gotteslen angebaut (von Meister Johannes Wiechon), 89 Rosenbaiger, Dzieje ko´scioła (wie Anm. 86), S. 105. 90 Szablowski, Ko´scio´ł Sw. ´ Marka (wie Anm. 31), S. 82. 91 Architektura gotycka w Polsce. Katalog zabytko´w (wie Anm. 16), S. 130; Jo´zef Muczkowski, Ko´scio´ł

´ Franciszka w Krakowie [Die St.-Franziskus-Kirche in Krakau], Krako´w 1901, S. 14; RosenbaiSw. ger, Dzieje ko´scioła (wie Anm. 86), S. 101. 92 Architektura gotycka w Polsce. Katalog zabytko´w (wie Anm. 16), S. 130; Muczkowski, Ko´scio´ł Sw. ´ Franciszka (wie Anm. 91), S. 37; Rosenbaiger, Dzieje ko´scioła (wie Anm. 86), S. 150–153; Marek Walczak, Działalno´sc´ fundacyjna biskupa krakowskiego kardynała Zbigniewa Ole´snickiego [Die Stiftungsta¨tigkeit des Krakauer Bischofs Kardinal Zbigniew Ole´snicki], in: Folia Historiae Artium 28 (1992), S. 57–73, hier S. 68–70. 93 Architektura gotycka w Polsce. Katalog zabytko´w (wie Anm. 16), S. 130; Rosenbaiger, Dzieje ko´scioła (wie Anm. 86), S. 140–142; Stanisław Tomkowicz, Do historii muzyki w Krakowie [Zur Geschichte der Musik in Krakau], in: Rocznik Krakowski 9 (1907), S. 187–207, hier S. 101. 94 Katalog Zabytko´w Sztuki w Polsce. Tom 4: Miasto Krako´w, Cz˛es´ c´ 2: Ko´scioły i klasztory Sro ´ ´ dmie´scia, 1: Tekst [Katalog der Kunstdenkma¨ler in Polen. Bd. 4: Stadt Krakau, Teil 2: Die Kirchen und Klo¨ster der Innenstadt, 1: Text], hg. v. Adam Bochniak/Jan Samek, Warszawa 1971, S. 61. 95 Architektura gotycka w Polsce. Katalog zabytko´w (wie Anm. 16), S. 129; Jamroz, Sredniowieczna ´ architektura (wie Anm. 26), S. 9, Anm. 7 (zum Bau der Bibliothek u¨ber dem großen Refektorium im ´ Tojcy (wie Anm. 26), S. 46. Jahre 1403); Muczkowski, Ko´scio´ł Sw. 96 Architektura gotycka w Polsce. Katalog zabytko´w (wie Anm. 16), S. 128–129; Lepszy/Tomkowicz, Zabytki sztuki (wie Anm. 87), S. 2, 6; Stanisław Tomkowicz, Kaplice ko´scioła dominikano´w [Die Kapellen der Dominikanerkirche], in: Rocznik Krakowski 20 (1926), S. 77–96, hier S. 94. 97 Architektura gotycka w Polsce. Katalog zabytko´w (wie Anm. 16), S. 125; Sieradzka, Sredniowieczna ´ architektura (wie Anm. 30), S. 52; W˛ecławowicz, Architektura ko´scioła (wie Anm. 30), S. 66, Ill. 3. 98 Architektura gotycka w Polsce. Katalog zabytko´w (wie Anm. 16), S. 124; Krzysztof J. Czyzewski/ ˙ Marek Walczak, Kilka zagadnien´ z dziejo´w architektury w Krakowie w czasach Wita Stwosza [Einige Fragen zur Geschichte der Architektur zur Zeit des Veit Stoß], in: Woko´ł Wita Stwosza. Materiały z

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hauses unvorteilhaft vera¨nderte,99 wa¨hrend der Anbau einer fu¨nfseitigen Westvorhalle100 zur abwechslungsreichen Gestaltung seines massiven Westteils beitrug. In den Jahren 1400–1408 wurde der no¨rdliche Turm (von dem noch heute das Turmsignal geblasen wird) durch Errichtung der beiden letzten Stockwerke auf dem Grundriss eines Achtecks betra¨chtlich erho¨ht,101 und 1478 wurde ihm der jetzige, eindrucksvolle Helm aufgesetzt (von Meister Matthias Heringk).102 Sowohl den Turm als auch den Helm kann man symbolisch deuten – als die mit einer Krone geschmu¨ckte ideologische Mitte der Stadt, die eine Verbindung zwischen der irdischen Spha¨re und dem sacrum darstellt.103 Der Turm wurde zum dominierenden Element in der Silhouette der Stadt,104 zum sichtbaren Zeichen ihres materiellen Wohlstandes und zum Symbol ihres Ruhmes. Vor 1516 entstand in der Nachbarschaft der Marienkirche eines ¨ lbergkapelle mit einer in der der eindrucksvollsten Werke der Kleinarchitektur, die O Werkstatt des Veit Stoß angefertigten Skulpturengruppe mit Christus und den Aposteln.105 Sowohl die Form der Kapelle als auch ihre Situierung auf dem Marienfriedhof besitzen außer der praktischen auch eine symbolische Dimension. Der Friedhof war in der mittelalterlichen Stadt ja nicht nur ein Begra¨bnisort, er bildete auch einen ¨ bergangs zur besonderen, in kosmologischen Kategorien verstandenen Punkt des U 106 Spha¨re des sacrum.

mi˛edynarodowej konferencji naukowej w Muzeum Narodowym w Krakowie 19–22 marca 2005, hg. v. Dobrosława Horzela/Adam Organisty, Krako´w 2006, S. 169–183, hier S. 179–181; Lepiarczyk, Fazy budowy (wie Anm. 27), S. 221–225; Paweł Pencakowski, Architektura [Architektur], in: Encyklopedia Krakowa, Warszawa/Krako´w 2000, S. 20. 99 Miłobedzki, ´ ˛ Po´znogotyckie typy sakralne (wie Anm. 25), S. 110; Pencakowski, Gotyk (wie Anm. 25), S. 113. 100 Lepiarczyk, Fazy budowy (wie Anm. 27), S. 225; W˛ecłałowicz, Fazy budowy (wie Anm. 25), S. 69–73. 101 Ebd., S. 215–216. 102 Architektura gotycka w Polsce. Katalog zabytko´w (wie Anm. 16), S. 124; Lepiarczyk, Fazy budowy ˙ (wie Anm. 27), S. 27–220; Czyzewski/Walczak, Kilka zagadnien´ (wie Anm. 98), S. 173–174. 103 Zur Form und Symbolik des ho¨heren Turms der Marienkirche u. a. Jan Dre´scik, Zegar wielki na ˙ wie˙zy wyzszej ko´scioła Mariackiego [Die große Uhr am ho¨heren Turm der Marienkirche], in: Rocznik Krakowski 65–66 (1999–2000), S. 39–64, hier S. 52–61; Lepiarczyk, Fazy budowy (wie Anm. 27), S. 218–220; Pencakowski, Gotyk (wie Anm. 25), S. 124; Ders., O´smioboczne wie˙ze krakowskie – dzieje jednego motywu [Achteckige Krakauer Tu¨rme – die Geschichte eines Motivs], in: Rocznik Krakowski 58 (1992), S. 5–29, hier S. 8–11; W˛ecławowicz, Krakowski ko´scio´ł katedralny (wie Anm. 28), S. 137–141. 104 Vielleicht wurde der bis zum Ende des Mittelalters unvollendet belassene (su¨dliche) Glockenturm nicht erho¨ht, um keine Konkurrenz zu erzeugen. Er reichte nicht einmal bis zur Ha¨lfte der Dachho¨he u¨ber dem Hauptschiff, vgl. Lepiarczyk, Fazy budowy (wie Anm. 25), S. 220. 105 Paweł Pencakowski, Architektura kaplicy Ogrojcowej przy ko´sciele Sw. ´ Barbary w Krakowie [Die ¨ lbergkaplle an der Kirche St. Barbara in Krakau], in: Rocznik Krakowski 55 (1989), Architektur der O ´ Barbary w Krakowie [Die SkulpS. 89–102; Ders., Rze´zby w kaplicy Ogrojcowej przy ko´sciele Sw. ¨ lbergkapelle an der Kirche St. Barbara in Krakau], in: Folia Historiae Artium 20 (1984), turen in der O S. 21–38; Marek Walczak, Wit Stwosz i architektura w Krakowie [Veit Stoß und die Architektur in Krakau], aus: Woko´ł Wita Stwosza (wie Anm. 98), S. 150–158. 106 Jan Kracik, Miasto zatrzymuje umarłych. Krakowskie nekropolie a kultura duchowa XVII–XVIII wieku [Krakau beha¨lt die Toten. Die Krakauer Nekropolen und die geistige Kultur des 17. – 18. Jahrhunderts], in: Z przeszło´sci Krakowa (wie Anm. 8), S. 165–182, hier S. 174–176; Władysław Łuszczkiewicz, Stare cmentarze krakowskie, ich zabytki sztuki i obyczaju ko´scielnego [Die alten Krakauer

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Der Ausgang des Mittelalters brachte Krakau eine unerho¨rte Zunahme der gemauerten Wohnsubstanz. In ihr kamen sowohl die Stabilisierung des Bu¨rgertums als auch seine erho¨hten Mo¨glichkeiten zur Zeit der ersten Jagiellonen zum Ausdruck. Zugleich illustrierte sie die Vera¨nderung der Investitionsproportionen innerhalb der Stadt, in der die Bauta¨tigkeit auf dem Gebiet der Sakralarchitektur betra¨chtlich zuru¨ckging.107 Dagegen entwickelte sich die Wohnbebauung entsprechend dem in der Mitte des 14. Jahrhunderts festgelegten Programm dynamisch. Wa¨hrend es um das Jahr 1400 in Krakau etwas u¨ber 300 Steinha¨user gab, waren es an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert bereits ungefa¨hr 400,108 die noch dazu viel gro¨ßer waren als im Jahrhundert zuvor.109 Am Ende des Mittelalters nahm die gemauerte Bebauung fast alle Frontpartien der Anwesen in der Burg-, der Sławkowska-, der Johannis- und der Floriansgasse ein. Dagegen entwickelte sich die gemauerte Bebauung in den Straßenfronten der Spital-, der Heiligkreuz-, der Heu-, der Thomas- und der Jagiellonen- sowie der Schustergasse auch bis in die Tiefe der Anwesen hinein intensiv; im 15. Jahrhundert entstand hier der entscheidende Teil der Hintertrakte aus dauerhaftem Material, hauptsa¨chlich aus Ziegeln. An der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert wurden gemauerte Hintertrakte zum Standard, im Gegensatz zur Situation am Ende des 14. Jahrhunderts. Hinterbebauungen aus Holz dominierten nur noch auf Grundstu¨cken in den peripheren Straßen oder in weniger wichtigen Abschnitten der Hauptstraßen, u. a. in der Schuster- und in der Sławkowskagasse, aber auch in der Floriansgasse zwischen der Markusgasse und den Stadtmauern.110 In den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts kam es auch zu einer Intensivierung des Ausbaus in die Ho¨he. Dies betraf insbesondere den Ringplatz, wo die Frontgeba¨ude immer o¨fter mit einem zweiten Stockwerk u¨berbaut wurden.111 Erst am Ende des Mittelalters traten gemauerte Hinterha¨user in Erscheinung, deren Zahl in den einzelnen Straßen unterschiedlich war, in der Regel jedoch nur einen Bruchteil gegenu¨ber der u¨brigen Bebauung in den hinteren Teilen der Anwesen ausmachte. Am Ende des 15. Jahrhunderts war nur ein Fu¨nftel aller Hinterha¨user in der Floriansgasse aus Stein, in der Annengasse nur ein Siebentel, und in der Sławkowska- und der Johannisgasse gab es nicht mehr als jeweils nur vier gemauerte Hinterha¨user. Sogar am Ringplatz bestand an der Schwelle zur Neuzeit noch ein Drittel der Hinterhausbebauung aus Holz.112 Auch ein betra¨chtlicher Teil der Friedho¨fe, ihre Kunst- und den kirchlichen Brauch betreffenden Denkma¨ler], in: Rocznik Krakowski 1 (1898), S. 9–36, hier S. 12; W˛ecławowicz, Krakowski ko´scio´ł katedralny (wie Anm. 28), S. 137–141. 107 W˛ecławowicz, Małopolska i Ziemie Ruskie (wie Anm. 16), S. 73. 108 Komorowski/Niewalda/Rojkowska, Rozwo´j zabudowy murowanej (wie Anm. 53). Mit zunehmender Zahl der Ha¨user erho¨hte sich der Prozess ihrer Individualisierung, was auch darin zum Ausdruck kam, dass ihnen Eigennamen gegeben wurden, vgl. Przemysław Tyszka, Nazwy kamienic krakowskich w XV w. [Die Namen der Krakauer Ha¨user im 15. Jahrhundert], in: Dom w mie´scie (wie Anm. 64), S. 183–191. 109 Das Aussehen der Bebauung nach den Umgestaltungen geben gut die Rekonstruktionen wieder bei Swaryszewski, Gotycki blok (wie Anm. 43), Ill. 5; Ders., Historyczne przekształcenia (wie Anm. 43), Ill. 5. 110 Komorowski/Niewalda/Rojkowska, Rozwo´j zabudowy murowanej (wie Anm. 53). 111 Swaryczewski, Historyczne przekształcenia (wie Anm. 43), S. 24. 112 Komorowski, Kamienice i pałace (wie Anm. 43), Ill. 1.

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ho¨heren Stockwerke der Frontgeba¨ude war aus Holz, besonders in ihren hinteren Trakten; im Bebauungsensemble zwischen der Florians-, der Spital-, der Thomasund der Markusgasse besaßen u¨ber 80 % der Ha¨user gemauerte Hintertrakte im Erdgeschoss, aber ein Drittel der ho¨heren Stockwerke bestand aus Holz.113 Die Ersetzung der Mauer durch Holz dauerte noch mindestens anderthalb Jahrhunderte an und endete erst in der fortgeschrittenen Neuzeit. Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts bis zum Ende des Mittelalters vergro¨ßerte sich die Raumgro¨ße der Krakauer Ha¨user ungefa¨hr auf das Vierfache.114 Beim Palastbau hatten Vera¨nderungen in der ra¨umlichen Disposition nur zweitrangigen Charakter (Bau von gemauerten Hinterha¨usern und zweiten Stockwerken), wa¨hrend der Nachdruck auf der Mehrung der Dekorationen lag.115 Die am Ringplatz errichteten Residenzen waren sehr groß und ihr materieller Wert war enorm.116 Der Besitz einer Residenz am Ringplatz zeugte von den Ambitionen des Patriziats. Gegen Ende des Mittelalters wurden die Wohnsitze wohlhabender Bu¨rger zu Objekten, die den Landsitzen der Magnaten in nichts nachstanden und wie diese das fru¨hhumanistische Ideal der Harmonie, der Ornamentik und der Repra¨sentation realisierten. Ein bestimmter Teil der Ha¨user am Ringplatz wurde zu Pala¨sten adaptiert, in einer Zeit, als Krakau im 15. Jahrhundert seine Blu¨te erlebte, insbesondere in der Regierungs´ zeit Kasimir Jagiellonczyks; die mit dem Ko¨nig verbundene Elite musste den Erfordernissen der Repra¨sentanz gerecht werden und die neu erworbenen Ha¨user ihren Bedu¨rfnissen anpassen (z. B. das Haus am Ringplatz 26, das den masowischen Herzo¨gen geho¨rte).117 ¨ ber die Sitze der Ritter und der Magnaten ist nicht viel bekannt. Von der unterU halb der Wawelburg gelegenen Residenz eines der gro¨ßten Vertreter der polnischen politischen Elite, des Kastellans und Krakauer Starosten Nicolaus von Kurozw˛eki

113 Swaryszewski, Gotycki blok (wie Anm. 43), S. 20, Ill. 1–3. 114 Łukacz, Pierwsze fazy (wie Anm. 42), Ill. 6, 7, 9. 115 Komorowski, Kamienice i pałace (wie Anm. 43), S. 70; Walczak, Wit Stwosz (wie Anm. 105),

˙ S. 150–153; Czyzewski/Walczak, Kilka zagadnien´ (wie Anm. 98), S. 175; Komorowski, Die hochund spa¨tmittelalterlichen Residenzen (wie Anm. 43), S. 272–274. 116 Der Palast am Ringplatz 47 wurde Mitte des 15. Jahrhunderts auf 2100 Mark gescha¨tzt, Rajman, O cenach (wie Anm. 72), S. 8, so dass sein Wert den Jahreseinku¨nften der Stadt gleichkam und die Kosten der Errichtung so manchen Ritterschlosses oder mancher Pfarrkirche u¨bertraf. In der zweiten Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts betrugen in Großpolen „die Kosten fu¨r die Errichtung einer gemauerten Dorfkirche 300–400 Mark, einer großen Stadtpfarrkirche etwa 1000–3000 Mark. Der Bau eines Bu¨rgerhaueses in Posen konnte etwa 100–130 Mark kosten und der eines kleinen Adelsschlo¨sschens ungefa¨hr 350–500 ´ Mark.“ Marian Kutzner, Wielkopolska, Kujawy, Ziemie Ł˛eczycka i Sieradzko-Wielunska [Großpo´ in: Architektura gotycka w len, Kujawien, das Land Ł˛eczyca und die Region um Sieradz und Wielun], Polsce. Synteza (wie Anm. 16), S. 155–170, hier S. 165. 117 Komorowski, Kamienice i pałace (wie Anm. 43), S. 70; Urszula Sowina, Woda i ludzie w mie´scie ´ sredniowiecznym i wczesno nowozytnym: ˙ po´zno´ Ziemie polskie z Europa˛ w tle [Wasser und Bevo¨lkerung in der spa¨tmittelalterlichen und fru¨hneuzeitlichen Stadt. Die polnischen La¨nder und Europa], Warszawa 2009, S. 262; Waldemar Komorowski/Kamila Follprecht, Wła´sciciele kamienic Rynku ˙ krakowskiego w czasach nowozytnych (do pierwszej okupacji szwedzkiej, cz˛es´ c´ 14 [Besitzer der Wohnha¨user Am Krakauer Ringplatz in der Neuzeit (bis zur ersten schwedischen Besatzung, Teil 14], in: Krakowski Rocznik Archiwalny 15 (2009), S. 24–40, hier S. 25.

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(in der Kanonikergasse 24), sind Reste von Erkern mit einer zum Rudawa-Mu¨hlgraben gerichteten Loggia (?) erhalten.118 Vom Sitz der Familie Tarnowski in Gro´dek (erstmals 1448 erwa¨hnt), der nach dem Brand 1475 wiederaufgebaut wurde,119 sind lediglich gotische und renaissancezeitliche Steinmetzelemente bekannt, die sekunda¨r in den Fensterrahmen des an seiner Stelle errichteten Dominikanerinnenklosters verwendet wurden. In der Annengasse befanden sich kleinere Residenzen der Familie ´ T˛eczynski, u. a. ein Haus an der Pforte in der Stadtmauer und das Haus „Zur Axt“120 (das dem Kollegium in der Annengasse 6 eingegliedert wurde). Erst nach dem Brand von 1455 trat der Typ einer Kanonikerresidenz mit Stadtpalaischarakter in Erscheinung: ein breitfrontiges Geba¨ude, in der Regel einsto¨ckig und eintraktig, mit einem großen Flurraum im Erdgeschoss und der Wohnung des Kanonikers im Obergeschoss. Zu den stattlichsten Ha¨usern der ersten Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts geho¨rte die Residenz von Paweł von Brudzewo in der Kanonikergasse 16 (errichtet vor 1435).121 Bei besonders imposanten Geba¨uden zeichnete sich die Tendenz zur Einrichtung eines abgeschlossenen Hofes ab, wie im Fall der Residenz der Gebru¨der Długosz in der Kanonikergasse 25, die im Jahre 1454 umgebaut wurde.122 Betra¨chtlichen, jedoch nur schwer zu bestimmenden Vera¨nderungen war der Bischofspalast unterworfen, der sicherlich um den Westflu¨gel erweitert wurde (vielleicht nach dem Brand von 1462).123 Die 1364 gegru¨ndete Universita¨t dru¨ckte Krakau im 14. Jahrhundert zuna¨chst keinen Stempel auf. Erst nach ihrer Erneuerung im Jahre 1400124 begann ihre spektakula¨re Entwicklung. Den Ausgangspunkt fu¨r den Ausbau der Hohen Schule bildete 118 Swaryczewski, Gotyckie domy ulicy Kanoniczej (wie Anm. 65), S. 15; Bicz-Suknarowska/Nie-

walda/Rojkowska, Zabudowa ulicy Kanonicznej (wie Anm. 54), S. 98–99; Encyklopedia Krakowa (wie Anm. 98), S. 720; Adam Kaminski, ´ Mikołaj z Michałowa i Kurozw˛ek [Nicolaus von Michało´w und Kurozw˛eki], in: Polski Słownik Biograficzny, Bd. 21, Wrocław u. a. 1976, S. 123–126; Urz˛ednicy małopolscy XII–XV wieku. Spisy [Die kleinpolnische Beamten des 12. – 15. Jahrhunderts. Verzeichnisse], hg. v. Antoni Gasiorowski, ˛ Wrocław u. a. 1990, S. 345. 119 Swiszczowski, ´ Gro´dek krakowski (wie Anm. 61), S. 22. 120 Kurtyka, Latyfundium T˛eczynskie ´ (wie Anm. 71), S. 452, 455, 532; Tomkowicz, Ulice i place (wie Anm. 16), S. 82–83. 121 Komorowski/Krasnowolski, Sredniowieczne ´ i renesansowe pałace (wie Anm. 63), S. 85; Swaryczewski, Gotyckie domy ulicy Kanoniczej (wie Anm. 65), S. 11. 122 Krystyna Pieradzka, Zwiazki ˛ Długosza z Krakowem [Długoszs Verbindungen mit Krakau], Krako´w 1975, S. 81–85. 123 Jo´zef A. Nowobilski, Mecenat artystyczny biskupa Jana Pawła Woronicza w Krakowie [Das ku¨nst˙ lerische Ma¨zenat des Bischofs Jan Paweł Woronicz in Krakau], Krako´w 2002, S. 82; Michał Rozek, Architektura i urzadzenie ˛ wn˛etrz pałacu biskupiego w Krakowie (XIV–XIX w.) [Architektur und Inneneinrichtungen des Bischofspalastes in Krakau (14. – 19. Jahrhundert)], in: Rocznik Krakowski 45 (1974), S. 19–42, hier S. 19–20; Stanisław Tomkowicz, Pałac Biskupi w Krakowie [Der Bischofspalast in Krakau], (Biblioteka Krakowska, Nr. 78), Krako´w 1933, S. 6; Bolesław St. Kumor, Dzieje diecezji krakowskiej do roku 1795, tom 1 [Geschichte der Krakauer Dio¨zese bis zum Jahr 1795, Bd. 1], Krako´w 1998, S. 445. Das Bischofshaus lag spa¨testens seit 1384 an seinem heutigen Platz; u¨ber seine urspru¨ngliche Gestalt ist jedoch nichts bekannt. 124 Jan Dabrowski, ˛ Czasy Kazimierza Wielkiego [Die Zeit Kasimirs des Großen], in: Dzieje Uniwer´ sytetu Jagiellonskiego w latach 1364–1764, Bd. 1, hg. v. Kazimierz Lepszy, Krako´w 1964, S. 15–36; ´ Zofia Kozłowska- Budkowa, Odnowienie Jagiellonskie Uniwersytetu Krakowskiego (1390–1414) [Die jagiellonische Erneuerung der Krakauer Universita¨t (1390–1414)], in: Dzieje Uniwersytetu Jagi´ ´ ellonskiego a. a. O., S. 37–89; Krzysztof Stopka, Jagiellonska fundacja Uniwersytetu Krakowskiego

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das 1399 ka¨uflich erworbene private Haus an der Ecke Annen- und Jagiellonengasse. Es wurde Jahrhunderte hindurch durch Hinzufu¨gung weiterer Geba¨ude ausgebaut (nach 1430 entstand der repra¨sentative Ostteil mit einem Erker im Obergeschoss), die am Ende des 15. Jahrhunderts (vor 1494) eine vierflu¨gelige Anlage (das Collegium Maius) mit einem Arkadenhof bildeten, der Elemente der Renaissance anku¨ndigte.125 In der Na¨he (hauptsa¨chlich in der Taubengasse) wurden Bursen eingerichtet126 – fu¨r Philosophen (wohl seit 1400, quellenma¨ßig besta¨tigt aber erst zum Jahre 1447),127 fu¨r Arme (Bursa Pauperum, nach 1409)128 sowie fu¨r Wohlhabende (Bursa Divitum, vor 1428, seit 1475 Sitz der Mitglieder des so genannten Collegium Minus).129 Spa¨ter entstanden die Jerusalemer Burse (etwa 1453)130 und in der Bru¨dergasse die Ungarische Burse (1464).131 Die Akademie u¨bernahm das Patronat u¨ber die St.-Adalbert-132 und die Annenkirche (Umbau des Presbyteriums im Jahre 1428).133 In einem Zeitraum ¨ quivalent des von etwas u¨ber einem halben Jahrhundert bildete sich das Krakauer A Pariser Quartier Latin heraus. In der Nachbarschaft der Universita¨tsgeba¨ude begannen Betriebe ihre Ta¨tigkeit zu entfalten, die indirekt mit dem Leben der Hochschule verbunden waren. Dies betraf insbesondere Handwerkerwerksta¨tten, die sich auf die Herstellung von Bu¨chern spezialisierten, darunter Buchbindereien und spa¨ter auch Druckereien. Die Universita¨t breitete sich auf Kosten des viel a¨lteren, in den Quellen bereits im Jahre 1304 erwa¨hnten ju¨dischen Viertels aus. Auf dem Terrain des ersten Krakauer ju¨dischen Wohngebiets (die Bezeichnung Ghetto ist nicht zutreffend, da [Die jagiellonische Stiftung der Krakauer Universita¨t], in: Rocznik Krakowski 69 (2003), S. 35–46; Wyrozumski, Dzieje (wie Anm. 1), S. 302–313, 472–480. 125 Architektura gotycka w Polsce. Katalog zabytko´w (wie Anm. 16), S. 121–122, 316; Fabianski/ ´ Purchla, Historia architektury Krakowa (wie Anm. 1), S. 19; Karol Estreicher, Collegium Maius – dzieje gmachu [Das Collegium Maius – Geschichte des Geba¨udes], Krako´w 1968, S. 50–76; Krasno˙ wolski, Architektura krakowska (wie Anm. 1), S. 17; Stanisław Sławinski/Joanna ´ Hizycka, Rozwo´j przestrzenny gotyckiego gmachu Collegium Maius na podstawie badan´ architektonicznych prowadzonych w piwnicach [Die ra¨umliche Entwicklung des gotischen Geba¨udes des Collegium Maius auf der Grundlage der in den Kellerra¨umen durchgefu¨hrten architektonischen Untersuchungen], in: Rocznik Krakowski 65–66 (1999–2000), S. 21–37, hier Tafel 1; Stanisław Tomkowicz, Gmach Biblio´ teki Jagiellonskiej [Das Geba¨ude der Jagiellonischen Bibliothek], in: Rocznik Krakowski 4 (1901), S. 112–176, hier S. 113–124; W˛ecławowicz, Małopolska i Ziemie Ruskie (wie Anm. 16), S. 75; Włodarek, Architektura s´ redniowiecznych (wie Anm. 84), S. 23, 25–27, 83–92. 126 Zu den Bursen vgl. Jerzy Wyrozumski, Z najstarszych dziejo´w Uniwersytetu Krakowskiego [Zur a¨ltesten Geschichte der Krakauer Universita¨t], Krako´w 1996; zur Universita¨tsbebauung Dariusz Niemiec, Krakowski kwartał uniwersytecki w krajobrazie s´ redniowiecznego miasta lokacyjnego [Das Krakauer Universita¨tsviertel in der Landschaft der mittelalterlichen Lokationsstadt], in: Krako´w europejskie miasto (wie Anm. 77), S. 69–90, hier S. 69. 127 Włodarek, Architektura s´ redniowiecznych (wie Anm. 84), S. 37–38, 324–327. 128 Ebd., S. 36–37, 381–387. 129 Ebd., S. 32–33, 253–264. 130 Architektura gotycka w Polsce. Katalog zabytko´w (wie Anm. 16), S. 111; Włodarek, Architektura s´ redniowiecznych (wie Anm. 84), S. 38–39, 341–346. 131 Komorowski/Łukacz, Bursa W˛egierska (wie Anm. 60), S. 182; Włodarek, Architektura s´ redniowiecznych (wie Anm. 84), S. 39–40, 410–414. 132 Władysław Łuszczkiewicz, Dawny romanski ´ ko´scio´ł s´ w. Wojciecha w Krakowie na podstawie własnych zdj˛ec´ i badan´ [Die alte romanische St.-Adalbert-Kirche in Krakau auf der Grundlage eigener Fotos und Untersuchungen], in: Rocznik Krakowski 3 (1900), S. 153–171, hier S. 156. 133 Bukowski, Ko´scio´ł akademicki (wie Anm. 80), S. 8–9.

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sich die ju¨dischen Ha¨user hier mit christlichen Anwesen abwechselten) befanden sich zwei Synagogen, ein Badehaus, ein Spital und eine Schule. Die ju¨dischen Anwesen wurden ihren Besitzern nach und nach abgekauft, so dass die Juden letztendlich 1469 auf Betreiben von Jan Długosz in die Gegend der Stephanskirche umsiedelten. Dort entstanden ihre neuen Wohnha¨user, eine Synagoge, ein Kahal und ein Badehaus. Der westliche Abschnitt der Thomasgasse erhielt mit der Zeit den Namen Judengasse, und die urspru¨nglich so bezeichnete Straße, die an der Su¨dwestecke auf den Ringplatz einmu¨ndete, wurde jetzt Annengasse genannt. Allerdings verließen die Juden Krakau allma¨hlich, hauptsa¨chlich wegen neuer Beschra¨nkungen o¨konomischer Natur, und am Ende des 15. Jahrhunderts zogen die meisten von ihnen in das benachbarte Kazimierz. Die von ihnen errichtete Bebauung, sowohl in der Annen- als auch in der Thomasgasse, war nicht von dauerhaftem Charakter oder sie wurde so umgestaltet, dass heute nicht einmal mehr Spuren von ihr erkennbar sind.134 Die perso¨nlichen Verbindungen mit dem Domkapitel trugen zur Entstehung eines zweiten Universita¨tszentrums auf dem Gebiet des fru¨heren Marktplatzes von Oko´ł bei.135 Nach 1406 wurden die urspru¨nglichen Kramla¨den, die bereits zuvor zu Ha¨usern umgebaut worden waren, in dessen su¨dlichem Teil zum Collegium Iuridicum adaptiert (in der Burggasse 53). Mit diesem Kollegium wurde die einstige Marktkirche St. Maria Magdalena verbunden.136 In der Kanonikergasse 5 entstand kurzfristig die so genannte Erbsenburse (die in der Zeit von etwa 1440 bis 1469 funkionierte)137 und in der Burggasse (an der Stelle des heutigen Gartens bei den ehemaligen Jesuitengeba¨uden) die Kanonistenburse (gegru¨ndet 1473).138 Da die Bursen und Kollegien zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Umsta¨nden entstanden, bildeten sie keinen bestimmten architektonischen Typus aus. Nur vom Collegium Maius kann man sagen, dass es westeuropa¨ischen Lo¨sungen auf dem Gebiet der Universita¨tsbauten nahekommt (Bologna, Oxford; am na¨chsten noch Prag).139 Nachge-

134 Majer Bałaban, Przewodnik po zydowskich ˙ zabytkach Krakowa [Fu¨hrer durch die ju¨dischen Denk-

ma¨ler Krakaus], Krako´w 1935, S. 4–5; Maria Borowiejska-Birkenmajerowa, Kształt s´ redniowiecznego Krakowa [Die Gestalt des mittelalterlichen Krakau], Krako´w 1975, S. 204–214; Estreicher, Col˙ legium Maius (wie Anm. 125), S. 17–19; Eugeniusz Mu¨ller, Zydzi w Krakowie w drugiej połowie XIV wieku [Die Juden in Krakau in der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts], Krako´w 1906, S. 10–13; Krystyna Pieradzka, Rozkwit s´ redniowiecznego Krakowa w XIV i XV wieku [Die Blu¨tezeit des mittelalterlichen Krakau im 14. und 15. Jahrhundert], in: Krako´w. Studia nad rozwojem miasta, hg. v. Jan Dabrowski, ˛ Krako´w 1957, S. 143–191, hier S. 160, 162; Tomkowicz, Ulice i place (wie Anm. 16), ˙ ´ w z Krakowa ˙ S. 79–80, 83, 100–101, 141–143; Bozena Wyrozumska, Czy Jan Olbracht wygnał Zydo [Vertrieb Jan Olbracht die Juden aus Krakau?], Rocznik Krakowski 59 (1993), S. 5–12, hier S. 5–8; Wyrozumski, Dzieje (wie Anm. 1), S. 323–326, 328–330; Hanna, Zaremska, Die Juden im mittelalterlichen Polen, Die Krakauer Gemeinde, Osnabru¨ck 2013. 135 Bicz-Suknarowska/Niewalda/Rojkowska, Zabudowa ulicy Kanonicznej (wie Anm. 54), S. 99; Krasnowolski, Architektura krakowska (wie Anm. 1), S. 17; Włodarek, Architektura s´ redniowiecznych (wie Anm. 86), S. 30. 136 Firlet, „Capella murata“ (wie Anm. 84), S. 249; Rozek, ˙ Nie istniejace ˛ ko´scioły (wie Anm. 32), S. 100; Włodarek, Architektura s´ redniowiecznych (wie Anm. 84), S. 188–194. 137 Ebd., S. 43, 319–323. 138 Ebd., S. 40–42, 278–287. 139 Estreicher, Collegium Maius (wie Anm. 125), S. 58–60, 62; Włodarek, Architektura s´ redniowiecznych (wie Anm. 84), S. 50–62.

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ahmt wurde es von einigen anderen Geba¨uden der Akademie mit vierseitigen Anlagen – von der Armen- und der Jerusalemer Burse sowie vom Collegium Iuridicum. Die Ungarische Burse bietet das Beispiel eines nachtra¨glich den Bedu¨rfnissen der Hochschule angepassten Objekts (davor war es der Palast des Spytko von Melsztyn). Die von Jan Długosz umgebaute Kanonistenburse sowie die Philosophen- und die Wohlhabendenburse wiesen einen Zusammenhang mit bu¨rgerlichen Wohngeba¨uden auf.140 Die kommunale Architektur wird vom Rathaus repra¨sentiert, das Mitte des Jahrhunderts (1454)141 definitiv fertiggestellt war. Bei seinem Bau wurden vielfa¨ltige, oft aus entfernten Zentren stammende Inspirationen und architektonische Modelle verwendet. Der Giebel la¨sst Einflu¨sse aus Bo¨hmen, Pommern und den baltischen La¨ndern sowie Flandern erkennen,142 der Turmhelm knu¨pft an bo¨hmische Vorbilder an143 und die Baldachinvorhalle stu¨tzt sich sicherlich auf rheinla¨ndische Modelle. Hier werden die weitreichenden kulturellen Beziehungen des wohlhabenden, hauptsa¨chlich aus deutschsprachigen Kreisen stammenden Krakauer Bu¨rgertums erkennbar. Die Architektur des Rathauses und des Turmes birgt zudem zahlreiche symbolische Motive, die die Autonomie der Stadtkommune und gleichzeitig ihre enge Verbindung mit der Ko¨nigsmacht unterstreichen. Der Rathaushelm hat die Form einer Krone, in der Bekro¨nung befindet sich ein Adler, und das Stadtwappen am Portal der Rathaustu¨r ist heraldisch a¨hnlich gestaltet wie die Wappen des Ko¨nigreiches und der herrschenden Dynastie. All dies sollte zweifellos den Rang des Stadtrates heben.144 Die verha¨ltnisma¨ßig geringen Ausmaße des Rathauses, das bescheidener war als z. B. das Breslauer, lassen vermuten, dass neben ihm weitere Geba¨ude bestanden, in denen sich andere sta¨dtische Institutionen befanden.145 Den gro¨ßeren Teil des Mittelalters hindurch diente der Stadt ein Spital, das von dem speziell zur Betreuung von Kranken berufenen Orden der Kanoniker vom Heiligen Geist de Saxia geleitet wurde, der noch vor der Rechtsstadtgru¨ndung in der Nachbarschaft der Heiligkreuzkirche angesiedelt wurde. Dieser Orden errichtete die Kloster- und Spitalgeba¨ude sowie die Heiliggeistkirche. Die Chronologie der Geba¨ude ist nicht bekannt; sicher wurden zuna¨chst Holzgeba¨ude errichtet, die mit

140 Komorowski/Łukacz, Bursa W˛egierska (wie Anm. 60), S. 182f.; W˛ecławowicz, Małopolska i Ziemie

Ruskie (wie Anm. 16), S. 74; Włodarek, Architektura s´ redniowiecznych (wie Anm. 84), S. 63–65.

141 Architektura gotycka w Polsce. Katalog zabytko´w (wie Anm. 16), S. 118–119; Komorowski, Krakow-

´ ski ratusz (wie Anm. 20), S. 20–21; Ders., Sredniowieczne ratusze w Małopolsce i na ziemiach ruskich Korony [Mittelalterliche Ratha¨user in Kleinpolen und in den ruthenischen Gebieten des Ko¨nigreiches], in: Civitas et villa (wie Anm. 84), S. 241–248, hier S. 247; Komorowski, Ratusz krakowski (wie Anm. 20), S. 179. 142 Komorowski, Krakowski ratusz (wie Anm. 20), S. 20–21. 143 Ebd., S. 27–28; Waldemar Komorowski, Sredniowieczny ´ ratusz miasta Kleparza [Das mittelalterliche Rathaus der Stadt Kleparz], in: Lapides viventes. Zaginiony Krako´w wieko´w s´ rednich. Ksi˛ega dedy˙ kowana Profesor Klementynie Zurowskiej, hg. v. Jerzy Gadomski u. a., Krako´w 2005, S. 171–181, hier S. 180f. 144 Komorowski, Krakowski ratusz (wie Anm. 20), S. 28, Anm. 67; Pencakowski, O´smioboczne wie˙ze (wie Anm. 103), S. 10–11. 145 Komorowski, Krakowski ratusz (wie Anm. 20), S. 28–30; Komorowski, Ratusz krakowski (wie Anm. 20), S. 180–181.

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Abb. 5: Das Krakauer Rathaus in der Mitte des 15. Jahrhunderts, digitale Rekonstruktion Quelle: Opalı´nski, Rekonstrukcja cyfrowa (wie Anm. 14), S. 125

der Zeit gegen gemauerte ausgetauscht wurden; die ersten von ihnen entstanden im 14. Jahrhundert, weitere, unregelma¨ßig um die Spitalkirche herum situierte, dann im darauffolgenden Jahrhundert. Dem mittelalterlichen Brauch entsprechend diente das Spital auch als Hospiz sowie als Heim fu¨r Findelkinder. Bereits in der ersten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts stand es unter der Obhut des Krakauer Stadtrates, in dessen Auf-

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trag ein als Provisor bezeichneter spezieller Fu¨rsorger ta¨tig war. Die kranken Frauen wurden seit dem 15. Jahrhundert von den Schwestern vom Orden des Heiligen Geists betreut, deren kleines Kloster su¨dlich der Heiliggeistkirche entstand. Im Jahre 1474 errichteten sie an der Ecke Heiligkreuz- und Markusgasse ein gesondertes Spital fu¨r fahrende Schu¨ler.146 Seit dem 15. Jahrhundert widmete die Stadt den zivilisatorischen Annehmlichkeiten gro¨ßere Aufmerksamkeit. Am Ende des 14. Jahrhunderts hatte sie die Entscheidung u¨ber eine so kostspielige Investition wie eine Wasserleitung getroffen. Mit Gefa¨lle arbeitende Wasserinstallationen werden in den archivalischen Quellen zwar schon fru¨her erwa¨hnt, aber erst im Jahre 1399 begann man mit der Anlage eines ganz Krakau umfassenden Wasserleitungssystems.147 Die Wasserentnahmestelle (aquagium) wurde am Rudawa-Mu¨hlbach in der Na¨he des Sławkowskatores errichtet, von wo das Wasser unter Druck durch Rohre geleitet wurde, die entlang der Hauptstraßen der Stadt verliefen (Abb. 6).148 Sicher hatte die Anlage einer Wasserleitung Auswirkungen auf die im 14. Jahrhundert zahlreichen Krakauer Badeha¨user (die Quellen erwa¨hnen mindestens 10;149 eines der ersten geho¨rte den Krakauer Juden und lag unweit des St.-Annen-Tores150). Vielleicht bestand ein Zusammenhang zwischen der Einfu¨hrung der Wasserleitung und der Liquidierung des fru¨heren ko¨niglichen Badehauses, das das Wasser einer zu Fu¨ßen des Wawelberges vorbeifließenden Abzweigung des Rudawa-Mu¨hlbaches nutzte (Ko¨nig Władysław Jagiełło hatte es 1390 dem ko¨niglichen Hofmeister geschenkt, der es seinem Palast in der Kanonikergasse 25 eingliederte).151 Die ho¨chste

146 Celina Bak/Halina ˛ Sitko/Jerzy Waszkiewicz, Dawny szpital scholaro´w w Krakowie. Studium archi-

tektoniczne [Das fru¨here Scholarenspital in Krakau. Eine architektonische Studie], Krako´w 1959; ´ etego Ducha Klara Antosiewicz, Opieka nad chorymi i biednymi w krakowskim szpitalu Swi˛ (1220–1741) [Die Kranken- und Armenpflege im Krakauer Heiliggeistspital (1220–1741)], in: Rocz´ etego de Saxia w Polsce s´ rednioniki Humanistyczne 26 (1978), 8, S. 35–79; Dies., Zakon Ducha Swi˛ wiecznej [Der Orden vom Heiligen Geist de Saxia im mittelalterlichen Polen], in: Nasza Przeszło´sc´ ´ etego de Saxia 23 (1966), S. 167–198, hier S. 193–194; Dies, Zakon kanoniko´w regularnych Ducha Swi˛ w Krakowie [Der Orden der Regularkanoniker vom Heiligen Geist de Saxia in Krakau], in: Studia ˙ z dziejo´w ko´scioła (wie Anm. 30), S. 11–30, S. 18–26; Rozek, Nie istniejace ˛ ko´scioły (wie Anm. 32), ´ Ducha [Die BauS. 105–106; Stanisław Tomkowicz, Zabytki budownictwa m. Krakowa. 1. Szpitel S. denkma¨ler der Stadt Krakau. 1. Das Heiliggeistspital], Krako´w 1892, S. 5–9, 16, 22–29, 48–49, 62–64; Leon Wachholz, Szpitale krakowskie 1220–1920 [Krakauer Spita¨ler 1220–1920], Bd. 1, Krako´w 1921, S. 63; Wyrozumski, Dzieje (wie Anm. 1), S. 452. 147 El˙zbieta Ligeza, ˛ Wodociagi ˛ dawnego Krakowa do połowy XVII wieku [Die Wasserleitungen im alten Krakau bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts], Krako´w 1971, S. 28–29. Siehe Fabianski/Purchla, ´ Historia architektury Krakowa (wie Anm. 3), S. 18; Sowina, Woda i ludzie (wie Anm. 117), S. 291; Robert Wierzbicki, Konstrukcja i funkcjonowanie wodociago ˛ ´ w Krakowa do połowy XVII wieku [Konstruktion und Funktionsweise der Krakauer Wasserleitungen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts], in: Krzysztofory. Zeszyty Naukowe Muzeum Historycznego Miata Krakowa 28, 2 (2010) 177–192, hier S. 178. 148 Ligeza, ˛ Wodociagi ˛ (wie Anm. 147), S. 12; Wierzbicki, Konstrukcja i funkcjonowanie wodociago ˛ ´w (wie Anm. 147), S. 179–187. 149 Jan Lachs, Dawne łaziebnictwo krakowskie [Die fru¨here Krakauer Badekultur], Krako´w 1919, S. 3–5. 150 Ligeza, ˛ Wodociagi ˛ (wie Anm. 147), S. 36. 151 Bicz-Suknarowska/Niewalda/Rojkow ska, Zabudowa ulicy Kanonicznej (wie Anm. 54), S. 99; Tomkowicz, Ulice i place (wie Anm. 16), S. 206–207.

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Intensita¨t der Arbeiten beim Verlegen der Wasserleitung fiel auf die Jahre 1401/04.152 Bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts erfasste das Installationsnetz den nordwestlichen Teil der Stadt sowie den Ringplatz.153 Das Wasser entnahm man zisternena¨hnlichen

Abb. 6: Fragment der ho¨lzernen Krakauer Wasserleitung, 15. Jahrhundert Quelle: Robert Wierzbicki, Konstrukcja i funkcjonowanie wodociago ˛ ´ w Krakowa do połowy XVII wieku [Konstruktion und Funktionsweise der Krakauer Wasserleitungen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts], in: Krzysztofory. Zeszyty Naukowe Muzeum Historyczneoge Miasta Krakowa 28 (2010), 2, S. 177–192

Beha¨ltern, d. h. Fa¨ssern und großen, rechteckigen Holzbottichen. Im 15. Jahrhundert wurde eine Reihe von Genehmigungen fu¨r private Abzweigungen erteilt; die Wasserverteilung unterlag besonderen Vorschriften und Rechtsordnungen, die ein sparsames Wirtschaften mit dieser fu¨r die Stadt grundlegenden Ressource zum Ziel hat-

152 Wiktor Zin/Władysław Grabski, Krakowskie s´ redniowieczne urzadzenia ˛ komunalne [Mittelalterli-

che Kommunaleinrichtungen in Krakau], in: Sprawozdania z Posiedzen´ Komisji PAN Oddział w Kra´ kowie, styczen-czerwiec 1966, Krako´w 1967, S. 351–355, hier S. 352; Wierzbicki, Konstrukcja i funkcjonowanie wodociago ˛ ´ w (wie Anm. 147), S. 179. 153 Ligeza, ˛ Wodociagi ˛ (wie Anm. 147), S. 36 und Tafel auf S. 37; Kazimierz Radwanski, ´ Prace ratownicze prowadzone przez konserwatora zabytko´w archeologicznych w Krakowie w latach 1955–1958 [Die vom Konservator archa¨ologischer Denkma¨ler in Krakau in den Jahren 1955–1958 durchgefu¨hrten Rettungsarbeiten], in: Biuletyn Krakowski 1 (1959), S. 49–66, hier S. 55.

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ten.154 Der o¨stliche Teil der Stadt wurde vermutlich durch einen nach 1395 gegrabenen Kanal mit Wasser versorgt.155 Er verlief von der Schleuse in der Stadtmauer bei den Geba¨uden des Heiliggeistordens la¨ngs der Heiligkreuzgasse u¨ber den Kleinen Markt die Tischlergasse entlang zum Platz vor der Dreifaltigkeitskirche, wo das Wasser die (in Schriftquellen erwa¨hnte und auch auf einem spa¨tgotischen Bild begegnende) Mu¨hle der Dominikaner antrieb156 und dann in den Stadtgraben hinter dem Haus Zum Lo¨wen (Burggasse 32) floss. Der letzte Abschnitt wurde zur Ableitung der Abwa¨sser benutzt (diesen „Generalkanal“ zeigt der Plan von 1632).157 Aus dem Mittelalter sind im Prinzip keine glaubwu¨rdigen ikonografischen Quellen erhalten, die die Stadt und ihre Architektur zeigen. Die a¨lteste allgemeine Ansicht Krakaus, wahrscheinlich ein Werk von Conrad Celtis (Bickel), findet sich in der 1493 in Nu¨rnberg herausgegebenen Schedel’schen Weltchronik (Farbtafel 10). Diese Ansicht, eine spezifische Verbindung von portra¨thafter und phantastischer Erfassung, informiert zuverla¨ssig u¨ber die prinzipiellen Umrisse der Stadt, zeigt aber nicht das wahre Aussehen irgendeines ihrer Geba¨ude.158 Die Chronik bietet auch die erste genauere Beschreibung Krakaus, die ebenfalls Celtis zugeschrieben wird.159 Seine Schilderung beginnt mit der Beschreibung des Wawelberges: Daselbst vmb sind gehspitzig vnd also hoh felsen das ymant beduenckt sie halten den himel auff. Darnach mit sand vnnd zusammen getragner erden bedeckt einen großen mechtigen puehel machende. der ligt an der statt gein orient. vnd syht auß der andern sayten den schneeigen hohen berg Carpathum an. Vom Wawel fu¨hre die Burggasse in die Innenstadt. Dise statt hat siben pforten vnd vil schoener lueftiger burgerßhewser. vnd vil großer

154 Ligeza, ˛ Wodociagi ˛ (wie Anm. 147), S. 30; Pencakowski, Gotyk (wie Anm. 25), S. 95; Zin/Grabski,

Krakowskie s´ redniowieczne (wie Anm. 152), S. 352–353.

155 Bogusław Krasnowolski, Młyno´wka Kro´lewska – geneza i przekształcenia [Der Ko¨nigliche Mu¨hl-

graben – Genese und Umgestaltungen], in: Rocznik Krakowski 69 (2003), S. 25–34, hier S. 31.

156 Jerzy Chlipalski, Młyn dominikanski ´ Tro´jcy w Krakowie [Die dominikanische ´ przy ko´sciele Sw.

Mu¨hle bei der Dreifaltigkeitskirche in Krakau], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 34 (2002), S. 55–66; Jerzy Gadomski, Gotyckie malarstwo tablicowe Małopolski 1460–1500 [Die gotische Tafelmalerei Kleinpolens 1460–1500], Warszawa 1988, S. 37, 63; Lepszy/Tomkowicz, Zabytki sztuki (wie Anm. 87), S. 2. 157 Komorowski/Keder, ˛ Ikonografia ko´scioła (wie Anm. 64), S. 84; Urszula Sowina, Sasiedztwo ˛ a infrastruktura miejska w XV–XVI wieku (przyczynek do badan´ nad rola˛ wody w przestrzeni sasiedz˛ kiej) [Nachbarschaft und sta¨dtische Infrastruktur im 15. – 16. Jahrhundert (ein Beitrag zu den Forschungen u¨ber die Rolle des Wassers im nachbarschaftlichen Raum)], in: Studia nad dziejami miast i ´ mieszczanstwa w s´ redniowieczu, Bd. 1, hg. v. Maria Bogucka/Antoni Czacharowski, Torun´ 1996, S. 219–227, hier S. 223–227. 158 Jerzy Banach, Dawne widoki Krakowa [Alte Ansichten von Krakau], Krako´w 21983, S. 15, 17, 22–23, 177; Ders., Widok Krakowa z roku 1493 i Konrad Celtis [Die Krakauer Ansicht von 1493 und Conrad Celtis], in: Biuletyn Historii Sztuki 19 (1957), 4, S. 355–361. Iwona Keder/Waldemar ˛ Komorowski, Z ikonografii starego Krakowa, aus: Urbs celeberrima (wie Anm. 14), S. 235–277, hier S. 237–238; fu¨r die Autorschaft von Celtis Jerzy Wyrozumski, Norymberskie echo pobytu Konrada Celtisa w Polsce [Das Nu¨rnberger Echo des Aufenthaltes von Conrad Celtis in Polen], in: Sprawozdania z posiedzen´ i czynno´sci Polskiej Akademii Umiej˛etno´sci 58 (1994), S. 47–48; gegen Celtis’ Autorschaft spricht sich aus: Maria Łodynska-Kosi ´ nska, ´ Stwosz. Lata krakowskie (1477–1496) [Veiß Stoß. Die Krakauer Jahre (1477–1496)], Warsawa 1998, S. 13–15. 159 Krystyna Pieradzka, Krako´w w relacjach cudzoziemco´w X–XVII wieku [Krakau in Berichten von Ausla¨ndern vom 10. bis 17. Jahrhundert], in: Rocznik Krakowski 28 (1937), S. 183–224, hier S. 191.

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gotzhewßer. Fuernemlich vnßer lieben frawen mitten in der statt wesende mit zwayen hohen thuermen.160 Die erwa¨hnten charakteristischen Elemente dieser Beschreibung sind in der a¨ltesten Ansicht Krakaus leicht zu erkennen.

***

Das 15. Jahrhundert brachte den Ho¨hepunkt der architektonischen Entwicklung des mittelalterlichen Krakau, nicht unbedingt in qualitativer, aber in quantitativer Hinsicht. Nun u¨berwog der Wohnbau, wobei der Prozess des Ausbaus sakraler und klo¨sterlicher Objekte gleichwohl andauerte. Im Rahmen der bereits seit langem funktionierenden architektonischen Objekttypen (Kirchen, Klo¨ster, Ha¨user, Kommunalgeba¨ude) wurden keine neuen Lo¨sungen mehr geschaffen, sondern lediglich die in den vorherigen Epochen festgelegten Muster wiederholt, mitunter geringfu¨gig weiterentwickelt. Die Entwicklung der Stadt stabilisierte sich und schuf einen vorzu¨glichen Rahmen fu¨r die ihr anvertrauten Funktionen. Eine solche Harmonie zwischen Form und Inhalt gab es spa¨ter niemals mehr. Der Aufstieg Krakaus in den Kreis europa¨ischer Metropolen am Ende des Mittelalters weckte den versta¨ndlichen Stolz seiner Bu¨rger. Jan Długosz schrieb in der Einfu¨hrung zu seinen Annalen (nach 1455): „Die Stadt Krakau, die sich durch verschiedene Annehmlichkeiten auszeichnet, ist dadurch beru¨hmt, dass sie in der Na¨he der Nachbarla¨nder liegt, d. h. Ungarns, Bo¨hmens, Ma¨hrens, Rutheniens, Podoliens und Litauens, von wo sie unterschiedliche Waren bekommt und diese zum allgemeinen Nutzen weitergibt. Außerdem ist sie beru¨hmt fu¨r ihre Kro¨nungen und Gra¨ber, fu¨r die Wiegen und die Begra¨bnisse von Ko¨nigen sowie fu¨r vier Kollegiatstifte. In ihrer Na¨he gibt es ausreichend Steine, Holz und andere Baumaterialien. Mitten durch die Stadt, zwischen den Mauern von Kazimierz und von Krakau, fließt die Weichsel, ein schiffbarer Fluss, der sich zur Flo¨ßung aller Arten nu¨tzlicher Dinge eignet. Außerdem sind die Grenzen der bedeutenderen Nationen nahe, die der Handel zu diesem besonderen Ort fu¨hrt.“161

160 Hartmann Schedel, Weltchronik. Kolorierte Gesamtausgabe von 1493, eingel. und kommentiert v. Ste-

phan Fu¨ssel, Ljubljana 2005, Blatt CCLXV. 161 Zitiert nach der polnischen U ¨ bersetzung in Jana Długosza kanonika krakowskiego dziejo´w polskich

ksiag ˛ dwana´scie [Des Krakauer Kanonikers Jan Długosz Geschichte Polens in 12 Ba¨nden], Bd. 1, hg. v. Karol Mecherzynski, ´ Krako´w 1867, S. 41–42.

DIE INNENBEBAUUNG DES KRAKAUER RINGPLATZES IM MITTELALTER ´ * von Sławomir Dryja, Wojciech Głowa, Waldemar Niewalda und Stanisław Sławinski

Der mittelalterliche Krakauer Ringplatz pra¨sentierte sich als ein Ensemble, das von mehreren Elementen gepra¨gt war. Er bestand aus den ihn umgebenden Ha¨userzeilen, den diese durchschneidenden Straßen, einer Art innensta¨dtischer Ringstraße und dem von diesem Ring umgebenen Innenblock, auf dem sich die auf ihn zulaufenden ˙ Straßen trafen und sich kleinere Pla¨tze sowie bebaute Partien befanden. Wie Grazyna ´ Balinska mit Blick auf a¨hnliche Ringpla¨tze in Schlesien bemerkte, war es kein Zufall, dass die polnische Bezeichnung fu¨r diese Art von innersta¨dtischen Hauptpla¨tzen – rynek – vom deutschen Ring abgeleitet wurde. „Denn es ist nicht schwierig, mit ihm die ra¨umliche Anordnung eines beliebigen schlesischen Marktplatzes zu assoziieren: meistens bildete der freie Teil des Platzes einen Ring, der die in seiner Mitte gelegene Bebauung umgab.“1 Eine ganz andere Ansicht hat mit Blick auf Krakau Przemysław Tyszka vertreten, der den Krakauer Ringplatz im ausgehenden 13. Jahrhundert als einen fast leeren, ringsum von Ha¨usern umgebenen Platz gedeutet hat.2 Eine solche Interpretation wird freilich weder von den a¨lteren noch den ju¨ngsten Forschungsergebnissen gestu¨tzt, so dass wir letztlich wieder auf das „schlesische Modell“ zuru¨ckverwiesen werden. Der zwischen 1257 und 1300 abgesteckte und erstmals bebaute Krakauer Ringplatz gab mit seinen Ha¨userzeilen die Grenze fu¨r die Entwicklung der Bebauungsblo¨cke seiner Platzmitte vor. Um das Jahr 1300 stand in seinem Su¨dwestteil ein gemauertes Rathaus, das anschließend an derselben Stelle weiter ausgebaut wurde.3 * Aktualisierte und u¨berarbeitete Fassung des Aufsatzes „Rynek krakowski po lokacji – gło´wne kierunki

rozwoju bloku s´ ro´drynkowego“ [Der Krakauer Ringplatz nach der Lokation – Hauptrichtungen der Entwicklung des inneren Ringblocks], aus: Krzysztofory. Zeszyty Naukowe Muzeum Historycznego ¨ bersetzung des Ausgangstextes von Herbert Ulrich. Miasta Krakowa 28 (2010), 1/2, S. 99–112; U 1 Gra˙zyna Balinska, ´ Rozwo´j urzadze ˛ n´ handlowych i administracyjnych w blokach s´ ro´drynkowych ´ XV w. [Die Entwicklung der Handels- und Verwaltungseinrichtungen in den miast s´ laskich ˛ do konca Innenblo¨cken der Marktpla¨tze schlesischer Sta¨dte bis zum Ende des 15. Jahrhunderts], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 26 (1981), 2, S. 127–156, hier S. 134. 2 Przemysław Tyszka, Obraz przestrzeni miejskiej Krakowa XIV–XV wieku w s´ wiadomo´sci jego ´ ´ w [Das Bild des Stadtraumes von Krakau im 14. – 15. Jahrhundert im Bewusstsein seiner mieszkanco Bewohner], Lublin 2001, S. 77, 78. 3 Stanisław Tomkowicz, Ulice i place Krakowa w ciagu ˛ dziejo´w. Ich nazwy i zmiany postaci [Die Straßen und Pla¨tze Krakaus im Verlauf der Geschichte. Ihre Namen und Gestaltvera¨nderungen], Krako´w

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´ Sławomir Dryja, Wojciech Głowa, Waldemar Niewalda und Stanisław Sławinski

Noch am Ende des 13. Jahrhunderts befand sich auf seiner su¨do¨stlichen Seite, unweit der St.-Adalbert-Kirche, eine Bleiwaage, die erstmals zum Jahr 1302 erwa¨hnt wird.4 Die ra¨umliche Struktur des Ringplatzes wurde von Anfang an durch die gleichzeitige Anlage der wichtigsten Handelseinrichtungen bestimmt, die ungeachtet spa¨terer Lage- und Grundrissmodifikationen konsequent beibehalten wurde. Dabei handelte es sich um die Tuchkammern (spa¨ter das Geba¨ude der Tuchhallen), die ungefa¨hr auf der Mittelachse des Ringplatzes angelegt wurden, um die an deren Ostseite liegenden Krambuden der Ha¨ndler (die spa¨teren Reichen Kramla¨den) sowie um die an der Westseite der Tuchkammern angelegten Brotba¨nke. Alle diese Elemente wurden in Gestalt von Segmenten mit einer sich wiederholenden Anzahl von Krambuden (Lagern) errichtet, die in anna¨hernder Nord-Su¨d-Ausrichtung entlang der inneren Straßen verteilt waren. Wesentliche Bedeutung kam dabei dem so genannten ‚Kreuz‘ (dem Querdurchgang bzw. der Wegekreuzung) zu – dem einzigen bis heute erhaltenen Element der urspru¨nglichen ra¨umlichen Gliederung des Ringplatzes.5 Die dergestalt stabile Bebauungsstruktur wurde gelegentlich, etwa im Zusammenhang der bereits im 14. Jahrhundert (1319, 1311 und 1369) erwa¨hnten Jahrma¨rkte, um provisorische Verkaufsstellen erga¨nzt.6

I. Die a¨lteste Phase der Organisation des Ringplatzes

Nach Absteckung des sta¨dtischen Hauptplatzes befand sich innerhalb seiner Grenzen lediglich die St.-Adalbert-Kirche als das einzige bis in die Zeit vor der Lokation zuru¨ckreichende Geba¨ude. Die rechtssta¨dtische Bebauung entstand nach und nach. Das Lokationsprivileg von 1257 hatte die Errichtung von Tuchkammern und Krambuden, von Fleischba¨nken und Brotba¨nken angeku¨ndigt, wa¨hrend nach spa¨teren Aufzeichnungen auch Verkaufsstellen fu¨r Schuster vorgesehen waren.7 Von diesen Einrichtungen befanden sich die Fleischba¨nke zu keinem Zeitpunkt auf dem Ringplatz. Was die Schuster betrifft, so kann vermutet werden, dass sie ihre Waren

1926, S. 22; Waldemar Komorowski, Krakowski ratusz w s´ redniowieczu i domniemany Dwo´r Artusa w Krakowie [Das Krakauer Rathaus im Mittelalter und der mutmaßliche Artushof in Krakau], in: Rocznik Krakowski 64 (1998), S. 7–34, hier S. 9, 10; Ders., Ratusz krakowski [Das Krakauer Rathaus], in: Urbs celeberrima. Ksi˛ega pamiatkowa ˛ na 750-lecie lokacji Krakowa, hg. v. Andrzej Grzybowski/ ˙ Zdzisław Zygulski jun/Teresa Grzybowska, Krako´w 2008, S. 174–201, hier S. 174. 4 Najstarsze ksi˛egi i rachunki miasta Krakowa od r. 1300 do 1400 [Die a¨ltesten Bu¨cher und Rechnungen der Stadt Krakau von 1300 bis 1400], hg. v. Franciszek Piekosinski/Jo ´ ´ zef Szujski, Krako´w 1878, Teil 1, Nr. 24, S. 6. 5 Dies wurde im Verlauf der letzten archa¨ologischen Untersuchungen festgestellt. 6 Jo´zef Szujski, Krako´w a˙z do poczatko ˛ ´ w XV wieku. Wst˛epne słowo do najstarszych ksiag ˛ tego miasta [Krakau bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts. Einfu¨hrendes Wort zu den a¨ltesten Bu¨chern dieser Stadt], in: Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 4), S. IX–LXXXIII, hier S. LXXV. 7 Bozena ˙ Wyrozumska, Przywileje ustanawiajace ˛ gminy miejskie wielkiego Krakowa (XIII–XVIII wiek) [Privilegien zur Einsetzung der Stadtgemeinden von Groß-Krakau (13. – 18. Jahrhundert)], Krako´w 2007.

Die Innenbebauung des Krakauer Ringplatzes im Mittelalter

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von Anfang an auf dem Ringplatz verkauften, nur eben „an verschiedenen Stellen“, so dass Aufzeichnungen aus dem 14. und teilweise 15. Jahrhundert u¨ber feste Schusterstandorte auf dem sta¨dtischen Hauptplatz fehlen.

¨ berreste eines Teils der a¨ltesten gemauerten Krambuden Abb. 1: Krakauer Ringplatz. U (vordere Mauer mit Nischen; dahinter Mauer eines Teils der spa¨teren Reichen Kramla¨den) Quelle: Sławomir Dryja/Wojciech Głowa/Waldemar Niewalda/Stanisław Sławinski, ´ Przemiany architektoniczne Kramo´w Bogatych i Kramo´w Bolesławowych [Architektonische Vera¨nderungen der Reichen Kramla¨den und der Bolesław-Kramla¨den], in: Krzysztofory. Zeszyty Naukowe Muzeum Historyczneoge Miasta Krakowa 28 (2010), 1, S. 153–172, hier S. 159

Als ein Charakteristikum der Bebauung des Krakauer Ringplatzes kann die Konstanz der Lage der meisten Architekturobjekte in seinem Innenbereich angesehen werden. So standen das Rathaus und die Geba¨udegruppe der Bleiwaage (spa¨ter Große Waage) immer an der gleichen Stelle auf dem Ringplatz (belegt vom 14. bis zum 18. Jahrhundert). Die a¨ltesten, auf die Zeit um 1300 datierten Brotba¨nke standen ebenfalls ungefa¨hr an der fu¨r die zweite Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts belegten Stelle.8 Die zuna¨chst aus Holz errichteten Tuchkammern lagen innerhalb des Grundrisses der noch heute 8 Emil Zaitz, Sprawozdanie z badan´ archeologicznych prowadzonych w Krakowie w 2004 roku przy

przebudowie nawierzchni płyty Rynku Gło´wnego po zachodniej stronie Sukiennic [Bericht u¨ber die im Jahre 2004 bei der Erneuerung des Belags des Ringplatzes auf der Westseite der Tuchhallen durchgefu¨hrten archa¨ologischen Untersuchungen], in: Materiały Archeologiczne 36 (2006), S. 79–142.

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´ Sławomir Dryja, Wojciech Głowa, Waldemar Niewalda und Stanisław Sławinski

erhaltenen Tuchhallen, wenngleich sie diesen gegenu¨ber etwas verschoben waren.9 Die gemauerten so genannten Bolesław-Krambuden die Vorla¨ufer der spa¨teren Reichen Kramla¨den) standen zu einem Teil an der Stelle der heutigen Tuchhallen, zu einem anderen Teil an deren o¨stlicher Seite (Abb. 1 und 2).

Abb. 2: Krakauer Ringplatz: digitale Rekonstruktion der a¨ltesten gemauerten Krambuden Quelle: wie Abb. 1, S. 162

Bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts wurden sie in o¨stlicher Richtung ausgebaut. Ein wichtiges Element der Organisation des Baublocks war die Wegekreuzung, die fu¨r die na¨chsten Jahrhunderte im Bereich der Tuchhallen und der Reichen Kramla¨den sowie der Brotba¨nke funktionierte. Die in den Jahren 2005–2010 durchgefu¨hrten Untersuchungen haben ergeben, dass ihre Nutzung bis nahe in die Zeit der Lokation von 1257 zuru¨ckreicht. Diese Verkehrsverbindung funktionierte auch im Bereich der Bolesław-Krambuden, in dem neben dem Wegekreuz weitere, parallele Durchga¨nge bestanden.

9 Vgl. Teofil Debowski, ˛ Badania archeologiczne Sukiennic krakowskich [Archa¨ologische Untersuchun-

gen der Krakauer Tuchhallen], in: Kwartalnik Historii Kultury Materialnej 29 (1981), 4, S. 451–458.

Die Innenbebauung des Krakauer Ringplatzes im Mittelalter

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Auf dem Ringplatz wurden Handelspla¨tze und Marktbereiche abgeteilt, die oft erst viel spa¨ter erwa¨hnt wurden. In ihrer Mehrheit du¨rften sie bereits im 14. Jahrhundert existiert und schon damals ihren festen Standort besessen haben. Mit diesen Ma¨rkten waren Verkaufsstellen verbunden, wahrscheinlich gab es von Anfang an

1 - Tuchhallen; 2 - Krambuden; 3 - Brotbänke; 4 - Rathaus; 5 - Bleiwaage; 6 - St. Adalbertkirche

Abb. 3: Der Krakauer Ringplatz in der a¨ltesten Phase seiner Organisation Quelle: Entwurf der Autoren

irgendwelche Lager, Fleischba¨nke und kleine Krambuden.10 Zu ihren a¨ltesten geho¨rte vermutlich der Salzmarkt (1343 erwa¨hnt),11 der Bleimarkt (erstmals zum Jahre 1500 ¨ ber die damaligen Fleischba¨nke erwa¨hnt)12 sowie der Fischmarkt (1375 erwa¨hnt).13 U und die Buden der anderen Ha¨ndlerbranchen – obwohl auch sie schon in der a¨ltesten Phase der Marktplatzorganisation ta¨tig gewesen sein mu¨ssen – la¨sst sich kaum etwas sagen. Vielleicht verweist das Fehlen sie betreffender Aufzeichnungen darauf, dass der Verkauf nicht an einem festen Platz, sondern an verschiedenen Stellen

10 Vgl. Aldona Sudacka, Wyniki kwerendy archiwalnej dotyczacej ˛ zabudowy handlowej Rynku w Kra-

kowie [Ergebnisse der Archivrecherchen zur Bebauung des Krakauer Ringplatzes mit Handelseinrichtungen], in: Krzysztofory. Zeszyty Naukowe Muzeum Historycznego Miasta Krakowa 26 (2008), S. 77–102, hier S. 99–101. 11 Tyszka, Obraz (wie Anm. 2), S. 87. 12 Tomkowicz, Ulice i place (wie Anm. 3), S. 19. 13 Ebd., S. 20.

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´ Sławomir Dryja, Wojciech Głowa, Waldemar Niewalda und Stanisław Sławinski

erfolgte. Auch die Erwa¨hnung eines Schusterladens (domuncula sutorum) zum Jahre 1367 belegt nicht zwingend ein festes bauliches Objekt auf dem Ringplatz,14 auch wenn manche Stadthistoriker der Ansicht sind, dass dort bereits in der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts die ersten Schusterba¨nke gestanden ha¨tten.15 Auf der Nordseite des Ringplatzes gab es einen Hu¨hnermarkt (der sich vom Christophorus-Haus zum Marienfriedhof hinzog und erstmals zum Jahr 1437 erwa¨hnt wird).16 Im Nordwestteil des Platzes lagen – in westlicher Verla¨ngerung der Brotba¨nke – der Salzmarkt bzw. die Standorte der Salzverka¨ufer (ein oder mehrere Salzlager – Ba¨nke, Krambuden, Freiba¨nke) sowie der Fischmarkt, auch dieser mit Ba¨nken oder Buden der Fischverka¨ufer.17 Im Su¨dteil des Platzes erstreckten sich der Kohlenmarkt (zwischen Rathaus und Großer Waage; erste Erwa¨hnung 1462)18 sowie der Bleimarkt (zwischen der Großen Waage und der St.-Adalbert-Kirche, in einer anderen Version zwischen der Waage und der su¨dlichen Straßenfront des Ringplatzes; belegt im Jahre 1500).19 Ein eventueller Zusammenhang des Brotmarktes mit den Brotba¨nken konnte bisher nicht besta¨tigt werden. Dieser Markt wurde in den Jahren 1396 und 1429 erwa¨hnt; er befand sich wohl im o¨stlichen oder nordo¨stlichen Teil des Ringplatzes, gegenu¨ber dem sta¨dtischen Kramladen (sicher innerhalb der Reichen Kramla¨den).20 Wir wissen nicht, ob der zum Jahre 1440 genannte Getreidemarkt einen gesonderten Markt darstellte; er befand sich im nordo¨stlichen Teil des Platzes, denn im Zusammenhang mit ihm wird ein Laden (innerhalb der Reichen Kramla¨den) erwa¨hnt, der zu diesem Markt und zur Marienkirche in Beziehung stand.21 Der Bo¨ttchermarkt (1435 erwa¨hnt) soll sich in der Gegend der Bru¨dergasse befunden haben, d. h. in der Na¨he des Kohlenmarktes.22 In der Gegend der St.-Adalbert-Kirche lag in jenem Jahr auch der To¨pfermarkt.23 Auf dem Heumarkt (erst 1545 erwa¨hnt) wurde mit Heu gehandelt und zwar in der Heugasse, eventuell auch an deren Einmu¨ndung in den Ringplatz.24 Nicht viel Raum muss der als „Na Goldzie“ bezeichnete Teil des Platzes eingenommen haben – der Huldigungsplatz, auf dem die Stadt seit 1320 dem Monarchen huldigte.25

14 Ksi˛egi ławnicze krakowskie 1365–1376 i 1390–1397 [Die Krakauer Scho¨ffenbu¨cher von 1365–1376 und

˙ 1390–1397], hg. v. Stanisław Krzyzanowski, Krako´w 1904, Nr. 228.

15 Gra˙zyna Lichonczak-Nurek, ´ Dzieje jatek szewskich w Krakowie [Die Geschichte der Schuster-

ba¨nke in Krakau], in: Krzysztofory. Zeszyty Naukowe Muzeum Historycznego Miasta Krakowa 18 (1991), S. 29–49, hier S. 29. 16 Kodeks dyplomatyczny miasta Krakowa 1257–1506 [Urkundenbuch der Stadt Krakau 1257–1506], hg. v. Franciszek Piekosinski, ´ Krako´w 1882, Teil 2–4, Nr. DXXVII, S. 666, 667. 17 Dies wurde auf der Grundlage der von Stanisław Sławinski ´ durchgefu¨hrten Archivrecherchen festgestellt. 18 Tomkowicz, Ulice i place (wie Anm. 3), S. 18. 19 Ebd., S. 19; Waldemar Komorowski/Aldona Sudacka, Rynek Gło´wny w Krakowie [Der Ringplatz in Krakau], Wrocław 2008, S. 53. 20 Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 4), Teil 2, S. 313, Pos. 55; Tomkowicz, Ulice i place (wie Anm. 3), S. 20. 21 Tyszka, Obraz (wie Anm. 2), S. 87, 122. 22 Tomkowicz, Ulice i place (wie Anm. 3), S. 20. 23 Ebd. 24 Archiwum Panstwowe ´ w Krakowie, Akta miasta Krakowa, Sign. 1964. 25 Komorowski/Sudacka, Rynek Gło´wny (wie Anm. 19), S. 21.

Die Innenbebauung des Krakauer Ringplatzes im Mittelalter

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Mit dem Versuch einer Rekonstruktion der Innenbebauung des Ringplatzes und der dort erfolgten Vera¨nderungen verbindet sich die Analyse seiner stratigrafischen Gliederung, deren richtige Deutung eine Bestimmung der Chronologie und Intensita¨t dieser Prozesse ermo¨glichen wu¨rde. Ein entscheidendes Problem war dabei stets die Korrelierung der Nutzungsniveaus (Kulturschichten) mit den einzelnen Entwicklungsphasen des Ringplatzes. Auch wenn a¨ltere Ansichten zu diesem Thema inzwischen veraltet sind, mu¨ssen wir doch zu den Ergebnissen der seit den 1950er Jahren durchgefu¨hrten Untersuchungen Stellung nehmen. Wa¨hrend die Ansich´ ten von Kazimierz Radwanski (der von einem „vorlokationszeitlichen Horizont“ sprach) weiterhin den Ausgangspunkt aller Betrachtungen bilden,26 muss die von Wiktor Zin und Władysław Grabski vorgeschlagene, von der ju¨ngeren Forschung bisher allgemein u¨bernommene Interpretation der nachlokationszeitlichen Niveaus ¨ berpru¨fung unterzogen werden.27 Władysław Grabski war (Kulturschichten) einer U ¨ der Uberzeugung, dass in der Mitte des 16. Jahrhunderts mit dem Wiederaufbau der Tuchhallen eine große Nivellierung der unbebauten Fla¨che des Ringplatzes einhergegangen sei. Dabei ging er davon aus, dass die 80 bis 220 cm hohen Aufschichtungen des Platzes das Ergebnis eben dieser Nivellierung gewesen seien, so dass sie fru¨hestens auf die Mitte des 16. Jahrhunderts datiert werden ko¨nnten.28 Diese Deutung der Erho¨hung des Ringplatzniveaus wurde durch die ju¨ngsten, in den Jahren 2005–2010 in seiner o¨stlichen Ha¨lfte sowie su¨dlich und no¨rdlich der Tuchhallen durchgefu¨hrten archa¨ologischen Untersuchungen besta¨tigt. In den untersuchten Zonen wurde außerhalb der Geba¨ude eine relativ hohe Lage der mittelalterlichen Schichten und generell ein Fehlen unangetasteter neuzeitlicher Aufschichtungen festgestellt. Die Stratifikation der westlichen Ha¨lfte des Ringplatzes mag sich allerdings durchaus etwas anders darstellen. In den untersuchten Zonen der o¨stlichen, no¨rdlichen und su¨dlichen Ringplatzbereiche fanden sich in den Kulturschichten fru¨he, nach der Lokation gepflasterte Wege, die sowohl axial als auch schra¨g zu den Ringzeilen u¨ber den Platz verliefen. Sie organisierten die mit der Innenbebauung des Platzes sowie die mit verschiedenen „Orten“, deren Funktion innerhalb des damaligen Innenblocks unklar ist, verbundene Kommunikation. Die Entdeckung eines dieser Wege (im nordo¨stlichen Teil ´ des Ringplatzes) ist wahrscheinlich Gabriel Lenczyk zuzuschreiben, der unter den außerordentlich schwierigen Bedingungen der Okkupationszeit ta¨tig war und ihn ´ als Bohlweg interpretiert hat.29 Ein unbestrittenes Verdienst Lenczyks ist die kor-

26 Kazimierz Radwanski, ´ Krako´w przedlokacyjny. Rozwo´j przestrzenny [Krakau vor der Lokation.

Ra¨umliche Entwicklung], Krako´w 1975.

27 Wiktor Zin/Władysław Grabski, Niekto´re problemy stratygraficzne Rynku krakowskiego, in: Spra-

wozdania z posiedzen´ Komisji PAN, styczen´ – czerwiec 1966 [Einige stratigrafische Probleme des Krakauer Marktes. Berichte u¨ber die Sitzungen der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Januar–Juni 1966], Krako´w 1967, S. 355–357. 28 Władysław Grabski, Sredniowieczna ´ kamienica krakowska. Zale˙zno´sc´ mi˛edzy typem działki a rozplanowaniem [Das mittelalterliche Krakauer Wohnhaus. Abha¨ngigkeiten zwischen Parzellentyp und Planung], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 4 (1970), S. 163–180, hier S. 178. 29 Gabriel Lenczyk, ´ Pod brukiem Rynku Gło´wnego w Krakowie [Unter dem Pflaster des Ringplatzes in Krakau], in: Biuletyn Krakowski 1 (1959), S. 31–48.

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´ Sławomir Dryja, Wojciech Głowa, Waldemar Niewalda und Stanisław Sławinski

rekte Datierung dieses Fundes auf den Beginn des 14. Jahrhunderts. Viele Interpre´ tationsprobleme bereitete Lenczyk dagegen die so genannte obere Schicht, die er (zu Unrecht) fu¨r neuzeitlich hielt.

Abb. 4: Krakauer Ringplatz. Wegekreuzung im Bereich der Krambuden, a¨ltester ermittelter Holzbelag, um die Mitte des 13. Jahrhunderts Fotographie W. Głowa

Die teilweise Aufdeckung des Wegesystems des mittelalterlichen Ringplatzes im Zuge der Untersuchungen der Jahre 2005–2010 hat eine pra¨zise Bestimmung der chronologischen Niveaus des Marktplatzes ermo¨glicht (Abb. 4). Die Wege innerhalb des Platzes wurden zwischen ho¨lzernen Bordkanten angelegt, die aus massiven Balken bestanden und ihrerseits durch an ihren Außenseiten in den Boden gerammte Pfa¨hle befestigt waren. Auf dem so abgesteckten Raum wurde auf einer Sandbettung der Weg mit einer relativ flachen Wo¨lbung angelegt, wobei fu¨r die Pflasterung selbstversta¨ndlich der regionale Jurakalkstein verwendet wurde, der in Krakau an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert das grundlegende Baumaterial bildete (Abb. 5).30 Die Stratigraphie der Wege und der sie begleitenden Aufschichtungen sowie dendrochronologische Analysen ihrer Bordkanten erlauben es, fu¨r den untersuchten 30 In dieser Zeit wurde auch mit Ziegeln gebaut, dies betraf allerdings hauptsa¨chlich Kirchen. Bei den

¨ bergewicht. weltlichen Geba¨uden dagegen hatte der Kalkstein ein entschiedenes U

Die Innenbebauung des Krakauer Ringplatzes im Mittelalter

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Bereich mindestens drei aufeinander folgende Entwicklungsphasen zu unterscheiden.31 Die a¨lteste, auf die Wende des 13./14. Jahrhunderts datierte Schicht war am sta¨rksten ausgebaut. Am besten erforscht wurde das mit den a¨ltesten gemauerten

Abb. 5: Krakauer Ringplatz. Gepflasterter Weg no¨rdlich der Tuchhallen, 14. Jahrhundert Fotographie W. Głowa

Krambuden (den so genannten Bolesław-Krambuden) verbundene Wegesystem, das in Richtung Johannisgasse verlief, schra¨g zu den Hauptrichtungen der heutigen Ringplatzeinteilung. Als Achse der Krambudenbebauung diente eine gepflasterte, mit ho¨lzernen Bordkanten eingefasste Straße mit einer Breite von ungefa¨hr 5 m; auf ihren beiden Seiten lagen die einzelnen Segmente der Krambuden der zweiten Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts. Die Straße wurde von Querdurchga¨ngen durchschnitten, dessen breitester jener war, der mit der Straße das Wegekreuz bildete. Auch wenn dieses System gewiss gut durchdacht und geplant war, zeichnete es sich durch betra¨chtliche Unregelma¨ßigkeiten aus, wie sie u. a. in Abweichungen in der Linie der Geba¨udefassaden zum Ausdruck kamen. Diese Unregelma¨ßigkeit scheint fu¨r die Ringplatzbebauung der zweiten Ha¨lfte des 13. bis ersten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts charakte-

31 Die dendrochronologischen Analysen besorgte Prof. Dr. habil. Ing. Marek Krapiec ˛ vom Lehrstuhl fu¨r

Umweltanalysen, Kartographie und Wirtschaftsgeologie an der Fakulta¨t fu¨r Geologie, Geophysik und Umweltschutz der Akademie fu¨r Bergbau und Hu¨ttenwesen in Krakau.

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´ Sławomir Dryja, Wojciech Głowa, Waldemar Niewalda und Stanisław Sławinski

ristisch gewesen zu sein, wovon die u¨brigen – auch die nicht parallel zur Ha¨userzeile angelegten – Verkehrswege zeugen. Das urspru¨ngliche Wegenetz (vgl. Abb. 3) stellte sich folgendermaßen dar: Neben dem zu den Bolesław-Krambuden fu¨hrenden Weg verlief ein weiterer vom Nordteil des Ringplatzes aus in Richtung Schustergasse, ein anderer von der nordwestlichen Ecke des Ringplatzes in Richtung Marienkirche; ein dritter Weg fu¨hrte ungefa¨hr von der Achse der Johannisgasse aus in den inneren Trakt der damaligen Tuchhallen hinein. Aufgedeckt wurde auch das Pflaster eines von Su¨den zu den Tuchhallen fu¨hrenden Weges.32 Die beschriebenen Wege bilden einen betra¨chtlichen Ausschnitt des seinerzeitigen, sicher den gesamten Ringplatz umfassenden Kommunikationsnetzes. In einer weiteren Entwicklungsphase dieses Kommunikationsnetzes verschwanden in den 1320er Jahren im Zusammenhang mit der Anhebung des Nutzungsniveaus die von der oberen Platzmitte einerseits in einem Bogen zur Schustergasse, andererseits in halbwegs gerader Linie zu den Bolesław-Krambuden fu¨hrenden Wege, wa¨hrend die beiden Wege in Richtung Marienkirche und Tuchhallen auf einem ho¨heren Niveau – in derselben Technik, aber mit anderem Wegprofil – erneuert wurden. Im Rahmen einer weiteren Anhebung des Niveaus des Ringplatzes wurde im dritten Viertel des 14. Jahrhunderts dann nur noch der Weg zu den Tuchhallen erneuert (vgl. Abb. 6). Dieses Verschwinden von Wegen zeugt keineswegs von einer Qualita¨tsminderung des Kommunikationssystems des Marktplatzes, sondern besta¨tigt indirekt die definitive Gestaltung seiner gepflasterten Ringstraße; es mag auch von einer erheblichen Verdichtung der Platzbebauung durch ho¨lzerne Krambuden und Fleischba¨nke zeugen. Allerdings mu¨ssen diese Thesen erst noch in weiteren Untersuchungen des Ringplatzes besta¨tigt werden. Die spezifische Konstruktion der den Ringplatz durchschneidenden Kommunikationswege hatte zur Folge, dass sie so etwas wie Da¨mme bildeten, die den freien ¨ berschwemAbfluss des Regenwassers behinderten, was in der Konsequenz zur U mung betra¨chtlicher Teile des Marktplatzes und der auf ihm befindlichen Objekte fu¨hren konnte. Um dem vorzubeugen, wurden die Wege mit Durchla¨ssen versehen, die die Form kleiner Holzbru¨cken hatten. Sie unterbrachen den lu¨ckenlosen Zusammenhalt der Wege und ermo¨glichten auf diese Weise auf der geneigten Fla¨che des Ringplatzes den Abfluss von Regen- und Schmelzwasser. An dem zur Marienkirche fu¨hrenden Weg wurden zwei solcher Durchla¨sse entdeckt, die der ersten und zweiten Bauphase dieses Weges zugeordnet werden konnten. Die bisherigen archa¨ologischen Untersuchungen auf dem Krakauer Ringplatz, von denen sich jene der Jahre 2005–2010 durch einen außergewo¨hnlichen Umfang auszeichnen, erlauben die These, dass die Marktplatzkommunikation in einer organischen Verbindung zur Verteilung der Geba¨ude, der Verkaufsstellen sowie der Handelszonen gestanden hat; diese These konnte fu¨r die gemauerte Bebauung durch unsere Untersuchungen eindeutig besta¨tigt werden.

32 Die archa¨ologischen Untersuchungen in dieser Region wurden von Michał Starski unter der Anleitung

von Cezary Bu´sko durchgefu¨hrt.

Die Innenbebauung des Krakauer Ringplatzes im Mittelalter

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1 - Tuchhallen; 2 - Krambuden; 3 - Brotbänke; 4 - Rathaus; 5 - Bleiwaage; 6 - St. Adalbertkirche

Abb. 6: Der Krakauer Ringplatz um die Mitte des 14. Jahrhunderts (vgl. Abb. 3) Quelle: Entwurf der Autoren

II. Weitere Vera¨nderungen der inneren Ringplatzbebauung

In der zweiten Entwicklungsphase des Ringplatzes verschwanden die unabha¨ngig von der regula¨ren Gliederung des Platzes in bestimmte Richtungen verlaufenden Wege.33 Innerhalb mehrerer Jahrzehnte wurden mit den Tuchhallen, den Reichen Kramla¨den und den Brotba¨nken regula¨re und miteinander verbundene Hauptgeba¨ude errichtet. Die einzelnen Geba¨ude wurden in das Viertel-System eingepasst, das von den sich in der Mitte des Platzes – im Prinzip an der Stelle des alten Wegekreuzes – treffenden Straßen gebildet wurde. Die Straßen wurden dabei (zumindest anna¨hernd) auf die vom Ringplatz wegfu¨hrenden Axialstraßen ausgerichtet: der Weg durch die Tuchhallen auf die Johannis- und Bru¨dergasse hin, und der ihn kreuzende Weg auf die Heu- und die Schustergasse. Tatsa¨chlich sind der Innenbereich des Ringplatzes, seine Bebauung wie auch seine als Ma¨rkte bezeichneten Handelszonen im Verlauf der Jahrhunderte nach den sich hier im rechten Winkel treffenden Straßen 33 Wenn wir von einer regula¨ren Anlage des Ringplatzes sprechen, dann meinen wir damit seine regula¨-

ren Straßenfronten, das Netz der von ihm ausgehenden Straßen sowie die Verteilung der wichtigsten gemauerten Bebauung, mit Ausnahme der Krambuden aus der zweiten Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts.

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´ Sławomir Dryja, Wojciech Głowa, Waldemar Niewalda und Stanisław Sławinski

eingerichtet worden. Einen ersten Anstoß dazu gab ein Privileg, das Kasimir III. der Große der Stadt im Jahre 1358 verlieh.34 Dieses Datum halten wir fu¨r die ungefa¨hre untere Datierungsgrenze des Baus neuer, gemauerter Tuchkammern mit zwei Tuchschererwerksta¨tten in den a¨ußersten westlichen Kammern.35 ¨ ber die in dieser Zeit erfolgte Umgestaltung der Brotba¨nke (bzw. die Erhaltung U der alten) la¨sst sich gegenwa¨rtig nichts sagen. Dagegen wurde mit der Umgestaltung der Bolesław-Krambuden in das spa¨tere regula¨re Ensemble der Reichen Kramla¨den wahrscheinlich gerade erst begonnen. Der Westteil der a¨ltesten Krambuden wurde abgerissen und der Ostteil ausgebaut, indem im Osten zusa¨tzliche Geba¨ude hinzugefu¨gt wurden.36 Der Standort des Rathauses war schon seit etwa 1300 festgelegt und vera¨nderte sich wa¨hrend der weiteren Reorganisation der Ringplatzbebauung nicht. Gleich nach Mitte des 14. Jahrhunderts stand auf dem Ringplatz die gemauerte Große Waage. Die Waage und die bei ihr gelegene Schmelzkammer nahmen zweifellos den Bereich der fru¨heren Bleiwaage ein. Weniger klar ist fu¨r diese Zeit das Schicksal der Kleinen Waage. Sie mag entweder als getrennte Einrichtung an der Stelle des spa¨teren gemauerten Geba¨udes errichtet worden sein oder als Einrichtung bei der Großen Waage, vielleicht sogar in deren Geba¨ude gelegen haben.37

III. Der große Umbau (Ende 14./Anfang 15. Jahrhundert)

An der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert kam es zu einem dynamischen Ausbau des inneren Ringblocks. Das kam insbesondere in seinen wichtigsten Geba¨uden zum Ausdruck. Unklar ist die urspru¨ngliche Lage des im 14. Jahrhundert errichteten ho¨lzernen Schmetterhauses – einer Markthalle fu¨r kleinere Ha¨ndler –; es mochte im nordwestlichen Teil des Ringplatzes gelegen haben, hinter den Standorten der Salzverka¨ufer oder auf der su¨dwestlichen Seite, na¨her am Rathaus bzw. als Durchgangsgeba¨ude (?) auf der Ostseite der Markthallen auf der Achse der Wegekreuzung.38 Die Tuchhallen erhielten an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhunderts einen monumentalen basilikaartigen Korpus, der durch die Verbindung der einzelnen Teile zu ¨ berbauung der inneren Straße mit einer hohen Halle einem Geba¨ude und durch U 39 entstand. Ein Abschnitt dieses Umbaus bildete das Vermauern der steinernen Fun34 Stanisław Kutrzeba, Finanse Krakowa w wiekach s´ rednich [Die Krakauer Finanzen im Mittelalter],

in: Rocznik Krakowski 3 (1900), S. 27–152, hier S. 45; Kodeks dyplomatyczny miasta Krakowa (wie Anm. 16), Krako´w 1879, Teil 1, Nr. XXXII, S. 36. 35 Die Datierung basiert auf den architektonischen Untersuchungen von Waldemar Niewalda sowie den archa¨ologischen Untersuchungen eines Teams unter Leitung von Cezary Bu´sko. 36 Auf der Basis der von einem Team unter Leitung von Cezary Bu´sko durchgefu¨hrten archa¨ologischen und architektonischen Untersuchungen. 37 Kutrzeba, Finanse Krakowa (wie Anm. 34), S. 58. 38 Vgl. Szujski, Krako´w (wie Anm. 6), S. L; Tomkowicz, Ulice i place (wie Anm. 3), S. 30, 31. 39 Władysław Łuszczkiewicz, Sukiennice krakowskie. Dzieje gmachu i jego obecnej przebudowy [Die Krakauer Tuchhallen. Zur Geschichte des Geba¨udes und seines gegenwa¨rtigen Umbaus], Krako´w 1899, S. 12, 13, 16.

Die Innenbebauung des Krakauer Ringplatzes im Mittelalter

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damente unter doppelten Arkadeneinga¨ngen, die sich in den ku¨rzeren Mauern des Geba¨udes befanden. Das ku¨rzlich entdeckte no¨rdliche Fundament ist in voller Ho¨he erhalten geblieben.40 Seine Krone befindet sich etwas unterhalb des gegenwa¨rtigen Ringplatzniveaus und bildet die Schwelle (oder die aus Steinquadern geformte

Abb. 7: Krakauer Ringplatz. Westlicher Kellertrakt der Reichen Kramla¨den Quelle: El˙zbieta Firlet, Podziemia Rynku Gło´wnego w Krakowie – od eksploracji do trasu turystycznej [Der Untergrund des Hauptmarkes in Krakau – von der Erforschung bis zur Touristenattraktion], in: Krzysztofory. Zeszyty Naukowe Muzeum Historyczneoge Miasta Krakowa 28 (2010), 1, S. 9–52, hier S. 37

Schwellenunterlage), die das seinerzeitige Bodenniveau bezeichnet. Auf der westlichen Seite der Tuchhallen blieben die ho¨lzernen Brotba¨nke in ihrer Anordnung erhalten oder wurden neu gebaut. Auf der Ostseite der Tuchhallen wurden gegen Ende des 14. Jahrhunderts (auf teilweise erhaltenen Mauern der a¨lteren Krambuden) in Gestalt von vier Vierteln die Reichen Kramla¨den aus Stein errichtet; die Bezeichnung „Reiche Kramla¨den“ wurde nachweislich erstmals 1441 verwendet (Abb. 7).41 Im Jahre 1358 schenkte Ko¨nig Kasimir der Große der Stadt die Einku¨nfte aus zwei Waagen sowie aus der Silber- und Goldschmelze,42 und 1364 wurde die Willku¨r De pensa maiori et mionori erlassen.43 Stanisław Kutrzeba zufolge befanden sich 40 Untersuchungen von Waldemar Niewalda im Jahre 2006 und 2009. 41 Kodeks dyplomatyczny miasta Krakowa (wie Anm. 16), Teil 2–4, Nr. DXXXIV, S. 671. 42 Ebd., Teil 1, Nr. 32, S. 36. 43 Tomkowicz, Ulice i place (wie Anm. 3), S. 27.

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beide Einrichtungen in einem Geba¨ude.44 Bis etwa 1400 konnte dies nur das Geba¨ude der Großen Waage gewesen sein. Die Mitte des 14. Jahrhunderts bildet die untere Datierungsgrenze fu¨r die Mauern der Großen Waage, obwohl in den Stadtbu¨chern Rechnungen fu¨r den Ankauf von Baumaterial erhalten sind, die von der Wende des 14./15. Jahrhunderts stammen.45 Das ununterbrochene Funktionieren der Großen ˙ Grabowski Waage bezeugen Erwa¨hnungen aus den Jahren 1390–1414.46 Ambrozy zufolge gab es im Jahre 1395 drei Waagen in Krakau: die Große Waage, die Kleine Waage und eine Silberwaage.47 Bei der Kleinen Waage befand sich auch die Silber(und Gold-) Schmelze.48 Ihr Funktionieren, a¨hnlich wie auch das einer pensa argenti, besta¨tigen damalige sta¨dtische Rechnungen.49 Aufzeichnungen von der Wende des 14./15. Jahrhunderts verweisen eindeutig auf das getrennte und unabha¨ngige Funktionieren zweier gemauerter Waagen – der Großen und der Kleinen Waage, sowie der Erzschmelze bei der Großen Waage.50 Fast das gesamte 14. Jahrhundert hindurch wird die Kleine Waage nicht erwa¨hnt,51 aber ganz bestimmt funktionierte sie gegen Ende dieses Jahrhunderts, wovon Aufzeichnungen u¨ber Einku¨nfte aus einer solchen Waage aus den Jahren 1390–1414 zeugen.52 Fu¨r die Jahre 1391–1405 sind Ausgaben fu¨r Bauarbeiten verzeichnet, die zweifellos mit der Errichtung eines neuen Sitzes der Waage im Zusammenhang standen.53 Schriftquellen der fraglichen Zeit bezeichnen diese als Neue Waage. Das gemauerte Geba¨ude der Kleinen (Neuen) Waage wurde in den Jahren 1391–1405 oder um 1405 errichtet. Dabei handelte es sich um ein großes, gotisches Geba¨ude von rechteckigem Grundriss mit dem eigentlichen Raum der Waage im Erdgeschoss und einem Schmetterhaus (Ku¨rschnerhaus) im Obergeschoss.

44 Kutrzeba, Finanse Krakowa (wie Anm. 34), S. 58. ´ ´ dła do dziejo´w zabudowy zwiazanej 45 Zro ˛ z handlem we wschodniej cz˛es´ ci Rynku Gło´wnego w Krako-

´ wie (XIV–XIX w.). Ze zbioro´w Archiwum Panstwowego w Krakowie [Quellen zur Geschichte der mit dem Handel verbundenen Bebauung im Ostteil des Krakauer Ringplatzes (14. – 19. Jahrhundert). Aus den Besta¨nden des Staatlichen Archivs in Krakau], hg. v. Kamila Follprecht/Krystyna JelonekLitewka, Krako´w 2007, Nr. 1, S. 1. 46 Ebd., Nr. 83–103, S. 47–52; vgl. die Datierung bei Waldemar Komorowski, Krakowska Waga Wielka w s´ redniowieczu [Die Krakauer Große Waage im Mittelalter], in: Rocznik Krakowski 72 (2006), S. 33–44, hier S. 35. 47 Archiwum Panstwowe ´ w Krakowie, Teki Grabowskiego, Sign. E 23, S. 911. 48 Tomkowicz, Ulice i place (wie Anm. 3), S. 37, 38; Kutrzeba, Finanse Krakowa (wie Anm. 34), S. 59, zufolge befanden sich diese Einrichtungen „im Ring, neben den Waagen“. 49 Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 4), Teil 2, S. 289, 293, 298, 303, 306, 310, 314, 318, 321, 326, 329, 332, 335, ´ ´ dła (wie Anm. 45), Nr. 83–87, S. 47, 48; Nr. 89–91, S. 49; Nr. 93, S. 49; Nr. 94, S. 50. Kutrzeba, 338; Zro Finanse Krakowa (wie Anm. 34), S. 59, 120, bezeichnete die Silberwaage als „dritte Waage“ der Stadt, neben der Großen und der Kleinen Waage. ´ ´ dła (wie Anm. 45). 50 Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 4), Teil 2, zahlreiche Erwa¨hnungen in Zro 51 Es fehlt an Erwa¨hnungen in: Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 4), Teil 1; Ksi˛egi ławnicze (wie Anm. 14), Nr. 893, 1098, 1384. 52 Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 4), Teil 2, Notierungen seit 1390, S. 289, 293, 298, 303, 306, 310, 314, 318, ´ ´ dła (wie Anm. 45), 321, 326, 329, 332, 335, 338; Tomkowicz, Ulice i place (wie Anm. 3), S. 34; Zro Nr. 83–97, S. 47–51; Nr. 100, S. 51. ´ ´ dła (wie Anm. 45), Nr. 50, 51, S. 31, 32. Die Autorinnen dieser Quellenvero¨ffentlichung bezogen 53 Zro obige Notiz auf die Kleine Waage.

Die Innenbebauung des Krakauer Ringplatzes im Mittelalter

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In den 1390er Jahren kam es mithin zu einem groß angelegten Umbau der Innenbebauung des Ringplatzes. Diese Aktion, als deren erste Anzeichen die Vera¨nderung der Konstruktion der Großen Waage sowie der Tuchhallen anzusehen ist, begann nach der Mitte des 14. und endete in den ersten Jahren des 15. Jahrhunderts. Im Ergebnis trat auf dem Ringplatz eine neue architektonische Qualita¨t in Erscheinung – ein gera¨umiger, mit Handelseinrichtungen bebauter Innenblock. Als zentrales Geba¨ude (das die Achsen der Teilung und die Baumaße vorgab) fungierten die neuen Tuchhallen in Form einer großen, gotischen Basilika. Auf ihrer (durch ein Rainga¨sschen abgetrennten) Ostseite befanden sich die Reichen Kramla¨den, die parallel zu den Tuchhallen ausgerichtet und deren Maßen und Kommunikationsachsen untergeordnet waren. Weiter westlich stand auf der Su¨dseite der Wegekreuzung die Kleine Waage, die ebenfalls parallel zu den oben erwa¨hnten Objekten angelegt war. Als Erga¨nzung des Blocks auf der Su¨dseite fungierte das Geba¨ude der Großen Waage. Auf der westlichen Seite der Tuchhallen finden wir eine ada¨quate ‚Anordnung‘ und Symmetrie in der Lage der Brotba¨nke und sicher noch anderer mit dem Verkauf von Salz und Fisch verbundener Holzgeba¨ude.

IV. Der Ringplatz von der Mitte des 15. bis zum ersten Viertel des 16. Jahrhunderts

Der sich bis Mitte des 15. Jahrhunderts hinziehende Ausbau des Rathauses entschied fu¨r la¨ngere Zeit u¨ber den Umfang des Grundrisses dieses Geba¨udes.54 Wie bereits erwa¨hnt, befand sich im westlichen Teil des Ringplatzes auch ein Schmetterhaus, das um die Mitte des 15. Jahrhunderts als Steinanbau dem Rathaus angefu¨gt wurde.55 Die Brotba¨nke wurden im Norden um die To¨pfer- und im Su¨den um die Gerber-56 sowie Schusterbuden erweitert.57 In den Ra¨umen der Kleinen Waage (Westteil), nahe der Schmelze, wurde mit Eisen gehandelt. Erstmals erwa¨hnt wurden diese Verkaufsstellen, bei denen es sich sicher um noch im Erdgeschoss gelegene Krambuden handelte, zum Jahr 146358 – 1468 wurden sie als Kellerra¨ume bezeichnet.59 Das waren die a¨ltesten auf dem Ringplatz bezeugten Eisenla¨den; sie du¨rften etwa seit Mitte des 14. Jahrhunderts funktioniert haben, d. h. seit den Anfa¨ngen des gemauerten Geba¨udes der Waage. Die erste Erwa¨hnung einer anderen Krambude fu¨r Eisenwaren, die sicher zwischen den Reichen Kramla¨den und der Marienkirche lag, stammt aus dem Jahre 1518.60 Die so situierten Eisenla¨den existierten sicher schon seit 1523.61 54 Tomkowicz, Ulice i place (wie Anm. 3), S. 27, 31; Archiwum Panstwowe ´ w Krakowie, Teki Grabow-

skiego, Sign. E 23, S. 897.

55 Tomkowicz, Ulice i place (wie Anm. 3), S. 31. 56 Erwa¨hnt zum Jahr 1423, Archiwum Panstwowe ´ w Krakowie, Akta hipoteczne, Sign. Hip. 3, S. 44. 57 Erwa¨hnt zum Jahr 1468, Tomkowicz, Ulice i place (wie Anm. 3), S. 26, 27. 58 Kodeks dyplomatyczny miasta Krakowa (wie Anm. 16), Teil 2–4, Nr. DLXIV, S. 686. 59 Ebd, Nr. 576, S. 694. 60 Archiwum Panstwowe ´ w Krakowie, Akta miasta Krakowa, Sign. 1597. 61 Ebd., Sign. 1599, S. 15ff.

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´ Sławomir Dryja, Wojciech Głowa, Waldemar Niewalda und Stanisław Sławinski

Das Geba¨ude dieser Buden wurde parallel zu den Reichen Kramla¨den errichtet und war von ihnen durch ein Rainga¨sschen abgetrennt. Daher erga¨nzten die Eisenla¨den gleichsam eine weitere Linie der Blockbebauung, zu der auf der Su¨dseite des Wegekreuzes das Geba¨ude der Kleinen Waage geho¨rte. Im Jahre 1500 wurde ein Verzeichnis der Krambuden und anderer Verkaufsstellen auf dem Ringplatz angefertigt, das dessen ganz betra¨chtliche Bebauung belegt.62 Mitte des 16. Jahrhunderts befanden sich dort etwa 130 Krambuden.63 Fu¨r die darauf folgenden Jahrhunderte sind auf dem Ringplatz zahlreiche kleinere Standorte fu¨r den Verkauf verschiedener Waren, hauptsa¨chlich von Lebensmitteln, belegt, die Vera¨nderungen unterlagen. Allerdings scheinen sich die Fischbuden und die Sta¨nde der Salzverka¨ufer immer im nordwestlichen Viertel des Ringplatzes befunden zu haben.

62 Jan Heydeke, Census civitatis conscripti. Spis dochodo´w miasta Krakowa z 1500 roku [Census civi-

tatis conscripti. Ein Verzeichnis der Einku¨nfte der Stadt Krakau aus dem Jahre 1500], hg. v. Marcin Starzynski, ´ Krako´w 2009. 63 Janina Bieniarzo ´ wna/Jan Marian Małecki, Dzieje Krakowa [Die Geschichte Krakaus], Bd. 2: Krako´w w wiekach XVI–XVIII [Krakau im 16. – 18. Jahrhundert], Krako´w 1984, S. 31.

¨ RGERHA¨ USER DIE MITTELALTERLICHEN BU AM KRAKAUER RINGPLATZ von Marek M. Łukacz*

Die in den letzten Jahren auf dem Gebiet der Krakauer Rechtsstadt durchgefu¨hrten architekturhistorischen Untersuchungen ermo¨glichen es, viele Ansichten der a¨lteren Forschung zur mittelalterlichen Profanbebauung der Stadt zu korrigieren, zu vervollsta¨ndigen und weiterzuentwickeln. Diese Bebauung bestand aus Bu¨rgerha¨usern, deren a¨lteste und repra¨sentativste in den Zeilen des Ringplatzes begegnen, an dem sich allgemein die Wohnsitze der wohlhabendsten und einflussreichsten Bu¨rger sowie fast aller Krakauer Vo¨gte befanden.1 Der vorliegende Versuch u¨ber die mittelalterlichen Ha¨user Krakauer Bu¨rger bezieht sich insbesondere auf die ersten Phasen der sta¨dtischen Bebauung nach der Lokation, in der die Baublo¨cke am Ringplatz entstanden. Erst in den letzten Jahren ist diese Bebauung fu¨r ihre a¨ltesten Phasen in architekturgeschichtlicher und urbanistischer Hinsicht erkennbar geworden.2 Mit Hilfe

*U ¨ berarbeitete Fassung des Aufsatzes „Zabudowa pierzei Rynku Gło´wnego w Krakowie w okresie

s´ redniowiecza“ [Die Bebauung der Krakauer Ringzeilen im Mittelalter], aus: Krzysztofory. Zeszyty ¨ bersetzung des AusgangsNaukowe Muzeum Historycznego Miasta Krakowa 28 (2010), 2, S. 75–98; U textes von Herbert Ulrich. 1 Jerzy Rajman, Krako´w. Zespo´ł osadniczy, proces lokacji, mieszczanie do roku 1333 [Krakau. Siedlungsensemble, Lokationsprozess und Bu¨rgerschaft bis 1333], Krako´w 2004, S. 244 [„Am Ringplatz befanden sich die Ha¨user aller Krakauer Vo¨gte, die auf Raszek und den mutmaßlichen Peter folgten.“]; vgl. jedoch die bei Waldemar Komorowski/Marek M. Łukacz, Bursa w˛egierska w Krakowie w okresie s´ redniowiecza i renesansu [Die Ungarische Burse in Krakau in der Zeit des Mittelalters und der Renaissance], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 19 (1985), S. 175–183, mit Ausnahme des Hauses des Vogtes Heinrich, das auf dem heute als Bru¨dergasse (ul. Bracka) 3/5 bezeichneten Grundstu¨ck lag. 2 Zu den a¨ltesten Krakauer Ha¨usern Waldemar Komorowski, Najstarsze kamienice krakowskie [Die a¨ltesten Krakauer Ha¨user], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 42 (1997), 2, S. 107–119; Marek M. Łukacz, Pierwsze fazy kształtowania si˛e dominujacego ˛ typu kamienicy krakowskiej [Die ersten Phasen der Herausbildung des dominierenden Typs des Krakauer Wohnhauses], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 22 (1988), S. 9–18; Ders., Pierwsze przemiany przestrzenne domo´w ´ mieszczanskich lokacyjnego Krakowa [Die ersten ra¨umlichen Vera¨nderungen der Bu¨rgerha¨user Krakaus in der Lokationszeit], Sprawozdania Komisji Urbanistyki i Architektury PAN, Krako´w 1996, S. 26–38; Ders., Metrologia i pierwsza faza zabudowy staromiejskich domo´w lokacyjnego Krakowa [Die Metrologie und die erste Phase der Bebauung der Altstadtha¨user Krakaus in der Lokationszeit], in: Mi˛edzynarodowa Konferencja Konserwatorska. Krako´w 2000. Materiały konferencyjne, Bd. 3, Krako´w 1999, S. 92–101; Ders., Przemiany układu funkcjonalno-przestrzennego krakowskich

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Marek M. Łukacz

einer am Historischen Museum der Stadt Krakau erarbeiteten digitalen Rekonstruktion der mittelalterlichen Bebauung des Ringplatzes und der Ringzeilen ist heute eine mehrdimensionale Darstellung der ra¨umlichen Umgestaltungen der gotischen Bu¨rgerha¨user mo¨glich geworden.3 Dabei konnten im Verlauf der vor Ort durchgefu¨hrten architektonischen und archa¨ologischen Untersuchungen neue Informationen u¨ber die funktional-ra¨umliche Gestalt der a¨ltesten bu¨rgerlichen Steinbebauung des rechtssta¨dtischen Krakau ¨ berlieferungen gewonnen werden. Dagegen sind die a¨ltesten Krakauer schriftlichen U fu¨r unser Thema insofern wenig brauchbar, als die in ihnen begegnenden Informationen nicht bestimmten mittelalterlichen Bu¨rgerha¨usern zugeordnet werden ko¨nnen.4 Erst die seit Mitte des 16. Jahrhunderts erhaltenen Steuerbu¨cher bzw. die Regestra censuum, die auch „Schoss“ genannte Immobiliensteuer, erlauben eine Identifizierung der Eigentu¨mer der bebauten Grundstu¨cke. Eine Analyse der mittelalterlichen Schriftquellen in Hinblick auf die Bu¨rgerha¨user erbringt lediglich statistische Angaben, auf deren Basis weder Hypothesen u¨ber die Zahl der Ha¨user am Ringplatz noch

´ domo´w mieszczanskich w okresie gotyku i renesansu [Die Vera¨nderungen des funktional-ra¨umlichen Systems der Krakauer Bu¨rgerha¨user in der Zeit der Gotik und Renaissance], in: Dziedzictwo kulturowe fundamentem rozwoju cywilizacji. Mi˛edzynarodowa Konferencja Konserwatorska. Krako´w 2000. Materiały konferencyjne, hg. v. Andrzej Kadłuczka, Krako´w 2001, S. 415–419; Ders., Pierwsze przemiany przestrzenne krakowskiej kamienicy w s´ wietle jej zwiazko ˛ ´ w z kamienica˛ Europy Po´łnocnej [Die ersten ra¨umlichen Vera¨nderungen des Krakauer Wohnhauses im Lichte seiner Verbindungen mit den Ha¨usern in Nordeuropa], in: Kamienica w krajach Europy Po´łnocnej, hg. v. Maria Jolanta ´ 2004, S. 96–114; Ders., Geneza ukształtowania si˛e najcz˛es´ ciej realizowanego typu Sołtysik, Gdansk kamienicy krakowskiej [Die Genese der Herausbildung des am ha¨ufigsten realisierten Typs des Krakauer Wohnhauses], in: Wiadomo´sci Konserwatorskie 14 (2003), S. 11–20; Ders., Wybrane zagadnienia z przekształcen´ gotyckich domo´w krakowskich [Ausgewa¨hlte Fragen zu den Umgestaltungen der gotischen Krakauer Ha¨user], in: Architektura Krakowa. Dzieje, badania, odnowa, Bd. 1, 9-A/2003, hg. v. Andrzej Kadłuczka, Krako´w 2006, S. 143–162. 3 Die digitale Rekonstruktion wurde von Piotr Opalinski ´ und Marcin Kowalski erarbeitet, wobei sie vom Autor des vorliegenden Beitrages hinsichtlich der Bebauung der Ringzeilen wissenschaftlich beraten wurden. Die Erarbeitung des Modells der inneren Ringbebauung und der Sakralbauten wurde von Cezary Bu´sko, Wojciech Głowa, Waldemar Komorowski, Waldemar Niewalda, Katarzyna Schejbal´ Stanisław Sławinski, ´ Deren, Aldona Sudacka, Tomasz W˛ecławowicz und Emil Zaitz begleitet; vgl. Piotr Opalinski, ´ Rekonstrukcja cyfrowa infrastruktury architektonicznej Rynku krakowskiego w XIV i XV wieku [Digitale Rekonstruktion der architektonischen Infrastruktur des Krakauer Ringplatzes im 14. und 15. Jahrhundert], in: Krzysztofory. Zeszyty Naukowe Muzeum Historycznego Miasta Krakowa 28 (2010), 1/2, S. 113–128. 4 Komorowski, Najstarsze kamienice (wie Anm. 2), u. a. zu den Mo¨glichkeiten einer Auswertung der Angaben aus Najstarsze ksi˛egi i rachunki miasta Krakowa od r. 1300 do 1400 [Die a¨ltesten Bu¨cher und Rechnungen der Stadt Krakau vom Jahr 1300 bis 1400], hg. v. Franciszek Piekosinski/Jo ´ ´ zef Szujski, Krako´w 1878, Teil 1–2. Diese Aufzeichnungen bezogen sich auf die heute als Nr. 20 und 47 am Ringplatz bezeichneten Ha¨user, die zum Zeitpunkt der Niederschlagung des Aufstandes des Vogtes Albert im Jahre 1312 folgenden Besitzern geho¨rten: das erste Haus Hermann von Ratibor, das zweite dem Sandomirer Vogt Witek, wa¨hrend das dritte, an der Ecke Sławkowska- und Stefansgasse gelegene Haus im ´ Jahre 1317 dem Vogt Ludwig geho¨rte; vgl. auch Władysław Grabski, Sredniowieczna kamienica krakowska. Zale˙zno´sci mi˛edzy typem działki a rozplanowaniem [Das mittelalterliche Krakauer Wohnhaus. Abha¨ngigkeiten zwischen Parzellentyp und Planung], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 4 (1970), S. 163–180, hier S. 163; Ders., Ze studio´w nad zabudowa˛ mieszkalna˛ s´ redniowiecznego Krakowa [Studien zur Wohnbebauung des mittelalterlichen Krakau], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 2 (1968), S. 187–206, hier S. 198.

Die mittelalterlichen Bu¨rgerha¨user am Krakauer Ringplatz

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u¨ber ihre ra¨umliche Gestalt aufgestellt werden ko¨nnen. Daru¨ber hinaus sind auch Informationen u¨ber die Objekte bzw. Geba¨ude selbst sehr spa¨rlich; so begegnen uns lediglich Hinweise auf das Baumaterial und zu ihrer anna¨hernden Lokalisierung. Die aus dem 14. und 15. Jahrhundert stammenden Aufzeichnungen lassen sich schließlich gegenwa¨rtig nur drei Eckha¨usern am Ringplatz zuordnen.5 Die in den letzten zwanzig Jahren allgemein an den Wohnha¨usern des rechtssta¨dtischen Krakau am Ringplatz durchgefu¨hrten Umbauten haben die Mo¨glichkeit ero¨ffnet, umfangreiche architektonische und archa¨ologische Untersuchungen durchzufu¨hren. Diese haben zahlreiche neue Informationen u¨ber bislang unerkannte oder nur teilweise erkannte Partien der Ringplatzbebauung zu Tage gefo¨rdert.6 Dies betraf insbesondere die gegenwa¨rtigen Kelleretagen, die in der ersten rechtssta¨dti-

5 Die neuen Angaben u¨ber die Wohnha¨user am Ringplatz wurden folgenden Dokumentationen ent-

nommen: Stanisław Cechosz/Łukasz Holcer, O poczatkach ˛ pałacu „Pod Krzysztofory“ w s´ wietle ¨ ber die Anfa¨nge des Christophorus-Palais im Lichte der najnowszych badan´ architektonicznych [U neuesten architektonischen Untersuchungen], in: Krzysztofory. Zeszyty Naukowe Muzeum History´ ˙ przed pałacznego Miasta Krakowa 24 (2006), S. 7–20, hier S. 7–15; Dies., Sredniowieczne przedproze cem „Pod Krzysztofory“ – najnowsze odkrycia [Der mittelalterliche Beischlag vor dem Christophorus-Palais – neueste Entdeckungen], in: ebd. 25 (2007), S. 7–24; Marek M. Łukacz, Badania architektoniczne domu przy Rynku Gło´wnym 22 w Krakowie [Architektonische Untersuchungen des Hauses am Ringplatz 22 in Krakau]; Ders., Badania architektoniczne piwnic Szarej Kamienicy w Krakowie przy Rynku Gło´wnym 6 [Architektonische Untersuchungen der Kellerra¨ume des Grauen Wohnhauses in Krakau am Ringplatz 6]; Ders., Badania architektoniczne piwnic domu Rynek Gło´wny 23 w Krakowie [Architektonische Untersuchungen der Keller des Hauses Ringplatz 23 in Krakau]; Ders., Badania architektoniczne piwnic domu nr 47 przy Rynku Gło´wnym w Krakowie [Architektonische Untersuchungen der Kellerra¨ume des Hauses Nr. 47 am Krakauer Ringplatz]; Ders., Badania architektoniczne domu nr 46 przy Rynku Gło´wnym w Krakowie [Architektonische Untersuchungen des Hauses Nr. 46 am Krakauer Ringplatz]; Ders., Badania architektoniczne domu przy Rynku Gło´wnym 28/40 w Krakowie [Architektonische Untersuchungen des Hauses Ringplatz 28/40]; Ders./Marek Łukasz, Badania architektoniczne piwnic domu przy Rynku Gło´wnym 7 w Krakowie [Architektonische Untersuchungen des Kellers von Haus Nr. 7 am Krakauer Ringplatz]; Dies., Badania architektoniczne wybranej partii budynku kamienicy Czeczotki przy ul. Wi´slnej 2 w Krakowie [Achitektonische Untersuchungen einer ausgewa¨hlten Geba¨udepartie des Hauses von Czeczotka in der Weichselgasse 2 in Krakau], Typoskripte 1998–2010, Pracownia Badan´ Zabytko´w Architektury; Stanisław Sławinski/ ´ ˙ Joanna Hizycka, Kamienica przy Rynku Gło´wnym 36/ul. Sławkowskiej 1 w Krakowie. Uzupełniajace ˛ badania w piwnicach [Das Haus am Ringplatz 36/Ecke Sławkowskagasse 1 in Krakau. Erga¨nzende Untersuchungen in den Kellerra¨umen], Typoskript 1999, Pracownie Konserwacji Zabytko´w Arkona. 6 Eine Zusammenfassung der urbanistisch-architektonischen Forschungen der 1980er Jahre bietet eine 1992–1998 in der Werkstatt fu¨r Denkmalskonservierung „Arkona“ entstandene historisch-konservatorische Studie von Joanna Hi˙zycka, Waldemar Komorowski, Jolanta Laskownicka und Stanisław Sła´ winski; betra¨chtlichen Einfluss auf den Stand unserer Kenntnisse u¨ber die mittelalterlichen Ha¨user und Pala¨ste Krakaus am Ringplatz haben die Publikationen von Waldemar Komorowski ausgeu¨bt, vgl. Komorowski, Najstarsze kamienice (wie Anm. 2); Ders., Kamienice i pałace Rynku krakowskiego w ´ s´ redniowieczu [Die Wohnha¨user und Pala¨ste des Krakauer Ringplatzes im Mittelalter], in: Srednio´ ask ´ wieczny Sl ˛ i Czechy, Centrum s´ redniowiecznego miasta. Wrocław a Europa Srodkowa, Bd. 2, hg. v. Jerzy Piekalski/Krzysztof Wachowski, Wrocław 2000, S. 311–329; Ders., Kamienice i pałace Rynku krakowskiego w s´ redniowieczu [Die Ha¨user und Pala¨ste des Krakauer Ringplatzes im Mittelalter], in: Rocznik Krakowski 68 (2002), S. 53–74; Ders., Die sta¨dtebaulich-architektonische Entwicklung Krakaus intra muros im 14. und 15. Jahrhundert, in diesem Band, S. 241–277; ders./Bogusław Krasnowolski, Architektoniczny pejza˙z Krakowa około roku 1400 [Die architektonische Landschaft Krakaus um das Jahr 1400], in: Sztuka około 1400. Materiały Sesji Stowarzyszenia Historyko´w Sztuki. ´ listopad 1995, Bd. 1, hg. v. Teresa Hrankowska, Warszawa 1996, S. 105–126. Poznan,

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Marek M. Łukacz

schen Bebauungsphase das Erdgeschosse der Ha¨user gebildet haben. Die Auswertung der neu gewonnenen Informationen ermo¨glichte eine kritische Verifizierung der Befunde der a¨lteren architekturhistorischen Forschung.7 Dabei zeigte sich, dass sowohl die in der a¨lteren Literatur vertretene These von einer Sechsergliederung der Ringblo¨cke, d. h. ihrer Einteilung in jeweils 12 Lokationsparzellen,8 als auch die Annahme ausgeschlossen werden ko¨nnen, dass die Ringplatzparzellen bereits unmittelbar nach der Lokation u¨ber ihre ganze Front bebaut waren.9 Keine Besta¨tigung fand auch die Annahme, dass die gotischen Ha¨user in ihrem gegenwa¨rtigen Grundmaß in einer Bauphase errichtet worden seien und sich innerhalb der Ha¨userblo¨cke Ga¨sschen befunden ha¨tten, die hypothetisch in der Mitte der wa¨hrend der Lokation abgesteckten Bebauungsblo¨cke gelegen haben sollen.10

I. Die a¨lteste steinerne Wohnbebauung Die bisherige urbanistische Forschung zum rechtssta¨dtischen Krakau hat sechs Typen der Einteilung eines regula¨ren Altstadtblocks in Lokationsparzellen unterschieden.11 Diese Einteilung erfolgte nach der Lage der Parzellenfront im Verha¨ltnis 7 Dem mit diesen Untersuchungen befassten Arbeitsteam des Miejskie Biuro Projekto´w w Krako-

´ wie, Przedsi˛ebiorstwo Panstwowe Pracownie Konserwacji Zabytko´w, Oddział Krako´w [Sta¨dtisches Projektbu¨ro in Krakau, Staatliches Unternehmen der Denkmalpflege, Abteilung Krakau] geho¨rten ´ an: Danuta Czapczynska, Andrzej Karbowski, Waldemar Komorowski, Tomasz Liniecki, Marek M. ´ Łukacz, Anna Putyra und Stanisława Rusinska; die verschiedenen Typoskripte befinden sich im Archiv des Denkmalkonservators der Wojewodschaft Kleinpolen. 8 Die These von der Einteilung des Krakauer Altstadtblocks in 12 Lokationsgrundstu¨cke und des daraus abgeleiteten Formats der Lokationsparzelle wurde aufgestellt von Maria Borowiejska-Birkenmajerowa, Kształt s´ redniowiecznego Krakowa [Die Gestalt des mittelalterlichen Krakau], Krako´w 1975, bes. S. 113, Abb. 97. Diese These wurde bereits in Zweifel gezogen von Andrzej Swaryczewski, Historyczne przekształcenia urbanistyczne jednego z przyrynkowych bloko´w Krakowa [Die historischen urbanistischen Umgestaltungen eines der Blo¨cke am Krakauer Ringplatz], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 10 (1976), S. 15–26, hier S. 15; Ders., Gotycki blok lokacyjny nr 9 w Krakowie [Der gotische Lokationsblock Nr. 9 in Krakau], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 22 (1988), ´ S. 19–24; Jo´zef Stanisław Jamroz, Mieszczanska kamienica krakowska, wiek XIII–XV [Das Krakauer Bu¨rgerhaus im 13. – 15. Jahrhundert], Krako´w 1983, S. 24, 25, 39, 49, 54. Diese Arbeiten waren auch zu dem Ergebnis gelangt, dass nicht davon ausgegangen werden ko¨nne, dass bei der Absteckung des Ringplatzes sowie der Breite der Straßen und Blo¨cke die so genannte Alte Elle, also ein Maß von 0,606 m, verwendet worden sei. 9 Władysław Grabski, Wybrane zagadnienia z urbanistyki s´ redniowiecznego Krakowa [Ausgewa¨hlte Fragen zur Urbanistik des mittelalterlichen Krakau], in: Biuletyn Krakowski 3 (1961), S. 80–111; Ders., Ze studio´w nad zabudowa˛ (wie Anm. 4), S. 187–205; Grabski vertrat nicht nur die Ansicht, dass sich schon die a¨lteste steinerne Bebauung der Lokationsparzellen u¨ber deren gesamte Front erstreckte, sondern auch die These, dass die Lokationsparzellen mitsamt der auf ihnen existierenden flachen Bebauung nachtra¨glich in zwei Grundstu¨cke mit gleichen Frontbreiten unterteilt worden seien. 10 Ausfu¨hrlicher hierzu Marek M. Łukacz, Przemiany przestrzenne krakowskiej działki lokacyjnej do połowy XVII w. [Ra¨umliche Vera¨nderungen des Krakauer Lokationsgrundstu¨cks bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts], unvero¨ffentlichte Dissertation, Krako´w 1992. 11 Dies sind 1. der Block am Ringplatz, 2. der Block hinter der ersten Querstraße, 3. der durch die Linie der Stadtbefestigung abgeschnittene Block, 4. der Block mit einem ungeteilten Viertel, 5. der Eckhausblock und 6. der verbreiterte Block; Łukacz, Metrologia (wie Anm. 2), S. 97.

Die mittelalterlichen Bu¨rgerha¨user am Krakauer Ringplatz

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zu den Außenlinien des Baublocks. Als ein am Ringplatz gelegener Block wurde ein Bauensemble bezeichnet, bei dem die Ha¨lfte der Lokationsparzellen (vier) mit ihrer Front zum Ringplatz hin ausgerichtet war, die u¨brigen vier aber paarweise auf die vom Ringplatz abgehenden Straßen. Dieser Typus wird hauptsa¨chlich von jenen Baublo¨cken repra¨sentiert, die die westliche und no¨rdliche Ringplatzzeile bilden. Dagegen weisen die Blo¨cke, die die o¨stliche und zum Teil su¨dliche Ringzeile und gleichzeitig den no¨rdlichen Teil der Burggasse bilden, eine im Prinzip unregelma¨ßige Form sowie eine Parzellierung auf, die aus den vorrechtssta¨dtischen Bedingtheiten resultierte; sie musste eine zum Zeitpunkt der Lokation hier bereits bestehende gemauerte Bebauung mit Straßenzu¨gen und Kirchen – St. Adalbert und St. Marien – beru¨cksichtigen. Aus dem Rahmen fa¨llt auch der gesonderte Block eines von Anfang an ungeteilten Viertels, das Eigentum des Stadtvogtes war und die Parzellen am Ringplatz deformierte.12 Diese Vogtparzelle befand sich in dem gewo¨hnlich als Nr. 29 bezeichneten Block am Ringplatz, der von Abschnitten der Straßen Weichselgasse, Taubengasse und Bru¨dergasse sowie einem Teil der su¨dlichen Ringzeile abgesteckt war (heute: Bru¨dergasse 3/5). Die architektonischen Untersuchungen haben allgemein das Pha¨nomen einer symmetrischen La¨ngsteilung der Geho¨fte bzw. Lokationsparzellen besta¨tigt. Lediglich bei einer einzigen Parzelle mit Lokationsmaßen konnte festgestellt werden, dass sie nie geteilt wurde; dabei handelt es sich um das heute als Ringplatz 47 bezeichnete Eckgrundstu¨ck.13 Dem liegt gewiss die außergewo¨hnliche Lage des Grundstu¨cks an der Einmu¨ndung einer der Hauptstraßen Krakaus auf den Ringplatz zugrunde sowie die enge Nachbarschaft zum wichtigsten Gotteshaus der Stadt, der Marienkirche. Daru¨ber hinaus ermo¨glichte die Ecklage eine Gestaltung des Geba¨udes in L-Form, bei der seine Flu¨gel zum Ringplatz und zur Floriansgasse ausgerichtet waren und das von dieser Straße aus auch bequem durch ein Tor in der Grenzmauer zuga¨nglich war. Das auf einem so großen Grundstu¨ck errichtete Geba¨ude war zweimal gro¨ßer als ein auf einer geteilten Lokationsparzelle errichtetes Bu¨rgerhaus; im Jahre 1311 geho¨rte es dem Sandomirer Vogt Witek.14 Der bei den Eckha¨usern dank ihrer gro¨ßeren Frontbreite bequeme Zugang zum Inneren des Grundstu¨ckes bewirkte, dass sich hier auch in anderen Fa¨llen in den darauffolgenden Bauphasen ein a¨hnlicher Grundriss herausbildete; dies ist im Haus „Unterm Birnbaum“ in der Nordecke des Ringplatzes ebenso deutlich erkennbar wie im Palais „Zu den Widdern“ an der Einmu¨ndung der Annengasse auf den Ringplatz, im Haus Hermanns von Ratibor an der Einmu¨ndung der Bru¨dergasse auf den Ringplatz und im Haus des Czeczotka (so der Name eines spa¨teren Eigentu¨mers) an der Westecke des Ringplatzes.15

12 Rajman, Krako´w (wie Anm. 1), S. 247. 13 Marek M. Łukacz/Waldemar Komorowski, Ekspertyza konserwatorska domu przy Rynku Gło´w-

nym 47 w Krakowie [Konservatorisches Gutachten zum Haus am Ringplatz 47 in Krakau], Typoskript 1985, Miejskie Biuro Projekto´w w Krakowie. 14 Grabski, Sredniowieczna ´ kamienica (wie Anm. 4), S. 163. 15 Łukacz/Łukacz, Badania architektoniczne wybranej partii budynku kamienicy Czeczotki (wie ˙ Anm. 5); Stanisław Sławinski/Joanna ´ Hizycka, Studium urbanistyczno-konserwatorskie bloku nr 24 [Eine urbanistisch-konservatorische Analyse des Blocks Nr. 24], Typoskript 1999, Pracownie Konser-

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Mit Ausnahme des Grundstu¨cks Ecke Ringplatz/Floriansgasse, das heute als Ringplatz Nr. 47 bezeichnet wird, sind 30 am Ringplatz gelegene Lokationsparzellen einer La¨ngsteilung unterworfen worden, bevor auf ihnen eine gemauerte Bebauung entstand. Auf den abgeteilten Parzellen wurden in der ersten Bauphase 68 Ha¨user errichtet, von denen fast 50 in betra¨chtlichem Maße bis heute – sozusagen in die Fronttrakte der Keller und Erdgeschosse der gegenwa¨rtigen Geba¨ude „eingeschmolzen“ – erhalten geblieben sind. Die Teilung der Lokationsparzellen in Grundstu¨cke mit geringerer Frontbreite muss daher schon sehr fru¨h stattgefunden haben, vielleicht noch vor dem Ende des 13. Jahrhunderts, vor Beginn der eigentlichen Bauarbeiten unter Verwendung von Steinen und Ziegeln. Gegenwa¨rtig kann festgestellt werden, dass die chronologisch a¨ltesten gemauerten Krakauer Ringplatzha¨user nach der Lokation in der an den Ringplatz anstoßenden Partie der halbierten Lokationsparzellen lagen, d. h. auf Parzellen entstanden, die infolge der La¨ngsteilung des Lokationsgrundstu¨cks eine Frontbreite von 18 Ellen (10,55 m) aufwiesen, die um zwei Ellen (1,16 m) vergro¨ßert oder verkleinert wurde, sowie einen quadrata¨hnlichen Grundriss besaßen, so dass die Etagenfla¨che etwa 110 m2 betrug. Diese Vera¨nderung der Frontbreite um zwei Ellen war das Ergebnis einer Willku¨r des Stadtrates aus dem Jahre 1357, die fu¨r den Fall einer nicht gleichzeitigen Bauta¨tigkeit dem nicht bauenden Eigentu¨mer aufgab, einen zwei Ellen (1,16 m) breiten Streifen seines eigenen Terrains zugunsten des Nachbarn abzutreten, der als erster sein Haus errichtete.16 Sicher stu¨tzte sich diese Willku¨r auf ein fru¨heres Gewohnheitsrecht – den Sachsenspiegel.17 Die ersten Steinha¨user am Ringplatz besaßen keine Keller und hatten einschließlich des Erdgeschosses mindestens zwei Etagen.18 Das Erdgeschoss war sicher ein einra¨umiger großer Flurraum (Diele), der viele Funktionen erfu¨llte.19 Dort befanden sich Werkstatt und Warenlager sowie der durch eine offene Feuerstelle mit Rauchfang beheizte Wohnraum.20 Die Diele erhielt gewo¨hnlich durch zwei kleine Fenster Licht, die sich zu beiden Seiten des in der Regel in der Mitte der Frontwand gelegenen Eingangs befanden. Zusa¨tzlich gab es in der hinteren Fassadenwand einen weiteren Eingang vom Hof her, der in der Regel neben einer der Nachbarwa¨nde lag. Ein solcher wacji Zabytko´w Arkona; Waldemar Komorowski/Marek M. Łukacz, Studium urbanistyczno-konserwatorskie bloku nr 12 [Eine urbanistisch-konservatorische Analyse des Blocks Nr. 24], Typoskript 1987, Miejskie Biuro Projekto´w w Krakowie. 16 Grabski, Ze studio´w nad zabudowa˛ (wie Anm. 4), S. 195; Jerzy Wyrozumski, Dzieje Krakowa. Tom 1: Do schyłku wieko´w s´ rednich [Geschichte Krakaus. Bd. 1: Bis zum Ausgang des Mittelalters], Krako´w 1992, S. 286–291. 17 Heiner Lu¨ck, Zwierciadło saskie i prawo magdeburskie fundamentem dla Europy [Der Sachsenspiegel und das Magdeburger Recht als Fundament fu¨r Europa], in: Krzysztofory. Zeszyty Naukowe Muzeum Historycznego Miasta Krakowa 26 (2008), S. 143–159. 18 Von der Ho¨he der Geba¨ude nach der Lokation zeugt indirekt die Dicke der Mauern ihrer Erdgeschosse, die in der Regel 1,5 bis 2 Ellen bzw. 0,8 bis 1,2 m betra¨gt. 19 Das fu¨r die Krakauer Forscher besonders interessante Haus mit einra¨umigem Erdgeschoss, ein Die´ lenhaus, wird ausfu¨hrlich vorgestellt von Jerzy Piekalski, Wczesne domy mieszczan w Europie Srodkowej. Geneza, funkcja, forma [Fru¨he Ha¨user der Bu¨rger in Mitteleuropa. Genese, Funktion, Form], Wrocław 2004, S. 121–134. 20 Im Verlauf der architektonischen Untersuchungen der Kellerra¨ume des Hauses am Ringplatz 6 wurde in der hinteren Fassadenwand eine Spalto¨ffnung freigelegt, die den Rauch vom Kamin nach außen ableitete. Łukacz, Badania architektoniczne piwnic Szarej Kamienicy (wie Anm. 5), 1998.

Die mittelalterlichen Bu¨rgerha¨user am Krakauer Ringplatz

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Ausgang erlaubte eine bequeme Situierung der Feuerstelle im Inneren der einra¨umigen Diele an der langen Nachbarwand. Die Erdgeschosse dieser Ha¨user waren, wie die geringe Breite der Einga¨nge (90–120 cm) bezeugt, nicht durchfahrbar. Die Interieurs der zweiten Etage, die das Obergeschoss der ersten gemauerten Krakauer Ha¨user bildeten, sind weniger erforscht, weil nur ihre seitlichen Außenwa¨nde erhalten geblieben sind. Die urspru¨nglichen vorderen und hinteren Fassadenwa¨nde unterlagen auf dem Niveau der zweiten Etage (die das Parterre der gegenwa¨rtigen Ha¨user am Ringplatz darstellt) zahlreichen Umgestaltungen und durch spa¨tere Baumaßnahmen letztlich einer vo¨lligen Verwischung ihrer urspru¨nglichen architektonischen Formen. So stellte die Rekonstruktion des Aussehens dieser Wa¨nde lediglich eine theoretische Konstruktion dar, die auf analogen schlesischen und deutschen Lo¨sungen von Bu¨rgerha¨usern des 13. bis beginnenden 14. Jahrhunderts beruht. Die a¨lteste Ringplatzbebauung aus der Zeit der Lokation wird daher heute eher von den Außenwa¨nden des Vorder- und oft auch des Mitteltrakts21 der Keller und Erdgeschosse der heutigen Geba¨ude abgesteckt. Die ersten Krakauer Steinha¨user geho¨rten zu einem Typ des Stadthauses, der seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert im gesamten nordeuropa¨ischen Kulturraum sowie in den Sta¨dten Schlesiens vorkam22 – mit der einzigen Modifizierung, dass die schlesischen und die Krakauer Ha¨user in der Regel ein als Wohnung dienendes Obergeschoss besaßen, was in den nordwesteuropa¨ischen Ha¨usern nicht immer der Fall war.23 In den Krakauer Ha¨usern des ausgehenden 13. und beginnenden 14. Jahrhunderts mit Wohnraum im Obergeschoss werden Einflu¨sse des Mittelmeerhauses erkennbar, eigentlich sogar noch der antiken, im Mittelalter weiterentwickelten Tradition, die sich u¨ber toskanisch-lombardische und franzo¨sische 21 In einem erheblichen Teil der Ha¨user bildete sich in den Kellern kein Mitteltrakt heraus, der die Funk-

tion eines Kommunikationsganges erfu¨llte; in diesen Fa¨llen wird die Tiefe des urspru¨nglichen Hauses von der hinteren Wand des Fronttraktes bestimmt. 22 Vgl. Małgorzata Chorowska, Sredniowieczna ´ ´ kamienica mieszczanska we Wrocławiu [Das mittelalterliche Bu¨rgerhaus in Breslau], Wrocław 1994, S. 27, wo es heißt: „Die Untersuchungsergebnisse berechtigen uns jedoch zu der Feststellung, dass die ersten Steinha¨user in Breslau sofort als mehrsto¨ckige Geba¨ude errichtet wurden. Einige von ihnen, insbesondere am Ringplatz, hatten zwei Etagen.“ An anderer Stelle heißt es: „Gegen Ende des 13. Jahrhunderts standen die am zahlreichsten repra¨sentierten Ha¨user am Ringplatz im allgemeinen schon in einer geschlossenen Reihenbebauung, ohne die Mo¨glichkeit, mit einem Wagen auf das Grundstu¨ck zu gelangen. Auch die Erdgeschosse der Ha¨user waren nicht durchfahrbar, was aus der geringen Breite der Tu¨ro¨ffnungen resultiert. Die Erdgeschosszimmer waren im Allgemeinen durch einen Vorder- und einen Hintereingang zuga¨nglich. (...) Die a¨ltesten gemauerten Ha¨user in Breslau waren nicht unterkellert. Zu Beginn gelangte man unmittelbar von der Straße in die eingetiefte Etage. Die Ho¨he der Parterre schwankte zwischen 2,6 und 2,7 m. (...) Der eigentliche Wohnraum befand sich in den Obergeschossen der Breslauer Ha¨user. Im Unterschied zum Erdgeschoss waren diese ho¨her, durch gro¨ßere Fenster auch heller, und konnten außerdem beheizt werden.“ 23 Ewa Kreglewska-Foksowicz, ´ XVIII ˛ Konferencja naukowa „Kamienica miejska w Polsce do konca wieku“ [Wissenschaftliche Tagung „Das sta¨dtische Haus in Polen bis zum Ende des 18. Jahrhun¨ ußerung von derts“], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 30 (1985), 2, S. 100–102, zitiert die A Adam Miłob˛edzki: „Die u¨berwiegende Mehrheit der Sta¨dte Nord- und Mitteleuropas war urspru¨nglich mit Parterreha¨usern la¨ndlicher Genese mit einem oder zwei Innenra¨umen bebaut, zu denen in einem bestimmten Moment die Rauchku¨che hinzukam. Spa¨ter kam das Mittelmeermodell in Mode, so dass die Ku¨che aus dem Erdgeschoss ins Obergeschoss verlegt wurde, aber Spuren von ihr im Erdgeschoss zuru¨ckblieben.“

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Etappen bis nach Su¨ddeutschland ausgebreitet hatte. Allerdings bestehen in dieser Frage auch andere Ansichten, die von unabha¨ngigen Wurzeln des deutschen gemauerten Wohnbaues ausgehen.24

Abb. 1: Ringplatz 23: Erdgeschoss (heute Keller), Ende des 13., Anfang des 14. Jahrhunderts mit Ausgang zum Hof und Wandnische Fotographie Marek M. Łukacz

Die ersten gemauerten Ha¨user wurden aus geschichtetem Bruchkalkstein errichtet; ¨ ffnungskanten verwendet, Ziegel wurden fast ausschließlich zur Verblendung der O z. B. von Ziegelportalen, Stu¨rzen und Fensterkanten sowie von Nischen in den Wa¨nden (Almarien). Diese Verwendung von Ziegeln war jedoch nicht die Regel; in zahlreichen Fa¨llen kam sie in den untersuchten Erdgeschossen der aus der ersten Bau¨ ffnungen als Steinphase stammenden Ha¨user nicht vor; sporadisch wurden die O metzarbeiten ausgefu¨hrt: im Falle des Hauses Ringplatz 23 z. B. in Gestalt eines halbkreisfo¨rmigen Sandstein-Portals ohne Dekoration (Abb. 1), im Fall des Hauses Ringplatz 30/Schustergasse 2 in Gestalt von Steinmetz-Fenstern mit einfachen Formen.

24 Piekalski, Wczesne domy (wie Anm. 19), S. 206, zufolge, erkennt man unabha¨ngig von den romani-

schen Einflu¨ssen in den fru¨hen Krakauer Ha¨usern die Wurzeln des deutschen gemauerten Wohnbaus. Die Problematik des Zusammenhangs zwischen den ersten Stockwerken der a¨ltesten Krakauer Ha¨user und dem Giebeldach des nordeuropa¨ischen Kulturraumes betont Łukacz, Pierwsze przemiany przestrzenne (wie Anm. 2), S. 96–114.

Die mittelalterlichen Bu¨rgerha¨user am Krakauer Ringplatz

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Die Wa¨nde der Ha¨user waren etwa 60–80 cm tief ins Gela¨nde eingelassen und meistens etwa 90–120 cm dick, d. h. anderthalb bis zwei Krakauer Ellen. Der Parterreraum war mit einer auf Sockel gestu¨tzten Balkendecke bedeckt. In einigen Ha¨u-

Abb. 2: Ringplatz 23: Grundriss des Erdgeschosses A – einra¨umiges Erdgeschoss; B – Teilung der Erdgeschossdiele in zwei Ra¨ume; C – Anbau eines hinteren und mittleren Traktes; 1 – Ende 13. und Anfang 14. Jh.; 2 – erste Ha¨lfte 14. Jh.; 3 – zweite Ha¨lfte 14. Jh. Zeichnung Marek M. Łukacz

sern sind Kalksteinkonsolen erhalten, die als Stu¨tze der Deckenbalken dienen.25 Von der Lage der urspru¨nglichen Feuerstellen zeugen Rauchfango¨ffnungen und Abzugsrohre, die entweder an der hinteren Fassadenwand oder an der Nachbarwand situiert sind (Abb. 2). Im Haus Ringplatz 6 ist die Sicherung der ho¨lzernen Eingangstu¨r in Gestalt eines horizontalen Balkens bzw. einer in der Mauer gelegenen Holzfu¨hrung erhalten geblieben. In den Wa¨nden des Erdgeschossraumes finden sich auf der Innenseite Almarien in Gestalt von Nischen mit einer Gro¨ße von gewo¨hnlich 55 × 55 cm (d. h. anna¨hernd einer Krakauer Elle), die eine halbe Elle tief waren und aus dicken Eichenbrettern gefertigte Stu¨rze besaßen. Es wurden auch kleine Almarien mit Ziegelra¨ndern und -stu¨rzen entdeckt, die aus zwei schra¨g gelegten Ziegeln gemauert wurden, 25 Solche Konsolen finden sich in den Geba¨uden Ringplatz 13, Thomasgasse 17, Sławkowskagasse 6 und

Kanonikergasse 1.

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Marek M. Łukacz

z. B. in den Ha¨usern Ringplatz 6, 19 und 23 (vgl. Abb. 1). Die bis heute an den Wa¨nden dieser Ha¨user erhaltenen Partien von Verputz, die stratigrafisch mit aus der ersten Bauphase stammenden Motiven verbunden sind, belegen eindeutig, dass diese Ha¨user

Abb. 3: Ringplatz 23: Erdgeschoss (heute Keller), Kreuzrippengewo¨lbe mit Schlussstein in Gestalt eines Ma¨nnerkopfes, Mitte 14. Jahrhundert Fotographie Marek M. Łukacz

in der Regel verputzte Wa¨nde besaßen und von innen mit Zinkweiß gestrichen waren. Die Verputzung der Wa¨nde und Gewo¨lbe der Ra¨ume der ersten Etage erfolgte auch im 15. Jahrhundert. Davon zeugt der polychromierte Verputz des im 14. Jahrhundert entstandenen und im jetzigen Keller des Hauses Ringplatz 23 erhaltenen Kreuzrippengewo¨lbes (Abb. 3).26

26 Informationen u¨ber alte Anwu¨rfe in Kellern, die noch aus der ersten Bauphase der besprochenen Ha¨u-

ser stammen, liefern die konservatorischen Dokumentationen, u. a.: Marek Gosztyła, Sprawozdanie z prac konserwatorskich sklepienia w piwnicy domu Rynek Gło´wny 23 [Bericht u¨ber die konservatorischen Arbeiten am Kellergewo¨lbe des Hauses am Ringplatz 23], Typoskript 1997, Pracownia Badan´ Zabytko´w Architektury Marek M. Łukacz; Barbara Łukacz, Kierunkowy program prac konserwatorskich w piwnicach domu przy Rynku Gło´wnym 39/40 w Krakowie [Programm der konservatorischen Arbeiten in den Kellern des Hauses Ringplatz 39/40 in Krakau], Typoskript 1999, Pracownia Badan´ Zabytko´w Architektury Marek M. Łukacz; Dies., Program prac konserwatorskich w piwnicach Szarej Kamienicy przy Rynku Gło´wnym 6 w Krakowie [Programm der konservatorischen Arbeiten in den Kellern des Grauen Wohnhauses Ringplatz 6 in Krakau], Typoskript 2000, Pracownia

Die mittelalterlichen Bu¨rgerha¨user am Krakauer Ringplatz

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Die Ra¨ume der zweiten Etage der nach der Lokation errichteten Ha¨user waren sicher u¨ber Außentreppen zuga¨nglich. Die vermutliche Lage dieser Außentreppen wurde von den spa¨teren Teilungen des urspru¨nglichen Hausinneren sowie durch den fortschreitenden Austausch der Balkendecken wa¨hrend der dritten Bauphase ver¨ hnlich wie bei den Breslauer Ha¨usern mochten als Treppen auch eine Art wischt. A von Leitern gedient haben, die von außen an die hintere Geba¨udewand gestellt wurden.27 Bei einigen Krakauer Ha¨usern war das Obergeschoss jedoch von außen durch eine in die Mauer eingelassene Treppe zuga¨nglich. Solche Treppen sind bis heute im Haus Ringplatz 6 erhalten, im fru¨heren Eckhaus und im Ostgeba¨ude, das heute den Ostflu¨gel der Bebauung bildet (Abb. 4). Sie finden sich auch im Nordgeba¨ude Ringplatz 7.28 Die a¨ltesten gemauerten Geba¨ude waren von First- oder Giebelda¨chern – je nach Grundriss der Außenmauern – bedeckt, wobei das offensichtliche Prinzip zugrunde lag, den First nach der La¨ngsachse des Geba¨udes auszurichten. Ein Teil der Geba¨ude am Ringplatz wurde in der ersten Bauphase aus Holz errichtet, doch ist nicht auszuschließen, dass sie gemauerte Erdgeschosse besaßen und nur die zweite Etage aus Holz bestand – dann sicher im Sta¨nderbau. Dieser in Westeuropa allgemein verwendete Typ der Holzkonstruktion war den ersten Siedlern, die ja mehrheitlich aus diesen La¨ndern kamen, eher vertraut als die zu dieser Zeit in Kleinpolen verwendete Blockkonstruktion. Auf dem Grundstu¨ck befand sich in der Regel auch ein ho¨lzernes Hinterhaus, dessen Spuren in den aufeinanderfolgenden Bauphasen jedoch vo¨llig verwischt wurden; doch ist anzunehmen, dass es sich dabei um Parterreobjekte zu Wirtschaftszwecken handelte. Das Fehlen einer Einfahrt auf das Grundstu¨ck bzw. der unpassierbare Parterreraum beschra¨nkten die Funktion dieser ho¨lzernen Hinterhausbebauung. Infolge architektonischer Untersuchungen der Keller heutiger Ha¨user konnte festgestellt werden, dass im Verlauf der Errichtung eines Hauses ha¨ufig eine schmale Einfahrt von der Straße her auf die Ru¨ckseite des Grundstu¨cks geschaffen wurde und das Haus nicht die gesamte Breite der Parzelle einnahm. Diese in einer spa¨teren Bauphase zugemauerten Durchfahrten sind heute noch in den Kellern der Ha¨user Ringplatz 6, 12, 20 und 25 erkennbar. Die Breite dieser Einfahrten betra¨gt etwa 2,6 bis 3,8 m, je nach der Breite der Parzellenfront. Somit kann festgestellt werden, dass in der ersten Bauphase, gegen Ende des 13. und zu Beginn des 14. JahrhunBadan´ Zabytko´w Architektury Marek M. Łukacz; Dies., Program prac konserwatorskich w piwnicach kamienicy Montelupich przy Rynku Gło´wnym 7 w Krakowie [Programm der konservatorischen Arbeiten in den Kellern des Wohnhauses der Montelupi Ringplatz 7 in Krakau], Typoskript 2009, Pracownia Badan´ Zabytko´w Architektury Marek M. Łukacz. 27 Zu den Relikten solcher Außentreppen Chorowska, Sredniowieczna ´ kamienica (wie Anm. 22), S. 39. Die Beschreibung einer erhaltenen Eingangso¨ffnung in der Wand der Seitenfassade in der zweiten Etage bei Tomasz Liniecki, Dom wo´jta Henryka z wieku XIII w Krakowie [Das Haus des Vogtes Henrich aus dem 13. Jahrhundert in Krakau], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 33 (1968), S. 287–297, hier S. 289, Ill. 4. 28 Marek M. Łukacz, Badania architektoniczne partii zabudowy Szarej Kamienicy przy Rynku Gło´wnym 6 w Krakowie [Architektonische Untersuchungen einer Geba¨udepartie des Grauen Hauses am Ringplatz 6 in Krakau], Typoskript 1989; Jan Janczykowski, Ekspertyza konserwatorska kamienicy Montelupich przy Rynku Gło´wnym 7 w Krakowie [Konservatorische Expertise zum Wohnhaus der Montelupi am Krakauer Ringplatz 7], Typoskript 1978, Miejskie Biuro Projekto´w w Krakowie.

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Heugasse

Heugasse Ringplatz

Ringplatz

Heugasse

Heugasse Ringplatz

Ringplatz

Abb. 4: Ringplatz 6: Vera¨nderungen der Bebauung in gotischer Zeit, Grundrisse der Erdgeschosse A – Ende 13., Anfang 14. Jh.; B – erste Ha¨lfte 14. Jh.; C – Grundriss der Keller, zweite Ha¨lfte 14. Jh.; D – Grundriss des Erdgeschosses, zweite Ha¨lfte 14. Jh. 1– Ende 13. Jh.; 2 – Anfang 14. Jh.; 3 – Mitte 14. Jh.; 4 – zweite Ha¨lfte 14. Jh. Zeichnung Marek M. Łukacz

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derts, die Ha¨user nicht u¨berall eine geschlossene Straßenfront gebildet haben. Im Fall der Ha¨user auf dem Grundstu¨ck Ringplatz 6 funktionierte die Einfahrt vom Platz aus in die Tiefe der su¨dlichen Parzelle auch noch nach der Weiterentwicklung der Bebauung und der Hinzufu¨gung hinterer Straßen. Das Problem des Zugangs zum hinteren Teil der Parzelle entfiel im Fall der Eckha¨user, bei denen man von der Querstraße leicht durch ein Tor in der Mauer oder im Zaun, der den Hof von der Querstraße trennte, auf den Hof und in die Hintergeba¨ude gelangen konnte. Diese Parzellen wurden zuerst bebaut, sicher eben wegen dieser Bequemlichkeit; außerdem besaßen die auf ihnen errichteten Ha¨user zumeist eine gro¨ßere Tiefe als die u¨brigen in der Straßenzeile des Altstadtblocks errichteten Geba¨ude. Oft waren sie etwa 1,2 m (zwei Krakauer Ellen) breiter, was von ihrer fru¨heren Bebauung bzw. von der Auswirkung der Willku¨r von 1357 zeugt. Um zu den eigenen Hintergeba¨uden auf den Grundstu¨cken zu gelangen, nutzte man auch die noch unbebauten Nachbarparzellen. Dies geschah im Falle der Altstadtblo¨cke am Ringplatz, wo die Ha¨lfte der Grundstu¨cke eines Blocks mit ihrer Vorderfront dem Ringplatz zugewandt war, die andere Ha¨lfte den vom Ringplatz abgehenden Straßen. Die Besitzer von fu¨nf Ha¨usern auf den Grundstu¨cken mit den heutigen Nummern Ringplatz 24, 25 und 26 nutzten die unbebaute Parzelle hinter ihren eigenen Grundstu¨cken, was ihnen den Zugang zu den Hinterhausobjekten ermo¨glichte, ohne durch die Erdgeschosse der Frontgeba¨ude hindurch zu mu¨ssen.29 Weitere Durchfahrten zwischen den Grundstu¨cken teilten zwei verla¨ngerte Blo¨cke, die sich an der Einmu¨ndung der Burggasse auf den Ringplatz befanden. Die erste von ihnen verband den Ringplatz mit der Bru¨dergasse – ihren no¨rdlichen Teil nimmt heute ein am Ende des 14. Jahrhunderts errichtetes Geba¨ude ein, das als Ringplatz 18 bezeichnet wird; dabei handelt es sich um das schmalste aller erhaltenen gotischen Geba¨ude am Ringplatz.30 Die Lage dieser Durchfahrt neben dem gera¨umigen Haus Ringplatz 19, das gegenu¨ber den Bu¨rgerha¨usern deutlich gro¨ßer war, legt die Vermutung nahe, dass diese Durchfahrt in der ersten Bauphase als hintere Einfahrt zu diesem gera¨umigen Besitz gedient haben mag, so dass man hier vom Ringplatz aus nicht durch das Erdgeschoss des Geba¨udes fahren musste. Die zweite Durchfahrt verband

29 Nach dem Zumauern der Einfahrt vom Markt her zwischen dem o¨stlichen und dem westlichen Haus

Nr. 25 in der darauffolgenden Bauphase kauften die Besitzer die Nordha¨lfte des Grundstu¨ckes hinter ihrem eigenen Hintergeba¨uden hinzu und errichteten auf dem dazugekauften Terrain gemauerte Hinterha¨user; den su¨dlichen Teil des Grundstu¨cks beließen sie als gemeinsame Einfahrt und gemeinsamen Rinnstein; vgl. Marek M. Łukacz/Waldemar Komorowski, Studium urbanistyczno-konserwatorskie staromiejskiego bloku nr 29 w Krakowie [Urbanistisch-konservatorische Analyse des Altstadtblocks Nr. 29 in Krakau], Typoskript 1988, Miejskie Biuro Projekto´w w Krakowie. Der Rinnstein erwa¨hnt in: Ksi˛egi ławnicze krakowskie 1365–1376 i 1390–1397 [Krakauer Scho¨ffenbu¨cher 1365–1376 ˙ und 1390–1397], hg. v. Stanisław Krzyzanowski, Krako´w 1904, Nr. 2410, S. 315; die Beschreibung von 1397: Canale seu aquefluxum subterraneum de curia domus sue per curiam ducis usque platheam Wislensem (der Kanal, d. h. der unterirdische Wasserabfluss, von seinem Haus [hier der Name des Besitzers des Grundstu¨cks am Ringplatz] durch die Grundstu¨cke der masowischen Herzo¨ge [Ringplatz 26] bis zur Weichselgasse). 30 Swaryczewski, Historyczne przekształcenia (wie Anm. 8), S. 24.

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Brüdergasse

den Ringplatz mit der Tischlergasse31 – in deren Westteil entstand Mitte des 15. Jahrhunderts ein Haus, das den Nordteil des heute als Ringplatz 12 bezeichneten Besitzes bildete. Das war das zweitschmalste Haus am Ringplatz; man erkennt es noch auf einer Zeichnung von Łukasz Kozakiewicz aus dem Jahre 1824.32

Haus

Haus

Abb. 5: Bru¨dergasse 3/5: Erdgeschoss-Grundriss A – Wohnturm des Vogtes Heinrich; B – heutiger Seitenflu¨gel des Hauses Ringplatz 23, einst Teil der Bebauung der Vogtparzelle; C – Fassadenaufriss bzw. Blick auf die Ostfassade des Wohnturms Zeichnung Marek M. Łukacz

Auf einem Teil der nach der Lokation am Ringplatz entstandenen Halb-Geho¨ftparzellen bestand die a¨lteste Bebauung aus einem Frontgeba¨ude in einfachen architektonischen Formen, das mindestens ein Obergeschoss besaß, das im mittleren oder hinteren Teil des verla¨ngerten Grundstu¨cks errichtet wurde, und sicher auch ein Hinterhaus aus Holz, das das Grundstu¨ck von hinten abschloss. Das gemauerte Etagengeba¨ude mit quadratischem Grundriss im mittleren Teil der verla¨ngerten Parzelle kann kaum als mittleres Hinterhaus bezeichnet werden, passender wa¨re die Bezeichnung Wohnturm.33 Ha¨user dieses Typs verbanden Wohnfunktionen mit repra¨sentativen Zu¨gen und Wehrelementen und stellten eine Form des Herrenhauses dar. Im 31 Borowiejska-Birkenmajerowa, Kształt s´ redniowiecznego (wie Anm. 8), S. 111, Ill. 95. 32 Jerzy Banach, Ikonografia Rynku Gło´wnego w Krakowie [Die Ikonographie des Ringplatzes in Kra-

kau], Krako´w 1998, S. 66.

33 Zu den Wohntu¨rmen in den Sta¨dten Mitteleuropas ausfu¨hrlich Piekalski, Wczesne domy (wie

Anm. 19), S. 135–166; zu ihrer Funktion in der Stadtlandschaft Cezary Bu´sko, Budynki wie˙zowe w krajobrazie s´ redniowiecznego miasta [Wohntu¨rme in der Landschaft der mittelalterlichen Stadt], in: ˙ Dom w mie´scie s´ redniowiecznym i nowozytnim, hg. v. Bogusław Gedinga, Wrocław 2004, S. 62–73, wo auch das Haus des Vogtes Heinrich in Krakau beru¨cksichtigt wird.

Die mittelalterlichen Bu¨rgerha¨user am Krakauer Ringplatz

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Abb. 6: Bru¨dergasse 3/5, Aufriss der o¨stlichen Fassade des Wohnturmes des Vogtes Heinrich, Ende 14. Jahrhundert A – Niveau der nicht erhaltenen Erdgeschossdecke; B – heutiges Gela¨ndeniveau; C – Gela¨ndeniveau zur Zeit der Erbauung; D – Niveau des Mauerfundaments des Wohnturmes Zeichnung Marek M. Łukacz

Lichte des gegenwa¨rtigen Forschungsstandes kann festgestellt werden, dass mit Ausnahme der erhaltenen Erdgeschossmauern Spuren der oberen Etagen im Verlauf der aufeinanderfolgenden gotischen Bauphasen vo¨llig verwischt wurden. Geba¨ude dieses Typs befanden sich auf den Grundstu¨cken Ringplatz 7, 23, 30, 35, 36, 43 und 46 (vgl. Abb. 1 bei Komorowski, Die hoch- und spa¨tmittelalterlichen Residenzen, in diesem Band).34 Indirekt zeugt von ihrer Zwei- bis Dreigeschossigkeit die Dicke der erhal34 Zum Grundriss der ersten Etage eines Wohnturmes bzw. ihrem erhaltenen Teil vgl. Andrzej Karbow-

ski, Kamienica Małachowskich, Krako´w, Rynek Gło´wny 30/ul Szewska 2. Piwnice pod skrzydłem

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Abb. 7: Bru¨dergasse 3/5: Erdgeschoss des Wohnturmes des Vogtes Heinrich, o¨stliche Wand, Ende 13. Jahrhundert (heute Keller) Fotographie Marek M. Łukacz

tenen Erdgeschossmauern, die 1,2 bis 1,7 m (2 oder 2 1/2 Krakauer Ellen) betrug. Nur ein einziger Wohnturm ist in voller Ho¨he erhalten geblieben – das aus dem ausgehenden 13. Jahrhundert stammende Haus des Vogtes Heinrich, das heute in die Bebauung des Grundstu¨ckes Bru¨dergasse 3/5 integriert ist (Abb. 5–7).35 Dieses Geba¨ude, das ein Symbol der Macht und des Prestiges des Krakauer Stadtvogtes darstellte und in

po´łnocnym [Das Małachowski-Haus, Krakau, Ringplatz 30/Schustergasse 2, Kellerra¨ume unter dem Nordflu¨gel], 1966, Typoskript; Katarzyna Schejbal-Deren, ´ Krako´w Rynek Gło´wny 46. Sprawozdanie z badan´ archeologicznych [Krakau Ringplatz 46. Bericht u¨ber die archa¨ologischen Untersuchungen], Typoskript 2004; Marek M. Łukacz, Badania architektoniczne domu przy Rynku Gło´wnym 23 w Krakowie [Architektonische Untersuchungen des Hauses Ringplatz 23 in Krakau], Typoskript 2004, Pracownia Badan´ Zabytko´w Architektury Marek M. Łukacz; Cechosz/Holcer, O poczatkach ˛ pałacu (wie Anm. 5); Stanisław Sławinski: ´ Przyczynek do stanu badan´ nad zagadnieniem najstarszych kamienic krakowskich i ich lokalizacji na działce modularnej [Ein Beitrag zum Stand der Forschungen zur Frage der a¨ltesten Krakauer Ha¨user und ihrer Lokalisation auf dem Modulargrundstu¨ck], in: Krzysztofory. Zeszyty Naukowe Muzeum Historycznego Miasta Krakowa 28 (2010), 2, S. 77–96, u. a. zur fru¨hen Bebauung der Grundstu¨cke Ringplatz 36/Sławkowskagasse 1 und Ringplatz 42/Johannisgasse 1. 35 Vgl. Komorowski/Łukacz, Bursa w˛egierska (wie Anm. 1); Liniecki, Dom wo´jta (wie Anm. 27).

Die mittelalterlichen Bu¨rgerha¨user am Krakauer Ringplatz

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der Mitte einer Parzelle von der Fla¨che eines Viertelblocks lag,36 mag zum Teil repra¨sentativ fu¨r die anderen Wohntu¨rme gewesen sein, die gleichwohl ein bescheideneres architektonisches Programm aufgewiesen haben du¨rften. Die archa¨ologischen und architektonischen Befunde zeigen, dass die Grenze zwischen einem im Grundriss quadratischen, gemauerten und aufgestockten Geba¨ude und einem Turm mit drei Stockwerken fließend war. Unser Bild von den ho¨heren Etagen der Krakauer Wohntu¨rme ist eine theoretische Rekonstruktion, die sich auf analoge Prager und Breslauer Geba¨ude dieses Typs stu¨tzt.37

II. Die zweite Entwicklungsphase der steinernen Wohnbebauung

Die zweite Phase der Gestaltung des am ha¨ufigsten realisierten Haustyps am Ringplatz fa¨llt in die erste Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts. In zahlreichen Ha¨usern kam es zu einer Teilung der einra¨umigen Dielen, die jeweils das gesamte Erdgeschoss der ¨ berbauung bzw. der entsprechende Umbau des a¨ltesten Steinha¨user ausfu¨llten. Die U Obergeschosses erfolgte noch vor der Ausbildung des funktional-ra¨umlichen Systems der gotischen Ha¨user, zu der es in der zweiten Ha¨lfte des 14. und des beginnenden 15. Jahrhunderts kam. Letztere beruhte auf der Erweiterung der a¨lteren an der ¨ berbauung und TransforStraße stehenden Geba¨ude um hintere Trakte, auf ihrer U mation und kennzeichnete die dritte Phase der Entwicklung des Krakauer Bu¨rgerhauses. Die Raumteilung der Erdgeschosse erfolgte – in Abha¨ngigkeit vom Zugang zum hinteren Grundstu¨cksteil – in drei Varianten. Da, wo das Haus in einer geschlossenen Straßenzeile stand und keine Mo¨glichkeit bestand, von außen auf den hinteren Teil der Parzelle zu gelangen, wurde das Erdgeschoss durch eine gera¨umige Diele la¨ngs geteilt. Die neue La¨ngswand wurde in der Regel aus Ziegeln errichtet, hatte neben einem Durchgang tiefe und breite halbkreisfo¨rmige Nischen (so in den Ha¨usern Ringplatz 13, 22 und 46) und stu¨tzte die Deckenbalken, die sich u¨ber beide auf diese Weise abgeteilten Ra¨ume spannten. Die neuen Ra¨ume waren unterschiedlich breit, da eine symmetrische Anordnung den Eingang in das Geba¨ude, der sich auf der Mittelachse der Frontwand befand, erschwert ha¨tte. So bewirkte die Lage des urspru¨nglichen Eingangs, der in dieser Bauphase nicht zugemauert werden konnte, weil er den einzigen Zugang von der Straße ins Geba¨ude darstellte, im 15. Jahrhundert eine ungleiche Aufteilung des Vordertrakts der Geba¨ude. In weiteren Bauaktionen wurde auf der Mauer des Vordertrakts, die das Erdgeschoss teilte, die La¨ngswand eines weiteren Geschosses aufgefu¨hrt. Mitunter gab es im Erdgeschoss auch einen Dielenausgang zum Hof, der ebenfalls mittig in der hinteren Außenwand angebracht 36 D. h. zweier in halbem Abstand zwischen der vor der Lokation existierenden und mit den Klo¨stern

der Franziskaner und der Dominikaner verbundenen Marksiedlung und dem neuen Zentrum der entstehenden Stadt, dem Ringplatz, gelegener Lokationsparzellen. 37 Piekalski, Wczesne domy (wie Anm. 19), S. 166.

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war, was die Mo¨glichkeit einer La¨ngsteilung der Diele in zwei gleich große Ra¨ume ebenfalls ausschloss (z. B. im Haus Ringplatz 39/40). Die zweite Variante der Teilung der einra¨umigen Erdgeschossdielen bestand in ihrer symmetrischen Teilung durch eine La¨ngswand in zwei gleich große Ra¨ume. Eine solche Raumteilung, die erst in der zweiten Bauphase stattfand, war ausschließlich in Fa¨llen mo¨glich, in denen der urspru¨ngliche Hauseingang zugemauert wurde. Das war bei Eckha¨usern, bei denen man auch von einer Querstraße u¨ber einen Hintereingang ins Hausinnere gelangen konnte, ohne weiteres mo¨glich (vgl. z. B. das Eckhaus Ringplatz 42).38 Der bequeme Eingang von der Querstraße hatte bei den Eckha¨usern auch eine Erweiterung der Hinterhausbebauung zur Folge. Eine dritte Variante der Teilung der einra¨umigen Erdgeschossdielen begegnet bei Ha¨usern mit rechteckigem Grundriss, dessen ku¨rzere Seite an den Ringplatz stieß, und eine Mo¨glichkeit bestand, vom Ring oder einer Querstraße in die Tiefe des Grundstu¨ckes zu gelangen. In diesem Fall wurde die Diele durch eine parallel zur Front- und Hinterwand verlaufende Mittelwand in zwei gleich große Ra¨ume geteilt. Auf dieser Wand ruhte dann ein Tonnengewo¨lbe. Eine solche Anordnung wies beispielsweise das Graue Haus Ringplatz 6 auf, das einen Eingang von der Heugasse aus in die Tiefe des Grundstu¨cks besaß (vgl. Abb. 4, D). Sein Obergeschoss, dessen Spuren spa¨tere Bauphasen ga¨nzlich verwischt haben, war wahrscheinlich aus Holz gefertigt. In einer weiteren Bauphase wurde die Querteilung des Vordertrakts in der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts in der Regel nicht weitergefu¨hrt, was aus einer betra¨chtlichen Vergro¨ßerung des Raumprogramms dieser Ha¨user resultierte.

III. Die dritte Phase der Entwicklung der steinernen Wohnbebauung

Der durch politische Rahmenbedingungen begu¨nstigte wirtschaftliche Aufschwung der Stadt wa¨hrend der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts fu¨hrte zu einer Belebung der Bauta¨tigkeit und zur dritten Phase in der Entwicklung der Krakauer Wohnbebauung. In dieser Phase kam es zu einer generellen Umgestaltung der Wohnha¨user am Ringplatz, die sich aus einer Weiterentwicklung des urspru¨nglichen funktionalra¨umlichen Systems ergab. An die chronologisch a¨lteren Geba¨ude wurden Hintertrakte angefu¨gt und das erweiterte Gesamtensemble in ein neues System transformiert. Dabei handelte es sich um ein durchaus weit verbreitetes Pha¨nomen, la¨sst sich doch feststellen, dass mindestens 75 % der die Altstadtblo¨cke bildenden Ha¨user in zwei Etappen entstanden sind und nach dem dargelegten Prinzip Hintertrakte erhielten.39 So bildete sich ein neues funktional-ra¨umliches System der Ha¨user heraus, das 38 Die Zufahrt zum Hof und der Zugang zu den Hintergeba¨uden hatte bei den Eckha¨usern ha¨ufig eine

andere Anordnung der Ra¨ume des Hintertraktes zur Folge. Man verzichtete auf die breite hintere Stube und den schmalen Durchgang zugunsten zweier in der dritten Bauphase geformter Ra¨ume mit fast gleicher Breite. 39 Łukacz, Przemiany przestrzenne (wie Anm. 10), S. 72–80, Ill. 26.

Die mittelalterlichen Bu¨rgerha¨user am Krakauer Ringplatz

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in hohem Maße u¨ber die Form der Nutzung der Altstadtblo¨cke entschied. Es kam zu einer betra¨chtlichen baulichen Sa¨ttigung der Parzellen, und zwar im Ergebnis der Errichtung neuer Teile, die den bereits existierenden Geba¨uden, d. h. den a¨lteren an der Straße gelegenen Partien sowie den bereits allgemein gemauerten Hinter- und Seitengeba¨uden hinzugefu¨gt wurden. Damit ging die Notwendigkeit einer Umgestaltung der a¨lteren Bebauungspartien bzw. einer Integration von altem Hauptgeba¨ude und neuen Geba¨udeteilen einher. Diese zog hinsichtlich des anschließenden Ausbaus in der Tiefe des Grundstu¨ckes eine Weiterentwicklung des funktionalen HausProgramms nach sich. In dieser Phase erhielten die Hauptgeba¨ude ihren endgu¨ltigen Grundriss und gotische Dekorationen.40 Ein wesentliches Element, das sowohl auf das funktionale Programm der Erdgeschosse als auch auf die Entstehung der Beischla¨ge einwirkte, war die rasche Anhebung des Niveaus der mittelalterlichen Straßen und Pla¨tze. Die Weiterentwicklung und Vera¨nderung des funktionalen Programms erfolgte in senkrechter und in horizontaler Richtung. Die urspru¨nglich multifunktionale, einra¨umige Diele, die das Erdgeschoss des alten Systems ausfu¨llte, verschmolz in betra¨chtlichem Maße mit dem Gela¨nde und begann die Funktion von Kellerra¨umen des Vordertrakts zu u¨bernehmen. Die gotische Diele, die noch heute in so vielen Erdgeschossen Krakauer Geba¨ude erkennbar ist, erhob sich als zweite Etage u¨ber der a¨lteren Bebauung bzw. deren gro¨ßten Teil. ¨ nderung der NutEng verbunden mit dieser Modifizierung waren eine generelle A zungsniveaus der a¨lteren Teile der ausgebauten Ha¨user und die Ersetzung der die fru¨heren Erdgeschosse bedeckenden Balkendecken durch Tonnengewo¨lbe. Entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung des Niveaus dieser Gewo¨lbe und demzufolge auch des Niveaus des neuen Erdgeschosses hatte das mittelalterliche Wasserrecht, das die Ableitung von Abwa¨ssern auf das Gela¨nde der Nachbargrundstu¨cke untersagte. So war man bemu¨ht, das Niveau des Hofes gegenu¨ber dem der Straße anzuheben, damit die Abwa¨sser durch einen bedeckten Rinnstein abgeleitet werden konnten, der durch den hinteren Trakt, die Diele des Vordertrakts und dann durch die Schwelle des Tors auf die Straße verlief.41 Je nach Breite der Geba¨udefront wurde manchmal

40 Zur einschla¨gigen Literatur u¨ber die Krakauer Ha¨user des 15. Jahrhunderts zuletzt Komorowski, Die

sta¨dtebaulich-architektonische Entwicklung (wie Anm. 6), hier S. 254.

41 Die Frage der Ableitung des Regenwassers auf das Nachbargrundstu¨ck war Gegenstand zahlrei-

cher nachbarschaftlicher Auseinandersetzungen und Streitigkeiten, die von den „Viertelbeauftragten“ (einer Art Baupolizei) geschlichtet wurden; vgl. Ksi˛ega wiertelnicza krakowska. Ze zbioro´w Archi´ wum Panstwowego w Krakowie. Cz˛es´ c´ 1–4 (1568–1606) [Das Krakauer Viertelbuch. Aus den Besta¨nden des Staatlichen Archivs in Krakau. Teil 1–4 (1568–1606)], hg. v. Krystyna Jelonek-Litewka/ Aleksander Litewka/Łukasz Walczy, Krako´w 1997–2000, 5–8; in einem Magdeburger Urteil heißt es: „Wer ein Jahr und einen Tag geduldet hat, dass vom Dach oder von der Rinne Wasser durch seinen Hof oder sein Haus la¨uft – bei rechtlicher Verweigerung, mit einem Wort, dass er dies in der Zeit vor dem Recht nicht verweigert oder verboten hat, der muss das auch weiterhin dulden“, Jo´zef Reczek/ Wacław Twardzik, Najstarsze staropolskie tłumaczenie ortyli magdeburskich według r˛ekopisu nr 50 ´ Biblioteki Zakładu Narodowego im. Ossolinskich. Cz˛es´ c´ 2: Transliteracja i transkrypcja tekstu [Die ¨ bersetzung Magdeburger Urteile nach der Handschrift Nr. 50 in der Bibliothek a¨lteste altpolnische U Ossolineum, Teil 2: Transliteration und Texttranskription], Wrocław 1972, S. 25.

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eine La¨ngsteilung der a¨lteren, an der Straße gelegenen Partie der Bebauung vorgenommen; wenn die Front der Parzelle schmaler als das Halbgeho¨ft war, blieb dieser Teil in jedem Stockwerk einra¨umig.42 Ein wesentlicher Zug des neu entstandenen hinteren Trakts war seine zweiteilige Anordnung im Erdgeschoss. In jedem Geba¨ude am Ringplatz erfolgte, unabha¨ngig von der Breite des Grundstu¨cks, eine Aufteilung des hinteren Erdgeschosstrakts in eine gera¨umige hintere Stube und einen Durchgang. Letzterer diente ausschließlich dem Verkehr – es handelte sich um einen schmalen Durchgang bzw. um eine Durchfahrt in den Hof. Etwas anders gestaltete sich die Aufteilung des hinzugefu¨gten Traktes in den Eckha¨usern. Hof und Hinterhaus waren in diesem Fall leicht von der Querstraße aus zuga¨nglich, so dass die Verkehrsfunktion aus dem hinteren Trakt des Hauses eliminiert werden konnte. Dieser Trakt wurde in Ra¨ume mit gleicher Breite aufgeteilt (z. B. im Erdgeschoss des Eckhauses Ringplatz 42/Johannisgasse 1). Eine Konsequenz dieser Disposition der Erdgeschoss-Innenra¨ume war die Anordnung der Kellerra¨ume. Ihr Vordertrakt bestand aus einer oder zwei Kammern. Oft sah man davon ab, bei den hinteren Trakten der Kellerra¨ume eine La¨ngswand zu errichten, besonders bei Ha¨usern, deren Frontbreite weniger als ein Halbgeho¨ft betrug. In diesen Fa¨llen bestand der hintere Kellertrakt nur aus einer Kammer. In zahlreichen Fa¨llen wurde in den Kellern ein schmaler Mitteltrakt abgetrennt, der eine Treppe hatte und ausschließlich Kommunikationsfunktionen erfu¨llte. Die auf den Mauern der unteren Stockwerke aufgefu¨hrten Wa¨nde der Obergeschosse wiederholten die Dispositionen der Erdgeschossra¨ume – die meisten Ha¨user am Ringplatz waren in der zweiten Ha¨lfte des 14. und zu Beginn des 15. Jahrhunderts zweisto¨ckig. Die in der Regel rechteckigen Vordergeba¨ude, deren ku¨rzere Seiten an den Ringplatz stießen, waren sicher mit hohen Sattelda¨chern bedeckt. Diese Da¨cher wurden in der vierten Phase der funktionell-ra¨umlichen Vera¨nderungen der Krakauer Ha¨user im 16. Jahrhundert vollsta¨ndig liquidiert oder umgebaut – u. a. aufgrund einer 1544 vom Stadtrat erlassenen „Feuerwillku¨r“. Diese ordnete die Errichtung von Grenzmauern oberhalb des Dachfirstes an, was einen allgemeinen Umbau der Sattelda¨cher zu Schmetterlingsda¨chern zur Folge hatte.43 Relikte gotischer Fassadengiebelwa¨nde

42 So beispielsweise bei 10 Ha¨usern des Altstadtblocks Nr. 16, der durch Abschnitte der Spitalgasse, Tho-

masgasse, Kreuzgasse und Nikolaigasse abgesteckt wurde; Marek M. Łukacz u. a., Studium urbanistyczno-konserwatorskie bloku nr 126 w Krakowie [Urbanistisch-konservatorische Analyse des Blocks Nr. 126 in Krakau], Typoskript 1990, Pracownie Konserwacji Zabytko´w Arkona, Krako´w. 43 Zu den Vera¨nderungen der Da¨cher in der Gotik und Renaissance vgl. Łukacz, Przemiany przestrzenne (wie Anm. 10), S. 48–52. Waldemar Komorowski/Kamila Follprecht, Rozwo´j urbanistyczno-archi˙ tektoniczny Krakowa intra muros w czasach nowozytnich [Die sta¨dtebaulich-architektonische Entwicklung Krakaus intra muros in der Neuzeit], in: Krako´w. Nowe studia nad rozwojem miasta, hg. ¨ bersetzung des v. Jerzy Wyrozumski, Krako´w 2007, S. 189–295, hier S. 207, Anm. 76 zitieren die U Beschlusses des Stadtrates von 1544 nach Prawa, przywileje i statuta miasta Krakowa (1507–1795) [Die Rechte, Privilegien und Statuten der Stadt Krakau (1507–1795),] Bd. 1: (1507–1586), Heft 1, hg. v. Franciszek Piekosinski, ´ Krako´w 1885, Nr. 112, De tectis aedium novarum: „Wer von nun ab ein gemauertes Haus bauen will, so wird festgelegt, dass die Da¨cher in solchen Geba¨uden der neuen Bauweise gema¨ß hergestellt werden mu¨ssen, na¨mlich nach der Errichtung von Wa¨nden von beiden Seiten soll das Dach V-fo¨rmig [= Schmetterlingsdach] und geschlossen sein, damit auf diese Weise sowohl die eigenen Geba¨ude als auch die der Nachbarn vor der Brandgefahr gesichert werden.“

Die mittelalterlichen Bu¨rgerha¨user am Krakauer Ringplatz

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sind heute nur noch in zwei Fa¨llen erhalten: im Haus Spitalgasse 8 und im Haus Marienplatz 2 .44 Doch liegen zahlreiche archivalische Hinweise auf gotische Giebel vor, die auch die in ihnen angebrachten, dem Dachboden Licht gebenden Fensterchen sowie spezielle, mit einem Kranausleger ausgestattete Kranfenster erwa¨hnen, durch die Waren auf die Dachbo¨den gehoben wurden.45 Die Ringplatz-Ha¨user hatten in der dritten Bauphase generell gemauerte, gewo¨hnlich auch unterkellerte und mit einem Obergeschoss versehene Hinterha¨user, die mit den Vordergeba¨uden u¨ber Ga¨nge verbunden waren, die entlang der Grenzmauern angebracht waren. In der dritten Bauphase erhielt ein Teil der Ha¨user am Ringplatz auch Beischla¨ge. Das waren enge kleine Kellerkammern, die an die Fassadenwand angemauert waren und sich u¨ber das Bodenniveau erhoben und auf denen sich Terrassen befanden, die u¨ber Stufen vom Ringplatz aus zuga¨nglich waren.46 Beischla¨ge hatten – bzw. haben noch heute – die Ha¨user Ringplatz 4–11, 17, 18, 19a, 20, 25a, 31 und 35–46. Diese Beischla¨ge bildeten keine Verkehrsverbindung entlang der Fassaden, sondern wurden fu¨r jedes Haus einzeln errichtet. Sie waren von unterschiedlicher Breite, und ihre Terrassen besaßen oft unterschiedliche Niveaus. Die Beischla¨ge erfu¨llten zahlreiche Funktionen. Sie dienten bei abfallendem Terrain dem Ausgleich des Niveaus vor den Fassaden, wie dies bis heute im o¨stlichen Teil des Kleinen Marktes erkennbar ist; sie ermo¨glichten eine Vergro¨ßerung der Nutzfla¨che, verdeckten den Eingang in die Diele des Geba¨udes und isolierten schließlich die Erdgeschossra¨ume gegenu¨ber dem Verkehrsla¨rm auf dem Ringplatz. Sie stellten auch eine Art „Rampe“ dar, die zum Entladen der Wagen genutzt werden konnte – ein Teil ¨ ffnungen in den der auf diese Weise entladenen Waren wurde sicher direkt durch O Terrassen der Beischla¨ge in die Kellerra¨ume befo¨rdert. In allen Gewo¨lben von Bei¨ ffnungen mit einem mittleren Ausmaß von einer oder schlagskellern befanden sich O 47 ¨ anderthalb Ellen. Diese Offnungen dienten dazu, Waren geringeren Ausmaßes, aber auch das Feuerholz in die Keller zu bringen.48 Fu¨r gro¨ßere Waren und Fa¨sser standen

44 Marek M. Łukacz/Stanisława Rusinska/Urszula ´ Borkowska-Bober, Ekspertyza konserwatorska

domu przy ul. Szpitalnej 8 w Krakowie [Konservatorisches Gutachten u¨ber das Haus Spitalgasse 8 in Krakau], Typoskript 1978, Miejskie Biuro Projekto´w w Krakowie; ders., Dom przy placu Mariackim 2 w Krakowie, uzupełniajace ˛ badania architektoniczne [Das Haus am Marienplatz 2 in Krakau, erga¨nzende architektonische Untersuchungen], Typoskript 2012, Pracownia Badan´ Zabytko´w Architektury Marek M. Łukacz. 45 So z. B. in der Viertelrevision von 1608, Archiwum Panstwowe ´ w Krakowie, Ms. Consulum, Sign. 457, S. 45–47; vgl. auch Łukacz/Łukacz, Badania architektoniczne wybranej partii bundynku kamienicy Czeczotki (wie Anm. 5). 46 Vgl. Władysław Grabski, Sredniowieczne ´ ˙ domo´w krakowskich [Die mittelalterlichen przedproza ´ Beischla¨ge der Krakauer Ha¨user], in: Biuletyn Krakowski 2 (1960), S. 25–46; Jamroz, Mieszczanska kamienica (wie Anm. 8). 47 U ¨ ber den Kellerra¨umen der Beischla¨ge erstreckten sich in der Regel Tonnengewo¨lbe, nur fu¨r Haus Ringplatz 7 ist ein spitzbogiges Gewo¨lbe und im Haus Ringplatz 46 ein Halbtonnen-Gewo¨lbe belegt; Marek Łukacz, Badania architektoniczne piwnic kamienicy Montelupich. Kamienica Montelupich przy Rynku Gło´wnym w Krakowie – wst˛epne badania architektoniczne piwnic [Architektonische Untersuchungen von Kellern des Wohnhauses der Montelupi am Krakauer Ringplatz], Teil 1, Typoskript 2009, Pracownia Badan´ Zabytko´w Architektury Marek M. Łukacz. 48 Jamroz, Mieszczanska ´ kamienica (wie Anm. 8), S. 77.

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offenbar Einga¨nge zur Verfu¨gung, die von den Terrassen zu den vorderen Kellerkammern fu¨hrten, wie sie bis heute noch in manchen Ha¨usern erhalten sind (z. B. Ringplatz 20 und 7). Die Terrassen der Beischla¨ge wurden von Holzda¨chern bedeckt, die sich an die Fassaden anlehnten und in den Quellen tectu cellariorum genannt werden. Ihre Form ist uns nicht na¨her bekannt, denn sie wurden Mitte des 16. Jahrhunderts auf Anordnung des Stadtrates (Willku¨ren von 1536 und 1544) entfernt.49 Im Brandfall konnte das Feuer na¨mlich sonst u¨ber die einander beru¨hrenden Holzda¨cher auf die benachbarten Geba¨ude u¨bergreifen. Fu¨r das ausgehende 16. und das 17. Jahrhundert liegen denn auch in den detaillierten Viertelrevisionen keinerlei Erwa¨hnungen von tecta cellariorum mehr vor. Die Kellerkammern der Beischla¨ge waren in erheblichem Maße in den Boden eingetieft, was auch durch die schnelle Anhebung des mittelalterlichen Niveaus der Straßen und Pla¨tze verursacht war. Das Straßenniveau hob sich infolge der Auftragung immer neuer Schichten von Pflastersteinen, Schotter und ho¨lzernen Bohlen und durch die verbreitete Entsorgung des Hausmu¨lls und sonstigen Abfalls direkt auf die Straße immer weiter. Das belegen neben archa¨ologischen Befunden auch zahlreiche Willku¨ren, die die Entsorgungsfrage zu regeln versuchten.50 Die Differenz zwischen dem mittelalterlichen und dem heutigen Straßenniveau betra¨gt, je nach urspru¨nglicher Gela¨ndegestaltung etwa 4,5 bis 2,5 m. Der Niveauaufwuchs stabilisierte sich am Ringplatz in der ersten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts und zwar im Verlauf von dessen mit dem Umbau der Tuchhallen verbundenen Nivellierung. Dabei wurden die Terrassen der Beischla¨ge in das Terrain des Ringplatzes integriert, wovon auch die mit Steinmetzarbeiten eingefassten Fenstero¨ffnungen der Beischla¨ge zeugen, die sich auf der Ho¨he des Fußes der Gewo¨lbetonne finden (z. B. in den Ha¨usern Ringplatz 17 oder 35; Abb. 8). Die Beischla¨ge waren zumeist nur von den Kellern des Geba¨udes aus zuga¨nglich. Der fru¨here Hauseingang am Ringplatz wurde nach Anbau eines Beischlages zum Eingang in den Beischlag vom Keller des Hauses aus. Doch gab es auch Beischla¨ge, die vom Ringplatz aus zuga¨nglich waren, und zwar u¨ber einen Abstieg, der gewo¨hnlich auf der Achse des a¨lteren Hauseinganges lag. Solche Abstiege sind in den Ha¨usern Ringplatz 6 (no¨rdliches Haus), 43 und 35 erhalten geblieben. In letzterem besaßen die Wangenmauern der Abstiegstreppe kurze Ziegelgewo¨lbe.51 Bei Eckha¨usern war die Gestaltung eines bequemen Einganges in den Beischlag von der Straßenseite 49 Grabski, Sredniowieczne ´ ˙ (wie Anm. 46), S. 18. przedproza 50 Neben eindeutigen Ergebnissen archa¨ologischer Untersuchungen bezeugen dies auch zahlreiche Will-

ku¨ren, z. B. eine Krakauer Willku¨r aus dem 15. Jahrhundert u¨ber die Beiseitigung des Abfalls vom Ringplatz; vgl. Stanisław Estreicher, Najstarszy zbio´r przywilejo´w i wiekierzy miasta Krakowa [Die ´ ´ dła do dziejo´w a¨lteste Sammlung von Privilegien und Willku¨ren der Stadt Krakau], Krako´w 1936; Zro zabudowy zwiazanej ˛ z handlem we wschodniej cz˛es´ ci Rynku Gło´wnego w Krakowie (XIV–XIX w.). ´ Ze zbioro´w Archiwum Panstwowego w Krakowie [Quellen zur Geschichte der mit der Handelsta¨tigkeit verbundenen Bebauung des o¨stlichen Teils des Ringplatzes in Krakau (14. – 19. Jahrhundert). Aus den Besta¨nden des Staatlichen Archivs in Krakau], hg. v. Kamila Follprecht/Krystyna Jelonek-Litewka, Krako´w 2007, S. 99–105. 51 Cechosz/Holcer, Sredniowieczne ´ ˙ (wie Anm. 5). przedproze

Die mittelalterlichen Bu¨rgerha¨user am Krakauer Ringplatz

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her mo¨glich. Die Beischla¨ge waren gewo¨hnlich mit Tonnengewo¨lben bedeckt. Die Lage des Beischlag-Zugangs in der Frontwand des Tonnengewo¨lbes machte an dieser Stelle Lu¨netten (Bogenfelder) u¨berflu¨ssig. Entsprechende Lo¨sungen finden sich im Nordgeba¨ude des „Grauen Hauses“ Ringplatz 6, wo der Beischlag von der Heu-

Abb. 8: Ringplatz 35: Su¨dfassade des Beischlages mit auf den Ringplatz fu¨hrendem Eingangsportal, zweite Ha¨lfte 14. Jahrhundert Fotographie D. Bodzioch

gasse aus zuga¨nglich war, oder im Haus Ringplatz 20 mit einem von der Bru¨dergasse aus zuga¨nglichen Beischlag. Noch in der ersten Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts wurden Ha¨usern am Ringplatz Beischla¨ge hinzugefu¨gt.52 Die Grundstu¨cke am Ringplatz geho¨rten in der Regel Vertretern des sta¨dtischen Patriziats, was bewirkte, dass ein bestimmter Teil seiner Wohnsitze den Charakter von Residenzen annahm. So waren die Geba¨ude Ringplatz 6, 7, 17, 20, 27, 35 und 47, die zumeist auf Eckparzellen lagen, ansehnliche Wohnha¨user oder Pala¨ste. Oftmals entstanden sie durch Zusammenlegung zweier benachbarter a¨lterer Ha¨user, wobei – wie dies in der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts der Fall war – entsprechende Modernisierungs- und Ausbauarbeiten erfolgten. Dieses Pha¨nomen ist z. B. im Falle des „Grauen Hauses“ an der Einmu¨ndung der Heugasse in den Ringplatz oder im 52 Der letzte quellenbelegte Anbau eines Beischlags erfolge in der Bru¨dergasse 13 in der zweiten Ha¨lfte

des 16. Jahrhunderts.

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Fall des Montelupi-Hauses Ringplatz 7 sowie im Palais „Zu den Widdern“ Ringplatz 27 deutlich erkennbar. Die Pala¨ste am Ringplatz waren in der ersten Ha¨lfte des 15. Jahrhunderts im Prinzip zweisto¨ckig; sie lagen auf Eckparzellen, so dass sich einer ihrer Flu¨gel la¨ngs der vom Ringplatz abgehenden Straße erstreckte.53 Das Obergeschoss dieser Geba¨ude fu¨llten repra¨sentative Ra¨ume aus, die als obere Dielen oder Palastsa¨le bezeichnet wurden. Zwei dieser Pala¨ste ko¨nnen mo¨glicherweise mit sta¨dtischer Bauta¨tigkeit oder ko¨niglichem Eigentum in Verbindung gebracht werden; sie hoben sich gegenu¨ber den bu¨rgerlichen Wohnsitzen in funktional-ra¨umlicher Hinsicht jedenfalls deutlich ab. Der eine findet sich in der o¨stlichen Ringzeile (heute Nr. 7 und 8) und stellte ein repra¨sentatives Geba¨ude mit Keller- und Erdgeschossra¨umen dar, die keine Traktwa¨nde besaßen, und das mit einem Seitengeba¨ude in Form einer zweischiffigen Halle mit spitzbogigem Kreuzgewo¨lbe ausgestattet war.54 Der zweite Palast, ebenfalls ein ansehnliches Geba¨ude, begegnet an der Einmu¨ndung der Burggasse in den Ringplatz (heute als Hetmanshaus bezeichnet). Er wurde gegen Ende der Herrschaftszeit Kasimirs des Großen umgebaut, wies auf seinen Gewo¨lbeschlusssteinen ein interessantes heraldisches Programm auf und war mit einer reichhaltigen – leider nicht erhaltenen – skulpturalen Dekoration seiner Frontfassade ausgestattet.55

53 Zu den mittelalterlichen Stadtpalais am Krakauer Ringplatz vgl. Komorowski, Kamienice i pałace

rynku krakowskiego (wie Anm. 6).

54 Die 2009 vom Verfassser des vorliegenden Artikels durchgefu¨hrten architektonischen Untersuchungen

der Kellerra¨ume dieses Geba¨udes haben die Thesen von Waldemar Komorowski, Krakowski ratusz w s´ redniowieczu i domniemany Dwo´r Artusa w Krakowie [Das Krakauer Rathaus im Mittelalter und der mutmaßliche Artushof in Krakau], in: Rocznik Krakowski 64 (1998), S. 7–34, besta¨tigt; vgl. auch Łukacz/Łukacz, Badania architektoniczne piwnic domu przy Rynku Gło´wnym 7 (wie Anm. 5), 2010. 55 Komorowski, Die sta¨dtebaulich-architektonische Entwicklung (wie Anm. 6), S. 269.

¨ TMITTELALTERLICHEN RESIDENZEN DIE HOCH- UND SPA DER KRAKAUER PATRIZIER von Waldemar Komorowski*

Du wirst dich sattsehen; wenn du auf die ansehnliche Stadt blickst, ¨ berfluss, vornehme Taten, Marmorzimmer und reisiehst du scho¨nen U che Wa¨nde, aus teurem Alabaster gehauene Pavimenti, hohe Steinha¨user auf der Burgstraße, mit scho¨ner Kunst gemachte breite Keller [...].

In dem zitierten Fragment eines la¨ngeren Poems (aus dem Jahre 1640) verweist der ´ 1 auf die Pracht und den Prunk der Krakauer Barockdichter Aleksander Obodzinski Ha¨user und ihre Bedeutung in der Stadtlandschaft. Zwar besaßen diese ha¨ufig keine mit Marmor verkleideten Wa¨nde und Alabasterfußbo¨den, aber ganz sicher waren sie bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts – und somit u¨ber dreihundert Jahre Krakauer Geschichte hinweg – unter den Bu¨rgerbauten des polnischen Ko¨nigreiches fu¨hrend. Das Fehlen lokaler Vorbilder bewirkte, dass die Krakauer Ha¨user – zumindest in den ersten hundert Jahren nach der 1257 erfolgten Lokation nach Magdeburger Recht – nach fremden Mustern errichtet wurden, wobei diese zuna¨chst treu u¨bernommen, dann aber mit der Zeit auch modifiziert wurden; schließlich wurden eigene Modelle entwickelt, die sich auf die herausbildende lokale spa¨tmittelalterliche Bautradition stu¨tzten. Die Neuzeit brachte dann noch gro¨ßere Fertigkeiten beim Assimilieren westeuropa¨ischer Vorbilder sowie eine Fundierung der lokalen Schule mit sich. Bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts griff man auf die Muster (oder eher Ideen) zuru¨ck, die in jenen Regionen im Umlauf waren, aus denen die Neusiedler kamen, d. h. hauptsa¨chlich auf oberdeutsche Gebiete und auf Schlesien, die innerhalb der polnischen La¨nder zivilisatorisch und kulturell fortschrittlichste Region. Hier ist auf die besondere Rolle Breslaus zu verweisen, das zwar hinsichtlich seines o¨konomischen

*U ¨ berarbeitete und leicht geku¨rzte Fassung des Aufsatzes „Rezydencje patrycjuszy krakowskich do

połowy XVII wieku“ [Die Residenzen der Krakauer Patrizier bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts], aus: ˙ Elita władzy miasta Krakowa i jej zwiazki ˛ z miastami Europy w s´ redniowieczu i epoce nowozytnej (do ¨ bersetzung połowy XVII wieku). Zbio´r studio´w, hg. v. Zdzisław Noga, Krako´w 2011, S. 267–287; U des Ausgangstextes von Herbert Ulrich. 1 Karolina Grodziska, Gdzie miasto zaczarowane. Ksi˛ega cytato´w o Krakowie [Wo die Stadt verzaubert ist. Ein Zitatenbuch u¨ber Krakau], Krako´w 2003, S. 43.

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Waldemar Komorowski

Potentials und seiner politischen Bedeutung mit Krakau vergleichbar, aber etwas a¨lter war und bereits u¨ber eigene Erfahrungen bei der Schaffung von Modellen fu¨r die Wohnarchitektur verfu¨gte (das Motiv der Breslauer Einflu¨sse bzw. der wechselseitigen Abha¨ngigkeiten im Wohnbau beider Sta¨dte wird sich durch den gesamten hier behandelten Zeitraum ziehen). Die ersten gemauerten Krakauer Ha¨user, die grundsa¨tzlich den reichsten Bu¨rgern geho¨rten, entstanden am Ringplatz und in seiner unmittelbaren Umgebung, insbesondere entlang der Stefansgasse.2 Dabei handelte es sich um zweisto¨ckige Bauten mit einem teilweise in den Boden eingetieften Erdgeschoss, mit unkomplizierten Grundrissen und einer einfachen Raumanordnung. Im Inneren waren sie gera¨umig und karg ¨ hnliche Ha¨user waren in spa¨tromaniund verfu¨gten u¨ber fast keine Dekorationen.3 A scher Zeit auf dem Gebiet des gesamten lateinischen Europa entstanden, von England u¨ber Burgund, Deutschland und Bo¨hmen bis hin nach Ungarn. Die na¨chstliegenden Vorbilder, die wahrscheinlich die Inspiration fu¨r Krakau und Breslau bildeten, fanden sich in den oberdeutschen Gebieten, von den Alpen bis zum Main, hauptsa¨chlich in Schwaben und Franken, u. a. in Zu¨rich und in Basel.4 In Breslau entstanden 2 Die Lokalisierung der a¨ltesten gemauerten Krakauer Ha¨user deckt sich mit den Befunden sozialtopo-

grafischer Untersuchungen zur Lage der Wohnsitze der wohlhabendsten Krakauer, vgl. Jerzy Rajman, Krako´w. Zespo´ł osadniczy, proces lokacji, mieszczanie do roku 1333 [Krakau. Das Siedlungsensemble, der Lokationsprozess und die Bu¨rgerschaft bis zum Jahre 1333], Krako´w 2004, S. 244–268, 273, 294, 301, 331–333. 3 Władysław Grabski, Sredniowieczna ´ kamienica krakowska. Zale˙zno´sci mi˛edzy typem działki a rozplanowaniem [Das mittelalterliche Krakauer Steinhaus. Abha¨ngigkeiten zwischen Grundstu¨ckstyp und Planentwurf], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 4 (1970), S. 163–180, hier S. 165–169; Marek Łukacz, Pierwsze fazy kształtowania si˛e dominujacego ˛ typu kamienicy krakowskiej [Die ersten Phasen der Herausbildung des dominierenden Typs des Krakauer Hauses], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 22 (1988), S. 9–18, hier S. 9–13; Waldemar Komorowski, Najstarsze kamienice krakowskie [Die a¨ltesten Krakauer Wohnha¨user], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 42 (1997), 2, S. 107–119, hier S. 113–118; Ders., Kamienice i pałace Rynku krakowskiego w s´ redniowieczu [Die Wohnha¨user und Pala¨ste am Krakauer Ringplatz im Mittelalter], in: Rocznik Krakowski 68 (2002), S. 53–74, hier S. 56, 61, 64, 67–68; Marek M. Łukacz, Geneza ukształtowania si˛e najcz˛es´ ciej realizowanego typu kamienicy krakowskiej [Die Genese der Herausbildung des am ha¨ufigsten realisierten Krakauer Wohnhaustyps], in: Wiadomo´sci Konserwatorskie. Pismo Stowarzyszenia Konserwatoro´w Zabytko´w 14 (2003), S. 11–20, hier S. 11–16; Ders., Pierwsze przemiany przestrzenne krakowskiej kamienicy w s´ wietle jej zwiazko ˛ ´ w z kamienica˛ Europy Po´łnocnej [Die ersten ra¨umlichen Vera¨nderungen des Krakauer Wohnhauses im Lichte seiner Verbindungen mit dem nordeuropa¨ischen Wohnhaus], ´ 2004, S. 96–113, in: Kamienica w krajach Europy Po´łnocnej, hg. v. Maria Jolanta Sołtysik, Gdansk hier S. 96–100; Ders., Wybrane zagadnienia z historii przekształcen´ przestrzennych gotyckich domo´w krakowskich [Ausgewa¨hlte Fragen zur Geschichte der ra¨umlichen Umgestaltungen gotischer Ha¨user in Krakau], in: Czasopismo Techniczne 100 (2003), Sondernummer, Heft 9-A, S. 143–149; Stanisław Cechosz/Łukasz Holzer, O poczatkach ˛ pałacu „Pod Krzysztofory“ w s´ wietle najnowszych badan´ ¨ ber die Anfa¨nge des Christophorus-Palais im Lichte der neuesten archa¨oloarchitektonicznych [U gischen Forschungen], in: Krzysztofory 24 (2006), S. 7–20; Cezary Bu´sko, Rynek [Der Ringplatz], in: Atlas Historyczny Miast Polskich, Bd. 5: Małopolska, Heft 1: Krako´w, hg. von Zdzisław Noga, Krako´w 2007, S. 27. 4 Adam Miłobedzki, ˛ Zarys dziejo´w architektury w Polsce [Abriss der Architekturgeschichte in Polen], Warszawa 1978, S. 93; Horst Bu¨ttner/Gu¨nther Meissner, Bu¨rgerha¨user in Europa, Leipzig 1980, S. 86–90; Jarosław Widawski, Warszawski dom mieszkalny w s´ redniowieczu [Das Warschauer Wohnhaus im Mittelalter], Warszawa 1985, in: Prace Naukowe Politechniki Warszawskiej. Budownictwo 90 (1985), S. 33–42; Adam Miłobedzki, ˛ Diskussionsbeitrag zum Abschluss der Beratungen der wis-

Die hoch- und spa¨tmittelalterlichen Residenzen der Krakauer Patrizier

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solche Ha¨user bereits in der Mitte des 13. Jahrhunderts.5 Die Krakauer Ha¨user, die etwas ju¨nger waren als in Breslau, unterschieden sich hinsichtlich des Baumaterials, denn zur Errichtung ihrer Wa¨nde wurden außer Ziegeln auch Steine verwendet, aber es gab auch viele gemeinsame Elemente.6

´ XVIII wieku“ [Das sta¨dtische senschaftlichen Konferenz „Kamienica miejska w Polsce do konca Wohnhaus in Polen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki ´ ´ 30 (1985), 1, S. 102; Małgorzata Chorowska, Sredniowieczna kamienica mieszczanska we Wrocławiu [Das mittelalterliche bu¨rgerliche Wohnhaus in Breslau], Wrocław 1994, S. 7–17; Jerzy Piekal´ ski, Wczesne domy mieszczan w Europie Srodkowej, geneza, funkcja, forma [Fru¨he Bu¨rgerha¨user in Mitteleuropa – Genese, Funktion und Form], Wrocław 2004, S. 40–86, 203–210; Adam Miłobedzki, ˛ ´ Mieszczanski dom Europy Po´łnocnej – par˛e uwag o metodzie badania [Das Bu¨rgerhaus Nordeuropas – einige Bemerkungen zur Forschungsmethode], in: Kamienica w krajach (wie Anm. 3), S. 94; Urs´ ´ zula Sowina, Sredniowieczny dom mieszczanski. Niekto´re problemy badawcze [Das mittelalterliche ˙ Bu¨rgerhaus. Einige Forschungsprobleme], in: Dom w mie´scie s´ redniowiecznym i nowozytnym, hg. v. Bogusław Gediga, Wrocław 2004, S. 9–31, hier S. 10–14. Die fru¨here These, das Bu¨rgerhaus wu¨rde vom do¨rflichen Haus herstammen, die u. a. von Miłobedzki, ˛ Zarys dziejo´w (wie Anm 4), S. 93 vertritt, wurde unla¨ngst in Frage gestellt, u. a. von Piekalski, Wczesne domy (wie oben), S. 206: „Man kann das Bu¨rgerhaus nicht von dem Bauernhof ableiten, weil beide Modelle sich in Mitteleuropa parallel herausgebildet haben. Richtiger wa¨re die Feststellung, dass das Bauern- und das Bu¨rgerhaus gemeinsame, urzeitliche Vorga¨nger besaßen, und dass ihre Unterscheidung aus der im fru¨hen Mittelalter fortschreitenden Trennung der landwirtschaftlichen von der nichtlandwirtschaftlichen Siedlung resultierte.“ 5 Chorowska, Sredniowieczna ´ kamienica (wie Anm. 4), S. 22–33; Tadeusz Kozaczewski, Murowane domy XIII wieku we Wrocławiu [Die gemauerten Ha¨user des 13. Jahrhunderts in Breslau], in: Architektura Wrocławia, Bd. 1: Dom (Das Haus), hg. v. Jerzy Rozpedowski, ˛ Wrocław 1995, S. 9–50; Małgorzata Chorowska/Czesław Lasota, O s´ redniowiecznej kamienicy wrocławskiej na tle soc¨ ber das mittelalterliche Breslauer Wohnhaus vor dem Hintergrund jotopografii Starego Miasta [U der Sozialtopographie der Altstadt], in: Architektura Wrocławia (wie Anm. 5), Bd. 1, S. 51–73, hier S. 51–56; Małgorzata Chorowska/Czesław Lasota/Jerzy Rozpedowski, ˛ Układ przestrzenny kamienicy Rynek 6 we Wrocławiu w XIII–XVIII w. [Die Raumordnung des Hauses Ringplatz 6 in Breslau im 13. – 18. Jahrhundert], in: Architektura Wrocławia, (wie Anm. 5), Bd. 1, S. 139–162, hier S. 139–148; Małgorzata Chorowska, Przemiany architektoniczne wrocławskich kamienic przyrynkowych na przestrzeni XIII–XVIII wieku [Architektonische Vera¨nderungen der Breslauer Ha¨user am Ringplatz im Zeitraum vom 13. bis zum 18. Jahrhundert], in: Wrocławski Rynek, hg. v. Marzena Smolak, Wrocław 1999, S. 115–128, hier S. 115–118; Piekalski, Wczesne domy (wie Anm. 4), S. 191–200. 6 Die Autoren der Arbeiten u¨ber das Stadthaus in Mitteleuropa unterstreichen, dass die A ¨ hnlichkeit in der Form des Grundtyps in den verschiedenen Zentren hauptsa¨chlich aus der universalen bu¨rgerlichen Lebensweise resultiert und nur in geringerem Maße aus einfacher Nachahmung; vgl. dazu u. a. Widawski, Warszawski dom (wie Anm. 4), S. 37: „Der Verweis auf ein konkretes Modell scheint unangebracht zu sein.“ Zu den Unterschieden zwischen den Ha¨usern aus verschiedenen Gebieten und Sta¨dten u. a. Piekalski, Wczesne domy (wie Anm. 4), S. 207, 208: „Wenn man die These annimmt, dass das bereits herausgebildete Modell des Hauses eines Kaufmanns oder Handwerkers aus dem Westen in die Sta¨dte Ostmitteleuropas u¨bertragen wurde, dann wa¨re zu erwarten, dass seine Form in allen Zentren a¨hnlich gewesen sei. Aber wie Untersuchungen zeigen, hat jede dieser Sta¨dte Ha¨user mit fu¨r sich charakteristischen Zu¨gen herausgebildet [...]. Die Entwicklung des Bu¨rgerhauses in Ostmitteleuropa ist nicht das ¨ bertragung seines Musters von Westen nach Osten. Man kann sagen, dass Ergebnis einer einfachen U die Idee des Hauses u¨bertragen wurde, wa¨hrend die Art der Ausfu¨hrung von den o¨rtlichen Bedingun¨ hnlich a¨ußert gen abha¨ngig war und im Zusammenhang damit einen eigenen Charakter gewann.“ A sich Marian Kutzner in seinem Diskussionsbeitrag zum Abschluss der Beratungen der wissenschaftlichen Konferenz „Das sta¨dtische Wohnhaus in Polen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts“ (wie Anm. 4), S. 102; fu¨r verfehlt ha¨lt er die Durchfu¨hrung „formaler Untersuchungen, die eine Rekonstruktion einfacher Evolutionsreihen anstreben“, was die Verbindungen zwischen den mittelalterlichen Ha¨usern in den verschiedenen Gebieten Europas betrifft.

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Waldemar Komorowski

Nach dem Vorbild von Sta¨dten a¨lteren Ursprungs traten im Rahmen der typischen Bebauung auch in Krakau Wohntu¨rme in Erscheinung. In Kleinpolen besaßen sie – sieht man von den unter anderen Umsta¨nden errichteten Wohntu¨rmen in Burganlagen ab – keine Vorga¨nger; hier griff man ebenfalls auf westliche Muster zuru¨ck. Von den zahlreichen vom 11. bis 13. Jahrhundert in Europa errichteten Objekten wa¨ren als die bekanntesten Beispiele jene aus Siena, San Gimigniano, Zu¨rich, Trier, Goslar und Regensburg zu nennen.7 Der erste Krakauer Wohnturm, ein sichtbares Symbol der Machtausu¨bung sowie des Prestigestrebens, wurde erst in der Lokationsstadt, genauer in der zweiten Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts von Heinrich dem Ju¨ngeren errichtet.8 Damals war das keine ganz neue Form mehr, denn in Su¨d- und Westeuropa wurde sie bereits seit la¨ngerer Zeit verwendet; sie war unter den sta¨dtischen Bedingungen zu diesem Zeitpunkt im Prinzip bereits zu einem im Schwinden begriffenen architektonischen Thema geworden. In Krakau wurde diese Form deshalb verwirklicht, weil sie ein sichtbares Zeichen bildete, das von der Macht ku¨ndete und diese im sozialen Sinne legitimierte, ein Zeichen, das in bu¨rgerlichen Kreisen bereits stark vermittelt und durchaus versta¨ndlich war. Trotz ihrer milita¨rischen Erscheinungsform erfu¨llten diese Wohntu¨rme keine Wehrfunktionen. Sie wurden mindestens einige Male in den gegen Ende des 13. und in der ersten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts errichteten Residenzen der Krakauer Patrizier nachgeahmt. Die ersten Krakauer Steinha¨user wurden bereits in der ersten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts von der sich ausbreitenden Wohnbebauung u¨berformt. Das beste und bekannteste Beispiel ist das „Christophorus-Haus“ (Ringplatz 35), wo der steinerne Turm den Ausgangspunkt fu¨r weitere, schnell aufeinanderfolgende Ausbauetappen bildete.9 In dieser Zeit unterlag die Wohnbebauung bereits Konventionen. Das typische Krakauer Steinhaus wurde nach einem in der Mitte des 14. Jahrhunderts festgelegten und bis ins ausgehende 16. Jahrhundert unvera¨ndert realisierten Muster errichtet. Das seinen Hauptteil bildende Frontgeba¨ude war zweitraktig (mit Ra¨umen an der Straße und am Hof) und dreisto¨ckig (Erdgeschoss und zwei Obergeschosse). Ein verha¨ltnisma¨ßig kleines Hinterhaus diente Wirtschaftszwecken. Wesentlich wurde die Differenzierung der Wohnfunktionen; die Wohnungen wurden nun nicht mehr im Erdgeschoss eingerichtet, sondern ausschließlich im ersten Stock.10 Die sich aus dem 7 Ausfu¨hrlichere Informationen zu diesen Wohntu¨rmen gab Piotr Opalinski ´ auf dem II. Forum Archi-

tecturae Poloniae Medievalis.

8 Waldemar Komorowski/Marek Łukacz, Bursa W˛egierska w Krakowie w okresie Sredniowiecza ´ i

Renesansu [Die Ungarische Burse in Krakau in der Zeit des Mittelalters und der Renaissance], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 19 (1985), S. 175–184, hier S. 176–178; Tomasz Liniecki, Dom wo´jta Henryka z wieku XIII w Krakowie [Das Haus des Vogtes Heinrich aus dem 13. Jahrhundert in Krakau], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 33 (1988), 4, S. 287–297, hier S. 287–294. 9 Cechosz/Holcer, O poczatkach ˛ pałacu (wie Anm. 3), S. 7–20. 10 Andrzej Swaryczewski, Historyczne przekształcenia urbanistyczne jednego z przyrynkowych bloko´w Krakowa [Historische urbanistische Umgestaltungen eines Wohnblocks in Krakau am Ringplatz], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 10 (1976), S. 15–26; Ders., Gotycki blok lokacyjny nr 9 [Der gotische Lokationsblock Nr. 9], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 22 (1988), S. 19–24; Waldemar Komorowski, Die sta¨dtebaulich-architektonische Entwicklung Krakaus intra ¨ ber die Wohnfunktionen muros im 14. und 15. Jahrhundert, in diesem Band, S. 241–277, hier S. 257. U im 14. Jahrhundert kann man nur Vermutungen anstellen; wir stu¨tzen uns hier auf das Wissen u¨ber die

Die hoch- und spa¨tmittelalterlichen Residenzen der Krakauer Patrizier

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Abb. 1: Wohntu¨rme am Krakauer Ringplatz (zweite Ha¨lfte 13. und erste Ha¨lfte 14. Jahrhundert) A – St.-Adalbert-Kirche; B – Große Waage; C – Ensemble der a¨ltesten Marktbauten; ¨ berfall der Mongolen zersto¨rt); D – Marienkirche (1241 beim U 1 – Wohnturm des Vogtes Heinrich, 2–7 – Wohntu¨rme von Bu¨rgern Quelle: Piotr Opalinski, ´ Rekonstrukcja cyfrowa infrastruktury architektonicznej rynku krakowskiego w XIV i XV wieku [Digitale Rekonstruktion der architektonischen Infrastruktur des Krakauer Ringplatzes im 14. und 15. Jahrhundert], in: Krzysztofory. Zeszyty Naukowe Muzeum Historycznego Miasta Krakowa 28, (2010), 1/2, S. 113–128, hier S. 118

sozialen Status der Krakauer Hauseigentu¨mer ergebenden Unterschiede a¨ußerten sich in der architektonischen Vielfalt, im Standard der Ausstattung und im Niveau der ku¨nstlerischen Dekoration. In den Ha¨usern am Ringplatz und am Kleinen Markt entstanden seit der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts so genannte Beischla¨ge – architektonische Strukturen in Form gewo¨lbter, sich etwas u¨ber das Bodenniveau erhebender und Terrassen tragender Keller, die sich an die Hausfassaden anschlossen.11

´ Breslauer Ha¨user, dazu u. a. Chorowska, Sredniowieczna kamienica (wie Anm. 4), S. 33, 35; Piekalski, Wczesne domy (wie Anm. 4), S. 57: „Die Entwicklung des Wohninterieurs war eine Nachahmung der Herausbildung eines neuen [...] bu¨rgerlichen Lebensstils, der bis zu einem gewissem Grade dem Vorbild der ho¨fischen Kultur folgte.“ Vgl. auch Małgorzata Chorowska, Palast und Wohnhaus. Der Einfluss des Herrensitzes auf die Breslauer Wohnha¨user im Mittelalter, in diesem Band, S. 137–150. 11 Władysław Grabski, Sredniowieczne ´ ˙ domo´w krakowskich [Die mittelalterlichen Beiprzedproza schla¨ge an Krakauer Ha¨usern], in: Biuletyn Krakowski (1960), S. 25–46; Jo´zef Stanisław Jam´ roz, Mieszczanska kamienica krakowska, wiek XIII–XV [Das Krakauer bu¨rgerliche Wohnhaus im 13. – 15. Jahrhundert], Krako´w/Wrocław 1983, S. 76–77; Komorowski, Die sta¨dtebaulich-architektonische Entwicklung (wie Anm. 10), S. 255.

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Ein kleiner Teil der Ha¨user entwickelte sich individuell. In der Regel an den Straßenecken gelegen, geho¨rten sie im Prinzip den wohlhabendsten Bu¨rgern. Dazu za¨hlten die gro¨ßten Wohnha¨user Krakaus, deren Raumanordnung sich vom Planentwurf der typischen Ha¨user unterschied und in der Regel der Komposition von Wohnsitzen des Hochadels a¨hnelte. Fast alle Patrizierresidenzen befanden sich am Ringplatz.12 Die Bedeutung eines der gro¨ßten Ha¨user, des bereits erwa¨hnten „Christophorus-Hauses“ (das Ende des 14. Jahrhunderts der Bu¨rgerfamilie Spycimir geho¨rte),13 wuchs durch die Aufstellung einer Figur des hl. Christophorus an der Straßenecke um das Jahr 1370.14 Im 15. Jahrhundert wurden die Ha¨user dann viel gro¨ßer; einige besaßen eine zweite, manchmal sogar eine dritte Etage,15 und die meisten hatten ein heute nur noch bruchstu¨ckhaft bekanntes spa¨tmittelalterliches Aussehen. Erhalten geblieben sind lediglich, und auch diese nicht vollsta¨ndig, zwei Fassaden der Ha¨user reicher Bu¨rger in der Spitalgasse 8 und in der Nikolaigasse 14. Wie diese Ha¨user im Mittelalter ausgesehen haben ko¨nnen, zeigen aus der Ikonographie bekannte Breslauer Beispiele. Die Pala¨ste der reichsten Bu¨rger waren viel gro¨ßer, gera¨umig, oft schon in der Mitte des 15. Jahrhunderts zweisto¨ckig und lagen wie in der vorherigen Epoche in der Regel am Ringplatz.16 In den Stockwerken gab es repra¨sentative Sa¨le, die als Dielen oder Flure (palatiae) bezeichnet wurden. Dieser Begriff muss in seiner zeitgeno¨ssischen Bedeutung verstanden werden, d. h. als Bezeichnung fu¨r die gera¨umigsten und dekorativsten Wohnra¨ume des Geba¨udes.17 Im „Grauen Haus“ (Ringplatz

12 Komorowski, Kamienice i pałace (wie Anm. 3), S. 56–73. 13 Stanisław Krzyzanowski, ˙ Morsztynowie w XV wieku. Karta z dziejo´w krakowskiego patrycjatu [Die

Familie Morsztyn im 15. Jahrhundert. Ein Blatt aus der Geschichte des Krakauer Patriziats], in: Rocz´ nik Krakowski 1 (1898), S. 326–358, hier S. 336; Celina Bak-Koczarska, ˛ Mieszkancy pałacu „Pod Krzysztofory“ w Krakowie. Wła´sciciele i lokatorzy od XIV do XX wieku [Die Bewohner des Christophorus-Palais in Krakau. Eigentu¨mer und Mieter vom 14. bis ins 20. Jahrhundert], Krako´w 1999, S. 13. 14 Wojciech Marcinkowski, Sw. ´ Krzysztof z Pałacu „Pod Krzysztofory“, około 1370 [Der hl. Christophorus vom Christophorus-Palais, um 1370], vero¨ffentlicht auf der Homepage des Nationalmuseums in Krakau unter http://www.muz.nar.krakow.pl/uploads/media/Sw_Krzysztof_z_palacu_pod_ Krzysztofory.pdf. Der ta¨gliche Anblick des Abbildes des hl. Christophorus galt im Mittelalter als hinreichender Schutz gegen den unerwarteten Tod; dazu Johan Huizinga, Herbst des Mittelalters. Studien u¨ber Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, Stuttgart 1952, S. 181. 15 Komorowski, Die sta¨dtebaulich-architektonische Entwicklung (wie Anm. 10), S. 257. 16 Ders., Kamienice i pałace (wie Anm. 3), S. 58–73; Ders., Die sta¨dtebaulich-architektonische Entwicklung (wie Anm. 10), S. 257. 17 Słownik staropolski [Altpolnisches Wo¨rterbuch], Bd. 8, hg. v. Stanisław Urbanczyk, ´ Wrocław u. a., 1977, S. 190 („in palacio regis“ = „w sieni krolowye“ [in der ko¨niglichen Diele]. Beispiele aus Krakau liefert Jan Pta´snik, Studia nad patrycjatem krakowskim wieko´w s´ rednich [Studien zum Krakauer Patriziat im Mittelalter], Teil 2, in: Rocznik Krakowski 16 (1914), S. 1–90, hier S. 42, 52 (Text aus dem ´ ´ dła do historii sztuki i cywilizacji w Polsce, Jahre 1486). – Ders., Cracovia artificum 1501–1550, Zro Bd. 5, Heft 2, Krako´w 1933, S. 266: „pallatium alias szien“ ´ (1531). Zur Etymologie und den Bedeutungsvera¨nderungen des Begriffes „palatium“ Andrzej Gruszecki, Zamki i pałace małopolskie w XVI w. Cechy reprezentacyjno-mieszkaniowe i obronne [Kleinpolnische Schlo¨sser und Pala¨ste im 16. Jahrhundert. Repra¨sentations- und Wohnmerkmale sowie Wehrfunktionen], Warszawa 1986, S. 20: „Der Palast in der fru¨hmittelalterlichen lateinischen Version des Begriffs palatium eines Herrschers oder

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6) befand sich diese Diele in der Ecke im ersten Stock und war mit reichen farbigen Malereien geschmu¨ckt, a¨hnlich wie im Haus „Zum Birnbaum“ (Ecke Stefansgasse/ Sławkowskagasse).18 Die Diele im Palais „Zu den Widdern“ (Ringplatz 27) erhielt eine Kapelle im Erker an der Seite zum Ringplatz (ausladunge adir capelle of den rinck, 1486),19 der sich u¨ber dem Eingang befand, vielleicht nach dem Vorbild einer antiken Tradition, die in der damaligen ho¨fischen Baukunst lebendig war.20 Aus dem 14. und 15. Jahrhundert sind Erker mit Kapellen u. a. aus Krems, Regensburg, Nu¨rnberg21 und Breslau22 bekannt; in Krakau war das sicher nicht anders.23 Zweifellos besaß ein Teil der Fassaden reiche Dekorationen, aber es u¨berdauerten keine davon, und nur von zweien besitzen wir Quellenhinweise. Die Frontfassade des Hauses am Ringplatz 43 war mit einer Steinverkleidung mit Hinzufu¨gung spa¨tgotischer Fialen geschmu¨ckt,24 und das an der Su¨dfront des Ringplatzes gelegene Haus des Ratsherrn Nikolaus Kridlar (Kreindler) soll nach einem Zeugnis des Jan Dlugosz an seiim deformierten deutschen Wortlaut (Palast, Pfalz) scho¨pfte aus der großen Autorita¨t der kaiserlichen Pala¨ste im alten Rom [...]. Im Bedeutungsbereich eines großen Saales erfuhr er eine Abwertung auf den Namen fu¨r die gera¨umigen Dielen der Wohnha¨user im 15. und 16. Jahrhundert“. Der Begriff ´ (Diele) blieb im Tschechischen in seiner urspru¨nglichen Bedeutung erhalten, vgl. Slovnik spisov„sien“ ne´ho jazyka cˇ eskeho [Wo¨rterbuch der tschechischen Schriftsprache], Bd. 3, hg. v. Bohuslav Havra´nek u. a., Praha 1986, S. 332–333. Die heutige „Diele“ entspra¨che im mittelalterlichen Latein dem Begriff ˙ „atrium“, vgl. Pta´snik, Cracovia artificum 1501–1550 (wie Anm. 17), S. 198; Bozena Wyrozumska, Opisy kamienicy „Krzysztofory“ niegdy´s „Morsztynowska“ z lat 1557, 1560–1570 [Die Beschreibungen des Christophorus-Hauses, des einstigen Morsztyn-Hauses, aus den Jahren 1557 und 1560–1570], in: Krzysztofory 16 (1989), S. 101–108. 18 Maria Dayczak-Domanasiewicz, Uwagi o renesansowych dekoracjach malarskich krakowskich ´ wn˛etrz mieszczanskich [Bemerkungen zu den Renaissance-Malereidekorationen der Krakauer Wohninterieurs], in: Biuletyn Krakowski 3 (1961), S. 117–159, S. 156. 19 Pta´snik, Studia nad (wie Anm. 17), S. 54. 20 Adam Miłobedzki, ˙ ˛ Tradycja s´ redniowieczna w polskiej rezydencji nowozytnej [Die mittelalterliche Tradition in der polnischen Residenz der Neuzeit], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 24 (1979), Heft 4, S. 339–345, hier S. 343. 21 Bu ¨ ttner/Meissner, Bu¨rgerha¨user (wie Anm. 4), S. 89. 22 Chorowska, Sredniowieczna ´ kamienica (wie Anm. 4)„ S. 76. 23 Besser bekannt sind die Erker in nicht mit dem Bu¨rgertum verbundenen Krakauer Geba¨uden, die erhalten oder aus der Ikonographie bzw. aus materiellen Relikten bekannt sind, u. a. im Collegium Maius (um 1430), im Collegium Iuridicum und in der Jerusalemer Burse (um 1453) sowie in den Kanonien und in den Pala¨sten des Magnatenadels in der Kanonikergasse 5, 14 und 24; vgl. Maria BiczSuknarowska/Waldemar Niewalda/Halina Rojkowska, Zabudowa ulicy Kanoniczej na tle urbanistyki s´ redniowiecznego Okołu [Die Bebauung der Kanonikergasse vor dem Hintergrund der Urbanistik des mittelalterlichen Oko´ł], in: Sztuka około 1400. Materiały Sesji Stowarzyszenia History´ Bd. 1, hg. v. Teresa Hrankowska, Warszawa 1996, S. 87–104, hier ko´w Sztuki, listopad 1995, Poznan, S. 100; Dies., Zabudowa rezydencjonalna (kanoniczna) dawnego Okołu w XVI wieku [Die Bebauung des fru¨heren Okol mit Residenzen (Kanonien) im 16. Jahrhundert], in: Mi˛edzy gotykiem a barokiem, Sztuka Krakowa XVI i XVII wieku. Materiały sesji naukowej zorganizowanej przez Oddział Krakowski Stowarzyszenia Historyko´w Sztuki 20 marca 1993 roku, hg. v. El˙zbieta Fiałek, Krako´w 1997, S. 191–220, hier S. 204: Andrzej Włodarek, Architektura s´ redniowiecznych kolegio´w i burs Uniwer´ sytetu Jagiellonskiego [Die Architektur der mittelalterlichen Kollegien und Bursen der JagiellonenUniversita¨t], Krako´w 2000, S. 26, 31, Ill. 34. 24 Waldemar Komorowski/Bogusław Krasnowolski, Architektoniczny pejza˙z Krakowa okołu roku 1400 [Das architektonische Panorama Krakaus um 1400], in: Sztuka około 1400 (wie Anm. 23), S. 105–126, hier S. 116, 118; Stanisława Opalinska, ´ Jo´zef Brodowski, 1781–1853 malarz i rysownik starego Krakowa [Jo´zef Brodowski (1781–1853) – ein Maler und Zeichner des alten Krakau], Krako´w

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ner Fassade Steinskulpturen von Ko¨nigen (regum sculptas in se habentem) pra¨sentiert haben.25 Die a¨sthetische Wirkung der Fassade wurde durch ihre Farbigkeit noch versta¨rkt.26 Die Innenausstattung wollen wir hier nicht beschreiben, denn ihre Charakteristik wu¨rde den Rahmen dieses Artikels betra¨chtlich u¨berschreiten.27 Aber wir verweisen auf ein architektonisches Detail, das fast ausnahmslos mit den Residenzen der großen Herren und der Patrizier verbunden war – das Kreuzrippengewo¨lbe, das fast ausschließlich in den Ha¨usern am Ringplatz vorkommt (vgl. Abb. 3 bei Łukacz).28 Schon die aus dem 14. Jahrhundert stammenden Pala¨ste Krakauer Bu¨rger waren oft gro¨ßer als viele der damaligen Kirchen und Wohngeba¨ude in den zu dieser Zeit errichteten polnischen Schlo¨ssern, das auf dem Wawel nicht ausgenommen.29 Und auch die Kanonikerha¨user und Ritterresidenzen im Stadtteil Oko´ł konnten sich nicht mit ihnen messen.30 In der Mitte des 15. Jahrhunderts u¨bertraf der Wert des Geba¨udes am Ringplatz 47 die Kosten der Errichtung eines Ritterschlosses oder einer Pfarrkirche um ein Mehrfaches.31 Der Wohlstand und die weiten Horizonte des Krakauer Bu¨rgertums bewirkten, dass die Patrizier beim Bau ihrer Wohnsitze auf Vorbilder zuru¨ckgriffen, die aus den fu¨hrenden Regionen Europas stammten. Da ihr Ehrgeiz auf die ho¨chsten Schichten der feudalen Gesellschaft gerichtet war, u¨bernahmen sie die schon von fru¨hhumanistischen Stro¨mungen durchdrungenen ho¨fischen ˙ 2005, S. 300 und 301; Krzysztof J. Czyzewski/Marek Walczak, Kilka zagadnien´ z dziejo´w architektury w czasach Wita Stwosza [Einige Fragen zur Geschichte der Architektur zur Zeit des Veit Stoß], in: Woko´ł Wita Stwosza. Materiały z mi˛edzynarodowej konferencji naukowej w Muzeum Narodowym w Krakowie 19–22 maja 2005, hg. v. Dobrosława Horzela/Adam Organisty, Krako´w 2006, S. 169–183, hier S. 175. 25 Pta´snik, Studia nad (wie Anm. 17), S. 24; Komorowski/Krasnowolski, Architektoniczny pejza˙z (wie Anm. 24), S. 118; Marek Walczak, Rze´zba architektoniczna w Małopolsce za czaso´w Kazimierza Wielkiego [Die Architekturplastik in Kleinpolen zur Zeit Kasimirs des Großen], Krako´w 2006, S. 279–280, Anm. 243 und 244. Der Autor verbindet diese Dekorationen unbegru¨ndet mit dem ko¨niglichen Palais am Ringplatz 17. 26 Jamroz, Mieszczanska ´ kamienica (wie Anm. 11), S. 145, 147–148. 27 Ausfu¨hrlicher befasst sich damit Jamroz, Mieszczanska ´ kamienica (wie Anm. 11), S. 86–90, 148–153; vgl. auch Andrzej Swaryczewski, Nowo odkryte drewniane stropy gotyckie w Krakowie [Die neu entdeckten gotischen Holzdecken in Krakau], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 15 (1981), S. 41–48, hier S. 41–43; Ders., Gotyckie i gotycko-renesansowe filary mi˛edzyokienne odkryte w ostatnich latach w domach krakowskich [Die in den letzten Jahren in Krakauer Ha¨usern entdeckten gotischen und gotisch-renaissancema¨ßigen Pfeiler zwischen den Fenstern], in: Teka Komisji Urbanistyki i Architektury 18 (1984), S. 37–45, hier S. 37–38, Abb. 2, 3, 6, 7, 16. 28 Komorowski, Kamienice i pałace (wie Anm. 3), S. 71–72. Kreuzrippengewo¨lbe befinden sich in den Ha¨usern am Ringplatz 6, 8, 17, 23, 27 und in der Stefansgasse 1. Von den heute nicht mehr existierenden gab es ein archivalisch bezeugtes im Haus am Ringplatz 44. 29 Komorowski/Krasnowolski, Architektoniczny pejza˙z (wie Anm. 24), S. 114–115. U ¨ ber die Beziehungen zwischen Schloss und Palast Adam Miłobedzki, ˛ Pałac i zamek „renesansowy“ [Palast und Schloss im „Renaissancestil“], in: Renesans. Sztuka i ideologia. Materiały Sympozjum Naukowego Komitetu Nauk o Sztuce PAN, Krako´w, czerwiec 1972 sowie Materiały Sesji Naukowej Stowarzyszenia Historyko´w Sztuki, Kielce, listopad 1973, hg. v. Tadeusz Stefan Jaroszewski, Warszawa 1976, S. 411–420, hier S. 414. 30 Waldemar Komorowski/Bogusław Krasnowolski, Sredniowieczne ´ i renesansowe pałace krakowskie [Die Krakauer Pala¨ste im Mittelalter und in der Renaissance], in: Mecenat artystyczny a oblicze miasta: materiały LVI Ogo´lnopolskiej Sesji Naukowej Stowarzyszenia Historyko´w Sztuki, Krako´w 8–10 XI 2007, hg. v. Dariusz Nowacki, Krako´w 2008, S. 77–99, hier S. 81. 31 Komorowski, Die sta¨dtebaulich-architektonische Entwicklung (wie Anm. 10), S. 268.

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Residenzmodelle, in denen sich das Streben nach Pracht und Herrlichkeit u. a. in der Einrichtung großer, reich dekorierter Sa¨le a¨ußerte.32 Die „Dielen“ der Patrizier wu¨rden somit den das Zentrum des ho¨fischen Lebens bildenden Aulen der Schlo¨sser entsprechen. Wie Henryk Samsonowicz schreibt, „waren die Krakauer Ratsherren gewiss nicht schlechter [gestellt] als die kleinpolnischen Herren und waren sich dessen auch durchaus bewusst.“33 Daher ist es nicht verwunderlich, dass ihre Ha¨user ebenso wie die Sakral- und Kommunalbauten sowie die Stiftungen des Ko¨nigs und der ko¨niglichen Wu¨rdentra¨ger das Bild der polnischen hauptsta¨dtischen Metropole mitgestalteten, die diesbezu¨glich mit Prag, Wien oder Nu¨rnberg vergleichbar war. In der Beschreibung Krakaus aus dem Jahre 1493, die als Kommentar zu der in Hartmann Schedels „Weltchronik“ enthaltenen Ansicht dieser Stadt begegnet (vgl. Farbtafel 10), lesen wir von sich in der Innenstadt befindenden „sehr zahlreichen und außergewo¨hnlich scho¨nen Bu¨rgerha¨usern“ (in ea vero plurimae pulcherrime ac egregiae civium domus).34 ¨ hnlich wie im Mittelalter waren die Residenzen der Krakauer Patrizier auch A in der ersten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts in der sta¨dtischen Wohnbaukunst fu¨hrend. In dieser Zeit erreichte die Macht der Krakauer Bu¨rgerschaft ihren Ho¨hepunkt. Die sich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts vergro¨ßernde neue Gruppe eines multiethnischen, vorwiegend deutschsprachigen Patriziats, die die Entstehung einer bu¨rgerlichen Finanzelite vom Elsass bis nach Siebenbu¨rgen mitpra¨gte, stand den polnischen Magnaten und dem reichen Adel in nichts nach, auch wenn sie im Jagiellonenreich in politischer Hinsicht nicht privilegiert war. Aber nicht alle Tu¨ren zu einer Karriere auf diesem Gebiet waren ihr verschlossen. Tatsa¨chlich konnte die Krakauer Bu¨rgerschaft dank ihres finanziellen und intellektuellen Potentials die Standesgrenzen durchbrechen und verha¨ltnisma¨ßig leicht Indigenate und Nobilitierungen erlangen, hauptsa¨chlich auf dem Wege wohlu¨berlegter Heiraten. Dieser Zustand sollte mit der Zeit 32 Mehr u¨ber diese Prozesse bei Miłobedzki, ˛ Zarys dziejo´w (wie Anm. 4), S. 93, 114, 115; Ders., Tra-

dycja lokalna i renesans w architekturze Małopolski poczatku ˛ wieku XVI [Lokale Tradition und Renaissance in der Architektur Kleinpolens zu Beginn des 16. Jahrhunderts], in: Architectura perennis: studia i materiały do teorii i historii architektury i urbanistyki 9 (1971), S. 107–109, hier S. 109. Zu den spa¨tgotischen feudalen und bu¨rgerlichen Residenzen in Schlesien u. a. Mieczysław Zlat, Sztuki ´ s´ laskiej ˛ drogi od gotyku [Die Kunst des schlesischen Weges seit der Gotik], in: Po´zny gotyk. Studia nad sztuka˛ przełomu s´ redniowiecza i czaso´w nowych. Materiały Sesji Naukowej Stowarzyszenia Historyko´w Sztuki, Wrocław 1962, Warszawa 1965, S. 141–226, hier S. 198, 199, 222, 224; Jerzy Roz´ asku ´ pedowski, ˛ Po´znogotyckie rezydencje na Sl ˛ [Spa¨tgotische Residenzen in Schlesien], in: Sztuka i ideologia XV wieku. Materiały Sympozjum Naukowego Komitetu Nauk o Sztuce PAN, Warszawa 1–4 grudnia 1976 r., hg. v. Piotr Skubiszewski, Warszawa 1978, S. 493–520, hier S. 495, 505–506; Mie´ czysław Zlat, Nobilitacja przez sztuk˛e – jedna z funkcji mieszczanskiego mecenatu w XV i XVI w. [Nobilitierung durch die Kunst – eine der Funktionen des bu¨rgerlichen Ma¨zenats im 15. und 16. Jahr´ ´ hundert], in: Sztuka miast i mieszczanstwa XV–XVIII wieku w Europie Srodkowowschodniej, hg. v. Jan Harasimowicz, Warszawa 1990, S. 77–101, hier S. 90; Chorowska, Przemiany architektoniczne ´ asku, (wie Anm. 5), S. 119–120; Dies., Rezydencje s´ redniowieczne na Sl ˛ zamki, pałace, wie˙ze mieszkalne [Mittelalterliche Residenzen in Schlesien – Schlo¨sser, Pala¨ste und Wohntu¨rme], Wrocław 2003, S. 158–166, 217–230. 33 Henryk Samsonowicz, Kultura miejska w Polsce po´znego ´ s´ redniowiecza [Die sta¨dtische Kultur in Polen im Spa¨tmittelalter], in: Kwartalnik Historyczny 90 (1983), S. 761–789, hier S. 789. 34 Jerzy Banach, Widok Krakowa z roku 1493 i Konrad Celtis [Die Ansicht von Krakau aus dem Jahre 1493 und Konrad Celtis], in: Biuletyn Historii Sztuki 19 (1957), Heft 4, S. 355–361.

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zu einem Verlassen der Stadt fu¨hren; vorla¨ufig aber blieben die Patrizier in Krakau, das immer noch gu¨nstige Bedingungen fu¨r finanzielle und politische Karrieren bot.35 Sta¨dtische Residenzen bildeten weiterhin die Hauptwohnsitze der wohlhabendsten Bu¨rger. Unser Wissen u¨ber die Residenzen der ersten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts ist lu¨ckenhaft, a¨hnlich wie im Fall der mittelalterlichen Ha¨user. Keiner dieser Wohn¨ berliesitze ist in seiner damaligen Gestalt erhalten geblieben, die schriftlichen U ferungen besagen nur wenig, und eine Ikonographie gibt es auch nicht. Das beste ¨ berZeugnis bieten noch die zahlreichen, wenn auch fragmentarischen materiellen U reste. Neue Pala¨ste wurden fast ausschließlich in mittelalterlichen Steinha¨usern eingerichtet, denn im Wohnteil Krakaus (konzentriert um den Ringplatz sowie no¨rdlich und o¨stlich von ihm) war fu¨r neue Ha¨user kein Platz mehr. Es ist unmo¨glich, die Residenzen der wichtigsten Krakauer Familien – eines guten Dutzends – aufzuza¨hlen; wir ko¨nnen hier nur einige repra¨sentative oder besonders pra¨chtige von ihnen erwa¨hnen. Dazu geho¨ren zweifellos die Wohnsitze der Familie Boner am Ringplatz, einem aus Rheinland-Pfalz stammenden Geschlecht von Kaufleuten und Finanziers, das schnell zu großem Reichtum gelangte und in den Adelsstand erhoben wurde (im Jahre 1514 erhielten sie ein eigenes Wappen), ohne jedoch den Kontakt mit der Stadt abzubrechen. Hans Boner (gest. 1523), ein Vertrauter und enger Mitarbeiter von Ko¨nig Sigismund I., dessen Bankier er war und dessen Schloss er als Burggraf der Wawelburg im Renaissancestil verantwortlich umbauen ließ, wohnte in einem Eckhaus am Eingang zur Johannisgasse (Ringplatz 42). Von dieser Residenz sind Plafonds und einige wenige steinerne Architekturelemente erhalten geblieben, wa¨hrend uns andere Details der Ausstattung und Dekoration nur aus Beschreibungen bekannt sind.36 Nicht viel u¨briggeblieben ist auch vom zweiten Haus der Familie Boner am Ringplatz (Nr. 9), in dem seit 1517 der Neffe von Hans, Severin, wohnte und das in mehreren Etappen zu einem ansehnlichen, an die Tischlergasse heranreichenden

35 Janina Bieniarzo ´ wna/Jan Marian Małecki, Dzieje Krakowa [Geschichte Krakaus], Bd. 2: Krako´w

w wiekach XVI–XVIII [Krakau im 16. – 18. Jahrhundert], Krako´w 1984, S. 16–19, 29–34, 71–85; ´ Maria Bogucka/Henryk Samsonowicz, Dzieje miast i mieszczanstwa w Polsce przedrozbiorowej [Geschichte der Sta¨dte und des Bu¨rgertums in Polen vor den Teilungen], Wrocław 1986, S. 321–322; Zdzisław Noga, Krakowska rada miejska w XVI wieku. Studium o elicie władzy [Der Krakauer Stadtrat im 16. Jahrhundert. Eine Studie u¨ber die Herrschaftselite], Krako´w 2003, S. 166–180, 227–241; ¨ ber die politische Elite der Stadt Ders., O elicie politycznej miasta Krakowa w XV–XVIII wieku [U Krakau im 15. – 18. Jahrhundert], in: Krako´w, europejskie miasto prawa magdeburskiego 1257–1791. ˙ Katalog wystawy, hg. v. Grazyna Lichonczak-Nurek, ´ Krako´w 2007, S. 91–98, hier S. 94–95; Waldemar Komorowski/Kamila Follprecht, Rozwo´j urbanistyczno-architektoniczny Krakowa intra ˙ muros w czasach nowozytnych [Die urbanistisch-architektonische Entwicklung Krakaus intra muros in der Neuzeit], in: Krako´w. Nowe studia nad rozwojem miasta, hg. v. Jerzy Wyrozumski, Krako´w 2007, S. 189–295, hier S. 193–194; Andrzej Karpinski, ´ Mieszczanie krakowscy na sejmach Rzeczypospolitej w XVI–XVIII w. Zarys problemtyki [Die Krakauer Bu¨rger auf den Reichstagen der Adelsre´ publik im 16. – 18. Jahrhundert. Abriss der Problematik], in: Społeczenstwo staropolskie. Seria nowa, ´ Bd. 1: Społeczenstwo a polityka, hg. v. Dems., Warszawa 2008, S. 131–152, hier S. 142–145. 36 Waldemar Komorowski, Dom Bonero´w przy Rynku Gło´wnym 42 w Krakowie [Das Haus der Familie Boner am Ringplatz 12 in Krakau], in: Rocznik Krakowski 76 (2010), S. 45–59.

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Palais umgebaut wurde.37 Das einzige erkennbare Zeugnis von ihm sind die großen Fenster im ersten Stock, die deutliche Verbindungen zu Steinmetzarbeiten an den Pala¨sten Sigismunds I. auf dem Wawel und in Petrikau aufweisen.38 Ein dritter Wohnsitz der Familie Boner war das von den Bethmanns u¨bernommene und vielleicht auch noch von diesen eingerichtete Haus an der Ecke Florians- und Thomasgasse (Floriansgasse 15).39 ¨ ber die Pala¨ste anderer Patrizierfamilien wissen wir nur sehr wenig, außer der U Feststellung, dass sie pra¨chtig waren, was wohl schon daraus resultierte, dass dazu Geba¨ude adaptiert wurden, die schon im Mittelalter als groß galten, wie das Salomonhaus an der Ecke Ringplatz und Floriansgasse40 oder der im Eckhaus zur Stefansgasse (das „Christophorus-Palais“) gelegene Wohnsitz des alten Krakauer Geschlechts der Morsztyn.41 Nur nach Relikten von Steinmetzarbeiten und Plafonds bekannt ist das Residenzhaus der Familie Krupka am Ringplatz 12;42 archa¨ologische Funde liegen fu¨r die sta¨dtische Residenz von Jost Ludwig Dietz (Decius) in der Johannisgasse 3 vor.43 Sicher reich und vornehm eingerichtet war auch die Residenz der Familie Thurzo (Turzon) (Ringplatz 25 B, Westteil), einer der ma¨chtigsten Bu¨rgerfamilien aus der Zips, die Krakau zum Hauptzentrum ihrer Interessen gemacht hatte. Es ist nicht auszuschließen, dass sich in diesem Palais die „Bu¨rora¨ume“ ihres Unternehmens sowie ein Kontor der Fugger befanden, des gro¨ßten Bankhauses Europas dies-

37 Jan Pta´snik, Bonerowie [Die Familie Boner], in: Rocznik Krakowski 7 (1905), S. 1–133, hier S. 70;

Waldemar Komorowski/Kamila Follprecht, Wła´sciciele kamienic Rynku krakowskiego w czasach ˙ nowozytnych (do pierwszej okupacji szwedzkiej) [Die Besitzer der Wohnha¨user am Krakauer Ringplatz in der Neuzeit (bis zur ersten schwedischen Besatzung], Teil 4, in: Krakowski Rocznik Archi´ walny 5 (1999), S. 11–20, hier S. 12–15; Komorowski/Krasnowolski, Sredniowieczne i renesansowe (wie Anm. 30), S. 89. 38 Czyzewski/Walczak, ˙ Kilka zagadnien´ (wie Anm. 24), S. 175. Die Autoren nehmen an, dass der Erbauer des Petrikauer Palastes (1512–1519), Benedikt von Sandomir, auch der Scho¨pfer dieser Residenz gewesen sein ko¨nnte. 39 Adam Chmiel, Domy krakowskie. Ulica Florianska ´ [Krakauer Ha¨user. Die Floriansgasse], Teil 1, Krako´w 1917, S. 64. Die Renaissancegestalt und -dekorationen der Residenz u¨berdauerten mindestens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, wovon eine damalige Beschreibung zeugt: Ryszard Ma˛ czynski, ´ Opisanie gmacho´w Szkoły Gło´wnej Koronnej przez architekta Stanisława Zawadzkiego w roku 1783 uczynione [Beschreibung der Geba¨ude der Hauptkronschule, geta¨tigt durch den Architekten Stanisław Zawadzki im Jahre 1783], in: Rocznik Krakowski 74 (2008), S. 115–148, hier S. 147: „Seine Kleidung im gotischen [recte: Renaissance-]Geschmack, auch die Fenster. Das Glas in demselbem Geschmack.“ Zu den Bethmanns siehe Noga, O elicie (wie Anm. 35), S. 94. 40 Komorowski, Kamienice i pałace (wie Anm. 3), S. 68. 41 Krzyzanowski, ˙ ´ pałacu (wie Morsztynowie (wie Anm. 13), S. 341–344; Bak-Koczarska, ˛ Mieszkancy Anm. 13), S. 19–20; Noga, O elicie (wie Anm. 35), S. 93. 42 Komorowski/Follprecht, Wła´sciciele kamienic (wie Anm. 37), S. 11–20, hier S. 20; Noga, O elicie (wie Anm. 35), S. 92. Die in den Jahren 2004–2006 von Stanisław Cechosz, Marek Czempla und Łukasz Holcer durchgefu¨hrten Untersuchungen der materiellen Substanz des Geba¨udes brachten zahlreiche ¨ berreste gotisch-renaissancema¨ßiger Steinmetzarbeiten sowie Plafonds zum Vorschein. In der hinU teren Fassade wurde ein ansehnliches Portal fu¨r die Ausfahrt aus der Diele freigelegt. 43 Adam Chmiel, Domy krakowskie. Ulica s´ w. Jana [Krakauer Ha¨user. Die Johannisgasse], Teil 1, ˙ Krako´w 1924, S. 15–17; vgl. Aleksander Hirschberg, O zyciu i pismach Josta Ludwika Decjusza ¨ ber das Leben und die Schriften von Jost Ludwig Decius 1485–1545], Lwo´w 1874, S. 50. 1485–1545 [U

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seits der Alpen.44 Nicht na¨her bekannt waren die Residenzen der Familie Schilling, die fu¨r la¨ngere Zeit alle Ha¨user am Ringplatz zwischen der Sławkowskagasse und der Johannisgasse besaß; sie du¨rften den eben erwa¨hnten aber sicher ebenbu¨rtig gewesen sein.45 Die Adaptionen von Patrizierpala¨sten aus der Fru¨hrenaissance beschra¨nkten sich hauptsa¨chlich auf eine Vera¨nderung der Ausstattung, ohne dass die gotische Struktur der Geba¨ude angetastet wurde. Luxus, Pracht und Bequemlichkeit wurden eher durch Ausnutzung der Mo¨glichkeiten angestrebt, die das festgelegte und seit langem realisierte Modell bot. Die mittelalterlichen Mauern erhielten eine neuzeitliche Dekoration46 und die Fassaden riesige Fenster,47 wodurch sich die Residenzen der wohlhabendsten Bu¨rger noch mehr von den Wohnsitzen des einfachen Volkes zu unterscheiden begannen.48 Auf die Ausschmu¨ckung der Krakauer Pala¨ste in der ersten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts ko¨nnen wir, wenn auch nur fragmentarisch, auf der Grundlage

44 Pta´snik, Bonerowie (wie Anm. 37), S. 14; Komorowski/Follprecht, Wła´sciciele kamienic (wie

Anm. 37), Teil 13, in: Krakowski Rocznik Archiwalny 14 (2008), S. 21–33, hier S. 27–28; Noga, Krakowska rada (wie Anm. 35), S. 116. Ders., O elicie (wie Anm. 35), S. 94. 45 Komorowski, Kamienice i pałace (wie Anm. 3), S. 70, Anm. 105. 46 Ders., Domy Rynku krakowskiego w XVI i XVII wieku (do pierwszego najazdu szwedzkiego) [Die Ha¨user des Krakauer Ringplatzes im 16. und 17. Jahrhundert (bis zum ersten schwedischen Einfall)], in: Mi˛edzy gotykiem a barokiem (wie Anm. 23), S. 23–54, hier S. 28–32. Eine Charakteristik der Fru¨hrenaissancepala¨ste von Krakauer Bu¨rgern bietet Władysław Grabski, Problemy genezy i rozwoju renesansowego pałacu miejskiego w Krakowie [Probleme der Genese und Entwicklung des sta¨dtischen Renaissancepalais in Krakau], Krako´w 1968, S. 70, 90, 123. Zum Prozess der Fru¨hrenaissanceAdaptationen in der polnischen Wohnarchitektur des Adels, der in seinem Wesen eine Fortfu¨hrung der Tendenz des Spa¨tmittelalters darstellt, vgl. Miłobedzki, ˛ Tradycja lokalna (wie Anm. 32), S. 107–109; Ders., Dawna i nowa „sztuka budowania“. Architektoniczne konsekwencje zwrotu kulturowego około 1460–1540 [Die alte und die neue „Kunst des Bauens“. Architektonische Konsequenzen der kulturellen Wende um 1460–1540], in: Sztuka około 1500. Materiały Sesji Stowarzyszenia Historyko´w ´ Sztuki, listopad 1996, Gdansk, hg. v. Teresa Hrankowska, Warszawa 1996, S. 81–93; zu diesem Prozess in der bu¨rgerlichen Architektur Jolanta Putkowska, Zmiany programo´w oraz ich wpływ na rozplanowanie kamienic patrycjuszowskich w XVI i XVII wieku [Vera¨nderungen der Programme und ihr Einfluss auf den Planentwurf der Patrizierha¨user im 16. und 17. Jahrhundert], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 30 (1985), 4, S. 181–184. Zu analogen Prozessen in Schlesien Chorowska, Rezyden´ cje s´ redniowieczne (wie Anm. 32), S. 253–261, in Breslau: Artur Kwa´sniewski, Dom mieszczanski we Wrocławiu w okresie renesansu [Das Wohnhaus in Breslau in der Zeit der Renaissance], in: Dom (wie Anm. 5), S. 105–137, hier S. 112–118, sowie Chorowska, Przemiany architektoniczne (wie Anm. 5), S. 121–122. Zu den fru¨hneuzeitlichen Umgestaltungen in Posen Teresa Jakimowicz, Pałac Go´rko´w w Poznaniu [Das Palais der Familie Go´rka in Posen], Poznan´ 1998, S. 80–81. 47 Tadeusz Chrzanowski, Sztuka w Polsce Piasto´w i Jagiellono´w. Zarys dziejo´w [Die Kunst im Polen der Piasten und Jagiellonen. Abriss der Geschichte], Warszawa 1993, S. 190; vgl. Adam Miłobedzki, ˛ Architektura ziem Polski. Rozdział europejskiego dziedzictwa [Die Architektur der Gebiete Polens. ˙ Ein Kapitel des europa¨ischen Erbes], Krako´w 1998, S. 32; Czyzewski/Walczak, Kilka zagadnien´ (wie Anm. 24), S. 174–177. Zur Tendenz, die Hauptelemente der Dekoration auf die Fassade zu konzentrieren und sie zum o¨ffentlichen Raum hin zu „o¨ffnen“, vgl. u. a. Gruszecki, Zamki i pałace (wie Anm. 17), S. 29. 48 Außerdem unterschieden sich die Patrizierha¨user am Ringplatz noch durch die Existenz von Beischla¨gen. Zwar verschwanden diese schon unter der Oberfla¨che der Straße, wurden aber weiterhin durch ´ ˙ (wie Anm. 11), zum Ringplatz gerichtete Fenster beleuchtet, vgl. Grabski, Sredniowieczne przedproza S. 33–34; Komorowski, Domy Rynku (wie Anm. 46), S. 38–39, auch Wyrozumska, Opisy kamienicy (wie Anm. 17), S. 105: cellarium [...] extra domum subtus pavimento Circuli cum fenestra in Circulo.

Die hoch- und spa¨tmittelalterlichen Residenzen der Krakauer Patrizier

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von Steinmetzarbeiten schließen, die im allgemeinen den Fenstern und Portalen in den Ko¨nigsschlo¨ssern und in den Wohnsitzen des Magnatenadels und der Kanoniker in nichts nachstanden.49 Noch heute kommen sie in den Mauern der Krakauer Ha¨user in großer Zahl vor.50 Eine Ausnahme unter den Pala¨sten des fru¨hen 16. Jahrhunderts bildete die am Ringplatz 19 gelegene Residenz von Paul Kaufmann (gest. 1528), einem der herausragendsten Krakauer Bu¨rger jener Zeit. Von ihr sind ein Plafond mit untypischer, dekorativer Lo¨sung und die Mauern einzelner Stockwerke erhalten geblieben.51 Bei Kaufmanns Haus handelt es sich wahrscheinlich um das erste Palais neuen Typs, das in den miteinander verbundenen und gru¨ndlich umgebauten mittelalterlichen Bu¨rgerha¨usern eingerichtet wurde. Die Residenz Kaufmanns wurde den neuen Erfordernissen gema¨ß eingerichtet, indem einst unabha¨ngige Ha¨user zusammengelegt wurden, so dass sich ihre urspru¨ngliche Anlage verlor. Die großen repra¨sentativen Sa¨le im ersten Stock wurden mit einer Treppe verbunden, die an einen Pavillon angelehnt war, der an der hinteren Fassade angebracht war (das a¨ußere Treppenhaus stellt im Krakauer Wohnbauwesen jener Zeit eine Ausnahme dar).52 49 Mehr u¨ber die Steinmetzarbeiten aus der fru¨hen Neuzeit bei Bogusław Krasnowolski, Krakow-

˙ skie warsztaty budowlane i kamieniarskie na przełomie s´ redniowiecza i nowozytno´ sci [Die Krakauer Bauhu¨tten und Steinmetzwerksta¨tten an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit], in: Rocznik Krakowski 71 (2006), S. 87–111, hier S. 94–95, 98–102. Zu den Portalen Małgorzata Borusiewicz-Lisow¨ ber die Krakauer Renaissanceportale], in: Rocznik ska, O renesansowych portalach krakowskich [U Krakowski 39 (1968), S. 69–78, hier S. 72. 50 Erhalten geblieben sind sie u. a. in den Ha¨usern in der Floriansgasse 7 und 15, der Spitalgasse 7 sowie ´ der Johannisgasse 3 und am Marienplatz 3, vgl. Chmiel, Domy krakowskie. Ulica Florianska (wie Anm. 39), S. 45–46, Illustrationen auf den Einklebungen nach S. 42 und 46; ders., Domy krakowskie. Ulica s´ w. Jana, Teil 2, Krako´w 1924, Fig. 23. Die steinernen Fenster aus dem Haus in der Sławkowskagasse 4 wurden 1886 in ein anderes Geba¨ude (heute ul. Westerplatte 10) eingebaut, vgl. Zbigniew Beiersdorf, Pałac Pusłowskich w Krakowie. Studium z dziejo´w pałacu-muzeum [Das Palais der Familie Pusłowski in Krakau. Eine Studie zur Geschichte des Museumspalastes], in: Rocznik Krakowski 54 (1988), S. 137–178, hier S. 145, Abb. 16 auf S. 151. Ein betra¨chtlicher und vielleicht sogar der u¨berwiegende Teil der gotisch-renaissancema¨ßigen und Fru¨hrenaissance-Steinmetzarbeiten u¨berdauerte in den Mauern der Krakauer Ha¨user als Baumaterial, das zu ihrem Umbau im 18. und 19. Jahrhundert benutzt wurde, hierzu Komorowski, Domy Rynku (wie Anm. 46), S. 32–33. Viel ging in der Zeit der Restaurierungen in der zweiten Ha¨lfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts verloren – dies notiert u. a. ˙ Feliks Ksi˛ezarski in seinen Inventarzeichnungen aus den Jahren 1850–1884, vgl. Katalog rysunko´w ze zbioro´w Muzeum Narodowego w Krakowie. Cracoviana [Katalog der Zeichnungen aus den Besta¨nden des Nationalmuseums in Krakau. Cracoviana], Teil 2, bearb. v. Wanda Mossakowska, Warszawa 1986, Nr. 152, 153 (Steinmetzarbeit im Haus am Ringplatz 41), 156 (Ringplatz 42) u. a. Vgl. auch ˙ Zbigniew Jan Białkiewicz, Feliks Ksi˛ezarski – krakowski architekt epoki romantycznego historyzmu ˙ i dojrzałego eklektyzmu [Feliks Ksi˛ezarski – ein Krakauer Architekt der Epoche des romantischen Historismus und reifen Eklektismus], in: Rocznik Krakowski 55 (1989), S. 163–182, hier S. 175–176. Zu den nicht mehr existierenden Steinmetzarbeiten im Haus am Ringplatz 41 Jo´zef Wawel-Louis, Przechadzka kronikarza po Rynku krakowskim [Ein Spaziergang des Chronisten u¨ber den Krakauer Ringplatz], Krako´w 1984, S. 182, zu den Fenstern im Haus am Ringplatz 45 Klemens Bakowski. ˛ O warto´sci zabytko´w s´ wieckiego budownictwa Krakowa [Vom Wert der weltlichen Baudenkma¨ler Krakaus], Krako´w 1897, S. 11. Im Haus am Ringplatz 42 u¨berdauerten die „steinernen Kreuzrahmen“ bis zum Jahr 1878, Chmiel, Domy krakowskie. Ulica s´ w. Jana (wie Anm. 4), S. 11. 51 Jan Tajchman, Stropy drewniany w Polsce. Propozycja systematyki [Holzplafonds in Polen. Vorschlag einer Systematisierung], Warszawa 1989, S. 17, 20, Abb. 33 und 60A. 52 Komorowski/Follprecht, Wła´sciciele kamienic (wie Anm. 37), Teil 9, in: Krakowski Rocznik

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Fu¨r die reichsten Patrizier bildeten auch Residenzen, die sie neben ihren sta¨dtischen Wohnsitzen außerhalb der Stadt unterhielten, einen unerla¨sslichen Bestandteil ihres Besitzes. Sie dienten nicht nur der Erholung oder Abwechslung im Lebensstil, sondern stellten auch ein starkes Argument in den Bemu¨hungen ihrer Besitzer um den Erwerb des Adelstitels dar. Humanismus und Renaissance fu¨gten dem außersta¨dtischen Wohnsitz noch eine weitere Bedeutung hinzu. Denn er sollte nun nicht la¨nger nur ein Zentrum zur Verwaltung der Landgu¨ter sein, sondern auch als ein Ort dienen, an dem sich sein Besitzer selbst – allein oder in ausgewa¨hltem Kreise – weit vom La¨rm der Stadt entfernt und nahe der Natur, dem geistigen Schaffen hingeben und Dispute fu¨hren konnte. Hier wurde sozusagen die antike Idee der Vorstadtvilla wiedergeboren, von der seinerzeit die wichtigsten Impulse des intellektuellen und ku¨nstlerischen Schaffens ausgingen.53 Diesem ‚wiedergeborenen‘ Inhalt entsprach eine neue Form im Stil der Renaissance, wie sie uns etwa in der Residenz der Medici in Poggio a Caiano in der Na¨he von Prato (1485, Giuliano de Sangallo) begegnete. Die Villen im Umfeld des kleinpolnischen Krakau – wenn man die entsprechenden Landsitze so nennen will – haben dieses Postulat nur eingeschra¨nkt verwirklicht. Zwar kann der bekanntesten von ihnen, die dem Sekreta¨r von Ko¨nig Sigismund I., dem Intellektuellen Jost Dietz (Decius) geho¨rte und aus den 1530er Jahren stammt,54 nicht die humanistische Botschaft abgesprochen werden (sie wurde an einem Ort errichtet, von dem aus man eine vorzu¨glichen Blick auf Krakau hatte, womit das Postulat der „scho¨nen Aussicht“ verwirklicht war). Doch ist die Ansicht, es habe sich bei ihr um ein Geba¨ude in neuzeitlicher Form gehandelt, ist sicher unzutreffend. Zwar wird eine Erwa¨hnung der Villa in einem Gedicht von Klemens Janicki (1543) oft ´ Archiwalny 10 (2004), S. 45–52, hier S. 46–47; Komorowski/Krasnowolski, Sredniowieczne i renesansowe (wie Anm. 30), S. 90. 53 Jerzy Kowalczyk, Wille w Polsce w XVI i pierwszej połowie XVII stulecia [Villen in Polen im 16. und der ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts], in: Kwartalnik Architektury i Urbanistyki 11 (1976), Heft 4, S. 277–318, hier S. 292, 303; Ewa Chojecka, Willa, jej funkcja i forma na tle kultury miast [Die Villa, ´ ihre Funktion und Form vor dem Hintergrund der Kultur der Sta¨dte], in: Sztuka miast i mieszczanstwa (wie Anm. 32), S. 131–147, hier S. 131–139; Zbigniew Beiersdorf, Podmiejskie rezydencje krakowskie. Zarys problematyki [Krakauer Vorstadtresidenzen. Abriss der Problematik], in: Pałace i wille podmiejskie Krakowa. Materiały sesji naukowej [Towarzystwa Miło´sniko´w Historii i Zabytko´w Krakowa] odbytej 24 kwietnia 2004 roku, Krako´w w dziejach Narodu Nr. 24, Krako´w 2007, S. 7–23, hier S. 7–12; Maria Dayczak-Domanasiewicz, Architektura dworu biskupo´w krakowskich na Pradniku ˛ Białym na tle rozwoju rezydencjonalnego budownictwa okolic Krakowa [Die Architektur des Palastes der Krakauer Bischo¨fe in Pradnik ˛ Biały vor dem Hintergrund der Entwicklung des Residenzbauwesens in der Umgebung von Krakau], in: Pałace i wille podmiejskie (wie oben), S. 101–151. 54 Zur Residenz in Wola Justowska existiert eine umfangreiche Literatur; von den a¨lteren Titeln, die eine ˙ Renaissancegestalt schon fu¨r die Zeit von Decius annehmen, seien erwa¨hnt: Hirschberg, O zyciu (wie Anm. 43), S. 56–57; Władysław Łuszczkiewicz, [Willa Decjusza], in: Sprawozdania Komisji do Badania Historii Sztuki [(Die Villa Decius), Berichte der Kommission zur Erforschung der Kunstgeschichte] 4 (1891), S. LXIX; Stanisław Tomkowicz, Powiat krakowski [Der Kreis Krakau], in: Teka Grona Konserwatoro´w Galicji Zachodniej, Bd. 2, 1906, S. 1–318 und 365–367, hier S. 261; Władysław ˙ Łozinski, ´ Zycie polskie w dawnych wiekach [Das polnische Leben in fru¨heren Jahrhunderten], Lwo´w 1912, S. 27; Janusz Bogdanowski, Przemiany architektoniczne willi na Woli Justowskiej [Die architektonischen Umgestaltungen der Villa in Wola Justowska], in: Rocznik Krakowski 46 (1975), S. 5–24, hier S. 7–11; Kowalczyk, Wille (wie Anm. 53), S. 278, 292, 308, 312; Gruszecki, Zamki i pałace (wie Anm. 17), S. 55.

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dahingehend gedeutet, als habe es sich um ein Renaissancegeba¨ude gehandelt,55 doch ¨ berresten. Letztere lasdeckt sich diese Interpretation nicht mit den materiellen U sen das Geba¨ude als ein typisches spa¨tgotisches Herrenhaus erscheinen,56 das z. B. dem fu¨nf Jahrzehnte a¨lteren Schloss im kleinpolnischen D˛ebno (1470–1480) a¨hnelt.57 Ganz sicher zeichnete sie sich nicht durch eine so sublime Architektur aus, wie sie das Bischofspalais von Samuel Maciejowski im Stadteil Pradnik ˛ charakterisierte.58 Mit einer gewissen Zuru¨ckhaltung ist auch der Ansicht von Stanisław Orzechowski zu begegnen, der u¨ber die Residenz von Severin Boner in Balice (nach 1519) schrieb: „Du wu¨rdest meinen, Lukullus selbst habe sie dort errichtet“ (quam ipsum Lucullum aedificasse diceres), denn hierbei handelte es sich gewiss um ein Haus in Formen aus der vorherigen Epoche, das noch dazu aus Holz auf mittelalterlichen Fundamenten errichtet wurde.59 Vielleicht stand jene andere Villa der Familie Boner den humanistischen Idealen na¨her, die sich gleich vor den Toren der Stadt in Wesoła befand (vor 1551). Hier war das Wohnhaus eng mit einem Garten verbunden, d. h. mit jenem „Paradies irdischer Wonnen“ – so Marcin Bielski –, das auf italienische Weise arrangiert wurde – mit einem Labyrinth und einem Aussichtsturm aus Holz auf einer Insel inmitten eines Teiches.60

55 Hirschberg, O zyciu ˙ (wie Anm. 43), S. 56: „ein scho¨nes Palais im italienischen Stil“; Pta´snik, Bonero-

wie (wie Anm. 37), S. 108: „ein prachtvoller Renaissancepalast“; Tadeusz Dobrowolski, Sztuka Krakowa, Krako´w 1978, S. 235: „eine Renaissancevilla, die an die Vorstadtvillen von Florenz oder Rom denken la¨sst“. 56 Zu einem solchen Schluss gelangte aufgrund seiner theoretischen Studien und Feldforschungen Tomasz Liniecki, Budynek pałacu w Woli Justowskiej. Badania architektoniczne i wnioski konserwatorskie (aktualizacja) [Das Geba¨ude des Palais in Wola Justowska. Architektonische Untersuchungen und konservatorische Schlussfolgerungen (Aktualisierung)], Typoskript, Krako´w 1988. Auf die ´ Ergebnisse von Linieckis Untersuchungen stu¨tzte sich auch Leszek Kajzer, Zamki i społeczenstwo: ¨ bersetzung], Ło´dz´ przemiany architektury i budownictwa obronnego w Polsce w X–XVIII wieku [U ¨ hnlich wie in den Patrizierha¨usern jener Zeit erreichte man einen neuzeitlichen Schliff 1993, S. 203. A auch in der Villa Decius durch Verwendung „italienischer“ Steinmetzarbeiten, wovon Details zeugen, die den arabesken Kompositionen in der Sigismundkapelle nahekommen, vgl. Aldona Sudacka/Waldemar Niewalda, Wola Justowska, pałac. Badania historyczno-architektoniczne uzupełniajace ˛ [Wola Justowska, Palais. Erga¨nzende architekturhistorische Untersuchungen], Typoskript 1992, Pracownia Konserwacji Zabytko´w Krako´w. 57 So u. a. Andrzej Kadłuczka, Toskanska ´ genealogia krakowskiej villa suburbana Decjusza na Woli Justowskiej [Die toskanische Genealogie der Krakauer villa suburbana von Decius in Wola Justowska], in: Czasopismo Techniczne 100 (2003), S. 19–35, hier S. 19–25, der das Haus von Decius als ein Geba¨ude mit zentral gelegener Diele von einem Ende bis zum anderen und mit mittlerem Risalit rekonstruierte, das an den Palast in Poggio Reale anknu¨pfte; Mieczysław Zlat, Sztuka polska, Bd. 3: Renesans i manieryzm [Polnische Kunst. Renaissance und Manierismus], Warszawa 2008, S. 69, vertritt wei¨ hnlichkeit mit der Villa Alfons’ II. am Golf von Neapel (1487). terhin die a¨ltere These von der A 58 Maria Dayczak-Domanasiewicz, Renesansowy dwo´r biskupo´w krakowskich na Pradniku ˛ Białym. Historia przemian w s´ wietle dotychczasowych badan´ [Der Renaissancepalast der Krakauer Bischo¨fe in Pradnik ˛ Biały. Die Geschichte seiner Vera¨nderungen im Lichte der bisherigen Untersuchungen], in: Dziedzictwo kulturowe historycznych miejscowo´sci tworzacych ˛ Dzielnic˛e IV Krakowa, hg. v. Jacek Salwinski, ´ Krako´w 2004, S. 81–105, hier S. 81–93. 59 Tomkowicz, Powiat krakowski (wie Anm. 54), S. 3–4; Pta´snik, Bonerowie (wie Anm. 37), S. 69; Kowalczyk, Wille (wie Anm. 53), S. 284, 300, 301, 308; Maria Kwa´snik, Rezydencja w Balicach [Die Residenz in Balice], in: Pałace i wille podmiejskie (wie Anm. 53), S. 153–170, hier S. 153–157. 60 Pta´snik, Bonerowie (wie Anm. 37), S. 69.

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Nicht vor den 1540er Jahren und ganz sicher nicht nach der Mitte des 16. Jahrhunderts begannen die Wohnsitze der reichen Bu¨rgerschaft in gro¨ßerem Umfang die von der Wawelburg vorgegebenen Muster zu u¨bernehmen. Dies geschah nicht nur in Gestalt dekorativer Elemente, sondern auch durch manche ra¨umliche Lo¨sungen. Dabei wurden die Umbauten nicht so sehr von der ko¨niglichen Residenz als vielmehr von den Palastbauten des reichen Adels und der Magnaten inspiriert, die im Kontext der Umgestaltung der mittelalterlichen Wohnbebauung innerhalb des Stadtzentrums die Initiative u¨bernahmen.61 Vielleicht ist es kein Zufalls, dass die ersten Schritte auf diesem Gebiet von der Familie Boner unternommen wurden – einem Senatorengeschlecht mit bu¨rgerlichen Wurzeln. Um 1560 wurde auf Geheiß von Hans Boner, dem Kastellan von Biecz, die alte, jetzt erweiterte Residenz am Ringplatz 9 umgebaut, wobei (wahrscheinlich) Kreuzga¨nge mit Arkaden im Hof und ein als vertieft bezeichnetes Dach errichtet wurden.62 Beides stellte ein wesentliches Novum in der Architektur Polens dar, das erst wenige Jahre zuvor in den Tuchhallen zur Anwendung gekommen war.63 Mit diesem Dachtyp war eine Attika verbunden, die in der Regel dekorativ bearbeitet war. Wahrscheinlich wurden die Details der Steinmetzarbeiten in Boners Residenz vom ko¨niglichen Servitor Santi Gucci ausgefu¨hrt.64 Die vertieften Da¨cher verbreiteten sich schnell im Krakauer Wohnbau, sowohl jenem des Adels als auch jenem der Bu¨rgerschaft.65 Einige Ha¨user bewahrten jedoch ihre mittelalterliche Deckengestalt – so das Haus „Unterm Blech“ (Ringplatz 28), das im 16. Jahrhundert nacheinander Leonhard Vogelweder, Nikolaus Ko´sla, Georg Schilkra und Martin Fihauser geho¨rte.66 Als einziges wurde es auf der scho¨nsten Ansicht Krakaus vom Beginn des 17. Jahrhunderts beschrieben.67 Dieser entnehmen wir auch, dass die Giebelwa¨nde reiche Dekorationen besaßen. Viel deutet darauf hin, dass die Krakauer Bu¨rger die Modernisierung ihrer Ha¨user wohl eher auf deren Ausschmu¨ckung

61 Komorowski, Domy Rynku (wie Anm. 46), S. 53. 62 Komorowski/Follprecht, Wła´sciciele kamienic (wie Anm. 37), S. 15. 63 Wacław Husarski, Attyka polska i jej wpływ na kraje sasiednie ˛ [Die polnische Attika und ihr Einfluss

auf die Nachbarla¨nder], Warszawa 1936, S. 21; Miłobedzki, ˛ Zarys dziejo´w (wie Anm. 4), S. 126–127; Helena Kozakiewicz/Stefan Kozakiewicz, Renesans w Polsce [Die Renaissance in Polen], Warszawa 1976, S. 110–111; Aldona Sudacka, Sukiennice – s´ wiadek dziejo´w miasta [Die Tuchhallen – Zeugen der Stadtgeschichte], in: Urbs celeberrima. Ksi˛ega z okazji jubileuszu 750-lecia lokacji Krakowa, hg. v. ˙ Andrzej Grzybowski/Teresa Grzybowska/Zdzisław Zygulski, Krako´w 2008, S. 203–233, hier S. 209. Der Attika der Tuchhallen waren schlesische Attiken vorausgegangen; diese hatten jedoch eine etwas andere Gestalt und fanden in Polen keine Aufnahme, vgl. Mieczysław Zlat, Attyka renesansowa na ´ asku Sl ˛ [Die Renaissanceattika in Schlesien], in: Biuletyn Historii Sztuki 17 (1955), S. 48–77, hier S. 55, ´ 69–77; Kwa´sniewski, Dom mieszczanski (wie Anm. 46), S. 105–137, hier S. 107. 64 Andrzej Fischinger, Santi Gucci – architekt i rze´zbiarz kro´lewski XVI wieku [Santi Gucci – ein ko¨niglicher Architekt und Bildhauer des 16. Jahrhunderts], Krako´w 1969; Komorowski/Krasno´ wolski, Sredniowieczne i renesansowe (wie Anm. 30), S. 98. 65 Ebd., S. 97–98. U ¨ ber die Attika als ein spezifisches Krakauer Pha¨nomen schrieb bereits August Ottomar Essenwein, Die mittelalterlichen Kunstdenkmale der Stadt Krakau, Leipzig 1869, S. 154–155. 66 Waldemar Komorowski/Aldona Sudacka, Rynek Gło´wny w Krakowie [Der Ringplatz in Krakau], Wrocław-Warszawa/Krako´w 2008, S. 309. In den Quellenexzerpten von Pta´snik, Cracovia artificum (wie Anm. 17), Nr. 919, erscheint unter dem Jahr 1537 ein Joannes Italus conductus domus [...] lapidee cupro tecte. 67 Jerzy Banach, Dawne widoki Krakowa [Alte Ansichten von Krakau], Krako´w 1983, S. 179.

Die hoch- und spa¨tmittelalterlichen Residenzen der Krakauer Patrizier

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beschra¨nkten, anstatt wie der Adel auch innere Umgestaltungen vorzunehmen. Diesbezu¨glich erwa¨hnt werden kann die Fassade des Hauses von Stanisław Szembek am Ringplatz 5 (nach 1582)68 sowie die Hoffassade der Residenz von Stanisław Czeczotka an der Ecke Annengasse/Weichselgasse (1564–1567).69 Die architektonischen Details waren von verha¨ltnisma¨ßig hoher ku¨nstlerischer Qualita¨t und realisierten die Vorbilder des italienischen Quattrocento und der ersten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts. Aber es gab auch schwa¨chere Ausfu¨hrungen wie am Haus von Czeczotka, die von einer nachlassenden Qualita¨t der Zunftkunst zeugten, auf die die Bu¨rger meistens zuru¨ckgriffen. Eine besondere Position besaßen Wohnsitze italienischer Familien, die sich dauerhaft in Krakau ansiedelten. In der Regel wiesen sie, wie die erhaltenen, pra¨chtigen Portale der Einfahrtstore belegen – ein gutes architektonisches Niveau auf. Das gilt u. a. fu¨r die vermutliche Residenz des ko¨niglichen Bankiers Prosper Provana in der Floriansgasse 14, die aus dem dritten Viertel des 16. Jahrhunderts stammt,70 oder fu¨r die nach 1570 errichtete Residenz der Finanziersfamilie Montelupi am Ringplatz 7.71 Vom Wohnsitz der Kaufmannsfamilie Cellari, der aus dem fru¨heren Palais Paul Kaufmanns (Ringplatz 19) umgebaut wurde,72 weiß man, dass er eines der gro¨ßten Wohngeba¨ude am Ringplatz war und eine Loggia besaß, die wie die Kreuzga¨nge im Schloss der Familie Szafraniec in Pieskowa Skała gestaltet war.73 68 Komorowski, Domy Rynku (wie Anm. 46), S. 35; Ders./Krasnowolski, Sredniowieczne ´ i renesan-

sowe (wie Anm. 30), S. 90, Ill. 9. 69 Czeczotka betraute mit diesem Umbau den Maurer Gabriel Słonski ´ (Słoninka). Die entsprechenden

´ Arbeiten fu¨hrte in den Jahren 1564–1567 der mit Słonski zusammenarbeitende Antonio Morosi aus; ´ ´ vgl. Wincenty Juliusz Wdowiszewski, Gabryel Słonski architekt krakowski XVI wieku [Gabriel Słonski, ein Krakauer Architekt des 16. Jahrhunderts], Sprawozdania Komisji do Badania Historii Sztuki w Polsce 5 (1896), S. 1–14; Stanisław Tomkowicz, Domy i mieszkania w Krakowie w pierwszej połowie XVII wieku [Die Ha¨user und Wohnungen in Krakau in der ersten Ha¨lfte des 17. Jahrhunderts], ´ Lwo´w 1922, S. 52–53. Zu Morosi Stefan Kozakiewicz, Poczatek ˛ działalno´sci Komasko´w, Tessynczy´ ko´w i Gryzonczyko ´ w w Polsce – okres renesansu (1520–1580) [Der Beginn derr Ta¨tigkeit der Magistri Comacini, der Tessiner und der Graubu¨ndner in Polen – zur Zeit der Renaissance (1520–1580)], in: Biuletyn Historii Sztuki 21 (1959), 1, S. 3–29, hier S. 24. 70 Mit Provana verbindet dieses Haus Adam Chmiel, Domy krakowskie. Ulica Florianska ´ [Krakauer Ha¨user. Florianstraße], Teil 2, Krako´w 1919, S. 50. Die letzten Untersuchungen von Kamila Follprecht, Włosi w elicie politycznej Krakowa do połowy XVII wieku. Topografia siedzib [Italiener in der politischen Elite der Stadt Krakau bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Topographie der Wohnsitze], ˙ in: Elita władzy miasta Krakowa i jej zwiazki ˛ z miastami Europy w s´ redniowieczu i epoce nowozytnej (do połowy XVII wieku). Zbio´r studio´w, hg. v. Zdzisław Noga, Krako´w 2011, S. 251–265, besta¨tigen einen solchen Zusammenhang jedoch nicht. Zum Portal siehe Borusiewicz-Lisowska, O renesansowych (wie Anm. 49), S. 70–71. 71 Das Portal des Einfahrtstores mit der Devise Tecum habita ist eine getreue Realisierung der von dem italienischen Architekturtheoretiker und Architekten Sebastiano Serlio propagierten Musterlo¨sungen, vgl. Jerzy Kowalczyk, Sebastiano Serlio a sztuka polska. O roli włoskich traktato´w architek˙ tonicznych w dobie nowozytniej [Sebastiano Serlio und die polnische Kunst. Zur Rolle der italienischen Architekturtraktate in der Neuzeit], Wrocław 1973, S. 75, 142. Zum Haus der Familie Montelupi Komorowski/Follprecht, Wła´sciciele kamienic (wie Anm. 37), Teil 3, in: Krakowski Rocznik Archiwalny 4 (1998), S. 11–28, hier S. 16–19. 72 Komorowski/Follprecht, Wła´sciciele kamienic (wie Anm. 37), S. 49. 73 Sowohl in der Residenz der Familie Cellari als auch im Schloss Pieskowa Skała pra¨sentieren die Kreuzga¨nge einen neuen, Pfleiler und Arkaden umfassenden Typ der Komposition, vgl. Gruszecki, Zamki i pałace (wie Anm. 17), S. 100.

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Waldemar Komorowski

¨ ber die definitive U ¨ bernahme der Architektur entschieden gewo¨hnlich die U dekorativen Details – die Ornamentik der Plafonds, die steinernen Portale und Fenster, die Polychromie der Innenra¨ume und die malerische Dekoration der Fassaden.74 Ihr architektonisches Niveau war unterschiedlich, aber in der Regel stand ihre Qualita¨t derjenigen der Ausstattung der Wohngeba¨ude des Adels nicht nach. Was den weiteren Bau von Villen betrifft, so ist u¨ber entsprechende Unternehmungen nach der Mitte des 16. Jahrhunderts nur wenig bekannt. Die Vorstadtresidenz der Familie Montelupi im Jurisdiktionsbezirk Szlak, die wahrscheinlich gegen Ende des 16. Jahrhunderts errichtet wurde, wird als ein ansehnliches Geba¨ude beschrieben (una casa di molta magnificenza); es handelte sich um ein zweisto¨ckiges Objekt, das (wenn wir der Ikonographie glauben du¨rfen) von einer hohen, dekorativen Attika bekro¨nt wurde.75 Will man die Vera¨nderungen pointieren, die das 16. Jahrhundert mit sich brachte, so muss eine spezifische „Polonisierung“ der Wohnsitze hervorgehoben werden. Sie verlief parallel zum Prozess der ethnischen Polonisierung Krakaus. Die sich im Verlauf dieses Jahrhunderts herausbildenden heimischen Formen, die nun immer o¨fter mit der Adelskultur verbunden waren, begannen die bis zu diesem Zeitpunkt kosmopolitische Gestalt der Wohnarchitektur zu vera¨ndern; diese wurde nun in immer ho¨herem Maße von lokalen Impulsen und Formen gepra¨gt. Der Beginn des 17. Jahrhunderts brachte den Abschluss dieser sich seit der Mitte des vorherigen Jahrhunderts vollziehenden Vera¨nderungen.

74 Von den Plafonds mu¨ssen die Konstruktionen in den Ha¨usern am Ringplatz 10, 15, 42 und 45, in der

Floriansgasse 5 und in der Spitalgasse 24 erwa¨hnt werden; von den trefflicheren Polychromien die Wandmalereien in den Ha¨usern am Ringplatz 10, 42 und 45, in der Spitalgasse 10 und 18, von den Portalen die Steinmetzarbeiten in den Ha¨usern am Ringplatz 7, in der Floriansgasse 3 und 26 sowie in der Johannisgasse 8; vgl. Dayczak-Domanasiewicz, Uwagi (wie Anm. 18), S. 122–126, 132–135, 146, 154–155; Borusiewicz-Lisowska, O renesansowych (wie Anm. 49), S. 75; Tajchman, Stropy drewniane (wie Anm. 51), S. 20, 25, 26, 37–38; Tadeusz M. Rudkowski, Polskie sgraffiti renesansowe [Polnische Renaissance-Graffiti], Warszawa 2006, S. 179; Marcin Fabianski, ´ Przesławne miasto i drugi Rzym. Krako´w i jego sztuka w oczach wspo´łczesnych w czasach najwi˛ekszej s´ wietno´sci [Eine hochberu¨hmte Stadt und ein zweites Rom. Krakau und seine Kunst in den Augen der Zeitgenossen zur Zeit seiner ho¨chsten Blu¨te], in: Urbs (wie Anm. 63), S. 85–170, hier S. 120. In manchen Ha¨usern gab es Fenster mit Glasmalereien: das Haus „Zum Birnbaum“ (Stefansgasse 1) habuint in fenestris vitreos ˙ varius coloribus depictus; Text aus dem Jahre 1556, in den Quellenexzerpten von Zegota Pauli, Biblio´ teka Jagiellonska, Ms. 5350, S. 172r. 75 Waldemar Komorowski, Pałace i wille w wiekach XVII i XVIII [Pala¨ste und Villen im 17. und 18. Jahrhundert], in: Pałace i wille podmiejskie (wie Anm. 53), S. 25–43, hier S. 26–27; Iwona Keder/Waldemar ˛ Komorowski, O ikonografii Starego Krakowa [Zur Ikonographie des Alten Krakau], in: Urbs (wie Anm. 63), S. 235–277, hier S. 246.

¨ DTISCHER LEBENSSTIL UND FRO ¨ MMIGKEIT STA Testamente und fromme Verma¨chtnisse Krakauer Bu¨rger im 14. Jahrhundert von Jakub Wysmułek*

I. Der sakrale Charakter von Testamenten

Aufgabe von Testamenten, wie sie im mittelalterlichen Europa nach kanonischem ¨ bergabe Recht in Erscheinung traten, war es, ihren Ausstellern in erster Linie die U eines Teils ihres Besitzes an kirchliche Einrichtungen zu ermo¨glichen. Das verlieh ihrem Inhalt die geistliche Bedeutung einer Verso¨hnung mit Gott mittels der in ihnen geta¨tigten Verma¨chtnisse fu¨r „fromme Werke“. Man kann sogar den Eindruck gewinnen, dass der Begriff „Testament“ selbst anfangs oft mit einem frommen Verma¨chtnis gleichgesetzt wurde.1 Vor diesem Hintergrund wird im vorliegenden Beitrag auf der Grundlage der in Testamenten enthaltenen Dispositionen sowie auf der Basis anderer pro remedio et salute animae geta¨tigter Verma¨chtnisse der Versuch unternommen, Charakter und Erscheinungsformen der Fro¨mmigkeit Krakauer Bu¨rger im 14. Jahrhundert zu bestimmen. Zwar erlauben die verfu¨gbaren Quellen hinsichtlich des religio¨sen Bewusstseins und der diesbezu¨glichen Tiefe des perso¨nlichen Engagements keine allzu weit reichenden Schlussfolgerungen und wir wissen auch nicht, wie popula¨r und repra¨sentativ die im Folgenden fu¨r das Krakauer Bu¨rgertum besprochenen Praktiken im Allgemeinen waren. Doch ko¨nnen wir gewiss davon ausgehen, dass die sich in den untersuchten Testamenten und Verma¨chtnissen manifestierenden, im weiteren Sinne mit der Sakralspha¨re verbundenen Erscheinungsformen perso¨nlicher Fro¨mmigkeit einiger Krakauer Bu¨rger in anderen Sta¨dten der Region ihr *U ¨ berarbeitete Fassung des Aufsatzes „Przejawy religijno´sci mieszczan krakowskich na podstawie

˙ XIV-wiecznych testamento´w i zapiso´w poboznych“ [Erscheinungsformen der Religiosita¨t Krakauer Bu¨rger anhand von Testamenten und frommen Verma¨chtnissen im 14. Jahrhundert], aus: Odrodzenie ¨ bersetzung des Ausgangstextes von Herbert Ulrich. I Reformacja w Polsce 54 (2010), S. 85–125; U 1 So la¨sst sich u. a. der Inhalt der ersten letztwilligen Verfu¨gung Heinrichs von Ratibor aus den Krakauer Scho¨ffenbu¨chern verstehen. Nach Nennung der Legate zugunsten seiner Familie heißt es dort: Item idem Henricus pro salute anime ipsius testamentum faciens, legavit quinque bancas panum ad hospitale in Cracovia; Najstarsze ksi˛egi i rachunki miasta Krakowa od r. 1300 do 1400 [Die a¨ltesten Bu¨cher und Rechnungen der Stadt Krakau von 1300 bis 1400, Teil 1–2], hg. v. Franciszek Piekosinski/Jo ´ ´ zef Szujski, Krako´w 1878 bzw. 1877, hier Teil 1, S. 31. Im Testament der Witwe Alusza wird dies wo¨rtlich zum Ausdruck gebracht: pro salute anime sue testamentum fecit, worauf eine Liste frommer Verma¨chtnisse folgt; ebd., S. 61.

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Jakub Wysmułek

¨ quivalent besaßen und sich in die Stro¨mung der sich in diesem Teil Europas vollzieA henden spa¨tmittelalterlichen kulturellen und religio¨sen Wandlungen einfu¨gten.2 Ein anderer, ebenfalls mit Jenseitsvorstellungen verbundener Aspekt der Testamente war ihre Memorialfunktion. Ein betra¨chtlicher Teil der in ihnen enthaltenen Dispositionen sollte die Lebenden an die Person des Verstorbenen erinnern, insbesondere die Angeho¨rigen jener sozialen Gruppe, mit der sich dieser zu Lebzeiten identifizierte. So wie der Einzelne den Sinn seines Lebens und seinen Frieden vor dem Tod in der guten Erinnerung der Hinterbliebenen fand, konstituierte das Geda¨chtnis an die verstorbenen Verwandten oder Bekannten die Gemeinschaft der Lebenden.3

II. Quellengrundlage und Untersuchungszeitraum

Die Quellengrundlage unserer Analyse bilden die Krakauer Stadtbu¨cher des 14. Jahrhunderts sowie Urkunden aus den Jahren 1303 bis 1396, die Informationen u¨ber letztwillige Verfu¨gungen und andere Arten frommer Verma¨chtnisse enthalten.4 Der gewa¨hlte Untersuchungszeitraum wird einerseits durch das a¨lteste erhaltene Krakauer Testament bestimmt, das von der Bu¨rgerin Sulisława aufgesetzt wurde,5 andererseits durch eine im Ratsbuch unter dem Jahr 1396 verzeichneten Notiz, in der der Krakauer Stadtrat eine bestimmte Summe Geldes zur Anlage eines besonderen Testamentbuches bestimmte.6 Die Anlegung dieses ersten, nicht bis in unsere Zeit erhaltenen liber testamentarum muss daher sowohl mit einer Vereinheitlichung der mit der Abfassung von Testamenten verbundenen Gebra¨uche als auch mit einer genaueren Festlegung der Definition eines Testaments und der Erstellung eines diesbezu¨g-

2 In den letzten Jahren wird ein sta¨rkeres Interesse der Historiker an der sta¨dtischen Fro¨mmigkeit

erkennbar; vgl. Halina Manikowska, Religijno´sc´ miejska [Sta¨dtische Religiosita¨t], in: Ecclesia et civi˙ tas. Ko´scio´ł i zycie religijne w mie´scie s´ redniowiecznym, hg. v. Ders./Hanna Zaremska, Warszawa 2002, S. 11–34. 3 Ausfu¨hrlicher u¨ber Memoria als soziales Pha¨nomen Otto Gerhard Oexle, Społeczenstwo ´ s´ rednio˙ wiecza. Mentalno´sc´ – grupy społeczne – formy zycia [Die mittelalterliche Gesellschaft. Mentalita¨t – soziale Gruppen – Lebensformen], Torun´ 2000, S. 14–15. 4 Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 1); Ksi˛egi ławnicze krakowskie, 1365–1376 i 1390–1397 [Krakauer Scho¨f˙ fenbu¨cher, 1365–1376 und 1390–1397], hg. v. Stanisław Krzyzanowski, Krako´w 1904; Ksi˛egi radzieckie kazimierskie 1369–1381 i 1385–1402 [Die Ratsbu¨cher von Kazimierz 1369–1381 und 1385–1402], hg. v. Adam Chmiel, Krako´w 1932; Kodeks Dyplomatyczny miasta Krakowa [Urkundenbuch der Stadt Krakau], Teil 1–3, hg. v. Franciszek Piekosinski, ´ Krako´w 1879–1882; Kodeks dyplomatyczny katedry krakowskiej s´ w. Wacława [Urkundenbuch der Krakauer St.-Wenzels-Kathedrale, Teil 1–2], hg. v. Franciszek Piekosinski, ´ Krako´w 1874–1883; Zbio´r dokumento´w katedry i diecezji krakowskiej [Sammlung von Urkunden der Kathedrale und der Dio¨zese Krakau], Teil 1, hg. v. Stanisław Kura´s, Lublin 1965; Kodeks Dyplomatyczny Małopolski [Kleinpolnisches Urkundenbuch], Teil 1–4, hg. v. Franciszek Piekosinski, ´ Krako´w 1876–1886. 5 Vgl. Kodeks Dyplomatyczny miasta Krakowa (wie Anm. 4), Teil 3, Nr. CCCLXVIII, S. 493–494. 6 Vgl. Item pro pergameno comparato ad libros testamentorum et dotaliciorum II mrc. XVI1/2 gr. pragen. Item pro ligacione librorum testamenti et dotaliciorum I mrc; Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 1), Teil 1, S. 312–313.

Sta¨dtischer Lebensstil und Fro¨mmigkeit

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lichen Formulars in Verbindung gestanden haben.7 Insofern scheint dieses Datum symbolisch das Ende einer bestimmten Etappe in der Entwicklung und Popularisierung von Testamenten im sta¨dtischen Milieu bedeutet zu haben. Die eschatologische Dimension dieser Quellen verliert im Lauf der Zeit an Bedeutung, auch weil die Erblasser zur Vermeidung familia¨rer Konflikte ha¨ufiger Maßnahmen fu¨r eine angemessene Aufteilung des Erbes ergriffen. Von 28 vollsta¨ndig u¨berlieferten Testamenten enthalten nur fu¨nf keine frommen Verma¨chtnisse; sie wurden alle gegen Ende des Berichtszeitraums (in den Jahren 1393–1394) abgefasst. Das Pha¨nomen einer gewissen Sa¨kularisierung der Testamente nahm im Verlauf des 15. und in der ersten Ha¨lfte des 16. Jahrhunderts zu. Dennoch nahmen Verma¨chtnisse zugunsten barmherziger Werke bis zum Ende des Mittelalters in den Testamenten einen wichtigen Platz ein und bildeten in vielen Fa¨llen oft den Hauptgrund ihrer Aufsetzung.8 Zweifellos stellen Testamente eine wichtige Quelle fu¨r die Erforschung der Geschichte des religio¨sen Bewusstseins der mittelalterlichen Menschen dar. Doch man muss sich sowohl u¨ber die unterschiedlichen Umsta¨nde im Klaren sein, unter denen es zu ihrer Aufsetzung kam, als auch u¨ber die heterogene Zusammensetzung des Kreises der Testatoren. Betrachtet man die Zahl der bis in unsere Zeit erhalten gebliebenen Testamente, so mag es scheinen, als ha¨tten Testamente im Leben der mittelalterlichen Stadt eher eine gewisse Anomalie als die Regel dargestellt.9 Daher wird man bei ihrer Auswertung auf die Anwendung statistischer Methoden und eine Projektion der mit der Fro¨mmigkeit der Testatoren verbundenen Pha¨nomene auf die Gesamtheit der sta¨dtischen Gesellschaft eher verzichten. Es scheint, dass die zusammengetragenen Quellen in erster Linie fu¨r prosopografische Untersuchungen zu einzelnen in ihnen begegnenden Personen herangezogen und eben nicht einer belastbaren statistischen Analyse unterworfen werden ko¨nnen. Die Quellenrecherche erbrachte eine Gesamtzahl von 54 belegten Testatoren bzw. eine Gruppe von 35 Testatoren, deren Testamente fromme Verma¨chtnisse enthielten.10 Diese Zahl konnte um die in den Krakauer Stadtbu¨chern ermittelten 45 andersartigen Verma¨chtnisse fu¨r opera pietatis erga¨nzt werden. Da die Gegenu¨berstellung beiden Quellenarten keine ausdru¨cklichen Unterschiede zwischen ihnen ergab,11 wurden sie zwecks Darstellung der von einer bestimmten Gruppe Krakauer Bu¨rger bevorzugten Form frommer Werke, Gesten der Barmherzigkeit und Methoden der Memoria gemeinsam analysiert. Die Zahl der aus den einzelnen Jahren des 14. Jahrhunderts zusammengetragenen Quellenerwa¨hnungen ist gering und sehr ungleich 7 Mehr Informationen zu diesem nicht erhaltenen Stadtbuch bei Bozena ˙ Wyrozumska, Kancelaria

miasta Krakowa w s´ redniowieczu [Die Kanzlei der Stadt Krakau im Mittelalter], Krako´w 1995, S. 92–93. 8 Vgl. El˙zbieta Piwowarczyk, Legaty testamentowe ad pias causas w XV-wiecznym Krakowie [Testamentarische Legate ad pias causas in Krakau im 15. Jahrhundert], Krako´w 2010, S. 387. 9 Vgl. Martin Nodl, Stˇredove´ky´ testament jako abnormalita [Das mittelalterliche Testament als Abnormita¨t], in: Pozdne´ stˇredove´ke´ testamenty v cˇ esky´ch mˇestech. Prameny, metodologie a formy vyuzˇitı´, hg. v. Kateˇrina Jı´sˇova/Eva Dolezˇalova´, Praha 2006, S. 73–94. 10 Davon sind 23 vollsta¨ndige Testamente. 11 Der einzige erkennbare Unterschied zwischen diesen beiden Arten von Verma¨chtnissen besteht im ¨ bergewicht der Zahl der Donationen fu¨r das Spital, das auf der Seite „Verma¨chtnisse fu¨r deutlichen U den Fall des Todes“ in Erscheinung tritt (20 zu 7).

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verteilt (vgl. Tabelle 1). Sie legt die Vermutung nahe, dass sie in ho¨herem Maße den Erhaltungszustand der Quellen und die Arbeitsweise der Krakauer Kanzlei widerspiegelt als die tatsa¨chliche Situation oder zumindest die Proportionen der vollbrachten barmherzigen Werke. Das belegen auch die Quellennotizen selbst; sie zeigen, dass ein betra¨chtlicher Teil der Informationen u¨ber letztwillige Verfu¨gungen oder Testamente nur infolge von Streitigkeiten in die Stadtbu¨cher gelangt ist, die bei ihrer Ero¨ffnung entstanden bzw. beim Weiterverkauf der der Kirche vermachten sta¨dtischen Immobilien. Nur wenige Spuren haben die mutmaßlich zahlreichen finanziellen Legate zugunsten kirchlicher Institutionen hinterlassen, die letzteren von gesunden Spendern zu Lebzeiten gewa¨hrt wurden. Selbst bei den „fu¨r den Todesfall“ aufgesetzten Testamenten oder anderen (z. B. vor Wallfahrten oder la¨ngeren Reisen verfassten) Verma¨chtnisse du¨rfte die geringe Zahl der bis heute erhaltenen Exemplare nur einen kleinen Ausschnitt des urspru¨nglichen Sachverhalts widerspiegeln. Nur fu¨r 23 aller 54 belegten Testatoren (= 43 %) sind wir im Besitz ihrer Testamente im vollen Wortlaut. Tab. 1: Belege fu¨r fromme Werke in Testamenten und anderen Verma¨chtnissen nach einzelnen Jahren Jahr

Testamente

Verma¨chtnisse

gesamt

1300–1310 1311–1320 1321–1330 1331–1340 1341 1351–1360 1361–1370 1371–1380 1381–1390 1391–1396

1 4 2 0 1 1 1 2 0 22

0 2 0 1 2 1 9 10 1 19

1 6 2 1 3 2 10 12 1 41

1300–1396

34

45

79

III. Die soziale Dimension der Fro¨mmigkeit

In der von einer komplizierten Bildungs-, Berufs- und Besitzstruktur gepra¨gten großen mittelalterlichen Stadt waren die Pfarrgemeinden, die urspru¨nglich das soziale Leben organisieren sollten, bald nicht mehr imstande, alle Bedu¨rfnisse ihrer Gemeindemitglieder zu befriedigen. Die Zahl der auf einem relativ kleinen, dicht besiedelten Territorium zusammengedra¨ngten Stadtbevo¨lkerung blieb nicht ohne Einfluss auf die Vielfalt und Dynamik ihrer Lebensstile. Das 14. Jahrhundert war in Krakau ent-

Sta¨dtischer Lebensstil und Fro¨mmigkeit

341

scheidend fu¨r die Herausbildung der sta¨dtischen Kultur. Infolge der Entwicklung des Handels, des Rechtswesens, des religio¨sen Lebens sowie der Verbreitung von Schriftlichkeit unter den Laien bildete sich das Pha¨nomen einer „Bu¨rgerlichkeit“ heraus, das in der weiteren Geschichte der Stadt eine entscheidende Rolle spielen sollte. Einen ganz wesentlichen Bestandteil des sta¨dtischen Lebens bildete die Vielfa¨ltigkeit und Fu¨lle der sozialen Kontakte und Bindungen familia¨rer, beruflicher, nachbarschaftlicher oder auch nationaler Natur sowie die Entstehung mehr oder weniger formaler Vereine im Rahmen der Stadtgemeinde.12 Angesichts der Popularisierung des neuen Modells der Kernfamilie, die in der spa¨tmittelalterlichen Stadt die Oberhand u¨ber die Großfamilie zu gewinnen schien, ersetzten diese neuen, vielfa¨ltigen Netzwerke zwischenmenschlicher Beziehungen die alten Strukturen und intensivierten das soziale Leben. In den Testamenten stoßen wir auf verschiedene Formen und Ebenen solcher Beziehungen, die insofern wesentlich waren, als sie fu¨r die in ihnen aufgefu¨hrten Personen eine Form der Donation gewa¨hrten. Die meisten von ihnen ko¨nnen wir den frommen Verma¨chtnissen zurechnen, was jedoch nicht bedeutet, dass die auf diese Weise aufgedeckten Bindungen ausschließlich religio¨sen Charakter besaßen. Es scheint, dass hier eher von der religio¨sen Form gesprochen werden muss, die in der mittelalterlichen Stadtgemeinde im Grunde jeder Verein annehmen musste. Dies musste so sein, weil der gemeinsame Glaube die Funktion einer allgemein akzeptierten sozialen Ideologie erfu¨llte;13 andererseits war die Entstehung dieser Gemeinschaften aber durch eine lange Reihe von Abha¨ngigkeiten motiviert bzw. „[...] durch die Lebenspraxis selbst, die Notwendigkeit des Zusammenwirkens in vo¨llig diesseitigen Angelegenheiten, durch psychische Bedu¨rfnisse, das Verlangen nach emotionaler ‚Resonanz‘ bei anderen Menschen. Die Sehnsucht nach ‚Teilnahme‘ und Angst vor Isolation stellt eine Quelle aller sozialen Bewegungen dar, die organisatorische Formen annehmen.“14

Pfarrkirchen Wollte ein Krakauer Bu¨rger im 14. Jahrhundert ein frommes Werk zum Heil seiner Seele vollbringen, konnte er hinsichtlich des Empfa¨ngers dieses Werkes aus einem verha¨ltnisma¨ßig breiten Spektrum von Institutionen auswa¨hlen. Bis zum Ende des 13. Jahrhunderts sind innerhalb der Krakauer Siedlungsagglomeration 27 Kirchen errichtet worden, von denen sich 11 auf dem Gebiet der Krakauer Rechtsstadt selbst befanden.15 Im Verlauf des 14. Jahrhunderts wurden 11 Sakralobjekte neu errichtet oder erneuert, so dass es am Ende dieses Jahrhunderts in den drei Lokationssta¨dten Krakau, Kazimierz und Kleparz sowie in ihren Vorsta¨dten Garbary und Stradom ein-

12 Vgl. Hanna Zaremska, Bractwa w s´ redniowiecznym Krakowie [Bruderschaften im mittelalterlichen

´ 1977, S. 164–165. Krakau], Wrocław/Gdansk

13 Vgl. Manikowska, Religijno´sc´ miejska (wie Anm. 2), S. 16–17. 14 Zaremska, Bractwa (wie Anm. 12), S. 165. 15 Vgl. Aleksandra Witkowska, Przestrzen´ sakralna po´zno´ ´ sredniowiecznego Krakowa [Der sakrale

Raum des spa¨tmittelalterlichen Krakau], in: Ecclesia et civitas (wie Anm. 2), S. 37–48, hier S. 39–41.

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schließlich der o¨stlichen Vorstadt an der St.-Nikolai-Kirche bereits 35 Kirchen und Kapellen gab.16 Der Kreis der Gottesha¨user, zu deren Gunsten Donationen geta¨tigt wurden, konnte daru¨ber hinaus noch betra¨chtlich um Kirchen aus anderen, manchmal weit entfernten Sta¨dten erweitert werden, mit denen sich die Testatoren (oft aufgrund ihrer Herkunft) eng verbunden fu¨hlten (belegt etwa fu¨r das nahe gelegene Bodzano´w oder Pielgrzymowice). Unsere Analyse der aus dem 14. Jahrhundert stammenden frommen Verma¨chtnisse ergab, dass 13 Kirchen auf dem Territorium der Krakauer Agglomeration als ihre Benefizienten in Frage kamen (vgl. Tabelle 2). Zu dieser Gruppe geho¨rten sieben Pfarrkirchen, vier davon in den Grenzen der Krakauer Rechtsstadt (Unserer Lieben Frau, St. Stephanus, St. Anna, Allerheiligen) und drei in ihrer unmittelbaren Umgebung (die Wawelkathedrale St. Stanislaus und St. Wenzel,17 die Corpus-Christi-Kirche in Kazimierz und St. Florian in Kleparz). Die u¨brigen sechs Kirchen geho¨rten dagegen zum Ordensklerus: den Franziskanern (St. Franziskus), den Dominikanern (Dreifaltigkeitskirche), den Augustiner-Eremiten (St. Katharina), den Regularkanonikern (St. Markus), den Rittern vom Heiligen Grab aus Miecho´w (Spitalkirche St. Hedwig) sowie den Klarissen (St. Andreas). Tab. 2: Krakauer Kirchen als Benefizienten frommer Verma¨chtnisse im 14. Jahrhundert Kirche

Charakter der Kirche

St. Marien St. Franziskus Dreifaltigkeit St. Stephan Corpus Christi Allerheiligen St. Stanislaus (Wawelburg) St. Anna St. Markus St. Katherina St. Florian St. Hedwig St. Andreas

Pfarrkirche Franziskaner Dominikaner Pfarrkirche Pfarrkirche Pfarrkirche Pfarrkirche Pfarrkirche Augustiner-Bu¨ßerkirche Augustiner-Eremiten Pfarrkirche Wa¨chter vom Hl. Grab Klarissen

Zahl der Verma¨chtnisse 20 6 6 4 2 3 2 1 1 1 1 1

Im 14. Jahrhundert wurde die Pfarrkirche St. Marien in den Rang einer Stadtkathedrale erhoben; ihr Pfarrer erhielt den Titel eines Archipresbyters und damit die Oberhoheit u¨ber alle anderen Krakauer Gemeindepfarrer.18 In den untersuchten Quellen 16 Vgl. ebd. 17 Die Kathedrale St. Wenzel diente als Pfarrkirche fu¨r die Bewohner des Wawelhu¨gels: des Hofes, sei-

ner Beamten und seiner Dienerschaft sowie der milita¨rischen Besatzung; vgl. Zaremska, Bractwa (wie Anm. 12), S. 32. 18 Vgl. El˙zbieta Piwowarczyk, Dzieje ko´scioła Mariackiego (XIII–XVI w.) [Geschichte der Marienkirche (13. – 16. Jahrhundert)], Krako´w 2000, S. 121.

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Abb. 1: Kirchen und Kapellen der Krakauer Siedlungsagglomeration im 15. Jahrhundert 1 – St. Agnes; 2 – St. Andreas; 3 – St. Anna; 4 – St. Augustinus und Johannes der Ta¨ufer; 5 – St. Barbara; 6 – St. Benedikt; 7 – St. Bernhard; 8 – Corpus-Christi; 9 – Heiliggeist; 10 – St. Philipp und Jakob d. J.; ¨ gidius; 15 – St. Hedwig; 11 – St. Florian; 12 – St. Franziskus; 13 – St. Gertrud; 14 – St. A ¨ .; 17 – St. Johannes der Ta¨ufer; 18 – St. Georg; 19 – St. Katharina; 20 – Heiligkreuz; 16 – St. Jakob d. A 21 – Heiligkreuz (Leiden Christi); 22 – St. Leonard; 23 – St. Mattha¨us; 24 – St. Margareta; 25 – St. Martin; 26 – St. Markus; 27 – St. Magdalena; 28 – Erzengel Michael; 29 – St. Michael und St. Stanislaus; 30 – St. Nikolai; 31 – Maria Heimsuchung; 32 – St. Petrus; 33 – St. Petrus; 34 – St. Slavator; 35 – St. Stephan; 36 – Dreifaltigkeit; 37 – St. Wenzel und Stanislaus (Kathedrale); 38 – St. Valentin; 39 – St. Laurentius; 40 – Maria Himmelfahrt; 41 – St. Adalbert; 42 – Allerheiligen ´ sredniowiecznego Krakowa (wie Anm. 15), S. 38 Quelle: nach Witkowska, Przestrzen´ sakralna po´zno´

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wird die Ehrfurcht und Fu¨rsorge deutlich erkennbar, die die Krakauer ihrem wichtigsten Gotteshaus entgegenbrachten. Es wurde 12 Mal in den Testamenten und 8 Mal in anderen frommen Verma¨chtnissen erwa¨hnt. Die meisten Stifter beließen es bei einer allgemeinen Definition der „der Kirche“ vermachten Summe. Einige von ihnen aber machten in ihren Verma¨chtnissen detaillierte Angaben und bestimmten das Geld fu¨r konkrete, mit der Liturgie verbundene Gegensta¨nde wie z. B. Kerzen, fu¨r die Stiftung eines neuen oder die Unterstu¨tzung eines bereits existierenden Altars, fu¨r Ewige Messen oder die Unterstu¨tzung der an der Kirche bestehenden Bruderschaft. Ganz sicher resultierte die große Zahl von Verma¨chtnissen fu¨r die Marienkirche u. a. aus der Spezifik des Kreises der Testatoren, unter denen Angeho¨rige des sta¨dtischen Patriziats dominierten. Dieses bevorzugte fu¨r seine frommen Stiftungen bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts die Marien-Pfarrkirche. Das war indirekt auch eine Folge der Gro¨ße dieser Pfarrei, die – nach den 1327 von Bischof Jan Grot abgesteckten Grenzen – den am dichtesten besiedelten Teil der Stadt einschließlich der sich la¨ngs des Ringplatzes und des Kleinen Marktes hinziehenden Parzellen sowie des gro¨ßeren Teils der Floriansgasse umfasste.19 Von ebenso großer Bedeutung waren jedoch die seit der zweiten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts unternommenen Bemu¨hungen wohlhabender Bu¨rger sowie von Vertreter des Stadtrates, dieses Gotteshaus durch zahlreiche Stiftungen gegenu¨ber den u¨brigen Krakauer Kirchen herauszuheben und dann das Patronatsrecht u¨ber sie zu u¨bernehmen,20 wodurch sie vom Bischof unabha¨ngig werden und zu einer Art Repra¨sentativkirche fu¨r eine bestimmte Schicht des reichen Bu¨rgertums gemacht werden sollte. Was die frommen Verma¨chtnisse fu¨r die u¨brigen Krakauer Pfarrkirchen betrifft, so ko¨nnen wir (insbesondere wenn diese deren einzige Benefizienten waren) annehmen, dass sie von weniger wohlhabenden Bu¨rgern geta¨tigt wurden, die den entsprechenden Pfarreien angeho¨rten. Das belegen u. a. Eintragungen, die von Schenkungen eines Nikolaus Tkacicz und Paul Gemelka berichten, die ihre an der Burggasse ¨ hnlich verhielt sich gelegenen Ha¨user der Allerheiligen-Pfarrkirche vermachten.21 A Tworsiani Łopatka, der 1395 ein am Judentor (Schustertor) stehendes Haus testamentarisch vergab, das sich in der Na¨he der Pfarrkirche St. Anna befand.22 Die Verma¨chtnisse fu¨r die u¨brigen Pfarrkirchen der Krakauer Agglomeration (St. Florian, Corpus Christi) standen in den Testamenten neben a¨hnlichen Donationen zugunsten anderer 19 Vgl. Zaremska, Bractwa (wie Anm. 12), S. 32. 20 Diese Bemu¨hungen endeten mit einem nur teilweisen Erfolg; Zaremska, Bractwa (wie Anm. 12)

S. 37–38, bemerkt: „Die in den neunziger Jahren des 14. Jahrhunderts unternommenen Bemu¨hungen um das Patronatsrecht endeten zwar mit einem Misserfolg, aber es wurden viele andere Privilegien gewonnen, wie das Recht auf Benutzung des tragbaren Altars, das Patronat u¨ber mehrere Alta¨re sowie die Erlaubnis zur Anstellung eines Ku¨sters. Der Rat bekam Einfluss auf die Verwaltung des Altaristenhauses und die Pfarrschule. Das Gefu¨hl des ‚Eigentums‘, das seine Mitglieder der Marienkirche gegenu¨ber empfanden, fand seinen Ausdruck in dem Brauch, aus seinem Kreis zwei Provisoren zu berufen, die fu¨r die Befriedigung selbst so geringfu¨giger Bedu¨rfnisse der Kirche sorgen sollten wie die Versorgung mit Messwein.“ Vgl. auch Piwowarczyk, Dzieje (wie Anm. 18), S. 123. 21 Vgl. das fromme Verma¨chtnis von Nikolaus Tkacicz vom 19. Februar 1367, Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 14, sowie die Information u¨ber das Testament von Paul Gemelka vom 11. August 1376, ebd., S. 145–146. 22 Vgl. ebd., S. 272.

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Kirchen, so dass wir annehmen ko¨nnen, dass der Pfarrzugeho¨rigkeit in diesen Fa¨llen keine gro¨ßere Bedeutung zukam. Diese Verma¨chtnisse zeugen von einem recht allgemeinen Bestreben nach Mehrung der Zahl der beschenkten Kirchen, was die Chance auf fortwirkende Memoria vergro¨ßern sollte. Bei den Verma¨chtnissen zugunsten Krakauer Kirchen u¨berrascht das Fehlen der zum Heiliggeistorden geho¨renden Heiligkreuz-Pfarrkirche.23 Der Orden der Regularkanoniker vom Heiligen Geist de Saxia, der 1221 zuna¨chst in dem bei Krakau gelegenen Pradnik ˛ angesiedelt, 1244 dann in das Gebiet der Rechtsstadt verlegt und dort bei der Kirche zum Heiligen Kreuz ansa¨ssig wurde, ku¨mmerte sich auch um das Krakauer Spital (1333 wird erstmals als zweite Kirche des Ordens die Spitalkirche zum Heiligen Geist erwa¨hnt).24 Das Fehlen frommer Verma¨chtnisse fu¨r die Heiligkreuzkirche mochte aus dem beschra¨nkten innersta¨dischen Territorium (mit einem entsprechend geringeren Stifterpotential) resultiert haben.25 Es kann aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass die (im Vergleich zu anderen kirchlichen Einrichtungen) vergleichsweise große Zahl frommer Verma¨chtnisse zugunsten des Heiliggeist-Spitals als Stiftungen verstanden wurden, die dem gesamten vom Heiliggeistorden geleiteten Klosterkomplex, einschließlich der Pfarrkirche zum Heiligen Kreuz, zugedacht waren.26

Spita¨ler Im Vergleich zu testamentarischen Donationen fu¨r Kranke und Arme ist bei „Schen¨ bergewicht von kungen fu¨r den Fall des Todes“ ein betra¨chtliches zahlenma¨ßiges U Verma¨chtnissen fu¨r diesen Zweck zu beobachten (18 zu 6). Gewo¨hnlich werden diese als Donation „fu¨r die Kranken im Spital“ (infirmis in hospitali) oder ganz einfach „fu¨r das Spital“ (ad Hospitalet) bezeichnet; manchmal wird pra¨zisierend hinzugefu¨gt: „fu¨r das Krakauer Heiliggeistspital“ (ad hospitalem in Cracovia Sancti Spiritus). Die Popularita¨t frommer Verma¨chtnisse fu¨r diese kirchliche Einrichtung (die 23 Im Jahre 1327 wurden durch ein bischo¨fliches Edikt die territorialen Grenzen von vier Krakauer

Pfarreien abgesteckt. Dabei handelte es sich um die Pfarreien Unserer Lieben Frau, Heiligkreuz, Allerheiligen sowie St. Stephan; vgl. Kodeks Dyplomatyczny miasta Krakowa (wie Anm. 4), Teil 3, Nr. CCCVLXXV, S. 499–500. Ein fu¨nfter Pfarrbezirk wurde fu¨r die vor 1381 erbaute St.-Anna-Kirche geschaffen, die vollsta¨ndig niederbrannte und zu Beginn des 15. Jahrhunderts wiederaufgebaut wurde. 24 Vgl. Jerzy Rajman, Krako´w. Zespo´ł osadniczy, proces lokacji, mieszczanie do roku 1333 [Krakau. Das Siedlungsensemble, der Lokationsprozess und die Stadtbu¨rger bis zum Jahre 1333], Krako´w 2004, S. 166–167. 25 Das Gebiet der Pfarrei grenzte innerhalb der Stadt auf zwei Seiten an die Stadtmauer, auf den u¨brigen an die Pfarrei von St. Marien. Aber das Territorium der Pfarrei umfasste auch das Dorf Pradnik ˛ Biały, in dem zuvor die Mo¨nche vom Heiliggeistorden angesiedelt waren; vgl. Zaremska, Bractwa (wie Anm. 12), S. 33. 26 Das Pha¨nomen, dass diese Institutionen miteinander gleichgesetzt wurden, wird auch in einer der Notizen aus den Roczniki Kro´lestwa Polskiego [Annalen des Ko¨nigreiches Polen] sichtbar; vgl. Raj¨ hnliche Bemerkungen macht auch Piwowarman, Krako´w. Zespo´ł osadniczy (wie Anm. 24), S. 167. A czyk, Legaty testamentowe (wie Anm. 8), S. 82, die u¨ber die Dotation fu¨r das Spital schreibt: „Sicher war hier die Heiligkreuzkirche gemeint, die manchmal mit der Spitalkirche zum Heiligen Geist identifiziert wurde.“

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hier mit dem Wirken des Heiliggeistordens identifiziert wird) resultierte aus ihrer Evangelisierungsta¨tigkeit und deren Botschaft. Sowohl die Worte Christi „Gebt ihr ihnen zu essen!“ (Mt 14, 16)27 als auch der sich durch alle Heiligenviten ziehende Aufruf, Armen und Kranken Nahrung und Kleidung zu verschaffen, fu¨hrten ganz klar die grundlegenden Pflichten des Christen im Rahmen der heilsnotwendigen Werke der Barmherzigkeit vor Augen. Viele Bu¨rger ließen es bei einem Verma¨chtnis fu¨r das Spital oder manchmal ganz allgemein „fu¨r die Armen“ bewenden, aber ein Teil von ihnen disponierte im Sinne dieser Mission genauer u¨ber seine materiellen Mittel. Der fromme Martin Junge entschied, dass nach seinem Tode aus den Zinseinnahmen seines Erbteils jedes Jahr 4 Ballen Tuch gekauft werden sollten, von denen die Armen jedes Vierteljahr ein Stu¨ck erhalten sollten, zusammen mit einer fu¨r Nahrung bestimmten Mark.28 Von einem a¨hnlichen Bedu¨rfnis ließ sich auch Gertrud leiten, die Witwe des Scho¨ffen Nikolaus von Kreuzburg (de Cruceburg), die die Ha¨lfte ihres Kramladens u. a. fu¨r die Speisung der Armen (pauperibus pascendis) bestimmte,29 sowie Hensil Schoenbil, der fu¨r denselben Zweck 10 Mark bestimmte.30 Gut durchdachte Verma¨chtnisse fu¨r Arme und Kranke ta¨tigte auch Dorothea Banarika, die Witwe des Kra¨mers Martin, die in der ersten Version ihres Testaments verfu¨gte, dass fu¨r 10 Mark Bier fu¨r das Heiliggeistspital gekauft werden sollte. In der zweiten Version erweiterte sie dieses Verma¨chtnis dann um weitere 10 Mark fu¨r Tuch und Schuhwerk fu¨r die Armen (pauperibus ad pannum et calceos), und in der dritten ließ sie es bei ihrem vorherigen Verma¨chtnis fu¨r Bier bewenden, vielleicht weil ihre Donation fu¨r die Kleidung der Armen schon zu Lebzeiten realisiert wurde.31 Trotz des karitativen Charakters dieser Verma¨chtnisse gingen deren grundlegende Bedeutung und die Absichten der Testatoren nicht u¨ber den Rahmen der „Heilso¨konomie“ hinaus. Unmittelbar erwa¨hnt wird dies im Fall der „Schenkung fu¨r den Fall des Todes“ von Heinrich Doring, der fu¨r sein Seelenheil 10 Mark fu¨r die Kranken im Spital spendete (pro salute sue anima),32 sowie in der Schenkung von Johannes Swob, der verfu¨gte, dass im Falle des Todes seiner Kinder die Zinsen fu¨r das Spital „zum Heil ihrer Seelen“ gezahlt werden sollten (in ipsorum remedium animarum).33 Eine Besonderheit unter den testamentarischen Verfu¨gungen bildet das Fragment des letzten Willens von Gottfried von Genua, in dem er dem Heiligkreuzspital in Bochnia vier Bergma¨nner (die otroki [Knechte] genannt wurden) vermachte.34 Sie sollten fu¨r dieses Spital und die in ihm darniederliegenden Bergleute arbeiten, die

27 Zitiert nach der deutschen katholischen Einheitsu¨bersetzung. 28 Vgl. [...] zundir von dem czinse sal man alle jar vier tuch sneiden armen leuthen, ie dy quatemper eyn

tuch, vnde eine marg arme leuthe czu speisen, vnde das sal ewig bleiben; Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 235–236. 29 Najstarsze ksiegi (wie Anm. 1), Teil 1, S. 172. 30 Vgl. Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 93. 31 Vgl. Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 242–243, 247, 275. 32 Ebd., S. 42. 33 Ebd., S. 72. 34 Das waren in Salzbergwerken bescha¨ftigte nichtprivilegierte Salzhauer; vgl. Dzieje zup ˙ krakowskich [Die Geschichte der Krakauer Salzgruben], Wieliczka 1988, S. 129–130.

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bei der schweren Arbeit im Salzbergwerk ihre Gesundheit verloren hatten.35 Dieses Spital war 1357 von Kasimir dem Großen eben fu¨r verkru¨ppelte Bergleute gestiftet worden; zu seiner Versorgung wurden die gesamten Einku¨nfte aus der Arbeit zweier Salzbergma¨nner aus jeder Grube der Stadt Bochnia bestimmt.36 Angesichts dessen stellte Gottfrieds Legat eine genero¨se Bereicherung der bereits nach denselben Prinzipien existierenden ko¨niglichen Stiftung dar.37

Bettelorden Das ganze 14. Jahrhundert hindurch erfreuten sich unter den Bu¨rgern die in der ersten Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts nach Krakau geholten Bettelorden der Franziskaner (1237) und der Dominikaner (um 1241) großer Popularita¨t. Aufgrund ihrer engagierten Seelsorge und Predigten stellten sie anfangs eine ernsthafte Konkurrenz fu¨r den Pfarrklerus dar. Mit der Zeit integrierten sie sich gleichwohl vo¨llig in die Spezifik und das Kolorit bu¨rgerlicher Religiosita¨t. Bereits das erste erhaltene Krakauer Testament der Bu¨rgerin Sulisława enthielt großzu¨gige Verma¨chtnisse fu¨r die Krakauer Mendikanten. Ihre Vertreter, der Prior der Dominikaner und der Guardian der Franziskaner (sowie die Krakauer Ratsherren) waren gewiss anwesend bei der Abfassung dieser letztwilligen Verfu¨gung, da sie an sie zur Beglaubigung ihr Siegel anha¨ngten.38 Einzelne Verma¨chtnisse galten auch Konventen der erst spa¨ter nach Krakau geholten Bettelorden: der Klarissen von St. Andreas,39 der Augustiner-Eremiten von St. Katharina in Kazimierz40 sowie der als Markus- oder Ho¨rneraugustiner bezeichneten Mo¨nche (deren Namen von ihrem Patron bzw. von der charakteristischen Form ihrer Hu¨te abgeleitet war).41 Nur eines der belegten Legate bezog sich auf die Ritter vom Heiligen Grab aus Miecho´w. Die von diesem Orden betreute Hedwigs-Kirche in Stradom wurde hier nicht namentlich erwa¨hnt, doch ist anzunehmen, 35 Vgl. ebd., S. 182–185: Famulos vero quatuor in montibus Bochne existentes, vulgariter otroki dictos,

pro speciali pauperum et infirmorum consolacione et maxime, qui in eisdem montibus laborantes aut scandentes lesi fuerint, hospitali Bochnensi sancte Crucis et eisdem pauperibus in eo degentibus tribuis. 36 Der Originaltext und die [polnische] U ¨ bersetzung des Stiftungsprivilegs dieses Spitals publiziert bei ˙ ´ Stanisław Fischer, Dzieje bochenskiej zupy solnej [Die Geschichte der Salzgrube in Bochnia], Warszawa 1962, S. 150–152. 37 Gottfried Factinanti, auch bekannt als Gotfryd Gallicus, war an der Entstehung des Bergwerksgesetzes von 1368 beteiligt. Seit diesem Jahr wird er auch als Zupparius von Bochnia erwa¨hnt (zupparius salis genheralis Bochne et Wieliczcze); vgl. Jan Pta´snik, Kultura włoska wieko´w s´ rednich w Polsce [Die italienische Kultur des Mittelalters in Polen], Warszawa 1922, S. 32–33. 38 Vgl. vt autem hec ordinacio firma et immobilis perseueret, presentem literam sigillis Religiosorum virorum, videlicet prioris ordinis predicatorum, Guardiani ordinis minorum et honorabilium virorum ciuium cracouiensium feci robotari; Kodeks Dyplomatyczny miasta Krakowa (wie Anm. 4), Teil 3, Nr. CCCLXVIII, S. 493–494. 39 Vgl. das Verma¨chtnis vom 28. September 1369: [...] ad sanctum Andream moniabilus; Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 50. 40 Vgl. das Verma¨chtnis vom 5. Februar 1394: fratribus Augustinensibus ad sanctam Katherinam in Kazimiria, das in allen drei Versionen des Testaments von Dorothea Banarika, der Witwe des Kra¨mers Nikolaus, vorkommt, ebd., S. 242–243, 247, 275. 41 Vgl. das Verma¨chtnis vom 21. Juli 1396: ad ecclesiam sancti Marci, ebd., S. 302.

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dass das Haus des Scholaren Maczek gerade fu¨r sie bestimmt war.42 Ein charakteristisches Merkmal der Donationen fu¨r die Krakauer Orden bildete der Umstand, dass sie gewo¨hnlich mit Verma¨chtnissen fu¨r andere Kirchen einhergingen und diese gewissermaßen erga¨nzten. Bestimmte jemand seine Gu¨ter gleichzeitig fu¨r zwei oder drei Klo¨ster, dann erhielten diese gewo¨hnlich den gleichen oder a¨hnlichen Teil der verfu¨gten Gu¨ter; das mag dafu¨r sprechen, dass Bu¨rger ungern die Institutionen untereinander bewerten wollten.43

Kirchen außerhalb der Krakauer Agglomeration Außerhalb des Territoriums der Krakauer Agglomeration, jedoch in ihrer unmittelbaren Umgebung, befanden sich zwei alte, sehr wichtige religio¨se Zentren: die westlich der Stadt gelegene Benediktinerabtei in Tyniec und im Osten die Zisterzienserabtei in Mogiła. Ihr Einfluss auf das religio¨se Leben der Stadt muss recht stark gewesen sein, wovon die Praxis der Bu¨rger zeugt, fromme Legate auch fu¨r diese Einrichtungen zu ta¨tigen. Der Krakauer Scho¨ffe und Ratsherr Johannes Oderer, der in seinem Testament den Tod seines Erben beru¨cksichtigte, entschied sich fu¨r diesen Fall, einen Teil seiner Gu¨ter u. a. fu¨r den Bau oder die Renovierung des Gewo¨lbes des Kreuzganges der Abtei in Mogiła zu bestimmen.44 Von der Erfu¨llung einer anderen testamentarischen Verfu¨gung erfahren wir aus einer Notiz, in der Bruder Stephan, ein Benediktiner aus Tyniec, die Bezahlung des diesem Kloster durch ein Haus in der Burggasse vermachten Geldes bezeugt.45 Leider kennen wir in diesem Fall den Namen des Spenders nicht. Der besta¨ndige Zuzug nach Krakau, sowohl aus nahegelegenen Do¨rfern und Kleinsta¨dten als auch aus weit entfernten Sta¨dten außerhalb des Ko¨nigreiches Polen, fu¨hrte dazu, dass viele Krakauer Bu¨rger den Kontakt mit ihrem fru¨heren Wohnort aufrechterhielten. Dies hing gewo¨hnlich damit zusammen, dass man in diesen Orten 42 Wahrscheinlicher ist wohl, dass diese Donation eher fu¨r die Krakauer Ritter vom Heiligen Grab an

der St.-Hedwigs-Kirche bestimmt war, statt fu¨r diejenigen aus dem verha¨ltnisma¨ßig weit entfernt gelegenen Kloster in Miecho´w; vgl. das Verma¨chtnis vom 14. April 1396: Philippus procurator prepositi Mechouiensis, nomine domini sui, domum olym Maczonis Scolaris, ad monasterium Mechouiense testamentaliter legatam, ex opposite valve sancti Floriani, Blasio fabro resignavit et promisit, ebd., S. 295. 43 Im Verma¨chtnis des Zupparius Paszko erhielten die Franziskaner und die Dominikaner je 10 Mark, Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 1), Teil 1, S. 196. Sulisława vermachte den Franziskanern zwar eine Bank, aber der Kramladen sollte zur Ha¨lfte zwischen die Minderbru¨der und die Dominikaner aufgeteilt werden, Kodeks Dyplomatyczny miasta Krakowa (wie Anm. 4), Teil 3, Nr. CCCLXVIII, S. 493–494. Klara, die Witwe von Johann Hobschbecke, vermachte den Franziskanern und den Klarissen je 1 Mark, Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 50. Und Dorothea Banarika vermachte in der ersten Version ihres Testaments den Franziskanern, den Dominikanern und den Augustiner-Eremiten je 4 Mark; in der zweiten Version sollten die Dominikaner 2 Mark bekommen und die u¨brigen Gemeinschaften soviel wie vorher – je 4 Mark. In der dritten Version schließlich erhielten alle drei Orden jeweils 2 Mark, ebd., S. 242–243, 247, 275. 44 Vgl. czur Mogil czum gewelbe des crucegangis, Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 214. 45 Vgl. ebd., S. 173: Frater Steffanus ordinis Tinciensis recognovit ex parte abbatis et conventus de Tincia, quod Heyriricus Parlirer XXX mrc. racione cuiusdam testamenti, quas super sua domo in plathea Castrensi, quam inhabitat, habere dinoscebatur, eisdem debitas monachis omnimode persolvit et satisfecit.

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noch Verwandte hatte, manchmal auch Immobilien oder Zinseinnahmen, und die Erinnerung an die fru¨here Pfarrkirche oder andere sich dort befindende Kirchen weiterhin lebendig blieb. In den Testamenten begegnen alle erwa¨hnten Arten von Verbindungen Krakauer Einwohner mit anderen Sta¨dten. Es scheint, dass die Verbundenheit mit der fru¨heren Pfarrgemeinde aufgrund ihrer Uneigennu¨tzigkeit am sta¨rksten emotional aufgeladen war. Dies war sicher auch bei einer gewissen Czenke Katusza (Katharina Czenke?) der Fall, die den Pfarrer der Kirche im nahegelegenen Bodzanowice zum Vollstrecker ihres letzten Willens bestimmte und ihm ihre perso¨nlichen Dinge anvertraute (omnia supellectilia rade dicta), damit dieser die Schulden bezahlen und den Rest fu¨r fromme Werke bestimmen konnte.46 Interessant ist auch das Beispiel von Dorothea, der Gattin von Nikolaus Kestener. Vor ihrer Abreise aus Krakau ta¨tigte sie vor dem Krakauer Stadtrat ein vorsorgliches Verma¨chtnis. Darin ernannte sie einen der Ratsherren zum Vollstrecker ihres letzten Willens fu¨r den Fall ihres Todes auf dem Wege nach Thorn47 und verfu¨gte u¨ber ihre Gu¨ter, indem sie u. a. anordnete, alle kostbaren silbernen Gegensta¨nde einzuschmelzen und daraus als Geschenk fu¨r die Kirche in Pielgrzymowice einen Kelch gießen zu lassen.48 Obwohl sich der Testator Johann Willusch aus Zator fu¨r die großzu¨gige Stiftung einer Ewigen Messe in der Marienkirche entschieden hatte, vergaß er dennoch nicht eine zusa¨tzliche Donation fu¨r das Spital in seiner Heimatstadt Zator.49 Von weniger augenfa¨lligen Verbindungen des Krakauer Ratsherrn Gottfried Factinanti aus Genua mit der Kathedrale in Przemy´sl zeugt das zu deren Gunsten geta¨tigte testamentarische Verma¨chtnis. Unter vielen anderen in seiner letztwilligen Verfu¨gung erwa¨hnten Donationen fand sich auch die Bestimmung, die aus der ko¨niglichen Schuld stammende betra¨chtliche Summe von 1205 Mark fu¨r die „Neugru¨ndung der wunderbaren Przemy´sler Kathedralkirche gegen die in ihrer Umgebung lebenden Schismatiker sowie ihre Vergro¨ßerung und reiche Ausstattung“ zu verwenden.50 Als Gegenleistung wu¨nschte er sich in dieser Kirche in allen Gebeten und Messen ein ewiges Geda¨chtnis der Ko¨nige Kasimir des Großen und Ludwig von Anjou sowie dessen Mutter Elisabeth, aber auch das Andenken an sich selbst, den Stifter dieser memoria.

Religio¨se Bruderschaften Die im 14. Jahrhundert entstehenden ersten religio¨sen Bruderschaften auf dem Gebiet der Krakauer Agglomeration (Unserer Lieben Frau an der Marienkirche, 46 Vgl. das Verma¨chtnis vom 17. Mai 1392, ebd., S. 179. 47 Dies ist immerhin ein interessantes Beispiel fu¨r das Gefu¨hl des Raumes und einer Entfernung, die im

Bewusstsein der Menschen des Mittelalters schon als sehr beschwerlich und gefa¨hrlich empfunden wurde. 48 Ho¨chstwahrscheinlich handelt es sich hier um das auf dem Gebiet des damaligen Fu¨rstentums Pless gelegene Pielgrzymowice, vgl. Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 1), Teil 2, S. 144–145. 49 Vgl. ebd., S. 115 (Verma¨chtnis vom 4. September 1394). 50 [...] vt nouella ac nouiter inhoata diuinitus Premislensis Cathedralis Ecclesia contra schismaticos in illis partibus degentes valeat instaurari, ac in suis augmentacionum et prouentuum condicionibus feliciter abundare, ipsi Premisliensi Ecclesie (vom 15. Dezember 1393), Kodeks dyplomatyczny katedry krakowskiej s´ w. Wacława (wie Anm. 4), Teil 2, S. 182–185.

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St. Ursula an der Stephanskirche und die Bruderschaft vom Allerheiligsten Sakrament an der Corpus-Christi-Kirche in Kazimierz) hatten eine intensivere Teilnahme der Bu¨rger am Leben der Kirche zum Ziel und stellten gleichzeitig eine Reaktion auf das deutliche Anwachsen des religio¨sen Bewusstseins der Bu¨rger und ihr Bedu¨rfnis nach tieferem und ha¨ufigerem Erleben des eigenen Glaubens dar.51 Wie es scheint, war trotz der rapide zunehmenden Popularita¨t dieser Form der Fro¨mmigkeit der Kreis der in Bruderschaftskorporationen organisierten Krakauer Bu¨rger im Verlauf des 14. Jahrhunderts immer noch recht beschra¨nkt. Davon zeugt u. a. die Zahl von gerade einmal 17 namentlich bekannten Personen, die im Jahre 1410 die St.-Sophien-Bruderschaft gru¨ndeten.52 Die am fru¨hesten bezeugte Bruderschaft auf dem Gebiet der Krakauer Rechtsstadt trug das Patrozinium Unserer Lieben Frau, genauso wie die Marienkirche, an der sie entstanden war. Zweifellos besaß sie elita¨ren Charakter, was u. a. die zahlreichen in ihren Mitgliederverzeichnissen erwa¨hnten Namen von Vertretern des Krakauer Patriziats, ihr Reichtum sowie die weiteren Geschicke dieser Gemeinschaft belegen.53 In einem dieser Verzeichnisse aus dem Krakauer Scho¨ffenbuch lesen wir außerdem, dass Margarethe, die Witwe des Nikolaus von Ohlau, der Bruderschaft auf der Burg (fraternitatem in Castro) zwei Mark Zinsen verschrieb,54 ho¨chstwahrscheinlich in Erfu¨llung des letzten Willens ihres verstorbenen Gatten. Leider verfu¨gen wir u¨ber keine weiteren Informationen u¨ber das Funktionieren dieser sicher mit der Kathedrale St. Stanislaus und Wenzel verbundenen Kongregation.55 Obwohl die Existenz der Bruderschaft Unserer Lieben Frau urkundlich erst zum Jahr 1383 belegt und ihr Statut zusammen mit der Liste der ihr angeho¨renden Bru¨der und Schwestern erst hundert Jahre spa¨ter entstanden ist, verfu¨gen wir zum Glu¨ck u¨ber ein aus der Wende der 1360/70er Jahre stammendes Bruderschafts-Nekrologium.56 Dieses außergewo¨hnliche Dokument mit dem Titel Nomina defunctorum Fraternitatis Ecclesiae Beate Virginis Marie Cracoviensis entha¨lt eine lange Liste mit den Vor- und Nachnamen der Bru¨der und Schwestern, angefangen von Ko¨nig Kasimir dem Großen und seinen Nachfolgern auf dem Thron des Ko¨nigreiches Polen.57 Bei diesem Totenbuch handelt es sich nicht nur um ein nach Todesdaten geordnetes, einfaches Verzeichnis der verstorbenen Mitbru¨der; vielmehr tra¨gt es eher den Charakter einer Liste von Personen, fu¨r deren Seelenheil Geda¨chtnismessen in der Bruderschaft bezahlt wurden.58 Daher wissen wir, dass es einerseits nicht nur Mitglie-

51 Vgl. Zaremska, Bractwa (wie Anm. 12), S. 112. 52 Ebd., S. 81. 53 Vgl. Jo´zef Mitkowski, Ksi˛ega zmarłych bractwa ko´scioła Panny Marii w Krakowie (wiek XIV–XVIII)

[Das Totenbuch der Bruderschaft an der Kirche Unserer Lieben Frau in Krakau], in: Studia Historyczne 11 (1968), 1, S. 71–95, hier S. 78; Zaremska, Bractwa (wie Anm. 12), S. 68–70. 54 Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 293. 55 Diese ist nicht erwa¨hnt bei Zaremska, Bractwa (wie Anm. 12). 56 Vgl. Mitkowski, Ksi˛ega (wie Anm. 53), S. 77; Zaremska, Bractwa (wie Anm. 12), S. 48. 57 Dieses Buch entstand zu Beginn des 16. Jahrhunderts, aber ihm wurde eine Liste der seit etwa 1370 verstorbenen Mitglieder der Gemeinschaft hinzugefu¨gt und es wurde dann noch bis ins Jahr 1730 weitergefu¨hrt; Mitkowski, Ksi˛ega (wie Anm. 53), S. 74, 76. 58 Davon zeugen die der Reihe nach aufeinanderfolgenden Vornamen der Mitglieder der einzelnen Fami¨ berzeugend sind dieslien, aber auch die zweifachen Eintragungen derselben Person in diesem Buch. U

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der der Bruderschaft verzeichnet, sondern auch deren Familienmitglieder, und vielleicht auch nicht mit der Kongregation verbundene Mitbu¨rger, die ihr die Sorge um das Gebet fu¨r ihr Seelenheil anvertraut hatten, andererseits aber zweifellos kein vollsta¨ndiges Verzeichnis aller Bruderschaftsmitglieder darstellt.59 Wesentlich fu¨r unsere Feststellungen ist jedoch die Tatsache, dass die Liste der Verstorbenen in chronologischer Ordnung angelegt wurde,60 d. h. fu¨r eine anna¨hernde Feststellung des Todesdatums der betreffenden Person verwendet werden kann. Vielleicht wird es dadurch mo¨glich sein, in einzelnen Fa¨llen die Zeit zu bestimmen, die von der Abfassung des Testaments bis zum Tode des Testators und danach bis zum Zeitpunkt der Erfu¨llung seines letzten Willens verging. Auch wenn die Todesdaten im Nekrologium nicht angegeben sind, ko¨nnen wir dank der Erwa¨hnung von Martin, eines Dieners des Ratsherrn Nikolaus Dambraw, anna¨hernd die Zahl der in ihm erfassten Personen bestimmen, die in den Jahren 1370 bis 1396 verstorben sind. Im Scho¨ffenbuch ist na¨mlich eine Notiz vom 23. Februar 1396 u¨ber die Erfu¨llung des Testaments eben dieses Martin erhalten,61 und vier Stellen weiter findet sich der Name von Nikolaus Dambraw selbst, der Mitte Februar 1397 ganz bestimmt noch am Leben war.62 Auf dieser Grundlage ko¨nnen wir davon ausgehen, dass – wenn die erwa¨hnten Personen tatsa¨chlich strikt chronologisch geordnet sind – im Totenbuch bis Ende 1396 ungefa¨hr 116–119 Namen von Bu¨rgern verzeichnet waren. Von ihnen sind 10 Personen in der Gruppe der Testatoren erwa¨hnt63 und fu¨nf in jener Gruppe, die eine andere Form frommer Verma¨chtnisse ta¨tigte.64 Dazu geho¨rten drei Ratsherren und eine Ratsherrngattin,65 fu¨nf Scho¨ffen und der Vater eines Scho¨ffen66 sowie fu¨nf Personen ohne ausdru¨ckliche Verbindung mit den sta¨dtischen Beho¨rden. Dies besta¨tigt den bereits fru¨her beobachteten elita¨ren Charakter sowohl der Bruderschaft Unserer Lieben Frau selbst als auch des Kreises der Testatoren, der hier um einige Personen erweitert wurde, die fromme Verma¨chtnisse ta¨tigten. Erstaunlich ist, dass nicht alle von den im Nekrologium der Bruderschaft Unserer Lieben Frau erwa¨hnten 16 Personen Verma¨chtnisse zugunsten dieser Bruderschaft oder nicht einmal zugunsten der Marienkirche ta¨tigten. Zu denen, die sie in ihren

bezu¨glich auch die ha¨ufigen Erwa¨hnungen, wessen Sohn, Vater oder Vetter die betreffende Person war; vgl. Zaremska, Bractwa (wie Anm. 12), S. 71. 59 Dies beweist der Vergleich der Namen aus dem Totenbuch mit der Liste der Bruderschaftsmitglieder im Jahre 1481; ebd., S. 71. 60 Zaremska, Bractwa (wie Anm. 12), S. 71 stellt fest: „Der urspru¨ngliche Text wurde abgeschrieben, vielleicht mit Auslassungen, aber ohne Umstellungen.“ 61 Vgl. Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 1), Teil 2, S. 142. 62 In der vorletzten Notiz aus diesem Scho¨ffenbuch erscheint Nikolaus Dambraw als Bevollma¨chtigter des Herzogs Johann von Masowien; vgl. Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 315. 63 Allexius, Peter Kowal, Simon Gerstner, Martin der Diener von Nikolaus Dambraw, Nikolaus Dambraw selbst, Johann Bartfal, Johann Dobschicz, Jakob Teudirneudir, Johann Oderer und Katharina Plesnarinne. 64 Nikolaus Freyensteter, Johannes Frolich, Johann Degin, Nikolaus Hungerkaste und Jakob Rolle. 65 Alexius, Nikolaus Dambraw, Johann Oderer sowie Katharina Plesnarisse. 66 Peter Kowal, Johann Bartfal, Johann Dobschicz, Jakob Teudirneudir, Nikolaus Hungerkaste sowie Nikolaus Freyensteter.

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Legaten beru¨cksichtigten, geho¨rte u. a. der Ratsherr Alexius, der einer der Kapellen der Krakauer Marienkirche 50 Mark Zinsen vermachte.67 Der Ratsherr Johannes Oderer bestimmte fu¨r diese Kirche 10 Mark.68 Der Ratsherr Hermann Krancz stiftete den Fronleichnamsaltar mit der Altarie St. Longinus in dieser Kirche,69 und der Olmu¨tzer Bu¨rger Simon Gerstner die Besoldung in Ho¨he von 12 Mark fu¨r einen der Altaristen.70 Auch wenn Hermann Krancz im Totenbuch der Bruderschaft Unserer Lieben Frau nicht erwa¨hnt wird, zeugt von den besonderen Beziehungen, die ihn mit dieser Kongregation verbanden, deutlich genug die Tatsache, dass der von ihm gestiftete Altar ihr zur Zelebrierung der Donnerstagsmessen zu Ehren des Leibes Christi (Fronleichnamsmessen) diente.71 Von Legaten zugunsten derselben Bruderschaft Unserer Lieben Frau wissen wir aus zwei Verma¨chtnissen der Jahre 1393 und 1395. Das erste informiert u¨ber den Verkauf von drei Mark Zinseinnahmen von einem Haus in der Floriansgasse durch die Bruderschaft,72 wa¨hrend im zweiten der (im Bruderschaftsnekrologium erwa¨hnte) Johannes Frolich dergestalt u¨ber sein Vermo¨gen verfu¨gte, dass fu¨r den Fall des Todes seiner Kinder sein Besitz zur Ha¨lfte den Armen und zur anderen Ha¨lfte der Bruderschaft Unserer Lieben Frau zufallen sollte.73 Wir ko¨nnen annehmen, dass die Bruderschaft schon zu diesem Zeitpunkt den Ruf einer Institution genoss, die imstande war, am besten fu¨r das Seelenheil eines kinderlos verstorbenen Bu¨rgers Sorge zu tragen.

Beginen Zusa¨tzlich zu den Pfarr- und Klosterkirchen wurde das religio¨se Leben Krakaus im 14. Jahrhundert durch Beginengemeinschaften bereichert.74 Dabei handelte es sich um kleine, informelle Gruppen unverheirateter Frauen (Jungfrauen oder Witwen), die sich zu einem regelhaften Gemeinschafts- und spirituellen Leben verpflichteten. Mit der Einhaltung von Prinzipien einer Art Konventsregel waren memora-

67 Vgl. Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 156: [...] quinquaginta marc, quas dictus olym Alle-

xius in suo testamento pro capella ad beatam Virginem pro censu assignavit. 68 Ebd., S. 214. 69 Kodeks dyplomatyczny katedry krakowskiej s´ w. Wacława (wie Anm. 4), Teil 2, S. 77–78; Piwowar-

czyk, Dzieje (wie Anm. 18), S. 131–132.

70 Ho¨chstwahrscheinlich handelt es sich hierbei um einen Altar in der Marienkirche, aber da der Text

stellenweise unleserlich ist, kann man das nicht mit voller Gewissheit behaupten; vgl. Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 291. 71 Vgl. Zaremska, Bractwa (wie Anm. 12), S. 74. 72 Vgl. Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 130. 73 Ebd., S. 286. 74 Im Lichte der erhaltenen Quellen ist eine Unterscheidung zwischen den Konventen der Terziarinnen, der Beginen und dem Funktionieren so genannter „Seelha¨user“ sehr schwierig. In den Quellen werden sie gemeinsam als conventus oder Haus bezeichnet und ihre Bewohner als sorores devotes, moniales ´ asku oder mulieres; vgl. Jarosław Szymanski, ´ Ruchy heretyckie na Sl ˛ w XIII i XIV wieku [Ha¨retische Bewegungen in Schlesien im 13. und 14. Jahrhundert], Katowice 2007, S. 90–91; Jerzy Wyrozumski, Beginki i Begardzi w Polsce [Beginen und Begarden in Polen], in: Zeszyty Naukowe Uniwersytetu ´ Jagiellonskiego CCLXI, Prace Historyczne 35 (1971), S. 7–22, hier S. 15.

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tive Dienstleistungen (Gebete fu¨r das Seelenheil der Spender),75 Wohlta¨tigkeitsarbeit (Pflege der Armen und Kranken)76 und Handwerksta¨tigkeiten (Anwendung fortgeschrittener Webtechniken) verbunden.77 In der einschla¨gigen Literatur wird die große Popularita¨t der Beginen mit dem demografischen Frauenu¨berschuss der mittelalterlichen Gesellschaft in Verbindung gebracht und in diesem Zusammenhang oft auch mit der schlechten materiellen Stellung unverheirateter Frauen.78 Da die Zahl der Klo¨ster beschra¨nkt und es fu¨r arme Plebejerfrauen schwierig war, dort Aufnahme zu finden, beschloss ein Teil von ihnen, alternative Gemeinschaften zu gru¨nden oder sich solchen anzuschließen. Ganz gewiss darf auch die Zunahme des religio¨sen Bewusstseins, das Streben nach Teilhabe an einer vertieften Fro¨mmigkeit und einem Leben nach dem Vorbild der Heiligen (vita apostolica) nicht unterscha¨tzt werden. Die Existenz von Beginenho¨fen in den polnischen La¨ndern ist schon seit der zweiten Ha¨lfte des 13. Jahrhunderts bezeugt; im 14. Jahrhundert breitete sich die Bewegung dann vehement in vielen Sta¨dten aus79 – vor allem in Schlesien, aber auch in Kleinpolen (Sandomir, Krakau) und Großpolen (Thorn, Posen).80 Fu¨r die Krakauer Agglomeration des 14. Jahrhunderts sind nur wenige Erwa¨hnungen u¨ber hier organisierte Beginen-Gemeinschaften u¨berliefert. Doch darf angenommen werden, dass sie spa¨testens seit der Mitte des 14. Jahrhunderts auch in Krakau recht zahlreich waren.81 Die a¨lteste Quellennotiz, die die Anwesenheit von Beginen in Krakau bezeugt, betrifft vielleicht die zweimal (1336 und 1338) im Scho¨ffenbuch erwa¨hnte Nonne Benka (Benka monialis).82 Eine weitere in diesem Buch erwa¨hnte Begine ist eine gewisse Paulina (Paulina monialis).83 In dieser Quelle ist das Zeugnis einer im Jahre 1344 geta¨tigten Transaktion zwischen der Nonne Paulina und einem Bruder Petrus erhalten, dem Vorsteher des Franziskanerklosters, der ihr auf Veranlassung des Ko¨nigs und des gesamten Konvents (de voluntate domini Regis et consensu Tocius Conuentus fratrum Minorum) fu¨r 40 Mark eine an der Ecke neben Tyczo Snell,

75 Vgl. Szymanski, ´ Ruchy (wie Anm. 74), S. 90. 76 Ebd., S. 95; Wyrozumski, Beginki (wie Anm. 74), S. 12. 77 Wyrozumski, Beginki (wie Anm. 74), S. 12. 78 Ebd., S. 15–16; Szymanski, ´ Ruchy (wie Anm. 74), S. 79. 79 Jerzy Kłoczowski, Die Klo¨ster und Orden im mittelalterlichen Polen, Osnabru¨ck 2013, S. 201–203. 80 Vgl. Wyrozumski, Beginki (wie Anm. 74), S. 14. 81 Die erste Erwa¨hnung, die ihre Existenz in Breslau bezeugt, stammt aus dem Jahre 1285; zudem liegen

Informationen u¨ber die Anwesenheit solcher Orden in Breslau fu¨r die Jahre 1373–1508 vor (61 an der ˙ nski ´ Zahl); Halina Manikowska, Klasztor ze w mie´scie s´ redniowiecznym [Das Frauenkloster in der mittelalterlichen Stadt], in: Roczniki Dziejo´w Społecznych i Gospodarczych 62 (2002), S. 7–46, hier S. 45, scha¨tzt die Zahl ihrer weiblichen Mitglieder auf etwa 150 Personen; vgl. auch Szymanski, ´ Ruchy (wie Anm. 74), S. 91–92. 82 Vgl. Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 1), Teil 1, S. 126 und 134. Die erste Notiz betrifft das Zuru¨ckhalten des Erbes von Vater und Mutter durch Benka. Anspruch darauf erhoben die Franziskaner, der Pfarrer der Allerheiligenkirche sowie ein gewisser Dirsko Mandroska. Vielleicht ist das ein Hinweis darauf, dass ein Elternteil von Benka ein (spa¨ter entkra¨ftetes) Testament zugunsten dieser Personen aufgesetzt hatte. In der zweiten verkauft sie einen Teil der neben dem Haus von Mandroska gelegenen Parzelle an den Ratsherrn Ticzon Snell, mit einem Vorbehalt zum Thema des das Regenwasser von beiden Grundstu¨cken ableitenden Kanals. 83 Ebd., Teil 1, S. 169.

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gegenu¨ber dem Friedhof, gelegene Parzelle verkaufte. Paulina vermachte diese Parzelle dann fu¨r den Fall ihres Todes in einem „ewigen Testament“ (perpetuum testamentum) dem Stadtrat, der diese Immobilie zum Heil ihrer Seele fu¨r sie verwalten sollte. Die Erwa¨hnung des ko¨niglichen Willens sowie, a¨hnlich wie im Falle der Nonne Benka, die Erwa¨hnung des neben dem Haus des Ratsherrn Snell gelegenen Grundstu¨cks, legt die Vermutung nahe, dass es sich hier um den Gru¨ndungsakt eines Beginenhofes handelt, deren Mitglieder fu¨r das Seelenheil ihrer Stifter und Go¨nner beten sollten. In einer Notiz vom 4. April 1352 gab auch Elisabeth de Dornburg den Ratsherren das von ihren Eltern ererbte Haus in Obhut, in dem sich ein Schwesternkonvent (Conventus Sororum) befand. Nach Elisabeths Tod sollten die Krakauer Ratsherrn fu¨r ewige Zeiten als Fu¨rsorger und Bevollma¨chtigte der Schwestern fungieren, die sich dem Gottesdienst und dem Gebet fu¨r das Seelenheil ihrer Vorfahren widmeten (devotarum deo serviencium temporibus perpetuis in remedium animarum predecessorum suorum).84 Zu einer a¨hnlichen Transaktion kam es im gleichen Jahr, als Klara, die Tochter des Magisters Martin, ihnen einen anderen Konvent nach a¨hnlichen Grundsa¨tzen u¨berschrieb, der sich beim Franziskanerkloster befand.85 Und im Jahre 1354 werden zwei Nonnen erwa¨hnt, Agnes und Hedwig, die ihren Beginen-Schwesternkonvent (Conventus pro Monialibus et Sororibus Beginis), der sich im Haus gegenu¨ber dem Dominikanerkloster befand, dem Ratsherren Peter Winrych und dessen Nachfolgern unter der Bedingung vermachten, dass er fu¨r ihn sorgen sollte. Auf der Grundlage der zusammengetragenen Angaben kann festgestellt werden, dass die Ratsherren Mitte des 14. Jahrhunderts bemu¨ht waren, die von „irregula¨ren Frauengemeinschaften“ bewohnten Ha¨user unter ihre Kontrolle zu bekommen. Vielleicht hing dies in gewissem Grade mit den damals in Europa andauernden Begardenverfolgungen zusammen und den auch gegen einige Beginengemeinschaften erhobenen Ha¨resieverda¨chtigungen.86 Jedoch scheint der Grund dazu wohl vor allem in dem Bestreben bestanden zu haben, aus diesen frommen Ha¨usern – im Sinne einer „Heilso¨konomie“ – Nutzen zu ziehen.87 Vierzig Jahre spa¨ter ta¨tigte Dorothea Banarika, die Witwe des Kra¨mers Martin, zahlreiche fromme Verma¨chtnisse, in denen die Krakauer Beginenho¨fe beru¨cksichtigt wurden. In ihren drei Testamenten, die sie zwischen 1394 und 1395 auf-

84 Ebd., Teil 1, S. 187. 85 Dies erwa¨hnt Jo´zef Szujski in seiner Einfu¨hrung zu Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 1), S. LV. 86 Vgl. Szymanski, ´ Ruchy (wie Anm. 74), S. 84. 87 Ebd., S. 94. An a¨hnliche Pha¨nomene, die Ende des 13. Jahrhunderts auf dem Gebiet Preußens auftraten,

´ erinnert auch Piotr Olinski, ´ Fundacje mieszczanskie w miastach pruskich w okresie s´ redniowiecza i ˙ ´ Elblag, ´ na progu czaso´w nowozytnich (Chełmno, Torun, ˛ Gdansk, Kro´lewiec, Braniewo) [Bu¨rgerliche Stiftungen in den preußischen Sta¨dten in der Zeit des Mittelalters und an der Schwelle der Neuzeit (Kulm, Thorn, Elbing, Danzig, Ko¨nigsberg, Braunsberg)], Torun´ 2008, S. 61–62: „Sie entstanden auf ¨ bereinkunft mit den Stadtra¨ten, in deren Oberhoheit sie dann spa¨private Initiative von Bu¨rgern, in U ter oft u¨bergingen. [...] Die Stiftungen von Ha¨usern fu¨r Frauen, Witwen und Arme wurden oft von Witwen geta¨tigt, und man verband sie mit der Memoria des Eigentu¨mers des vermachten Besitztums. [...] In religio¨ser Hinsicht wurden sie von Mo¨nchen aus den Mendikantenorden bzw. vom Ortspfarrer betreut.“

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setzte, bedachte sie drei Konvente, wobei wir von zweien die Namen ihrer Residentinnen kennen: Wartinberginne und Langekethe. Ein Konvent soll sich gegenu¨ber den Dominikanerbru¨dern befunden haben, wahrscheinlich war damit das bereits erwa¨hnte, Peter Winrych zur Obhut u¨bergebene Haus gemeint; der zweite Konvent stammte vielleicht aus der Stiftung von Elisabeth de Dornburg oder von Klara, der Tochter des Magisters Martin, und war mit den Franziskanern verbunden, wa¨hrend der dritte Konvent sich beim bischo¨flichen Hof befand,88 also ebenfalls in der Na¨he des Franziskanerklosters. Alle erwa¨hnten Beginenho¨fe befanden sich somit auf dem Territorium entlang der Franziskanergasse bis hin zur Dreifaltigkeitskirche der Dominikaner. Eine solche Konzentration von Beginenho¨fen auf einem Fleck ist ¨ hnlich verhielt es sich in Schweidnitz, Liegnitz und Glatz, wo die durchaus typisch. A Beginenho¨fe alle an einer Stelle situiert waren, an der Nonnengasse, sowie in Breslau – bei den Klo¨stern der Dominikaner (St.-Adalbert-Kirche) und der Kreuzritter mit dem rotem Stern (St.-Matthias-Kirche).89 Die Lage der Konvente in der Na¨he von Klo¨stern zeugt zweifellos von den starken Bindungen zu ihnen und von der Betreuung der Beginen durch die Bru¨der, vielleicht auch von der Inspiration ihrerseits bei der Gru¨ndung neuer „Ha¨user“.90 Dorothea Banarika ta¨tigte auch ein Verma¨chtnis fu¨r das Ma¨dchen (puelle) Barbara, das bei den Klarissen von der St.-Andreas-Kirche diente.91 Wie es scheint, war sie ebenfalls eine Begine, wovon das Beispiel der Breslauer Klarissen zeugt, die im Jahre 1306 vom Papst die Erlaubnis erhalten hatten, eine oder zwei Gefa¨hrtinnen bei sich zu behalten.92 Aufgrund dieser Informationen u¨ber die Unterstellung der Beginenho¨fe unter die Obhut des Stadtrates ko¨nnen wir den materiellen Status einiger Bewohnerinnen bestimmen. Es scheint, dass die in den Stadtbu¨chern erwa¨hnten Beginen verha¨ltnisma¨ßig wohlhabend waren. Einerseits zeugt davon die Mo¨glichkeit des Ankaufes einer Parzelle fu¨r 40 Mark durch die Nonne Paulina oder auch die Vergabe des von ihren Eltern ererbten Hauses durch Elisabeth de Dornburg; andererseits wissen wir, dass der Gatte von Dorothea Banarika der Scho¨ffe und Kra¨mer Martin war und Klaras Vater der Magister Martin. Wir haben es also mit Frauen aus Bu¨rgerfamilien mit einem zumindest mittleren Wohlstandsniveau zu tun. Wenn wir sie (zumindest in einem Teil der Fa¨lle) mit den Stifterinnen dieser Konvente identifizieren ko¨nnen, dann du¨rfen wir in ihren Handlungen zu Recht Formen zur Verwirklichung einer eigenen vertieften Religiosita¨t erkennen, wie sie zumindest fu¨r einen Teil der bu¨rgerlichen Krakauer Frauen charakteristisch war. Nicht ohne Bedeutung ist auch der Wit88 Vgl. Item ad conventum monialium, uni moratur Wartinberginne ex opposito Fratrum Predicatorum

IIII mrc, item ad conventum monialium, ubi moratur Langekethe II mrc, item ad conventum penes curiam domini episcopi II mrc.; Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 242–243, 247, 275. 89 Vgl. Szymanski, ´ Ruchy (wie Anm. 74), S. 92. 90 Manikowska, Klasztor ze ˙ nski ´ (wie Anm. 81), S. 24–25, sieht dieses Pha¨nomen in Kategorien einer „geistigen“ Absicherung der Stadt: „Die Ordensfrauen, die zur Keuschheit verpflichtet waren und somit in ihrem Leben die Heiligkeit der Jungfra¨ulichkeit realisierten, schufen sozusagen eine klo¨sterliche heilige Stadt. [...] Die so kumulierte ‚Kraft der Jungfra¨ulichkeit‘ u¨bertrug sich auf die Macht der Stadt, die sie zu bewahren und aufrechtzuerhalten vermochte.“ 91 In der zweiten Version ihres Testaments bestimmte sie dieselbe Summe von 2 Mark fu¨r den Vater dieses Ma¨dchens, Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 247. 92 Vgl. Szymanski, ´ Ruchy (wie Anm. 74), S. 94.

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wenstand, in dem sich ein Teil von ihnen befand. Die testamentarischen Verma¨chtnisse zeugen davon, dass dies eine von bu¨rgerlichen Frauen bevorzugte Lo¨sung war, die Witwen privilegierte, die einerseits als hingebungsvolle Pflegerinnen minderja¨hriger Kinder, andererseits als beste Garantinnen fu¨r die Bewahrung des Gedenkens an den verstorbenen Gatten (memoria) und des besta¨ndigen Gebets fu¨r sein Seelenheil angesehen wurden. Fu¨r die Frauen, die sich fu¨r ein solches Schicksal entschieden, muss diese Form des Gemeinschaftslebens in einem Haus zusammen mit anderen Mitbewohnerinnen eine bequeme und erwu¨nschte Lo¨sung gewesen sein.

Verma¨chtnisse zugunsten von Geistlichen ¨ ber nahe Kontakte zur Geistlichkeit verfu¨gten auch Bu¨rger, die mit den oben U erwa¨hnten weltlichen Kongregationen nicht perso¨nlich verbunden waren. Mochte es angesichts der Gro¨ße der Krakauer Pfarreien auch unmo¨glich sein, mit der gesamten ihnen angeho¨renden Gemeinschaft Kontakt zu halten, so stellten ihre in den Testamenten (insbesondere jenen des 15. Jahrhunderts), aber auch in anderen frommen Verma¨chtnissen ha¨ufig erwa¨hnten Beichtva¨ter doch ein wichtiges Bindeglied dar, das die Bu¨rger mit der Kirche verband. Es scheint, dass sie zumindest im Falle wohlhabender Patrizierfamilien gleichsam zur Familie geho¨rten, erhielten sie doch Legate zusammen mit den Verwandten des Testators. Schon die erste uns bekannte Krakauer Testatorin, die Bu¨rgersfrau Sulisława, bedachte namentlich genannte Geistliche aus zwei Klo¨stern mit Legaten. Die eine Ha¨lfte ihres Kramladens u¨berschrieb sie den Dominikanern, bei denen ein gewisser Michachel wohnte, der Sohn des Simnikonis,93 und die andere Ha¨lfte den Franziskanern, bei denen Minardus lebte.94 So verhielt sich auch Klara, die Witwe von Kunad Czigilstricher, als sie eine Wallfahrt nach Rom antrat. In den zahlreichen frommen Verma¨chtnissen, die sie aus diesem Anlass ¨ hnlich verhielten sich zwei aufsetzte, erwa¨hnte sie auch ihren Beichtvater Wi´slicz.95 A fromme Witwen, Alusza und Dorothea Bararika, die einen Teil ihrer Gu¨ter testamentarisch einem namentlich genannten Geistlichen vermachten. Erstere bedachte in ihrem Verma¨chtnis, in dem sie drei Mark fu¨r das Spital bestimmte, auch den dort arbeitenden Bruder Nikolaus mit einer Mark.96 Die andere erwa¨hnte in ihren Testamenten einen gewissen Presbyter Nikolaus Kreuzfahrer (Crucifero) aus Kalisch. Zwei an zahlreichen und detaillierten Notizen reiche Testamente stammen von Krakauer Ratsherren – dem Zupparius Paszko und Gottfried Factinanti aus Genua. Beide waren zweifellos einflussreiche und außerordentlich wohlhabende Personen,

93 Vgl. Item de instita sic dispono, quod mediam confero fratribus predicatoribus, in qua Michachel filius

simniconis residet; Kodeks Dyplomatyczny miasta Krakowa (wie Anm. 4), Teil 3, Nr. CCCLXVIII, S. 493–494. 94 Vgl. In super mediam institam do fratribus minoribus, in qua Minardus inhabitat; ebd., Nr. CCCLXVIII, S. 493–494. 95 Vgl. Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 50. 96 Vgl. Item Legauit infirmis ad hospitale denariorum grossorum tres marcas et Ibidem ffratri Nycolao vnam marcam; Najstarsze ksiegi (wie Anm. 1), Teil 1, S. 61.

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und beide bezogen einen Teil ihrer Einku¨nfte aus den kleinpolnischen Salzbergwerken. Paszkos letztem Willen zufolge sollten seine (sicher kostbaren) Gewa¨nder unter ihm nahestehende Geistliche verteilt werden. Und zwar: „Den Mantel aus Marderfell vermache ich Bruder Bartek. Den anderen braunen Mantel mit Unterfutter bekommt Bruder Gregor. Der blaue Mantel mit Tunika ist fu¨r Bogusław, den Pfarrer von Osiek. Die zwei silbernen Gu¨rtel bekommt Bruder Gregor fu¨r einen Kelch oder fu¨r zwei Ampullen.“97 Insbesondere die Verteilung ihrer perso¨nlichen Gegensta¨nde scheint von einer großen Vertrautheit zu zeugen, die diese Ratsherren mit ihren Beichtva¨tern verband. Auch der Ratsherr Gottfried verfasste auf dem Totenbett sein Testament, woru¨ber uns das Protokoll informiert, das von anderen hinzugezogenen Ratsherren angefertigt wurde. Gottfried ta¨tigte zahlreiche fromme Verma¨chtnisse, u. a. stiftete er zwei neue Alta¨re zu Ehren des hl. Antonius von Padua sowie der seligen Jungfrau Dorothea und der Ma¨rtyrer, zu deren Altaristen er seine nahen Mitarbeiter bestimmte: den Vikar Peter, seinen Schreiber, sowie den Presbyter Johannes, seinen Medikus.98 Selbstversta¨ndlich ist nicht auszuschließen, dass sich ein Teil der hier erwa¨hnten Kontakte auf familia¨re Verbindungen bezog, aber es scheint, dass sie gewo¨hnlich mit der tiefen Religiosita¨t der Frauen im Zusammenhang standen oder mit dem betra¨chtlichen Reichtum der Patrizier, die rege Kontakte freundschaftlicher oder beruflicher Natur mit dem Krakauer Klerus pflegten.

Religion civique Das Pha¨nomen der mittelalterlichen sta¨dtischen Kultur beruhte in erheblichem Maße ¨ berschneidung bzw. dem Zusammenspiel zweier Ebenen. Dabei handelte es auf der U sich zum einen um ein starkes Gefu¨hl der Gemeinschaft und gegenseitigen Verantwortung aller Mitglieder der Stadtgemeinde, zum anderen um einen deutlichen Individualisierungsprozess bei einem bestimmten Teil der Bu¨rgerschaft.99 In dem Maße, in dem die Einwohnerzahl anstieg und die Stratifizierung des Wohlstandsniveaus zunahm, traten an die Stelle der großen communitas immer mehr kleinere, in ihrem Schoß entstandene Gemeinschaften. Dessen ungeachtet scheint die Autoidentifikation mit der Stadtgemeinde und das Bewusstsein von einem gemeinsamen Schicksal aller Stadtbewohner gleichwohl die ganze Zeit hindurch weiterhin stark gewesen zu sein; das galt in besonderem Maße fu¨r die Vertreter des Patriziats.100 Schon die oben

97 Item Palium cum pellibus Marderinis demandauit fratri Bartkoni. Item aliud palium bruneticum cum

Subductiua fratri gregorio. Item Palium flaueum cum tunica domino Boguslao plebano in Ossek. Item duos Cingulos argenteos fecit dare fratri Gregorio pro Calice aut pro duabus ampullis, ebd., Teil 1, S. 196. 98 Vgl. Kodeks dyplomatyczny katedry krakowskiej s´ w. Wacława (wie Anm. 4), Teil 2, S. 182–185. 99 Manikowska, Religijno´sc´ miejska (wie Anm. 2), S. 26, bezeichnete dieses Pha¨nomen folgendermaßen: „Im Spa¨tmittelalter haben wir es mit einem komplizierten und dynamischen System zu tun: Individualismus – Handeln fu¨r die Gemeinschaft, Privatheit – o¨ffentlicher Bereich.“ 100 Man kann viele Beispiele nennen, die dieses Pha¨nomen besta¨tigen. Unter anderem handelt es sich dabei um die Sorge um die Fro¨mmigkeit, Moral, Bescheidenheit und Keuschheit der Mitbu¨rger, wie sie in den sta¨dtischen Willku¨ren ersichtlich wird. Das besta¨tigt auch das Vertrauen, das die Stadtbeho¨rden

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erwa¨hnten religio¨sen Stiftungen, die uns aus den erhaltenen frommen Verma¨chtnissen bekannt sind, ko¨nnen als Symptom eines solchen Gefu¨hls der Gruppenzugeho¨rigkeit interpretiert werden. Noch deutlicher wird dies aber in jenen Donationen, die wir heute als den expliziten Ausdruck einer Sorge um das Gemeinwohl und den o¨ffentlichen Nutzen bezeichnen wu¨rden. Gertrud, die Witwe des Krakauer Scho¨ffen Nikolaus von Kreuzburg (de Cruceburg), vermachte im Jahre 1345 eine Tuchbank zur Ha¨lfte der Marienkirche und bestimmte die andere Ha¨lfte zur Ausbesserung der Straßen und zur Speisung der Armen (et pro parte altera pro vijs reparandis et pauperibus pascendis).101 Zu derselben Stiftungskategorie geho¨rt auch die testamentarische Donation des Scho¨ffen Peter Czartka, der im Jahre 1396 fu¨nf Mark fu¨r den Unterhalt der Bru¨cke vor dem St.-Nikolai-Tor bestimmte (in testamento legaverat V marcas pro ponte ante valuam Sti Nicolai). Dieses Gefu¨hl der Verantwortung fu¨r die Geschicke der Stadtgemeinde zeichnete auch ein weiteres Mitglied des sta¨dtischen Patriziats aus, den weiter oben bereits erwa¨hnten Ratsherrn Gottfried Factinanti aus Genua. In seinem Testament hielt er es fu¨r angebracht, der Stadt eventuelle Scha¨den zu rekompensieren, die sie erlitten haben ko¨nnte, als er als Ratsherr die Pflichten des Schatzmeisters erfu¨llte. Zu diesem Zweck vermachte er der Stadtkasse 500 Florinen in Gold und 100 Mark aus ihm zustehenden Außensta¨nden. Den Augenblick der Abfassung des Testaments und der Ausso¨hnung mit der Welt bezeichnete er – auf charakteristische Weise – als Stunde der Wiedergutmachung und Genugtuung (in horum recompensam ac satisfaccionem).102 Sowohl die Sorge um den Zustand der Stadt, die zweifellos seinem Gefu¨hl der Verantwortung fu¨r diese entsprang, als auch die Donation, die den Charakter eines frommen Werkes besaß, verbanden sich im Falle Gottfrieds mit der Wiedergutmachung fru¨herer Su¨nden, die er als Repra¨sentant der Stadt begangen hatte.

genossen, denn die Testamentsvollstrecker wurden ja meistens unter ihren Mitgliedern ausgewa¨hlt. Auch die religio¨sen Stiftungen und kleineren frommen Verma¨chtnisse ko¨nnen als Erscheinungsform des Gemeinschaftsgefu¨hls interpretiert werden. Manikowska, Religijno´sc´ miejska (wie Anm. 2), S. 27, formulierte dies so: „Die Sorge um das Seelenheil des Einzelnen verband sich in diesen Verma¨chtnissen mit der Sorge um das Heil des Kollektivs – wenn nicht aller Bewohner der Stadt, so doch zumindest der ´ eigenen Gruppe: der Zunft, der Bruderschaft usw.“ Vgl. auch Olinski, ´ Fundacje mieszczanskie (wie Anm. 87), S. 82–85; Marek Słon, ´ Fundacje szpitalne władz komunalnych jako centrum kultu miejskiego [Das Spital als Zentrum des sta¨dtischen Kultes], in: Ecclesia et civitas (wie Anm. 2), S. 361–373, hier S. 366. 101 Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 93. 102 Vgl. Ceterum quia pretactus Gotfridus quondam distributor peccuniarum Ciuitatis Cracouiensis et legalis Consukl extiterat, et si ex sua negligencia in consulendo, distribuendo seu exaccionem exsoluendo aliquos errores commmisisset, ex quibus ipsi ciuitati damna aliqua euenissent, ideo in horum recompensam ac satisfaccionem debitam predicte Ciuitati Cracouiensi quingentos florenos aur veri debiti duci Russie mutuatos et concessos, pro quibus Gocze Czeyn predictus et Martinus Varschow fideiusserunt, prout in eorundem desuper confectis patet uteris, et apud Henricum Schuler centum marcas predicte Ciuitati Cracouiensi perpetuo contulit atque dedit, Kodeks dyplomatyczny katedry krakowskiej s´ w. Wacława (wie Anm. 4), Teil 2, S. 182–185.

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Vermachte Gu¨ter Die Testamente des 14. Jahrhunderts sind recht arm an Details hinsichtlich der vermachten perso¨nlichen Dinge, besonders im Vergleich zu den Testamenten des 15. und 16. Jahrhunderts, die diesbezu¨glich manchmal eher Inventarverzeichnissen a¨hneln. Die Herausbildung des Testamentformulars dauert das ganze 14. Jahrhundert hindurch an und reichte von den anfa¨nglichen Stiftungen mit strikt religio¨sem Charakter bis hin zu manchmal ausfu¨hrlichen Verma¨chtnissen, deren Inhalt allerdings vor allem den Prinzipien der Aufteilung und Vererbung des Besitzes im Rahmen der Familie gewidmet war. Die Tatsache, dass in den meisten Fa¨llen entweder kirchliche Institutionen oder die na¨chsten Familienmitglieder bedacht wurden, hat eine detaillierte Erwa¨hnung der vermachten Gu¨ter ebenfalls nicht begu¨nstigt. Auf der Grundlage der erhaltenen Verma¨chtnisse kann geschlussfolgert werden, dass (besonders in den a¨lteren Testamenten) nur ein bestimmter Teil der Gu¨ter vermacht wurde (gewo¨hnlich fu¨r fromme Werke), wa¨hrend der Rest dem Erbrecht der Verwandten entsprechend traditionell verteilt worden sein du¨rfte.103 Die fu¨r fromme Werke bestimmten Gu¨ter ko¨nnen in sechs Hauptkategorien eingeteilt werden: 1. Geldbetra¨ge, 2. Einnahmen aus Immobilien, 3. Ha¨user und Grundstu¨cke, 4. Verkausfba¨nke und Kramla¨den, 5. Ga¨rten sowie 6. perso¨nliche Sachen. Oft wurden nicht einmal die grundlegenden Dinge erwa¨hnt, sondern man begnu¨gte sich bei der Donation mit Bezeichnungen wie „Erbteil“, „Besitz“ oder „Anteil“. So ist es mitunter u¨beraus schwierig festzustellen, was eigentlich dazu geho¨rte; andererseits wissen wir aber, welcher Teil des gesamten Besitzes auf diese Weise vermacht wurde. Manchmal haben wir es mit Situationen zu tun, in denen Verma¨chtnisse sowohl aus einer als auch aus mehreren dieser Kategorien von Gu¨tern geta¨tigt wurden (dann wurden sie jedesmal getrennt aufgeza¨hlt). Tab. 3: Arten der vermachten Gu¨ter Art des Verma¨chtnisses Geldbetra¨ge Einnahmen aus Immobilien Ha¨user und Grundstu¨cke Verkaufsba¨nke & Kramla¨den Ga¨rten Perso¨nliche Gegensta¨nde „Erbe“

Verma¨chtnisse

Testamente

zusammen

12 8 3 6 2 2 12

12 5 8 4 1 2 3

24 13 11 10 3 4 15

Da dieser Aufstellung eine relativ geringe Zahl von Verma¨chtnissen zugrunde liegt, du¨rfen aus ihr sicherlich keine allzu weit reichenden Schlu¨sse gezogen werden. 103 Eine solche Situation gab es z. B. bei der Stiftung eines neuen Beginenkonvents durch die Nonne

Paulina. Diese Vergabe wurde als in perpetuum testamentum bezeichnet, vgl. Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 1), Teil 1, S. 169. Auch im Verma¨chtnis der Kra¨merin Hedwig wird die Donation von auf einem Teil des Hauses liegenden 20 Mark als pro testamento bezeichnet, ebd., Teil 1, S. 171.

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Gewisse Regelma¨ßigkeiten sind jedoch erkennbar. In den wenigen Verma¨chtnissen aus der ersten Ha¨lfte des 14. Jahrhunderts, denen wir Informationen u¨ber die vermachten Gu¨ter entnehmen ko¨nnen, finden wir eine betra¨chtliche Zahl von Kramla¨den, Buden und Fleischba¨nken. Schon in dem ersten uns bekannten Testament der Sulisława aus dem Jahre 1303 lesen wir, dass sie den Krakauer Kirchen eine Fleischbank, eine Krambude und eine Brotbank vermachte.104 Zehn Jahre spa¨ter schenkte Heinrich von Ratibor dem Spital fu¨nf Tuchla¨den, und Ekel, ein alter Metzger, spendete nach dem Tode seiner Frau eine Fleischbank ad pia loca.105 Dieses Pha¨nomen definitiv zu erkla¨ren fa¨llt schwer. Wie es scheint, spielten hier bestimmte Erbprinzipien eine gewisse Rolle, mit denen das Testament im offenen Widerspruch stand. Vielleicht war es einfacher und sicherer, eine zu Lebzeiten erworbene Krambude zu vermachen als ein von den Vorfahren ererbtes Haus oder ein Grundstu¨ck. Außerdem garantierten die Donationen von Kramla¨den, ebenso wie die von Hauszinsen, stabile, ununterbrochene Einku¨nfte ad perpetuum, was sich in den Absichten der Stifter mit der Hoffnung auf ein ewiges Gedenken und Gebet verbunden haben mag. Dass diese Verma¨chtnisse Krambuden, Brot- und Fleischba¨nke betrafen, verweist auch darauf, dass die Kaufleute und Kra¨mer als soziale Gruppe anfangs am ehesten an frommen Verma¨chtnissen interessiert waren und das Bedu¨rfnis hatten, an ihre Person zu erinnern. Auch Ha¨user und Grundstu¨cke innerhalb der Stadt sowie außerhalb derselben gelegene Ga¨rten bildeten den Gegenstand frommer Legate. Vom Gesichtspunkt der Kirche waren dies sicher die bevorzugten Formen von Verma¨chtnissen, aber sie wurden dann auch am meisten von Verwandten angefochten, weil sie zweifellos zum Bereich der „Erbmasse“ geho¨rten, die manchmal mit den Immobilien gleichgesetzt wurde. Auf der Grundlage der von uns zusammengetragenen Angaben ko¨nnen wir feststellen, dass sich vor allem alleinstehende und kinderlose Personen fu¨r eine solche Schenkung entschieden; in anderen Fa¨llen beru¨cksichtigten letztwillige Verfu¨gungen die Mo¨glichkeit des Todes der Kinder des Testators. Die meisten Legate wurden in Form von Geldern geta¨tigt, u¨ber die die Krakauer Bu¨rger zweifellos frei verfu¨gen konnten. Auf diese Weise wurden alle oben erwa¨hnten kirchlichen Einrichtungen und Privatpersonen mit Summen bedacht, die zwischen einer und 1500 Mark schwankten.106 Solche Legate lagen sogar fu¨r verha¨ltnisma¨ßig arme Personen im Bereich ihrer Mo¨glichkeiten, die auf diese Weise Anordnungen u¨ber ihre Ersparnisse fu¨r den Fall ihres Todes trafen.107 Wo es an Bargeld fehlte, u¨berschrieb man die betreffende Quote auf das eigene Haus. Zahlen sollten dann die Erben, ein Ka¨ufer oder der Spender selbst.108

104 Vgl. Kodeks Dyplomatyczny miasta Krakowa (wie Anm. 4), Teil 3, Nr. CCCLXVIII, S. 493–494. 105 Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 1), Teil 1, S. 31. 106 Vgl. Kodeks dyplomatyczny katedry krakowskiej s´ w. Wacława (wie Anm. 4), Teil 2, S. 182–185. 107 Zum Beispiel Margarethe Crenczlarinne, die sich auf eine Wallfahrt begab und 7 Mark hinterließ, von

denen sie je 3 fu¨r ihre beiden Kinder und eine Mark fu¨r fromme Werke bestimmte, Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 26–27. 108 Vgl. wenigstens Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 1), Teil 1, S. 49.

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Die aus dem 14. Jahrhundert bekannten letztwilligen Verfu¨gungen nennen im Prinzip keine wertvollen Gegensta¨nde oder perso¨nlichen Dinge. Nur in zwei Fa¨llen werden Bu¨cher genannt, die den Spendern oder ihren Familienangeho¨rigen geho¨rten. Im Jahre 1368 verfu¨gte Nikolaus Essenbach die Aufteilung seines Besitzes. In seinem Testament bedachte er den Neffen seiner Frau, dem er den Unterhalt garantierte und dem er Bu¨cher sowie 10 Mark vermachte, unter der Bedingung, dass er seiner Witwe dienen, die Schule besuchen und dann Geistlicher werden sollte.109 Nachdem Katharina, die Witwe des Scho¨ffen Paul Kowal, von dessen Bruder Johann Bertram das ihr nach dem Testament ihres Mannes zustehende Geld erhalten hatte, versprach sie, ihm auch die Ausgaben- und Schuldenbu¨cher ihres Gatten auszuha¨ndigen.110 Einmal wurden im Testament der armen Bu¨rgersfrau Czenke Katusza ganz allgemein die suppellectilia (d. h. Hauswirtschaftsgera¨te) erwa¨hnt, und der Pfarrer von Bodzano´w, ihr Exekutor, sollte ihre Schulden bezahlen und den Rest fu¨r fromme Werke verwenden.111 Im Prinzip geho¨rt das einzige Verma¨chtnis, aus dem wir etwas von den perso¨nlichen Dingen eines Testators erfahren, dem bereits mehrfach erwa¨hnten Zupparius Paszko. Darin schenkte er befreundeten Geistlichen seine drei Ma¨ntel (einen Mantel aus Marderfellen, einen braunen Mantel mit Unterfutter sowie einen blauen Mantel mit einer Tunika).112 Gewiss besaßen diese Dinge einen betra¨chtlichen materiellen Wert, aber angesichts des allgemeinen Wohlstandes des Testators scheint es sich hierbei eher um Erinnerungsgeschenke oder Andenken gehandelt zu haben. Einerseits bezeugen sie die zwischen ihnen bestehenden vertrauten Kontakte, andererseits handelte es sich um Geschenke, die erwidert werden mussten und fu¨r lange Zeit dafu¨r sorgten, dass man den Spender nicht vergaß.113 Interessant ist auch der weitere Teil des Verma¨chtnisses, in dem Paszko einem der oben erwa¨hnten Geistlichen zwei silberne Gu¨rtel vermachte, die dieser fu¨r einen Kelch oder zwei Ampullen verwenden sollte.114 Zieht man die testamentarische Anordnung der Dorothea, der Gattin von Nikolaus Kestener, zum Vergleich heran, ihre Kleinodien fu¨r einen Messkelch einschmelzen zu lassen (omnia iocalia ipsius argentea debent fabricari ad calicem et calix ad Ecclesiam in Pilgramisdorf assignari),115 kann vermutet werden,

109 Vgl. [...] dicta domina Katherina Petrum filium sororis sue circa se sibi ministrandi vite necessaria pro

suo posse in quantum ipsam et scolas sequi voluerit ac sacros presbiteratos ordines mutari et ipsum in libris suis cum × mrc.; Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 29–30. 110 Vgl. [...] item promisit librum racionis vel debitorum sui mariti quod velit ipsum fratri sui mariti assignare, ebd., S. 183; 14. Juni 1392. 111 Ebd., S. 179. 112 Vgl. Item Palium cum pellibus Marderis demandauit frartri Bartkoni. Item aliud palium bruneticum com Subductiua fratri gregorio. Item Palium flaueum cum tunica domino Boguslao plebano in Ossek, Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 1), Teil 1, S. 196. 113 Vgl. Wojciech Jo´zef Burszta, Społeczenstwo ´ ´ daru i dar w społeczenstwie [Die Gesellschaft des Geschenks und das Geschenk in der Gesellschaft], in: Do, ut des – dar, pocho´wek, tradycja, hg. v. Wojciech Dzieduszycki/Jacek Wrzesinski, ´ Poznan´ 2005, S. 17–24. 114 Vgl. Item duos Cingulos argenteos decit dare fratri Gregorio pro Calice aut pro duabus ampullis, Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 1), Teil 1, S. 196. 115 Ebd., Teil 2, S. 144–145.

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dass es auch Paszkos Wille war, die wertvollen Silbergu¨rtel zu liturgischen Gegensta¨nden umschmelzen zu lassen.116 Einerseits war das eine weitere Form der Memoria an den Testator, dessen perso¨nliche Gegensta¨nde nach seinem Tode zur Zelebrierung der Heiligen Messe dienen sollten; andererseits haben wir es hier aber auch mit einer bestimmten Form magischen Denkens zu tun117, in der das Bestreben nach Betrachtung des sacrum und nach Verweilen in seiner unmittelbarer Gegenwart zum Aus¨ hnliche Verma¨chtnisse zugunsten liturgischer Gegensta¨nde kennen druck kam.118 A wir aus der Stiftung von Klara, der Witwe von Johann Hobschbeck. Sie bestimmte den Erlo¨s einer Fleischbank fu¨r den Kauf eines Kelchs und Ornats sowie anderer fu¨r die Messe no¨tiger Dinge.119 Und Martin Junge stiftete Kelch und Ornat zum Geda¨chtnis an seine verstorbene Gattin.120 Zur Spha¨re des sacrum geho¨rten auch die auf den Alta¨ren brennenden Kerzen sowie das den Krakauer Kirchen dazu vermachte Wachs. Kerzen waren sehr wichtige und sta¨ndig pra¨sente Bestandteile der Begra¨bniszeremonien und Totenmessen. „Wa¨hrend der Messe wurden beim Gebet fu¨r die Toten vor der Wandlung die Kerzen angezu¨ndet und nach der Heiligen Kommunion wieder gelo¨scht. [...] Die Kerzen nahmen auch die Gestalt von Verso¨hnungsopfern an oder wurden im Rahmen von Reinigungszeremonien verwendet.“121 Bereits im Jahre 1318 vermachte ein gewisser Wilhelm aus dem Orient der Krakauer Marienkirche Kerzen. Fu¨r diesen Zweck bestimmte er 1 Mark von den Zinseinnahmen des ihr zur Ha¨lfte vermachten Hauses und Grundstu¨cks. Im Jahre 1374 vermachte Henslini Pruser zwei Mark Zins fu¨r denselben Zweck.122 Diese besta¨ndigen Zinseinnahmen sollten ihm ein „ewiges“ Licht in der Kirche garantieren, so dass in Anbetracht der Begra¨bnissymbolik der Kerzen123 am memorativen Charakter dieser Verma¨chtnisse keinerlei Zweifel bestehen kann. 116 Olinski, ´ ´ Fundacje mieszczanskie (wie Anm. 87), S. 81 bemerkt: „Unter diesen Gegensta¨nden wurde

denjenigen Paramenten das gro¨ßte Gewicht beigemessen, die bei der Wandlung unmittelbar mit dem sacrum in Beru¨hrung kamen, sowie den Ornaten, Humeralen, Alben, Manipeln und anderen Elementen der Priesterkleidung, die ebenfalls zu den wichtigsten liturgischen Gegensta¨nden geho¨rten, die die ganze Messe hindurch sichtbar waren.“ 117 Magdalena Kowalska, Psychologiczna (prze)moc wzajemno´sci [Die psychologische Macht und Gewalt der Gegenseitigkeit], in: Do, ut des (wie Anm. 113), S. 43–46, stellt fest, dass „die Psychologie des magischen Denkens zahlreiche Beispiele kennt, die davon zeugen, dass das Ichgefu¨hl des primitiven Menschen sich nicht auf das Muster einer integralen Person berief. Dieser Mensch sah sich selbst eher als ein Ensemble unabha¨ngiger Teile oder Dispositionen. Deshalb geho¨rten zu seinem Ich auch perso¨nliche Dinge und sogar Familiengu¨ter.“ 118 Vgl. Stanisław Bylina, Religijno´sc´ po´znego ´ s´ redniowiecza [Die Religiosita¨t des Spa¨tmittelalters], Warszawa 2009, S. 53–58. 119 Vgl. Item quartale macelli, qua vendita (s) debent comparari calix et ornatus cum aliis pertinenciis ad mis sam; Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 50. 120 Vgl. [...] auch beuele ich XVI marg czu sente Stephan czu der kirchen, adir, wirt man bawen eine kirche hy vor der stat, so sal man dy XVI marg dorczu gehen, wenne alzo vil geldis brochte myne frawe czu mir, dy ich vor der hatte, ouch bit ich, das man von der cronen vnde von der schellin, dy do bey sint, sal man I kelch czugen vnd I gancz messegewant in dy selbe kirche, ebd., S. 235–236. 121 Olinski, ´ ´ Fundacje mieszczanskie (wie Anm. 87), S. 89–90. 122 Vgl. Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 117. 123 Wie Olinski, ´ ´ Fundacje mieszczanskie (wie Anm. 87), S. 88, betont, „wurzelt der mittelalterliche Brauch, ewige Lampen zu stiften, unmittelbar in den Bra¨uchen fru¨hchristlicher Gemeinschaften, die solche Lampen an den Gra¨bern der Ma¨rtyrer forderten.“

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Zu den von den Bu¨rgern mehrheitlich bevorzugten Donationen geho¨rten diejenigen fu¨r den Bau neuer Kirchen. Vielleicht wurden sie auch als Mo¨glichkeit der perso¨nlichen Teilhabe am sacrum verstanden, indem man von seinem Geld einen symbolischen, aber doch realen Teil eines Gotteshauses stiftete.124 Da Krakau im 14. Jahrhundert ein großer Bauplatz war und zahlreiche Kirchen errichtet wurden, hatten die Bewohner der Stadt diesbezu¨glich eine große Auswahl. Davon zeugt in gewissem Sinne das sich in vielen Legaten wiederholende Verma¨chtnis pro fabrica ecclesie. Noch deutlicher formuliert wurde dies im Testament von Margarethe, der Witwe von Peter Wilrich. Nach ihrem Tode sollten ihre Hinterlassenschaft und ihre Immobilien entweder zu frommen Werken zugunsten der Armen verwendet werden „oder dort, ¨ hnliche Worte finden wir auch wo etwas gebaut wird“ (gemeint ist eine Kirche).125 A in der letztwilligen Verfu¨gung von Martin Junge; dieser bestimmte 16 Mark fu¨r die Kirche St. Stephanus oder eine andere, die vor der Stadt gebaut wu¨rde.126 Mit a¨hnlichen Absichten trug sich sicher auch die bereits mehrfach erwa¨hnte fromme Witwe und Begine Dorothea Banarika. In der dritten Version ihres Testaments vermachte sie 10 Mark fu¨r die reich ausgestatteten Glasmalereien in den Fenstern zwischen den Tu¨rmen der Kirche Unserer Lieben Frau.127 Die Stiftung einer Kapelle oder neuer Alta¨re innerhalb einer Kirche, diese imponierendsten Beispiele des Gedenkens an die Person des Testators, konnten sich nur die reichsten Bu¨rger erlauben. Außer den Kosten fu¨r den Bau des Altars und die Gewa¨hrleistung der unerla¨sslichen liturgischen Gegensta¨nde war eine geho¨rige Summe Geldes notwendig, um eine stabile Besoldung des ihn bedienenden Altaristen zu garantieren. Damit waren auch zusa¨tzliche Formalita¨ten verbunden wie die Einholung der Genehmigung des Bischofs oder des Papstes.128 Somit ist nicht verwunderlich, dass die von uns zusammengetragenen Quellen nur wenige Erwa¨hnungen solcher Stiftungen enthalten. Ihre fru¨heste stammt erst aus dem Jahre 1380 und entha¨lt die Besta¨tigung der im Testament des Krakauer Ratsherrn Hermann Krancz geta¨tigten Stiftung.129 Der neue Fronleichnamsaltar mit der Altarie St. Longinus war

o 124 Dieses Pha¨nomen bemerkte auch Kateˇrina Jı´sˇova´, Testamenty prazˇsky´ch mˇezˇst’anu v pozdnı´m o

stˇredovˇeku. Religiozita, socia´lnı´ rozvrstvenı´, majetkove´ a rodinne´ pomˇery novomˇetsky´ch mˇesˇt’anu (1421–1533) [Testamente Prager Bu¨rger im spa¨ten Mittelalter. Religiosita¨t, soziale Schichtung, Besitzund Familienverha¨ltnisse der Bu¨rger der Prager Neustadt], in: Pierwsze polsko-czeskie forum młodych mediewisto´w, hg. v. Jo´zef Dobosz/Jakub Kujawinski/Marzena ´ Matla-Kozłowska, Poznan´ 2007, S. 295–308, hier S. 299 zitierte die fu¨r diese Epoche typische Meinung, dass „der Stein als dauerhafterer und greifbarer Zeitzeuge siegt, weil er nicht so leicht zersto¨rt werden kann.“ 125 Vgl. [...] das se erbe vnd beweglich gut, was se noch ir lossen wirt, sullin in dy werk der barmherczikeit wenden armen leuthen, adir, wy se en her noch wurde beuelen, Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 228. 126 Vgl. [...] beuele ich XVI marg czu sente Stephan czu der kirchen, adir, wirt man bawen eine kirche hy vor der stat, so sal man dy XVI marg dorczu gehen, ebd., S. 235–236. 127 Vgl. [...] pro fenestra inter turres ecclesie sancte Marie in Cracovia feliciter construenda × mrc, ebd., S. 275. 128 Um eine solche Zustimmung bat Nikolaus Wierzynek junior den Papst Urban V. in Avignon in seinem eigenen Namen und in dem von Hermann Krancz, Arnold Welker und Nikolaus Trutil; vgl. Piwowarczyk, Dzieje (wie Anm. 18), S. 131. 129 Vgl. Kodeks dyplomatyczny katedry krakowskiej s´ w. Wacława (wie Anm. 4), Teil 2, S. 77–78.

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im Chor der Kirche lokalisiert a cornu Ewangelii Majoris Altari und wurde von einem von Krancz gekauften Vorwerk im Dorf Pradnik ˛ versorgt.130 Von der La¨nge des Prozesses, der damit verbunden sein konnte, zeugt die Tatsache, dass Krancz schon 15 Jahre vorher von Papst Urban V. die Genehmigung fu¨r seine Stiftung erhalten hatte.131 Im Jahre 1391 versta¨ndigten sich die drei To¨chter des Ratsherrn Alexius – Elisabeth, Agnes und Barbara – in der Frage der Erfu¨llung des letzten Willens ihres Vaters, demzufolge sie 50 Mark fu¨r die Zinskosten fu¨r eine der Kapellen in der Marienkirche spendeten.132 Angesichts der verha¨ltnisma¨ßig geringen fu¨r den Altar bestimmten Summe liegt die Vermutung nahe, dass es sich dabei nicht um eine neue Kapellenstiftung handelte, sondern lediglich um die finanzielle Unterstu¨tzung einer bereits bestehenden. Leider ist das Testament des Alexius nicht bis in unsere Zeit erhalten geblieben. Ganz sicher begegnet uns eine solche Situation aber in dem an Legaten reichen Testament des Gottfried Factinanti aus Genua. Er stiftete zwei Alta¨re, von denen einer, wie auch die bereits fru¨her erwa¨hnten, sich in der Marienkirche befunden haben soll und dem hl. Antonius von Padua, der hl. Dorothea und den Ma¨rtyrern gewidmet war (in honorem sanctorum Anthonij confessoris et alme virginis Dorothee ac martyris), der andere mit einem a¨hnlichen Patrozinium (sanctorum Anthonij Confessoris et beate Dorothee Virginis) in der Allerheiligenkirche.133 Zu ihrer Versorgung ließ er fu¨r jeden den Jahreszins in Ho¨he von 16 Mark kaufen. Eine weitere Stiftung eines neuen Altars in der Marienkirche wurde im Testament des Krakauer Scho¨ffen Peter Czartko geta¨tigt. Dabei handelte es sich um einen den Heiligen Peter und Paul gewidmeten Altar (altaris Beatorum Petri et Pauli Apostolorum). Auch in diesem Falle ist das Testament nicht mehr vollsta¨ndig erhalten, sondern nur aus einer im Ratsbuch enthaltenen Erwa¨hnung aus dem Jahre 1396 bekannt.134 Wie unvollsta¨ndig die verfu¨gbaren Informationen zum Thema der Testamente und der frommen Verma¨chtnisse im weiteren Sinne sind, belegt der Umstand, dass aus den Urkunden und Stadtbu¨chern bis Ende 1396 nur Hinweise auf die Stiftung von drei Alta¨ren zusammengetragen werden konnten, obwohl wir doch aus anderen Quellen wissen, dass es in dieser Zeit mindestens neun von ihnen gab und bis zum Ende des 14. Jahrhunderts sogar elf.135

130 Vgl. S. Longini 1-ministerij Fundationis Hermani Krancz Civis Cracoviensis. Erectum hoc ministerium

Anno D. 1380 d. 13 Januarij ex censu anno f. 80 in Allodio in villa Pradnik ˛ 2000 Reemptionalis, Possesionis Conventus Tynecensis Ordinis S-i Benedicti; Piwowarczyk, Dzieje (wie Anm. 18), S. 131. 131 Ebd., S. 131; Marian Friedberg, Załozenie ˙ i poczatkowe ˛ dzieje ko´scioła N. Panny Marii w Krakowie (XIII–XV wiek) [Die Gru¨ndung und Fru¨hgeschichte der Marienkirche in Krakau (13. – 15. Jahrhundert)], Krako´w 1928, S. 23–24. 132 Vgl. Illas quinquaginta marc, quas dictus olym Allexius in suo testamento pro capella ad beatam Virginem pro censu assignavit; Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 156. 133 Kodeks dyplomatyczny Katedry Krakowskiej s´ w. Wacława (wie Anm. 4), Teil 2, S. 182–185. 134 Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 1), Teil 2, S. 145. Von seiner Ausstattung (zumindest einem Teil davon) erfahren wir zufa¨llig aus einer im Ratsbuch enthaltenen Notiz aus dem Jahre 1400. Darin wird ein Haus in der Nikolaigasse erwa¨hnt, von dem 4 Mark Zins zugunsten der Vitrici an diesen Altar bezahlt werden; ebd., Teil 2, S. 211. 135 Vgl. Piwowarczyk, Dzieje (wie Anm. 18), S. 135–136.

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Messstiftungen Alle frommen Werke sollten nach dem Wunsch der Testatoren mit Dankbarkeit, Erinnerung und Gebeten von Seiten der Beschenkten erwidert werden. Diese Gegenleistungen wurden sehr hoch gescha¨tzt, besonders die Gebete der Armen und Kranken, die den Schlu¨ssel zum Heil in ihrer Hand hatten.136 Als ‚Spezialisten des ewigen Heils‘ fungierten zweifellos auch die Geistlichen, die durch ihre Vermittlung zwischen dem Diesseits und dem zuku¨nftigen Leben, zwischen den Laien und Gott, gleichsam selbst geheiligt wurden. Das wichtigste Moment ihres Gottesdienstes war die Feier der Heiligen Messe, in der es – im Augenblick der Wandlung und der Elevation – zur Begegnung des Menschen mit Gott kam.137 Die Stiftung von Messen mit dem Auftrag, Gebete fu¨r das Seelenheil zu gewa¨hrleisten, galt angesichts dessen als ein effektiver Weg zum Heil. Auf diese Weise befand sich die Person des Verstorbenen gleichsam im Zentrum des erhabenen Messrituals. Andererseits stellte eine solche Stiftung auch fu¨r andere Menschen ein Geschenk dar – fu¨r Arme und Reiche, fu¨r die Mitbu¨rger und fu¨r Ga¨ste. Sie alle hatten dank des Verstorbenen die Chance, an der Begegnung mit Gott teilzuhaben – an einem Geschenk, das von den in der Kirche versammelten Personen durch Gebete fu¨r das Seelenheil des Spenders erwidert werden musste. Das war ein Werk der Barmherzigkeit, das in erster Linie dem Stifter das ewige Heil sicherte, zugleich aber auch auf das Gemeinwohl der Gemeinschaft ausgerichtet war, in der er gelebt hatte.138 Die begehrteste Kategorie der Heiligen Messe bildeten die ewigen Memorialmessen. Nach der Absicht des Stifters sollten sie ununterbrochen und unbefristet zelebriert werden, um das ewige Gedenken seiner Person und seiner Seele zu gewa¨hrleisten.139 Halina Manikowska schreibt, dass „das Gedenken der Gruppe an den Verstorbenen zu einer unerla¨sslichen Garantie des Heils wurde, weil die Lebenden die Schlu¨ssel zum Gefa¨ngnis des Purgatoriums in der Hand hatten.“140 Solche Stiftungen waren jedoch mit betra¨chtlichen Kosten verbunden, die sich nur wenige Krakauer 136 Mt 5, 3: Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen geho¨rt das Himmelreich. 137 Bylina, Religijno´sc´ po´znego ´ (wie Anm. 118), S. 54, bemerkt, dass „neben dem Glauben an die magi-

sche Kraft der Hostie bereits ihr Anblick als Erscheinungsform gebu¨hrender Fro¨mmigkeit angesehen wurde.“ 138 Manikowska Religijno´sc´ miejska (wie Anm. 2), S. 28, formuliert dies folgendermaßen: „Selbst die Stiftung einer kleinen Zahl von Anniversarien fu¨r das eigene Seelenheil muss immer vor allem zu den Werken der Barmherzigkeit gerechnet werden. Die vehemente Entwicklung verschiedenartiger Stiftungen im Spa¨tmittelalter, wobei Verma¨chtnisse fu¨r liturgische Gera¨te und Messstiftungen im Vordergrund standen, stellt somit vor allem deshalb ein Pha¨nomen sta¨dtischer Religiosita¨t dar, weil diese das Gemeinwohl des gesamten Kollektivs zum Ziel hatten.“ 139 Die Schlussfolgerungen von Olinski, ´ ´ Fundacje mieszczanskie (wie Anm. 87), S. 67, decken sich vollsta¨ndig mit der Analyse der Krakauer Quellen: „In den Dokumenten u¨ber die Stiftungen Ewiger Messen wurde gewo¨hnlich nicht die Tageszeit erwa¨hnt, zu der die Messe zelebriert werden sollte. Oft kam es auch vor, dass nicht einmal notiert wurde, wie viele dieser Messen im Laufe einer Woche, eines Monats oder eines Jahres stattfinden sollten. Vermerkt wurde lediglich die Verpflichtung zur Feier eyner ewigen messe mindestens einmal im Jahr, zum Jahrestag des Todes des Stifters, aber es scheint, dass es sich meistens um Messen handelte, die einmal oder sogar mehrmals in der Woche zelebriert wurden.“ 140 Manikowska, Religijno´sc´ miejska (wie Anm. 2), S. 29.

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Bu¨rger leisten konnten. Fu¨r eine solche Stiftung entschied sich mit Unterstu¨tzung des gesamten Stadtrates der Krakauer Ratsherr Nikolaus Edeling; er verfu¨gte, dass die von ihm gestiftete Messe ta¨glich in seiner Privatkapelle in der Dominikanerkirche zur Allerheiligsten Dreifaltigkeit fu¨r das Seelenheil aller seiner Vorga¨nger und Nachfolger zelebriert werden sollte („in ipsius predecessorum omnium et posterorum suorum animarum remedium salutare„).141 Fu¨r diesen Zweck vermachte er seinen Kramladen, wa¨hrend sich die Krakauer Ratsherren verpflichteten, ja¨hrlich zwei Mark zu diesem Zweck zu zahlen (eine in der Adventszeit – Aduentus domini, die zweite in der Großen Fastenzeit – Quadragesima). Auf das ewige Andenken seiner Seele (unter zahlreichen anderen frommen Verma¨chtnissen) verwies auch ein anderer Ratsherr, Gottfried Factinanti aus Genua. Er bestimmte zu diesem Zweck die von seinem Schuldner stammende Summe von 300 Mark fu¨r die sta¨ndige Besoldung eines Vikars in der Wawelkathedrale.142 Da Johann Willusch aus Zator vielleicht nicht u¨ber eine solche Summe Bargeld verfu¨gte, bestimmte er fu¨r die Ewige Messe sein am Ringplatz gelegenes Haus. Die Anniversarien fu¨r sein Seelenheil sollten entweder in der Marienkirche oder in der neuen St.-Barbara-Kapelle zelebriert werden.143 Diejenigen, die sich solch hohe Ausgaben nicht leisten konnten, mussten sich mit einer beschra¨nkten Zahl von Seelenmessen zufrieden geben. Eine der popula¨rsten Formen dieser Art von Stiftungen war die so genannte tricesima, die dreißig Tage nach dem Tode des Testators zelebriert wurde.144 Ein entsprechenes Testament hinterließ seinen Verwandten Martin Junge, der darin 30 Messen fu¨r sein Seelenheil und daru¨ber hinaus das einmalige Lesen des gesamten Psalters verfu¨gte.145

Wallfahrten Ein u¨beraus wichtiges Merkmal der spa¨tmittelalterlichen Religiosita¨t bildete die sich zu Beginn des 14. Jahrhunderts dynamisch entwickelnde Wallfahrtsbewegung. So wie die anderen, oben erwa¨hnten Elemente bu¨rgerlicher Fro¨mmigkeit war sie gewiss bereits viel fru¨her entstanden. Doch die sich in der sta¨dtischen Kultur im Verlauf des 14. Jahrhunderts vollziehenden intensiven Vera¨nderungen bewirkten, dass sie in 141 Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 1), Teil 1, S. 203–204. 142 Vgl. Primo Centum nonaginta marcas per Goczonem ciuem Cracouiensem debitas, infrascripti Execu-

tores ab ipso Goczone Czeyn singulis annis ver viginti marcas vsque ad plenimodam trecentarum marcarum deduccionem suffere debent, pro cisdemque alioquin censum annuum et perpetuum pro Vicarijs cathedralis ecclesie castri Cracouiensis, vt perpetuis temporibus deuotum percelebrent ipsium Gotfridi anniuersarium, comparare, Kodeks dyplomatyczny katedry krakowskiej s´ w. Wacława (wie Anm. 4), Teil 2, S. 182–185. 143 Vgl. [...] pro una missa perpetue in Ecclesia Sancte Marie aut in Capella novi Cimitherii eiusdem ecclesie in Cracovia celebranda, Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 1), Teil 2, S. 115. 144 Vgl. Hanna Zaremska, Człowiek wobec s´ mierci: wyobra˙zenia i rytuały [Der Mensch und der Tod: Vorstellungen und Rituale], in: Kultura Polski s´ redniowiecznej XIV–XV w., hg. v. Bronisław Geremek, Warszawa 1997, S. 491. 145 Vgl. [...] beuele ich mynem sone vnde mynen frunden, das se mir lassen I salter lezen und XXX zelemessen, Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 235–236.

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dieser Zeit eine fru¨her ungekannte Popularita¨t gewann.146 Als einer der wichtigsten Faktoren, der die Verbreitung der Idee der peregrinatio im mittelalterlichen Europa beeinflusste, muss die Verku¨ndigung eines vollsta¨ndigen Ablasses zu Weihnachten 1299 durch Innozenz III. und die darauffolgende Proklamierung des Jahres 1300 zum Heiligen Jahr (Jubeljahr) angesehen werden. Im Verlauf des 14. Jahrhunderts waren die Jahre 1350, 1390 und 1400 offizielle Jubila¨umsdaten mit außergewo¨hnlicher Anziehungskraft fu¨r Rom-Pilger.147 Aber zweifellos pilgerte auch in jedem anderen Jahr ein ununterbrochener Strom von Gla¨ubigen zu den wichtigsten Wallfahrtsorten der christlichen Welt, wovon u. a. auch die sta¨dtischen Krakauer Quellen zeugen. Wallfahrten zu den europa¨ischen loca sacra erfreuten sich bei allen Schichten der spa¨tmittelalterlichen Gesellschaft großer Beliebtheit. Das bewirkte, dass an ihnen Menschen ganz unterschiedlicher sozialer Herkunft teilnahmen.148 Es pilgerten Fu¨rsten, Ritter und reiche Patrizier, aber auch gewo¨hnliche Handwerker, Witwen und zahlreiche Arme.149 Unterschiedlich waren auch die Gru¨nde, die diese Menschen bewegten, ihr Heim zu verlassen und sich auf eine gefa¨hrliche Reise zu begeben. Wie es scheint, bestand das Hauptmotiv im frommen Verlangen, die Gra¨ber von Heiligen zu besuchen, zahlreiche Reliquien aufzusuchen und einen mo¨glichst vollsta¨ndigen Ablass von Su¨ndenstrafen zu erhalten. Diejenigen, die aus unterschiedlichen Gru¨nden nicht selbst pilgern konnten, waren daran interessiert, dass jemand in ihrem Namen auf Wallfahrt ging. Es gab auch Menschen, die zu Pilgerfahrten gezwungen wurden, um das durch ihre Schuld geschehene To¨tungsdelikt oder ein anderes schweres Verbrechen zu su¨hnen und auf diese Weise in ihr fru¨heres Leben als vollwertiges Mitglied der Gemeinde zuru¨ckkehren zu ko¨nnen. In den Quellen des 14. Jahrhunderts finden wir vor allem Zeugnisse von Wallfahrten Krakauer Bu¨rger nach Rom (ad limina beatorum Petri et Pauli Apostolorum). Einzelne Beispiele deuten darauf hin, dass man auch zu den beiden anderen wichtigsten Wallfahrtsorten pilgerte: nach der Heiligen Stadt Jerusalem, um das Grab Christi zu besuchen (ad limina sepulcrio dominici), sowie zum Grab des hl. Apostels Jakobus in Santiago de Compostela (ad sanctum Iacobum).150 Neben diesen peregrinationes maiores pilgerte man auch zu zahlreichen Reliquien, etwa nach Aachen (wobei die Reise mit der Wallfahrt nach Rom verbunden wurde) oder in das verha¨ltnisma¨ßig nahe brandenburgische Wilsnack, das fu¨r die 1384 in den Tru¨mmern der dortigen Kirche gefundenen drei blutenden Hostien bekannt war.151

146 Vgl. Halina Manikowska, Jerozolima – Rzym – Compostela. Wielkie pielgrzymowanie u schyłku

s´ redniowiecza [Jerusalem – Rom – Compostela. Große Pilgerfahrten im ausgehenden Mittelalter], Wrocław 2008, S. 6–8. 147 Ebd., S. 7. 148 Dies fand ein deutliches Echo in Geoffrey Chaucers Canterbury Tales. 149 Manikowska, Jerozolima (wie Anm. 146), S. 369, vertritt die Ansicht, dass „[...] eine Pilgerfahrt selbst nicht unbedingt kostspielig sein musste und daher auch wirklich armen Menschen zuga¨nglich war.“ Vgl. aber die Angaben in Anm. 166. 150 Dorthin pilgerte Elian, ein Bu¨rger von Kazimierz, vgl. Ksi˛egi radzieckie kazimierskie (wie Anm. 4), S. 447. 151 Vgl. Bylina, Religijno´sc´ po´znego ´ (wie Anm. 118), S. 55.

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Tab. 4: Zahl der Pilger aus Krakau und Kazimierz (kursiv); in Klammern vermutete Pilgerreisen Jahr 1321–1330 1331–1340 1341–1350 1351–1360 1361–1370 1371–1380 1381–1390 1391–1400

Rom

Jerusalem

3 3 + (1)

1

4 + (3) 7 + (1) 3 6+3

Compostela

Aachen

Wilsnack

1

2

1+2

Nach den Stadtbu¨chern planten 26 Krakauer Bu¨rger und 9 Bu¨rger aus Kazimierz im 14. Jahrhundert (bis 1396), sich auf eine weite Pilgerfahrt zu begeben. Da sich die entsprechenden Aufzeichnungen oft nebeneinander finden und sich auch in ihrer Form a¨hneln, kann angenommen werden, dass noch weitere 5 Personen aus Krakau beabsichtigten, sich auf den Weg nach Rom zu machen, obwohl diese Information nicht bei ihren Namen angegeben wurde.152 Auch wenn die auf diese Weise zusammengetragene Liste von Pilgern153 nur einen kleinen Ausschnitt aus der Wirklichkeit der Wallfahrtsbewegung des 14. Jahrhunderts spiegelt, verweist sie doch auf eine interessante Differenzierung des Pilgermilieus. Unter den Wallfahrern befinden sich Vertreter der Stadtbeho¨rden (drei Ratsherren und zwei Scho¨ffen),154 wohlhabende Bu¨rger (der Metzger Frixco, Alusza, die Witwe des Scho¨ffen Otto, die Witwe des Kra¨mers Johann Gelhor oder der Hauseigentu¨mer Peszko Fladir), aber auch a¨rmere Personen, wie eine gewisse Yrmtruda, die ein Haus vor dem Schustertor besaß, der Gerber Paul Korcze oder auch Margarethe, die als Schwiegermutter von Nikolaus Wronche bezeichnet wird und nichts weiter als sieben Mark und zwei Kinder hinterließ. Die uns zur Verfu¨gung stehenden Quelleninformationen u¨ber Krakauer Wallfahrer stellen in ihrer u¨berwiegenden Mehrheit eine Sammlung verschiedenartiger Ver-

152 Mit einer solchen Situation haben wir es u. a. im Fall der Verma¨chtnisse von Cunad de Tost und Cunad

Wolf zu tun. Sie befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft mit Notizen von demselben Tag, die Margarethe betreffen, die Schwiegermutter von Nikolaus Wronche, sowie Katharina, die Witwe des Hanko von Gleiwitz, die fu¨r den Fall Verma¨chtnisse hinterlegten, dass sie von ihrer Wallfahrt nach Rom nicht zuru¨ckkehren wu¨rden. Auch wenn sich in den Notizen u¨ber beide Cunads kein Wort von einer Wallfahrt findet, so zeugen davon doch gewisse Indizien in Form der in ihnen geta¨tigten zahlreichen frommen Verma¨chtnisse sowie der Ausdruck inquantum moriretur in via in der Notiz von Cunad Wolf, vgl. Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 26–27. 153 Angesichts der in den Stadtbu¨chern verzeichneten betra¨chtlichen Zahl von Verma¨chtnissen fu¨r den Fall des Todes sowie des – zumindest in einigen Fa¨llen – Fehlens von Informationen daru¨ber, dass diese vor dem Aufbruch zu einer Wallfahrt geta¨tigt wurden, ko¨nnen wir annehmen, dass ein Teil von ihnen eben aus diesem Grund geta¨tigt wurde. 154 Die Ratsherren Hermann de Turcov, Nikolaus Rutenus und Alexius von Ratibor sowie die Scho¨ffen Nikolaus von Teschen und Nikolaus Falkinberg.

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ma¨chtnisse fu¨r den Fall des Todes dar. Nur in drei Fa¨llen wurden sie als Testamente bezeichnet.155 In den meisten von ihnen verfu¨gten Krakauer Bu¨rger die Verteilung ihrer Besitztu¨mer unter ihren na¨chsten Familienmitgliedern, weil sie ernstlich mit der Mo¨glichkeit rechneten, dass sie von der gefa¨hrlichen Reise nicht zuru¨ckkehren wu¨rden. Vor dieser frommen Wanderung bemu¨hte sich zumindest ein Teil der Bu¨rger, gewisse Werke der Barmherzigkeit zu vollbringen, vielleicht um den sich aus der Wallfahrt ergebenden Nutzen auf diese Weise noch weiter zu versta¨rken, oder aber um ihre Seele fu¨r den Fall des Todes durch ein derartiges Werk zu retten.156 In den Krakauer Quellen ko¨nnen wir bei ungefa¨hr einem Drittel von ihnen Spuren solcher frommen Verma¨chtnisse finden. Es steht jedoch außer Zweifel, dass die Pilger unabha¨ngig davon, ob sie sich fu¨r zusa¨tzliche Mittel entschieden oder die ganze Sorge um ihr Seelenheil ihrer Familie u¨berließen (zu deren Gunsten sie eine Donation ta¨tigten), zum Antritt ihrer weiten Reise vor allem durch ein geistiges Bedu¨rfnis bewegt wurden. Nikolaus von Teschen (der vor seiner Wallfahrt nur seiner Frau etwas vermachte) stellte ausdru¨cklich fest, dass er sich zur Rettung seiner Seele auf den Weg machte (profecturus ad limina beatorum intendens saluti sue).157 Die von den Pilgern erwarteten Abla¨sse erstreckten sich auch auf diejenigen, in deren Namen sie sich auf die Reise gemacht hatten. Der sich verbreitende Glaube, die Abla¨sse wu¨rden Su¨ndenstrafen und sogar die Su¨nden selbst abwaschen, bewegte viele, auf diese Weise nach Rettung fu¨r ihre Seele zu suchen. Diejenigen, die aus unterschiedlichen Gru¨nden nicht imstande waren, selbst aufzubrechen, um in den Genuss der Abla¨sse zu gelangen, baten darum ihre na¨chsten Angeho¨rigen in ihren Testamenten oder anderen „Verma¨chtnissen fu¨r den Fall des Todes“. So verschrieb etwa Nela, die Witwe von Stanisław Folmosin, ihrem Sohn ihr Haus und eine Tuchbank, jedoch nur unter der Bedingung, dass dieser u. a. eine Wallfahrt nach Rom finanzierte (quod idem Steno viam Romanam unam [...] debet ordinare).158 Eine Spur, die auf den Versuch verweist, einen derartigen letzten Willen des Verstorbenen zu erfu¨llen, finden wir wahrscheinlich in einem anderen Verma¨chtnis, diesmal aus dem Scho¨ffenbuch. Darin bu¨rgte der Krakauer Bu¨rger Hano Hesse – unter Strafandrohung von 10 Mark – fu¨r einen gewissen Cuncze Rudil, der bis zum Fest Johannes des Ta¨ufers einen von seiner Reise nach Rom und Aachen zeugenden Beweis erbringen musste159 – eine Reise, die dieser „fu¨r seinen Bruder Michael Czobot“ unternehmen sollte (di Romfart

155 Dabei handelt es sich um das Verma¨chtnis von Alusza, der Witwe von Otto von Michow, die die-

ses zum Heil ihrer Seele ta¨tigte (pro salute anime sue testamentum fecit), sowie von Margarethe, der Schwiegermutter von Nikolaus Wronche (volens urbem Romanum visitate, taliter disposuit suum testamentum animo deliberato et maturo); vgl. Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 1), Teil 1, S. 61, Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 26–27. 156 Wie Manikowska, Jerozolima (wie Anm. 146), S. 235, u¨berzeugt: „Freiwillige Legate waren selbstversta¨ndlich ein unerla¨sslicher Bestandteil des letzten Willens wohlhabender Testatoren. Wenn sie jedoch vor dem Aufbruch zu einer Wallfahrt geta¨tigt wurden, die auf die remissio peccaminum und in den Jubila¨umsjahren sogar auf den vollsta¨ndigen Ablass abzielte, dann erfu¨llten sie, wie es scheint, eine zusa¨tzliche Funktion – sie versta¨rkten die Kraft des zur Erlangung dieser Abla¨sse notwendigen Almosens.“ 157 Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 1), Teil 1, S. 126. 158 Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 102. 159 Vgl. Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 1), Teil 2, S. 85.

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und ochfart, di Cuncze vor sinne brudir tun sal, eczwen Nichil Czobot), von dem wir wissen, dass er ein Testament hinterließ.160 Mit der Bu¨rgschaft fu¨r einen sich (gewiss nicht aus eigenem Willen) auf den Weg machenden Pilger haben wir es auch in der Notiz u¨ber einen gewissen Peter Peszka zu tun, der sich nach Rom begeben und von dort ein Schreiben mitbringen sollte (quod Romam debeat transire et literas reportare).161 Manchmal diente eine Wallfahrt, die einen Akt der Reue und zugleich eine riskante und kostspielige Tat darstellte, als Weg zur Auslo¨sung selbst schwerer Verbrechen und Straftaten. Eine solche Chance erhielten unter anderen die Teilnehmer der Breslauer Rebellion des Jahres 1418 oder der als Geldfa¨lscher verurteilte Jo¨rg Steinkeller.162 Vielleicht erreichte der bereits erwa¨hnte Peter Peszko auf diese Weise den Erlass einer auf ihm lastenden Strafe. Eine a¨hnliche Situation wird sehr bildhaft in einem Brief des Pfarrers Johannes aus Wystrzyca geschildert, der dem Ratsbuch von Kazimierz beigefu¨gt war. Darin bezeugt der Pfarrer, dass der Metzger Bartholoma¨us, ein Bu¨rger von Wystrzyca, den Steinmetz Nikolaus geto¨tet hatte und daraufhin verhaftet und zum Tode verurteilt wurde. Aber infolge zahlreicher Bitten und Bu¨rgschaften von Seiten der Geistlichkeit sowie frommer Frauen und Witwen erhielt er die Chance, seine Schuld durch eine Wallfahrt zu den Gra¨bern der Apostel Petrus und Paulus in Rom zu su¨hnen.163 Doch nicht alle konnten es sich erlauben, an einer Wallfahrt teilzunehmen – einem außergewo¨hnlichen und u¨beraus lobenswerten Werk, das als Ausdruck tiefer Fro¨mmigkeit galt. Die Wallfahrt garantierte jedem Pilger einen Lohn im Jenseits, brachte ihm aber zweifellos auch schon zu Lebzeiten Vorteile. In einer Gesellschaft, deren Wertesystem auf der Lehre der Kirche basierte, bedeutete die Teilnahme an einer solchen Reise, a¨hnlich wie die kostspielige Stiftung eines Altars oder einer Kapelle, Anerkennung und Prestige. „Zu einem wichtigen Bestandteil des sta¨dtischen Lebensstils und zu einer Determinante des sozialen Prestiges wurden – neben dem Sammeln von Abla¨ssen und vor allem privater Indulgenzen – weit entfernte Wallfahrten, besonders zum Grab Christi.“164 Man kann vermuten, dass die weite Reise zu einem solchen fernen Wallfahrtsort, ebenso wie z. B. die Mitgliedschaft in der elita¨ren Bruderschaft Unserer Lieben Frau in der Marienkirche, nicht zuletzt der Hervorhebung und Aufrechterhaltung der eigenen Position innerhalb der Hierarchie der Stadtgemeinde diente, besonders in Kreisen des Patriziats. Mit einer solchen Situation haben wir es vielleicht im Falle des einflussreichen Ratsherrn Nikolaus Rutenus zu tun, der sich 1330 fu¨r die gefa¨hrliche und kostspielige Reise nach Jerusalem entschied (von der er u¨brigens nicht zuru¨ckkehrte).165 160 Ksi˛egi ławnicze krakowskie (wie Anm. 4), S. 191. 161 Najstarsze ksi˛egi (wie Anm. 1), Teil 2, S. 115. 162 Vgl. Manikowska, Jerozolima (wie Anm. 146), S. 237. 163 Vgl. Ksi˛egi radzieckie kazimierskie (wie Anm. 4), S. 140. 164 Manikowska, Jerozolima (wie Anm. 146), S. 16. 165 Auf der Grundlage der Aufzeichnungen des Breslauer Bu¨rgers Peter Rindfleisch von seiner Wallfahrt

zum Grab Christi im Jahre 1496 kann berechnet werden, dass er fu¨r die gesamte Reise einschließlich der in ihrem Verlauf geta¨tigten unerla¨sslichen Einka¨ufe die betra¨chtliche Summe von 222 Florinen ausgab. Vermutlich war auch die 166 Jahre fru¨her unternommene Reise des Nikolaus Rutenus mit a¨hnlich großen, wenn nicht gar mit noch gro¨ßeren finanziellen Mu¨hen verbunden gewesen, vgl. ebd., S. 78–79.

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IV. Schlussfolgerungen u¨ber die Fro¨mmigkeit?

Die Analyse der von zusammengetragenen Quellenzeugnisse, die vom Engagement Krakauer Bu¨rger fu¨r die Kirche und vom Ernstnehmen der von ihr vermittelten Prinzipien zeugen, erschließt nur ein kleines Fragment der vergangenen Wirklichkeit. Wir verfu¨gen u¨ber Informationen, die nur eine verha¨ltnisma¨ßig kleine Gruppe Krakauer Einwohner betreffen die, soweit sie nicht zur Schicht des wohlhabenden Bu¨rgertums geho¨rten und in diesem Zusammenhang mehr Gelegenheiten hatten, in den Stadtbu¨chern erwa¨hnt zu werden, fu¨r uns gewo¨hnlich anonym bleiben. Der unternommene Versuch eines prosopografischen Zugangs hat jedoch bestimmte Tendenzen aufgezeigt, die es uns erlauben, die fraglichen Quellenzeugnisse besser zu verstehen. Was besonders deutlich wird, ist der kollektive Charakter der religio¨sen Hingabe. In der traditionellen, volkstu¨mlichen Religiosita¨t waren Kult, Fest und Glauben immer soziale Pha¨nomene und insofern nicht vom Leben der Gemeinschaft zu trennen. Das sacrum verlieh ihm Sinn und Ideologie, andererseits gestaltete die Gemeinschaft wiederum die Form und Art des Erlebens dieser Religiosita¨t. In den Bruderschaften, wa¨hrend der Anniversarienmessen oder auf den Wallfahrten wurde das Leben der Pfarrgemeinde von Spiritualita¨t durchdrungen, nahm aber zugleich sozialen Charakter an; und es war die dadurch geformte Gesellschaft, die der letztendliche Empfa¨nger aller Arten frommer Werke und Taten war. Die Sorge um das ewige Leben war eng mit dem Gedenken an die Spender verbunden, deren Deposita¨re immer lebendig blieben. Die Stiftungen von Kirchen und Spita¨lern waren eine Huldigung vor Gott, aber auch eine Form des Schutzes der Gemeinde vor den Einflu¨ssen des „Bo¨sen“; die in den Testamenten gelegentlich gestifteten Straßen und Bru¨cken wurden auf diese Weise zu metaphorischen „Straßen und Bru¨cken in den Himmel“.

KONKORDANZ DER STRASSENNAMEN *

Breslau Albrechtgasse Altbu¨ßergasse Altbu¨ßerohle Basteigasse Bischofsgasse Breite Gasse Bu¨ttnergasse Burggasse Dominikanerplatz Graben Groschengasse Herrengasse Hu¨hnermarkt/Vogelmarkt Hundegasse Junkerngasse Ka¨tzelohle Katherinengasse Ketzerberg Kirchgasse Kupferschmiedegasse Ma¨ntlergasse/Schneidergasse Messergasse Nadlergasse Neueweltgasse Neue Gasse Neumarkt Nikolaigasse Ohlauerstr. Postgasse Predigergasse

´ Wojciecha (heute ul. Wita Stwosza) ul. Sw. ul. Łaciarska] ul. Kazimierza Wielkiego ul. Polska ul. Biskupa ul. J. Ewangelisty Purkyniego ´ ul. Rzeznicza ul. Grodzka ´ plac Dominikanski Zaułek Niski ul. Groszowa ul. Kiełba´snicza Kurzy Targ/Ptasi Targ ul. Psia ul. Ofiar O´swi˛ecimskich Zaułek Koci ´ Katarzyny ul. Sw. ul. Kacerska Go´rka ´ ul. Bernadynska ul. Kotlarska ul. Krawiecka ˙ ul. Nozownicza ul. Igielna ´ ul. Nowy Swiat ul. Nowa pl. Nowy Targ ´ Mikołaja ul. Sw. ul. Oławska ul. bł. Czesława ul. Kaznodziejska

* Die Straßennamen mit der Endung -gasse trugen spa¨ter ha¨ufig auch die Endung -straße, sie werden im

vorliegenden Band aber einheitlich mit der a¨lteren Bezeichnung -gasse verwendet.

374 Reuschegasse Ringplatz Ritterplatz Salzmarkt Sandgasse Schmiedebru¨cke Schuhbru¨cke Schweidnitzer Gasse Stockgasse Taschengasse Weidengasse Weiße Ohle Ziegengasse

Konkordanz der Straßennamen

ul. Ruska Rynek pl. Biskupa Nankiera plac Solny ul. Piaskowa ´ ul. Kuznicza ul. Szewska ´ ul. Swidnica ul. Wi˛ezienna ul. Sakwowa (heute ul. Ks. P. Skargi) ul. Wierzbowa ul. K. Janickiego ´ Wita ul. Sw.

Krakau Allerheiligenplatz Annengasse Bru¨dergasse Burggasse Floriansgasse Gesandtengasse Heiligkreuzgasse Heugasse Jagiellonengasse Johannisgasse Kanonikergasse Kleiner Markt Marienplatz Markusgasse Nikolaigasse Ringplatz Schustergasse Senatsgasse Sławkowaskagasse Spitalgasse Stefansgasse Taubengasse Thomasgasse (Judengasse) Tischlergasse Weichselgasse

´ etych pl. Wszystkich Swi˛ ul. s´ w. Anny ul. Bracka ul. Grodska ´ ul. Florianska ul. Poselska ˙ ul. s´ wi. Krzyza ul. Sienna ´ ul. Jagiellonska ´ Jana ul. Sw. ul. Kanonicza Mały Rynek pl. Mariacki ´ Marka ul. Sw. ul. Mikołajska Rynek] ul. Szewska ul. Senacka ul. Sławkowska ul. Szpitalna ´ ul. Szczepanska ul. Goł˛ebia ´ Tomasza ul. Sw. ul. Stolarska ul. Wi´slna

INDEX DER ORTE UND STRASSEN

Aachen 170, 367–369 Arras 200 Auschwitz 175 Balice 333 Bartfeld 184 Basel 320 Bendzin 175, 201 Bern 72 Beuthen 175, 201 Bochnia 176, 181, 183, 200, 206, 209 Bodzanowice 349 Bologna 271 Breslau 1–7, 9–25, 27–75, 77–105, 137–218, 227–240, 301, 311, 319–321, 324, 325, 355 ad sanctum Adalbertum 32, 33, 36, 40, 42 Altstadt 14, 15, 19, 21, 28, 39, 41, 48, 74, 163 Arbeits- und Armenhaus 59 Befestigung 36, 39, 57–60 Bischofspalast 140, 141, 144 Brunnen 41, 48, 50, 64, 134 Burg/Burgsiedlung 15, 23, 36, 37, 39 civitas 48 curia Gerungi 40, 43 curia integra 43, 44, 46 Dominsel 13, 21, 23, 24, 39, 140, 141 Elbing 12, 39 fossata prime locationis 30 Friedhof 38 Kirchen, Klo¨ster und Stifte Augustinerinnen 22 Dominikaner 355 Franziskaner 38 Fronleichnamskirche 105 Heiliggeist (Klosterkirche) 19 Heiligkreuz (Kollegiatstift) 23, 24 Klarissen 355 Kreuzritter mit dem roten Stern 355 Marienkloster 39 Regularkanoniker 16, 22 St. Adalbert 13, 38, 39, 41, 105, 355

St. Christophorus 59 St. Elisabeth 38, 170, 171 St. Jakob 38, 87, 89 St. Johannes d. Ta¨ufer (Kathedrale) 15, 21, 39 St. Klemens 20 St. Maria-Magdalena 33, 38, 105, 112 ¨ gypten 39, 59 St. Maria-von-A St. Matthias 355 St. Mauritius 22, 39 Vinzenzkloster 39 Neustadt 4, 14, 15, 19, 21, 30, 36, 39, 97, 99 Rathaus 100 Sandinsel 16, 22, 23, 38, 39 Schloss 141, 142 Schmetterhaus 113 Schwarze Ohle 59 Straßen und Pla¨tze Altbu¨ßergasse 57, 58 Nr. 27 105 Nr. 52 71 Nr. 62 59 Bischofsgasse 54, 55, 68, 71 Nr. 1 54–57 Nr. 1a 55–57 Nr. 2 54–57 Nr. 3 54–57 Nr. 4 54–57 Nr. 5 54, 56, 57 Nr. 6 54, 56, 57 Nr. 7 54, 56, 57 Nr. 11 94 Nr. 15 54, 55 Nr. 16 54, 55 Brotmarkt 112 Bu¨ttnergasse 90 Nr. 1 91, 95, 104 Nr. 19 100, 101 Nr. 20 100, 101 Dominikanerplatz 60, 61 Dorotheengasse 112

376

Index der Orte und Straßen Floriansgasse 228 Graben 60, 64, 66, 69–71, 94 Nr. 8 66, 71 Nr. 10 66, 71 Nr. 27 66, 70 Nr. 29 66, 70 Nr. 31 66 Nr. 33 67, 70 Nr. 35 67 Nr. 37 67 Nr. 38 67 Nr. 39 68 Nr. 41 68 Nr. 43 68 Nr. 45 68 Nr. 47 68, 70 Nr. 49 68, 70 Groschengasse 132 Herrengasse 74, 82, 90, 94, 102 Nr. 2 102 Nr. 3 102 Nr. 4 102 Nr. 5 44, 45, 47, 49, 83, 102 Nr. 6 90, 91, 141 Nr. 7 83, 84, 141 Nr. 20 90, 91, 94 Nr. 24 90, 91 Nr. 27 90, 91 Nr. 29 90, 91, 94 Nr. 30 90, 91 Nr. 32 95, 104 Hu¨hnermarkt 32–34, 81, 82, 94, 109, 112, 115, 116, 131, 132, 134 Nr. 2 97, 98, 134 Nr. 4 126 Hundegasse 132 Judengasse 162 Junkerngasse 57, 58, 69, 71, 74, 82, 90, 94, 96 Nr. 19 94, 96 Nr. 21 83, 94, 104 Nr. 23 104 Nr. 30 96 Nr. 31 57 Nr. 33 57, 94 Nr. 35 57, 94, 104 Nr. 37 58, 69 Nr. 39 58, 69, 104 Ketzerberg 54, 60, 62, 69, 71, 75 Nr. 5 60, 69, 100 Nr. 6 64, 65, 70 Nr. 7 60, 69 Nr. 8 65, 70 Nr. 9 60, 69 Nr. 10 65, 70 Nr. 11 62, 69

Nr. 12 70 Nr. 13 62, 69 Nr. 14 65 Nr. 15 62, 69 Nr. 16 65 Nr. 17 62, 69 Nr. 18 65 Nr. 19 62, 69 Nr. 20 65, 70 Nr. 22 65, 71 Nr. 26 65 Nr. 27 70 Nr. 28 65, 70, 71 Nr. 30 65 Kornmarkt 112 Ku¨rschnergasse 127, 130, 131 Kupferschmiedegasse 74, 82, 87, 90, 94, 96, 144 Nr. 7 147 Nr. 17 95 Nr. 18 95 Nr. 19 95 Nr. 20 95 Nr. 21 95 Nr. 22 95 Nr. 26 35, 147 Nr. 27 83, 147 Nr. 36 83 Nr. 57 83 Ma¨ntlergasse 55 Mauergasse 57 Messergasse 95, 96 Nr. 13 95 Nr. 14 95 Nr. 15 95 Nr. 16 95 Nr. 17 95 Nadlergasse 112, 127 Nr. 8 35 Nr. 18 34, 102 Nr. 20 134 Neue Gasse 60, 62, 69 Nr. 36 60 Nr. 38 60 Nr. 40 60, 69 Neumarkt 2, 36, 43, 155, 160, 164, 166–170, 219, 220, 223–225 Nr. 22 100 Nikolaigasse 94, 159, 221 Nr. 7 90, 91 Nr. 13 95 Nr. 69 90 Nr. 70 90, 91 Nr. 77 90, 91 Nr. 79 132 Nr. 81 104

Index der Orte und Straßen Odergasse 96 Nr. 1 132 Nr. 22 95 Nr. 23 95 Nr. 24 95 Nr. 25 95 Nr. 26 95 Nr. 27 95 Nr. 28 95 Nr. 29 95 Ohlauer Gasse 36, 54–56, 60, 69, 132, 158 Nr. 12 95 Nr. 69 54–57 Postgasse 60 Predigergasse 55 Reuschegasse 36, 94 Nr. 1 95, 104 Nr. 2 34, 95 Nr. 4 95 Nr. 5 90, 91, 95 Nr. 6 90, 91 Nr. 7 90, 91, 95, 104 Ringplatz 2, 5, 13, 28, 32–36, 38, 43, 44, 48, 49, 51, 68, 71, 73–75, 77–79, 81–86, 88–91, 94, 98, 103, 107–135, 152, 153, 164, 207, 236 Nr. 1 86, 104, 115 Nr. 2 90, 91, 115, 122, 133 Nr. 3 34, 83, 86, 89, 122, 132, 147 Nr. 4 83, 91, 114, 122, 147 Nr. 5 81, 83, 91, 94, 101, 105, 114, 122 Nr. 6 44–47, 49, 81–84, 86, 93, 94, 100–102, 114, 122, 142–144, 153, 154 Nr. 7 44, 81, 83, 84, 86, 94, 101, 102, 114, 122, 134, 139, 140, 147 Nr. 8 34, 46, 82–84, 86, 87, 94, 97, 101, 102, 115, 116, 122, 134, 147 Nr. 9 86, 114–116, 122 Nr. 10 126, 133, 134 Nr. 11 126, 130, 131 Nr. 12 81, 83, 92, 102, 103, 130 Nr. 13 102, 132 Nr. 14 90–92, 105, 115 Nr. 15 90–92, 115, 134 Nr. 16 92, 130 Nr. 17 44, 77, 83, 84, 87–90, 92, 114, 134, 147 Nr. 18 91, 92, 103, 114, 132, 134 Nr. 19 92, 114, 133 Nr. 20 103, 114, 115, 132, 134 Nr. 21 84, 114, 115, 132, 134 Nr. 22 82, 83, 86, 87, 114, 115, 132, 134, 147

377

Nr. 23 82, 83, 86, 87, 114, 115, 134, 147 Nr. 24 83, 87–89, 140 Nr. 25 114, 133, 134 Nr. 26 83, 86, 104, 114 Nr. 27 86, 115, 133 Nr. 28 104, 114, 115, 133, 134 Nr. 29 86, 104, 129, 130, 133, 134 Nr. 30 114, 129, 131, 132, 134 Nr. 31 114, 129 Nr. 32 86, 114, 129 Nr. 33 83, 86, 90, 114–117, 126, 129, 132, 134 Nr. 34 86, 114, 129 Nr. 35 90, 91, 117, 129 Nr. 36 90, 91, 129 Nr. 37 90, 91, 129, 134 Nr. 38 86, 90, 117, 129 Nr. 39 129, 131, 132 Nr. 40 86, 87, 115, 116, 129, 131, 134 Nr. 41 83, 91, 115, 116, 129, 131, 134, 140 Nr. 42 87, 92, 130–132 Nr. 43 83, 84, 86, 92, 126, 132, 134, 147 Nr. 44 92, 94, 115, 117, 132, 134 Nr. 45 92, 117 Nr. 46 92, 115, 117, 132 Nr. 47 92, 94, 117, 132, 134 Nr. 48 82, 83, 86, 92, 134, 145, 147 Nr. 49 82–84, 86, 92, 126, 145 Nr. 50 34, 90–92, 102, 114, 115 Nr. 51 94, 114, 115, 132–134 Nr. 52 83, 86, 92, 94, 102, 114, 134, 140, 147 Nr. 53 92 Nr. 55 115, 116, 126, 134 Nr. 56 92, 105, 115–117, 126, 134 Nr. 57 134 Nr. 58 92, 114, 132–134 Nr. 59 83, 86, 92, 128, 139, 147 Nr. 60 83, 86, 92, 94, 102, 147 Ritterplatz 82, 87 Nr. 1 84, 90 Nr. 8 84, 90, 144, 147 Salzmarkt 36, 79, 94, 126, 130 Nr. 20 81 Sandgasse 82, 87 Nr. 15 84, 90 Schmiedebru¨cke 36 Nr. 1 95 Nr. 57 147 Schmiedegasse 126, 130, 134 Nr. 57 83

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Index der Orte und Straßen

Schneidergasse 55, 56, 68 Schuhbru¨cke 59, 82, 87, 104, 132, 219 Nr. 33 84 Nr. 35 97 Nr. 49 91, 92 Nr. 57 100 Nr. 74 97 Schustergasse 57 Schweidnitzer Gasse 36, 94 Nr. 7 104 St.-Albrechts-Gasse 54, 56, 82, 86, 90, 94, 96, 103, 105, 124, 132, 140 Nr. 12 90, 91 Nr. 53 83 Nr. 54 83 Nr. 56 83 Nr. 57 83, 147 Stockgasse 112 Nr. 10 46, 50, 74, 157 Nr. 11 46, 50, 74, 156, 157 Nr. 26a 35 Taschengasse 132 To¨pferpassage 113 Universita¨tsplatz 222 Unter den Huterlauben (Unter den Hutern, inter piliatores) 112, 113, 126 Unter den Leinwandlauben (Unter den Leinwandba¨nken, Unter den Leinewebern, undir den litwotirn) 112, 113 Unter den Riemern und Sattlern (inter sellatores) 112, 113, 126 Veitsgasse 86, 105 Vogelmarkt 112 Weidengasse 69, 71, 132 Nr. 2 59 Nr. 3 59, 60 Nr. 4 59, 60 Wurstgasse 3 134 Zwischen den Goldschmieden 90 Brest 192 Brieg 96, 97, 175, 198, 228 Bru¨gge 179, 180 Bru¨nn 190 Danzig 9, 169, 201, 217, 262 D˛ebno 333 Deutsch-Lissa 149 Deventer 175 Diessenhofen 72 Drohiczyn 192 Florenz 233, 333 Flumet 72

Frankfurt a. M. 180 Freiburg i. Br. 72 ¨ chtland Freiburg im U

72

Genua 349 Glatz 355 Glogau 39, 215 Go¨rlitz 200, 215, 216 Gorzyce 176 Goslar 73, 322 Gro´dek 176, 261, 269 Hundsfeld

175

Jeltsch Palast 140, 144, 149 Jerusalem 367, 368, 370 Kaffa 176, 217 Kalisch 185 Kaschau 209, 215 Kenzingen 73 Kiew 175, 178, 179 Klebanowice 215 Ko¨ln 170, 175, 179, 180, 184 Konstantinopel 217 Kopki 176 Krakau 1–7, 9–25, 36, 73, 74, 149, 154, 173–218, 226–277, 319–371 alta civitas 16 Altstadt 16 Badeha¨user 271, 274 Ba¨nke 280, 281, 283, 284, 289, 290, 293, 360 Befestigung 274, 276, 344, 358, 368 Bischo¨flicher Hof 269, 333, 355 Buden/La¨den 113, 245, 246, 249, 280–282, 284, 287–291, 293, 360 Burg/Wawel 13, 14, 243, 257, 259, 261, 263, 268, 276, 328, 329, 334 Bursen 270–272, 325 Christophorus-Haus 284 Collegium Iuridicum 272, 325 Collegium Maius 271, 325 Garbary 341 Haus „Zum Birnbaum“ 325 Heiliggeist-Spital 345 Kahal 271 Kazimierz 16, 17, 183, 199, 234, 241, 341, 342, 347, 350, 367, 368 Kirchen, Klo¨ster und Stifte Allerheiligenkirche 251, 261, 342, 344, 345 Augustiner-Eremiten 16, 347, 348 Barfu¨ßige Karmeliter 259

Index der Orte und Straßen Dominikaner 259, 264, 265, 311, 347, 348, 354, 355 Dominikanerinnen 269 Dreifaltigkeitskirche (Dominikanerkirche) 11, 13, 250, 259, 265, 276, 342, 355, 366 Franziskaner 264, 311, 347, 348, 353, 355 Fronleichnamskirche (Corpus-Christi-Kirche) 16, 342, 350 Heiliggeist (Spitalkirche) 272, 345 Heiligkreuzkirche 16, 251, 265, 345 Kanoniker vom Heiligen Geist de Saxia 260, 272, 276, 345 Klarissen 264, 265, 347, 348, 355 Markusaugustiner (Ho¨rneraugustiner) 347 Minderbru¨der 348 ¨ lbergkapelle 266 O Petrikapelle 264 Ritter vom Heiligen Grab aus Miecho´w 347 Sigismundkapelle 333 St. Adalbert 253, 270, 280, 284, 299 ¨ gidius 251 St. A St. Andreas (Klarissenkirche) 253, 257, 264, 342 St. Anna 263, 270, 342, 344, 345 St. Barbara 252, 366 St. Florian 17, 342 St. Franziskus (Franziskanerkirche) 265, 342 St. Hedwig (Spitalkirche der Ritter vom Heiligen Grab aus Miecho´w) 342, 347 St. Jakobus 16 St. Johannis 253 St. Katharina (der Augustiner-Eremiten) 342 St. Klara 265 St. Laurentius 16 St. Maria (Unserer Lieben Frau) 245, 250, 252, 265, 277, 284, 288, 293, 299, 342, 344, 345, 349, 351, 358, 362–364, 366, 370 St. Maria-Magdalena 253, 257, 261, 264, 271 St. Markus (Kirche der Regularkanoniker) 16, 251, 265, 342 St. Martin 264 St. Matthias und Mattha¨us 264 St. Michael 16 St. Nikolai 342 St. Stanislaus und Wenzel (Kathedrale, Wawelkathedrale) 342, 350, 366

379

St. Stephanus 251, 264, 271, 342, 345, 350 Kleparz 16, 17, 241, 341, 342 Kommunalpalast 258 Ku¨rschnerhaus 292 Marienfriedhof 266, 284 Nordvorstadt 17 Oko´ł 13, 14, 16, 242, 243, 257, 259, 261, 271, 326 Pradnik ˛ Biały 333, 345 Rathaus 243, 249, 272, 273, 279, 281, 284, 290, 293 Schmetterhaus 290, 293 Stradom 341, 347 Straßen und Pla¨tze Allerheiligenplatz 256, 257 Annengasse 267, 269, 270, 299, 335 Nr. 6 269 Bleimarkt 249, 283, 284 Bo¨ttchermarkt 284 Brotmarkt 284 Bru¨dergasse 242, 249, 256, 270, 284, 289, 299, 307, 317 Nr. 3 259, 295, 299, 308–310 Nr. 5 259, 295, 299, 308–310 Nr. 13 317 Burggasse 242, 245, 256, 257, 261, 264, 267, 271, 276, 307, 318, 344, 348 Nr. 32 (Haus Zum Lo¨wen) 276 Nr. 53 271 Fischmarkt 283, 284 Floriansgasse 242, 256, 267, 299, 300, 329, 352 Nr. 3 336 Nr. 5 336 Nr. 7 331 Nr. 14 335 Nr. 15 329, 331 Nr. 17 255 Nr. 26 336 Franziskanergasse 355 Gesandtengasse 257, 260 Getreidemarkt 284 Heiligkreuzgasse 256, 259, 260, 267, 274, 276 Heugasse 267, 284, 289, 312, 317 Heumarkt 284 Hu¨hnermarkt 249, 284 Huldigungsplatz 284 Jagiellonengasse 256, 267, 270 Johannisgasse 242, 245, 249, 256, 267, 287–289, 328, 330 Nr. 1 310, 314 Nr. 3 329, 331 Nr. 8 336

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Index der Orte und Straßen Nr. 9 255 Judengasse 257, 271 Kanonikergasse 259, 261, 264 Nr. 1 303 Nr. 5 271, 325 Nr. 14 325 Nr. 16 269 Nr. 24 269, 325 Nr. 25 259, 269, 274 Kleiner Markt 255, 256, 276, 315, 323, 344 Nr. 4 255 Kohlenmarkt 249, 284 Kreuzgasse 314 Marienplatz 2 315 Nr. 3 331 Markusgasse 260, 267, 274 Metzgergasse 242 Nikolaigasse 256, 259, 314, 364 Nr. 14 324 Ringplatz 2, 6, 242, 243, 245, 248, 249, 255–257, 261, 263, 267, 268, 275, 279–318, 320, 323, 324, 328–330, 344, 366 Nr. 4 315 Nr. 5 315, 335 Nr. 6 („Graues Haus“) 257, 261, 300, 303, 305, 306, 312, 315–317, 325, 326 Nr. 7 305, 309, 315–318, 335, 336 Nr. 8 315, 318, 326 Nr. 9 315, 328, 334 Nr. 10 315, 336 Nr. 11 315 Nr. 12 305, 308, 329 Nr. 13 303, 311 Nr. 15 336 Nr. 17 258, 315–317, 326 Nr. 18 307, 315 Nr. 19 304, 307, 335 Nr. 19a 315 Nr. 20 257, 296, 305, 315–317 Nr. 22 311 Nr. 23 302–304, 309, 326 Nr. 24 307 Nr. 25 305, 307, 329 Nr. 25a 315 Nr. 26 268, 307 Nr. 27 (Palais „Zu den Widdern“) 257, 317, 318, 325, 326 Nr. 28 (Haus „Unterm Blech“) 334 Nr. 29 299 Nr. 30 302, 309 Nr. 31 315 Nr. 35 255, 257, 309, 315–317

Nr. 36 309, 315 Nr. 37 315 Nr. 38 315 Nr. 39 312, 315 Nr. 40 312, 315 Nr. 41 315, 331 Nr. 42 310, 312, 314, 315, 328, 336 Nr. 43 309, 315, 316, 325 Nr. 44 315, 326 Nr. 45 315, 336 Nr. 46 309, 311, 315 Nr. 47 257, 268, 296, 299, 300, 317 Salzmarkt 283, 284 Schustergasse 242, 245, 256, 267, 288, 289 Nr. 2 302 Sławkowskagasse 242, 245, 256, 267, 325, 330 Nr. 4 331 Nr. 1 310 Nr. 6 303 Spitalgasse 256, 267, 314 Nr. 7 331 Nr. 8 315, 324 Nr. 10 336 Nr. 18 336 Nr. 24 336 Stefansgasse 242, 245, 320, 325, 329 Nr. 1 326 Taubengasse 256, 270, 299 Thomasgasse 256, 260, 267, 271, 314, 329 Nr. 17 303 Tischlergasse 242, 255, 276, 308, 328 To¨pfermarkt 284 Universita¨tsplatz 219 Weichselgasse 299, 307, 335 Westerplatte 10 331 Synagogen 271 Tuchhallen 245, 246, 249, 280, 282, 285, 288–290, 293, 316, 334 Waage 247, 248, 280, 281, 284, 290, 292, 293 Krems 325 Kreuzburg 175 Krosno 183 Krossen 202 Krzeszo´w 176 Kschepitz 175, 201 Leipzig 199, 217 Lelo´w 205, 206 Lemberg 175, 176, 184, 194, 199, 218, 234 Leobschu¨tz 175 Le´snica 235, 236

Index der Orte und Straßen Leubus, Zisterzienserabtei 40, 43 Leutschau 217 Liegnitz 36, 139, 142, 215, 236, 355 Palast 140, 142, 144 Ringplatz 94 ´ eza-Lasowo) ˙ Lohe (Sl˛ 148 London 200 Lubaczoo´w 176 Lublin 176, 183, 196, 197, 199, 202–206, 208, 209, 212, 213, 215, 217, 234 Lucca 170 Luzk 184, 192 Maastricht 170, 200 Magdeburg 9 Mechelen 200 Mielnik 192 Militsch Burg 141 Palast 144 Mogiła Zisterzienserabtei

348

Namslau 96, 97, 175, 187, 200 Neiße 228 Neu-Sandez 183, 212 Neumarkt (Schlesien) 96, 97, 168 Novgorod 161 Nu¨rnberg 154, 194, 216, 217, 262, 325, 327 Ohlau 215 Olkusz 175, 182, 183, 196, 217, 231, 237 Olmu¨tz 189, 190, 352 Opatowiec 176 Oppeln 175 Oxford 271 Peking 176 Petrikau 329 Pielgrzymowice 349 Pieskowa Skała 335 Pilgramsdorf (Pielgrzymowice) 361 Pilzno 202, 209 Poggio a Caiano 332 Poggio Reale 333 Posen 4, 9–25, 73, 185, 199, 216, 268, 353 Burg 11, 13, 14 Burgvorstadt 14 Chwaliszewo 22 Dominsel 18, 23 Kaufmannssiedlung 11 Ringplatz 13, 73 ´ ´ dka 13–15, 22 Sro St. Margaretha 11 Prag 4, 9–25, 40, 43, 178, 191, 195, 215, 262, 271, 311, 327

381

Altstadt 18 Burg 11, 14 civitas sancti Galli 13 Hradschin (Burgstadt) 18, 21 Kleinseite (Mala´ Strana) 14, 15 Marktsiedlung 11 Neustadt 18 Poˇrici 13 St. Gallus 13 St. Maria 13 St. Peter 13 Theyn 13 Theyn-Kirche 13 Vicus Teutonicorum 13 Prato 332 Protsch 148 Przemy´sl 176, 349 Przeworsk 183, 206 Racławice 176 Radom 183 Ratibor 175, 228 Regensburg 175, 178, 322, 325 Rocamadour 170 Rom 170, 233, 333, 367–370 Ropschitze (Ropczyce) 183, 210 Rostock 193 Rzeszoo´w 176 San Gimigniano 322 Sandomir 176, 183, 198, 212, 216, 237, 299, 353 Sankt Gallen 201, 217 Santiago de Compostela 170, 367, 368 Schmolz 148, 149 Schweidnitz 5, 146, 187, 200, 355 Schweinern 148 Siena 322 Skarbimierz 199 Skawina 176 Sohrau 175 Stabelwitz 148 Strachwitz 148 Striegau 200 ˙ 176 Sudak (Soldaia, Suroz) Tana 176 Tarno´w 176, 183, 202, 203, 209, 212 Tarnowitz 201 Teschen 228 Thorn 9, 192, 194, 215–217, 349, 353 Tienen 200 Tost 175 Trebnitz 90, 170 Trier 322 Tschenstochau 175

382

Index der Orte und Straßen

Tyniec Benediktinerabtei Venedig

348

Wilsnack 367, 368 Wi´slica 176, 183, 201 Wladimir 176, 193, 194

233

Wesoła 333 Wieliczka 181, 183, 237 Wielun´ 185 Wien 193, 327

Zator 349, 366 Zawichost 176 Zindel (Wojnowice) Zittau 184 Zu¨rich 320, 322

149

VERZEICHNIS DER AUTOREN

Dr. habil. Małgorzata Chorowska, Institut fu¨r Geschichte der Architektur, Kunst und Technik, Technische Universita¨t Breslau [email protected] Dr. Sławomir Dryja, Institut fu¨r Kunstgeschichte und Kultur, Universita¨t Johannes Paul II. Krakau [email protected] Dr. Wojciech Głowa, Krakau [email protected] ´ Prof. Dr. habil. Mateusz Golinski, Institut fu¨r Geschichte, Universita¨t Breslau [email protected] Dr. Waldemar Komorowski, Nationalmuseum Krakau [email protected] Dr. Paweł Konczewski, Institut fu¨r Archa¨ologie, Universita¨t Breslau [email protected] Dr. Czesław Lasota, Emeritus Technische Hochschule Breslau Dr. Ing. Arch. Marek M. Łukacz, Institut fu¨r Architektur und Denkmalpflege, Technischen Universita¨t Krakau [email protected] Prof. Dr. habil. Eduard Mu¨hle, Historisches Seminar, Universita¨t Mu¨nster [email protected] Dr. habil. Grzegorz My´sliwski, Institut fu¨r Geschichte, Universita¨t Warschau [email protected] Prof. Dr. habil. Jerzy Piekalski, Institut fu¨r Archa¨ologie, Universita¨t Breslau [email protected] Dr. Ing. Waldemar Niewalda, Krakau [email protected]

384

Verzeichnis der Autoren

´ Institut fu¨r Geschichte, Polnische Akademie der Wissenschaften WarDr. Marek Słon, schau [email protected] ´ Stanisław Sławinski, Arbeitsstelle fu¨r Denkmalpflege „Arkona“ Krakau Prof. Dr. habil. Krzysztof Wachowski, Institut fu¨r Archa¨ologie, Universita¨t Breslau [email protected] Mgr. Jakub Wysmułek, Institut fu¨r Geschichte, Universita¨t Warschau

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